Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Weißbuch, von dem eben der Herr Präsident sprach und das ich für die Bundesregierung heute hier im Hohen Hause einbringe, ist das Ergebnis jener Kritischen Bestandsaufnahme, die der Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 28. Oktober angekündigt hatte - das Ergebnis einer Selbsterforschung der Bundeswehr, wie es sie in einer solchen Form und auch in einer solchen Intensität bisher nicht gegeben hat.
Zugleich stellt dieses Weißbuch das sicherheitspolitische Programm der Bundesregierung für die nächsten Jahre dar. Das Kabinett hat dieses Weißbuch einstimmig gebilligt, und es hat mit diesem Votum das, was im Weißbuch steht, zu der für die Regierung verbindlichen Definition der Einsichten und der Absichten der Bundesregierung gemacht.
Was die ungefähr 120 konkreten Entschlüsse angeht, die in diesem Weißbuch inkorporiert sind, so bitte ich jedermann, davon auszugehen, daß wir unverzüglich und zielstrebig an ihre Verwirklichung gehen werden. Es handelt sich um drei verschiedene Kategorien, wenn ich sie einmal prozedural beurteilen soll, zum einen um Gesetzesnovellen, zu denen der Deutsche Bundestag sein Wort und sein Votum abzugeben haben wird, zum anderen um Erlasse und Verordunngen, die die Bundesregierung treffen kann, und zum dritten um Maßnahmen, die das Verteidigungsministerium im eigenen Zuständigkeitsbereich anordnen wird.
Ich bin dankbar für die Gelegenheit, heute auf einige der wesentlichen Resultate der Kritischen Bestandsaufnahme nochmals hinweisen und die Schwerpunkte dieses Programms skizzieren zu können. Ich setze das Interesse bei denjenigen Mitgliedern des Hauses voraus, die anwesend sind. Es gibt eine Reihe von Mitgliedern, die zwar öffentlich über Sicherheitspolitik reden, aber nicht anwesend sind - wenn ich besonders die rechte Seite des Hauses betrachte.
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- Nein, ich meine Herrn Dr. Kiesinger zum Beispiel; ich komme auf ihn zurück; den meine ich.
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- Ja, auf der Seite der FDP sehe ich durchaus die Kollegen sitzen, die sich öffentlich mit diesen Themen auseinandersetzen; die sind vollzählig.
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- Da gibt es gar nichts zu lachen. Ich finde es ungehörig, wenn Herr Kiesinger draußen über die Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung unverantwortliches Zeug redet und sich hier nicht zur Debatte stellt!
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Ich komme darauf zurück.
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- Für den Bundeskanzler spreche im Augenblick ich als das zuständige Mitglied der Bundesregierung!
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- Der Außenminister und ich sind gleicher Meinung.
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- Aber ja! Lieber Herr van Delden, der Abschnitt oder das Kapitel zur Sicherheitspolitik ist ein sehr umfangreiches Kapitel, das das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium gemeinsam erarbeitet haben, das der Sicherheitsausschuß des Kabinetts, der Bundessicherheitsrat, debattiert, verändert und das die Bundesregierung anschließend gemeinsam gebilligt hat. Hier gibt es überhaupt nichts hineinzugeheimnissen! Der Unterschied zwischen der Bundesregierung und Ihrer Fraktion besteht darin, daß die Bundesregierung in diesen Dingen eine abgestimmte, durch Beschluß festgestellte einheitliche Meinung hat und daß auf Ihrer Seite die verschiedensten Herren das verschiedenste Zeug öffentlich schreiben und reden!
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Ich will meine Verantwortlichkeit für das, was in diesem Buch steht, meine Herren von der CDU/ CSU, nicht nur formal sehen; vielmehr identifiziere ich mich persönlich mit der Gesamtdarstellung wie mit den in diesem Regierungsdokument enthaltenen Entscheidungen, an deren Ausarbeitung ich, wie eben skizziert, von Anfang an ständig und unmittelbar und auch richtunggebend beteiligt gewesen bin. Wenn Sie so wollen, trägt es nicht nur meine Unterschrift, sondern auch inhaltlich meine Handschrift.
Aber ich will damit nicht sagen, daß ich dieses Weißbuch schon in allen Teilen für der Weisheit letzten Schluß hielte. Es ist für niemanden auszuschließen, daß wir durch längeres Nachdenken noch klüger würden. Ich bekenne z. B. für meinen Teil, daß mir etwa die dort vorgeschlagene Wehrsolderhöhung in der geplanten Staffelung heute schon fragwürdig vorkommen will, wenn ich mir die dort enthaltenen Sätze ansehe.
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Diese persönliche Identifizierung mit dem Weißbuch soll auch etwas anderes nicht verdecken: den Anteil, den die Bundeswehr und ihre Soldaten selbst am Entstehen und am Inhalt haben, nämlich mehrere tausend Soldaten und zivile Mitarbeiter, die sich fünf Monate lang an der Kritischen Bestandsaufnahme beteiligt haben. Es hat in diesem Weißbuch nicht ein einzelner seine Meinung gesagt, nicht nur die Bundesregierung ihre Meinung gesagt, sondern es drückt die Meinung meines Hauses genau so aus, wie sie sich in langen Diskussionen herauskristallisiert hat - in vielen Konferenzen, dazu zwei mehrtägigen Klausurtagungen und allein vier Schlußredaktionssitzungen der Abteilungsleiter, der Inspekteure und des Generalinspekteurs. Wenn ich das alles zusammenzähle, sind das mehr als hundert Stunden der Diskussion allein unter den militärischen und zivilen Leitungspersonen des Verteidigungsministeriums.
Die in diesem Dokument niedergelegten Gedanken sind also keineswegs etwa der Bundeswehr oktroyiert, sondern sie sind gemeinsam erarbeitet. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß das Weißbuch von den Gedanken der Truppe befruchtet, vom Sachverstand der militärischen und der zivilen Führungspersonen getragen und von einem klaren politischen Willen geprägt ist. Es ist ein Gemeinschaftswerk der politischen Leitung, der militärischen Führung und der Spitzen der Verwaltung gleichermaßen. Dies dem Hohen Hause deutlich zu machen, daran liegt mir ganz besonders.
Wenn sich nun einer Ihrer Kollegen - ich sehe ihn hier und darf ihn deshalb mit Namen nennen -, Herr Kollege Stahlberg, über dieses Kollegialprinzip in einem Zeitungsaufsatz mokiert hat, wenn Sie gar kritisieren, Herr Stahlberg, daß wir während dieser Bestandsaufnahme viele Truppenbesuche für unumgänglich gehalten haben, so zeigen Sie damit, finde ich - erlauben Sie mir, daß ich nun auch meinerseits mal ein bißchen spitz werde; Sie haben sich ja auch ausgelassen -, daß Sie ein bißchen zu lange, einen zu langen Zeitabschnitt Ihres Berufslebens im alten Bundesministerium der Verteidigung gearbeitet haben. Ich denke nämlich, daß Information ein unverzichtbares Führungsmittel ist, daß Diskussion unbedingt notwendig ist, wenn man informiert sein will, und daß Diskussion und Kollegialität, was Sie mir beides angekreidet haben, unverzichtbare Elemente moderner innerer Führung sind.
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Ich will zu dem Abschnitt über die Sicherheitspolitik, der den ersten Hauptteil bildet, im Augenblick nicht allzuviel sagen. Die meisten von Ihnen haben ihn gelesen, haben jedenfalls Ausschnitte gelesen. Wir zeigen dort den weltpolitischen Hintergrund, die sicherheitspolitischen Kriterien unserer Politik in einer Weise, von der ich annehme, daß sie in diesem Hause weithin auf Zustimmung trifft. Ich möchte nachdrücklich das Bekenntnis zum Atlantischen Bündnis unterstreichen, das diesen Teil des Weißbuchs bestimmt.
Wir wissen, daß dem Atlantischen Bündnis 21 Jahre des Friedens in Europa zu danken sind, daß das Bündnis durch seine Funktionsfähigkeit die Bedrohungen gemindert hat und daß es auch heute und morgen das Unterpfand unserer Sicherheit und zugleich das unerläßliche Fundament unserer Entspannungspolitik sein muß. Dieses klare Bekenntnis im Weißbuch sollte bei allen Gutwilligen alle Zweifel zerstreuen, die gelegentlich von Böswilligen hier in die Welt gesetzt werden.
Nun tut es mir leid, daß der Abgeordnete Kiesinger immer noch nicht da ist. Ich muß seinetwegen oder wegen derjenigen, die seine öffentlichen Einlassungen gelesen haben sollten, an dieser Stelle
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- ich komme gleich darauf zurück - den vollen Wortlaut des Punktes vorlesen, Herr Präsident, den die Außen- und die Verteidigungsminister des Nordatlantischen Bündnisses in der letzten Woche in bezug auf die Unterstützung unserer Entspannungspolitik durch unsere Alliierten beschlossen haben. ich darf zitieren:
Mit Unterstützung und Verständnis ihrer Verbündeten hat die Bundesrepublik Deutschland Gespräche mit der Sowjetunion, Polen und der DDR aufgenommen, um die Lage in Mitteleuropa zu verbessern. Die Bündnispartner erachten dies als ermutigend. Sie geben der Hoffnung Ausdruck, daß diese Gespräche zu Ergebnissen führen und nicht durch unannehmbare Forderungen beeinträchtigt werden. Die Bemühungen um die Lösung offener Probleme und um einen Modus vivendi in Deutschland, der den besonderen Verhältnissen der deutschen Lage Rechnung tragen würde, stellen einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und zur Zusammenarbeit in Europa dar. Die Minister sprechen die Hoffnung aus, daß alle Regierungen, die zu einer Politik der Entspannung in Europa beizutragen wünschen, eine durch Verhandlungen zu erzielende Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands und die Entwicklung der Verbindungen der Bevölkerung nach Kräften erleichtern.
Ich habe kein Wort hinzugefügt und kein Wort ausgelassen. Ich habe mich für verpflichtet gehalten, das zu zitieren, angesichts von Äußerungen, die Herr Dr. Kiesinger am Sonntag bei Wahlveranstaltungen im Saarland gemacht hat. Herr Kiesinger hat unsere Bemühungen um Entspannung mit Worten „Befehlsentgegennahme" und „Leichenschau" kritisiert. Ich finde, dies ist schlechterdings unerträglich.
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Ich darf noch hinzufügen - ich habe an der NATO- Ratssitzung selbst teilgenommen -, daß sich sowohl in der öffentlichen Eröffnungssitzung vor vielerlei Publikum in Rom als auch in den internen und natürlich hinter verschlossenen Türen vor sich gehenden Beratungen des höchsten Organs des gemeinsamen Bündnisses die Vertreter der anderen, uns verbündeten Regierungen ohne Rückhalt, ohne
Einschränkung und ohne Zweifel etwa zwischen den Zeilen positiv in dem Sinne geäußert haben, der dann schließlich zu der eben verlesenen Ziffer führte, ohne daß dazu eine einzige Widerrede oder irgendeine Diskussion notwendig war - im Gegensatz zu manchen anderen Punkten, die nichts mit der deutschen Ostpolitik zu tun haben, wo es allerdings darauf ankam, sich in einem langwierigen Prozeß auf gemeinsame Formeln zu einigen. Es wäre gut, wenn der Abgeordnete Dr. Kiesinger in Zukunft aufhören würde, öffentlich zu behaupten, es handele sich keineswegs um eine volle oder eine uneingeschränkte Unterstützung unserer Ostpolitik.
Wir wissen-ich wiederhole das -, daß es derzeit ohne die Atlantische Allianz keine Sicherheit gibt und, wie die Dinge heute liegen, ohne die Allianz auch keinen Ausgleich mit dem Osten geben kann; wir wissen, daß das Bündnis so lange fortbestehen muß, bis vielleicht eines späteren Tages europäische Sicherheit auch ohne Abstützung durch militärische Allianzen möglich geworden sein könnte.
Es sollte, denke ich, den Fraktionen dieses Hauses nicht schwerfallen, den tragenden sicherheitspolitischen Prinzipien beizupflichten, die hier entwickelt sind: dem Prinzip der Vorne-Verteidigung, das unserem Volk die Gewißheit einer Verteidigung unserer Grenzen und nicht irgendwelcher Flüsse, die weiter hinten liegen, gibt; dem Prinzip der international gemischten Präsenz auf unserem Boden, nach dem ein etwaiger Angreifer von Anfang an auf die Streitkräfte einer möglichst großen Zahl verschiedener Verbündeter stoßen würde; dem Prinzip der militärischen Integration, das aus dein Bündnis einen Verteidigungsorganismus von beträchtlicher Dichte und innerer Verwobenheit gemacht hat; dem Grundsatz der betonten Zurückhaltung in der Planung des Gebrauchs nuklearer Waffen durch die Allianz; sowie schließlich und insgesamt dem Prinzip der Erhaltung des Gleichgewichts. Hier, so scheint mir, sind Grundforderungen der deutschen Sicherheitspolitik formuliert, an denen keine Regierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, wird rütteln wollen.
Demgegenüber - und ich wende mich abermals an einen, diesmal allerdings anwesenden, Kollegen von der CDU; ich meine Herrn Dr. Klepsch - es ist - erlauben Sie den Ausdruck - Geschichtsklitterung, wenn Herr Dr. Klepsch schreibt, dieses Weißbuch fordere - ich zitiere seinen Wortlaut -„eine kontinuierliche Fortsetzung der von Adenauer und Strauß eingeleiteten und geprägten, von Hassel und Schröder weitergeführten Sicherheitspolitik". - Ich darf Sie, Herr Dr. Klepsch, z. B. auf den Abschnitt 12 des Weißbuchs verweisen, in dem von - ({12})
- Bitte sehr!
Präsident von Hassel: Verzeihung, ich muß darauf aufmerksam machen, daß während der Einbringung einer Vorlage, während der Begründung durch den Minister, Zwischenfragen gemäß unserer Geschäftsordnung nicht zugelassen werden dürfen. Wenn die Aussprache eröffnet ist, können Zwischenfragen gestellt werden.
Herr Klepsch, wir müssen uns beide fügen.
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Präsident von Hassel: Ich lasse Zwischenfragen auch dann nicht zu, wenn Sie, Herr Bundesminister, bereit sind, auf sie zu antworten. Das ist erst in der Aussprache möglich.
Ich glaube, ich habe ohne Arg in fairer Weise zitiert; ich habe den ganzen Aufsatz bei mir. Mir kommt es darauf an, Herr Dr. Klepsch, daß Sie erkennen, daß diese Bundesregierung im Gegensatz zur Meinung der Autoritäten, die Sie zitieren, ihren Wunsch nach beiderseitigen, nach ausgewogenen, nach gleichwertigen Rüstungsbeschränkungen aktiv verfolgt, daß sie ihn im Weißbuch ausführlich vorgetragen und bald darauf - einige Wochen nach dem Beschluß zum Weißbuch im Kabinett - in Rom dazu die Zustimmung unserer Bündnispartner gefunden hat.
Ich kann mich gut erinnern, wie ich einmal vor beinahe zehn Jahren von dieser selben Stelle aus über die beiderseitige, ausgewogene und gleichwertige Reduzierung militärischer Kräfte in Europa gesprochen habe. Dort, wo Sie, Herr Dr. Klepsch, jetzt sitzen, saß der damalige Bundeskanzler, der sich auf seinen Abgeordnetensitz begeben hatte, Dr. Adenauer. Ich weiß mich gut zu erinnern, wie sorgfältig er zugehört hat, und ich weiß mich genau so gut zu erinnern, daß anschließend nichts geschah. Insofern ist es wirklich Geschichtsklitterung, wenn Sie sagen, wir setzten die Sicherheitspolitik Dr. Adenauers fort.
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- Lieber Herr Dr. Wörner, ich habe kein Hühnchen mit Dr. Schröder zu rupfen. Ich wehre mich gegen die Zitierweise, die mich als den Fortsetzer der Politik von Herrn Strauß darstellt. Dagegen habe ich mich gewehrt.
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Wir haben früher über denselben Komplex unter der Überschrift „Zone beiderseitig begrenzter und verminderter Rüstung in Mitteleuropa" gesprochen. Heute ist der Sprachgebrauch etwas anders, aber im Kern handelt es sich um dieselben Gedanken. Heute redet man von beiderseitiger ausgewogener Verminderung militärischer Kräfte und bezieht das wiederum auf Mitteleuropa.
Die Partner der Allianz und wir, die Bundesrepublik, haben auf der NATO-Ratssitzung in Rom gemeinsam angeboten - ich darf wohl zitieren, Herr Präsident -:
Sofern als Ergebnis dieser Gespräche und in den gegenwärtigen Gesprächen besonders über Deutschland und Berlin Fortschritte erzielt werden, erklären die verbündeten Regierungen, daß sie bereit wären, mit allen interessierten Regierungen multilaterale Kontakte aufzunehmen. Eine der Hauptaufgaben solcher Kontakte bestünde darin, zu erkunden, wann die Einberufung einer Konferenz oder einer Reihe von Konferenzen über die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit möglich wäre. Die Errichtung eines ständigen Gremiums könnte als eine von mehreren Möglichkeiten vorgesehen werden, um zu gegebener Zeit multilaterale Verhandlungen aufzunehmen. Zu den zu erkundenden Themen, die die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa berühren, gehören insbesondere a) die Grundsätze, die für die Beziehungen zwischen den Staaten maßgebend sein sollten einschließlich des Gewaltverzichts. b) die Entwicklung von internationalen Beziehungen ...
Ich übergehe diesen Passus, der jetzt folgt, weil er mit der Sicherheitspolitik nicht direkt im Zusammenhang steht. Es heißt dann weiter:
Außerdem messen die Minister der Lander, die sich am Verteidigungsprogramm der NATO beteiligen, der weiteren Erkundung der Möglichkeit einer beiderseitigen und ausgewogenen Truppenverminderung mit anderen interessierten Parteien besondere Bedeutung bei und haben deshalb eine besondere Erklärung veröffentlicht.
„Parteien" heißt hier „Staaten" - der Text, aus dein ich zitiert habe, ist eine Übersetzung aus dem Englischen -, und die Worte „der Länder, die sich am Verteidigungsprogramm der NATO beteiligen" sind eine freundliche Umschreibung dafür, daß ein Land, nämlich dasjenige, das sich aus der militärischen Integration in der NATO zurückgezogen hat, sich zwar an der Beratung dieses Textes sehr sorgfältig beteiligt hat, nicht aber an der besonderen Erklärung, die hier angekündigt ist und die ja gleichfalls veröffentlicht wurde, beteiligt hat.
Herr Klepsch, ich komme noch einmal auf Sie zu sprechen. Ich denke nicht daran, Sie mit meinem Amtsvorgänger oder mit Ihrer Gesamtfraktion zu identifizieren. Wenn Sie aber einerseits im „Rheinischen Merkur" die Behauptung aufstellen - ich zitiere - „Schmidt treibt sicherheitspolitisch ein Vabanquespiel erster Ordnung"
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und andererseits in einer Verlautbarung Ihrer Pressestelle sagen - ich zitiere -: „Helmut Schmidt hat sich als vernünftiger, abwägender Mann erwiesen", so tut es mir leid, diese letztere Schmeichelei dem Abgeordneten Klepsch höchstens dann zurückgeben zu können, wenn jedermann versteht, daß es sich hierbei um abgrundtiefe Ironie handelt.
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- Herr Klepsch, vielleicht lernen Sie daraus, daß die Sicherheit dieses Landes im Grunde zu wichtig ist, als daß sie mit billiger Polemik in der öffentlichen Debatte behandelt werden könnte.
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Ich habe viele Monate lang keine einzige Gelegenheit genommen, auf diese Art von Anzapfungen zu antworten. Was habe ich alles lesen müssen, angefangen vom „Bayernkurier" bis hin zu den eben zitierten Schritten und Reden! Aber irgendwann im Laufe des parlamentarischen Prozesses kommt der Augenblick, wo man zurückzahlen muß.
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Ich habe deswegen all die Monate geschwiegen, Herr Klepsch, weil ich die sachliche Arbeit an der Bestandsaufnahme der Bundeswehr und durch die Bundeswehr nicht durch Beteiligung an solcher Polemik gefährden wollte. Lassen Sie mich zu dieser sachlichen Arbeit und ihren sachlichen Ergebnissen jetzt einiges sagen.
Das bedeutendste Problem der Armee ist offenkundig das Personalproblem. Der Armee fehlen 26 000 Unteroffiziere, 3500 längerdienende Mannschaften, ungefähr 2600 Zeitoffiziere. Dazu kommen die Sorgen, denen sich die in der Bundeswehr dienenden Unteroffiziere und Offiziere gegenübersehen, vor allem die etwa 3000 Hauptleute und Kapitänleutnante, die ihre Stabsoffizierprüfung bestanden haben, aber nicht zum Major oder zum Korvettenkapitän befördert werden können, weil es bisher keine Stellen gibt. Es kann deshalb - nicht nur deswegen, auch wegen der dringenden Reformbedürftigkeit der Bildungsgänge der Offiziere - nicht verwundern, daß heute junge Leute zögern, Offizier zu werden, und daß es der Bundeswehr an Offiziersanwärtern gegenwärtig etwas mangelt. Aus diesem Mangel erklärt sich vielleicht auch, warum die Bundeswehr mehr Stabsoffiziere als Leutnante hat.
Die Bundesregierung schlägt dem Bundestag in dem Weißbuch ein massives Sofortprogramm vor. In! übrigen arbeiten wir derzeit an neuen Vorstellungen von struktureller und quantitativer Personalplanung, daneben auch an Veränderungen für die qualitative Personalplanung; die quantitative bezieht sich auf die Aufkommensplanung im allgemeinen, die qualitative auf die Verwendung für den einzelnen Mann.
Eine Fülle von Maßnahmen, die eine größere Durchsichtigkeit der Werdegänge ermöglichen soll, eine Neugestaltung des Laufbahnwesens, ein intensiver Ausbau des Berufsförderungswesens - das ist übrigens ein Gebiet, auf dem wir der Öffent2754
lichkeit in diesem Weißbuch zeigen, was hier schon alles von mehreren meiner Amtsvorgänger geleistet worden ist - all das zusammen soll hier Abhilfe schaffen.
Der Deutsche Bundestag wird noch in diesem Jahr Gelegenheit erhalten, sich mit diesbezüglichen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zu beschäftigen. Wir möchten die heutige Debatte abwarten, um unmittelbar anschließend an das Ausarbeiten, an das Niederschreiben der Gesetzentwürfe zu gehen. Sie werden sie nach den parlamentarischen Sommerferien in Ihrem Posteingang finden.
Im Zusammenhang mit dem Personalkomplex steht dann zweitens die große Zahl all derjenigen Probleme, die sich aus den Mängeln in der Fürsorge ergeben. Ich meine jetzt Fürsorge im umfassendsten Sinne, so wie man unter Soldaten von Fürsorge für die Truppe spricht; ich meine nicht nur Fürsorge im Sinne des sozialgesetzgeberischen Begriffsinhalts. Gemessen an den Maßstäben, die sich sonst überall in unserer Wohlstandsgesellschaft eingebürgert haben, ist der Soldat in seinem sozialen Status an vielen Stellen beträchtlich zurückgeblieben, und dies, obwohl er besonderen, in diesem Beruf spezifischen Belastungen ausgesetzt ist, nämlich häufigen Versetzungen, dienstlicher Überbeanspruchung, vielfältigen Kommandierungen, unregelmäßigen Dienstzeiten - Sonderbelastungen, wie sie in dieser Addition für den einzelnen in kaum einer anderen Berufsgruppe anzutreffen sind. Der soziale Status der Soldaten ist vielfach den sachlichen Umständen, unter denen sie arbeiten und leben müssen, nicht angemessen. Was wir etwa jungen ledigen Unteroffizieren in der räumlichen Unterbringung zumuten, ist angesichts des Lebensstandards, den sich ein gleichaltriger ziviler Arbeitnehmer leisten kann, in meinen Augen nicht tragbar. Wir geben in diesem Weißbuch einige erschreckende Beispiele, die ich der Lektüre empfehle.
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, den Sozialstaat endlich auch für den Soldaten zu einer spürbaren, erlebten Wirklichkeit werden zu lassen. Das Weißbuch enthält auf diesem Gebiet ein Sofortprogramm, von dem ich hoffe, daß der Bundestag ihm zustimmen wird.
Ich berühre im Zusammenhang mit dem Personalproblem ein drittes Hauptproblem, das ist das Bildungswesen. Ich bin hier sehr freimütig und sage, obgleich es in den bisherigen publizistischen Kritiken durch Kollegen und durch Journalisten kaum recht berührt worden ist, dennoch, daß auf diesem Felde nicht nur aus den eigengesetzlichen Notwendigkeiten innerhalb der Armee einiges geändert werden muß, sondern insbesondere deshalb, weil niemand von uns sehenden Auges zulassen könnte, daß bei dem großen Wandel, den das Bildungswesen in der Gesamtgesellschaft gegenwärtig durchmacht - nicht nur in bezug auf die Bildungsgänge, sondern auch in bezug auf die Bildungsinhalte -, dies etwa ohne Auswirkung auf die Bildung in der Bundeswehr bleiben dürfte.
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Hier kommt es auf eine sehr sorgfältige Verzahnung an. Alles, was man von dem lernen kann, das sich auf dem Gebiet des Bildungswesens in der Gesellschaft tut, muß man prüfen. Diese Prüfung ist für die Bundeswehr heute deswegen nicht leicht, weil sich bis heute noch nicht auf allen Gebieten der Reform des Bildungswesens sehr klare Linien abgezeichnet haben. Wir haben uns im Weißbuch zu diesem Punkt auch deshalb zurückhalten müssen, weil wir noch nicht deutlich erkennen, wohin der Gesamtkomplex Bildungsreform auf vielen Einzelgebieten heute in der Gesamtgesellschaft zielt.
Das vierte Problem, das Problem der Wehrgerechtigkeit, ist im Frühjahr in diesem Parlament mehrfach behandelt worden. Die Bundesregierung legt das erste Mal von Amts wegen einen zusammenhängenden Plan vor, größere Wehrgerechtigkeit zu schaffen, als die bisherige Praxis sie ermöglicht hat. Wir wissen, daß es eine absolute Gerechtigkeit nirgendwo unter Menschen geben kann. Aber wir wollen und wir müssen den wehrpflichtigen jungen Leuten unseres Volkes, die ihren Wehrdienst leisten, zumindest die Gewißheit geben, daß wir uns um die größtmögliche Wehrgerechtigkeit von Staates wegen, von Parlaments wegen, von Regierungs wegen bemühen.
Das muß durch eine weitgehende Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer, durch einen Abbau der Wehrdienstausnahmen, der Wehrdienstbefreiungen, und durch einen Härteausgleich für die Dienenden erreicht werden. Sie finden dazu im Weißbuch eine Reihe von in Aussicht genommenen Schritten. Dazu gehören auch diejenigen, die verhindern sollen, daß Studienbewerbern zusätzlich zu dem 18monatigen Zeitverlust aus ihrem Wehrdienst erhebliche weitere Nachteile erwachsen, etwa durch Wartezeiten zwischen ihrer Entlassung aus der Bundeswehr und dem Beginn des Studienjahres oder wegen neuer, während ihres Wehrdienstes zusätzlich eingeführter Zulassungsbeschränkungen.
Ich möchte hier ein deutliches Wort sagen. Eigentlich ist es eine Wiederholung; ich habe schon einmal eine andere kurze Debatte in diesem Frühjahr dazu benutzen dürfen, die Tendenz dessen, was ich hier sagen will, zum Vortrag zu bringen. Ich hoffe, daß es durch die Wände dieses Hauses dringt und von den Verantwortlichen der Länder, besonders in den Kultusministerien, vernommen wird.
Es ist eine erwiesene Tatsache, daß die Bundeswehr ohne Abiturienten nicht funktionieren könnte. In den letzten Monaten ihres Wehrdienstes nehmen wehrpflichtige Abiturienten vor allem im Heer wichtige Unterführeraufgaben wahr. Ich möchte hinzufügen dürfen, daß sie dies überwiegend in einer guten und verläßlichen Weise tun. Wer das weiß, wird an dem gängigen Bild von der ausschließlich „aufbegehrenden Jugend" eine, wie mir scheint, erhebliche Ergänzung vornehmen müssen. Diesen jungen Männern die Steine auf dem Weg zum Studium fortzuräumen, wäre eine Aufgabe, der sich die Länderregierungen und die Universitäten mit mehr Eifer und Verständnis sollten widmen können, als dies bis zum heutigen Tage der Fall gewesen ist.
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Am Rande nur ein kleines Beispiel: Ich halte es für ein Unding, daß es bisher nicht gelungen ist, mit den Kultusministern eine Abmachung zu treffen, nach der den dringend benötigten aktiven Sanitätsoffizieren wenigstens 50 Studienplätze im Jahr - 50 für die ganze Bundesrepublik! - eingeräumt werden. Ich halte das für unerträglich.
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Ich appelliere von dieser Stelle aus an die Verantwortlichen in den Landesministerien und den Universitäten, dort Entgegenkommen zu zeigen, wo es darum geht, größere Wehrgerechtigkeit herzustellen und wo dringende Maßnahmen dazu außerhalb der Kompetenz des Bundes und insbesondere außerhalb der Kompetenz des Bundesverteidigungsministeriums liegen.
Im übrigen denken wir unter dem Aspekt der Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit, daß es unerträglich ist, daß derzeit von 100 Wehrpflichtigen nur etwa 60 tatsächlich zum Wehrdienst oder zu einem vergleichbaren Dienst eingezogen werden. Die Bundesregierung wird diese untragbaren Relationen dadurch verbessern, daß künftig bis zur Hälfte derjenigen, die als „eingeschränkt tauglich" gemustert werden, ihre Wehrpflicht ableisten müssen. Durch modifizierte Grundausbildung und Verwendung in bestimmten, festgelegten Funktionen ist dies ohne weiteres möglich. Wir haben nicht die Absicht, die medizinischen Kriterien in irgendeiner Weise zu diesem Zweck zu ändern oder zu beeinflussen. Wir denken nur, daß jemand, der Plattfüße hat, in einer motorisierten Truppe durchaus vollgültig seinen Dienst tun kann.
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Zur Wehrgerechtigkeit gehört weiter, daß für die Kriegsdiensverweigerer der Ersatzdienst funktioniert. Mein Kollege Bundesminister Arendt ist dabei, den Ersatzdienst so auszubauen, daß Wehrdienstverweigerer in Zukunft keine größere statistische Chance haben, an einer Dienstleistung vorbeizukommen, als die restlichen 99 Prozent der Wehrpflichtigen.
Die Bundesregierung - das will ich an dieser Stelle sagen - achtet die Entscheidung eines jeden jungen Mannes, der sich aus Gewissensgründen weigert, Wehrdienst zu leisten. Die Bundesregierung hat jedoch einen ebenso hohen Respekt vor der Gewissensentscheidung der übergroßen Mehrheit unserer jungen Männer, die 18 Monate lang ihre Pflicht in der Bundeswehr erfüllen.
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Wir möchten darum bitten, daß jedermann sich hüte, die jungen Männer je nach ihrem Gewissen in zwei verschieden gut zu bewertende Kategorien einzuteilen.
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- Herr Wörner, ich sage das überall, wo es geboten ist.
Ich darf den Gedanken noch ein wenig fortsetzen: ebenso abwegig, ebenso diskriminierend und ebenso anmaßend gegenüber den Staatsbürgern in Uniform wäre die Vorstellung, daß nur die Kriegsdienstverweigerer Friedensdienst leisteten.
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Ich möchte dieser Vorstellung mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
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Unsere 460 000 Soldaten leisten Friedensdienst oder sind - wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht formuliert hat - Diener des Friedens. Wer das nicht begreifen kann, der hat eben nichts begriffen von den Kräften und den Konzepten, von den politischen, den militärischen, den psychologischen Mechanismen, die in unserem Teil der Erde in den letzten 20 Jahren den Frieden bewahrt haben und, wie wir hoffen, auch weiterhin zuverlässig bewahren werden.
Natürlich wird eine Erhöhung der Wehrgerechtigkeit durch Verminderung der Ausnahmen für die Struktur der Bundeswehr Konsequenzen haben. Im Weißbuch erklärt die Bundesregierung, daß sie den Willen hat, den bisherigen organisatorischen Umfang der Bundeswehr von 460 000 Mann beizubehalten; ebenso den Willen zur Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht. Aber sie gibt zu erkennen - ich sagte das schon -, daß in Zukunft 50 Prozent der eingeschränkt Tauglichen zu bestimmten Funktionen eingezogen werden sollen. Das macht zwangsläufig, wenn man beides zusammennimmt, eine Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes nötig. Überlegungen, die dazu im Weißbuch angestellt und angedeutet sind, sollen von einer Kommission, die die Bundesregierung in diesen Wochen einsetzen wird, weiterverfolgt werden. Ich gehe davon aus, daß der Bundestag seine durch Gesetz zu treffende Entscheidung über diesen Vorschlag im Laufe des späten Winters wird treffen können.
Natürlich geschieht dies keineswegs, ohne daß wir in engster Konsultation mit unseren Verbündeten über dieses Problem stehen. Ich habe meine Kollegen in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, in Großbritannien und Holland, die ich in dem kurzen halben Jahr meiner bisherigen Amtszeit habe besuchen können, aber auch den NATO-Rat insgesamt, von unseren vorläufigen Erwägungen, von der Tendenz unserer Gedanken offen unterrichtet. Ich will hier hinzufügen, daß in einigen unserer europäischen Partnerländer, zumal in Frankreich, Holland und in anderen - aus der gleichen Notwendigkeit, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit zu erzielen -, ähnliche Erwägungen zum Teil nicht nur gepflogen wurden, sondern auch schon in Gesetzgebungsbeschlüssen durch das Kabinett ihren Niederschlag gefunden haben.
Zu den Grundsätzen der Inneren Führung, zum Konzept des Staatsbürgers in Uniform, finden Sie in diesem Weißbuch sehr eindeutige Darlegungen.
Das Weißbuch versucht dem Leser nahezulegen, daß Schluß gemacht werden muß mit der künstlichen Gegeneinanderstellung von Militär einerseits und ziviler Gesellschaft andererseits. Es ist niemandem damit gedient, wenn hier immer wieder Kontraste geschaffen werden, wo in Wahrheit keine sind oder keine mehr sind. Daß Weißbuch formuliert unmißverständlich; ich darf zitieren:
Die Bundeswehr ist ein Teil unserer pluralistischen Gesellschaft.
Die Bundesregierung kann und will den gesellschaftlichen Standort der Bundeswehr nicht definieren. Jeder einzelne kann und muß sich seinen Standort in der Gesellschaft selbst suchen und schaffen. Es ist deshalb gut und richtig, daß in der Bundeswehr diskutiert wird, und es ist natürlich, daß dabei auch gegensätzliche Positionen bezogen werden. Die Diskussion, eine der fundamentalen Spielregeln einer demokratischen Gesellschaft, wird von mir innerhalb der Armee bewußt und energisch gefördert. Die Bundesregierung erklärt dazu, daß Diskussion unter Soldaten und Gehorsam sich nicht ausschließen, daß sie sich vielmehr ergänzen. Der Gehorsam fällt der Jugend leichter, wenn sie begreift, weshalb und warum sie gehorchen soll.
Die Bundesregierung erklärt ebenso eindeutig, und ich möchte es hier wiederholen, daß es bei der Diskussion allerdings eine einzige, unerläßliche Ausnahme gibt, nämlich der Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz, gegenüber der verfassungsmäßigen Bundesregierung, gegenüber den Gesetzen, gegenüber den Befehlen, die auf der Basis des Grundgesetzes gegeben werden. Dieser Gehorsam ist nicht diskutierbar.
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- Herr Wörner, Sie werden das nicht als Polemik gegen sich empfunden haben.
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- Ich bin dankbar, daß Sie, Herr Damm, den Unterschied - ({16})
- Ja, auch ich würde zustimmen, daß manches in den Anträgen weiß Gott mein politischer Geschmack nicht war. Insofern würde auch ich zustimmen. Nur, lieber Herr Damm, was ist das für ein Unterschied zwischen einer demokratischen Partei, in der tausend Ortsvereine tausend Anträge einbringen, und einer anderen, in der durch Akklamation Reden zugestimmt wird, die im Grunde den Kern der Sache nicht treffen?!
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Ich sage: Diskussion ist ein Wesenselement demokratischer Spielregeln.
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- Sicher, auch bei Ihnen. - Zur Diskussion gehört, daß jedermann seinen Standpunkt erst einmal vorbringt; dann kann man darüber debattieren.
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- Das würde auch ich denken.
Lassen Sie mich zur inneren Führung noch ein anderes sagen. Das Grundgesetz hat das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform verbindlich gemacht. Auch wenn das Wort „Staatsbürger in Uniform" im Grundgesetz nicht vorkommt, so sind doch alle Elemente dieses Konzepts darin verbindlich gemacht worden. Die Bundesregierung erklärt deshalb, daß diese Grundsätze keine „Maske" sind, die man ablegen könnte, sondern ein Wesenskern dieser Armee. Wer diesen Wesenskern ablehnt, taugt nach der Vorstellung der Bundesregierung nicht zum Vorgesetzten unserer Soldaten.
({20})
Wir sagen klipp und klar: Die demokratische Gesellschaft schafft sich durch Gesetzgebung, durch Regierung, durch parlamentarische Kontrolle die ihr gemäßen Streitkräfte und weist ihnen ihren Auftrag zu. Es ist nicht etwa umgekehrt die Aufgabe der Armee, den Staat oder die Gesellschaft zu gestalten oder umzugestalten. Am Prozeß und an der Reform der Gesellschaft können und sollen alle Staatsbürger mitwirken, auch die Staatsbürger in Uniform. Nicht aber hat die Bundeswehr als Institution hier eine Aufgabe. Ebensowenig kann die Bundeswehr Sachwalterin eines bestimmten gültigen weltanschaulichen Konzepts oder eines allgemeingültigen Geschichtsbildes sein, ganz abgesehen davon, daß es kein einheitliches Bild geben kann.
Für den Abgeordneten Dr. Kiesinger und notabene auch für den Schriftsteller von Studnitz füge ich an dieser Stelle hinzu: Die Schule der Armee ist die Nation
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und nicht etwa umgekehrt.
({22})
- Erläutern? Sie waren doch im vorigen Bundestag hier, als der Abgeordnete Kiesinger, damals als Bundeskanzler, von diesem Pult aus sprach und uns mit der überraschenden Weisheit beglückte, daß die Armee eine Schule der Nation sei.
({23})
- Ja, ich kann mich noch genau an die Interpretationskunststücke erinnern, die er hinterher vierzehn Tage lang angestellt hat.
({24})
Er hat damit weder der Armee noch sich selbst noch seiner Partei einen Dienst erwiesen. Das ist seine Sache. Nur, meine Sache mußte es sein, auch in diesem Punkte klarzustellen, daß diese Bundesregierung, Herr Dr. Klepsch, nicht die Politik ihrer Vorgängerinnen fortsetzt.
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- Lieber Richard Stücklen, ich werde Ihnen doch nicht Ihre Sorgen nehmen. Ich bin ja froh, wenn Sie Sorgen haben. Wenn ich den „Bayernkurier" lese, kommt mir das reichlich sorglos vor, muß ich sagen.
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Ich möchte im Zusammenhang mit öffentlichen Debatten über Themata, die mit dem Komplex der Inneren Führung zusammenhängen, eines hier auch klarstellen: Ich habe in den, wie ich zugebe, nicht sehr langen Monaten meiner bisherigen Amtszeit nirgendwo den geringsten Anlaß gehabt, an der Loyalität der Soldaten gegenüber den verfassungsmäßigen Organen zu zweifeln. Das möchte ich hier sehr deutlich sagen.
({27})
Die vielen Diskussionen, die ich bei Truppenbesuchen und in Konferenzen gehabt habe, veranlassen mich auch dazu, zu sagen, daß nach meinem Eindruck unsere Soldaten sich als Bürger unter Bürgern fühlen und in der großen Mehrheit auch in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit so angesehen werden. Man findet das bestätigt durch Meinungsumfragen sowohl unter den Soldaten wie im zivilen Teil unserer Gesellschaft. Mir scheint es unnütz, daß wir angesichts dieser Sachlage den Soldaten dauernd öffentliche Bekenntnisse zur demokratischen Grundordnung abverlangen, genauso unnütz und genauso überflüssig
({28})
bitte lassen Sie mich den Satz zu Ende sprechen -, wie es der Versuch wäre, die Gesellschaft ständig auf öffentliche Bekenntnisse zur Bundeswehr festnageln zu wollen. Das ist beides nicht notwendig.
({29})
Die Bundesregierung wird jedenfalls alles tun, um die Entwicklung solcher Selbstverständlichkeit zu fördern. Das sollte uns um so leichter fallen, als die ganze aufgeregte Diskussion, die zu Beginn des Jahres um die Innere Führung Wellen schlug, sich inzwischen auf ihre normale Proportion zurückentwickelt hat.
Ich muß hier das Bekenntnis der Bundesregierung zur Institution des Wehrbeauftragten nicht wiederholen; es ist jedem in Erinnerung.
Ich will aber im Zusammenhang mit dem Gebiet der Inneren Führung eines noch sagen: Wir brauchen keine ideologische Überhöhung des soldatischen Dienstes, weder in der einen Richtung noch in der anderen. Wir brauchen auch nicht so viel Verkündigung. Wir brauchen auch nicht so viele Pro-und Kontra-Traktate über Fragen der Inneren Führung, die angeblich Grundlagen schaffen sollen, aber meistens doch nur Streit stiften. Ich denke, daß die Diskussion der praktischen Fragen der Inneren Führung sich nicht so sehr an Theorien ausrichten soll, sondern an den geltenden Rechtsnormen, an den Gesetzen, an der Truppenerfahrung und allerdings auch an der fortschreitenden Erkenntnis und an den fortschreitenden Ergebnissen der pädagogischen Wissenschaft.
Hier gilt es überall und unwiderruflich den Anschluß an die heutige Zeit zu finden. Die Armee von heute ist nicht wie die Armee von gestern. Sie ist anders, in einer sehr viel besseren Gesellschaftsordnung insgesamt; und dieser Andersartigkeit muß man auch in dem Bereich, von dem hier die Rede ist, Rechnung tragen.
Mir liegt am Herzen, in diesem Zusammenhang einen anderen Gedanken zwar kurz, aber sehr deutlich auszusprechen: Für die Bundeswehr, für die Soldaten ist die Fähigkeit zu kämpfen, kämpfen zu können, kämpfen zu wollen im Notfalle, unerläßlich. Kämpfen zu können ist die beste Garantie dafür, nicht kämpfen zu müssen.
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Ich beeile mich allerdings hinzuzufügen: Für diese unsere Armee ist der Frieden der Ernstfall. Ich meine das nicht nur als abstrakte Aussage über die Abschreckungsfunktion. von Streitkräften im Zeitalter der modernen Massenvernichtungsmittel, sondern ich meine dies - Frieden der Ernstfall - auch ganz konkret für den Alltag unserer Truppe.
Was dieser Alltag der Truppe im Frieden abfordert, steht nicht viel hinter dem zurück, was in anderen Zeiten, in anderen Situationen - in schlimmeren. Situationen. - Soldaten abgefordert worden ist. Nur handelt es sich heute um ganz andere Arlen von Leistung, andere Arten. von Zucht und andere Arten von Disziplin, nämlich um Sachdisziplin, von der im Weißbuch als Bestandteil zeitgemäßer Menschenführung gesprochen ist.
Sachdisziplin entsteht aus der unerbittlichen Logik, aus den Zwängen der Technik. Es gibt im industriellen, im technischen Bereich Abläufe, Tätigkeiten, Handgriffe, die immer wieder mit der gleichen Zuverlässigkeit von Menschen ausgeführt werden müssen, weil davon die Sicherheit, das Leben oder die Gesundheit anderer oder die Erhaltung von großen Sachwerten abhängen. Das gilt ebenso und in gleichem Maße für große Bereiche der Streitkräfte, die vorwiegend technisch orientiert sind. Es gilt besonders dort, wo die Abschreckungspräsenz von Mensch und Technik Dauerleistungen verlangt, die immer wieder und immer in gleichbleibender Qualität und gleichbleibender Sicherheit erbracht werden müsen. Gegen Versagen des Materials mag strengste Materialkontrolle helfen, gegen menschliches Versagen kann nur absolute Sachdisziplin helfen.
Noch nie in der Geschichte bewaffneter Streitkräfte in unserem Land ist von Soldaten im Frie2758
den ein so hohes Maß an Sachdisziplin so kategorisch gefordert worden wie gegenwärtig in der Bundeswehr. Dabei stehen ganz offensichtlich manche Waffengattungen unter einem noch höheren Anforderungsmaß als andere.
Ein Wort zum Rüstungsplan der Bundeswehr! Die vorige Bundesregierung und die zuständigen Ausschüsse dieses Hauses haben in den vergangenen Jahren einer Reihe von Rüstungsprojekten für die Bundeswehr - zum Teil Neubeschaffungen, zum Teil Umrüstungen - zugestimmt. Sie befanden sich bei Amtsantritt .der gegenwärtigen Bundesregierung in verschiedenen Stadien der Planung, der Entwicklung und der Beschaffung. Die Bestandsaufnahme hat in diesem Zusammenhang zu zweierlei Ergebnissen geführt.
Zum ersten. Der bisherige Rüstungsplan war nach den bisherigen Plafondsziffern der mittelfristigen Finanzplanung, die wir in bezug auf den Einzelplan 14 ja nicht verändert haben, nicht durchfinanziert. Ebenso hat sich ergeben, daß er nach dem Entwicklungsstand der jeweiligen Projekte zeitlich nicht im Rahmen des Programms abzuwickeln gewesen wäre.
Zum zweiten. Die Bestandsaufnahme hat zu der Notwendigkeit geführt, einen Teil der Mittel im Einzelplan 14 - im Verteidigungshaushalt - umzuschichten auf die Gebiete, von denen ich vorhin gesprochen habe. Beides führt dazu, daß der bisherige Rüstungsplan insgesamt neu angesehen werden muß. Ich bin mitten darin. Einige Entscheidungen sind schon getroffen. Ich will sie für diejenigen, die dem Verteidigungsausschuß nicht angehören, noch einmal ins Bewußtsein heben.
Wir haben im Einvernehmen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika die deutschamerikanische Gemeinschaftsentwicklung des Kampfpanzers 70 - in der Presse manchmal als „MBT Seventy" zitiert - als gemeinsames Projekt eingestellt. Einzelne Baugruppen dieser Entwicklung werden für den „Leopard II" übernommen werden. Ich sage hier als Fußnote und in Klammern, daß Leser, die darüber in den Zeitungen etwas berichtet finden, erkennen müssen, daß es wie beim Bau ziviler Automobile genauso auch bei der Bundeswehr und bei jeder Streitkraft immer notwendig ist, eine Reihe von Projekten bis zu einer gewissen Reife zu entwickeln, um dann zu entscheiden, daß dieser „Erlkönig" oder jener „Erlkönig" nicht in die Serienproduktion geht. Das kann man nicht am Reißbrett entscheiden, sondern erst dann, wenn bestimmte Entwicklungsstadien erreicht und bestimmte Erprobungen durchgeführt worden sind. - Ich sehe mit besonderer Freude, daß der Betriebsratsvorsitzende einer der größten deutschen Automobilfabriken in diesem Fall zustimmend mit dem Kopf nickt.
- Anders ist das auch in der zivilen Industrie nicht möglich.
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- Wie bitte? - Nein, der versteht was davon. -Anders ist es hier auch nicht möglich. Ich würde also bitten, daß z. B. in bezug auf den Kampfpanzer 70 nun nicht nachträglich anderen, die vor mir in diesem
Amt tätig gewesen sind, deswegen große Vorwürfe gemacht werden, weil sie diese Entwicklung eingeleitet haben. Es ist notwendig, vielerlei Entwicklungen einzuleiten, die nicht alle hinterher in die Serienproduktion führen. Schlimm ist es, wenn man glaubt, man habe schon in eine Entwicklung zu viel Prestige investiert, wenn man meint, sich selbst schon so festgelegt zu haben, daß man unbedingt auch in die Serienfertigung gehen müßte. Solche Fälle gibt es; ich kann mich daran erinnern, daß es im Laufe der letzten 15 Jahre solche gegeben hat.
Eine zweite Entscheidung ist getroffen worden. Die ursprünglich vorgesehene Zahl von 800 neuen Kaumpfflugzeugen MRCA wird ganz wesentlich reduziert werden. Ich mache übrigens diejenigen, die nachher noch darüber sprechen wollen, darauf aufmerksam, daß die MRCA niemals als ein Allzweckflugzeug gedacht gewesen ist, weder von der Luftwaffe noch von meinem Amtsvorgänger. Manches von dem, was ich an Kritik gelesen habe, läßt mich daran zweifeln, ob alle diejenigen, die sich darüber schriftlich ausdrücken, damals oder heute den Gesamtzusammenhang erfaßt haben.
Drittens. Es ist klar, daß die Fregatte 70 insbesondere wegen ständig steigender Kostenvoranschläge als Projekt eingestellt werden mußte. Wir waren zuletzt bei einem Aufwand angelangt, der für jede der vier geplanten Fregatten auf über 300 Millionen DM hinauslief. Dies schien mir unerträglich.
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- Bitte sehr?
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-Ja, wir sind in diesem Punkt seit dem Weißbuch schon etwas weiter vorangekommen.
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- Jawohl! Wir sind in den letzten 14 Tagen etwas weitergekommen.
Das heißt nicht, wie ich irgendwo gelesen habe, daß die Marine nun nichts bekäme. Das finanzielle Volumen, das im Rüstungsplan für die Marine vorgesehen war, ihr Anteil, wird genutzt werden - viele Kollegen auch von der CDU/CSU werden sich nachträglich in manchem bestätigt finden, was sie in früheren Jahren dazu gesagt haben -, um für die Ostsee Boote wesentlich kleineren Typs, anderer Auslegung und anderer taktischer Aufgabenstellung für die Marine zu beschaffen.
Wir sind ferner dabei, uns das Transporthubschrauberprogramm und das Fla-Panzer-Programm, ein besonders problematisches Programm, kritisch anzusehen. Wir müssen uns bei all dem von der Vorstellung losmachen, daß die Bundeswehr überall das Meiste und das Beste haben könnte. Wir müssen uns von der Faszination der großen Zahlen und der technischen Perfektion freimachen. Manchmal ist das Einfachere und manchmal ist das Billigere angesichts der Verhältnisse, unter denen wir leben, das Geeignetere. Das überzüchtete, beste und teuerste Gerät ist keineswegs immer das zweckmäßigste, und zwar auch deshalb, weil es
unsere Truppe zum Teil wirklich überfordert. Auch dafür gibt es Beispiele, die ich hier nicht noch einmal zu nennen brauche, nämlich daß sehr teure und sehr komplizierte Waffensysteme mindestens zunächst die betreffende Waffengattung überfordert haben.
Ich hoffe, daß diese generelle Überprüfung der großen Rüstungsvorhaben noch in diesem Sommer abgeschlossen werden kann. Ich biete dem Verteidigungsausschuß an, ihn während der Ferien darüber sorgfältig zu unterrichten, wenn wir so weit sind. Das kann Anfang Juli der Fall sein.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch eines an die Adresse der Mitglieder des Verteidigungsausschusses sagen dürfen. Ich fühle mich, meine Damen und Herren - das gilt für manche meiner militärischen und zivilen Mitarbeiter in gleicher Weise -, auf ein sehr indirekte und schwer erkennbare, aber doch sehr spürbare Weise bei manchen der soeben angedeuteten und bei manchen der nicht genannten Projekte durch eine mir durchaus verständliche Rüstungslobby aus der Industrie unter Druck gesetzt. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause dringend bitten, sich nicht -schon gar nicht bewußt; das muß ich wohl nicht eigens aussprechen - ungewollt und unbewußt zu Instrumenten der deutschen oder der amerikanischen oder sonstiger ausländischer Rüstungslobby machen zu lassen.
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Ich habe seit meinem Amtsantritt mit keinem einzigen deutschen und auch keinem ausländischen Rüstungsindustriellen gesprochen, Ich meine, daß sich der politische Verantwortliche angesichts der Notwendigkeiten, die die Streitkräfte vorzutragen haben, und angesichts der Möglichkeiten, die sich aus dem Haushalt ergeben, zunächst ein eigenes Urteil bilden muß. Ich sehe die ganze halbgare, in das Gewand militärischer Argumentation gekleidete Pression in allen möglichen Diensten und Dünsten mit großer Besorgnis. Ich würde mich freuen, wenn alle Kollegen in diesem Hause sehr viel Abstand von denen hielten, die das schreiben, und auch Abstand hielten im Zitieren. Es hat jüngst ein süddeutsches Intelligenzblatt gemeint, in solchem Zusammenhang das Folgende schreiben zu sollen - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Der Bundesverteidigungsminister tut alles, um unsere Bundeswehr, die ohnehin heute einen schweren Stand hat, noch weiter zu verunsichern. Aus opportunistischer Gesinnungskumpanei mit den linksextremen Kräften innerhalb der Partei
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versucht die SPD, den Verteidigungsauftrag und die Schlagkraft unserer Streitkräfte derart zu nivellieren, daß sie kein ernst zu nehmender Gegner mehr sind.
Herr Strauß ist nicht anwesend, er hätte nicht zu raten brauchen, denn das stand natürlich im „Bayernkurier" !
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- Lieber Herr Stücklen, das Kennzeichnende ist, daß da nie ein Name daruntersteht! Man muß es also dem Herausgeber anrechnen. Wenn das ein Namensartikel wäre, könnte ich dessen Namen ja zitieren.
Aber es gibt auch seriösere Quellen für nicht haltbare Behauptungen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, aus Ihren Reihen! Ich habe vor mir den „Deutschland-Union-Dienst" vom 29. Mai. Er ist für die heutige Debatte geschrieben. Da schreibt einer Ihrer Kollegen in einer sachlich erscheinenden Anklage - ich kann das nicht alles hier aufgreifen, ich nehme nur dies eine auf -, man kürze die Flugstunden, um die Materialübermüdung hinauszuschieben. Wo haben Sie das eigentlich her, Herr Klepsch?
({38})
Fragen Sie einmal Herrn Steinhoff! Fragen Sie Herrn
Admiral Jeschonneck! Ich nehme an, es hat Ihnen
ein mißgünstiger Mensch einen Bären aufgebunden.
({39})
Ich könnte auch formulieren: Sie haben sich einen Bären aufbinden lassen!
({40})
Oder zweitens: Sie polemisieren, man fordere eine stärkere Rolle der Luftwaffe im Erdkampf - das ist richtig - und halbiere gleichzeitig die Beschaffungszahlen der MRCA. Ja, was hat das miteinander zu tun? Haben Sie bisher das MRCA als reines Erdkampfflugzeug aufgefaßt?
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- Um Gottes willen!
Oder drittens: „Man beschreibt die vierfache maritime Überlegenheit des Warschauer Paktes in der Ostsee und streicht gleichzeitig das Fregattenprogramm." Dabei wissen Sie aus der Verlautbarung des Ministeriums, daß das eine halbe Wahrheit ist, weil an die Stelle - das sagte ich vorhin übrigens - ein Programm einer größeren Zahl kleinerer Boote treten wird, die in der Ostsee voll geeignet sein werden. Oder, es geht weiter - -({42})
- Das will ich gern tun. Ich habe dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses gesagt, daß ich bereit bin, das nach dem morgigen Tage zu tun, weil ich, seit langen Monaten auf morgen terminiert, eine umfängliche Sitzung von Fachleuten einberufen habe, nach der ich etwas klarer sehen werde.
({43})
Wir hatten eine Verabredung, Herr Wörner, mit dem Verteidigungsausschuß!
({44})
- Das muß ich gar nicht! Ich lasse mir doch weder von Lobbyisten draußen noch von denen in diesem Hause vorschreiben, wann ich Entscheidungen zu treffen habe!
({45})
- Das muß ich gar nicht! Ich kann mich gut erinnern, wie hier mancher meiner Amtsvorgänger unter Druck gebracht worden ist, über materielle Rüstungsbeschaffungen eher zu entscheiden, als sie wirklich ausgereift waren.
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Das möchten wir nicht wiederholen.
({47})
Und wenn ich Herrn Klepsch zitiert habe, dann nur wegen des einen Satzes in einem dieser Dienste.
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- Dazu bin ich bereit, und zwar nach dem morgigen Tage!
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- Das mit dem Bären bezog sich auf die Flugstunden, die angeblich eingeschränkt sind. Gut, wir werden das hören. Daß das MRCA nur ein Erdkampfflugzeug wäre, wird Herr Klepsch im Ernst hier nicht vertreten wollen. Er hat an anderer Stelle von einem Allzweckflugzeug gesprochen.
Ich muß noch ein letztes hier zitieren. Da wird kritisiert, wir beschrieben die sowjetische Luftüberlegenheit, zögerten anschließend aber die Entscheidung über ein Luftabwehrsystem der Panzerverbände hinaus. Derjenige, der das geschrieben hat, weiß genau, daß nicht unter meiner Leitung, aber unter der Leitung meiner Amtsvorgänger viele Jahre nebeneinander zwei Projekte entwickelt worden sind und daß ich in diesem Sommer die Entscheidung zu treffen haben werde, welches von beiden genommen werden soll. Aber daß ich das nun nicht drei Tage vor dieser Debatte mache, wird im Ernst auch Herr Klepsch mir nicht verargen. Auch dazu braucht man Sorgfalt und Ruhe.
Ich will auf den finanziellen Aspekt zu sprechen kommen. Wie die Umfangsstärke, so ist auch die Höhe unserer Verteidigungsausgaben, wie sie sich aus den Plafondszahlen der mittelfristigen Finanzplanung ergibt, angemessen; sie berechtigt die Bundesregierung zu der Feststellung, daß dieser Staat Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft in angemessener Weise zu den gemeinsamen Anstrengungen des Bündnisses beiträgt. Es stimmt, daß die Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich einen größeren Anteil ihres Sozialprodukts für ihre Verteidigungsanstrengungen, für ihren Beitrag zum Bündnis aufwenden. Es stimmt ebenso, daß eine Reihe von NATO-Partnern einen kleineren Anteil aufwenden als wir, und es stimmt auch, daß der deutsche Sozialproduktanteil, der für die Verteidigung aufgewandt wird, fast genau bei dem statistischen Mittel innerhalb der Allianz liegt. Die Bundesrepublik leistet einen angemessenen Beitrag für Sicherheit und Frieden und wird das auch in Zukunft tun.
Ich möchte das allerding nun auch mit Nachdruck unterstreichen, meine Damen und Herren: Ich würde es für lebensgefährlich halten, wenn wir in unserem Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit nachließen, ehe die Bemühungen um eine allgemeine Entspannung zu konkreten, verbindlichen Vereinbarungen über eine beiderseitige gleichzeitige und gleichwertige Rüstungsverringerung geführt haben. Die Bundesregierung wird dieses Gebot nicht außer acht lassen, auch nicht angesichts der gewaltigen innenpolitischen Aufgaben, die in diesem Jahrzehnt gelöst werden müssen.
Hier gibt es eine Korrelation der Notwendigkeiten: Ohne Reform im Innern werden wir auf die Dauer die Sicherheit nach außen nicht bewahren können. Und umgekehrt: Ohne äußere Sicherheit kann es auch keinen zuverlässigen inneren Fortschritt geben.
Ich habe mich aus diesem Grunde dafür stark gemacht, daß die Verteidigungsausgaben nicht erhöht werden. Ich habe die konjunkturell bedingte Sperre nach Durchrechnung aller sich daraus ergebenden Konsequenzen akzeptiert, aus Überzeugung vertreten und mich dafür verbürgt, daß auch die von uns geplanten und Ihnen dargelegten Maßnahmen zur sozialen Besserstellung der Soldaten im Rahmen des unveränderten mittelfristigen Finanzplans finanziert werden können. Das Kabinett hat diesen Standpunkt gebilligt.
Ich möchte mit gleicher Eindeutigkeit hinzufügen, daß die mittelfristige Planung für den Einzelplan 14 auch nicht verringert werden darf, wenn wir das Weißbuch-Programm durchführen wollen.
Das Weißbuch hat seit der Veröffentlichung einen erheblichen publizistischen und politischen Widerhall gefunden. Auf den letzteren bin ich hier schon ein wenig eingegangen. Ich bin, wenn ich mir die Diskussion in den Zeitungen anschaue, im Grunde froh darüber, daß die Bundeswehr, daß die Soldaten sich nicht nur mit ihren Problemen wiedererkannt haben, sondern daß sich die Soldaten - wenn ich lese, was die Zeitungen zustimmend oder kritisch zu den Darlegungen der Bestandsaufnahme sagen - auch in ihrem Dasein und in ihrem So-Sein anerkannt fühlen dürfen.
Ich will eine Tendenz der kritischen Bemerkungen, die ich bisher gelesen oder gehört habe, noch einmal aufgreifen. Jemand hat es so ausgedrückt, das Ganze lese sich wie der Bericht einer Betriebsversammlung; die eigentlichen Elemente würden ausgeklammert, dafür aber Aufstiegschancen und VerBundesminister Schmidt
sorgungsfragen in den Vordergrund gerückt, und die Sicherheitsfragen fielen dabei dieser Tendenz zum Opfer. Ich halte es für nötig, dazu folgendes zu sagen, meine Damen und Herren: Wenn wir uns nicht intensiver und nicht besser um den sozialen Status der Soldaten, die psychologischen Umstände, unter denen sie leben, kümmern, z. B. um das Bildungsgefüge insbesondere der Längerdienenden, dann geht die Bundeswehr an personeller Auszehrung ein, und dann nützen uns weder soviel noch soviel hundert Flugzeuge!
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Die Gesundung der-lassen Sie mich ruhig mal
das Wort aus der Industrie nehmen - Betriebsatmosphäre ist nicht möglich nur mit Worten und mit Wortklauberei. Da muß man wirklich etwas tun. Wenn es uns nicht gelingt, von daher das Klima wesentlich zu ändern, das Vertrauen in den Staat wesentlich zu stärken, dann sind alle Worte über Kampfkraft in den Wind geredet.
Über die Kampfkraft ist in diesem Weißbuch keineswegs zuwenig, sondern sehr lapidar etwas gesagt. Auf Seite 43 lesen Sie, wie die Bundesregierung die Kampfkraft dieser Bundeswehr einschätzt. Ich darf zitieren:
Der physische und geistige Gesamtzustand der Bundeswehr, ihre Kampkraft und Einsatzbereitschaft brauchen einen Vergleich mit den Verbündeten nicht zu scheuen. Die Bundeswehr ist in befriedigender Weise geeignet, gemeinsam mit unseren Bündnispartnern jenen Abschreckungsauftrag zu erfüllen, der zur Wahrung des Gleichgewichts notwendig ist.
Ich vertrete dieses Urteil. Wir haben lange Zeit gebraucht und Sorgfalt aufgewandt, ehe wir es uns gebildet haben. Das Urteil ist eine Quersumme aus der Einzelbewertung von vielen Verbänden, Großverbänden. Waffengattungen, wie sie die militärische Spitze regelmäßig jedes Jahr nach NATO-Kriterien vorzunehmen hat. Wir haben im Kabinett und im Sicherheitsrat im einzelnen erläutert, aus welchen Komponenten sich das Urteil zusammensetzt. Die Gesamtnote „befriedigend" ergibt sich aus dem gewogenen Durchschnitt der Einzelnoten. Einige Verbände liegen unter dieser Note, viele liegen darüber. Aber das im Weißbuch festgestellte gewogene Mittel dieser Bewertung ist eine durch die Tatsachen gerechtfertigte Gesamtwertung.
Es gibt eine andere Tendenz der Kritik, die hier vielleicht auch erwähnt und berührt werden muß. Jemand schreibt - vielleicht nicht nur für sich; ich glaube es war in der „Süddeutschen Zeitung" - das Weißbuch weise keinen Weg in eine Zukunft, in der der Frieden nicht mehr von der Existenz der gegenseitigen Drohsysteme abhänge. Dieser Mann, der das schreibt, glaubt offenbar nicht an das Gleichgewichtssystem. Ich will dazu sagen: Das Wort „Drohsystem" ist ein anderes Wort für das System gegenseitiger Abschreckung, das seit 1945 in Europa den Zustand des Nicht-Krieges garantiert hat.
Ich halte dieses System, ob wir es nun „gegenseitige Abschreckung" nennen oder ob wir es wie jener „Drohsystem" nennen, keineswegs für ideal. Ich bin dafür, daß aus dieser Konfrontation auf sehr hoher Ebene in der Rüstung etwas anderes wird. Wir haben vorhin darüber gesprochen. Aber für den gegenwärtigen Augenblick, für das Jahr 1970, für das dieses Weißbuch geschrieben ist, hat noch niemand recht aufzeigen können, wie wir wohl mit geringeren Risiken etwa bessere Garantien für unser staatliches Überleben in Freiheit und Unabhängigkeit verbürgen könnten.
Den Vorwurf der Ideologiefeindlichkeit nehme ich, was die Sicherheitspolitik unseres Staates angeht, gern auf mich.
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Die Sicherheitspolitik muß ideologiefeindlich sein. Sie muß nämlich nüchtern und abwägend und realistisch sein. Sie muß ideologiefeindlich nach beiden Seiten sein nach links, wo uns eine Utopie des kostenlosen Friedens angedient wird, wie nach rechts, wo uns Feindbilder und Rezepte für die Militarisierung der eigenen Gesellschaft aufgeschwatzt werden sollen, die man als Demokrat ablehnen muß. Ich halte die Utopie von einem Frieden zu kleinen Preisen und zu kleinen Anstrengungen für eine gefährliche Utopie. Ich mache daraus gar kein Hehl. Genauso ist mir allerdings das Weltbild der ehemaligen AdK unsympatisch, die wir mit diesem Weißbuch endgültig aus den Akten der Bundeswehr getilgt haben.
({52})
Ich will der Debatte, die Sie zu führen beabsichtigen, meine Damen und Herren, nicht weiter vorgreifen. Ich weiß, daß die Opposition mit dem Argument operieren möchte, dieses Weißbuch bringe nichts Neues. Ich kann da nur raten zu vergleichen. Ich habe beide Weißbücher auf meinem Tisch liegen. Ich kann auch nur raten, zu vergleichen, wieviel Zeit man für das eine und für das andere gebraucht hat. Mir kommt es nicht darauf an - das will ich ebenso deutlich sagen -, wer zuerst etwas aufs Papier gebracht hat, sondern mir kommt es darauf an - und uns allen muß es darauf ankommen, wann etwas in die Tat umgesetzt und verwirklicht wird.
({53})
Diese Regierung, die sich mit der Sicherheitspolitik von Amts wegen gerade sieben Monate hat beschäftigen können, verpflichtet sich, dem Parlament alsbald nach der Sommerpause die Gesetzentwürfe vorzulegen, die zur Verwirklichung des im Weißbuch angekündigten Programms notwendig sind. Es ist der Wunsch und die Erwartung der Soldaten - und ich halte es für möglich , daß die Masse dieser Gesetze bis Ostern nächsten Jahres durch den Gesetzgebungsgang hindurch ist, durch Bundestag und Bundesrat. Was die Bundesregierung dazu tun kann, wird sie tun, damit dieser Termin eingehalten wird. Ich möchte meine Ausführungen mit dem Appell an die Damen und Herren
des Hohen Hauses beschließen, die Erwartungen unserer Soldaten insoweit nicht zu enttäuschen.
({54})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Sie haben die Einbringungsrede zum Weißbuch 1970 gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete Dr. Zimmermann. Es sind für diesen Redner 30 Minuten Redezeit angemeldet worden, und Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann hat gemäß § 37 der Geschäftsordnung beantragt, daß er seine schriftlich niedergelegte Rede vorlesen darf.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, kann ich der Bundesregierung und insbesondere Ihnen, Herr Verteidigungsminister Schmidt, zwei Vorbemerkungen nicht ersparen, die sich auf Stilfragen im Zusammenhang mit dem Weißbuch beziehen.
Nachdem das Kabinett das Weißbuch genehmigt hatte, erhielt der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU - wie auch ich - am 11. Mai ein hektographiertes Exemplar des Buches. In dem Begleitschreiben hieß es, daß das Weißbuch aus technischen Gründen erst am 20. Mai 1970 veröffentlich werden könne und bis dahin als „VS-vertraulich" zu behandeln sei.
Die Verschlußsachenanweisung der Bundesregierung schreibt eine Kennzeichnung mit „VS-vertraulich" dann vor, wenn durch Veröffentlichung des Inhalts eines Dokumentes der Bundesrepublik Schaden entstehen würde. Jedermann weiß, daß davon in diesem Falle keine Rede sein kann, weil das Buch zum Zweck der Veröffentlichung verfaßt wurde. Jedermann weiß auch, daß der wirkliche Grund für die Verzögerung der Veröffentlichung der Parteitag der SPD in Saarbrücken gewesen ist.
({0})
Der Schaden drohte nicht der Bundesrepublik, sondern allenfalls der Stellung des Verteidigungsministers in seiner Partei,
({1})
weil vielleicht einige Formulierungen des vollständigen Weißbuches manchen Genossen in Saarbrücken nicht ganz wohlgefällig in den Ohren geklungen hätten.
Ich hätte allenfalls noch Verständnis dafür gehabt, Herr Minister, wenn Sie von einer Sperrfrist bis zum 20. Mai gesprochen hätten. Die Sperrfrist haben Sie aber selbst durchbrochen, indem Sie Ihnen günstig erscheinende Teile vorweg veröffentlicht haben.
Es liegt hier also ein Mißbrauch der Vertraulichkeitsbestimmungen zugunsten Ihrer persönlichen parteipolitischen Opportunität vor.
({2})
In Erkennnis dieser Opportunität haben meine Freunde und ich uns an die Sperrfrist gehalten, aber nicht deshalb, weil „VS-vertraulich" darauf gestanden hat, sondern weil Sie, Herr Minister, uns im Vorstand Ihrer Partei lieber sind als irgendein linksextremer Jungsozialist.
({3})
Man muß sich aber in der Tat fragen, wie es um den wirklichen - nicht um den erklärten - Verteidigungswillen in Ihrer Partei bestellt ist, wenn der Verteidigungsminister seine Verteidigungskonzeptionen auf dem Parteitag nicht zur Gänze ausbreiten kann, ohne um seine Wiederwahl fürchten zu müssen.
({4})
Meine zweite Bemerkung betrifft die Vergabe des Druckauftrages. Die Bundesregierung hat es für richtig gehalten, das Weißbuch in einer Auflage von 150 000 Stück bei einer der SPD und den Gewerkschaften gehörenden Druckerei, dem Druckhaus Deutz in Köln, in Auftrag zu geben.
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Maßgeblichen Einfluß in diesem Unternehmen haben prominente SPD-Politiker wie die Herren Nau und Heine.
({6})
Es war bisher nicht üblich, daß die Regierung die Wirtschaftsbetriebe der sie tragenden politischen Partei so unverblümt bevorzugt.
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Ich glaube, daß dieser Regierungsauftrag mit den wirtschaftlichen Interessen der SPD ein wenig zu sehr harmoniert.
({8})
Meine Damen und Herren! Ich will nicht näher auf den Teil des Weißbuches eingehen, den man als den Dokumentationsteil bezeichnen könnte. Zu ihm zählen vor allem die zahlreichen und instruktiven Statistiken, die Darlegungen der historischen Entwicklungen, der offiziellen NATO-Strategie und ähnliches. In diesem Teil des Buches steckt viel Fleiß von Beamten und Soldaten, und insoweit ist Dank und Anerkennung für diese Arbeit zu sagen.
Völlig anders verhält es sich allerdings mit den wertenden und programmatischen Aussagen des Weißbuches. Was sich die Regierung hier an inneren Widerprüchen, Wunschdenken und bewußter Unvollständigkeit geleistet hat, wird darzulegen sein. Das gilt schon für den ersten Satz: „Die Bundesregierung betrachtet den Frieden als das höchste Gut." Dieser Satz ist richtig und falsch zugleich. Hier hätte die Regierung eine Gelegenheit gehabt, ein überzeugendes Bekenntnis zum freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat abzulegen - wenn nicht hier, wo eigentlich sonst?
({9})
Es wäre nötig gewesen, der Öffentlichkeit, insbesondere der wehrpflichtigen Jugend, unsere Freiheit als ein verteidigungswertes Gut ins Bewußtsein zu rufen und den Frieden, den wir meinen, von einer pax sovietica, die wir auch ohne Bundeswehr jeden Tag haben könnten, klar abzugrenzen. Diese Gelegenheit hat die Bundesregierung nicht genutzt. Für mich und meine politischen Freunde gilt jedenfalls weiterhin die Wertordnung: Freiheit, Frieden, Einheit.
Wir bedürfen nicht eines Verteidigungsweißbuches, um uns quasi für das Vorhandensein der Bundeswehr zu entschuldigen und in fast serviler Weise unsere Defensivgesinnung zu betonen. Jedermann in Ost und West weiß, daß die Bundeswehr seit eh und je für andere als defensive Aktionen völlig untauglich ist.
({10})
Wir müssen aufpassen, ,daß uns nicht eines Tages das Sprichwort „Qui s'excuse s'accuse" entgegengehalten wird.
({11})
Wenn die Regierung das Gleichgewichtsprinzip als obersten sicherheitspolitischen Leitgedanken herausstellt, so hat sie dafür die volle Zustimmung der CDU/CSU. Aber welche Verrenkungen macht das Weißbuch, um eine Gleichgewichtslage in Gegenwart und Zukunft als gegeben zu konstruieren, obwohl nach den eigenen Aussagen ein konventionelles Gleichgewicht in Europa seit langem nicht mehr vorhanden ist!
Ich freue mich einerseits, daß die Stärkerelationen aller Teilstreitkräfte in Mitteleuropa klar genannt sind. Wenn man aber schon so weit geht, sie öffentlich zu nennen, dann müßte man dazu die exakte Rechnung mit x plus drei, x plus sechs, x plus zehn Tagen usw. aufmachen. Leider findet sich eine solche Rechnung nicht einmal im geheimen Teil des Weißbuches. Aus einer solchen Rechnung würde sich nämlich ergeben, daß sich das Kräfteverhältnis nach wenigen Tagen ganz entscheidend zu unseren Ungunsten verändert hätte. Das politisch-psychologische Gleichgewicht, in das sich die Regierung in dem Weißbuch hineinrettet, würde dann ganz erheblich angeschlagen erscheinen.
Im Zusammenhang mit dem Kräfteverhältnis zwischen Ost und West muß ich einer Reihe von Feststellungen widersprechen, z. B. bei der Panzerwaffe. Das Verhältnis der Panzer zwischen Ost und West wird mit 2 : 1 oder 13 650 : 6 600 angegeben. Binnen kurzer Frist soll es 3 : 1, nämlich 20 000 : 6 600 betragen. Nun soll diese Überlegenheit des Ostens angeblich durch das über 15jährige Alter vieler Ostblockpanzer relativiert werden. So steht es im Weißbuch. Ich frage die Bundesregierung: Wie alt sind die Kampfpanzer M 48 der Bundeswehr und anderer Einheiten der NATO und die Centurions unserer Verbündeten? Angeblich soll die östliche Panzerüberlegenheit weiter durch eine um ein Drittel höhere Zahl der Schützenpanzer des Westens relativiert werden. Will die Bundesregierung wirklich behaupten, daß vielleicht tausend Schützenpanzer an dem Übergewicht von 13 000 östlichen Panzern etwas wesentlich ändern?
In ähnlicher Weise muß ich die Angaben über die Luftwaffe kritisieren. Die östliche Überlegenheit an Flugzeugen von 2 : 1 soll dadurch relativiert sein, daß der Westen technisch und ausbildungsmäßig überlegene Einheiten besitzt. Kann man das bei unseren bekannten Schwierigkeiten auf diesem Gebiet aufrechterhalten? Ist nicht der noch völlig fehlende Flakschutz unserer Flugplätze ein viel wichtigerer Minusfaktor in dieser Rechnung? Und schließlich: Wie wird es mit unserem Flugzeugbestand in den Jahren 1975/76 und zu Ende der siebziger Jahre aussehen?
({12})
Sollten diese Passagen des Weißbuches nicht überarbeitet und durch eine etwas wirklichkeitsnähere Darstellung ersetzt werden? Nach meinen Informationen hat die NATO selbst ihre bisherige Bewertung der Panzerwaffen und Luftwaffen in allerjüngster Zeit zuungunsten des Westens revidiert. Mir scheint, daß die Darstellung des Weißbuchs nicht nur im Punkt „Fregatten", den der Minister erwähnt hat, sondern auch hier auf einer bereits überholten Beurteilung beruht.
Das Weißbuch charakterisiert die sowjetische Europapolitik als konservative Machtpolitik, auf Konsolidierung ihrer Interessensphäre bedacht, ohne die Absicht territorialen Gewinns. Scheinbar folgerichtig ist dann auch an anderer Stelle von „Verteidigungsanstrengungen der Sowjetunion" die Rede. Die Sowjetunion hat als einzige Macht des zweiten Weltkriegs durch Annexion von polnischen Ostgebieten und anderen Gebieten einen territorialen Gewinn erzielt. Seit dieser Zeit hat sie eine Erweiterung ihres Hoheitsgebiets nicht mehr erkennbar angestrebt. Darauf aber kommt es überhaupt nicht an. Die Expansionspolitik der Sowjetunion ging vielmehr auf politische Unterwerfung der umliegenden Staaten, also auf Herstellung von Satellitenverhältnissen; das ist ihre moderne Form des Imperialismus.
Wenn die Bundesregierung nur noch von „Verteidigungsanstrengungen der Sowjetunion" spricht, so verrät sie damit ein bedenkliches Maß an Blindheit.
({13})
Noch in der letzten Lagebesprechung des Verteidigungsausschusses mit den Experten des Ministeriums war unstreitig, daß die Streitkräfte des Warschauer Pakts in Europa nach Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung und strategischer Konzeption nicht defensiv, sondern offensiv angelegt und ausgerichtet sind.
({14})
Wie es an der Südflanke der NATO mit den „Verteidigungsanstrengungen" der Sowjetunion aussieht, kann man zur Zeit in allen Zeitungen lesen. Nachdem ich soeben von einer Reise in den Norden zurückgekehrt bin, möchte ich die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf die Nordflanke des Bündnisses richten. Dort ist die Überlegenheit
der Sowjetunion auf der Halbinsel Kola gegenüber der NATO wie folgt: Bei der Truppenstärke 4 : 1, bei den Panzern 23 : 1, bei der Artillerie 6: 1, bei der Luftwaffe 7 1, bei der Marine 4 : 1. Die offizielle NATO-Analyse lautet dort: Norwegen ist von der Sowjetunion eingekreist, das Nordmeer von der Sowjetunion kontrolliert. Auch dort verstärken die Sowjets ihre Potentiale laufend, und zwar nicht gegen uns, sondern unmittelbar gegen ein kleines, friedliebendes, tapferes Volk, die Norweger. Unmittelbar an der sowjetisch-norwegischen Grenze hat vor kurzem ein großes amphibisches Landemanöver mit einem vorhergehenden sowjetischen Truppenaufmarsch stattgefunden, obwohl diese Grenze in Friedenszeiten von norwegischer Seite praktisch unbewacht ist.
Wird die Bedrohung der Süd- und Nordflanken der NATO, die sich laufend verstärkt hat, in den letzten Monaten nicht augenfällig? Paßt das zu der Formulierung der Bundesregierung im Weißbuch von den bloßen Verteidigungsanstrengungen der Sowjetunion wirklich hinein? Wenn die Bundesregierung bei dieser militärischen Gesamtlage -und auf die kommt es an, nicht auf täglich wandelbare Absichten - die Beruhigungspille des politischpsychologischen Gleichgewichts in Verkehr bringt und wenn sie dann vollends erklärt, es genüge, nicht weniger zu tun als bisher, so muß ich sagen, das ist eine große Verharmlosung.
({15})
In den sicherheitspolitischen Ausführungen des Weißbuchs habe ich ferner einen entscheidenden Problemkreis vergeblich gesucht, den Begriff der Vorwarnzeit. Herr Minister Schmidt, wenn ich als Lehroffizier bei einem Stabsoffizierslehrgang eine Klausur über aktuelle strategische Probleme schreiben ließe und dieses Thema in einer Klausurarbeit nicht erwähnt wäre, so würde ich diese Arbeit mit der Zensur „mangelhaft" zurückgeben.
({16})
Nun gibt es zwischen einer Lehrgangsarbeit und dem Verteidigungsweißbuch der Bundesregierung ganz sicher einige Unterschiede. Der geplagte Lehrgangsteilnehmer mag aus Unwissenheit oder Vergeßlichkeit gehandelt haben. Das unterstelle ich der Bundesregierung nicht. Hier kommt nur Vorsatz in Frage, und das leuchtet auch ein. Eine realistische Behandlung dieses Komplexes hätte das Kartenhaus zum Einsturz gebracht, auf dem die Lagebeurteilung des Weißbuches beruht.
({17})
Das aber macht die Unterlassung nicht weniger unverzeihlich. Man hätte nämlich zu dem Problem der politischen Vorwarnzeit Stellung nehmen müssen, an die selbst ihre britischen Erfinder niemals ernstlich geglaubt haben. Ich habe den Eindruck, daß die politische Vorwarnzeit inzwischen in aller Stille beigesetzt wurde. Stimmt das, Herr Minister?
({18})
Man hätte erklären müssen, daß das Potential des Warschauer Paktes einen viel höheren Bereitschaftsgrad besitzt als die NATO-Einheiten, also ohne oder mit ganz geringer militärischer Vorwarnzeit für den Westen zu Aktionen in der Lage ist. Unter dem Eindruck dieses Tatbestandes hätten alle Uberlegungen zur Einschränkung der Präsenz der Bundeswehr, vor allem die Reduzierung des Grundwehrdienstes, gesehen werden müssen. Dies durfte aber wohl nicht sein.
Wie steht es mit der atomaren Schwelle? Soll sie nach Auffassung der Bundesregierung möglichst hoch oder soll sie möglichst niedrig sein? Nach den sehr vagen Andeutungen in Ziffer 25 des Weißbuchs könnte man zu dem Schluß kommen, daß die Bundeswehr und überhaupt die konventionellen NATO-Truppen nicht viel mehr als eine Stolperdrahtfunktion ausüben sollen. Wenn ich dann noch die kurz- und langfristigen Umschichtungen zu Lasten der konventionellen Rüstung betrachte, so bleibt im Wege der Deduktion nur noch übrig, anzunehmen, daß die Regierung eine sehr niedrige atomare Schwelle einplant, d. h. den Einsatz von Atomwaffen in einem sehr frühen Stadium der Auseinandersetzung in Kauf nimmt. Will das die Bundesregierung wirklich?
Ein regierungsamtliches Dokument, das mit derartigen Ansprüchen angetreten ist, mit so viel propagandistischem Aufwand zustande kam und dann so wichtige Zusammenhänge bewußt ignoriert, entwertet sich damit selbst; es bringt sich um den Ruf der Objektivität.
Das Weißbuch räumt der Idee einer ausgewogenen gegenseitigen Truppenreduzierung in Zentraleuropa ein großes Gewicht ein. Sie wird als eine Schlüsselfrage europäischer Ausgleichspolitik bezeichnet. Sie selbst, Herr Minister, haben diesem Vorschlag in den letzten Monaten wiederholt Priorität verliehen. Aus aktuellem Anlaß, nämlich im Hinblick auf die NATO-Konferenz in Rom, möchte ich auf den diesbezüglichen Sachstand doch näher zu sprechen kommen. Die NATO-Konferenz in Rom hat den allgemein gehaltenen Appell von Reykjavik aus 1968 zu einem förmlichen Angebot an die, wie es heißt, „interessierten Staaten" verdichtet, in Gespräche über beiderseitige ausgewogene Truppenverminderungen einzutreten. Ich darf daran erinnern, daß die damalige, von der CDU/CSU geführte Bundesregierung den Appell von Reykjavik an führender Stelle unterstützt hat. Das Verhandlungsangebot wurde jetzt in voller Kenntnis der Tatsache gemacht, daß die früheren Appelle ohne jede Reaktion aus dem Osten geblieben waren.
Wir sind auch weiterhin der Meinung, daß man nichts unversucht lassen sollte, um ohne weitere Verschlechterung der Gleichgewichtslage die Potentiale zu reduzieren. Die Frage ist aber, welche Chancen diesem Versuch vernünftigerweise einzuräumen sind. Nicht ohne Grund stellte der französische Außenminister auf dieser Konferenz die Frage, was denn geschehen solle, wenn die andere Seite einen solchen Vorschlag nicht annehme. Die „Stuttgarter Zeitung" vom 29. Mai 1970 schreibt in einer Konferenzbetrachtung dazu - ich zitiere -:
Aber niemand stieß zum Kern des Problems vor. Niemand stellte die Gretchenfrage, warum sich wohl die Sowjetunion auf Verhandlungen über eine wechselseitige Reduzierung der Truppen in Europa einlassen sollte, solange sie die begründete Hoffnung auf eine einseitige Reduzierung der westlichen Streitkräfte durch eine wesentliche Verminderung der in Europa stationierten amerikanischen Truppen haben kann.
({19})
Selbst die schwer zu übersehende Tatsache, daß ein Ausschuß des amerikanischen Senats ausgerechnet am Tage vor dem Zusammentritt der NATO-Konferenz mit einer neuen Überprüfung der militärischen Verpflichtungen der USA in Europa begonnen hat, konnte die Verteidigungs- und Außenminister der Allianz nicht aus ihrer allzu taktvollen Zurückhaltung herauslocken.
Soweit das Zitat aus der ,Stuttgarter Zeitung".
Es freut mich gleichwohl, wenn die NATO-Regierungen im wesentlichen einer Meinung sind, daß ein solcher Versuch gemacht werden sollte. Ich kann mich aber nicht des Eindrucks erwehren, daß dabei die Haltung mitspielt: Nützt es nichts, dann schadet es nichts. Laßt den Leuten ihr Spielzeug; sie werden schon sehen, wie weit sie kommen! Noch deutlicher scheint mir diese Beurteilung auf amerikanischer Seite schon bei dem Besuch des Bundeskanzlers und des Verteidigungsministers in Amerika im März dieses Jahres geworden zu sein.
Wie weit man mit diesem Vehikel kommt, hat jetzt die „Prawda" vorn 31. Mai wohl früher, als erwartet, klargemacht. Darin heißt es:
Der Vorschlag einer ausgewogenen Reduzierung der Streitkräfte der NATO und des Warschauer Paktes ist für die sozialistischen Länder
völlig unannehmbar. Es handelt sich dabei nur
um ein taktisches Manöver der NATO. Bekanntlich steht in der „Prawda" nichts, was nicht der erklärte Standpunkt der Sowjetunion ist. Und da
die Bundesregierung laut Weißbuch weiß, daß im Ostblock nichts Wesentliches ohne die Sowjetunion geschehen kann, gilt das auch für die übrigen Ostblockstaaten.
Die Bundesregierung mag über eine solche Reaktion enttäuscht sein, insbesondere Sie, Herr Minister Schmidt, der sie noch in PPP vom 27. Mai 1970, also vor wenigen Tagen, eine totale Ablehnung dieser Vorschläge durch die Sowjets als ganz unwahrscheinlich bezeichnet haben.
({20})
Wenn ich mir die zunehmende Verdünnungspolitik der NATO betrachte, jetzt verstärkt durch die Politik der Bundesregierung, dazu die Unlust der Amerikaner, ihre jetzige Präsenz in Europa beizubehalten, dann ist in der Tat für die Sowjetunion nicht der geringste Grund vorhanden, auf derartige Gedankengänge einzugehen. Der Wert eines solchen Vorstoßes der NATO liegt für mich ausschließlich in der Desillusionierung einiger unermüdlicher Traumwandler.
Ich steile ohne Schadenfreude fest: auf diese Weise werden wir von unseren Verteidigungskosten schwerlich herunterkommen. Ich frage die Bundesregierung, welche Konsequenzen sie ziehen will, wenn die Absage der Sowjetunion vollends und offiziell auf dem Tisch liegen wird.
Es liegt für die Bundesregierung nahe, aus dieser Konferenz von Rom auch für ihre Ostpolitik Honig zu saugen. Es ist immer gut, auf internationalen Applaus von Freunden verweisen zu können. Herr Minister Schmidt hat ja auch nicht verfehlt, vorher darauf hinzuweisen. Was diese Zustimmung im eineinzelnen enthält, wird allerdings nur durch die ganz genaue Lektüre des langen Kommuniqués klar.
({21})
Ich darf die gerade für die Ostpolitik entscheidende Ziffer 4 des Kommuniqués zitieren:
Die Minister bekräftigen, daß der Friede, um dauerhaft zu sein, auf der Respektierung des Rechts der europäischen Völker beruhen muß, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, ohne daß sie von außen mit intervention, Zwang oder Nötigung bedroht werden.
({22})
Diese Stelle, Herr Minister Schmidt, haben Sie vorher nicht vorgelesen.
({23})
In Ziffer 8 ist schließlich auch die Hoffnung ausgedrückt, daß bei einer Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands - nicht etwa zwischen den beiden deutschen Staaten ({24})
die Entwicklung der Kommunikation zwischen den Menschen nach Kräften erleichtert wird.
Schließlich ist von der Bereitschaft zu multinationalen Kontakten zwischen Ost und West die Rede. Als Themen solcher Kontakte sind genannt größere Freizügigkeit, Förderung der Zusammenarbeit im kulturellen, wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Bereich und auf dem Gebiet der menschlichen Umwelt. Mit anderen Worten: Hier sind eindeutig das Selbstbestimmungsrecht und die menschlichen Erleichterungen angesprochen.
({25})
Ich erkläre hier für die CDU/CSU-Fraktion: Würden
Bundesregierung die Ostgespräche der Bundesregierung allein auf diesen Grundsätzen bewegen, so wäre der wesentliche Teil der Besorgnisse in meiner Fraktion gegenstandslos.
({26})
Wir fordern also die Bundesregierung auf, im Geiste dieses Kommuniqués zu handeln.
Eine Feststellung drängt sich mir allerdings zu den NATO-Konferenzen der letzten Zeit auf. Das Thema, wie die Verteidigung innerhalb der europäischen Staaten enger und wirksamer gestaltet werden kann, scheint überhaupt nicht mehr gefragt
zu sein. Auch eine gemeinsame Vertretung militärischer und politischer Interessen gegenüber dem Partner USA kommt den europäischen Regierungen offenbar nicht mehr in den Sinn. Ich würde das als einen glaubwürdigen Hintergrund für die Entspannungsbemühungen betrachten, die einer NATO- Konferenz gut angestanden hätten. Umweltbedingungen und Truppenreduktion in allen Ehren, - aber schließlich ist die Verteidigung die primäre Aufgabe der NATO und wird es nach allem, was wir heute wissen, wohl auch bleiben.
({27})
Ich komme nun zu dem haushalts- und rüstungswirtschaftlichen Teil des Weißbuchs. Die Regierungspolitik bis 1973 ist hier durch folgende Punkte gekennzeichnet:
1. ständig sinkender Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt, im Jahre 1973 noch 19,9 %;
2. durchschnittliche jährliche Zuwachsrate von 2,8 %, d. h. weniger, als zum Ausgleich des Kaufkraftschwundes notwendig ist;
3. starke Drosselung der Ausgaben für Rüstungsinvestitionen gegenüber dem Rüstungsplan.
In allen drei Punkten melde ich den Widerspruch meiner Fraktion an.
Welche Folgen hat eine solche Politik? Die Kritik der USA an unserem Verteidigungsbeitrag wird sich verstärken, ebenso die Gruppe derjenigen Senatoren und Kongreßmitglieder, die eine Reduzierung des US-Kontingents in Europa oder einen direkten deutschen Beitrag für die Stationierungskosten fordern. Es genügt eben nicht, nur auf die Einsicht der USA in die Wichtigkeit der europäischen Position zu vertrauen, wie es das Weißbuch tut. Man muß auch etwas dafür tun, und zwar nicht nur unerbetene Ratschläge auf Parteitagen für die Fernostpolitik der USA erteilen.
({28})
Es ist Ihre Sache, Herr Minister Schmidt, sich um eine angemessene Erhöhung des Verteidigungshaushalts entweder nicht genügend bemüht oder sich nicht durchgesetzt zu haben.
Es kann die Bundesregierung nicht entlasten, wenn sie auf die Haushaltspolitik anderer europäischer Staaten hinweist. Wir liegen an der unmittelbaren Nahtstelle zum Osten wie niemand sonst, und jede Schwäche des konventionellen Potentials würde zunächst einmal mit Verlust auf unserer Seite und unseres Bodens bezahlt werden müssen.
Die Steigerungszahlen des Verteidigungshaushalts sind so unzureichend, daß sie nicht einmal ausreichen, die Auswirkungen des Inflationskurses der Bundesregierung aufzufangen.
({29})
Selbst wenn man also dem Satz zustimmen würde, es genüge, wenn man nicht weniger tue als bisher - wie es im Weißbuch steht -, so straft sich die Bundesregierung damit selbst Lügen, weil sie faktisch weniger tut als bisher.
Was sich hinter dem euphemistischen Wort von der Umschichtung des Verteidigungshaushalts auch verbirgt, es ist das der stärkste Schlag gegen die Kampfkraft der Bundeswehr überhaupt.
({30})
Denn rund 3 Milliarden DM sollen der Rüstung entzogen werden, wobei die Kostenexplosion für die vorgesehenen Maßnahmen noch gar nicht eingerechnet ist.
Die Folgen einer zunehmenden technischen und funktionellen Überalterung von Waffen und Gerät werden offenbar in Kauf genommen. Schon nach dem bisherigen Rüstungsplan haben die Experten auf die Gefahr hingewiesen, daß nicht alle Bereiche der Rüstung auf einem modernen Stand gehalten werden können. Daß die Regierung nun eine rasch zunehmende Veralterung des Materials billigt, wird sich auch bei den potentiellen Freiwilligen herumsprechen, und zwar wohl kaum mit positiven Wirkungen.
Die rüstungspolitischen Erfordernisse, die das Weißbuch selber aus der militärischen Lage und dem derzeitigen Stand der Bewaffnung ableitet, stehen in krassem Widerspruch zu den bis jetzt bekannten Streichungen. So fordert man die Beweglichkeit des Heeres und kürzt das Transporthubschrauberprogramm. Man klagt über die ungenügende Eignung des Starfighters für den konventionellen Einsatz und verlängert gleichzeitig seine Indiensthaltung nicht bis 1975/76, sondern über 1980 hinaus, was für das Gros der F 104, wie jeder weiß, nicht geht. Man stellt die starke Rolle der Luftwaffe im Erdkampf fest und halbiert die Beschaffungszahlen des MRCA. Wenn man jetzt eine zweisitzige und zweimotorige Lösung beim MRCA anstrebt, dann ist klar, daß dieses Flugzeug entgegen der ursprünglichen Absicht eben nicht die 104 und die Fiat G 91 ersetzen kann, weil es für Erdunterstützung viel zu kostbar ist. Die Frage bleibt also: Wie wird die Flugzeuglücke für den Erdkampf ausgefüllt? Was sind die Planungen der Regierung dazu? Diese Frage ist im Weißbuch völlig offengeblieben.
Wenn ich mir die ganze Gespaltenheit des Weißbuches in diesen Rüstungsfragen ansehe, wo nicht zu Ende gedachte Streichungen vorgenommen worden sind, dann kann ich mir das leztlich nur mit der persönlichen Position des Verteidigungsministers auch innerhalb seiner Partei erklären. Herr Minister Schmidt, Sie sind viel zu intelligent, als daß Ihnen der doppelte Bruch in diesem Weißbuch entgangen sein könnte; einmal der Bruch zwischen militärischen Fakten und ihrer Beurteilung, zum anderen zwischen Ihrer anfechtbaren Beurteilung und den daraus überhaupt nicht gezogenen Konsequenzen auf dem militärischen Gebiet.
({31}) - Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Anders kann ich mir auch nicht erklären, daß Sie grundlos und ohne nähere Prüfung schon im vergangenen Jahr von einer Verkürzung der Wehrpflicht, ja von einer Option für eine BerufsDr. Zimmermann
armee gesprochen haben. Sie wissen genausogut wie ich, daß das verteidigungspolitische Programm in Wirklichkeit Bestandteil des Vorleistungsprogramms der Bundesregerung für den Ost-WestDialog ist. Mit diesem Programm entfernt sich die NATO in Mitteleuropa noch weiter vom Zustand des Gleichgewichts, als das schon bisher der Fall ist. Das psychologisch-politische Gleichgewicht, von dem Sie sprechen, kann Ihnen niemand, der kritisch ist, abnehmen. Ganz sicher würde das der Osten nicht abnehmen.
Diese Bundesregierung hat zu verantworten, auf Sicht weniger Sicherheit zu produzieren, als notwendig ist, um die Bundesgenossen zu halten, weniger, als notwendig ist, um zusammen mit dem Bündnis die Gegner abzuschrecken. Die Sicherheit hat ihren Preis. Und so bleibt nur festzustellen: Das Weißbuch 1970 vernachlässigt zugunsten außen-, sozial- und leider auch zugunsten parteipolitischer Momente die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.
({32})
Präsident von Hassel: Das Wort hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Buchstaller. Für ihn sind 30 Minuten angemeldet. Außerdem hat er um die Genehmigung nachgesucht - die ich erteile -, eine vorbereitete Rede zu halten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Beweis, daß die Bundesregierung es mit der äußeren Sicherheit ernst meint und diese ständig im Auge hat, legt sie heute in Form des Weißbuches 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr vor. Diese umfassende und gründliche Arbeit, hinter die sich die gesamte Bundesregierung stellt, hat offensichtlich die Handschrift des Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt.
Die Bestandsaufnahme, die uns heute vorliegt, ist die erste seit fünfzehn Jahren Bundeswehr. Ich sage diesen Satz mit Absicht; denn das Weißbuch 1969 war sicher ein Anfang, aber erst das Weißbuch 1970 entspricht unseren Vorstellungen hinsichtlich Ausführlichkeit und Präzision. Helmut Schmidts Dynamik und seinem Elan ist es zu verdanken, daß diese Bestandsaufnahme eingeleitet und so schnell zu Ende gebracht wurde. Erfreulich ist auch der Stil, in dem das Buch geschrieben wurde. Damit wird die schwierige Materie auch jedermann leichter verständlich.
({0})
- Das einzige? - Ich glaube, das ist etwas übertrieben. Ich habe überhaupt zur Kenntnis genommen, daß ein - mindestens in der Ausschußarbeit
- so objektiver Mann wie Dr. Zimmermann glaubt, die Leistung dieses Weißbuches nicht anerkennen zu sollen. Dieses Buch ist nicht nur die Leistung eines Mannes. Vielleicht hat Dr. Zimmermann die Gelegenheit wahrnehmen wollen, den Minister zu „zerreißen". Aber für die Männer, die Tag und
Nacht dieses Weißbuch zusammengetragen und erarbeitet haben,
({1})
nicht in einem Punkt eine Anerkennung und eine positive Wertung zu finden, halte ich schlechthin für unmöglich.
({2})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
Herr Kollege Buchstaller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Zimmermann diese Leute gerade ausdrücklich gelobt hat, daß er sich aber sonst beziehen mußte auf die Ausführungen des Herrn Ministers selber, daß ,alles seine Handschrift sei, was in diesem Weißbuch stünde? Eine klarere Übernahme der Gesamtverantwortung durch den Minister für jede Aussage kann man ja wohl nicht aussprechen.
Selbstverständlich wird diese klare Übernahme der Verantwortung nicht bestritten. Aber, Herr Dr. Klepsch, diejenigen, die im Verteidigungsausschuß wiederholt gezwungen sind, Fachdebatten zu führen, mußten doch annehmen, daß der erste Sprecher der Opposition auch auf einige Punkte einginge, die aus der Sicht der Opposition in dieser Diskussion als positiver Beitrag zu werten sind.
({0})
- Das kommt noch? - Da bin ich sehr froh. Nur erwarte ich sie keinesfalls von Herrn Dr. Klepsch, das sage ich Ihnen ganz offen.
({1})
Ich muß Ihnen jedenfalls, Herr Minister, bestätigen, daß ich es für gut halte, daß Sie in diese Arbeit auch Mitarbeiter einbezogen haben, die aus anderen Wissensgebieten Wesentliches mit eingebracht haben in die Formulierung dieses Buches. Mit diesem Weißbuch wurde nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine fundierte Grundlage für unsere verteidigungspolitische Arbeit im Parlament und für eine sachliche Auseinandersetzung über alle Wehrfragen in der Öffentlichkeit geschaffen. Außerdem ist die Bundeswehr für den Außenstehenden transparenter geworden. Auch die Soldaten haben damit eine Richtschnur erhalten, die ihre Aufgabe erleichtert und klar und deutlich sagt, was die Bundesregierung von ihnen erwartet.
Die mir aus Kreisen der Bundeswehr bisher bekanntgewordenen, durchweg positiven Reaktionen betonen ausdrücklich diesen klärenden Charakter des Weißbuches. Viele Mißverständnisse in der Bundeswehr und viele Mißverständnisse über die Bundeswehr wurden ausgeräumt. Dies scheint mir
schon heute einer der wichtigsten Erfolge des Weißbuches zu sein.
An dieser Stelle will ich namens der SPD-Fraktion all denen danken, die in den vergangenen Wochen und Monaten unter vollem Einsatz sich alle nur erdenkliche Mühe gegeben haben, um trotz des Zeitdrucks mehr zustande zu bringen als lediglich eine Aneinanderreihung von Informationen. Unser besonderer Dank gilt natürlich Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der nicht nur geistiger Urheber, sondern auch Motor dieser Bestandsaufnahme war.
Dieses Weißbuch 1970 entspricht unseren Erwartungen. Es bildet die Grundlage der Wehrpolitik der neuen Bundesregierung. Gleichzeitig ist es Ausgangspunkt zu weiteren Konkretisierungen in speziellen Bereichen. Dazu sind bereits fünf konkrete Untersuchungen im Weißbuch angekündigt. Darüber hinaus werden durch zahlreiche Gesetzesvorlagen der Bundesregierung und interne Änderungsmaßnahmen im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums Schritte zur Behebung der Probleme der Bundeswehr und zur Stärkung der Schlagkraft der Streitkräfte eingeleitet. Verteidigungsminister Helmut Schmidt wird bei diesen Anstrengungen die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion haben.
Die Erwartungen und die Hoffnungen, welche Soldaten und Öffentlichkeit in Helmut Schmidt als Verteidigungsminister gesetzt haben, sind durch das Weißbuch 1970 erfüllt worden. Die Unruhe in der Öffentlichkeit und in der Bundeswehr sowie die Gegensätze in der Diskussion um die Bundeswehr wurden mit seinem Amtsantritt bereits weitgehend gemildert. Zudem bahnen sich Entwicklungen an, die das Verständnis unseres Volkes für Sicherheitsfragen vergrößern und die der Bundeswehr den ihr gebührenden Platz in unserer Gesellschaft stärken. Der Gesetzgeber darf - und hier möchte ich Minister Schmidt ausdrücklich unterstreichen - dieses gestiegene Vertrauen zur politischen Führung nicht enttäuschen.
Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren oft und gern als ein „Unternehmen" oder ein „Betrieb zur Produktion von Sicherheit" angesprochen. Das ist gut und nützlich in vielerlei Hinsicht. Es darf aber nicht übersehen werden, daß dein „Vorsitzer des Vorstands" dieses „Unternehmens" Bundeswehr weit weniger Vollmachten zustehen als beispielsweise dem Vorstand einer Aktiengesellschaft. Viele Befugnisse sind auf uns, das Parlament, übertragen. Diese Befugnisse werden von verschiedenen Ausschüssen des Bundestages, manchmal, so meine ich aus der Sicht des Verteidigungsausschusses, von zu vielen anderen Ausschüssen wahrgenommen. Über vieles wird in den Ausschüssen des Bundestages, vor allem auch im Haushaltsausschuß, mit entschieden.
Die Fragen der Besoldung und die Maßnahmen zur Berufsförderung setzen z. B. einen großen Mechanismus des Bundestages und teilweise auch des Bundesrates in Bewegung; denn zu diesen und zu einer Reihe anderer Fragen wollen auch die Länder gefragt sein. An einigen Stellen des Weißbuches klingen diese Schwierigkeiten an. Ich rechne trotz der ersten Rede der Opposition damit, daß sich auch die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion der Mitwirkung bei den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht versagen werden.
Aber auch noch in anderer Hinsicht bedarf der Verteidigungsminister unserer Unterstützung.
({2})
- Selbstverständlich! Er bedarf der Unterstützung des ganzen Parlaments, und wir bemühen uns auch darum.
({3})
Warum muß sich eigentlich die Debatte in den Fachausschüssen wesentlich von den Sachdebatten im Plenum unterscheiden?
({4})
Sie wissen ganz genau, daß wir gerade in der Frage der Stärkung der Verteidigungskraft und der Bewältigung der Probleme der Bundeswehr im Verteidigungsausschuß viele Berührungspunkte haben. Dennoch wird heute hier im Plenum über ein so umfangreiches Papier, das zum erstenmal erarbeitet worden ist, konträr diskutiert.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Ja.
Herr Kollege Buchstaller, ich möchte Sie, damit. Sie sich nicht noch mehr an Unnützem vergeuden, fragen, ob Sie bereit wären, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Weißbuch in zwei Teile zerfällt, nämlich zum einen in eine sicherheitspolitische Analyse und zum zweiten in eine Zusammenstellung von Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation der Soldaten, und wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Kollege Zimmermann ausschließlich zum ersten Teil, und hierzu mit Recht sehr kritisch, geäußert hat, daß aber der zweite Teil hier noch vom Kollegen Klepsch abgehandelt werden wird?
({0})
Ich nehme das gern zur Kenntnis. Aber gestatten Sie mir, dazu etwas zu sagen. Erstens glaube ich, daß jeder von uns, der sich mit der Debatte zu befassen hat, nicht nur auf das einzugehen hat, was heute gesprochen wird, sondern auch auf das, was in den letzten Tagen geschrieben wurde.
({0})
Minister Schmidt hat mit einem gewissen Recht einige Punkte angesprochen, über die inzwischen schon geschrieben worden ist.
({1})
- Er hätte 45 Minuten Redezeit beantragen können. Das ist doch gar keine Frage.
Hier geht es doch einfach um folgendes, Herr Dr. Klepsch; das muß einmal klar ausgesprochen werden.
({2})
Es geht darum, ob Sie anerkennen wollen, daß zur Stärkung der Verteidigungspolitik und der Schlagkraft der Streitkräfte Priorität Nummer eins die Lösung der Personalprobleme und der Personalschwierigkeiten in der Bundeswehr sein muß. Wenn Sie dem zustimmen, können Sie keinen anderen Weg wählen, als eine Umschichtung im Haushalt für Verteidigungslasten vorzunehmen.
({3})
Wenn Sie aber- ({4})
- Entschuldigen Sie, herr Dr. Klepsch!
({5})
- Entschuldigen Sie! Selbstverständlich! Wir werden auch auf diese Vorschläge wieder eingehen,
({6})
wenn wir in dem Umschichtungsprozeß, der eingeleitet worden ist., die Summen verlagern können, die dazu notwendig sind.
ich weiß, daß auch Sie nicht ohne soziales Gewissen die Frage der Bundeswehr untersucht haben.
({7})
Selbstverständlich! Aber weil Sie nicht bereit waren, den vielleicht gar nicht so populären Schritt einmal zu tun,
({8})
Rüstungsaufgaben und Rüstungsausgaben etwas zu strecken, waren Sie einfach nicht in der Lage und wären Sie auch künftig nicht in der Lage, das, Problem zu lösen. Das ist die Kernfrage, auf die, wie ich annehme, Herr Dr. Klepsch noch eingehen wird.
Die Fragen, ob die Bundeswehr und ob Verteidigungsanstrengungen überhaupt nötig sind, nehmen in dem Maße zu, in dem wir uns in Mitteleuropa von dem zweiten Weltkrieg entfernen. In anderen Teilen der Welt zeigt sich auch deutlich, daß die Folgen eines Einsatzes von Waffen nicht wert sind, mit Gewalt nationale Ziele zu verfolgen, eine Ideologie zu verbreiten oder irgendeinen Gebietsanspruch durchzusetzen. Die Streitkräfte unserer Zeit sind nur noch geeignet, anderen Staaten gegenüber das Recht zur Verteidigung zu behaupten. Ein System der Abschreckung soll den Einsatz von Waffen verhindern. Der Zweifel, ob dieses System diese Aufgabe zu lösen vermag, scheint begründet. Solange jedoch noch nichts gefunden ist, was an seine Stelle treten kann, bleibt es bei der Gemeinschaftsaufgabe, die .Abwehr zu organisieren. Dies sollten
wir gemeinsam, unserer Bevölkerung klarmachen.
Andererseits müssen wir uns-auch die Angehörigen der Bundeswehr - bemühen, Konflikte ohne Waffengewalt zu beseitigen. Ich spreche hiermit das weite Feld der Friedens- und Konfliktforschung an. Die Bundeswehr wird von ihren Gesichtspunkten aus für beide Gebiete wertvolle Beiträge liefern müssen und liefern können.
Es ist nicht meine Absicht, jetzt in allen Einzelheiten auf den Inhalt des Weißbuches einzugehen. Das werden meine Kollegen im Laufe der Diskussion noch tun. Es sei mir jedoch gestattet, einige Punkte des Weißbuches hervorzuheben.
Während das Weißbuch 1969 die Frage der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nur kurz anspricht, geht das Weßbuch 1970 sehr ausführlich auf diesen Komplex ein. Unsere Verteidigungsanstrengungen werden überzeugend und glaubwürdig motiviert. Das Weißbuch setzt diese Verteidigungsanstrengungen aber gleichzeitig auch in die richtige Relation zu den außenpolitischen Bemühungen der Regierung um Entspannung zwischen Ost und West. Es legt die Notwendigkeit dar, „in Europa durch Riistungskontrollvereinbarungen eine für alle Partner nicht minder verläßliche, cinch möglicherweise stabilere und billigere Sicherheitsstruktur zu schaffen als die bisherige".
Wenn es der Regierung der Sowjetunion wirklich ernst. ist mit ihrem Vorschlag für eine internationale Konferenz über die Sicherheit Europas, dann wird sie auf die Vorschläge der NATO zur beiderseitigen Truppenreduzierung mit realistischen Verhandlungsangeboten eingehen müssen. Niemand soll sich über das mögliche Ausmaß von Trunpenreduzierungen und einen frühen Zeitpunkt dafür Illusionen machen. Die ersten sowjetischen Reaktionen auf die Vorschläge von Rom sind nicht, das muß unumwunden zugegeben werden, besonders ermutigend.
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Nicht ermutigend! Ermutigend wäre für mich, wenn auf diese Bemühungen der Bundesregieung, eingebettet in die Bemühungen der NATO-Partner, auf seiten der Warschauer-Pakt-Staaten die Bereitschaft erkennbar wäre, zu einem echten Gespräch z' kommen und über diese Vorschläge zu verhandeln. Das wäre für mich ermutigender als das, was heute als Reaktion festzustellen ist.
In dem gesamten Prozeß einer etwaigen Truppenreduzierung, das möchte ich hier festhalten, darf das Sicherheitsgefühl auf beiden Seiten nicht verloren2770
gehen. Alle Völker Europas müssen sich auch in Zukunft in ihren jeweiligen Sicherheitssystemen oder in neu zu schaffenden Sicherheitssystemen geborgen fühlen können. Deshalb wird es für die Bundesrepublik besonders wichtig sein, daß die amerikanische Präsenz in Europa und besonders in unserem Lande gewahrt bleibt und nicht vorzeitig und einseitig abgebaut wird. Solange es Staaten gibt, deren Absicht es ist oder sein könnte, anderen Staaten den eigenen politischen Willen durch Gewalt oder durch Androhung von Gewalt aufzuzwingen, ist es notwendig, daß jeder Staat die Fähigkeit behält, sich zu wehren.
In diesem Zusammenhang möchte ich im Gegensatz zu den Darlegungen von Dr. Zimmermann die realistische Darstellung der Bedrohung durch die Streitkräfte des Warschauer Paktes im Weißbuch besonders hervorheben. Die differenzierten Methoden des Weißbuchs 1970 erlauben eine sachgerechte und realistische Einschätzung der uns gegenüberstehenden Streitkräfte. In diesem Jahr kommen auch die amerikanischen und britischen Untersuchungen zu den gleichen Ergebnissen wie wir. Was mir in diesem Zusammenhang - und deswegen habe ich das erwähnt - sehr wesentlich ist: Die nüchterne Betrachtung des Kräfteverhältnisses zwischen hüben und drüben erlaubt auch die Feststellung, die Helmut Schmidt getroffen hat: daß die Bundeswehr ein brauchbares und verläßliches und ein keineswegs ungenügendes Instrument der Sicherheitspolitik unseres Staates ist. Bei der früher oft geübten, an Panikmache erinnnernden übertriebenen Darstellung des militärischen Kräfteverhältnisses ergab sich nämlich für die Öffentlichkeit und für die Soldaten der Bundeswehr selbst zu leicht der Rückschluß, daß die eigenen militärischen Anstrengungen gemessen an denen der anderen Seite fruchtlos sind und weitere Anstrengungen fruchtlos bleiben müssen.
Im zweiten Teil des Weißbuches zur Lage der Bundeswehr finden wir die Darstellung des IstZustandes, gleichzeitig eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung, die - das nehme ich erfreut zur Kenntnis - einem Großteil sozialdemokratischer Forderungen entsprechen. Für viele Mängel müssen Maßnahmen noch erwogen werden, Mängel, deren Beseitigung unser aller Anstrengung bedarf. Entscheidend für diesen Teil des Weißbuches ist die Erkenntnis, daß für die Angehörigen der Bundeswehr in vieler Hinsicht noch Außerordentliches getan werden muß, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Wir müssen zumindest vorübergehend - und das möchte ich noch einmal unterstreichen: vorübergehend, aber jetzt zwingend - eine Umschichtung der Mittel vom Materialsektor auf den Personalsektor vornehmen; denn wenn es uns nicht gelingt, die Probleme im personellen Bereich zu lösen, haben ein noch so guter Panzer und ein noch so gutes Flugzeug im Verlaufe der Zeit nur noch Schrottwert. Auch in den Streitkräften macht erst der Mensch den Betrieb zum lebendigen Organismus, denn der Mensch als ein denkendes Wesen, das sich im Gegensatz zur Maschine ständig wechselnden Einsatzbedingungen anpassen kann, hat nun einmal in einem Dienstleistungsbetrieb, wie es die Streitkräfte sind, die größte Bedeutung. Aber seine Arbeitskraft - das kann doch auch von seiten der Opposition nicht verkannt werden - wird um so teurer, je höher der Lebensstandard steigt. Dieser Satz gilt für alle Lebensbereiche. Die Steigerung der Personalkosten ist für alle Dienstleistungsbetriebe, auch für die Bundeswehr, das zentrale Problem.
Ebenfalls von zentraler Bedeutung in gesellschaftlicher Hinsicht für unsere Jugend und unseren Rechtsstaat ist die Herstellung von Wehrgerechtigkeit. Die eingehende Behandlung des Komplexes Wehrgerechtigkeit, Wehrdienstverweigerung und Wehrpflichtsystem liefert uns Parlamentariern mehr sachliche Information, als wir bisher bekommen hatten. Der, wie ich sagen möchte, gelungene Versuch, den Bedarf der Bundeswehr an Wehrpflichtigen in eine mathematische Formel zu kleiden, wird uns viele künftige Entscheidungen erleichtern. Die Entscheidung, die Wehrdienstzeit zu kürzen, darf nicht daran scheitern, daß Bedenken hinsichtlich der Ausbildung ins Feld geführt werden. Der Verteidigungsminister und seine zuständigen Dienststellen werden dann eben nach neuen Formen und Methoden suchen müssen. Forschung und Praxis bieten manche Anregung dazu. Für jedwede Bedenken, für alle gegebenen Probleme und Schwierigkeiten gibt es Möglichkeiten der Abhilfe. Für Gerechtigkeit gibt es keinen Ersatz.
Auch die planerischen Überlegungen von Helmut Schmidt über die Kombination einer Berufsarmee und eines Milizsystems wird die Kommission über die Wehrstruktur zu überdenken haben, vor allen Dingen auch unter Berücksichtigung der Anpassung unserer Wehrorganisation an die Entwicklung unserer Industriegesellschaft. Das Parlament, insbesondere die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, wird diese Entwicklung aufmerksam zu verfolgen haben und mit eigenen Vorstellungen und Vorschlägen aufwarten müssen.
Uns Sozialdemokraten haben die soziale Lage des Soldaten und seine Einbettung in die Gesellschaft von jeher am Herzen gelegen. Es ist erfrischend, zu sehen, welche Ansätze zur Verbesserung sich in der kurzen Zeit seit der Amtsübernahme durch Helmut Schmidt im vergangenen Herbst ergeben haben und in Zukunft verwirklicht werden.
Nun ist es nicht etwa so, daß alle Erkenntnisse, die das Weißbuch enthält, neu sind oder bisher unbekannt waren.
({10})
Das Weißbuch hat ausdrücklich den vorhandenen Bestand aufgenommen. Zum Teil sind die Probleme sogar schon sehr, sehr alt und waren immer wieder Diskussionsgegenstand, auch in den Fachberatungen. Aber wenn die Probleme auch alt sind, so haben wir doch in den vergangenen Jahren aus dem Verteidigungsministerium darüber nicht viel mehr als die Erklärungen guter Absichten bezüglich ihrer Lösung gehört. Ausreichende Taten sind den Erklärungen nicht gefolgt.
Jetzt haben wir es im Weißbuch 1970 nicht mehr nur mit Erkenntnissen zu tun, sondern auch mit der Ankündigung einer ganzen Reihe von konkreten Verbesserungsmaßnahmen. Es ist müßig, die angekündigten internen Maßnahmen und die Gesetzesinitiativen einzeln aufzuzählen. Sie befassen sich fast ausschließlich mit der Person des Soldaten und seinem Wohlergehen. Helmut Schmidt sagt nicht nur, daß der Soldat ein Teil der Gesellschaft und uns allen ebenbürtiger Mitbürger ist, er will ihn auch so behandeln und am sozialen Fortschritt teilhaben lassen.
Aus parlamentarischer Erfahrung und langer Beobachtung des Geschehens in der Bundeswehr weiß ich jedoch - und nicht nur ich allein -, wieviel guter Wille von Politikern in der Vergangenheit an den veralteten Verwaltungsstrukturen in unserem Staate, an bürokratischer Gesinnung und an Gleichgültigkeit gescheitert ist: Wir hier im Parlament haben daher die Aufgabe, wenn es notwendig ist, dem Verteidigungsministers entsprechend Schützenhilfe zu gewähren und Maßnahmen durchzusetzen, welche den Ablauf der Prozeduren beschleunigen und erleichtern.
Der Abschnitt ,,Ausbildung der Soldaten" muß nach meiner Auffassung noch präzisiert und erläutert werden. Wir fordern, daß die Ausbildung in der Bundeswehr, soweit dies dienstlich tragbar ist, so gestaltet wird, daß der Soldat auch für sein ziviles Leben einen Vorteil davon hat. Das ist dann nicht nur ein Vorteil für ihn, den Soldaten, sondern auch ein Vorteil für unsere Gesellschaft. Meines Erachtens kann die Bundeswehr heute schon ohne weiteres mehr in dieser Richtung tun, als tatsächlich geschieht. Luftwaffe und Marine haben diesbezüglich schon manche Pionierarbeit geleistet.
In der Diskussion um neue Leitbilder für das Führungspersonal der Bundeswehr geht es heute darum, diese Leitbilder in die Wirklichkeit umzusetzen. Die Bundeswehr hat sich von der Vorstellung zu lösen, daß im militärischen Bereich der preußische Leutnant und im zivilen Bereich der preußische Assessor alles könnten. Sollen die Mittel für unsere Sicherheit sinnvoll eingesetzt werden, dann darf bei der Besetzung der Stellen nicht danach gefragt werden, ob ein Soldat oder ein Beamter einzusetzen ist. Das ist nur eine Frage des Status. Genauso wenig darf die Besetzung einer Stelle von der Zugehörigkeit zu einer Teilstreitkraft abhängig sein. Die Frage muß vielmehr lauten: Von welcher Art ist die an der Stelle zu leistende Tätigkeit, und welche Voraussetzungen muß der Stelleninhaber mitbringen?
Um die Aufgaben, die in der Bundeswehr zu leisten sind, als Gemeinschaftsaufgaben zu erkennen, sollte die Ausbildung auf möglichst vielen Gebieten in Einrichtungen vollzogen werden, die auch für andere Lebensbereiche zur Verfügung stehen. Dies ist zugleich ein guter Beitrag zur Integrierung der Bundeswehr.
Die Feststellung, daß weite Teile der Ausbildung gemeinsam durchgeführt werden können, führt von selbst zu dem Schluß, daß das Personal der verschiedenen Bereiche austauschbar ist. Der Soldat kann mit vergleichbaren zivilen Tätigkeiten konkurrieren.
Zugleich schafft eine Auffächerung der Laufbahnen I die Möglichkeit, durch eine funktionsorientierte Besoldung den tatsächlichen Tätigkeiten und dem tatsächlichen Verantwortungsbereich gerecht zu werden.
Eine solche flexible Besoldungsordnung erlaubt es, hochwertige Spezialisten in der Bundeswehr zu halten, ohne sie an Unteroffiziers- bzw. Feldwebellehrgängen scheitern zu lassen. Und eine solche Personalplanung liefert gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zum leidigen Problem der Wehrgerechtigkeit. Wie durch den Verteidigungsminister hier bereits dargetan, sind die Tauglichkeitsmerkmale ausschließlich an der Befähigung zu messen, einen brauchbaren Dienst in der Bundeswehr leisten zu können.
Auch die Dauer der Zugehörigkeit zur Bundeswehr beeinflußt das Ausbildungssystem. Neben Wehrpflichtigen stehen Soldaten mit zeitlich begrenzter Verwendung. Ich glaube, daß gerade in diesem Bereich eine Reihe von Vorschlägen des Weißbuches von uns im Verteidigungsausschuß aufgegriffen werden sollten, um sie dann in gesetzgeberische Initiativen umzuwandeln.
Ich sehe, Herr Präsident, daß meine Redezeit zu Ende geht. Ich versuche aus diesem Grunde, einige Punkte aus meinem Manuskript zu umgehen.
Auf eine Bemerkung, die Herr Dr. Zimmermann gemacht hat, möchte ich noch eingehen. Auch ich bin nicht sehr glücklich über die im Haushaltsausschuß übrigens einstimmig beschlossene Umwandlung der Sperrungen in Kürzungen.
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- Einstimmig! Und ganz einfach deshalb einstimmig, weil hier nicht verteidigungspolitische, sondern konjunkturpolitische Gesichtspunkte maßgebend waren. Es muß, glaube ich, ein Kompromiß gefunden werden, um in die Gestaltung des Haushalts künftig die Aspekte der Verteidigungspolitik angemessen einzubeziehen. Das ist eine Bitte, die ich vor allen Dingen an die Kollegen des Haushaltsausschusses, die diese entscheidende Verantwortung tragen, zu richten habe.
Ein paar abschließende Bemerkungen, Herr Präsident, in der Bemühung, die Redezeit nicht allzu stark zu überziehen, gestatten Sie mir hinsichtlich der neuen Waffensysteme zu machen, die von Herrn Zimmermann angesprochen wurden. Wir sind uns klar darüber, daß neue Waffensysteme auch unter dem Gesichtspunkt der Bedienung und Wartung gesehen werden müssen. Ich erinnere nur daran, daß die Bundesmarine schon seit Jahren einen Teil ihrer Kriegsschiffe einmotten muß, weil sie weder Personal noch finanzielle Mittel hat, um diese Schiffe im Dienst zu halten. Das Projekt des Kampfpanzers 70 ist nicht zuletzt daran gescheitert, daß dieser Panzer nur von hochqualifizierten Fachleuten hätte bedient werden können. Es geht also nicht nur um die finanziellen und haushaltspolitischen Gesichtpunkte; es geht wesentlich auch um die personellen Notwendigkeiten.
Waffensysteme und -geräte müssen vom Menschen voll beherrscht werden. In Friedenszeiten
darf die Truppe nicht durch ständige Wartungsaufgaben überfordert werden. Wir dürfen nicht noch einmal ein solch bitteres Lehrgeld zahlen, wie wir es beim Starfighter mit Menschenleben und Millionenverlusten bezahlen mußten. Ich stimme deshalb dem Verteidigungsminister voll zu, wenn er erklärt, daß er sich bei der Einführung, Entwicklung und Beschaffung neuer Waffensysteme nicht von einer genauen und umsichtigen Prüfung und Überprüfung, auch hinsichtlich der personellen Bewältigung, abbringen läßt, auch dann nicht, - Herr Minister, ich nehme das, was hier zum Ausdruck gebracht wurde, sehr ernst -, wenn ein Exponent der sehr starken Rüstungslobby als CDU-Abgeordneter im Verteidigungsausschuß sitzt.
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Wenn es um Milliardenbeträge und um die Sicherheit des Menschen geht, darf sich kein Verteidigungsminister unter Zeitdruck setzen lassen.
Unsere Vorstellungen von einem Plan oder von Planung überhaupt umfassen nicht nur voraussehbare neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Erfindungen. Es sind vielmehr auch andere Möglichkeiten zur Gestaltung der Verteidigung zu entwickeln. Das Planen darf die Wahlmöglichkeiten nicht verengen, sondern es muß sie erweitern. Für die, die zu wählen vermögen, bedeutet das einen Zuwachs an realer Freiheit. Jeder Plan beinhaltet eine Vorstellung oder einen Willen zur Gestaltung der Zukunft.
Form und Inhalt des Weißbuches lassen uns hoffen, daß die Bundeswehr unter Helmut Schmidt solche Planungen zuwege bringt, Planungen, die all die Veränderungen der Faktoren einbeziehen, von denen im ersten Teil des Weißbuches die Rede ist. Die Organisation zur äußeren Sicherheit, wird in weit höherem Maße dem Wandel unterworfen sein, als das bisher der Fall war. Zunehmend werden wir uns vom Hergebrachten lösen müssen. Auch die Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung müssen einbezogen werden. Die Organisation zur äußeren Sicherheit darf nie zum Selbstzweck werden.
Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen hier in diesem Hohen Hause soll der Mensch, einbezogen in unsere staatliche Ordnung, sein. Um ihn in den Genuß der im Grundgesetz formulierten Rechte zu bringen, bemühen wir uns, seinen Arbeitsplatz, seine Gesundheit, seinen Lebensstandard, seine Familie, Leib und Leben zu sichern. Für dies alles bedarf es auch einer Sicherung nach außen. Diese Sicherung ist aber nur gegeben, wenn die Menschen, die diese Gemeinschaftsaufgabe der Sicherung, sei es als Beruf, sei es als Wehrpflichtige, erfüllen, in unserer sozialen Fürsorge ihre Bestätigung finden. Nur dies gibt ihnen die Kraft und die moralische Rechtfertigung zu dieser schweren und verantwortungsvollen Aufgabe. Die SPD-Bundestasgfraktion ist sehr froh darüber, daß dem Weißbuch diese Einstellung zugrunde liegt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jung. Für ihn sind 45 Minuten Redezeit angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aussprache des Deutschen Bundestages über das Verteidigungsweißbuch 1970 der Bundesregierung findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem nicht nur die Außenpolitik, sondern insbesondere auch die europäische Sicherheitspolitik in Bewegung geraten ist. Ich möchte mich deshalb ebenso wie Herr Zimmermann in meinen Ausführungen besonders auf den ersten Teil des Weißbuchs konzentrieren und bedaure eigentlich, daß Herr Kollege Zimmermann nicht mehr anwesend ist, weil ich zu einer anderen Wertung komme als er. Die Tagung des NATO-Ministerrats in der vergangenen Woche in Rom hat nämlich gerade auf diesem Sektor zu bedeutsamen Beschlüssen geführt, meine Damen und Herren. Es ist ein gar nicht hoch genug einzuschätzender Erfolg dieser Bundesregierung und insbesondere ihrer beiden Minister Scheel und Schmidt, daß sie eine einschlägige Marschroute der NATO-Partner bei den Bemühungen erreichen konnte, zu kontrollierten gleichgewichtigen Rüstungsverminderungen in Ost und West zu kommen.
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Die Frage eines Abbaus der Rüstung in Europa gewinnt eine immer stärkere Bedeutung. Allen Einsichtigen und Gutwilligen in Ost und West wird immer klarer, daß der Fortschritt der Menschheit entscheidend gehemmt wird, wenn es nicht gelingt, die völlig unproduktiven Rüstungskosten entscheidend zu senken. Diese Interessenidentität ist völlig unabhängig von den politischen Zuständen in den einzelnen Ländern und den ideologischen Grundlagen, von denen die Militärblöcke jeweils getragen sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
Herr Jung, sind Sie wirklich davon überzeugt, daß auch die Verantwortlichen im Osten diese Meinung hegen?
Herr Kollege Damm, ich werde gleich noch darauf kommen. Sie sprechen sicher die Reaktion der „Prawda" an, die ja auch Herr Zimmermann hier vorhin erwähnte. Aber ich bitte Sie, sich einen Moment zu gedulden. Ich bin genau wie Generalsekretär Brosio der Meinung, daß eine harte Absage heute noch lange nicht bedeutet, daß morgen auf der östlichen Seite die gleiche Haltung besteht.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Ich will Ihren Ausführungen nicht vorgreifen, aber anschließend an die Frage meines Kollegen Damm fragen, wie Sie dazu kommen, es als besonders sensationell oder gar als Erfolg der Verhandlungsbemühungen zweier deutscher Minister zu werten, daß sich die NATO in Rom erneut bereit erklärt hat, Abrüstungsschritte zu unternehmen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß das seit langem das Angebot der NATO gewesen ist und bleiben wird?
Herr Kollege Wörner, natürlich kenne ich die Beschlüsse von Reykjavik, und ich kenne auch die Bemühungen der NATO seit langem um diesen gegenseitigen Abbau. Aber noch nie ist so deutlich geworden wie in Rom, daß eben alle NATO-Partner die Bemühungen der Bundesregierung, in Gesprächen mit den verschiedenen Gesprächspartnern im Osten aktiv zur Entspannung beizutragen, unterstützen. Das ist in der Vergangenheit noch nie so deutlich geworden wie gerade in diesen Tagen.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Damm?
Herr Jung, ist es denn notwendig gewesen, daß sich unser Außenminister, Ihr Parteivorsitzender, Herr Scheel, besonders bemühen mußte, um das zu erreichen? Haben die anderen Partner so große Schwierigkeiten gemacht?
Ich glaube, daß es sein besonderes Verdienst war, deutlich zu machen, was diese Bundesregierung will.
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Er hat sicher bei diesen Gesprächen und bei diesen Verhandlungen eben die volle Zustimmung der NATO-Partner in Rom in einem Maße erhalten, wie das in der Vergangenheit nicht der Fall war.
Auch der Kommunismus wird seinem Ziel, nämlich den Lebensstandard der Bevölkerung entscheidend zu verbessern,
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nicht näherkommen, wenn er auch weiterhin sein Geld wie bisher für die militärische Rüstung gewissermaßen zum Fenster hinauswirft. Ebenso fundamental ist das Interesse aller westlichen Nationen an einem Abbau der militärischen Konfrontation.
Für die Bundesrepublik ist diese Frage nicht nur deswegen von Bedeutung, weil Abrüstung ein besonders wichtiger Faktor bei den Bemühungen der Bundesregierung um eine wirksame Friedenssicherung ist. Darüber hinaus haben auch wir ein ökonomisches Interesse daran, die Rüstungsausgaben einzuschränken und auf diese Weise die Mittel zu gewinnen, die wir für die großen innenpolitischen
Reformen, wie etwa die unseres Bildungssystems, in den kommenden Jahren benötigen. Dieses Konzept der Bundesregierung, das in der vergangenen Woche in Rom mit unseren NATO-Partnern abgesprochen wurde und von ihnen gebilligt worden ist, wird nur dann Erfolg haben, wenn auch die Machthaber im Osten ihre wahren Interessen im Auge behalten. Ob sie vernünftig reagieren werden, Herr Damm, bleibt in 'der Tat abzuwarten.
Ich wiederhole noch einmal: Ich neige mehr der Ansicht des Generalsekretärs Brosio zu, der sagte, auch eine harte Reaktion bedeute noch nicht, daß nicht morgen im Osten die Einsicht größer werde, für einen gegenseitigen Abbau einzutreten.
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Auch hier gilt wie sonst in unserer Ostpolitik, Herr Klepsch, daß die Bundesregierung beharrlich, aber ohne Illusionen tun muß, was das Interesse der. Menschheit erfordert.
Es liegt auf der Hand, daß wir gerade im Bereich der Sicherheitspolitik nur in einer Weise aktiv werden können, die unsere fundamentalen Sicherheitsinteressen nicht gefährdet.
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Das heißt, bis es zu definitiven Vereinbarungen über eine gleichwertige Rüstungsverminderung in Ost und West kommt, muß das NATO-Bündnis absolut intakt und auf der vollen Höhe seiner Leistungsfähigkeit bleiben. Wir Freien Demokraten haben uns auch in der Vergangenheit bei den Bemühungen um eine Abrüstung stets gegen Vorleistungen gewehrt, obgleich uns gerade von Ihrer Seite so etwas hin und wieder unterstellt wurde. Wir stehen auch heute noch dazu. Materielle Vorleistungen sind - ich glaube, das sind wir mit der Breite des Hauses einig - kein Schritt hin auf einen gesicherten Frieden. Sie würden die Gegenseite nicht unbedingt zum Nachziehen veranlassen, sondern möglicherweise nur die Erwartung stärken, daß man den Westen auch ohne eigene Zugeständnisse schwächen kann.
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Es wird daher intensiver und langfristig angelegter .Bemühungen bilateraler und multilateraler Art bedürfen, um auf diesem besonders schwierigen Gebiet internationaler Verhandlungen zu Erfolgen zu kommen. Wir Freien Demokraten haben die hierfür erforderliche Geduld und unterstützen die Bundesregierung voll und ganz bei ihren entsprechenden Bemühungen.
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- Auch nach dem 14. Juni, Herr Damm.
In der Zwischenzeit gilt es, unsere westlichen Verteidigungsanstrengungen so effektiv zu gestalten, daß von ihnen eine wirklich abschreckende Wirkung ausgeht. Die FDP hat hierzu bei den großen verteidigungspolitischen Debatten der vergan2774
genen Jahre stets konsequent ihr Verteidigungskonzept vorgetragen.
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- Ich glaube, es sind große Teile darin eingegangen,
Herr Kollege Damm. Ich werde Ihnen das nachher
im einzelnen erläutern. Sie werden sich wundern.
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Wir haben darüber hinaus die Absicht der Bundesregierung dankbar begrüßt, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, die die Erfolge und die leider unbestreitbaren Schwächen unserer Verteidigungsanstrengungen aufzeigt. Das Verteidigungsweißbuch 1970 wurde dieser Forderung weitgehend gerecht. In verhältnismäßig kurzer Zeit ist es dem Verteidigungsminister und seinen Mitarbeitern gelungen, eine umfassende Übersicht über die Situation unserer militärischen Landesverteidigung zu geben. Hierfür spreche ich Ihnen, Herr Minister, und Ihren Mitarbeitern auch den Dank der Freien Demokraten aus.
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Das Verteidigungsweißbuch bringt eine Reihe von sehr konkreten Vorschlägen zur Beseitigung verschiedener Schwierigkeiten der Bundeswehr. Zu den Besoldungsverbesserungen, die wir Freien Demokraten ausdrücklich begrüßen, zu den Fragen der Wehrgerechtigkeit, der Personalstruktur, der Integration in die Gesellschaft werden meine Kollegen Ollesch und Krall sicherlich noch eingehend Stellung nehmen.
Aber mindestens ebenso wichtig wie diese kurzfristig durchzuführenden konkreten Maßnahmen zur Verbessernug der Besoldungsstruktur und zur Beseitigung personeller Engpässe sind die langfristigen Perspektiven, die sich aus dem Inhalt des Weißbuches für die Gestaltung unserer Landesverteidigung ergeben.
Der Bundesminister der Verteidigung hat sich, wie ich meine, zu Recht gehütet, in dem Weißbuch Patentlösungen vorzuschlagen. Er hat vorhin auch erklärt, er wolle die Debatte und die Ergebnisse dieser Debatte abwarten, um dann nach der Sommerpause diesem Hause die entsprechenden Lösungen vorzulegen, Die Versäumnisse der Vergangenheit gerade im Bereich der militärischen Landesverteidigung sind nicht durch Patentlösungen zu beheben. Es bedarf umfangreicher Strukturveränderungen in allen Bereichen, die sorgfältig aufeinander abgestimmt sein müssen und ein langfristiges Konzept voraussetzen, das eine ausreichende politische Rükkendeckung auch im Parlament genießt.
Nachdem wir schon im Frühjahr feststellen konnten, Herr Kollege Damm, daß erfreulicherweise Vorstellungen der FDP, die noch im vergangenen Jahr abgelehnt wurden,
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nämlich über die Gesamtorganisation der Landesverteidigung, durch eine Umorganisation, durch
eine Gliederung in der Spitze schon zu großen Teilen verwirklicht wurden, können wir heute feststellen, daß in wesentlichen Teilen des Weißbuches eine Bestätigung der Richtigkeit der Verteidigungskonzeption der FDP zu sehen ist.
Ich darf Ihnen noch einmal die wesentlichen Faktoren und Forderungen der FDP auf diesem Gebiet in die Erinnerung zurückrufen:
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1. Konzentration der deutschen Anstrengungen auf die konventionelle Verteidigung und Arbeitsteilung im Bündnis.
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2. Weitgehende Ausschöpfung des bisher brachliegenden Reservistenpotentials und Verbesserung des Erfassungs- und Mobilmachungssystems.
3. Dadurch ermöglichte Verkürzung der Dauer des Grundwehrdienstes auch als einen entsprechenden Beitrag zur Wehrgerechtigkeit.
4. Orientierung des Verteidigungsauftrages an einem realistischeren Kriegsbild, d. h. ausgehend nicht von allen beliebigen möglichen, sondern von den wahrscheinlichen gegnerischen Aktionen.
In diesem Zusammenhang stimmen wir der Beurteilung der Gefahren, die in den Abschnitten 25 bis 29 des Weißbuches aufgezeigt sind, uneingeschränkt zu. Hier wird nun endlich auch amtlich der Öffentlichkeit gesagt, wie die Lage wirklich ist:
1. Die großangelegte Aggression gegen Westeuropa, die zwar nicht ausgeschlossen ist, wird als wenig wahrscheinlich bezeichnet.
2. Auch die begrenzte Aggression gegen Teile des NATO-Gebietes, die auf territoriale Faustpfänder abzielt, wird für die überschaubare politische Etappe als wenig wahrscheinlich charakterisiert.
3. Als gegeben wird dagegen eine Lage skizziert, bei der die Gegner politische Pressionen ausüben, die auf militärische Mittel abgestützt sind; eine Aktionsform, die in ihrer Anwendung etwa auf Westberlin eine zusätzliche Spezifik besäße und besondere Gefahren heraufriefe.
Die Regierung folgert richtig, daß die Schmälerung ihrer politischen Entscheidungsfreiheit durch Druck oder Drohungen die eigentliche Gefahr ist, die der Bundesregierung und ihren Bündnispartnern widerfahren könnte. Genau diese Einschätzung ist eine der Grundlagen der seit Jahren vorgetragenen Verteidigungskonzeption der FDP. Wir freuen uns, feststellen zu können, daß hier Realismus und Objektivität den alten Zopf des Irrationalismus und der emotional motivierten Feindverteufelung abgeschnitten haben.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Komplex erwähnen, in dem sich die Freien Demokraten voll bestätigt sehen: die politisch richtig gewichtete Einordnung der zivilen Verteidigung. Zwei Gedanken möchte ich unterstreichen:
1. Der Aufbau der zivilen Verteidigung hängt weitgehend von der Mittelzuweisung ab. Angesichts der Haushaltslage des Bundes hat die Bundesregierung jedoch die von ihrer Vorgängerin vorgesehenen Ansätze nur halten, nicht aber erhöhen können.
2. Die unerläßliche Gleichbehandlung beider Komponenten der Gesamtverteidigung - militärischer und ziviler Bereich - zwingt zu einer Verstärkung der zivilen Verteidigung und zu einer Heranführung an den Aufbaustand der militärischen Verteidigung.
Herr Abgeordneter Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
Bitte schön!
Herr Jung, wie rechtfertigen Sie Ihre Behauptung, daß das Weißbuch eine realistischere Betrachtungsweise, d. h. also eine Betrachtungsweise von der Bedrohung hat, die lediglich davon ausgeht, daß wir vielleicht politisch erpreßt werden können? Denn in Ziffer 24 des Weißbuchs heißt es folgendermaßen: Die Warschauer-PaktKräfte in Mitteleuropa - und jetzt beginnt das Zitat -... sind weit stärker, als dies für die Abwehr eines Angriffs aus dem Westen nötig oder für die Aufrechterhaltung der sowjetischen Vorherrschaft erforderlich wäre. Die Existenz solch riesiger Streitkräfte darf nicht als Bluff betrachtet oder behandelt werden. Zudem erhöhen die Sowjetunion und ihre Verbündeten - anders als der Westen - ihre Verteidigungsanstrengungen von Jahr zu Jahr weiter. Es gibt kein konventionelles Gleichgewicht in Zentraleuropa.
Das ist alles Zitat des Weißbuchs.
Herr Kollege Damm, es gibt eine alte militärische Weisheit, die besagt, daß ein Angreifer dreimal so stark sein muß wie einer, der diesen Angriff abzuwehren gedenkt. Wenn Sie also unseren Forderungen in der Vergangenheit gefolgt wären, nämlich die konventionelle Komponente der Bundeswehr zu stärken, dann hätten wir heute nicht die so beklagten Lücken in der Panzerabwehr und in der Tieffliegerabwehr, sondern dann hätten wir das, was wir in den vergangenen Jahren gefordert haben,
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und wir hätten nicht Waffensysteme, von deren Einsatzmöglichkeit wir überhaupt nicht überzeugt sind, weil wir sie nämlich gar nicht zum Einsatz bringen können.
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Gestatten Sie eine zweite Frage?
Herr Jung, bedeutet Ihre Antwort, daß der Bundesminister der Verteidigung, Helmut Schmidt, die nukleare Komponente in der Bundeswehr abschafft?
Nein, diese Antwort bedeutet nicht, daß Herr Schmidt diese nukleare Komponente abschafft. Ich verweise auf die Interviews - ich komme nachher noch darauf -, die er auch im Zusammenhang mit der NATO-Ministerkonferenz in Rom gegeben hat. Es bedeutet, daß er bereit ist, diese Komponente im Rahmen der gegenseitigen Abrüstungsbemühungen in Frage zu stellen. Ich empfehle Ihnen, dieses Interview einmal kurz nachzulesen.
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- Lassen Sie mich kurz die Behandlung der zivilen Verteidigung zu Ende bringen. Es entspricht genau den Vorstellungen und den Forderungen der Freien Demokraten und unserer Festellung, daß eben die militärische Verteidigung inkonsequent ist und sinnlos werden kann, wenn ihr die zivile Verteidigung in der Dotierung, der materiellen Ausstattung und der Effektivität nicht entspricht,
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wenn der eine Sektor nicht fugen- und reibungslos in den anderen übergeht.
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- Ich freue mich, Herr Damm, daß Sie mir hier zustimmen.
Zur Frage der Verkürzung des Grundwehrdienstes wird in dem Weißbuch eine Reihe von Modellen entwickelt. Wenn sich das Verteidigungsministerium hinsichtlich dieser Modelle auch noch nicht entschieden hat, so ist es doch klar, daß die Probleme der Personalstruktur der Bundeswehr ohne eine einschneidende Verkürzung in der Zukunft nicht gelöst werden können. Es ist schon jetzt abzusehen, daß sich die Kommission, die diese Frage nochmals untersuchen wird, in dieser Richtung entscheiden muß. Wir Politiker sollten hier und heute schon deutlich sagen, daß der Zug in diese Richtung fährt. Wir Freien Demokraten jedenfalls stehen nicht an, das hier und heute auch deutlich zu sagen.
Allerdings haben wir die Forderung auf Verkürzung des Grundwehrdienstes auch nie isoliert erhoben. Wir haben damit eine ganze Reihe von Forderungen verbunden, insbesondere hinsichtlich der Behebung des Unteroffiziersmangels. Eine Einbuße an Kampfkraft soll nach unserer Vorstellung insbesondere aber auch dadurch verhindert werden, daß das bislang weitgehend ungenutzte Potential an ausgebildeten Reservisten für unsere Verteidigungsanstrengungen mit eingesetzt wird. Hierzu bedarf es eines wesentlich verbesserten Mobilmachungssystems. Auch in dieser Hinsicht sehen wir uns durch den Inhalt des Weißbuches vollauf bestätigt. Wir Freien Demokraten sichern der Bundesregierung schon jetzt unsere volle Unterstützung zu bei
ihren Bemühungen, die ausgebildeten Reservisten in unsere Verteidigungsanstrengungen einzubeziehen, auch im Rahmen der Präsenz. Wenn die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen den Reservisten nach Abschluß ihres Grundwehrdienstes die Anweisung erteilt hat, im Verteidigungsfall zu ihren alten Einheiten zurückzukehren, so ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Verteidigungsweißbuch unterstreicht die seit 1967 gültige NATO-Doktrin der flexiblen Reaktion. Auch die FDP ist seit langem der Ansicht, daß diese Doktrin einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem Prinzip der massiven Vergeltung darstellt. Letzteres war eigentlich nie recht glaubhaft und konnte deshalb auch nicht in dem Maße abschrekkend wirken, wie es erforderlich ist. Nur durch eine hochmoderne, leistungsfähige konventionelle Rüstung 'der Bundeswehr kann innerhalb der NATO unseren berechtigten sicherheitspolitischen Interessen Rechnung getragen werden. Mit Bedauern müssen wir feststellen, daß nicht zuletzt die schwierige Konjunkturlage - wie Herr Buchstaller es sagte -, in der wir uns infolge der unterlassenen Maßnahmen der früheren Bundesregierung in diesem Bereich befinden, zu Streichungen und zu Streckungen gerade im konventionellen Rüstungsbereich führen wird.
Die Situation der Bundeswehr, wie sie im Weiß- buch in bezug auf die Rüstungsplanung aufgezeigt ist, zeigt, wie sehr die FDP mit ihren von mir vorgetragenen Forderungen - ich erinnere an die Etatdebatte im Jahre 1968 - recht behielt, bei der Beschaffung atomarer Trägersysteme zugunsten der konventionellen Ausrüstung und des Personalbereichs zu kürzen. Schon damals schlug 'die FDP eine Kürzung um eine runde Milliarde D-Mark vor und forderte die Umschichtung dieser eingesparten Mittel - zumindest eines Teils dieser eingesparten Mittel, nämlich von 500 Millionen DM - zugunsten des personellen Bereichs. Wäre man damals diesem Vorschlag gefolgt, brauchten wir heute über die Probleme, über die wir uns nur unterhalten, gar nicht mehr sprechen; denn dann wären sie zumindest im personellen Bereich schon im wesentlichen in den letzten beiden Jahren gelöst worden.
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Vielleicht darf ich eines deutlich machen, nachdem hier in einer Zeitung steht, daß von mir Kritik an Minister Schmidt geübt wurde, weil diese Umschichtung jetzt eben nicht durchgeführt worden sei: Diese Forderung bezieht sich auf das Jahr 1968. Ich bitte Sie, die Protokolle nachzulesen. Es ist also nicht eine Forderung, die hier und heute gestellt wurde, sondern die von uns damals gestellt worden ist. Und ich weise nochmals darauf hin: Vieles wäre in der Zwischenzeit bereits erledigt worden.
Unter dem Druck der Umstände muß jetzt eine Reihe von Waffensystemen, wie schon in den vorhergegangenen Reden erwähnt, zum Teil zeitlich gestreckt und zum Teil gekürzt werden. Aber man soll jetzt aus den Sünden der Vergangenheit lernen und - hier wende ich mich an Sie, Herr Dr. Klepsch - nicht mit billigen Schlagworten wie „Butter statt Kanonen", wie die CDU es jetzt tut, eigene Fehler verschleiern.
Nach Streichung des Main-Battle-Tank 70 sowie der Fregatten stehen wir jetzt vor einer Kürzung des Etats für die Beschaffung der Transporthubschrauber CH 53. Das wird natürlich Folgen haben, die nicht nur auf taktischer und technischer, sondern auch auf ökonomischer Ebene zu suchen sind. Eine Streichung des Programms um rund 40 % würde bedeuten, daß eine neue Heereskonzeption erarbeitet werden muß. Denn es liegt auf der Hand, daß eine so starke Kürzung von 135 auf 80 natürlich die höhere Luftbeweglichkeit des Heeres beeinträchtigen würde. Auch die niedrigere Produktionszahl wird zwar die absoluten Kosten verringern, aber nicht die stückzahlunabhängigen Fixkosten. Dadurch wird der einzelne Hubschrauber natürlich teurer.
Auch scheint mir der Lizenzbau dann in Frage gestellt, wenn eine so starke Kürzung vorgenommen wird, weil dieser zumindest nach den Angaben, die uns seinerzeit im Verteidigungsausschuß gemacht wurden, an sich nur bei etwa 120 vertretbar sei. Die deutsche Luftfahrtindustrie, die sich zum Teil bereits auf dieses Programm eingestellt hat, wird natürlich erhebliche Ausfälle an Kapazitäten hinnehmen müssen. Diese werden auch Auswirkungen auf die Beschäftigungslage haben. Was mir aber viel wichtiger ist, ist der Verlust an Know-how, der bei der Entwicklung und bei dem Bau solcher Systeme insbesondere der gesamten Volkswirtschaft zugute kommen könnte.
Aber nicht nur die CH 53 ist betroffen, sondern auch andere Waffensysteme, z. B. der Luftwaffe. Ich erinnere daran, daß zur gleichen Zeit, als die FDP ein Waffensystem bekämpfte, das mit dem für eine Zwischenlösung horrenden Stückpreis von rund 25 Millionen DM veranschlagt wurde - Sie wissen, es war die „Phantom" -, die FDP die Vorantreibung eines europäischen Gemeinschaftsprojekts „Neues Kampfflugzeug" forderte, das den Anforderungen der siebziger und achtziger Jahre gerecht werden sollte, insbesondere mit Rücksicht auf unsere politische, militärpolitische und geographische Situation. Aus dem NKF wurde dann das MRCA, das in der Tat, Herr Minister - und hier muß ich Herrn Zimmermann recht geben -, sowohl diesem Parlament als auch uns Mitgliedern im Verteidigungsausschuß als das Nachfolgemuster für die Fiat G 91 und die F 104, den Starfighter, vorgestellt wurde. Wie anders könnte den dieser Name „Multi-Roll" -„Mehrfach" - und für mehrere Zwecke einzusetzendes Flugzeug - zustande kommen? Denn das bedeutet ja eben MRCA. Der Systemstückpreis sollte bei etwa 10 Millionen DM liegen. Mittlerweile zeichnet sich in der Tat durch die Verhandlungen im Konsortium ab, daß dieses Flugzeug nicht geeignet ist, alle die Aufgaben zu übernehmen, die ihm ursprünglich - ich sage ursprünglich, nicht nach den Verhandlungen im Konsortium - zugedacht waren. Deswegen steht nun die Frage, ob man statt der vorgesehenen 800 nur 400 beschafft. 800 sollten zum Gesamtpreis von knapp einer Milliarde beschafft werden. Diese 400 werden aber nach meinen
Schätzungen bei einem Systempreis pro Stück liegen, der näher bei 30 Millionen denn bei 10 Millionen DM liegt, wie es ursprünglich vorgesehen war. 400 werden dann 20 % mehr kosten, als ursprünglich insgesamt vorgesehen war, und dafür haben wir dann nur die Hälfte der vorgesehenen Flugzeuge. Außerdem müssen wir gerade für den Air-closesupport, für die Erdkampfunterstützung, nun ein anderes Flugzeug konzipieren. Zumindest die Kollegen im Verteidigungsausschuß kennen die Absicht, zu diesem Zweck das deutsch-französische Trainerprojekt mitzuverwenden.
Meine Damen und Herren, vergessen wir aber auch nicht die Geschichte um den „Matador". Die seit Jahren betriebene Entwicklung der 30-MillimeterPanzerflak hat inzwischen etwa 200 Millionen DM verschlungen. Trotzdem liegen immer noch keine greifbaren Ergebnisse vor. Ich möchte Sie, meine Kollegen von der CDU/CSU, in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß vor wenigen Tagen Ihr Vorsitzender, Herr Kiesinger, gesagt hat, man solle diese Koalition vor dem 14. Juni bekämpfen, wo man sie bekämpfen könne, und alles offenlegen. Herr Minister Schmidt, ich fordere Sie auf: Legen Sie noch vor dem 14. Juni diese Geschichte offen! Informieren Sie die Öffentlichkeit und machen Sie deutlich, wer hier versagt hat und wo die Schwächen liegen!
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Denn, meine Damen und Herren, so kann man es nicht machen.
Ich möchte darüber hinaus empfehlen, Herr Minister, daß alle Projekte, über die wir in den letzten beiden Jahren befunden haben, in die Überprüfung mit einbezogen werden, damit wir sehen, ob wir noch die Möglichkeit haben, zugunsten der konventionellen Seite auf Streichungen, die nicht in unser Gesamtkonzept hineinpassen, zu verzichten.
Es wäre sicher zweckmäßiger gewesen, den schon vor Jahren gemachten Vorschlägen der FDP, von denen ich vorhin sprach, zu folgen und Einsparungen nicht im Konventionellen, sondern im Bereich der nuklearen Trägermittel vorzunehmen. Der entstandene Schaden ist kurzfristig nicht zu beseitigen. Wir dürfen jedoch mit Interesse feststellen, daß man bei der NATO-Ministerratstagung in der vorigen Woche nicht mehr unter allen Umständen auf der Beibehaltung der nuklearen Trägersysteme der Bundeswehr bestanden hat. Hier verweise ich nochmals auf die beiden Interviews vom 27. und 31. Mai, die der Verteidigungsminister gegeben hat.
Wir haben Verständnis dafür, daß über die sogenannte nukleare Komponente der deutschen Verteidigung nicht nur unter rein verteidigungs- oder rüstungspolitischen und auch nicht etwa nur unter rein finanzpolitischen Aspekten gesprochen werden kann. Vielmehr sind hier vorrangig sicherheits- und außenpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Das bedeutet, daß wir Freien Demokraten eine Politik unterstützen werden, die einen Verzicht auf die nuklearen Trägersysteme mit der Forderung auf Äquivalenz und entsprechenden Sicherheitsgewinn gegenüber dem Warschauer Pakt und besonders der Sowjetunion verknüpft. Es ist vollkommen klar, daß jede außenpolitische Möglichkeit ausgeschöpft werden muß, um aus einer etwaigen Hingabe der nuklearen Komponente den höchstmöglichen Sicherheitsgewinn zu erzielen.
Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, daß die langjährige Forderung der FDP nach Verzicht auf die Trägersysteme nie allein gestellt wurde, sondern stets mit der Forderung nach präzise vereinbarter Arbeitsteilung im Bündnis und einem Gesamtwandel in der Struktur unseres Verteidigungspotentials gekoppelt wurde, einem Wandel, von dem vieles in der Ankündigung des Weißbuches zu erkennen ist.
Anders ausgedrückt: In der sehr maßvollen Erklärung über die Bereitschaft zu einer Einbeziehung der nuklearen Komponente in ein etwaiges gegenseitiges Sicherheits- und Entspannungsarrangement mit den Ländern des Warschauer Paktes sehen die Freien Demokraten ein Politikum ersten Ranges. Hier deutet sich ein Wandel an, der deshalb hoch einzuschätzen ist, weil er das Prinzip der flexiblen Reaktion aus dem militärstrategischen in den eigentlichen politischen Bereich hinein ausweitet, und zwar in die für uns alle wünschbare Richtung auf Entspannung, Abbau von Konfrontation und Friedenssicherung. Die Regierung und Helmut Schmidt haben in dieser Richtung die volle Unterstützung der FDP, einer Richtung, die wir nunmehr in der dritten Legislaturperiode konsequent ansteuern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eine grundsätzliche Bemerkung machen. Als diese Koalition die Regierungsverantwortung übernahm, war in einigen politischen Bereichen im Parallelogramm von Kontinuität und Fortsetzung des Bisherigen einerseits und von Wechsel und Reform andererseits das Gewicht auf die Reform zu legen. Dies galt und gilt für den Sicherheits- und Verteidigungsbereich ganz gewiß, nicht weil ein Regierungswechsel stattgefunden hatte, sondern weil frühere Regierungen, auch solche, an denen wir beteiligt waren, einen Rückstau hatten auflaufen, einen Stillstand hatten eintreten lassen.
Wir haben mit Interesse die Methodik Helmut Schmidts beobachtet. Er hat sich zunächst an eine Bestandsaufnahme gemacht, die im Unterschied zu so mancher früheren Bestandsaufnahme diesen Namen wirklich verdient. Er fand im Zuge dieser Bestandsaufnahme einige unveränderbare und von uns nicht beeinflußbare Daten vor. Andere Daten und Fakten aber waren veränder- und beeinflußbar. Diese Daten und Fakten wurden und werden geprüft, und ich meine, nach einer gründlichen Prüfung muß eben das Ministerium dann auch die konkreten Maßnahmen hier diesem Hause vorlegen.
Wir begrüßen, daß die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht vordergründig auf eine Koalitionsstromlinie à la kleinster gemeinsamer Nenner gebracht wurde, sondern daß sie objektiviert und rationalisiert wurde. Die Probleme der Bundeswehr liegen nunmehr deutlich vor aller Augen. Niemand
kann sich mehr an ihnen vorbeidrücken. Die Weichen sind gestellt. An diesem Hohen Hause wird es jetzt weitgehend mit liegen, ob und wie schnell wir zu Lösungen kommen, die einerseits der sich ständig verändernden internationalen Lage vollauf Rechnung tragen, andererseits aber auch unseren Friedenswillen immer wieder überzeugend unter Beweis stellen, ohne unsere fundamentalen Sicherheitsinteressen zu vernachlässigen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich hier vor dem Hohen Hause, wie ich es auch im Kabinett getan habe, denen danken, die direkt und indirekt zu dem Zustandekommen des Weißbuches beigetragen haben. Es gehört ein ungewöhnlicher Arbeitsaufwand dazu, die große Bestandsaufnahme durchzuführen und ihre Ergebnisse zusammenzufassen.
Hinter dem Inhalt des Weißbuches und den konkreten Vorschlägen steht die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit. Für uns gehören diese Vorschläge zum Programm der Reformen, das in der Regierungserklärung vom 28. Oktober vergangenen Jahres angekündigt worden war. Ich finde, das Weißbuch ist auch ein gutes Beispiel, wie man Probleme und Alternativen für die interessierte Öffentlichkeit durchsichtig machen kann.
Der Bundesverteidigungsminister wird selbst zu antworten wissen auf das, was Herr Dr. Zimmermann in seinem Beitrag vorgebracht hat. Aber ein paar Punkte möchte ich jetzt in meinem Beitrag herausgreifen. Zumal zu dem ersten Punkt möchte ich etwas sagen, der mehr ins Parteipolitische ging und der dabei wirklich auch in die Irre ging.
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Ich will versuchen, das zu erklären. Die Vermutung von Herrn Dr. Zimmermann war, der Bundesverteidigungsminister habe das Weißbuch nicht so früh auf dem Markt haben wollen, wie es auf dem Markt hätte sein können, weil dies seine Stellung innerhalb seiner Partei auf deren Parteitag in Saarbrücken beeinträchtigt hätte. Das ist wirklich nicht wahr!
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- Ich will versuchen, -das zu erklären. Erstens: Die Verantwortung dafür, daß das Weißbuch dem Kabinett noch im Mai und nicht, wie ich hier dem Hohen Hause angekündigt hatte, erst im Juni unterbreitet wurde, trage ich; denn ich habe den Verteidigungsminister gebeten, in einem bestimmten Zeitpunkt mit dem Kollegen Leussink zu tauschen, weil dieser wegen der Verzögerung an anderer Stelle seinen Bericht über Bildung und Wissenschaft erst jetzt, nämlich übermorgen, ins Kabinett bringen kann, während er für Mai vorgesehen war. Herr Kollege Schmidt war mit dem Vorziehen auf Mai einverstanden, was zu bestimmten Fristverkürzungen in seinem Hause und bei seinen Mitarbeitern geführt hat. Er hat mir selbst gesagt, daß er es begrüßt hätte, wenn das vor jenem Parteitag, auf den Bezug genommen worden ist, vorgelegen hätte. Das war nicht zu machen, weil es einen bestimmten zeitlichen Abstand nun einmal gab zwischen Verabschiedung durch den Sicherheitsrat der Bundesregierung, anschließend die Bundesregierung insgesamt und Drucklegung. Das kann sich jeder ausrechnen. Das steckt dahinter!
({2})
Im übrigen aber, Herr Kollege Zimmermann, muß ich auch den Mangel an Logik bedauern; denn erstens haben Sie unterstellt, Herr Schmidt habe das Weißbuch nicht vor Saarbrücken haben wollen, weil es dort seine Stellung hätte erschweren können, und in einem späteren Teil Ihrer Rede haben Sie gesagt, Herr Schmidt habe Rücksicht genommen auf Strömungen, denen er habe Rechnung tragen wollen. Das eine Argument paßt mit dem anderen nicht zusammen.
({3})
Aber lassen wir das; ich habe einen wichtigeren Punkt. - Sie wissen selbst, daß dies ein Abgleiten der Argumentation, ein unnötiges Abgleiten, ins Parteipolitische war
({4})
zu einem Punkt, wo es nicht erforderlich ist. Das wissen Sie genau.
Aber ich habe einen wichtigeren Punkt. Herr Kollege Zimmermann, wenn ich Sie vorhin bei Ihrer Rede richtig verstanden habe, haben Sie in bezug auf unseren Hinweis auf das streng defensive Prinzip unserer Verteidigung gesagt, hier handle es sich um eine fast servile Betonung des defensiven Prinzips. Das war kein guter Satz. Das war kein guter Satz, denn, meine verehrten Damen und Herren, das defensive Prinzip kann, wie die Dinge in der Welt stehen, von uns und für uns gar nicht deutlich genug unterstrichen werden!
({5})
Darum unterstreiche ich es! Meine Damen und Herren, ich werde das begründen.
({6})
Ich wende mich gegen das Wort von der fast servilen Betonung! Das weise ich im Zusammenhang
mit dem Weißbuch auf das nachdrücklichste zurück!
({7})
Aber - und das hat jetzt nichts mit einer Polemik
unter uns zu tun - weil wir, weil diese Regierung
wie Regierungen sonst in der Bundesrepublik immer
noch und immer wieder feindseligen Behauptungen ausgesetzt sind, sollte auch von meiner Seite
({8})
hier noch einmal festgestellt werden: die Bundeswehr dient ausschließlich der Verteidigung. Dies ist nicht nur so, weil es nach Ausrüstung, Organisation und Integration in das Bündnis nicht anders sein kann; es ist auch so, weil wir es nicht anders wollen!
({9})
- Ich habe gesagt: Ich sage dies unabhängig von den polemischen Bemerkungen, die voraufgegangen sind!
Das Gesetz, nach dem diese Bundesrepublik Deutschland angetreten ist, der Auftrag, der uns gestellt ist, schließt die Anwendung jeder Art von Gewalt als Mittel der Politik aus. Wir haben unsere Sicherheit in einem Bündnis gleichgesinnter Nationen gesucht, das ausschließlich auf Verteidigung eingestellt ist. Darüber hinaus haben wir unsere Bereitschaft erklärt, mit jedermann Abkommen zu schließen, die in den gegenseitigen Beziehungen die Anwendung oder Androhung von Gewalt ausschließen, und wir sind dabei, solche Abkommen vorzubereiten und nach Möglichkeit zu verhandeln. Es ist wichtig, daß wir uns dabei in vollem Einvernehmen mit unseren Verbündeten befinden. Es hat keinen Sinn, diese Feststellung, die ich in aller Kürze hier noch einmal treffe - die Feststellung über das volle Einvernehmen mit unseren Verbündeten -, ih Frage zu stellen.
In der vorigen Woche, als noch nicht die Formulierung des NATO-Kommuniqués vorlag - sie lag erst am Abend des Tages vor, an dem hier die außenpolitische Debatte stattfand -, an jenem Mittwoch hat der Kollege Strauß den Hinweis auf das Einvernehmen mit den Verbündeten teils für nicht richtig, teils für nicht so wichtig gehalten. Herr Kollege Zimmermann sagt demgegenüber - und da habe ich besonders aufmerksam zugehört -, daß er und seine politischen Freunde mit Gesprächen mit den Staaten des Warschauer Pakts auf der Basis des NATO-Kommuniqués - ich habe sehr wohl verstanden: des ungekürzten NATO-Kommuniqués - einverstanden wären. Das ist eine ungewöhnlich wichtige Feststellung, die hier heute vor diesem Hohen Hause getroffen worden ist. Denn, meine Damen und Herren, dies ist die Politik der Regierung. Die Regierung hat an diesem Kommuniqué in allen seinen Teilen mitgewirkt.
({10})
Dies ist die entscheidende Basis unserer Politik gegenüber anderen.
Heißt dies ein Einschwenken in Richtung auf ein gemeinsames Bemühen? Heißt es das Ankünden eines Abschlusses der totalen Opposition gegen diesen Teil unserer Politik? Wenn es dies 'bedeuten sollte, dann könnte ich nur sagen: jeder wäre uns dabei willkommen.
({11})
Meine Damen und Herren, wenn draußen in der Welt oder in einem bestimmten Teil der Welt jemand behauptet, er kenne Angriffspläne, die in den Panzerschränken der Bundeswehr lägen, so ist das nicht nur feindselige Propaganda, sondern böswillige Verleumdung.
({12})
Ich erkläre mit Nachdruck, daß es bei uns solche Pläne nicht gibt.
({13})
Wenn man meint, der Bundeswehr oder den Verbündeten mit dem Schlagwort einer Vorwärts-Strategie eine aggressive Planung unterstellen zu können, so soll jeder wissen, daß weder die NATO noch die Bundeswehr militärische Pläne verfolgt, die über die Grenzen des vom Bündnis geschützten Gebiets hinausgehen. Diese Grenzen aber sichert das Bündnis, und zwar ganz vorn, gegen jede Bedrohung.
Die Bundeswehr allein, meine Damen und Herren, wäre sowohl als Instrument der Abschreckung wie als Instrument der Verteidigung für diese Aufgabe nicht ausreichend. Sie ist von den Kräften und Hilfsmitteln der Allianz abhängig und kann ihre Aufgabe nur im Verband und gemeinsam mit anderen auf deutschem Boden stationierten verbündeten Streitkräften erfüllen. Für die Sicherheit Europas und der Bundesrepublik Deutschland bleiben besonders das politische Engagement und eine ausreichende militärische Präsenz der Vereinigten Staaten für eine nicht absehbare Zukunft unerläßlich. Die Bundesregierung wird weiterhin das in ihren Kräften Stehende dazu beitragen, daß diese Voraussetzungen der gemeinsamen Sicherheit gewährleistet bleiben.
Die Nordatlantische Allianz ist, wie wir hier alle wissen, nicht nur ein Bündnis zur gemeinsamen Verteidigung, sondern sie hat sich zugleich die Aufgabe gestellt, nach einem stabilen Frieden in Europa zu suchen. Die Bundesregierung ist an diesen Bemühungen aktiv beteiligt, davon war schon die Rede. Eine Friedensordnung für Europa ist nur zu erreichen, wenn das relative Gleichgewicht der Kräfte erhalten bleibt. Andernfalls würde nicht nur unsere Sicherheit gefährdet, sondern es würden auch die Aussichten für einen Ausgleich zwischen West und Ost schwinden. Ich sehe nicht ein, warum wir uns wegen dessen streiten müssen, was die Fachleute MBFR, ausgewogene, gleichgewichtige, gleichwertige Begrenzungen von Truppen und Rüstungen, nennen. Ich kenne das, was damit zu tun hat, nun ziemlich genau; ich war an dem hier mehrfach zitierten Reykjaviker Vorgang im einzelnen beteiligt und war es auch seitdem. Ich weiß aber - ohne das zu überschätzen - natürlich auch, daß es ein Unterschied ist, ob das Bündnis durch seinen Ministerrat ein Signal - das Signal von Reykjavik
hat man es damals genannt - ins Kommuniqué hineinnimmt oder ob man durch die Erörterungen seitdem - und es ist ja viel mehr aufgeschrieben worden, als jetzt dort veröffentlicht worden ist - und nun durch die Beratungen in Brüssel und anderswo dazu gekommen ist, eine eigene Erklärung des Bündnisses zu diesen Fragen herauszugeben.
Ich bin der Meinung, wir sollten auf diesem Gebiet der gleichwertigen, ausgewogenen Rüstungsbegrenzungen nicht kurzatmig argumentieren. Hier geht es überhaupt nicht darum, wer was heute oder morgen oder übermorgen dazu sagt, sondern hier geht es darum, daß keiner von uns, denke ich, den Gedanken daran aufgeben will, daß der Tag kommen muß, an dem darüber verhandelt wird, wie diese größte Konzentration militärischer Zerstörungsmittel, die es je in der Geschichte in einem solchen Raum gegeben hat, durch etwas Vernünftigeres abgelöst und, was die Massivität angeht, reduziert werden kann.
Insofern ist dies ein paralleler Vorgang zu den Bemühungen der Vereinigten Staaten, mit der Sowjetunion über eine Begrenzung der strategischen, zumal der interkontinentalen strategischen Rüstungen zu sprechen. Ich sehe das alles auf längere Sicht. Aber ich sage jedenfalls: auch der Skeptiker muß zugeben, daß es gut und vernünftig ist, daß die westliche Seite über eigene solide Vorschläge auf diesen Gebieten verfügt und daß nicht etwa im Bewußtsein mancher Leute die Sicherheitsproblematik oder gar die Friedenssehnsucht in falschen Händen oder irgendwo einseitig angesiedelt bleiben. Hier muß der Westen unabhängig davon, wann so etwas .wirklich zum Tragen kommen kann, selbst initiativ und aktiv sein.
({14})
Ich möchte noch einen ganz kurzen Blick auf die innere Ordnung der Bundeswehr werfen dürfen, die das Weißbuch auf Grund der bisherigen Ergebnisse der kritischen Bestandsaufnahme ausführlich behandelt. Unsere Sorge gilt, wie es der Verteidigungsminister hier heute mittag gesagt hat, vor allem einer höheren Wehrgerechtigkeit und einer angemessenen Fürsorge für die Angehörigen der Bundeswehr. Damit werden wir auch der Überwindung der Personalschwierigkeiten einen großen Schritt näherkommen. Die Bundesregierung ist entschlossen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um diese Probleme zu lösen. Ich bitte das Hohe Haus, die Bundesregierung weiterhin bei ihren Bemühungen zu unterstützen, die innere und vor allem auch die soziale Ordnung der Bundeswehr zu verbessern. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind erforderlich, damit die Bundeswehr ihren Auftrag für die Allgemeinheit möglichst gut erfüllen kann.
Unsere Soldaten und die zivilen Angehörigen der Bundeswehr verdienen auch eine Hebung ihres sozialen Status, denn sie haben in den vergangenen 15 Jahren - oft unter schwierigen Bedingungen - wesentlich dazu beigetragen, daß uns der Frieden erhalten geblieben ist. Die Angehörigen der Bundeswehr, nicht zuletzt die jungen Wehrpflichtigen, sollen wissen, daß ihr Dienst an ,der Gemeinschaft von der Gesellschaft und für diese von Regierung und Parlament, besser gesagt, von Parlament und Regierung anerkannt und gewürdigt wird.
({15})
Noch eine Bemerkung, Herr Kollege Zimmermann, was die Mittel für die Verteidigung angeht. Ich denke, wir sind uns darin einig, daß Verständigungsschwierigkeiten zwischen uns auftreten, wenn - manchmal am gleichen Tage, jedenfalls in einer gewissen Parallelität - von uns erwartet wird, wir sollten a) weniger Geld ausgeben und b) mehr Geld ausgeben. Das geht nicht gut zugleich. Sosehr ich das verstehen kann, was Herr Kollege Zimmermann gesagt hat - er steht damit ja auch nicht allein, auch nicht mit dem, was er im Hinblick auf die räumliche Ausdehnung des Hohen Hauses gesagt hat -, wir stehen andererseits vor der Tatsache, daß seine eigenen Fraktionskollegen keine entsprechenden Anträge im Haushaltsausschuß gestellt haben, sondern daß man sich dort quer über die Parteien hinweg auf einen Vorschlag verständigt hat, der dem Hause in dieser Woche unterbreitet wird. Der Haushaltsausschuß ist dabei sogar ein bißchen weitergegangen, als die Regierung es ihm vorgeschlagen hatte; das nur nebenbei.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier als Bundeskanzler deutlich sagen - auch dies nicht als Polemik und schon gar nicht als Retourkutsche -: was in diesem Jahr ,aus konjunkturpolitischen Gründen notwendig sein mag, darf nicht - hier weiß der Verteidigungsminister mich an seiner Seite -zum Ausgangspunkt und Maßstab für kommende Jahre werden. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen.
({16})
Ich bin überzeugt, 'meine Damen und Herren, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen und die entsprechenden Entscheidungen des Parlaments dazu beitragen werden, die Sicherheit unseres Landes weiterhin zu ,gewährleisten und, so hoffe ich, zugleich die Opfer, die der Friede von uns fordert, gerechter zu verteilen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klepsch. Für ihn sind 40 Minuten Redezeit angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, sagen zu können, daß der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen eine Aufzählung von Fixierungen vorgenommen hat, denen wir in einem sehr großen Umfang vollständig zustimmen können. Ich möchte nur anmerken, daß es für uns erstaunlich ist, wie oft die Bundesregierung auf das NATO-Kommuniqué von Rom Bezug nimmt und daß sie dabei stets, ich möchte fast sagen, systematisch die leider deprimierende Reaktion aus Moskau verschweigt.
Die CDU/CSU unterstützt die Entspannungsbemühungen der Nordatlantischen VerteidigungsgemeinDr. Klepsch
schaft - ich möchte das, was mein Kollege Zimmermann in dieser Frage Für uns ,alle ganz klar zum Ausdruck gebracht hat, ausdrücklich unterstreichen - und verbargt eine realistische Beurteilung der Entspannungsmöglichkeiten, denn diese Möglichkeiten sind leider gering.
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir uns sowohl Ziffer 4 als auch Ziffer 8 des Kommuniqués zu eigen machen. Ich ,möchte den Text noch einmal vorlesen, damit hier kein Mißverständnis entsteht. Ziffer 4 des Kommuniqués lautet:
Die Minister bekräftigen, daß Ider Friede, um dauerhaft zu sein ..., auf der Respektierung des Rechts der europäischen Völker beruhen muß, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, ohne daß sie von außen mit Intervention, Zwang oder Nötigung bedroht wenden.
({0})
In Ziffer 8 heißt es schließlich, daß eine ,,Regelung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands" - der Kollege Zimmermann hat zu Recht darauf hingewiesen, daß dort nicht von .den beiden deutschen Staaten die Rede ist - die Entwicklung der Kommunikation zwischen den Menschen nach Kräften erleichtern wind. Das möchte ich hier ausdrücklich noch einmlal festhalten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abgeordneten Stücklen?
Bitte sehr!
Herr Kollege Klepsch, wären Sie bereit, noch weiter vorzulesen, und zwar auch den Absatz, in dem der Kollege Zimmermann sagte, daß wir dann, wenn die in diesem Absatz enthaltenen Grundsätze zur Grundlage der Ostpolitik der Bundesregierung gemacht würden, dieser Politik uneingeschränkt zustimmen würden?
({0})
Ich will das gerne tun, Herr Kollege Stücklen. Die entsprechenden Sätze lauten:
Ich erkläre hier für die CDU/CSU-Fraktion: Würden sich die Ostgespräche der Bundesregierung allein auf diesen Grundlagen bewegen, so wäre der wesentliche Teil der Besorgnisse meiner Fraktion gegenstandslos.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen versuchen, in der Debatte des Weißbuchs weiter voranzukommen. Ich darf zunächst auf ein paar Bemerkungen, die der Herr Minister Schmidt an mich persönlich gerichtet hat, kurz eingehen. Da war zunächst die Frage nach dem Erdkampfflugzeug. Ich zitiere die Ziffer 191 des Weißbuches. Da heißt es:
Zur Erdkampfunterstützung bei jedem Wetter
und zur Erkämpfung einer örtlich und zeitlich
begrenzten Luftüberlegenheit ist das neue Kampfflugzeug MRCA vorgesehen, das beginnend in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre den Starfighter F-104 G und die Fiat G-91 ablösen soll.
({0})
Ich würde Ihnen empfehlen, Ihr eigenes Buch zu lesen, bevor Sie mir solche Vorwürfe machen. Im übrigen können Sie sich an meine Kollegen Wörner und Abelein wenden, die die G-91 fliegen.
({1})
Zum zweiten. Was die Frage der Flugstunden angeht, nach der Sie mich gefragt haben, empfehle ich Ihnen: wenden Sie sich an den Inspekteur der Luftwaffe. Die entsprechende Ausführung von mir stammt aus einem Interview Ihres Inspekteurs in einer großen deutschen Tageszeitung.
({2})
Zur dritten Frage, der Geschichtsklitterung, die Sie mir vorwerfen zu müssen meinen, möchte ich auf das eingehen, was der Kollege Zimmermann ganz zu Beginn kritisch anmerkte. Es war eigentümliche tropfenförmige Zur-Welt-Kommung des Weißbuchs, das gewisse Mißverständnisse zwischen uns ermöglichte.
({3})
- Ach, Herr Kollege Wehner, Sie sind ja selbst immer sehr sprachschöpferisch in diesem Hause tätig gewesen.
({4})
- Wenn es Sie freut, freut es mich auch.
Ich möchte dazu noch folgendes sagen. Die zwanzigseitigen Auszüge waren leider gerade in dem sicherheitspolitischen Teil, um den es ja geht, so beschaffen, daß nicht nur ich, sondern auch andere Kollegen meiner Fraktion zu einer nicht ganz zutreffenden Auslegung kommen konnten.
({5})
Ich möchte ausdrücklich für meinen Kollegen Rommerskirchen, der hier anwesend ist, und für den Kollegen Birrenbach sagen, daß wir bis zu diesem Zeitpunkt noch das in ihnen sahen, was Sie zu dem Kollegen Rommerskirchen gesagt haben. Sie haben darauf verwiesen, daß Sie eine Anlaufzeit brauchten, um sich einzuarbeiten, Ruhe, möglichst Mitarbeit oder Stillhalten. Sie hatten aber ausdrücklich darauf verwiesen, daß Sie beasichtigten, die Sicherheitspolitik fortzusetzen. Wenn Sie nun hier das Forum des Deutschen Bundestages heute dazu verwenden, sich bei bestimmten Teilen Ihrer Fraktion und Partei in dieser Frage zu rehabilitieren, so sollten Sie das nicht mir vorwerfen. Ich bin gern bereit, einzuräumen, daß ich in allen nachfolgenden Ausführungen, die sich nicht auf die Auszüge, sondern auf den Text bezogen - und Ihre Mitarbeiter werden doch wenigstens noch diesen Unterschied herauszufinden vermögen -, den neuen Herrn Schmidt, so wie ihn der Kollege Zimmermann hier
mit Recht dargestellt hat, schon richtig gewürdigt habe.
({6})
- Lieber Kollege Jung, ich weiß nicht, was das überhaupt mit der Sache zu tun hat. Ich habe überhaupt einige konfuse Ausführungen von Ihnen berichtet erhalten, ich hätte da von Kanonen und Butter reden sollen.
({7})
Aber ich möchte noch zwei andere Bemerkungen zu Herrn Minister Schmidt hin machen. Erstens: Ich bedaure sehr, daß er meinem Kollegen, dem Hauptfeldwebel a. D. Stahlberg, hier mangelnde Truppenbesuche zum Vorwurf gemacht hat, obwohl wir alle wissen daß er einer von den Kollegen ist, die sich fortgesetzt bei der Truppe aufhalten. Soll man ihm denn vorwerfen, daß er acht Jahre die Möglichkeit hatte, die Soldaten hier im Deutschen Bundestag zu vertreten? Ich verstehe solche Schlenker nicht.
Auch die von dem Kollegen Buchstaller vorgetragenen Redewendungen, auch die des Ministers Schmidt von „Lobbyisten der CDU im Verteidigungsausschuß" müssen uns doch sehr merkwürdig berühren. Wenn Sie sich da etwas konkreter fassen wollten, werden wir gern darauf eingehen. Auf eins möchte ich verweisen. Die in Frage stehenden Projekte der Luftwaffe hat der Veteidigungsausschuß allerdings sorgsam nach militärfachlichem Rat behandelt. Wir sind gespannt, zu hören, warum sich die eindeutigen Bedingungen, die man uns vorgetragen hat, so plötzlich verändert haben sollen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß jemand, den Sie wohl, wie ich einer Zeitung entnehme, demnächst in Ihren Stab aufzunehmen gedenken, nämlich Herr Becker, in der „Zeit" ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat, daß entweder die Entscheidung in dieser Frage seinerzeit völlig abträglich und schlecht gewesen sei oder daß sich für die Luftwaffe ein Desaster anbahne. Diese Frage wird hier noch zu behandeln sein. Sie bleibt zunächst im Raume stehen.
Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen ein paar Ausführungen zum Weißbuch im ganzen machen. Sosehr wir den Stil kritisiert haben, wie es an die Öffentlichkeit und in unsere Hände gelangt ist, so sehr müssen wir Sie zu dem vorzüglichen Stil beglückwünschen, in dem es abgefaßt ist. Es ist ein gut lesbares, instruktives und vorzüglich zusammengestelltes Buch.
({8})
Ich begrüße dieses Buch auch schon deshalb, weil es sicher einer breiteren Öffentlichkeit sehr oft und zweckdienlich als Informationsquelle über Verteidigungsfragen und Probleme der Bundeswehr dienen mag. Ich begrüße das um so nachdrücklicher, als wir in diesem umfangreichen dritten Weißbuch der Bundesregierung bezüglich der Öffentlichkeitswirksamkeit sicher die geglückteste Lösung vor uns haben.
({9})
Das möchte ich uneingeschränkt zugestehen.
Ich möchte auch festhalten, das uns das Programm übergeben wurde, das die Bundesregierung zur Diskussion stellt und das, wie es darin zu lesen ist, für diese vier Jahre Gültigkeit haben soll. Daß wir das Programm heute nicht abschließend in allen Details diskutieren können, ist klar, Deshalb wird es auch dem Verteidigungsausschuß überwiesen. Wir werden hier des öfteren Gelegenheit haben, auf die Einhaltung oder Weiterentwicklung der Ankündigungen dieses Werkes einzugehen.
Wir haben aber heute - das möchte ich nachdrücklich sagen - die Chance, wenigstens zu einigen Fragen dieses Weißbuches Stellung zu nehmen. Mein Kollege Zimmermann hat das in ganz vorzüglicher Weise für den ersten Teil getan; einige Kollegen und ich werden sich bemühen, das für die anderen Stellen dieses Weißbuchs zu tun.
Den Beteiligten ist für das Unternehmen sehr viel Lob gespendet worden. Diesem Lob schließt sich sicher jeder an, obwohl man die Frage stellen muß, ob das Ergebnis, das sich in Entscheidungen und Vorschlägen niederschlägt, ganz diesen ungeheuren Anstrengungen entspricht. Sie haben Glück, Herr Minister Schmidt, denn Sie haben hier eine Opposition vor sich, die keine Ohne-mich-Opposition treibt. Sie haben vielmehr eine Opposition vor sich, von der Sie sicher wissen, daß .sie Ihnen in allen Fragen, auf die es Ihnen ankommt, eine gute Unterstützung bieten wird, nämlich in den Fragen, die den Sozialbereich der Bundeswehr angehen. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß Sie. im Ausschuß stolz sein konnten auf die Unterstützung durch die gesamte CDU/CSU-Fraktion, wenn nicht alle Stimmen Ihrer eigenen Fraktion hinter Ihren Vorschlägen zu finden waren.
({10})
Sie haben also Glück, daß Sie auf eine Opposition stoßen, die bereit ist, mit Ihnen den Weg weiterzugehen, der notwendig ist, um diese Bundeswehr zu dem schlagkräftigen und funktionstüchtigen Instrument zu machen, das wir auch in Zukunft brauchen werden.
Die Illusionisten und Phantasten haben Sie in den Reihen Ihrer eigenen Partei und Ihrer eigenen Fraktion. Heute morgen sprach der eine oder andere schmunzelnd darüber, ob man vielleicht die Anträge zum Parteitag in Saarbrücken herausnehmen sollte, um einmal die Stimmungslage in der Sie unterstützenden großen Fraktion zu untersuchen. Davon wollen wir Abstand nehmen. Ich will mich jetzt nicht dem Antrag zuwenden - immerhin kam er auf Wunsch eines Bezirksverbandes der SPD zustande -, der das Anbringen von Sprenglöchern in Bundesstraßen verbieten wollte; ebensowenig möchte ich mich mit dem Antrag befassen, der das Verbot militärischen Zeremoniells bei Staatsempfängen - falls doch, dann wenigstens ohne Stahlhelm - zum Ziel hatte. Ganz zu schweiDr. Klepsch
gen von dem Kern der Fragen, auf die ich später noch eingehen werde.
Ich möchte aber doch die große Kritikempfindlichkeit Ihrer Fraktion, die sich nicht nur auf diesen Bereich erstreckt, bedauern. Herr Bundeskanzler, ich möchte sagen, diese Empfindlichkeit gilt für die ganze Regierung, auch für Sie selbst, da Sie sich schon durch das Wort „servil" zu einem Diskussionsbeitrag genötigt fühlten.
({11})
- Sie haben an mich gedacht, Herr Kollege Wehner? Das freut mich sehr. Diese Kritikempfindlichkeit hat sogar dazu geführt, wenn sich unter dem Motto „Mehr Demokratie" - die doch eigentlich ({12}) Sie in diesen Staat und in diese Ordnung bringen wollten - ein Verband wie der Deutsche Bundeswehrverband entschließt, in einer Stellungnahme „Programm mit Lücken" seinen Diskussionsbeitrag zu diesem Weißbuch einzureichen, dann der Kollege Buchstaller gleich nachdrücklich über diesen Verband herfällt. Ich glaube, daß das kein Stil ist, der „mehr Demokratie" entspricht.
Herr Abgeordneter Klepsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident!
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Klepsch, wenn Sie diese „Illusionisten" in Ihren Reihen nicht haben und ausdrücklich das Sachprogramm begrüßen, dann möchte ich Sie doch fragen, wieso Sie in den letzten 14 Jahren, in denen die CDU/CSU in ununterbrochener Reihenfolge den Verteidigungsminister stellten, dieses Programm nicht verwirklicht haben. Und zweitens: Wieso mußte erst die „Partei der Illusionisten" die Kompetenzen der Inspekteure der Teilstreikräfte so verbessern, daß eine Effektivität im Einsatz der Streitkräfte möglich wird?
({0})
Herr Kollege Pawelcyk, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Fragen. Was den Sachteil angeht, so werde ich gleich darauf Bezug nehmen, weil es ohnehin zu den Notwendigkeiten gehört, zu diesen Fragenkreisen hier etwas zu sagen; denn da sind wir nicht ganz hundertprozentig einig, wie Sie vielleicht unterstellen.
Zur Sache möchte ich Ihnen zunächst folgendes sagen: Wenn wir hier eine Bundeswehr haben und wennn wir in die NATO eingetreten sind - davon sprach der Bundeskanzler eben mit „wir" -, dann war das eine Entscheidung, die in diesem Hause gegen Ihre Fraktion gefällt wurde.
({0})
Das möchte ich einmal ganz nachdrücklich sagen. Wir haben in jenen Jahren alle Hände voll zu tun gehabt, Herr Kollege Pawelczyk, gegen Ihren Widerstand dafür zu sorgen, die Voraussetzungen zu schaffen, die heute Herr Minister Schmidt als befriedigend bezeichnet.
({1})
Das möchte ich ebenfalls ganz nachdrücklich sagen.
({2})
Herr Abgeordneter Klepsch, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Pawelczyk?
Ja.
Weichen Sie doch nicht aus, Herr Dr. Klepsch! Zur Verwirklichung dieser Einzelmaßnahmen genügt die einfache Mehrheit, die Sie 14 Jahre ununterbrochen hatten! Wieso haben Sie das Programm nicht verwirklicht?
Herr Kollege Pawelczyk, ich bedanke mich auch für diese Frage. Sie werden jetzt sofort hören, wie ich zu den Einzelmaßnahmen stehe. Gedulden Sie sich noch ungefähr fünf Minuten!
An einigen Stellen dieses Weißbuches ist mir aufgefallen, daß es Hürden aufstellt oder Hürden höherzieht, die eigentlich gar nicht vorhanden sind, wahrscheinlich um ihre Bewältigung besonders zu unterstreichen. So ist z. B. in der Ziffer 84 davon die Rede, daß eine Fülle von Vorschlägen auf die Erhöhung der Leistung für Wehrübende nach dem Unterhaltssicherungsgesetz, die bisher für Unverheiratete 60 % des Einkommens und für Verheiratete 80 % des Einkommens betrage, abziele, und es wird versprochen, daß die hier behandelten Fragen geprüft werden und daß bis 1. Januar 1971 diesem Haus Vorschläge vorliegen werden.
Zu dieser Frage kann ich nur sagen: Der Bundestag hat bereits am 5. Februar 1969 im Zweiten Gesetz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes den Prozentsatz für Ledige von 60 auf 70 und für Verheiratete von 80 auf 90 % verbessert, und zwar auf Grund eines interfraktionellen Antrages, den für die SPD-Fraktion niemand anders unterschrieben hat als Sie selbst, Herr Minister.
Wenden wir uns nun aber einmal den wirklich zentralen Fragen zu, mit denen sich dieses Weißbuch auseinandersetzen mußte. Hier sind wir, daß muß ich Ihnen sagen, in doppelter Richtung bedrückt. Das eine ist folgendes: Bei allen Fragen, bei denen es darauf angekommen wäre, Herr Kollege Pawelczyk, durchgreifende Lösungen zu finden, haben wir Sie, anders als Sie es gesagt haben, Herr Minister Schmidt, nicht in den letzten Monaten verfolgt, sondern wir haben die Kritische Bestandsaufnahme abgewartet; wir sind ja auch immer fortgesetzt darauf vertröstet worden. Der einzige, der permanent und ununterbrochen abweichende und sich widerspre2784
diende Erklärungen abgegeben hat, sind Sie selber gewesen.
({0})
Wir haben abgewartet, was denn nun neben dem Aufzählen dessen, was ist, an durchbrechenden Konzepten und Vorschlägen herauskommt.
Dann haben wir fünf Kommissionen erhalten, die zum Teil befristet, zum Teil sogar unbefristet ans Werk gehen sollen, um Lösungen zu erarbeiten. Es handelt sich auch um Fragen, die bereits bis ins Detail von Kommissionen durchgearbeitet worden sind. Ich erinnere nur an die sehr gründliche Arbeit, die die sogenannte Adorno-Kommission hier verrichtet hat. Demselben Fragenkreis wird sich eine neue, sogenannte unabhängige Kommission zuwenden. Ich will es mir ersparen, diese Kommissionen jetzt im einzelnen aufzuzählen. Die Frage für mich bleibt nur - und die müssen wir alle stellen -: Wenn wir nun tatsächlich die Konzepte diskutieren wollen, dann fehlen sie für diese fünf Fragenkreise vorläufig völlig.
Der Bundestag hat in der letzten Wahlperiode, Herr Kollege Pawelczyk, in guter Zusammenarbeit mit dem Minister Schröder in der Gesetzgebung besonders daran gearbeitet, die Probleme der Bundeswehr, vor allem auch die des sozialen Bereichs, in Auswertung der Ergebnisse der sogenannten Adorno-Kommission zu bewältigen. Wir waren in der letzten Periode ein sehr arbeitsamer Bundestag. 65 Gesetze sind dazu eingebracht worden, und 56 Gesetze aus diesem Bereich sind auch verabschiedet worden. Wir haben wesentliche Fortschritte gemacht, die Sie zum Teil auch hier, stolz als Ergebnisse vermerkt, wiederfinden. Wir werden alles tun, um diese Arbeit fortzuführen; denn unsere Sorge gehört selbstverständlich den Menschen in der Bundeswehr, der Funktionstüchtigkeit dieses Instruments und seiner Fähigkeit, unsere Sicherheit zu gewährleisten.
Wir haben deshalb auch nicht gezögert, das eingeleitete Gesetzgebungswerk durch Anträge fortzusetzen, die wir in dieser Legislaturperiode bereits in einer ganzen Anzahl eingebracht haben. Einige davon haben Sie sich sogar mit zunutze gemacht, andere haben Sie mit Mehrheit vertagt, bis wir das Weißbuch erhalten, oder abgelehnt.
({1})
Wir haben versucht, einige Dinge durch Kleine Anfragen vorzubereiten. Man hat uns bei einem Teil der Antworten auf diese Kleinen Anfragen auf das Weißbuch vertröstet. Leider muß ich Ihnen sagen, daß uns diese Vertröstung keine Antworten gebracht hat. Die meisten der zurückgestellten Fragen unserer zwei Kleinen Anfragen sind im Weißbuch nicht beantwortet worden. Wir warten nun ab, was in dieser Frage werden wird. Hoffentlich wird es nicht genauso mit der Kleinen Anfrage gehen, die wir zum militärischen Kräfteverhältnis zwischen Ost und West in Mitteleuropa und zu dem gleichwertigen Truppenabbau vorgebracht haben. Denn hier wird uns vorgetragen, daß der Verteidigungsausschuß laufend über Manöver im Rahmen des Warschauer Pakts unterrichtet werde, - eine Feststellung, die mit den Realitäten nicht übereinstimmt. Die konkreten Fragen, die wir gestellt haben, werden dann sowieso vor Herbst dieses Jahres nicht zur Verhandlung kommen können, weil der Verteidigungsausschuß vorher gar nicht mehr zusammentritt.
Ich bedaure, daß man auf diese Art und Weise einen eigentümlichen Stil von „mehr Demokratie" in der Information der Opposition wie der Öffentlichkeit entwickelt.
({2})
Aber, meine verehrten Kollegen, es muß, da so oft davon gesprochen worden ist, noch ein Wort zur vorgesehenen Umschichtung im Verteidigungshaushalt gesagt werden, schon allein deshalb, weil wir bis zum Erscheinen des Weißbuchs eine Fülle von Zahlenangaben aus dem Munde des Ministers wie aus Artikeln, die er abgezeichnet hatte, zur Kenntnis nehmen konnten, die immer wieder schwankten. Immerhin konnte die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft nach dem Manöver „Rösselsprung" noch feststellen, daß die Bundeswehr die modernste Rüstung nach den USA habe. Eine sehr bedeutsame Feststellung!
Wenn ich mir nun die vorgesehenen Umschichtungen, die den Rüstungshaushalt angehen, betrachte, so komme ich doch zu folgender Feststellung: In diesem Jahr ist über 1 Milliarde DM in die Zukunft geschoben worden. Die 2,5 Milliarden DM, zu denen sich die Bundesregierung gegenüber der NATO zusätzlich verpflichtet hatte, sind aus unserem Vokabular verschwunden. In den nächsten drei Jahren werden wir - nach den Feststellungen des Weißbuchs - abermals 2,5 Milliarden DM aus dem Rüstungstopf zur Umschichtung herausnehmen. Wir werden schließlich - davon schreibt das Weißbuch natürlich nichts - mit dem Aufwuchs infolge der Preisexplosion zu tun haben, sowohl bei den Löhnen wie bei den Materialkosten. Die sind überhaupt nicht veranschlagt, aber sie werden sich doch wohl auch niederschlagen müssen. Und letztlich ist es klar, daß der Ansatz für Materialerhaltung so, wie Sie ihn im Weißbuch ausweisen, ganz sicher nicht ausreichen kann, wenn ich die Modernisierung so weit strecke und zurücksetze.
Wenn ich im ganzen ein Fazit ziehe, kann ich also nur zu dem Ergebnis kommen, daß der Kollege Zimmermann aus anderer Blickrichtung heute schon vorgetragen hat: Wir werden es zu tun haben mit einem raschen Veralten der Ausrüstung, und das wird verbunden sein - das sage ich gerade im Hinblick auf unsere Friedenspolitik - mit einem Sinken nicht nur des Kampfwertes, sondern auch des Bündnis- und des Abschreckungswertes. Das ist unsere Sorge, meine Damen und Herren.
({3})
Darüber hinaus ist es erstaunlich, daß solche Ankündigungen in den Raum gestellt werden und daß keine Klarheit darüber herrscht - auch heute noch nicht -, wo diese Schnitte überhaupt vorgenommen werden sollen. Das ist sehr vage und sehr unbestimmt, und auf die Frage des Kollegen Damm hat der Minister Schmidt uns noch nicht einmal
sagen können, welches Konzept er nunmehr für das MRCA habe.
Ich möchte deshalb sagen, daß wir in dieser Frage der Umschichtung zwar sehr wohl das beachten, was der Herr Bundeskanzler gesagt hat über die Probleme, die bei der Bewilligung des Verteidigungshaushalts gegeben sind; aber dieser Verteidigungshaushalt ist ja in seinen Steigerungsraten für die Zukunft unter der Inflationsrate, die diese Regierung für normal hält, geblieben,
({4})
und da wird man sich ja fragen müssen, wie der Minister Schmidt das Kunststück fertigbringen will, mehr Kampfkraft für weniger Geld zuwege zu bringen.
({5})
Wir werden das aufmerksam verfolgen.
Das alles, meine Damen und Herren, kann uns nicht davon entbinden, uns für den Soldaten, sowohl für den Wehrpflichtigen wie für den Berufssoldaten und den Zeitsoldaten, angestrengt um eine Besserung dort zu bemühen, wo er mit Problemen zu ringen hat. Ich darf mir ein paar kurze Bemerkungen dazu erlauben.
Uns fällt es auf, daß eine einzige Gruppe bei der Kritischen Bestandsaufnahme nicht gehört wurde. Das waren die Wehrpflichtigen selber.
({6})
Die sollen naher in Wehrpflichtigen-Parlamenten gehört werden. Wir hätten es begrüßt, wenn man schon jeden beteiligte, daß man auch diese befragt und herangezogen hätte. Gerade auf diesem Sektor hätten wir gehofft, mehr von den Ankündigungen, die der Minister Schmidt - seinerzeit noch als der Abgeordnete Schmidt - auf dem Wehrpolitischen Forum der SPD in Bad Honnef machte, wiederzuentdecken.
({7})
- Der Herr Minister hat sich zwar vorhin darüber beklagt, daß einige meiner Kollegen, speziell der Kollege Stahlberg, nicht anwesend waren,
({8})
aber ich bin mir bewußt, daß sowohl die Ausführungen seines Koalitionspartners wie die der Opposition für ihn so unwichtig sind, daß er ihnen nicht folgen zu müssen glaubt.
({9})
Wir hätten erwartet, daß der Herr Minister uns etwas zu seiner Ankündigung von Honnef gesagt hätte, daß er für Wehrpflichtige 100 DM je Monat leisten wolle. Er schlägt jetzt 50 DM vor. Wir hätten erwartet, daß er etwas zu seinem Grundsatz, den er im Ausschuß vorgetragen hat, gesagt hätte, daß man nämlich dafür Sorge tragen müsse, daß die Wehrpflichtigen hinsichtlich der Belastung, die sie zusätzlich übernehmen, genauso behandelt werden wie die Zeit- und Berufssoldaten, daß sie also auch einbezogen werden müßten in die Zulagen für Ausbilder
und in die Zulagen für Dienst unter erschwerten Bedingungen. Das hätte doch hier irgendwo seinen Niederschlag finden müssen. Das Weißbuch schweigt sich darüber aus.
Wir hatten auch erwartet, daß die Antworten zu den Wehrdienstausnahmen, die uns nicht gegeben worden sind, jetzt im Weißbuch erfolgen würden. Es ist nichts davon eingetreten. Wir haben danach gefragt: Wie soll das mit den beschränkt Tauglichen gehen? Was wird das ganze Unternehmen kosten? Bei unserer Kleinen Anfrage ist uns das nicht beantwortet worden; im Weißbuch, auf das wir verwiesen wurden, ist auch niemand darauf eingegangen. So werden wir also weiter fragen müssen und erwarten müssen, daß der Herr Minister uns hier Auskunft gibt.
Ich möchte aber ausdrücklich sagen, daß das Kernproblem der Personalstruktur der Bundeswehr die ungelöste Frage der Zeitsoldaten ist. Hier ist das Weißbuch bemerkenswert dürftig. Das hat wohl auch dem Kollegen Buchstaller an der Kritik des Bundeswehrverbandes am wehesten getan, daß dort der Finger auch auf diese Wunde gelegt wurde. - Bitte sehr, Herr Kollege Buchstaller.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchstaller?
Herr Kollege Klepsch, gestatten Sie zur Klarstellung die Frage, ob Ihnen entgangen ist, daß in der Stellungnahme meiner Fraktion zu der Erklärung des Bundeswehrverbandes eine ganz klare Differenzierung zwischen dem Bundeswehrverband als solchem und der Verbandsführung auf der anderen Seite vorgenommen wurde?
({0})
Herr Kollege Buchstaller, ich bin fast versucht, den Minister Schmidt zu zitieren, der heute mittag sagte: „Darauf kann man eigentlich nur noch ironisch antworten." Das kann man auch nur. Denn das hat ja mit der Aussage, die ich Ihnen vorgetragen habe, nichts zu tun. Es hat sicher am wehesten getan.
({0})
Ich möchte, ohne jetzt die Sache zu sehr in die Breite zu führen, darauf verweisen, daß auch der Wehrbeauftragte Matthias Hoogen diese Frage als eine Schlüsselfrage bezeichnet hat und daß wir uns bemüht haben, durch Gesetzesvorlagen, die diesem Bundestag vorliegen, die dem Ausschuß zur Beratung überwiesen sind, etwas weiter zu kommen, als das Weißbuch hier geht. Denn wir sind der Meinung - das darf ich für meine Fraktion nachdrücklich sagen -, daß von der Lösung des Problems der Zeitsoldaten die Bewältigung einer ganzen Fülle von Fragen abhängt.
Lassen Sie mich zu einem Punkt in Bausch und Bogen etwas sagen. Alles, was uns in Weiterführung der Vorschläge der Adorno-Kommission oder
dieser Kommissionsvorschläge uns hier erreicht und sich sinnvoll in die Bemühungen einfügt, die wir seit Jahren pflegen, werden wir in diesem Bundestag wie im Ausschuß in gewohnter Weise unterstützen. Denn die Christlichen Demokraten werden es sich nicht nehmen lassen, diejenigen zu bleiben, deren Sorge der Bundeswehr gehört.
Wir vermissen im Weißbuch eine Fülle von Aussagen zu Fragen, zu denen wir gern etwas Konkreteres gehört hätten, zu Fragen, die an die ganze Bundesregierung zu richten waren - leider ist der Bundeskanzler nicht mehr hier - im Sinne der Gesamtverteidigung, Fragen vor allen Dingen auch - ({1})
- Der Staatssekretär Westphal.
({2})
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Ich darf nur sagen: wir hätten erwartet, wenn man schon an so große Umschichtungen im Verteidigungshaushalt geht, daß man dann den Fragenkreis des zivilen Bevölkerungsschutzes nicht wieder völlig unter den Tisch gebügelt hätte. Da nützen auch ein paar Reden, die der Herr Dorn irgendwo draußen im Wahlkampf hält, wenig, wenn wir hier im Weißbuch nichts, aber auch gar nichts Konkretes finden.
({0})
Das zweite, was uns stört, ist, daß wir eben vom Herrn Minister hören mußten, daß Teile des Weißbuches schon wieder überholt sind. Das hat er heute während seiner Ausführungen zum besten gegeben.
({1})
- Das stört mich. Denn worüber soll ich mit Ihnen diskutieren, wenn der Minister dauernd eine andere Stellungnahme aus der Tasche zieht?
Ich möchte drittens sagen: das, was an Vorschlägen uns vorgelegt worden ist, was dazu dient, die soziale Lage der Bundeswehr zu verbessern, wird unsere Unterstützung finden. Wir haben - das wollen wir nicht verhehlen - große Sorgen, daß sich der Minister und auch der Bundeskanzler mit der Bitte an die Opposition wenden werden, sie bei der Beschaffung der Mittel zu unterstützen, die sie für notwendig halten, die sie aber selbst nicht zur Beschlußfassung vorzuschlagen wagen.
({2})
Das ist doch der Sachverhalt.
Ich darf zum Schluß noch Herrn Kurt Becker, der ja wohl demnächst eine führende Funktion im Stab des Ministers Schmidt erhalten soll, zitieren. Er schreibt in der „Zeit":
Doch wie lange lassen sich Rationalisierung und Zurückstufung in der Ausrüstung fortsetzen, ohne nicht auch bald die Fortdauer des bisherigen Umfanges einsetzbarer Kampfverbände in Frage zu stellen?
An anderer Stelle sagt er:
Trotz aller alarmierenden Angaben über die Kostenexplosion bleibt offen, ob der Etat in den nächsten Jahren Mindesterfordernisse für die Verteidigung noch tatsächlich deckt.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es dieses Weißbuch wert ist, sorgfältig gelesen zu werden, und daß es sich lohnt, eine eingehende Diskussion über die einzelnen Aussagen zu führen. Ich kann Herrn Minister Schmidt aber für meine Fraktion nicht ungeteilte Zustimmung zusagen, sondern nur versichern, daß er dort, wo wir vorwärtsweisende und vertretbare Vorschläge finden werden - sie sind in diesem Buch sicher in reicher Fülle vorhanden -, unserer Unterstützung gewiß sein kann.
An anderer Stelle werden wir allerdings dafür Sorge tragen müssen, daß die Sicherheit unserer freiheitlichen Ordnung, die für uns - damit komme ich auf das zurück, was der Kollege Zimmermann zu Anfang sagte - der Kardinalpunkt bei unseren Verteidigungsanstrengungen ist, gewährleistet wird. Wir tun das ja nicht, um eine Art Schweizer Garde aufzustellen, sondern wir tun das, um die Freiheit dieser unserer Ordnungs zu gewährleisten und unserem Volk die Möglichkeit zu geben, in Freiheit zu leben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand. Für ihn sind 30 Minuten Redezeit gemeldet.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier in der Debatte
({0})
über das Weißbuch zwei Reden,
({1})
eine von Herrn Dr. Zimmermann und eine von Herrn Dr. Klepsch, gehört,
({2})
und wir haben in diesen beiden Reden die leider in der letzten Zeit übliche Mischung der Opposition von unterschwelliger Unterstellung und teils diffamierenden Äußerungen zur Kenntnis nehmen müssen.
Herr Dr. Zimmermann hat es für richtig gehalten, Stilfragen aufzuwerfen, und zwar im Zusammenhang mit der Vorlage und dem Druck des Weißbuches. Lassen Sie mich über das hinaus, was der Bundeskanzler schon dargestellt hat, zum einen aus der Sicht des Ältestenrates, zum anderen aber auch im Hinblick auf die Vorgänge selbst ganz kurz Stellung nehmen, um hier auch den Stil von Herrn Dr. Zimmermann entsprechend würdigen zu können.
Wie der Herr Bundeskanzler bereits gesagt hat, wurde von dem Vertreter der Regierung im Ältestenrat der Wunsch vorgetragen, daß das Weißbuch vorgezogen werden möge. Es wurde dann im Ältestenrat Einvernehmen darüber erzielt, daß die Kabinettvorlage den Fraktionsvorsitzenden zugeleitet werden sollte, damit die Debatte, die auf den heutigen Tag festgelegt wurde, entsprechend vorbereitet werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt wußte jeder im Ältestenrat - und die Kommunikation der Ältestenratsmitglieder mit den anderen Fraktionsmitgliedern, auch mit Herrn Dr. Zimmermann, muß doch irgendwie noch funktionieren -, daß eine Kabinettvorlage noch keine druckreife Vorlage ist, weil der Druck erst nach der Beschlußfassung und der entsprechenden Überarbeitung durch die verantwortlichen Männer nach der Kabinettsitzung erfolgen kann. Wenn man das hier anzuzweifeln versucht, sollte man zumindest nicht von Stil reden.
Herr Abgeordneter Wienand, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Nein!
({0})
Ich möchte eine zweite 'Bemerkung dazu machen. Herr Dr. Zimmermann hat dann, um im Stil weiterzugehen, vom Druckhaus Deutz gesprochen und hat gesagt - wieder unterschwellig, wie es die Art des „Bayernkurier" ist -, hier sollte einem bestimmten Verlag etwas zugeschanzt werden. Wenn Sie dann vorwerfen, es sei irgend "etwas verletzt worden, dann kann ich sagen, Herr Dr. Zimmermann, daß Sie zumindest die Sorgfaltspflicht bei der Vorbereitung Ihrer schriftlichen Verlesung verletzt haben.
Denn Tatsache ist folgendes: Es ist beschränkt ausgeschrieben worden. Sechs Verlage sind angeschrieben worden und haben ihre Angebote auch mit Blickrichtung auf die Termine abgegeben. Der vorhin erwähnte Verlag war der zweitpreiswerteste, der zweitbilligste, und der einzige, der in der Größenordnung der Preisstellung termingerecht liefern konnte. Die anderen Verlage, auf die Sie angespielt haben, konnten nicht termingerecht liefern und waren darüber hinaus über 33% teurer.
Mir lag daran, das festzustellen, damit dieses Unterschwellige herausgenommen wird, was leider etwas zum Stil des Herrn Dr. Zimmermann und bestimmter Leute hier geworden ist.
({1})
Diese beiden Dinge hätte man sich im ersteren Fall durch eine Information vom Ältestenrat und im zweiten Fall durch eine einfache Rücksprache im Verteidigungsministerium beschaffen können. Das ist das, was den Stil des Herrn Dr. Zimmermann prägt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden?
van Delden ({0}) : Herr Kollege Wienand, darf ich Sie daran erinnern, daß diesen Stil der Herr Bundesminister der Verteidigung selber provoziert hat, indem er nämlich von Lobbyismus und noch dazu mit Blick auf eine bestimmte Person gesprochen hat?
Verehrter Herr Kollege van Delden, der Herr Minister hat gestern in der Fraktion einiges gesagt, was er an die Adresse aller zu sagen beabsichtigte, und in der Fraktion hat sich keiner das angezogen; er hat in der Fraktion ausdrücklich darauf hingewiesen und ich habe ihn auch so verstanden, daß er damit alle meinte und nicht ganz bestimmte Personen, und er hat nicht nach einer Richtung gesehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Herr Kollege Wienand, da Sie vorher genau Bescheid wußten, daß die anderen Bewerber teurer waren, können Sie mir sagen, um wieviel der zweite Bewerber teurer war als das erste Angebot?
({0})
Nein! Aber Sie können es beim Verteidigungsministerium erfahren. Ich bin sicher, daß man es Ihnen sagen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Klepsch?
Nein! - Nachdem ich diese beiden Dinge klargestellt habe, lassen Sie mich auf einige andere Fragen eingehen, die der Kollege Dr. Zimmermann hier angesprochen hat.
Herr Dr. Zimmermann hat unter anderem ausgeführt, er vermisse ein überragendes Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat, die Bundesregierung habe diese Stunde nicht genutzt, und dann hat er in diesem Zusammenhang, wiederum etwas unterschwellig, von Konzessionen an Linke gesprochen. Er vermißte, wie er sagte, ein Bekenntnis zu der Wertordnung Freiheit - Friede - Einheit. Einverstanden!
Aber können wir uns nicht endlich einmal in diesem Hause dazu verstehen, daß doch unbestritten
ist, daß wir in Freiheit leben, daß wir Frieden haben und ihn sicherer machen wollen und daß wir, von diesen beiden Positionen ausgehend, die dritte verwirklichen können, und nur so, und daß es nicht immer erneuter 'Bekenntnisse bedarf und daß, wenn sie nicht gegeben werden, dem anderen nicht unterstellt wird, er wolle mit seiner Politik die Freiheit aufs Spiel setzen. Das ist doch allmählich unerträglich in einem 'Hause von erwachsenen Menschen!
({0})
Herr Kollege van Delden, ich finde, wir sollten uns, gerade wenn es um diese Frage geht, von der Phrasenfront entfernen und sollten nicht immer wieder versuchen, anderen das zu unterstellen, was man selbst für sich nicht haben will und auch nicht möchte.
Wir haben dann erlebt, wie hier Herr Dr. Zimmermann mit Verrenkungen in Sachen Gleichgewicht, konventionelles Gleichgewicht, wiederum recht statisch und statistisch Dinge darstellte und gleichzeitig so etwas unterkühlt von ,,Verteidigungsanstrengungen" - und man solle das nicht so nennen - der Russen sprach, denn das sei doch alles offensiv und nicht defensiv zu sehen. Ja, meine Damen und Herren, wie oft ist hier von uns, von der Regierung, von anderen darauf hingewiesen worden, daß auch die Wortwahl und die Sprache ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Außen- und Sicherheitspolitik eines Volkes ist und eines Bundestages, der sich in der Situation befindet, in der wir uns nun einmal befinden. Ich glaube, wir würden uns allen und der gemeinsam vertretenen Sache einen entsprechenden Gefallen tun, wenn wir das endlich einmal zur Kenntnis nähmen und beherzigten.
Der Herr Bundeskanzler hat dann von sich aus ebenso wie der Herr Verteidigungsminister auf die Frage der beiderseitig ausgewogenen Truppenreduzierungen hingewiesen. Ich möchte, weil immer wieder etwas einseitig ,die Frage des Abzugs amerikanischer Soldaten ins Gespräch gebracht worden ist, darauf hinweisen, was in den vergangenen Jahren geschehen ist, als wir gemeinsam bemüht waren, einer solchen Entwicklung zu steuern oder aber, wenn sie schon nicht aufzuhalten war, das Beste daraus zu machen. Jetzt kann man sich doch nicht hier hinstellen und, nachdem eine Regierung sieben Monate die Verantwortung übernommen hat, so tun, als gäbe es nicht vier, fünf Jahre vorher mit Truppenreduzierungen - leider nicht beiderseitig und ausgewogen, sondern teilweise einseitig -, und das Ergebnis nunmehr einer Regierung anlasten, die sich bemüht, daraus eine beiderseitige Truppenreduzierung zu machen, so wie es der Herr Bundeskanzler als das Ziel seiner Politik dargestellt hat!
Wenn es wirklich ein gemeinsames Anliegen ist, daß gerade auf diesem Gebiet die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf diese Fragen zu lenken, dann sollten wir doch nicht so tun, als sei es jetzt Schuld dieser Regierung und dieses Verteidigungsministers und dieses Bundeskanzlers, daß wir heute dieses Ergebnis haben, was Sie beklagen mögen. Aber weil es da ist, müssen wir versuchen, das Beste in der Zielrichtung daraus zu machen, wie es die NATO jetzt nach entsprechender Vorbereitung oder Signalgebung von Reykjavik aus über Brüssel angefangen und bis zu diesem konzentrierten Angebot von Rom getan hat.
Und jetzt fragt man weiter: Was macht denn die Bundesregierung, wenn der Osten, wenn Rußland wieder nein sagt? Ja, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich frage Sie: Stehen wir denn heute in der NATO und als Bundesrepublik nach den Ergebnissen Ihrer jahrelangen Politik schon nackt da, oder hat diese Bundesregierung in sieben Monaten das ausgezogen, womit Sie die Bundeswehr in all den Jahren Ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik umkleidet hatten. Sie sollten doch nicht so tun, als sei etwas verschenkt worden oder als sei die Situation, die wir heute haben und aus der das Beste gemacht werden soll, ein Verschulden dieser Regierung!
({1})
Das ist das, wogegen ich mich leidenschaftlich wende, und das muß man aus der Diskussion herausnehmen, wenn wir insgesamt glaubwürdig bleiben wollen.
({2})
- Nein, ich baue weder einen Popanz noch 'einen Türken auf. Ich habe das aufgegriffen, was der Herr Dr. Zimmermann sorgfältig ausgearbeitet hier vorgelesen hat, wovon ich annehme, daß es die Meinung der Gesamtfraktion ist, und um diese Legendenbildung aus der Welt zu schaffen, wende ich mich leidenschaftlich dagegen!
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja!
Bitte schön, Herr Kollege Wörner.
Wären Sie bereit, Herr Kollege Wienand, einen Bruchteil Ihrer Leidenschaft der Antwort auf die Sachfrage des Herrn Zimmermann zuzuwenden, ob nicht die Umschichtungen und der Rückgang des prozentualen Anteils des Verteidigungshaushalts zu einer Schwächung der Verteidigungskraft, der Schlagkraft, der Bundeswehr führen würden? Denn alles Gerede kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das der Kern seiner Kritik war!
Ich werde im Verlauf meiner Ausführungen genau darauf zurückkommen. Aber
vorab, um Sie zufriedenzustellen, Herr Kollege Wörner, folgendes: Betrachten Sie einmal die Historie unserer Bundeswehr, und überlegen Sie einmal, was damals der Herr Kollege Blank konzipiert hat und der Herr Strauß reduzieren und strecken mußte! Überlegen Sie einmal, was dann der Herr Strauß neu konzipiert hat und was Herr von Hassel reduzieren und strecken mußte! Überlegen Sie einmal, was dann der Herr Schröder gemacht hat, um Ruhe in die Truppe hineinzubekommen, und welche Truppe dann Herrn Schmidt überlassen wurde! Und wenn jetzt Herr Schmidt sagt: „Ruhe in die Truppe, ja; darüber hinaus erst nachdenken, dann handeln", und wenn er sagt, er sei in einer Reihe von Fragen mit der Prüfung noch nicht fertig, und wenn er vorhin sagte, er lasse sich nicht in Zugzwang bringen, aber er werde, wenn er diese Überlegungen abgeschlossen habe, Rede und Antwort stehen, scheint mir das seriös zu sein und nichts Neues in der Geschichte der Bundeswehr! Wer jetzt drängt und glaubt, es könnten in kurzer Zeit Antworten gegeben werden - Antworten, die dann sehr leicht falsch sein können, wie aus dem Ergebnis der Vergangenheit sehr leicht nachzuweisen ist, wo frühzeitig gegebene Antworten uns viel Geld gekostet und Unsicherheit auch in der Öffentlichkeit gebracht haben -, der sollte dankbar und froh sein, daß jetzt eine Atempause gemeinsamer Überlegung eingeleitet worden ist und daß dann nach sorgfältigem Abwägen die Antworten auf gewiß drängende Fragen gegeben werden.
({0})
Ich wollte nur noch einen abschließenden Gedanken aus meiner Sicht zu der Frage der beiderseitigen Truppenreduzierungen beitragen. Gewiß kann keiner von uns sagen, wie die Reaktion Rußlands oder der anderen Warschauer-Pakt-Staaten sein wird. Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn es keine befriedigende Antwort ist, haben wir uns dann etwas damit vergeben, daß wir vernünftige, der Welt verständliche Angebote im Einvernehmen mit unseren Vertragspartnern gemacht haben?
({1})
- ich stelle doch die Frage; wir können uns ja verständigen -, Angebote, die nicht nur in der westlichen Welt und Öffentlichkeit, die nicht nur bei uns, sondern die, wenn auch nicht an offizieller Stelle, so doch an anderen Stellen, auch im Osten gewürdigt werden? Ich finde, es ist auch ein Beitrag guter und sinnvoller Politik, wenn dann die anderen zu etwas nein sagen müssen, was von uns angeboten wird und der Weltöffentlichkeit als vernünftig erscheint. Allein das sollte doch auch einmal abgewartet und in diesem Zusammenhang auch gewürdigt werden.
({2})
- Ich weiß nicht, warum Sie dann polemisieren, Herr Damm. Das ist bei Ihnen immer schwer zu verstehen.
({3})
Nun, die Außen- und Verteidigungsminister der NATO haben in der vergangenen Woche in Rom der Sowjetunion und den weiteren Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts Vorschläge zur gleichwertigen und ausgewogenen Reduzierung der militärischen Kräfte in Mitteleuropa unterbreitet. Die Minister des Bündnisses folgten damit Vorarbeiten der deutschen Bundesregierung. Die Vorschläge von Rom konkretisieren in vier Punkten die in der letzten Zeit wiederaufgelebten Diskussionen über beiderseitige ausbalancierte Rüstungsbeschränkungen und Truppenverminderungen.
Der römische Appell folgt - ich sage es noch
einmal-dem Signal von Reykjavik vom Juni 1968.
Er steht nicht isoliert im Raum, wie es hier und da dargestellt wird, sondern er kann und muß parallel zu den sowjetisch-amerikanischen Gesprächen in Wien über den Versuch einer Begrenzung der großen strategischen Waffen gesehen werden.
Die Erklärung des Atlantikrats von Rom deckt sich auch mit den entsprechenden Ausführungen des Weißbuchs zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die römische Erklärung steht mit den weiteren Überlegungen der Bundesregierung in Übereinstimmung. Das verdient festgehalten zu werden bei allen Anständen, die man zu einzelnen Punkten vorbringen kann.
Die Verbündeten der Bundesrepublik haben die Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung fast zur gleichen Stunde nachhaltig unterstützt, als im Deutschen Bundestag vor einer Woche die Opposition die Gefahr an die Wand malte, die Bundesrepublik würde von ihren westlichen Freunden und Verbündeten isoliert. Heute können wir, ja, müssen wir mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit feststellen, daß die CDU/CSU in der vorigen Woche die Situation falsch dargestellt hat und heute die Möglichkeit gehabt hätte, nicht nur die Darstellungen zu geben, die gegeben worden sind, sondern ausdrücklich festzustellen, daß sie, wenn sie die Politik der NATO unterstützt, wie sie im Kommuniqué festgehalten worden ist, damit auch die Politik der Bundesregierung in diesen Fragen unterstützt; denn es gibt keinen Unterschied zwischen dem NATO-Kommuniqué und der Politik der Bundesregierung.
({4})
Wenn die CDU hier anders argumentiert, dann muß sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich nicht selbst isoliert hat oder zumindest aber verkennt, was dort in letzter Zeit wirklich vorgegangen ist und in Rom einen gewissen Abschluß gefunden hat.
In Rom wurde nicht nur eine Übereinstimmung unserer sicherheitspolitischen Vorstellungen mit denen der Partner im Bündnis festgestellt. Uneingeschränkt haben die Verbündeten die Ostpolitik der Bundesregierung unterstützt - uneingeschränkt, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU! Sie haben gemeinsam festgestellt, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen den Versuchen der Bundesrepublik Deutschland, durch zweiseitige Gespräche Verhandlungen mit der Sowjetunion, mit Polen und mit der DDR einzuleiten, und den Ge2790
sprächen zwischen den drei Mächten und der Sowjetunion in Berlin und daß damit die westlichen Anstrengungen, in Mitteleuropa zu einer wirksamen Entspannung zu kommen, eine Einheit bilden. Diese Einheit sollten wir bewahren helfen, und wir sollten dazu unseren Beitrag leisten. Die CDU/CSU steht hier also zur Zeit mit ihren vorgebrachten Argumenten leider allein.
Die in Rom erzielte Übereinstimmung der Zielvorstellungen für die nächsten Jahre und im besonderen die zwischen den römischen Erklärungen und den Intentionen des Weißbuches bestehende Übereinstimmung hinsichtlich der weitergehenden Ziele der gemeinsamen - ich unterstreiche: der gemeinsamen - Sicherheitspolitik bedeuten für meine Fraktion und für mich, daß den besonderen psychologischen Realitäten dieser Tage wirkungsvoll und in vierfacher Weise Rechnung getragen wurde.
Die Gestaltung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik hat erstens die Unterstützung unserer Freunde und Verbündeten. Zweitens ist sie den Gesprächen mit den Staaten des Warschauer Paktes dienlich. Sie berücksichtigt drittens in gebührendem Maße den inneren Zustand der Bundeswehr, und sie liegt viertens im Trend der in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik mehrheitlich gestützten und immer stärker erkennbar werdenden politischen Zielvorstellungen.
({5})
Das Weißbuch der Bundesregierung führt an mehreren Stellen aus, daß es das vorrangige Interesse der deutschen Politik sei, von der Phase der Konfrontation zu einer Ara der Kooperation zu kommen. Auch dies ist wiederum ein gemeinsames Ziel des Bündnisses, wie es in dieser Deutlichkeit zuerst vor knapp zwei Jahren in Reykjavik, dann im vergangenen Jahr in Brüssel und nun in der vergangenen Woche in Rom wieder formuliert wurde. Es handelt sich hierbei zudem um einen Zugang zu den Problemen der internationalen Politik in Europa, den auch die gegenwärtige amerikanische Regierung ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehen hat.
Der Übergang von der Konfrontation zur Kooperation kann nicht von heute auf morgen gesehen werden. Der Herr Bundeskanzler hat das vorhin in sehr eindrucksvoller Weise klargestellt. Meine Freunde und ich halten es für bedeutsam, daß wir nun immerhin gemeinsam mit unseren Verbündeten erkannt haben, daß wir uns in einer Übergangsphase befinden. Ich brauche nicht zu betonen, daß der Abbau der Spannungen bei den vorhandenen tatsächlichen und psychologischen Realitäten niemals ein Drahtseilakt ohne Netz sein darf. Alle Stufen, die zu einer Entspannung führen sollen und können, müssen dadurch gekennzeichnet sein, daß das Gleichgewicht der in Europa wirksamen und auf Europa wirkenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte erhalten bleiben muß.
In einer für deutsches sicherheitspolitisches Denken bisher einmaligen Art und Weise - jedenfalls wenn man sich auf offizielle Dokumente beruft -macht das Weißbuch der Bundesregierung allen, die es zu lesen verstehen, klar, daß dieses Gleichgewicht niemals statisch und niemals statistisch war und auch nicht so gesehen werden darf. Das Weißbuch macht ebenso deutlich, daß gewisse Asymmetrien konstant sind und bleiben werden, ohne daß darunter das Gleichgewicht oder gar das Prinzip der wirksamen gegenseitigen Abschreckung leiden müßte. Das ist die Antwort, Herr Dr. Klepsch, auf eine Reihe der von Ihnen und auch von Herrn Dr. Zimmermann gestellten Fragen.
Ich darf für meine Fraktion und für meine Partei in Anspruch nehmen, daß über Reykjavik und Brüssel bis zu Rom in jüngster Zeit Überlegungen in die offizielle Bündnispolitik Eingang gefunden haben, die von der SPD schon vor etwa 12 Jahren erstmals diskutiert und dann vornehmlich von Fritz Erler und Helmut Schmidt hier im Bundestag und auch in der WEU vertreten wurden. Vielleicht war es für unsere damaligen sozialdemokratischen Initiativen mit dem Ziel, die militärische Konfrontation speziell in Mitteleuropa abzubauen und zu einem besseren Sicherheitssystem zu kommen, noch zu früh. Ich will heute nicht darüber rechten. Immerhin dürfte feststehen, daß wir Sozialdemokraten am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre mit unseren sicherheitspolitischen Vorstellungen nicht nur bei den damaligen Regierungsparteien in der Bundesrepublik, sondern, was die Denkansätze anging, zunächst auch im Bündnis insgesamt nur auf geringes Verständnis stießen. Das hat sich mittlerweile grundsätzlich gewandelt.
Die 60er Jahre haben in der Bundesrepublik, im westlichen Bündnis und wohl auch in dem uns gegenüberstehenden Warschauer Pakt eine nüchterne und realistische Betrachtung der mit der Sicherheit und Verteidigung der Völker einhergehenden Probleme mit sich gebracht. Wir sollten weiter alle daran interessiert sein, daß es bei dieser Versachlichung bleibt, damit Gespräche möglich sind. Diese Wandlung fand z. B. in der Änderung der Strategie des Bündnisses im Frühjahr 1967 ihren Niederschlag, der ja schon fünf bis sechs Jahre vorher die entsprechende Wandlung der amerikanischen Strategie vorausgegangen war. Ich sehe hier noch einige Kollegen, die Anfang der 60er Jahre mit im Verteidigungsausschuß saßen. Ich erinnere sie daran, wie ernsthaft wir darüber nachgedacht und diskutiert haben und wie sehr wir uns bemüht haben, diesen Anschluß herzustellen. Ich erinnere sie daran, wieviel uns damals noch unverständlich erschien und daß selbst die Bundesregierung und der Verteidigungsminister im Ausschuß mit Analysen und Erklärungen nicht nachkommen konnten. Das sind doch die Stunden in jenen Jahren gewesen, die jeder noch in Erinnerung hat und die teilweise hier in diesem Bundestag ihren Niederschlag gefunden haben. Wir alle sollten froh darüber sein, daß all das überwunden ist und wir jetzt zu einer versachlichenden Sprache in diesen Punkten gekommen sind.
Im Zuge dieser Entwicklung hat sich zwar das Sicherheitsbedürfnis der europäischen Völker nicht gemindert, wohl aber ist jene Einstellung aus den
50er Jahren gewichen, nach der es galt, einer unmittelbar und beinahe unausweichlich drohenden Gefahr zu begegnen. Ich will damit nicht sagen, daß wir möglichen drohenden Gefahren gegenüber nachlässiger geworden wären oder daß sich bei uns die Tendenz ankündige, die eigenen Verteidigungsanstrengungen zu reduzieren. Wohl aber wird uns allen in zunehmendem Maße deutlich, daß Sicherheit in diesem Jahrzehnt etwas anderes bedeutet als im vergangenen Jahrzehnt oder gar als vor rund 20 Jahren. Mit dieser Feststellung soll keine Kritik an den Maßnahmen, die aus Ihrer Sicht damals als richtig angesehen wurden, aus unserer Sicht - zumindest was die Ausgangsposition anging - als falsch angesehen wurden, verbunden seien. Ich möchte diesen Streit nicht erneut aufleben lassen, sondern nur darauf hinweisen, daß wir uns heute gemeinsam in einer besseren Position, was die gemeinsamen Beurteilungsgrundlagen angeht, befinden. Es wird in zunehmendem Maße deutlich, daß die Sicherheit heute anders sichergestellt werden kann und muß und daß viele Dinge teilweise auch anders beurteilt werden.
Meine Damen und Herren, dieser Bewußtseinswandel, der meines Erachtens nichts mit zunehmender Nachlässigkeit zu tun haben darf und kann, ist nicht allein auf die Völker Westeuropas beschränkt. Die aus dem Bereich des Warschauer Paktes erkennbaren Gesten auch der Verantwortlichen deuten an, daß man auch dort zumindest den Trend in den Völkern verspürt und vielleicht in einem Nachholprozeß, in dem auch wir uns jahrelang befunden haben, bemüht ist, aus der dortigen Sicht Anschluß zu finden.
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- Sollte dann von uns aus, Herr Dr. Wörner, sei es durch drohende Gebärden, sei es durch eine falsche Sprache, sei es durch eine Darstellung der Politik, wie wir sie gemeinsam nicht wollen, selbst wenn es nur eine Hoffnung ist, diese Hoffnung zunichte gemacht werden, oder lohnt es das Ziel nicht, alles daran zu setzen, daß aus den Hoffnungen Realitäten werden!
({7})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die hier von mir skizzierten Wandlungen auch im Weißbuch der Bundesregierung ihren Niederschlag gefunden haben. Allein schon die knappe Diktion dieses Dokumentes, der Verzicht auf schmückende und meist verzerrende Beiworte, muß doch jedem Leser angenehm auffallen. Die doppelte Funktion unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird durch die klare Sprache deutlicher als jemals zuvor. Diese doppelte Funktion, das möchte ich hier noch einmal hervorheben, bedeutet: wir sind auf der einen Seite dabei, die notwendigen und möglichen Maßnahmen zu unserer Verteidigungspolitik gemeinsam mit unseren Verbündeten zu tragen, und wir werden bei diesen Anstrengungen nicht erlahmen. Wir sehen auf der anderen Seite die Notwendigkeit, abgedeckt durch diese Maßnahmen in einem stärkeren Maße als bisher eine Politik in die Wege zu leiten, durch welche Spannungen beseitigt und Wege in eine Zukunft gefunden werden sollen, die uns ein System für Europa bringen könnten, das vom Standpunkt der Sicherheit für die europäischen Völker beiderseits der trennenden Linien interessanter, weil sicherer sein könnte oder würde.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt zu verstehen, daß diese Bundesregierung mit dem Weißbuch ein Dokument vorgelegt hat, das durch die Deckungsgleichheit mit den politischen Vorstellungen der Verbündeten gekennzeichnet ist und das in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die in der Bundeswehr vorhandenen Probleme erkennt und zusammenfaßt. Das ist auch von Rednern Ihrer Fraktion unterstrichen worden. Wir glauben, daß die dem Weißbuch vorangegangenen Diskussionen des Ministers und seiner Mitarbeiter mit einigen tausend Soldaten auch in der Bundeswehr einen Prozeß weiterer Diskussion auslösen werden. Schon jetzt merken die Truppe und die interessierte Öffentlichkeit, wie manche Begleiterscheinungen in den Unterhaltungen und Kommentaren über die Bundeswehr entzerrt worden sind, weil durch die Vorlage des Weißbuchs die Dinge beim Namen genannt und deshalb ohne Nebelschleier dargelegt werden können.
Die Bundesregierung hat jetzt die Aufgabe, für die fast hundert im Weißbuch angekündigten konkreten Maßnahmen die gesetzestechnische Form zu finden. Sie wird meine Fraktion an ihrer Seite finden, wenn es darum geht, die von ihr eingebrachten Vorschläge ohne Zeitverzögerung zu verwirklichen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das zweite Weißbuch, das der Deutsche Bundestag diskutiert. Wir beschäftigen uns mit diesem Weißbuch schon seit 14 Uhr, immerhin seit 4 1/2 Stunden, und es sieht so aus, als wenn es uns noch eine geraume Zeit beschäftigen wird. Ich erinnere mich an die Diskussionen über das erste Weißbuch, das dem Hohen Hause im vergangenen Jahr vorgelegt wurde. Damals wurde dieses Weißbuch kaum diskutiert. Der einzige Sprecher, der in längeren Ausführungen dazu Stellung nahm, war mein früherer Kollege, der jetzige Wehrbeauftragte. Daran mögen Sie erkennen, daß dieses Weißbuch, das die jetzige Bundesregierung vorgelegt hat, sich gegenüber dem ersten Weißbuch, das uns im vergangenen Jahre vorlag, sicherlich fortentwickelt hat. So schlecht kann es also nicht sein, wie es von den Rednern der Opposition gelegentlich dargestellt wird. Denn sonst würden wir ja keinen Grund haben, uns so lange damit zu beschäftigen.
Von den Sprechern der Opposition ist in den Eingangsbemerkungen Kritik an der Höhe des Verteidigungshaushalts, gemessen am Gesamthaushalt, geübt worden. Es wird der Eindruck zu erwecken versucht, als zeige sich hier eine mangelnde Ver2792
teidigungsbereitschaft der jetzigen Bundesregierung und der diese Regierung tragenden Koalition.
Meine Damen und Herren, die Mittel an sich sind weder Ausdruck einer Kampfkraft noch des Verteidigungswillens. Es würde uns nichts nützen, wenn wir die Mittel erhöhten, aber nicht die Menschen hätten, die in der Lage wären, diese Mittel in effektive Kampfkraft umzusetzen.
({0})
- Herr Kollege Damm, bisher hat es mehr an den Menschen als an den Geräten gemangelt. Das steht wohl außer Frage.
Sie kritisieren, daß die Ansätze zu niedrig seien. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß Sie das schon seit geraumer Zeit bei den verschiedensten Problemen, die wir hier in diesem Hause behandeln, zu tun pflegen. Immer haben Sie der Regierung und den Regierungsfraktionen vorgeworfen, es sei eben zu wenig an Mitteln bereitgestellt worden, und die Aufgaben seien damit nicht so zu lösen, wie es notwendig wäre. Ich kann mich aber daran erinnern, daß Sie der Bundesregierung im Frühjahr dieses Jahres vorgeworfen haben, sie habe einen Haushalt vogelegt, der nicht konjunkturgerecht sei, weil er eine Steigerungsrate gegenüber dem Vorjahr aufweise, die viel höher sei als der Produktivitätszuwachs. Irgend etwas kann an Ihren Argumenten nicht stimmen: entweder legen wir einen konjunkturgerechten Haushalt vor - dann ist in allen Bereichen unserer Politik kein Platz für die Erhöhung von Mitteln -, oder wir beschränken uns darauf, besondere Vorhaben besonders zu fördern. Ich denke nur an Ihre Anträge zum Familienlastenausgleich, zu den Bildungsaufgaben und zum Wohnungsbau.
({1})
Nach Ihrer Meinung tun wir auf allen diesen Gebieten zuwenig; jetzt tun wir auch noch auf dem Sektor der Verteidigung zuwenig! Wie soll der Haushalt denn eigentlich aussehen? Wenn wir summieren, kommt immer mehr heraus; das ist eben das Wesen der Summierung.
Das vorliegende Weißbuch ist das Ergebnis einer Bestandsaufnahme. Wir sollten dieses Weißbuch dementsprechend würdigen als das Ergebnis einer Feststellung, was ist mit Vorschlägen, wie die Verteidigung in der Bundesrepublik unter Beachtung unserer Bevölkerungsstärke, unserer Wirtschaftskaft und unserer Finanzkraft organisisiert werden soll. Diese Punkte können nicht unbeachtet bleiben. Wir sind dankbar für diese Bestandsaufnahme und stellen fest, daß sie erstmalig in diesem großen umfassenden Rahmen erfolgt ist.
Das Weißbuch ist in zwei große Abschnitte gegliedert: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" und „Die Lage der Bundeswehr". Im Abschnitt zur Lage der Bundeswehr nimmt das Kapitel „Wehrstruktur und Wehrreform" eine besondere Stellung ein. Der Bundesverteidigungsminister stellt fest - wir unterstreichen diese Fesstellung -, daß die Bundesregierung auch in Zukunft am Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht festhalten wird, ungeachtet der Tatsache, daß in späterer Zeit eine andere Struktur unserer Verteidigung möglich sein könnte.
Selbst bei einer Hinwendung zur Berufsarmee würden wir auf die allgemeine Wehrpflicht - dann allerdings von kürzerer Zeitdauer im Rahmen einer Miliz oder ähnlichem - nicht verzichten können. Die Vorschläge der Freien Demokraten zur Reorganisation der Bundeswehr und zur Struktur der Bundeswehr für die Zukunft gingen auch immer von der Voraussetzung aus, daß die allgemeine Wehrpflicht beibehalten bleibt. Aber, meine Damen und Herren, das System der allgemeinen Wehrpflicht läßt sich nur praktizieren - unter Vermeidung innerpolitischer Schwierigkeiten -, wenn eine ausreichende Wehrgerechtigkeit erreicht wird. Wir sind dem Verteidigungsminister besondes dankbar, daß das Problem der Wehrgerechtigkeit in diesem Weißbuch einen großen Raum einnimmt. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung erklärt: Wir wollen ein Maximum an Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer schaffen. Und der Verteidigungsminister sagt: Die Erreichung größerer Wehrgerechtigkeit bei der Durchfühung der Wehrpflicht ist zum Kernproblem und Prüfstein des derzeitigen. Wehrsystems geworden.
Hier stimmen wir zu. Diese Zustimmung fällt uns leicht, weil wir uns in der Vergangenheit - und ich selbst einige Male hier von diesem Pult aus - gerade dieses Problems in besonderer Weise angenommen haben.
Es ist also der Wille der Bundesregierung, größere Wehrgerechtigkeit zu erreichen, dabei aber die Kampfkraft zu erhalten, den Haushaltsrahmen nicht zu überschreiten, die Präsenzstärken nicht zu verändern - sie sind auch vom Haushalt her bestimmt -, aber die Hälfte aller heute wegen eingeschränkter Tauglichkeit Noch-nicht-Dienenden zum Wehrdienst heranzuziehen und die Rückstellungsgründe zu überprüfen, die dazu führen, daß ein großer Teil unserer jungen Menschen - und nicht die unintelligentesten, aus Ausbildungsgründen heraus - am Wehrdienst vorbeikommt.
Dieser Wille, die Wehrgerechtigkeit zu erreichen, ist anzuerkennen, und ich glaube, er findet den Beifall des ganzen Hauses, denn wir haben uns in der Vergangenheit aus vielen aktuellen Anlässen heraus allzuoft mit diesem Problem beschäftigen müssen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein Teufelskreis. Denn die Jahrgangsstärken steigen in den 70er Jahren an, und wenn wir das Potential ausschöpfen wollen, dazu noch den Anteil der eingeschränkt Tauglichen - heute bis zu 35 % -drastisch verringern, die Hälfte zum Wehrdienst einziehen wollen, ,die Rückstellung nicht mehr so großzügig wie bisher handhaben, aber andererseits die gleiche Präsenzstärke, die gleiche Umfangszahl beibehalten wollen, dann ist das Problem nicht lösbar, wenn wir die derzeitige Dauer des GrundwehrOllesch
dienstes von 18 Monaten beibehalten. Das ist eine schlichte und einfache Feststellung. Das läßt sich auch mit einfacher Mathematik errechnen; dazu bedarf es nicht großer Rechenkunststücke oder besonderer Computer.
Der Bundesverteidigungsminister spricht dieses Problem an und legt ein Denkmodell dar, bei dem von einer Grundwehrdienstdauer von 15 Monaten ausgegangen wird. Da befinden wir uns in voller Übereinstimmung mit dem Bundesverteidigungsminister, denn die Verringerung des Grundwehrdienstes in der zeitlichen Dauer haben wir Freien Demokraten nicht erst seit heute oder seitdem wir in der Regierung sind oder solange wir in der Opposition waren, sondern auch davor schon gefordert.
Ich bin der Auffassung - und ich vertrete die Meinung der Fraktion -,
({2})
daß die Verringerung der Grundwehrdienstdauer -- Zu diesem Problem, Herr Damm! Wenn wir hier oben stehen, vertreten wir immer die Auffassung der Fraktion.
({3})
- Ja, ich sagte zwar: „ich bin der Auffassung",
wollte aber nur unterstreichen, daß ich es nicht allein bin. Herr Damm, das wissen Sie aber auch, ohne mich fragen zu müssen.
({4})
- Ja, natürlich, immer, Herr Kollege.
Die Kampfkraft braucht dadurch nicht verringert zu werden; denn sie wird nicht allein von der Dauer bestimmt. Vielmehr können die Intensität der Ausbildung und die Möglichkeit, die Ausbildung zweckmäßig zu gestalten, durchaus den Nachteil des kürzeren Grundwehrdienstes ausgleichen. Drei Monate scheinen mir nicht überwältigend zu sein.
Hier sollten recht bald nach Rücksprache mit unseren Verbündeten die Vorarbeiten zur Einführung eines kürzeren Grundwehrdienstes betrieben werden. Denn, meine Damen und Herren, wir können Waffensysteme anschaffen, welche immer wir wollen, wenn wir das Personalproblem der Bundeswehr, wenn wir die Wehrgerechtigkeit nicht in zufriedenstellender Weise lösen, dann wird diese Bundeswehr eben nicht Teil des gesamten deutschen Volkes sein, nicht ins Bewußtsein unserer Jugend hineingerückt werden, dann werden wir auch nicht die Verteidigungsbereitschaft erreichen können, deren wir bedürfen. Das Problem der Wehrgerechtigkeit ist, wie ich meine, von daher so ungeheuer wichtig, daß es nicht mehr nur verbal abgetan werden kann, sondern daß die Vorarbeiten zur Erreichung einer Wehrgerechtigkeit mit den Kriterien, die ich erwähnt habe, und den Zwangsläufigkeiten, die gesehen werden müssen, bald durchgeführt werden müssen.
Von einem meiner Vorredner ist hier bemängelt worden ich glaube, es war der Kollege Dr. Klepsch -, daß die Frage des Zivilschutzes in diesem Weißbuch verhältnismäßig kurz behandelt wird. Sie wissen, daß die Bundesregierung einen Bericht zur Zivilverteidigung vorgelegt hat, in dem sie dargetan hat, daß im Jahre 1970 nicht mehr Mittel bereitgestellt werden können, als es in der Vergangenheit der Fall war, daß sie aber bereit ist, im Rahmen der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung mehr Mittel einzustellen. Wir stellen ausdrücklich fest, daß zur Verteidigung die aktive militärische Verteidigung, aber auch der zivile Bevölkerungsschutz gehören.
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm? - Bitte!
Herr Ollesch, können Sie bestätigen, daß eine Rundfunkmeldung, die ich gestern abend gehört habe, zutrifft, derzufolge der Parlamentarische Staatssekretär Dorn gesagt haben soll, daß erstens die Förderung von Schutzraum in Privathäusern künftig eingestellt werden soll und zweitens die Vorratsläger für den Vorsorgefall abgebaut werden sollen und an deren Stelle eine Werbung für die Haltung privater Vorräte treten soll?
Herr Kollege Damm, ich habe meinen Kollegen Dorn nicht darauf angesprochen. Ich habe die Meldung so zur Kenntnis genommen wie Sie.
({0})
Da er vor dem Bundesverband für Selbstschutz gesprochen hat, mag es zutreffen. Herr Kollege Damm, ich sehe gar keinen Widerspruch zwischen den Erklärungen des Kollegen Dorn und unserem Bestreben, den Zivilschutz auszubauen. Sie haben verschwiegen, daß er dabei erwähnt hat, daß er Gemeinschaftsschutzräume in öffentlichen Gebäuden, in Anlagen, die von unseren Menschen benutzt werden. mehr fördern wolle als bisher. Dafür sollen vorrangig Mittel bereitgestellt werden, weil der angestrebte Bevölkerungsschutz in diesen Anlagen eher erreichbar ist als mit unzulänglichen Maßnahmen in Einzelwohngebäuden, sosehr auch, Herr Kollege Damm, in der Vergangenheit notdürftig ausgebaute Keller dazu beigetragen haben, die Verluste niedrig zu halten. Angesichts der knappen Mittel muß eben entschieden werden, wo der Schutz vorrangig ist.
({1})
- Herr Kollege Damm, was heißt: „Was ist mit den Vorräten?"
({2})
- Ich weiche da gar nicht aus; ich bin darin ganz
ehrlich: Ich halte auch nichts-wie der Kollege
Dorn - von der Bevorratung durch Behörden, Institutionen oder die Bundesregierung. Die beste Vorratshaltung und die beste Verteilerstelle, die wir in einem Eventualfall haben, sind die vielen kleinen Einzelhändler. Wir sollten alles daransetzen, diese kleinen Existenzen zu erhalten, die die Vorratshaltung und Verteilung im Notfall viel besser vornehmen können als die zentralen Verteilungsstellen.
Darauf sollten wir unser Hauptaugenmerk richten und nicht Verteilerstellen schaffen, bei denen das Umwälzen von Nahrungsmitteln notwendig ist, die sonst nachher verderben. Sehen Sie, so gefährlich ist das gar nicht. Die Bundesregierung weicht von der von ihr geäußerten Auffassung nicht ab, daß zu einer Landesverteidigung sowohl die militärische Verteidigung als auch der zivile Bevölkerungsschutz gehört, daß beide zur Erreichung des Verteidigungszieles untrennbar miteinander verbunden sind.
Meine Damen und Herren, ich werde, da meine Sprechzeit abgelaufen ist, meine Stellungnahme zum Weißbuch und zu dem Problem der Wehrgerechtigkeit mit diesen Ausführungen beenden. Wir haben in der Vergangenheit über mögliche Denkmodelle so oft gesprochen, daß ich mich darauf beschränken kann, zu sagen, daß der Bundesverteidigungsminister in diesem Weißbuch das Problem, wie ich meine, in voller Ausführlichkeit behandelt. - Herr Kollege Ernesti, Sie lächeln so süffisant; wir werden gemeinsam die Gesetzgebungsmaßnahmen vorbereiten und durchführen müssen, weil wir ja alle um die Bereinigung dieses Problems im Interesse unserer Verteidigung bemüht sind.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Stahlberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Buchstaller hat gemeint, es sei richtig, einen Appell an die Opposition zu richten, sie möge ihre Unterstützung nicht versagen bei der Durchsetzung von Gesetzen, die dem Soldaten dienen sollen. Herr Kollege Buchstaller, ich frage mich, warum Sie diesen Appell an uns gerichtet haben, nachdem Sie auf Ihrer Seite des Hauses besser wissen müßten, daß alle Initiativen zu Gesetzesvorlagen für die Soldaten, die seit dem 26. Oktober 1969 von uns, von der Opposition, vorgelegt worden sind, von Ihnen bis auf zwei alle abgelehnt worden sind.
({0})
Wir haben uns dann allerdings in etwa damit zufriedengegeben, nun erst einmal die Kritische Bestandsaufnahme abzuwarten.
Ich muß zugeben, daß wir an diese Kritische Bestandsaufnahme auch jene Hoffnungen geknüpft haben, die die Soldaten an sie geknüpft haben, nämlich die Hoffnung, daß dies in jeder Richtung eine Offenbarung wäre in bezug darauf, daß es dann kein Problem mehr wäre, wenn man die Kritische Bestandsaufnahme erst einmal durchgeführt hat, gleichzeitig Gesetzesinitiativen auf den Tisch zu bringen. Ich muß aber, Herr Minister, leider feststellen, daß an den neuralgischen Punkten sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat. Ich gebe Ihnen recht, daß das die erste umfassende Kritische Bestandsaufnahme ist, die in dieser Form vorgelegt worden ist. Man kann allerdings nicht behaupten, daß in den zehn Jahren vorher im Verteidigungsministerium nicht sozusagen periodisch neue Kritische Bestandsaufnahmen auf den Tisch gelegt und Vorschläge gemacht worden wären, an die man hätte anknüpfen können. Denn wie könnte es sonst richtig sein, daß Sie am Anfang Ihrer Amtszeit erklärt haben, Sie hätten eine gute Grundlage von Ihrem Herrn Vorgänger vorgefunden, auf der man habe aufbauen können. Sicherlich ist auch von der Opposition dankbar vermerkt worden, daß Sie bei einigen Dingen im Weißbuch gesagt haben: „Hier knüpfe ich an meinen Vorgänger an." Niemand hat Ihnen bestritten, daß Sie sich selber eine Ubersicht verschaffen wollten. Aber - ich sage es noch einmal im Hinblick auf Äußerungen, die Sie vorher getan haben, sind wir doch in einigen Punkten enttäuscht. Es würde sicher zu weit führen, diese Punkte hier alle und im einzelnen aufzuführen. Aber einige wenige Sätze müssen heute schon dazu erlaubt sein.
Ich verweise auf die Nummern 103 bis 122, die sich mit der Personalsituation der Bundeswehr befassen; darin ist festgestellt, welchen Fehlbestand es gibt, was die Folgen des Fehls sind und was die Hauptursachen des Fehls sind. Zu meiner Verwunderung stelle ich fest, daß bei den Hauptursachen des Fehls an Personal die Wohnungs- und Mietfrage mit keinem einzigen Wort angesprochen worden ist.
({1})
Es ist richtig, Herr Minister, daß an anderer Stelle natürlich auch auf die Wohnungsfürsorge eingegangen wird. Aber ich darf bescheidenerweise darauf hinweisen, daß Sie selbst, Herr Minister, im Beisein Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs am 10. November 1969 in einem „Bild"-Interview zu diesem Punkt gesagt haben: „Berkhan und ich sehen aber die Wohnungsfrage als ein Schlüsselproblem an und werden diese Sache auch so behandeln." Von „Schlüsselproblem" ist dann keine Rede mehr. Die Personalsituation hängt in Wirklichkeit sehr ernsthaft von der Wohnungs- und Mietfrage ab.
Herr Minister, Sie haben vorhin kritisiert, daß ich mich zum Kollegialprinzip in Ihrem Hause geäußert habe. Ich darf mir erlauben, Ihnen zu schildern, wie sicher wir sind, daß das Kollegialprinzip hervorragend funktioniert. Während Sie mit Ihrem Parlamentarischen Staatssekretär der Auffassung sind, daß dieser Frage ein hoher Rang einzuräumen ist, hat, wenn meine Informationen richtig sind, Herr Staatssekretär Birckholtz der doch sicherlich ins Kollegialprinzip einbezogen ist ({2})
in einer interministeriellen Sitzung kampflos - kampflos! - zugestimmt, daß die zukünftige Mietbelastung des Soldaten nicht mehr wie seit 1959 15 % betragen dürfe, sondern dem Soldaten zugemutet werden könne, daß sie jetzt nach der Trennungsgeldverordnung 18 % ausmache.
({3})
Das ist also ein deutlicher Rückschritt. Im übrigen ist bei der Diskussion der einstimmige Beschluß des Verteidigungsausschusses vom 12. Juni 1969 überhaupt nicht erwähnt worden, daß wir die alte
Wohngeldregelung für den Soldaten wieder brauchten.
Bei den sogenannten Sofortmaßnahmen weisen Sie, Herr Minister, im Weißbuch darauf hin, daß die Zweite Wohngeldverordnung vom 30. April 1970 die notwendige Abhilfe schaffen werde. Ich habe mir sehr große Mühe gegeben, einmal festzustellen, ob die Zweite Wohngeldverordnung dem Soldaten auch nur in irgendeiner Weise Rechnung trägt.
({4})
Ich versichere Ihnen: sie tut es nicht; sie nimmt auf den Soldaten keine Rücksicht.
({5})
Hier muß ich auf den Kollegen Wienand zurückkommen, der 1965 in der ersten Aussprache mit Soldaten, als ich über das Wohnungs- und Mietproblem sprach, den Soldaten anschließend erklärt hat: „Nehmt es ihm nicht übel; er ist noch zu neu im Geschäft, er hat noch zu wenig Ahnung. Der Verteidigungsausschuß kann in bezug auf Wohnung und Mieten gar nichts tun; das ist Sache des Wohnungsbauministers und des Wohnungsbauministeriums." Und dann hat er zu den Soldaten gesagt: „Der wird von der CDU gestellt, und da geschieht eben nichts." Nun, wenn ich die Landschaft heute richtig sehe, wird der Wohnungsbauminister inzwischen von der SPD gestellt.
({6})
Bei den ersten Anfragen aus dem Bereich der Bundeswehr wußte dieser Wohnungsbauminister hier in diesem Hause von der Regierungsbank her zu der Diskussion aber 'immerhin beizutragen, daß ein Zollbeamter auf der gleichen Etage im gleichen Haus 50 Mark weniger Miete als ein Soldat bezahle, weil er sich immer im Dienst befinde, auch dann wenn er in seiner Wohnung sei, und deswegen sei das eine Dienstwohnung. Dem Wohnungsbauminister war bis dahin wahrscheinlich von der Alarmbereitschaft und ähnlichem in der Bundeswehr noch wenig bekanntgeworden.
({7})
Ich möchte also an Sie, Herr Minister, die Bitte richten, das dem Wohnungsbauminister einmal klarzumachen, wenn Sie schon keine Zuständigkeit in dieser Frage haben und der Verteidigungsausschuß hier wenig tun, sondern eigentlich nur klagen kann.
({8})
- Da dieses Buch von der Bundesregierung stammt, hätte es in 'bezug auf Wohnungen und Mieten eigentlich etwas mehr Gehalt haben müssen.
Ich vermisse auch jeglichen Hinweis darauf, was getan werden könnte, um zu verhindern, daß ein Soldat in ein und derselben Wohnung in drei Jahren eine Mietsteigerung von inzwischen 35 % hinnehmen muß. Das sind Antworten, die wir vermissen.
Im Zusammenhang mit der neuen Personalstruktur heißt es - das ist der erste Satz -: „Langfristig ist die Personalnot der Bundeswehr mit Aushilfsmaßnahmen nicht zu lösen." Wenn man diesen Satz, daß die Probleme mit Aushilfsmaßnahmen offensichtlich nicht zu lösen sind, gelesen hat - dieser Meinung waren wir übrigens schon immer -, erwartet man, daß nun im Weißbuch zukunftsorientierte Gedanken in bezug auf die Verbesserung der Personalsituation vorgetragen werden. Statt dessen wird überall dort, wo es scheinbar besonders wichtig ist, eine Kommission eingesetzt. An anderer Stelle heißt es dann, daß die Personalstrukturkommission bis Ende 1971 ihre Vorarbeiten abschließen werde. Eine solche Personalstrukturkommission, Herr Minister, ist übrigens schon von Herrn Bundesminister von Hassel konzipiert und dann von Herrn Bundesminister Schröder konkretisiert worden. Sie hat auch getagt. Meine Frage lautet: Was ist eigentlich dabei herausgekommen, warum steht das Ergebnis nicht im Weißbuch, und was soll künftig diese Personalstrukturkommission eigentlich tun, damit wir ein besseres Ergebnis erzielen können?
Der Weg der Tugend wird schließlich wieder dadurch verlassen, daß man zu Aushilfsmaßnahmen greift. Es wird nämlich vorgeschlagen, dort, wo ein Beförderungsstau entstanden ist, eine Reihe von Beförderungsstellen zu schaffen. Bei allen, die möglicherweise von der Beförderungswelle, wenn sie überhaupt kommt - bisher ist nicht eine einzige Stelle beantragt worden; ich weiß also noch gar nicht, wie das Problem technisch gelöst werden soll -, profitieren werden sind große Hoffnungen geweckt worden. Herr Minister, es muß, weil die Betreffenden selber die erste Aktion so charakterisiert haben, erlaubt sein zu sagen - nehmen Sie mir das nicht übel -: Ist das nicht eine zweite Aktion „Abendsonne"? Ist diese Aktion überhaupt in der Lage, das personalstrukturelle Problem zu lösen?
Zur Fürsorge und Betreuung haben Sie in den Vorankündigungen zum Weißbuch wiederholt Ausführungen gemacht. Wenn ich mich recht erinnere, war zunächst von 200 Millionen DM für Fürsorge- und Betreuungsmaßnahmen die Rede, die man umschichten wollte. Schließlich haben Sie in Wilhelmshaven, wie ich in der Zeitung gelesen habe, von 750 Millionen DM gesprochen, die in dieser Richtung umgeschichtet werden sollten. Statt dessen lese ich im Weißbuch unter „Fürsorge und Betreuung", daß die Zahl der Fürsorgerinnen um 15 erhöht und eine Verstärkung der Fürsorge bei der Standortverwaltung vorgenommen werden soll. Ich meine, Herr Minister, daß auf Grund der Umstrukturierung in der Spitze der Bundeswehr in bezug auf die Teilstreitkräfte die Fürsorge und Betreuung ausschließlich in die Hände der Soldaten und der Disziplinarvorgesetzten gehören und ein zentrales Fürsorgeamt der Bundeswehr bei FüS installiert werden sollte. Ein Wegweiser für die derzeitigen Maßnahmen und Möglichkeiten reicht allein nicht aus.
Wir sind mit denn Journalisten der Auffassung - Sie haben das selbst geschildert -, daß an der
Kritischen Bestandsaufnahme in Zukunft in der Tat niemand mehr vorbeikommt. Diese Auffassung teilen wir sehr ausdrücklich. Wir möchten aber auch sagen, und das werden Sie uns nicht verübeln, daß wir in einer permanenten Kritischen Bestandsaufnahme prüfen werden, ob sie die großen Hoffnungen zu erfüllen in der Lage sind, die inzwischen bei den Soldaten geweckt worden sind. Ich kann also nur feststellen, ,daß der Standpunkt, den ich vor Monaten eingenommen habe, heute noch richtig ist. Ich möchte Sie dringend darum bitten, die Kritische Bestandsaufnahme nicht zu einer Verhinderungsaktion für die aktuelle Gesetzgebung werden zu lassen. Ich meinerseits fordere die Kollegen von den Koalitionsfraktionen auf, nun endlich die Gesetzentwürfe im Verteidigungsausschuß zu behandeln und positiv zu verabschieden, die wir ihnen seit dem 26. Oktober 1969 vorgelegt haben.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Pawelczyk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nur in einer Bemerkung auf das eingehen, was Herr Kollege Stahlberg soeben angesprochen hat, nämlich die Frage der Wohnungen. Ich bin eigentlich etwas erstaunt, denn die Ziffern 127 ff. auf Seite 103 ff. sprechen sich sehr ausführlich über Wohnungsfragen und Wohnungsprobleme aus, so daß ich glaube, daß zu dieser Kritik kein Anlaß besteht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
Herr Kollege Pawelczyk, wollen Sie mit diesen Bemerkungen das in Frage stellen, was der Kollege Stahlberg soeben festgestellt hat, daß die Belastung von 15 auf 18 % gestiegen ist?
Nein! Er sprach auch vom unbefriedigten Wohnungsbedarf. Hier wird mit Zahlen sehr ausführlich dargestellt, wo der Bedarf ist, wo die Lücken sind, welche Maßnahmen und welche finanziellen Mittel vorgesehen sind, um die Dinge zu ändern. Wenn Sie sich auf Seite 105 die Nr. 2 ansehen, werden Sie auch die Bemühungen zur Kenntnis nehmen, finanziell abzudecken, was sich aus der besonderen Situation der Soldaten ergibt.
Gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
Nein. - Ich möchte jetzt zu einem anderen Thema sprechen. Ich finde es interessant, daß Sie in all Ihren Beiträgen ständig auf Fragen der Rüstung drängen und daß Sie ablenken von den inneren Problemen der Bundeswehr. Ich will nicht das nochmal aufgreifen, was ich vorhin schon in einer Frage angeschnitten habe. Ich gehe davon aus, daß der verfassungsrechtliche Einbau der Bundeswehr in die Gesellschaft weitgehend gelungen ist. Aber die Konsequenzen, die für den einzelnen Soldaten daraus zu ziehen sind, harren noch der Lösung. Das wird der Schwerpunkt unserer Aufgabe sein. Es genügt nicht, sich mit dem zufriedenzugeben, was der Herr Kollege Stahlberg angesprochen hat, sondern hier muß man das Grundproblem ansprechen. Dazu gehört, daß man nachdenkt über die Funktion des Soldaten in unserer Gesellschaft, daß man sie mit der nötigen Nüchternheit definiert, um den Ansprüchen, die der Soldat zu stellen hat, auch gerecht zu werden.
Ich will es hier noch einmal ganz praktisch sagen: der Soldat ist Produzent von Sicherheit für die Sicherheit der Bundesrepublik nach außen. Für mich steht fest, daß seine Produkte Heer, Luftwaffe und Marine sind und daß das Ergebnis der Arbeit meßbar und sichtbar vor uns liegt. Die Summe dieser Produkte bildet die Abschreckungskraft. Daß diese Leistungen meßbar sind, ergibt sich aus den Leistungsergebnissen internationaler Wettkämpfe, die im Weißbuch angeführt sind. Wir sollten den Verteidigungsminister bitten, die Meßbarkeit der Leistungen zu verfeinern. Eine Orientierung gibt das Weißbuch, nämlich das Leistungsabzeichen.
Es kann gar keine Rede davon sein; daß der Soldatenberuf im Frieden ein unproduktiver Beruf sei, wie es so gern und oft dargestellt wird. Wir sollten auch aufhören, von der Paradoxie soldatischer Existenz im Frieden zu sprechen. Wir haben heute und an anderer Stelle oft sehr ersnt davon gesprochen - und das unterschreiben wir alle -, daß der Friede der Ernstfall ist. Wir können daraus folgern, daß das Optimum an Ertragsleistung, die der Soldat erbringt, die Aufrechterhaltung des Friedens erleichtert. In einer Zeit der Anwesenheit der Massenvernichtungsmittel mit der bekannten Auswirkung auf die Substanz ganzer Völker muß man eher in umgekehrter Weise von einer Paradoxie soldatischer Existenz sprechen. Die Wirklichkeit und die eigentliche Aufgabe des Soldaten liegt hier und heute, und sie ist konkret faßbar. Diese Abschreckungsfunktion trägt ihm auf, mit dazu beizutragen, daß es zum Ausbruch eines Krieges nicht kommt; sie trägt ihm aber zugleich auf, für den Fall, daß er stattfindet, kämpfend von der Ausdehnung und Ausweitung des Krieges abzuschrecken und auch abzuschrecken von der Benutzung und Anwendung gefährlicherer Mittel. Soldatische Existenz so definieren heißt unserer Gesellschaft den Raum geben, der die freie Gestaltung erlaubt. Alles andere verstellt den Blick für die klare Definition soldatischer Existenz. Hieran, an dieser Aufgabe, wirkt aber auch jeder Bürger unserer Bundesrepublik mit. Aus diesem Grunde kann der Soldat eine Sonderstellung nicht beanspruchen. Er übt einen Beruf aus wie jeder andere. Er übt allerdings im Frieden einen Beruf aus, dessen Belastungen weitaus höher sind als in vielen anderen Berufen. Diese Belastung ist nicht durch Sonderstellung, sondern durch materiellen Ausgleich zu honorieren.
Hier liegen die Aufgaben, die sich uns jetzt stellen. Ich zähle dazu - um nur einige Beispiele zu nennen - erstens eine Ausbildung, die dem Schwierigkeitsgrad der Materie gerecht wird, zweitens eine Besoldung, die dem Wert der Arbeit entspricht. Es ist ein unerträglicher Zustand, daß z. B. für die Bewertung einer Kompaniechef-Stelle die Kriterien angelegt werden, die seit Friedrich dem Großen gelten; seitdem ist der Kompaniechef Hauptmann. Dasselbe gilt, um ein Beispiel aus dem Unteroffiziersbereich zu nehmen, für den Panzerkommandanten, der ein Objekt von über 1 Million DM zu verwalten hat und zudem Soldaten auszubilden und zu erziehen hat.
Es gehört dazu aber auch, eine Organisation des militärischen Dienstes zu finden, die es dem Soldaten erlaubt, an den Annehmlichkeiten dieser Gesellschaft teilzunehmen. Die Polemik, wir hätten eine Fünf-Tage-Armee, die unsere Sicherheit freitags ab 17.00 Uhr nicht gewährleisten kann, ist wenig hilfreich. Für mich steht fest, daß der Soldat an der Freizeitgesellschaft teilhaben muß. Hier müssen Alternativen angeboten werden. Die Alternative wird sein müssen. den Soldaten am Freizeitrhythmus teilhaben zu lassen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenz?
Ja.
Herr Kollege, sind Sie nicht mir mir der Auffassung, daß es wichtiger ist, den Soldaten auf den Kampf mit dem möglichen Gegner vorzubereiten, als ihn in die Freizeitgesellschaft zu integrieren?
({0})
Ich habe gar keinen Zweifel daran, daß es weder wünschbar noch erreichbar ist, den Soldaten aus dem Rhythmus dieser Gesellschaft herauszuhalten. Er hat dieselben Ansprüche wie jeder andere auch. Wir haben uns ein System einfallen zu lassen, das die Sicherheit der Bundesrepublik garantiert. Auch in einem 5-Tage-Dienst im Frieden kann er zu einem hohen Einsatz erzogen und ausgebildet werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Petersen?
Ja.
Herr Kollege, haben Sie den Eindruck, daß Ihre großartigen Vorstellungen im Weißbuch in Form von Vorschlägen oder Plänen ihren Niederschlag gefunden haben?
Ich gehe davon aus, daß wir alle das Weißbuch durchgelesen und durchgearbeitet haben und daß wir hier unsere Stellungnahmen, auch darüber hinausgehende, abgeben.
({0})
Das ist die Grundlage der Diskussion, und dazu sollte man es genau lesen. Deswegen habe ich meine Eingangsbemerkung gemacht.
Für falsch halte ich es - um das hier abschließend zu diesem Teil zu sagen -, in Zukunft Versuche zu unternehmen, die den Soldaten wieder in eine Sonderstellung führen sollen. Das muß zwangsläufig dazu führen, daß das Trennende zwischen Armee und Gesellschaft gesucht wird. Das wäre integrationshemmend und würde eine Entwicklung einleiten, die wir nicht zulassen können.
Einsatzwert und Berufsattraktivität hängen im übrigen nicht von der Einräumung einer Sonderstellung ab. Der Einsatzwert hängt dagegen allerdings davon ab, in wie großem Umfang Staatsbürger in Uniform und Staatsbürger die Abschreckungsfunktion, die wir alle in diesem Staat zu leisten haben, verstehen. Hier, glaube ich, hat die neue Bundesregierung in einem dreiviertel Jahr Erhebliches an Bewußtseinsbildung geschaffen durch die Veranstaltung der Bestandsaufnahme, durch die Anteilnahme des Bundeskanzlers.
Ich will hier ausdrücklich die Beteiligung des Bundespräsidenten an den Sorgen der Soldaten erwähnen. Ich habe mir eine Zusammenstellung geben lassen, aus der zweifelsfrei hervorgeht, daß sich dieser Bundespräsident in nicht ganz einem Jahr mehr mit den Problemen der Soldaten beschäftigt hat - durch Besuche, durch Gespräche, - als sein Vorgänger in den zehn Jahren davor.
({1})
- Für Sie - lassen Sie mich das auf diesen Zwischenruf sagen - gab es doch wohl ständig Anlaß, daran zu zweifeln, daß dieser Bundespräsident von der Notwendgikeit einer einsatzfähigen Armee überzeugt ist. Ich glaube, er hat hier einen Beweis geliefert, der diese Zweifel klar und eindeutig widerlegt.
Dieses Weißbuch, das uns vorgelegt worden ist, ist ein Weißbuch, das es nach 14 Jahren jedem ermöglicht, sich an den Diskussionen über sicherheitspolitische Fragen und über Probleme der Bundeswehr zu beteiligen. Es gab bisher kein Buch - das hat Herr Dr. Klepsch vorhin bestätigt -, das so klar und verständlich für den Laien die Probleme aufzeigt. Und wir sollten nicht versäumen, dieses Weißbuch allen Schulen in etlichen Exemplaren zur Verfügung zu stellen.
Wir stehen auch vor der Frage, ob die Verteilung des Etats, der uns zur Verfügung steht, richtig vorgenommen wurde. Ich bin der Überzeugung, daß eine Senkung des Etats nicht verantwortbar wäre, ich bin aber genauso der Auffassung, daß es nicht verantwortbar wäre, den Nachholbedarf an sozialpolitischen Maßnahmen immer weiter hinaus2798
zuzögern. Nur wenn das vermieden wird, werden wir auch in Zukunft eine einsatzfähige Armee haben.
An den bestehenden Schwierigkeiten, die die Bundeswehr hat, tragen Sie - das will ich Ihnen deutlich sagen - ein erhebliches Maß an Schuld. Sie haben 14 Jahre lang ununterbrochen den Verteidigungsminister gestellt;
({2})
keiner Ihrer Koalitionspartner
({3})
hat jemals dieses Ressort geführt. Sie haben ({4})
lassen Sie mich es noch einmal sagen; in meiner Zwischenfrage war es wahrscheinlich nicht deutlich genug - immer die Mehrheit gehabt, um die sozialpolitischen Maßnahmen, die Sie jetzt für so besonders wichtig halten, durchzusetzen.
({5})
Seit 1956 batten Sie jeden Tag diese Möglichkeit!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner?
Herr Kollege, ich habe diese Auseinandersetzung über die Vergangenheit nicht gesucht. Aber glauben Sie, da Sie vorher von der Integration des Soldaten in diese Gesellschaft sprachen, daß es die Integration und das Selbstbewußtsein dieses Soldaten gefördert hat, daß er immer wieder, über Jahre hinweg, von Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in seiner Funktion als Soldat diskriminiert und verketzert wurde?
({0})
Das ist etwas, was nicht unter Beweis gestellt werden kann.
({0})
Als Beweis gilt hier nur eines: das ist die Mehrheitsbildung innerhalb einer Fraktion zugunsten von Maßnahmen und deren Durchsetzung. Das fehlte in den 14 Jahren.
({1})
- Was heißt hier „Jusos"? -, Sie hatten sehr ernsthafte Befürchtungen um unseren Verteidigungsminister vor dem Parteitag in Saarbrücken. Ich meine, diese Tatarenmeldungen werden Sie in der
Öffentlichkeit in zunehmendem Maße unglaubwürdig machen, und damit wird ihre Wirkung einfach verpuffen. Der Vertrauensbeweis, den unser Verteidigungsminister in Saarbrücken bekommen hat, war kaum zu überbieten.
({2})
Zeigen Sie mir die Stellen aus der Debatte von Saarbrücken, wo das erhärtet wird, was Sie hier vortragen.
({3})
- Sie haben es ja ausgelöst! Jetzt will ich es gerne noch vortragen, was ich Ihnen ersparen wollte. Wir haben den Inspekteuren der Teilstreitkräfte die Kompetenzen innerhalb eines halben Jahres zugebilligt, die sie brauchen. Ist das nicht ein Vertrauensbeweis? Ich kann Ihre kritischen Anmerkungen nicht verstehen.
({4})
Ich meine aber auch, die Befriedigung der sozialpolitischen Bedürfnisse ist jetzt das Gebot der Stunde. Es wäre gut, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten. Wir haben - und Sie haben es sicherlich auch - Interesse an einer intakten Bundeswehr. Dazu gehört ein intaktes inneres Gefüge. Wir wissen, daß die Probleme zur Zeit sehr groß sind. Denken Sie z. B. an den Offiziersnachwuchs. Wir wollen Soldaten, die sich ihres Wertes bewußt sein können, die einen Ort inmitten der Gesellschaft haben. Wir wollen nicht, daß der Soldat materiell Stiefkind dieser Gesellschaft bleibt. Deswegen haben wir diesen ausführlichen Katalog vorgesehen. Wir sind die ersten, die sich in dieser Klarheit stellen. Wir haben Ihnen, uns selber und der gesamten Öffentlichkeit ein Weißbuch an die Hand gegeben, das Vorschläge - ({5})
- Gut, die Bundesregierung.
({6})
- Wenn Sie schon einmal über den modernen Parlamentarismus nachgedacht haben, werden Sie wissen - das wissen Sie auch; Sie haben das ja 20 Jahre praktiziert ({7})
- ja, viel zu lange; das ist richtig -, daß die politische Gestaltung heute von Mehrheitsfraktion und Regierung auf der einen Seite und Opposition auf der anderen Seite geleistet wird. Das können Sie überall nachlesen.
Ich will nur so viel sagen: Sie und wir alle haben
- kontrollierbar! - ein Programm für die letzten drei Jahre dieser Legislaturperiode an die Hand bekommen. Wir haben uns damit einem Zwang ausgesetzt, dem Sie immer aus dem Wege gegangen sind. Wir haben nicht nur geredet. Wir haben uns durch Ankündigungen und Taten festgelegt. Wir haben den Wunsch, das Programm, das hier vorgePawelczyk
stellt wird, gemeinsam zu verwirklichen, weil wir der Überzeugung sind, daß wir damit den Einsatzwert der Bundeswehr heben und damit auch den Sicherheitsbeitrag für die Bundesrepublik leisten, den wir brauchen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Damm. Es ist eine Redezeit von 20 Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will dem Kollegen Pawelczyk, der hier, wenn ich es richtig sehe, soeben seine Jungfernrede gehalten hat ,
({0})
weiß Gott nicht den Glauben an seine Partei nehmen.
({1})
Ich will deshalb auch gar nicht darauf eingehen, daß er hier davon gesprochen hat, all das geschehe zum erstenmal.
Herr Pawelczyk, richtig ist vielmehr folgendes. Erstens: Natürlich werden wir auf das Weißbuch immer wieder zurückkommen. Zweitens: Sie, Herr Pawelczyk, werden wie wir alle, auf welcher Seite wir hier auch sitzen mögen, die Erfahrung machen, daß sehr viel Rauhreif auf die Blütenträume fällt, die man zu Beginn hat. Deshalb sollten wir uns über solche, mehr parteipolitisch orientierten Äußerungen gar nicht erregen.
Nur noch ein letzter Hinweis, Herr Pawelczyk. Sie werden Herrn Dröscher in Ihrer Fraktion sicherlich nicht so schnell los. Auch nach der Wahl in Rheinland-Pfalz wird er noch hier sein. Der Ärger, den er bei den Amerikanern provoziert, wird auf Sie zurückfallen. Das wird natürlich auch gewisse Auswirkungen auf das Verteidigungsministerium haben. Es wird des Herrn Würtz bedürfen, der dann mit Recht von Einseitigkeit und Einäugigkeit spricht. Herr Pawelczyk, Ihnen werden auch weiterhin Anträge wie der aus Südhessen-Süd - es war der Antrag Nr. 170 - vorgelegt werden, der schlicht besagt: „Der Parteitag möge beschließen: Die SPD- Bundestagsfraktion wird aufgefordert, keiner weiteren Erhöhung des Wehretats zuzustimmen. Die nach der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Erhöhungen sind dem Bildungsetat zuzuführen. Langfristiges Ziel muß die Verringerung des Verteidigungsetats sein."
({2})
Herr Pawelczyk, wenn sich eines Tages eine Mehrheit für einen solchen Antrag in Ihrer Partei finden wird - ich hoffe, daß das nicht der Fall sein wird -, dann müssen Sie alle Ihre Hoffnungen fahren lassen.
Meine Damen und Herren, der Verteidigungsminister hat ein Weißbuch vorgelegt, das so umfangreich ist und so vielfältige Punkte enthält, daß es sicherlich -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gern bereit zu unterbrechen.
Herr Kollege Damm, ist es nicht auch Ihr Ziel, daß der Verteidigungshaushalt auf die Dauer verringert werden möge? Mein Ziel ist es jedenfalls.
Ich bin ganz sicher, Herr Ollesch, daß es, solange wir leben und unsere Kinder und unsere Enkel leben, keine Welt geben wird, in der wir in diesem Land ohne Verteidigungshaushalt auskommen.
({0})
- Herr Ollesch, wenn Sie von mir wissen wollen, ob ich das begrüßen würde, fällt es mir genauso leicht wie Ihnen, das zu begrüßen.
({1})
Nur, was haben wir beide davon, wenn wir uns über diese Utopie einig sind? Wir wissen beide, daß leider das Leben in diesem Land und in diesem Europa und in dieser Welt anders aussieht.
({2})
Gestatten Sie eine zweite Frage?
Können Sie dann nicht den Versuch machen, den Antrag so zu sehen, wie wir beide das Problem sehen?
Herr Ollesch, bei den Sozialdemokraten aus Hessen-Süd gehe ich davon aus, daß sie erstens weit entfernt sind, weltfremde Illusionisten zu sein, und zweitens tatsächlich eine Vorstellung von politischer Freiheit und politischer Grundordnung haben, die, wie ich vermute, weder mit Ihrer noch mit meiner übereinstimmt, und daß deswegen ganz andere Absichten hinter diesem Antrag stehen.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
({0})
Eben, jetzt kommt Hessen-Süd. Entschuldigen Sie bitte vielmals, Herr Kollege Damm, aber würden Sie vielleicht etwas dedizierter eine derart massive Unterstellung hier auch untermauern und begründen, statt sich in pauschalen Urteilen über eine ganze Gruppe von politisch engagierten Menschen zu ergehen?
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Herr Kollege Horn, um mich nun wirklich dem Weißbuch zuzuwenden, empfehle
ich Ihnen - und das sind mindestens 50 % der Antwort -, die übrigen Anträge aus Hessen-Süd und der näheren Umgebung - ich meine jetzt die politische Umgebung - zu lesen. Dann werden Sie schon eine ganze Menge dessen erkennen, was Sie sich wahrscheinlich selbst als Antwort sagen können.
Meine Damen und Herren, ich wollte zum Weißbuch sagen, es ist so umfangreich und enthält logischerweise so viele Einzelpunkte, daß ein Pauschalurteil „gut" oder „schlecht" natürlich nicht gegeben werden kann. Wir sind uns sicher mit dem Verteidigungsminister darin einig, daß er von der Opposition hier nicht Lobgesänge erwartet, sondern daß er erwartet, daß wir die Dinge nennen, die wir am Weißbuch zu kritisieren haben. Das möchte ich tun.
Ich möchte aber zu Anfang, Herr Schmidt, mit einem Lob beginnen. Ich freue mich, daß Sie die Vorstellungen der Freien Demokraten, Ihres Koalitionspartners, in Sachen nuklearer Arbeitsteilung nicht akzeptiert haben, und ich bin der Meinung, daß es zu begrüßen ist, daß unter Ziffer 66 auf Seite 40 folgendes steht:
Die Bundeswehr besitzt weder nukleare Waffen noch irgendeine Verfügungsgewalt über sie. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß sie auch keinen Besitz und keinerlei Verfügungsgewalt anstrebe. Jedoch muß die Bundeswehr mit Trägermitteln für nukleare Waffen ausgerüstet sein, solange der potentielle Gegner und die Streitkräfte der Verbündeten darüber verfügen. Besäße die Bundeswehr sie nicht, so gäbe es bei der Art des westlichen Abwehrgefüges beträchtliche Lücken in der Abschreckung; im Verteidigungsfall könnte die Bundeswehr nicht in der gleichen Weise kämpfen wie der Gegner und die eigenen Bundesgenossen. Deshalb sind Luftwaffe und Heer mit Trägermitteln für Atomwaffen ausgestattet.
Herr Minister, ich möchte ausdrücklich betonen, daß ich diese Aussage, und zwar in voller Übereinstimmung mit meiner ganzen Fraktion, für richtig halte. Ich sage noch einmal, Gott sei Dank hat sich hier die FDP in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen können.
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Ein Zweites, das ich allerdings kritisch anmerken muß. Herr Schmidt, Sie haben in diesem Weißbuch einen sehr umfangreichen analytischen strategischen Teil. Ich habe nachgeschaut, ob wenigstens im Index an irgendeiner Stelle ein Stichwort enthalten ist, dem Sie in Ihrem Buch sehr viele Seiten widmen und von dem ich meine, daß es eine sehr große Bedeutung für die Betrachtung unserer sicherheitspolitischen Situation hat: es handelt sich um das Stichwort Breschnew-Doktrin. Ich stelle fest, Herr Verteidigungsminister, daß in Ihrem Weißbuch dieses Wort noch nicht einmal vorkommt, geschweige denn eine Darstellung, die auch nur annähernd der Darstellung entspricht, die Sie vor einem Jahr in Ihrem Buch gegeben haben. Sie sagen nämlich auf Seite 107 folgendes - ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren -:
So müssen sich naturgemäß zukünftig die Regierungen kommunistischer und nichtkommunistischer Staaten die Frage stellen, ob im Verhältnis zur Sowjetunion entscheidende Grundlagen !des Völkerrechts einseitig für ungültig erklärt worden sind.
Sie beklagen weiter, daß durch diese Doktrin die Glaubwürdigkeit der Sowjetunion aufs Spiel gesetzt werde, wenn sie „ihre Vertragspartner grundsätzlich vor die Notwendigkeit stellt, die Vereinbarkeit eines Vertrages mit der sowjetischen Interpretation der marxistisch-leninistischen Lehren nachzuprüfen"
Diese Ausführungen finde ich hochinteressant unter dem Aspekt, daß wir uns, wie ich vermute, in Vorverhandlungen mit den Sowjets - vielleicht sind es schon Verhandlungen - befinden. Sie sagen dann, es gebe fünf Möglichkeiten der Interpretation dieser Doktrin. Unter Punkt 5 heißt es in Ihrem Buch, sie sei eine Drohung ader vorwegnehmende Rechtfertigung von Interventionen gegen nichtkommunistische Staaten.
Auf der folgenden Seite heißt es - es sind immer noch Zitate aus Ihrem Buch -:
Die Breschnew-Doktrin impliziert zugleich eine Drohung gegen die Bundesrepublik, weil und soweit diese
- ,die Bundesrepublik zu vertraglichen Regelungen über das „Miteinanderleben" mit der DDR oder mit anderen kommunistischen Staaten zu gelangen sucht.
Am Ende heißt es, die Breschnew-Doktrin sei nichts kategorisch Neues. Aber:
Gleichwohl macht sie deutlich, daß die koexistenzbetonte Phase sowjetischer Außenpolitik, die unter Chruschtschow eingeleitet worden war, wieder einer hegemoniebetonten Phase gewichen ist. Die alte Lehre Shdanows von den zwei Lagern ist außenpolitisch aufgewertet und ideologisch komplettiert worden. Die allgemeine Koexistenz wird beschränkt auf eine Koexistenz der Hegemonialmächte.
Herr Verteidigungsminister, das sind nur wenige Zitate aus der umfangreichen Darstellung dieses Themas in Ihrem Buch.
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Ich frage mich sehr: Was hat sich seit der Veröffentlichung der ersten Auflage vor einem Jahr geändert?
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Was ist wesentlich anders geworden im Verhältnis der Sowjetunion und der Breschnew-Doktrin zu Europa, zu den kommunistischen und den nichtkommunistischen Staaten, daß Sie auf dieses wesentliche Moment in Ihrem eigenen Weißbuch, das doch Ihre Handschrift trägt, nicht eingegangen sind.?
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Ich komme nunmehr zu einem anderen Gebiet. In diesem Weißbuch ist auch die Rede von den organiDamm
satorischen Neuregelungen im Verteidigungsministerium. Hier stellen sich für mich drei Komplexe dar, die ich ganz kurz abhandeln will; ich kann das nur in Stichworten tun, weil ich nicht genügend Zeit habe. Es handelt sich zunächst einmal um das Problem Ihres Stellvertreters. Herr Schmidt, in Ihrem Buch „Strategie des Gleichgewichts" heißt es - Sie zitieren sich aus früheren Jahren -:
Die Vertretung des Verteidigungsministers durch einen beamteten Staatssekretär ist verfassungswidrig.
Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Das ist verfassungswidrig und war, soweit es früher geschehen ist, genauso verfassungswidrig, wie es heute verfassungswidrig ist, wenn Sie durch einen Beamten oder, was rein rechtlich gesehen leider noch weniger ist, lieber Herr Berkhan, durch einen Parlamentarischen Staatssekretär de facto vertreten werden.
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Ich weiß, daß Herr Bundesminister Leber, juristisch gesehen, nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung, Ihr Vertreter ist. Das ist richtig. Aber de facto ist es Ihr Parlamentarischer Staatssekretär. Das ist in der Sache auch gar nicht falsch. Nur wenn es so ist, meine ich, dann sollten Sie einen der beiden möglichen Lösungswege gehen: Entweder wählt diese Bundesregierung für das Verteidigungsministerium - das hat insoweit eine Sonderstellung - die „Ehmke-Lösung" aus dem Bundeskanzleramt und macht Herrn Berkhan zum Bundesminister für besondere Aufgaben und macht ihn gleichzeitig zum stellvertretenden Verteidigungsminister. Das wäre eine Lösung, die Sie ganz schnell und aus eigener Kraft machen könnten. Oder Sie machen ihn - was andere von mir schon gefordert haben, was viele in Ihren eigenen Reihen für richtig halten
zum Staatsminister, d. h. Sie bringen entsprechende Gesetzentwürfe ein und ändern an diesem Punkt die Verfassung. Ich meine, daß das nötig und richtig wäre.
Ein anderer Punkt: Sie haben jetzt zwei beamtete Staatssekretäre. Der eine ist besonders für die Verwaltung da, der andere ist besonders für die Rüstung da. Beide Bereiche werden durch Hauptabteilungen abgedeckt. Beide Bereiche haben Ministerialdirektoren an der Spitze, hockbezahlte Beamte, wie es sie sonst nirgendwo in einem Ministerium gibt. Sie haben durch die Bestellung dieser beiden beamteten Staatssekretär zwei Flaschenhälse geschaffen.
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- Ich gehe jetzt einmal der Einfachheit halber davon aus, daß Herr Mommsen Beamter ist. Sonst wird es zu kompliziert, wenn ich auch noch auf seinen Angestelltenvertrag eingehen muß. - Sie schaffen hier, da Sie die beiden Hauptabteilungsleiter behalten, Flaschenhälse, von denen ich nicht meine, daß sie der Sache dienen.
Ein letztes zu diesem Bereich: Wie Sie sagen, Herr Schmidt, haben Sie den Inspekteuren mehr Zuständigkeiten gegeben. Es wird sich herausstellen, ob nicht am Ende die Inspekteure nur mehr Verantwortung haben und so gut wie keine neuen Zuständigkeiten.
In einem Punkt - das wollen wir nur festhalten - sind wir entschieden anderer Meinung als Sie. Wir waren der Meinung und haben das gesagt, daß es eine Joint-chiefs-of-staff-Lösung geben sollte. Sie haben das nicht gewollt. Ich bin sicher, daß wir in einiger Zeit, in ein bis zwei Jahren, miteinander feststellen werden, daß sich Ihre Lösung, wie Sie sie jetzt getroffen haben, daß sich das Verhältnis Generalinspekteur zu den Inspekteuren nicht bewährt.
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Meine Damen und Herren! Der frühere Verteidigungsminister McNamara hat zum Thema Management folgenden Satz gesagt; das können Sie nachlesen bei Servan-Schreiber in seiner „Amerikanischen Herausforderung" ; der hält ihn für so wichtig, daß er es dort zitiert:
Das Management ist schließlich die schöpferischste aller Künste. Es ist die Kunst der Künste, denn es ist die Kunst, Talente richtig einzusetzen.
Herr Verteidigungsminister, ich halbe den Eindruck, daß Sie die vorhandenen Talente in Ihrem Hause durch Ihre Neuorganisation nicht richtig eingesetzt haben.
Jetzt möchte ich ein Wort sagen zum MRCA, allerdings nicht zu dem Thema, daß der Minister nicht wußte, daß wir mit unter dem NATO-Standard liegenden Flugstunden bei dem Starfighter fliegen, um auf diese Weise strecken zu können; ich will auch nicht über die Tatsache reden, daß er nicht wußte, daß MRCA nach den bisher dem Verteidigungsausschuß vorliegenden gültigen Papieren die Erdkampfunterstützung durch die G 91 ablösen sollte. Ich will folgendes festhalten: In Ihrem Weißbuch steht etwas drin, was bisher im Verteidigungsausschuß überhaupt nicht besprochen worden ist, von dem ich auch annehmen muß, daß es in Ihrem eigenen Haus noch keine Entscheidung gibt, denn Sie halben heute hier gesagt, Sie würden erst morgen darüber reden. Dennoch heißt es definitiv mehr als 420 würden auf keinen Fall gebaut werden. Ich muß deutlich sagen: Das ist eine einsame Entscheidung, die Sie getroffen haben, eine Entscheidung, von der Sie uns im Verteidigungsausschuß erst nachweisen müssen, daß sie sinnvoll ist. Denn Sie haben es zugelassen, Herr Minister, daß der Verteidigungsausschuß am 11. Dezember 1969 - das ist jetzt ein halbes Jahr her - eine Entschließung gefaßt hat, in der der auf Ihre Weisung hin erstattete Bericht über den Stand der MRCA-Sache begrüßt wird und in der der Verteidigungsausschuß zum Ausdruck bringt, daß dieses umfangreichste aller von der NATO bisher in Angriff genommenen Projekte sich auch weiterhin positiv entwickelt. Ich meine, daß Sie Ihre, wie ich glaube, hoffentlich noch korrigierbare Entscheidung - ich halte es für nötig, daß sie korrigiert wird -, auf 420 herunterzugehen und kein Jota mehr, bes2802
ser getroffen hätten, nachdem Sie sich mit dem Verteidigungsausschuß darüber unterhalten hätten.
Ich erwarte jedenfalls, daß wir vor der Sommerpause im Ausschuß über dieses Thema mit Ihnen und den verantwortlichen Herren Ihres Hauses noch werden sprechen können. Ich wünsche mir, daß die - wie immer sie aussehen muß - geänderte Konzeption für die Luftwaffe vom Verteidigungsausschuß noch vor der Sommerpause verabschiedet oder, sagen wir, zur Kenntnis genommen werden kann. Warum, meine Damen und Herren? Hier geht es nicht darum, daß wir, Herr Pawelcyk, für die soziale Seite keine Antenne hätten und immer nur in Tanks, Kanonen, Flugzeugen oder Schiffen dächten; hier geht es um die Tatsache, daß es sich um jahrelange Entwicklungsprojekte handelt, die, wenn sie jetzt nicht beschlossen werden, ein halbes oder ein ganzes Jahr später erst zur Verfügung stehen. Wir sehen uns vor die Tatsache gestellt, daß die Struktur der Luftwaffe nicht wird aufrechterhalten werden können, wenn wir, wie es auch im Weißbuch heißt, die durch die verspätete MRCA-Indienststellung oder vielleicht -Nichtindienststellung entstehende Lücke nicht rechtzeitig werden schließen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage
van Delden ({0}) : Herr Kollege Damm, da Sie als letzter Redner unserer Fraktion das Wort haben, darf ich Sie fragen, ob sie den Minister nicht ebenfalls bitten wollen, das gleiche für die Marine zu tun, nachdem die vier Fregatten gestrichen worden sind, damit wir auch hier eine neue Konzeption der Marine im Verteidigungsausschuß möglichst bald vorliegen haben.
Herr van Delden, ich habe den Eindruck, das brauche ich jetzt gar nicht mehr zu sagen, da das, was Sie sagten, bei ihm angekommen ist.
Ich muß hierzu noch ein Wort sagen. Natürlich spielt hier eine Rolle -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jung?
Bedeutet das - -?
Dafür können Sie zwei Minuten länger sprechen.
Herr Kollege Damm, Ihre letzte Bemerkung, daß die Entscheidung jetzt getroffen werden muß, um noch rechtzeitig das Nachfolgemuster für die Fiat G-91 und F-104 zu haben, veranlaßt mich zu der Frage: Kommt diese Ihre Erkenntnis nicht ein bißchen reichlich spät, und wäre es nach Ihrem heutigen Wissensstand nicht besser gewesen, damals, als ich 1968 und schon 1967 davor gewarnt habe, eine Zwischenlösung zu nehmen, und dafür vielmehr ein neues europäisches Kampfflugzeug als Fortentwicklung schnellstens gefordert habe, diese unsere Forderung zu unterstützen? Dann wären wir heute sicher einen wesentlichen Schritt weiter in Richtung auf das, was Sie eben forderten.
Herr Jung, ich würde Ihnen gern zustimmen, weil Ihnen der eigene Koalitionspartner ja noch nicht einmal zustimmt in so wesentlichen Fragen, wie Sie sie in Sachen Nuklearbewaffnung aufwerfen. Aber ich kann es nicht. Denn hätten wir Ihnen damals unter dieser Prämisse zugestimmt, hätte das bedeutet, daß wir eine nicht zu schließende Lücke bei den F-104-Verbänden gehabt hätten. Das hätte erstens unsere Abschreckungsfähigkeit so heruntergesetzt, daß wir es nicht hätten verantworten können, weder Sie noch wir, und zweitens würde das die Struktur - ich habe es eben schon einmal gesagt - der Luftwaffe halbiert haben, und das wäre nicht wieder aufzuholen gewesen. In dem Augenblick, wo wir einmal Staffeln oder gar Geschwader stillegen, Herr Jung - das sollten Sie als ein Reservist der Luftwaffe eigentlich wissen -, würde es fünf, zehn Jahre dauern, bis wir das wieder aufgeholt hätten. Vermutlich würden wir nie dahin kommen.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein letztes Thema; dann ist ja leider die Zeit schon wieder abgelaufen. Der Minister hat sehr viel zum Thema Wehrgerechtigkeit gesagt und hat ja auch betont, daß er das für eine ganz wichtige Angelegenheit halte; darum habe er dem im Weißbuch so viel Raum geben wollen. Herr Minister, ich möchte Sie auf eine Entwicklung aufmerksam machen, die sich erst jüngst abzeichnete, und zwar im Hamburger Raum, und die im Zusammenhang steht mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember vorigen Jahres. In diesem Urteil ist die Rede davon, daß Ausbildung in trennbare Ausbildungsabschnitte zerlegt sein müsse und daß man eben, wenn ein solcher Abschnitt erreicht sei, jemanden einziehen könne.
In einem Fall, der mehrere größere Firmen in Hamburg betrifft - HFB beispielsweise, Deutscher Ring, Volksfürsorge und Margarine-Union - und bei dem mindestens 12 bis 14 Lehrlinge betroffen sind, passierte jüngst folgendes. Volksschüler, die im Anschluß an ihre Volksschule die zweijährige Handelsschule besucht und auf diese Weise die mittlere Reife erworben haben - in der Regel zu dem Zweck, eines Tages die Fachoberschule zu besuchen -, entschließen sich, meistens weil sie Ingenieure werden wollen, die Praxis vorher zu machen; sie gehen also nach der zweijährigen Handelsschule in eine normale Lehre. In dem Fall, den ich hier vor mir liegen habe, ist der Betroffene im April dieses Jahres überhaupt erst in seine Lehre als Flugzeugbauer gegangen. Er wird jetzt eingezogen. Ich meine, daß das nicht mehr, sondern weniger Wehrgerechtigkeit ist. Sie sollten das abstellen, indem Sie diesem Hause - wenn Sie nicht selber das Ermessen haben, anzuordnen, daß diese Leute jetzt nicht eingezogen werden müssen ({0})
einen Entwurf zur Änderung des § 12 des Wehrpflichtgesetzes zuleiten, und zwar möglichst schnell, wodurch Sie ermächtigt werden, in einem solchen Fall diese jungen Leute nicht einzuziehen. Denn, Herr Schmidt, wenn dieser betroffene junge Mann nicht über die Volksschule und die Handelsschule ginge, sondern das Gymnasium besuchte, wäre er genauso alt wie wie wenn er seine Lehre beendet hätte und dann sein Abitur machte. Im Augenblick der Heranziehung gibt es da also überhaupt keinen Unterschied. Tatsächlich aber benachteiligen Sie die Volksschüler und diejenigen, die nur die mittlere Reife erwerben, und Sie bevorzugen, ohne das zu wollen, die Gymnasiasten. Herr Minister, ich möchte Sie herzlich bitten, diese Sache möglichst schnell zu regeln und nach Möglichkeit durch Ermessensentscheidungen dafür zu sorgen, daß Ihre Kreiswehrersatzämter nicht nach diesem Verwaltungsgerichtsurteil verfahren, sondern großzügiger sind.
Ein Allerletztes, meine Damen und Herren. Wir haben heute zu Beginn der Debatte, und zwar, wie ich eigens betonen möchte, unter Ausnutzung der Geschäftsordnung, einen Verteidigungsminister erlebt, der sich doch über eine ganze Menge Dinge aufgeregt hat, über die er sich eigentlich nicht hätte aufzuregen brauchen, wenn er wirklich das im Wortlaut zur Kenntnis genommen hätte, was z. B. mein Kollege Klepsch geschrieben und in Interviews gesagt hat. Ich mußte bei dieser Gelegenheit daran denken, daß unser derzeitiger Verteidigungsminister jüngst ein ganz kleines graues Büchlein zitiert hat, das den Titel trägt: „Die Armee auf der Erbse." Herr Minister, wir sind auf dem Wege, eine Armee zu haben, die sich eben nicht mehr wie die Prinzessin auf der Erbse fühlt. Ich wünsche mir nur, daß wir nicht im Austausch dafür einen Verteidigungsminister kriegen, der ein Verteidigungsminister auf der Erbse ist.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß mich heute abend gleich mit Ihnen, Herr Kollege Damm, beschäftigen. Aus diesem Grunde habe ich das Weißbuch mitgebracht. Sie haben heute mittag in einer Zwischenfrage bei meinem Kollegen Buchstaller die Ziffer 24 vorgelesen. Allerdings haben Sie sie nicht vollständig vorgelesen. Aus diesem Grunde möchte ich, daß diese Halbwahrheit durch ein Zitat ergänzt wird, das ich jetzt vorlese. Mit dem Satz „Es gibt kein konventionelles Gleichgewicht in Zentraleuropa" haben Sie geendet. Im zweiten Absatz dieser Ziffer steht aber:
Indessen gibt es aber ein politisch-psychologisches Gleichgewicht der Abschreckung. Es beruht nicht darauf, daß jedem Soldaten des Warschauer Paktes ein Soldat der NATO entgegengestellt wäre, sondern darauf, daß hinlänglich viele NATO-Soldaten da sind, um jedermann vor Augen zu führen, daß niemand hoffen darf,
„aus dem Stand" vollzogene Tatsachen schaffen zu können.
Dann geht es weiter. Das war die Ergänzung, die Sie leider nicht vorgelesen haben. Ich halte nichts davon, daß man bei solchen Halbwahrheiten stehenbleibt.
({0})
- Das waren Halbwahrheiten. Das war wohl mit Absicht nicht vollständig vorgelesen worden.
({1})
- Nein, der ist gar nicht schlimmer, sondern ist durchaus eine Erläuterung, der man zustimmen kann.
Herr Damm, ich darf dann noch zu einigen anderen Ausführungen Stellung nehmen. Wir - und ich selbst auch - finden es immer sehr amüsant, wenn Sie und Ihre Kollegen sich den Kopf über unsere Probleme, die für uns gar keine sind, zerbrechen.
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- Die für uns keine sind, ich sage es noch einmal,
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- Dröscher gegen Würtz, das ist immerhin in aller Freundschaft.
({4})
- Natürlich, das verstehen Sie nur nicht, weil Sie keine große Mitgliederpartei sind, wo man sich mit allen Richtungen auseinandersetzen muß
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und nachher akzeptiert, daß die Mehrheit auch eine
Meinung bildet, der sich die Minderheit anschließt.
({6})
Bei uns ist diese Diskussion - auch mit unserem sehr geehrten und sehr geschätzten Kollegen Dröcher - sozusagen das Salz in der Suppe. Bei Ihnen wird die Suppe ohne Salz gegessen; das ist der Unterschied dabei.
({7})
- Ja, natürlich, das müßte man. - Das Salz in der Suppe, das haben Sie eben nicht.
({8})
Dann muß ich unseren Kollegen Ernesti ansprechen. Herr Kollege Ernersti, ich habe gestern und heute Anrufe von Kommandeuren und Chefs - ausschließlich von Einheiten in Nordrhein-Westfalen - bekommen. Sie erzählten mir sehr empört, daß sie von Ihnen einen gedruckten Brief bekommen hätten - wahrscheinlich einen Brief, der an viele gegangen ist -, und diesem Brief sind die Anträge 149 bis 185 an den SPD-Parteitag beigefügt.
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- Natürlich sind nicht die Entscheidungen des Parteitags beigefügt;
({10})
darauf legen Sie keinen Wert. Natürlich, das ist doch völlig klar, das wußten wir doch, daß Sie nur das verschicken, was Ihnen in Ihren Kram paßt. Die Entscheidungen, die der Parteitag nachher mit Mehrheit beschlossen hat, haben Sie natürlich vergessen. Die Empörung draußen war genau so, wie ich sie Ihnen jetzt geschildert habe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schmidt, darf ich Ihre Auffassung so verstehen, daß Sie d a s verschicken, was Ihnen nicht in Ihren Kram paßt?
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Herr Dr. Klepsch, wir kennen uns zu gut. Ich versuche jedenfalls bei all dem, was ich an die Truppe verschicke - und das ist sehr viel - objektiv zu sein, nach zwei Seiten zu informieren. Das hier ist nicht nach zwei Seiten informiert, sondern es sind Anträge, von denen Herr. Ernesti ganz genau weiß, daß sie natürlich auf dem Parteitag zur Abstimmung gestellt worden sind. Aber es ist nicht gesagt worden, wie die Abstimmung ausgegangen ist. Aber wir wollen uns nicht mehr darüber unterhalten; das ist natürlich auch etwas, was intern Stilfragen sind.
Wenn Sie, Herr Damm, meinen, Sie könnten nach den wenigen Monaten, die die Regierung im Amt ist, bereits heute über Talente oder Talente, die nicht richtig eingesetzt sind, entscheiden, dann bewundere ich Sie. Das ist doch eine Sache, die Sie zunächst einmal der Zeit überlassen müssen.
({0})
Sie sprechen heute schon Urteile, die Sie nach einem Jahr revidieren müssen.
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- Viele Bücher darüber geschrieben? Über die Talente, die er jetzt eingestellt hat? Oder über eine Konzeption?
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- Ja, ich würde auch sagen: wir müßten einen Sonderbeauftragten, nämlich den Herrn Damm, dazu haben, dann würde das alles klappen.
Ich habe an sich die Absicht gehabt, auch über Bündnispolitik und über Bundeswehr im Bündnis etwas zu sagen. Das wird jetzt auch mit Rücksicht auf die mir zur Verfügung stehende Zeit sicher nicht mehr möglich sein. Es wäre jedenfalls interessant gewesen, etwas über die Veränderungen in der NATO selbst und über die wesentliche Mitwirkung der Bundesregierung daran zu erfahren, daß die Verteidigungsgemeinschaft mehr geworden ist als nur eine Gemeinschaft zur Verteidigung. Es wäre ferner interessant gewesen, etwas über die Assignierung unserer Streitkräfte in die NATO und damit auch über einen Beweis, daß wir nicht nach der Atomwaffe greifen, zu sagen. Ich werde das aber herauslassen und vielleicht zu Protokoll geben.
Es gibt jedoch eine andere Frage, Herr Minister, die uns sehr interessiert. Wir haben mit besonderem Interesse diejenigen Abschnitte zur Kenntnis genommen, die sich mit der Frage der wehrtechnischen Forschung, Entwicklung und Erprobung beschäftigen. Ich möchte hier einen Bereich kurz ansprechen, weil er vor wenigen Tagen Thema einer „Monitor"-Sendung gewesen ist. In den Abschnitten 68 bis 70 des Weißbuches werden die Grundsätze zum Ausdruck gebracht, die für die Bundesrepublik in der Frage der B- und C-Waffen gelten. Danach hat
die Bundesrepublik Deutschland . . . 1954 auf die Herstellung biologischer und chemischer Waffen verzichtet. Sie betreibt weder Forschung noch Entwicklung zur Herstellung von B- und C-Waffen. Sie besitzt und lagert keine B- und C-Waffen, strebt weder deren Besitz noch Verfügungsgewalt darüber an, hat keinerlei Vorbereitungen für ihre Verwendung getroffen, bildet keine Soldaten dafür aus und wird dies alles auch in Zukunft nicht tun.
Im Abschnitt 197 wird gesagt, daß nichts geschehe, was gegen völkerrechtliche Bindungen verstoße. Gerade das aber sind die Aussagen, die in der „Monitor"-Sendung angezweifelt worden sind.
Aus diesem Grund, Herr Minister, möchten meine politischen Freunde und ich wissen, welche Antwort hier gegeben werden kann, damit sich der Bürger in unserem Land eine Vorstellung darüber bilden kann, was Wahrheit und was Dichtung ist, nämlich eine Antwort auf die Frage, ob er die Aussagen des Weißbuches oder die Darstellung von „Monitor" als glaubwürdig betrachten sollte.
Ich darf Ihnen vielleicht noch ein Zweites sagen.
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- Herr Dr. Klepsch, hatten Sie eine Frage?
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- Ach so, Sie essen jetzt; dann können Sie nicht fragen.
Die Einbettung der Bundeswehr in das Nordatlantische Bündnis bedingt natürlich, daß Änderungen in der Struktur, z. B. auch in der Wehrdienstzeit, mit den NATO-Partnern abgestimmt werden müssen. Vertragstreue und Zuverlässigkeit als Partner setzen ständige Konsultationen im NATO-Rat voraus. Zur Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr im Rahmen der NATO gehören nicht nur die besten Waffensysteme, sondern dazu gehört auch die inSchmidt ({5})
nere Bereitschaft der Soldaten, für die Freiheit ihrer Nation im Bündnis zu kämpfen.
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Das entspricht dem, was Herr Damm soeben sagte. Wir alle wissen, daß Wehrpflichtarmeen ein Spiegelbild der Gesellschaft sind, aus der sie ihre Soldaten einberuft, daß sie also auch die Probleme dieser Gesellschaft offenbaren. Das ist auch unser Problem, zu dem im Weißbuch ausführlich und sorgfältig Stellung bezogen worden ist.
Wichtig für das Engagement aller Soldaten in Wehrpflichtarmeen ist die Frage der Wehrgerechtigkeit. Wissen zu müssen, daß das Gesetz den jungen Mann zur Ableistung seiner Wehrpflicht aufruft, daß jedoch ein Teil diesem Ruf aus mancherlei Gründen nicht folgen muß, bringt Unlust und Verdrossenheit, und zwar - ich sage das auf Grund von Erfahrungen, die ich mit meinen eigenen Söhnen gesammelt habe - mit vollem Recht. Hier zu annähernden Werten der Gerechtigkeit zu kommen, ist in vielen Diskussionen im Verteidigungsausschuß und auch im Plenum dieses Bundestages versucht worden, bis jetzt ohne Erfolg. Das Weißbuch zeigt hier neue und, wie ich meine, gangbare Wege. Wenn wir die Verteidigungsbereitschaft unserer Bundeswehr stärken wollen, dann müssen wir diesen Vorschlägen der Bundesregierung nähertreten.
Wir haben davon auszugehen, daß im Durchschnitt von 100 Wehrpflichtigen eines Jahrgangs etwa 35 untauglich oder eingeschränkt tauglich sind und deshalb nach den bisher anerkannten Regeln überhaupt nicht zu dienen brauchen. Wenn wir diese Zahlen einmal mit denen in Frankreich, das auch eine Wehrpflichtarmee hat, vergleichen, stellen wir fest, daß dort nur 17%, also weniger als die Hälfte, nicht zu dienen brauchen. Das ist ein Zeichen dafür, daß die Sache hier durchaus großzügig gehandhabt wird. Etwa 15 % werden aus besonderen Gründen, vor allen Dingen aus Ausbildungsgründen, zeitweilig zurückgestellt und etwa 50 % unmittelbar zum Wehrdienst eingezogen.
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Nur 10 % von denen, die für Ausbildungszwecke zurückgestellt werden, gehen völlig am Wehrdienst vorbei. Das sind die Feststellungen, die mit einem abgeschlossenen Jahrgang gemacht worden sind.
Das Problem, das Herr Damm hier angeschnitten hat, wollte ich ebenfalls vortragen. Ich will seine Hinweise jetzt unterstützen. Es ist tatsächlich so, daß das keine Befreiungen sind, daß das auch kein Verstoß gegen die Wehrgerechtigkeit ist, wenn wir gewisse Ausnahmen zulassen. Dabei muß das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts natürlich Grundlage zunächst einmal der Festlegungen im Verteidigungsministerium sein. Aber, um das eine Beispiel, das Sie gegeben haben, Herr Damm, noch zu ergänzen - ich kenne den Fall und habe ihn auch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär schon besprochen -: Wenn ein junger Mann z. B. zum Abitur hinstrebt und es nicht ganz durchsteht - das kommt ja auch vor - und dann in eine Lehre geht, ist er mit 18 Jahren Lehrling und hat noch nicht ein Jahr Lehre hinter sich. Wird er dann eingezogen, so ist er fast 22 Jahre alt, wenn er zurückkommt. Folglich kann er, da das erste Jahr seiner Ausbildung ja auch fast verloren ist und er noch einiges nachzuholen hat, mit 24/25 Jahren noch Lehrling sein. Hier also die Bitte, daß auf jeden Fall vom Verteidigungsminister versucht wird, eine vernünftige Lösung zu finden, und zwar schnell, weil das, was hier von Herrn Damm und auch von mir geschildert wurde, jetzt erstmalig nach Inkrafttreten des Urteils eingetreten ist; das gilt auch für die Konsequenzen, die das Verteidigungsministerium daraus gezogen hat.
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- Ja, die Regierung muß handeln. Nur ist sie auch nicht schuld daran! Denn die bisherigen Bestimmungen für die Freistellung sagten ganz klar, daß Lehrlinge, soweit sie die Lehre begonnen hatten, und z. B. Ingenieurschulstudenten im ersten Semester freigestellt wurden. Damit hat die Regierung also nichts zu tun. Da müssen wir das oberste Gericht, nämlich das Bundesverwaltungsgericht, ansprechen oder, wie gesagt worden ist, hier eventuell durch Initiative des Parlaments etwas tun.
Ich meine, der Stein des Anstoßes auch in der Öffentlichkeit ist die große Zahl der eingeschränkt Tauglichen, die nun nicht draußen mit einem Schild auf der Brust herumlaufen: „Ich bin eingeschränkt tauglich." Man sieht es ihnen ja nicht an. Es sind zum Teil Spitzensportler der verschiedensten Sportarten unter ihnen. Es ist klar, daß hier von den Eltern und auch von den Wehrdienstleistenden immer wieder Vergleiche gezogen werden. Wir alle haben den Versuch gemacht, draußen aufklärend zu wirken, aber der Kreis, der von uns angesprochen wird, kann immer nur klein sein. Ich begrüße es daher sehr, daß die Bundesregierung und auch der Bundesverteidigungsminister diesem Problem besondere Aufmerksamkeit schenken. Es ist notwendig, den größeren Teil der eingeschränkt Tauglichen durch Änderung der Ausbildungs- und Verwendungsvorschriften in die Bundeswehr hineinzubringen.
Hier den richtigen Mann an den richtigen Platz zu bringen, ist auch ein dringendes Erfordernis. Es wird in Zukunft auch mit Computern zu arbeiten sein. Manches, was vorgekommen ist, darf in Zukunft nicht mehr möglich sein. Ich kenne viele Fälle, wo junge Leute, die über einen Test für besondere Waffengattungen festgelegt waren, nachher bei Truppeneinheiten dienten, die sie nicht brauchen konnten, während die Wehrpflichtigen anderen Einheiten in erheblichem Maße fehlten.
Daß in diesem Zusammenhang auch die Länge der Wehrdienstzeit angesprochen worden ist, ist richtig. Auch das zählt zu den Fragen der Wehrgerechtigkeit, die - wie Minister Schmidt schon sagte - nur im Einvernehmen mit unseren Verbündeten gelöst werden können.
Von Herrn Jung ist die Frage des Fla-Panzers angeschnitten worden. Auch hier, Herr Minister, möchte ich die Bitte von Herrn Jung unterstützen
Schmidt ({9})
und möchte Sie bitten, dieser Frage Ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Angelegenheit läuft schon seit über vier Jahren, und nach meinen Informationen sind trotz der fast 200 Millionen DM Entwicklungskosten heute noch keine Aussichten, daß ein Fla-Panzer zur Verfügung stehen wird, mit dem wir in nächster Zeit oder in den nächsten Monaten Truppenversuche machen könnten. Die Truppe selbst hat sowieso schon ihre Meinung dazu gesagt. Sie hat sich anders entschieden, als aus Ihrem Hause immer wieder argumentiert wird. Vielleicht führt das als eine Hypothek der Vergangenheit dazu, daß wir auf diesem Sektor durch Beendigung der Versuche und Einführung eines anderen, bereits truppenfesten Systems viele Millionen einsparen. Möglicherweise gibt es noch eine ganze Menge anderer Hypotheken, die in diesem Sinne ebenfalls abzubauen sind und wo wir dann Mittel frei bekommen, die für die sozialen Aufgaben in der Bundeswehr gebraucht werden können.
Zum Schluß möchte ich Ihnen, Herr Dr. Wörner, noch sagen: Weder Sie noch ich waren dabei, als hier um die beste Form der Verteidigung oder der Außenpolitik überhaupt gerungen wurde, und Verteidigungspolitik ist ein Teil der Außenpolitik, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe das seinerzeit mit Aufmerksamkeit verfolgt, weil ich selbst Frontsoldat gewesen bin und natürlich daran interessiert war auch für meine Söhne -, wie es werden wird. Es ist eine Lösung gefunden worden, wobei Argumente mit allem Für und Wider gegeneinanderstanden. Wir bedauern heute, daß manche Entwicklung, die es in den 50er Jahren gegeben hat, nicht beim Schopfe genommen worden ist, zumindest um zu testen, was daraus hätte werden können.
Dann war die Bundeswehr da, und die ganzen gesetzlichen Verankerungen sind mit der damaligen Opposition zusammen geschaffen worden. Deshalb: wenn nun die überwiegenden Mehrheiten der Fraktionen, die in der Vergangenheit in diesem Hause waren, und wenn insbesondere diese Partei, die ja schon vor der Jahrhundertwende in ihren Programmen festgelegt hatte, daß die Verteidigung auch eine Aufgabe eines Volkes sei, das gemeinsam geschaffen haben, dann möchte ich doch bitten, davon abzusehen, immer wieder diffamierend hier aufzustehen und zu sagen, dieser oder jener habe dies und das gesagt. Natürlich gibt es verschiedene Meinungen.
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- Ich wollte ihn zunächst Ihnen geben, denn Sie haben ja den angesprochen, der damit angefangen haben soll. Ich wollte also Sie jetzt ansprechen, damit, wenn schon nach beiden Seiten in dieser Weise ausgeteilt wird, sich das gegenseitig aufhebt.
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- Herzlichen Dank! ({12})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind in dieser Debatte eine ganze Menge interessanter Bemerkungen zur Sache gemacht worden. Es ist unmöglich, sie alle am Schluß einer solchen Debatte zu beantworten. Das Ministerium wird eine Reihe von Tagen brauchen, um sie alle im einzelnen zu lesen, zu prüfen und zu sehen, was aus ihnen zu machen ist.
Ein paar Bemerkungen allerdings bedürfen hier am Schluß doch noch der Erwiderung, einfach deswegen, weil sie im öffentlichen Raum nicht ohne weiteres stehenbleiben können.
Herr Kollege Damm hat ein paar Bemerkungen zur Spitzengliederung des Ministeriums gemacht. Ich empfehle Ihnen, das Bundestagsprotokoll vom 21. September 1966 zu lesen, in dem ich mich - abgesehen von anderen Gelegenheiten, bei denen ich mich dazu ausgesprochen habe - dazu geäußert habe. Sie werden eine gewisse Verwandtschaft erkennen hinsichtlich dessen, was ich damals gesagt und was Sie heute ausgesprochen haben.
Übrigens war das eine Auseinandersetzung, in der es im Zusammenhang mit der Krise um die Generale Trettner und Panitzki um den Bundesminister von Hassel ging. Mich interessiert auch, was ich selber damals zu dem Amt gesagt habe, über dessen Spitzengliederung Sie hier sprachen. Damals war klar, daß Sie Ihren damaligen Verteidigungsminister auswechseln würden; Sie wußten nur noch nicht genau, wann und durch wen. Ich habe dann gesagt, dieses Ministerium sei ein Ministerium, das in besonderer Weise die Fehler, die jeder Mensch hat, die jeder Minister hat, exponiere, ein mörderisches Amt. Ich habe inzwischen bestätigt gefunden, daß das eine richtige Diagnose war. Aber ich habe nicht die Absicht, mich z. B. dadurch ermorden zu lassen, daß ich mich von Ihnen, Herr Damm, und von anderen in vorschnelle Entscheidungen über MRCA, über Hubschrauber, über Fregattennachfolge oder über irgend etwas dieser Art hineintreiben lasse. Auch wenn Sie hier noch dreimal erklären, Sie müßten das noch vor den Ferien hören, hören Sie es von mir vor den Ferien noch nicht, sondern erst dann, wenn ich weiß, was zu sagen ich verantworten kann. Damit das völlig klar ist!
({0})
Im übrigen, was die Herren Staatssekretäre Mommsen, Berkhan und Birckholtz angeht: Das sind keine Flaschenhälse, Herr Damm, sondern Köpfe. Ich bin dankbar dafür, daß wir sie haben.
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- Sie haben es nicht so gemeint?
({2})
- Ja, das ist aber eine von den Ausdrucksweisen, bei denen man gern zunächst offenläßt, wie es drauVizepräsident Dr. Schmid
ßen ankommt. Ich wollte das klargestellt haben. Ich bin dankbar, wenn Sie mir zustimmen.
({3})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage ?
Nein, schönen Dank, ich möchte die Debatte wirklich nicht noch durch vielerlei Polemik belasten.
Ich möchte auf eine Bemerkung des Kollegen Schmidt ({0}) antworten; und ich bin dankbar dafür, daß das hier noch erwähnt worden ist. Es hat mich auch ein bißchen geärgert, muß ich sagen, nicht nur für meine Person oder für mein Amt, sondern für die ganze Bundeswehr, daß eine Fernsehanstalt geglaubt hat - trotz klarer Auskunft, die ihr gegeben wurde -, in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken zu sollen, als ob die Bundeswehr doch über chemische Kampfstoffe verfüge. Ich fand das unerhört, muß ich sagen. Aber es hat keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Es wird einem in den Massenmedien ja so vieles Unerhörte mit dem scheinbaren Charakter der Dokumentation geboten.
({1})
- Ja, ich auch. Ich singe gerade davon.
Die Bundeswehr verfügt nicht über chemische Kampfmittel. Sie verfügt allerdings - das hat der Mann gemeint und geglaubt, er kann daran eine große Story aufhängen - genau wie eine Feuerwehr, wie ein Bergbaubetrieb oder wie ein Industriebetrieb, der Rauchmasken oder Gasmasken erproben muß, über Schwelkörper, aus denen Tränengas herauskommt. Weil man es anders nicht herauskriegt, muß man die Maske aufsetzen und muß ausprobieren, ob etwas Tränengas durchkommt. Wenn etwas durch kommt, fangen die Augen an zu tränen, und dann muß man an der Maske etwas ändern oder eine andere nehmen. Das ist alles. Es handelt sich um Schwelkörper und Sprühdosen, die im übrigen auch im Gelände verwandt werden, um im Manöver einen Angriff mit chemischen Waffen oder mit Gas durch den Gegner zu simulieren. Wie gesagt, es handelt sich um dieselben harmlosen Dinge, die Bergbau, Industrie oder Feuerwehr für die Prüfung verwenden.
Ich hätte gern noch einige Bemerkungen zu Ihnen, Herr Zimmermann, gemacht.
Sie haben den fehlenden Hinweis auf die Freiheit beklagt. Ich weiß nicht, ob Sie es wirklich so gemeint haben. Es klang sehr, sehr gewichtig. Sie haben übersehen, daß der Satz, den Sie zitiert haben, unmittelbar unter der Überschrift „Frieden in Freiheit" steht, und haben auch übersehen, was im Vorwort des Herrn Bundeskanzlers seht. Ich könnte Ihnen den Freiheitswert an vielen Stellen zeigen. Ich verzichte darauf. Ich hoffe, daß Sie im Ernst nicht glauben, daß wir auf die Freiheit verzichten wollen. Ich hoffe, daß das mehr eine polemische Einleitungsbemerkung hat sein sollen.
Sie haben gemeint, die Vorwarnzeit sei überhaupt nicht erwähnt. Sie ist erwähnt. Aber sie ist nicht breit dargestellt, aus zwei Gründen. Zum einen hat es keinen Zweck und keinen Sinn, wenn sich in diesem Weißbuch alles mögliche wiederholt, was in dem vorigen dargestellt worden ist, es sei denn, die Lage habe sich wesentlich geändert. Es gibt viele Dinge, die im vorigen Weißbuch von Herrn Schröder dargestellt worden sind und hier nur gestreift werden.
Es hat aber noch einen zweiten Grund. Die Frage der politischen wie der militärischen Vorwarnzeiten ist, wie Sie wissen, immer umstritten gewesen. Man soll nicht unbedingt schlafende Hunde wecken. Es gibt vielerlei Streitfragen innerhalb des Bündnisses. Sie, der Sie insbesondere von der Notwendigkeit engerer europäischer Kooperation gesprochen haben
- das haben Sie früher auch schon getan -, wissen, daß wir uns zu diesem Punkt auch deswegen hier relativ zurückhaltend ausgedrückt haben, weil wir das zarte Pflänzchen der Entwicklung, das in einer uns sehr nahe benachbarten anderen europäischen Hauptstadt dabei ist, sich zu entfalten, nicht stören wollen.
Sie haben dann an anderer Stelle bemängelt, daß die Einschätzung der uns drohenden Gefährdung nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen sei. Hier muß ich Sie auf den Text auf Seite 19 unten und auf Seite 20 oben aufmerksam machen. Ich darf die drei Sätze vorlesen, Herr Präsident:
Dennoch ist nicht zu leugnen: In Mitteleuropa unterhält der Warschauer Pakt wesentlich stärkere konventionelle Streitkräfte als die NATO. Sie sind weit stärker, als dies für die Abwehr eines Angriffs aus dem Westen
- hypothetischer Fall nötig oder für die Aufrechterhaltung der sowjetischen Vorherrschaft erforderlich wäre. Die Existenz solch riesiger Streitkräfte darf nicht als Bluff betrachtet oder behandelt werden.
Hier haben Sie das alles mit wünschenswerter Klarheit, wie ich denke, was Sie vermißt zu haben schienen. Aber ich nehme es nicht übel; denn Sie können hier nicht alles gleichzeitig im Kopf präsent haben, was sich in diesen 200 Seiten - ({2})
- Ich habe den Kollegen Damm weder zu strafen, noch habe ich das versucht, sondern ich antworte hier auf eine Bemerkung des ersten Redners Ihrer Fraktion, die ich als ernstgemeint aufgefaßt habe und der ich eine ernstgemeinte Antwort erteile.
Wenn Herr Damm nun mit vielen Worten bemängelt, daß in diesem Regierungsdokument nicht ein ganzes Kapitel meines Buchs wieder abgedruckt worden ist, so glaube ich, daß er das selbst nicht ganz ernst nehmen kann.
({3})
Die Breschnew-Doktrin ist keine Angelegenheit, die bei der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und bei der Lage der Bundeswehr hätte behandelt werden müssen. Außerdem ist sie im Weißbuch gestreift. Sie müssen einmal ein bißchen nachlesen; ich will Sie nur nicht durch lauter Zitate am Abend noch festhalten. Im übrigen ist die Breschnew-Doktrin für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, im römischen NATO-Kommuniqué erneut behandelt. Aber ich sage noch einmal: das Weißbuch ist nicht der Ort, an dem wir uns mit sowjetischen Völkerrechtsinterpretationen auseinanderzusetzen haben.
({4})
- Es ist wirklich nicht der Ort. - Wenn es einmal ein Weißbuch für die deutsche Außenpolitik geben würde,
({5})
dann würde es dort ganz bestimmt hineingehören. Das wäre übrigens vielleicht eine interessante Sache, einmal ein Weißbuch zur deutschen Außenpolitik zu haben.
({6})
- Nein, wir sind nicht verschiedener Meinung in bezug auf die Doktrin, sondern bezüglich der Frage, ob sie in dieses Buch hineingehört.
({7})
Den Streit zur Sache möchte ich im Augenblick als noch nicht geführt ansehen.
Dann hat jemand von Ihnen gefragt - und das ist nun allerdings der wichtigste Punkt, den ich hier heute abend vor aller Öffentlichkeit deutlich klarstellen muß - ,ob wir denn vielleicht zur Stolperdraht-Funktion zurückwollten und ob wir eine niedrigere atomare Schwelle wünschten, d. h. in Kauf nehmen wollten, daß in Zukunft möglicherweise durch das Bündnis eher von nuklearen Waffen Gebrauch gemacht werde als bisher vorgesehen.
Dies ist nicht die Auffassung der Bundesregierung. Das muß ich ganz eindeutig sagen. Die Bundesregierung hält fest - wie auch unsere Verbündeten - am Konzept der beweglichen Erwiderung oder der „flexible response". Im Gegenteil, ich habe vorhin ausgeführt - Sie finden das im Weißbuch ausführlicher wieder, als ich es heute nachmittag gesagt habe -, als ich von den Prinzipien unserer Sicherheitspolitik sprach - ich habe deren fünf genannt -, daß eines dieser Prinzipien ausdrücklich heißt: Zurückhaltung beim Gebrauch nuklearer Waffen durch das Bündnis. Ich bitte Sie, es im Protokoll zu vergleichen; Sie haben das überhört.
Hier gibt es überhaupt keinen Gesinnungswandel. Eher gibt es - nicht nur, aber auch unter dem Einfluß unserer Kollegen von der FDP - eine Verstärkung der Tendenz, die dahin zielt, den deutschen Anteil an den Vorbereitungen für einen solchen möglichen Fall noch zu verringern, ihn allerdings - da wiederhole ich eine Meinung, die sich auf Koalitionsvereinbarungen dieser beiden Parteien stützt nicht auf Null zu bringen, weil das uns das Mitspracherecht nähme.
Ich will nicht noch einmal darauf zurückkommen
- der Bundeskanzler hat das schon angedeutet -, welch erheblicher Fortschritt in der Sache - auch im Detail - in der Entwicklung von Reykjavik bis zu dieser besonderen MBFR-Erklärung von Rom liegt, die eine Reihe von Kriterien enthält, die die westlichen Bündnispartner für beiderseitige Rüstungsverminderungen in Europa gemeinsam nennen. Aber ich will doch sagen, Herr Dr. Zimmermann: Die „Prawda" ist nicht unbedingt ein Barometer für sowjetisches Verhalten im Laufe der nächsten 12 oder 18 Monate - wann immer es zu einer Konferenz über solche Fragen käme. Die „Prawda" ist natürlich von ganz großer Bedeutung, aber ihre Hauptaufgabe ist sicherlich, die innenpolitische Wirkung in der Sowjetunion und - wenn ich so sagen darf - die innenpolitische Wirkung innerhalb des Warschauer Paktes und unter den kommunistischen verbündeten Staaten und Parteien zu erzielen. Es ist darüber hinaus auch für uns wichtig, sie zu lesen. Ich denke nicht, daß man davon ausgehen darf, daß die Sowjets dieses Angebot ohne weiteres annehmen. Nur werden sie in dem Maße, in dem sie es mit ihrem Konferenzvorschlag ernst meinen, erkennen, daß sie ernst nehmen müssen, daß wir diesen Punkt dann allerdings auf die Tagesordnung einer solchen Konferenz setzen werden.
({8})
Über Frankreich habe ich schon eine Andeutung gemacht.
Ich muß einen Wortlaut aufgreifen, der mißverständlich war. Es ist nicht der Verteidigungsetat - auch nicht der Rüstungsetat - um 2 1/2 Milliarden DM gekürzt worden, sondern es ist angekündigt worden, daß die Umschichtungen zugunsten des sozialen Status des Soldaten, zugunsten der Bildung und zugunsten der Berufsförderung für eine Reihe von Jahren vorläufig etwa in einer Größenordnung von 600 Millionen DM liegen. Sie haben das dann mit 4 Jahren multipliziert, und so sind Sie auf 2 1/2 Milliarden gekommen. Ober haben wir es multipliziert? Ich weiß es nicht.
({9})
Das mag für vier Jahre so sein; das wird sicherlich nicht über zehn Jahre hinweg so bleiben.
Im übrigen haben Sie ja zu den Fragen des Plafonds des Einzelplans 14 den Herrn Bundeskanzler gehört.
Mir bleibt noch übrig, auf ein paar Bemerkungen über MRCA einzugehen. Vieles was hier gesagt worden ist, ist mir sehr verständlich, weil es auf einem unzureichenden Informationsstand der einzelnen Kollegen, die hier gesprochen haben, aufbaut. Ich bin sehr gehandikapt und zögere sehr, meinerseits in diese Debatte einzusteigen, denn mein Informationsstand ist nach meinem eigenen Urteil noch nicht zureichend, um ein abschließendes Urteil zu bilden.
({10})
- Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: weil das gegenüber den ausländischen Partnern notwendig war. Es tut mir leid, daß Sie nicht so viel Taktgefühl aufbringen können, um mir diese Antwort zu ersparen.
({11})
Mein Gott, das hätte man ja auch irgendwie im Privatgespräch klären können!
({12})
- Irgendwo, lieber Freund, nehme ich es ernst mit der These, die mein Amtsvorgänger aufgestellt hat, daß man sich bemühen muß, in Dingen der Sicherheit, wo es möglich ist und soweit es möglich ist, miteinander zu kooperieren, um keinen Schaden eintreten zu lassen.
Alle Entscheidungen über diese Höchstzahl hinaus bleiben offen und müssen offenbleiben. Das MRCA wird ganz bestimmt kein reines Erdkampfflugzeug. Es gibt dieses Flugzeug überhaupt noch nicht. Alles, was die Kollegen hier darüber reden, klingt für den Laien so, als ob es ein Flugzeug wäre, das man irgendwo besteigen und ausprobieren könnte. Es gibt keinen einzigen Prototyp davon. Es dauert noch Jahre, bis der erste fliegt. Und selbst wenn uns ein Bundestag überflüssigerweise drei Milliarden DM zusätzlich bewilligte, könnte er keinen Tag früher kommen, als die gegenwärtigen Pläne vorsehen. Und dann weiß immer noch niemand, wie gut er funktionieren wird. Dann muß man das MRCA immer noch ausprobieren. Dann kann es immer noch passieren, daß wir es nicht in Serie bauen können. Deswegen finde ich diese ganzen Philosophien, die sich an die Überlegungen knüpfen, wie schnell wir dieses Flugzeug wohl bekommen, damit der Starfighter abgelöst werden kann, restlos voreilig. Es kann Ihnen immer noch passieren, daß wir etwas ganz anderes machen.
Ich finde dieses Projekt - hier stimme ich mit meinem Amtsvorgänger überein - unter außenpolitischen Gesichtspunkten interessant. Es wäre das erste wirklich bedeutsame Rüstungsprojekt, das hier in Europa in Zusammenarbeit mehrerer europäischer Staaten, insbesondere der Engländer und der Deutschen, entsteht. Das finde ich außenpolitisch und auch unter den Aspekt der Europapolitik hochinteressant.
({13})
- Technisch sowieso, Herr Schneider. Aber ich bitte
auch einmal zu erfühlen, daß das Projekt Risiken in sich birgt, die auch nicht durch eine innerhalb von 14 Tagen stattfindende neue Unterrichtung des Verteidigungsausschusses des Bundestages kleiner oder größer werden.
Im Hinblick auf alles - das sage ich vielen Kollegen, die dazu gesprochen haben -, was Sie bei früherer Gelegenheit im Verteidigungsausschuß des Bundestages dazu vorgetragen bekommen haben, mache ich einen Generalvorbehalt. Mir können Sie das, was Sie bei früherer Gelegenheit dazu gehört haben, nicht vorhalten. Im Gegenteil, Sie wissen von mir aus zwei Sitzungen des Verteidigungsausschusses, daß ich es abgelehnt habe, mich gegenwärtig auf irgend etwas festzulegen, mit der einzigen Ausnahme, daß ich gesagt habe - ich habe nicht, wie hier einige zitiert haben, gesagt: wir beschaffen 400 Flugzeuge dieses Typs -: Entgegen den Plänen, die der Verteidigungsausschuß bisher zustimmend zur Kenntnis genommen hat - vielleicht hieß es auch nur: zur Kenntnis genommen hat; ich bin nicht ganz sicher, ob das Wort „zustimmend" vorkam -, in denen von etwa 800 Flugzeugen für Marine und Luftwaffe gemeinsam die Rede war, kann eine Zahl oberhalb von 420 überhaupt nicht in Betracht kommen. Das ist das einzige, worauf ich mich festgelegt habe. Damit ist nicht gesagt, womit die etwa entstehende Lücke auszufüllen wäre. Damit ist auch keineswegs gesagt, daß es 420 Flugzeuge sein werden. Es können auch weniger sein. Diese einzige Festlegung war - ich habe es schon gesagt - im Hinblick auf die Gespräche, die wir mit unseren beiden ausländischen Partnern führen, notwendig.
Ich habe meine Bemerkungen heute mittag über Lobbyismus aus Reihen der Abgeordneten ganz besonders wegen des Drucks gemacht, der auf mich in Sachen MRCA ausgeübt wird. Ich sehen den Kollegen Schneider hier sitzen. Er ist zu mir gekommen und hat gesagt, einige Kollegen hätten meine Bemerkungen mißverstanden und gemeint, sie hätten sich auf ihn bezogen. Er ist nicht gemeint gewesen. Das möchte ich hier deutlich sagen, damit das niemand mißversteht. Ich empfinde diesen Druck - auch hier im Plenum ausgeübt - als der Sache absolut unangemessen. Das will ich in aller Deutlichkeit sagen. Sie haben die Möglichkeit, mich zu Aussagen zu zwingen. Sie können einen Untersuchungsausschuß einsetzen. Dann werden Sie herausfinden, daß ich bisher keine einzige Entscheidung getroffen habe. Kein Untersuchungsausschuß wird der Bundesregierung eine Entscheidung abzwingen können. Das Mittel des Untersuchungsausschusses haben Sie; doch ich empfehle Ihnen, sich zu überlegen, ob Sie sich wirklich dieses Mittels bedienen wollen.
Außerdem möchte ich Sie bitten, sich als Abgeordnete innerlich einmal die Frage zu stellen, ob es eigentlich gut ist, wenn Sie hier als freiwillige und unbezahlte Lobbyisten Ihrer jeweiligen Reservistenwaffengattung oder Streitkraft auftreten. Zum Teil werden hier Dinge vorgetragen im, wie man denkt, wohlverstandenen Interesse der eigenen Waffengattungen oder der eigenen Teilstreitkraft, die nicht ganz der fachlichen Beurteilung standhalten. Ich nehme das nicht übel, aber ich bitte ganz freundlich, sich einmal zu überlegen, ob das sein muß.
Damit mich das Haus klar versteht: Vor der Sommerpause wird es nichts mit einer Entscheidung, die Ihnen vorgetragen werden könnte, weder über MRCA noch über das Flottenbauprogramm, noch über den Hubschrauber, noch über den Fla-Panzer. Ich unterstreiche, was Herr Jung zum Fla-Panzer gesagt hat. Ich fand diese Probleme vor, ich kann sie auch nicht in sieben Monaten entscheiden, nachdem sie vorher zum Teil sieben Jahre gelegen haben. Beides sind keine herausggeriffenen Zahlen. Aber
ich habe heute mittag meine Bereitschaft erklärt - und ich wiederhole sie hier -, Ihnen Anfang Juli - ich nehme an, daß ich im Laufe des Monats Juni soweit kommen kann - ganztägig zu all diesen Projekten zur Verfügung zu stehen.
({14})
Ich kann immer nur warnen - ich gehöre dem Haus mit einer Unterbrechung seit 1953 an; ich war 1955 Vorsitzender eines Unterausschusses des Verteidigungsausschusses für Beschaffung - vor dem Tempo, mit dem der Verteidigungsausschuß oder sein Vorgänger, der Sicherheitsausschuß, Rüstungsbeschaffungsvorlagen akzeptiert haben. Ich kann davor nur warnen. Ich habe in zwei Kardinalfällen vorher dringend gewarnt, bei denen die spätere Entwicklung meine Besorgnisse bestätigt hat. Ich will das nicht vertiefen. Ich denke nur, daß die Kollegen im Verteidigungsausschuß ihre Urteilskompetenz in solchen Fragen richtig einschätzen sollten.
Ich will hier auf viele weitere Einzelheiten nicht eingehen.
Herr Stahlberg, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, daß Sie die Truppe nicht besucht hätten, sondern ich habe mich dagegen gewehrt, daß Sie mir vorwarfen, ich hätte die Truppe zuviel besucht. Sie haben einen Aufsatz mit der Überschrift „reist und reist und redet und redet" geschrieben. Dagegen habe ich mich gewehrt; ich fand es nicht so besonders nett. Ich bin nicht empfindlich gegen Kritik. Ich möchte hier meine Bereitschaft zur Zusammenarbeit wiederholen. Es geht nur nicht, daß man fachlich-sachlich und freundschaftlich-kollegial im Verteidigungsausschuß - das Plenum ist ja heute ein Ausschußersatz geworden durch vielerlei Beiträge, ich kann nicht dafür - über alles mögliche freundlich redet und dann draußen Reden hält, Artikel schreibt und Interviews gibt, die im Grunde eine solche Art der Zusammenarbeit unterminieren müssen.
Wenn jemand gesagt hat, die Bestandsaufnahme dürfe nicht zu einer Verhinderung von Novellierungsgesetzen werden, so kann ich dazu nur sagen: Wenn ich diesen Satz in den Mitteilungen für die Truppe abdruckte, würde die halbe Armee darüber lachen, und die andere Hälfte würde sich darüber wundern. Denn in Wirklichkeit weiß doch jeder in der Armee, daß Herr Hoogen recht hat mit dem, was er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt gesagt hat. Als er ein freier Mann geworden war, hat er ausweislich der „Rheinischen Post" auf einer Veranstaltung eines Arbeitskreises der ChristlichDemokratischen Union gesagt - es sollen dort herbe Worte der Kritik von seiner Seite gefallen sein; das will ich alles offenlassen, ich zitiere nur das, was hier in Gänsefüßchen abgedruckt ist -, Sie hätten die Probleme, auf seine eigene Partei gemünzt, die jetzt im Weißbuch behandelt werden, schon vor Jahren aufgreifen müssen. „Hier ist viel versäumt worden." So ist es.
Ich hätte das alles nicht gesagt, wenn nicht heute mindestens sechsmal jemand von Ihnen gesagt hätte: warum ist dies noch nicht, warum ist das noch nicht? Wir machen es doch erst seit sechs Monaten, Sie haben es über 15 Jahre gemacht. Sie müssen einmal ein bißchen sachlich sein.
({15})
Ein paarmal ist hier vom sozialdemokratischen Parteitag die Rede gewesen. Ich habe nichts dagegen, daß Sie sich unseren Kopf mit zerbrechen. Nur, die Mehrheiten zu den Anträgen, die Herr Damm hier zitiert hat, waren auf dem Parteitag eindeutig. Herr Damm, wir kennen uns seit vielen Jahren, auch aus Hamburg, nicht erst aus diesem Hause. Ich finde, Sie sollten sich auch überlegen, ob Sie mit der Zitierung solcher Geschichten wirklich zur Verlängerung eines Märchens beitragen wollen, das Herr Wörner durch eine Zwischenfrage wieder aufgewärmt hat, des Märchens, die Sozialdemokraten seien den Soldaten gegenüber eine unzuverlässige Gesellschaft. Das schien mir jedenfalls dabei unterschwellig anzuklingen. - Wenn Sie das nicht gemeint haben, wenn Sie jetzt mit dem Kopf schütteln, höre ich sofort auf, darüber zu sprechen.
Nur, lieber Herr Wörner: wenn die Maxime von Dr. Gerhard Schröder, die ich noch einmal in Erinnerung rufen will, weil ich ihr im Grunde zustimme - in Sicherheits- und Verteidigungsfragen sollte man sich gegenseitig nicht mehr Schwierigkeiten als geboten machen, und man sollte nicht mehr zerhacken, als wirklich auseinandergenommen werden muß -, richtig ist, müssen auch Sie, dem soeben schon gesagt worden ist, daß er damals gar nicht dabei war, mit diesen simplifizierenden Darstellungen von Debatten in diesem Hause aufhören, die vor anderhalb Jahrzehnten unter völlig anderen außenpolitischen Voraussetzungen geführt wurden. Ich will gar nicht weiter darauf eingehen, und ich polemisiere jetzt gar nicht.
Ich bin damit am Schluß. Ich habe, so denke ich, bis zum heutigen Tage niemandem in der Oppositionsfraktion Grund gegeben - weder durch das, was ich in der Öffentlichkeit gesagt oder geschrieben habe, noch durch das, was ich hier im Parlament geäußert habe -, sich in Fragen Sicherheitspolitik oder Bundeswehr verletzt zu fühlen. Ich bitte mir nachzusehen, daß ich es, nachdem ich in den letzten Wochen und Monaten vielerlei Böses habe lesen müssen, allerdings heute einmal für notwendig hielt, darauf zu anworten - nicht zuletzt deshalb, um zu zeigen, daß ich es notfalls immer noch kann. So ist es nicht.
({16})
Aber schön ist es nicht, wenn man so miteinander reden muß. Meine Bereitschaft haben Sie, sofern in Zukunft bei gewissen Presseverlautbarungen und Interviews Ihrer Seite ein bißchen mehr Sorgfalt waltet. Ich meine damit gar nicht Herrn Kiesinger; denn ihn habe ich als einen Sicherheitspolitiker nie ernst genommen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure es an sich, die Debatte noch einen kleinen Moment verlängern zu müssen. Ich hätte wirklich gewünscht, Herr Schmidt, daß wir nicht nur uns, sondern vor allen Dingen auch Abwesenden dieses Maß an Polemik ersparen, mit dem Sie sich selbst ununterbrochen Lügen strafen. Man kann nicht auf der einen Seite in einer Weise, wie Sie es eben getan haben, empfindlich auf sicher gelegentlich polemische Äußerungen reagieren, und dann andererseits dn einer so massiven und abwertenden Weise auf Mitglieder dieses Hohen Hauses zu sprechen kommen.
Im übrigen, so glaube ich, hat es gerade der von Ihnen zuletzt genannte Politiker am allerwenigsten nötig, von mir Ihnen gegenüber in Schutz genommen zu werden. Ich wünschte mir, Sie würden als Verteidigungsminister dermaleinst so viel leisten, wie dieser Mann im Deutschen Bundestag und in der Regierung geleistet hat. Dann könnten wir alle zu einem sehr positiven Urteil über Sie kommen.
({0})
Lassen Sie mich einiges zurechtrücken und auch ein bißchen die Fronten in diesem Gefecht klären. Ich habe den Eindruck, daß die Fronten am Schluß ein wenig verschwommen sind. Lassen Sie mich auch noch ein paar Dinge herausgreifen, die meines Erachtens unbeantwortet im Raum stehengeblieben sind.
Zunächst zu meiner persönlichen Bemerkung. Ich weiß nicht, ob Sie der Debatte ausreichend gefolgt sind, um zu wissen, aus welcher Situation heraus ich die Zwischenfrage gestellt habe, ob es der Integration der Bundeswehr in diese Gesellschaft gedient hat, daß der Soldat in seiner Funktion von - das können Sie im Protokoll nachlesen - einzelnen Sozialdemokraten während vergangener .Jahrzehnte laufend verketzert worden ist. Das trifft nicht Sie. Diese Frage muß aber erlaubt sein, wenn man von eben der Partei, die zunächst einmal die Ohne-mich-Stimmung hochgekurbelt und sich dann auf diese gestützt hat, zu hören bekommt, daß man nicht genug für diese Bundeswehr getan habe, die man selbst zunächst einmal doch gar nicht wollte. Das bezieht sich gar nicht auf die Debatte hier im Bundestag.
({1})
Herr Schmidt, wenn lauter Sozialdemokraten Ihres Schlages und, was die Bundeswehr anlangt, Ihrer Stellung und Ihrer Courage gegenüber der Bundeswehr und Ihrer eigenen Partei schon in den Anfangsjahren vorhanden gewesen wären, dann hätte ich weder die Notwendigkeit gefühlt noch die Möglichkeit gehabt, eine solche Zwischenfrage zu stellen. Aber es ist doch einfach unerhört, wie man so tut, als ob die Sozialdemokratie seit Gründung der Bundeswehr keine andere Sorge gehabt habe, als diese Bundeswehr zu hegen, zu pflegen, zu fördern und immer weiter zu entwickeln.
({2})
Herr Schmidt, lassen Sie mich das sagen: Es ist wohl kaum je ein Minister in den ersten Monaten seiner Amtsführung so glimpflich und so fair und schonend behandelt worden wie Sie.
({3})
Ich gehöre zu denen, und das sage ich jetzt nicht polemisch, die immer und immer wieder auch draußen vor der Truppe sagen: Ich bin gar nicht unglücklich darüber, daß einmal ein Sozialdemokrat als Bundesverteidigungsminister das sagen kann und sagen muß, was wir hier gehört haben; beispielsweise, daß der Soldat in der Lage sein muß zu kämpfen, damit er nicht kämpfen muß. Wann hätten wir das je in dieser Form von diesem Podest von einem sozialdemokratischen Bundesminister sonst zu hören bekommen?
({4})
Deswegen haben Sie an sich keine Ursache, zu klagen. Ich bin der Meinung und gebe das ganz offen zu, daß nicht alle Polemik hin und her in dieser Debatte der Bundeswehr und der Debatte über das Weißbuch genützt hat. Das gilt sicherlich gleichermaßen für alle Seiten des Hauses. Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie sagen, wir müßten hier versuchen, gerade was die Bundeswehr anlangt, kleinkarierte Polemik aus dem Spiel zu lassen. Aber genauso, wie ich selber diese Meinung gern beherzigen möchte, muß ich Sie bitten, sich dann ebenfalls in der Wahl Ihrer Worte und in der Wahl Ihrer Polemik selbst zu disziplinieren. Dafär haben Sie in dieser Debatte, so glaube ich, einige Beispiele geliefert.
Aber nun zur Klärung der Fronten. Ich darf noch einmal zusammenfassen, damit. hier nichts Falsches stehenbleibt, wo wir die Bundesregierung, den Bundesverteidigungsminister unterstützen. Bei all den Maßnahmen, die im Verteidigungsweißbuch in recht brauchbarer, nützlicher Form zusammengestellt sind und die dazu dienen, wie Sie es mit Recht hervorgehoben haben, die psychologische Situation, die innere Lage der Bundeswehr zu bessern; bei all den Maßnahmen, bei denen es darum geht, die Stellung des Soldaten in dieser Gesellschaft, also nicht nur die soziale, sondern auch die gesellschaftliche Stellung, aufzubessern, haben Sie unsere Unterstützung, und zwar unsere uneingeschränkte Unterstützung.
Ich stehe nicht an zu sagen, daß mir das Weißbuch gefallen hat, aus verschiedenen Gründen, zumindest in dem Teil - auf das andere komme ich noch -, der sich mit der inneren Lage der Bundeswehr befaßt. Was mir besonders gefallen hat - ich weiß nun nicht, ob das Ihre Handschrift ist, ich will Ihnen gern diesen Lorbeer lassen, oder ob das die Handschrift eines Mannes ist, der hinter Ihnen sitzt -, ist das gute Deutsch, in dem dieses Weißbuch abgefaßt ist. Das darf man in diesem Saal auch einmal sagen.
Ich bin auch dankbar dafür - ich wiederhole es -, daß Sie hier ausgeführt haben, daß der Soldat für sich in Anspruch nehmen kann, Friedensdienst zu leisten. Es ist ja längst nicht mehr so, daß bei uns der Kriegsdienstverweigerer derjenige wäre, der im Ghetto ist und sich verteidigen muß, den man anklagt. Heute ist es doch so, daß man dem Wehrpflichtigen, der seiner Wehrpflicht genügt, zu suggerieren versucht, daß er das nur schlechten Gewissens tun könne. Nein, er kann beanspruchen, daß er für den Frieden mindestens ebensoviel tut, wie der, der den Wehrdienst verweigert.
({5})
Auch da gibt es, wie gesagt, zwischen uns und zwischen Ihnen, zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition, keinerlei Streit.
Wir sollten diese Debatte auch nicht so auffassen, daß in diesen Punkten und in unserer Einigkeit hier auch nur der leiseste Ton der Diskrepanz auftaucht, denn das würde dieser Bundeswehr sicherlich nichts nützen, sondern ganz im Gegenteil. Hier wünsche ich Ihnen ich sagte es Ihnen schon in einer Fernsehsendung, ich sage es hier noch einmal - unabhängig von der Partei, der Sie angehören, persönlich vollen Erfolg, und zwar nicht um Ihretwillen - so uneigennützig bin ich gerade auch nicht , sondern um der Bundeswehr willen. Ich würde das jedem anderen Verteidigungsminister gleichermaßen sagen. Da hat mein Kollege Klepsch recht: Sie haben das Glück, eine Opposition zu haben, die in diesen Punkten hundertprozentig und, wenn es sein muß, auch gegen Ihre eigene Partei hinter Ihnen steht.
({6})
Nun lassen Sie mich noch einmal die drei oder vier zentralen Einwände wiederholen, die nach dieser Debatte und nach Ihrer Antwort, Herr Bundesverteidigungsminister, bei meiner Fraktion und mir zurückgeblieben sind.
Zunächst einmal sagten Sie, diese Bundeswehr habe es nicht nötig, daß man laufend Bekenntnisse zu ihr ablege. Wenn das ein Mann wie Sie sagt, nehme ich ihm das ab. Nur glaube ich nicht, daß das die tatsächliche Lage der Bundeswehr und die Notwendigkeiten trifft. Ich beobachte immer wieder - und ich lasse mich hier gern als Lobbyist der Bundeswehr, als ein Reservist der Bundeswehr bezeichnen -, daß Soldaten unterschiedlicher Range, bis gelegentlich hoch zu Generälen, aber auch herunter bis zu den Unteroffiziersanwärtern, so möchte ich einmal sagen, res erleben müssen, daß Politiker in ihren Veranstaltungen beispielsweise sehr viel mehr Zeit, Energie und Raum darauf verschwenden, über populäre Maßnahmen zu reden, darüber, daß man Straßen und Schulen bauen müsse usw. - darüber sprechen wir ja alle -, daß sich aber kaum jemand mehr bereit findet, der Bevölkerung zu sagen, warum diese Bundeswehr nötig ist und daß der Preis, den wir für die Freiheit zahlen müssen, der Dienst in der Bundeswehr ist. Die Bundeswehr fühlt, daß diese Courage querbeet nicht mehr besteht. Das ist weder allein an Sie noch allein an uns gesagt, sondern das geht uns alle an.
Hier widerspreche ich Ihrer Aussage auf das energischste. Es darf einfach nicht vorkommen, daß die Bundeswehr gelegentlich auf unflätige Weise in Zeitungen angegriffen wird, ohne daß das Verteidigungsministerium die Notwendigkeit empfindet, sich vor die Soldaten zu stellen und Anwürfe, die nicht berechtigt sind, zurückzuweisen.
({7})
Da könnte ich Ihnen Beispiele nennen. - Das war Einwand Nummer eins.
Einwand Nummer zwei. Es läßt sich nicht ganz so einfach darüber hinwegreden, Herr Schmidt, daß die Umschichtung von Mitteln und die sogenannte Streckung des Verteidigungsetats, vor allen Dingen des Rüstungsprogramms, ganz erhebliche Auswirkungen hat. Das hat auch der Kollege Zimmermann, wie ich glaube, in vortrefflicher Form, und zwar unpolemisch, gefragt. Die Bundeswehr wird Not leiden, und ich möchte sogar behaupten, daß auf lange Frist nicht nur die Schlagkraft dieser Truppe darunter leiden könnte, sondern ganz sicher auch das Betriebsklima der Bundeswehr. Denn ich habe immer wieder feststellen können, daß die guten jungen Soldaten und auch die guten älteren Soldaten etwas leisten wollen und daß sie gegenüber den Möglichkeiten und Waffen, die man ihnen an die Hand gibt, ungemein kritisch sind. Sie wollen keine Pappkameraden spielen, sondern wollen wissen, daß sie so ausgerüstet sind, daß sie ihren Auftrag erfüllen können.
Da könnte es sehr wohl sein, daß die Streckung, die, wie ich glaube, gar nicht so einfach aufzuholen sein wird, wie Sie es skizziert haben, dazu führt, daß gerade die Besten in der Bundeswehr anfangen, an ihrer Waffe, an ihrem Auftrag und an ihrer Aufgabe zu zweifeln.
Ich sage Ihnen darum - ich sage das mehr als
Bitte -: Überlegen Sie sich gut, ob nicht unsere Anmerkung jenseits aller parteipolitischen Polemik der berechtigten Sorge um die Abschreckungskraft, dieses Bündnisses und dieser Bundeswehr entspricht. Denn Sie selbst sind ja einer derer, die immer wieder von der Abschreckungswirkung der Bundeswehr mit Recht gesprochen haben und ein Buch darüber geschrieben haben, das ich, wenn ich Ihnen das hier sagen darf, für gut halte.
Sie haben diesen Punkt dann ein bißchen, wie ich glaube, zu sehr herabgespielt: man brauche nicht das meiste und beste und nicht überzüchtetes Gerät usw. Ich weiß nicht, ob Sie da nicht aus der Not eine Tugend gemacht haben. Diese Frage, Herr Schmidt, müssen Sie uns in diesem Hause oder im Ausschuß noch sehr viel eingehender beantworten, als Sie das bis jetzt getan haben.
Ich will es mir versagen, auf die MRCA-Geschichte einzugehen. Ich teile Ihre Auffassung: Dieses Ding ist viel zu heikel, als das es hier in aller Breite diskutiert werden sollte. Ich persönlich bin überdies in Ihren Augen ja befangen, weil ich Lobbyist dieser Teilstreitkraft bin.
Ich möchte bloß drei Dinge ganz kurz dazu sagen. Mir ist es unverständlich, - -({8})
- Wenn es Ihnen unangenehm ist, Herr Buchstaller, mich anhören zu müssen, - -({9})
- Ausgezeichnet!
({10})
- Wenn Sie mich schon als Parlamentsreformer apostrophieren - ich habe mir diesen Titel nicht gegeben -, wenn Sie das schon tun, dann möchte ich Ihnen etwas sagen:
({11})
zur Parlamentsreform gehört nach Ihren eigenen Beteuerungen doch die Chancengleichheit von Regierung und Opposition.
({12})
Und jetzt zählen Sie bitte zusammen, wie lange der Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanzler zusammen gesprochen haben! Sie werden uns dann erlauben, daß wir dazu wenigstens noch einige Ausführungen machen.
({13})
Herr Schmidt, ich glaube, Sie haben recht, wenn Sie sagen, Sie wehren sich, vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Aber es bleibt der Widerspruch bestehen, daß Sie dennoch eine Entscheidung getroffen haben, nämlich die, soundso viele nicht zu bauen. Ich wünschte mir, Sie hätten auch diese Entscheidung zurückgestellt; denn Sie werden feststellen: Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als diese Entscheidung in der einen oder anderen Form zu korrigieren; denn sonst sind bis zu dem Jahr, in dem Sie die 400 haben, so viele vom Himmel gefallen, die Sie erneuert haben müssen, daß die Kosten wahrscheinlich noch beträchtlich höher werden. Ich möchte das, wie gesagt, nicht ausführen; ich sage es Ihnen hier bloß in der Form einer Prophezeiung. Wir werden uns im Ausschuß darüber weiter unterhalten.
Eine letzte Bemerkung und eine letzte Einschränkung: Es war mir sehr interessant, von Ihnen zu hören, daß Sie persönlich bei der Wortwahl und bei der Darstellung der potentiellen Bedrohung aus dem Osten sich offensichtlich anderer Worte bedienen und von anderen Motiven getragen sind als von denen, wie sie uns, wie ich finde, in einem musterhaften Stil der Kollege Wienand dargestellt hat. Ich meine das gar nicht polemisch. Erinnern Sie sich an den Haupteinwand des Barons von Guttenberg gegenüber der neuen Ostpolitik: man glaubt, dadurch, daß man die Dinge nicht mehr beim Namen nennt, die anderen zum Nachgeben bewegen zu können. Man glaubt also, durch Wortwahl den Bewußtseinswandel herbeireden zu können!
Ich finde, es ist bei manchen Ihrer Parteifreunde eine ganz charakteristische Gefahr, daß man sich nicht mehr traut, in aller Ausführlichkeit davon zu sprechen, was eintreten könnte, wenn sich die Absichten der russischen Führung von heute auf morgen ändern, wenn man das Potential sieht, das dieser Regierung zur Verfügung steht. Denn davon geht langfristig aus - das können Sie gar nicht verhindern -, daß die Verteidigungsbereitschaft in unserem Volk nachläßt.
({14})
Ich möchte damit schließen, daß ich Ihnen sage: Es war nicht gut, auf den Wehrbeauftragten Hoogen und sein Zitat zu sprechen zu kommen. Ich könnte dem ein anderes Zitat entgegensetzen, das Sie in seinem Bericht nachlesen können, wonach der letzte Bundestag von 65 Gesetzen für die Bundeswehr 55 verabschiedet hat.
Ich persönlich meine aber: Es kann um die Bundeswehr nur einen einzigen Wettstreit zwischen uns geben, nämlich den Wettstreit des Handelns. Das Weißbuch ist, wie ich glaube, auf der Basis der inneren Situation eine brauchbare Arbeit. Wir sollten darin - und in nichts anderem -, wetteifern, aus diesem Vorhaben Gesetz werden zu lassen. Ich bin sicher, daß die CDU/CSU bei einem solchen Wettbewerb nicht schlecht abschneiden wird.
({15})
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) über den Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten des Bundestages
- Drucksachen VI/453, VI/800 -Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskirchen
Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Er soll offenbar nicht mündlich ergänzt werden. Die Fraktionen haben vereinbart, sich mit Erklärungen zu begnügen.
Das Wort zu der ersten Erklärung hat der Abgeordnete Ernesti.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns verständigt, daß wir den Bericht des Wehrbeauftragten nicht mehr diskutieren. Ich gebe im Namen meiner Freunde eine Erklärung ab.
Wir haben Verständnis für den Wunsch, daß der Bericht des Wehrbeauftragten für 1969 hier noch einmal ausführlich diskutiert werden sollte. In den
vergangenen Jahren ist häufig Kritik an diesem Hause geübt worden, weil den Beratungen keine genügende Beachtung geschenkt wurde. Nach dem Verlauf der Diskussion am heutigen Tage halten wir eine erneute Debatte nicht für angebracht.
Ich erinnere daran, daß der Bericht in seinen wesentlichen Punkten bereits bei der Verabschiedung des Wehrbeauftragten Hoogen diskutiert worden ist. Wir haben ihm den Dank ausgesprochen; ich wiederhole ihn namens meiner Freunde. Unabhängig von der heutigen Auffassung bleibt es bei unserer grundsätzlichen Einstellung, die Berichte des Wehrbeauftragten in diesem Parlament jährlich ausführlich zu diskutieren.
Wir werden dem Antrag des Ausschusses die Zustimmung geben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bundestagsfraktion der SPD möchte ich folgende Erklärung abgeben.
Die Bundestagsfraktion der SPD hält es nicht für zweckmäßig, nach der ausführlichen Debatte über das Weißbuch des Verteidigungsministers noch eine Diskussion über den Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1969 anzuschließen. In der vorausgegangenen Debatte wurden auch die im Bericht des Wehrbeauftragten dargestellten zentralen Sachverhalte diskutiert.
Außerdem stehen wir in diesem Jahr vor der besonderen Situation, daß durch den Wechsel im Amt des Wehrbeauftragten der Bericht für das Jahr 1969 nicht mehr vom Verfasser vor dem Parlament vertreten werden kann. Die SPD-Fraktion dankt dem ausgeschiedenen Wehrbeauftragten für die vielen Anregungen und Empfehlungen, die in dem Bericht ihren Niederschlag gefunden haben. Wir begrüßen es, daß wesentliche Punkte Eingang in das Weißbuch gefunden haben und daß das Weißbuch an entscheidenden Stellen Amt und Bericht des Wehrbeauftragten würdigt.
Wir bitten den neugewählten Wehrbeauftragten, den für das Jahr 1970 zu erstellenden Bericht rechtzeitig vorzulegen, damit er entsprechend seiner Wichtigkeit für die Bundeswehr und für das Parlament eingehend in diesem Hause diskutiert werden kann.
Das Amt des Wehrbeauftragten wurde auf Initiative der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion geschaffen. Wir sind sicher mit den Soldaten der Bundeswehr der Auffassung, daß dieses Amt seine Bewährungsprobe bestanden hat und als Einrichtung des Parlaments für die Soldaten nicht mehr wegzudenken ist. Mit Bedacht hat Fritz Erler den Wehrbeauftragten einen Parlamentsbeauftragten genannt, der Auge und Ohr der Volksvertretung in den Streitkräften zu sein hat. Wir werden mit besonderer Aufmerksamkeit in einer vergleichenden Betrachtung auch die Entwicklung der Hinweise auf die schwachen Stellen verfolgen, damit die Jahresberichte zu einem Instrument werden, das uns zuverlässige Kriterien für die Situation der Bundeswehr im zeitlichen Ablauf liefert.
Parlament und Regierung wird man auch daran messen können, in welchem Maße der dynamischen Entwicklung Rechnung getragen wird, in der sich die Bundeswehr als ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft befindet.
Die SPD-Fraktion nimmt den Antrag des Verteidigungsausschusses an.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem ich bereits am 11. März die grundsätzliche Stellungnahme meiner Fraktion, der Freien Demokraten, zum Bericht des Wehrbeauftragten abgegeben habe, möchte ich mich jetzt wie meine Vorredner auf die Abgabe einer kurzen Erklärung beschränken.
Ich unterstütze namens der Freien Demokraten den Antrag des Ausschusses in allen drei Punkten und begrüße besonders, daß diejenigen Teile des Jahresberichts 1969, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, in einer Broschüre zusammengefaßt werden sollen, um damit der Öffentlichkeit interessantes Material an die Hand zu geben, damit sie sich mit den Problemen innerhalb der Bundeswehr beschäftigen kann und eine objektive und sachliche Information bekommt.
Ich begrüße aber auch, daß der neue Wehrbeauftragte die Arbeit seines Vorgängers bereits weiterentwickelt und, wie ich der Presse mit Freude entnommen habe, neue Wege beschritten hat, nämlich sich durch unangemeldete Besuche bei den Truppenteilen aus eigener Anschauung zu informieren und damit nicht immer nachher zu kommen, sondern die Zustände in der Bundeswehr durch diese Besuche schon von vornherein möglicherweise positiv zu beeinflussen.
Ich begrüße auch, daß sich der Herr Minister in der heutigen Debatte über das Weißbuch, und zwar mit Engagement, die auch im Bericht des Wehrbeauftragten geforderte Studienfürsorge in seinen Ausführungen zu eigen gemacht und die Länder dazu aufgefordert hat, gerade auf diesem Gebiet Wege zu beschreiten, um die Ungerechtigkeiten, die der Wehrbeauftragte in diesem Bereich aufgezeigt hat, zu beseitigen.
Die zivilberufliche Wiedereingliederung der Soldaten und auch der Offiziere auf Zeit ist im Bericht des Wehrbeauftragten ebenso wie in den Debatten, die wir vorher geführt haben, angeführt worden, und wir begrüßen, daß auch das Eingang in die Broschüre findet.
Eine Bitte hätte ich an das Ministerium, nämlich die versprochene Überprüfung in einem Gesamtpaket im Zusammenhang mit der Soldatenversorgung möglichst rasch vorzulegen, damit wir im
Verteidigungsausschuß Beschlüsse fassen können, die im Sinne des Berichts des Wehrbeauftragten liegen. Eine weitere Bitte geht dahin, möglichst rasch auch die Reservistenkonzeption aufzustellen, damit die im Bericht des Wehrbeauftragten angesprochenen Probleme bei den Wehrübungen der Reservisten sobald wie möglich durch eine entsprechende Konzeption bereinigt werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend folgendes sagen. Ich wünschte mir ich glaube, ich spreche hier in Ihrer aller Namen -, daß das Interesse der Politiker an den Problemen der Bundeswehr größer würde. Ich möchte noch einmal den schon am 11. März ausgesprochenen Dank an den in der Zwischenzeit ausgeschiedenen Wehrbeauftragten wiederholen und seinem Nachfolger Glück in der Fortsetzung des beschrittenen Weges wünschen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Ich lese am besten die drei Punkte vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten - Drucksache VI/453 - wird zur Kenntnis genommen. Der Bundestag dankt dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit im Berichtsjahr.
2. Die in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen werden für die weitere die Bundeswehr fördernde Arbeit der Bundesregierung verbunden mit dem Wunsche nach Prüfung und Erwägung, zur Kenntnis gebracht.
3. Der Bundestag wird die Teile des Jahresberichts 1969 von grundsätzlicher Bedeutung in einer Broschüre zusammenfassen und herausgeben lassen.
Ist das Haus einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist die heutige Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf morgen, Mittwoch, den 3. Juni 1970, 8 Uhr, ein.
Ich schließe die heutige Sitzung.