Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder in Bonn - nicht in Berlin - beginnt auch der 6. Deutsche Bundestag seine Arbeit. So wird deutlich: das deutsche Volk hat sein unveräußerliches Selbstbestimmungsrecht immer noch nicht verwirklichen können. So wird auch deutlich: wir haben noch viel zu tun - Koalition wie Opposition. Wir bleiben dem deutschen Volk, dem unser erstes Wort gilt, vor Geschichte und Gewissen verantwortlich, die Menschenrechte und deren Anerkennung für alle Deutschen zu erringen.
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Das ist die Anerkennung, für die wir arbeiten.
Durch diese Aussage bestätigen wir nicht nur unser politisches Ziel, sondern zugleich den zentralen Maßstab, nach dem die stärkste Fraktion dieses Bundestages politische Fragen beantwortet: für uns ist Fortschritt, wo Menschenrechte und ihre gesellschaftliche Basis mehr zur Alltagswirklichkeit werden. Für uns ist Rückschritt, wo Menschenrechte nicht gelten, wo Strukturen sich etablieren, welche sie unterdrücken oder ihre wirksame Entfaltung hemmen.
Unser zweites Wort gilt Ihnen, Herr Bundeskanzler, und den Mitgliedern Ihrer Regierung, die, wie wir zuversichtlich hoffen, schließlich doch noch vollzählig zu der ersten Einlassung der Opposition anwesend sein werden.
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Im Interesse unseres ganzen Volkes wünschen wir Ihnen Erfolg und eine glückliche Hand.
Erlauben Sie mir ein persönliches Wort. Sie haben zwar, Herr Kollege Brandt, zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt, nun
mehr Sorgen als andere. Zugleich beginnen Sie zu einer Zeit besonderer Möglichkeiten und in einer Lage, die Ihnen den Kopf völlig frei läßt für diese neuen Möglichkeiten. Der Schutt der Nachkriegsjahre ist weggeräumt. Die Hektik des Wiederaufbaus ist vorbei. Sie treten Ihr Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld und wohlgeordneten Finanzen.
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Sie finden auf den Gebieten der Bildungspolitik, der Finanz- und der Wirtschaftspolitik bessere Kompetenzen und ein gerade geschaffenes modernes Instrumentarium vor. Dazu treten die neuen Möglichkeiten des Arbeitsförderungs- und des Berufsausbildungsgesetzes sowie die anderen Reformwerke der Großen Koalition.
Außenpolitisch bleibt festzuhalten: Frankreich setzt seine Akzente der Europa-Politik näher zu den unseren. Polen zeigt Gesprächsbereitschaft. Die Sowjetunion denkt, so scheint es, neu nach über Mitteleuropa. Die Verantwortlichen in Ost-Berlin beginnen sich von starren Formeln zu lösen. Das weltpolitische Gespräch der beiden Großmächte wendet sich den Raketen-Problemen zu und nimmt damit zugleich - endlich - auch politische Spannungsursachen als Thema auf. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland stand kein Bundeskanzler bei seinem Amtsantritt in einer vergleichbaren Situation.
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Wir werden sehen, Herr Bundeskanzler, wie Sie von diesem soliden Fundament aus „den Nutzen des deutschen Volkes mehren''. Wir sind bereit, Ihnen dabei zu helfen.
Aber auch unsere Politik umgreift die Pflicht, „Schaden vom deutschen Volk zu wenden".
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Wir werden als Opposition nicht nur dafür sorgen, daß die Koalition hier immer wieder für ihre Politik einstehen und ihre Mehrheit beweisen muß; wir bieten auch in aller Form die Möglichkeit an, in den Lebensfragen der Nation zur Kooperation aller zu kommen.
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Ob das zum Nutzen aller Deutschen erreicht wird,
liegt ganz wesentlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler,
nämlich an dem Ausmaß, der Stetigkeit und der Offenheit, mit der Sie uns unterrichten, mit uns sprechen und unsere Meinungen in Ihre Entscheidungen einbeziehen. Dieses Angebot wäre - und ich will hier von Anfang an konkret sein und nichts im Unklaren lassen - in Frage gestellt, wenn Sie z. B. den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, bevor unsere Grolle Anfrage, die bereits vorliegt, hier behandelt worden ist, und zwar mit der dem Gegenstand angemessenen Sorgfalt.
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Meine Damen und Herren, es wird auch sehr schwer möglich sein, dieses Angebot wirklich durchzuhalten, wenn Sie etwa, Herr Bundeskanzler, wie - bei Ihrem Start - Zeitungsinterviews den Vorrang vor dem Parlament geben.
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Sie haben es mit einer Opposition zu tun, die aus 20 Jahren Regierungsverantwortung weiß, was möglich und was unmöglich ist.
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Diese Erfahrung werden wir als Opposition nicht vergessen.
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- Ich hoffe, Herr Dorn, Sie vergessen auch nichts von den vielen Jahren, in denen wir zusammen in der Regierung saßen.
Sie haben es mit einer Opposition zu tun, welche zum sechsten Male von den Wählern, denen wir danken, zur stärksten Fraktion dieses Hauses gemacht wurde und in deren Reihen der Mann sitzt, der nach dem Willen von 46,1 % der Wähler wieder Bundeskanzler sein sollte: Kurt Georg Kiesinger.
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Ihre Koalition, Herr Bundeskanzler, hat eine schmale Basis, und Sie selbst werden das Unbehagen spüren, das viele in unserem Volke erfüllt. Wir fühlen uns nicht als eine abgelöste Wache, die nun schlafen gehen und die Augen zumachen darf; und wir denken weder daran, Reden zum Fenster hinaus oder die leichtere Hand beim Geldausgeben für große Stunden der Opposition zu halten.
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Ja, für uns ist nicht einmal unvorstellbar, zu sagen: die Regierung hat recht.
Wir sind als Opposition nicht aus der Verantwortung für unseren Staat entlassen. Wir werden diesen Teil der Verantwortung ebenso ernst nehmen und ebenso gewissenhaft erfüllen wie den anderen Teil, den wir bisher innehatten. Wir halten es für unsere Pflicht, unbequem und kritisch zu sein, Kontroversen und Konflikte sichtbar auszutragen, - auch um politische Entscheidungen für jedermann durchsichtig und verständlich zu machen. Wir halten es für unsere Pflicht, nicht einfach nein zu sagen, sondern Besseres vorzuschlagen. Wir werden der Politik der Koalition gegenüberstellen: a) unsere Auffassung von den objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik, b) die Wahlversprechen der
Koalitionsparteien und c) die Regierungserklärung der Koalition.
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Damit ist klar, wie wir unsere Aufgabe sehen und Ihrer Politik begegnen werden, und jedermann kann sich darauf einrichten.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, sich als kleinlich erwiesen, indem Sie kein Wort fanden für Ihre Vorgänger Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger.
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Und es hätte Ihnen, so meine ich, in dieser Lage, in der zum erstenmal ein Sozialdemokrat als Kanzler eine Regierungserklärung abgibt,
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wohl angestanden, einen Namen noch zu nennen, ohne den doch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht stünde, wo sie ist. Ich meine: Fritz Erle r.
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- Sehen Sie, wir denken noch an diesen Mann und dessen großen Beitrag für die Demokratie in Deutschland.
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- Meine Damen und Herren, daß die erste Unruhe an dieser Stelle kommt, ist ein bemerkenswerter Vorgang. Ich habe von Fritz Erler, lesen Sie die Debatten, immer viel gehalten!
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Ich sprach davon, daß wir als die stärkste Fraktion von dem ausgehen, was wir für die objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik halten. Welches sind diese objektiven Notwendigkeiten?
1. Eine nüchterne, nicht an Wünschen, sondern an den gegenwärtigen Tatsachen ausgerichtete Analyse der Lage zwingt, unsere Verteidigungsanstrengungen im Bündnis ungeschmälert fortzusetzen und - auch dadurch - die bleibende Anwesenheit der USA in Mitteleuropa sicherzustellen. Die Bundeswehr selbst bedarf der Reform; sie ist eingeleitet. Von der Basis der gesicherten Freiheit aus muß unsere Friedenspolitik stetig und geduldig fortgeführt werden. Auswärtige Kulturpolitik, Entwicklungshilfe und internationale Gesellschaftspolitik gehören wesentlich dazu.
2. Durch solide Reformen muß unser freiheitlicher, sozialer Rechtsstaat ausgebaut werden. Wir betrachten ohne Selbstgerechtigkeit das Erreichte als gute Basis für weiteren Fortschritt.
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Aus unserer Sicht ist vordringlich: in der Bildungspolitik müssen zügig die neuen Bundeskompetenzen ausgeschöpft werden, also ein Rahmengesetz über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens, das Zusammenwirken mit den Ländern in
der Bildungsplanung, das Wahrnehmen der Gemeinschaftsaufgaben.
Wir halten für dringlich eine zweite Stufe des Ausbildungsförderungsgesetzes. Die Ausdehnung der Bundeskompetenz auf die Fachhochschulen muß diskutiert, die Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen müssen rasch abgebaut werden, und der Zugang zur Universität für solche Mitbürger, die ihrer Wehrpflicht genügt haben, sollte unverzüglich erleichtert werden.
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Die erfolgreichen Bemühungen der letzten Bundesregierung auf dem Gebiete des technologischen Fortschritts müssen fortgesetzt und ausgebaut werden.
Die Eigentumspolitik bedarf neuer Akzente, zumal die Tarifpartner die Möglichkeiten, welche der Gesetzgeber geschaffen hat, bisher kaum genutzt haben.
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Ein verbessertes Betriebsverfassungsgesetz, die Errichtung von Arbeitnehmerkammern, die Neuordnung des Familienlastenausgleichs - ein Wort, das in der Regierungserklärung fehlt -,
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eine bessere Kriegsopferversorgung und bessere Leistungen für Vertriebene und Flüchtlinge, die Lage der Hausfrau, die Altersversorgung der Selbständigen, die Reform der Krankenversicherung, die Verbesserung der Lage der Krankenhäuser sowie ein vernünftiges Städtebauförderungsgesetz ({22})
alles das sind gesellschaftspolitische Notwendigkeiten.
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- Herr Wischnewski, wir werden sehen ({24})
hören Sie zu, Herr Kollege -, wer schneller ein besseres, mehrheitsfähiges Städtebauförderungsgesetz vorlegt, diese Koalition oder die Opposition.
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Dieser Bundestag sollte die Strafrechtsreform abschließen und die Justizreform weiterführen.
Die Steuerreform muß nun auf die vollzogenen Reformen der Finanzverfassung und des Haushaltsrechtes folgen.
Die sektorale und die regionale Strukturpolitik, die eingeleitet sind, müssen fortgesetzt werden. Hierzu gehören auch die Fragen der Förderung des selbständigen und des unselbständigen Mittelstandes, der Landwirtschaft und der freien Berufe. Natürlich gebührt wie bisher der Verkehrspolitik der Vorrang.
Aber wichtig ist - und darauf komme ich nachher zurück, Herr Bundeskanzler -, daß die mittelfristige Finanzplanung fortgeschrieben wird. Wichtig ist, daß dabei sichtbar wird, daß der investive
Teil der öffentlichen Ausgaben anwächst. Es muß alles geschehen, um unsere Wirtschaftskraft zu stärken, - zumal andere Nationen uns die Spitzenstellung in Welthandel und Industrieproduktion streitig machen.
Dies alles erfordert Anstrengungen und eine feste Führung, gestützt auf eine verläßliche Parlamentsmehrheit.
Das Dritte, meine Damen und Herren! Mit dem Wahlkampf und der Regierungsbildung darf das Gespräch mit der kritischen Jugend nicht zu Ende sein. Wir müssen unseren parlamentarischen Arbeitsplan so einrichten, daß genügend Zeit auch für dieses Gespräch bleibt. Denn der Wahlkampf hat doch gezeigt, daß dieses Gespräch und diese Diskussion zwar strapaziös, aber schließlich für die Demokratie doch lohnend ist.
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Demokratie braucht beides: den Kompromiß, ohne den praktisches Zusammenleben ebensowenig möglich ist wie die schrittweise Verwirklichung großer Konzeptionen, und die Herausforderung durch Positionen des moralischen Rigorismus, - und dies letzte schon deshalb, damit die Kompromisse, unsere eigenen eingeschlossen, nicht immer „fauler" werden. Demokratie braucht feste Prinzipien, aber auch Kompromisse. Sie lebt von der Rücksicht auf den anderen und dessen Meinung, von der Achtung vor dem Gesetz und von der Toleranz aller. Wir wissen, daß viele junge Menschen auf die neue Opposition schauen. Auch ihrer kritischen Vernunft zu entsprechen, wird unser Bemühen sein.
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Nun folgt auf die Zeit der „Großen Koalition" eine Zeit der „Großen Kontroverse". Den verschlossenen Türen des „Kreßbronner Kreises" folgt das öffentliche Ringen um den besten Weg hier im Parlament.
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Es ist schade, Herr Kollege Schmidt, daß Sie sich an diesem Abschnitt der deutschen Demokratie nicht vor allem hier beteiligen.
Viertens. Die Vereinigung des freien Europas ist die Lebens- und Friedensbasis für alle Menschen dieses Kontinents. Der in den Römischen Verträgen konzipierte Weg muß zu Ende gegangen werden. Also darf die deutsche Politik sich nicht in eine Alternative zwischen Ausbau oder Erweiterung der Gemeinschaften zwingen lassen; wir brauchen beides.
Das bevorstehende Treffen der Regierungschefs, Herr Bundeskanzler, sollte nicht nur die anstehenden Fragen des Ausbaus der Gemeinschaft betreffen und auch nicht nur grünes Licht für die Beitrittsverhandlungen geben und Formen der Zusammenarbeit für die Neutralen finden; diese Konferenz sollte endlich die politische Zusammenarbeit nach festen Regeln beschließen.
Bundeskanzler Kiesinger hat am 22. August mit uns sein Konzept für diese Konferenz erörtert. Wir
haben dem zugestimmt und es, soweit es ging, veröffentlicht. Wir halten daran fest,
Es muß
- so heißt es darin ein Anfang gemacht werden auf dem Wege zu einer europäischen politischen Gemeinschaft ... Nur dann wird Europa dem gerecht werden, was die Welt von ihm erwartet: ein Faktor der Stabilität und des Friedens zu sein und den Völkern in Asien, Afrika und Lateinamerika mit seinen wirtschaftlichen Leistungen, seinem Wissen und seinen Erfahrungen auf dem Wege ihrer Entwicklung zu helfen.
Dies bleibt unsere Politik, meine Damen und Herren!
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Dieses Europa muß offen sein für alle und die Zusammenarbeit wie den Ausgleich mit den Europäern in der Mitte und im Osten unseres Kontinents suchen. Für diese Politik, die Deutschland-Politik eingeschlossen, gelten für uns unverändert diese Festlegungen unserer Haltung fort, und ich will sie hier bezeichnen, damit wir am Schluß dieser Debatte auch wissen, wo Kontinuität gesagt und wo sie noch eingehalten wird.
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Meine Damen und Herren, unsere Haltung liegt in folgenden Dokumenten fest: a) der an Polen gerichtete Aufruf zur Aussöhnung Konrad Adenauers vom 1. September 1959, b) die Friedensnote der Regierung Erhard vom 25. März 1966, c) die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger vom 13. Dezember 1966, d) der Beschluß der NATO-Konferenz von Reykjavik vom 25. Juni 1968, e) der Bundestagsbeschluß vom 25. September 1968.
In allen diesen Fragen stimmen wir Henry Kissinger zu, der in seinem jüngsten Buch sagt - ich empfehle, die Stelle genauer nachzulesen; ich kann hier nur einen Satz verlesen -:
Die Neigung vieler Leute im Westen, mit Änderungen im Ton der Sowjets zufrieden zu sein und Atmosphäre mit Substanz zu verwechseln, war sicherlich den Dingen nicht besonders dienlich.
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Bei allem Verzicht auf Pathos und auf Sonntagsreden zur deutschen Frage - diesen Verzicht begrüßen wir - bleibt nüchtern festzustellen: auf der Grundlage der andauernden Diskriminierung Deutschlands und der Deutschen wird es mit unserer Zustimmung weder eine europäische noch eine innerdeutsche Lösung oder auch nur Befriedung geben! Auf der Basis der Menschenrechte - auch für alle Deutschen - hingegen, um deren Anerkennung wir kämpfen, läßt sich über alles reden.
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Wir haben in der Debatte vom 15. Dezember 1966 konkrete Punkte bezeichnet, über die mit den Verantwortlichen in Ostberlin durch Gespräch, für das wir sind, Einigung erzielt werden sollte. Diese
Punkte finden sich in der Regierungserklärung vom 12. April 1967 und in den verschiedenen Verhandlungsangeboten des Bundeskanzlers Kiesinger wieder. Das alles gilt für uns fort.
Im Interesse der Menschen sollten auch diese Themen behandelt werden, die wir damals noch nicht in unserem Katalog hatten: bessere Telefonverbindungen, leichtere Abfertigung im Paket- und Päckchenversand, Reiseerleichterungen, private Geldüberweisungen, mehr wissenschaftlicher, sportlicher und kultureller Austausch, Absprachen über direkte Hörfunk- und Fernsehübertragungen, Rückführung von Kulturgütern an den Ort der ursprünglichen Aufbewahrung und die gemeinsame Abwehr von Seuchen und Katastrophen.
Auch in den innerdeutschen Fragen ist für uns nur ein Maßstab gültig, nämlich die Menschenrechte. Sie Stück für Stück zu erreichen, bleibt die Hauptaufgabe der Deutschlandpolitik. Und da dies, wie ich hoffe, ein Feld von Gemeinsamkeit wird oder bleibt, möchte ich an dieser Stelle Herbert Wehner zitieren, der dieser Tage auf „die harte Wirklichkeit mit ihren Schranken" hingewiesen hat. Er hat betont:
Die Deutschlandpolitiker kennen zu ihrem Mißvergnügen nur die Disziplinen Hürden- und Hindernislauf, von Anfang an und bestimmt noch auf lange Strecken.
Wenn Sie sehr viel Atem brauchen, Herr Franke, sprechen Sie rechtzeitig mit der Opposition.
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Meine Damen und Herren, die stärkste Fraktion betrachtet sich hier nicht nur als Opposition; sie wird auch durch eigene Anträge tätig werden. Deshalb habe ich diese Punkte unseres eigenen Programms bezeichnet.
Nun zur Kritik der Regierungserklärung; darauf wartet der Bundeskanzler sicher schon lange. Das Programm der Koalition, so meinen wir, bleibt hinter diesen objektiven Notwendigkeiten der deutschen Politik zurück.
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Die neue Regierung beginnt mit einer Politik der leichten Hand. Ohne eine veränderte Finanzplanung vorzulegen, beschlossen die Koalitionspartner zuerst einmal eine Steuersenkung durch Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages. Ohne den sozialen Bezug der Einführung der Ergänzungsabgabe - z. B. den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag - wenigstens zu erwähnen,
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beschloß die Koalition, diese Steuer in zwei Etappen abzubauen.
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Ohne mittelfristige Gewißheit
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über die Stärke und die Kosten der andauernden
militärischen Anwesenheit der USA sowie ohne
eine größere Zahl tatsächlich vorhandener BerufsDr. Barzel
und Zeitsoldaten in der Bundeswehr wird - und dies ist in der Regierungserklärung vage formuliert; vielleicht ist es anders gemeint, aber man kann es auch so auffassen - erst einmal ein kürzerer Wehrdienst als künftige Möglichkeit an die Wand gemalt. Ohne den Beweis für etwa verminderte Bedrohung und ohne Rücksicht auf die militärische Integration der Verbündeten werden die Trägerwaffen in Frage gestellt. Das fehlt freilich in Ihrer Regierungserklärung, aber die Ihnen nahestehende Presse brachte es vorher, die FDP behauptete es vorher. Wer hat nun recht? Was ist mit den Trägerwaffen?
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Ohne ein Programm, das den gestiegenen Finanzbedarf für investive Zwecke, für Bildung, Verkehr, Strukturpolitik, Technologie zusammenordnet, ohne den Blick auf die anwachsende Wirtschaftskraft anderer Nationen, welche unsere Stellung im Welthandel in Frage stellt, wurden Haushaltsbelastungen und wurde eine Aufwertung beschlossen, welche nicht nur den Export und damit die Vollbeschäftigung morgen trifft, sondern die Bundesbank und den Bundeshaushalt sofort erheblich belasten. Kaum hatten Sie die Führung, banden Sie sich und damit leider uns allen erhebliche Klötze ans Bein, und das Ausmaß der Klötze ist, wie wir aus Brüssel hören, zur Stunde nicht einmal fixierbar und berechenbar.
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So stütze ich mich nur auf die öffentlichen Aussagen der Regierung: 4 Milliarden DM Aufwertungsverlust, 1,7 Milliarden DM jährlich zusätzliche Agrarsubventionen, 1,4 Milliarden DM jährlich Mindereinnahmen durch die Sofortvorhaben der Koalition. Was kosten die anderen Ankündigungen, wie die Abnahme der Schuldenlast der Deutschen Bundesbank, wie die Flexibilität der Altersgrenze und all die anderen Dinge? Bisher ist Antwort darauf nur Schweigen, meine Damen und Herren. Wir werden schon noch Antworten bekommen, meine Herren von der Bundesregierung.
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- Dann ist es doch gut! Wenn Sie Rechnungen haben und die hier nicht vortragen, dann muß man das doch als schlechten parlamentarischen Stil bezeichnen, und wenn Sie keine haben, muß man das als leichtfertig bezeichnen. Suchen Sie sich eins von beiden aus, meine Damen und Herren!
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Die Steuermehreinnahmen werden auf 3,8 Milliarden DM geschätzt. Aber mehr als das wird gebraucht, und mehr wird verbraucht werden, und das angesichts dieser Konjunktur und angesichts der Priorität, ein modernes Land zu bleiben.
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Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, nach Ihren Argumenten für diese Politik. Es hätte Ihnen und
uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben,
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sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will.
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Wir fragen Sie, auf welche Lagebeurteilung, auf welche Finanzplanung, auf welche Konjunkturverläufe Sie, Herr Bundeskanzler, diese Politik, erst einmal einen auszugeben, gründen wollen.
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Ich fürchte, diese Politik, die sich zu Beginn so billig
macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen.
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Hätten Sie es, Herr Bundeskanzler, mit einer leichtfertigen Opposition zu tun, so hätten Sie doch bereits - und Herr Kollege Möller müßte schon darüber rechnen - all die Gesetzentwürfe auf dem Tisch, die in der Luft hängen, die scheinbar populär und zum großen Teil auch notwendig sind: so z. B. die Steigerung aller Kriegsopferrenten, einschließlich einer Abschlagzahlung, eine wesentliche Verbesserung des Kindergeldes, Gesetzentwürfe über bessere Beamtenbesoldung, über die Erhöhung der Kilometergeldpauschale, über die Hausfrauenrente, über die Herabsetzung des Rentenalters, über die Verdoppelung des Betrages von 312 DM in der Eigentumspolitik, über die Aufstockung der landwirtschaftlichen Altershilfe und ähnliche Sachen. Nichts davon ist geschehen. Es blieb der Koalition vorbehalten, die ersten ausgabewirksamen Anträge hier ohne mittelfristige Finanzplanung vorzulegen.
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Wenn Sie sich erinnern, wie Sie selbst - nicht alle von Ihnen, aber die, die 1965 schon hier waren - ziemlich kaltherzig das Haushaltssicherungsgesetz 1965 gegen bessere Einsicht abgelehnt haben, dann werden Sie, glaube ich, zu würdigen wissen, welche verantwortliche Haltung die Opposition hier einnimmt. Bevor ich mich außenpolitischen Fragen zuwende, möchte ich gern einige Merkwürdigkeiten der Regierungserklärung und der Regierungspolitik festhalten, sozusagen eine kurze Folge von Hört-HörtZurufen.
Herr Bundeskanzler, Sie wollen mehr Demokratie wagen. Das ist gut. Mehr Demokratie wagen heißt aber zunächst, dem Parlament mehr und Konkretes sagen.
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Wir haben erstmals einen Berlin-Bevollmächtigten, der nicht in Berlin residiert.
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Nicht wahr, Herr Kollege Mattick: früher hätte man das - ich erinnere an einen bestimmten Vorgang - Demontage von Bundesadlern genannt.
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Der Herr Bundeskanzler hat einen Kanzleiminister. Nun gut. Dieses Parlament freilich, Herr Bun42
deskanzler, hat es mit Ihnen zu tun, und auch in den
Fragen der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste sind Sie der Adressat des Parlaments.
Sie haben eine Regierung, die in Wahrheit neue, zusätzliche Stellen für acht Parlamentarische Staatssekretäre braucht, während Sie die Zeitungen mit Ihren Heldentaten des Einsparens von vier Ministern beschäftigen.
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Wir haben in der Regierung Minister, deren Taktgefühl es zuließ, Staatssekretäre, die besonders erfolgreiche Berufsbeamte waren, nicht einmal selbst zu verabschieden.
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Wie man hört, soll die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre verändert werden. Ohne Gesetz geht das nicht. Und wenn die Vorhaben, die man in der Presse liest, stimmen, geht es nicht einmal ohne Änderung des Grundgesetzes.
Sie suchen, meine Damen und Herren, nach Ihrer Regierungserklärung ein Sofortprogramm für die bessere Verbrechensbekämpfung. Nehmen Sie das, was Ernst Benda auf seinem Schreibtisch liegen hatte! Das war nämlich gut.
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Interpretieren wir richtig, wenn wir nach der Regierungserklärung in Sachen Krankenversicherung und flexible Altersgrenze Vertagung und in Sachen Hausfrauenrente Wegfall notieren?
Warum ist die Koalition im Parlament gegen unsere Forderung nach einem besonderen Jugendausschuß, während die Koalition in der Regierung so gute Worte zum Problem fand?
Sie haben gute Worte zur Sozialarbeit der Kirchen gefunden. Gehe ich nun fehl in der Annahme, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihren Einfluß als Parteivorsitzender auch benutzen werden, daß dies auch in Fragen Jugend- und Sozialhilfegesetz bis in die Kommunalpolitik der Sozialdemokraten hinein durchdringt?
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Angeblich hat die Bundesregierung - ich zitiere - „ein schwieriges wirtschaftspolitisches Erbe übernommen".
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Wir hoffen für Sie, Herr Bundeskanzler, und für uns alle, daß es nie schwieriger für uns alle und auch für Sie werden wird.
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Es gab ein Problem, aber kein schwieriges Erbe. Und wenn das, was die letzte Regierung hierzu gemacht hat, gar so schlimm gewesen wäre, dann hätten Sie ihr doch nicht bis zum Schluß angehört. Sie haben ihr angehört, also kann es nicht gar so schlimm gewesen sein.
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Die Hinweise auf „Konzertierte Aktion" und auf volle Tarifautonomie werden hoffentlich die Erfahrungen mit den wilden Streiks einbeziehen und der Konzertierten Aktion ebenso wie der angenommenen Machbarkeit aller wirtschaftlichen Dinge Grenzen setzen.
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Das Wort „Familienlastenausgleich" fehlt. Während für die so notwendige Kriegsopferversorgung ein Datum genannt wird - 1. Januar 1970 , wird in Sachen Kindergeld eine ungewisse Terminierung bestimmt. Wir wollen, Herr Bundeskanzler, beides, wie wir das früher hier im Hause zusammen beschlossen hatten, beides zum 1. Januar.
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Das Wort „Wiedervereinigung" kommt in der Regierungserklärung nicht vor. Trotzdem gilt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956 mit dem Wiedervereinigungsgebot und mit diesen Sätzen, die ich zitiere:
Nach der negativen Seite hin bedeutet das Wiedervereinigungsgebot, daß die staatlichen Organe alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Wiedervereinigung rechtlich hindern oder faktisch unmöglich machen. Das führt aber zu der Folgerung, daß die Maßnahmen der politischen Organe verfassungsgerichtlich auch darauf geprüft werden können, ob sie mit dem Wiedervereinigungsgebot vereinbar sind.
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Soweit, meine Damen und Herren, meine einzelnen Zurufe.
Nun zu einigen Punkten des Koalitionsprogramms, die nicht auf dem ökonomischen Gebiet liegen, das im Laufe der Debatte ein anderer von uns einführen wird.
Erstens. Die Regierungserklärung gibt der Bildungspolitik Vorrang. Wir stimmen dem zu und haben vorher gesagt, was wir selbst konkret vorschlagen. Ihnen, Herr Wissenschaftsminister, geben wir gerne eine gute Chance. Ihr Erfolg liegt in ganz besonderer Weise in unser aller Interesse.
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So bleibt uns nur, der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion unser herzliches Beileid dafür auszusprechen, daß Ihr eigener Vorsitzender Ihnen bescheinigt hat, daß Sie für den wichtigsten Posten dieser Regierung dort, wo die Priorität liegt, kein geeignetes Talent hätten, ich sage: hätten!
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- Ja, ich kenne solche bei Ihnen.
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Zweitens. Das Wort „Reform" kommt in der Regierungserklärung oft vor. Jede wichtigere Frage wird so bezeichnet. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, Herr Bundeskanzler, daß Ihr Gesamtprogramm - was jetzt kommt, schließt an den Schluß Ihrer gestrigen Rede an in seinem reformerischen
Ansatz weit hinter dem zurückbleibt, was in unserer Regierungszeit an Reformen verwirklicht wurde.
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- Ich nenne, schon um zu sagen, was wir besonders verteidigen werden, Herr von Dohnanyi: soziale Marktwirtschaft, soziale Partnerschaft, dynamische Rente,
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sozialen Wohnungsbau, Familienlastenausgleich
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- jawohl! - und viele andere Dinge. Ja, wollen Sie denn bestreiten, daß wir das gegen Ihre Stimmen angefangen haben? Sollen wir denn die Debatte noch einmal führen? Ich habe das ja alles nachgelesen, meine Damen und Herren.
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Ich füge hinzu - auch das alles nur wegen dieses Schlußabsatzes; sonst hätte es diese Passage gar nicht gegeben -: die europäische Orientierung der deutschen Friedenspolitik, die Aussöhnung mit Frankreich, die Überwindung des Klassendenkens und des Konfessionshaders in unserem Lande. Dies
i s t ein modernes demokratisches Land, meine Damen und Herren.
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Herr Bundeskanzler, es würde vieles erleichtern, wenn Sie meine gestrige öffentliche Aufforderung ernst nähmen und ihr entsprächen. Den Satz: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an",
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diesen Satz halten Sie also aufrecht? Meine Damen und Herren von der FDP, waren Sie nicht in diesen zwanzig Jahren an der Demokratie und in der Regierung beteiligt? Oder glauben Sie vielleicht, meine Kollegen von der SPD, wir haben je bestritten, daß Sie auch als Opposition und in der Regierung an der Demokratie dieses Landes mitgewirkt haben? Meine Damen und Herren, dies war bös, was Sie da soeben sich zusammengeklatscht haben.
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- Ich kann doch nicht fragen, von wem welche Passage stammt, meine Damen und Herren.
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Herr Bundeskanzler! Es waren Männer und Frauen des Widerstandes, welche die CDU/CSU gründeten; es war die CDU/CSU, welche die längste Periode der demokratischen Geschichte unseres Landes als führende Kraft gestaltet hat. Vieles von der Basis, auf der Sie heute stehen, entstand gegen das Nein Ihrer Partei. Diese Erklärung haben Sie provoziert.
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Herr Bundeskanzler, ich hatte nicht vor, diese Passage zu haben.
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- Nein! Ich habe gestern öffentlich gesagt: „Der Bundeskanzler soll das in Ordnung bringen, und die Sache ist vom Tisch." Wer hat denn nicht mal einen Lapsus linguae? Jeder hat den mal. Aber dann gab es ja noch den Beifall bei Ihnen, meine Damen und Herren. - Also mir wäre es lieber gewesen, es wäre nicht nötig gewesen. Aber das haben Sie provoziert, Herr Bundeskanzler.
Drittens. Meine Damen und Herren, ich komme zu dem außenpolitischen Teil der Regierungserklärung, in dem wohl die entscheidende Formulierung auf Seite 40 steht, nämlich von den wenigen „Festlegungen". Der außenpolitische Teil der Regierungserklärung ist mehr durch Weglassen und durch die Kunst der Wortwahl als durch Präzision gekennzeichnet. Die Welt und Ihre Opposition hier im Hause, Herr Bundeskanzler, werden Ihnen nicht erlauben, aus jedem Entweder-Oder ein konfliktfreies Sowohl-Als-auch zu machen.
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Wir haben hier Fragen zu stellen; denn wir wollen wissen, wohin die Reise geht. Das Parlament hat Anspruch darauf. Es will ja nicht nur „angehört" werden.
a) Sie sagen: Kontinuität. Und ich sage das Folgende jetzt alles, Herr Bundeskanzler, in dem Blick auf unser Angebot zur Kooperation. Sie sagen: Kontinuität. Wie wollen Sie Ihre Erklärung von den „zwei Staaten in Deutschland" in Einklang bringen mit der Präambel des Grundgesetzes?
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Wie mit Ihrer Forderung nach Selbstbestimmung aller Deutschen? Und wie mit dieser Erklärung, die wir nach der tschechischen Tragödie gemeinsam ausgearbeitet und hier mit allen Stimmen der CDU/ CSU und der SPD gebilligt haben? Und ich kenne keine verbindlichere Form, sein politisches Wort zu geben, als durch Abstimmung im Parlament.
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Wir haben damals gemeinsam beschlossen - ich zitiere nur einen Satz: „Die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht."
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So erklärten am 25. September 1968 einvernehmlich alle Abgeordneten der CDU, der CSU und der SPD; nicht, an dieser Stelle, die FDP.
b) Aus welchen Gründen, Herr Bundeskanzler, haben Sie Tatsachen geschaffen, welche andere mißdeuten können? Ich nenne die Umbenennung des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen, die Residenz des Berlin-Bevollmächtigten in Bonn und die bisherige - ich bin sehr vorsichtig - Weigerung der Koalitionsfraktionen, unserer Anregung, wie bisher im Januar mit den Fraktionen und Ausschüs44
sen des Deutschen Bundestages nach Berlin zu gehen, zu folgen.
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c) Sie wollen, Herr Bundeskanzler, wie Sie sagen „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander" in Deutschland kommen.
Ist damit gemeint, was Sie präziser nicht hier im Hause, sondern vorher in einem Interview mit einer niederländischen Fernsehgesellschaft erklärten, wo Sie sagten - ich zitiere nach dpa, anderes Material stand mir nicht zur Verfügung, aber es sind zwei dpa-Meldungen gleichen Wortlauts , Sie könnten sich „ein Rechtssystem vorstellen, das bis zur endgültigen Lösung der deutschen Frage zu zwei deutschen Staaten innerhalb einer deutschen Nation führe"?
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Wie begegnen Sie, Herr Bundeskanzler, für den Fall, daß das zutrifft, z. B. dem jüngsten Einwand Professor Ulrich Scheuners, der Bedenken recht gibt - ich zitiere - „gegen Empfehlungen, den bestehenden Riß durch eine formale Konföderationslösung verbergen zu wollen, deren Wirksamkeit in der gegenwärtigen Lage weder vorausgesetzt werden kann noch wirkliche Erleichterungen verspräche"? Soweit das Zitat.
Rivalität - das ist unsere Meinung - läßt sich nicht konföderieren, und Freiheit kann man mit Diktatur nicht mischen, meine Damen und Herren!
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Kennen Sie, so frage ich weiter, die Studie des Forschungsinstituts für internationale Politik und Wissenschaft, die hierzu zu dem Ergebnis kommt - ich zitiere -:
... es ist schwer einzusehen, wie die formelle Einbeziehung dieser beiden antagonistischen Ordnungssysteme in ein loses Vertragsverhältnis ... die bestehenden Gegensätze mindern oder gar beseitigen könnte ... Ein geschichtlicher Rückblick zeigt, daß für eine funktionsfähige Konföderation drei Voraussetzungen erforderlich sind: gesellschaftliche Homogenität, ideologische Kompatibilität und außenpolitische Solidarität. Nicht eine dieser Voraussetzungen ist jedoch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR bisher gegeben oder auf absehbare Zeit zu erwarten.
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d) Herr Bundeskanzler, am 30. Mai 1969 hat die Bundesregierung Kiesinger mit Ihrer Stimme beschlossen - wenn Pressemeldungen stimmen, sogar weitgehend auf Ihren Vorschlag; ich zitiere -:
Die nationale Einheit wird von der Ostberliner Regierung mißachtet, infolgedessen kann eine Unterstützung dieser Regierung nur als eine Handlung gewertet werden, die dem Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung zuwiderläuft. Die Bundesregierung muß daher die Anerkennung der DDR als unfreundlichen Akt betrachten. Sie wird in einem solchen Fall
ihre Haltung und ihre Maßnahmen gemäß den
Interessen des ganzen deutschen Volkes von
den gegebenen Umständen abhängig machen.
Soweit das Zitat des Kabinettsbeschlusses, dem wir damals hier zugestimmt haben. Ich frage: Gilt das noch?
e) Wir begrüßen, daß die Bundesregierung auf die Gesprächsbereitschaft Polens eingehen will. Leider haben Sie hier nichts Konkretes über Ihre Vorhaben gesagt. Herr Bundeskanzler, ohne Kooperation mit der Opposition werden Sie in dieser Frage kaum zu einem Erfolg kommen können.
Wir meinen: Deutsche und Polen wollen, wie dies Bundeskanzler Kiesinger immer wieder gesagt hat, in gesicherten Grenzen leben, die frei vereinbart werden und die Zustimmung beider Völker finden müssen. Gespräche hierüber sind auch vor einem Friedensvertrag sinnvoll. Verbindliche Regelungen bedürfen der Zustimmung des deutschen Volkes. Wir meinen aber, Herr Bundeskanzler: Wer Grenzfragen lösen oder auch nur entschärfen will, muß - außer dem Verzicht auf Gewalt, das ist eine gemeinsame Politik - der Grenze, um die es geht, zunächst etwas von ihrer Totalität nehmen. In der Zeit der Raumfahrt gilt es, anstatt in Formelbüchern des 19. Jahrhunderts zu suchen, Grenzen zu überwinden, sie durchlässig und den Menschen erträglicher zu machen.
({82})
Bei Freizügigkeit, bei europäischem Volksgruppenrecht - ({83})
- Aber ich habe doch damit angefangen, daß ich sagte: Wir begrüßen, daß Sie auf die Gesprächsbereitschaft Polens eingehen wollen. Meine Damen und Herren, das ist ein so wichtiger Punkt. Hier würde ich wirklich gern fortfahren; denn auch da kommt es nach unserer Meinung auf jedes Wort an. Bei Freizügigkeit
({84})
- ich bleibe Ihnen doch keine Antwort schuldig; das ist doch wohl bekannt -, bei europäischem Volksgruppenrecht, bei Abbau aller Diskriminierungen nach Herkunft, Stand, Religion und Meinung überall in Europa erschienen Grenzfragen in einem anderen Licht.
Nachdem diese Gesprächsbereitschaft Polens vorliegt, wäre die Bundesregierung gut beraten, nicht nur auf gesamteuropäische Initiativen anderer zu reagieren, sondern ihrerseits initiativ zu werden und allen Ländern Europas den Entwurf einer solchen Charta der Freizügigkeit, des Volksgruppenrechts und der Nichtdiskriminierung vorzulegen.
({85})
Wir erinnern den Herrn Bundeskanzler an seine gute Erklärung vom 2. Juli 1967; Herrn Kollegen Wehner an sein Wort hierzu vom 28. August 1966; an unsere Festlegungen vom 29. November 1965 und vom 15. Dezember 1966 sowie an die BundestagsDr. Barzel
beschlüsse vom 2. Juli 1969. Ich sage das nur, damit wir die Pflöcke kennen, um die es hier geht.
Eine europäische Sicherheitskonferenz, welche - und nur so ist sie doch für uns sinnvoll - einen Beitrag zur europäischen Friedensordnung leisten will, sollte nicht den staatlichen Status quo, sondern die Sicherheit menschenwürdigen Lebens in den Mittelpunkt stellen.
({86})
Ein europäisches Sicherheitssystem und mehr noch eine europäische Friedensordnung brauchen gemeinsame Normen zur inneren Festigung der europäischen Lage.
In dem Gespräch mit Polen muß also, wie wir meinen, auch die Lage der einen Million Deutschen, die im Verantwortungsbereich der polnischen Regierung leben, behandelt werden. An diesem Punkt wird - ebenso wie bei den innerdeutschen Problemen - deutlich, daß sich selbst eine neue politische Grenze aufbaut, wer Grenzfragen lösen will, ohne zuerst - oder zumindest zugleich - die Fragen der Menschen gelöst zu haben.
({87})
Meine Damen und Herren, Franzosen und Deutsche haben allen Europäern bewiesen, daß es möglich ist - auch, wie es möglich ist -, durch gemeinsame Arbeit den Blick in die Zukunft zu richten. Auch Deutsche und Dänen haben in den Menschenrechtsfragen Lösungen gefunden.
({88})
Polen und Deutsche könnten aller Welt beweisen, daß durch gemeinsame Regeln für Freizügigkeit, für Volksgruppen und gegen Diskriminierung die Landschaft des Friedens und der einvernehmlichen Regelung aller Fragen entsteht.
Uns geht es auch hier um die Frage der Menschenrechte. Wenn es das zu besiegeln gilt, fragen wir nicht nach der Farbe der Tinte und der Form eines Unterschriftsformulars. Uns geht es um die Menschenrechte.
Wer hier weiterkommen will, darf nicht zuerst ein Recht verschenken, der darf nichts hinter dem Rücken der Vertriebenen versuchen,
({89})
der muß die Tür für europäische Lösungen offenhalten;
({90})
der darf sie nicht zuschlagen; der muß anerkennen, daß gerade unsere Vertriebenen und deren oft zu Unrecht gescholtenen Funktionäre diese europäischen Lösungen allen anderen voran suchen.
({91})
Ich habe eben zum Thema „europäische Sicherheitskonferenz" eine für uns wesentliche Anregung gegeben. Ich möchte dazu noch ein paar Worte sagen, weil sich die Regierungserklärung dazu ausschwieg und die Regierung eben wissen soli, wie die Opposition denkt, damit sie beurteilen kann, ob Kooperation möglich und gewünscht ist.
Zu den östlichen Vorschlägen für eine solche Konferenz empfehle ich allen, die nüchtern und realistisch an das Projekt herangehen wollen, eine Studie des amerikanischen Professors Marshall D. Shulman im letzten oder vorletzten Europa-Archiv. Dort ist nachzulesen, die sowjetrussische Regierung ginge davon aus, daß Perioden hoher Spannung den Antikommunismus förderten, während unter den Bedingungen nachlassender internationaler Spannungen der Zeiger des politischen Barometers im Westen nach links wandere.
({92})
Dieses Konzept sei - ich beziehe mich immer noch auf diese Studie - nicht nur außenpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch gemeint und angelegt. „Ein sondierender Vorstoß zur Ermutigung neutralistischer Tendenzen in der Bundesrepublik" gehöre zu den Vorbereitungen.
({93})
- Meine Meinung kommt jetzt. Es ist nach wie vor die, welche der Bundeskanzler als Außenminister bei der Tagung des Ministerrats der Westeuropäischen Union am 7. Juni 1969 unterstützt und mit herbeigeführt hat. Ich nehme an, Sie gehen davon weiter aus, Herr Bundeskanzler.
Dort ist beschlossen worden: keine Vorbedingungen, Teilnahme der USA und Kanadas, sorgfältige Vorbereitung und - ich zitiere -: „Ihre Abhaltung"
- also die Abhaltung der Konferenz - „ist nur gerechtfertigt, wenn Aussicht ... besteht, ... daß zumindest Fortschritte in der deutschen Frage einschließlich des Berlin-Problems und der Sicherheitsfragen, wie der Truppenstärken auf beiden Seiten, zu erwarten" sind. Dazu stehen wir.
Meine Damen und Herren, die jüngsten französisch-russischen Beratungen vom Oktober haben das Prinzip einer „gründlichen Vorbereitung" bekräftigt und neben dem Fragenkreis Sicherheit den der Zusammenarbeit betont. Dies ist eine gute Tendenz.
Zur Vorbereitung auf diese Debatte in einer für uns ungewohnten Rolle habe ich natürlich alte Debatten über Regierungserklärungen nachgelesen. Ich fand dabei aus der ersten Diskussion dieses Hauses am 21. September 1949 einen Satz; ich mache hier keine Mätzchen ich sage gleich, er ist von Kurt Schumacher. Ich glaube nicht, daß er für ewige Zeiten und auch nicht apodiktisch gemeint war und bestimmt auch nicht als Dogma gilt. Aber dieser Satz bleibt, ich glaube, für uns alle, eine stete Herausforderung an die kritische Selbstkontrolle vor allen ostpolitischen Schritten. Der Satz heißt:
Wir müssen bei dieser Politik auch abrücken von einem Rückfall in die missionarische Illusion der Brückentheorie. Das sind Illusionen, die 1933 aus der Hoffnung entstanden, mit einem totalitären Gegner, der das Ganze will, zu einem Kompromiß zu kommen, das einem die eigene politische Existenz und Selbständigkeit läßt.
So weit dieses Zitat.
Fünftens und für diesen Bereich letztens: Herr Bundeskanzler, Sie haben einige Berichte angekündigt, die überwiegend seit einiger Zeit ohnehin weitgehend kraft Gesetzes in diesem Haus erstattet werden müssen. Sie haben leider vergessen, darauf hinzuweisen, daß die Terminplanung in diesem Hause nicht von der Regierung verordnet, sondern vom Parlament festgelegt wird.
({94})
Hier hätten Sie doch nun klatschen können, Herr Wienand. Sie sind doch nun wirklich ein erfahrener Parlamentarier.
({95})
Im Mai wollen Sie also, wie wir gestern gehört haben, hier Bildungspolitik behandeln. Meine Damen und meine Herren von der Bundesregierung und Herr Kollege Leussink, ich darf mit Verlaub sagen: Das wird früher geschehen, nämlich auf Grund von Initiativen der Opposition.
({96})
- Bitte, Herr Dorn?
({97})
- Aber Herr Dorn, nun hören Sie mir einmal gut zu! Sie haben doch ein gutes Gedächtnis. Wer hat sich denn bei der Gesetzgebung über die Finanzverfassungsreform, als es um diese Kompetenzen ging, vor der dritten Lesung im Vermittlungsausschuß zuerst über den zu geringen Grad an Zusammenordnung unbefriedigt gezeigt? Das waren Sie und das waren wir; Ihr Partner war das nicht.
({98})
Dann ging es in den Vermittlungsausschuß und kam noch etwas geschmälerter wieder. Wir haben es schließlich akzeptiert, damit überhaupt etwas da war.
({99})
Aber in der Regierungserklärung haben wir von Ihren Forderungen nach einem Bundeskultusministerium usw. nichts mehr gehört, Herr Dorn.
({100})
Auf gut deutsch: si tacuisses, verehrter Herr neuer Parlamentarischer Staatssekretär!
({101})
Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch eine für uns prinzipielle Bemerkung machen.
({102})
Wir begrüßen, daß der Bundeskanzler dem innenpolitischen Feld breiten Raum eingeräumt hat. Freilich muß die Debatte auf dem auswärtigen Gebiet noch die notwendigen Klarstellungen bringen. Die richtige Gesellschaftspolitik nämlich entscheidet über die Zukunft der Demokratie. Auf diesem Gefechtsfeld wird der friedliche Kampf zwischen rechter oder linker Diktatur und Freiheit gewonnen oder verloren.
Ob die politischen Vorgänge für den Bürger durchsichtig und verständlich sind oder ihm fremd und unheimlich erscheinen, ob staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Machtapparate Angst einflößen oder ihrer Tätigkeit und inneren Ordnung wegen als berechtigt angesehen werden, ob eine politische Landschaft der Zufriedenheit und des Respekts gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit oder die Geneigtheit zu sozialer Explosion entstehen, dies alles wird gesellschaftspolitisch entschieden. Somit ist dies die Basis der Freiheit, die Basis der Außenpolitik und auch des auswärtigen Friedens.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Moderne Politik und die, die sie verantworten, brauchen heute nicht nur ein geschichtliches Bewußtsein, außenpolitische Vorausschau und das rechtzeitige Einrechnen wirtschaftlicher Fakten; ebenso sehr ist es nötig, daß die Verantwortlichen soziale Gesinnung, gesellschaftspolitische Voraussicht und Wissenschaftsverständnis haben.
Meine Damen und Herren, wir werden als Opposition so arbeiten, wie es diesem Satz Konrad Adenauers entspricht:
Eine große Partei,
- so sagt er sie mag heißen wie sie will und sie mag an der Macht sein oder nicht, hat in der Lage des deutschen Volkes nur eine Politik zu befolgen: das Vaterland über die Parteipolitik zu stellen.
({103})
- Dies war ein Selbsttor, aber es kam von hinten, Herr Wehner, nicht von vorn in Ihrer Fraktion.
Das Vaterland über die Parteipolitik zu stellen, dem wissen wir uns verpflichtet. Darauf kann uns jeder ansprechen, jeder im Volk, jeder hier im Hause und auch die neue Bundesregierung!
({104})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort an den Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Mischnick, weitergebe, darf ich folgendes bemerken. In der Ihnen zugestellten Geschäftsordnung heißt es unter § 39 zur Rededauer, daß ein Sprecher der Fraktion 45 Minuten Redezeit bekommen kann, daß aber der Präsident diese Redezeit entweder auf Antrag oder wenn der Gegenstand oder der Verlauf der Aussprache dies nahelegt, verlängern kann. Ich glaube, das Hohe Haus ist völlig damit einverstanden, daß der Präsident bei der ersten großen Aussprache hier eine solche Ausnahme macht. Er hat in der Zwischenzeit die beiden anderen Fraktionen - in der Reihenfolge der Redner also die FDP und die SPD - davon unterrichtet, daß die Redezeit, die Herr Barzel in Anspruch genommen hat - er hat die normale Redezeit mit einer
Präsident von Hassel
Viertelstunde überschritten -, auch den beiden anderen Fraktionen zugebilligt wird.
Das Wort hat nunmehr der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwanzig Jahre nach Bildung der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, im Gegensatz zur Weimarer Republik, daß extreme Störungen bei uns auf radikale Ablehnung stoßen. Mit Befriedigung können wir heute feststellen, daß es dem gemeinsamen Bemühen aller Demokraten in diesem Hause gelang, den Extremisten den Einzug in dieses Parlament zu verwehren. Es zeigte sich wieder einmal mehr, daß der Wille zum Ausbau unserer parlamentarisch-demokratischen Ordnung in unserem Volke wächst.
Nach unserer Auffassung ist der vollzogene Regierungswechsel nach zwanzigjähriger CDU/CSU-Herrschaft
({0})
ein Dienst an der Demokratie. Wir sind froh darüber, daß das möglich war.
({1})
Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist aber der Wechsel zwischen Regierung und Opposition noch keine Selbstverständlichkeit, wie aus dem zahlreichen persönlichen Beleidigtsein bei vielen prominenten Vertretern der CDU/CSU unverhohlen zum Ausdruck kommt.
({2})
Nachdem mit der Bildung der Großen Koalition 1966 für jedermann deutlich sichtbar wurde, daß die Koalitionsfähigkeit bei jeder der drei Fraktionen dieses Hohen Hauses vorhanden war, mußte natürlich jede Fraktion auch mit der Oppositionsmöglichkeit rechnen, was offensichtlich bei der CDU/CSU damals nicht der Fall war.
({3})
Die neue Koalition, die eine Koalition der Reformbereitschaft und des Fortschrittwillens ist, wird sich nicht beeindrucken lassen - so wie es eben wieder durch den Kollegen Barzel versucht worden ist
- durch den Hinweis, daß wir eine zahlenmäßig schmale Mehrheit haben.
({4})
- Im Gegenteil, bei Zahlen bin ich hellwach. Ich wäre froh, wenn Sie Zahlen immer so genau behalten könnten, wie es notwendig ist.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik einmalig zügige und trotzdem sachlich gründliche Regierungsbildung erlebt, und das hat
schon sichtbar werden lassen, daß die gemeinsame Plattform für die Politik der nächsten vier Jahre, für die notwendigen Entscheidungen breiter ist, als es sich im Augenblick stimmenmäßig ausdrückt. Ich darf dabei mit Befriedigung feststellen, daß uns die Offenheit der Gespräche zwischen den Verhandlungspartnern und das beiderseits eingebrachte Vertrauenskapital die Garantie für eine gute menschliche Zusammenarbeit geben, auch wenn es in Sachfragen in diesem oder jenem Punkt zu unterschiedlichen Meinungen kommen wird. Die gegenseitige Achtung und der Respekt vor der eigenständigen politischen Auffassung wird eine loyale Zusammenarbeit gewährleisten, und das scheint uns die entscheidende Voraussetzung zu sein.
({6})
Herr Kollege Barzel hat soeben davon gesprochen, er bedauere es, daß der Herr Bundeskanzler kein Wort für die Amtsvorgänger Erhard und Kiesinger gefunden habe. Wenn ich an die Regierungserklärung 1966 denke und wenn ich an die Beurteilung des Amtsvorgängers des Herrn Bundeskanzlers Kiesinger denke, dann muß ich sagen, es wäre besser gewesen, Herr Kollege Barzel, Sie hätten das hier nicht mehr erwähnt. Damals sah das ganz anders aus.
({7})
Diese Bundesregierung hat unmittelbar nach ihrem Amtsantritt mit der Aufwertung der D-Mark der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit demonstriert, daß sie entschlossen ist, die vom bisherigen Bundeskanzler zu verantwortende konjunkturelle Fahrlässigkeit unverzüglich zu beenden. Das ist geschehen, und die CDU/CSU wäre gut beraten, wenn sie diese Entscheidung der neuen Bundesregierung mit sachlichen Darlegungen, mit sachlicher Kritik begleiten würde, statt hier auf Stimmungsmache zu arbeiten.
({8}) Es ist einfach unseriös,
({9})
so zu tun, als würde diese Regierung durch die Aufwertung der deutschen Wirtschaft schwere Nachteile aufbürden, als würde diese Regierung ihr Klötze ans Bein binden.
({10})
Die Opposition sollte doch endlich zur Kenntnis nehmen, daß es uns darum geht, die Milliardenverluste, die durch eine laufende ({11})
- Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Barzel, ich werde gleich noch einmal zu dem „Klotz" kommen, keine Sorge!
Uns geht es darum, die Milliardenverluste, die durch eine laufend steigende Geldentwertung bei den Sparern und Verbrauchern verursacht werden, in Grenzen zu halten. Wenn jetzt Grund zur Kritik
vorliegt, Herr Kollege Barzel, dann nur Grund zur Selbstkritik bei Ihnen und sonst niemandem.
({12})
- Wenn Sie selbst, Herr Kollege Barzel, diese Kritik nicht verdienen, dann bedaure ich, daß Sie sich damals als Fraktionsvorsitzender gegenüber Ihrer Regierungsmehrheit im Kabinett nicht haben durchsetzen können.
({13})
Wir begrüßen es dankbar, daß bei den Verhandlungen in Brüssel in den letzten Tagen die Bundesminister Ertl und Schiller für unsere Landwirtschaft eine sechswöchige Verschnaufpause erreicht haben,
({14})
was in den bisherigen Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt möglich war. Das ist bisher ein einmaliges Ergebnis.
({15})
- Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, heute die Schwierigkeiten in der Landwirtschaft kritisieren, müssen Sie sich an die eigene Nase fassen; denn das sind die Folgen der Politik der vergangenen 20 Jahre, die Folgen der Vorleistungen in Brüssel, die in erster Linie Sie vollbracht haben, niemand anders.
({16})
Wir Freien Demokraten gehen davon aus, daß, nachdem die Währungsparität verändert worden ist und hier Voraussetzungen geschaffen worden sind, das Ziel unserer Wirtschaftspolitik, nämlich Stabilität und Wachstum zu gewährleisten, nur erreicht werden kann a) durch das Bremsen von preissteigernder Übernachfrage auf allen Gebieten und b) durch umfassende Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität. Beides wird nach unserer Überzeugung hohe Anforderungen an die Flexibilität unserer Wirtschaft stellen. Dabei dürfen wir aber niemals vergessen, daß heute bereits 10 "/o des Kräftebedarfs nicht mehr aus den erwerbstätigen Jahrgängen unseres eigenen Volkes gedeckt werden können. Wir meinen deshalb, daß der alte Vorschlag der Freien Demokraten, Überstundenentgelte von der Lohnsteuer und von Sozialabgaben zu befreien sowie mehr Teilzeitarbeit zu ermöglichen, so lange aktuell bleibt, solange wir einen zusätzlichen Anreiz für Mehrarbeit brauchen. Wir werden deshalb diese Gedanken wie bisher weiter verfolgen.
Unser Ziel ist es, die marktwirtschaftliche Ordnung zu festigen auf der Grundlage eines hohen Beschäftigungsgrades, die Stabilität der Währung zu sichern und ein stetiges volkswirtschaftliches Wachstum zu gewährleisten. Dabei gehen wir davon aus, daß sich staatliche Regelungen immer auf die Erhaltung und den Ausbau der Wettbewerbsvoraussetzungen in allen Bereichen unserer Volkswirtschaft konzentrieren.
Der Kollege Barzel hat mit einigen Bemerkungen den Eindruck erweckt, als wäre das, was sich diese Koalition vorgenommen hat, eine Gefährdung unserer Finanzpolitik. Wenn ich nur einmal ganz kurz überdenke, was er selbst als „Notwendigkeiten" genannt hat, so muß ich sagen: ich habe feststellen können, daß im Grundsatz in weiten Bereichen durchaus Übereinstimmung besteht und in der Regierungserklärung dazu durchaus konkret Stellung genommen worden ist, soweit das heute schon möglich ist.
Die Finanzpolitik soll nach unserer Meinung einer freien Gesellschaftsordnung entsprechen und soziale Gerechtigkeit gewährleisten. Das bedeutet, daß Regierung und Bundestag vorn Staatsbürger nicht mehr an Steuern und Abgaben verlangen dürfen, als zur Erfüllung dieser Aufgaben unbedingt notwendig ist. Wir begrüßen die Feststellung der Bundesregierung, daß die Steuerlastquote, insgesamt gesehen, nicht erhöht werden soll. Das Finanz- und Steuersystem muß nach unserer Überzeugung noch mehr als bisher die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik gewährleisten. Deshalb meinen wir, daß die Weiterführung der Finanzreform und der Steuerreform diesem Ziele dienen und eine sinnvolle Neuordnung der Aufgaben und der Ausgaben aller Gebietskörperschaften herbeiführen muß. Hier muß das, was in der letzten Legislaturperiode als Ansätze sichtbar wurde, weitergeführt werden, damit unser föderatives System in sich leistungsfähiger werden kann, als es bisher der Fall war.
Die Fraktion der Freien Demokraten hat mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung die längst fällige Steuerreform mit aller Energie anpacken will. Sie begrüßt es - das möchte ich hier mit aller Deutlichkeit feststellen , daß die Bundesregierung weder den Leistungswillen noch die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft durch konfiskatorische Steuern beschränken will. Im Interesse der Sicherheit der Arbeitsplätze und einer gerechten sozialen Weiterentwicklung dart deshalb die Steuerbelastung, wie angekündigt, nicht höher werden. Wir gehen allerdings davon aus, daß mit der Steuerreform auch endlich das Steuerdickicht zugunsten einer größeren Steuergerechtigkeit gründlich durchforstet wird. Es muß aufhören, daß jedermann einen Steuerberater braucht, um überhaupt seine Möglichkeiten voll nutzen zu können.
({17})
Wir unterstützen die Vorschläge, vorab den Arbeitnehmerfreibetrag zu verdoppeln und die unserer Meinung nach ungerechtfertigte Ergänzungsabgabe innerhalb eines Jahres völlig zu beseitigen. Damit würde eine mehrjährige Forderung der Freien Demokraten erfüllt.
({18})
- Entschuldigung, es ist beabsichtigt, daß sie zunächst einmal ab 1. Januar 1970 vermindert und daß sie ab 1971 ganz verschwinden soll.
Wir lassen aber keinen Zweifel daran, daß im Zuge der Steuerreform keine zusätzlichen Belastungen insbesondere der lohnintensiven Wirtschaft kommen dürfen. Wir werden uns nicht nur mit aller Energie gegen etwaige, früher leider sehr verbreitete Überlegungen wenden, die Lohnsummensteuer obligatorisch einzuführen, sondern wir werden darüber hinaus bemüht bleiben, einen gemeinsamen Weg zu finden, um Steuerarten abzubauen, die sich wettbewerbsverzerrend innerhalb der EWG auswirken, weil sie nur bei uns in der Bundesrepublik vorhanden sind.
({19})
Ich denke dabei an die Diskussion um die Lohnsummen- und Gewerbesteuer, selbstverständlich unter dem Gesichtspunkt, daß ein Ausgleich bei den Gemeinden dafür erfolgen muß.
({20})
Das kann aber nur, Herr Kollege, im Zuge der Harmonisierung der Steuern in der EWG geschehen. Wir sind der Meinung, daß nicht nur der Agrarmarkt, sondern darüber hinaus die gesamte Wirtschafts- und Steuerpolitik in der EWG harmonisiert werden soll. In diesen Rahmen gehört es hinein.
({21})
- Herr Kollege, wenn Sie sagen „Nichts Neues": zwanzig Jahre, darauf sind Sie doch so stolz, Sie hätten mindestens zehn Jahre intensiver daran arbeiten können. Das ist ja leider bisher nicht geschehen.
({22})
Wir wollen eine moderne, in die Zukunft weisende Gesellschaftspolitik unterstützen, die ohne dogmatische oder ideologische Scheuklappen die Probleme der heutigen Industriegesellschaft zu lösen versucht. Eine sinnvolle Weiterentwicklung unserer sozialen Gesetzgebung muß nicht automatisch zu einer schematischen Ausweitung staatlicher Einflußnahme oder gar zu unnötigen Bevormundungen durch den Staat führen. Die Möglichkeit der freien Wahl bestimmter sozialer Sicherungsarten braucht nicht den Gedanken der Solidargemeinschaft zu gefährden, wenn man Ausmaß und Umfang der sozialen Sicherung in stärkerem Maße als bisher der Entscheidung des einzelnen überläßt.
Für uns ist auch die gesamte Eigentumspolitik - nicht erst seit heute, sondern schon über ein Jahrzehnt lang - eine gesellschaftspolitisch wie wirtschaftspolitisch besonders wichtige Aufgabe. Die bekannten Förderungsmöglichkeiten sind bereits in der Regierungserklärung angesprochen worden; sie können in den verschiedensten Formen ausgebaut und verbessert werden. Die Freien Demokraten werden aber auch darauf achten, daß der Möglichkeit breitgestreuter Eigentumsbildung am Wirtschaftsvermögen insgesamt die größte Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dabei geht es nicht - um allen unsinnigen Gerüchten vorzubeugen und um allen böswilligen Interpreten gleich von vornherein den Stempel der Unglaubwürdigkeit aufzudrücken - um eine verbrämte Enteignung von Eigentum. Wer solche Auslegungen verbreitet, vergiftet bewußt die Atmosphäre für die Diskussion, die wir brauchen, um zu einer sinnvolleren Verteilung von Vermögen und Eigentum zu kommen.
({23})
Meine Damen und Herren, was bereits in großen Betrieben jahrelang zur Selbstverständlichkeit gehört, nämlich die Möglichkeit der Mitarbeiter, Miteigentum zu erwerben, sollte in Zukunft für alle Interessierten - Arbeiter, Angestellte, Beamte und Selbständige - möglich gemacht und mehr als bisher auch vom Staat gefördert werden. Maßstab bei all diesen Überlegungen muß aber sein, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht zu gefährden und die Arbeitsplätze zu sichern.
Meine Damen und Herren, es wäre verführerisch, in der Stellungnahme zur Regierungserklärung zu allen Sachbereichen einiges zu sagen. Wir werden nachher und morgen noch Gelegenheit haben, bestimmte Sachfragen im Detail zu diskutieren. Ich erspare es mir deshalb, hier den gesamten Bereich der vor uns liegenden Aufgaben auch nur partiell zu behandeln.
Ich halte es aber für notwendig, auf einen Tatbestand hinzuweisen. Wir konnten mit besonderer Genugtuung feststellen, daß die Angestellten nunmehr endlich mit den Arbeitern gleichgestellt werden sollen. Die jahrelange Forderung der FDP, allen Angestellten, deren Einkommen oberhalb der Versicherungsgrenze liegt, auch den Arbeitgeberbeitrag zu zahlen, soll endlich erfüllt werden. Wir haben nie verstanden, warum entsprechende Vorschläge in der Vergangenheit in diesem Hause nicht die Mehrheit gefunden haben. Mit der Erfüllung dieser Forderung wird ein wesentlicher Schritt getan, um ungerechtfertigte Benachteiligungen der Angestellten zu beseitigen.
Die vorgesehene Dynamisierung der Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte darf aber nach unserer Überzeugung nicht dazu führen, daß die Entscheidungsfreiheit, ob der einzelne in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben will oder ob er sich privat -weiterversichern will, eingeschränkt wird. Beim Übergang muß ihm diese Entscheidungsfreiheit belassen werden. Wir werden auch in Zukunft den größten Wert darauf legen, daß erweiterte Schutzmöglichkeiten für Arbeiter und Angestellte immer mit der Möglichkeit verbunden werden, über Ausmaß und Umfang selbst mitentscheiden zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in der letzten Regierungserklärung aus dem Jahre 1966 und auch wieder in dieser Regierungserklärung eine Reihe von Passagen gefunden, die sich mit der Kriegsfolgengesetzgebung befassen. Wir Freien Demokraten begrüßen die Absicht der Bundesregierung, auch die Kriegsfolgeleistungen - ich denke an die Kriegsopferrenten und an die Renten
für Flüchtlinge und Vertriebene - in Zukunft regelmäßig jährlich anzupassen. Auch hier geht es darum, eine Benachteiligung zu beseitigen. Wir hoffen, daß die erneute Ankündigung, daß man auch im Kriegsfolgenbereich endlich zu Abschlußgesetzen kommen will, verwirklicht werden kann. Wir wissen, daß es 20 Jahre nach Kriegsende höchste Zeit wird, daß es notwendig ist, Ungerechtigkeiten, ungerechte Behandlungen der verschiedenen Gruppen, die die Kriegsfolgen besonders zu tragen haben - ich denke hier insbesondere an die sozialpolitisch und rechtlich ungerechtfertigten Unterscheidungen und Benachteiligungen bei politischen Häftlingen und bei Flüchtlingen aus dem Bereich der DDR -, endlich zu beseitigen.
Der Herr Kollege Barzel hat darauf hingewiesen, daß ihm der Termin, im Mai über die Bildungspolitik zu sprechen, etwas zu fern sei. Ich kann nur sagen: Wir freuen uns darüber, daß die Fraktion dieses Hauses, die sich mit am meisten dagegen gesträubt hat, Fragen der Hochschul- und Bildungspolitik überhaupt in diesem Hause zu diskutieren,
({24})
in den letzten zwei Jahren einen erfreulichen Wandel durchgemacht hat.
({25})
- Lassen Sie mich ausreden! - Ich kann mich noch entsinnen, als wir Freien Demokraten in diesem Hohen Hause diese Fragen ansprachen, kam der Hauptwiderstand aus den Reihen der CDU/CSU.
({26})
- Ich komme noch dazu, keine Sorge. - Erst jetzt sind wir so weit, daß wir endlich die Fragen der Bildungspolitik als eine gemeinsame Aufgabe ansehen. Die Freien Demokraten streben mit Unterstützung dieser Bundesregierung eine Gesellschaftsordnung an, in der jeder die seiner Begabung und seiner Leistung entsprechende wirtschaftliche und soziale Stellung einnehmen kann. Das ist nach unserer Überzeugung nur durch eine entsprechende Bildungspolitik möglich. Deshalb werden wir alle Versuche unterstützen, die jetzt vorhandenen Zuständigkeiten des Bundes voll auszunutzen. Wir lassen keinen Zweifel daran, daß wir gern eine Ausweitung sehen würden. Das wird aber nur möglich sein, wenn in diesem Hohen Hause eine entsprechende Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Hier wird es an der Opposition liegen, ob sie in diesen Fragen, auch ohne Regierungsbeteiligung,
({27})
wenn sie akut werden, mit der Regierungsmehrheit zusammenarbeiten will.
({28})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wichtigste Aufgabe eines modernen Bildungswesens
in einem demokratischen Staat ist für uns die Sicherung von Geistesfreiheit und Toleranz durch die Heranbildung freier, selbstverantwortlicher und kritischer Bürger, die zur Zusammenarbeit mit anderen nicht nur willens, sondern auch in der Lage sind. Wirksame politische Bildung kann unserer Auffassung nach nicht ausschließlich Aufgabe eines bestimmten Unterrichtsfaches in der Schule sein. Die Vermittlung und Einübung sozialer und demokratischer Tugenden, die Erziehung zum kritischen Denken, zur politischen Urteilsfähigkeit muß im gesamten Unterricht und in einem eigenen Verantwortungsfeld der Schüler geleistet werden. Dazu bedarf es demokratischer Arbeitsformen in einer offenen Gestaltung der Schule und der Unterrichtsprozesse unter verantwortlicher Mitwirkung auch der Schüler. Nur so wird die politische Bildung mehr sein als ein bloßes Instrumentarium für bestimmte Stunden, mehr sein als Institutionenkunde oder ein wirkungsloses Sandkastenspiel.
Wir meinen, daß wir uns zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre und des Studiums um eine kritische Überprüfung der deutschen Hochschultradition und um eine geschlossene Fortentwicklung im Hinblick auf den einzelnen und seine Aufgaben in der modernen Gesellschaft bemühen müssen. Ziel der FDP ist es, eine innere Reform des gesamten Hochschulwesens in Forschung, Lehre, Studium und Selbstverwaltung herbeizuführen, die die Hochschulen in die Lage versetzt, allen für eine Hochschulausbildung geeigneten Menschen in angemessener Zeit einen Studienabschluß zu ermöglichen.
In eine Hochschulreform müssen unserer Auffassung nach die Bildungsangebote der heutigen höheren Fachschulen, der Fachhochschulen und der wissenschaftlichen Hochschulen einbezogen sein. Es muß ein Ganzes sein. Es darf nicht mehr auseinanderstreben, wie es bisher leider meistens noch der Fall ist. Dadurch kann ein System aufeinander aufbauender Studiengänge und abgestufter Studienabschlüsse erreicht werden, die den verschiedensten Anforderungen von Verwaltung und Wirtschaft, Forschung und Lehre gerecht werden. Wir meinen, Numerus clausus und starre Befristung der Immatrikulation können nicht Mittel der Hochschulpolitik sein. Wir lehnen sie ab.
Wir meinen auch, daß das Bildungswesen, wenn winden Anschluß an die technische Entwicklung halten wollen, nicht in Formen der Tradition erstarren darf. Das Bildungssystem muß sich auch selbst als Gegenstand der Forschung verstehen und durch Bildungsforschung die Grundlagen der Bildungsplanung und Bildungspolitik mitgestalten.
Der Bund hat die Aufgabe - und hier kann er selbst tätig werden -, in den Forschungseinrichtungen, die von ihm voll finanziert werden, unverzüglich mit gutem Beispiel beim Abbau hierarchischer Strukturen voranzugehen und ein Kollegialsystem einzuführen, das allen Wissenschaftlern volle Mitwirkungsrechte und Mitverantwortung sichert. Mit dieser Maßnahme könnte die Bundesregierung für die Hochschulpolitik ein Exempel des Fortschritts
statuieren, das für alle übrigen wissenschaftlichen Bereiche ein Vorbild sein kann.
({29})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die internationale Arbeitsteilung in diesem wissenschaftlichen Bereich muß zum Gegenstand der deutschen Forschungspolitik gemacht werden.
In allen Ausbildungsbereichen und auf allen Qualifikationsstufen müssen künftig nach unserer Auffassung einmal erworbene Kenntnisse und Qualifikationen im ständigen Wechsel von Ausbildungs- und Berufsphasen immer wieder überprüft, erneuert und ergänzt werden. Dazu ist es allerdings notwendig, alle Formen der Erwachsenenbildung einschließlich Fern- und Funkunterricht entsprechend auszubauen und Methoden zu finden, um die Freistellung vom Beruf für diese Weiterentwicklung zu ermöglichen. Wir legen gerade auf dieses Gebiet besonderes Gewicht. Wir meinen, daß es unsere Aufgabe sein muß, hier in den nächsten vier Jahren Akzente zu setzen. Denn wenn wir die Fragen der Bildungspolitik als den wesentlichen Teil der Gesellschaftspolitik nicht lösen, wird es uns auch nicht möglich sein, die notwendigen Reformen der 70er Jahre auf Dauer durchzuhalten.
({30})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch ein paar Sätze zur Frage der Mitbestimmung sagen. Wir haben nie verheimlicht, daß hier zwischen den Koalitionspartnern in bestimmten Punkten unterschiedliche Auffasungen bestehen. Wir sind bereit, das offen zu sagen. Tiefgreifende Änderungen vollziehen sich nicht nur in den Berufen und ihren Anforderungen an jeden einzelnen. In einer immer stärker vom Wandel geprägten Welt wachsen die Ansprüche an die Selbstverantwortung der selbständig und der unselbständig Tätigen. An den jeweiligen Arbeitsplätzen ergeben sich neue Situationen und neue Verantwortungsbereiche. Diese Entwicklung muß nach unserer Überzeugung auch bei der Organisation der Zusammenarbeit von Menschen berücksichtigt werden. Sie muß sowohl eine umfassende Information aller an einem gemeinsamen Ziel im Betrieb tätigen Mitarbeiter sicherstellen als auch die Interessen und den Sachverstand dieser Mitarbeiter differenziert zur Geltung bringen. Es sollten auch nach unserer Überzeugung mehr Vereinbarungen abgeschlossen werden, durch die Mitarbeitern eine Zusatzvergütung zuteil wird, die am selbst beeinflußten Ergebnis orientiert und kontrollierbar ist, um hier den Leistungswillen des einzelnen steigern zu helfen. Die gesetzlichen Rahmenbestimmungen sollten solche Zielsetzungen ermöglichen und ihnen angepaßt werden.
Die erforderliche Weiterentwicklung der Bestimmungen zur lebendigen Mitwirkung der Arbeiter, Angestellten und Beamten in ihren Wirkungsbereichen wird für die Wirtschaft durch eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, für den öffentlichen Dienst durch eine Novellierung des Personalvertretungsgesetzes einzuleiten sein. Wir Freien Demokraten haben dazu ja bereits in der
letzten Legislaturperiode Gesetzentwürfe vorgelegt. Sie werden gemeinsam mit den Vorschlägen der Kollegen der SPD Grundlage unserer Überlegungen sein.
({31})
- Sie werden beide Grundlage sein. Das schließt nicht aus, daß zunächst einmal von verschiedenen Punkten ausgegangen wird. Das war ja auch in Ihrer Koalition so, Und so wie Sie sich in vielen Punkten gefunden haben, bin ich sicher, werden auch wir uns finden. Der Wille dazu ist auf beiden Seiten absolut vorhanden.
({32})
Die FDP will die Mitwirkung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer in den Betrieben stärken. Ich sage in aller Offenheit: die paritätische Mitbestimmung des Montanmodells schafft dies unserer Überzeugung nach nicht. Wir lehnen es deshalb ab. Ich habe dazu in diesem Hohen Hause anläßlich der Beratung der entsprechenden Gesetzentwürfe ausführlich gesprochen. Alle Hoffnungen aber, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU/CSU, daß das nun der Dollpunkt werden wird, sollten Sie sehr schnell begraben. Denn wir sind entschlossen, uns gerade auf diesem Gebiet durch Sie nicht provozieren zu lassen.
({33})
In der Regierungserklärung ist sehr deutlich davon gesprochen worden, daß die Umstrukturierung, die in unserer Wirtschaft und in unserer Gesellschaft insgesamt vorangegangen ist, weitergetrieben werden soll. Diese Umstrukturierung ist auf der einen Seite durch den technischen Fortschritt bedingt und auf der anderen Seite eine Folge des Krieges. Gerade diese Fragen der Umstrukturierung gelten in besonderem Maße für die Landwirtschaft, aber auch für einige andere Wirtschaftszweige. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in ihrer Strukturpolitik keinerlei gewaltsame Lösungen vom grünen Tisch durchführt, sondern immer davon ausgeht, die betroffenen Wirtschaftszweige in ihrer Gesamtheit zu sehen und mit ihnen die notwendigen Maßnahmen abzustimmen.
Eine Politik ständiger Vorleistungen allerdings - ich wiederhole, was ich im Zusammenhang mit der D-Mark-Aufwertung gesagt habe -, wie wir sie bei der EWG auf dem Agrarmarkt erlebt haben, kann auf die Dauer doch nur zu neuen Desastern führen. Wir halten sie deshalb für falsch. Wir bleiben dabei, daß das Leitbild unserer Agrarpolitik der rationell bewirtschaftete Familienbetrieb, der seine Selbständigkeit und seine wirtschaftliche Unabhängigkeit festigt, sein soll. Aber die Möglichkeiten, geeignete Formen der freiwilligen Kooperation zu finden, müssen nach unserer Überzeugung gefördert werden. Es muß auch Ziel der Agrarpolitik sein, national wie im europäischen Bereich durch Ausnutzung aller Möglichkeiten der Rationalisierung und durch Maßnahmen einer gerechten Preispolitik ein Marktpreisniveau sicherzustellen, das den Kosten im rationell geführten Betrieb entspricht. Die Integration der Agrarwirtschaft in die Gesamtwirtschaft,
die wir uns als Ziel gesetzt haben, soll nach unserer Überzeugung zu einer Gleichstellung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen sowohl in der gesamten Sozial- und Einkommens- wie auch in der Bildungspolitik führen, um das Gefälle, das wir heute noch haben, abbauen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Regierungserklärung ist einiges gesagt worden zu den Fragen Länderneugliederung, Verwaltungsreform, Kabinettsreform. Wir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, Art. 29 des Grundgesetzes zu erfüllen. Wir sind überzeugt, daß hier der Vorschlag der Freien Demokraten, zunächst einmal die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar zusammenzufassen, ein guter erster Schritt zur Erfüllung dieses Artikels wäre. Wir stehen auch jenem Versuch aufgeschlossen gegenüber, im norddeutschen Raum zwischen den Küstenländern zu einer sinnvollen Neuordnung zu kommen. Wir halten allerdings nichts von der Parole, die öfter zu hören ist: „Alles oder nichts."
({34})
Auf den Bundesrat wird nach unserer Überzeugung eine große Bewährungsprobe zukommen, wenn diese Fragen zur Entscheidung anstehen. Aber hier wird sich auch zeigen, ob durch eine Neugliederung unser föderatives System effektiver gemacht und damit gleichzeitig das Gewicht des Bundesrates da, wo es notwendig ist, entsprechend gestärkt werden kann.
({35})
Meine Damen und Herren! Für uns ist mit der Auflösung und Verschmelzung verschiedener Ministerien das Problem der Kabinettsreform noch nicht abgeschlossen. Wir erwarten, daß nach einem gewissen Erfahrungszeitraum - ({36})
- Aber Herr Kollege Majonica, das war doch einer der billigsten Zwischenrufe, die wir heute gehört haben.
({37})
- Im Gegenteil! Sehen Sie, bei Ihrer Rechnung, die heute früh aufgemacht worden ist, ob mehr Parlamentarische Staatssekretäre gegenüber Ministern vorhanden sind, haben Sie natürlich nicht daran gedacht, was durch Verschmelzung von Häusern z. B. an Zentralabteilungen, die zweimal vorhanden waren, und was in anderen Positionen wegfallen kann.
({38})
Das werden Sie alles sehen,
({39})
und Sie werden spüren,
({40})
daß die Reform der Regierungsarbeit nicht abgeschlossen ist, sondern fortgesetzt werden wird.
({41})
Sie werden erleben,
({42})
daß diese Regierung bemüht bleiben wird, eine optimale Zusammenfassung der Zuständigkeiten zu erreichen. Daß hier in den letzten Jahren vieles wild gewuchert, vieles falsch gelaufen ist, kann kein Mensch bestreiten, der sich den Haushaltsplan und die einzelnen Häuser einmal ansieht.
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- Herr Kollege, ich bin etwas erstaunt darüber, daß Sie auf der einen Seite in Ihrer Stellungnahme zum Ausdruck gebracht haben, was Sie alles machen wollen, ohne im Detail zu sagen, was es kosten soll, auf der anderen Seite aber, nachdem diese Regierung nicht einmal 14 Tage nach Konstituierung des Bundestages nicht nur steht, sondern eine Regierungserklärung abgegeben hat, glauben, daß entsprechende Gesetze schon verabschiedungsreif sein könnten. Das ist natürlich nicht möglich.
({44})
Wir erwarten, daß die Schaffung eines Rechtspflegeministeriums mit der Übertragung der Finanzgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf das Justizministerium nicht abgeschlossen ist, sondern weiter das Ziel geprüft wird, auch die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit in dieses Rechtspflegeministerium zu übernehmen. Wir wissen sehr genau, daß es hier noch manche Bedenken gibt und daß es vor allem darum geht, mit denen, die Bedenken haben, über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Maßnahmen noch zu beraten. Ich bin aber überzeugt, daß wir auch hier, wie in vielen Ländern bereits geschehen, zu einer Lösung kommen werden, die dem Rechtsuchenden, ganz gleich in welchem Bereich es ist, für die Zukunft bessere, schnellere Möglichkeiten, sein Recht zu finden, geben wird.
({45})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Passagen der Regierungserklärung machen, die sich mit der Verteidigungspolitik befassen. Wir begrüßen es sehr, daß die Regierungserklärung auch dazu eindeutige Aussagen gemacht hat.
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- Aber Herr Kollege Klepsch!
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Sie unterscheidet sich doch damit wohltuend positiv von der Regierungserklärung 1966,
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in der kein Wort von der Bundeswehr enthalten war. Das ist der entscheidende Unterschied.
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Hier werden die drängenden Fragen angesprochen und manche Überlegungen bereits dargelegt, wie es weitergehen soll.
Wir hoffen, daß die neue Bundesregierung schnelle, wirksame Maßnahmen einleiten wird, um das drängende Problem der Wehrungerechtigkeit zu lösen. Wir sind überzeugt, daß das am Ende der Beratung nicht ohne eine Verkürzung der Dauer des Wehrdienstes geschehen wird. Sie haben natürlich recht, daß jetzt noch keine Festlegung - das gestehe ich freimütig - auf die Forderung der Freien Demokraten erfolgt ist.
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- Im Gegenteil, es steht ausdrücklich drin, daß diese Frage im Zusammenhang mit der Wehrgerechtigkeit geprüft werden soll. Sie haben immer davon gesprochen, Sie würden genau darauf achten, ob die Kontinuität auch gewahrt werde. Es gehört zur Kontinuität, daß diese Frage gemeinsam geprüft wird. Welches Ziel wir dabei verfolgen, haben wir offen dargestellt;
({51})
das weiß jedermann. Sie können hier also gar keine Kritik üben, die berechtigt wäre.
Mein Fraktionskollege Schultz wird zu diesen Fragen im einzelnen noch Stellung nehmen. Ich möchte aber schon hier sagen, mit einer Verkürzung der Wehrdienstzeit ist für uns nicht automatisch ein Verlust an Kampfkraft verbunden. Unserer Meinung nach kann er dadurch vermieden werden, daß das bisher weitgehend ungenutzte Reservistenpotential in Zukunft besser genutzt wird als bisher.
({52})
Wir erwarten jedenfalls, daß das für 1970 angekündigte Verteidigungsweißbuch erkennen läßt, wie die Verteidigungsanstrengungen der Bundesrepublik in Zukunft effektiver werden können.
Herr Kollege Barzel hat bei seinen außenpolitischen Ausführungen sowohl zu Beginn als auch am Ende seiner Darlegungen davon gesprochen, daß dieser Regierung, diesem Bundeskanzler - so mußte man ihn verstehen - zu Beginn seiner Tätigkeit größere Möglichkeiten geboten werden, als es früher der Fall war.
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Da kann ich nur sagen: Vor Tische hörte es sich ganz anders an.
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Denn noch bis zum 28. September mußten wir immer wieder hören, daß alles, was darauf aus sei, zu glauben, man könne in Gespräche mit Moskau kommen, daß sich das Klima verbessere, daß es sinnvoll sei, mit Polen ins Gespräch zu kommen, daß das alles eine Gefährdung der deutschen Position sei.
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- Sehr verehrter Herr Kollege Kiesinger, ich kann mich noch sehr genau erinnern, daß gerade Sie es waren, der vor der Wahlentscheidung immer wieder gesagt hat, Überlegungen in dieser Richtung, wie sie die Freien Demokraten anstellten, seien eine Gefährdung unserer Position
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und würden Erschwerungen für uns mit sich bringen. Offensichtlich ist hier die Beurteilung des bisherigen Bundeskanzlers eine andere als die des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU.
Ich hatte allerdings auch früher schon den Eindruck, daß der Kollege Barzel in allen Fragen der Deutschlandpolitik
({57})
die Dinge realistischer beurteilt, als es der damalige Regierungschef getan hat.
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- Wenn Sie meinen, ich müßte hier vorsichtig sein, Herr Kollege Barzel - -({59})
- Sie haben gesagt, Sie wären vorsichtiger. Herr Kollege Barzel, daß Sie als Chef der damaligen Regierungsfraktion in der Öffentlichkeit gegen Ihren Bundeskanzler natürlich vorsichtiger formulieren mußten, verstehe ich völlig.
Daß wir hier gemeinsam in der Deutschlandpolitik zu einem Akkord kommen wollen, haben wir gern gehört. Wir können uns aber - leider muß ich das sagen - daran entsinnen, daß in den letzten zweieinhalb Jahren alle Versuche der damaligen Opposition nicht an unserem heutigen Koalitionspartner, sondern leider an der damaligen Regierungsmehrheit gescheitert sind.
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- Wenn Sie sagen: „Das ist ein starkes Stück!", dann muß ich hier feststellen,
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daß mehrfach das Angebot, die Bitte, die Bereitschaft vorhanden war, mit Ihnen, Herr Kollege Kiesinger, als Bundeskanzler über diese Fragen zu sprechen. Nur einmal, als am 21. August 1968 eine besonders schwierige Situation war, wurden wir von vornherein zu den Beratungen gebeten. Aber anschließend gab es - bis auf eine Frage betreffend Berlin-Sitzung - leider keine Bereitschaft der Regierung, direkt mit uns zu sprechen. Zwischen den Fraktionen war dieses Gespräch immer vorhanden, aber zwischen Regierung und Opposition ist das leider nicht zustande gekommen. Wir gehen davon aus, daß es jetzt wieder so wird, wie es früher einmal war und wie es selbstverständlich sein sollte, daß nämlich in Fragen der nationalen Politik alle
Kräfte dieses Hauses mit der Regierung, soweit es irgend geht, zusammenarbeiten.
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Der Herr Bundeskanzler hat mit klaren Worten dargelegt, daß die Erhaltung und die Sicherung des Friedens in Europa und in der Welt die vorrangige Aufgabe der Außenpolitik dieser Bundesregierung sein wird. Wir sind überzeugt, daß wir nur dadurch die Probleme in Europa lösen können. Damit kommt dem europäischen Zusammenschluß, der Aussöhnung Deutschlands mit den osteuropäischen Staaten sowie der Errichtung einer europäischen Friedensordnung entscheidende Bedeutung bei der Überwindung der deutschen Teilung zu. In dieser europäischen Friedensordnung muß dem deutschen Volk das selbstverständliche Recht gewährt werden, nach seinen Vorstellungen zu leben. Davon werden wir nicht abgehen, und hier besteht volle Übereinstimmung mit dem, was Herr Kollege Barzel in dieser Richtung sagte.
Wir sind der Meinung, daß der Weg zu diesem Ziel über Nichtangriffspakte zwischen den Staaten West- und Osteuropas führt, über die Schaffung von Zonen verminderter Rüstung in Europa, bis hin zu einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem, und über den Verzicht der Bundesrepublik - aber auch der DDR und anderer europäischer Staaten - auf Herstellung und Mitbesitz von Massenvernichtungswaffen.
Meine Fraktion begrüßt es daher, daß die neue Bundesregierung den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen und die Bemühungen um eine europäische Sicherheitskonferenz unterstützen will.
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Wir halten das für einen wesentlichen, notwendigen Auftakt.
Eine Friedenspolitik erfordert zudem nach unserer Meinung den Ausbau der industriellen Zusammenarbeit zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung, die gemeinsame Erforschung und Entwicklung neuer Produktionsmethoden sowie einen umfassenden wissenschaftlichen und kulturellen Austausch. Die europäische Zusammenarbeit ist nach unserer Überzeugung zugleich eine Voraussetzung für eine wirkungsvolle und umfassende wirtschaftliche Kooperation mit den Entwicklungsländern.
Die Teilung unseres Vaterlandes erfordert neue Maßnahmen, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen wachzuhalten, eine der weltpolitischen Entwicklung angepaßte Politik der Zusammenarbeit der beiden Teile Deutschlands zu versuchen und den Zugang sowie die Sicherheit Berlins zu garantieren. Wir unterstützen alle Überlegungen, die von der Bundesregierung in dieser Richtung dargelegt worden sind.
Eine Politik des vertraglich geregelten Nebeneinanders von Bundesrepublik und DDR, wie es die FDP immer gefordert hat und wie es jetzt angestrebt werden soll, würde darüber hinaus nach unserer Überzeugung den Prozeß der europäischen Annäherung beschleunigen und allen Völkern Europas die
Schritte zur europäischen Zusammenarbeit erleichtern. Wir meinen, daß unser Vertragsentwurf hierzu eine gute Diskussionsgrundlage bildet, die selbstverständlich der jeweiligen Entwicklung angepaßt werden muß.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in den nächsten Tagen noch Gelegenheit haben, unsere Auffassung zu den Fragen, die hier aus zeitlichen Gründen in der ersten Stellungnahme nicht angesprochen werden konnten, darzulegen. Eines darf ich aber hier für meine Fraktion feststellen: Wir werden in der Koalition nicht wie eineiige Zwillinge handeln,
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aber wir werden immer die gemeinsam übernommene Verantwortung vor die taktischen Erfordernisse der Partei stellen und das gemeinsame Ziel als das Entscheidende in dieser Koalition ansehen.
In diesem Sinne sind wir überzeugt, daß wir nach vier Jahren Rechenschaft ablegen können über eine Politik der Reformen, die unserem Volk den Schritt in die Zukunft ermöglicht, den Sie mit Ihrer Parole in bezug auf die 70er Jahre versprochen haben und den die Koalition gemeinsam gehen wird.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte über die erste Regierungserklärung eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers kann natürlich nicht eine ausgewogene Gesamtbewertung alles dessen geben, was von wem in den ersten 20 Jahren Bundesrepublik Deutschland getan worden ist. Das nehme ich weder dem Sprecher der Opposition übel, noch erwarte ich es von jemand anderem. Auch kann diese Debatte nicht vorausnehmen, wie die zweiten 20 Jahre, die mit dieser Regierungserklärung eingeleitet worden sind, zu programmieren sind.
({0})
- Ja, was lachen Sie? Ich hoffe, Sie erleben sie alle noch. Ich werde sie nicht mehr ganz erleben. Aber wir werden dann wieder sehen.
({1})
Es ist, so glaube ich, sehr schwierig für Sie, jene „Rosinen" zu entdecken, die es wert sind, in Ihren „Kuchen" gebracht zu werden.
({2})
- Wir wollen gern dabei helfen; in Ordnung, Herr Köppler.
In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, stehen wir vor der Notwendigkeit, den Konsequenzen aus der nun nicht mehr vermeidbar gewesenen Wechselkursänderung der D-Mark und den deswegen erforWehner
derlichen Maßnahmen gerecht zu werden. Es wird nicht zu umgehen sein, daß das von der Regierung in aller Ausführlichkeit auch den Mitgliedern dieses Hauses dargelegt wird und daß durch dieses Haus das, was in der Öffentlichkeit vielfach dunkel ist, etwas erhellt wird. Denn es wäre nicht gut, wenn wir hier, wie wir es zunächst einmal in einer Auflage erlebt haben, eine beträchtliche Fertigkeit im Auf-den-Tisch-Legen aller möglichen Probleme verschiedener Größenordnungen und verschiedener Herkunft unter Beweis stellten, wenn es jetzt darum geht, etwas in Ordnung zu bringen, das so, wie es jetzt ist, nicht zuletzt dadurch entstanden ist, daß seit dem Frühjahr unnötigerweise Schaden hat um sich greifen können.
({3})
- Seien Sie sehr vorsichtig! Das werden Sie noch erfahren.
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Ich würde mich also sehr hüten, jetzt schon mit Schiller anzufangen, ehe er auf dieser Tribüne überhaupt erschienen ist.
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Ich meine, insofern relativiere ich das, was der Sprecher der Fraktion der CDU/CSU hier über die Vortrefflichkeit der Grundlage gesagt hat, von der aus diese neu gebildete Regierung nun einsteigen und weitersteigen kann. Ich danke, Herr Kollege Dr. Barzel, für die Anerkennung der Leistungen in den Jahren 1966 bis 1969, die damit von Ihnen wohl auch gemeint waren. Aber hinsichtlich der Ausgangsposition dieser Regierung und damit auch des ganzen Parlaments wird wohl noch einiges Aktuelle zu sagen sein. Denn es ergeben sich aus dem, was ich andeute, auch jene ganz besonderen Schwierigkeiten, die wohl vor allem dadurch zu erklären sind, daß der europäischen Agrarmarktordnung, für wie vortrefflich sie auch von manchen gehalten worden ist, nicht eine entsprechende europäische Konjunktur- und Währungspolitik und einiges, das dazugehört, entsprochen hat und entspricht. Auch damit wird man sich befassen müssen.
Ich bin überzeugt: unsere Interessen, und zwar die Interessen aller Seiten dieses Parlaments, an einem Fortschreiten der europäischen Entwicklungen werden uns auch dort, wo manche besonders Lust haben sollten, mit anderem hervorzutreten, zwingen, auf dem Teppich zu bleiben - alle Seiten dieses Hauses. Es ist auch ganz gut, daß das so ist.
Ich kann es verstehen, daß die Damen und Herren von der CDU/CSU einerseits versuchen werden, der gegenwärtigen Regierung und der Mehrheit des Bundestages anzulasten, was nun an Maßnahmen notwendig ist, sie aber gleichzeitig, wenn es geht, an anderer Stelle als unwirksam abzuqualifizieren.
Auch aus diesen Gründen wird es notwendig sein, hier deutlich zu machen, worum es geht und worum auch in Luxemburg gerungen worden ist und wie das weitergehen muß. Die einen werden so tun, als hätte man nur weiterhin hart bleiben müssen, wie
man das ja so gerne sagt, während andere uns die Schuld in die Schuhe schieben wollen an dem was nun nach vorangegangenen Versäumnissen aufgeholt werden muß.
Das, was ich sage, ist nur das Präludium zu dem, was hier unausweichlich dargelegt werden muß und auch dargelegt werden wird, und zwar - natürlich von verschiedenen Seiten beleuchtet - zu dem Zweck, daß dann klar vor aller Augen liegt, welche Aufgaben wir zu bewältigen haben. Das kann ja auch ganz munter werden, wenn man das von den verschiedenen Seiten der Verpflichtungen dieses Hauses aus angeht.
Denn so einfach ist das ja nun nicht, daß man über eine ganze Menge von Dingen, unter denen sehr viele sind, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
({6})
die auch in den Zeiten vor uns standen, in denen Sie Regierungsverantwortung hatten und auch freudig getragen haben
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- natürlich, wen freut das nicht ({8})
- Sie lachen so verständnisvoll, Herr Kollege -, einfach schreibt: „Gesellschaftspolitik", wissen Sie. Alles - ich meine, cum grano salis, vieles -, das meiste von dem, was Sie nicht gemacht haben, als Sie es hätten machen können - wobei ich noch nicht einmal unterstelle, ob Sie es gedurft hätten -,
({9})
alles das wollen Sie uns jetzt wie Juckpulver in die Halskrause hineinstecken.
({10})
Das kennen wir noch aus der Schule, wissen Sie, und das wird nicht besser, wenn man älter wird.
({11})
Ich wollte nur sagen: Sie werden ja noch lange nicht von der Übung wegkommen, daß in Offenburg und in Oldenburg Ihre sicher hochehrenwerten Sozialausschüsse sagen, sie hätten uns links überholt und wo denn im Gesellschaftspolitischen die SPD eigentlich geblieben sei.
({12})
Da sitzt ein Kollege, der einmal von fünfzig Gerechten in diesem Hause gesprochen hat. Ich habe immer gestaunt, woher er diese Zahl geholt hat.
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Wir haben es einmal erlebt, bei jener umstrittenen Lohnfortzahlung für die gewerblichen Arbeitnehmer im Krankheitsfalle, daß einer dieser Gerechten aus seiner Verkleidung hervorgetreten ist und mit den Sozialdemokraten solidarisch gestimmt hat, obwohl doch alle diese Gerechten die solidarische GesellWehner
schaft auf ihre Oldenburger Fahne geschrieben haben, Herr Kollege.
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Nein, nein, keine Angst vor Konkurrenz, Konkurrenz durch Qualität und durch Leistung! Und nicht, wer zuerst ein Städtebauförderungsgesetz vorlegt, sondern, wer das beste, das brauchbare vorlegt.
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Daran werden wir hier gemessen werden, an nichts anderem.
Es ist Ihnen doch gar keine Initiative verwehrt. Seien Sie mal initiativ, dann wird man sehen, daß Sie noch nicht völlig verkrustet sind!
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Das wollen wir ja alle gern.
Meine Damen und Herren, das böse Wort - ich sage „böses Wort", ohne es zu dramatisieren - von der „leichten Hand" werden Sie noch einige Male hören.
({17})
- Ja, ja, das ist zu billig, Herr, als daß Sie glauben könnten, uns damit hier etwas anhängen zu können.
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- Gar nicht! Hören Sie mal, mich trifft nichts von dem - nichts, sage ich -, ich notiere es nur - nichts anderes - ganz kalt.
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Was sagen Sie vom Familienlastenausgleich? Im Regierungsprogramm der SPD steht klar, daß wir den aus den Unklarheiten und aus dem Nebel herausbringen werden. Aus diesem Grunde kommt das genau dann, wenn der Bundesminister der Finanzen und die Kollegen im Kabinett klar vor Augen haben und hier klar vor aller Augen legen können, was ist. Es sind ja drei Pfeiler, auf denen das ruhen muß: Steuergesetzgebung, Ausbildungsförderung und Kindergeld, und nicht irgendwelche anderen Scherzchen.
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Darüber werden wir reden. Wir nehmen das mit dem Familienlastenausgleich nämlich sehr ernst.
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- Da seien Sie ruhig weiter guter Hoffnung, Herr!
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- Sie haben ja schon zuviel da drin gefunden. Sie werden im Laufe dieser Debatte doch immer wiederholen, daß da zuviel stünde. Aber keine Angst, wir kommen mit all diesen Sachen schon klar.
Ich muß sagen - und ich sage das in aller Eindeutigkeit, weil ich hier keinen Gang durch diese Regierungserklärung zu machen beabsichtige -: Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands billigt und unterstützt vorbehaltlos die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Brandt.
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Diese Regierungserklärung ist ehrlich in der Sache und maßvoll in der Form; sie läßt keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Bundesregierung zur Reform in der Bundesrepublik und zur Versachlichung der Erörterung unserer auswärtigen Beziehungen und Angelegenheiten wie auch mancher anderer Themen, die der Versachlichung bedürfen.
Für die Jahre des Aufarbeitens und des Ordnens und auch des nüchternen Orientierens, die mit dieser Erklärung eingeleitet worden sind, hat die Regierungserklärung dieser von den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten gebildeten Bundesregierung die Leitlinien klar erkennbar gemacht. Das entspricht unserer Ansicht nach dem Willen der Mehrheit der Wählerinnen und der Wähler, denen wir danken. Wir danken den Wählerinnen und Wählern auch dafür,
({24})
daß sie es diesem Volk erspart haben, daß Extremisten in dieses Haus - jedenfalls durch ihre Parteibezeichnung schon erkennbare Extremisten - hineingekommen sind.
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Die Bundestagsfraktion der SPD macht sich zu eigen, was Bundeskanzler Brandt zum Stil und zum Inhalt der bevorstehenden Debatten um die Probleme unseres Volkes und unseres Staates Bundesrepublik Deutschland erklärt hat - ich zitiere das wörtlich -:
Im sachlichen Gegeneinander und im nationalen Miteinander von Regierung und Opposition ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe, dieser Bundesrepublik eine gute Zukunft zu sichern.
Das halte ich für eine ehrenwerte Absichtserklärung des Bundeskanzlers und seiner Regierung, die wir voll unterstützen.
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Das betrifft auch und nicht zuletzt die Verhältnisse hier in unserem Parlament. Denn wenn der Bundeskanzler am Schluß seiner Erklärung betont hat:
Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Innern und nach außen,
so sollten diese Zuversicht und diese Absicht alle Seiten dieses Parlaments teilen und auch teilen können; denn diese Auffassung trennt nicht, sondern sie verbindet, ungeachtet der Gegensätze, um die zu ringen ist.
({27})
Es ist doch eine Anerkennung auch der Rolle der parlamentarischen Opposition, wenn in einer Regierungserklärung vom ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler gesagt wird:
Unsere parlamentarische Demokratie hat 20 Jahre nach ihrer Gründung ihre Fähigkeit zum Wandel bewiesen und damit ihre Probe bestanden. Dies ist auch außerhalb unserer Grenzen vermerkt worden und hat unserem Staat zu neuem Vertrauen in der Welt verholfen.
Sie können es auch einmal so herum lesen; Sie müssen es nicht immer gleich mit wunden Augen, wenn mir dieses schlechte Bild erlaubt ist,
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weil sie ja voller Tränen sind von vorgestern, lesen.
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- Ach so, das, was passiert ist, war Ihnen zum Lachen? Auch in Ordnung - jeder nimmt's nach Temperament. Wir Sozialdemokraten jedenfalls danken der Bundesregierung ausdrücklich dafür, daß sie maßvoll in der Form und fest in der Sache gesprochen hat. Das gilt für das Innenpolitische wie für das andere.
Die Bundesregierung hat verbindlich angekündigt, im kommenden Jahr in Ergänzung und in Ausführung der Regierungserklärung ihre Pläne und Vorhaben auf dem Gebiet der inneren Reformen dem Parlament und der Öffentlichkeit in Einzelberichten zu unterbreiten. Ich verstehe das als einen Gesamtplan und begrüße das, so wie alle meine Kollegen in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion das begrüßen; denn für die Arbeit des Bundestages ist diese so anspruchslos als „Übersicht" bezeichnete Festlegung der Aufgaben, die sich die Regierung auf dem Wege der Reform und der Versachlichung stellt, doch eine Übersicht über die Stationen, die im ersten dieser 70er Jahre zu erreichen sind. Das ist ein Gewinn und nicht etwas, was zu Befürchtungen Anlaß gibt. Wir werden jedenfalls als Parlament unsere eigenen Dispositionen entsprechend treffen und rationell arbeiten können.
Die Übersicht, von der hier die Rede war und die eine etwas unwillige Bemerkung des Sprechers der Opposition ausgelöst hat - sie ist sicher nicht unüberlegt gewesen, wie nichts von dem, was von dieser Seite gesagt wird; das versteht sich, und dafür auch meinen Respekt -, sagt, daß die Regierung im Januar 1970 den Bericht zur Lage der Nation erstatten wird.
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- Ja, das entspricht einem Antrag, den meine Fraktion früher gestellt hat. Das war eine Auseinandersetzung um die Regierungserklärung 1965, wo wir bemängelt haben, daß es so etwas nicht gebe. Es ist angefangen worden in der letzten Periode, und nun möchten wir das, so wie es gemeint war, wirklich sehen: daß das Jahr beginnt mit dem, was man sehen und sagen kann über das, was die ganze, wenn auch geteilt lebende Nation betrifft.
Im Februar wird der Jahreswirtschaftsbericht zur Diskussion gestellt werden.
({31})
- Ja sicher, gesetzlich. Wir sind ja auch gesetzlich; Sie werden sich noch wundern, wie gesetzlich wir sind, Herr Kollege Katzer.
({32})
Natürlich, wir werden uns da schon aneinander gewöhnen. Hier ist ja auch nichts Erfundenes darin, sondern hier ist - deswegen auch bin ich ja froh, daß Sie mir Sukkurs geben für das, was ich als Entgegnung auf die Worte des Sprechers Ihrer Gesamtfraktion gerade ausführen wollte - eben eine Ordnung, die wesentlich auf gesetzliche Festlegungen zurückzuführen ist. Im März jedenfalls wird die Bundesregierung den Bericht über die Lage der Landwirtschaft, im April den Sozialbericht vertreten. Jeder weiß - auch Sie, Herr Kollege -, was man an Vorbereitungen darauf zu konzentrieren und zu investieren hat.
({33})
- Ja, so kennen Sie mich gar nicht! ({34})
Im Mai wird die Bildungs- und Wissenschaftspolitik der Bundesregierung und im Juni das Weißbuch zur Verteidigungspolitik vorgetragen werden - das sind wichtige Schritte - und nach den Parlamentsferien der Bericht über die Verkehrspolitik. Das sind nicht irgendwelche Berichte. Sie wissen doch, wie umstritten der „Leber-Plan", wie man ihn genannt hat, gewesen ist und was da alles daran herumgeklimpert worden ist.
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und wieviel man ihm von der Emaille hat wegnehmen wollen. Nun, jetzt müssen wir mit dem, was damit zu machen ist, weiterkommen und machen das. - Dann die Gesundheitspolitik! Da nimmt niemand dem Bundestag etwas weg.
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- Das ist ja das Eigentümliche in diesem Hause: Die Fraktionen haben alle schon einmal miteinander koaliert und gegeneinander opponiert. Es ist aber
- hoffentlich kann sich das noch ändern - manchem Ihrer Sprecher vorbehalten, daß Sie das bisher nur von oben erlebt haben und sich auch entsprechend geäußert haben. Aus allen Positionen heraus haben wir hier schon miteinander und auch gegeneinander gestanden. Ich hoffe, daß sich das einpendelt, auch im Bewußtsein und im Gefühl.
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- Nehmen Sie lieber Ihre geschriebenen Notizen her, sonst wird es immer nicht so gut wie sonst.
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Dann kommen die Berichte über Raumordnung und Städtebau, über Vermögensbildung und über die Steuerreform, - das, was für die Zeit nach den Parlamentsferien angesagt worden ist.
Ich möchte sagen und sage es nun ein wenig spitz nach dem, was ich hier vom Sprecher der Opposition gehört habe: wir werden darauf achten, daß diese Stationen eingehalten werden können.
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Hier wird doch - sage ich noch einmal - dem Parlament nichts genommen. Denn natürlich ist die Terminplanung vom Bundestag selbst zu machen. Ich hoffe, daß sie auch bald in Ordnung kommt und daß Sie die Anfangsschwierigkeiten überwinden, die vorwiegend bei Ihnen zu liegen scheinen. Aber da geben wir gern eine gewisse Marge.
({40})
- Jawohl! Ach, bleiben Sie doch ruhig! Natürlich kann ich das verstehen. Dies muß hier in Einklang mit dem Willen der Mehrheit dieses Hauses in Ordnung gebracht werden; man darf es nicht durch Knüppel zwischen die Räder aufhalten wollen. Nichts anderes! Ganz sachlich, meine Herren!
({41})
- Natürlich, das sollten Sie ja auch.
({42})
Ich will Ihnen mal was sagen. Sie glauben, Sie können uns wie mit Konfetti mit Daten aus der Vergangenheit überschütten: von Resolutionen und anderen Sachen, ob wir uns an diese noch erinnern.
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Worum es uns geht, ist, die Wegzeichen für die vor uns liegende Strecke klarzumachen, erkennbar zu machen und uns danach zu bewegen.
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Eine Diskussion mit diesen Voraussetzungen ist ja gar nicht so einfach, wenn der ehrenwerte Vorsitzende der Bundestagsfraktion der CDU/CSU - hier muß ich es einmal so sagen - selbst seine Hörfehler für sich als so wertvoll betrachtet, daß er noch am folgenden Tage eine Passage in seiner so bemerkenswerten Rede um einen dieser Hörfehler - oder war es ein Schaltfehler? -, um einen der Hör- oder Schaltfehler herumgruppiert. Die Sache mit der „Anhörung" ist doch wohl zu klein, als daß man darüber viel Zeit verschwenden müßte. Aber in Ordnung! Denn es ging doch darum: Hier ist von der Regierung gesagt worden - ich möchte das wegkriegen, daß man dauernd daran herumzieht -, daß Anhörungen, nämlich in bezug auf gesellschaftliche Verbände und Vereinigungen und Teile unserer
Mitbürgerschaft, im Parlament aufgegriffen würden. Das ist eine Praxis, die wir alle schon begonnen haben, wenn auch sehr spät; wir hätten sie früher schon haben sollen. Das hat nun wieder tieferliegende und inzwischen schon ein wenig vergessene Gründe. Meine Damen und Herren, natürlich hat das Parlament Anspruch darauf, und zwar nicht nur den Anspruch, angehört zu werden. Das ist eben jene durch einen Hör- oder Schaltfehler entstandene Mißdeutung. Aber dann soll man sie doch am nächsten Tag souverän zu den Akten legen können. Ich möchte so etwas gerne machen. Man sollte solche Sachen selbst zu den Akten legen, anstatt darauf herumzureiten. Es muß doch allmählich weh tun.
({45})
Wenn man hier mit solchen Ansprüchen auftritt, muß ich sagen: die Eignungsprüfung - in diesem Fall als Führer der Opposition - muß jeder einmal machen. Das Gesellenstück war das, was wir heute gehört haben, noch nicht.
({46})
Hier bediene ich mich desselben Jargons, den Sie anzuwenden beliebt haben, und zwar wiederholt,
({47})
als Sie sagten - Sie hatten sich in die eigene Formulierung verliebt -: erst einmal einen ausgeben. Dieses Jargons bediene ich mich. Sie haben erst einmal in die Hände gespuckt und dabei häufig danebengespuckt.
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Arbeiten können wir nämlich auch. Das verstehen wir.
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- Ja, in Ordnung; natürlich, ich bin 63 geworden, da haben Sie recht.
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- Spielen Sie sich bitte nicht auf, Herr deutscher Abgeordneter von der Wasserkante!
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Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wir haben hier sachlich zu diskutieren und nichts anderes.
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- Ich bin doch schon längst dabei. Sie sollten versuchen, sich ein wenig von der Anmaßung abzugewöhnen, nichts anderes.
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Ich finde, daß auch die präzise Ubersicht über eine Reihe von Entscheidungen, die die Bundesregierung kurzfristig zu treffen beabsichtigt, Anerkennung verdient. Sie hat sie in sechs Punkten, glaube ich, zusammengefaßt. Ich möchte dazu sagen, daß wir Wert darauf legen, daß auch tatsächlich in diesem Takt gehandelt wird. Ich betone das besonders, weil hier über einen der Punkte - es geht dabei um den
) Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen - einiges gesagt worden ist und weil gestern in einem anderen Zusammenhang hinsichtlich dessen, was mit Polen ins Auge gefaßt ist, in Zwischenbemerkungen jedenfalls anderes gesagt worden ist. Ich denke, die Regierung wird nicht vergessen, was sie dem Parlament schuldig ist, und wir sollten unsererseits nicht an dem vorbeigehen, was das Recht und die Pflicht der Regierung ist.
Ich bin dankbar und froh darüber, daß die Bundesregierung an einigen Stellen erkennbar gemacht hat, sie wolle auch darangehen, denjenigen unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen eine Chance zu geben, die zu keinem der großen Blöcke, zu keinem Verbands- oder Interessenblock gehören und die in kein Schema passen, die also im Schatten leben, wie an einer Stelle gesagt worden ist. Gemeint sind die besonders Beladenen, die Behinderten und Alleinstehenden, die sich nur unvollkommen helfen können. Ich wäre froh, wenn auch der Bundestag hier seinen Beitrag leisten könnte und würde, wenn er es möglich machen würde, daß einem Teil dieser Mitbürger und Mitbürgerinnen, z. B. in der Altenversorgung respektive in der Kriegsopfer- und Hinterbliebenenversorgung, durch strukturelle Veränderungen und Verbesserungen geholfen wird. Das sollten wir, über das Schematische hinausgehend, versuchen, so schwer das auch im Konkreten ist. Wir müssen auch versuchen, von denjenigen, deren Bezüge im Rahmen der strukturellen Verbesserung der Kriegsopfer- und Hinterbliebenenversorgung oder im Rahmen der strukturellen Verbesserung der Altenversorgung nicht angehoben werden können, die Last zu nehmen, daß die Entwicklungen stets an ihnen vorbeigehen. Manchmal - und als Abgeordneter sehr oft - erlebt man, wenn sich Menschen dieser Art an einen wenden, wenn sie den Weg finden und wenn sie ihre eigenen Nöte und Schwierigkeiten darlegen können, wie das ist und worum es sich dabei handelt. Jedenfalls, bei dem Bemühen um die Chancengleichheit - und das zieht sich ja durch die Regierungserklärung, ob es der Teil über Bildung, Wissenschaft, Forschung, ob es der Teil über Soziales und über das andere ist - handelt es sich darum, daß gleichgültig, als was eine oder einer geboren ist, und gleichgültig, wohin es sie oder ihn verschlagen oder vertrieben hat, sie in unserer Bundesrepublik Deutschland die gleichen Chancen geboten bekommen sollen nach der Grundgesetzbestimmung, die einheitliche Lebensverhältnisse auch strukturell und gebietlich verlangt. Ich glaube, daß wir in diesem Punkte, wenn auch mit verschiedenen Impulsen - das ist kein Manko, das ist sogar ein Vorzug -, auf dasselbe hinaus wollen: Chancengleichheit. Dabei ist nicht zu vergessen: Chancengleichheit ist für die Beladenen, für die besonders Behinderten, für die, die in anderen Ländern als Leute mit einem Handikap bezeichnet werden, auch nur etwas, was sie an anderen beobachten können. Wir müssen ihnen - da begrüße ich, daß das in der Regierungserklärung maßvoll gesagt worden ist - eine Chance geben, und wir können das, wenn wir die stabilen Grundlagen von Wirtschaft und Finanzen hüten und dann entsprechend auch für solches nutzbar machen.
Ich hatte in den letzten Monaten wiederholt Gelegenheit, auf eine Äußerung des damaligen und jetzigen Bundeswirtschaftsministers zurückzugreifen, der gesagt hat, daß die Wirtschaftspolitik nun auch mehr in den Dienst des gesellschaftspolitischen Fortschritts gestellt werden kann. Manche haben das mißverstanden, als ob nun nicht mehr gewirtschaftet werden soll. Das ist sicher grob mißverstanden worden, aber das, was da als Richtung angegeben worden ist, stimmt schon.
Meine Damen und Herren, zu einer Frage, die hier - unverständlicherweise - nicht nur gestellt worden ist, sondern sicher noch weiter gestellt werden wird, und die auch vor dieser Debatte öffentlich erörtert worden ist: Wie steht es mit dem Willen zur Wiedervereinigung oder zur Einheit der Deutschen bei denen, die als Koalition der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten diese Regierung im Bundestag tragen? Ich sehe das so: Unser Volk soll wie andere Völker auch den Anspruch nicht aufgeben, über seine eigene gemeinsame Zukunft selbst bestimmen zu wollen und zu dürfen. Gäbe es diesen Anspruch auf, würde es von anderen als ein Volk nicht nur minderen Rechts, sondern auch - bitte - minderer Qualität betrachtet und wohl auch gelegentlich behandelt werden.
Wenn wir unser Grundgesetz unter die Willenserklärung gestellt haben, daß wir als gleichberechtigtes Glied eines vereinigten Europas dem Frieden in der Welt dienen wollen, so haben wir jedenfalls - ich spreche hier für die Sozialdemokraten - davon nichts zurückzunehmen. Wir werden aber vieles tun und auch manches lassen müssen, um diesem Ziel in langer Frist wirklich allmählich näherzukommen. Daß sich die Väter des Grundgesetzes darüber andere Gedanken gemacht haben, mag erklärlich gewesen sein. Daß man das in den Debatten, nach denen sich manche zurücksehnen - ich habe sie mir auch noch einmal angesehen, auch die Regierungserklärungen seit 1949 -, unterschiedlich gesehen hat, war nichts anders als menschlich. Wir jedenfalls können es nicht der Zukunft überlassen, daß wir als gleichberechtigtes Glied in einem vereinigten Europa dem Frieden der Welt dienen können. Wir müssen auch im Zustand der Spaltung nach besten Kräften das Unsere tun, um dem Frieden dieser Welt zu dienen, also eben nicht erst, nachdem andere uns das Recht gewährt haben, insgesamt als gleichberechtigtes Glied dieses Europas dem Frieden dienen zu können.
Meine Damen und Herren, unsere Aussichten wachsen nicht automatisch mit den Konflikten, die Dritte miteinander haben. Die Aussichten könnten sich - müssen nicht, können sich - in dem Maße verbessern, in dem wir mancherorts und schließlich vielerorts Sympathien, Vertrauen und hier und da auch Fürsprecher gewinnen.
Nun hat die Regierungserklärung deutlich gemacht, was Deutschlandpolitik nicht ist und was sie ist. Sie ist nicht ein Ressort. Sie kann nur sein - jetzt in meiner Art ausgedrückt - die Summe der Bemühungen außenpolitischer, europapolitischer, sicherheitspolitischer Art und eben dessen, was wir hier selbst für die Entwicklung innerdeut60
scher oder zwischendeutscher Beziehungen und für den Zusammenhalt der Deutschen leisten können.
Darüber sind auch früher schon Debatten geführt worden. Ich habe mir noch einmal eingehend jene vom Mai 1966 angesehen, mit all den skeptischen Bemerkungen darüber, wie groß z. B. das Wort vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen sei - wenn es auch nur die Fragen sind - und wie gering die möglichen Zuständigkeiten. Daß in diesem Zusammenhang das ein wenig in Ordnung gebracht wird, sollten alle dankbar, wenn nicht begrüßen, so hinnehmen, muß ich sagen.
({54})
- Was heißt das denn? Hier wird doch an den eigentlichen Aufgaben und an dem, was möglich ist, gar nichts geändert. In Wirklichkeit wird es versachlicht; selbstverständlich, es wird versachlicht. Sie brauchen das. Sie werden sich täuschen. In zehn Jahren werden Sie denken: da haben Sie zehn Jahre Energie auf ein Objekt verwendet, die Sie besser anderswo angewendet hätten.
Es geht um die Intensität der Bemühungen, um die Beziehungen und damit um den Zusammenhalt der Deutschen im gespaltenen Deutschland.
({55})
- Beziehungen im gespaltenen Deutschland! Lesen Sie einmal nach, was frühere Minister über das Wort „gesamtdeutsch" gesagt haben. Soll ich hier noch einmal wiederholen, wie das, wenn Sie es übersetzen, im Französischen klingt, wie das im Englischen klingt? Sie müssen doch jedesmal erst erklären, daß das nicht „großdeutsch" heißt! Natürlich müssen Sie das jedesmal erklären; das ist doch ganz klar. Da das bei Ihnen noch eine Stelle ist, die Sie so behandelt zu sehen oder zu hören wünschen,
- in Ordnung: Gemacht werden muß das, damit wir sachlich auf diesem Gebiet das Denkbare auch mit der richtigen Adresse versehen und nicht mit einer Wunschadresse.
({56})
Wenn Sie sich alte Regierungserklärungen ansehen, z. B. die erste, die Konrad Adenauer hier abgegeben hat, werden Sie, ich sage sehr höflich: wenig darüber finden, auch heute mit geschärften Augen wenig darüber finden, daß das Ziel Wiedervereinigung der Deutschen mit dem Ressort Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen zu erreichen gedacht war. Es gibt ja eine Aufgabendefinition - meines Wissens war es die erste formulierte - vom 30. September des Jahres 1959, immerhin, am Beginn des zweiten Jahrzehnts der Periode. Darin heißt es:
Die Arbeit des Ministeriums soll der Pflege und Förderung einer Volksgesinnung dienen, die zu einer einheitlichen politischen Willensbildung, dem Willen zur Einheit der Nation in Freiheit, führt. Es soll die Aufgabe des Ministeriums sein, diesen Willen zum geistigen Allgemeingut unseres Volkes zu machen und ihn ebenso wie
die Grundfragen der Außenpolitik dem Parteienstreit zu entziehen.
Das ist eine Aufgabenstellung, so wie man sie damals verstand.
Worum es jetzt geht, ist doch nicht, zu bestreiten, daß man heute davon auszugehen hat, die innerdeutschen Beziehungen zwischen diesem und dem anderen Teil des gespaltenen Deutschlands zu unterscheiden von Beziehungen, die wir zum Ausland, die das Ausland zu uns aufgenommen hat oder pflegt. Diese Beziehungen unterliegen also nicht dem Auswärtigen Amt und jenem Teil der Politik, sondern hier ist ein Besonderes erforderlich und notwendig. Das sollten Sie weniger schmerzhaft für sich selbst machen; denn das alles sind, soweit unsere Mittel überhaupt dazu ausreichen, Bemühungen um den Zusammenhalt dieses gespaltenen und getrennten Volkes, und zwar so, daß wir uns einander verständlich machen können, auch wenn inzwischen andere nachgewachsen sind, auch wenn inzwischen junge Generationen schon an die Stelle anderer getreten sind.
Es ist immer meine Ansicht gewesen - und ich habe es hier im Bundestag in der vorigen Periode in einer umfassenden Debatte am 25. April auch noch einmal ausführlich darzulegen versucht -, daß das zentrale Problem dieser deutschen Frage oder dieses Bündels deutscher Fragen Berlin ist; denn damit steht und fällt, ob wir den Anspruch auf eine vertragliche - eine vertragliche! - Regelung der Nachkriegsprobleme, soweit sie nicht schon geregelt sind, aufgeben können, wollen, dürfen. Hier wird ja um etwas gerungen. Da will ja jemand, der das aus der Innenpolitik so gelernt hat und der sich dadurch von anderen unterschied, vollendete Tatsachen schaffen, um das, was er geschaffen hat, dann legalisieren zu lassen, so in der Innenpolitik, so auch in der Außenpolitik. Das ist gewiß eine Eigentümlichkeit nicht nur jener Seite, es machen auch manche andere sonst so in gewissen Breitengraden dieser Welt. Darum geht es.
Hier muß man aufpassen; denn hier hilft einem, wenn man nicht selbst aufpaßt, kaum jemand. Berlin ist die Schlüsselstellung und wird es noch lange sein. Wie viele Jahrzehnte das alles auch noch dauern wird, es geht dabei immer um die schließliche Überleitung von nach dem Ende der militärischen Feindhandlungen für erforderlich gehaltenen, dann aber umstritten gewordenen und auch gebliebenen und manchmal sogar schon einseitig ausgelöschten Übergangsregelungen in endgültige vertragliche Regelungen. Um nichts anderes kann es dabei gehen. Da mag es in der Ausdrucksweise, da mag es auch in der Vorstellungsweise über die Zeit, die dazu gebraucht wird, diese Unterschiede geben. Aber in der Sache werden wir uns immer wieder an diesem Punkt zusammenfinden müssen.
Das wollen Sie nun mit solchen Dingen beschweren wie - das sage ich nur wegen des Stichworts „Berlin" -, die Sozialdemokraten weigerten sich, nach Berlin zur Arbeitswoche zu gehen.
({57})
- Das haben sie auch nicht. Ich möchte das hier in aller Freimütigkeit deutlich machen, weil wichtiger als das Demonstrative das Effektive ist.
({58})
- Ich bin doch schon mehr in Berlin gewesen als mancher andere. Das ist doch kein Ruhm. Es hat Ausschüsse gegeben, die schon früher viel häufiger in Berlin getagt haben, als seit es diese eigenartige Regelung der Präsenzpflicht für jeden Ausschuß in Berlin gegeben hat. Darüber ließe sich manches sagen. Ich würde es vorziehen, Sie ließen darüber mit sich und unter uns sachlich reden. Sonst müßten wir über einiges reden, was niemandem gut tun kann, weil dort nicht einer oder der andere die Alleinverantwortung zu tragen hat, sondern weil es hier um Porzellan, um Berliner Porzellan, geht. Das sollte man nicht vorher zerdeppern, um es dann noch einmal zusammenkitten zu müssen oder zu dürfen.
({59})
- Nichts ist im Gange. Sie sind doch erfahren genug, um zu wissen, daß mancher sich interessant macht und so tut, als wüßte er etwas. Von mir wissen Sie, daß das meine Art nicht ist. Worum es geht, ist das Ordnen unserer Arbeitsweise, nichts anderes; und da brauchen wir uns nicht unbedingt an Gewohnheiten gebunden zu fühlen, die ihre Berechtigung gehabt haben, ({60})
- Ja, sicher! Was wollen Sie denn mit Ihrem „Aha"? Darüber werden wir ja einmal in aller Ausführlichkeit, z. B. im Zusammenhang mit der Debatte über die Lage in der Zone, sprechen. Aber brechen Sie sich doch bitte keinen ab! Ich habe mir einiges herausgeholt, was ich für solche Fälle einmal in die Debatte werfen kann. Wir können das in diesen Tagen noch machen. Sie können nicht so verfahren: sozusagen Schlamm am Sonntag und in der Woche hier so tun, als wäre man fair miteinander. Nein, was wir wollen, ist, sachlich über die Arbeit reden und nicht von vornherein jeden Gesichtspunkt durch etwas abstempeln und dadurch die Klärung der Fragen, um die es geht, nur erschweren.
Ich hätte gern noch einiges Spezielle, das mir besonders am Herzen liegt, auch zu dem polnischen Problem, gesagt. Vielleicht läßt sich das im Laufe dieser Debatte noch nachholen. Ich sehe, daß ich mich in der Redezeit ein wenig vergaloppiert habe, und bitte dafür um Entschuldigung.
Am Schluß möchte ich noch einmal sagen, daß dieser Einstieg in die Debatte über die Regierungserklärung uns auch immer wieder daran erinnern soll, daß bei unterschiedlicher Stellung und damit unterschiedlicher Verpflichtung es über all dem auch eine gemeinsame gibt.
Ich danke Ihnen für die Geduld.
({61})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Barzel hat am Abend des 28. September gesagt, er wünsche sich eine große Opposition. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Er hat aber in jener Wahlnacht auch gesagt - dem Sinn nach, so habe ich es in Erinnerung -, er wünsche sich eine Konstellation, bei der Regierungsmehrheit im Hause und Opposition sich zur gemeinsamen Verantwortung bekennen. Ich bekenne mich dazu - zur Kooperation in den Lebensfragen der Nation. Ich bin dankbar für die Wünsche, die der Führer der Opposition mir mit auf den Weg gegeben hat, was den Erfolg der Regierungsarbeit und - wie er es nannte - die glückliche Hand angeht. Die Regierung dankt auch für das Angebot kooperativer Opposition. Ich sage noch einmal, diese Regierung wird in allen Lebensfragen der Nation die Meinungen der Opposition nicht nur hören, sondern sie auch in ihre Politik einbeziehen.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es gut ist, und mir liegt daran, bevor man zu den Hauptblöcken der Politik kommt - damit meine ich natürlich nicht nur die auswärtige Politik, sondern auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik, über die noch sehr gründlich wird gesprochen werden müssen -,
({0})
ein paar Dinge, wenn es geht, wegzuräumen. Ich bin nicht sicher, daß das überall gelingt. Aber ich will einen wichtigen Punkt nennen, weil ich den Eindruck hatte: da kam gestern vormittag und auch heute sehr viel Gefühlsmäßiges hinein.
Der Satz gegenüber denen - z. B. den Apo-Leuten, die doch Ihnen wie uns begegnet sind -, die gesagt haben, mit der Demokratie werde das wohl nichts werden, der Satz: Insoweit fangen wir erst richtig an, ist doch nicht an eine Fraktion oder Partei dieses Hauses gerichtet. Einmal drückt er das Empfinden derer aus, die eine Woche an der Regierung sind - das ist die engere Auffassung -; die müssen nun in der Tat mit ihrer Regierungsarbeit erst richtig anfangen;
({1})
- einen Augenblick! - und zum anderen, meine Damen und Herren, sollen wir keine künstlichen Gegensätze aufkommen lassen;
({2})
denn das, womit wir erst richtig anfangen müssen, ergibt sich aus der Pflicht zum sachlichen Gegeneinander und nationalen Miteinander.
({3})
Unter diesem Obersatz steht das, was dort gesprochen wurde. Dies ist ein Appell an das demokratische Engagement der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland und ist auch von allen draußen so verstanden worden. Auch das wollen wir einmal festhalten.
({4})
In diesem Zusammenhang wurde die FDP zitiert, die für sich selbst sprechen kann, Dazu muß ich hier obwohl sie für sich selbst sprechen kann, den Hinweis machen, daß manche der Äußerungen im Vorfeld dieser Debatte über „Hinauskatapultieren" und andere Vorgänge natürlich auch nicht gerade dazu beigetragen haben,
({5})
die sachliche Atmosphäre zu schaffen, um die es uns gehen muß.
({6})
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, die sich auf den Tadel des Herrn Vorsitzenden der CDU/ CSU-Fraktion bezieht. Er meinte tadeln zu sollen, daß ich in meiner Regierungserklärung nicht ein Wort der Anerkennung und des Dankes an meine beiden Amtsvorgänger gerichtet hätte.
({7})
- Ich würde mit dem Zuruf noch einen Augenblick warten; es fragt sich ob der noch stimmt, nachdem Sie jetzt eine Minute zugehört haben werden. - Ich war über diese Einstellung ganz überrascht. Ich hatte es gerade hinter mir, daß ich im Kreise meiner Freunde den Vorwurf derer zurückgewiesen hatte, die meinten, es sei nicht ganz stilvoll gewesen, daß weder der Vorsitzende der CDU noch der der CSU zugegen gewesen sei, als die neue Regierung vereidigt wurde.
({8})
Ich hatte gesagt: die hatten sicher anderes zu tun. Aber dadurch konnte mein Amtsvorgänger auch nicht hören, wie der Präsident des Bundestages für uns alle ihm den Dank aussprach.
({9})
Ich hatte, meine Damen und Herren, solche Kritik zurückgewiesen und hatte auch, wie Herr Kiesinger weiß und alle anderen, die Zeitung lesen, wissen, bevor es zur Bildung dieser Regierung kam, in einem Brief am 9. Oktober Herrn Kiesinger geschrieben. Wenn Sie wollen, gebe ich ihn ganz zu Protokoll, aber es reicht aus, wenn ich aus diesem Brief den einen Satz hier in aller Form noch einmal vortrage. Er lautet:
Weder zurückliegende noch bevorstehende Kontroversen werden mich davon abhalten, zu dem zu stehen, was wir seit Ende 1966 miteinander geleistet haben. Es ist unserem Vaterland nicht schlecht bekommen.
Nun, meine Damen und Herren, wenn es erforderlich ist, bin ich gern bereit, solche Sätze zu wiederholen. Ich finde nur, es ist eine ganz schlechte Sache und ich empfinde es auch als einen ganz schlechten Stil, wenn in einem solchen Zusammenhang, Herr Kollege Barzel - - Da habe ich nun Konrad Adenauer genannt. Soweit sind wir immerhin. Das kann
der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten ohne jede Hemmung und ohne daß ihm das einer der eigenen ankreidet, machen, trotz all der Kontroversen, die es hier in diesem Haus gegeben hat. Ich habe Konrad Adenauer nicht des Alphabets wegen, sondern als ersten Bundeskanzler und Ihren Vorsitzenden erwähnt. Ich habe ferner Theodor Heuss, den ersten Bundespräsidenten und prominenten Mann der Freien Demokraten, sowie Kurt Schumacher genannt, der die sozialdemokratische Partei wieder aufgebaut und geführt hat. Ich habe gesagt, ich nenne sie für alle. Das ist wirklich so gemeint gewesen, wie es gesagt wurde. Wenn ich jetzt sagte, was ich für einen schlechten Stil halte, dann ist das etwas, was sich aus einer solchen Disposition ergibt: Daß nämlich daraus, daß eine Reihe anderer nicht erwähnt werden kann, der Vorwurf abgeleitet wird, als distanziere man sich dadurch gar von einem verstorbenen Freund. Das sollte man nicht machen, Herr Barzel!
({10})
Es war wohl auch nicht ganz wohlüberlegt, daß Sie gegen Schluß Ihrer Rede Schumacher gegen Kiesinger ins Feld geführt haben.
({11})
- Nein, Sie haben es nicht so gewollt. Ich sage nur: objektiv war es so.
({12})
- Augenblick mal. Sie haben im vorletzten Absatz Ihrer Rede Schumacher gegen die Brückenbauer zitiert oder gegen diejenigen, die die Vorstellung hatten, man könnte Brücken bauen. Der einzige, der dies in der Zeit der Großen Koalition am 13. Dezember 1966 hier vor dem Bundestag vorgetragen hat, war mein Amtsvorgänger; denn er hat von der geschichtlichen Rolle Deutschlands gesprochen, zwischen West- und Osteuropa Brücken zu bauen. Er hat gehofft, daß so etwas wieder kommen könnte.
({13})
- Der Passus in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 lautet:
({14})
„Deutschland war jahrhundertelang die Brücke zwischen West- und Osteuropa. Wir möchten diese Aufgaben auch in Zukunft gern erfüllen."
Meine Damen und Herren, wollen wir also auch hier nicht unnötige Kontroversen in die Debatte hineinbringen.
({15})
- Bitte sehr!
Da wir gerade die Texte haben und dabei sind, eine Menge Dinge in Ordnung zu bringen, was ich begrüße, mache ich auf
folgendes aufmerksam. Ich habe hier den Text dessen, was ich eben erklärt habe:
Ich glaube, es steht uns allen gut an, diesen Satz Schumachers als eine stete Herausforderung an die kritische Selbstkontrolle vor alle ostpolitischen Schritte zu setzen.
Dies und sonst gar nichts habe ich gesagt. Vorher hatte ich extra ausgeführt, der Satz sei bestimmt nicht apodiktisch gemeint und bestimmt nicht als Dogma und für die Ewigkeit formuliert gewesen.
({0}) Brandt, Bundeskanzler: Sehr gut.
Dann möchte ich auch noch eine Hinzufügung zusätzlich zu dem, was Herr Kollege Wehner für seine Fraktion in bezug auf den Namen des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen gesagt hat, geben. Den Kritikern der letzten Wochen scheint vielfach entgangen zu sein, daß der zuständige Kabinettsausschuß für diese Fragen während der Zeit des Kabinetts Kiesinger ganz bewußt „Kabinettsausschuß für innerdeutsche Beziehungen" genannt worden ist, Der Name des Ministeriums ist dem in der vorigen Periode so benannten Kabinettsausschuß angepaßt worden. Ich würde auch das abhaken; es lohnt sich nicht für die Art von Polemik, die ich dazu in den letzten Wochen gehört habe.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist zu Beginn der Debatte gesagt worden, noch nie sei ein neuer Bundeskanzler in einer so guten Lage gewesen. Dann begreife ich nicht, wieso sich die Lage in den letzten Wochen, seit September, in Deutschland so gebessert haben soll. Denn im September habe ich aus den Berichten über die Reden zumal des damaligen Bundeskanzlers immer herausgehört, daß die Zeichen überall auf Sturm stünden
({2})
und daß vulkanische Ausbrüche zu erwarten seien, für die Deutschland gewappnet sein müsse.
({3})
Ich sehe hier einen ähnlichen Widerspruch wie in den sehr freundlichen Worten des Kollegen Barzel an die Adresse der jungen Generation und dem, was zum gleichen Gegenstand im Wahlkampf gesagt worden ist, ob nun der „Zoo" dabei in Anspruch genommen wurde oder es nur bei den „heulenden Derwischen" blieb.
({4})
Herr Bundeskanzler, ist Ihnen nicht deutlich geworden, daß sich die positive Bewertung unserer Lage auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation bezieht, während die Äußerungen des Bundeskanzlers ganz klar einen außen- und deutschlandpolitischen Bezug haben?
({0})
Ich komme jetzt zur Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ohne den besonderen Debattenrunden vorgreifen zu wollen, will ich dazu sagen: Es kann leider überhaupt keine Rede davon sein, daß der Finanzminister Möller „geordnete Bundesfinanzen" übernommen habe
({0})
und wir insgesamt eine so stabile Situation vorfänden, wie Sie und wir sie gemeinsam wünschen müßten.
({1})
Herr Möller wird das hier selbst erläutern, und es wird, ob es der eine oder andere gern hört oder nicht, deutlich werden - daran kommt keiner vorbei -, daß das lange Hinauszögern der Aufwertung die Sache teurer gemacht hat, als sie früher gewesen wäre.
({2}) Es hat die Sache teurer gemacht.
({3})
Es ist ja auch nicht nur wegen des Abwägens der Sachargumente gegeneinander nicht entschieden worden, sondern auch mit wegen des nicht nur sachlich, sondern auch nationalistisch motivierten Einspruchs des nicht anwesenden Vorsitzenden der CSU.
({4})
- Ja, ich werde das gleich sogar noch, wenn Sie mir eine Minute Zeit geben, zusätzlich motivieren, weil ich dafür bin, daß man, wenn in diesem Hause in Zukunft mehr und ausführlicher gestritten wird, mit jener Doppelzüngigkeit aufhört, die sich darin ausdrückt, daß man hier „auf etwas feiner macht" und draußen im „Bayernkurier" oder sonst Hugenberg in den Schatten stellt.
({5})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Herr Bundeskanzler, Sie haben zu Beginn Ihrer Intervention versucht, hier einiges, wie Sie es nannten, wegzuräumen. Haben Sie nicht das Gefühl, daß Sie jetzt mit zwei Sätzen böswilligster Diffamierung das Klima in diesem Hause zerstören?
({0})
Ich habe das Gefühl, daß der Abgeordnete Franz Josef Strauß sich hier der
Debatte stellen soll wegen der Angriffe, die er im Ausland im Vorfeld der Regierungsbildung gegen mich gerichtet hat.
({0})
Ich habe das Manuskript seiner Rede in South Carolina in dem von ihm selber verbesserten Text da; ich kann ihn Ihnen vorlesen, wenn Sie es wünschen. Ich wünsche, daß sich der Abgeordnete Franz Josef Strauß hier dazu erklärt,
({1})
ob auch er wie der „Bayern-Kurier" meint, daß ich den Ausverkauf nationaler Interessen betreibe. Dies, sage ich, stellt Hugenberg in den Schatten.
({2})
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rasner?
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, den Vorwurf „nationalistischer Abgeordneter" gegen das Mitglied dieses Hauses Franz Josef Strauß zurückzunehmen?
({0})
Ich habe nicht von einem „nationalistischen Abgeordneten" gesprochen,
({0})
sondern ich habe gesagt, daß sich neben dem Abwägen von sachlichen Argumenten auch nationalistische Neigungen
({1})
- das kann doch keiner bestreiten - im Vorfeld dieser Regierungsbildung und des Wahlkampfes geltend gemacht haben.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Herr Bundeskanzler, sind Sie sich bewußt, daß Sie mit dieser Äußerung eine politische Diffamierungskampagne heraufbeschwören,
({0})
die Sie und andere zum Wohle der Demokratie überhaupt nicht ertragen?
({1})
Meine Damen und Herren, was sagen Sie denn dazu - auf den „Bayern-Kurier" komme ich zurück, Herr Kollege Stücklen - ({0})
- Nein, dies geht eben nicht: draußen zu hetzen und hier nicht dazu stehen zu wollen.
({1})
Hier soll man aufstehen und sagen, ob man zu dem Wort steht, daß ich nationalen Ausverkauf betreibe. Darum geht's doch!
({2})
Dies ist eine Reaktion, über die sich keiner wundern darf.
({3})
Meine Damen und Herren, ich akzeptiere gern den Hinweis - ich komme auf die eigentliche Außenpolitik gleich zurück -, daß eine solide Haushalts- und Finanzpolitik die entscheidende Voraussetzung ist für ein Wachsen des Volkswohlstandes. Diese Regierung wird an ihrem Willen zur Solidität gewiß keinen Zweifel aufkommen lassen.
({4})
Man kann jedoch nicht einerseits sagen, das Regierungsprogramm sei finanziell noch nicht genügend abgesichert, weil sich noch nicht alles übersehen läßt, und andererseits bemängeln, daß eine Reihe ausgabenwirksamer Maßnahmen nicht vorgesehen sind. Man kann nicht wie der Führer der Opposition erstens sagen, es steht zuviel drin, was Geld kostet, und dann sagen: Aber warum steht nicht auch beim Kindergeld schon 1. Januar drin, statt daß drinsteht, es wird im Jahre 1970 darüber entschieden? Es steht auch ganz bewußt bei der Alterssicherung drin, daß die gesetzliche Alterssicherung auch für andere Gruppen der Gesellschaft geöffnet werden soll, ohne daß in diesem Augenblick die Gruppen näher gekennzeichnet sind. Die Sozialdemokraten haben ihre Meinung dazu häufig deutlich gemacht. Jeder weiß jedoch, daß jeder neue Schritt beträchtliche finanzielle Auswirkungen hat, die die Regierung gern näher geprüft sehen will.
({5})
Meine Damen und Herren, es ist überhaupt nichts dagegen zu sagen - und warum sollte etwas daBundeskanzler Brandt
gegen zu sagen sein? -, daß die Fraktion der CDU/ CSU durch eigene Initiativen die Auseinandersetzung und die Beschlußfassung fördert. Herr Kollege Barzel hat die Möglichkeit angedeutet, daß z. B. beim Städtebauförderungsgesetz eine Initiative seiner Fraktion erfolgen könnte. Warum nicht? Das vorige Mal war es ja so, daß das Gesetz nicht mehr zum Tragen kam, weil die CDU/CSU und damals auch die FDP meinten, es solle nicht mehr verabschiedet werden.
({6})
Es ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, daß die CDU/CSU diese und andere Materien so fördert, wie sie das glaubt tun zu können. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß der Katalog von Wünschen, den Herr Barzel aufgestellt hat und den ich nicht wie Herr Strauß einen „Neckermann-Katalog" nennen möchte,
({7})
weitgehend mit den Vorhaben der Regierung selbst und der Koalition übereinstimmt.
Was die Gesamtwertung der Regierungserklärung in der ersten Runde angeht, so möchte ich darauf hinweisen, daß natürlich bei weitem nicht alle Wünsche der Ressorts und bei weitem nicht alle Anregungen aus der Bevölkerung darin ihren Niederschlag finden konnten.
({8})
Ich bitte um ein wenig Ruhe.
({0})
- Dann muß man sich besonders in Zucht nehmen, Herr Abgeordneter.
({1})
Ich höre: man darf nicht diffamieren. Dann darf man nicht zuvor andere diffamieren.
({0})
Eine Zwischenfrage für den Abgeordneten Leicht.
Herr Bundeskanzler, halten Sie es für richtig, daß Sie hier die Geister der Weimarer Zeit rufen,
({0})
die Sie und Ihre Partei, wie ich meine, doch nicht rufen sollten?
({1})
Nein, ich rufe nicht Geister. Ich warne davor und wehre mich gegen diesen Stil und diese Diffamierung.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Bundeskanzler, meinen Sie, daß Sie nach Ihrer Erklärung über den Abgeordneten Strauß noch ein Recht haben, hier über Stilfragen zu sprechen?
({0})
Ich habe festzustellen, daß der Abgeordnete Strauß im Ausland am 12. Oktober „gegen die Hirngespinste und die Wirklichkeitsfremdheit einiger westlicher, insbesondere westdeutscher Politiker" polemisiert und gemeint hat, „eine ganze Anzahl deutscher Sozialisten einschließlich ihres Vorsitzenden Willy Brandt" nennen zu müssen. Dabei gebe ich zu: dies ist überhaupt nichts und wiegt federleicht gegenüber dem, was ich Ihnen vorgetragen habe, dem Vorwurf des Ausverkaufs deutscher Interessen. Das darf nicht stehenbleiben, sondern davon müssen die Beteiligten ihrerseits sich absetzen.
({0})
Meine Damen und Herren, bei der Gesamtbewertung der Regierungserklärung sollte gesehen werden, daß bewußt viele Einzelheiten ihren Niederschlag gefunden haben, daß auf die Erklärung des Gesamtvorgangs später eingegangen werden kann und daß sich die Regierung jetzt selbst in die Pflicht nimmt, indem sie zu vielen Gebieten sagt, was sie für notwendig und möglich hält und wann sie Gesetzentwürfe einbringen oder sich durch Berichterstattung äußern wird, wobei es unbestritten ist, daß die Regierung nicht dem Parlament seinen Arbeitsrhythmus aufzwingen kann, und wobei es andererseits klar ist, daß sich die Regierung nach dem Grundgesetz dann, wenn sie es für richtig hält, an den Bundestag wenden darf.
Hier ist von den Anstrengungen für die 70er Jahre die Rede. Herr Dr. Barzel hat von diesen Anstrengungen gesprochen. Ich bin nicht der Meinung, daß es dabei nur um Ökonomie, nur um Technik und nur um das Geld geht,
({1})
sondern es geht sicher darum - ({2})
- Ich fange nicht neu an, sondern ich versuche, daß hier etwas zum Abschluß gebracht wird, und zwar von Anfang an,
({3})
und nicht draußen anders gesprochen wird als hier.
({4})
Es ist nebenbei gesagt auch nicht wahr, und man sollte in dieser Debatte nicht die Legende neu kultivieren, als sei diese Bundesrepublik in den ersten 50er Jahren gegen lauter Neins der SPD aufgebaut worden. Das ist einfach nicht wahr.
({5})
Das gilt zumal nicht für Europa und nicht für Frankreich. Diejenigen, die in bezug auf bestimmte praktische politische Schritte anderer Meinung waren als die damalige Mehrheit, hatten sich programmatisch und zur Person zu Europa und zur deutsch-französischen Aussöhnung durchgerungen, als einige andere dafür noch etwas mehr Zeit brauchten. Ich bin nicht dafür, daß hier diese Legende aufrechterhalten wird.
({6})
Ich bitte doch, den Redner nicht dauernd zu unterbrechen. Sie können sich zum Worte melden, Herr Abgeordneter.
({0})
Herr Abgeordneter Barzel hat beanstandet, daß ich dem Bundestag und der Debatte hier durch Interviews vorgegriffen hätte. Nun, es ist natürlich sehr schwer gewesen - für alle Beteiligten, denke ich, für mich jedenfalls auch -, so zu tun, als gebe es nicht einen Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung bis zum 28. September und der Debatte, die dann weitergeht.
Zweitens konnte man nicht gut erwarten - und das hat nun auch mit dem Punkt zu tun, der zu meinem Bedauern so viel Emotionen ausgelöst hat -, daß der einzige, der in einem solchen Übergangsstadium sich nicht äußert, während alle anderen sich äußern - in South Carolina und sonstwo -, derjenige ist, der mit der Regierungsbildung beauftragt oder seit Dienstag voriger Woche zum Kanzler gewählt worden ist. Ich glaube übrigens nicht, daß der Substanz der Regierungserklärung selbst und der Aussprache darüber wesentlich vorgegriffen worden ist.
({0})
Ich stelle fest, daß wir miteinander für Gespräche sind, gestützt auf das westliche Bündnis, gestützt auf vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den westlichen Verbündeten, daß wir für Gespräche sind mit dem Ziel, wenn es geht, Spannungen zwischen West und Ost in Europa abzubauen. Ich habe es so verstanden, daß auch der Führer der Opposition gesagt hat, er sei bereit, über alles zu sprechen. Ich denke, ich stimme mit ihm darin überein, daß alles, worüber man spricht, nur nach und unter den Regeln des Grundgesetzes und auf der Basis der Menschenrechte besprochen werden kann. Aber dies ändert doch nichts daran, daß zwanzig Jahre lang ein bloßes Betonen der Notwendigkeit, daß wir Freizügigkeit und ein europäisches Volksgruppenrecht und alle anderen Dinge, um die es geht, haben müssen, uns dem Ziel noch nicht wesentlich nähergebracht hat, um es vorsichtig zu sagen.
Ich habe mir ein Zitat von Theodor Fontane aus seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" eingesteckt. Da steht der Satz:
Auch das beste Recht, wenn es sich sträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis erbringen, daß es mehr ist als ein toter Buchstabe, als eine Last und ein Hemmnis.
Dieser Frage begegnen wir doch immer wieder,
({1})
wenn wir uns fragen, was man statt bloßer Sprüche über Wiedervereinigung - als ob es um das „Wieder" ginge, als ob es um die Wiederherstellung eines früheren Zustandes ginge - tun kann, die Lage zu entkrampfen, was man tun kann, um die europäische Friedensordnung voranzubringen, weil allein in deren Rahmen die Teile Deutschlands sich wieder aufeinander zu bewegen können, statt weiter voneinander weg getrieben zu werden.
({2})
Ich habe keine Illusionen. Herr Kollege Barzel hat Henry Kissinger zitiert. Ich darf sein Zitat durch das meine ergänzen. Er hat nämlich auch geschrieben: Die Hauptinitiative für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen West- und Osteuropa sollte von Europa selbst ausgehen.
({3})
So steht es bei Kissinger. Wenn das so ist und wenn es auch dort so gesehen ist, sind wir als Teil dieses Europa mit gefordert.
Wir verleugnen die Präambel des Grundgesetzes nicht, wenn wir uns auf die Lage einstellen, die in 25 Jahren Nachkriegszeit entstanden ist, um sie verbessern zu helfen, um sie durch eine europäische Friedensordnung für alle Staaten und Völker in Europa abwandeln zu können. Eine realistische Politik muß von den Realitäten ausgehen.
({4})
Herr Kollege Barzel hat nach dem Nichtverbreitungsvertrag gefragt. Es ist selbstverständlich nicht daran gedacht, in dieser Frage durch die Regierung eine Entscheidung zu fällen, bevor über die Große
Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu diesem Thema beraten worden ist.
({5})
- Daß darüber befunden werden wird, liegt auf der Hand. Das steht auch in der Regierungserklärung. Ich habe nur die Frage beantwortet, ob darüber etwa befunden werden würde, bevor im Hause debattiert worden ist. Ich sage, dies ist nicht beabsichtigt.
Zweitens. Hinsichtlich der europäischen Sicherheitskonferenz hat Herr Kollege Barzel an die Voraussetzungen und Bedingungen erinnert, die durch den Rat der Westeuropäischen Union formuliert wurden - ich muß schon deshalb für sie sein, weil ich selbst dabei war und sie mit formuliert habe -, sowie an die noch etwas präziseren Bedingungen des NATO-Rats vom April in Washington, die den Auftrag an den Ständigen Rat in Brüssel enthalten, an dieser Frage zu arbeiten. Deutschland ist mit dem Blick auf die nächste NATO-Ministerratskonferenz Anfang Dezember in Brüssel aktiv an dieser Arbeit beteiligt. Ich habe mich in den vergangenen Wochen gelegentlich darüber gewundert, daß der eine oder andere, der es hätte besser wissen müssen, sagte, entgegen einer anderen Regierungspolitik werde hier etwas in Fragen europäischer Sicherheit getan. Tatsache ist, daß wir wie die anderen NATO-Partner - gestützt auf den Beschluß vom April 1969 - im NATO-Rat in Brüssel mit dem Blick auf die Dezember-Konferenz aktiv und, wie ich meine, im ganzen konstruktiv an der Vorbereitung dieser Materie mitgewirkt haben.
Drittens hat der Kollege Barzel - sinngemäß - gefragt, ob nicht konkreter gesagt werden könnte, worüber mit Polen gesprochen werden sollte. Ich würde es im Augenblick nicht für zweckmäßig halten, das zu konkretisieren. Aber dieser Komplex gehört mit in den Gesamtkomplex der Fragen hinein, über die die Regierung mit der Opposition zu sprechen wünscht. Im Vorgriff darauf kann ich aber sagen, daß natürlich die Frage, was mit den Deutschen ist und wird, die in Polen leben, eines der Themen ist, die in jedes Gespräch mit der Volksrepublik Polen hineingehören.
({6})
Viertens hat Herr Kollege Barzel gefragt, ob ich zu dem stünde, was die vorige Regierung Ende Mai aus Anlaß des Kambodscha-Falles zu Papier gebracht hatte. Ich stehe zu dem, was diese Regierungserklärung enthält. Die gestern vorgetragene Regierungserklärung sagt - sie sagt es für uns und für andere mit -, daß die Frage, wie sich der andere Teil Deutschlands, die DDR, in der Welt darstellt, nicht zuletzt mit von dem abhängt, was Ostberlin, auch im innerdeutschen Bereich und hinsichtlich der innerdeutschen Zusammenhänge, tut. Für heute ist gesagt worden, daß wir jedenfalls - das ist keine Neuentdeckung, aber es war richtig, dies zu unterstreichen - nicht die Absicht haben, unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands um die Vorteile des wirtschaftlichen und des kulturellen Austauschs zu bringen. Das andere ist bewußt sehr
stark Ostberlin zugespielt. Allerdings möchte ich sagen, es war schon damals meine Überzeugung, und es ist auch heute meine Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland schlecht beraten ist, wenn sie irgendwo in der Welt ihre Flagge bloß deshalb einzieht, weil dort jemand von der DDR aufkreuzt.
({7})
Wenn wir dies allgemein erklärten, würde Ostberlin indirekt darüber bestimmen, wo wir vertreten sind. Die Bundesrepublik Deutschland aber muß ihre Interessen selbst interpretieren, selbst vertreten und selbst darüber bestimmen, wo und wie sie ihre Interessen vertreten läßt.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine
I Damen und Herren! Ich habe heute früh eingangs dem Herrn Bundeskanzler eine glückliche Hand gewünscht, Dies war offenbar nötig und leider - wie jedermann sichtbar - ohne Erfolg.
({0})
Es blieb dem Bundeskanzler vorbehalten, hier die Atmosphäre zu vergiften und mit Diffamierungen zu beginnen.
({1})
Mich macht um Deutschland besorgt, was ich hier an mangelnder Contenance,
({2})
an fehlendem Augenmaß und an zu schwachem Nervenkostüm habe erleben müssen, meine Damen und Herren.
({3})
Dies alles hat das deutsche Volk nicht verdient.
({4})
Ich beantrage, diese Sitzung bis 15 Uhr zu unterbrechen, und gebe folgende Begründung. Ich beantrage dies erstens, um dem Herrn Präsidenten des Hauses und um dem Bundeskanzler Gelegenheit zu geben, die Protokolle der letzten Minuten einzusehen,
({5})
zweitens, um Schaden vom deutschen Volk zu wenden,
({6})
und drittens, um über Mittag kühleren Köpfen Gelegenheit zu geben,
({7}) das Gift aus der Atmosphäre zu entfernen.
({8})
Ehe ich das Wort weitergebe, eine kurze Bemerkung.
({0})
Herr Kollege Barzel, wenn ich das Protokoll des Bundestages einsehe, brauche ich dazu nicht die Assistenz des Herrn Bundeskanzler.
({1})
- Sie sagten doch, wir beide sollten das Protokoll zusammen einsehen!
({2})
- Entschuldigung!
({3}) Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Präsident, ich widerspreche diesem Antrag des Herrn Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der CDU/CSU. Ich muß hier erklären, daß dies alles ganz bewußt herbeigeführt worden ist von den Herren, die hier so auftreten.
({0})
- Nein, nein, Sie kriegen mich nicht aus der Ruhe. Was Sie sich heute vorgenommen hatten, war genau das, was hier von Ihnen gespielt worden ist.
({1})
- Jawohl! Sie müssen noch lernen, sich mit Ihren Gegnern zu benehmen.
({2})
Wir geben Ihnen die Möglichkeit, aber Sie dürfen nicht glauben, daß wir sogar noch die Heuchelei Ihrer eigenen Provokationen ernst nehmen.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist ein Antrag gestellt worden. Zu diesem Antrag hat ein Mitglied des Hauses gesprochen, ein Mitglied des Hauses hat gegen diesen Antrag gesprochen.
({0}) - Zur Geschäftsordnung?
({1})
Zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Rasner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, von allem anderen abgesehen, Herr Wehner, daß es bisher immer der Übung des Hauses entsprochen hat, dem stattzugeben, wenn eine Fraktion um eine Unterbrechung der Sitzung bittet. Das war die Praxis der Geschäftsordnung. Ich möchte die Frage stellen, ob Sie eine zwanzigjährige bewährte Praxis hier zu ändern wünschen.
({0})
Es ist ein Antrag gestellt, und es ist gegen den Antrag gesprochen worden. Eine Einigung ist in diesem Hause nicht zu erzielen. Es ist offenkundig, wir müssen abstimmen. Wer für die Vertagung ist
({0})
- für die Unterbrechung -, möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Es ist nicht festzustellen, wo die Mehrheit liegt. Ich bitte, zum Hammelsprung zu schreiten. ({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich zu beeilen. Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, die Türen zu schließen. -Ich bitte, die Türen zu schließen.
({2})
Meine Damen und Herren, es wird mir mitgeteilt, daß eine Reihe von Kollegen draußen stehen und aus bestimmten Gründen nicht zur Türe kommen können.
({3})
Ich lasse die Türen wieder öffnen, die Auszählung geht weiter.
({4})
Meine Damen und Herren, ich muß die Abstimmung wiederholen lassen. Ich bitte, den Saal zu räumen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir wiederholen die Abstimmung. Ich bitte, den Saal zu räumen.
({6})
Vizepräsident Dr. Schmid
Die Anordnungen im Saal trifft der Präsident.
({7})
Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion zweifelt die Ordnungsmäßigkeit dieser Abstimmung an und bittet, sie zu wiederholen.
({0})
Ich bitte, den Saal zu räumen.
({0})
Ich bitte, den Saal zu räumen. - Sind überall Schriftführer an den Türen? Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, die Türen zu öffnen und mit der Auszählung zu beginnen. Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Mit Ja haben 219 Mitglieder des Hauses gestimmt, mit Nein 242. Der Antrag auf Unterbrechung ist damit abgelehnt.
Ich erteile dem Abgeordneten Stücklen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion bedaure ich außerordentlich, daß zum erstenmal im Deutschen Bundestag ein Antrag einer Fraktion auf Unterbrechung der Sitzung mit Kampfabstimmung abgelehnt worden ist.
({0})
Zweitens möchte ich die Bemerkungen des Bundeskanzlers, daß Herr Kiesinger und Herr Strauß an der Vereidigung nicht teilgenommen haben, deshalb zurückweisen, weil hier Gründe vorlagen. Ich erinnere aber daran,
({1})
daß in der 4. Sitzung des 4. Bundestages vom 14. November 1961 bei dem Aufruf des Punktes 3 der Tagesordnung - Vereidigung der Bundesregierung - alle Abgeordneten der SPD den Sitzungssaal verlassen haben.
({2})
Als Drittes möchte ich die Bemerkung des Kollegen Wehner zurückweisen. Wir haben diesen Eklat und diesen Affront nicht vom Zaun gebrochen.
({3})
Das, was Sie, Herr Wehner, hier nach der Methode „Haltet den Dieb!" vorgeführt haben, ist der Gipfel der Heuchelei, die wir jemals in diesem Hause erlebt haben.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit hat sich ja das ausgeglichen, sehr verehrter Herr Kollege.
Im übrigen galt das, was wir hier abgelehnt haben, lediglich der Begründung und nicht dem Wunsch einer großen Fraktion.
({0})
Meine Damen und Herren, im Sachlichen ist das Ziel erreicht, das durch den Unterbrechungsantrag angestrebt worden ist.
({0})
Es ist gleich 13 Uhr. Ich unterbreche die Sitzung.
Wir fahren heute nachmittag, 15 Uhr, fort.
({1})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich erteile zunächst zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung Herrn Abgeordneten Wehner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorwurf, den ich heute an die Seite der CDU/CSU-Fraktionskollegen gerichtet habe, ist vom Vorsitzenden der Fraktion der CDU/ CSU als auch gegen ihn persönlich gerichtet verstanden worden. Ich ziehe diesen Vorwurf mit Bedauern zurück und bitte um Entschuldigung.
({0})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich im Namen des Hauses den beiden Fraktionsvorsitzenden danken darf.
Wir fahren nun in der Sachdebatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß. Es folgt ihm der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mein Bedauern aussprechen und Sie um Verständnis bitten. Ich war im Laufe der letzten Tage gezwungen und werde in den kommenden Wochen gezwungen sein, das, was ich im Laufe der letzten Wochen gröblich vernachlässigt habe, nachzuholen, nämlich etwas zur Heilung meiner Unfall70
folgen zu tun. Nur aus diesem Grunde bin ich heute morgen nicht hier gewesen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und dafür Verständnis zu haben. Ich habe nicht nur dem Hause gegenüber, sondern auch noch in einem anderen Bereich Pflichten, die ich im Augenblick etwas stärker in den Vordergrund stelle, als ich das im Laufe der letzten acht Wochen getan habe.
({0})
- Ich wünsche Ihnen nicht, daß Ihnen das gleiche passiert. Sonst würden Sie wahrscheinlich Gott auf den Knien dafür danken, daß Sie bisher davon verschont geblieben sind.
Es ist auch nicht meine Absicht, in Fortsetzung der Debatte von heute morgen und nach der Entschuldigung des Herrn Wehner und der Annahme durch den Kollegen Barzel hier etwa 01 ins Feuer zu gießen. Aber es ist meine Absicht, zu einigen der hier - ich glaube, in diesen Räumen des Bundestages zum erstenmal seit dem Jahre 1953, also nach dein Ende der ersten Legislaturperiode - umhergeisternden Parolen oder Ausdrücken, die zum Teil auch im Zusammenhang mit meiner Person stehen, wenige Worte zu sagen.
In mehrfachem Zusammenhang ist das Wort „nationalistisch" gebraucht worden. Ich möchte nicht alle Zitate, die verfügbar sind, hier strapazieren, sondern mich mit dem Sammelbegriff „nationalistisch" begnügen.
Ich darf hierzu ein persönliches Bekenntnis ablegen. Seit ich überhaupt mit politischen Vorgängen in Berührung gekommen bin - das war Ende der Weimarer Republik -, habe ich bis zur Stunde - und die Meinung habe ich noch nicht geändert; andere Meinungen mußte ich gelegentlich ändern - den Nationalismus für den Totengräber unseres Volkes und Europas gehalten und habe das auch in den zwölf Jahren, in denen es gefährlicher war als heute, so etwas zu sagen, im Inland überall, wo ich konnte und es ohne Lebensgefahr tun konnte, zum Ausdruck gebracht.
({1})
Ich bin auch heute noch der Meinung, daß das Wiederaufleben nationalistischer Ideen bei uns und anderswo - ich muß das sagen dürfen: bei uns und anderswo - und die rücksichtslose Verfolgung nationaler Interessen durch verkrustete administrative Strukturen oder rückständige Politiker eines der ernstesten Hindernisse auf dem Wege zur europäischen Einigung darstellt, deren leidenschaftlicher -- und in dem Zusammenhang möchte ich einmal ausnahmsweise sagen: fanatischer - Anhänger ich seit meinen jüngsten Jahren gewesen bin und heute angesichts der Zeichen der Zeit mehr denn je bin.
({2})
Ich bitte auch um Verständnis dafür, wenn ich sage, daß das, was der einzelne von uns in diesem Hause als national empfindet oder für national erachtet, von ihm nach seinem eigenen besten Wissen und Gewissen definiert und formuliert werden muß. Es kann niemand in diesem Hause - auch der
Herr Bundeskanzler nicht - sagen: was als national vertreten werden kann, wird von mir bestimmt.
({3})
Ich bin durchaus der Meinung, daß ein anderer das Recht hat, etwas anders aufzufassen, als ich es auf- fasse, und ich nehme das gleiche Recht für mich in Anspruch. Der eine mag die Vertretung dieser oder jener Richtung, die Vertretung dieser oder jener Interessen für national legitim halten, und der andere mag sie für nicht legitim halten. Das ist eine Auffassungsfrage. Aber wir sollten uns gegenseitig hier kein neues Brandmal aufprägen,
({4})
indem man in einer manchmal oft doch sehr wenig befriedigenden Selbstgerechtigkeit dem anderen etwas aufdrückt, was ihm einen Stempel verleiht, der im Inland ihn in die Nähe falscher Freunde drückt
({5})
und im Ausland eben dann sowieso Arger anrichtet.
({6})
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, daß ich überall, auch in der größten Hitze des Wahlkampfes, als Sie mich mit einer Flut von Verbalinjurien - siehe München! -überschüttet haben - die mich, nebenbei, in keiner Weise geärgert haben;
({7})
wenn Sie meine Antwortrede vor einem etwa gleich großen Auditorium gehört hätten, hätten Sie sich bei Ihrem Sinn für Humor darüber sogar noch gefreut, nehme ich an -,
({8})
in allen Versammlungen, wo falsche Propheten aufstanden und Sie in die Nähe kommunistischer Gedankengänge gerückt haben, gesagt habe - was unzählige Zeugen beweisen können -: Ich verwahre mich dagegen, daß mein Kollege Brandt oder daß der Vorsitzende einer großen demokratischen Partei, den ich heute scharf kritisiert habe, in die Nähe solcher Überlegungen gerückt oder in einem solchen Zusammenhang genannt wird; dafür gibt es weder objektive Anzeigen, noch hat er es subjektiv verdient.
({9})
Und genau dasselbe sollte vice versa geschehen, wenn bei Ihren oft sehr eifrigen Helfershelfern - solchen, die Sie kennen, und solchen, die Sie nicht kennen; auch ich habe manche, die mir Ärger machen -,
({10})
dann dasselbe von mir im Zusammenhang mit dem Begriff „nationalistisch" geschieht. Das wollte ich in diesem Zusammenhang gesagt haben. Auch Sie, sehr geehrter Bundeskanzler, wissen ganz genau, daß einer Ihrer Hauptmitstreiter - vielleicht sogar Mitformulierer der Regierungserklärung, wenn ich an gewisse stilistische Formulierungen denke ({11})
den damaligen Bundeskanzler in einer amerkanischen Fernsehsendung öffentlich in einer Weise beschimpft hat, wie es deutschen Interessen nur abträglich sein konnte.
({12})
Erstens hat der Mann das nicht verdient, und zweitens ist dieses Programm vor Millionen von amerikanischen Fernsehzuschauern abgelaufen und in sämtlichen Korrespondenzen und Nachrichtendiensten rund um die Welt gegangen. Er selber hat in Deutschland keinen Schaden daran genommen; er hat auch im Ausland bei seinen Freunden keinen Schaden genommen. Aber solche Dinge tragen dann zur Verhärtung eines Vorurteils bei, dessen Opfer wir alle sind, wenn wir legitime nationale Interessen zu vertreten haben.
({13})
Deshalb fällt mir auch keine Perle aus der Krone, wenn ich sage, daß das von mir verwendete Manuskript gegen Sie nichts anderes enthielt als das, was ich an sich immer im Zusammenhang mit bestimmten Vorgängen gesagt habe, nämlich daß mir bestimmte Denkweisen und Ziele illusionär erscheinen. Wenn das Wort „illusionär" in der Übersetzung mit „pipedream" kommt und von dort als „Hirngespinste" zurückkommt, so möchte ich ausdrücklich versichern, Herr Bundeskanzler, daß ich das Wort „Hirngespinste" in deutscher Sprache oder in englischer Sprache gegen Sie nicht verwandt habe und nicht verwenden würde, auch wenn man in einigen Einzelfragen, die im Zusammenhang mit dieser Debatte nicht von mir vertreten werden, sicherlich verschiedener Meinung ist, u. a. auch in der Frage zweier deutscher Staaten und in der Frage unseres Anmarschweges zur europäischen Sicherheitskonferenz und europäischen Friedensordnung. Aber das wollte ich ausdrücklich gesagt haben, damit hier keine falschen Vorstellungen bestehen. Wenn man sich über dieses oder jenes ärgert, so darf ich sagen, daß ich nach der an sich sehr kurzen Passage in meiner längeren Rede in South Carolina ja in den Pressediensten der beiden heutigen Regierungsparteien heftig kritisiert worden bin. Ich habe in unserem Pressedienst darauf geantwortet. Aber das ist doch nicht Gegenstand parlamentarischer Verhandlung. In diesem Hause habe ich, Herr Kollege Brandt, im Zusammenhang mit Ihnen nie einen Ausdruck gebraucht, um dessentwillen ich mich nach § 36 der Geschäftsordnung hier vor diesem Hohen Hause hätte entschuldigen müssen. Was in den Parteikämpfen, was in Reden, was in Korrespondenzen und Parteiorganen, die wir alle nicht unter Kontrolle haben, oft an gegenseitigen Vorwürfen erhoben wird, das mag auch weiterhin außerhalb dieses Hauses im Rahmen der möglichen Grenzen - ({14})
- Aber natürlich! Wollen Sie vielleicht haben, daß alles, was von sozialdemokratischer Propaganda außerhalb dieses Hauses verbreitet wird, von uns hier zur Sprache gebracht wird?
({15})
Dann müßten Sie mich allein acht Tage lang anhören, um dann vier Wochen erwidern und sich entschuldigen zu können.
({16})
Deshalb möchte ich sagen, daß wir in bestimmten Sachfragen durchaus verschiedener Meinung sind. Ich verhehle auch nicht, daß ich über den Wandel vom September 1968, als noch die damaligen Regierungsparteien in schroffster Weise die Anerkennung der Existenz von zwei deutschen souveränen Staaten leidenschaftlich abgelehnt haben, bis zu der neuen Formel, die ohne Absprache mit der heutigen Oppositionspartei entstanden ist und uns per Rundfunk und Fernsehen bekanntgeworden ist, tief erschüttert war. Das geht sicherlich nicht nur mir so, sondern das geht auch einer ganzen Reihe von Bürgern in unserem Volk so, nicht zuletzt den Mitgliedern der Fraktion, der ich angehöre. Es gäbe noch eine Reihe weiterer Beispiele dieser Art.
({17})
Ich habe mich nur dagegen verwahrt, in die Nähe einer Richtung gerückt zu werden, der ich in meinem Leben nie nahegestanden habe,
({18})
gerade angesichts der Tatsache - und ich darf das ruhig einmal sagen, ohne als sentimental gelten zu wollen -, daß ich aro 30. Januar 1933 nachmittags von meinem Vater, der ein kleiner Mann war, der nicht zu den Größen der Gesellschaft, heute würde man sagen: nicht zum Establishment gehörte, mit der Frage empfangen worden bin: „Weißt Du, daß heute der Hitler Reichskanzler geworden ist?" - Ich sagte: „Nein, das weiß ich noch nicht." - Da sagte er mir: „Da sage ich Dir eines: das bedeutet Krieg, und dieser Krieg bedeutet den Untergang Deutschlands."
Aus dieser Meinung heraus bin ich sechs Jahre vor dem Krieg durch die damaligen Schulen und Universitäten gegangen, weil ich keine andere Möglichkeit hatte. Ich nehme es niemandem übel, der andere Möglichkeiten hatte; das habe ich immer gesagt. Ich hätte gern noch andere Möglichkeiten wahrgenommen. Ich bin dann sechs Jahre in diesem Krieg einfach dem Gestellungsbefehl gefolgt.
Deshalb war ich natürlich auch betroffen, Herr Bundeskanzler, als Sie - wenn Sie schon außenstehende Dinge zitieren - bei der bekannten Fernsehsendung sagten, Sie seien Europäer gewesen, als andere noch das Lied gesungen hätten: „Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen, sterben als ein tapfrer Held". Ich bin damals auch Europäer gewesen. Ich habe mit blutendem Herzen gesehen, wie dieser Krieg Millionen von Menschen verschlungen, wie er Dutzende von Städten zerstört, wie er Hunderte und Tausende von Dörfern vernichtet hat. Aber wir sollten doch endlich, was die Vergangenheit betrifft - das war ja auch der Sinn der Großen Koalition -, einen dicken Schlußstrich unter alles ziehen, was gewesen ist.
({19})
Sie werden von mir noch nie gehört haben, daß ich Ihren anderen Lebensweg Ihnen öffentlich oder
im kleinen Kreise vorgehalten habe. Aber ich möchte auch nicht erleben, daß der Lebensweg, den ich gar nicht freiwillig gegangen bin, sondern der mir in jenen Jahren reglementiert, und zwar vom Atlantik bis zur Wolga und wieder zurück, vorgeschrieben worden ist, mir etwa noch als eine Belastung vorgehalten wird.
({20})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe natürlich nicht nur mit großem Interesse, sondern auch mit Befriedigung gehört, was der Vorsitzende der Christlich-Sozialen Union, Herr Kollege Dr. Strauß, zu dem in der Tat auch häufig mißverstandenen und mißverständlich angewandten Begriff des Nationalismus und in Verbindung mit der Rede in South Carolina gesagt hat. Ich nehme das so hin, wie es ist, und gehe davon aus, daß der Text, den ich hatte, dann das nicht richtig wiedergibt. Ich habe nicht einen Text der Übersetzung aus dem Englischen gehabt. Aber für mich genügt das, was dazu gesagt worden ist.
Ich habe nicht die Absicht gehabt, Herrn Kollegen Strauß zu diffamieren, als ich über sein Votum in der Frage der Aufwertung der Deutschen Mark sagte, daß auch andere als sachliche, ganz auf die Sache bezogene Erwägungen eine Rolle gespielt haben könnten. Ich habe damit gemeint - und muß das hier erklären dürfen -, daß meiner Überzeugung nach dabei die europapolitischen und die auf das Weltwährungssystem bezogenen Gesichtspunkte zu kurz gekommen sind und daß dies zu einer Entscheidung mit beitrug, von der ich glaube, daß sie unrichtig war, so wie andere guten Grund gehabt haben, etwas anderes zu glauben.
Meine Damen und Herren, auf Presseäußerungen, die heute Vormittag eine Rolle gespielt haben, werde ich an anderer Stelle zurückkommen. Ich möchte nur sagen, während dieser Mittagspause hat mich die dpa-Meldung erreicht, Herr Kollege Strauß, die lautet:
Das vom früheren Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß herausgegebene CSU-Organ ,Bayernkurier' erschien am Mittwoch
- das ist heute mit der über die ganze Seite reichenden Schlagzeile ,Brandt als Kanzler des Ausverkaufs'.
({0})
Das wußte ich heute morgen gar nicht, sondern heute morgen stützte ich mich auf die Nummer, in der die Überschrift lautete: „Ausverkauf begonnen" In der ersten Passage heißt es dann, dies und das sei gegen die, die hier die Regierung gebildet haben, nötig, „damit die deutschen Interessen nicht für ein schäbiges Butterbrot veräußert werden". Zweitens heißt es, die SPD sei zu schlapp, „gegen das
zweite Versailles, gegen den programmierten Untergang deutscher Wirtschaftskraft Front zu machen".
({1})
Drittens: „Aber Brandt wird als Verzichtskanzler geschichtsmächtig werden."
({2})
Viertens heißt es schließlich: „Die Koalition von FDP und SPD wird das historische Verdienst haben, die Bundesrepublik an den Eingang zum Sowjetsystem gerückt zu haben."
({3})
Herr Kollege Strauß, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie sich damit nicht identifizieren, aber da, wie auch die dpa-Meldung wieder deutlich macht, dieses Blatt in Ihrer Verantwortung herausgegeben wird, wäre es - auch der künftigen Zusammenarbeit in diesem Hause wegen - gut, wenn deutlich würde, daß das Blatt, obwohl in Ihrer Verantwortung herausgegeben, insoweit nicht Ihre Auffassung wiedergibt.
({4})
Im übrigen gehe ich meinerseits davon aus, daß kein Mitglied des Deutschen Bundestages eine Politik im Sinne Hugenbergs treiben will, wobei für den geschichtlich Interessierten sogar noch hinzuzufügen wäre, daß gewiß auch dieser Politiker der Weimarer Zeit eine nuanciertere Beurteilung verdient haben könnte, als sie einem manchmal selbst unterläuft. Aber das mag auf sich beruhen. Ich erkläre noch einmal die Bereitschaft der ganzen Bundesregierung zur sachlichen und offenen Zusammenarbeit mit allen Fraktionen des Hauses.
({5})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe eben von Herrn Bundeskanzler Brandt gehört, was in einem früheren Artikel des „Bayernkurier" stand und was in der heutigen dpa-Meldung steht. Ich erkläre hier ausdrücklich, genausowenig wie heute in katholischen Kirchenzeitungen weder der Kardinal noch der Weihbischof noch der Generalvikar mehr Einfluß auf Redakteure hat, was diese mir ausdrücklich bestätigt haben, habe ich diesen Einfluß beim Bayernkurier, beim Parteiorgan der CSU, weil sich auch dort zur Zeit etwas zu viel an Demokratisierung der Gesellschaft und Abbau der Autorität vollzieht.
({0})
Herr Bundeskanzler, ich erkläre zweitens, daß ich mit diesen Formulierungen und den darin zum Ausdruck gebrachten Wertungen nicht übereinstimme, sondern, nachdem ich es heute nacht sorgfältig durchgelesen habe, genau das billige, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Rainer Barzel, in dem außen-, deutschland- und ostpolitischen Teil seiner Rede zu Ihrer Regierungserklärung verkündet hat.
Drittens möchte ich ausdrücklich um folgendes bitten. Setzen auch Sie sich bitte in Zukunft als Bundesparteivorsitzender der SPD gegenüber Ihren Organen und den Ihnen nahestehenden Organen, den Hilfstruppen, dafür ein, daß die Dinge richtig wiedergegeben werden, damit solches weder auf der einen noch auf der anderen Seite geschieht. Ich könnte Ihnen hier eine Serie von Beispielen auf den Tisch legen, angesichts deren Sie schamrot würden,
({1})
dann haben Sie mich, auch in Stilfragen, zum Bundesgenossen.
({2})
Präsident von Hassel: Meine verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß in diesen letzten 25 Minuten mit den Erklärungen, die wir gehört haben, im großen und ganzen die Spannung, die heute mittag zwischen 12 und 13 Uhr entstanden war, ausgeräumt worden ist und daß wir nunmehr in die Sachdebatte eintreten können. Dabei ist der Wunsch der Opposition, der CDU/CSU-Fraktion, zum Ausdruck gekommen, daß wir mit dem großen Komplex der Außenpolitik, der Deutschlandpolitik und der Verteidigungspolitik beginnen. Ich erteile dazu zunächst dem Herrn Bundeskanzler a. D., Dr. Kurt Georg Kiesinger, das Wort.
({3}) Es folgt ihm dann der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich als Bundeskanzler der Großen Koalition in der Bewahrung des Friedens geübt, und ich habe daher heute morgen meine Wortmeldung zurückgezogen, als es in diesem Saal turbulent zu werden begann. Ich freue mich, daß das, was sich übel angelassen hat, nun durch die verschiedenen Erklärungen behoben zu sein scheint. Ich meine, wir sollten da wieder ernsthaft anknüpfen, wo uns gesagt wurde, daß wir gegenseitig gute Nachbarschaft üben sollten. Das gilt dann allerdings für beide Teile.
({0})
Ich freue mich, daß ich zum erstenmal - es gibt nicht nur weinende Augen, Herr Kollege Wehner - wieder Gelegenheit habe, als Mitglied dieses Hohen Hauses von demselben Platz aus, den ich im Jahre 1958 verlassen habe, die Geschehnisse, die Reden, die Debatten hier zu verfolgen und dann und wann die paar Schritte hier herauf zu machen, um auch mein Wort zum Geschehen zu sagen. Dies ist eine wirkliche Freude, denn ich habe es in all den Jahren vermißt, nicht mehr Mitglied dieses Hohen Hauses zu sein.
Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung enthält vieles - ich will es schlicht und einfach sagen -, wozu wir ja sagen können. Das erklärt sich daraus, daß vieles von dem, was gesagt wurde, eine Fortführung der Politik der Großen Koalition ist und sein wird, und das ist gut so. Ich möchte gleich von vornherein folgendes erklären:
Man muß in Koalitionen oft Kompromisse schließen. Man würde oft gerne etwas anders machen, als man mit einem anderen zusammen tun kann oder tun muß. Seien Sie aber davon überzeugt, daß wir in allen entscheidenden Dingen, die sich in den drei vergangenen Jahren ereignet haben, daß wir, was alle Entscheidungen dieser vergangenen drei Jahre betrifft, keineswegs gedenken, etwa auf frühere Positionen oder frühere vermeintliche Positionen zurückzufallen. Das, was unter meiner Führung der Bundesregierung, unter meiner Kanzlerschaft entschieden worden ist, ist mit von mir entschieden worden und mit von meiner Fraktion getragen worden, und das wird auch so bleiben und festgehalten werden.
({1})
Daß diese Regierungserklärung so vieles enthält, wozu man sein Ja sagen muß, mag auch daher kommen, daß manches heiße Eisen für die neue Koalition schwierig anzufassen ist
({2})
und natürlich - Sie sagen es - ausgeklammert worden ist. Dafür habe ich volles Verständnis nach gewissen Erfahrungen, die hinter mir liegen, meine Damen und Herren. Aber wir werden es ebenso zu machen versuchen, wie es die frühere Opposition getan hat. Wir werden natürlich versuchen, Sie dazu zu bringen, das eine oder das andere eben nicht auszuklammern, sondern anzupacken, damit dieses Volk weiß, wohin die Fahrt gehen soll.
Ich habe heute früh die Auseinandersetzung darüber verfolgt, daß Sie, Herr Bundeskanzler, kein Wort über Ihre Vorgänger gefunden haben, und ich habe Ihre Erklärung dazu mit Zustimmung gehört. Ich bin meinem Freund Dr. Barzel dankbar, daß er von uns und für uns dieser vergangenen drei Jahre und meines Anteils an diesen drei Jahren gedacht hat.
Aber, Herr Mischnick, wenn Sie meinen, ich hätte seinerzeit nichts zu meinem verehrten Vorgänger Ludwig Erhard gesagt, dann darf ich Sie daran erinnern, daß gleich die zweite Zeile der Regierungserklärung besagt, Ludwig Erhard habe vom deutschen Volk durch die vorangegangene Bundestagswahl einen eindrucksvollen Vertrauensbeweis erhalten. Ich bin ganz überzeugt, mein Freund Dr. Barzel wäre durchaus befriedigt gewesen, wenn dieselbe Aussage im Blick auf diese Wahl von mir gemacht worden wäre.
({3})
Meine Damen und Herren, seien Sie davon überzeugt, daß die stärkste Opposition, die es je in diesem Hause gegeben hat - und das sage ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, im besonderen -, nicht versuchen wird, Sie und Ihre Regierung bei irgendeiner Sache zu hemmen oder zu hindern, die wir für gut und richtig, dem Wohle unseres Volkes, der Sache des Friedens und der Freiheit in der Welt dienlich halten; im Gegenteil, wir werden Sie dabei unterstützen.
({4})
Sie haben gemeint, unsere parlamentarische Demokratie habe zwanzig Jahre nach ihrer Gründung ihre Fähigkeit zum Wandel bewiesen und damit ihre Probe bestanden. Ich will nicht länger darin herumstochern. Aber immerhin muß ich Sie daran erinnern, daß Sie, jedenfalls was die Wahlen angeht, darin unrecht haben. Wenn da und dort im Ausland Leute, die unsere Verhältnisse nicht kennen, etwas Derartiges geschrieben haben, so sollte Ihnen das nicht unterlaufen. Es ist Ihnen gelungen, eine Regierung zu bilden, nicht wegen des Ausgangs der Wahlen - denn diese haben die CDU/CSU wieder klipp und klar an die Spitze aller politischen Gruppen in diesem Lande gestellt -, sondern deswegen, weil eine nahezu hoffnungslos geschlagene Partei Ihnen Koalitionshilfe geleistet hat.
({5})
ich will nicht darüber reden, warum diese Partei, obwohl sie einsehen mußte, daß meine Mahnung und Warnung, die ich dem Vorsitzenden dieser Partei gegenüber vor einem Jahr ausgesprochen habe, richtig war, daß nämlich seine Politik diese Partei zerstören werde, trotzdem den Weg fortgesetzt hat. Das ist ihre Sache. Wir haben im Jahre 1966 der FDP ein Koalitionsangebot gemacht. Sie hat es abgelehnt. Ich selbst - das weiß jedermann - bin damals nach Bonn gekommen, nicht um eine Große Koalition, deren Problematik mir durchaus deutlich vor Augen stand, zu bilden, sondern um den Versuch zu machen, die Koalition mit der FDP weiterzuführen.
Ich habe auch dieses Mal - allerdings stand klar fest, daß eine Fortsetzung der Großen Koalition der gegebenen Lage nach nicht in Betracht kommen konnte der FDP ein durchaus ehrliches und seriöses Koalitionsangebot gemacht.
({6})
- Ja, so ist es gewesen. Meine Damen und Herren, wie liegen denn die Dinge? Ich habe der FDP mein Angebot gemacht zu einem Zeitpunkt, als die Hochrechnungen der Demoskopen fast eine absolute Mehrheit der CDU anzeigten. Ich habe es in dem Augenblick gemacht, weil es in den 70er Jahren, wenn wir einmal die Möglichkeit beiseite stellen wollen, daß eine der beiden großen Parteien eine absolute Mehrheit erringt, die ihr eine Alleinregierung ermöglicht, nur die- Alternative gibt - wenn die FDP dann noch weiter existiert - einer Koalition zwischen SPD und FDP und einer Koalition zwischen CDU und FDP. Das ist das Angebot gewesen. Ich habe mit diesem Angebot keinerlei Einzelheiten verbunden, die verdient hätten, als unseriös bezeichnet zu werden. Aber das sind vergangene Dinge, meine Damen und Herren. Nachdem die FDP hinterher das getan hat, was der Vorsitzende der FDP in der bekannten Fernsehdiskussion angekündigt hat: nach seinem und seiner Freunde Willen müsse die CDU, die angeblich verbraucht sei - ich habe ihm dann gesagt, ich wüßte nicht, wer wirklich in diesem Lande als Partei verbraucht sei -, in die Opposition, da haben wir, da habe ich den Fehdehandschuh aufgenommen. Sie haben uns den Krieg erklärt, und diesen Krieg gegen Sie werden wir mit allem Nachdruck führen, meine Damen und Herren.
({7})
Wir werden auch diesen Krieg fair führen, d. h. mit den Mitteln, die Politikern erlaubt sind.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben heute früh gesagt, die deutsche Demokratie habe dadurch, daß sie ihre Fähigkeit zum Wandel bewiesen habe, in der Welt Vertrauen gewonnen. Ich würde nicht so rasch gewisse Äußerungen, die man in ausländischen Zeitungen lesen oder von einigen ausländischen Politikern hören konnte, als bare Münze übernehmen. Würden Sie etwa bereit sein, Schweden ein undemokratisches Land zu nennen, das kein Vertrauen in der Welt genieße, obwohl in Schweden von 1937 an ständig ein sozialdemokratischer Ministerpräsident die Regierung geführt hat? Ich jedenfalls - und Herr Kollege Wehner ganz bestimmt auch - würde Schweden diesen Mangel an demokratischer Fähigkeit nicht bestätigen.
({8})
Sie wissen genau, Herr Bundeskanzler, daß der Begriff „Ausland" sehr vielschichtig ist. Auch im Ausland wohnen Menschen mit ihren eigenen Interessen und mit ihren Egoismen. Manches, was wir tun, mag im Ausland gefallen. Deswegen ist das noch lange nicht ein Beweis des Vertrauens in uns. Sicher hat z. B. die Aufwertung manchen im Ausland gefallen und Zustimmung erworben.
({9})
Aber ich würde das nicht ohne weiteres in die Kategorie des Vertrauens, sondern bei vielen in die Kategorie des wohlverstandenen Eigeninteresses eingliedern.
({10})
Im übrigen darf ich bei der Gelegenheit zu diesem Komplex Aufwertung noch eines sagen. Herr Bundeskanzler, als wir gemeinsam gegen die extremistischen Gruppen in unserem Lande antraten, haben auch wir von der CDU/CSU uns natürlich sehr genau überlegt, was wir taten. Wir wußten z. B., daß eine Aufwertung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der NPD Wasser auf ihre Propagandamühlen unter den Bauern geliefert hätte.
({11}) Das wissen Sie doch alles ganz genau.
({12})
Wenn Sie ehrlich sind, können Sie das nicht leugnen. Meine Damen und Herren, wenn der NPD nur ein halbes Prozent zugeflossen wäre, dann hätten wir in diesem Hause eine taktische Situation gehabt, in der keine Regierung gegen die CDU/CSU hätte gebildet werden können. Wir haben das gewußt und haben trotzdem unseren Kampf gegen die NPD geführt.
({13})
Man sollte uns das, glaube ich, wenn wir in Zukunft schon gute Nachbarn sein wollen, auch von Ihrer Seite zugute halten.
Herr Bundeskanzler, Sie betrachten sich, wie ich las und wie ich hörte, als einen Kanzler der inneren Reformen. Vielleicht darf ich sagen, daß vieles von dem, was Sie an Reformen angekündigt haben, schon angelegt war und in der Regierung der Großen Koalition begonnen worden ist, in der gemeinsamen Regierung, in der wir - Sie selbst haben es bestätigt - gemeinsam bedeutende Erfolge errungen haben. Da ist vieles in Aussicht gestellt, was gut sein mag, besonders dann, wenn wir Konkreteres darüber vernehmen werden. Vieles ist darin vielen versprochen worden. Sie werden darauf achten müssen, daß diese Versprechen in Einklang mit der soliden Finanzpolitik bleiben, die Sie in der Regierungserklärung angekündigt haben. Sonst könnte es leicht geschehen, daß sich entweder diese Finanzpolitik oder diese Versprechungen als unsolide erweisen.
({14})
Sie haben uns eine Reihe von Berichten angekündigt und gesagt, damit würden das Parlament und die Öffentlichkeit im ersten der 70er Jahre ein umfassendes Bild der Reformpläne der Regierung gewinnen können. Gut, wir werden es abwarten, und wir werden sehen, was wir unterstützen können und was wir bekämpfen müssen.
In Ihren Erklärungen zur Außenpolitik - und vor allem dazu möchte ich in dieser Stunde das Wort nehmen - gebrauchen Sie die beiden Begriffe „Kontinuität" und „konsequente Weiterentwicklung". Was „Kontinuität" anlangt, so habe ich Ihnen eben die Versicherung abgegeben, daß die CDU/CSU nicht auf alte oder vermeintlich alte - Sie selbst haben ja auf die Friedensnote der Regierung Erhard hingewiesen - Positionen zurückfallen werde, sondern daß sie zu dem stehen werde, was in den letzten drei Jahren unter der Regierung der Großen Koalition geschehen ist. Wenn ich Ihr Bekenntnis zur Kontinuität so auslegen dürfte, dann wäre ich froh, 1-lerr Bundeskanzler.
Aber meine Sorge beginnt bei dem Wort „konsequente Weiterentwicklung". Nicht nur, weil es ein vages Wort ist, ein Wort, das vieles verschleiern könnte, sondern weil diesem Wort in Ihrer Regierungserklärung zugleich Ankündigungen folgen, die mir tiefste, tiefste Sorge machen. Ich habe Ihnen das, als ich Ihnen mein Amt übergab, gesagt. Sie wissen aus den vergangenen Jahren, wie ich mich beständig bemüht habe, unsere Politik, insbesondere unsere Ost- und Deutschlandpolitik, auf der Linie zu halten, die in unserem gemeinsamen Regierungsprogramm gezogen worden ist, und nicht zuzulassen, daß davon gefährlich abgewichen wurde. Das hat mich manchmal recht schwere, recht lange und recht zähe Anstrengungen und Auseinandersetzungen gekostet, wie Sie wissen.
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang, weil denn schon von Kontinuität die Rede ist, an unsere gemeinsame Regierungserklärung, die von der Koalition gebilligt worden ist, erinnern. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich damals sagte, wir seien unseren Verbündeten dafür dankbar, daß sie unseren Standpunkt in der Frage unseres geteilten Volkes und seines Rechtes auf Selbstbestimmung unterstützen. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich damals sagte, auch in dieser für unser Volk so entscheidend wichtigen Frage gehe es uns um Frieden und um Verständigung; wir seien keine leichtfertigen Unruhestifter, denn wir wollten ja gerade den Unruheherd der deutschen Teilung, die auch eine europäische Teilung sei, durch friedliche Verständigung beseitigen und unserem Volke seinen Frieden mit sich und der Welt wiedergeben. Und dann kam ein ganz entscheidender Satz, den ich in Ihrer Regierungserklärung und schon eine geraume Zeit zurück in Ihren Erklärungen als Außenminister vermißt habe. Dieser Satz lautete: „Auch diese Bundesregierung betrachtet sich als die einzige deutsche Regierung, die frei, rechtmäßig und demokratisch gewählt und daher berechtigt ist, für das ganze deutsche Volk zu sprechen."
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Ich habe dann sofort hinzugefügt, das bedeute nicht, daß wir unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands, die sich nicht frei entscheiden können, bevormunden wollen; und wir haben uns gemeinsam vorgenommen, dafür zu sorgen, daß während der Trennung, soviel an uns liegt, die beiden Teile unseres Volkes sich nicht auseinanderleben. Wir wollten entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen.
Dazu, so erklärte ich, seien wir auch bereit zur Aufnahme von Kontakten zwischen Behörden der Bundesrepublik und solchen im anderen Teil Deutschlands. Wo dies notwendig sei, bedeute dies - und nun bitte ich genau hinzuhören - keine Anerkennung eines zweiten deutschen Staates; darum würden wir diese Kontakte von Fall zu Fall so handhaben, daß in der Weltmeinung nicht der Eindruck erweckt werden könne, als rückten wir von unserem Rechtsstandpunkt ab.
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Herr Bundeskanzler, die Landschaft hat sich inzwischen bedenklich verändert. Dr. Barzel hat heute früh schon an das Grundgesetz, an die großen Daten des 25. September und des 30. Mai erinnert, er hat unseren gemeinsamen Beschluß noch am Ende unserer Koalition erwähnt zur Deutschland-Frage, zum Recht der Selbstbestimmung und zu unserem Verhalten gegenüber Staaten, die die DDR anerkennen und insofern im negativen Sinne eine Art Entscheidung über dieses Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes vorwegnehmen. Von alledem spüre ich in Ihrer jetzigen Erklärung zu meiner größten Sorge nicht mehr viel. Es wird im Gegenteil kurz und bündig von zwei Staaten gesprochen, die in Deutschland existieren. Ich muß diesen Satz im Zusammenhang mit vielen anderen Äußerungen außerhalb dieses Hauses sehen, vor allem auch mit einer Äußerung Ihres heutigen Außenministers eben in jenem Fernsehgespräch der Parteivorsitzenden wenige Tage vor der Bundestagswahl, in dem er sagte, die FDP habe nichts dagegen einzuwenden, daß andere Staaten mit der DDR Beziehungen aufnähmen, und das heißt ja: sie völkerrechtlich anerkennen.
Herr Bundeskanzler, es ist auch heute früh Herrn Mischnick allzu leicht das Wort „die DDR und andere europäische Staaten" von der Zunge gegangen.
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Das war ein Wort, daß man in diesem Hause bisher nicht gehört hat. Ich muß Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler: hier brauchen wir Klarheit! Wenn diese Auffassung Ihres neuen Außenministers, die ja noch ganz erheblich über den Satz von den zwei deutschen Staaten hinausgehet, der Ihrigen entspräche: welchen Sinn hätte dann noch Ihre Aussage in der Regierungserklärung über die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes?
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Welchen Sinn hätte es dann, daß Sie erklären, eine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesregierung könne nicht in Betracht kommen? Eine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesregierung, meine Damen und Herren und Herr Bundeskanzler, wäre in dem Augenblick aus dem Spiel, wo das einträte, was der Vorsitzende der FDP und jetzige Außenminister gesagt hat. Denn das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes hängt viel weniger davon ab, ob eine Bundesregierung anerkennt oder nicht anerkennt, sondern davon, ob die Welt das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes achtet oder nicht achtet.
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Welchen Sinn hätte in einer solchen Situation der Satz, daß die beiden Staaten füreinander nicht Ausland seien? Ich kenne die Quelle dieser Argumentation; sie war von vornherein nicht überzeugend. Was soll denn das: „sie sind für uns nicht Ausland", wenn sie für alle anderen Ausland sind und wenn wir selbst so leichthin sagen: "die DDR und andere europäische Staaten"?
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- Nein, ich habe mir den Satz sofort aufgeschrieben.
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- Lieber Herr Mischnick, ich will Ihnen sofort sagen: wenn Sie diesen Satz nicht gesagt hätten, wäre niemand darüber glücklicher als ich.
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Meine Damen und Herren, hier ist es wirklich so, daß man von der Engelssehen Formel des Umschlags der sich schrittweise entwickelnden Quantitäten in die Qualität sprechen könnte. All das, was über Jahre hin zu dieser Frage des Selbstbestimmungsrechtes, zu der Existenz eines zweiten deutschen Staates gesagt worden ist, und das seine Krönung in der Aussage fand, daß die FDP nichts dagegen habe, wenn andere Staaten Beziehungen zur DDR aufnähmen, - all das muß doch eines Tages, wenn Sie dem nicht widerstehen und wenn Sie das nicht ausdrücklich klarstellen, diesen Umschlag in die Qualität herbeiführen, dann muß es zu dem großen
Erdrutsch kommen, den wir 20 Jahre lang mit großem Erfolg gemeinsam verhindert haben.
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Bitte, machen Sie uns also klar, ob der Satz, den der jetzige Außenminister ausgesprochen hat, gilt, oder ob Sie dem nicht zustimmen. Wir brauchen wahrhaftig diese Klarheit.
Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was ich so oft gesagt habe, daß uns in der jetzigen Situation diese Rede von zwei deutschen Staaten nicht das mindeste einbringt, weder an Wirklichkeitsfeststellung, noch an Besserung unserer Beziehungen zur Welt - zur östlichen wie zur westlichen Welt -, noch an Besserung unserer Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands. Auch dieses Wort, das wir gemeinsam geprägt und gemeinsam verwendet haben, fehlt in Ihrer Regierungserklärung. Östliche Zeitungen sind flugs dabei, darauf hinzuweisen, daß das ein bedeutsamer Schritt nach vorne, nach vorne in ihrem Sinne, sei.
Wir haben doch damit zu rechnen, daß überall auf der Welt Menschen leben - das gilt nicht nur für den einfachen Bürger; das geht hinauf bis zu den führenden Politikern -, die ihre Schlüsse ziehen, wenn wir von „zwei deutschen Staaten" sprechen. Blicken Sie doch in die Presse der Welt und in die Erklärungen, die wir hören, oder hören Sie auf Ihren Botschafter bei den Vereinten Nationen, der Ihnen sagt, was dort auf den Korridoren angesichts dieser neuen Regierung und ihren Erklärungen gesprochen wird! - das bedeutet doch, daß die Welt annimmt, wir hätten unsere bisherige Position aufgegeben und seien schnurstracks auf dem Weg zur Anerkennung der DDR.
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Mir liegt daran, ganz klarzumachen, daß wir dabei nicht mitmachen werden, daß wir dabei, was an uns liegt, widerstehen werden, damit sich ein solches Unglück nicht ereignet.
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Ich bin nach wie vor, wie ich es in der Regierungserklärung gesagt hatte, wie ich es in meiner Rede zum 17. Juni und bei vielen, vielen Gelegenheiten gesagt habe, dafür, daß wir eine große europäische Friedensordnung anstreben, und zwar genauso leidenschaftlich dafür, wie ich es von Anfang an war. Es ist wahr, ich habe vom Brückenschlag gesprochen. Es ist auch klargestellt worden, was Kurt Schumacher mit seinem kritischen Wort dazu meinte. Auch dem pflichte ich und pflichten wir alle bei; denn wir wissen, daß es leicht ist, so etwas zu sagen, aber ungeheuer schwer, es zu verwirklichen. Das war es, was ich auch im Wahlkampf landauf, landab gesagt habe: daß ich Angst davor habe, daß man sich Illusionen macht, daß man die Realität der Sowjetunion und ihres politischen, ihres zugleich weltrevolutionären und imperialistischen Willens dabei nicht sieht und die Schwierigkeiten verkennt, die ein solcher Brükkenschlag bedeutet. Aber ich bin dabei, wenn wir wirklich realistisch und wirklich nüchtern und illusionslos versuchen, das zu tun. Dazu habe ich das Nötige in jener Rede zum 17. Juni gesagt. Ich sagte,
manch einem könnte eine solche Aussage utopisch erscheinen, als etwas Vermessenes, aber nie sei etwas Großes in der Geschichte ohne ein Element dieser Utopie begonnen worden. Ich bleibe auch bei der Aussage, die ich damals machte, daß wir auf diesem Wege sehr wohl scheitern könnten. Kein Vernünftiger wird wohl dieser Aussage widersprechen.
Was uns bewegt, was uns Sorge macht, ist eben, daß Sie bei all diesen angekündigten Gesprächen über Gewaltverzicht mit Polen, vielleicht mit der Tschechoslowakei - es sind ja etwas ambivalente Formulierungen in Ihrer Regierungserklärung oder mindestens Erklärungen, die nicht so klar waren, daß wir nun genau wissen, was Sie vorhaben -, diese Realität verkennen könnten. Die Sowjetunion hat einen ganz klaren und harten politischen Willen, ein langfristiges politisches Konzept, aus dem wir sie mit unseren Mitteln ganz bestimmt nicht werfen können. Jeder, der die Sowjetunion und die sowjetrussischen Führer kennt, weiß, daß das kleinste Anzeichen eines Entgegenkommens ohne den realistischen Willen, für dieses Entgegenkommen mehr zu erhalten als die bloße Versicherung, es gebe dann vielleicht eine atmosphärische Besserung, von der Sowjetuniaon als Schwäche und Nachgiebigkeit betrachtet wird, die ausgenutzt werden müssen.
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So denke nicht nur ich, so denken viele führende Politiker in unserer Welt, mit denen ich über dieses Problem gesprochen habe.
Für den Osten insgesamt soll es dabei bleiben: wir wollen versuchen, das Klima zu bessern, den Himmel aufzuhellen mit den östlichen Ländern, mit all der Vorsicht und Behutsamkeit, die dabei notwendig sind, darüber brauchen wir unter uns nicht zu sprechen, ich glaube, darüber sind wir uns völlig einig.
Aber, meine Damen und Herren, wenn ich schon von der Realität spreche, dann darf ich noch einmal sagen: denken Sie doch daran, daß die Etikette des zweiten deutschen Staates einen Tatbestand betrifft, wie Sie ihn nirgendwo sonst auf der Welt finden! Man mag darüber streiten, ob man einen Tatbestand, ein Phänomen, ein „Gebilde",
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bei dem, Herr Wehner, Machthaber über Leute herrschen, ohne dazu legitimiert zu sein, ohne dafür ein
Mandat zu haben, wirklich enen Staat nennen kann.
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Ich weiß, daß es darüber die verschiedensten Meinungen gibt. Von jenem täglichen Plebiszit aber, das man doch auch als ein Element eines legitimen Staates fordert, von jenem täglichen positiven Plebiszit kann drüben, in jenem anderen Teil Deutschlands, aber doch nun wahrhaftig nicht die Rede sein. Die Menschen drüben werden zu ihrem Verhalten gezwungen durch Machthaber, denen sie die Zustimmung zur Herrschaft nicht erteilt haben.
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Das mag auch auf andere Staaten zutreffen, meine Damen und Herren. Dort aber kommt noch ein anderes ins Spiel. Ich muß es in dieser Stunde wiederholen. Dort kommt ins Spiel, daß es sich ja gar nicht um eine Bevölkerung handelt, die sich als ein eigenes Staatsvolk begreift, sondern die sich als einen Teil des deutschen Volkes begreift und die in einem deutschen Staat mit uns - und nur da - zusammenleben möchte.
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Und wenn wir schon über den „Staatscharakter" dieses Sachverhalts drüben sprechen, dann darf ich auf das dritte Element hinweisen: daß nämlich die Machthaber im anderen Teil Deutschlands ihre Macht nicht einmal aus eigenen Kräften ausüben und ihre Politik nicht nach eigenen Konzeptionen durchführen können, sondern daß sie drüben leben und herrschen von der Gnade der kommunistischen
Supermacht in Europa. Das ist aber natürlich qualifizierend für das, was Sie einen zweiten deutschen Staat nennen.
Nun Polen! Sie wissen, daß ich selbst, Herr Bundeskanzler, im vergangenen Jahr - ich habe dazu besonders meinen Besuch in den Vereinigten Staaten benutzt - immer wieder Gespräche angeboten habe, Gespräche, die ich selber zu führen bereit war - mit Herrn Gomulka oder mit wem immer -, ganz in dem Sinne, wie es in meiner Regierungserklärung angeleget war: daß wir suchen sollten, eine Lösung zu finden, die von beiden Völkern angenommen werden könnte. Das gilt auch heute noch. Ich habe dann später den zweiten Schritt getan und habe gesagt, daß zwar die Frage der Oder-NeißeLinie und der östlichen Grenzen Deutschlands erst in einem Friedensvertrag mit dem ganzen deutschen Volk entschieden werden könne, daß es aber wohl möglich sei, vorher miteinander darüber Gespräche zu führen, wie man eine solche Lösung im endgültigen Friedensvertrag finden könne. Ich habe dann in den letzten Monaten die Aufforderung hinzugefügt, daß wir Gespräche über die Verbesserung unserer wirtschaftlichen Beziehungen führen könnten - und ich weiß, daß die polnische Regierung an solchen besseren wirtschaftlichen Beziehungen interessiert war -, um ein Klima zu schaffen, in dem sich politische Gespräche dann als erfolgreicher erweisen könnten. Herr Bundeskanzler, wenn Sie in diesem Sinne - in diesem Sinne! - mit Polen sprechen wollen, dann verhandeln Sie! Aber wenn Sie zu einer Konzession bereit wären, die in dieser historischen Situation eine große politische Unklugheit wäre und zu der wir, die Bundesrepublik Deutschland, dieses Hohe Haus und Ihre Regierung, gar nicht berechtigt wären, für die vielmehr nur das ganze deutsche Volk zuständig ist, dann führen Sie bitte um Himmels willen solche Gespräche nicht!
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Das bitterste für uns, wenn wir über den anderen Teil Deutschlands sprechen - und auch da sage ich Ihnen nichts Neues -, ist jene völkerrechtliche Theorie der Sowjetunion, die leider nicht Theorie geblieben ist und auch in Zukunft leider nicht Theorie bleiben wird, sondern die im Falle der
Tschechoslowakei brutale Wirklichkeit geworden ist. Die Sowjetunion nimmt für ihr eigenes sogenanntes sozialistisches Lager ein eigenes Völkerrecht in Anspruch, das vom allgemeinen Völkerrecht abweicht. Sie nimmt - das ist die BreschnewTheorie oder die Theorie von der eingeschränkten Souveränität - für sich in Anspruch, daß eine Bevölkerung, die einmal im sozialistischen Lager stehe, dieses Lager aus eigenem Willen nie mehr verlassen dürfe. Das bedeutet doch, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands - auch ich habe bedauert, daß sich dieses Wort in Ihrer Erklärung nicht findet --, daß eine Wiedervereinigung der Deutschen nicht stattfinden kann, es sei denn, unter kommunistischen Vorzeichen.
({32}) Das will natürlich keiner von uns.
Ich bitte Sie noch einmal: versichern Sie sich, Herr Bundeskanzler, unserer Unterstützung in dieser aktuellen Politik. Diese Politik wird ja nicht nur für unsere Generation Entscheidungen fällen; diese Politik muß so sein, daß sie von uns, aber auch von künftigen Generationen angenommen werden kann. Es muß eine Politik sein, die wirklich zu einem dauernden Frieden in Europa führt, und dazu brauchen Sie uns.
({33})
Was Europa anlangt, so lassen Sie mich ein paar Anmerkungen machen. Ich stochere wirklich nicht in
der Regierungserklärung herum, um partout etwas zu finden, was kritisiert werden könnte. Aber es ist mir doch aufgefallen, daß in der ganzen Regierungserklärung das Wort von einem politisch geeinigten Europa nicht vorkommt. Sie haben zwar - ich habe mich darüber gefreut - abgesehen von Ihren Äußerungen über den Ausbau und über die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch meine alte Forderung aufgenommen, daß die europäischen Völker einen solidarischen weltpolitischen Willen entwickeln sollten. Ich bin Ihnen dankbar dafür angesichts des Unverständnisses, das weithin in Europa dieser dringenden Forderung noch entgegengebracht wird. Aber diese meine Forderung war ja doch nur gemeint als ein Stimulans, als ein sofortiger Anfang der Realisierung dessen, wozu wir uns gemeinsam jahrelang entschlossen und zusammengetan hatten, nämlich der Herbeiführung einer europäischen Union, wie nun immer, unter mehr bundesstaatlichem oder mehr staatenbundlichem Vorzeichen. Uns geht es natürlich nach wie vor um einen europäischen Bundesstaat. Das brauche ich Ihnen nicht erst zu wiederholen. Das, Herr Bundeskanzler, wäre auch etwas, worüber Sie uns noch ein klares Wort sagen sollten. Sie haben gesagt, wir könnten nicht in der Mitte zwischen West und Ost stehen; wir müßten uns mit den westlichen Ländern abstimmen und mit dem Osten verständigen. Dazu habe ich gesagt: Sie haben unsere Unterstützung. Aber es genügt nicht, daß wir uns mit unseren europäischen Freunden abstimmen, sondern es ist notwendig und notwendiger denn je, daß wir mit unseren europäischen Freunden mit aller Energie das beginnen, was wir so viele Jahre nur in
Sonntagsreden angekündigt haben, nämlich das Werk der europäischen politischen Einigung.
({34})
Ich habe den Weg gezeigt, wie man das anfangen kann: ganz einfach ohne neue anspruchsvolle Institutionen, mit der Entwicklung eines solidarischen weltpolitischen Verhaltens. Als wir noch gemeinsam in der Regierung saßen, haben wir auch gelegentlich einmal über die mögliche Rolle der Westeuropäischen Union in diesem Zusammenhang gesprochen. Vielleicht sagen Sie uns auch dazu noch ein Wort.
Nun, Herr Bundeskanzler, eine weitere Frage. Sie haben auf die Feststellung meines Freundes Dr. Barzel, daß noch nie ein Kanzler so gute Bedingungen für den Beginn seiner Regierung vorgefunden habe, gesagt: wie denn das im Einklang stehe mit den Feststellungen des Vorgängers, daß in dieser Welt die Zeichen auf Sturm stünden. Was Dr. Barzel gesagt hat, bezog sich auf unsere Situation, wenn wir nur unser Volk ins Auge fassen, und die Probleme, mit denen wir seit Jahren umgehen. Dazu gehören natürlich auch außenpolitische. Wenn ich sage, im kommenden Jahrzehnt sehe ich die Zeichen in der Welt auf Sturm stehen - wir haben keinen Wahlkampf mehr -, so sehe ich das so: ich sehe in dieser Welt so viele Konflikte gären, so viel unter der Oberfläche brodeln, das zu Eruptionen drängt, in allen Kontinenten, daß ich mich frage, wie clie westliche Völkerfamilie überhaupt mit den Problemen fertigwerden soll, mit einer Entwicklung, an deren Ende ich sage das ohne jede Feindseligkeit und ohne jede Unterstellung - eine gewaltige zweite kommunistische Weltmacht stehen wird, das kommunistische China, das dann etwa eine Milliarde Menschen haben wird, das industrialisiert sein wird und das seine nukleare Macht ausgebaut haben wird weit über das hinaus, was es heute besitzt.
Atomsperrvertrag in allen Ehren, aber auch ich, Herr Bundeskanzler, hätte es vorgezogen, wenn Sie gesagt hätten: wir wollen die Klärungen, um die wir bemüht sind, abwarten und uns dann entscheiden, ob das Ergebnis dieser Klärungen uns in die Lage versetzt, den Atomwaffensperrvertrag zu unterschreiben.
({35})
Aber wie soll sich das entwickeln, wenn vor allem diese zweite gigantische kommunistische und nationalistische Weltmacht, so wie wir sie sehen müssen, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, ihre atomare Streitkraft weiter ausbaut? Wir müssen doch auch daran denken und dürfen nicht einfach unsere Entscheidung ohne Rücksicht auf diese gefährlichen Tatbestand treffen.
Wenn es so ist, daß die Zeichen in der Welt auf Sturm stehen, dann wiederhole ich, was ich in diesem Wahlkampf oft gesagt habe und was unsere Bevölkerung mir geglaubt hat, weil es ja auch Leute sind, die über die Dinge in dieser Welt nachzudenken gewohnt sind: wenn wir dieser ganz neuen Welt mit ihren ganz neuen Gefahren mit der Chance auf Erfolg, auf Bewahrung des Friedens und der FreiDr. h. c. Kiesinger
heit gegenübertreten wollen - und unter „wir" verstehe ich die westliche Völkerfamilie insgesamt -, dann müssen wir uns von dem Stückwerk lösen, das wir bis jetzt betreiben. Dann wird es für die westliche Völkerfamilie gelten, eine globale Friedensstrategie zu entwickeln, zur rechten Zeit vorauszubedenken und zu entwickeln, damit auch unsere Nachkommen in Frieden leben und freie Menschen bleiben können. Gerade weil ich es so sehe, weil ich glaube, daß die Zeichen im kommenden Jahrzehnt auf Sturm stehen, deswegen sind wir ja bereit, Sie und Ihre Regierung in allem zu unterstützen, was dieser großen Sache des Friedens und der Freiheit, in die die Wohlfahrt unseres Volkes eingebettet sein soll, dienen kann.
So sehen wir unsere Rolle als Opposition.
Das Wesen der Opposition ist der permanente Versuch, in konkreten Tatbeständen mit konkreten Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzuzwingen.
({36})
- Lachen Sie nicht zu früh! Das ist ein Wort von
Kurt Schumacher aus seiner ersten Rede im Bundestag, meine Damen und Herren.
({37})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Kiesinger, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr, Herr Wehner!
Herr Kollege Dr. Kiesinger, verkörpern Sie in der von Ihnen so definierten Opposition die Opposition oder die Tradition?
({0})
Lieber Herr Kollege Wehner, ich dachte, ich hätte genau dargelegt, was ich meine. Ich habe gesagt: wir werden nicht auf wirkliche oder vermeintliche alte Positionen zurückfallen, sondern wir werden das, was wir gemeinsam in der Großen Koalition entwickelt und durchgeführt haben, weiterführen. Ich habe ein Fragezeichen hinter den unklaren Begriff der „konsequenten Weiterentwicklung" gesetzt. Aber ich bin ja bereit, mich belehren zu lassen.
Ich finde die Definition des Wesens der Opposition, die Dr. Kurt Schumacher in seiner ersten Bundestagsrede gegeben hat, ganz ausgezeichnet. Wir werden danach handeln.
({0})
Präsident von Hassel: Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich auf folgendes aufmerksam machen. Die Rededauer ist in § 39 der Geschäftsordnung festgelegt. Die Fraktion hat eine Überschreitung im Hinblick auf Abs. 2 beantragt. Die Überschreitung betrug 36 Minuten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der entsprechende Minister die gleiche Redezeit angehängt bekommt.
Ich erteile nunmehr dem Herrn Abgeordneten Dorn das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anknüpfend an die Ausführungen des Kollegen Kiesinger im deutschlandpolitischen Teil möchte ich von Anfang an sagen, daß es unter allen Fraktionen dieses Hauses überhaupt keinen Zweifel darüber geben kann, daß unser Demokratie-Verständnis in diesem Hause völlig anders ist als das derjenigen, die in Ostberlin regieren. Ich meine, deswegen sollte das auch unter uns unstreitig bleiben. Es hat auch keinen Sinn, hier Dinge hineingeheimnissen zu wollen, die einfach nicht diskutabel sein können.
Der Bundeskanzler a. D. hat hier eine große Sorge im Hinblick auf die Formulierungen der zwei deutschen Staaten vorgetragen. Er hat, an unsere Seite gewandt, wieder die beiden Formulierungen vom „Gebilde" und „Phänomen" gebraucht. Herr Dr. Kiesinger, ich habe die „Auswärtigen Informationen" vor mir liegen, die wir alle bekommen: als Quelle ist das Bulletin der Bundesregierung, Nr. 63 vom 15. 6. 1967, angegeben. Hier steht: Brief des deutschen Bundeskanzlers, Kurt-Georg Kiesinger, an den Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, vom 13. 6. 1967. Ich meine, es hat doch keinen Sinn, sich über viele Formulierungen zu streiten, wenn die effektiven politischen Verhältnisse von Ihnen auch während Ihrer Tätigkeit als Bundeskanzler in dieser Form angesprochen worden sind. Wir beide haben über dieses Thema hier in diesem Hause ja schon einmal in einem Frage- und Antwortspiel diskutiert. Ich habe Sie damals gefragt, ob Sie auch noch mit einem Regierungschef eines anderen Gebildes oder Phänomens im Schriftwechsel stünden. Sie haben erklärt, Sie würden selbst mit dem Teufel verhandeln, wenn es den deutschen Interessen diene.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kiesinger?
Bitte schön!
Herr Präsident, ich wußte noch nicht, daß man sich in diesem Hause in der Form zu Zwischenfragen anmeldet, daß man an das Mikrophon tritt. Ich werde aber lernen. Herr Dorn, haben Sie nicht aus der Regierungserklärung - ich habe sie eben zitiert - entnommen, daß wir uns ausdrücklich dagegen verwahrt haben, daß wir mit der Aufnahme von Kontakten zu Behörden oder wem immer im anderen Teil Deutschlands den Machtbereich der Verantwortlichen drüben als Staat anerkennen?
Herr Bundeskanzler a. D. - ({0})
- Nein, ich habe sie absichtlich so apostrophiert, Herr Dr. Kiesinger, damit das unmißverständlich bleibt.
Der Chef dieser neuen Regierung hat in der Regierungserklärung eine ganz klare Formulierung von sich gegeben. Zu dieser Formulierung in der Regierungserklärung werden wir uns als Freie Demokraten - nach dem, was Sie selbst im Wahlkampf vorhergesagt haben, darf Sie das gar nicht wundern; darauf komme ich nachher noch zu sprechen - ausdrücklich bekennen.
({1})
Da wir nun schon einmal beim Aufräumen, was die Vergangenheit angeht, sind, möchte ich noch ein Wort an den Vorsitzenden der CSU richten. Leider ist er im Augenblick nicht da.
({2})
- Entschuldigung, ich hatte ihn auf den Bänken der CSU gesucht, Herr Kollege Marx.
({3})
- Ja, ich weiß, darüber gibt es gar keinen Zweifel. Sie haben auch unser Einverständnis dazu bekommen.
Es ist sichtbar geworden, daß der „Bayern-Kurier" in entscheidenden politischen Aussagen nicht die Meinung des CSU-Vorsitzenden und seiner Partei vertritt. Herr Kollege Dr. Strauß, ich habe da Fragen zu zwei Sätzen, die die Freien Demokraten betreffen. Im „Bayern-Kurier" vom 11. Oktober stehen zwei Sätze, die ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten bitte vorlesen zu dürfen:
Hier und heute beginnt der Ausverkauf Deutschlands, und die FDP kann sagen, sie sei dabeigewesen. Der Links-Kanzler Brandt verhält sich wie ein Bilderbuchsozi. Er bestätigt unsere kühnsten Verdächte.
Das ist der eine Satz, Herr Kollege Strauß. Der andere Satz:
Die Unionsparteien sind durch die Manipulation der FDP dazu verdammt,
- als Anmerkung: auch sehr interessant, würde ich sagen um Deutschlands Souveränität aus der Opposition heraus zu kämpfen. Die Koalition von FDP und SPD wird das historische Verdienst haben, die Bundesrepublik an den Eingang zum Sowjetsystem gerückt zu haben.
({4})
Herr Kollege Dr. Strauß, ich meine, unter uns sollte eindeutig klar sein, daß Liberale in der politischen und geistigen Auseinandersetzung mit dem System der Unfreiheit immer die härtesten Gegner dieses
Systems in der Vergangenheit gewesen sind, heute sind und auch in Zukunft sein werden.
({5})
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen wird zum Thema Wählerwille und Verfälschung des Wählerwillens von den Unionsparteien in einer Weise argumentiert, die mit sachlicher Logik über- haupt nicht mehr zu begreifen ist. Daß im Konzert dieser so vorgetragenen Kantate auch gelegentliche Mißtöne besonderer Art nicht fehlen, konnte man eigentlich voraussetzen. „Sie" - die Regierungsparteien - müssen jedoch mit allem Nachdruck der Behauptung entgegentreten, diese Koalition sei undemokratisch, weil sie eine Verfälschung des Wählerwillens bedeute. Das Prinzip der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie besagt, daß in jedem Parlament jede Mehrheit für eine Regierungsbildung gleiche demokratische Legitimität besitzt. Jede andere Betrachtung würde dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, d. h. der Gleichwertigkeit jeder Wählerstimme, entgegenstehen. Das, meine Damen und Herren von der CDU, hat kein geringerer gesagt als Ihr früherer Ministerpräsident Dr. Franz Meyers am 26. .Juli 1966, als er auch gegen die stärkste Fraktion des Parlaments eine Mehrheit von zwei Stimmen dazu benutzte, eine Regierung zu bilden.
({6})
Ich meine also, die ganze Aufregung, Herr Kollege Balkenhol, ist doch an dieser Stelle völlig unwichtig. Hier geht es doch darum, ganz klar zu erkennen, daß die in diesem Hause sitzenden demokratischen Parteien untereinander in jeder Kombination regierungsfähig sein müssen, weil wir uns sonst nicht darüber wundern können, daß diese Demokratie einen Weg gehen kann, der nicht im Interesse der parlamentarischen Demokratie liegt, die wir alle vertreten.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freiherr von Guttenberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Dorn, nachdem Sie eben den seinerzeitigen Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen, Herrn Meyers, zitiert haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich aus gleichem Anlaß auch daran erinnern, daß der spätere Ministerpräsident Kühn von der SPD zu der damaligen Regierungsbildung in Düsseldorf gegen die stärkste Fraktion gesagt hat, dies sei ein Debakel der Demokratie.
({0})
Herr Kollege Guttenberg, natürlich hat es zu solchen Regierungsbildungen, die gegen die stärkste Fraktion, ganz gleich in welchem Lande, in der Vergangenheit erfolgt sind, von der OpposiDorn
tions- und Koalitionsseite immer gegenteilige Erklärungen gegeben.
({0})
Das ist aber gar nicht das Anliegen; das Anliegen ist vielmehr, daß die politischen Koalitionen politisch begründet möglich sein müssen und daß man daraus nachher nicht eine Verfälschung des Wählerwillens oder einen Betrug der Wählerschaft in die politische Diskussion als Argument einführen kann.
Wenn ich daran denke, daß der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in dem Interview im „Stern" Nr. 42 erklärte:
Der große Betrug, der jetzt läuft - und es ist ein Betrug, daran führt kein Weg vorbei -, ist eben der, daß sie anfangen mit einer Minderheit, mit weniger als 50 % der Stimmen.
({1})
Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren - -({2})
- Nun, Herr Kohl widerspricht sich wenige Sätze später selbst, indem er sagt:
({3})
„Natürlich ist auch eine Regierung FDP/SPD, eine Mini-Koalition, legitim im Sinne unserer Verfassung." Ich meine also, es hat keinen Sinn, Herr Dr. Kiesinger, daß Sie die Fragen der politischen Koalitionsbildungen hier wieder in dieser Darstellung vortragen, wie Sie es vorhin erneut getan haben. Ich möchte Ihnen deswegen sagen, daß die Dinge in vielen Passagen je nach Betrachtungsweise auch anders gesehen werden können. Mein Kollege Mende hat mir zur Regierungsbildung 1966 gesagt, es sei anders gewesen, als Sie es hier vorgetragen haben. Ich bin damals nicht dabei gewesen; ich kann das nicht selbst beurteilen.
Aber Ihr Fraktionsvorsitzender Dr. Barzel hat die ganze Lage viel nüchterner beurteilt. Am 2. September dieses Jahres hat er erklärt:
„Ich bin fest überzeugt, es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder bekommen wir die absolute Mehrheit, oder wir gehen in die Opposition."
Nun, die Wahl ist so ausgegangen, daß Sie jetzt in der Opposition sind. Ich meine, dann sollte man in der Frage der politischen Glaubwürdigkeit auch heute keine neuen Legendenbildungen versuchen.
({4})
Sie haben, Herr Kiesinger, über die Frage der Regierungsbildung hier einiges gesagt, und ich möchte Ihnen daher noch einiges in die Erinnerung zurückrufen. Als wir, die Verhandlungsdelegation der FDP, im Bundeskanzleramt das erste Gespräch mit Ihnen führten, bevor wir die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten begannen
({5})
- nein, entschuldigen Sie, damit beginnt die ganze Legendenbildung -, haben Sie wörtlich erklärt: „Wir wissen, daß wir in der Vergangenheit auch in der Behandlung der FDP manche Fehler gemacht haben, und wir werden uns bemühen, eine Wiederbelebung der FDP für die Zukunft zu erreichen. Dabei ist es selbstverständlich, daß das Thema Wahlrecht damit erledigt ist, weil man nur ohne Hintergedanken eine solche Koalition eingehen kann." - Sehen Sie, Herr Kollege Dr. Kiesinger, ich habe das wie auch zwei andere Kollegen meiner Fraktion mitgeschrieben.
({6})
- Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen mehr zulassen. Ich bitte um Verständnis dafür.
({7})
- Meine Damen und Herren, ich habe mehrere Zwischenfragen zugelassen, und ich beabsichtige, mich an die Zeit zu halten, die mir auf Grund der Geschäftsordnung zusteht.
Der CDU-Vorsitzende hat dann in der gleichen Besprechung am 30. September der FDP-Verhandlungsdelegation ein, wie er sagte, strategisches Bündnis für die 70er Jahre - d. h. weit über das Jahr 1973 hinaus - für Bund, Länder und Gemeinden angeboten. Ihr Fraktionskollege Wörner hat im „Spiegel"-Interview am 6. Oktober, wenn das so wörtlich stimmt, erklärt:
Ich habe dieses unmögliche Angebot schärfstens mißbilligt. Ich kann nur sagen, das ist der moralische Ausverkauf.
({8})
Nun, Herr Bundeskanzler a. D., es wäre doch gut, wenn die Frage unter uns geklärt werden könnte, inwieweit in der politischen Auseinandersetzung auch die politische Glaubwürdigkeit der Argumente in diesem Hause und auch außerhalb dieses Hauses unstreitig bleiben könnte.
({9})
Denn nur dann werden wir auf die Dauer die politische Auseinandersetzung so führen können, daß wir auch hier gegeneinander sachlich und politisch fundiert antreten können.
Das Angebot, das Sie gemacht haben, haben wir Freien Demokraten nicht angenommen. Die Reaktion ist dann plötzlich die gewesen, daß Sie im ZDF am 5. Oktober erklärt haben:
Wir haben im kommenden Jahr, wenn ich mich recht erinnere, fünf Landtagswahlkämpfe, und ich könnte mir denken, daß es uns gelingt, dabei in vieren die FDP hinauszukatapultieren.
({10})
Heute, Herr Dr. Kiesinger, haben Sie erklärt: Wir werden den Krieg mit allem Nachdruck führen, wir werden den Krieg fair führen. Ich muß Ihnen sagen, schon allein diese Formulierung beweist wieder, daß die politische Auseinandersetzung, die zwischen Opposition und Koalition natürlich notwendig ist, von Ihnen in einer Form aufgefaßt wird, die Sie in
Ihrem Demokratieverständnis von uns sehr weit trennt. Das sage ich in aller Offenheit.
({11})
Meine Damen und Herren, wir wollen hier keinen Krieg führen. Wir wollen die politische und geistige Auseinandersetzung, um für die Zukunft dieses Volkes eine vernünftige Politik betreiben zu können.
({12}) Ich möchte zum Schluß kommen.
({13})
- Ich weiß, manche Wahrheiten sind Ihnen unangenehm und passen Ihnen nicht ins Konzept. Aber auch das gehört dazu: Argumente anderer zu hören. Sie können sie werten, Sie können dagegen argumentieren, aber Sie sollten wenigstens bereit sein, sie noch zu hören.
({14})
Ich will auf die außenpolitischen Dinge nicht mehr eingehen. Sie haben meinen Parteivorsitzenden und den jetzigen Bundeskanzler in mehreren Veranstaltungen außenpolitische Illusionisten genannt. Ihr Fraktionsvorsitzender hat von Traumtänzern in der deutschen Außenpolitik gesprochen.
({15})
Herr Dr. Kiesinger, ein Bundeskanzler, der Ihr Außenminister war, und ein Außenminister, dem auch Sie bereitwillig sofort bei dem ersten Gespräch mit uns den Posten des Außenministers angeboten haben!
({16})
Herr Bundeskanzler a. D., ich meine, man muß, wenn
man politisch so argumentiert, sich auch an das
erinnern, was 14 Tage und drei Wochen zurückliegt.
({17})
- Darüber haben Sie auch nachher gesprochen.
Ernst Müller-Meiningen hat in der „Süddeutschen Zeitung" am 6. Oktober einen Satz geschrieben - -({18})
- Herr Kollege Köppler, daß ich nicht nur ablese, sondern Zitate hier wörtlich vortragen möchte, ist doch viel besser, als wenn Sie hier Zitate aus dem Handgelenk servieren, wobei wir oft genug festgestellt haben, wie problematisch das ist. Das gilt für alle in diesem Hause. Deswegen sollten Sie froh
sein, daß ich dieses eine Zitat zum Schluß noch vortrage. Müller-Meiningen hat gesagt:
Es ist eine Kunst, mit Anstand zu verlieren.
({19})
Wenn ich in den letzten vierzehn Tagen die politischen Äußerungen unter dieser Bemerkung von Ernst Müller-Meiningen betrachte, ist eines mit Sicherheit festzustellen: das Verhältnis zur Kunst ist bei der CDU/CSU mehr als getrübt.
({20})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu einigen ganz wenigen Punkten, die hier in der Debatte eine Rolle gespielt haben, ein paar kurze Bemerkungen machen. Das Wahlergebnis ist noch einmal herangezogen worden. Ich erinnere mich an eine Annonce, die die CDU kurz vor der Bundestagswahl aufgegeben hat. In dieser Annonce war klar und eindeutig gesagt: Wer FDP wählt, wählt Willy Brandt. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind für diese Lösung, die Sie ausdrücklich vorher angekündigt haben, nahezu 800 000 Stimmen mehr abgegeben worden als für eine andere. Wir sollten hier, glaube ich, von Realitäten ausgehen.
Nun eine zweite Frage, über die wir uns in der Zukunft werden unterhalten müssen; das möchte ich hier ganz klar und eindeutig anmelden. Wir haben ein Gespräch gehabt und haben uns über die Verteilung von Fernsehzeiten unterhalten müssen. Bei diesem Gespräch hat der Generalsekretär der CSU gesagt: Die CSU ist eine eigene Partei, sie hat ein eigenes Programm,
({0})
es gibt keinerlei personelle Verbindung in der Spitze. Sie beansprucht ihre eigenen Fernsehzeiten und hat sie auch bekommen.
Über diese Frage werden wir sehr bald Gelegenheit haben miteinander zu reden. Denn das machen wir auf die Dauer nicht mit: einmal sind Sie eine Fraktion, und wenn es Ihnen paßt - aus materiellen Erwägungen -, sind Sie zwei politische Parteien. In dieser Frage muß Klarheit geschaffen werden.
({1})
Dann ist hier von dem „seriösen Angebot" an die FDP gesprochen worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, kurze Zeit vor der Bundestagswahl hat die Frage des Wahlrechts uns gegenüber noch eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Ich halte es für einen schlechten Stil, wenn man das 24 Stunden später vom Tisch wischt und so tut, als wenn in dieser Frage gar nichts gewesen wäre.
({2})
- Herr Kollege Guttenberg, ich bin gleich bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Zur Aufwertung wird sicher der Bundeswirtschaftsminister nachher ein ausführliches Wort sagen. Eine Bemerkung aber darf ich mir jetzt schon vorweg erlauben. Ich habe Verständnis dafür, wenn jemand aus sachlichen Erwägungen gegen die Aufwertung ist und das auch aus ökonomischen Erwägungen begründet. Ich möchte hier allerdings in aller Deutlichkeit sagen: das Vorhandensein einer Partei wie der NPD kann in gar keinem Falle ein Grund dafür sein, eine solche Haltung in dieser Frage einzunehmen. Dies kann für uns keine Begründung in dieser Frage sein.
({3})
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freiherr von Guttenberg?
Gern!
Herr Kollege Wischnewski, entschuldigen Sie, wenn ich mit dieser Frage etwas spät komme; Sie waren schon bei einem anderen Gedankengang, aber ich habe erst jetzt das Wort bekommen. Meine Frage schließt an das an, was Sie über die zwei Parteien CDU-CSU gesagt haben. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß in diesem Haus alle Fraktionen Koalitionsfreiheit haben müssen?
Aber selbstverständlich.
({0})
Über diese Frage gibt es keinen Streit. Nur: Sie werden auch dafür Verständnis haben, daß wir uns dann über die anderen Fragen für die Zukunft unter anderen Voraussetzungen unterhalten müssen. Ich würde auch gar nichts sagen, wenn man bei der Frage des Fernsehens und des Rundfunks ganz fair verfahren wäre. Das ist man bedauerlicherweise auch nicht. Denn da hat es ganz konkrete Vereinbarungen gegeben, an die man sich dann in letzter Konsequenz nicht gehalten hat.
Die Frage der Deutschlandpolitik hat in der Debatte eine Rolle gespielt. Ich möchte dazu eine ganz kurze Bemerkung machen. Wir sind uns alle in diesem Hause einig - ich nehme an, daß niemand daran zweifelt -, daß es keine völkerrechtliche Anerkennung der DDR als Ausland gibt. Aber: die neue Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung von zwei Staaten in Deutschland gesprochen. Da melden Sie Ihre Zweifel an. Ich muß mich fragen: An wen hat eigentlich der frühere Bundeskanzler zwei Briefe geschrieben? An den Vorsitzenden des Staatsrats der DDR. Er hat geschrieben: „Sehr geehrter Herr Vorsitzender!" Er hat ganz bestimmt nicht an irgendeinen Privatmann geschrieben, sondern hat an jemand geschrieben, der dort drüben eine ganz bestimmte Aufgabe hat. Wenn es dort drüben eine Regierung gibt, die uns zwar nicht paßt, deren Politik uns nicht paßt, gegen die wir uns wenden und gegen die wir uns wehren, ist es selbstverständlich, daß auch ein Staat vorhanden ist. Wenn
Sie dann von der Voraussetzung der demokratischen Legitimität ausgehen, davon, daß nur dort, wo die Bevölkerung hinter einer Regierung steht, von einem Staat gesprochen werden kann, dann, Herr Kollege Guttenberg, sind wir beide uns doch völlig darüber im klaren, daß ein Großteil der Staaten, die es in der Welt gibt, diese Legitimität für sich nicht in Anspruch nehmen könnten,
({1})
wenn es um diese Frage ginge. Hier stelle ich ganz klar und eindeutig sachlich fest: Das, was hier zum Ausdruck gebracht ist, ist genau die Fortentwicklung dessen, was begonnen worden ist mit den beiden Briefen, die der frühere Bundeskanzler in völliger Übereinstimmung des Hauses an den Vorsitzenden Stoph in dieser seiner Eigenschaft geschrieben hat. Es war ausdrücklich von Gesprächen auf Regierungsebene die Rede. Diese Gespräche auf Regierungsebene setzen selbstverständlich auch eine Regierung voraus.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Herr Kollege Wischnewski, ist Ihnen bekannt, daß die Vereinigten Staaten über zehn Jahre über ihren Botschafter in Warschau mit der Volksrepublik China verhandelt haben, um zu Gebieten gemeinsamen Interesses zu kommen, ohne daß auch die leiseste Andeutung der Möglichkeit einer Anerkennung Chinas durch die Vereinigten Staaten in dieser Geste in den USA oder in der Welt gesehen wurde?
({0})
Herr Kollege Birrenbach, mir sind die Verhandlungen, die in Warschau zwischen den beiden Botschaftern geführt werden, sehr genau bekannt. Allerdings ist mir nicht bekannt, daß Präsident Johnson oder Präsident Nixon an Mao Tse Tung zu irgendeinem Zeitpunkt einen Brief geschrieben hätte.
({0})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Herr Kollege Wischnewski, Sie werden sich darüber klar sein, daß das Schreiben oder Nichtschreiben von Briefen als Formfrage nicht so entscheidend ist. Entscheidend ist vielmehr der Kontakt von Regierung zu Regierung. Es kommt darauf an, welche Konsequenzen hieraus gezogen werden. Das ist das Problem und nichts anderes.
({0})
Schauen Sie, weil Sie und wir - und in dieser Frage gibt es doch, so darf ich
annehmen, eine Gemeinsamkeit - für diesen Kontakt von Regierung zu Regierung sind, weil bestimmte Probleme im Interesse der Menschen in unserem Land geregelt werden müssen, deswegen gehen wir von dieser Voraussetzung aus, um damit die Grundlage zu schaffen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freiherr von Guttenberg?
Mit besonderer Freude.
Herr Kollege Wischnewski, nachdem Sie mich eben als Zeugen dafür angerufen haben, daß ich wie Sie der Meinung sei, daß eine nicht legitimierte Regierung dennoch anerkannt werden darf, möchte ich an Sie die Frage richten: Haben Sie nicht den Bundeskanzler a. D. Dr. Kurt Georg Kiesinger falsch verstanden, der seinerseits gesagt hat, der entscheidende Unterschied zwischen dem, was drüben DDR heißt, und anderen Staaten sei der, daß ein Staatsvolk drüben deshalb nicht existiere, weil die betroffenen Menschen nicht zustimmen, daß es diese DDR geben soll. Daß es Polen gibt, sagt jeder Pole; daß es Ungarn gibt, sagt jeder Ungar; daß es Spanien gibt, sagt jeder Spanier; daß es die DDR geben soll, sagen die Bürger drüben nicht. Das ist der Unterschied.
({0})
Ich glaube, daß ich den Bundeskanzler in dieser Frage nicht falsch verstanden habe. Ich möchte einmal grundsätzlich von folgendem ausgehen. Ich glaube, wir sollten nicht einen Streit über Formulierungen beginnen,
({0})
sondern wir sollten uns darum bemühen, in dieser Frage der Gespräche auf Regierungsebene, so wie Sie und wir sie wünschen, wie wir sie alle in diesem Hause wünschen, zu einem Ergebnis zu kommen. Ich meine, was diese Regierung in ihrer Regierungserklärung ausgesagt hat, ist eine entscheidende Voraussetzung.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich habe viele Fragen zugelassen, aber ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt ein letztes Problem anschneiden möchte.
({0})
- Weil ich Sie besonders gern mag, Herr Dr. Barzel!
({1})
Herr Kollege Wischnewski, ich danke herzlich. Sie sollten die Freundlichkeit haben, folgende Frage zu beantworten. Sie sagen, die Konsequenz liege in dem damaligen Briefwechsel. Der Briefwechsel ist von 1967. Die Erklärung, die ich vorhin zitiert habe und Gegenstand der Debatte ist, ist vom 25. September 1968. In eben dieser Erklärung haben Sie genau wie ich zugestimmt, daß drüben kein zweiter souveräner Staat deutscher Nation sei. Warum haben wir dies wohl beschlossen, nachdem es ein Jahr vorher diesen Brief gab, Herr Kollege Wischnewski?
({0})
Herr Kollege Barzel, ich will aus meiner ganz persönlichen Sicht - ich will das für mich ganz persönlich sagen - ausdrücklich feststellen, daß es in der Formulierung des Punktes 6 der Erklärung vom 25. September und dem, was in der Regierungserklärung steht, für mich eine logische Fortentwicklung gibt. Dies ist meine persönliche Auffassung zu dieser Frage.
({0})
Ich komme damit zu einem letzten Problem. Hier ist - wie ich meine, eigentlich mit einer etwas unterschiedlichen Tendenz - die Frage unseres Verhältnisses zu Polen angesprochen worden. Herr Kollege Dr. Barzel hat heute vormittag gesagt, man könne selbstverständlich auch jetzt schon über die Fragen von Grenzen sprechen, und der frühere Bundeskanzler hat das eigentlich eingrenzen wollen auf die Frage der wirtschaftlichen Verhandlungen, um entsprechende klimatische Voraussetzungen zu schaffen. Ich glaube, auch in dieser Frage sollten wir die Kontinuität wahren.
Die Bundesregierung der Großen Koalition hat am 13. Dezember 1966 zu dieser Frage eine Aussage gemacht. Ich meine, auch das muß zur Debatte stehen, wenn mit Polen das Gespräch dann begonnen wird, wenn die Voraussetzungen dafür günstig sind, um dieses Gespräch führen zu können. Der damalige Bundeskanzler hat gesagt: Wir haben Verständnis dafür, daß die Polen in gesicherten Grenzen leben wollen.
Ich meine, das muß auch bei diesen Gesprächen, die beginnen, entsprechend der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 ganz klar und eindeutig zum Ausdruck kommen.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Außenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Etwas ist neu heute in der ersten Debatte des neuen Bundestages, nämlich die Tatsache, daß jetzt drei Fraktionen miteinander diskutieren, die auch alle schon einmal miteinander eine Koalition gebildet haben. Das verändert natürlich die Art der Diskussion - nicht zum Nachteil, wie sich bald herausstellen wird, sondern eher zum Vorteil. Die Tatsache, daß eine so große Fraktion Oppositionsfraktion ist, hat ja schon bis zu dieser Stunde die Diskussion des Deutschen Bundestages außerordentlich belebt.
Ich stelle zu meiner großen Freude fest, daß seit vielen Monaten der Saal zum erstenmal auch gefüllt bleibt, was sicherlich nicht allein damit zusammenhängt, daß die Oppositionsfraktion so stark ist, sondern damit, daß die Mehrheit der Koalition nicht so groß ist. Das ist aber auch ein Vorteil für die Demokratie.
({0})
Denn das zwingt die Regierung zu Leistungen. Die Opposition wird ihren Teil daran haben, die Regierung zu Leistungen zu zwingen. Diesem Zwang wollen wir uns sehr gern unterwerfen.
So möchte ich auch den Satz in der Regierungserklärung, den Sie, Herr Dr. Barzel, sicherlich falsch verstanden haben, verstanden wissen. „Die Demokratie fängt jetzt erst richtig an" - das habe ich hier heute schon gemerkt. Ich glaube, es ist etwas daran, daß die Demokratie lebhafter wird, so weit sie sich hier äußert.
({1})
Wenn Sie mir erlauben, meine Damen und Herren, möchte ich, bevor ich zu einigen außenpolitischen Punkten komme, ein paar Bemerkungen über Koalitionsbildung, Wahlen und dergleichen machen, weil Herr Dr. Kiesinger mich auch als Parteivorsitzenden angesprochen hat. Ich glaube, ich muß hier noch einmal meinen Kollegen Dorn bestärken. Dieses so falsche Wort über den Wählerwillen, das grassiert hat, sollte endlich ausgeräumt werden.
Erstens. Es ist ganz unbestritten, daß die jetzige Regierung eine Mehrheit in diesem Hause hat. Zweitens muß man doch ehrlicherweise sagen, daß die FDP weder nach der Wahl noch vor der Wahl zu erkennen gegeben hat, sie wolle unbedingt mit der CDU eine Regierung bilden,
({2})
sondern sie hat umgekehrt - Sie sagen es - erkennen lassen,
({3})
daß sie politisch einer Regierung der SPD den Vorzug geben würde. Das hat sie getan, weil erstens ein größerer Teil Politik mit dieser Partei zusammen von uns in die Wirklichkeit übertragen werden kann, weil Gemeinsamkeiten erkennbar waren, zweitens aber aus dem demokratischen Gefühl heraus, daß eine Wachablösung, eine ganz normale Wachablösung, der Demokratie guttäte. Das sind die Hintergründe gewesen, und das ist der Erfolg. Ich bin davon überzeugt, daß sie in den nächsten vier Jahren auf dieser nüchternen Basis hier auch Demokratie praktizieren wird.
({4})
Der Herr Bundeskanzler Kiesinger hat in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, daß es ihm recht gewesen wäre. Herr Barzel habe ihn als Wahlsieger so gefeiert, wie 1965 Herr Erhard gefeiert worden sei. Man muß der historischen Wahrheit halber aber doch sagen, daß da ein kleiner Unterschied bestand. Herr Erhard hatte in der Tat 1965
die Wahl gewonnen und an Stimmen zugenommen. Aber - das kann man nun einmal nicht aus der Welt schaffen - Herr Kiesinger hat natürlich diese Wahl verloren.
({5})
- Ich komme darauf. Glauben Sie doch nicht, daß ich etwas auslasse: Wir haben schwere Verluste hinnehmen müssen. Der Unterschied zwischen uns und der CDU bestand ausschließlich darin, daß wir das offen zugegeben haben,
({6})
wohingegen Herr Kiesinger sich in der Nacht doch immerhin noch als Sieger hat feiern lassen.
({7})
Ich meine, das muß doch der Sauberkeit halber gesagt werden.
Ich will hier nicht verschweigen, meine verehrten Damen und Herren, daß ich mir sehr wohl bewußt bin, daß wir einen sehr, sehr schweren Weg gehen - wir, die FDP. Ich habe das auch in derselben Nacht, in der Wahlnacht, gesagt; und zwar wohl wissend, daß es schwer ist, nach einer Wahlniederlage eine Regierungsbeteiligung einzugehen, bei der wir politisch mehr Einfluß gewinnen mußten - unabhängig davon, mit welchem Partner -, als wir früher bei Regierungsbeteiligungen gehabt haben. Das ist nicht etwas, das die FDP in eine besonders günstige Position stellt, sondern es ist für uns eine schwere Last. Ich will das hier offen zugeben.
({8})
- Wir werden in vier Jahren zu beweisen haben und beweisen, daß wir uns gradlinig verhalten haben. Das ist es gerade, Herr Kollege Guttenberg: Wir haben keine falsche Entscheidung getroffen, sondern wir haben eine saubere, gradlinige Entscheidung getroffen, wie wir es der deutschen Öffentlichkeit vorher mitgeteilt hatten, nichts anderes.
({9})
Nun hat Herr Bundeskanzler Kiesinger gesagt, daß manches in der Regierungserklärung dem Ausland gefallen werde, und er hat daran die im übrigen gar nicht falsche Bemerkung geknüpft, daß das nicht nur Anlaß zur Freude sei, sondern doch auch mißtrauisch machen müsse. Herr Bundeskanzler Kiesinger war früher nicht so mißtrauisch und kritisch, wenn es darum ging, im Ausland zu gefallen. Ich erinnere mich daran, daß Bundeskanzler Kiesinger - das „außer Dienst" spare ich mir, es klingt eigentlich gar nicht so schön ({10})
in der vielzitierten Fernsehsendung, an der er und ich teilgenommen haben, darauf hingewiesen hat, daß er Anzeichen aus dem Ausland dafür habe, daß eine Regierung von SPD und FDP möglicher86
weise auf Widerstand stoßen, Mißtrauen erregen würde, daß wir also keinen Beifall im Ausland bekommen, nicht gefallen würden. Deswegen, hat er gesagt, sei es schon notwendig, eine Regierung unter Führung der CDU zu bilden. Also, so verschieben sich die Aspekte.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kiesinger?
Sehr gern.
Herr Außenminister, erinnern Sie sich noch, daß ich gerade in dieser Sendung die Klage oder die Kritik von Herrn Brandt zurückgewiesen habe, ich hätte gesagt, eine Regierung aus SPD und FDP oder eine Regierung der SPD werde im Ausland auf Widerstand stoßen oder kein Vertrauen finden? Ich habe ihn berichtigt, und was ich ihm gesagt habe, ist dies: Wir werden das Vertrauen unserer Freunde im Ausland in unsere Politik - ich meinte die Deutschlandpolitik - verlieren, wenn wir selber anfangen, unsere Position preiszugeben. Ich habe das damals ausdrücklich richtiggestellt und kann Ihnen den Text liefern.
Herr Dr. Kiesinger, wir haben uns in dieser Sendung schon darüber unterhalten, wer was gesagt hat. Ich muß auch hier wieder sagen, in dieser Sendung haben Sie auf die Sorgen hingewiesen, die Sie aus Freundeskreisen - ich habe gesagt: Nennen Sie die Freunde; Sie werden sich erinnern - erfahren haben über die Möglichkeit einer Regierungsbildung durch SPD und FDP,
({0})
- natürlich wegen deren Politik! Weswegen denn sonst?
Meine Damen und Herren, ich will das jetzt nicht fortsetzen, sondern ich möchte sagen, daß wir in den nächsten Jahren miteinander auskommen werden und auskommen müssen. Ich möchte ausdrücklich vermerken, daß in der Außenpolitik nicht nur eine Mehrheit der Koalitionsparteien hergestellt werden muß, sondern daß in der Außenpolitik um die Kooperation mit der Oppositionspartei gerungen werden muß und von uns geworben wird. Wir gehen nämlich davon aus, daß unsere Kollegen in der CDU/CSU genauso ernsthaft, so sachlich und so nüchtern wie wir nach gangbaren Wegen suchen, um in unseren außenpolitisch schwierigen Fragen weiterzukommen.
({1})
Der außenpolitische Teil der Regierungserklärung, meine Damen und Herren, läßt nun keinen Zweifel mehr darüber, daß das Wort, es handle sich um den Ausverkauf deutscher Interessen, etwas voreilig ausgesprochen worden ist; es wird durch diese Regierungserklärung eindeutig widerlegt. Für eine
faire Auseinandersetzung wäre es gut, wenn auch die Kollegen von CDU und CSU das im Laufe der Debatte einmal aussprächen.
Die Bundesregierung hat sich in der Außenpolitik zur Kontinuität bekannt, natürlich einer um neue Impulse zu ergänzenden Außenpolitik. Das schließt die Würdigung aller positiven Ansätze ein, die von früheren Bundesregierungen unternommen worden sind. Wir haben also weiterhin eine Basis der Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition gesucht. Wir haben deswegen ausdrücklich hingewiesen auf die Friedensnote vom Frühjahr 1966 und auf die Regierungserklärung auch der letzten Regierung, der ich als Sprecher der damaligen Opposition in ihren großen Zügen ja zugestimmt habe. Wir können dort aufbauen und wollen das tun. Die Gemeinsamkeit sollte also von keiner der beiden Seiten aufgekündigt werden. Wir versuchen auf jeden Fall, Möglichkeiten der Kooperation mit der Oppositionspartei immer wieder wahrzunehmen.
Herr Dr. Kiesinger hat über die Kontinuität gesprochen und zum Ausdruck gebracht, daß ihn die konsequente Weiterentwicklung der Außenpolitik besorgt mache. Hier ging es offenbar weniger um das „konsequent" als überhaupt um „Weiterentwicklung". Ich habe den Eindruck, daß die Weiterentwicklung in dem ganz bestimmten Teil, den er hier genannt hat, ihn mit Sorge erfüllt: die Weiterentwicklung im Bereiche des Verhältnisses der beiden Teile Deutschlands zueinander. Sobald man diesen Bereich diskutiert, gibt es auf beiden Seiten immer Emotionen. Ich möchte im Interesse eines Erfolges, den wir alle wünschen, in diesem Bereich auf jede Emotion verzichten.
Ja, die Regierung hat in ihrer Regierungserklärung von zwei Staaten in Deutschland gesprochen. Sie hat gesagt: Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein, nicht wie die Beziehungen der Bundesrepublik zu irgendeinem beliebigen ausländischen Staat. Wir haben deswegen eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR nicht in Betracht gezogen.
Meine Damen und Herren, diese Formulierung kann wohl nicht verdächtigt werden, als ob das eine das andere aufheben würde. Dann müßte ich Herrn Dr. Kiesinger auch verdächtigen, entweder immer etwas Falsches gesagt, interpretiert oder gewollt zu haben; denn wir haben uns soeben in seiner Abwesenheit -
Herr Bundesminister, ich wollte die Frage an Sie richten, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baron von Wrangel gestatten.
Ja, gern!
Herr Bundesminister, darf ich Ihnen eine Frage stellen, die ich Ihnen am 25. April auch gestellt habe. Hier geht es
doch primär um das Problem, ob durch solche Erklärungen andere Länder dazu aufgefordert werden, einen zweiten deutschen Staat zum Völkerrechtssubjekt zu machen. Das ist doch die Kernfrage, und die muß geklärt werden.
({0})
Ich komme auf diese schwierige Frage jetzt gleich. Wenn Sie mir einen Augenblick zuhören, brauchen vielleicht gar keine Zwischenfragen mehr gestellt zu werden, weil ich auch auf das eingehen möchte, was Herr Dr. Birrenbach soeben schon gesagt hat. Am Ende dieses Gedankens mögen dann die Fragen vielleicht noch weiteres klären.
Ich will also noch einmal wiederholen: dann hätte Herr Dr. Kiesinger in der Vergangenheit genau das gleiche getan, als er nämlich in der Tat Briefe an den Ministerpräsidenten dieses Staates geschrieben hat, und zwar sicherlich in der Erwartung, daß die von ihm vorgeschlagenen Verhandlungen auf Regierungsebene zustande kommen.
Herr Dr. Birrenbach hat soeben hier erklärt, daß es darauf ankäme, ob solche Staaten auf Regierungsebene miteinander in Kontakt kämen; am Beispiel von China wurde das exemplifiziert. Nun, wenn es darauf ankommt, dann frage ich Herrn Dr. Kiesinger, ob er, als er diesen Brief mit diesen Vorschlägen schrieb, von vornherein hat ausschließen wollen, daß es zu solchen Kontakten kommt. Ich kann das nicht annehmen, sondern ich nehme an, daß er diese Kontakte unter bestimmten Voraussetzungen als möglich erachtet hat. Das gleiche ist ja unsere Absicht: unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu vertraglichen Regelungen zu kommen, die in ihrem Text selbst die Voraussetzungen und die Besonderheiten der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands nennen. Das ist unsere Politik, die wir verfolgen wollen.
Was das Verhältnis Dritter zur DDR angeht, muß ich sagen, daß wir hier vor der sehr schwierigen Frage stehen, wie wir unsere Interessen, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, in der Welt noch vertreten wollen, wenn wir durch unser Verhalten gezwungen sein könnten, in immer mehr Bereichen der Welt die eigenen Vertretungen zurückzuziehen. Dies ist ein ungewöhnlich schwieriges Problem, und wir wollen es mit der Vorsicht lösen, mit der diese Frage nur gelöst werden kann. Aber auch die vorige Regierung hat sich ja mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Das geht aus unserer Erklärung hervor. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich bereit erklären könnten, auch in diesem so schwierigen Teil unserer zukünftigen Politik mitzuarbeiten und auch daran mitzuwirken, daß wir nicht da stehenbleiben, wo wir sind. Herr Kiesinger hat gesagt, daß 20 Jahre lang ein Erdrutsch hat vermieden werden können. Aber ich muß doch ernsthaft fragen: was hat das denn den Menschen in der DDR in diesen 20 Jahren genützt? Ist es wirklich ein Vorteil gewesen, daß wir stehengeblieben sind, daß es uns nicht gelungen ist, zu einem höheren Grad an Normalisierung der Beziehungen zu kommen? Wenn uns das gelungen wäre, dann hätte es den Menschen auf jeden Fall mehr genützt. Das ist das Ziel unserer Politik in diesem Bereich. Ich spreche gar nicht voll zuständig darüber, weil der Außenminister hier ja nur eine Teilzuständigkeit hat. Aber ich wollte das sagen, damit das Ziel unserer Politik nicht falsch interpretiert wird, wie es so leicht geschehen kann, wenn man es in Schlagworten darstellt.
Ich will der Deutlichkeit halber sagen, daß wir die DDR natürlich nicht unkritisch als Partner hinnehmen. Mit unserer Absicht, zu vertraglichen Regelungen zu kommen, hat unsere Bewertung des Grades an demokratischer Entwicklung in der DDR überhaupt nichts zu tun. Natürlich hat die Regierung dort für uns keine demokratische Legitimation. Aber das braucht man uns ja nicht erst zu sagen. Darüber sind wir uns in diesem Haus völlig klar. Das wissen wir ja selbst, daß es so ist. Wir wissen auch, daß es andere Regierungen gibt, die keine demokratische Legitimation haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Herr Außenminister, wenn das andere Deutschland als ein souveräner Staat anerkannt wird, warum ist es dann nicht Ausland? Wie unterscheidet er sich von anderen ausländischen Staaten? Es gibt eine einzige staatsrechtliche Ausnahme, die sogenannten Inter-se-Beziehungen, die es im Commonwealth gab. Aber dort gab es ein gemeinsames Oberhaupt. Das existiert hier nicht. Wo ist also nun die Basis, auf Grund deren Sie schließen können, daß ein von Ihnen anerkannter souveräner Staat nicht Ausland ist?
({0})
Herr Kollege Dr. Birrenbach, ich muß leider sagen, daß Sie diese Regierungserklärung entweder nicht gehört haben - was ja vorkommen kann - oder zumindest nicht gelesen haben. Ich darf das deswegen noch einmal vorlesen. Wir sagen in unserer Regierungserklärung: eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Das muß Ihnen entgangen sein. Sie sprechen immer davon, daß wir die völkerrechtliche Souveränität der DDR anerkennen. Das ist in unserer Regierungserklärung nicht gesagt. Das Gegenteil ist gesagt.
Eine weitere Zwischenfrage!
Herr Bundesminister, Sie haben ein Wort eingeschlossen, das von mir nicht ausgesprochen war, nämlich „völkerrechtlich". Aber wenn Sie sagen, daß das andere Deutschland ein souveräner Staat ist, dann müssen Sie mir erklären, wieso es dann nicht Ausland ist.
Ich darf noch einmal wiederholen. Diese Regierungs88
erklärung fährt fort: Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland.
({0})
Wenn Sie das einmal werten, dann können Sie erkennen, worin der Unterschied liegt.
({1})
Sie haben soeben von der Völkerrechtslehre gesprochen. Ich habe bei einer früheren Diskussion um diese Fragen einmal ins Plenum ein Werk aus der Völkerrechtslehre mitgebracht, das sich mit Fragen der Anerkennung und der Souveränität befaßte. Es war über 400 Seiten stark und schilderte nichts anderes als die subtilen Formen, mannigfaltigen Formen der Souveränität und der Möglichkeiten der abgestuften Anerkennungen. Das ist also ein sehr komplexes Gebiet. Man sollte es in der Subtilität behandeln, in der es eine Behandlung verdient.
({2})
Ich wiederhole also noch einmal zu diesem Teil: worauf wir hinaus wollen, ist nichts anderes, als mit der DDR vertragliche Regelungen zu versuchen, damit die beiden Teile sich nicht weiter auseinanderleben, damit wir eine Chance finden, daß die Menschen wieder näher zueinander kommen können. Dieses ist das Ziel. Das Ziel ist, die Deutschen am Ende zueinanderzubringen, den Bestand der Nation zu wahren, nicht die Nation zu spalten. Bisher ist es nicht gelungen, die Spaltung zu beseitigen. Unser Versuch will nichts anderes, als einen besseren Weg versuchen, die Spaltung zu beseitigen, wenn auch auf einem langen, dornenreichen Weg. Daß Geduld dazu nötig ist, das, glaube ich, meine Damen und Herren, wissen Sie so gut, wie wir das wissen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leisler Kiep.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie haben sehr eingehend auf die Problematik hingewiesen, die Sie darin sehen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Beziehungen zu Staaten abbrechen müßte, die ihrerseits die DDR anerkennen. Wenn ich die Diskussion hier richtig verstanden habe - und diese Frage möchte ich an Sie richten , dann besteht doch die Problematik insbesondere in Anbetracht Ihrer Äußerungen im Wahlkampf, die hier wörtlich zitiert worden sind, darin, ob Sie tatsächlich die Freigabe der Anerkennung der DDR durch dritte Staaten als eine für uns unbedeutende und belanglose Sache hinstellen. Ich möchte fragen, wie Sie dann wieder den daraus resultierenden Entwicklungen begegnen wollen.
Meine Bemerkung zu diesem Punkt ist genauso zu verstehen, wie ich sie eben gesagt habe. Wenn andere
Staaten mit der DDR Beziehungen aufnehmen sollten, so ist das für mich kein Anlaß, die deutsche Interessenvertretung aufzugeben. Nur so ist es zu verstehen.
({0})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Leisler Kiep?
Bitte sehr.
Darf ich es noch einmal ganz einfach formulieren, Herr Minister: betrachten Sie die Anerkennung der DDR durch dritte Staaten
- aus was für Gründen auch immer - als einen unfreundlichen Akt oder als einen Akt, der unsere Interessen in keiner Weise berührt und daher von uns völlig reaktionslos hingenommen werden kann?
Der Akt berührt unsere Interessen, Herr Kiep, er berührt unsere Interessen, ganz ohne Zweifel
({0})
- lassen Sie mich zu Ende reden! -, und zwar in einem engen Zusammenhang mit unseren Vorstellungen über die Notwendigkeit von vertraglichen Regelungen mit der DDR. Es wird auf das Ergebnis solcher Bemühungen ankommen, wie wir die Aufnahme von Beziehungen anderer Staaten zur DDR werten. Das wird vom Ergebnis unserer Bemühungen um die Regelung des Verhältnisses der beiden Teile Deutschlands zueinander abhängen. Ich glaube, das ist eine sehr vernünftige Haltung, die wir hier einnehmen.
Eine weitere Zwischenfrage?
Herr Minister, würden Sie mir dann darin zustimmen, daß die Anerkennung der DDR durch dritte Staaten ein Akt ist, der unseren Bemühungen nicht förderlich ist?
Ich würde sagen, daß in diesem Augenblick unsere Freunde in der Welt wissen sollten, um was es uns in der nationalen Frage geht
({0})
- einen Augenblick! -, nämlich darum: mit der DDR zu vertraglichen Regelungen zu kommen, in denen eindeutig klargemacht wird, daß die beiden Teile Deutschlands sich aufeinander hin entwickeln müssen, damit die Menschen zueinander kommen können.
({1})
- Ich habe den Eindruck, daß Sie mich mißverstanden haben. Unsere Freunde in der Welt sollen wisBundesminister Scheel
sen, daß das unsere Sorge ist: daß ihr Verhältnis - ({2})
- Ich würde die Formulierung „unfreundlicher Akt" in diesem Zusammenhang gar nicht gebrauchen wollen,
({3})
sondern ich würde sagen - ich wiederhole das noch einmal, meine Damen und Herren -, unsere Freunde müssen wissen, daß dieser Entwicklungsprozeß für uns wichtig ist und daß eine Störung dieses Entwicklungsprozesses unsere Beziehungen belasten würde.
({4})
- Ich sage es ja doch!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Herr Bundesaußenminister, das von Ihnen angesprochene Problem hat zwei Aspekte. Der erste ist der - ({0})
Bitte, stellen Sie eine Frage!
Herr Bundesaußenminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß das von Ihnen angesprochene Problem zwei Aspekte hat, nämlich erstens den, daß die Anerkennung gegen vitale Interessen der Bundesrepublik verstößt, d. h. also ein unfreundlicher Akt ist - Sie mögen vielleicht ein anderes Adjektiv wählen"; ich wähle dieses -, und zweitens den, daß die Reaktion darauf in den vergangenen Jahren im Ermessen der Bundesregierung gestanden hat und daß es nicht automatisch zu einem Abbruch der Beziehungen kam?
({0})
Die Reaktion darauf steht im Ermessen der Bundesregierung; sie kann in jedem Einzelfall nach Prüfung der individuellen Situation verschieden sein. Das ist ganz klar. Ich glaube, etwas anderes hat diese Bundesregierung auch nie gesagt, und etwas anderes wird sie auch nicht sagen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Gradl?
Ich möchte die Damen und Herren nicht allzulange mit meiner Intervention aufhalten, aber -
Es liegt in Ihrem Ermessen, ob Sie Zwischenfragen gestatten.
Ich habe keine Bedenken, Herr Kollege Gradl.
Herr Außenminister, ich möchte nach allem, was Sie gesagt haben, gerne wissen, welche Weisungen Sie an das Auswärtige Amt und an den auswärtigen Dienst geben. Wird die Weisung so aussehen, daß der auswärtige Dienst auch weiterhin den Bemühungen der DDR um Anerkennung und internationale Aufwertung entgegenzuwirken hat? Wird die Weisung so formuliert sein, daß es die Bundesregierung nach wie vor zutiefst bedauern würde - jetzt will ich Sie nicht auf das Wort „unfreundlicher Akt" festnageln, obwohl ich das für das richtige halte -, wenn ein Land, in dem wir eine Vertretung haben, mit Ostberlin diplomatische Beziehungen aufnehmen würde? Schließlich: Stimmen Sie mir zu, daß ein auswärtiger Dienst solche klaren Weisungen und Richtlinien braucht, damit er draußen wirksam arbeiten kann?
({0})
Herr Kollege Gradl, zur Sache habe ich eben alles gesagt, was dazu zu sagen war. Ich möchte Ihnen aber noch mitteilen, daß der auswärtige Dienst von mir bereits gestern die Weisung bekommen hat, was er tun soll.
({0})
- Meine verehrten Kollegen, bei allem Wohlwollen, Sie werden es mir hoffentlich ersparen, die Weisungen, die ich dem Dienst gegeben habe, hier im Bundestag zu verlesen.
({1})
Mit dem Hinweis darauf, daß ich zur Sache alles das gesagt habe, was nötig ist, habe ich deutlich gemacht, welches die Grundlage der Weisung sein wird.
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zu dem zweiten Punkt, den Herr Kiesinger berührt hat, nämlich zu der Frage „Europa". Sie haben in der Regierungserklärung eine Stellungnahme zur politischen Einigung Europas vermißt. Ich will sie hier nachholen. Für die Bundesregierung erkläre ich, daß wir wie bisher - wir haben gar nicht geglaubt, daß es nötig ist, das zu sagen - die politische Einigung des ganzen Europas anstreben. Uns geht es um das vereinigte Europa. Aber der Weg dahin ist leider sehr mühsam, und gerade die Phase, in der wir uns augenblicklich befinden, ist eine der schwierigsten, die wir zu durchlaufen haben. Wir sollten uns aber nicht irre machen lassen, sondern bei diesem geradlinigen Weg auf ein einiges Europa hin bleiben. Wir wollen das, die Bundesregierung will das. Sie wird sich auch durch diese Schwierigkeiten in der EWG nicht von ihrem Ziel, dem einigen Europa zu dienen, abbringen lassen; denn die Einigung Europas, soweit sie bis jetzt fortgeschritten ist, ist eine der be90
deutendsten politischen Leistungen gewesen, die wir überhaupt in der Nachkriegszeit in Europa erlebt haben. Die Europäische Gemeinschaft ist der Kern, von dem aus die Gesamtentwicklung in Europa vorgetragen werden kann. Diese Europäische Gemeinschaft befindet sich aber eben an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung, in dem der Erfolg oder der Mißerfolg des weiteren Weges von dem politischen Willen der Mitglieder, der Beteiligten, abhängt. Ich sage „der Beteiligten", um damit deutlich zu machen, daß es auch von jenen abhängt, die beitrittswillig sind und die schon an der Gesamtdiskussion der europäischen Politik mitwirken.
Die augenblickliche Stagnation, die zu einer Krise ausarten könnte, und zwar sehr bald, hat erkennbar zwei Ursachen, die miteinander in einem Zusammenhang stehen, und zwar ist es einerseits die Tatsache, daß die wichtigsten bisherigen Ergebnisse unserer Politik im Gemeinsamen Markt, nämlich der freie Warenverkehr und die gemeinsame Agrarpolitik, in Gefahr geraten, wenn es nicht gelänge, konkrete und wirksame Fortschritte beim Aufbau der Wirtschaftsunion zu machen. Nur durch eine jetzt aber sichtbare Annäherung der Wirtschafts- und Währungspolitik in der EWG wird es möglich sein, die Fragen einer Neugestaltung der Agrarpolitik sinnvoll zu lösen. Wenn wir die Agrarpolitik nicht neu gestalten und keine neue Vorstellung dafür entwickeln und beschließen können, wird es schwer sein, Vereinbarungen über die finanzielle Zusammenarbeit innerhalb Europas für die Zukunft zu treffen. Wir - die Bundesrepublik - sind bereit, an Fortschritten, die wir brauchen, mitzuwirken und dazu auch selbst konstruktive Beiträge zu liefern. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist die, daß die ungelöste Frage der Erweiterung der EWG, vor allem der Beitritt Großbritanniens zur EWG, nun auf der Gemeinschaft und ihrem ganzen Wirken lastet wie ein Bleiklotz. Die bisherigen Meinungsverschiedenheiten in dieser zentralen politischen Frage der Europapolitik haben dazu geführt, daß auch bei den Menschen in Europa langsam das Verständnis für den Sinn dieser ganzen technokratischen Beschlüsse, die in Brüssel gefaßt werden, verloren geht. Dadurch wird das Interesse auch der Öffentlichkeit, das Interesse der jungen Menschen an diesen Dingen, in einer Weise gelähmt, die für den weiteren Weg, den wir in Europa gehen, gefährlich ist.
Es wird in dieser Lage darauf ankommen, die Stagnation zu überwinden und eine neue Dynamik zu entwickeln. Das kann aber nach unserer festen Überzeugung nur gelingen, wenn wir sowohl beim Ausbau als auch bei der Erweiterung der EWG zu Fortschritten gelangen. Herr Dr. Kiesinger hat darauf hingewiesen, daß man beides mit Energie betreiben muß. Die Bundesregierung fordert keine sofortigen Ergebnisse auf diesen beiden Gebieten. Das kann auch gar nicht sein; dazu ist der Zusammenhang zu komplex, und dazu sind die Einzelfragen zu schwierig. Wir fordern aber die Einigung über einen eindeutig bestimmten neuen Beginn, auf den sich die Beteiligten für die nächste Zukunft einigen müssen.
Hier möchte ich vor allem etwas über die Frage der Erweiterung sagen, weil hier in den letzten Monaten ganz eindeutig der Kern des Gegensatzes gelegen hat.
Die Erweiterung hat zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist ein politischer. Großbritannien hat in den letzten Jahrzehnten in einer gewissen Distanz zum Kontinent gelebt. Es hat immer eine wichtige Rolle in der europäischen Politik gespielt, ohne daß dabei allerdings eine Nähe zu Kontinentaleuropa spürbar geworden wäre. Heute erleben wir, daß Großbritannien eine Wendung macht, die niemand in der Vergangenheit vermutet hätte, eine Wendung zum Kontinent hin. Dies ist eine einmalige politische Chance, die jetzt, in der Zeit, in der sie besteht, genutzt werden muß. Wenn wir diese politische Chance nicht jetzt nutzen, meine Damen und Herren, dann könnte sie vorübergehen und ungenutzt bleiben, und das könnte am Ende die westliche Welt als Ganzes schwächen, die wir aber durch unsere Politik gestärkt haben wollen.
({2})
Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Gemeinschaft selbst. Ich knüpfe damit an das an, was ich am Anfang sagte. Es ist eine politische Tatsache, die durch die Erfahrungen der letzten .Jahre erhärtet ist, daß es uns nicht gelingen wird, eine neue Dynamik im Innern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu entwickeln, wenn und solange die Frage des Beitritts Großbritanniens und anderer beitrittswilliger Länder ungelöst bleibt. Wir sind der Überzeugung - und ich weiß mich darin einig mit dem größten Teil hier und auch in der europäischen öffentlichen Meinung -, daß Europa England braucht und daß Großbritannien auch Europa braucht. Damit ist aber gesagt, daß Ausbau und Erweiterung der Gemeinschaft tatsächlich miteinander verbunden sind. Das ist kein politisches Junktim in dem Sinne, wie man es manchmal vorträgt, sondern es ist eine tatsächliche Verbindung zwischen diesen beiden politischen Problemen innerhalb der EWG vorhanden. In der Realität ist es eben so, daß Ausbau und Erweiterung sich entweder wechselseitig blockieren, wie das im Augenblick mehr und mehr der Fall ist, oder daß sie sich wechselseitig befruchten, wie es in der Zukunft der Fall sein muß und wie wir es - ich sehe vor mir Herrn Professor Erhard sitzen - in den Diskussionen um die Römischen Verträge wegen der Befruchtung der EWG hier in diesem Hause einstimmig als ein notwendiges Ziel gefordert haben.
Das ist der Geist, meine Damen und Herren, in dem wir an die Vorbereitung der bevorstehenden europäischen Gipfelkonferenz herangehen werden. Es ist ein konstruktiver Geist. Wir sind zum Fortschritt in der Gemeinschaft ebenso bereit wie zu der praktischen Solidarität, die allerdings auch zur Politik der EWG gehört.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte zum Abschluß dieses Teils der Debatte sagen, daß die Bundesregierung ihre Außenpolitik nach ganz einfachen Maximen ausrichten wird. Sie weiß, daß es keine christliche Außenpolitik gibt, daß es
keine sozialistische Außenpolitik gibt, daß es keine liberale Außenpolitik gibt. Die Außenpolitik dient den nationalen Interessen unseres Volkes im wohlverstandenen Sinn.
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Das wollen wir zur Grundlage unseres Handelns machen. Wir wissen, daß es im wohlverstandenen nationalen Interesse unseres Volkes ist, wenn wir in allem, was wir tun, die Interessen der anderen um uns herum berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, in diesem Ziele wissen wir uns einig mit allen Fraktionen dieses Hauses, und um dieses Ziel zu erreichen, werben wir um die Mitarbeit und bieten wir unsere Mitarbeit in diesem Hause an.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr zu Guttenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Worte zu dem sagen, was Kollege Dorn hier vorhin an die Adresse von Bundeskanzler Kiesinger geäußert hat. Er hat, wenn ich recht verstanden habe, gesagt, das Angebot von Bundeskanzler Kiesinger seinerzeit an die FDP, mit ihr ein Regierungsbündnis einzugehen, widerspreche der Auffassung der CDU/CSU, die sie hinsichtlich des Wahlrechts vertreten habe. Herr Dorn, mir scheint, daß diese Ihre Äußerung an der Wirklichkeit vorbeigeht. Die Wirklichkeit war doch damals die, daß Sie in Verhandlungen mit der SPD eingetreten waren und daher eine Große Koalition - auch aus anderen Gründen - nicht mehr möglich war. Also mußte der Führer jener Partei, die unbestritten die Wahl gewonnen hatte - wenn auch nicht die Regierungsbildung -, selbstverständlich Ihnen ein solches Angebot machen. Daß sich das Wahlrecht nur im Zusammenwirken beider großen Parteien, also nur durch eine Große Koalition ändern läßt, das wissen Sie so gut wie wir. Ich sehe hier keinerlei Widerspruch.
Sie haben dann gesagt, auch Bundeskanzler Kiesinger habe dem jetzigen Außenminister Scheel damals das Außenministerium angeboten, und dies stehe in einem gewissen Widerspruch zu den Äußerungen, die Bundeskanzler Kiesinger vorher über die Außenpolitik der FDP gemacht habe. Herr Dorn, das, was Sie damit sagen wollen, ist ganz einfach historisch nicht haltbar. Der Bundeskanzler Kiesinger hat damals Ihrer Partei eine Zusammenarbeit in die 70er Jahre hinein angeboten. Er sagte dazu, daß man sich hinsichtlich der Gesellschaftspolitik und der Bildungspolitik sicherlich einig werde. Das gleiche gelte für die Wirtschaftspolitik. Hinsichtlich der Außen- und Deutschlandpolitik sagte damals Kiesinger aber Ihren Leuten: darüber müsse man noch sprechen, um festzustellen, ob man einig werden könne. Dies zur historischen Wahrheit.
Lassen Sie mich nun ein paar Worte zum Thema Deutschlandpolitik sagen, da ich wie Bundeskanzler
Kiesinger der Meinung bin, daß das in der Tat die zentrale Problematik dieser Debatte und wohl auch der kommenden Zeit sein wird.
Zunächst zum Thema: Gibt es zwei deutsche Staaten? Was hier die Herren Kollegen Dorn und Wischnewski und auch der Herr Außenminister zu diesem Thema gesagt haben, hat mich aufs äußerste bestürzt.
({0})
Hier wurde nämlich gesagt, daß diese Anerkennung als zweiter deutscher Staat in Wahrheit schon von Bundeskanzler Kiesinger dadurch vollzogen worden sei, daß er einen Brief an Herrn Ministerpräsidenten Stoph geschrieben habe.
({1})
- Vielleicht wurde das nicht wörtlich so gesagt, aber jedenfalls war dies der Sinn dessen, was gesagt wurde.
Meine Damen und Herren, wenn heute jemand aus dem Bereich unseres früheren sozialdemokratischen Koalitionspartners erklärt, der damals geschriebene Brief sei eine Vorwegnahme dieser staatlichen Anerkennung, dann müßte ich ja eigentlich annehmen, daß man uns getäuscht hat; denn wir haben doch damals gemeinsam gesagt, daß dies nicht Anerkennung sei. Und wir haben damals auch gemeinsam die Meinung vertreten, daß man sehr wohl miteinander reden könne, ohne denen drüben dadurch den Charakter eines Staates zusprechen zu müssen. Ich mache auch darauf aufmerksam, daß in diesem Brief, den Kiesinger an Stoph geschrieben hat, zu lesen steht, daß diese Bundesregierung - im Brief an Stoph zu lesen! - für ganz Deutschland spreche, solange die Menschen drüben nicht frei ihren Willen bekunden könnten.
({2})
Hier ist viel von der notwendigen Kontinuität die Rede gewesen, auch in der Rede von Herrn Scheel. Glauben Sie mir bitte, der ich einer war und bin, der zu dem steht, was wir in den vergangenen drei Jahren gemacht haben, daß ich für diese Kontinuität bin, und daß diese ganze Fraktion der CDU/CSU dies ist.
({3})
Aber das, was wir hinsichtlich dieses zweiten deutschen Staates in der Regierungserklärung gelesen und heute gehört haben, ist nicht Fortentwicklung der Kontinuität, das ist in diesem entscheidenden Punkt - leider, sage ich, leider! - Bruch der Kontinuität.
({4})
Meine Damen und Herren, ich sage ein Weiteres. Als ich in dieser Regierungserklärung las, daß es also zwei deutsche Staaten gebe, da habe ich dies als eine dunkle Stunde angesehen, eine dunkle Stunde für dieses Haus, für unser Volk; die Stunde nämlich, in der erstmals eine frei gewählte deutsche Regierung von einem „zweiten deutschen Staat" spricht.
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Und warum? Aus einem ganz einfachen Grund: Nicht aus irgendwelchen juristischen Überlegungen oder, wie vorhin gesagt wurde, aus irgendwelchen aus einem völkerrechtlichen Seminar abgeleiteten Formeln, sondern aus diesem Grund: Es gibt nur e in en Souverän, der darüber befinden darf, der darüber befinden kann, ob auf deutschem Boden ein oder zwei Staaten bestehen; und dieser Souverän ist das deutsche Volk.
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Und also sage ich - objektiv -, daß keine deutsche Bundesregierung in dieser Lage das Recht hat, über das deutsche Volk hinweg,
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über den Kopf der betroffenen Deutschen hinweg einen zweiten deutschen Staat anzuerkennen.
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Lassen Sie mich für mich und meine Freunde erklären, daß wir - und wir sind nicht ganz, aber beinahe die Hälfte in diesem Hause - unbeirrt weiterhin zu diesem Pseudostaat drüben dies sagen: auch wir wissen, daß dort Macht ausgeübt wird, auch wir wissen, daß es dort ein Territorium gibt, auf dem und über das diese Macht ausgeübt wird; aber wir erklären, daß die Menschen drüben noch nicht befragt worden sind und in freier Abstimmung darüber entschieden haben, oh es zwei deutsche Staaten geben soll. Wenn sie hierüber einmal befragt sein werden, dann soll ihre Erklärung gelten, auch für uns.
({9})
Ich warne in diesem Zusammenhang davor, undeutliche, zweideutige, zweilichtige Begriffe
({10})
in dieses Gebiet der Deutschlandpolitik einzuführen.
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Gewiß, in der Regierungserklärung wird gesagt, man sei gegen völkerrechtliche Anerkennung - was soll der Zusatz heißen? - als Ausland. Gibt es denn andere völkerrechtliche Anerkennung? Aber wir müssen doch sehen, welche Wirkung nach außen ausgestrahlt wird, wenn die deutsche Regierung davon spricht, daß es zwei deutsche Staaten gebe. Zeigen Sie mir den dort in der UNO, irgendwo in Afrika, in Asien, in der Dritten Welt, der zu unterscheiden verstünde zwischen: völkerrechtlich als Ausland nein, staatsrechtlich aber als Staat gleicher Nation ja.
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Ich sehe das leider nicht, und ich möchte unseren Außenminister bitten, in jener Anweisung, von der er sprach, so deutlich wie möglich zu machen, was hier deutlich gemacht werden muß, nachdem dieser Satz leider einmal gesagt wurde.
Meine Damen und Herren, ich warne also vor Begriffsakrobatik in diesen Kernfragen unserer Politik.
({13})
Staatsrechtlich ja, völkerrechtlich nein - Staat ja, Ausland nein.
Und dann kommt noch einer - immerhin der Regierende Bürgermeister von Berlin, Schütz - und sagt, man müsse die Machtstruktur der DDR anerkennen. Meine Damen und Herren, dieser Satz und dieses Wort hat mich ganz besonders bestürzt. Denn was heißt dieses Wort, wenn man seine Elemente zergliedert? Was ist denn „die Machtstruktur drüben" ? Es gibt leider genaue Kriterien dieser Machtstruktur. Ein Kriterium ist die Mauer in Berlin. Ein anderes Kriterium sind die Schüsse, die dort fallen, und ein drittes Kriterium sind Minenfeld und Stacheldraht durch Deutschland. Das sind die Kriterien dieser Machtstruktur.
({14})
Ich unterstelle Herrn Schütz nicht, daß er uns etwa auffordern wollte, dies alles anzuerkennen. Aber ich sage ihm, er soll vorsichtiger mit den Begriffen der deutschen Sprache umgehen!
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Wir sollten uns alle davor hüten, einen Schleier von Worten, einen Nebel von Begriffen um den Kern der Sache entstehen zu lassen. Dieser Kern, meine Damen und Herren, ist seit 20 Jahren der gleiche: die fehlenden Menschenrechte drüben in der Zone und die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für die Menschen dort.
({16})
In der Regierungserklärung ist ein Satz, der mir sehr gefallen hat, nämlich der Rückblick auf die Verbrechen der Hitler-Clique. Ich meine, wir alle sollten ab und zu einmal einen solchen Satz sagen. Aber wenn wir diesen Satz dort stehen sehen, dann drängt sich eine andere Überlegung auf. Deutschlands Unglück war damals doch dies: daß es radikalen Kräften gelang, die zweite deutsche Demokratie zu zerstören und Deutschland aus dem Lebensbereich der westlich-demokratischen freiheitlichen Welt herauszuführen.
Meine Damen und Herren, ich sage das nicht ohne aktuellen Bezug. Die Bundesrepublik ist heute dank unser aller Tätigkeit fest in diesem westlich-demokratischen freiheitlichen Verband und Lebensbereich verankert. Ich wage aber, zu sagen, daß diese Anker nur so lange verläßlich bleiben, wie wir alle dafür sorgen, daß die neuerliche Leugnung demokratischfreiheitlicher, rechtsstaatlicher Werte auf deutschem Boden drüben im Bewußtsein aller Deutschen bleibt.
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Das aber bedeutet für uns, eine klare und saubere Sprache zu führen, und es bedeutet auch, daß man nicht mit intellektuellen Tricks gegen diesen konsequenten, klaren, harten Willen der Großmacht Sowjetunion angehen kann. Ich leugne nicht, daß ich eine gewisse Bewunderung gegenüber dieser sowjetischen Politik empfinde, die in der Tat für uns nichts zu überlegen und zu zweifeln übrigläßt. Was diese Politik von uns Deutschen will, wissen wir alle; das sagt uns die Sowjetunion sozusagen täglich und deutlich. Wir sollten doch nicht glauben, daß wir mit der Davidsschleuder solcher Begriffsakrobaten gegen diesen Goliath antreten können.
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Meine Damen und Herren, das ist doch nur Schlaumeierei durch einen solchen David. Oder vielleicht heißt er in diesem Fall Egon; das könnte auch sein.
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Was wird denn mit solchen Begriffsmanipulationen bezweckt? Ich glaube nicht an die Bereitschaft drüben, sich auf ein solches Spiel einzulassen. Der Katalog dessen, was man in Ostberlin von uns will, ist eindeutig. Ich brauche ihn nicht aufzuzählen. Ich fürchte nur, daß die Forderungen drüben um so höher werden, je mehr Konzessionsbereitschaft hier vermutet wird.
({20})
Zum Thema der Anerkennung durch Dritte hat es hier eine recht bezeichnende Episode gegeben. Nachdem die Regierungserklärung hierüber nichts gesagt hat, sich vielmehr in Schweigen hüllte, und man schon den Eindruck haben konnte, als wünsche die Regierung auf diesem Feld carte blanche für das, was sie für richtig hält, ist hier nun der Außenminister gefragt worden. Er hat vorhin gesagt, er sei bereit, mit uns zu kooperieren; und wir haben erklärt, daß wir bereit sind, diese Regierung zu unterstützen.
Aber, meine Damen und Herren, dazu gibt es doch eine selbstverständliche Voraussetzung, nämlich die, daß man voneinander weiß, was man will.
({21})
Herr Scheel hat hier erst auf bohrende Fragen hin, und dann nur halbe Antworten gegeben.
({22})
Ich frage mich, da ich mich erinnere, was Herr Scheel und seine Partei im Wahlkampf zu dieser Frage gesagt haben, und da ich weiß, was die SPD noch im Mai zu diesem Thema gesagt hat - „unfreundlicher Akt" hat sie damals in der Regierung gesagt - : Ist es etwa so, daß dieses Resthäuflein der FDP Ihnen von der SPD in diesem Punkt seinen Willen aufgezwungen hat? Ich frage mich dies deshalb, weil ich heute nicht mehr von der Regierung höre, daß die Anerkennung der DDR durch Dritte ein unfreundlicher Akt sei.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wegen der beschränkten Zeit nur noch kurz einen dritten Punkt ansprechen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß die Redezeit gegenüber der früheren Geschäftsordnung sehr beschränkt ist. Die Ihre ist dem Ende nahe.
Herr Präsident, ich werde mich in einigen Sätzen sehr kurz fassen.
Was ich auch vermisse, ist eine Aussage der Regierung zu der Frage, ob sich diese Regierung selbst für legitimiert ansieht, für alle Deutschen zu sprechen.
({0})
Diese Erklärung stand bisher noch in jeder Regierungserklärung und war gemeinsames Gut der Großen Koalition. Ich frage die Regierung: bleibt dies weiter so, oder soll dies unter jene „alten Rechte" fallen, die, von diesem Fontane-Zitat unseres Bundeskanzlers ausgehend, offenbar als überholt angesehen werden?
Nach meiner Meinung gibt es Rechte - um nun nicht mit Fontane, sondern mit Goethe zu sprechen -, die mit uns geboren sind, und für diese Rechte werden wir weiter eintreten.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Der Abgeordnete Guttenberg hat von einer „dunklen Stunde" und der vorige Herr Bundeskanzler von einem „Erdrutsch" im Zusammenhang mit den Dingen gesprochen, die hier zur Verhandlung stehen.
({0})
Erdrutsch: höchstens ein Erdrutsch der Illusionen, meine verehrten Damen und Herren!
({1})
Die wirkliche Alternative, vor der wir stehen, ist folgende. Ich sage nur diese wenigen Sätze, weil ich mich im Rahmen der Debatte in anderem Zusammenhang erneut äußern will. Die wirkliche Alternative ist, ob man überwiegend dabei bleibt, zu beklagen und zu bedauern, was als Ergebnis des zweiten Weltkrieges schlecht ist, oder ob man unter veränderten Bedingungen jede mögliche Chance nutzt, um für die Menschen im geteilten Deutschland, für den Frieden in Europa - das ist die Alternative - etwas zu erreichen,
({2})
und damit zugleich die Chance der Nation in einer veränderten europäischen Landschaft, die es mitzugestalten gilt, wahrnimmt, nämlich die Chance der Nation,
({3})
von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch zu machen oder jedenfalls die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Die Welt besteht nicht überwiegend aus juristischen Formeln,
({4})
und keines Menschen Leben im anderen Teil Deutschlands hat durch hier ausgesprochene juristische Formeln verbessert und erleichtert werden können.
({5})
Überwiegend nicht durch deutsche Schuld ist der Graben zwischen uns und dem anderen Teil in
diesen 20 Jahren tiefer geworden. Wir müssen uns an den Satz vom 13. Dezember 1966 erinnern, daß wir dort, wo es geht, alles tun müssen, um diesen Graben nicht noch tiefer werden zu lassen.
({6})
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Frage falsch gestellt. Unnötigerweise verrennen wir uns in einen fruchtlosen Streit, wenn wir nun auch noch auseinandernehmen wollen, in welchem Maße wir für alle Deutschen zu sprechen haben.
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- Das ist kein Ausweichen. Sie - ich sage es noch einmal - und wir alle haben miteinander versucht, für alle Deutschen zu sprechen. Wer nachliest, stellt fest: Diese Regierung spricht in der Regierungserklärung aus ihrer Sicht über das, was für die deutsche Nation und für ihre gute Zukunft erforderlich ist. Durch das bloße Sprechen, das bloße Erheben des Anspruchs, hat sich für die Menschen nichts geändert. Darum ist es wichtiger, als diesen Anspruch zu erheben, etwas für die Menschen im geteilten Deutschland zu tun.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hallstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler Kiesinger hat in seiner Rede bemerkt,
({0})
daß in der Regierungserklärung das Wort vom politisch geeinten Europa nicht vorkomme. Ich möchte diese Beobachtung noch etwas verlängern und hinzufügen: Nicht nur das Wort, sondern auch die Sache kommt nicht vor.
Ich habe mir große Mühe gegeben, aus der Regierungserklärung herauszulesen, was denn nun die Europapolitik - im Sinne von Integrationspolitik - dieser Bundesregierung ist, und bedauere sagen zu müssen, daß die Regierungserklärung dafür so gut wie nichts hergibt.
({1})
Nun ist von dem Herrn Bundesaußenminister in dankenswerter Weise versucht worden, diese Lücke zu füllen. Ich muß aber bemerken, daß auch für diesen Punkt die Feststellung zutrifft, die Herr von Guttenberg soeben für ein anderes Thema getroffen hat, nämlich daß seine Antworten halbe Antworten sind.
({2})
Meine Damen und Herren, in der Regierungserklärung wird von Tatbeständen, die zum Komplex der
Integrationspolitik gehören, in einer Weise gesprochen, daß ein unbefangener Leser, der nicht in diesen Dingen lebt, aus der Lektüre dieser Erklärung niemals auf den Gedanken kommen könnte, daß wir überhaupt an einer solchen Unternehmung Anteil haben; so inhaltslos sind die Aussagen über die Integrationspolitik.
Da Aufgabe dieser Debatte die Kritik - die Würdigung der Regierungserklärung, wie ich neutraler sagen möchte - ist, dürfen wir nicht nur das ins Auge fassen, was sie sagt, sondern müssen auch das ins Auge fassen, worüber sie etwas sagen müßte, worüber sie aber nichts sagt. Dieses Zweite ist mein Thema.
Die Sache wird noch dadurch verschlimmert, daß die Regierungserklärung eine Fülle von Einzelgegenständen behandelt, die zu den Zusammenhängen der europäischen Integrationspolitik gehören oder die, konkreter gesprochen, klar in den bereits betätigten Kompetenzbereich der Organe der Europäischen Gemeinschaft fallen, ohne daß sie es notwendig findet, von der Tatsache, daß solche Zusammenhänge bestehen, auch nur Notiz zu nehmen. Infolgedessen darf sich niemand wundern, wenn wir aus dieser Erklärung den Eindruck zurückbehalten, daß hier mit einer an Indifferenz grenzenden Distanziertheit von den wichtigsten Vorgängen der europäischen Integration gesprochen wird. Ich will das durch ein paar Beispiele belegen.
Es ist von der Handelspolitik die Rede, und es wird gesagt - was lobenswert ist -, daß wir eine liberale Außenwirtschaftspolitik machen wollen. „Dazu tragen wir" - so fährt die Regierungserklärung fort - „durch unsere Politik und durch unsere Beteiligung an allen mit dem Welthandel befaßten Organisationen bei." - Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist, daß die Zuständigkeit zur Führung einer eigenen nationalen Handelspolitik zeitlich begrenzt ist und wir unmittelbar vor dem Übergang dieses Teiles nationaler Souveränität der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in die Kompetenz der Gemeinschaft stehen. Ich meine, dieser Tatbestand hätte wenigstens erwähnt werden sollen.
({3})
Wir werden selbstverständlich in der Gemeinschaft dahin zu wirken haben, daß diese Gemeinschaft eine Handelspolitik macht, die unseren Vorstellungen entspricht, und nicht etwa eine protektionistische oder sonst antiliberale. Aber diese Erklärung wird auch im Ausland gelesen, und welches Bild soll man sich dort von der Vertragstreue des deutschen Partners und von seiner Treue zum Konzept der Europäischen Gemeinschaft machen, wenn dieser Punkt im besten Fall schlicht übersehen ist?!
Agrarstrukturpolitik: „Es bleibt" - ich zitiere wörtlich - „das Ziel der Bundesregierung, die nationale Verantwortung für die landwirtschaftliche Strukturpolitik zu erhalten." Ich begreife, daß gute Gründe dafür sprechen, die Verantwortung für die Agrarstrukturpolitik nicht ganz an die Gemeinschaftsinstanzen abzugeben. Aber man kann doch nicht mehr so tun, als wäre das eine Frage, die
noch ganz zur Disposition dieser Regierung oder dieses Gesetzgebers steht.
({4})
Das ist nicht so. Man kann doch nicht so tun, als ob es einen großen Plan der Europäischen Gemeinschaft gar nicht gäbe, der mit dem Namen Mansholt verknüpft ist. Ich sage gar nicht, daß man den akzeptieren muß - das ist eine ganz andere Frage -, aber man muß sich dann mit diesem Plan innerhalb der Gemeinschaft auseinandersetzen und muß versuchen, auch hier die eigenen Vorstellungen in Harmonie zu bringen mit denen, die sich in der Gemeinschaft bilden.
Technologie: „In Europa" - das lesen wir, das hören wir „gibt es eine Gemeinschaft der Wissenschaftler, die in ihrer Leistungsfähigkeit hinter den amerikanischen und sowjetrussischen dann nicht zurückzustehen braucht, wenn sie es lernt, ihre Kräfte zu vereinigen." Nein, meine Damen und Herren, diese Gemeinschaft der Wissenschaftler braucht nicht erst zu lernen, daß sie ihre Kräfte vereinigen muß; das gibt es, das gibt es auf der ganzen Welt. Die Regierungen müssen lernen, daß es ihre Pflicht ist, den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen, daß technologische Zusammenarbeit fruchtbar betrieben werden kann, und das kann man nur mit großen Mitteln und großen Räumen. In Messina haben wir das schon gewußt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schultz? - Es liegt in Ihrer Hand, ob Sie sie zulassen.
Herr Kollege Dr. Hallstein, darf ich auf einen Punkt zurückkommen, den Sie an sich schon verlassen haben: Irre ich mich, wenn ich mich daran erinnere, daß sich der seinerzeitige Bundesfinanzminister Dr. Franz Josef Strauß sehr prononciert für eine nationale Strukturpolitik ausgesprochen hat?
Ich habe zu diesem Gegenstand geantwortet.
Ich will jetzt diesen Katalog der Beispiele nicht verlängern. Ich will nur sagen, daß wir gleiche Beobachtungen bei anderen Partien der Regierungserklärung über Gebiete machen, die Gemeinschaftsbestandteil sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Herr Dr. Hallstein, ist Ihnen bekannt, daß die Forderung, die Agrarstrukturpolitik auch in Zukunft national zu finanzieren - nicht unabhängig national zu machen -, eine der wesentlichen Forderungen ist, die auch die Agrarpolitiker der CDU/CSU stets in der Diskussion um den Mansholt-Plan vertreten haben?
Zur Agrarfinanzierung habe ich nicht gesprochen; das Thema wird noch erörtert werden.
({0})
Ich habe von der Agrarstrukturpolitik gesprochen, nicht von der Agrarfinanzierung, die sich ja nicht auf die Agrarstrukturpolitik beschränkt, sogar in der Hauptsache Teil der Agrarmarktpolitik ist.
Einen Augenblick! Ich muß die Zwischenfragen nach der Reihenfolge der Meldung nehmen. Als nächster hat sich Abgeordneter Moersch gemeldet. Herr Abgeordneter, lassen Sie die Zwischenfrage zu? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Professor Hallstein, darf ich aus Ihrer Antwort auf die Frage meines Kollegen Schultz schließen, daß Sie sich in einem vollen Gegensatz zum Abgeordneten Dr. Strauß befinden?
Nein!
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?
Ich gehe davon aus, Herr Präsident, daß das meiner Zeitquote zugerechnet wird.
Jawohl, es wird jedem Redner zugerechnet; das wäre ja sonst ungerecht.
Herr Dr. Hallstein, wenn Sie sich nicht im Widerspruch zu dem Kollegen Strauß befinden wollen, dann billigen Sie also die Äußerung von Herrn Strauß während des Wahlkampfes, daß Agrarstrukturpolitik nationale Aufgabe im Interesse unserer Haushaltsgestaltung bleiben müsse?
Im Interesse unserer Haushaltsgestaltung?
Im Interesse unserer Haushaltsgestaltung und der finanziellen Möglichkeiten. Deshalb müsse die Agrarstrukturpolitik in nationaler Hand bleiben.
Meine Damen und Herren, das ist doch nicht mein Punkt.
({0})
Mein Punkt ist der, daß hier Aussagen über Agrarpolitik gemacht worden sind, die nicht in den Händen dieser Regierung und dieses Parlaments allein liegt,
({1})
sondern auf Grund eines Vertrages, der von der Bundesregierung geschlossen und von diesem Hohen Hause ratifiziert worden ist, Gegenstand der Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft geworden ist. Alle Ziele, die hier für löblich und verfolgenswert befunden werden, können in dieser Gemeinschaft zur Geltung gebracht werden. Aber wir können doch keine Darstellung wählen, die so aussieht, als hätten allein wir darüber zu befinden.
({2}) Das ist mein Punkt.
({3})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fellermaier.
Herr Dr. Hallstein, darf ich dann nochmals präzisierend fragen: Hat dann unter Berücksichtigung dessen, was Sie jetzt sagen: daß wir nicht frei wären in der Frage der Agrarstrukturpolitik, Franz Josef Strauß im Wahlkampf etwas gesagt, was nur Sie kennen, aber er anscheinend nicht kannte oder zu dem Zeitpunkt aus vordergründigen Gründen nicht kennen wollte?
({0})
Ich glaube nicht, daß der Herr Abgeordnete Strauß im Wahlkampf etwas gesagt hat, was im Widerspruch ist mit dem, was ich hier vortrage, denn er kennt die Verträge.
({0})
Der Abgeordnete Apel hat noch eine Zwischenfrage. Nehmen Sie sie an?
Ich möchte eigentlich jetzt mal fortfahren.
Das ist Ihr gutes Recht, Herr Abgeordneter.
Ich darf vielleicht darum bitten, daß wir diese Fragen am Schluß sammeln, wenn dann noch welche übrigbleiben.
({0})
Gleiches, meine Damen und Herren, gilt - nur um zu zeigen, daß das keine willkürlich herausgelesenen Einzelfälle sind - für die Themen der Regionalpolitik, der allgemeinen Strukturpolitik, der Energiepolitik und der Verkehrspolitik, wo wir wahrscheinlich vielleicht nicht überall umstürzende, aber zum Teil doch bedeutende und immer respektheischende Leistungen der Gemeinschaft vorzuweisen haben, die man nicht einfach mit Schweigen übergehen kann.
Nach alledem - und nun komme ich am Schluß zum wichtigsten Punkt der Bemerkungen, die ich machen will - nimmt es nicht Wunder, wenn wir zu der bedeutendsten und aktuellsten Frage der europäischen Einigungspolitik keine Auskunft bekommen. Das ist die Frage, die auch der Herr Bundesaußenminister mit Recht in den Mittelpunkt seiner Analyse der gegenwärtigen Krisensituation gerückt hat. Er hat gesagt, wir sind an einem Wendepunkt der Entwicklung der Gemeinschaft angelangt. Das ist eine vollkommen zutreffende Interpretation der Situation. Wir haben die Zollunion vollendet. Die Zollunion war getragen von einem festen vertraglichen Gerüst, einem Zeitkalender und quantitativen Festlegungen. Die Wirtschaftsunion, die wir jetzt zu vollziehen haben, kann mit so einfachen Rechnungsgrößen nicht arbeiten. Hier sind die grundlegenden Entscheidungen den Organen der Gemeinschaft - übrigens aus vielen Gründen - überlassen worden.
Nun kommen wir deshalb nicht weiter in einer Fülle von Sachfragen, die auf dem Tisch des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft liegen, und auch in der Erhaltung der institutionellen Ordnung unserer Gemeinschaft, weil es an einer grundsätzlichen Entscheidung fehlt, daß und wann Wirtschaftsunion und Währungsunion, Herr Bundesaußenminister - bestehen werden, wann sie vollendet sein werden. Wir brauchen eine solche Entscheidung. Das bloße weitere Fortwursteln in der Routine reicht, das hat die Erfahrung bewiesen, nicht aus, um hier den Fortschritt zu sichern.
({1})
Wir brauchen einen grundsätzlichen Anstoß. Wir brauchen das, was man in der europäischen Fachsprache eine „relance" nennt. Dieser Anstoß ist jetzt fällig. Die Gelegenheit dazu, ihn zu geben, wird durch zwei Fakten erleichtert: einmal durch den Ablauf der Übergangsperiode, die uns zu bestimmten Entscheidungen zwingt, die nach dem Vertrag befristet sind, und zweitens durch den bevorstehenden Gipfel.
Und nun, Herr Bundesaußenminister, darf ich mich vielleicht an Sie wenden und sagen, daß es in einer solchen Lage nicht genügt, festzustellen, daß der europäische Weg mühsam ist. Das wissen wir. Was wir erwartet hätten, das wäre, daß uns in all diesen Punkten, die ich erwähnt habe, gesagt worden wäre, wie hier der Fortschritt bewirkt werden kann: in der Verkehrspolitik, in der Strukturpolitik, in der Energiepolitik, in der Regionalpolitik - alles Themen, in denen die Bundesregierung zur Mitwirkung an Gemeinschaftsentscheidungen aufgerufen worden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
({0})
Ich möchte das erst zu Ende führen.
Also gut. Bitte!
Ich weiß - und ich stimme Ihnen zu, daß Sie das gesagt haben -, daß es Hindernisse auf diesem Wege gibt, eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen.
Einmal ist sie schwierig in der Sache; denn dazu gehört vor allem auf dem Gebiet der Währungspolitik die Zielsetzung für eine gemeinsame Stabilitätspolitik, und das ist kein Honiglecken. Aber ich möchte doch sagen: so schwer diese Entscheidungen sind, sie sind nicht schwerer als die Entscheidungen, die in den letzten 12 Jahren innerhalb der Gemeinschaft zu fällen waren und gefällt worden sind.
({0})
Die zweite Schwierigkeit ist, daß einer die Initiative übernehmen muß, und hier bin ich bei meinem zentralen Punkt. Warum eigentlich nicht wir? Ich sehe gar keinen Einwand dagegen. Auf die Bundesregierung richten sich ohnedies aller Augen. Es wird ja zuviel davon gesprochen, wie stark wir wirtschaftlich sind. Vielleicht wäre es klüger, darin etwas leiser zu sein. Alle warten im Grunde darauf, daß eine Initiative von uns kommt. Sie haben Furcht vor unserer Stärke, auch im Westen. Wäre es nicht eine gute Sache, dagegen etwas zu tun im Sinne einer Bekräftigung eines tätigen guten Willens, einer tätigen Bereitschaft zu einer redlichen und rückhaltlosen Eingliederung in eine europäische Gemeinschaft? Ist das nicht ein ausgezeichnetes Mittel, um diese Furcht zu besänftigen? Es steht dabei mehr auf dem Spiel als bloß ökonomische Interessen; denn wie schon gesagt worden ist und wie Sie selbst erwähnt haben, Herr Bundeskanzler, ist diese Gemeinschaft der Kern eines größeren Werks, eines letztlich politischen Werks. Wir wollen nicht nur ökonomisch den Großraum nutzen. Wir wollen den Frieden zwischen den Beteiligten wahren. Die europäischen Gemeinschaften sind die einzige existierende europäische Friedensordnung unserer Zeit, und eine verläßliche.
({1})
Wir wollen Sicherheit für Europa durch diese Zusammenfassung. Und wir wollen schließlich eine Teilhabe an der Weltpolitik wiedererlangen, die vielleicht die einzige reale Chance ist, die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
({2})
Nun sagt man, Eile ist geboten, vor allem wegen der englischen Verhandlungen. Ein richtiger Einwurf. Deshalb würde ich sagen: man sollte sich bei den bevorstehenden Entscheidungsgelegenheiten, vor allem beim Gipfel, aber auch bei den Konferenzen, die ihn vorbereiten oder begleiten und umranken werden, auf das Notwendige beschränken und die Einzelausarbeitungen den Organen der Gemeinschaft, die darin geübt sind - Kommission und Rat -, überlassen.
Was gehört zu dieser Grundsatzentscheidung? Zuerst die Festlegung des Ob, des Wann, d. h. der Etappen der Vollendung einer Wirtschafts- und Währungsunion. Das Europäische Parlament hat vor
wenigen Tagen den Vorschlag gemacht, den 1. Januar 1975 als Zieldatum für dieses Werk zu bestimmen. Warum das nicht aufnehmen?
Das zweite ist die Wiederherstellung der organisatorischen Ordnung, die notleidend geworden ist: Wiederherstellung des normalen Verfahrens im Ministerrat. einschließlich der Mehrheitsabstimmung dort; die Wiederherstellung der Stellung der Kommission, die arg angeschlagen ist durch den Unwillen vieler, gerade in der Handelspolitik sie nach dem Vertrage agieren zu lassen; weiter die Verstärkung des Europäischen Parlaments.
Schließlich die Entscheidung über das Verfahren für den Beginn der Verhandlungen.
Das alles sollte zusammengefaßt werden. Ich glaube, es wäre eine gute Sache, wenn die Bundesregierung sich zum Sprecher dieses Gemeinschaftsbedürfnisses machte.
Das, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, ist nur eine Beschreibung der Problematik, und ich bedauere sagen zu müssen, Herr Bundesminister: auch das, was Sie gesagt haben, geht nicht darüber hinaus. Wir vermissen die Aufklärung über die konkrete Aktion in dieser aktuellen und höchst grundsätzlichen Frage. Es geht um eine Art von Zusatzgründung zu dem, was über die Zollunion hinaus geschehen muß. Ich glaube, daß wir ein Anrecht darauf haben, zu wissen, was Sie konkret vorhaben. Die bisherigen Aussagen genügen uns nicht. Ich darf daher die Bundesregierung fragen, ob ein Konzept von der Art, wie ich es eben hier skizziert habe, ihren Vorstellungen entspricht, wenn ja, wie sie es zu verwirklichen gedenkt - durch welche konkreten Aktionen und bei welchen Gelegenheiten -, und wenn nein, welche anderen Vorstellungen sie hat. Ich glaube, daß von der Antwort hierauf nicht nur in Deutschland das Urteil über die Grundeinstellung dieser Regierung zu den Fragen der europäischen Einigung abhängig sein wird.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch Zwischenfragen?
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, an dieser Stelle und in dieser Phase der außen- und europapolitischen Debatte ist es meine Pflicht und ist es angebracht, etwas über die Verhandlungen zu berichten, über die Konsultationen, die wir gestern und vorgestern im Ministerrat der EWG gehabt haben.
Bei dieser Gelegenheit muß ich ein Thema behandeln, das von Mitgliedern der CDU/CSU-Frak98
tion nach wie vor als ein obszönes Thema angesehen wird,
({0})
ich muß das Thema der Aufwertung der D-Mark im Zusammenhang mit Luxemburg behandeln.
({1})
Ich will hier auch gar nicht weiter polemisieren. Nach den Worten unseres Kollegen Strauß zu Anfang des Nachmittags habe ich nun vernommen, daß das Parlament nicht die Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln darstellt. Das ist wenigstens meine Schlußfolgerung aus seinen Worten. Zitieren muß ich natürlich aus seiner „Franz-Josefinischen Hauspostille" oder aus der „Prawda von München", wie ich den „Bayern-Kurier" ihm gegenüber oft genannt habe.
({2})
- Was man dort liest, das ist die Wahrheit über die CSU. Die Sache mit der Prawda war ein Eigentor!
({3})
Herr Stücklen, das tut mir leid, gerade bei einem so netten Mann wie Ihnen.
({4})
Am 11. Oktober dieses Jahres, also 14 Tage nach der Freigabe des Wechselkurses durch die Bundesregierung der Großen Koalition, schrieb Franz Josef Strauß in seiner Hauspostille:
Den von SPD/FDP versprochenen Gewinn darf sich ein richtiger Spekulant nicht entgehen lassen. Bis jetzt ist bereits eine halbe Milliarde Spekulationsgewinn entstanden. Eine gute Gewinnausschüttung, nur nicht für das deutsche Volk!
({5})
- Das stimmt überhaupt nicht, denn wir hatten schwankende Wechselkurse, und mit diesen haben wir die Spekulation abgeschirmt. Der Artikel war zu früh geschrieben. Er lautete weiter:
({6})
Es werden ungezählte weitere viele Millionen verdient werden. Daß eine Regierung SPD/FDP von denen im Ausland begrüßt wird, die sich durch eine von diesen Parteien als Wahlkampfthema programmierte Aufwertung persönlichen Gewinn versprechen, oder auch von denen, die eine Schwächung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und damit eine Verbesserung ihrer eigenen Stellung im Welthandel erwarten, konnte niemand überraschen.
({7})
Dies war anscheinend denen gleichgültig, die nach dem Motto handelten: Was kümmert uns der Schaden von Währung und Wirtschaft, wenn wir an die Macht kommen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will darauf nicht mit einer Gegenpolemik antworten. Ich habe ja nur aus dieser Postille zitiert.
({8})
Ich will Sie nur an folgendes erinnern: Vor mir sitzt Ludwig Erhard, und er hat 1961 schon einmal jene „obszöne Tat" vollbracht. Mehr will ich dazu nicht sagen.
({9})
So hätten wir es auch haben können, wenn man rechtzeitig gehandelt hätte.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Ja, bitte!
Herr Abgeordneter Dr. Lenz!
Herr Bundesminister, Sie haben uns eben versprochen, aus Luxemburg zu berichten.
({0})
Kann ich aus Ihren Ausführungen schließen, daß
man dort über den „Bayern-Kurier" gesprochen hat?
({1})
Wir haben nicht über den „Bayern-Kurier" gesprochen. Wir haben über die deutsche Aufwertung gesprochen, und die deutsche Aufwertung ist laufend so originell, so genuin und so bunt im „Bayern-Kurier" kommentiert worden, daß ich den „Bayern-Kurier" deswegen hier zitieren mußte.
({0})
Bevor ich zu dem eigentlichen Bericht komme, will ich zu Herrn Dr. Barzel ein paar Worte sagen. Dr. Barzel hat uns eine „unbequeme Opposition" verheißen. Ich sage ja dazu. Das ist eine gute Sache. Es fördert den Kreislauf, bei Ihnen wie bei uns. Das ist also ganz in Ordnung.
({1})
Dann haben Sie gesagt: Aus der Zeit der Großen Koalition wird nun die Zeit der großen Kontroversen, heraus aus den inneren Kreisen, den Konventikeln, mehr Transparenz für die Öffentlichkeit! - Ich bin ganz d'accord. Ich kann nur sagen, Sie machen in Ihrer Exegese jetzt die Parallele zur aufgeklärten Marktwirtschaft - Sie machen jetzt aufgeklärte Demokratie. Das ist sehr gut; ich bin
ganz einverstanden. Ich finde, mit dieser Formulierung haben Sie eine gute Interpretation jenes Satzes gegeben, den Sie beim Bundeskanzler Brandt am Ende seiner Erklärung so beanstandet haben.
({2})
Ihre Interpretation lautet doch: Wir machen einen neuen Anfang mit dieser deutschen Demokratie. So möchte ich Ihre Interpretation ansehen.
({3})
- Lieber Herr Dr. Barzel, das war ein Kompliment.
({4})
- Nun verdunkeln Sie doch nicht gleich wieder den schönen neuen Anfang unserer Demokratie.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Barzel? - Herr Abgeordneter Dr. Barzel!
Herr Kollege Schiller, hatten Sie nicht den Eindruck, daß gegen 15.30 Uhr in diesem Hause gewisse Themen als abgeschlossen galten, beispielsweise durch den Chef Ihrer Regierung?
({0})
Wieso? Lieber Herr Dr. Barzel, ich habe doch weiß Gott hier nicht die Streitaxt ausgegraben,
({0})
sondern im Gegenteil versucht, Interpretationen Ihrer Aussagen in einem förderlichen, brückenschlagenden Sinne zu entwickeln.
({1})
Aber nun, lieber Herr Dr. Barzel, zum Thema probandum!
({2})
Sie haben gesagt, die Aufwertung der D-Mark sei ein Klotz am Bein. Ich glaube, das ist Ihre Formulierung.
({3})
- Ich weiß nicht, wie mein Konto dann aussieht, Herr Präsident.
Unser beider Konto wird dabei wachsen, Herr Kollege. Ich habe heute schon einmal versucht, durch eine Zwischenfrage klarzumachen, daß ich vom Klotz am Bein im Zusammenhang mit den Haushaltsbelastungen gesprochen habe. Ich denke, diese Differenzierung sollte möglich sein, um auch zu dieser Zeit für uns alle verständlich zu bleiben.
Dazu muß ich hier aber eins mit aller Deutlichkeit sagen, wenn Sie das Bild vom Klotz gebraucht haben: Wie
ein Felsklotz lag die währungspolitische Nichtentscheidung durch die Mehrheit der Bundesregierung für sechs Monate auf der deutschen Wirtschaft und auf der deutschen Bevölkerung. Das ist das Bild vom Klotz.
({0})
- Lassen Sie mich wenigstens diesen Gedankengang
zu Ende führen. - Die neue Bundesregierung hat diesen Klotz, der auf uns allen lastete, in drei Tagen nach der Wahl des neuen Bundeskanzlers beiseite geräumt.
({1})
Wir haben wieder freie Luft, freie Bahn für die Wirtschaftspolitik und freie Sicht für die deutsche Wirtschaft.
({2}) Sie wollen es nur nicht hören.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Herr Bundesminister, wenn die Dinge für Sie und für alle Vernünftigen so eindeutig sind, warum haben Sie dann in einer gleichen Konjunkturlage noch am 24. Februar dieses Jahres im Deutschen Fernsehen erklärt, daß die Aufwertung abzulehnen sei und daß sie völlig ungeeignet sei, unsere außenwirtschaftlichen Probleme zu lösen?
({0})
Erstens war das die Phase, in der wir die steuerliche außenwirtschaftliche Absicherung intern sehr genau in bezug auf ihre Wirksamkeit beobachteten, - sehr genau. Der damalige Bundeskanzler und heutige Abgeordnete Dr. Kiesinger weiß das sehr gut. Und ich wollte damals und im März, als jene erste Besprechung stattfand, keinen Anlaß zu Spekulationen geben. Lieber Herr Stoltenberg, die große dicke Spekulation, die die ganze Sache verschärft hat - wenn Sie schon in die Vergangenheit gehen -, brachte das Wort von den 8 bis 10 % Aufwertung,
({0})
ausgesprochen von Herrn Strauß im Mai. Das war der Grund.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kiesinger?
Ich sehe, es ist ein fruchtbares Thema.
Eine kurze Zwischenfrage, Herr Dr. Schiller. Sie sprachen von dem Felsklotz, der sechs Monate lang auf der deutschen Wirtschaft gelegen habe. Was hat die deutsche Wirtschaft dazu gesagt?
Die deutsche Wirtschaft, Herr Dr. Kiesinger, hat in diesen sechs Monaten
({0})
gelernt, daß nicht alle, die für sie gesprochen haben, das wohlverstandene Interesse der deutschen Wirtschaft wahrgenommen haben.
({1})
Wenn Sie heute in der deutschen Wirtschaft ein Plebiszit über dieses „Dingsda" machten,
({2})
dann würden Sie als Abstimmungsergebnis kriegen: Wären wir bloß dem Schiller am 9. Mai allesamt gefolgt! Das wäre das Ergebnis.
({3})
Nun hat Herr Dr. Kiesinger vorhin in seinem außenpolitischen Beitrag gesagt, das günstige Auslandsecho auf den Schritt dieser neuen Bundesregierung, 81/2'0/o aufzuwerten, sei mehr oder weniger auf das wohlverstandene eigene Interesse des Auslands zurückzuführen.
({4})
Es ist nicht nur so, daß jedes Land bei dieser Saché auch an sich und seine Zahlungsbilanz denkt.
({5})
Ist es nicht auch in unserem Interesse, daß diese Bundesrepublik nicht mehr, wie das seit einem Jahr der Fall war, permanenter Herd von Spekulationen ist?
({6})
- Ich habe Ihnen schon gesagt, die dickste Spekulation war die Spekulation à la Franz Josef Strauß. Das war die größte.
({7})
Und das Echo im Inland ist so ausgezeichnet, daß ich gar nicht viel darüber zu reden habe.
({8})
- Das ist das Thema „Luxemburg". - Ich weiß, lieber Herr Köppler, die ökonomischen Zusammenhänge werden nicht immer ganz so ohne weiteres erkannt.
({9})
Ich habe das erlebt, als der Bundeskanzler Ihnen den Zusammenhang von Nichtaufwertung und Preis-und Lohnexplosion darstellte. Das hatten Sie nicht gleich kapiert; aber sicherlich jetzt.
({10})
Nun, auf jeden Fall ist diese Phase der Unsicherheit für unsere Wirtschaft zu Ende. Eines müssen
Sie doch zur Kenntnis nehmen: die Aufwertung der D-Mark ist ein Beitrag zur Stabilität in unserem Land. Sie können doch nicht abstreiten, daß ein Aufwertungsakt bedeutet, daß wir die Preisauftriebstendenzen in dieser Wirtschaft dämpfen. Sie können doch nicht abstreiten, daß es dazu höchste Zeit war.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde wirklich ein bißchen um Nachsicht bitten.
Der Redner nimmt also keine Zwischenfragen an. Das ist sein gutes Recht.
Vor allen Dingen darf ich meinen Gedankengang vielleicht erst einmal zu Ende führen.
Wenn ich höre, die Aufwertung habe keinen stabilisierenden Einfluß auf das innere Preisniveau,
({0})
- lieber Herr Stoltenberg, da frage ich mich, weshalb sich der damalige Bundeskanzler Dr. Kiesinger und Herr Schiller und Herr Strauß im November vorigen Jahres den Kopf zerbrochen haben und dann die steuerliche außenwirtschaftliche Absicherung als Ersatz, in derselben Richtung wirkend, eingeführt haben, eben um die Preise im Inland zu dämpfen. Das haben wir doch nicht aus Jux und Tollerei gemacht,
({1})
und das haben wir auch nicht gemacht, um anderen Ländern einen Samariterdienst zu leisten.
Meine Damen und Herren, deswegen stimmt es nicht oder ist es unvollständig, wenn Dr. Barzel zum Bundeskanzler sagt, er trete sein Amt an bei Vollbeschäftigung, stabilem Geld, wohlgeordneten Finanzen.
({2})
- Und so weiter, und so weiter. Sie sind doch Jurist. Sie wissen, zwingend für jede Bundesregierung ist der § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes. Es besteht doch wohl in diesem Hause, lieber Herr Dr. Barzel, kein Zweifel, daß bei Amtsantritt des neugewählten Bundeskanzlers zwei Ziele des § 1 stark in Mitleidenschaft gezogen sind: die Preisstabilität in diesem Lande ist gefährdet, und das außenwirtschaftliche Gleichgewicht ist nicht gegeben. Ich glaube, da gibt es keinen Zweifel.
({3})
- Dann müßten Sie ja unserer schnellen Problemlösung mit Geschwindigkeit zustimmen. Darum werbe ich ja.
({4})
Nun, ich will Ihnen den Weg etwas leichter machen. Die Regierung der Großen Koalition hat am Tag nach der Wahl durch die Freigabe des Wechselkurses sozusagen einen lautlosen Vergleich geschlossen.
({5})
- Aber Sie haben selber am Tag danach gesagt - und ich habe Sie bisher zu den Kundigen gezählt, Herr Dr. Kiesinger -: „Wir sind uns entgegengekommen." Erinnern Sie sich? Dieser lautlose Vergleich vom 29. September mit den freien Wechselkursen sollte es eigentlich der CDU/CSU erleichtern, nun in aller Stille endlich in dieser Geschichte vom Schlitten herunterzukommen und zur Sache zu kommen und die Sache zu akzeptieren.
({6})
Ich weiß, es war im Kabinett nicht für alle ein stiller Vergleich. Für Herrn Kiesinger war es ein Vergleich, für andere war es eine, ich hätte beinahe gesagt: nicht ganz schnelle Erkenntnis, die erst später kam.
({7})
Aber Sie von der CDU/CSU sollten doch jenen Vergleich vom 29. September nun nicht etwa dazu machen, daß Sie ständig in aller Öffentlichkeit zu einem währungspolitischen Offenbarungseid gezwungen werden. Dazu kommen Sie doch sonst. Vier Jahre lang müßten Sie ständig dagegen schwören. Deswegen möchte ich Sie noch einmal bitten: die Kundigen wußten am 29. September, nach der Freigabe des Wechselkurses gab es keine Rückkehr mehr zur alten Parität.
({8})
- Die Illusion, es sei eine Rückkehr möglich, wäre eine gefährliche Illusion gewesen, Herr Schwörer, gefährlich für die Stabilität,
({9})
gefährlich für Europa, gefährlich für das Ausland und damit auch gefährlich im Sinne der Verstärkung der protektionistischen Tendenzen. Deswegen sollten Sie von der CDU/CSU mit dem, was die neue Bundesregierung mutig beschlossen hat: nämlich den frei erreichten Marktkurs von 7,3 % auf eine um 8.5 % höhere Parität de jure zu erhöhen, nun Ihren Frieden machen. Sie müßten doch das allergrößte Interesse haben, nicht für vier Jahre in vollständiger Apartheid mit allem Sachverstand, mit dem größten Teil der ganzen deutschen Wirtschaft zu leben,
({10})
in völliger Apartheid, in völliger CSU-Isolierung, Herr CDU-Abgeordneter Stoltenberg, zu leben,
({11})
- in völliger Isolierung in dieser Sache vom Großteil der deutschen Wirtschaft und vom größten Teil
der Fachpresse und der seriösen Presse. Daran sollten Sie selber interessiert sein.
Im übrigen wissen Sie selber - es ist doch gar keine Schande -: Sie waren doch auch nicht im Sinne einer Ideologie homogen und völlig einer Meinung. Von einem, der bei Ihnen sehr wichtig war und ist, habe ich immer gesagt, auf ihn passe das Wort von Karl Valentin: „Mögen hat er schon wollen, aber dürfen hat er sich nicht getraut."
({12})
Es ist hier weiter vorhin in einem Zwischenruf zur Sache Aufwertung gesagt worden, der Bundeswirtschaftsminister habe das alles „herbeigeredet".
({13})
- Es ist wundervoll, wie Ihr Resonanzboden funktioniert. Glänzend, muß ich sagen. Sie trauen diesem Bundeswirtschaftsminister Schiller allerhand zu.
({14})
- Ich bedanke mich. Sie trauen ihm zu, daß er die Ausfuhrüberschüsse von Dezember 1968 bis September 1969 allein durch Reden auf eine Höhe von 13 Miliarden DM gebracht hat, fast dieselbe Höhe wie im vorigen Jahr 1967/68 und auch fast die Höhe des Rezessionsjahres 1966/67. Das soll alles durch pure Rederei geschehen sein? Herr Stoltenberg, da liegt doch nun der Hund begraben, nicht wahr? Da sehen Sie doch die reale Überschußposition, die am Ende dieses Jahres und im kommenden Jahr, wenn nichts geschehen wäre, wieder zu den alten Größenordnungen geführt hätte und damit zu dem, was wir an Preis-Instabilität in diesem Lande feststellen.
Herr Kollege Schiller, könnten Sie nicht an Stelle rhetorischer Polemik auf Nebenkriegsschauplätzen und gegen einzelne Abgeordnete einmal die entscheidende Frage beantworten, ob das, was von dieser Regierung fiskalpolitisch für das nächste Jahr angekündigt wird - Steuersenkung in der Hochkonjunktur plus Mehrausgaben in der Größenordnung von 8 bis 10 % -ein konjunkturgerechtes Verhalten im Sinne des Stabilitätsgesetzes und einer Ergänzung zur Aufwertung ist? Das sind die Fragen, die uns und die deutsche Öffentlichkeit interessieren.
({0})
Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben Anspruch darauf, daß diese Bundesregierung Ihnen begründet - und das habe ich bisher getan -,
({0})
aus welchen Gründen sie drei Tage nach Wahl des Bundeskanzlers sich für eine Aufwertung entschieden hat. Sie hat heute zum erstenmal die Gelegenheit, Ihnen diese Begründung zu liefern.
({1})
Nun ist hier in diesem Raum einiges über Aufwertungsfolgen und Aufwertungskosten gesagt worden, und dazu muß ich auch etwas sagen, Herr Stoltenberg; Sie haben ein Recht darauf, daß ich darauf antworte.
({2})
- Das ist zur Sache, wenn Sie das bisher nicht gemerkt haben. Ich denke, Sie sind neuer Vorsitzender des Wirtschaftskreises bei Ihnen. - Ohne Aufwertung, so schätzen die Sachverständigen, kämen wir im Durchschnitt des Jahres 1970 in Fortsetzung des Booms von diesem Sommer auf Preissteigerungen von 5 bis 6 %. Mit der Aufwertung hoffen wir, die jahresdurchschnittliche Preissteigerungsrate auf die Hälfte, vielleicht etwa auf 3 % herunterzubringen.
Dann wird gesagt, es koste was. Herr Stoltenberg, ich will gar nicht gegen Sie polemisieren. Oder muß ich mich zur anderen Seite wenden, weil Ihnen das anscheinend weh tut? Sie sagten: „Ich polemisierte gegen bestimmte Personen".
({3})
Sie denken immer nur daran, daß durch die Aufwertung bestimmte Belastungen entstehen, Sie denken aber nicht daran, daß auch durch eine Nichtaufwertung Lasten, und zwar große, größere Lasten entstünden. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß ein Zustand steigender Einnahmen und noch nicht so schnell steigender Ausgaben endlos fortgesetzt werde, und zwar sowohl in der Privatwirtschaft wie in den öffentlichen Haushalten. In der Privatwirtschaft kommen die Kosten sonst schnell nach. Diesen Zustand muß man beenden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Der Minister läßt keine Zwischenfragen zu. Das ist Ihr gutes Recht, Herr Minister.
Ich bekomme sonst Beschwerden, weil ich noch nicht in Luxemburg bin, sondern immer noch in Bonn.
({0})
Aber in Bonn werden doch die eigentlichen Schlachten ausgefochten, nicht wahr?
({1}) - Na, sehen Sie!
Eines haben wir genau berechnet: ohne Aufwertung würden durch die dann bedingten unabweislichen Preissteigerungen allein im Bundeshaushalt an Sachausgaben und Personalkosten Mehrausgaben von 2,3 Milliarden DM entstehen. Das nehmen Sie einmal zur Kenntnis! Das ist nämlich einfach die Folge der Anpassungsinflation auch in den öffentlichen Haushalten. Glauben Sie doch nicht, daß von der Anpassungsinflation neue öffentliche Gebäude, Tiefbauanlagen und ähnliche Aufträge der öffentlichen Hand verschont blieben!
({2})
Dann wurde von Herrn Dr. Barzel gesagt, die Aufwertungskosten betrügen 4 Milliarden DM. Ich kann auf seine Ausführungen sachlich und zahlenmäßig antworten. Ich glaube, er meinte die Bundesbank; denn er nannte die Summe für die Landwirtschaft daneben. Lieber Herr Dr. Barzel, eines kann ich hier noch einmal ganz offiziell sagen: die Bundesbank hat Vorsorge getroffen. Die Bundesbank tritt ja selber, wie wir seit langem wissen, für eine Aufwertung der D-Mark ein und hat Rückstellungen getroffen. Zwei Drittel bis vielleicht drei Viertel
({3})
des buchmäßigen Aufwertungsverlusts von 4,25 Milliarden DM könnten auf diese Weise abgedeckt werden. Ein Rest von 1 bis 1,5 Milliarden DM wird durch Schuldscheine über Jahre hinaus abgedeckt.
({4})
- Das ist nicht irreführend, sondern der Bundesbankpräsident hat selber deutlich gesagt, daß er diesmal in der Lage sei, weit mehr aus den eigenen Rückstellungen der Bundesbank zur Abdeckung dieses buchmäßigen Verlusts beizusteuern als im Jahre 1961. Nehmen Sie das doch zur Kenntnis.
Es wird noch immer der Eindruck erweckt
({5})
- ich glaube, zur unbequemen Opposition gehört auch, daß sie zuhören kann -, als ob durch diese 4 oder 41/2 Milliarden DM neue Steuerlasten oder Lasten für den Bundeshaushalt in vollem Umfang und in diesem Jahr entstünden. Das ist für die ganze Summe wahrscheinlich in Höhe von zwei Dritteln bis drei Vierteln nicht der Fall.
Und nun kommt die Landwirtschaft.
({6})
({7})
Jetzt nimmt das Gespräch einen landwirtschaftlichen Charakter an.
Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner.
Jetzt sind wir bei der Landwirtschaft. Da gibt es kein Pardon.
({0})
- Herr Haase, es ist kein Volksgut oder Volksgeld, das hier fremden Spekulanten in den Rachen geworfen wird.
({1})
- Die habe ich von Ihnen aus der letzten Debatte des Frühjahrs.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas Ruhe.
Ein bißchen gedämpfter, Herr Haase!
({0})
Der Herr Bundesminister hat es abgelehnt, Zwischenfragen zuzulassen. Ich muß mich daran halten.
Ich bin jetzt bei der Landwirtschaft. Das Thema muß ich klar darstellen. Erstens haben wir erreicht, daß
({0})
- Nein, Sie haben daneben die Landwirtschaft mit 1,7 Mililarden DM genannt.
({1})
- Dazu darf ich jetzt etwas sagen. Ich versuche es seit etwa drei Minuten. Aber jetzt bin ich wohl so weit. Wir - Herr Kollege Ertl und ich - haben als erstes erreicht, daß von der Kommission und dem Rat anerkannt wurde, daß für die deutschen Bauern ein Einkommensverlust in Höhe von 200 Millionen DM pro Aufwertungsprozent ersetzt werden muß, nicht mehr und nicht weniger. Die Kundigen wissen, daß es früher darüber Streit gab; diese Zahl ist gemeinschaftlich akzeptiert.
Zweitens. Ein ewiger, unbegrenzter Grenzausgleich, der die Agrarpreise in der Bundesrepublik auf dem alten Stand belassen hätte, ist uns leider im Rat abgelehnt worden. Dafür haben wir zwei Regelungen bekommen: eine Übergangslösung und ein paar Grundsätze über eine endgültige Lösung. Diese Dinge muß ich Ihnen vortragen, weil im zweiten Teil dieses Hohe Haus als Gesetzgeber involviert ist.
Die Übergangslösung heißt: für sechs Wochen werden innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft in der Bundesrepublik Einfuhrabgaben für landwirtschaftliche Importprodukte in Höhe von 8,5 %, also in Höhe des Aufwertungssatzes, erhoben; ebenso gibt es Ausfuhrerstattungen. Das ist genaugenommen die Methode à la française seit dem 3. August, nur natürlich umgekehrt symmetrisch sowie auf sechs Wochen begrenzt. Sie wissen genau, daß wir, wenn wir das auf zwei Jahre bekommen hätten - was nicht der Fall war , in der Bundesrepublik eine Preissenkung bei den Marktordnungsgütern ohne Einkommensausgleich erhalten hätten.
Ein zweiter Punkt. Für die endgültige Regelung sind einige Prinzipien festgehalten. Erstens: Nach den sechs Wochen tritt das allgemeine und gemeinsame Agrarpreisniveau in Kraft, d. h. in Rechnungseinheiten wird dann nach der neuen Parität berechnet. Zweitens: Ein Teil des Einkommensausgleichs
für die Landwirtschaft in Höhe von 1,7 Milliarden DM jährlich soll durch eine Mehrwertsteuerregelung erfolgen.
Dabei gibt es zwei Varianten, von denen ich Ihnen nur eine erklären will.
({2})
Es handelt sich um die Variante der Erhöhung des Vorsteuerabzuges von 5 auf 8 °/o, d. h. eine Steuerermäßigung für die Landwirtschaft, die insgesamt einen Einkommensausgleich von 700 Millionen DM ergibt. Aber hier ist das Parlament frei.
Drittens - darum ging der Hauptkampf -: Die Gemeinschaft wird sich für den Rest der Beträge, aber nur degressiv, aus Mitteln des gemeinschaftlichen Agrarfonds finanziell beteiligen.
({3})
- Wahrscheinlich zwei ibis drei Jahre; das ist aber
noch unklar. Dies geschieht aus den Ersparnissen, die die Gemeinschaft bei der Abwertung des französischen Franc macht.
({4})
- Die Summen, die in dieser Beziehung genannt worden sind, stehen noch nicht ganz fest. Sie sind für das erste Jahr vorläufig mit 366 Millionen DM und mit 183 Millionen DM für das zweite Jahr vorläufig fixiert.
Meine Damen und Herren, diese kommunitäre Teilfinanzierung zu erreichen - der Rest muß national finanziert werden -, war nur in sehr harter Debatte möglich. Die befriedigende Übergangslösung haben wir überhaupt nur durch Hinweis auf dieses Haus erreicht, nämlich darauf, daß jede Mehrwertsteuerregelung den deutschen Gesetzgeber in Bewegung setzt und daß der deutsche Gesetzgeber natürlich in der Entscheidung frei sein muß, ob er diese oder jene Regelung nimmt oder sie womöglich verwirft. Ich darf ein zwei abschließenden grundsätzlichen Aussagen zu dieser Auseinandersetzung Stellung nehmen.
Da man uns den Grenzausgleich auf lange Sicht nicht gegeben hat, und zwar mit dem Argument, daß wir den Gemeinsamen Markt damit - wie Frankreich - erneut zerlegen würden, habe ich folgendes förmlich erklärt - und ich möchte das diesem Hohen Hause wiedergeben -:
„Hier scheint man, wie die anfängliche Ablehnung einer kommunitären Teilfinanzierung durch einige Länder zeigt, davon auszugehen, daß jedes Mitgliedsland für die Situation zu zahlen hat, die es verursacht. Wir halten das von Deutschland aus gesehen",
so sagte ich,
„nicht gerade für kommunitär. Aber es ist für uns interessant zu hören, wie hoch im Kurs in der Gemeinschaft jetzt das Verursachungsprinzip steht. Unsere Öffentlichkeit",
- so habe ich weiter erklärt -„wird das bei der bevorstehenden Behandlung
der Überschußprobleme nicht vergessen. Wir,
die deutschen Delegierten, werden dann darauf bestehen müssen, daß derjenige für die Überschüsse in der Agrarmarktordnung bezahlt, der diese Überschüsse verursacht hat."
({5})
Ich glaube, die Tragweite dieser Erklärung ist allen Sachkundigen deutlich.
Dann, zweitens, noch etwas Grundsätzliches. Herr Kollege Hallstein, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist bisher weder eine politische Gemeinschaft, noch ist sie ökonomisch - das muß ich mit aller Deutlichkeit sagen - eine Stabilitätsgemeinschaft.
({6})
Mehrere Mitgliedstaaten nehmen - ich spreche jetzt nicht von agrarischen Dingen, sondern vom generellen Preisniveau - eigene nationale Preissteigerungen von 6, 7 und 8 % jährlich hin und empfinden diese Preissteigerungen manchmal noch nicht einmal als Verstoß gegen etwa den Art. 104 des Römischen Vertrages. Wir haben empfunden, daß wir wahrscheinlich mit einem anderen Land in der Betonung des Stabilitätsprinzips alleinstehen. Wir haben bei dieser harten Verhandlung festgestellt, daß andere Staaten in der Gemeinschaft sehr schnell bei der Hand sind, uns Preissteigerungen aufzudrücken. Das gilt nicht für die Kommission. Ich muß der Kommission - auch im Namen von Herrn Ertl - ausdrücklich unseren Dank dafür aussprechen, daß sie uns in der deutschen Angelegenheit unterstützt hat.
({7})
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Verhandlungsmodus und das vorläufige Ergebnis der letzten Ratstagung zeigen: Marcel Hepp im „BayernKurier" hat nicht recht. Eine Regierung von SPD und FDP bedeutet nicht den Ausverkauf deutscher Interessen. Das Gegenteil ist der Fall.
({8})
Wir haben durch unsere längst fällig gewesene währungspolitische Aktion vom 24. Oktober und durch unsere Verhandlungen am 27. unsere Position in der Gemeinschaft gestärkt und haben dieses so verstärkte Gewicht in die Waagschale geworfen, damit sich die Gemeinschaft endlich mehr auf den Weg zu einer Stabilitätsgemeinschaft hin begibt. Das haben wir erreicht, und das ist das Gegenteil von einem „Ausverkauf" der deutschen Interessen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jungfernreden genießen ja normalerweise einen gewissen Nachlaß, einen gewissen Rabatt.
({0})
Aber da Herr Dr. Hallstein eine so junge Jungfrau auch nicht mehr ist,
({1})
muß ich doch etwas härter und deutlicher sprechen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich sehr herzlich für den freundlichen Empfang bedanken. Ich habe den Wunsch und die Hoffnung, daß Sie immer so freundlich zu mir sein werden.
({0})
Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hallstein hat in seinen Ausführungen gemeint, die Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt hinsichtlich der Europa-Politik kritisieren zu sollen. Man muß von jemandem, der das versucht, verlangen, daß er zumindest die Regierungserklärung sehr deutlich gelesen hat und - das möchte ich hinzufügen - diese Regierungserklärung auch vergleicht mit dem, was in der Regierungserklärung der Großen Koalition zur Europa-Politik gesagt worden ist. Ich will es mir nicht zu einfach machen, dennoch möchte ich darauf aufmerksam machen, daß in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Kiesinger ganze vierzehn Zeilen zur Europa-Politik enthalten waren, während wir jetzt mehr als das Doppelte, fast das Dreifache auf dieses Thema verwenden und,
({0})
Herr Professor Hallstein, auch im Inhalt eine ganze Reihe klarer Aussagen vorgebracht haben. Die möchte ich Ihnen jetzt darstellen, da ich das Gefühl habe, daß Sie sie nicht zur Kenntnis genommen haben.
Erstens wird in dieser Regierungserklärung sehr deutlich darauf hingewiesen, daß wir von der bevorstehenden Haager Konferenz einen - ich zitiere wörtlich - „mutigen Schritt nach vorne erwarten". Und es ist ja wohl kein Geheimnis in diesem Hohen Hause geblieben - auch nicht bei Ihnen, Herr Dr. Hallstein , daß sich für die Vorbereitung dieser Haager Konferenz Bundeskanzler Brandt, damals noch Außenminister, ein hervorragendes Verdienst erworben hat,
({1})
indem er sich im Bundestagswahlkampf - das war zweifelsohne schon vom Timing her sehr schwierig - für diese Konferenz eingesetzt und mit den Außenministern unserer Partnerländer gesprochen hat.
Es gibt auch die klare Aussage, daß wir aus dem europäischen Schlendrian heraus wollen, daß wir eine Lösung nach vorne wollen. Es gibt das klare Bekenntnis dazu, daß wir die Gemeinschaft nach innen festigen, daß wir sie ausbauen, d. h. erweitern wollen und daß wir auch Lösungen anDr. Apel
streben müssen, die nicht beitrittsfähige Länder in eine innere Beziehung, in eine Handelsbeziehung zur Gemeinschaft bringen.
Sie werden vielleicht beanstanden, daß das alles Tagespolitik ist, daß Sie die große europäische Vision vermissen. Nun, diese europäische Vision war auch in der Regierungserklärung von Herrn Kiesinger nicht enthalten. Es ist auch jetzt nicht die Zeit, europäische Visionen darzustellen, sondern es kommt darauf an, endlich aktiv europäisch zu handeln.
({2})
Da hat es keinen Zweck, hier große Deklamationen abzugeben, sondern es muß ernst genommen werden, was der Bundeskanzler dazu ausgesagt hat.
Ich bin froh darüber, daß der Bundeskanzler auch zur politischen Union, die wir alle wollen und die wir anstreben, vorsichtige Formulierungen gefunden hat, indem er gesagt hat: Wir wollen die politische Zusammenarbeit in Europa mit dem Ziel fördern, eine gemeinsame Haltung dieser Staaten in weltpolitischen Fragen Schritt für Schritt aufzubauen. Gerade im Zusammenhang und in der Diskussion auch mit unseren französischen Partnern ist es doch notwendig, Schritt für Schritt, d. h. vorsichtig, bedacht und sachte vorzugehen.
({3})
Denn in dieser Regierungserklärung finden wir das wieder, was wir in der Regierungserklärung von Herrn Kiesinger begrüßt haben, nämlich das ausdrückliche Unterstreichen der Bedeutung unseres Verhältnisses zu Frankreich. Frankreich praktiziert - Gott sei es geklagt - in der WEU immer noch den leeren Stuhl, so daß wir keinen Grund haben, hier großartige Fanfarenstöße von uns zu geben, sondern wirklich bedacht und sachte, aber in echter europäischer Überzeugung vorzugehen.
Lassen Sie mich zu zwei besonderen Punkten etwas sagen, weil Sie sie auch besonders hervorgezogen haben. Erster Punkt: Handelspolitik. Sie haben moniert, daß hier nur eine Absichtserklärung für eine liberale Handelspolitik abgegeben worden ist. Sie haben aber vergessen, den Satz, der dann folgt, zu zitieren, der nämlich sagt: „Dazu tragen wir durch unsere eigenen Bemühungen und durch unsere Beteiligung an allen entsprechenden internationalen Organen bei." Das heißt, wir werden in der EWG und in den anderen internationalen Organisationen - wobei die EWG ganz besonders wichtig ist, das wissen wir, weil die Handelspolitik wesentlich von Europa, von der EWG geformt wird
unseren politischen Willen zur liberalen Handelspolitik einbringen. Mehr soll hier nicht gesagt werden. Es gibt noch keine europäische Handelspolitik. Wir werden unseren Willen einbringen, um sie so liberal wie möglich zu machen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich in diesem Hause sage, daß die gemeinsame Handelspolitik der EWG nicht zuletzt daran gescheitert ist, daß es Partner in der EWG gibt, die eben keine liberale Handelspolitik wollen, sondern eine protektionistische. Dann muß ich sagen: dann ist der Widerstand der vergangenen und dieser Bundesregierung gegen derartige gemeinsame Politiken völlig legitim.
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Professor Hallstein?
Ja, im Gegensatz zu Herrn Professor Hallstein sehr gern.
Bitte schön.
Herr Abgeordneter, stimmen Sie mir darin zu, daß die folgende Äußerung keine konkrete Mitteilung über eine politische Aktion der Bundesregierung in der Frage der Europapolitik ist? Die Mitteilung lautet, und sie befindet sich in der Regierungserklärung; Sie haben sie selbst, allerdings nur teilweise zitiert und dadurch ihren Sinn verändert:
Der bevorstehenden Konferenz der Sechs in
Den Haag kommt eine besondere Bedeutung zu.
Das enthält sicher nicht die Ankündigung einer Aktion der Bundesregierung.
({0})
Sie kann darüber entscheiden, ob Europa
- sie kann also auch anders entscheiden in den sachlich miteinander verknüpften Themen des inneren Ausbaus, der Vertiefung und der Erweiterung der Gemeinschaft entweder einen mutigen Schritt nach vorn tut oder in eine gefährliche Krise gerät.
Ganz zweifellos keine Mitteilung über eine beabsichtigte konkrete politische Aktion der Bundesregierung.
Herr Kollege Hallstein, ich darf auf die Übung des Hauses bei Zwischenfragen aufmerksam machen, daß der Präsident das Fragezeichen - mindestens in Andeutungen - hören muß.
Ja, das Fragezeichen war im ersten Satz. Ich habe den Inhalt des Fragegegenstandes dann allerdings als Zitat gebracht; anders konnte ich ja nicht verfahren.
Und stimmen Sie mir auch zu, Herr Abgeordneter, daß die Aussage über die Handelspolitik noch leerer ist als die beiden Aussagen, von denen ich soeben gesprochen habe?
({0})
Herr Dr. Hallstein, ich stimme Ihnen nicht zu. Erstens ist die Aussage zur bevorstehenden Konferenz der Sechs deutlich. Sie ist vorsichtig formuliert. Aber wir sind hier auch im Bundestag und nicht im Rat der europäischen Bewegung.
({0})
Wir müssen daran denken, daß die Äußerungen dieser Bundesregierung und dieses Bundeskanzlers nicht Möglichkeiten auf dieser Konferenz verbauen dürfen. Aber wenn Sie den Sinn und den Geist dieses Absatzes lesen, dann kann eigentlich nur bei Böswilligkeit oder bei Unverständnis das Gefühl entstehen, diese Bundesregierung sei nicht gewillt, europäische Aktionen einzuleiten, die uns weiterbringen.
({1})
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Bundeskanzlers?
Herr Kollege Apel, würden Sie so gut sein, den Herrn Abgeordneten Dr. Hallstein darauf hinzuweisen, daß in der Regierungserklärung - ({0})
- Ich habe gefragt, ob der Abgeordnete so gut sein würde,
({1})
Herrn Professor Hallstein darauf hinzuweisen, daß er offensichtlich nicht bis zu Ende gelesen hat; sonst würde er unter den zusammengefaßten sechs Punkten zur Außenpolitik unter Punkt 1 lesen:
Die Bundesregierung wird auf der Konferenz in Den Haag darauf hinwirken, daß wirksame Maßnahmen zur Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft und zur verstärkten politischen Zusammenarbeit eingeleitet werden.
({2})
Herr Bundeskanzler, ich habe Herrn Professor Hallstein in meinen Ausführungen wiederholt darauf hingewiesen, daß er eben nicht zu Ende liest. Aber wie gesagt, es gibt ja einen Jungfernrabatt; doch der ist nun bald zu Ende.
({0})
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hallstein? Dr. Apel ({0}) : Ja, bitte!
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob die Regeln in diesem Hause es mir gestatten, eine Frage an den anderen Frager zu richten.
({0})
Herr Kollege Hallstein, die Regeln dieses Hauses gestatten Ihnen das leider nicht. Sie müssen die Kunst üben, den Redner zu fragen, um den Zwischenfrager zu fragen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen, nämlich zu der Frage der Agrarstrukturpolitik in der Gemeinschaft. Sie, Herr Dr. Hallstein, haben die Bundesregierung in ihrer Aussage kritisiert, daß es das Ziel der Bundesregierung bleibt - „bleibt", ich bitte auf diese Formulierung zu achten -, die nationale Verantwortung für die Agrarstrukturpolitik zu erhalten. Dazu möchte ich Ihnen ein Zitat vorlesen, und ich würde gern hören, wie Sie darauf reagieren. Es stammt von dem bereits wiederholt zitierten Abgeordneten Ihrer Fraktion Dr. Strauß, ist im „Agrarbrief" vom 27. August dieses Jahres erschienen und lautet folgendermaßen - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Wir sind auch nicht bereit, die Strukturpolitik für unsere Landwirtschaft zu europäisieren. Aber die europäische Einheit zu schaffen, erfordert nicht eine Europäisierung der Agrarstrukturpolitik, bevor die entscheidenden übrigen politischen Beschlüsse gefaßt sind.
Nun kommt allerdings ein Satz, den ich böse finde und den wir entschieden zurückweisen, weil er nicht unserer politischen Konzeption entspricht. Ich zitiere wieder Herrn Dr. Strauß:
Der Mansholt-Plan ist finanziell nicht durchführbar. Wir sehen auch keinen Anlaß, unter dem Stichwort Europäisierung der Agrarstrukturpolitik versteckte Reparationen zu zahlen.
({0})
Ich glaube, zu diesem Satz ist weiter nichts zu sagen. Herr Dr. Hallstein, wenn Sie hier sprechen, dann müssen Sie nicht für eine Union mit vielfältigen Meinungen sprechen, sondern für eine Partei, und Sie sollten dieses Thema bei sich einmal abklären, damit wir deutlich hören, was Sie zu diesem Thema zu sagen haben.
({1})
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Fellermaier? Fellermaier ({0}) : Herr Kollege Dr. Apel, würden Sie mir in der Feststellung zustimmen, daß die Äußerungen des Vorsitzenden der CSU und damit eines maßgeblichen Mannes der CDU/CSU als Gesamtaussage für diese Gesamtfraktion ungleich schwerer wiegen als das, was Herr Hallstein heute hier vorgetragen hat?
Herr Kollege Fellermaier, es steht mir nicht zu, die Schwere von Aussagen zu wiegen. Ich kann nur für meine Fraktion erklären, daß wir die Verbindung europäischer Zahlungen mit dem Vokabular Reparationen entschieden zurückweisen. Das ist wiederum ein Vokabular, das nicht paßt, und das ist heute morgen ja auch schor entsprechend klassifiziert worden.
({0})
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Ehnes? Ehnes ({0}) : Herr Kollege Dr. Apel, ich glaube, die Frage ist berechtigt: Unterscheiden Sie sich von der Auffassung Ihres Wirtschaftsministers, der das Verursachungsprinzip vorhin so groß herausgestellt hat?
Ich wollte dazu gerade kommen, Herr Kollege Ehnes. Ich finde es gut, daß Sie mich voranbringen; denn die Zeit läuft ja weiter, es leuchtet schon die gelbe Lampe.
Ich möchte zum Abschluß folgendes erklären: Wir wollen die Agrarstrukturpolitik national finanzieren, aber nicht national unabhängig von Brüsseler Wünschen machen. Wir sind also hier durchaus im Bereich bundesstaatlicher oder quasi bundesstaatlicher Prinzipien, indem man gemeinsam entscheidet, aber getrennt finanziert. Was aber das Verursachungsprinzip für die allgemeine Agrarfinanzierung anlangt, könnte ich wieder Herrn Höcherl und viele andere zitieren. Ich brauche das nicht; Herr Höcherl hat sich ja zum Wort gemeldet. Ich möchte folgendes sagen: Auch hier sind wir im Rahmen bundesstaatlicher Prinzipien; denn es ist üblich, daß diejenigen, die die Kosten verursachen, mindestens zu einem Teil an der Deckung dieser Kosten beteiligt werden, weil das auch recht dämpfend auf ihre Ausgabelust wirkt. Das gilt auch für die europäischen Finanzprobleme. Auch aus dieser Sicht vertrete ich dieses bundesstaatliche Prinzip, auf das wir ja auch im Verhältnis zu unseren Bundesländern sehr viel Wert legen. Sie werden ja auch immer beteiligt, damit dort die finanziellen Bäume - die Ausgaben - nicht in den Himmel wachsen. Das muß auch für Europa gelten. Daß das gleichzeitig eine gewisse Entlastung unserer Bundeskassen bringen könnte, ist ein angenehmer Nebeneffekt.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hallstein hat heute bei seiner Debutrede darauf hingewiesen, daß wir ja gar nicht mehr souverän sind. Nun möchte ich vorweg bemerken - er wird das ja sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten hier lernen; ich möchte das auch gar nicht in einer belehrenden Art sagen -, daß es ein Unterschied ist, ob es ein Europäisches Parlament gibt oder nicht gibt. Wenn es nämlich ein Europäisches Parlament schon gegeben hätte, was wir alle wünschen, dann würde er den Modus der Fragestunde kennen. Aber es muß sich eben ein Präsident als Abgeordneter hier in die Spielregeln eines souveränen Parlaments wieder einfügen. Das scheint mir ein Problem zu sein - das ist sicherlich notwendig -, das vielleicht auch ein klein wenig einen Denkprozeß beschleunigt.
Ich möchte sagen, Herr Kollege Hallstein: wir alle sind mit Ihrer Schlußfolgerung einig, daß Fortschritt, Sicherheit, Freiheit und Frieden in Europa nur möglich sind, wenn wir ein Höchstmaß von Zusammenarbeit in ganz Europa bewerkstelligen. Ich hätte mir allerdings gewünscht, daß der langjährige Präsident der EWG-Kommission für ein größeres Europa initiativreicher gewirkt hätte. Dann würden ich und mein Kollege Schiller nicht manche Suppe auslöffeln müssen, die fast unauslöffelbar ist.
({0})
- Ich komme schon darauf, haben Sie nur Geduld!
Ich möchte hier auch einmal in aller Form einen Irrtum korrigieren. Wer immer gegen eine Methode ist, nennen wir es deutlich: wer sagt, daß sich mancher Weg der Agrarmarktordnung nicht fortsetzen läßt oder vielleicht korrigiert werden müßte, der ist noch lange kein schlechter Europäer; denn Marktordnung allein ist Europa auch nicht.
({1})
Denn es ist ja weiß Gott kurios. Ich muß mich jetzt sehr zurückhalten.
({2})
Das ist für mich sehr schwer, sehr, sehr schwer.
({3})
Oh, ich weiß, was ich mit der freien Wildbahn im Parlament aufgegeben habe,
({4})
und ich leide darunter, Herr Kollege Barzel. Ich habe eine Aufgabe übernommen, nämlich die, in einer schwierigen Situation mit Hilfe der Opposition zu besseren Lösungen in Europa und für die Landwirtschaft zu kommen. Aber ich möchte noch einmal sagen: es ist ja beinahe kurios - ich hoffe, daß ich mir nicht den Weg zur Gipfelkonferenz verbaue; ich will das also sehr vorsichtig sagen -, daß derjenige, der sagt: „Wir müssen möglichst viel bekommen" - ich will es wirklich ganz vorsichtig sagen -,
({5})
ein guter Europäer sein soll, daß aber derjenige, der sagt: „Jetzt kann ich bald nicht mehr zahlen, denn meine Kasse ist leer, und die anderen Opfer sind auch zahlreich", ein Nationalist sein soll. Nein, das ist nicht der Weg und der Geist der Partnerschaft. Darum, Kollege Hallstein, darum müssen wir mit der Kommission ringen, und Sie können sich in diesem Hause ein großes Verdienst erwerben, wenn Sie uns dabei helfen, im Sinne des offenen Gesprächs eine bessere Lösung herbeizuführen, damit die Wurschtelei wirklich aufhört, denn sie kann der Sprengstoff für Europa sein. Das sage ich in aller Sorge.
({6})
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Hallstein?
Gerne!
Herr Bundesminister, sind Sie sich bewußt, daß Sie mit Ihren letzten Ausführungen Thesen bekämpfen, die ich gar nicht aufgestellt habe?
Ich habe mich hier nicht mit Thesen auseinandergesetzt, sondern ich habe Ihrer Position und Ihrer Erfahrungen wegen an Ihre Mithilfe appelliert.
({0})
Ich appelliere an Sie: Sie können in Brüssel der beste Botschafter für uns sein, wenn Sie uns helfen, bessere Lösungen zu finden. Sie dienen dann Europa.
({1})
- Tausend Dank!
Ich möchte hier ein Weiteres sagen. Grundlage unserer Europapolitik kann nicht das sein, was viele in diesem Hause immer als Agrar- oder EWG-Chinesisch bezeichnen. Seien wir doch ehrlich: Wie viele gibt es in diesem Hohen Hause, die überhaupt diesen Wirrwarr von Agrarmarktkonstruktionen kennen?
({2})
Wir müssen mit Bitternis feststellen, daß selbst Kabinettsmitglieder immer erschrecken, wenn der Agrarminister dann, wenn er sagt, das müsse so und so gestaltet werden, immer mit einer Vorlesung beginnen muß.
Herr Kollege Stein, Sie brauchen sich nicht zu freuen; das war bei früheren Kanzlern und anderen Ministern um kein Jota besser. Der Bauernverband hat dem jetzigen Kanzler bestätigt, daß er wohlinformiert war. Aber das nur am Rande.
Grundlage unserer Politik, verehrter Herr Kollege Hallstein, muß der EWG-Vertrag - nicht aber eine Agrarmarktordnung - sein, denn jedes Gesetz, ob national oder international, ist kein Dogma, sondern muß gegebenenfalls immer den Notwendigkeiten und Erfordernissen angepaßt werden. Das muß auch für EWG-Agrarmarktordnungen gelten. Die Grundlage unserer Politik ist der Vertrag. Mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich hier einige Sätze aus dem Vertrag zitieren. In Art. 39 des Vertrages steht unter anderem - ich wäre glücklich, wenn das mehr berücksichtigt worden wäre -:
auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;
weiter heißt es dann:
die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen
Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der
Landwirtschaft und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete ergibt.
Ich will das jetzt gar nicht verlängern, sondern nur auf eines hinweisen. Sie wissen, in diesem Hause haben wir oft um den richtigen Weg gerungen. Ein erfahrener Kollege wie der von mir so sehr hochverehrte Bundeskanzler Erhard - ich bedauere sehr, daß er jetzt nicht da ist - hat mir wiederholt gesagt: Es wäre besser gewesen, man hätte den Weg nach Art. 40 b - Koordinierung nationaler Marktordnungen - beschritten.
Herr Hallstein, das ist Vertragstext. Da kann man doch nicht sagen: Wer hier Revisionen fordert, begibt sich von Europa und vom Vertrag weg. Der Vertrag ist die Ausgangsbasis, und die Marktordnungen müssen den Vertrag berücksichtigen. Ich hätte mir gewünscht, daß die Kommission manchmal vertragstreuer gewesen wäre und nicht so sehr nationaler Egoismus vorherrschend gewesen wäre. Das muß man hier in aller Deutlichkeit sagen. Es stellt sich eben heraus, daß, wenn es keine Wirtschafts- und Währungsunion gibt, der Preis auf die Dauer nicht das alleinige Instrument für die Agrarpolitik sein kann. Das ist eine wirtschaftliche Erkenntnis. Wer dann sagt, wegen Europa darf man das nicht machen, der macht das, was Erhard einmal mit Recht als wirtschaftlichen, aber politisch notwendigen Unsinn bezeichnet hat. Das ist aber keine Politik, die auf die Dauer gut ist.
Es gehört dazu, daß man in der jetzigen Situation feststellt: Dieses ganze Kompositum mixtum, das wir jetzt auf uns zukommen sehen, macht uns keine Freude. Es wäre natürlich die klarere Lösung gewesen, die Grenzabgabe einzuführen, aber um Europas willen haben wir uns zurückgehalten. Das muß doch hier gesagt werden. Wenn die gesamte Gemeinschaft erklärt: „Jetzt, weil ihr einmal aus dem gemeinsamen Topf etwas wollt, gibt es kein communautaires Verhalten", muß es doch selbstverständlich recht und notwendig sein, daß dieses Verursachungsprinzip für alle gilt. Auch Europa kann nur gebaut werden auf der Basis des gleichen Rechtes und der gleichen Pflichten.
({3})
Das, verehrter Herr Kollege Hallstein, muß hier ganz eindeutig gesagt werden. Und wenn Sie uns dabei helfen und Sie haben es mir zugesichert -, bin ich überzeugt, werden wir in der EWG zu einer besseren Kooperation kommen und über die EWG hinaus für Gesamteuropa eine Form finden, die auch der Landwirtschaft eine gleiche Lebenschance gibt bei aller Notwendigkeit der Integration in eine moderne Industriegesellschaft.
({4})
Das Wort hat der Herr Kollege Junghans.
({0})
- Herr Kollege Barzel, Herr Kollege Köppler hat die Wortmeldung von Herrn Höcherl zurückgezogen, und daraufhin hat auch der Herr Kollege Schmidt ({1}) verzichtet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller hat zu den Fragen der Aufwertung hier etwas gesagt. Ich möchte namens meiner Fraktion hierzu auch einige Bemerkungen machen.
Zunächst beglückwünschen wir die Bundesregierung dazu, daß mit dieser Aufwertung in dieser Regierung die erste Handlung eine wirtschaftspolitische Aktion gewesen ist, eine Aktion, die längst fällig war und auf die die Welt schon lange gewartet hat. Herr Dr. Barzel hat hierzu die Bemerkung gemacht, die Aufwertung betreffe den Export und die Vollbeschäftigung von morgen. Zunächst einmal möchte ich aus einem Brief, den Herr Professor Röpke am 28. Februar 1961 an Herrn Professor Erhard geschrieben hat, zitieren. In dem Brief hieß es, daß es in dieser Situation 1961 - nur zweierlei gebe, nämlich entweder der deutschen Volkswirtschaft eine kräftige Dosis Inflation zu verordnen oder aber die D-Mark aufzuwerten. Im Mai 1969 ging es das haben alle bestätigt, das steht bei den Sparerschutzverbänden und anderen Verbänden, das steht im Sachverständigengutachten; ich will mich hier nicht auf Zahlen einlassen - um dieselbe Situation: entweder die Anpassungsinflation oder die D-Mark-Aufwertung. Und dazu macht Herr Dr. Barzel die Bemerkung: Die Aufwertung trifft den Export und die Vollbeschäftigung von morgen.
Hierzu möchte ich auch noch eine Bemerkung machen. Ich lese jetzt etwas vor, Herr Dr. Barzel, und das ist vielleicht sehr bemerkenswert - Herr Professor Erhard ist leider nicht mehr hier -:
Man hat, begünstigt durch die Wechselkurse, mehr ausgeführt, als volkswirtschaftlich sinnvoll war, und konnte, weil die Einfuhr zu teuer war, weniger einführen, als im Interesse des Inlandverbrauches erwünscht gewesen wäre. Es muß einmal das Wort deutlich ausgesprochen werden, daß der Export nicht als heilige Kuh betrachtet werden kann, deren Vorrecht es ist, den Lebensstandard des Inlandes zu beeinträchtigen. Wir waren an dem Punkt angelangt, an dem die heilige Kuh in den Garten des Sparers eingedrungen ist. Sie hat nun einen Klaps bekommen, und man hat die Gartentür verschlossen. Es wird selbstverständlich ein maßgebender Einfluß auf die Preise ausgeübt, was den Empfängern von festen Einkommen, nicht zuletzt den Rentnern und den Sparern zugute kommt.
Herr Dr. Barzel, dieses Zitat stammt aus dem „Deutschland-Union-Dienst'' vom 6. März 1961.
({0})
Sie sagen heute genau das, was Herr Fritz Berg 1961 zu diesem Thema gesagt hat. Das scheint die Stimme der Wirtschaft gewesen zu sein, die auch Herr Dr. Kiesinger gemeint hat.
Was haben die CDU-Sozialausschüsse zu demselben Thema auch auf ihrer 13. Bundeskonferenz im Juli dieses Jahres beschlossen? Ebenso wie 1961 - ({1})
- Herr Dr. Barzel, hier geht es um das Thema Aufwertung, hier geht es um Ihre Argumentation, und hier geht es darum, daß es genau wie 1961 nur zwei Alternativen gab, entweder Anpassungsinflation oder D-Mark-Aufwertung. Begreifen Sie das doch endlich. Es gab keine andere.
({2})
Glauben Sie vielleicht, wir seien glücklich über die Belastungen im Bundeshaushalt infolge der verspäteten Aufwertung, die zusätzlichen Kosten, die die Folge davon sind, daß Sie die Aufwertung nicht im Mai, sondern praktisch erst am 29. September eingeleitet haben? Wir sind nicht glücklich darüber.
Herr Müller-Hermann, bitte!
Herr Kollege Junghans, ist Ihnen in Erinnerung, daß Preisdämpfungstendenzen nach der Aufwertung des Jahres 1961 wenn überhaupt, dann erst nach einem Zeitraum von etwa einem Jahr eingetreten sind?
Mir ist auch folgendes erinnerlich, was ich Ihnen einmal vorlesen darf:
Man machte bei der CDU/CSU kein Geheimnis aus der Freude. Noch am vorigen Wochenende hatten die Sozialausschüsse in Königswinter Erhard aufgefordert, endlich Ernst zu machen mit harten Maßnahmen gegen den Preisanstieg. So ist es denn nicht verwunderlich, daß sich am Sonntagnachmittag ein CDU-Politiker in Feiertagsstimmung zu dem überschwenglichen Ausruf hinreißen ließ: Jetzt haben wir die Wahl gewonnen.
So 1961.
({0})
Ich wollte damit sagen, Herr Dr. Barzel, es gibt in einer Situation, wo das außenwirtschaftliche Gleichgewicht so gestört ist, keine andere Alternative. Wer beides verspricht, nämlich Preisstabilität und Nichtaufwertung, der muß wissen, daß er gegenüber der Wirtschaft unsachlich argumentiert.
Herr Kollege Junghans, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reddemann? Dann würde der Herr Kollege Müller-Hermann zu einer weiteren Zwischenfrage kommen. - Bitte schön.
Herr Kollege Junghans, ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister am 26. November des vergangenen Jahres in diesem Haus erklärt hat, daß eine Aufwertung um 71/2 % für uns einen Exportverlust von 10 Milliarden DM bringen würde und daß wir unter diesen Umständen nicht mehr in der Lage seien, internationale Verpflichtungen zu erfüllen?
Wir haben ja nicht jedes Jahr eine Aufwertung. Das wollen wir erst einmal festhalten. Eine Aufwertung ist in einer Volkswirtschaft etwas ganz Ungewöhnliches, und wir wären froh,
wenn die deutsche Volkswirtschaft solche Operationen in Zukunft nicht mehr nötig hätte.
Dann müssen Sie wissen - Herr Professor Schiller hat es hier ausdrücklich gesagt -: im November hat es eine Maßnahme gegeben, die Sie selber Ersatzaufwertung genannt haben. Es war selbstverständlich, daß die Wirkung dieser Maßnahme erst einmal abgewartet werden mußte. Dann aber im März, als sich der Zahlenspiegel anders darstellte, war es die Pflicht des Bundeswirtschaftsministers - und er hat es getan -, Alarm zu schlagen.
Herr Kollege Junghans, ich unterstelle, daß wir uns darin einig sind: es gibt für und gegen die Aufwertung durchaus überzeugende Sachargumente. Aber machen Sie und Ihre politischen Freunde es sich nicht etwas zu einfach, wenn Sie jetzt eintretende Preisauftriebstendenzen ausschließlich auf die nicht erfolgte Aufwertung zurückführen und nicht in mindestens gleichem Maße, wenn nicht in viel größerem Umfang, auf die inzwischen erfolgte Ausweitung der Binnennachfrage?
Vielleicht in der Nuancierung. Ich halte jedenfalls die Aufwertung für eine der objektiven Notwendigkeiten deutscher Innenpolitik, um ein Wort von Herrn Dr. Barzel hier zu gebrauchen.
Wir wissen selbstverständlich - das haben die Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die Bundesbank bestätigt -, daß wir gerade infolge der Verspätung der Aufwertung erst zur Jahresmitte 1970 mit einer Dämpfung der Preisentwicklung rechnen können. Damit ist aber dann das vorrangige Ziel der D-Mark-Aufwertung, nämlich die Abschirmung des deutschen Binnenmarktes gegen die Inflationseinflüsse von außen, erreicht. Zugleich wird mit der D-Mark-Aufwertung die währungspolitische Unsicherheit in diesem Lande beendet.
({0})
- Keine Frage? Es ist doch dauernd spekuliert worden. Sie haben hier von Spekulanten gesprochen. Wer hat denn dieses Wort in den Deutschen Bundestag gebracht? Daß an der Währungsfront nur durch diesen Beschluß endlich Ruhe eingetreten ist, können Sie doch nicht leugnen.
({1})
Wir begrüßen den Aufwertungsbeschluß auch deshalb, weil die Bundesregierung damit nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ihre wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit wiedergewonnen hat. Damit können wir der Politik des stetigen Wachstums in unserem Lande neue Impulse geben.
Sie werden auch nicht bestreiten können, daß durch unterlassene Infrastrukturmaßnahmen infolge der Umlenkung durch Kapitalexport viele für das wirtschaftliche Wachstum notwendige Investitionen zur Zeit unterlassen worden sind. Das IFO-Institut hat ja sehr deutlich festgestellt - wenn ich das auch einmal zitieren darf -:
Diese Entwicklung gibt volkswirtschaftlich in zweifacher Hinsicht zu denken. Zum einen werden zur Erledigung der Exportaufträge Produktivkräfte gebunden, die beim Ausbau der Infrastruktur fehlen, vor allem in der Bauwirtschaft, die seit Beginn der Rezession rund 10 % ihrer Beschäftigten verloren hat und unter erheblichem Arbeitskräftemangel leidet.
({2})
- Wissen Sie denn, wie lange die Lieferfristen für Autos sind? Erzählen Sie doch nicht, daß das noch Unterbeschäftigung sei. Das ist Überbeschäftigung. Sie wären froh, wenn sie schneller liefern könnten. Herr Stücklen, Sie müssen einmal zu Ihrer Automobilfabrik hingehen.
({3})
- Ich spreche hier vom Kapitalexport, mein lieber Stücklen, ich spreche hier im Moment nicht vom Arbeitsmarkt, von dem Herr Barzel meinte, die Vollbeschäftigung sei gefährdet.
Zum anderen wird Kapital exportiert, das wir im Infrastrukturbereich dringend nötig haben. Der Sachverständigenrat hat deshalb in seinem letzten Gutachten zusammengefaßt: Dem Weniger an interner Nachfrageexpansion steht ein Mehr an Außenbeitrag gegenüber. Was wir den inländischen Gebietskörperschaften und Unternehmen an Chancen zum Ausbau unseres Produktionsapparates und unserer Infrastruktur versagt haben, hat das Ausland zum Teil real erhalten. Ich will damit keineswegs den Kapitalexport verteufeln, Herr Müller-Hermann; damit wir uns recht verstehen. Hier geht es um einen unangemessen hohen Anteil, der zudem auch in die entwickelten Industrienationen und nicht in die Entwicklungsländer geflossen ist.
Wir begrüßen auch, daß die Bundesregierung - davon ist hier auch schon die Rede gewesen - einen vollen Ausgleich für die Landwirtschaft zugesichert hat, wie wir das in dieser Sache ja schon immer gemacht haben.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Barzel, zum Schluß möchte ich daran erinnern, was Herr Professor Erhard, der wahrscheinlich der Verfasser des Artikels im Deutschland-Union-Dienst vorn 6. März 1961 ist, und was auch Ihre Kollegen hier gesagt haben: Hurra, wir haben die Wahlen gewonnen! Wir haben das damals so beurteilt und beurteilen es auch heute so. Deshalb muß ich sagen, dies ist nicht ein kleines Problem, dies ist ein Stück wirtschaftlichpolitischen Erbes, das wir abzubauen gedenken. Bei dieser schwierigen Operation wünschen wir unserem Bundeswirtschaftsminister viel Erfolg.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zimmermann.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es zum organischen Ablauf der Debatte
und zur Thematik dieses Nachmittags beigetragen hat, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister das selbstverständliche Recht der Bundesregierung, sich jederzeit zu Wort zu melden, - ({0})
- Nicht um zu Europa zu sprechen; um zur Aufwertung zu sprechen, Herr Wehner.
({1})
Das war das zentrale Thema seiner Debattenrede; und das hat sich überhaupt nicht mit der Gesamtthematik von Außen-, Europa-, Deutschland- und Sicherheitspolitik des Nachmittags vertragen.
({2})
- Sie wissen so gut wie ich, Herr Kollege Wehner, daß dieses Thema für morgen früh vorgesehen war, und da kommt es wieder dran.
({3})
- Ich glaube, es ist Ihnen nicht entgangen, Herr Kollege Wehner, daß ich sagte: der Herr Bundeswirtschaftsminister hat sein Recht, jederzeit zur Debatte zu reden, dazu benutzt, der Debatte des Nachmittags eine andere Richtung zu geben. Das hat er!
({4})
Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Wienand?
Wenn Sie mir die Zeit dann draufgeben, Herr Präsident, sehr gern.
Ich werde, wie ein Fußballschiedsrichter, nachher sehen, was nachgespielt wird. - Bitte schön!
Würden Sie, Herr Kollege Zimmermann, zur Kenntnis nehmen, daß lediglich die CDU-Geschäftsführer im Interfraktionellen Ausschuß, der für den Ältestenrat tagt, weil wir noch keinen gewählt haben, eine Absichtserklärung abgegeben haben, die nicht die Zustimmung der FDP- und der SPD-Fraktion gefunden hat?
({0})
Das ist mir sehr wohl bekannt, Herr Kollege Wienand.
({0})
- Moment! Es ändert trotzdem nichts an meiner Feststellung, daß dadurch die Debatte von heute nachmittag nicht organischer geworden ist; im Gegenteil!
({1})
- Ach, so wichtig ist es ja auch wieder nicht. Vielleicht kommen wir jetzt zu dem Thema, das organischer ist.
Die Regierungserklärung befaßt sich auf den Seiten 20 und 21 mit Problemen der Bundeswehr, auf den Seiten 36 und 37 - sehr kurz - mit Verteidigungspolitik und Bündnispolitik.
Zu dem, was in der Regierungserklärung zur Bundeswehr gesagt ist, kann man in einer Reihe von Punkten durchaus ja sagen, prüfen, zustimmen, diskutieren. Manches davon ist absolut disponibel, ist durchaus kein Dogma; so sicherlich nicht ein Gliederung des Hauses, wie sie sich der neue Verteidigungsminister offenbar vorstellt, mit beamteten Staatssekretären als Säulen für Verwaltung, Recht, Haushalt, für Technik, Rüstung und Wirtschaft, und in der Mitte dem Generalinspekteur auf einem neuen Level. Zu vielem also wird man die Zustimmung meiner Fraktion haben können.
Zur Wehrgerechtigkeit, mit der punktuell die
Abhandlung auf Seite 20 beginnt und wo ein Maximum an Gerechtigkeit gefordert wird, darf ich wohl
sagen, daß auch der letzte Deutsche Bundestag in einer außerordentlich sorgfältigen Kommissions- und Ausschußarbeit versucht hat, dieses Problem zu lösen. Versucht hat! Denn jeder Kundige weiß, daß, je mehr man sich in dieses Thema hineinarbeitet, eine perfekte Lösung um so schwieriger wird.
Der neue Verteidigungsminister wird sicher wissen, daß wir bis zum Jahre 1980 ständig steigende Jahrgangszahlen vor uns haben. Sie werden so stark steigen, daß die Zahl derjenigen, die 1980 einberufen werden können, um 100 000 Soldaten höher liegt als die Zahl derjenigen, die 1970 einberufen werden können. Es ist also zu fragen: Wie wird sich der Umfang der Streitkräfte entwickeln, und wird sich dabei - das deutet der Punkt 1 an - die Dienstzeit entwickeln?
Unser Mangel liegt bei den Berufssoldaten, liegt den Zeitsoldaten. Die Ungleichgewichtigkeit geht daraus hervor, daß wir 53 % Wehrpflichtige, aber nur 47 % Berufs- und Zeitsoldaten in den Streitkräften haben, während das Verhältnis umgekehrt oder noch höher zugunsten der Zeit- und Berufssoldaten sein müßte. Jede Verkürzung der Dienstzeit bringt aber - und auf die Hauptprobleme komme ich nachher im zweiten Kapitel noch zu sprechen - eine höhere Zahl von Berufs- und Zeitsoldaten als naturnotwendiges Erfordernis mit sich, d. h. das Problem wird immer noch schwieriger, je mehr man an der Wehrpflichtzeit kürzen mußte, was Ausbilder, was Führung in den Streitkräften betrifft.
({2})
Am 27. Juni dieses Jahres hat der heutige Verteidigungsminister in einer Verteidigungsdebatte vorgeschlagen, man sollte doch in Zukunft, um zu mehr Gerechtigkeit zu kommen, wie folgt verfahren. Bei der Musterung sollte festgestellt werden, ob jemand dienen oder den Wehrdienst verweigern wolle. Er hat dazu wörtlich ausgeführt:
Das hätte ich gerne als die Absicht der Bundesregierung endlich einmal in einer Regierungserklärung ausgesprochen gehört.
So Helmut Schmidt am 27. Juni dieses Jahres.
Jetzt haben wir eine Regierungserklärung seiner Fraktion. Aber sie formuliert viel vorsichtiger, als die Forderung von Minister Schmidt damals gewesen ist. Sie sagt zu diesem Punkt nur: Das Verfahren soll entbürokratisiert werden. - Wir würden also gern wissen, ob dieser Vorschlag, das absolute Wahlrecht für den Tauglichen herbeizuführen - Verweigerung oder Dienen , der Absicht dieser neuen Bundesregierung entspricht.
({3})
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung formuliert - ich zitiere -:
Die Leistungen der Soldaten und Zivilisten in der Bundeswehr werden nur dann voll wirksam, wenn sie von der Anerkennung durch die öffentliche Meinung getragen werden.
Nun, meine Fraktion darf wohl von sich behaupten, daß sie seit 15 Jahren nahtlos, ohne jede Unterbrechung vom ersten bis zum letzten Tag dafür eingetreten ist, zu dieser Anerkennung zu kommen.
({4})
Nicht bei allen in diesem Hause war das so. Je weiter man hinunter in manche Kader blickt, die wir in den Wochen des August und September wieder haben uns entgegen sprechen hören, desto mehr muß man sehen, daß es in weiten Bereichen immer noch nicht ganz so ist, daß überall die Anerkennung des Soldaten und des Zivilisten von der gesamten öffentlichen Meinung getragen würde.
Meine Fraktion wird so konsequent wie bisher bemüht sein, den Auftrag der Bundeswehr, einen wirksamen Beitrag zur Abschreckung und Verteidigung zu leisten, mit ihrer Einsatzfähigkeit und ihrem Kampfwert in eine höchstmögliche Übereinstimmung zu bringen.
Die vergangene Legislaturperiode, meine Damen und Herren, hat mit entscheidenden Gesetzen - es waren insgesamt zwölf - geendet. Die neue Periode haben wir damit begonnen, daß wir die ersten Vorschläge und Anträge bereits eingebracht haben.
({5})
Das wehrpolitische Programm unserer Fraktion weist unsere Vorstellungen eindeutig aus. Es zielt auf einen fortlaufend zu verbessernden Verteidigungsbeitrag ab, dessen Träger der Mensch ist und bleibt.
Dem neuen Verteidigungsminister wünschen wir im Interesse unseres vorrangigen - und ich hoffe: gemeinsamen - Anliegens der Sicherung von Freiheit und Frieden möglichst viel Erfolg.
({6})
In den letzten zwei Jahren haben die Kollegen der Freien Demokraten immer wieder zwei große Themen angesprochen und diskutiert, die in einem flagranten Gegensatz ;zu unseren Auffassungen stehen. Zum einen verlangten sie die Abschaffung der atomaren Trägermittel und zum anderen eine drastische Herabsetzung der Dienstzeit. Wir möchten die Bundesregierung fragen, wie es mit diesen beiden Forderungen des kleinen Koalitionspartners heute steht.
({7})
Erlauben Sie mir, an dieser Stelle auf die letzte Tagung in Brüssel zu verweisen. Erlauben Sie mir auf das hinzuweisen, was der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, General Goodpaster, gefordert hat, nämlich längere Dienstzeit, mehr Reserven, mehr Reserveübungen und höhere Verteidigungsausgaben. Alles, was man von anderen Sprechern aus dem amerikanischen Senat und Repräsentantenhaus - es waren große Namen darunter - auf dieser Tagung hören konnte, ging in dieselbe Richtung, nämlich in die Richtung, daß man den europäischen NATO-Partnern sozusagen androhte, es würden Konsequenzen nicht ausbleiben, wenn die Europäer nicht andere Anstrengungen als bisher auf diesem Gebiet unternähmen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir sehen doch wohl alle mit einer großen Sorge, wie sehr isolationistische Tendenzen in den Vereinigten Staaten und in seinem Parlament auf dem Marsch sind. Wir können uns doch wohl leicht vorstellen, daß bei den europäischen NATO-Partnern nicht mehr viel zu geschehen braucht, um eine neue Welle von Mansfieldschen Ankündigungen und vielleicht Durchsetzungsmöglichkeiten in Marsch zu setzen.
({9})
Jeder, der heute bei uns über die Dienstzeit diskutiert, muß diese Erkenntnisse an den Anfang seiner Gedanken stellen.
({10})
Niemand, meine verehrten Damen und Herren, wird diese Welle einmal noch aufhalten können, wenn sie sich wirklich in Bewegung setzt.
({11})
Was heißt „Höhe des Verteidigungshaushalts"? Meine Damen und Herren, meine Herren von der Bundesregierung, da genügt es nicht, bei den bisherigen Zahlen des Verteidigungshaushaltes im Jahre 1970 zu bleiben. Wenn der Bundeshaushalt um 5, 6, 7, um 8 % steigen sollte, dann verschlechtert sich nämlich die Relation des Verteidigungshaushalts zum Bundeshaushalt weiter, und es verschlechtert sich die allein zulässige internationale Bezugszahl Verteidigungsausgaben zu Bruttosozialprodukt.
({12})
Hier nähern wir uns, wenn nicht nachgezogen wird, einer Grenze, die genau in das Bild paßt, das ich vorhin gerade in der Kennzeichnung der Brüsseler Ergebnisse gezeichnet habe.
Wenn der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung in bezug auf die Entwicklungshilfe eine Zahl nannte, nämlich seine Absicht, die diesbezüglichen Ausgaben um 11 % pro Jahr zu
erhöhen, so ist das wichtig. Ein steigender Verteidigungshaushalt dagegen ist, wenn wir heute zum Verbündeten, zu den Vereinigten Staaten von Amerika, und zum Oberbefehlshaber schauen, nicht nur wichtig, er ist lebenswichtig.
({13})
Ich bedaure, daß die Regierungserklärung zur strategischen Situation in Westeuropa überhaupt keine Aussage gemacht hat. Wie ist denn diese Lage? Das militärische Stärkeverhältnis in Mitteleuropa zwischen den mit konventionellen Waffen ausgerüsteten Streitkräften der NATO und des Warschauer Paktes beträgt heute 1 : 3. Die Überlegenheit auf dem nuklearen Gebiet ist gekennzeichnet durch über 850 sowjetische Mittelstreckenraketen, wo eine gleichwertige Waffe in Mitteleuropa bei der NATO nicht zur Verfügung steht. Zur Modernisierung ihrer Ausrüstung und zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft ihrer Streitkräfte mutet die sowjetische Führung ihrer Bevölkerung nach wie vor einen radikalen Konsumverzicht zu. Demgegenüber stagnieren die Verteidigungshaushalte der NATO-Länder mit Rücksicht auf ihre sozialen Budgets. Das Aufmarschgebiet der Sowjets ist seit der CSSR-Krise verbessert worden. Die sowjetische Militärstrategie hat das erste Stadium einer Umfassungsbewegung Europas abgeschlossen. Die Mittelmeerflotte bedroht die Südflanke der NATO. Die Ostsee ist beinahe schon ein mare sowjeticum geworden. Umfangreiche sowjetische Formationen, im Nordmeer stationiert, bedrohen die Nachschubwege aus Amerika. Die hegemoniale Struktur des Warschauer Paktes ist wohl ganz deutlich durch die Verkündung der Breschnew-Doktrin wiederhergestellt worden, während die Führungsmacht des Westens, die Vereinigten Staaten, die Zügel der NATO unter wachsenden Skrupeln nurmehr in der Hand halten.
Meine Damen und Herren, es wird aller unserer Anstrengungen bedürfen, der Anstrengungen der Bundesrepublik und ihrer europäischen NATO-Partner, diesen Erkenntnissen Priorität zu verschaffen und ihre haushaltsmäßige und bündnispolitische Umsetzung durchzuführen, damit das Bündnis zu stärken, die Abschreckungswirkung zu erhalten und der anderen Seite keine Gelegenheit zur Fehleinschätzung unseres Verteidigungswillens zu geben. Das, meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, halte ich für existenzwichtiger als eine europäische Sicherheitskonferenz. Das muß den Vorrang haben, weil es uns hautnäher, weil es uns lebensnäher ist.
({14})
Wir sollten keinen Zweifel darüber lassen: Auf lange Sicht wird es in unserem Land nur so viel Freiheit geben, wie Regierung und Parlament an materiellem und moralischem Einsatz dafür zu bezahlen bereit sind.
({15})
Das Wort hat Herr Kollege Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der Freien Demokraten darf ich erklären, daß wir mit besonderer Befriedigung feststellen, daß diese Regierungserklärung, im Gegensatz zu der letzten Regierungserklärung der Großen Koalition unter Herrn Bundeskanzler Kiesinger, etwas über Verteidigungspolitik und etwas über die Bundeswehr aussagt. Das ist damals nicht der Fall gewesen. Insofern möchte ich meinen, daß die neue Regierung ohne Zweifel einen Fortschritt in diesem Bereich darstellt. Die Bundeswehr weiß nämlich jetzt, daß sie mit ihren Problemen nicht alleinsteht.
Ich halte den Satz am Anfang der Regierungserklärung, auf der Seite 20 des uns vorliegenden umgedruckten Exemplars, für besonders bedeutsam.
Es steht da:
Die Bundesregierung weiß, daß unsere Soldaten in vielen Einheiten und in vielen Funktionen bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gefordert werden. Die zur Ausführung nötige Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten sowie der Stand der Ausbildung und Ausrüstung entsprechen nicht überall den Aufträgen.
Damit ist genau das umrissen, was letzten Endes das Ergebnis einer Politik von vier Verteidigungsministern ist, die der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union angehört haben. Deswegen scheint es mir besonders wichtig zu sein, daß in dieser Regierungserklärung auf eine Bestandsaufnahme verwiesen ist, die notwendig ist, um mit den Problemen, die auch Kollege Zimmermann soeben hier angesprochen hat, überhaupt einmal fertig zu werden.
Ich möchte also meinen, es kommt darauf an, daß wir alles das, was an konstruktiven Gedanken aus allen Richtungen dieses Hauses bisher geäußert worden ist, in diese neue Bestandsaufnahme mit hineinnehmen und uns gemeinsam um einen vernünftigen Weg in die Zukunft bemühen.
Herr Kollege Zimmermann hat darauf verwiesen, daß die Freien Demokraten sich für die Abschaffung der atomaren Trägermittel und für die Verkürzung der Wehrdienstzeit eingesetzt bzw. das als Programmpunkte erklärt haben. Ich muß Ihnen sagen, daß er zumindest recht lückenhaft das zitiert hat, was wir gesagt und gemeint haben. Die Forderung nach Abschaffung atomarer Trägermittel war natürlich mit der Feststellung verbunden, daß wir eine Arbeitsteilung im Bündnis wünschen. Wir verlangen also nicht das Verschwinden der atomaren Trägermittel, sondern eine Arbeitsteilung im Bündnis. Ich möchte das hier nicht weiter ausführen; das ist an sich bekannt; es muß nur noch einmal in das Gedächtnis zurückgerufen werden, daß das selbstverständlich der Gedanke ist, die Bundeswehr mit Waffen auszurüsten, die taktische atomare Waffen ersetzen können, nämlich mit konventionellen Mehrfachraketenwerfern. Aber das ist schon ein Detail. Wir sind jedoch der Meinung, daß in Zukunft auch über dieses Detail weiterhin wird gesprochen werden müssen. Wir glauben nämlich nicht, daß viele Militärschriftsteller und Militärwissenschaftler völ114
Schultz ({0})
lig falsch liegen, wenn sie gleiche Gedanken vertreten.
Ich bin mir aber klar darüber, daß alle Veränderungen in diesem Bereich der Übereinstimmung bedürfen, daß sie der Diskussion bedürfen und daß sie erst allmählich vor sich gehen können.
Nun zur Verkürzung der Wehrdienstzeit. Herr Kollege Zimmermann hat gemeint, das Anwachsen der Jahrgangsstärken in den künftigen Jahren werde das Problem noch weiter erschweren. Das Problem der Wehrgerechtigkeit werde noch weiter erschwert, wenn die Verkürzung der Wehrdienstzeit noch hinzukomme. Nun, man kann nicht isoliert - das haben wir nie getan von der Verkürzung der Wehrdienstzeit sprechen, sondern man muß daneben ein anderes Wehrsystem sehen, in dem der ausgebildete Reservist seinen Platz und seine Aufgabe hat. Auch darüber muß selbstverständlich gesprochen werden. Das kann nicht im Rahmen einer kurzen Debatte hier ausdiskutiert werden. Es bedarf selbstverständlich auch der Unterstützung der Fachleute im Hause des Bundesverteidigungsministers. Aber ich meine, daß wir in der Tat über diese Dinge sprechen müssen.
Herr Kollege Zimmermann, ich verkenne natürlich nicht, daß alle Veränderungen in der Wehrpolitik auch innerhalb der Bundesrepublik bei Beachtung der Verpflichtungen, die wir in dem Bündnis haben, ihre außenpolitischen Rückwirkungen haben. Nur meine ich, daß es eben nicht ganz ausreicht, wenn die Entscheidung, ob amerikanische Soldaten aus dem Bereich der NATO in Europa abgezogen oder nicht abgezogen werden, allein von der Zeit des Wehrdienstes, den die deutschen Soldaten ableisten, und allein von den Mitteln abhängt, die im Haushalt für Verteidigungsausgaben vorgesehen sind. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß man auch innerhalb des Bündnisses bemüht sein muß, nach den besten Formen der Verteidigung zu suchen. Diese Verteidigung muß so effektiv sein, daß sie nicht allein durch die Zahl der angehäuften Waffen abschreckend wirkt, sondern im Ernstfall, wenn es dazu kommen sollte - was wir, wie wir schon immer gesagt haben, nicht wünschen und auch nicht hoffen -, einen effektiven Abwehrerfolg ermöglicht.
Im meine, daß wir mit dem, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, durchaus eine gemeinsame Basis hätten, auf der wir überprüfen können - und das müssen wir tun -, ob das, was in der vergangenen Zeit diesem Hause an Verteidigungskonzeption immer vorgelegt worden ist, richtig ist und richtig bleiben muß und was auf der anderen Seite geändert werden kann. Deswegen begrüßen wir diese Regierungserklärung.
Herr Kollege Zimmermann hat auch darüber gesprochen, daß seine Partei und seine Fraktion sich schon seit 15 Jahren um die Anerkennung der Leistungen der Soldaten und der Zivilisten in der Bundeswehr im allgemeinen Gesellschaftsbewußtsein bemüht hätten. Soweit, so gut. Weniger gefallen hat mir, daß er zumindest anklingen ließ, ohne es auszusprechen, daß es in diesem Hause Kräfte gebe, die das nicht zu ihrer Richtschnur gemacht hätten, Es ist so vielleicht unterschwellig manchem ins Bewußtsein geträufelt worden, daß die Kreise, die prinzipiell gegen Bundeswehr, Verteidigung und alles, was damit zusammenhängt, seien, sozusagen die Hilfstruppen von Fraktionen in diesem Hause seien. Wenn das nicht so gemeint war, bin ich zufrieden. Aber ich möchte doch sagen, daß ich es für keine gute Sache halte, einen solchen, wenn auch unterschwelligen Zusammenhang herzustellen. Wir müssen uns nämlich auch darüber klar sein, daß z. B. die vorhandene Wehrungerechtigkeit, z. B. das Fehlen entsprechender Mittel und auch von Maßnahmen im Rahmen der Zivilverteidigung in den letzten 15 Jahren im Zusammenhang mit dem Aufbau der Bundeswehr als unserem Sicherheitsinstrument, draußen auch die Frage aufgeworfen hat: Wozu denn das alles? Hat denn das überhaupt einen Wert?
Deswegen sind wir Freien Demokraten der Meinung, daß, wenn man das Problem der Wehrgerechtigkeit angeht - es ist im letzten Bundestag noch nicht gelöst worden, und seine Lösung steht nach wie vor noch vor uns -, auch der Bereich der zivilen Verteidigung in die Überlegungen einbezogen werden muß. Wir haben uns schon sehr frühzeitig und sehr lange für eine allgemeine Verteidigungsdienstpflicht eingesetzt, die aber nie zum Zuge gekommen ist. Wir müssen ohne Zweifel auch diesen Bereich in die Überprüfung und in die zukünftige Beschlußfassung mit hineinnehmen. Ich meine überhaupt, daß es auch nicht ausreicht, die Wehrdienstzeit allein im Rahmen der 18 Monate zu sehen. Hier muß vielmehr von dem in einem abgeleisteten Wehrdienst und der Zeit ausgegangen werden, die noch für Reserveübungen zur Verfügung gestellt werden muß.
Wir haben also, glaube ich, noch eine ganze Reihe von Problemen zu erledigen. Es ist natürlich außerordentlich zu begrüßen, daß die Oppositionsfraktion schon Anträge in diesem Bereich eingebracht hat. Das war auch gar nicht so schwierig, weil zum mindesten in zwei Bereichen, soweit ich gesehen habe, Anträge der vergangenen Opposition wiederholt worden sind, die damals von der heutigen Oppositionspartei abgelehnt wurden. Das soll uns aber nicht hindern, uns auch über diese neu eingebrachten Anträge Gedanken zu machen und, wie wir hoffen, dann zu einer einvernehmlichen Entscheidung zu kommen.
({1})
Herr Kollege Zimmermann hat zum Schluß seiner Ausführungen, wenn ich es recht verstanden habe, gemeint, daß entscheidend für uns seien eine Gegenüberstellung des Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West in Europa und davon abgeleitet dann die entsprechenden Verteidigungsbemühungen, Geld, Ausrüstung, Bewaffnung usw., daß hier zu festen Entschlüssen zu kommen sehr viel wichtiger sei als das Hinsteuern auf eine europäische Sicherheitskonferenz und daß die Frage der Verteidigung eine Priorität genieße vor der Frage - möchte ich nunmehr sagen - der Außenpolitik. Ich bin nicht
Schultz ({2})
dieser Auffassung, sondern ich glaube, daß in der Tat die Lösung der Probleme, die zwischen den Völkern in Europa stehen, das Primäre ist, daß allerdings, um sie lösen zu können, die Verteidigung des eigenen Volkes nicht vergessen werden darf und daß eine Lösung dieser Probleme nur auf der Basis einer gesicherten Verteidigung möglich ist. Trotz alledem wollen wir uns aber darüber klar sein, daß die Bundeswehr und alles, was damit zusammenhängt, letzten Endes Diener der Politik ist.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier sind ein
paar Fragen gestellt worden, die ich hoffentlich
in aller Kürze und Knappheit beantworten
möchte.
Was die Organisation des Bundesverteidigungsministeriums angeht, so nehme ich an, daß es einige Änderungen im Laufe des Frühjahrs geben wird. Der Verteidigungsausschuß dieses Hauses wird Gelegenheit haben - und Gelegenheit nehmen, unterstelle ich -, darüber zu sprechen. Ich habe nicht die Vorstellung, daß abrupte Änderungen per sofort geschehen sollen.
({0})
Zweitens. Es ist ein weiteres Mal von der Problematik der Wehrgerechtigkeit gesprochen worden. Wenn Sie bitte so gut sein wollen, sich die sehr vorsichtige Formulierung, die die Regierungserklärung in diesem Punkte darbietet, noch einmal anzusehen, so werden Sie daraus erkennen, daß, was den Grundwehrdienst angeht, dort gesagt wird, die Regierung werde prüfen, ob sich daraus Konsequenzen für dessen Dauer ergeben. Wenn ich es richtig sehe, hat auch die vorige Regierung mit dieser Prüfung schon begonnen, hat sie aber nicht ganz abgeschlossen. Die alternativen Ergebnisse der sogenannten Adorno-Kommission sind ja bisher nicht endgültig beschieden worden. Ich will aber eins hier sehr deutlich sagen: Ich weiß, daß von militärischer Seite eine Kürzung vielleicht nicht ohne weiteres akzeptiert wird. Insbesondere nachdem Herr Zimmermann den neuen amerikanischen Oberkommandierenden für den europäischen Teil der NATO hier zitiert hat, bin ich mir dessen durchaus bewußt.
Herr Zimmermann, unsere Soldaten sollen den Rechtsstaat verteidigen, so wie er im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gewollt ist. Man kann den Rechtsstaat nicht verteidigen, wenn man ihn nur abstrakt gelernt hat. Man kann ihn im Grunde nur verteidigen, wenn man ihn konkret in der eigenen Person erlebt hat.
({1})
Deswegen ist das Thema der Gleichbehandlung der Wehrpflichtigen von ungeheurer Bedeutung für den Kampfwert unserer Truppen.
({2})
Der Kampfwert beruht einerseits auf den Faktoren der militärischen Ausbildung, aber andererseits auf der psychologischen Bereitschaft der Soldaten.
({3})
Deswegen bitte ich Sie, für möglich zu halten, daß man gegeneinander abwägen darf: eine theoretisch denkbare kleine Einbuße im Ausbildungsstand, wenn man dafür einen großen Zuwachs in der psychologischen Bereitschaft unserer jungen Männer gewinnen könnte.
({4})
Nichts anderes als die Möglichkeit, dies abzuwägen oder es abwägen zu wollen, ist in der Regierungserklärung an dieser Stelle gesagt, nichts anderes.
({5})
Ich möchte drittens eine Bemerkung über die Kriegsdienstverweigerer machen dürfen. Sie wissen, daß ich keiner bin und wohl auch keiner mehr werde in meinem Leben.
({6})
Aber, Herr Zimmermann, ich war einer von den damals sehr jungen Soldaten, die im Dritten Reich eine ganze Menge mitgemacht und erlitten haben unter der Vergewaltigung des Gewissens, der wir ausgesetzt gewesen sind. Deswegen habe ich genau wie viele in Ihrer Fraktion und auch in der FDP-Fraktion heute vor - wie lange ist es her? -14 Jahren hier in diesem Deutschen Bundestag zu denen gehört, die aus innerer Überzeugung, aus dem Erlebnis, das wir im Dritten Reich hatten, den Art. 4 Abs. 3 in das Grundgesetz hineingebracht und auch die Ausführungsgesetzgebung beschlossen haben. Sie wissen, wie tief das ganze Haus in jener Debatte damals engagiert gewesen ist. Ich habe keinen Grund gehabt, in den vergangenen 14 Jahren meine Einstellung zu dem Problem wesentlich zu ändern.
Aber in einem Punkte habe ich dazugelernt - und ich könnte mir denken, daß sich das vielleicht auch noch bei anderen unter uns einstellt, daß man noch etwas dazulernt -, nämlich in dem Punkt, daß ich heute nicht mehr glaube, daß eine Gewissensmeinung ernsthaft durch demokratische Abstimmung in einem Komitee erforscht werden kann. Das glaube ich heute nicht mehr.
({7})
Vielleicht müssen wir daraus gemeinsam Konsequenzen ziehen. Das ist eine Sache der Gesetzgebung, wie Sie und ich beiderseits ja sehr wohl wissen.
Eines jedenfalls darf es nicht geben. Ob, wie es der normale Fall ist, die große Mehrzahl unserer jungen Männer ihre Wehrpflicht leisten will oder ob eine kleine Zahl sagt „Wir wollen Kriegsdienstverweige116
rer sein", es darf nicht geben, daß dieser Staat Drückebergerei zuläßt. Das muß aufhören.
({8})
Diejenigen, die Soldat sein wollen, und diejenigen, die als Kriegsdienstverweigerer Ersatzdienst leisten wollen, müssen beide ihren Dienst dann auch tatsächlich leisten.
({9})
Den kann man nicht durch Finanzkunststücke oder dergleichen abgelten wollen. Ich bin mir darüber klar, daß dies Schwierigkeiten aufwirft. Denn es fehlt nach allem Bisherigen z. B. für den Ersatzdienst an einer zureichenden Vorkehrung. Ich sehe Kollegen Katzer vor mir sitzen. Ich gucke ihn keineswegs mit innerem Vorwurf dabei an. Aber er wird mir zustimmen, daß hier im Augenblick noch nicht ganz das vorhanden ist, zum Teil schon vorhanden war und dann wieder ein bißchen abgebröckelt ist - ({10})
Ich freue mich darüber, und ich bin ganz gewiß, daß die Bundesregierung und daß das Ressort, das für diese Sache zuständig sein wird, sich viel Mühe geben werden.
Viertens. Eine Antwort wegen der Trägerwaffen, Dr. Zimmermann! Es ist ganz richtig, wenn Sie darauf hinweisen, daß in diesem wie auch in anderen Punkten die Kollegen von der Freien Demokratischen Partei früher in Nuancen etwas anderes gesagt haben, als wir - in Nuancen - gesagt haben. In Koalitionsregierungen muß man sich zusammenraufen; das kennen Sie auch. Sie raufen sogar manchmal, wenn Sie gar nicht in einer Koalition sind.
({11})
Man muß sich zusammenraufen. Wir sind in diesem Punkt, was die Trägerwaffen angeht, der Meinung, daß die Verbände der Verbündeten und unsere eigenen Verbände die gleiche Ausstattung und die gleiche Ausrüstung brauchen, solange sie hier in Mitteleuropa auf demselben Feld stehen.
({12})
Ebenso sind wir übereinstimmend der Meinung, daß, wenn es z. B. im Zusammenhang mit den Gesprächen über die Begrenzung strategischer Waffen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die jetzt anlaufen, möglich sein sollte, zu Absprachen zu kommen, oder wenn es später im Zuge einer europäischen Sicherheitskonferenz möglich sein sollte, zu Absprachen zu kommen, dann allerdings beiderseits und gleichwertig und gleichzeitig die Zahl - ({13})
- Ja, sicher, ich bin mit all den Begriffen, die das Wort „gleich" enthalten, die Sie noch hinzufügen können, einverstanden.
({14})
- Ja, ein Zwischenruf ist des anderen wert. - Ich nehme an, daß müßten Sie auch so akzeptieren, wie ich es gesagt habe.
({15})
Bei solchen Voraussetzungen sind wir durchaus bereit, die Zahl dieser Waffen zu verringern.
In einem anderen Absatz hat Herr Dr. Zimmermann mit Engagement die isolationistische Tendenz in einigen Teilen der amerikanischen Innenpolitik gegenüber Europa und gegenüber dem Bündnis hervorgehoben. Was er sagte, ist zutreffend. Ich habe mich etwas gewundert, daß er an dieser Stelle Beifall bekam, denn so erfreulich ist das für uns Europäer gar nicht.
({16})
- Der Bestätigung bedarf es ja nicht. Wir sind alle Beobachter der Szenerie.
Er hat dann vor der Welle gewarnt, die niemand aufhalten könne, wenn sie sich einmal in Bewegung setze. So habe ich es mitgeschrieben. Da gibt es doch gar nichts zu zweifeln, Herr Zimmermann. Diese Bundesregierung hat erklärt - und Sie stimmen diesem Teil der Regierungserklärung ja doch zu; das braucht die Bundesregierung nicht einen Tag später zu wiederholen , daß sie zu diesem Bündnis und ihren Verpflichtungen innerhalb dieses Bündnisses steht und daß sie erwartet, daß auch die anderen Partner zu ihren eingegangenen Verpflichtungen stehen. Viel mehr können wir dazu im Augenblick nicht sagen. Dies ist nicht der Ort, denke ich, sich allzu weit in die amerikanische Innenpolitik hineinzubegeben.
Sechstens. Was den Haushalt und Ihre Bemerkungen über seine zukünftige Gestaltung angeht, so will ich nicht zu weit gehen und die Bemerkungen nicht als den Ansatz zu nachträglicher Kritik an der mittelfristigen Finanzplanung interpretieren, für die einer Ihrer eigenen Kollegen - ({17})
- Wenn ich das soll, wäre ich für eine Spezifizierung dankbar. Dann würde ich mich mit dieser Allgemeinheit nicht zufrieden geben können, Herr Zimmermann.
({18})
Dann ist schließlich eine Frage zur Strategie gestellt worden. Ich meine, eine allgemeine Aussprache über eine Regierungserklärung, die doch das ganze Feld der Politik abdecken soll, ist nicht der Ort für eine Debatte über dieses Spezialthema. Ich will mich
solcher Debatte nicht entziehen. Ich meine nur, daß heute hier nicht die richtige Gelegenheit dafür ist.
Weiterhin wäre ich dankbar, wenn wir die Debatte über solche Spezialthemen so lange aufschieben könnten, bis diese Bundesregierung ihr erstes Weißbuch zur Verteidigung vorgelegt haben wird. Das wird im Laufe des Frühlings 1970 der Fall sein. Dann haben wir eine Diskussionsgrundlage. Sie werden sich erinnern, daß die vorige Bundesregierung eine sehr lange Frist gebraucht hat, bis sie ihre erste Diskussionsgrundlage zur Verteidigungspolitik vorlegen konnte. Wir sind in der glücklichen Lage, in gewisser Weise und gar nicht so wenig auf den Vorarbeiten, die uns hinterlassen worden sind, aufbauen zu können. Deswegen werden wir das zweite Verteidigungsweißbuch etwas früher vorlegen können, als es damals geschah. Aber es wäre vielleicht ganz gut, das würde abgewartet werden.
Im übrigen - ich glaube, das hat Herr Schultz auch schon mit Recht hervorgehoben - enthält diese Regierungserklärung eine ganze Menge wichtiger strategischer Aussagen. Ich will nicht alles wieder vorlesen, aber hier steht z. B. - ich will mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten wenigstens diesen Satz noch einmal in die Erinnerung rufen -:
Welche der beiden Seiten der Sicherheitspolitik wir auch betrachten, ob es sich handelt um unseren ernsten und nachhaltigen Versuch zur gleichzeitigen und gleichwertigen Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle
- Herr Kollege Marx! oder um die Gewährleistung ausreichender Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, unter beiden Aspekten begreift die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik als eine Politik des Gleichgewichts und der Friedenssicherung.
Hier haben Sie in einem Satz eigentlich das ganze Prinzip. Vielleicht wollten Sie es gern etwas ausführlicher haben. Es geht dann sogar noch weiter und wird näher erklärt:
Und ebenso versteht sie unter beiden Aspekten die äußere Sicherheit unseres Staates als eine Funktion des Bündnisses, dem wir angehören und als dessen Teil wir zum Gleichgewicht der Kräfte zwischen West und Ost beitragen.
Ich verzichte auf die weitere Verlesung. Ich wollte nur sagen: Das, worauf es im Kern ankommt, ist hier durchaus gesagt worden.
Eine vorletzte Bemerkung. Herr Kollege Schultz hat angeregt, die Verzahnung von Zivilverteidigung und militärischer Verteidigung noch einmal zu prüfen. Wir sind gern dazu bereit. Das berührt dann allerdings mehrere Ressorts in der Bundesregierung. Es muß auch vom Parlament her überlegt werden, in welchem parlamentstechnischen Rahmen man sich diesen Themen zuwenden will.
Ich wäre sodann dankbar, wenn die Anträge, von denen die Rede war, zunächst dem Ausschuß überwiesen werden könnten.
Ich möchte am Schluß gern meinen Respekt und meinen Dank für die guten Wünsche sagen, die hier ausgesprochen worden sind, und insbesondere an dieser Stelle - ich sehe den Herrn Kollegen Schröder dort noch sitzen - auch noch einmal meinen Dank sagen an den Herrn Kollegen Schröder,
({19})
der seine Wünsche schon vor ein paar Tagen auf der Hardthöhe anläßlich der Übergabe ausgesprochen hat - so wie ich mich dort verpflichtet fühlte, für die Soldaten der Armee sprechend, auch deren Dank dem scheidenden Herrn Bundesverteidigungsminister zu sagen.
Ich bin dankbar, daß hier heute abend, wenn auch ein bißchen eingebettet in polemische Nuancen, doch im Ergebnis sehr sichtbar und sehr hörbar geworden ist, daß Sprecher aller drei Fraktionen des Deutschen Bundestages sich darum bemühen - und nicht erst seit heute , daß in unserer Gesellschaft den Soldaten die Anerkennung zuteil werde, die sie ihren Leistungen nach verdienen.
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Das Wort hat der Herr Kollege Mattick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß Sie nun bitten, noch einmal auf den Ausgangspunkt der heutigen Diskussion zurückzukommen, da die Themen etwas durcheinandergekommen sind, was allerdings für die Gesamtdiskussion gar nicht schlecht sein kann. Ich möchte ein paar einleitende Bemerkungen vorweg machen.
Der Herr Barzel hat heute in seiner Rede wieder davon gesprochen, daß die Sozialdemokraten hier in diesem Hause in den ersten Jahren so viel nein gesagt haben. Ich möchte zwei Dinge dazu sagen, meine verehrten Damen und Herren:
Erstens. Das erste Nein in diesem Hause kam nicht von der Sozialdemokratischen Partei, sondern kam damals von der CSU zum Grundgesetz.
({0})
Zweitens möchte ich gerne sagen: In den Fällen, wo die CDU in den ersten Jahren der Bundesrepublik überall ja gesagt hat, wird die Geschichte erst darüber entscheiden, welche Möglichkeiten damals unter Umständen zugeschüttet worden sind, die heute gar nicht sichtbar sind, aber später vielleicht noch einmal ergründet werden können.
Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte: Es wurde hier so viel von der Koalition und davon gesprochen, daß die CDU/CSU eigentlich den ersten Schritt zur Regierungsbildung hätte machen müssen. Meine Damen und Herren, die beiden Parteien, die hier jetzt die Regierung bilden, haben ihren Wahlkampf mit dem gemeinsamen Ziel geführt, die Regierung zu bilden, wenn sie eine Mehrheit erreichen. Insofern ist der Wählerwille in diesem Falle voll zur Geltung gekommen.
Nun zu der allgemeinen Politik, die hier besprochen worden ist. Meine Damen und Herren, wie sieht denn die Weltlage heute aus? Wir befinden
uns in dem Zustand - wie es genannt wird - des Gleichgewichts des Schreckens und - möchte ich hinzusetzen - des Gleichgewichts der Ohnmacht, der Ohnmacht der beiden Großmächte und der Blöcke, in der gegenwärtigen Situation mit ihren Machtpositionen irgendwo außerhalb dieser Blöcke gemeinsam für Frieden und Ordnung zu sorgen. Die Feuer, die an anderen Stellen entstehen, sind unbeeinflußbar durch die beiden Großmächte und durch die Blöcke, eben wegen der festgefahrenen Situation des Gleichgewichts des Schreckens. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß dieser Zustand noch sehr lange Zeit dauern kann.
In dieser Zeit, verehrte Damen und Herren, geht die Politik weiter, und wir müssen versuchen, unter dem Dach dieses Gleichgewichts, unter dem in Europa kein Krieg entsteht, sondern relativer Frieden herrscht, unsere Politik einzurichten. Niemand sollte heute von der Hoffnung ausgehen, daß China oder die Dritte Welt, von der man so gern spricht, uns in absehbarer Zeit dazu verhilft, daß sich diese Dinge wesentlich verändern.
In dieser Zeit, meine Damen und Herren, wird der Prozeß, mit dem wir es auch in der deutschen Frage zu tun haben, leider weitergehen. Was ist das für ein Prozeß? Sie, die Sie hier jahrelang die Verantwortung getragen haben, und wir gemeinsam haben es nicht verhindern können, daß befreundete Mächte und uns nahestehende Nationen schrittweise Beziehungen mit der DDR entwickelt haben, verhandelt haben, Verträge abgeschlossen haben, Beziehungen auf kulturellem und auf wirtschaftlichem Gebiet begonnen haben. Das einzige, was diese Mächte nicht vollzogen haben, war die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Aber der Staat DDR hat heute mit vielen der uns befreundeten Mächte Verträge auf allen möglichen Gebieten und Beziehungen, die weit über das Anfangsstadium hinausgehen.
Sie selbst, verehrte Damen und Herren von der CDU/CSU, haben noch einen weiteren Schritt getan. Im Jahre 1972 bei den Olympischen Spielen in München treten die Sportler dieses Staates auf deutschem, auf bundesrepublikanischem Boden auf, und keiner wird dem widersprechen, daß sie mit ihren Fahnen und ihren Emblemen als Vertreter des zweiten deutschen Staates durch die Münchner Straßen ziehen. Das ist doch gemeint, wenn das in dieser Regierungserklärung heute als einfache Realität dargestellt wird, von der aus die Ausgangsposition für die heutige Politik zu suchen ist. Da entsteht dann die Frage: Was tun?
Ich möchte mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus einem Bericht einer fremden Universität außerhalb Europas zitieren, die sich in einem Gespräch „Deutschland zwischen Ost und West" mit unserer Lage beschäftigt hat. Dort heißt es unter anderem:
Das Schicksal des deutschen Volkes, in einem geteilten Land leben zu müssen, stellt für die politische Analyse ein interessantes geschichtliches Experiment dar. Im östlichen Teil Eures Landes wird der Versuch unternommen, nach
dem sowjetischen Modell-Bild ein kommunistisches Macht-System aufzubauen. In der Bundesrepublik gelten die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie. Beide Systeme stehen sich in einer gesellschaftlichen Konfrontation gegenüber. Es ist das gleiche deutsche Volk hüben und drüben, dieselbe professionelle Qualifikation einer hochentwickelten Industrienation. Wir beobachten die Entwicklung in beiden Teilen Deutschlands, stellen Vergleiche an und ziehen unsere Schlußfolgerungen. Das ist der spezifische Beitrag Deutschlands zum geschichtlichen Wettbewerb der Systeme in unserer Zeit.
Ich meine, meine Damen und Herren, die heutige Außenpolitik kann nicht besser untermauert werden als mit dem, was der Bundeskanzler als seine wichtigste Aufgabe bezeichnet hat: Reformen in der Innenpolitik zu entwickeln. Denn, wenn die Menschen in Leipzig, Magdeburg und Dresden, aber auch in Warschau und in anderen Städten und Ländern in absehbarer Zeit auf dieses Westeuropa zeigen und sagen können: Dort geht es auf demokratischem Wege auf allen Ebenen besser als bei uns, dann ist das ein Stück Außenpolitik in einer Phase, in der Außen- und Innenpolitik gar nicht getrennt werden können und die Konfrontation im Grunde genommen erst vorbereitet werden muß. Diese Konfrontation der beiden Systeme, von der hier gesprochen wird, ist im letzten Ende erst möglich, wenn Mauern und Stacheldraht aufgestoßen werden. Das scheint mir in dieser Phase die Frage zu sein, vor der wir heute stehen.
Die Ostpolitik der Bundesregierung ist bemüht, mit anderen Ostblockländern in Beziehungen, in Kontakte zu kommen auf allen Ebenen, die möglich sind, um, wie wir sagen, aufzulockern und deutlich zu machen, daß wir eine Friedenspolitik betreiben, die auch für Osteuropa eine gute Politik sein muß. Wenn dann auch zwischen diesen Völkern und uns Tore aufgestoßen werden und die menschlichen Beziehungen sich erweitern, entsteht die Frage, ob Ulbricht dann auf die Dauer seine Mauer und seinen Stacheldraht aufrechterhalten kann. Das ist die Probe, die noch nicht zu Ende bestanden ist. Wir stehen vor der Frage, ob es eine Politik gibt, die dazu beiträgt. Jetzt, in einer Periode, in der wir nicht davon ausgehen können, daß sich international in absehbarer Zeit Grundlegendes ändert, müssen wir eine solche Politik betreiben.
Herr Barzel hat über Berlin und die Tagungen in Berlin gesprochen. Ich möchte in diesem Zusammenhang als Berliner zunächst der Bundesregierung Dank sagen für die in der Regierungserklärung gegebene Zusage, mit den Alliierten und mit der Sowjetunion über die Berlin-Frage und über die Verbesserung der Berliner Lage ausgiebig zu verhandeln. Aber Herr Barzel hat mich in der einen Frage persönlich angesprochen, und dazu möchte ich eine Bemerkung machen.
Ich habe mir einmal ausziehen lassen, wann der Deutsche Bundestag Plenarsitzungen in Berlin abgehalten hat. Das war am 19. und 20. Oktober 1955, am 10. und 11. Oktober 1956, am 15. Oktober 1957 und vom 1. bis 3. Oktober 1958, also zu der Zeit,
als die CDU/CSU in diesem Hause die absolute Mehrheit hatte. Dann war Schluß. Seit 1958 ist das Parlament nie mehr in Berlin zusammengetreten. Auf unser Drängen haben wir im Jahre 1965 noch einmal einen Versuch gemacht. Damals kamen die Tiefflieger, und seitdem ist es ganz aus.
Nun meine ich, es ist keine schlechte Idee, einmal zu überlegen, ob diese Art der Sitzungen, wie wir sie jetzt in Berlin durchgeführt haben, noch ein sinnvoller Ausgleich der Versäumnisse der Vergangenheit darstellt.
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Als der Bundeskanzler Kiesinger am 4. März dieses Jahres nach Berlin kam, hat er folgendes gesagt - ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die Bundesversammlung findet zum vierten Male in Berlin statt. Sie ist ein Zeichen unserer Verbundenheit mit dieser Stadt. Die Wahl des Bundespräsidenten in Berlin ist ein durchaus friedlicher Vorgang, der niemand stört, niemand bedroht, niemandes Recht verletzt. Trotzdem ist unser Entschluß, die Bundesversammlung in Berlin abzuhalten, Gegenstand heftiger Angriffe, die mit Bedrohungen verbunden sind. Drohungen verfangen bei uns nicht. Aber trotzdem sind wir ohne Preisgabe unseres guten Rechtes auch in Zukunft zu jeder vernünftigen und praktischen Verständigung bereit, die dieser Stadt und ihrer Bevölkerung zugute kommt und dem Frieden dient.
({2})
- Genau dabei sind wir jetzt. Genau das steht in dieser Regierungserklärung in bezug auf Berlin. Genau das hat etwas zu tun mit dieser Aussprache, die wir heute hier führen.
Eine dritte Bemerkung. Herr Barzel hat mich wegen des Berlin-Bevollmächtigten angesprochen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage ganz offen - ich weiß nicht, ob ich hier in Übereinstimmung mit meinen Freunden bin -, ich habe diese Position schon vor zehn Jahren als für Berlin nicht mehr angebracht angesehen. Welche Leistungen dann noch aus diesem Haus in bezug auf die Personen kamen, die als besondere Bevollmächtigte beauftragt waren, - das Urteil darüber überlasse ich Ihnen. Wenn heute jemand von der Regierung benannt wird, der seinen Hauptsitz in Berlin hat,
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dann ist das sicher von der Regierung gedacht als eine Verbindung, die notwendig ist unter anderen Auspizien als denen, unter denen die beiden letzten Herren im Berliner Bundeshaus gewirkt haben.
({4})
Und eine letzte Bemerkung möchte ich machen. Herr Barzel hat in seiner Rede der Regierung vorgeworfen, daß sie „hinter dem Rücken der Vertriebenen" Gespräche mit Polen führen würde. Ich
weiß nicht, was das heißt, meine Damen und Herren: „hinter dem Rücken der Vertriebenen". Diese Bundesregierung steht hier vor diesem Hause, hat hier Rechenschaft abzulegen,
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und hier sitzen auch die Vertriebenen in allen Fraktionen, die sich damit auseinanderzusetzen haben. Hinter einem Rücken wird überhaupt nichts getan. Die Regierung hat erklärt, daß sie ihre Politik durchsichtiger machen wird, als das bisher der Fall war.
Aber in diesem Zusammenhang gestatten Sie mir noch eine Erinnerung. Wir kennen zwei Telegramme, im Wortlaut beinahe gleich. Ich möchte dem Hause davon Kenntnis geben. Ein Telegramm des BdV an Helmut Schmidt:
Der BdV nimmt mit Empörung von der in der Presse mitgeteilten Absicht einer zukünftigen SPD-FDP-Koalition Kenntnis, das Entwicklungsministerium aus politischen Gründen aufrechtzuerhalten, während ein Fortbestehen des Bundesvertriebenenministeriums aus politischen Gründen nicht für erforderlich gehalten wird. Der BdV hat nicht das geringste Verständnis dafür, daß die Interessen anderer Völker höher bewertet werden als die nationalpolitischen Interessen des eigenen Volkes, insbesondere eines Viertels seiner Bevölkerung.
Ein Telegramm ist unterschrieben von Herrn Rehs und ein ähnlich lautendes von Herrn Edgar Jahn, MdB.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu kann man doch nur sagen: Niedriger hängen und sich nicht viel damit auseinandersetzen.
({6})
Denn daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung heute deutlichgemacht hat, in welchem Sinne sie die Vertriebeneninteressen wahrnehmen wird, sollten auch diese Herren zur Kenntnis nehmen, die solche Telegramme schicken.
({7})
Das Wort hat der Herr Kollege Borm, unser Alterspräsident.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist sehr vorgeschritten; ich weiß es und will Ihre Geduld nicht allzusehr in Anspruch nehmen. Ich werde mich sehr eng an die Erklärung der Regierung halten und will zwei Themen ansprechen: einmal das, was Berlin angeht, und zum anderen einen Punkt, der uns ein Hauptthema in unserer ganzen Politik sein muß: die Sicherung des Friedens.
Über Berlin steht in der Erklärung der Bundesregierung: Die Bundesregierung wird bei den VierMächte-Besprechungen über Berlin darauf achten, daß der Status Berlins nicht angetastet wird.
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn wir den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen wollten, daß hier ein zentrales Lebensproblem dieser Stadt angesprochen wird. Ich darf als Berliner aus meiner vollen Überzeugung sagen, daß ich das Schicksal dieser Stadt nirgends besser aufgehoben wüßte als in den Händen des früheren Regierenden Bürgermeisters der Stadt Berlin.
({0})
In der Regierungserklärung steht aber auch noch etwas anderes:
Die Lebensfähigkeit Berlins werden wir weiterhin sichern. West-Berlin muß die Möglichkeit bekommen, zur Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Teile Deutschlands beizutragen.
Meine Damen und Herren, ich bin gern bereit, diesen Satz sehr ernst zu nehmen und sehr extensiv auszulegen. In diesem Satz kann etwas stehen, was lange Anliegen der Berliner gewesen ist und was nach meiner und der Meinung meiner Freunde viel zu lange verabsäumt worden ist. Darin kann - und ich hoffe, daß es so ist, Herr Bundeskanzler - eine politische Aufgabe der Stadt Berlin eingeschlossen sein. Es kann nicht die Aufgabe der Bundesregierung sein - wie sie es dankenswerterweise tut - das wirtschaftliche Leben durch irgendwelche Zuwendungen zu sichern; es kann auch nicht das alleinige Ziel der Politik sein - sowie es durch unsere Bundesgenossen, unsere Schutzmächte geschieht -, das politische Leben militärisch zu schützen. Es gilt, diese Stadt Berlin entsprechend ihrer geographischen Lage mit ihrer politischen Aufgabe zu erfüllen: ein Bindeglied zwischen Mächten, zwischen Systemen zu sein, deren Zusammenkommen und deren Zusammenarbeit heute kaum abzusehen ist. Wir sollten die geographische Lage Berlins nutzen, indem wir Berlin diese politische Aufgabe übertragen.
Es wurde noch etwas anderes über Berlin und auch über die Zonenrandgebiete gesagt, daß es nämlich notwendig sei, unter Erhaltung der Priorität Berlins und des Zonenrandgebiets die Stärkung der Leistungskraft ländlicher Gebiete zu sichern. Meine Damen und Herren, ich möchte den Herrn Bundeskanzler nur darauf aufmerksam machen -ich weiß, das ist nicht nötig -, daß es immer ein Brauch dieses Hauses und der Regierungen gewesen ist, auch in den Präferenzen Prioritäten entsprechend der Gefährdung eines Gebiets zu setzen. An erster Stelle hat immer Berlin gestanden, und zwar nicht nur dieser Stadt wegen, sondern einfach deshalb, weil in dicer Stadt die Gefährdung am allergrößten ist. Ich wollte das nur angemerkt haben.
Es ist vielleicht gut, daß die Debatte heute etwas durcheinandergegangen ist. Ich habe sehr aufmerksam zugehört, als über die militärischen Dinge gesprochen wurde. Herr Kollege Zimmermann hat einen Satz gesagt, der in der Tat wohl die Zustimmung des ganzen Hauses findet. Er hat sinngemäß gesagt: Es wird in der Bundesrepublik nur so viel Freiheit geben, wie Regierung und Bundestag finanziell und moralisch dafür zu zahlen bereit sind. In der Tat, meine Damen und Herren, es kann nur dort Freiheit geben, wo das Volk bereit ist, moralisch für diese Freiheit einzutreten. Es kann auch nur dort Freiheit geben, wo Regierung und Volk bereit sind, dafür zu zahlen.
Aber - jetzt kommt das grolle Aber, meine Damen und Herren - es fragt sich, wo man zweckmäßigerweise die Mittel gemäß der Wichtigkeit einsetzt.
Wir haben von den militärischen Vorbereitungen, Verteidigungsmaßnahmen und deren Notwendigkeit gehört. Über die Notwendigkeit dieser Dinge brauchen wir nicht zu reden. Aber es gibt auch Gesichtspunkte nichtmilitärischer Art, die genauso wichtig sind. Es gibt etwas, was den Einsatz militärischer Mittel unnötig macht - und das sollte die Aufgabe jeder Regierung sein -: die Sicherung, die Planung und die Erhaltung des Friedens. Darüber jetzt einige Worte.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß wir heute einen gesicherten Frieden nicht haben. Wir leben bestenfalls in einem Zustand des NichtKrieges. Das Gleichgewicht des Schreckens läßt etwas anderes nicht zu. Aber ich glaube, daß dieses Gleichgewicht des Schreckens nicht ausreicht, daß etwas geschehen muß, um diesen Nicht-Krieg in einen gesicherten Frieden zu verwandeln. Über die Instrumente dazu nachzudenken, z. B. eine eventuelle europäische Sicherheitskonferenz vorzubereiten und durchzuführen, ist Aufgabe der Regierung. Ich freue mich, daß die Regierung da etwas getan hat.
Aber zu einer Friedensplanung, meine Damen und Herren, gehört der Wille dieses ganzen Hauses, der Wille der Regierung, mehr zu tun. Wir freuen uns, daß in der Regierungserklärung hierüber einiges gesagt ist. Wir sehen in dein, was die Bundesregierung über die Notwendigkeit der Sicherung des Friedens sagt, einen ersten Schritt weg von der Deklaration, die billig ist, zu einer Praxis, die realisiert werden soll.
In der Tat, der Friede ist kein Teilaspekt der Regierungsarbeit, er ist das zentrale Problem. Er ist ein Problem der Außenpolitik, der Innenpolitik, er ist ein gesellschaftliches, umfassendes Problem. Wie wir uns zum Frieden stellen, wie die Glaubwürdigkeit unseres Friedenswillens bewiesen werden kann, das wird das Angesicht und die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik in der Zukunft formen. Es prägt das Gesicht dieser Bundesrepublik.
Friedensforschung ist nur eines. Friedensplanung, Abrüstung, Rüstungskontrolle, Analyse der Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten - alle diese Dinge gehören zusammen. Wir wissen alle - auch das geht wieder ins Militärische hinein -, daß es im militärischen Bereich eine Zentralstelle gibt - nennen Sie es Planungsstab, nennen Sie es Generalstab -, in. der alles zusammenläuft, was zur Verteidigung eines Volkes, zu dessen Wehrhaftmachung notwendig ist. Wir sollten uns ernstlich Gedanken darüber machen, Herr Bundeskanzler, ob es nicht an der Zeit ist, neben den militärischen
) Borm
Planungsstab einen Generalstab des Friedens zu setzen. Der Herr Bundespräsident hat mehrere Male eindringlich auf diese Notwendigkeit hingewiesen, den Frieden zu planen und zu sichern. Wir werden im Laufe der kommenden Zeit einige Fragen an die Regierung zu richten haben, die die löbliche Absicht etwas konkretisieren sollen.
Wir werden insonderheit fragen, welche Institutionen gefördert werden sollen, um die Friedensforschung und Friedensplanung zu betreiben. Wir werden aber auch die dringende Frage stellen, wo die Nahtstelle zwischen der theoretischen Forschung und der Umsetzung der Ergebnisse dieser Forschung in die politische Praxis sein wird und soll.
Das ist das, was ich mit dem globalen Begriff Friedensstrategie, Generalstab des Friedens glaubte umreißen zu sollen. Militärische Planung ist das eine; den Einsatz der militärischen Mittel unnötig zu machen, ist der wahre Sinn einer Politik, die dem Wohl und Wehe des Volkes entsprechen soll.
({1})
Das Wort hat der Herr Kollege Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst ein Wort zur Diskussionspraxis in diesem Hause. Die Bemerkungen, die ich jetzt machen möchte, beziehen sich auf die Deutschlandpolitik, die wir heute nachmittag hier zunächst recht intensiv erörtert haben. Sie würden das, was ich jetzt zu sagen habe, viel besser verstehen, wenn der Zusammenhang, auch der zeitliche Zusammenhang gewahrt wäre; denn ich habe die Absicht, zu bestimmten Bemerkungen, z. B. denen des Herrn Bundeskanzlers, Stellung zu nehmen. Wenn wir uns darüber verständigen, daß wir an der Beschränkung von 15 Minuten festhalten - worüber man diskutieren kann , hat das doch nur dann einen Sinn, wenn die Themen nicht nur gruppiert werden, sondern die Gruppierung auch eingehalten wird, damit Rede und Gegenrede aufeinander folgen können.
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Herr Kollege Gradl, würden Sie dem Kollegen Hermsdorf eine Frage gestatten?
Nein. Ich habe jetzt die Absicht, meine 15 Minuten einzuhalten
({0})
und im Zusammenhang zu reden. Wenn dann noch Zeit ist, können Sie Ihre Fragen anbringen.
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- Moment! Ich bin wie jeder Redner frei in der Entscheidung darüber, wann ich Fragen zulasse und wann nicht.
Bitte, probieren Sie es, Herr Hermsdorf!
Ich bin Ihrer Auffassung; aber ich frage Sie, ob das nach Ihrer Meinung nicht nur eine Frage der Einhaltung des Themas, sondern auch eine Frage der Einhaltung der 15 Minuten durch alle Abgeordneten ist, gleich, wie sie heißen.
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Ich bin nicht verantwortlich für die Zuteilung der Redezeiten. Aber ich bin davon überzeugt, daß darüber zwischen den Fraktionsgeschäftsführern eine Übereinstimmung herbeigeführt worden ist, wie so oft in solchen Fällen.
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- Na also!
Nun also zur Sache. Herr Bundeskanzler, Sie haben in Beantwortung von Ausführungen, die mein Kollege Guttenberg gemacht hat, hier gesagt: „Das Leben besteht doch nicht aus juristischen Formeln." Sie haben ferner gesagt, das, worauf es ankomme, sei, den Graben nicht tiefer werden zu lassen. Herr Bundeskanzler, ist es so schwer, verständlich zu machen, daß es uns bei dem, worüber der Kollege Guttenberg gesprochen hat, nicht juristische Formeln geht,
({1})
sondern ganz einfach darum, wie wesentliche deutsche Positionen jetzt und in der Zukunft am besten gewahrt werden?!
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Das ist es, was uns bewegt. Er hat z. B. Bemerkungen zum Thema Anerkennung gemacht. Das tun wir aber doch nicht deshalb, weil wir Freude an juristischen Spitzfindigkeiten haben, sondern wir reden darüber, weil wir wissen, daß der Begriff „Anerkennung" in der Welt, in der internationalen Politik einen ganz bestimmten Sinn hat, den wir nicht wegdiskutieren können und mit keiner Akrobatik wegbringen. Anerkennung heißt nämlich, daß man. dem anderen, demjenigen, den man anerkennt, das souveräne Recht zuspricht, sich als Subjekt des Völkerrechts und der internationalen Völkergemeinschaft zu betrachten, das Recht, in seinem dann als souverän bestätigten Bereich zu tun und zu lassen, was er will.
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Das ist Anerkennung, und weil es das und nichts anderes bedeutet - darüber hilft keine Akrobatik hinweg -, nehmen wir den Streit, die Auseinandersetzung darüber so ernst, wie man es verhindern kann, daß in die internationale Politik durch uns etwas eingeführt wird, das schließlich dahin führen könnte, daß man sagt: Aha, diese Deutschen sind nun offenbar doch so weit, daß sie sich mit dem Zu122
stand abfinden, den man ihnen widerrechtlich, mit Gewalt aufgezwungen hat und aufzwingt.
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Sie haben gesagt, Sie wollten verhindern, daß der Graben noch tiefer werde. Sicher, das glauben wir Ihnen. Wir wollen das auch nicht. Aber ich meine, tiefer könnte der Graben gar nicht werden, als wenn es, was das internationale Verständnis angeht, so weit käme, daß man meint, wir bestätigten durch unser Verhalten schließlich diese schreckliche Teilung und Spaltung. Das wäre die tiefste Tiefe des Grabens, und darum geht es uns.
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Ein anderes Thema. Es war die Rede von der politischen Präsenz in Berlin, und zwar im Zusammenhang mit der Frage der Ausschußwochen. Ich habe es eigentlich bedauert, daß der Herr Kollege Wehner in diesem Zusammenhang - ich betone: in diesem Zusammenhang - gesagt hat: Wichtiger als das Demonstrative ist das Effektive. Ich bestreite nicht die abstrakte Richtigkeit dieser Feststellung; sie hat sicher in mannigfachen konkreten politischen Zusammenhängen ihre Richtigkeit. Aber kann man das wirklich in Verbindung mit politischen Veranstaltungen in Berlin sagen? Herr Kollege Wehner, wie sehr Sie Berlin verbunden sind, wissen wir alle. Ich will hier gar nicht streiten, ich will mit Ihnen ganz redlich darüber diskutieren. Sehen Sie, für uns haben die politischen Veranstaltungen in Berlin zweifellos einen demonstrativen Charakter. Der läßt sich nicht bestreiten. Aber der eigentliche Sinn dieser Demonstrationen liegt doch in ihrer politischen Effektivität.
Wenn nämlich mit Demonstration gemeint ist das Durchführen von Sitzungswochen, Ausschußwochen des Bundestages, wenn gemeint ist die Beibehaltung Berlins als eines Arbeitssitzes des Bundespräsidenten, wenn es wieder einmal um das Thema Bundesversammlung ginge, so vermag ich das alles nicht in die Reihe unwirksamer Demonstrationen einzuordnen. Dies sind nach meiner Meinung höchst wichtige und für Berlin unentbehrliche politische Handlungen; denn diese politischen Akte beweisen doch, daß die Bundesrepublik für sich an dem Hauptstadtcharakter Berlins festhält, daß sie an dem für uns doch selbstverständlichen Recht festhält, diese Hauptstadt Berlin auch für politische Akte und Aktivitäten der Bundesrepublik zu benutzen.
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So entsprechen diese Akte auch dem Selbstverständnis der Berliner. Die Berliner haben - ich glaube, ich darf das sagen - sich und ihre Rolle nie nur so verstanden, als ob da eine Wohlstandsoase inmitten einer feindlichen Umwelt durchgehalten werden müßte, sondern sie hatten immer in diesen 20 Jahren, die manchmal sehr kritisch waren, letzten Endes - auch wenn sich das der einzelne gar nicht immer genau bewußt gemacht hat -, ausgehalten und durchgestanden in dem Bewußtsein, daß sie hier eine Position vertreten, die für das Ganze steht, auch für die 17 Millionen rundum.
({7}) Dies zu bestätigen, die Berliner darin zu bestätigen, das ist doch auch der Sinn dieser politischen Akte.
Die Gegenseite weiß ganz genau, was es bedeuten würde, wenn man den Eindruck erweckte, als ließe man die Berliner in politische Isolierung treiben oder kommen. Dies sind die Gründe. Deshalb meinen wir, um Himmels willen, halten Sie fest an dem deutschen politischen Status, den die Hauptstadt Berlin in unserer politischen Praxis hat!
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Fangen Sie nicht an - mit der Begründung: es geht doch darum, wie wir unsere Arbeitsweise ordnen -, die Ausschußwochen, die das einzige geschlossene Auftreten des Deutschen Bundestages in Berlin sind, verkleckern zu lassen in gelegentliche Ausschußsitzungen, die sich über das ganze Jahr hin verteilen.
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Und eine Bemerkung in diesem Zusammenhang. - Bitte schön, Sie wollten eine Frage stellen.
Herr Kollege Gradl, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß das, was Sie jetzt „verkleckern" nennen, unter Umständen eine sehr viel effektivere und effektiv höhere Präsenz des Bundestages in Berlin darstellen kann,
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und ist es nicht so, daß es auf diese mir selbstverständliche Präsenz des Bundestages in Berlin ankommt und weniger auf den Demonstrationseffekt?
Herr Kollege, was das Geltendwerden der Anwesenheit einzelner Ausschüsse in Berlin angeht, so ist Berlin eben nun mal eine Millionenstadt. Da geht ein einzelner Ausschuß
- auch seine Veranstaltung - unter. Aber wenn
der Bundestag im ganzen mit all seinen Ausschüssen auftritt
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- am besten im Reichstag -, dann ist das sichtbar.
Das sollen doch auch alle merken. Es soll doch wohl sichtbar werden, daß der Bundestag in Berlin ist. Traurig genug, daß er aus Gründen, über die wir nicht weiter zu sprechen brauchen, keine Plenarsitzungen abhalten kann. Aber an dem, was von der eindringlichen Präsenz des Bundestages in Berlin übriggeblieben ist, nämlich den geschlossenen Ausschußsitzungen, sollten wir doch wenigstens festhalten.
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Herr Kollege Gradl, der Herr Kollege Ott hat eine Zwischenfrage. Gestatten Sie sie?
Ja!
Herr Kollege Dr. Gradl, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß dann, wenn man ein Recht in Anspruch nimmt, es schlecht ist, im negativen Sinne manchmal von demonstrativem Recht zu sprechen?
Ich glaube nicht, daß ich Ihnen widersprechen muß.
Nun eine Bemerkung zu dem Kapitel Namensänderung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Der Herr Bundeskanzler hat heute nachmittag gesagt, den Kritikern sei wohl entgangen, daß es auch einen Kabinettsausschuß für innerdeutsche Beziehungen gebe. Meine Damen und Herren, das ist uns nicht entgangen. Aber neu ist für uns, daß man die interne Abgrenzung eines Aufgabenbereiches mit der politischen Aussage gleichstellt, die der Name dieses Ministeriums bedeutete. Dieser Name - ich war schließlich nicht ganz unschuldig an dieser Konzeption vor 20 Jahren - war eine Bekundung, und so ist er verstanden worden. Er war eine Bekundung, daß es für die Deutschen, solange dieser Zustand der Spaltung anhält, ungelöste Fragen gibt, Fragen, die erst dann aus der Welt sein werden, wenn dafür gesamtdeutsche Lösungen geschaffen sind. Dies war der Sinn dieses Hauses und seines Namens.
({0})
Deswegen entschuldigen Sie, wenn wir in dieser Sache so empfindlich sind.
({1})
Ich will jetzt keinen Namensstreit machen. Das, Herr Kollege Wehner, worauf es mir bei dieser Sache entscheidend ankommt, ist etwas ganz anderes. Wenn Sie schon den Namen ändern, dann um Himmels willen sorgen Sie doch dafür, daß diese ({2})
- Nein, ich will nichts schlimmer machen. Ich habe ja nicht den Anlaß dazu gegeben, daß diese Diskussion geführt werden muß.
({3}) Ich will es nicht schlimmer machen.
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-- Hören Sie doch erst einmal zu! Das, was uns Sorge macht, ist das Mißverständnis über die deutsche Haltung, das durch eine solche Verwandlung draußen entsteht.
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Ist Ihnen das neu? Wissen Sie, wie das alles gedeutet wird? Lesen Sie doch die heutige „Times"; da können Sie das nachlesen. Ich mache mir das nicht zu eigen, weil ich weiß, was für uns alle auf dem Spiel steht. Aber in der heutigen „Times" steht, diese Haltung der Regierung sei ein Schritt auf dem Wege zur Anerkennung.
Herr Kollege Gradl, gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Wehner?
Bitte sehr!
Ich wollte Sie nur fragen, Herr Dr. Gradl, ob Ihnen noch bekannt ist, daß die vorige
Regierung ein Projekt, hinsichtlich dessen Sie konsultiert worden sind, an dem ein ganzer Kreis mitgearbeitet hat bis zur endgültigen Fassung und das einen umfassenden Namen trägt, der auch nicht geändert wurde, aus Gründen, die mir unbekannt geblieben sind, obwohl ich der Minister für dieses Ressort war, einfach liegengelassen hat, und ob es Ihnen nicht seltsam ist, jetzt mit mir und der Regierung, die nachgefolgt ist, so zu reden, als habe sie irgendwelche liquidatorischen Interessen.
({0})
- Wenn jemand so redet, als sei hier etwas in Gefahr, dann erinnere ich ihn daran, woran er mitgewirkt hat, wozu er hat mitwirken können, sollen und dürfen, und ich wundere mich, daß er so kommt und daß er kein Wort über diese Projekte sagt, die saubere Projekte sind und die die vorige Regierung
- die Sie dafür nicht gescholten haben - nicht hat zu Stuhle bringen lassen. Das wollte ich Ihnen nur mit auf den Nachhauseweg geben.
({1})
Das ist eine schwierige Situation, in die Sie mich da bringen; denn nun muß ich eigentlich über Dinge reden, über die wir ja erst reden wollten, wenn die Verständigung zwischen den Zuständigen in diesem Hause und in der Regierung, ganz gleich, wer sie besetzt, herbeigeführt ist. Mit dem Namen des gesamtdeutschen Ministeriums hat es überhaupt nichts zu tun.
({0})
- Ich unterstelle überhaupt nichts, sondern ich sage Ihnen hier, was meine Sorge ist.
({1})
- Sie können ja auch manmchal schreien. Wenn es mich aufregt, dann nehme auch ich mir die Freiheit zu schreien.
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Mir geht es darum, Herr Kollege Wehner, daß wir hier gemeinsam zu Aussagen kommen,
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die eine Mißdeutung dieser Verwandlung des Namens ausschließen. Soll ich Ihnen sagen, wie es verstanden wird? Um Himmels willen, ich will ja gar nicht anheizen; aber wenn Sie schon unbedingt wissen wollen, was dahintersteckt: In einer deutschen Zeitung - ich habe ihr nicht zugetraut, daß sie so etwas schreiben würde -, im Berliner „Telegraf", konnte man am Tage nach der Bekanntgabe der Namensänderung lesen, und zwar nicht irgendwo, sondern im Leitartikel:
Man hat sich entschlossen, den alten Begriff aufzugeben, damit ihm jene utopische Hoffnung auf ein gesamtes Deutschland genommen wird, die sich in der nächsten
- und nun hören Sie zu und der weiteren Zukunft doch nicht verwirklichen lassen wird.
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- Das ist doch schrecklich, Herr Wehner. Sie wollen innerdeutsche Beziehungen vertiefen und verbessern, ich will das mit Ihnen, und wir werden Sie dabei unterstützen, wie wir diese Politik auch in der Vergangenheit gewollt haben. Aber ich sage Ihnen und sage den Herren auf der Regierungsbank: glauben Sie doch um Gottes willen nicht, daß Sie ernsthaft in der Frage der innerdeutschen Beziehungen weiterkommen, wenn Sie wesentliche gesamtdeutsche Positionen vorher in Frage stellen lassen.
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Wenn man das Beharren - gut, ich will es ganz gedämpft sagen -, wenn man das Beharren auf Einheit und Selbstbestimmung für alle Deutschen scheinbar
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- weil ich Ihnen nicht unterstelle, daß das der Sinn der Namensänderung war, damit Sie es genau wissen - in den Hintergrund treten läßt, wenn man es an Klarheit der öffentlichen Aussage und des politischen Verhaltens scheinbar
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im Verständnis der Außenwelt fehlen läßt, dann schwächen Sie gerade jene Politik, die auf bessere und breitere Beziehungen hinstrebt. Denn worin liegt denn die politische und moralische Durchschlagskraft der Argumentation, die wir für die Verbesserung, für die Intensivierung der Beziehungen
und für das Abtragen des Grabens haben? Worin liegt eigentlich die politische und moralische Durchschlagskraft? Sie liegt doch darin, daß es sich eben nicht um die Herstellung normaler Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Länder handelt, sondern daß es sich um die Herstellung normaler Beziehungen zwischen Menschen ein und desselben Landes und Volkes handelt. Darin liegt die ganze politische und moralische Kraft.
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Deswegen sind wir auch in diesen Dingen so empfindlich.
Herr Präsident, ich merke, daß Sie hinter mir unruhig sind, und das habe ich gar nicht gern. Offenbar sind meine 15 Minuten um. Ich hätte einiges zum Thema Gewaltverzicht zu sagen, aber dafür wird auch noch bei anderem Anlaß Gelegenheit sein.
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Herr Kollege Gradl, nur der guten Ordnung halber: im Hinblick auf die lange Frage des Herrn Kollegen Wehner haben wir Ihnen die Redezeit um fünfeinhalb Minuten verlängert. Ich hoffe, daß Sie davon noch nachträglich Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, das hohe Haus hatte sich darauf festgelegt, daß wir um 21 Uhr schließen wollten. Es ist jetzt 21.16 Uhr. Ich darf annehmen, daß ich die Beratung schließen kann.
Wir stehen am Ende der heutigen Beratung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 30. Oktober, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.