Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, wenn ich weitere Hinweise gäbe, bereit, die Frage noch einmal zu prüfen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Wie schon bei anderen Fragen in ähnlichen Zusammenhängen möchte ich auch in diesem Fall ausdrücklich sagen, daß die Bundesregierung selbstverständlich dazu bereit ist, dafür Sorge zu tragen, daß jeder, ,der in der Bundesrepublik lebt, die Möglichkeiten der freien Betätigung und des freien Lebens in dem Sinne hat, in dem wir das wünschen.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. - Ich glaube, daß damit auch die Frage 117 von Ihnen, Herr Kollege Halfmeier, erledigt ist. - Ist erledigt.
Ich rufe die Frage 118 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Hält es die Bundesregierung nicht für notwendig, ihren erklärten Standpunkt, die Oder-Neiße-Linie nicht als westpolnische Nationalstaatsgrenze anzuerkennen, sehr deutlich den überwiegenden Aussagen fast aller Rundfunk- und Fernsehkommentatoren, daß die Bundesregierung politisch dazu bereit wäre und nur durch innenpolitische, vertragliche und verfassungsrechtliche Tatbestände gehemmt sei, entgegenzustellen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dahrendorf.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, ich möchte darum bitten, die Fragen 118 und 119 wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zusammen beantworten zu können.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann rufe ich zusätzlich die Frage 119 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Warum schweigt die Bundesregierung in diesem Falle, wenn die politischen Absichten der Bundesregierung in dieser Einseitigkeit der Kommentierung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten der Bundesländer, die den politischen Informationswert von Nachrichten übersteigen, besonders wenn ihnen seitens der Bundesregierung nicht widersprochen wird, falsch wiedergegeben werden?
Bitte schön!
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, die beiden Fragen des Kollegen Freiherr von Fircks beziehen sich auf Äußerungen von Kommentatoren bzw. auf die Kommentierung von politischen Meinungen. Solche Äußerungen von Kommentatoren spiegeln nicht notwendig die Meinung der Bundesregierung wider. In diesen wie in anderen Fragen gilt, daß die Bundesregierung weder die Absicht hat, auf Äußerungen von Kommentatoren einen Einfluß zu nehmen, noch ,die Absicht hat, jeden Kommentar zur bekannten Haltung der Bundesregierung ihrerseits erneut zu kommentieren oder gar zu dementieren.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, halten Sie die gestern im Auftrag der Bundesregierung geprägte Gedenkmünze mit der Abbildung des geteilten Deutschland, das nur aus der Bundesrepublik und der sowjetisch besetzten Zone - wie ich immer noch sage - besteht, ohne auch nur eine Andeutung Ostdeutschlands zu enthalten, nicht für eine sehr gravierende Aussage dieser Bundesregierung? Hat sie nicht mehr Gewicht als Ihre hier im Auftrag der Bundesregierung abgegebene Erklärung - wobei ich es allerdings für eine spätere geschichtliche Wahrheitsfindung begrüße, daß auf der anderen Seite der Münze - Präsident von Hassel: Verzeihung, Sie haben keine Wertung vorzunehmen; Sie haben eine kurze Frage zu stellen, Herr Kollege. Und ich bin mir nicht ganz klar, ob nicht Ihre Zusatzfrage etwas abweicht vom Grundtenor der Hauptfrage.
({0})
Es ist eine Zusatzfrage zu der Haltung der Bundesregierung, daß sie keine Erklärungen zu Kommentaren abgeben will, aber mit der geprägten Münze dieses Thema von sich aus selbst praktisch auch kommentiert und, so meine ich, ihre Meinung deutlich macht.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, die Bundesregierung wird selbstverständlich ihre Haltung zu der Frage der Oder-Neiße-Linie in diesem Hause zur Diskussion stellen, wenn dazu ein Anlaß besteht. Ich meine aber, daß sich die Frage nach der Gedenkmünze auf etwas anderes bezieht als die nach den Äußerungen von Rundfunk-und Fernsehkommentatoren, und ich sehe mich daher im Augenblick nicht in der Lage, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
({0})
- Verzeihung, Herr Kollege, wenn Sie eine Zusatzfrage zu Ihren beiden Fragen haben, lasse ich sie zu. Ihre eben gestellte Zusatzfrage bezieht sich nicht auf die Hauptfrage. Die Hauptfrage heißt: Wie ist es mit den Kommentierungen? Billigen Sie die Kommentierungen? - Es steht dort nichts von der Münze und der Darstellung des geteilten Deutschland.
Haben Sie eine Zusatzfrage zu diesen beiden Fragen? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht doch der Auffassung, daß es einer stärkeren Betonung der Haltung der Bundesregierung bedürfte, nachdem die Einheitlichkeit der Kommentierungen zunehmend wird, je weniger die
Bundesregierung etwas dazu sagt und je mehr Gliederungen der Partei, die im wesentlichen die Bundesregierung trägt, auf diese Linie einschwenken, wie Sie aus Berichten, Unterbezirksbeschlüssen usw. entnehmen können?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, ich habe die Fragen des 'Kollegen von Fircks zum Anlaß genommen, mir eine ganze Reihe von Kommentaren zur Politik der Bundesregierung im Hinblick auf die Oder-Neiße-Linie anzusehen, und habe dabei festgestellt, daß sich eine große Zahl von Kommentaren auch aus den letzten Wochen findet, die voll in Übereinstimmung mit der Politik der Bundesregierung stehen, so daß sich in den Kommentaren im Grunde genommen nur die Tatsache widerspiegelt, daß wir glücklicherweise in einem freien Land leben, in dem verschiedene Kommentierungen möglich sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß die unwidersprochene Anhäufung von Kommentaren mit substantiellen Aussagen eigentlich eine Klarstellung der Bundesregierung in dieser Frage ihrer Kompetenzen und ihrer Aussageabsichten dringend notwendig macht, um die deutsche Bevölkerung aufzuklären?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Meine Auffassung ist, daß es ganz sicher notwendig sein wird, in diesem Hause immer wieder die Haltung der Bundesregierung klarzulegen. Ich meine aber, daß es richtig und wichtig ist, das in diesem Hause zu tun und nicht etwa von seiten der Bundesregierung täglich auf kommentierende Bemerkungen in Presse, Funk und Fernsehen zu reagieren.
Präsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es angesichts der Betonung des demokratischen Meinungsaustausches, den die Bundesregierung vollzogen hat, doch notwendig erscheint, zu den Meinungen in der Öffentlichkeit rechtzeitig eine Klarstellung zu :geben, damit nicht durch die Häufung von Kommentaren eine Tendenz entsteht, die in einer lebenswichtigen Frage des deutschen Volkes zu einer unklaren Situation führt?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, Herr Kollege. Ich bin nicht der Auffassung, daß es die Aufgabe der Bundesregierung ist, die Meinungen in der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Die Öffentlichkeit hat das volle Recht, verschiedene Meinungen zu hören und sich auch verschiedene Meinungen zu bilden. Anlaß für ein Eingreifen der Regierung besteht dann, wenn in der Nachrichtengebung eine falsche Darstellung der Position der Bundesregierung erfolgt.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 120 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Kann die Bundesregierung verbindlich erklären, daß bei den Beratungen oder Gesprächen insbesondere in Moskau und Warschau im Interesse des gemeinsam erwünschten Verhandlungserfolges für die deutsche und die europäische Politik die bestehenden, vom Deutschen Bundestag ratifizierten Verträge - besonders der Deutschland-Vertrag mit seinem Artikel 7 - vertragstreu beachtet werden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! In seiner Replik auf die Worte des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR hat der Herr Bundeskanzlergestern in Erfurt u. a. folgendes gesagt - ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Angesichts der Vier-Mächte-Abkommen über Deutschland aus den Jahren nach 1944 können Übereinkünfte zwischen unseren beiden Staaten bestehende Rechte der vier Mächte weder berühren noch ersetzen. Dies gilt auch für unsere Vereinbarungen mit den Drei Mächten ebenso wie für die der DDR mit der Sowjetunion. Dies gilt überhaupt für die von uns eingegangenen bilateralen und multilateralen Verträge. Diese Abkommen brauchen und sollten uns aber nicht hindern, die Barrieren zwischen uns abzubauen.
Ich meine, diese Feststellungen des Herrn Bundeskanzlers dokumentieren, daß wir in all unseren Gesprächen die vertraglichen Bindungen der Bundesrepublik und insbesondere den Deutschlandvertrag ganz ernst nehmen. Was hier in Erfurt gesagt worden ist, ist in anderer Weise 'selbstverständlich auch in Warschau und Moskau immer wieder klargelegt worden.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
'Dr. Schulze-Vorberg ({0}) : Herr Staatssekretär, das gilt ausdrücklich also auch für Art. 7 Abs. 1 des Deutschlandvertrags, in dem es heißt, daß es die gemeinsame Politik ist, eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland zu finden, und daß - nachdem die vertragschließenden Teile weiterhin darüber einig waren und nach Ihrer Ausführung sind - die endgültige Festlegung .der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß. So heißt es im Vertrag.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Was ich gesagt habe, gilt ganz sicher auch für Art. 7 des Deutschlandvertrags, vielleicht insbesondere für diesen Artikel.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 121 und 122 des Abgeordneten Biechele werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
In der vorgesehenen Reihenfolge wären nunmehr die Fragen aus idem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft dran. Aber der Parlamentarische Staatssekretär ist noch auf idem Weg vom Flugplatz hierher. Daher übergehe ich diesen Geschäftsbereich im Augenblick und rufe nun die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf, und zwar zunächst die Frage 91 des Abgeordneten Peters ({1}) :
Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen von Professor Preuschen, wonach von einer landwirtschaftlichen Überproduktion in der EWG keine Rede sein kann, sondern nur von staatlicher Fehldisposition, und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage Wie folgt.
Die Äußerung von Professor Preuschen ist uns bekannt. Verbrauch, Produktion, Absatz, Außenhandel und Einkommen sind im landwirtschaftlichen Bereich aus vielen, insbesondere auch sozialpolitischen Gründen nicht beliebig beeinflußbar. Darauf ist es wohl zurückzuführen, daß sich alle hochentwickelten Staaten mit ,dem Überschußproblem im landwirtschaftlichen Bereich auseinanderzusetzen haben. Dieser Sachverhalt wurde von Professor Preuschen offenbar nicht in vollem Umfang gewürdigt.
Was die in der Frage angesprochenen Konsequenzen anlangt, so verweise ich auf die zahlreichen Maßnahmen, die zur Anpassung von Produktion und Verbrauch in der EWG bereits eingeleitet sind oder noch eingeleitet werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Peters.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß Herrn Professor Preuschenentweder die Gesamtversorgungsbilanz der EWG nicht bekannt ist oder er hier nicht zwischen der Gesamtversorgungsbilanz und der Bilanz bei einzelnen Produkten unterschieden hat?
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich Ihnen nicht bindend beantworten. Wir halben Herrn Professor Preuschen zu einer Rücksprache in unser Haus geladen und werden den in Frage stehenden Komplex dann eingehend mit ihm erörtern.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Peters.
Herr Staatssekretär, werden Sie nach dem Gespräch mit Professor Preuschen dem Haus oder mir als Fragesteller eine Antwort zukommen lassen?
Sehr gern, selbstverständlich.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Peters ({0}) auf:
Ist es richtig, daß Frankreich zur Zeit neben der Abschlachtprämie zur Verringerung des Kuhbestandes durch die EWG nationale Prämien zur Auffüllung des Kuhbestandes zahlt, und welche Stellung nimmt die EG-Kommission dazu ein?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Griesau.
Nach Auskunft der französischen Behörden ist die hier bezeichnete nationale Beihilfe an die Kleinkuhhalter in Frankreich als einmalige Zuwendung gewährt worden, wobei die Auszahlung der Beihilfe in den ersten Monaten des Jahres 1969erfolgte. Eine zeitliche Übereinstimmung zwischen dieser Maßnahme und der vom EWG-Ministerrat beschlossenen Schlachtprämie für die Abschlachtung von 250 000 Milchkühen in der EWG in der Zeit vom 9. Februar bis 30. April 1970 liegt somit nicht vor.
Aus einer Antwort der EG-Kommission vom 18.November 1969 auf eine entsprechende Anfrage des niederländischen Parlarnentsabgeordneten Vredeling vom 29. August 1969 geht hervor, daß die Kommission beschlossen hat, den durch die oben angegebene Beihilfe in Frankreich gegebenen Verstoß gegen Art. 93 des EWG-Vertrags nicht zu verfolgen. Die Kommission erklärt in dieser Antwort jedoch, daß sie ein Schreiben an die französische Regierung richten werde, in welchem sie die Tatsachen feststellt unid ihr Bedauern darüber äußert, daß die französische Regierung ein dem Buchstaben und dem Sinn des Vertrages zuwiderlaufendes Verfahren eingeschlagen hat.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe Frage 93 des Abgeordneten Niegel auf:
Trifft es zu, daß die französische Regierung die Gewährung der Abschlachtprämie für Kühe durch zusätzliche Auflagen, wie Aufgabe des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes, abhängig gemacht hat, so daß in Frankreich die Abschlachtprämie nur sehr beschränkt in Anspruch genommen wurde?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Es trifft zu, daß in Frankreich die Gewährung von Schlachtprämien für Milchkühe auf diejenigen Landwirte beschränkt wird, die ihre landwirtschaftliche Tätigkeit aufgeben. Die Begünstigten müssen über 60 Jahre bzw. in den Gebieten der Agrarerneuerung mindestens 55 Jahre alt sein. AusnahStaatssekretär Dr. Griesau
men von dieser Regelung werden nur in den Fällen gestattet, in denen seit dem 1. Januar 1969 ein Auftreten der Brucellose festgestellt worden ist.
Eine Rechtsgrundlage für diese Handhabung in Frankreich bietet Art. 19 der Verordnung Nr. 2195/ 69/EWG über die Durchführungsbestimmungen der Kommission zur Abschlachtaktion.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, könnte man aus diesem Vorgehen, auch wenn es, wie Sie sagen, mit dem angeführten Art. 19 vereinbar ist, nicht eine neue Wettbewerbsverzerrung ableiten?
Das möchte ich nicht ausschließen. _
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß man, wenn man den Anteil sieht, den Frankreich an der gesamten Abschlachtaktion hat, den Eindruck haben kann, daß im Hintergrund die Absicht Frankreichs steht, bewußt die Marktanteile zu halten? Meinen Sie nicht, daß dieses Vorgehen zu Lasten unseres Marktanteils - bei uns z. B. sind 170 000 Kühe für die Abschlachtaktion vorgesehen - geht?
Ich vermag die französischen innenpolitischen Überlegungen nicht in diesem Ausmaß zu beurteilen, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Peters.
Herr Staatssekretär, ist es nicht vielmehr so, daß die französische Landwirtschaft hier eine Chance verpaßt hat, die sie hätte wahrnehmen können?
Herr Abgeordneter Peters, darauf möchte ich Ihnen dieselbe Antwort wie auf die Frage des Herrn Abgeordneten Niegel geben.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 94 des Abgeordneten Niegel auf:
Wird die Aussage des offiziellen SPD-Organs ,,Vorwärts" vom 20. Januar 1970, Nr. 5, „Wenn die Verhandlungen mit Großbritannien in ihre entscheidende Phase treten, dann dürfte auch dem letzten Vertreter der Grünen Front klarwerden, daß eine aktive Preispolitik völlig illusorisch ist. Vielmehr wird man sich überall mehr als bisher darüber unterhalten müssen, wie man vielleicht durch eine Trennung von Pieis- und Einkommenspolitik weiterkommen kann" vom Bundeskanzler gebilligt, und wie wird sie im Zusammenhang mit der Regierungserklärung beurteilt?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär!
Ausgangspunkt aller preispolitischen Überlegungen innerhalb der Bundesregierung ist die Regierungserklärung. Dort heißt es:
Bei der notwendigen Strukturverbesserung der Landwirtschaft muß vermieden werden, daß eine Politik des Preisdrucks betrieben wird.
Das bedeutet - worauf übrigens schon mein Herr Minister in seiner Einbringungsrede zum Grünen Bericht hingewiesen hat -, daß für die Bundesregierung eine Herabsetzung der Agrarpreise mit entsprechenden Einkommensminderungen keine annehmbare preispolitische Alternative ist. Eine Politik 'des Preisdrucks würde mit so großen wirtschaftlichen und sozialen Härten für große Teile der landwirtschaftlichen Bevölkerung verbunden sein, daß dies nicht zu verantworten wäre.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, aus Ihren Ausführungen ist also zu entnehmen, daß sich der Herr Bundeskanzler, an den ich diese Frage gerichtet habe, von den Ausführungen 'des offiziellen SPD-Parteiorgans „Vorwärts" 'distanziert hat?
Mir ,steht es nicht zu, hier den Herrn Bundeskanzler zu kommentieren.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, zurück zur Agrarpolitik!
Präsident von Hassel: Verzeihung, waren Sie nicht eben auch bei der Agrarpolitik?
Herr Staatssekretär, gilt die Aussage in der Regierungserklärung auch für den Fall einer Aufnahme Englands in 'die EWG?
Herr Abgeordneter, es ist eine andere Frage, inwieweit Preissenkungen bei gleichzeitigem Einkommensausgleich vertretbar wären. Diese Frage könnte sich u. a. im Zusammenhang mit Verhandlungen über einen Beitritt Englands stellen, da dort (bei zahlreichen Erzeugnissen das Ihnen 'sicherlich bekannte sogenannte Deficiency Payment System mit niedrigen landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen unter Sicherung des Einkommens der Landwirtschaft über 'direkte Staatsleistungen angewandt wird; um eine Politik des Preisdrucks würde es sich bei An2080
wendung eines solchen Systems nicht handeln. Dieses oder ein ähnliches System hätte .den Vorteil, daß die Verbraucherpreise niedrig gehalten werden könnten. Bei einer Übertragung eines solchen Systems auf die EWG stünde allerdings der Entlastung der Verbraucher eine erheblich höhere Finanzlast der öffentlichen Haushalte für die gemeinsame .Agrarpolitik gegenüber.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Peters ({0}).
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir darin zustimmen, 'daß zwar der „Vorwärts" ein bedeutendes Sprachorgan der Sozialdemokratischen Partei ist, daß aber die Äußerungen in diesem Organ nicht Regierungsmeinung sind, genauso wenig wie die Äußerungen im „Bayernkurier" die Meinung 'der Opposition sind?
Dazu kann ich nur sagen, Herr Abgeordneter: Sicherlich.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, daß, abgesehen von der Tatsache, daß der „Vorwärts" in der Tat nicht unbedingt immer die Meinung ides Parteivorsitzenden. zum Ausdruck bringen muß, wie das auch in anderen Organen ist, dieser Vorschlag, der hier gemacht worden ist, über eine Trennung von Preis- und Einkommenspolitik zu reden, durchaus positiv für die Landwirtschaft sein kann?
Herr Abgeordneter, wie ich schon in meiner Antwort an den Herrn Abgeordneten Niegel ausführte, ist es durchaus denkbar, .daß im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen Großbritanniens dieses System einer näheren Erörterung unterzogen wird; entsprechende Untersuchungen finden auch im Rahmen meines Hauses statt.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß nach 'den neuesten Meldungen England von diesem System selbst eher aibrückt und in der Zukunft mehr auf seine Preispolitik für die Landwirtschaft geben wird?
Nach meinen Informationen sind solche Bestrebungen auch im Gange, Herr Abgeordneter Dasch. Aber wie ich schon mehrfach erwähnte, glaube ich, daß dies aktuell während der Beitrittsverhandlungen selbst zur Diskussion stehen wird.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Dröscher auf:
Aus welchen Gründen bestärkt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten den Stabilisierungsfonds für Wein darin, zahlreiche Unternehmen der Weinwirtschaft, die lediglich ihren Anspruch auf Rückzahlung der von ihnen seit 1968 eingetriebenen neuen Weinhandelsabgabe für den Fall der den Gegenstand eines Musterprozesses bildenden Verfassungswidrigkeit dieser Abgabe wahren wollen, durch Verbescheidung aller Einsprüche dieser Unternehmen zu ebenso vielen wie überflüssigen, für Kläger, Stabilisierungsfonds und Gerichte mühsam und kostspieligen verwaltungsgerichtlichen Klagen zu zwingen, statt die Einsprüche nach dem Vorschlag des klägerischen Rechtsanwalts im Musterprozeß bis zum Ende dieses Musterprozesses unbeschieden zu lassen und damit unnötige Prozessiererei zu vermeiden?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Verfassungsmäßigkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Weinwirtschaftsgesetzes, auf dem die Weinhandelsabgabe beruht, ist im Gesetzgebungsverfahren geprüft und bejaht worden. Für .den Stabilisierungsfonds besteht keine Veranlassung, dem Begehren nach Hinausschieben der Entscheidung über die gegen die Abgabe eingelegten Widersprüche zu entsprechen, nachdem auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem Beschluß vom 13. Januar 1969 ausgeführt hat, daß ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betreffenden Vorschriften des Weinwirtschaftsgesetzes nicht bestehen. Unter den gegebenen Umständen würde ein Hinausschieben der Entscheidungen über die Widersprüche für die Abgabepflichtigen einen Anreiz geben, das Verfahrensrisiko allein dem Stabilisierungsfonds aufzubürden. Das würde bei der besonderen Konstruktion des Weinwirtschaftsgesetzes die gesetzlichen Aufgaben ides Stabilisierungsfonds sind aus dem Abgabeaufkommen zu finanzieren dem Stabilisierungsfonds die Durchführung seiner Aufgaben erschweren, wenn nicht ihr Ergebnis in Frage stellen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Herr Staatssekretär, ist es aber nicht dennoch ein Fehler, angesichts der Situation nun hundert, vielleicht mehrere hundert Rechtsstreite durchführen zu lassen und damit doch die Gerichte unerträglich zu belasten, da ohnehin der Musterprozeß geführt wird?
Nach unserer Beurteilung der Lage und den bisher von der Rechtsprechung getroffenen Entscheidungen kann ich mich dem nicht anschließen, Herr Abgeordneter. Ich glaube das nicht.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Ändert sich denn, Herr Staatssekretär, durch Ihre Stärkung an dem Stabilisierungsfonds die vorhin von Ihnen dargestellte Lage? Ist nicht tatsächlich doch .das Prozeßrisiko weiter
bei beiden Seiten, nur daß eben Hunderte von Prozessen geführt werden?
Nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz halte ich dieses Risiko für relativ gering.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 96 des Abgeordneten Sehräder auf:
Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wie hoch sich die Zinssätze für kurzfristige Kredite in der Landwirtschaft ({0}) vor und nach der Diskonterhöhung gestellt haben bzw. stellen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, gestatten Sie, da sich die Fragen der Abgeordneten Schröder und Dr. Ritgen mit den Schwierigkeiten befassen, die sich aus der Erhöhung des Diskontsatzes ergeben, und somit materiell gleichen Inhaltes sind, daß ich beide Fragen zusammen beantworte?
Präsident von Hassel: Sind Sie damit einverstanden, Herr Fragesteller? - Einverstanden. Dann rufe ich gleichzeitig auch die Fragen 101 und 102 des Abgeordneten Dr. Ritgen auf, ferner die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Schröder:
Wie hodi hat sich der Effektivzinssatz für Kredite an die Landwirtschaft mit einer Laufzeit von 3 bis 5 Jahren vor der Diskonterhöhung gestellt und wie hoch ist der Effektivzinssatz nach der Diskonterhöhung?
Wie hoch ist die sich aus der Diskonterhöhung ergebende zusätzliche finanzielle Belastung der deutschen Landwirtschaft aus der Aufnahme von Krediten mit einer Laufzeit von 3 bis 5 Jahren?
Wie hoch ist die sich aus der Diskonterhöhung ergebende zusätzliche finanzielle Belastung der deutschen Landwirtschaft aus der kurzfristigen Kreditaufnahme bei Handel, Genossenschaften usw. für den Zeitraum von 2, 3 und 6 Monaten vom Zeitpunkt der Diskonterhöhung an gerechnet?
Nach dem Grünen Bericht vom 6. Februar 1970, Drucksache VI/372, Seite 65, betrugen die kurzfristige Verschuldung der Landwirtschaft 1969 6,6 Milliarden DM und die mittelfristige Verschuldung 4,7 Milliarden DM. Eine Statistik über die Struktur der Kreditgeber, z. B. Banken, Handel, Genossenschaften, Verwandtenforderungen, und die Höhe der aus den Verpflichtungen resultierenden Zinsen besteht nicht. Es ist davon auszugehen, daß die Zinsen entsprechend den Refinanzierungsbedingungen der Kreditgeber einerseits und der Potenz der Kreditnehmer andererseits in Abhängigkeit von den jeweiligen Konkurrenzverhältnissen mit großer statistischer Streuung schwanken.
Durch die Diskonterhöhung dürfte grundsätzlich eine Verteuerung um P/2 °/o in allen den Fällen eingetreten sein, in denen eine Refinanzierung auf Wechselbasis erforderlich wurde bzw. wird. Übrigens ist die Auswirkung der Diskonterhöhung auf die Schuldzinsen der Landwirtschaft nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Kapitalmarktpolitik zu beurteilen. Es kann aber jetzt noch nicht gesagt werden, wie sich der Kapitalmarkt zukünftig entwickeln wird. Auf jeden Fall bleiben von einer Zinsverteuerung diejenigen Landwirte verschont, denen Kredite zu festen Zinssätzen, also ohne Zinsgleitklausel, zugesagt wurden.
Wie dargelegt, besteht keine Statistik, auf Grund deren die Auswirkungen der Diskonterhöhung auch nur annäherungsweise quantifiziert werden können. Dies würde im kurzfristigen Bereich auch nähere Kenntnisse über die saisonale Liquidität der Landwirtschaft und ihrer einzelnen Produktionszweige und über den korrespondierenden Bedarf an Mitteln der kurzfristigen Fremdfinanzierung voraussetzen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, wenn ich recht unterrichtet bin, haben sich doch seit dem Spätsommer 1969 bis jetzt sowohl der Diskontsatz als auch der Lombardsatz um 30 % erhöht. Wenn dem so ist, dann kann man doch wohl annehmen, daß die Zinssätze für die kurzfristigen wie für die mittelfristigen Kredite im gleichen Umfang gestiegen sind. Meine Frage: Sind Sie der Meinung, daß bei der derzeitigen Ertragslage der Landwirtschaft ein so gesteigerter Zinssatz ohne Veränderung der Preisverhältnisse tragbar ist?
Dr. Griesau Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Abgeordneter, die von Ihnen getroffene Feststellung über die Erhöhung vermag ich jetzt ohne Vorliegen einer entsprechenden Statistik nicht zu bestätigen. Sollte sie sich tatsächlich in der von Ihnen genannten Höhe bewegen, dann dürfte ohne Zweifel eine starke zusätzliche Belastung vorliegen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder ({0}).
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort die Zinsgleitklausel erwähnt. Darf ich Sie fragen, ob Sie mir Auskunft darüber geben können, ein wie hoher Anteil der landwirtschaftlichen Kredite mit einer Zinsgleitklausel versehen ist und ob Sie in den Zinsverbilligungsrichtlinien auf diesen Tatbestand nach der Diskonterhöhung und der Erhöhung des Lombardsatzes Rücksicht nehmen wollen.
Herr Abgeordneter, in meiner Antwort habe ich ausgeführt, daß leider keine entsprechende Statistik ,der Banken vorliegt. Ich bin aber gern bereit, diese Frage gezielt an die Banken zu richten und Ihnen unter Umständen schriftlich zu antworten, wenn es gewünscht wird.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Schröder) ({0}) ({1}) : Herr Staatssekretär, ich habe bei Erkundigungen, die ich eingezogen habe, aus dem Landhandel, dem Genossenschaftssektor erfahren, daß beabsichtigt ist, die kurzfristigen Warenkredite, die die Landwirtschaft fast in jedem Frühjahr in einem erheblichen Umfang aufzunehmen hat, um die Ernte vorzufinanzieren, mit bis zu 14 % verzinst werden sollen. Sind Sie der Meinung, daß dieser Zinssatz von 14 % pro anno tragbar ist?
Herr Abgeordneter, unsere Möglichkeiten hinsichtlich der Zinsverbilligung sind durch das Haushaltsvolumen begrenzt. Ich möchte mich einer Wertung der Möglichkeit - wie Sie sie aufgezeigt haben - der Verteuerung beim Landhandel und des Eingreifens der Bundesregierung enthalten, da ich durch das Haushaltsvolumeneingeschränkt bin; eine zusätzliche Maßnahme auf diesem Sektor ist nicht möglich.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der Bundesbank über die Erhöhung (des Diskontsatzes berücksichtigt, daß durch diese Erhöhung und die damit zusammenhängende Zinsverteuerung die notwendigen landwirtschaftlichen Investitionen 1970 wesentlich eingeschränkt werden könnten?
Herr Abgeordneter, im Hinblick auf die derzeitige Konjunkturlage hält es die Bundesregierung nicht für vertretbar, die Zinsverbilligung über 4 % auszudehnen. Insofern stimme ich Ihnen darin zu, daß es durchaus möglich ist, daß Investitionen der Landwirtschaft mit betroffen werden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Schröder.
Herr Staatssekretär, es ist in den vorangegangenen Fragen wiederholt vom Preisdruck und einer dadurch herbeigeführten Strukturveränderung die Rede gewesen. Sind Sie mit mir der Meinung, daß nicht nur durch einen Preisdruck, sondern auch durch einen Kostendruck - wie er hier offenkundig wird -ein solcher Strukturwandel erzwungen werden kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung und insbesondere mein Ressort widmen der Kostenfrage in der Landwirtschaft besonderes Augenmerk, und wir werden - seien Sie dessen versichert - alle Möglichkeiten ergreifen, hier einzuwirken.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Reinhard.
Darf ich feststellen, Herr Staatssekretär, daß nach diesen Ausführungen wieder 'einmal die Landwirtschaft bei den konjunkturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung sehr schlecht weggekommen ist?
Herr Abgeordneter, ich möchte dieser pauschalen Beurteilung nicht zustimmen.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rule ,die Frage 98 des Abgeordneten Bittelmann 'auf:
Was gedenkt die Bundesregierung auf dem Gebiet der Kartoffelforschung zu tun, um der deutschen Kartoffelwirtsdiaft die Anpassung an die nach Qualität und Verwendungszweck veränderten Marktansprüche zu erleichtern und deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen EWG-Ländern zu stärken, und welche Mittel wird sie für Zwecke der Kartoffelforschung bereitstellen können?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Einzelne Fragen der Verarbeitung und Vermarktung von Kartoffeln werden bereits bei einigen Bundesforschungsanstalten und an Hochschulinstituten bearbeitet. Die 'Bundesregierung beabsichtigt, den Komplex „Chemisch-technologische Untersuchungen der Kartoffeln für die industrielle Veredlung zu Nahrungsmitteln" einer Bundesforschungsanstalt zuzuweisen. Voraussichtlich wird die Bundesforschungsanstait für Getreideverarbeitung mit dieser Aufgabe betraut werden, da sie bereits früher in ihrer Stärkeabteilung auch chemisch-technologische Probleme der Kartoffeln bearbeitet hat und über die Voraussetzungen für die Bearbeitung dieser Aufgabe verfügt.
Im Jahre 1969 hat die Bundesregierung rund 430 000 DM für Zwecke der Kartoffelforschung bereitgestellt. Für 1970 ist ein Betrag in gleicher Höhe vorgeséhen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bittelmann.
Herr Staatssekretär, besteht die Möglichkeit, daß im Rahmen der mittelfristigen 'Finanzplanung Beträge für Zwecke der Kartoffelforschung bereitgestelltwerden?
Herr Abgeordneter, .wir haben in dem Haushalt meines Ressorts einen besonderen Titel für Forschungsaufträge. Es ist denkbar, daß Mittel aus diesem Titel zur Verfügunggestellt werden.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, solchen Forschungsvorhaben, die sich der Kartoffelveredlung besonders annehmen, den Vorzug zu geben?
Auch diese Frage kann ichzustimmend beantworten.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Bittelmann auf:
Wird die Bundesregierung bei der Erteilung von Forschungsaufträgen im Bereich der Landwirtschaft den Bundesforschungsanstalten eine Präferenz einräumen oder wird sie, insbesondere wegen der regional unterschiedlichen Verhältnisse, einem Verbundsystem zwischen Landes- und Bundeseinrichtungen in der Forschung den Vorzug geben?
Zur Beantwortung, Herr Stàatssekretär.
Forschungsaufträge werden nur vergeben, wenn das zu bearbeitende Problem nicht ohnehin zum Aufgabengebiet einer Bundesforschungsanstalt gehört. Die Aufträge werden Forschungsinstituten erteilt, die hierfür auf Grund ihrer Arbeitsrichtung und speziellen Erfahrungen am besten geeignet erscheinen. Soweit im Einzelfall regionale Besonderheiten eine Rolle spielen, werden Forschungseinrichtungen der Länder wie bisher beteiligt werden.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Dr. Haack auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die bisherigen Widerstände gegen eine bundeseinheitliche Tierschutzgesetzgebung überwunden werden können?
Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Die Verabschiedung der in der 4. und 5. Legislaturperiode eingebrachten Initiativentwürfe eines Tierschutzgesetzes ist an verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten gescheitert. Diese Schwierigkeiten lagen darin, daß die Auffassung vertreten wurde, dem Bundesgesetzgeber stehe eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für das Sachgebiet „Tierschutz" nicht zu.
Gemäß der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1969 ist eine entsprechende Grundgesetzänderung in Vorbereitung. Mit der Annahme dieser Grundgesetzänderung dürften die entscheidenden Widerstände oder, besser gesagt, die verfassungsmäßigen Schwierigkeiten im Hinblick auf eine bundeseinheitliche Tierschutzgesetzgebung überwunden sein.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Haack.
Herr Staatssekretär, bis wann kann mit einem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gerechnet werden?
Mein Ressort hat dem Herrn Bundesminister des Innern einen entsprechenden Vorschlag auf Grundgesetzänderung zugeleitet, der inzwischen auch mit den beteiligten Ressorts erörtert worden ist. Die Bundesregierung ist bestrebt, dem Hohen Hause den Gesetzentwurf alsbald vorzulegen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage ides Abgeordneten Dr. Haack.
Herr Staatssekretär, haben auch schon Gespräche mit den Ländern stattgefunden, .s6 daß man annehmen kann, daß auch Widerstände von seiten der Länder überwunden werden können?
Es haben Besprechungen auf Referentenebene stattgefunden.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 103 des Abgeordneten Seiters auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das weitere Vordringen von gewerblichen Großbeständen der tierischen Veredelungsproduktion ({0}) in der Bundesrepublik Deutschland, wie beispielsweise Emlichheim und Wiesmoor, wo Mastfarmen für 150 000 bzw. 50 000 Schweine errichtet werden sollen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam die Entwicklung auf dem Gebiet der gewerblichen Massentierhaltung. Da dem Anwachsen der gewerblichen Massentierhaltung eine Reihe von ökonomischen Ursachen zugrunde liegt, treten bei der Lösung dieses Problems große Schwierigkeiten auf. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Abwanderung großer Teile der tierischen Produktion in den gewerblichen Bereich mit einem auf vielen Gebieten festzustellenden Entwicklungsprozeß im Zusammenhang steht.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Seiters.
Herr Staatssekretär, darf ich aus der Beantwortung meiner Frage entnehmen, daß die Bundesregierung das weitere Vordringen nichtlandwirtschaftlichen Kapitals in die landwirtschaftliche Veredlungsproduktion grundsätzlich als negativ und bedenklich ansieht?
Jawohl.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Seiters.
Herr Staatssekretär, wenn das so ist, welche Möglichkeitensieht dann die Bundesregierung, die überbetriebliche Kooperation der Landwirte gerade in diesen Betriebszweigen zu erleichtern, z. B. durch steuerliche Maßnahmen?
Herr Abgeordneter, die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, Völkenrode, ist mit der Abfassung einer Expertise über ökonomische Fragen in diesem Zusammenhang beauftragt worden und hat sie vor kurzem vorgelegt. Im Augenblick werden die damit im Zusammenhang stehenden rechtlichen und steuerlichen Angelegenheiten in meinem Hause geprüft. Deswegen kann ich zu dieser Frage jetzt noch nicht abschließend Stellung nehmen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dasch.
Herr Staatssekretär, da, wie aus Ihren Ausführungen zu entnehmen ist, die bäuerlichen Einnahmen aus der Veredlungsproduktion der entscheidende Existenz-, Einkommens- und Verdienstanteil sind, frage ich Sie: hat diese Bundesregierung die klare Absicht, die Veredlungsproduktion auch in der Zukunft in bäuerlicher Hand zu halten?
Herr Abgeordneter Dasch, diese Frage kann nicht allein in unserer nationalen Zuständigkeit gelöst werden, weil jede Lösung, die wir anstreben, auf EWG-Ebene getroffen werden muß.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß ein weiteres Vordringen der gewerblich-industriellen Veredlungsproduktion die Modellrechnung 1980, wie sie im Grünen Bericht enthalten ist, insofern illusorisch macht, als eine der Voraussetzungen dieser Modellrechnung war, daß die Zuwachsrate in der Veredlungsproduktion im bäuerlichen Bereich verbleibt?
Herr Abgeordneter Ritz, eine Modellrechnung geht immer von verschiedenen Prämissen aus. Sicherlich würde diese Voraussetzung tangiert. Insofern kann ich Ihnen zustimmen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Peters ({0}). .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die FDP in der vorigen Legislaturperiode einen Antrag auf Beschränkung der gewerblichen Mast gestellt hat und daß dieser Antrag im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hängengeblieben ist, weil er dort als verfassungswidrig erklärt wurde?
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter Peters, das ist bekannt.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihrer Beantwortung berücksichtigt, daß - vorausgesetzt, die hygienische Sicherheit bei einer solchen Großviehhaltung und die dauerhafte Versorgung sind gewährleistet - auch das Interesse des Verbrauchers an einer billigen ökonomischen Versorgung gesichert sein muß?
Herr Abgeordneter, Sie haben selbst zwei Punkte genannt, die Sie als Voraussetzungen genommen haben. In der Tat sind die hygienischen, seuchenmäßigen und sonstigen Prämissen eine sehr schwerwiegende Angelegenheit, so daß auch von daher die Entscheidung über die Massentierhaltung maßgeblich beeinflußt wird. Es ist im Augenblick noch nicht zu übersehen, inwieweit dies verhindert werden könnte.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Reinhard.
,Dr. Reinhard ({0}) : Herr Staatssekretär, trifft die Nachricht zu, daß sich Herr Bundesminister Ertl bereits dahin festgelegt hat, daß die Abgrenzung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Veredelung nicht geändert werden soll?
Nein, Herr Abgeordneter, hier hat sich der Herr Bundesminister nicht festgelegt. Ich darf auf die Diskussion verweisen, die nach meinen Informationen gestern im Ernährungsausschuß des Deutschen Bundestages über die Neufassung des § 51 des Bewertungsgesetzes stattgefunden hat.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Seiters auf:
Was gedenkt die Bundesregierung bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften gegen das weitere Vordringen gewerblicher Unternehmen der Massentierhaltung in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten der EWG zu unternehmen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Wie Ihnen bekannt ist, wurde in der 5. Legislaturperiode versucht, durch den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der bäuerlichen Veredelungswirtschaft im Bundesgebiet die Bestandsgrößen zu beschränken. Wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken, die vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages erhoben wurden, konnte dieser Entwurf keine Gesetzeskraft erlangen.
Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, daß eine gesetzliche Beschränkung der tierischen Veredelung nur sinnvoll ist, wenn diese auf EWG-Ebene erfolgt. Wenn auch die Kommission im Augenblick nicht beabsichtigt, besondere Maßnahmen zu ergreifen, mit denen die Erzeugung tierischer Produkte in gewerblichen Unternehmen verhindert werden kann, so wird doch in Zukunft versucht werden müssen, auf EWG-Ebene eine geeignete Lösung anzustreben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dasch.
Herr Staatssekretär, nachdem Ihren Äußerungen zuentnehmen ist, daß die Bundesregierung das Problem des weiteren Vordringens der Veredelungsproduktion in nichtbäuerlicher Hand erkannt hat, frage ich Sie, ob 1970 ein Vorstoß derBundesregierung bei der EWG-Kommission vorgesehen ist, damit diesem ,Problem auf EWG-Ebene gebührende Beachtunggeschenkt wird.
Die Möglichkeit hierzu will ich nicht ausschließen, Herr Abgeordneter.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 105 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob ein britisches Unternehmen zur Errichtung einer Huhnerfarm in Belgien mit einer Anfangskapazität von 1 000 000 Legehennen durch die öffentliche Hand in Belgien Beihilfen erhält und ob diese Beihilfen gegebenenfalls mit Artikel 92 ff. des EWG-Vertrages vereinbar sind?
Zur Brantwortung, Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung ist offiziell nicht bekannt, daß ein britisches Unternehmen zur Errichtung einer Hühnerfarm in Belgien vom belgischen Staat Beihilfen erhält. Aus einer Presseverlautbarung der Vereinigten Wirtschaftsdienste ({0}) vom 18. Februar 1970 geht hervor, daß die britische Firma Eastwood in Betgien einen Legehennenbetrieb in einer Größenordnung von zunächst 1 Million Legehennen erstellen soll. Die Produkte sollen vorwiegend auf den Märkten der Bundesrepublik und Frankreichsabgesetzt werden. Nach dem VWD soll die belgische Regierung Erleichterungen beim Ankauf ides erforderlichen Geländes und Steuererleichterungen in der Anlaufperiode zugesagt haben.
Die Bundesregierung hat diese Maßnahme und diese Meldung zum Gegenstand einer Anfrage bei den zuständigen Stellen der Kommission in Brüssel gemacht.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, sollte sich :diese Prassemeldung bestätigen, würde das ein Ansatzpunkt für die Bundesregierung sein, die Frage einer EWG-Regelung bei der Kommission erneut zur Sprache zu bringen?
Das ist durchaus 'denkbar.
Präsident von Hassel: Ihre Zusatzfragen sind erledigt. - Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung danken.
Wir haben vorhin aus Gründen, die ich dem Hause genannt habe, den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft überspringen müssen. Wir kehren nunmehr zu diesem Geschäftsbereich zurück.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Rechnet die Bundesregierung damit, daß das Guthaben der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR von 1 Milliarde DM aus dem innerdeutschen Handel in absehbarer Zeit durch verstärkte Einfuhren aus der DDR abgetragen werden wird?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Er ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Im innerdeutschen Handel, Herr Kollege, bestehen Zahlungsverpflichtungen nur zwischen den Unternehmen der DDR und der Bundesrepublik und zwischen den beiden Notenbanken, nicht aber gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als Staat.
Im übrigen ist die DDR bemüht, die kommerziellen Verpflichtungen in absehbarer Zeit abzubauen. Sie ist nicht zuletzt 'deshalb daran interessiert, weil die zu zahlenden Zinsen eine 'erhebliche Belastung darstellen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Herr Abgeordnete Dr. Geßner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, worauf sich Ihre Hoffnung gründet, daß die Verschuldung zurückgehen wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Auf die Besprechungen, die die zuständigen Institutionen, d. h. das Ministerium für Außenwirtschaft und die Treuhandstelle für ,den Interzonenhandel, laufend führen und
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
in denen überzeugend dargelegt worden ist, daß entsprechende Planungen bestehen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Geßner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen - auch vor dem Hintergrund der Bemühungen der DDR, den Westhandel auszuweiten -, ob die DDR gegenüber anderen wichtigen Handelspartnern ,anteilig in gleicher Weise verschuldet ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein, im übrigen können wir nicht jährliche Zuwachsraten miteinander vergleichen, weil die Entwicklung des sogenannten Westhandels mit den verschiedenen Ländern, die dafür in Frage kommen, eben nie ganz gleichmäßig vor sich geht. Aber ich glaube nicht, daß wir, über einen Fünfjahreszeitraum gesehen, einen großen Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern in der Handelsexpansion haben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Leicht.
Wurden nicht in der Vergangenheit auch überzeugende Darlegungen gemacht, Herr Kollege Arndt, und dann trotzdem die Dinge nicht so abgebaut, wie das wünschenswert gewesen wäre?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist nicht der Fall, Herr Kollege Leicht. Der innerdeutsche Handel hat ja seit dem Jahre 1969 eine neue Geschäftsgrundlage, d. h. die Firmen der DDR bekamen Verrechnungseinheiten in größerem Umfang zugeteilt als bisher. Davon haben diese Firmen sehr gern Gebrauch gemacht, und das hat zu einem Ungleichgewicht geführt, das nun wiederum von der anderen Seite in ein Gleichgewicht verwandelt werden sollte. Fortschritt vollzieht sich häufig auf diese Weise.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Leicht auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, die durch die krasse Erhöhung des Diskontsatzes auf 7,5 % zu erwartende Verteuerung auch der Althypotheken zu verhindern?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Leicht, die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die durch die Diskonterhöhung ausgelöste Zinssteigerung auch die Althypotheken nicht unberührt lassen wird, soweit diese unter Vereinbarung einer Zinsgleitklausel gewährt worden sind. Im Interesse der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse und im Interesse der Stabilisierung von Preisen und Kosten mußte diese nicht bezweckte und bedauerliche Auswirkung
jedoch hingenommen werden. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn die Kreditinstitute die eingetretene Mehrbelastung der Schuldner von Althypotheken dadurch erleichterten, daß sie von der Möglichkeit der Tilgungsstreckung großzügig Gebrauch machten.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Leicht.
Wird die Bundesregierung in diesem Sinne auf die Geldinstitute einwirken, Herr Kollege Arndt, natürlich soweit es möglich ist?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Soweit sich das mit den Befugnissen der Bundesregierung in Übereinstimmung bringen läßt, ja, d. h. wenn wir gefragt werden. Gestern hat der Wirtschaftsausschuß dieses Hauses, der in Berlin tagte, die erfreuliche Mitteilung des Berliner Senators für Wirtschaft erhalten, daß die Sparkasse der Stadt Berlin eine Veränderung ihrer Soll-Zinsen nicht vorzunehmen beabsichtigt.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Hansen auf:
Treffen Meldungen der Stuttgarter Zeitung vom 5. März 1970 zu, wonach französische Automobilgesellschaften ihren Konzessionären untersagt haben, direkt an Ausländer zu verkaufen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Arndt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Dürfte ich die beiden Fragen mit Zustimmung des Herrn Abgeordneten zusammenfassen?
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe dann noch die Frage 33 des Abgeordneten Hansen auf:
Hält die Bundesregierung diese Anweisung der französischen Automobilgesellschaften mit dem EWG-Vertrag für vereinbar, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese unterschiedliche Preisgestaltung zu beenden?
Bitte schön!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, der Bundesregierungsind diese Pressemeldungen bekannt, jedoch hat sie keine unmittelbaren Informationen über derartige Vereinbarungen. Die Bundesregierung bedauert die unterschiedliche Preisdifferenzierung innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Sie hat deshalb die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gebeten, die Angelegenheit möglichst rasch zu prüfen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Hansen.
Ist der Bundesregierung bekannt, Herr Staatssekretär, daß es .inzwischen auch bei
Schokolade ein Preisgefälle zwischen der Bundesrepublik und Frankreich bis zu 20 % gibt, wobei ein Teil dieser Ware aus deutschen Importen stammt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer entarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Jawohl.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Weigl:
Wird die Bundesregierung bei der heutigen Kapitalmarktlage zur Verhinderung einer Rezession in den Zonenrandgebieten
die nach den Richtlinien des Regionalen Förderungsprogramms möglichen Investitionszuschüsse in Darlehen umwandeln, nadi-dem die im ERP-Programm vorgesehenen Darlehen auf Grund zahlreidi vorliegender Anträge der mittelständischen Wirtschaft praktisch bereits vergeben sind?
Sie wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 20. März 1970 lautet:
Die Bundesregierung hat im Haushalt 1970 für die regionale Wirtschaftsförderung Programmmittel in Höhe von fast 360 Millionen DM zuzüglich 55 Millionen DM zusätzliche Bindungsermächtigungen eingesetzt.
Diese Mittel wurden als verlorene Zuschüsse und nicht als Darlehen eingeplant. Bei einer Umwandlung würde sich nämlich nicht nur die Zahl der zu begünstigenden Investoren vermindern, sondern auch die investitionsanregende Wirkung erheblich verringern.
Darüber hinaus würde auch das Ziel einer gleichbleibenden Investitionstätigkeit in den wirtschaftssdiwadien Regionen verfehlt.
Im übrigen steht es jedem Unternehmer frei, ihm als Zuschüsse zufließende Haushaltsmittel in der eigenen betriebswirtschaftlichen Kalkulation als Zinszuschuß einzustellen und sich dann gegebenenfalls auch heute am Kapitalmarkt zu bedienen.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Varelmann auf:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß die Bearbeitung der Darlehensanträge aus dem Regionalen Förderungsprogramm eine Laufzeit von 7 bis 13 Monate haben, und wird hierdurch in den schwachen Räumen eine intensive Wirtschaftsbelebung nicht allzu negativ beeinflußt? .
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Im Jahre 969 wurden die Richtlinien für regionale Wirtschaftsförderung aktualisiert, d. h. verbessert. Dies wird sich im Jahre 1970 nicht wiederholen. Die dadurch notwendigen Wartezeiten werden sich daher entsprechend verkürzen und auf Bundesebene in der Regel etwa ein bis zwei Monate 'betragen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Varelmann.
Trägt das Fehlen der notwendigen Darlehensmittel dazu bei, daß sich die Bearbeitung der Darlehensanträge verlängert?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein. Die Konditionen sind im vorigen Jahr wiederholt verbessert
worden. Ich erinnere nur an die Investitionszulage und an die wiederholten Verbesserungen, die die Bundesanstalt für Arbeit bei ihren eigenen Mitteln vorgenommen hat. Das führte zu einer ständigen Veränderung der Richtlinien und zum Warten, bis die Richtlinien fertig und publiziert waren, -und damit zu dieser bedauerlichen Verlängerung der Wartezeit. für die Investoren.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Varelmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Dienststellen des Bundes und der Länder zu beeinflussen, öffentliche Aufträge bevorzugt und wesentlich verstärkt in die wirtschaftlich schwachen Räume zu leiten, zumal hier preisgünstige Angebote zu erwarten sind?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es ist das ständige Ziel der Bundesregierung, öffentliche Aufträge in besonderem Maße in die wirtschaftlich schwachen Räume des Bundesgebietes zu leiten. Für das Zonenrandgebiet hat die Bundesregierung Richtlinien für die bevorzugte Berücksichtigung von Bewerbern aus diesem Gebiet erlassen.
Da im übrigen Unternehmen in wirtschaftlich schwächeren Gebieten häufig geringere Kosten haben als Unternehmen in Ballungsgebieten, können sie, wie Sie mit Recht bemerken, preisgünstigere Angebote abgeben und somit bei Bundesaufträgen leichter zum Zuge kommen. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn auf die Ausschreibungen ihrer Vergabestellen in zunehmendem Maße preisgünstige Angebote von Unternehmen aus wirtschaftlich schwachen Gebieten eingingen und dadurch besser berücksichtigt werden könnten als bisher.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Varelmann.
Ist die Bundesregierung bereit, Listen über Firmen in den Zonenrandgebieten und in den Bundesausbaugebieten zu führen, die bereit sind, außerhalb der Heimat Aufträge entgegenzunehmen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wir werden das gern und schnell prüfen, Herr Kollege Varelmann, und Ihnen dann darüber eingehenden Bescheid zukommen, lassen.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Varelmann.
Wie hoch liegt der prozentuale Anteil der Aufträge, die auf Grund dieser Anweisungen in den Zonenrandgebieten und den Ausbaugebieten vergeben werden?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Mir ist nicht bekannt, Herr Kollege Varelmann, daß eine derartige Statistik geführt wird. Ich werde das prüfen lassen, und wir werden, falls die Antwort - wie ich be2088
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
fürchte - negativ ausfallen wird, überlegen, ob wir eine derartige Statistik einführen sollten.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Wittmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, der in weiten Kreisen der Bevölkerung herrschenden Unsicherheit über die Preisentwicklung abzuhelfen, indem sie im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit verstärkte Verbraucheraufklärung betreibt bzw. eine unabhängige Verbraucheraufklärung über das bisherige Maß hinaus bei dieser Aufgabe unterstützt?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Er ist im Saal.
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Bundesregierung, Herr Kollege Wittmann, bemüht sich seit Jahren in zunehmendem Umfang um die marktwirtschaftliche Aufklärung des Verbrauchers. Sie hat es in letzter Zeit, wie bekannt, nicht daran fehlen lassen, die Öffentlichkeit in Zeitungsanzeigen, Rundfunk und Fernsehen auf die von der D-Mark-Aufwertung im Agrarbereich ausgehenden Wirkungen hinzuweisen. Die Bundesregierung macht darüber hinaus im Rahmen ihrer monatlichen und vierteljährlichen Berichte über die wirtschaftliche Lage ständig auf die sich aus der Entwicklung der Lebenshaltungsindizes ergebenden Tendenzen aufmerksam.
Eine unabhängige Verbraucheraufklärung wird vor allem von den Verbraucherzentralen der Länder und der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände betrieben. Bund und Länder ermöglichen die Arbeit der Verbraucherzentralen durch erhebliche, jährlich steigende Zuwendungen. Die-Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände erhält vom Bund Sonderzuwendungen für gezielte Aktionen. Dieser Trend wird sich fortsetzen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage? - Wird nicht begehrt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministers für Wirtschaft angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für ,die Beantwortung danken.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf, zuerst die Frage 106 des Abgeordneten Dröscher:
Hält es die Bundesregierung im Sinne der Wehrgerechtigkeit für richtig, daß den Reservisten für die Höhe der zu zahlenden Verdienstausfallentschädigung das Nettoeinkommen eines verhältnismäßig langen Zeitraums, nämlich der vorhergehenden 12 Monate, zugrunde gelegt wird, nachdem sich dadurch bei in jungen Jahren schnell steigendem Einkommen oft eine erhebliche Benachteiligung der ihre Reserveübung ableistenden Wehrpflichtigen ergibt?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Birckholtz.
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Der Gesetzgeber hat es für zweckmäßig und gerecht gehalten, die Verdienstausfallentschädigung nach .dem durchschnittlichen Einkommen der letzten 12 Monate vor der Einberufung zu bemessen. Ein kürzerer Bemessungszeitraum kann nämlich zu sehr zufälligen und im Ergebnis unbefriedigenden Leistungen führen. Das wäre z. B. bei Saisonarbeitern und anderen Personen mit stark schwankendem Einkommen zu befürchten.
Es ist richtig, daß bei dem allgemeinen Anstieg des Einkommens im Bemessungszeitraum im Ergebnis ein Durchschnittseinkommen zugrunde gelegt wird, das den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen unmittelbar vor der Einberufung nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in allen Fällen voll entspricht. Um diesen Nachteil auszugleichen, wurde Mit Wirkung vom 1. Juni 1969 die Verdienstausfallentschädigung für Verheiratete von 80 v. H. auf 90 v. H. und für die Ledigen von 60 v. H. auf 70 v. H. des Einkommens angehoben.
Gleichwohl wird zur Zeit gemeinsam mit den das Gesetz durchführenden Ländern geprüft, ob der Bemessungszeitraum von zwölf auf sechs Monate verkürzt werden kann. Hierfür sind im übrigen Gründe der Verwaltungsvereinfachung maßgebend.
({0})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, darf ich bitten, daß Sie Platz nehmen. Es ist sonst schwer, die Fragestunde, die noch genau fünf Minuten dauert, zu Ende zu führen.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe 'die Frage 107 des Abgeordneten Benda auf:
Treffen Pressemeldungen zu, daß die Bundesregierung Überlegungen anstellt, einem Teil der bei den Stationierungsstreitkräften Beschäftigten den sogenannten Kombattantenstatus zu verleihen?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Der Gesamtkomplex wird verhandelt. Er eignet sich nicht für eine Darstellung in der Öffentlichkeit. Ich bin bereit, den Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages zu gegebener Zeit hierüber zu informieren.
({0})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, der Fragesteller, Herr Benda, hat die Antwort akustisch nicht verstehen können. Ich darf um zweierlei bitten, erstens um etwas mehr Ruhe im Saal und zweitens, Herr Staatssekretär, daß Sie etwas näher ans Mikrophon herangehen.
Soll die Antwort wiederholt werden, Herr Kollegen Benda?
Ich habe bisher nichts verstanden, Herr Präsident, tut mir leid.
Präsident von Hassel: Bitte, Herr Staatssekretär!
Der Gesamtkomplex wird verhandelt. Er eignet sich nicht für eine Diskussion in der Öffentlichkeit. Ich bin bereit, den VerteidiStaatssekretär Birckholtz
gungsausschuß des Deutschen Bundestages zu gegebener Zeit hierüber zu informieren.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Die Frage 108 des Abgeordneten Benda:
Im Falle der Bejahung Welche Gründe sind für derartige Überlegungen maßgebend?
ist durch die Beantwortung der Frage 107 mit erledigt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs' des Bundesministeriums der Verteidigung angelangt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Die Fragen 109 und 110 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Das gleiche gilt für die Frage 111.
Der Abgeordnete Dr. Häfele hat für seine Fragen 112 und 113 um schriftliche Beantwortung gebeten:
Trifft es zu, daß ein Abiturient, der sich für zwei Jahre zum Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet hat - Z-2-Soldat -, nach Ableistung seiner Wehrdienstzeit nicht in den Genuß des' Honnefer Modells kommt?
Wenn ja: Wird die Bundesregierung diese Bestimmung des Honnefer Modells beseitigen, um einen Anreiz für die erwünschte Verpflichtung auf zwei Jahre Wehrdienstzeit zu schaffen?
Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Dohnanyi vom 20. März 1970 lautet:
Es trifft nicht zu, daß ein Abiturient nach Ableistung einer zweijährigen Wehrdienstzeit nicht in den Genuß der Forderung nach dem Honnefer Modell kommt. Er wird vielmehr behandelt wie jeder andere Abiturient.
Damit entfällt die Beantwortung Ihrer zweiten Frage.
Ich rufe die Frage 114 des Abgeordneten Dr. Schmude auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet, soweit sie -nicht zurückgezogen sind.
({0})
- Meine Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen.
Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung:
Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers
Lassen Sie mich als Präsident des Bundestages Ihnen, Herr Bundeskanzler, ,dafür danken, daß Sie unmittelbar nach Ihrer Rückkehr aus Erfurt dem Hause einen Bericht geben.
({1})
Hinter Ihnen liegen Ereignisse, die vom ganzen deutschen Volk begleitet worden sind mit Hoffnungen, Erwartungen und auch mit Sorgen. Wie könnte es auch anders sein nach 25 Jahren widernatürlicher Teilung! Wir alle, die wir gestern Ihren Weg verfolgt haben, Herr Bundeskanzler, sind in dieser Stunde der ersten Bilanz vor allem bewegt, weil wir gesehen haben, daß unser Volk in beiden
Teilen unseres Landes sich nach wie vor als eine Nation versteht.
({2})
Um so größer ist unsere gemeinsame Verantwortung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Brandt, Bundeskanzler ({3}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine kurze Reise nach Erfurt war, von allem anderen abgesehen, gewiß ein starkes menschliches Erlebnis. Dies gilt besonders für die Begegnung mit den Landsleuten, die in der DDR leben. Es hat sich gezeigt - und Sie werden verstehen, wenn ich nicht mehr darüber sage -, daß es sich nicht um eine Fiktion, sondern um eine Realität handelt, wenn ich gestern in Erfurt erneut von der fortdauernden und lebendigen Wirklichkeit einer deutschen Nation gesprochen habe.
({4})
Auch dies ist eine Realität, die man erkennen muß.
Ich möchte hinzufügen, daß mir meine erste Begegnung mit Herrn Stoph, dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, auch politisch starke Eindrücke vermittelt hat. Die Erfahrung zeigt immer wieder, daß das direkte Gespräch es möglich macht, einen Partner und seine Auffassungen besser begreifen, besser verstehen zu lernen, als es durch Briefe, durch diplomatische Noten oder öffentliche Reden möglich ist.
Wir machen es uns im übrigen nicht immer genügend klar, daß, von den ganz umstrittenen politischen Sachverhalten abgesehen, auch diejenigen, die im anderen Teil Deutschlands politische Verantwortung tragen, auf vielen Gebieten in ihrer täglichen Arbeit mit denselben oder ähnlichen Problemen zu ringenhaben wie wir selbst. Auch dies ist, wenn man so will, ein Stück Gemeinsamkeit.
Sie alle, meine Damen und Herren, werden, so denke ich, Verständnis dafür haben, daß ich jetzt wirklich nur eine erste Unterrichtung geben kann. Es wird zumindest einige Tage brauchen, die Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich in Erfurt gesammelt habe, auszuwerten. Aber eines möchte ich doch im vornherein feststellen: Die Reise nach Erfurt war richtig, sie war notwendig, und sie war nützlich. Daß sie nützlich war, haben übrigens Herr Stoph und ich, unbeschadet unserer starken Meinungsverschiedenheiten, übereinstimmend festgestellt.
Es war von vornherein klar, daß es sich in Erfurt nur um einen beginnenden Gedankenaustausch handeln konnte, bei dem die tiefgreifenden Differenzen zwischen den beiden Seiten offen zutage treten mußten. Niemand konnte erwarten, daß über generelle Feststellungen zur Sicherung des Friedens und über die Erörterung einiger praktischer Fragen hinaus eine Annäherung der Standpunkte erreicht werden könnte, und niemand hat dies erwartet. Es wird zahlreicher solcher Gespräche, auf welchen Ebenen auch immer, bedürfen, wenn wir vorwärts2090
Bundeskanzler Brandt
kommen und eine Verbesserung. der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland erreichen wollen.
Erfurt konnte nur ein Anfang sein. Es war ein Anfang. Ich hatte mir von vornherein kein kühneres Ziel gesetzt, als zu erreichen, daß dieser ersten Begegnung eine zweite folgen wird. Dies ist in vollem Einvernehmen mit Herrn Stoph gelungen.
Beide Seiten werden sich in den nun folgenden acht Wochen bis zum 21. Mai überlegen, welche Schlußfolgerungen sie aus dem Erfurter Treffen ziehen können und auf welche Weise praktische Ergebnisse für das Treffen in Kassel anzustreben sind. Daß derartige praktische Ergebnisse möglich sein können, daß eine schrittweise Milderung der Folgen, diesich aus der Spaltung Deutschlands ergeben, denkbar ist -denkbar!, wenn auch alles andere als sicher -, das halte ich heute bei aller gebotenen Skepsis eher für möglich als vorgestern. Ich halte dies für möglich, meine Damen und Herren, obwohl nicht zu sehen ist, wie eine Annäherung in prinzipiellen Fragen erreicht werden kann.
Die Regierung der DDR konzentriert sich ganz und gar auf die Anerkennung, wie sie sie auffaßt, ohne zu erkennen zu geben, welche positiven Veränderungen sie für das Zusammenleben der Deutschen und die Zusammenarbeit der beiden Staaten in Deutschland ins Auge faßt.
Die Regierung der DDR hat auch eine Reihe von Forderungen angemeldet, die unerfüllbar sind, weil sie entweder keine rechtliche oder keine moralische Grundlage haben.
Man geht dort überdies von völlig falschen Vorstellungen über die Lage in der Bundesrepublik und die Politik der Bundesregierung aus, die zurückzuweisen sind und die ich in Erfurt auch eindeutig zurückgewiesen habe.
Meine Damen und Herren, unsere Politik ist nicht einfach, aber sie ist einheitlich und sie ist konsequent. In meiner Regierungserklärung vorn 28. Oktober vergangenen Jahres habe ich dem Ministerrat der DDR Verhandlungen angeboten, die zu einer vertraglich vereinbarten Zusammenarbeit 'auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Nichtdiskriminierung führen sollen. Hieran halten wir fest. Nach unserem Willen sollen derartige Vereinbarungen die gleiche rechtliche Bedeutung haben wie Verträge mit anderen Staaten. Allerdings halte ich auch daran fest, daß die beiden Staaten in Deutschland füreinander nicht einfach Ausland sein können und daß ihre Beziehungen zueinander der besonderen Lage entsprechen müssen, in der Hoffnung, daß aus den negativen Besonderheiten einmal etwas werden kann, was im Interesse des Friedens und der Menschen positiv zu bewerten Ist.
Ich habe diesen Standpunkt in dem Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar dieses Jahres hier begründet. Der Vertragsentwurf, den der Vorsitzende des Staatsrats der DDR am 17. Dezember 1969 dem Herrn Bundespräsidenten übermittelt hatte, trägt der besonderen Lage und den besonderen Notwendigkeiten nicht Rechnung. Es wird sich um eine andere Art von Vertrag handeln müssen.
Herr Stoph hat in Erfurt die Frage an mich gerichtet, was denn die eigentliche Zielsetzung der Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR sei. Ich habe ihm zu erklären versucht, daß wir selbstverständlich keine aggressiven Absichten hätten, sondern eine nachbarliche Zusammenarbeit anstrebten, daß wir eine friedliche Koexistenz zwischen den beiden Staaten in Deutschland wünschten, aber zugleich und gemeinsam alles vermeiden müßten, was endgültig die Möglichkeit verbauen würde, daß das deutsche Volk sich eines - wenn auch vermutlich ferneren - Tages im Rahmen einer europäischen Friedensordnung in freier Selbstbestimmung über die politische Art seines Zusammenlebens entscheiden könnte.
Ich habe also in Erfurt, wie es meine Pflicht war, die von der Bundesregierung bezogenen Positionen vertreten: Verträge zwischen den beiden Staaten in Deutschland und die Regelung ihrer Außenverhältnisse können nicht abstrahiert werden von der Wirklichkeit, in der wir leben. Zu dieser Wirklichkeit gehören - neben anderem, aber nicht zuletzt - die Viermächteabkommen über Deutschland, gehören auch die Abkommen, welche die Bundesrepublik Deutschland mit den drei Mächten abgeschlossen hat.
Auch der Status von Berlin hat in meinen Gesprächen in Erfurt eine Rolle gespielt. Ich habe betont, daß die Bundesregierung den gegebenen Status nicht ändern wolle, wohl aber eine Verbesserung der Lage in und um Berlin begrüßen würde. Ich habe ganz deutlich gemacht, daß die andere Seite, wenn sie von der Anerkennung der Realitäten spricht, ihrerseits die Realität WestBerlin und dessen vielfältige Bindungen zur Bundesrepublik zur Kenntnis nehmen müsse. Dies ist für uns ebenfalls eine unverzichtbare Position.
Darüber hinaus habe ich dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR klarzumachen versucht, daß es in erster Linie nicht um die Form - so wichtig sie sein mag - der vertraglichen Beziehungen zwischen den beiden Seiten gehen könnte, sondern um ihren tatsächlichen Inhalt. Wir sind zu solchen vertraglichen Vereinbarungen bereit - ja, ich habe meinen Wunsch wiederholt, daß es zu einem Gewaltverzichtsvertrag auch zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland kommen möge. Aber derartige Verträge müssen, wenn sie einen Sinn haben sollen, zu einer Verbesserung der Beziehungen und der Lage führen.
Ich habe schon gesagt, meine Damen und Herren, es ist viel zu früh, eine gründliche Bewertung der ersten Begegnung der, wenn man so will, Regierungschefs der beiden Staaten in Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkriegs zu geben. Aber ich bin davon überzeugt, daß wir jede nur denkbare Chance nutzen müssen, um über ein geregeltes Nebeneinander zu einem friedlichen Miteinander zu kommen. Viel mehr läßt sich, dessen bin ich sicher, in absehbarer Zeit nicht erreichen.
Bundeskanzler Brandt
In diesem Sinne läßt sich meine Reise nach Erfurt auch in den allgemeinen Rahmen unserer Außenpolitik einordnen. Wir stehen zu dem atlantischen Bündnis, welches uns Sicherheit und Schutz gewährt. Auf der Grundlage dieses Bündnisses und der Freundschaft mit unseren Verbündeten bemühen wir uns um bessere Beziehungen mit allen Staaten Osteuropas, insbesondere mit der Sowjetunion. Aber alle diese unsere Bemühungen geschehen natürlich auch im Hinblick auf unsere Beziehungen zum anderen Teil Deutschlands, der DDR.
Nicht nur die Deutschen untereinander, sondern auch die Welt - die östliche Welt und die westliche Welt - sollten von der Tatsache ausgehen, daß die Bundesrepublik Deutschland und die DDR nicht einfach nur zwei Staaten wie andere sind, sondern daß sie Staaten sind, die nicht nur sehr unterschiedlich voneinander sind, sondern auch Staaten, in denen Deutsche leben und arbeiten, die viel miteinander verbindet, auch wenn sie durch beklagenswerte Fehlentwicklungen voneinander getrennt wurden.
Niemand kann nach dem gestrigen Tage wissen -ich weiß es jedenfalls nicht -, ob langsam eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den getrennten Teilen möglich sein wird. Aber jedermann sollte wissen, daß wir ehrlich bemüht sind und ehrlich bemüht sein werden, zu einer solchen Verbesserung der Lage zu kommen.
Große Worte sind hier und in diesem Zusammenhang nicht am Platze. Dennoch glaube ich, daß die Begegnung von Erfurt ein Ereignis war, welches, wie auch immer seine praktischen Resultate aussehen werden, fortwirken wird, zumindest als ein Beispiel des guten Willens, und in diesem Geiste werde ich die Begegnung von Kassel vorbereiten.
({5})
Präsident von Hassel: Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, und erteile das Wort dem Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Herrn Abgeordneten Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen ,der Bundestagsfraktion der CDU/CSU habe ich die folgende Erklärung abzugeben.
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat das Treffen des Bundeskanzlers mit dem Vorsitzenden des Ministerrates unterstützt und alles unterlassen, was etwa dieses Treffen hätte verhindern oder seinen Erfolg beeinträchtigen können.
({0})
Wir haben den Bericht des Herrn Bundeskanzlers und seine gestrigen Einlassungen mit großer Aufmerksamkeit gehört. Wir haben auch die anderen Ereignisse vermerkt. Der Beifall von Erfurt spricht für sich selbst und beweist nach 25 Jahren der Teilung, daß die Deutschen sich als ein Volk empfinden und die Selbstbestimmung wünschen.
({1})
Am 9. März haben wir erklärt, und das gilt weiter: Die CDU/CSU ist für Gespräche und Verhandlungen mit Ost-Berlin, mit Polen, mit der Sowjetunion und mit anderen. Wir werden nach den Ergebnissen urteilen. 'Gelingt es, wirkliche Fortschritte für die Menschen und für eine europäische Friedensordnung zu erreichen, so würden wir das begrüßen. Dagegen würde etwa ein Gewaltverzichtsabkommen zwischen Bonn und Ost-Berlin, das lediglich in den Archiven verstaubt, während an der Mauer in Berlin und entlang der Demarkationslinie weiter geschossen wird, von uns bekämpft werden.
({2})
Wir wollen Frieden nicht auf dem Papier, sondern in der Wirklichkeit. Und Frieden, das ist nicht nur eine Sache des Fernseins von Krieg. Frieden ist da am sichersten, wo sich jedermann ungehindert aus allen Quellen informieren kann, wo er ebenso seine kritische Meinung sagen darf. Denn wo es so bestellt ist, ist Krieg unmöglich, weil kein Platz mehr ist für Volksverhetzung und Demagogie. Friedenspolitik muß also die Freizügigkeit der Ideen, der Informationen, der Meinungen und der Menschen zum Ziel haben.
({3})
Wir sind gegen Formeln und für Lösungen, wie die Debatte dieses Hauses am 25. Februar im einzelnen ausweist, wir sind gegen Klischees und Rechthaberei, und wir sind dafür, jede Chance wahrzunehmen.
Der Herr Bundeskanzler hat das Erfurter Gespräch als einen Beginn bezeichnet, und er hat in Erfurt und vorher - was sein gutes Recht ist - viel Grundsätzliches dazu gesagt. Dazu bestand und besteht auch Anlaß. Denn dieser historische Vorgang wirft doch 'die Frage auf, wie wir unsere Staatlichkeit und unsere geschichtliche Kontinuität begreifen.
Eine Nation, die aufhört, ihre Einheit zu wollen, gibt sich selbst auf.
({4})
Eine Demokratie, die sich darauf einläßt, über Preise zu diskutieren, zu denen das Selbstbestimmungsrecht zum Handelsobjekt werden könnte, gibt sich selbst auf.
({5})
Ein Rechtsstaat, der geltendes Recht als politisch hinderliche Zwirnsfäden abtut, hört auf, Rechtsstaat zu sein.
({6})
Für uns sind Berlin und die Lage ganz Deutschlands - ({7})
- Meine Damen und Herren, ich denke doch, daß wir in diesem Hause noch die Möglichkeit haben werden, einander anzuhören. Ich nehme sogar an, daß Sie diesen Sätzen zustimmen, meine Damen und Herren.
({8})
Sie müssen uns schon gestatten, nachdem wir die letzten Wochen, die letzten Tage die grundsätzlichen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers ebenso wie einige Einlassungen Ihres Herrn Fraktionsvorsitzenden
({9})
unbeantwortet gelassen haben, hier heute von dieser Stelle aus zu sagen, was wir meinen. Wir werden uns darin durch nichts stören lassen.
({10})
Für uns sind Berlin und die Lage ganz Deutschlands nicht lästiger Ballast, den man möglichst bald loswerden sollte, um nach allen Himmelsrichtungen politisch freier zu werden. Für uns ist diese Last eine menschliche und geschichtliche Verpflichtung. Sie eröffnet die Chance, historisch an Europa wiedergutzumachen, was Hitler Europa angetan hat. Indem wir bereit sind, für eine europäische Friedensordnung auch schmerzhafte Opfer zu bringen, entsprechen wir dieser Verpflichtung. Vergäben wir aber alles das etwa zugunsten der Stärkung der sowjetrussischen Hegemonie in Europa, indem wir das Konzept der Sowjetunion zugrunde legten, so täten wir allen Europäern einen schlechten Dienst.
({11})
Sollte irgendwer glauben, er würde mehr politischen Spielraum für die Bundesrepublik Deutschland gewinnen, wenn er zuvor diesen Ballast abgeworfen hätte, so müßte er vorher die Frage beantworten, wie man wohl europäisch freier werden kann, indem man die sowjetrussische Vormachtstellung stärkt.
({12})
Am Weg der deutschen Geschichte stehen, Herr Bundeskanzler, die Toten von Buchenwald, denen Sie die Ehre erwiesen haben, stehen Tote durch Hitler ebenso wie Tote durch Stalin,
({13})
aber da stehen auch die Toten der Mauer und des Stacheldrahts, Tote durch Ulbricht.
({14})
Und an diesem Wege stehen Vertriebene und Flüchtlinge, gefallene Soldaten und Hinterbliebene. Alle diese Opfer -der Gewalt wären das nicht geworden, wenn statt Gewalt Recht und Selbstbestimmung geherrscht hätten.
({15})
Ihre gestrige Grundsatzrede in Erfurt, Herr Bundeskanzler, findet an einigen Stellen unsere Zustimmung. Zu anderen Stellen haben wir Fragen oder Kritik anzumelden. Wir behalten uns vor, auf diese Punkte später zurückzukommen und auch Aussagen zur Debatte zu stellen, die uns widersprüchlich erscheinen.
Heute möchten wir zunächst die Position unterstützen, die Sie in Sachen Berlin bezogen haben.
({16})
Wir sind Ihrer Meinung, wenn Sie sagen: der
eigentliche Souverän, das deutsche Volk, muß eines
Tages selbst und frei über sein Schicksal entscheiden können. Die konkreten Punkte, die Sie als lösungsbedürftig im Interesse der Menschen und des Zusammenhalts der Nation bezeichnen, entsprechen ganz überwiegend dem Katalog, den wir in früheren Debatten ,den früheren Regierungen von dieser Stelle aus vorgeschlagen hatten.
Aus dem Bereich, der auf unsere Kritik stößt, möchten wir in dieser Erklärung sofort einen wesentlichen Punkt ansprechen. Sie sagen, Herr Bundeskanzler:
„Deutsche Politik nach 1945 war . . . nicht zuletzt eine Funktion der Politik der Mächte, die Deutschland besiegt und besetzt hatten."
Wahr ist, daß 'hier in der Bundesrepublik Deutschland in sechs Bundestagswahlen die Menschen diese Politik verwerfen oder billigen konnten, daß hier ein frei gewähltes Parlament den Verträgen zustimmte, welche die Basis unserer Außenpolitik sind, daß unserer Gesellschaftsordnung auf dem frei geäußerten Willen der Deutschen hier beruht.
({17})
Davon kann drüben keine Rede sein. Die Menschen drüben haben noch nicht frei ihre Meinung sagen dürfen. Dies beides darf man nie gleichsetzen.
({18})
Selbstbestimmung hier und Fremdbestimmung drüben - das ist leider der 'fundamentale Unterschied. Wir haben - und ich nehme an, das ganze Haus hat - hier nie im Interesse oder auf Druck fremder Mächte abgestimmt, sondern frei im deutschen Interesse, wie wir es beurteilten, und nach unserem Gewissen.
({19})
Und ich muß ein anderes hinzufügen. Sie haben, Herr Bundeskanzler, überzeugend die Angriffe zurückgewiesen, die Ihr Gesprächspartner gegen den Herrn Bundesverteidigungsminister erhoben hatte. Es hätte Ihnen wohl ,angestanden, mit der gleichen Deutlichkeit die Angriffe zurückzuweisen, welche Stoph gegen Konrad Adenauer und andere erhob.
({20})
Der Vorwurf, Konrad Adenauer habe die gewaltsame Beseitigung der DDR gewollt, ist so ungeheuerlich, daß Ihr Protest dagegen nur lautete - im Zusammenhang mit vielen anderen Angriffen, auf die ich jetzt komme -, Sie schlössen sich dieser Beurteilung überwiegend nicht an. Das gleiche gilt hinsichtlich der Angriffe von Stoph auf Ihre früheren Kabinettskollegen Schröder und Strauß.
Außerdem stellte dieser Angriff Sie vor eine Frage nach Ihrer eigenen Position. Meinen Sie mit „respektieren" oder achten: endgültig anerkennen, oder meinen Sie mit „respektieren" oder „achten": Verzicht auf das Mittel der Gewalt bei Aufrechterhaltung 'des Zieles der Veränderung? Denn Stoph sagte - ich 'zitiere -:
Wer nur erklärt, er wolle bei der Änderung
der Grenzen keine Gewalt anwenden, nähert
sich sehr den Thesen der Herren Strauß und Schröder, die dazu aufrufen, für eine Änderung der Grenzen mit sogenannten friedlichen Mitteln zu kämpfen - eine Taktik, mit der bereits Hitler seine Aggression vorbereitete.
({21})
Dies hätte des heftigsten Widerspruchs aus Gründen der Fairneß und der parlamentarischen Solidarität aller Kollegen, gerade wenn man sich draußen befindet, bedurft, Herr Bundeskanzler!
({22})
Und zur Sache: Wenn Stophs Meinung über Gewaltverzicht, so wie er sie hier interpretierte, etwa der sowjetrussischen entspräche, so würde eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland z. B. gegenüber der Sowjetunion, eine Verpflichtung, nach der die Grenzen und die territoriale Integrität zu achten oder zu respektieren sei, aus dortiger Sicht identisch sein mit der Pflicht, auch eine Politik friedlicher Wiedervereinigung auf der Basis der Selbstbestimmung zu unterlassen. Diese Interpretation Stophs gehört, glaube ich, in die Fortsetzung der Moskauer Gespräche, Herr Bundeskanzler.
Jedermann weiß - der Bundeskanzler hat dies in seinen letzten Sätzen gesagt -, daß das Treffen in Erfurt mit anderen Dingen zusammenhängt. Es ist mit den Gesprächen in Moskau im Zusammenhang zu sehen. Diese beiden Vorgänge stehen wiederum mit den Sondierungen in Warschau sowie mit den vorgesehenen Verhandlungen der Vier Mächte über Berlin im Zusammenhang.
Wenn dieser Bundestag am 15. April wieder zusammentritt, wird sich die Bundesregierung auf Grund dieser zusammenhängenden Einzelvorgänge wohl ein Gesamtbild der Lage, der Absichten der Mitglieder des Warschauer Paktes und der konkreteren Möglichkeiten für ihre weitere Politik gemacht haben. Sie wird dann mit den USA, mit Großbritannien und Frankreich eine weitere Abstimmung über Art und Inhalt ihres künftigen Vorgehens vorgenommen und den Übergang vom Stadium der Gespräche in das der Verhandlungen mit der Sowjetunion beschlossen haben.
Vor dem Hintergrund dieser Vorgänge hätten wir gern, bevor diese weiteren Fakten während der Osterpause des Parlaments geschaffen sein werden, von Ihnen, Herr Bundeskanzler, mehr über diese Zusammenhänge und über ihr Urteil zu den sich abzeichnenden Ergebnissen der Sondierungen gehört.
({23})
Wir erleben es nun schon sehr lange, daß Sie schweigen, um mögliche Ergebnisse nicht zu gefährden. In einer parlamentarischen Demokratie kann das nicht unbegrenzt fortgesetzt werden.
({24})
Das gilt um so mehr, als führende Politiker der
Koalition außerhalb des Parlaments anders sprechen,
als es der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung am. 14. Januar in diesem Hause getan hat.
({25})
Sehen wir es richtig, daß die Bundesregierung auf dem Wege ist, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen, besondere Beziehungen zur DDR herzustellen, welche Merkmale der Anerkennung enthalten, der Sowjetunion gegenüber neue Verpflichtungen einzugehen, und daß es die Perspektive der Bundesregierung ist, zwei deutsche Staaten zu Mitgliedern der UNO zu machen? Sehen wir dies richtig? Von Gegenleistungen, von europäischen Ansätzen, von Minderheitenschutz, von Durchlässigkeit der Grenzen und von Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen sehen wir nichts.
({26})
Da also anzunehmen ist, daß die Bundesregierung während der Osterpause des Parlaments Beschluß über den Inhalt abschließender Verhandlungen mit Moskau fassen und der Bundeskanzler das alles dann mit dem Präsidenten der USA und mit anderen erörtern wird, legen wir dazu heute hier im Bundestag unsere Haltung dar. Sonst wäre es wahrscheinlich zu spät.
Schon frühere Bundesregierungen haben - hier ist insbesondere die Friedensnote vom März 1966 zu nennen - Verträge über Gewaltverzicht vorgeschlagen und darüber mit Moskau gesprochen. Diese Abmachungen waren als Bausteine einer europäischen Friedensordnung und als Etappen des Weges zum Selbstbestimmungsrecht Deutschlands gedacht. So heißt es in dem Dokument, das von der Regierung der Großen Koalition am 7. Februar 1967 zu Beginn der Gespräche über Gewaltverzicht mit der Sowjetunion vorgelegt wurde, wie folgt:
Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich insbesondere, bei der Verfolgung ihrer Ziele in der Deutschlandfrage auf Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verzichten.
Solch ein Vertrag könnte mit unserer Zustimmung rechnen.
Aus veröffentlichten Dokumenten ergibt sich, daß die Sowjetunion verlangte, unter der Überschrift „Gewaltverzicht" all das zu regeln, was sie seit langem von uns fordert: Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Linie, Verzicht auf Wiedervereinigung durch Selbstbestimmung, Ungültigkeit des Münchener Abkommens von Anfang an, West-Berlin als selbständige politische Einheit und vieles mehr. Wir bleiben bei unserer Meinung, daß die Regelung solcher Fragen nicht in einen Gewaltverzichtsvertrag und auch nicht in mehrere Gewaltverzichtsverträge gehört.
({27})
Unter der Überschrift „Gewaltverzicht" darf niemand all das vorweg regeln wollen, worüber allein das deutsche Volk in einer umfassenden Friedensregelung entscheiden kann. Keine Bundesregierung hat das Recht, hier Verbindlichkeiten einzugehen oder
vollendete Tatsachen zu schaffen. Art. 7 des Deutschlandvertrages begründet nur die Legitimation zu Gesprächen und zur Vorbereitung von Lösungen. Er lautet - wir wünschen, daß er in diesem Protokoll steht -:
Die Unterzeichnerstaaten .sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, wielche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden ;soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß 'die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung ,aufgeschoben 'werden muß.
Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlichdemokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist.
Das ist geltendes ,Recht.
({28})
Sollte die Bundesregierung meinen, der Zeitpunkt seigekommen, jetzt zu Regelungen über Deutschland mit Polen usw. zu kommen, so müßte sie zuerst sagen, warum, und dann die Änderung dieses Vertrages betreiben. Dem ,sind wegen der übergeordneten Norm 'des Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes enge Grenzen gesetzt.
Nach unserem Eindruck, erhärtet durch die Erfurter Rede Ides Herrn Bundeskanzlers, geht die Deutschlandpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung von folgendem aus:
Es gebe keine Chance 'auf Wiedervereinigung in absehbarer Zeit; es bestünden zwei deutsche Staaten; sie nähmen Beziehungen besonderer Art auf, denn sie seien für einander nicht Ausland; für alle anderen Staaten alber seien beide deutschn Staaten Ausland, also stehe der Aufnahme beider deutscher Staaten in internationale Organisationen einschließlich 'der Vereinten Nationen und der Aufnahme voller Beziehungen aller Staaten zu jedem der beiden deutschen Staaten nichts im Wege als der Wunsch der Bundesregierung, zuerst selbst mit der DDR ins reine zu kommen; der besondere Charakter dieser Beziehungen ergebe sich aus der Tatsache, daß beide Staaten zu einer Nation gehörten, und aus der Fortdauer der Verantwortung der Vier Mächte für ganz !Deutschhand; „besondere Beziehungen" solle .aber nicht bedeuten, daß Vereinbarungenzwischen beiden deutschen Staaten andere Rechtskraft hätten ,als Vereinbarungen mit anderen Staaten; auch innerdeutsche Vereinbarungen könnten der Zustimmung dergesetzgebenden Körperschaften bedürfen.
So ist wohl die Position dieser Bundesregierung zu definieren.
Nachdem der höchst zweifelhafte, wie wir meinen, nicht zu 'definierende und 'aufrechtzuerhaltende Unterschied zwischen staats- und völkerrechtlicher Anerkennung in die Debatte eingeführt ist, wird also nun das Wort „völkerrechtlich" ausgespart und der Begriff der „besonderen Beziehungen" geprägt. Nichts aber, Herr Bundeskanzler, kommt um diesen rechtsverbindlichen Satz des Grundgesetzes herum, der heißt:
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier .Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands 'zu vollenden.
({29})
Jede Regierung ist also verpflichtet, darzutun, auf welche Weise ihre Politik diesem Ziel der freien Selbstbestimmung dient.
Es ist also immer zu fragen: Wofür, für welchen Fortschritt in Richtung Selbstbestimmung, Frieden, Einheit und Freiheit wird verhandelt und werden Vereinbarungen getroffen? Es genügt nicht, nur zu sagen, man sei für die Selbstbestimmung, während man zugleich Tatsachen schafft, die ihr entgegenstehen.
({30})
Die Aufnahme zweier deutscher Staaten in die Vereinten Nationen wäre ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Selbstbestimmung.
({31})
Meine Damen und Herren, im Zentrum aller Ost-West-Probleme liegt Berlin. Wir hatten deshalb vorgeschlagen, den Verhandlungen der Vier Mächte über Berlin zeitlich den Vorrang zu lassen, zumal die deutsche Politik kaum Zuständigkeit und Spielraum in der Berlin-Frage hat. Wir halten das weiterhin für richtig.
Für uns gilt unverändert, was dieser Bundestag am 26. September 1968 insoweit einstimmig beschlossen hat:
Der Deutsche Bundestag hält fest am Viermächtestatus für ganz Berlin und weist Versuche, das freie Berlin politisch und rechtlich zu isolieren, zurück. Der Deutsche Bundestag fördert die Bemühungen der Bundesregierung, die drei Westmächte bei der Ausübung ihrer Verantwortlichkeiten für die Erhaltung des ungehinderten freien Zugangs nach Berlin sowie der Sicherheit und Lebensfähigkeit der Stadt zu unterstützen. Desgleichen tritt er dafür ein, daß die engen gewachsenen Bindungen zwischen Berlin und dem Bund gewahrt und gefördert werden.
Soweit das Zitat. - Wir fügen aus gegebenem Anlaß hinzu: Auch die bisher geübte Bundespräsenz in Berlin gehört zu den gewachsenen Realitäten.
({32})
Die Bundesregierung ist in diesem Hause und der deutschen Öffentlichkeit noch schuldig, ihr Gesamtkonzept für die verschiedenen ostpolitischen Bemühungen mitzuteilen. Es ist ja kein Zufall, daß,
wie wir soeben hörten, auch Herr Stoph danach gefragt hat.
({33})
- Natürlich!
({34})
Meine Damen und Herren, hier muß einmal gesagt werden, mit welchen Hoffnungen und welchen Erwartungen auf welche Gegenleistungen das alles verknüpft ist. Hierzu gehört auch, die Rückwirkungen einer solchen Politik im Auge zu haben, Rückwirkungen, welche sich für das westliche Bündnis, für die Sicherheit, für die Truppenstärke der USA in Europa und für die Europäische Gemeinschaft ergeben. Es stellt sich auch die Frage nach der Verschiebung der Gewichte in Europa und dem zunehmenden Einfluß der Sowjetunion. Diese Fragen sind bisher hier nicht erörtert worden, und die praktische Politik dieser Bundesregierung nimmt Stück für Stück die Antwort vorweg.
Unsere Haltung ist weiterhin diejenige, welche dieser Bundestag am 26. September 1968 mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD einstimmig beschlossen hat. Ich zitiere:
Der Deutsche Bundestag wird zu keiner Zeit und unter keinen Umständen davon abgehen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker zentraler Grundsatz der internationalen Politik sein muß und durch keine militärische Macht gebeugt werden darf. Die USA, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland haben sich im Deutschlandvertrag völkerrechtlich bindend verpflichtet, . . .
({35})
- Das mögen Sie nicht mehr hören, weil Sie davon heute nichts mehr wissen wollen. Aber wir halten heute noch daran fest, meine Damen und Herren.
({36})
Deshalb werde ich die ganze Passage vorlesen.
({37})
- „Schmiere" ist das? Sie haben dem damals zugestimmt, Herr Wehner.
({38})
- Meine Damen und Herren, Wehner findet zu sich selbst, kann ich hier nur sagen. ({39}) Ich zitiere weiter:
bindend verpflichtet, bis zum Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung zusammenzuwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitliche, demokratische Verfassung besitzt und in die Gemeinschaft der europäischen Völker eingebettet ist. Die Völker Europas werden einen dauerhaften und gerechten Frieden nicht finden, solange unserem Volke die Teilung aufgezwungen bleibt.
Unsere Verbündeten und die ganz überwiegende Mehrheit der Völker haben bekundet, daß sie die Bundesregierung als die einzige deutsche Regierung ansehen, die frei und rechtmäßig gebildet ist. Sie spricht auch für jene, denen mitzuwirken bisher versagt ist. Die Anerkennung des anderen Teiles Deutschlands als Ausland oder als zweiter souveräner Staat deutscher Nation kommt nicht in Betracht.
Der Deutsche Bundestag wird alle Verhandlungen und Maßnahmen der Bundesregierung unterstützen, die zum Wohle der Menschen im gespaltenen Deutschland und im Interesse des Zusammenhaltes der Nation möglich sind.
So weit dieses Zitat, das für uns in allem, auch im letzten Absatz, weitergilt.
({40})
Wir möchten aber der Bundesregierung auch dieses sagen: Für eines gibt es keinen Preis; über eines lassen wir nicht einmal mit uns reden: die Selbstbestimmung. Wir haben Krieg und Hitler erlebt. Wir wissen deshalb, was es heißt, selbst bestimmen zu können und zu dürfen, was man tut. Es ist schlimm genug, daß wir den Deutschen drüben die Selbstbestimmung nicht erwirken konnten. Nun aber noch diese Nichtselbstbestimmung drüben etwa zu besiegeln, das kann von uns keiner verlangen, und das soll von uns keiner erwarten.
({41})
Aus der Haltung der Menschen in Erfurt und in Weimar sprach nicht die Billigung der Spaltung Deutschlands.
Wie man hört, gibt es in Bonn Verantwortliche, die meinen, wir müßten uns „einpassen in den Trend der Entspannungspolitik der USA" und deshalb auch „unser Verhältnis zur Sowjetunion entlasten". Zur Entspannung gehören zwei. Immer wieder hat der Westen und haben auch wir Vorschläge gemacht. Das muß geduldig fortgesetzt werden. Nur, jeder in den USA, jeder in der freien Welt und sehr viele darüber hinaus werden uns Respekt und Unterstützung geben - und das ist nicht zeitlich befristet -, wenn wir an den Zielen festhalten, die kein Bürger eines freien demokratischen Landes preisgeben kann.
({42})
Die unüberschreitbare Grenze allen Entgegenkommens der deutschen Politik gegenüber wem auch immer, auch gegenüber der DDR, auch gegenüber Polen, auch gegenüber der Sowjetunion, ist das, was die Unabhängigkeitserklärung der USA so formuliert - ich zitiere das -:
Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich:
daß alle Menschen gleich geschaffen sind,
daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind,
daß dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören,
daß zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten,
daß, wenn immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen.
Dieses große Ziel, meine Damen und Herren, können wir nicht in einem Schritt für unsere Landsleute erreichen. Wir erwarten auch nicht, daß die neue Regierung das in einem Schritt tut. Aber jede Veränderung, der wir etwa zustimmen könnten, muß ein Mehr an menschlichen Rechten bedeuten und den künftigen Weg zur freien Selbstbestimmung nicht erschweren oder verbauen, sondern erleichtern.
({43})
Daran werden wir Verhandlungspositionen und Ergebnisse messen.
Ziel der deutschen Außenpolitik in Europa muß sein und bleiben eine europäische Friedensordnung, in der alle Deutschen ihr politisches Schicksal selbst bestimmen können. Wir werden .zu nichts unsere Zustimmung geben, was den Weg zu diesem Ziel verbaut. Deshalb sollte die Bundesregierung schon dem Deutschen Bundestag nur Ergebnisse vorlegen, die auch der Zustimmung der Deutschen hüben und drüben, wenn möglich, in einer Volksabstimmung, sicher sein könnten.
({44})
Dies ist, meine Damen und Herren, wie wir meinen, der Ruf der Menschen, die dem Kanzler des freien Deutschlands Beifall zollten, weil sie selbst frei sein wollen.
({45})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten, die sich stets für den Abbau von Spannungen im Herzen Europas eingesetzt haben, danken dem Herrn Bundeskanzler für sein konsequentes Eintreten für diese Politik. Sie danken der Delegation, Herrn Bundesminister Franke und Herrn Staatssekretär Dorn, daß sie das Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden des Ministerrates in 'dieser Form geführt 'haben.
({0})
Meine Damén und Herren, ich verhehle nicht die Bewegung, die auch mich bei den Übertragungen dieser Begegnung erfaßt hat; denn es hat deutlich gemacht, daß es vielschichtige Realitäten gibt, die von allen bei diesen Bemühungen als Voraussetzungen für gute Lösungen richtig eingeschätzt werden müssen.
Der 19. März 1970 hat unverkennbar den Willen dieser Bundesregierung unterstrichen, die Deutschland- und Ostpolitik nach zwei Jahrzehnten auf einen festen Boden zu stellen. Ohne Aufgabe berechtigter Interessen des ganzen deutschen Volkes hat der Herr Bundeskanzler für diese Bundesregierung die Bemühungen unter Beweis gestellt, die festgefahrene Deutschlandpolitik in Bewegung zu bringen 'mit dem Ziel 'einer europäischen Friedensordnung, verbunden mit ,dem Abbau der innerdeutschen Fronten im Interesse aller Menschen im geteilten Deutschland.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns bewußt, daß die uns selbst gestellte Aufgabe schwierig und kompliziert sein wird. Wir werden weiterhin viel Geduld und Gelassenheit aufbringen müssen. Wir investieren viel Zeit und Geduld - und 'das 'mit Recht - in 'den Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, um das große Ziel einer europäischen Einigung zu erreichen. Warum werden die gleichen, die das für richtig halten und immer unterstützt haben, ungeduldig, wenn es sich für die Gespräche und Verhandlungen mit dem anderen deutschen Staat um die gleiche Geduld und Gelassenheit handelt?
({2})
Hier brauchen wir genau die gleiche Geduld und Gelassenheit, die wir dort seit Jahren bewiesen haben. Wir sind entschlossen., diesen Weg zu gehen, weil wir wissen, daß diese Regierung im Gegensatz zu dem, was ihre 'Gegner sagen, was ihre Gegner leidenschaftlich bekämpfen, auf diesem Wege die friedliche Überwindung der Spaltung unseres Kontinents erreichen will.
Seit dem 19. März 1970 wissen auch die Verbündeten des anderen deutschen Staates, daß es dieser Bundesregierung ernst ist, mit der Regierung der DDR auch über politische Fragen wie den Gewaltverzicht zu verhandeln und zu einer Verständigung zu kommen. Diese Bereitschaft kann durch keine Propagandatricks mehr aus der Welt geschaffen werden.
Der Herr Bundeskanzler hat dem Hohen Haus dargelegt, wie beschwerlich der Weg sein wird, daß es notwendig ist, im einzelnen noch auszuloten, wo Möglichkeiten 'des unmittelbaren Gespräches, wo unüberbrückbare Hindernisse vor uns liegen. Aber eben weil wir für 'die Menschen in beiden deutschen Teileneine Besserung erreichen wollen, isollten wir keinen Versuch unterlassen, trotz steinigen und unebenen Weges unser Ziel zu 'erreichen; denn nur eine 'solche Politik - dais hat 'das Intéresse 'der Menschen in beiden Teilen Deutschlands an dem Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem Ministerratsvorsitzenden bewiesen - kann uns in unserem nationalen Anliegen weiterführen. Der Mahnungen der Opposition bedarf es nicht, denn die Bundesregierung und die sie tragende Koalition wird sich aller Verpflichtungen gegenüber den MenMischnick
schen und gegenüber unserem Grundgesetz immer bewußt sein.
({3})
In der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit haben wir uns noch nie übertreffen lassen, und das wird auch so bleiben.
({4})
Ich will im Interesse der Sache, um die es hier geht, der Versuchung widerstehen, die doch zum Teil recht kleinlichen kritischen Bemerkungen des Kollegen Barzel zu behandeln.
({5})
Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Koalition, die wir diese Regierung tragen, sind uns bewußt, daß der Weg, der vor uns liegt, manche Kritik, manche Anfechtung mit sich bringen wird. Wir wissen aber auch, daß 20 Jahre nach Bildung dieser Bundesrepublik Deutschland die Menschen in beiden deutschen Staaten die Politiker nicht danach messen werden, welche Formeln sie gefunden haben, sondern danach messen werden, ob sie bereit waren, sich für die deutschen Menschen einzusetzen und Erleichterungen für sie zu schaffen.
({6})
Wir sind der Auffassung, daß die Bestätigung des zweiten Termins in Kassel bereits deutlich gemacht hat, daß sich auch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik nicht der Notwendigkeit entziehen kann, im Interesse des europäischen Friedens, im Interesse einer europäischen Friedensordnung die Dinge weiter zu verfolgen und sich zu bemühen, zu Ergebnissen zu kommen. Wir sind der Überzeugung, daß sich bei sorgfältiger Prüfung aller dargelegter Standpunkte Möglichkeiten ergeben werden, diese Gespräche nicht nur fortzusetzen, sondern über Verhandlungen auch eines Tages zu Vereinbarungen zu kommen.
Heute wollen wir als Freie Demokraten Ihnen, Herr Bundeskanzler, nur sagen: Setzen Sie diesen begonnenen Weg beharrlich fort, wir werden Sie und Ihre Regierung mit allen Kräften dabei unterstützen!
({7})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser 19. März wird noch lange bedacht werden, und es wird über ihn und über das, was sich daraus ableiten läßt, noch viel zu sprechen sein.
Der Herr Präsident des Deutschen Bundestages hat in einer einleitenden Bemerkung von Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen gesprochen, die den Bundeskanzler auf diesem Weg begleitet hätten. Ich will das nur mit einer Bemerkung ergänzen und mir insofern zu eigen machen, als es sowohl Hoffnungen als auch Sorgen als auch Erwartungen jeweils bei jedem gibt und recht unterschiedlich motiviert.
Heute ist nicht die Stunde, vorwegzunehmen, was über das gesagt werden muß, was mit der Begegnung von Erfurt ausgedrückt wird. Die Befürchtungen des Herrn Sprechers der Opposition, es könnte, ja es sei sogar zu erwarten oder zu befürchten, daß bis zum Wiederzusammentritt des Bundestages vollendete Tatsachen geschaffen seien, diese Befürchtungen sind gegenstandslos.
Heute ist auch nicht die Stunde, über die Stationen zu sprechen, die bis Erfurt geführt haben.
({0})
Es sind ja sehr viele Stationen, und sie sind unterschiedlich zu bewerten. Darüber wird sicher auch beim weiteren Entwickeln dessen, was sich aus Erfurt ergeben kann oder abzuleiten ist, zu reden sein, manchmal mit Härte, aber ich hoffe, immer mit der gebotenen Sachlichkeit.
Jedenfalls: Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten dankt dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung für die Folgerichtigkeit, mit der sie entsprechend der Regierungserklärung handeln.
({1})
Sie dankt auch für die Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler in Erfurt und heute hier abgegeben hat. Wir stimmen damit vollinhaltlich überein.
({2})
Ich bitte, auch eine Bemerkung zu Buchenwald machen zu dürfen, nicht nur, weil diese Gedenkstunde dort in der Rede des Herrn Sprechers der Opposition hier eine Rolle gespielt hat. Entscheidend für uns jedenfalls ist, daß wir mit gutem Gewissen gedenken.
({3})
Buchenwald - wenn der Name fällt, haben viele vieler zu gedenken, ganz unterschiedlicher. Hier gibt es keinen Alleinanspruch, und das Gedenken an teure Tote bedarf weder des Kommentierens noch des Interpretierens.
({4})
Nun muß ich doch einige Bemerkungen zu den Ausführungen des verehrten Kollegen Dr. Barzel machen, denn im Gegensatz zu Herrn Dr. Barzel, der darüber klagt, der Bundeskanzler habe dort dies oder jenes nicht so getan oder gesagt, wie das wohl andere getan hätten, stelle ich nur ganz kühl fest: Wir haben uns allerdings darüber gefreut, daß der Bundeskanzler alles sachlich zurechtgerückt hat, was sachlich zurechtzurücken war, daß er aber die Modelle für die Art, über die Angehörigen von Parteien in der Bundesrepublik Deutschland zu reden, nicht bei solchen entlehnt hat, die dafür schlechte Beispiele gegeben haben. Ich nenne gar keine Namen.
({5})
Sie werden übrigens, meine Damen und Herren,
meine ich, beim' gründlichen Prüfen der Texte noch
sehen, daß selbst der Kern dessen, Herr Dr. Barzel, was Sie beanstanden, so nicht stimmt, wie Sie es hier verstanden haben. Aber das kann ja beim gründlicheren Prüfen der Texte auch noch bei Ihnen korrigiert werden.
Sie haben, Herr Dr. Barzel, in einer Passage sozusagen unterstellt, und zwar in Frageform, ob Sie richtig sehen, daß die Bundesregierung auf dem Wege sei, dies, dies, dies und dies zu tun oder nicht zu tun. Ich möchte sagen, daß ich den Eindruck habe und der Überzeugung bin: Die Bundesregierung ist auf dem Wege, in Absprache und Kooperation mit den westlichen Vertragspartnern Verständigung auch mit den Nachbarn im Osten und in dem so schrecklich schwierigen Verhältnis, dem zwischendeutschen Verhältnis der beiden deutschen Staaten auf dem Boden des gespaltenen Deutschland zu suchen und zu finden.
({6})
Meine Damen und Herren, der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion hat hier gesagt, die Bundesregierung könne bei einigem mit der Zustimmung der Fraktion der CDU/CSU rechnen. In meiner Übersetzung heißt das: soweit die Regierung nichts anderes tue, als die CDU/CSU vorher für sagbar gehalten hat. Ich muß dazu sagen: Es wird nichts an Ihnen vorbeientschieden, meine Damen und Herren. Aber es wird auch nichts unterlassen, bloß weil Sie schmollen, und zwar schmollen aus unterschiedlichen Gesichtspunkten.
({7})
Die Belehrungen darüber, was geltendes Recht sei, nehmen wir dankbar entgegen. Aber wenn Sie draußen zu sagen versuchen werden, wie es einige von Ihnen schon geübt haben, diese Regierung sei dabei, über die Schwelle zu gehen, verfassungswidrig zu handeln, oder habe es schon getan, so wünschen wir Ihnen gute Reise nach Karlsruhe!
({8})
Jetzt ist ja die Zeit ides Reisens. Reisen Sie mal nach Karlsruhe! Die Mehrheit des Bundestages ist entschlossen, die Bundesregierung zu unterstützen.
({9})
- Nein, nein! Sie ist entschlossen. Wir sind ja nicht mit den Worten „was immer sie tue" belastet. Sie kennen das von einem anderen; da hieß es nicht „Bundesregierung", sondern es war eine Person, die mit einem Titel angeredet wurde. Mit „was immer sie tue" sind wir nicht sonderlich belastet, sondern weil wir Vertrauen zu der Integrität ihres -Handelns in Übereinstimmung mit ihrer Regierungserklärung haben, sind wir entschlossen, die Regierung zu unterstützen.
({10})
Herrn Dr. Barzels Frage nach dem Gesamtkonzept der Regierung bitte ich - ich will hier nicht belehren, aber es würde vorteilhafter sein - wieder in den ursprünglichen Text zurückzubringen. Denn er hat hier improvisiert, und das ist nicht gut angekommen und kann auch nicht gut wirken. Er meinte nämlich, es wende sich herausstellen, daß, wie er - Barzel - fragte, auch Herr Stoph gefragt habe. Aber ich war immerhin dankbar: beim kühlen Anfertigen des Manuskripts war das nicht drin.
({11})
Das ist hier improvisiert worden. So wird man künftig immer ein wenig Rücksicht darauf nehmen, daß -nicht jeder aus dem Stegreif gleich das Richtige trifft und den Punkt auf das ursprüngliche I setzt; das gibt es.
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Was soll es denn, meine Damen und Herren, hier unsere Zielvorstellungen zu repetieren oder zu memorieren?
Sie sagten, über eines ließen Sie nicht einmal mit sich reden, nämlich über Selbstbestimmung. Ich muß Ihnen sagen: Wir brauchen uns über eines nicht einmal belehren zu lassen, nämlich über Selbstbestimmung. Das ist sehr einfach.
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Natürlich gibt es Sorgen. Das ist ganz klar. Es gibt sie wechselseitig und unterschiedlich motiviert. Darüber wird ja nicht nur polemisch gesprochen werden müssen. Ich denke daran erinnern zu dürfen, Herr Dr. Barzel, daß der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat - und er hat es dann auch in der Debatte über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland besser gesagt, als ich es jetzt aus dem Gedächtnis zitiere -, daß die Resultate von Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Regierungen, Abkommen, Verträge usw., natürlich nicht eine Rauchwand sein dürften, hinter der sich nichts ändere. Ich habe diese Erwartung, so schwer, so mühselig und lang dieser Weg auch ist und sosehr sogar der technische Vorgang symptomatisch für den politischen Inhalt und die politische Landschaft ist, nämlich daß man, während man sehr viel schneller hinkommen könnte, langsam fahren muß - auch mit dem Zug -, daß man sich auferlegen muß, langsam zu fahren. Das ist eine Landschaft, die mit größter Sorgfalt weiter behandelt werden muß.
Sie haben gesagt, Sie würden zu nichts Ihre Zustimmung geben, das nicht dem oder dem entspreche. Sie haben ferner gesagt, das und das gehöre nicht in Gewaltverzichtsabkommen. Es wird sich hoffentlich zeigen, daß man im Gesamtgefüge der Bemühungen, im Meinungsaustausch mit der Sowjetregierung, mit der DDR-Regierung, mit anderen Regierungen im Warschauer Pakt weiterzukommen, in Abstimmung und Kooperation mit den westlichen Vertragspartnern zu dem erreichlten Maß an Verständigung auch in jener Richtung zu kommen, weder den Vorgang Erfurt - das wissen Sie genauso gut wie ich, darüber muß ich Sie nicht 'belehren, und das muß ich Ihnen jetzt nicht in Erinnerung rufen - noch den Vorgang Kassel - es werden andere dazwischen und danach sein - isoliert betrachten darf. Es ist vielmehr - wie in
einem System kommunizierender Röhren - ein Teil in einem ganzen Gefüge. - Manche von Ihnen haben das ja schon gesagt, wenn auch zum gegensätzlichen Zweck wie bei mir. Sie haben nämlich gesagt, das sei dort ja alles so fein abgestimmt. Uber solche Bewertungen ist nicht zu streiten.
Noch ein Wort zu den Zielvorstellungen. Unsere Auffassung 'ist, daß, wenn die Menschen der beiden deutschen Staaten deren Vereinigung wollen, diese, wenn das die weltmachtpolitischen Verhältnisse erlauben, möglich werden soll. Diese Zielvorstellung geben wir nicht nur nicht auf, sondern wir berufen uns sogar darauf - was Sie nicht tun, weil Sie das nicht für existent halten, was andere tun, und Sie sie nicht anerkennen -, was in deren Verfassung, in deren Verträgen und in deren dortigem grundlegendem Vertrag vom 12. Juni 1964 jeweils steht, nämlich eine Klausel des Inhalts, daß, wenn es ein vereinigtes Deutschland geben sollte - dann mit deren Vorzeichen -, der jeweilige Vertrag revisionsbedürftig und revisionsfähig werde.
Was den einen recht ist, muß den anderen billig sein. Man wird sich auf beiden Seiten noch dahin durcharbeiten. Jetzt geht es darum, daß der territoriale Status quo gegen Gewalt und gegen Androhung von Gewalt gesichert wird. Dabei spielt eine ganz entscheidende und für uns alle lebenswichtige Rolle die Sicherung Berlins, und zwar des territorialen Status quo und seine Verbesserung hinsichtlich der Zufahrts- und Ausfahrtswege. In diesem Punkt dürfte es hier kaum gegensätzliche Auffassungen ,geben. Aber sehen wir, wie es weitergeht.
Es gibt natürlich manche bei Ihnen, die uns in allen Punkten und von Anfang an gern vor die, wie ich sagen möchte, rednerische Flinte kriegen wollen. Herr Dr. Barzel hat einleitend die Frage nach dem Verständnis unserer Staatlichkeit gestellt und danach, wie wir sie begreifen. Demokratische Selbstbehauptung und Verständigung: das ist es, was wir darunter verstehen. Dementsprechend werden wir uns auch verhalten.
Aber das alles wird seine Rolle spielen, aber muß sie nicht so spielen, wie es der Sprecher der Oppositionsfraktion hier zur Grundlage seiner Ausführungen gemacht hat, nämlich so, als ob es bis Mitte April 'zu spät sein könnte und man es deshalb alles noch heute gesagt haben müßte.
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Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. April 1970, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.