Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, für den ausgeschiedenen Abgeordneten Schultz ({0}) ist am 16. März 1970 der Abgeordnete Krall in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn und wünsche ihm eine gute und erfolgreiche Arbeit in unserer Mitte.
({1})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um folgende in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden:
1. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({2}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Numerus clausus
- Umdruck 6, Drucksache VI/523 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Meinecke ({3}) Abgeordneter Pfeifer
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martin, Baier, von Alten-Nordheim, Haase ({4}), Josten, Röhner, Erhard ({5}), Dr. Miltner, Hussing, Schulte ({6}), Lenzer, Susset, Dr. Lenz ({7}), Weber ({8}), Zink, Picard, Frau Dr. Walz, Niegel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Hochwasserschäden im Bundesgebiet
- Drucksache VI/538 Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
Betr.: Gesetz zur Neuregelung der Studentenförderung an Hochschulen, Ingenieurschulen, Akademien und Höheren Fachschulen
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 26. Juni 1969
- Drucksache VI/481 zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({9}), Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Gegen die Überweisung erhebt sich kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers für Wirtschaft hat am 12. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Höcherl, Wagner ({10}), Dr. Riedl ({11}), Dr. Kreile, Dr. Schneider ({12}), Engelsberger, Niegel, Dr. Gölter und Genossen betr. baupreisrechtliche Vorschriften - Drucksache VI/427 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/522 verteilt.
Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 11. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Dr. Wagner ({13}), Richarts, Bremm, Dr. Gölter, Hauser ({14}), Susset, Pieroth, Dr. Klepsch und Genossen betr. Europäische Weinmarktordnung - Drucksache VI/447 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/528 verteilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 12. März 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Frau Brauksiepe, Wohlrabe, Baier und Genossen betr. Neukonstituierung des Kuratoriums des Deutsch-Französischen Jugendwerks - Drucksache VI/456 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/531 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 12. März mitgeteilt, daß der Ausschuß die
Verordnung des Rates über die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingents für Grège, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs
Verordnung des Rates über die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingentes für Seidengarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs
Verordnung des Rates über die Wiedereinführung des Zollsatzes und die Eröffnung eines Gemeinschaftszollkontingents für Schappeseidengarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 50.05 des Gemeinsamen Zolltarif s
- Drucksache VI/234 Verordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Silizium ({15}), durch Zusatz oder selektive Reinigung dotiert, in Form von Scheiben, Plättchen, Rondellen und dergleichen, auch poliert, der Tarifstelle 38.19 T
- Drucksache VI/395 zur Kenntnis genommen hat. Da alle Vorlagen bereits im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften verkündet wurden und in Kraft getreten sind, erübrige sich eine besondere Berichterstattung an das Plenum.
Der Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates für die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über schädliche Abgabe von Kraftfahrzeugmotoren mit Fremdzündung - Drucksache VI/72 - ist vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit an den Innenausschuß abgegeben worden, da inzwischen die bisherige Zuständigkeit des früheren Bundesgesundheitsministeriums auf das Bundesministerium des Innern übergegangen ist.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat am 13. März 1970 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen den
Vorschlag der Kommission der EG für eine Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
Einführung der Mehrwertsteuer in den Mitgliedstaaten - Drucksache V/4688
keine Bedenken erhoben habe.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({16})
- Drucksache VI/478 mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 3. Juli 1970 an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates
über den Abschluß eines Handelsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zu diesem Abkommen
sowie
das Handelsabkommen zwischen der Gemeinschaft und Jugoslawien ({17})
- Drucksache VI/489 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({18}), Auswärtigen Ausschuß, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({19}) Nr. 2599/69 zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Apfel
- Drucksache VI/493 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates betreffend den Rückgriff auf bestimmte Verwendungsarten für Apfelsinen, die Gegenstand von Interventionen waren
- Drucksache VI/494 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Meine Damen und Herren, die Fragestunde wird heute nachmittag um 14 Uhr aufgerufen.
Ich komme damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({20})
- Drucksachen VI/139, VI/261 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache VI/502 Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
Abgeordneter Dr. de With
({21})
Ich danke den Herren Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht. Er soll wohl ergänzt werden. Herr Abgeordneter Schlee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform ist - wohl mit nachfolgender Zustimmung der Fraktionen - vereinbart worden, daß über die Beratungen zum Dritten Strafrechtsreformgesetz heute von den beiden Berichterstattern auch mündlich in gedrängter Kürze berichtet wird.
Meine Damen und Herren! Die Reform des Strafrechts wird als eine vorrangige legislative Aufgabe unserer Zeit anerkannt. Es ist jedoch schon eine Erfahrung aus der 4. Legislaturperiode des Bundestages, daß diese Reform nicht in einem einzigen Akt der Gesetzgebung mit der einmaligen Verabschiedung eines in sich abgeschlossenen neuen Strafgesetzbuches geschehen, sondern nur mit einander folgenden Novellen bewältigt werden kann. Darum befinden wir uns jetzt nicht mehr in der Epoche der Gesetze zur Änderung des Strafrechts, sondern in der Epoche der Gesetze zur Reform des Strafrechts.
Der 5. Bundestag hat bereits das erste und das zweite dieser Reformgesetze verabschiedet, wobei dem zweiten Gesetz besondere Bedeutung zukommt, weil es mit dem 1. Oktober 1973 einen neuen Allgemeinen Teil unseres Strafrechts in Kraft setzen wird.
Diesem 6. Bundestag obliegt es nunmehr, die Reform der Tatbestände des Besonderen Teils aufzugreifen. Demgemäß haben die beiden Koalitionsfraktionen mit der Drucksache VI/139 und sodann die Kollegen Vogel und Genossen und die Fraktion der CDU/CSU mit der Drucksache VI/261 je einen Entwurf für ein Drittes Gesetz zur Reform des Strafrechts eingebracht. Beide Entwürfe befassen sich vor allem mit den Tatbeständen des Sechsten und Siebenten Abschnitts des Zweiten Teils des Strafgesetzbuchs, d. h. mit den Tatbeständen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.
Für das Ziel beider Entwürfe hat sich die nicht ganz korrekte Bezeichnung der Reform des Demonstrationsstrafrechts eingebürgert, weil die hier in Betracht kommenden Tatbestände in den letzten Jahren besonders bei Demonstrationen Bedeutung erlangt haben. Die Reform dieses Strafrechts erscheint deshalb vielen besonders eilbedürftig, vor allem mit der Begründung, daß diese Tatbestände dem Grundgesetz angepaßt werden müssen. Es sei jedoch angemerkt, daß auch die gegenteilige Meinung vertreten wird. Der durch Generationen hindurch angesehene Rechtslehrer Professor Eberhard Schmidt vertritt den Standpunkt, daß diese Tatbestände keinen Widerspruch zu unserem Grundgesetz aufweisen.
Meine Damen und Herren! Entsprechend dem Entwurf der Koalitionsfraktionen hat sich zunächst die Mehrheit des Ausschusses dafür entschieden, daß § 110 StGB aufgehoben wird. Diese Strafbestimmung bedroht nach geltendem Wortlaut die öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze, rechtsgültige Verordnungen und Anordnungen der zuständigen Obrigkeit mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren. Nach dem Entwurf der CDU/CSU soll dieser Tatbestand gewahrt bleiben. Jedoch soll bei einer Strafdrohung bis zu höchstens einjähriger Freiheitsstrafe nur noch von der Aufforderung zur Nichtbeachtung von Rechtsvorschriften und von Verfügungen die Rede sein.
Die Minderheit unterstützte diese Fassung, weil sie der Meinung war, daß auch ein demokratisches
Staatswesen dieses Schutzes der in der Rechtsgemeinschaft geltenden Rechtsvorschriften und der Verfügungen seiner Behörden bedürfe. Die Mehrheit machte demgegenüber geltend, daß vor allem der Bereich dieser Strafvorschrift bei der Erstrekkung auf Anordnungen oder Verfügungen nicht mehr zu überschauen sei; der Tatbestand habe aber auch in der gerichtlichen Praxis nur geringe Bedeutung erlangt; es könne daher im Interesse tunlichster Verminderung der kriminellen Tatbestände darauf verzichtet werden. Für das Jahr 1967 z. B. sind für diesen Tatbestand und den folgenden § 111 nur zwei Verurteilungen zu verzeichnen.
Im Ausschuß wurde allerdings angeregt, mit einem § 109 i des Fünften Abschnitts, dessen Tatbestände dem Schutz der Landesverteidigung gewidmet sind, diesen Schutz des bisherigen § 110 gegen öffentliche, an die Soldaten gerichtete Aufforderungen zum Ungehorsam gegen Befehle und zur Nichtbeachtung von Gesetzen aufrechtzuerhalten, und zwar besonders deshalb, damit eine Rechtsgrundlage gegeben sei, mit der man vor allem die Verbreitung aggressiver Schriften und dergleichen zu unterbinden vermöge. Die Anregung fand jedoch bei der Mehrheit keine Zustimmung.
Dagegen stimmen beide Entwürfe mit dem Bleichen Wortlaut darin überein, daß § 111 StGB erhalten bleiben soll. Diese Strafdrohung richtet sich gegen denjenigen, der öffentlich zur Begehung einer strafbaren Handlung auffordert. Er ist wie ein Anstifter zu bestrafen. Nachdem beide Entwürfe zunächst übereinstimmend und wohl im Blick auf das künftige Strafrecht nur noch die Aufforderung zu einem Verbrechen oder Vergehen erfassen wollten, hat sich der Ausschuß zuletzt für die Formulierung entschieden, daß die Aufforderung zu einer mit Strafe bedrohten Handlung den Gegenstand des Tatbestands bilden soll. Dies bedeutet folgendes.
a) Es wird damit mindestens klargestellt, daß es für die Strafbarkeit des Auffordernden nicht darauf ankommt, ob derjenige, der der Aufforderung Folge leistet, für seine Handlung subjektiv strafrechtlich verantwortlich ist. Es genügt, daß er den objektiven Tatbestand der Handlung verwirklicht, auf die die Aufforderung gerichtet war.
b) Mit diesem Wortlaut wird sodann zunächst auch weiterhin die Aufforderung zu einer als Übertretung mit Strafe bedrohten Handlung erfaßt. Mit dem 1. Oktober 1973 wird jedoch auf Grund des zweiten Reformgesetzes der 29. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs aufgehoben. Die Übertretungen des Strafgesetzbuchs existieren dann nicht mehr. Das neue Strafrecht kennt keine Übertretungen mehr, so daß ohne besonderen Akt der Gesetzgebung der § 111 mit diesem Tage die Einschränkung erfährt, daß er sich nur noch auf rechtswidrige Taten beziehen kann, die als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedroht sind.
c) Die Mehrheit des Ausschusses hat sich nach dem Entwurf der Koalitionsfraktionen dafür entschieden, daß § 23 des Versammlungsgesetzes aufgehoben werden soll. § 23 des Versammlungsgesetzes stellt die öffentliche Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder an einem verbotenen Aufzug unter Strafe. Die Teilnahme selbst an solchen Versammlungen und Aufzügen ist zunächst noch eine Übertretung nach § 29 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes. Mit der Aufhebung 'des § 23 des Versammlungsgesetzes würde demnach vorerst ,die Aufforderung zur Teilnahme an einer verbotenen Versammlung oder an einem verbotenen Aufzug bis zum 1. Oktober 1973 oder bis zu einer etwaigen Änderung des Versammlungsgesetzes noch von dem Tatbestand des § 111 erfaßt.
Nach dein Entwurf der CDU/CSU soll in Ergänzung des § 1,11 StGB ein § 142 an 'einer freigewordenen Stelle des Strafgesetzbuchs aufgenommen werden. Mit ihm soll die öffentliche Aufforderung zu Übertretungen und zu mit Geldbuße bedrohten Handlungen, also Ordnungswidrigkeiten, als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr pönalisiert werden. Soweit mit dieser Strafbestimmung Aufforderungen zu Übertretungen erfaßt werden sollen, ist dem mit der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung des § 111 Rechnung getragen, nicht jedoch, soweit es sich um die Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten handelt.
Die Mehrheit hat sich gegen diesen Tatbestand ausgesprochen. Ihr schien nicht nur die vorgeschlagene Freiheitsstrafe für ein solches Delikt zu hoch zu sein; sie war im Gegensatz zur Auffassung der Minderheit idarüber hinaus der Meinung, daß man die Aufforderung zu einer Ordnungswidrigkeit nicht als eine kriminelle Handlung pönalisieren könne. Von dem Vorsitzenden des Ausschusses wurde dazu angeregt, an geeigneter Stelle der Gesetzgebung .die öffentliche Aufforderung zu 'einer Ordnungswidrigkeit selbst .als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße zu bedrohen. Dieser Vorschlag kam jedoch nicht zur Entscheidung.
Zu § 113 StGB ist vorweg darauf hinzuweisen, daß nach der amtlichen Statistik für das Jahr 1967 3106 Urteile auf Grund dieser Strafvorschrift vorliegen, darunter 2741 Urteile gegen Erwachsene. Bei der öffentlichen Anhörung, die der Ausschuß vorgenommen hat, wurde von den Vertretern der Polizei immer wieder darauf hingewiesen und hervorgehoben, daß diese Strafbestimmung auch bisher ihre wesentliche Bedeutung nicht dm Zusammenhang mit Demonstrationsvorgängen, sondern mit einzelnen Vollstreckungen und Vollzugsmaßnahmen behalten hat.
Es ist sodann folgendes auszuführen: Der geltende § 113 StGB bedroht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren den mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleisteten Widerstand gegen die Amts oder Diensthandlung 'derjenigen Beamten, die kraft ihres Amtes mit der angegriffenen Amts- oder Diensthandlung Gesetze, Befehle oder Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder gerichtliche Urteile und Verfügungen zu vollstrecken haben und die ich daher im folgenden kurz als Vollstreckungsund Vollzugsbeamte bezeichnen will. Nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission sollte dieser besondere Strafbestand des mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleisteten Widerstan1944 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 39. Sitzung. Bonn.. Mittwoch, den 18. März 1970
des gegen Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte entfallen. An dessen Stelle und an die Stelle des § 114 StGB sollten zwei Tatbestände der strafbaren Nötigung treten, und zwar einerseits der Nötigung zur Nichtvornahme einer Amts- oder Diensthandlung und andererseits der Nötigung zur Vornahme einer solchen Handlung, und dieser Schutz sollte dann nicht nur für Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte, sondern für Behörden, Beamte und Soldaten der Bundeswehr ganz allgemein gelten, also auch dann, wenn es sich nicht um Vollstreckungs- und Vollzugshandlungen im bisherigen Sinne des § 113 StGB handelte.
Diese Reformvorstellungen der Strafrechtskommission haben ihren Niederschlag sowohl in dem Entwurf 1962 als auch in den sogenannten Garmischer Beschlüssen 'des Strafrechtsausschusses der vorhergehenden Legislaturperiode gefunden. Auch der Entwurf der CDU/CSU ist darauf aufgebaut, d. h. er will zunächst an die Stelle ,des bisherigen § 113 StGB, von dem im Augenblick allein die Rede ist, den Tatbestand der strafbaren Nötigung zur Nichtvornahme einer Amts- oder Diensthandlung setzen. Dieser Tatbestand soll die mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel versuchte oder vollendete Nötigung gegen Gerichte, Behörden, Mitglieder eines Gerichts, Beamte und Soldaten der Bundeswehr umfassen. Der Entwurf der Koalitionsfraktionen dagegen ist zu dem mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleisteten Widerstand gegen die Amts- oder Diensthandlungen der Vollstreckung.s- und Vollzugsbeamten und der Soldaten der Bundeswehr zurückgekehrt. Beide Entwürfe gehen übrigens einheitlich davon aus, daß auch die Soldaten der Bundeswehr in den Schutz des § 113 StGB einzubeziehen sind.
Der Ausschuß war nun einhellig der Meinung, daß dieser bisherige Tatbestand des Widerstandes beibehalten werden sollte. Er ließ sich zunächst durch die Referate der Vertreter des Bundesjustizministeriums überzeugen, daß die Unterscheidung zwischen der Nötigung zur Nichtvornahme einer Amts- oder Diensthandlung und der Nötigung zur Vornahme einer solchen Handlung in der Praxis der Rechtsprechung Schwierigkeiten bereiten könne. Auch bei der öffentlichen Anhörung, die der Ausschuß durchgeführt hat, haben sich die Sachverständigen und die Vertreter der Polizei überwiegend für diesen Tatbestand ausgesprochen. Allerdings ist auf folgendes aufmerksam zu machen, was auch im Ausschuß gewürdigt wurde. Sämtliche Strafdrohungen für die Tatbestände der Nötigung sowohl in § 114 und § 240 'des geltenden Rechts als auch im Entwurf der CDU/CSU sind höher als die 'Strafdrohung des geltenden § 113 StGB, die auch mit einer höchsten Freiheitsstrafe von zwei Jahren vom Ausschuß übernommen wurde. Der Gesetzgeber früherer Jahrzehnte berücksichtigte hier die besondere Lage des Bürgers in der unmittelbaren Konfrontation mit den Repräsentanten der Staatsgewalt, die ihn in der Erregung des Augenblicks eher strafbar werden läßt als bei (dem meist vorbedachten Entschluß zur Nötigung. Allgemein waren die Mitglieder des Ausschusses demnach der Meinung, daß dieser jahrzehntealte und plastische Tatbestand des Schutzes I der Vollstreckungs- und Vollzugsbeamten gegen den Widerstand, der ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben entgegentritt, im Strafgesetzbuch bestehenbleiben sollte.
Nach dem Entwurf der Koalitionsfraktionen soll aber der Widerstand gegen Vollstreckungs- und Vollzugshandlungen dann nicht strafbar sein, wenn die Amts- oder Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. In gleicher Weise soll nach dem Entwurf der CDU/ CSU die Strafbarkeit .der Nötigung zur Nichtvornahme einer solchen Handlung entfallen, wenn die Amts- oder Diensthandlung, die mit der Nötigung verhindert werden soll, nicht rechtmäßig ist. Dem entspricht bereits das geltende Recht.
Nachdem sich der Ausschuß für den Tatbestand des mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geleisteten Widerstands gegen Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte entschieden hat, ging er einhellig davon aus, .daß es für diesen Tatbestand bei dem strafrechtlichen Begriff der Rechtmäßigkeit verbleiben solle, wie ihn die Rechtsprechung zu § 113 des geltenden Rechts entwickelt hat. Er nahm jedoch von einer besonderen Abstimmung Abstand, weil die Auslegung dieses Begriffs den Gerichten zu überlassen ist. Gleiches gälte auch für den Tatbestand der Nötigung 'zur Nichtvornahme einer Amtsoder Diensthandlung nach dem Entwurf der CDU/ CSU.
Ein wesentlicher Unterschied in den beiden Entwürfen besteht jedoch hinsichtlich der Bedeutung der Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung für den strafbaren Tatbestand und damit für die Schuld des Täters, insbesondere also hinsichtlich des Einflusses, den der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung auf die Strafbarkeit des Täters ausüben soll. Auf Grund der Formulierung des geltenden Tatbestands des § 113 StGB haben angesehene Rechtslehrer immer wieder die Meinung vertreten, daß zur Strafbarkeit das Bewußtsein des Täters von der Rechtmäßigkeit der gegen ihn vollzogenen Amts- oder Diensthandlung gehöre. Die Rechtsprechung steht aber für den geltenden Tatbestand des § 113 StGB seit Jahrzehnten auf dem Standpunkt, daß die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung nicht zum eigentlichen Tatbestand gehöre, sondern eine sogenannte objektive Bedingung der Strafbarkeit sei, auf die sich der Vorsatz oder die Schuld des Täters nicht erstrecken müsse. Das heißt, daß der Täter mit der Entschuldigung, er habe die Amts- oder Diensthandlung nicht für rechtmäßig gehalten, in keinem Fall der Bestrafung entgehen kann, wenn das Gericht die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung feststellt. Das Reichsgericht, der Bundesgerichtshof und auch andere Gerichte, z. B. das Bayerische Oberste Landesgericht, haben diese Rechtsauffassung immer wieder damit begründet, daß nur diese Auslegung des Tatbestands mit den Bedürfnissen eines geordneten und sicheren Vollzugs der Vollstreckungsakte und mit dem Schutz der mit diesem Vollzug betrauten Beamten zu vereinbaren sei. Aber auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in letzter Zeit die Meinung hervorgetreten, daß in Ausnahmefällen
dem Schuldprinzip Rechnung zu tragen und der Irrtum zu beachten sei.
Der Entwurf der CDU/CSU will nun die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung weiterhin eindeutig als objektive Bedingung der Strafbarkeit kodifizieren und die Einwirkung des in § 17 des zweiten Reformgesetzes für die Zukunft normierten Verbotsirrtums auf den hier in Betracht kommenden Tatbestand ausschließen. Er enthält deshalb auch im Gegensatz zum Entwurf der Koalitionsfraktionen keine Bestimmungen für den Fall des Irrtums des Täters über die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung, der er Widerstand leistet. Es sei angemerkt, daß sich bei der öffentlichen Anhörung auch die Polizeipräsidenten und Polizeidirektoren einhellig gegen. eine, wie sie sich ausdrückten, „plakative Normierung" der Irrtumsfolgen bei § 113 ausgesprochen haben.
Der Ausschuß hat daher mit der Formulierung des Abs. 3 klargestellt, daß der Widerstand gegen eine Amts- oder Diensthandlung nicht nach der Vorschrift des § 113 StGB strafbar ist, wenn die Amtsoder Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Diese Formulierung unterscheidet sich zwar im Wortlaut kaum von dem Entwurf der CDU/CSU; gleichwohl gestattet sie die rechtsdogmatische Ausdeutung in verschiedenem Sinn. Der Ausschuß muß und will diese rechtsdogmatische Ausdeutung der Rechtsprechung und der Rechtslehre überlassen. Er war jedoch ohne Widerspruch der Überzeugung, daß der Irrtum des Täters über die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung auch bei dem Tatbestand des § 113 StGB nicht mehr schlechthin unbeachtlich bleiben könne. Denn bereits in einer Entscheidung des Jahres 1952 hat der Bundesgerichtshof erkannt, daß die Berücksichtigung des Verbotsirrtums bei der Schuldfrage und damit bei der subjektiven Voraussetzung der Strafbarkeit schon ohne besondere Normierung dem geltenden Recht entspricht. In § 17 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts, d. h. des neuen allgemeinen Teils unseres Strafrechts, der am 1. Oktober 1973 in Kraft treten wird, sind die Rechtsfolgen des Verbotsirrtums ausdrücklich normiert worden.
Der Ausschuß hielt es deshalb zur Wahrung des Schuldprinzips für geboten, bei ,den besonderen Umständen des Tatbestandes des Widerstands gegen Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte und im Blick auf mögliche Änderungen ,der Rechtsprechung aber auch für angebracht, in den Tatbestand des § 113 eine besondere, nach den Grundsätzen des Verbotsirrtums ausgerichtete Irrtumsregelung aufzunehmen. Der Ausschuß wäre kaum zu einer anderen Entscheidung gekommen, wenn er statt des Tatbestands ,des Widerstands nach dem Entwurf der CDU/CSU den Tatbestand der Nötigung zur Unterlassung einer Amts- oder Diensthandlung vorgezogen hätte. Auch die Große Strafrechtskommission, der Entwurf 1962 und die Garmischer Beschlüsse, die ja dem Entwurf der CDU/CSU als Vorbild dienten, hatten hier eine besondere Irrtumsregelung vorgesehen.
Der Täter soll demnach strafbar bleiben, wenn er den Irrtum über die Rechtmäßigkeit .der Amts- oder
Diensthandlung, gegen die er sich wehrt, hätte vermeiden können. Hierbei ist ,der Ausschuß von dem Entwurf der Koalitionsfraktionen abgewichen, indem er die Vorwerfbarkeit durch die Vermeidbarkeit oder Unvermeidbarkeit des Irrtums ersetzt hat. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es bei dem Irrtum nicht auf die subjektive, vielleicht außerhalb des Grundgesetzes begründete Rechtsanschauung .des Täters anzukommen hat. Der Täter muß vielmehr seine Überlegungen logisch nach den Normen anstellen, die nun einmal in der Rechtsgemeinschaft gelten, in der er lebt. Der Täter soll jedoch mangels subjektiver Schuld straffrei sein, wenn er den Irrtum nicht vermeiden konnte und wenn es ihm auch nicht zuzumuten war, Rechtsbehelfe gegen die Amts- oder Diensthandlung zu ergreifen, die gegen ihn vollstreckt oder vollzogen werden sollte.
Der Ausschuß glaubt, daß mit dieser Regelung auch für die Zukunft dem Schutzbedürfnis der Vollstreckungs- und Vollzugsbeamten in wirksamer Weise Rechnung getragen wird. Der Täter muß grundsätzlich statt sofortigen Widerstands die Alternative eines Rechtsbehelfs ergreifen. Unterläßt er diese Alternative und leistet er statt dessen sofortigen Widerstand, bleibt er bei vermeidbarem Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Dienstmäßigkeit ohnehin strafbar. Straflos mangels subjektiver Schuld ist er nur, wenn ihm die Alternative eines Rechtsbehelfs nicht zugemutet werden konnte und er den Irrtum über die Rechtmäßigkeit der Amts- oder Diensthandlung, der er mit sofortigem Widerstand begegnet, nicht vermeiden konnte.
Es genügt, sodann darauf hinzuweisen, daß nach den beiden Entwürfen auch eine Regelung für besonders schwere Fälle aufgenommen worden ist.
Im Anschluß an die Ausführungen zu § 113 soll noch folgendes angemerkt werden.
In Übereinstimmung mit dem Entwurf der CDU/ CSU empfiehlt der Ausschuß einstimmig, in dem Tatbestand des § 113 StGB auch wieder den Schutz der Vollstreckungs- und Vollzugsbeamten gegen tätliche Angriffe aufzunehmen, denen sie während ihrer Amts- oder Diensthandlungen ausgesetzt sind. Dies entspricht dem geltenden Recht, war jedoch in dem Entwurf .der Koalitionsparteien nicht mehr vorgesehen.
Dagegen fand sich keine Mehrheit für die in dem Entwurf der CDU/CSU vorgesehene Erweiterung dieses Schutzes ,auf tätliche Angriffe, die wegen solcher Amts- oder Diensthandlungen gegen Vollstreckungs- und Vollzugsbeamte verübt werden, also gewissermaßen auf Racheakte, die nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Vorgang der Amts- oder Diensthandlung stehen müssen. Die Mehrheit lehnte diese Erweiterung ab, weil sie hierin eine Bevorzugung der Vollstrekkungs- und Vollzugsbeamten vor anderen Personen und insbesondere vor anderen Personen mit amtlicher Tätigkeit erblickte.
Ohne Problematik war es im Ausschuß ferner, daß in Übereinstimmung mit beiden Entwürfen der Schutz des § 113 StGB auch für diejenigen Personen
zu gelten habe, die zur Unterstützung bei einer Amts- oder Diensthandlung zugezogen sind.
Nachdem der Ausschuß sich für den Tatbestand des Widerstands entschieden hatte, wurde als Konsequenz dieses Beschlusses im Ausschuß der Antrag gestellt, den § 114 StGB des geltenden Rechts weiterhin beizubehalten. Dieser Tatbestand ist bisher über den § 113 StGB hinaus dem Schutz der Behörden, Beamten und Soldaten in der Weise gewidmet, daß derjenige mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht wird, der es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde, einen Beamten oder einen Soldaten der Bundeswehr zur Vornahme oder Unterlassung einer Diensthandlung zu nötigen. „Unternehmen" bedeutet, daß die Strafdrohung ohne Unterschied für Vollendung und Versuch der Nötigung gilt. Die Mehrheit hat den Fortbestand dieses Tatbestandes abgelehnt, weil durch den allgemeinen Tatbestand der Nötigung des § 240 StGB das Strafbedürfnis ohne Lücken abgedeckt werde.
Im Anschluß an den § 113 StGB finden sich dann in unserem Strafgesetzbuch noch die kurz als „Forstwiderstand" und „schwerer Forstwiderstand" bezeichneten Tatbestände der §§ 117 und 118 StGB. Hier werden sowohl Eigentümer eines Waldes oder eines Fischgewässers, Forst- und Fischereiberechtigte oder Jagdausübungsberechtigte in der rechtmäßigen Ausübung ihres Rechts als auch Forst-, Jagd- und Fischereibeamte und für den Forstschutz usw. bestellte Aufseher in der rechtmäßigen Ausübung ihres Amtes gegen gewalttätigen Widerstand und gegen tätliche Angriffe geschützt, zudem mit höheren Strafdrohungen, als sie nach dem Grundtatbestand des § 113 StGB zum Schutze der Vollstrekkungs- und Vollzugsbeamten gelten und in Zukunft gelten sollen.
Beide Entwürfe hatten die ersatzlose Aufhebung dieser Tatbestände vorgesehen. Nach längeren Beratungen gelangte der Ausschuß jedoch zu der Überzeugung, daß dies zuviel des Guten - oder vielmehr des Bösen - wäre. Zwar war im Ausschuß keine Mehrheit mehr dafür zu gewinnen, daß für die Verteidigung oder Durchsetzung privater Rechtsausübung ein besonderer Schutz in Angleichung an § 113 StGB bestehenbleiben solle. Dennoch wird der Forstschutz, der Jagdschutz usw. z. B. im Bundesjagdgesetz, meist aber in den landesrechtlichen Bestimmungen als eine öffentliche polizeiliche Aufgabe angesehen, weil und soweit es sich hier vor allem um die Verhütung und Verfolgung der für diese Gebiete geltenden besonderen, oft landesrechtlichen Straftatbestände und Zuwiderhandlungen handelt.
Es werden hierbei nicht nur die Bediensteten des einschlägigen öffentlichen Dienstes herangezogen; es können für diese Schutzaufgaben nach bundes-, meist aber nach den unterschiedlichen landesrechtlichen Bestimmungen auch Personen bestellt werden, die nicht immer als Beamte im Sinne des § 359 StGB zu gelten haben, aber für ihre Aufgabe in gewissem Umfang mit den Rechten oder mit den Rechten und Pflichten der polizeilichen Vollzugsbeamten oder mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet sind. Zum Teil ist auch vorgesehen, daß sowohl Bedienstete des öffentlichen Dienstes als auch im privaten Dienst stehende Personen zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft erklärt werden. Es wäre nicht billig, den Schutz des § 113 StGB nur denjenigen mit dem Forstschutz usw. betrauten Personen zu gewähren, die ihn ohne weiteres genießen, weil sie Beamte im Sinne des § 359 StGB sind, und ihn anderen Personen zu versagen, die nicht unter den strafrechtlichen Begriff des Beamten fallen und dennoch die gleichen oder ähnliche Aufgaben zu erfüllen haben.
Die Minderheit befürwortete deshalb, im Strafgesetzbuch die §§ 1,17 und 118 durch eine Vorschrift zu ersetzen, derzufolge den Beamten im Sinne des § 113 StGB Personen gleichstehen, die Aufgaben wahrnehmen, welche ihnen ,auf Grund besonderer Vorschriften über den Forst-, Feld-, Jagd- oder Fischereischutz obliegen, und die dabei zur Verhütung oder Verfolgung von .Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten tätig werden. Die Minderheit hätte diese Formulierung vorgezogen, weil sie sich im Rahmen der herkömmlichen Schutzbestimmungen und Ordnungen auf diesem Rechtsgebiet gehalten hätte. Die Mehrheit ,entschied sich dagegen für eine teils engere, teils weitere Formulierung, nämlich dahingehend, daß nach einem neuen § 114 StGB ,der Amtshandlung eines Beamten im Sinne des § 113 Vollstreckungshandlungen von Personen gleichstehen, .die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind, ohne als Beamte angestellt zu sein. Es handelt sich dabei also gewissermaßen um eine Blankettvorschrift, die es vor allem den Ländern überläßt, die Ordnungen ,des Forstschutzes, Jagdschutzes usw. diesem Tatbestand ,anzupassen.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Als zweiter Berichterstatter hat Herr Abgeordneter de With das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zusätzlich zu dem Ihnen vorliegenden Bericht darf ich mir erlauben, in etwas gedrängter Form und, wie ich hoffe, einigermaßen verständlich die Auffassungen des Strafrechtssonderausschusses zur Reform des Auflaufes, des Aufruhrs und des Landfriedensbruchs unter einigen umfassenden Gesichtspunkten darzustellen. Denn 'diese drei Vorschriften 'bilden den eigentlichen Kern ,der Reform. Sie stehen weiter in einem starken inneren Zusammenhang. Letztlich handelt es sich um die umstrittensten Paragraphen.
Der Strafrechtssonderausschuß war einmütig der Auffassung, daß die Vorschrift des Auflaufs, wonach strafbar ist, wer sich trotzdreimaligen Polizeipfiffs mit Auflösungsaufforderung nicht entfernt, als bloßer Verwaltungsungehorsam so nicht in das Strafgesetzbuch passe. Der Ausschuß war weiter ohne Ausnahme der Meinung, daß Aufruhr und Landfriedensbruch zusammengefaßt werden müßten. Nach diesen beiden Vorschriften ist nämlich jeweils strafbar, wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der entweder ein Widerstand gegen die
Staatsgewalt 'bzw. eine Beamtennötigung begangen wird - das ist der Aufruhr - oder bei der mit vereinten Kräften Gewalt angewandt wird - das ist der Landfriedensbruch. Da es bei diesen Tatbeständen nach derzeitigem Recht selbst für Ärzte, RoteKreuz-Helfer, Presse- und ,Fernsehleute und solche, die man als Abwiegler bezeichnet, ein Risiko ist, an einer Demonstration teilzunehmen - bisher hilft lediglich die Rechtsprechung aus -, war sich der Ausschuß klar, daß solche Leute nicht unter den Kreis 'der Landfriedensbrecher fallen sollten. Der Ausschuß war sich schließlich darin einig, daß die hohen Strafdrohungen von drei bzw. sechs Monaten Mindeststrafe oder von einer Höchststrafe von bis zu zehn Jahren Zuchthaus zu verschwinden hätten.
Der Ausschuß war sich jedoch darüber uneinig, ob der Auflauf ersatzlos zur Ordnungswidrigkeit her-abgestuft werden solle oder ob der Auflauf in der bisherigen Form zwar herabgestuft, in das Strafgesetzbuch aber ein ergänzter Auflauftatbestand eingefügt werden solle dergestalt, daß der zu bestrafen sei, der sich trotz ides dreimaligen Pfiffs nicht aus der Menschenmenge entfernt, die die öffentliche Sicherheit bedroht. Uneinig war sich der Ausschuß auch darüber, ob unter den Tatbestand des Landfriedensbruchs nur der fallen solle, der Täter oder Teilnehmer an Gewalthandlungen oder Anheizer hierzu ist. Unter Anheizern sind diejenigen zu verstehen, die zwar Gewalthandlungen wollen, aber noch nicht wissen, durch wen, wann, wo und wie sie eintreten, weshalb das geltende Recht sie weder als Täter noch als Teilnehmer fassen kann.
Nach sehr ausführlichen Erörterungen stufte der Ausschuß den Auflauf als Verwaltungsungehorsam ersatzlos zur Ordnungswidrigkeit herab und faßte Auflauf und Landfriedensbruch zu einer Vorschrift mit der Maßgabe zusammen, daß künftig als Landfriedensbrecher nur der zu bestrafen ist, der Täter oder Teilnehmer an Gewalthandlungen oder Anheizer hierzu ist. Für den Anheizer wurde eine Formulierung gefunden, die auch den mit Strafe bedroht, der rein psychisch, ohne Worte zu gebrauchen, auf die Menge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu Gewalthandlungen zu fördern.
Folgende vier Gründe waren maßgebend.
Erstens. Die Regelung sollte klar und kurz sein. Das ist sie, mit einer leicht faßlichen auf Gewalttaten beschränkten Strafvorschrift - Landfriedensbruch - und einer ebenso klaren Ordnungswidrigkeit - abgestufter Ablauf. Dem Minderheitenvotum nach hätte es zwei Straftatbestände gegeben, nämlich doch wieder den - wenn auch ergänzten - Auflauf und den Landfriedensbruch, und dazu den Auflauf als Ordnungswidrigkeit.
Zweitens. Die Regelung sollte zur Durchführung des Schuldprinzips nur kriminelles Unrecht mit Strafe bedrohen, alles andere lediglich mit Geldbuße. Auch das ist der Fall. Bestraft werden nicht mehr die, die - ohne an Gewalthandlungen beteiligt zu sein - weitermachen, die bloß Neugierigen, die bloßen Passanten, die Abwiegler, Ärzte und Presseleute. Nach dem Willen der Minderheit sollten weiterhin auch diese Weitermacher - die sich die Demonstration durch einige Gewalttäter nicht „kaputtmachen" lassen wollen, deren Handlungen aber auch nicht billigen -, die bloß Neugierigen und die bloßen Passanten, die bei „heißgelaufener" Demonstration von Gewalttaten wissen, bestraft werden. Um einer Beweiserleichterung willen wäre so der Landfriedensbruchparagraph in die Nähe eines Gefährdungsdelikts geraten.
Drittens. Das friedliche Demonstrieren soll kein Risiko mehr sein: Der Polizeipfiff mit Auflösungsforderung hat für den, der lediglich weiterdemonstriert, keine Strafdrohung mehr zur Folge, nur eine Geldbußandrohung. Dagegen ist es unmißverständlich deutlich - für Demonstranten, Polizisten und für die Richter -, wann ein Handeln strafbar ist.
Viertens. Die Regelung wollte - und dem kommt nicht geringe Bedeutung zu - den Zugriff der Polizei flexibler machen, ohne deren Zugriffsmöglichkeiten einzuschränken. Auch das ist - entgegen manchen Unkenrufen - erreicht worden. Dadurch, daß die Polizei in jedem Fall nur noch gegen Gewalttäter und deren Hintermänner vorgehen muß - weil diese Straftäter sind -, nicht auch gegen die Stehenbleiber - weil diese nurmehr unter Ordnungswidrigkeiten fallen -, kann die Polizei weitgehend nach dem Opportunitätsprinzip vorgehen und ist nicht mehr strikt an das strenge Legalitätsprinzip gebunden. Das Legalitätsprinzip führte bisher dazu, daß sich die Polizei nicht selten dem Vorwurf der Begünstigung im Amt ausgesetzt sah, da sie nur einen kleinen Teil der Täter - einfach aus Mangel an Leuten - als solche feststellen und anzeigen konnte, die Mehrheit, die sie ebenso zur Anzeige hätte bringen müssen, aber - freilich unverschuldet - laufen lassen mußte, und dieses strenge Legalitätsprinzip führte dazu, daß sich manchmal, weil die Polizei wegen der Anzeigepflicht die Personalien feststellen mußte, die Konfrontation mit den Demonstranten noch verschärfte. In Zukunft wird die Polizei ihren Zugriff weitgehend nach Zweckmäßigkeitsgründen ausrichten können. Die Auflösung, die Räumungsbefugnis und der Platzverweis - also die entscheidenden Zugriffsmöglichkeiten - sind dagegen zugunsten der Polizei erhalten geblieben.
Damit hat der Ausschuß das Strafgesetzbuch verfassungskonform auf die Höhe unserer Zeit gebracht: Es unterstellt die Meinungsäußerung in Form der Demonstration nicht mehr obrigkeitlicher Kuratel. Es bedroht klar abgegrenzt nur noch die mit Strafe, die sich letztlich gegen die Demokratie wenden, die Täter und Hintermänner der Gewalt.
Aufgabe der anstehenden Reform des Versammlungsrechts wird es sein, sicherzustellen, daß Nötigung nicht in zu enger Auslegung als Auffangtatbestand für diejenigen verwandt wird, die nach den Intentionen dieser Reform nicht mehr strafwürdig sind.
Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Vorschlägen des Strafrechtsonderausschusses - im übrigen darf ich mich auf den Bericht beziehen - in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, ich bin unterrichtet worden, daß interfraktionell verabredet ist, nunmehr in eine allgemeine Aussprache einzutreten. - Es entspricht den Tatsachen. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben aus den Berichten des Berichterstatters und des Mitberichterstatters in dieser Sache entnommen, daß der Sonderausschuß in diesen wesentlichen Fragen zu einer Einigung nicht kommen konnte. Während die CDU/CSU noch in der ersten Lesung die Hoffnung zum Ausdruck gebracht hat, daß dieses wichtige Reformgesetz auf einer breiten Basis verabschiedet werden könnte - wir haben im Sonderausschuß unsere Bereitschaft zu einem guten Kompromiß des öfteren gezeigt -, haben die Beratungen in diesem Sonderausschuß zu keinem in unserem Sinne befriedigenden Ergebnis geführt.
Das ist um so bedauerlicher, als gerade in den Punkten nach wie vor Differenzen bestehen, die den Gehalt eines wirksamen Schutzes der Öffentlichkeit vor Ausschreitungen, wie wir sie genügend erlebt haben, ausmachen. Das Gesetz, das wir heute zu beschließen haben, muß für jeden Bürger Klarheit darüber bringen, was in unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung der einzelne für Rechte hat, aber auch darüber, wo seine Rechte zwangsläufig enden müssen. Sonst laufen wir Gefahr, daß jeder sich letzten Endes darauf berufen kann, er habe geglaubt, zu dem einen oder anderen Tun berechtigt zu sein.
So wenig Verständnis die Bürger dieses Landes für eine Einengung der Freiheitsrechte des einzelnen haben, so sehr allerdings haben diese Bürger auch ein Anrecht darauf, vor Ausschreitungen geschützt zu werden. In der ersten Lesung und auch in den Beratungen des Sonderausschusses ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß wir insbesondere den jungen Menschen die Möglichkeit geben müssen, gegen Unzulänglichkeiten zu demonstrieren und ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen; das sei ein unverzichtbares Recht. Dem haben wir immer zugestimmt, und dem stimmen wir auch heute noch zu. Wir tun es allerdings und in jedem Falle mit dem Vorbehalt, daß eine solche Meinungsbekundung in friedlicher Form und ohne die Verletzung der Rechte anderer zu geschehen hat. Wir tun es unter dem weiteren Vorbehalt, daß dabei die Wertordnung unseres Grundgesetzes geachtet werden muß.
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Wenn immer wieder gesagt wird, daß man Demonstrationen eines guten Zweckes willen eben zu dulden habe, dann sind auch wir bereit, das zu versichern. Es ist aber kein guter Zweck, wenn diese Demonstrationen dazu dienen sollen, die Ordnungsvorstellungen unseres Grundgesetzes zu ändern. Wenn das Grundrecht des Eigentums einer politischen Meinungsäußerung geopfert werden soll - wie es im Anhörungsverfahren, wir können uns alle daran erinnern, uns immer wieder deutlich gemacht worden isst -, dann können wir allerdings dazu nicht mehr ja sagen.
Wo kommen wir denn hin, so ist man versucht zu fragen, wenn Steine und Molotow-Cocktails gegen Personen und gegen das Eigentum anderer eingesetzt werden, um das Bewußtsein der Bürger auf Unzulänglichkeiten hinzulenken. Ich glaube, das ist gerade das verfehlteste Mittel, eine Bewußtseinsbildung des Bürgers herbeizuführen, eines Bürgers, der gerade gegen diese Art der Bewußtseinsbildung seine berechtigten Vorbehalte in jedem Falle geltend macht.
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Meine Damen und Herren, wenn wir von mehr Demokratie und auch von mehr Menschlichkeit sprechen, dann geht das nicht nur d-en demonstrierenden jungen Menschen an, sondern auch jenen andersdenkenden und in gleicher Weise schutzwürdigen Bürger, und zwar nicht nur in bezug auf seine körperliche Unversehrtheit, sondern auch hinsichtlich seines Eigentums.
Ein Weiteres! Wir sollen hier nach dem Willen aller Parteien ein Gesetz verabschieden, das nicht an dem gemessen wird, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, sondern daran, was auf uns in ,den nächsten Jahren zukommen wird. Niemand hat das im Anhörungsverfahren deutlicher zum Ausdruck gebracht als Professor Bockelmann. Ich habe oftmals ,den Eindruck gewonnen, daß zu sehr im Hinblick auf das, was uns in der Vergangenheit an Erscheinungsformen bekanntgeworden ist, argumentiert wurde. Es ist wirklich müßig, darüber zu rechten, ob wir am Ende oder am Beginn einer Entwicklung stehen. Das wird im Zusammenhang mit .dem Straffreiheitsgesetz, das wir nachher in zweiter und dritter Lesung zu beraten haben,- deutlich werden.
Meine Damen und Herren, eines aber kann und muß auch festgestellt werden. Sprengstoffanschläge auf Richter und Staatsanwälte, Drohungen gegenüber deren Angehörigen sind Bestandteil des Kampfes einer wenn auch nicht sehr großen, so doch wirksamen Minderheit geworden. Ich glaube, gerade darauf muß man eingehen, wenn man ein Gesetz schaffen will, das solche Dinge in Zukunft unmöglich machen soll. Auch diese Dinge kennzeichnen doch die Situation, in der wir heute stehen.
Ob es manche nun gerne hören oder nicht, es ist auch sicher, daß die Aufforderung zu einer friedlichen Demonstration nicht sehr viel häufiger als etwa die Aufforderung zu einer von Anfang an auf Gewalt ausgerichteten Kundgebung ist. Das haben wir in dem Anhörungsverfahren von den verschiedenen Polizeipräsidenten immer wieder eindringlich vor Augen geführt bekommen. Es wäre tatsächlich ein sträflicher Leichtsinn, das ganze hier zu erörternde Problem allein unter dem Blickwinkel der friedlichen Demonstration sehen zu wollen. Gewiß wird manche Demonstration unter dem Eindruck der plötzlichen Konfrontation von ihrer friedlichen Zielsetzung in Gewalttätigkeiten umschlagen, aber ebenso sicher ist, daß eine ganze Menge Demonstrationen schon mit der Aufforderung zu gewaltsamen AusDr. Eyrich
einandersetzungen begonnen wurden. Wir haben doch in dem Anhörungsverfahren, insbesondere von den Polizeipräsidenten von München, Berlin und Frankfurt, immer wieder hören können, daß bereits zu Beginn bei den Sit-ins und Teach-ins ,die Parole ausgegeben worden ist, daß man auch die gewaltsame Auseinandersetzung nicht zu scheuen, sondern zum Teil sogar noch zu suchen habe. Die Polizeipräsidenten haben uns in diesem Anhörungsverfahren auch Material vorgelegt, und wir mußten feststellen, daß vielfach von Anfang an nicht an eine friedliche Demonstration gedacht worden ist, sondern daran, mit Gewalt gegen die Öffentlichkeit und auch gegen Polizeibeamte vorzugehen. Meine Damen und Herren, auch das müssen wir bei einer Reform des Demonstrationsrechtes in Betracht ziehen.
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Vor diesem Hintergrund sind auch die Bemühungen der CDU/CSU um eine klare Gesetzesformulierung zu sehen. Wir waren und sind noch bemüht, den bekannten und denkbaren Erscheinungsformen im Zusammenhang mit den Demonstrationen gerecht zu werden, und zwar in dem Bewußtsein, die Rechte aller schützen zu müssen.
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Nach unserer Meinung ist es Aufgabe des Gesetzgebers, erstens zu verhindern, das straflos zum Ungehorsam gegen Rechtsvorschriften und Verfügungen aufgefordert werden kann,
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zweitens dafür zu sorgen, daß derjenige, der zu einer Übertretung oder zu einer Ordnungswidrigkeit auffordert, strafrechtlich verfolgt werden kann und daß schließlich auch jener bestraft werden kann, der sich, obwohl er dazu aufgefordert worden ist, nicht aus einer Menschenmenge entfernt, die die öffentliche Sicherheit bedroht. Die CDU/CSU ist im Gegensatz zu den anderen Fraktionen der Meinung, daß sich auch jener strafbar macht, der sich aus einer Menschenmenge nicht entfernt, obwohl er erkennt oder erkennen kann, daß in dieser Menschenmenge Gewalttätigkeiten verübt werden.
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Zu diesen Vorschriften wird die CDU/CSU-Fraktion nachher noch Anträge einbringen und diese begründen. Ich will deswegen jetzt nicht näher darauf eingehen.
Lassen Sie mich aber zu den §§ 110 und 112 unseres Entwurfes noch ganz kurz etwas sagen. Es ist schon in der ersten Lesung immer wieder zum Ausdruck gebracht worden und auch in den Beratungen im Sonderausschuß immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die Vorschrift des § 110, wonach die Aufforderung zum Ungehorsam gegen Rechtsvorschriften bestraft werde, obrigkeitsstaatliche Züge trage. Meine Damen und Herren, man ist versucht, zu fragen, ob es tatsächlich obrigkeitsstaatliches Denken sei, wenn ein Staat von seinen Bürgern Loyalität gegenüber Vorschriften verlangt, die auf Grund von Gesetzen erlassen werden, die das frei gewählte Parlament beschlossen hat.
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Kann man von einem Bürger denn nicht verlangen, daß er auf eine andere Weise gegen Vorschriften angeht, von denen er glaubt, daß sie nicht Rechtens seien? Um nochmals auf das vorhin erwähnte Beispiel zurückzukommen: sollte es denn wirklich so sein, daß jemand straflos zum Ungehorsam gegen Vorschriften aufrufen kann, die dem Schutz des Eigentums dienen, nur deshalb, weil er selber ein Eigentum nicht anerkennt? Wenn wir dies bis zur letzten Konsequenz durchdenken, wäre das' letztlich möglich, wenn wir den § 110 aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen.
In einer Situation, wie wir sie heute haben - ich habe sie vorhin zu schildern versucht -, ist es rechtspolitisch nicht nur fragwürdig, sondern psychologisch geradezu falsch, wollte man diese Vorschrift ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch herausnehmen.
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Nicht ein einziger Praktiker hat der Streichung ohne eine entsprechende Ersatzvorschrift zugestimmt und zustimmen können.
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Von den Praktikern, die in vorderster Reihe mit den Demonstranten konfrontiert sind, haben wir immer wieder gehört, daß der § 110 genau die Vorschrift sei, die man benötige, um im Vorfeld der Demonstration zu verhindern, daß es zu weiteren Auswirkungen und Ausdehnungen komme.
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Nun verweisen die Koalitionsfraktionen darauf, daß die Polizeigesetze ausreichten, solche im Begriff befindlichen Demonstrationen und solche Aufforderungen zu unterbinden. Ich meine, das reicht nicht aus. Das haben uns alle gesagt, auch jene, die wir im Anhörungsverfahren zu diesen Punkten gehört haben. Das gilt gerade dort, wo gewaltsame Demonstrationen vorbereitet werden sollen.
Auch durch die Einordnung dieser Vorschrift ins Strafgesetzbuch sollte man den Willen nachhaltig bekunden, dem Schutz des Bürgers den nötigen Nachdruck zu verleihen und dem Polizeibeamten eine wirksame Handhabe zu geben. Auch hier gilt, was schon vorhin gesagt worden ist: wir können nicht allein davon ausgehen, daß es sich immer um die Aufforderung zu einer friedlichen Demonstration handelt. Dieser Fehler wird immer wieder gemacht, wenn wir an diese Vorschriften herangehen. Der vorliegende Gesetzentwurf, den der Sonderausschuß mit Mehrheit beschlossen hat, trägt dem nicht genügend Rechnung.
Die Koalitionsparteien waren nicht bereit, die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer Übertretung oder einer Ordnungswidrigkeit unter Strafe zu stellen. Der Hinweis der Koalitionsparteien, daß es nicht angehe, die Handlung desjenigen, der - so hat man gesagt - „lediglich" zur Begehung einer Ordnungswirdigkeit auffordere, als kriminelles Unrecht zu bewerten, kann nicht befriedigen. Auch hier
ist die grundsätzliche Frage zu beantworten, welche Bedeutung man dem Bedürfnis nach Rechtsfrieden zuerkennt und wie man dieses Bedürfnis schützen will. Alle diese Ordnungswidrigkeitsbestimmungen dienen letztlich dem friedlichen Zusammenleben, von dem wir glauben, daß es bedeutsam genug ist, auch strafrechtlich geschützt zu werden.
In der ersten Lesung und auch in den Beratungen im Sonderausschuß haben wir lange darüber gesprochen, ob es denn so schlimm sei, wenn jemand etwa dazu auffordere, bei Rot über die Straße zu gehen oder sich mit Autos nicht mit 60, sondern mit 80 oder 90 Stundenkilometern im Straßenverkehr zu bewegen. Meine Damen und Herren, das ist nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist, daß es eine Unzahl von Ordnungswidrigkeiten gibt, zum Teil auch im Waffengesetz und in anderen Gesetzen, bei denen mehr auf dem Spiel steht, als ob man bei Rot über die Straße geht oder als ob man statt mit 50 mit 60 oder 70 Stundenkilometern am Straßenverkehr teilnimmt. Und wenn eine Forderung nach Klarheit besteht, dann auch das Bekenntnis zu dieser Klarheit: Eine Rechtsordnung kann nur dann bestehen, wenn sie die Befolgung ihrer eigenen Gesetze im Interesse der Gemeinschaft wirksam garantiert.
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Ein Wort noch zu den von uns vorgeschlagenen und im Ausschuß abgelehnten §§ 119 und 125 StGB. Wir gehen davon aus, daß im Anschluß an eine unerlaubte Ansammlung, die übereinstimmend als eine Ordnungswidrigkeit angesehen wird, auch, und zwar gleichsam als ein Übergang zum Landfriedensbruch, einweiterer Tatbestand geschaffen werden muß, der jene Fälle erfaßt, in denen sich jemand aus einer Ansammlung, die die öffentliche Sicherheit bedroht, nicht entfernt, obwohl er dazu aufgefordert wird.
Auch hierfür, meinen wir, besteht ein Bedürfnis. Wir haben oft genug erlebt, daß, ohne daß Gewalt angewandt worden wäre, durch Ansammlungen, die die öffentliche Sicherheit bedrohen, der Freiheitsraum anderer Bürger so stark eingeschränkt wird, daß man nicht mehr nur von Unannehmlichkeiten sprechen kann, sondern von einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit reden muß. Sollte es keine wirksame Möglichkeit geben, solche Ansammlungen mit dem Hinweis auf strafrechtliche Folgen im Falle des Zuwiderhandelns aufzulösen?
Es hört sich sicher für viele sehr gut an, wenn argumentiert wird, daß man nicht gleich mit dem Staatsanwalt kommen müsse und daß man nicht gleich mit dem Knüppel des Strafgesetzbuches drohen sollte. Dem muß aber doch entgegengehalten werden, daß man ja nicht gleich mit dem Staatsanwalt und dem strafrechtlichen Knüppel drohen will, sondern erst dann, wenn eine Situation entstanden ist, die mit anderen Mitteln nicht mehr genügend gut beseitigt werden kann. Dieser Strafdrohung des Strafgesetzbuches gehen ja in jedem Falle der Hinweis auf eine eingetretene Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und auch die Aufforderung, sich deswegen vom Orte zu entfernen, voraus.
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Der Hauptpunkt unserer Beratungen und Auseinandersetzungen war die Vorschrift des Landfriedensbruches, jener Teil des Entwurfes, der garantieren soll, daß jede Art von Gewalttätigkeit und jede Ermöglichung einer solchen ausgeschlossen wird. Gerade hier, meine Damen und Herren, ist immer wieder versucht worden, eine Formel zu finden, die allen Anliegen gerecht wird. Auch ein letztes Kompromißangebot seitens der CDU/CSU hat keine Zustimmung bei den Koalitionsparteien gefunden, und wir bedauern, daß eine solche Kompromißbereitschaft nicht vorhanden ist. Gerade hier, wo wir uns doch einig darüber sein sollten, daß wir unter allen Umständen die Gewalt bei der politischen Auseinandersetzung verhindern und die Anwendung von Gewalt wirksam unter Strafe stellen sollten, konnten wir uns leider nicht einigen.
Der jetzt mit Mehrheit im Ausschuß beschlossene § 125 gewährt unserer Ansicht nach nicht genügend Schutz.
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Es sind nur Täter, Teilnehmer und solche erfaßt, die auf die schon Gewalt ausübende Menschenmenge einwirken, um deren Bereitschaft zu weiteren Gewalttätigkeiten zu fördern. Das wird doch den Anforderungen nicht 'gerecht, die wir an eine solche Vorschrift zu stellen haben, meine Damen und Herren. Wer will denn feststellen, ob jemand die Absicht hat, auf die Menge einzuwirken, damit weiter Gewalt verübt werden soll?
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Eine solche Absicht wird doch nur in den allerwenigsten Fällen nachgewiesen werden können!
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Ganz gewiß sollte man eine Vorschrift nicht allein daran messen, ob sie praktikabel ist, ob sie Beweisschwierigkeiten hervorruft oder nicht. Wir haben Beweisschwierigkeiten auf weiten Feldern unseres Strafrechtes. Aber man sollte eben, wenn man ein Gesetz macht, auch daran denken, daß dem Richter nachher eine Pflicht aufgebürdet wird, die er, wenn man die Erscheinungen des Landfriedensbruchs in unserem Lande sieht, praktisch nicht wird bewältigen können.
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Wir müssen hier noch einmal 'betonen, daß es nicht darum geht, etwa sogenannte Neugierige zu bestrafen, sondern darum, jene unter Strafe zu stellen, die am Ort verbleiben, obwohl sie sehen, daß Gewalt verübt wird, oder es doch sehen können und sich dann nicht entfernen. Jeder weiß, daß die Gewalttätigkeiten gerade in der Masse anonym vor sich gehen können. Nicht ganz zu Unrecht hat man bei der Anhörung immer wieder darauf hingewiesen, daß die Schutzfunktion der Masse die Gefährlichkeit entscheidend erhöht.
Was soll es denn eigenntlich, so muß man fragen, wenn davon gesprochen wird, man könne nicht verlangen, daß sich der Demonstrant entfernt, wenn er sieht, daß Gewalttätigkeiten verübt werden, er aber seine friedliche Demonstration fortsetzen wolle.
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Meine Damen und Herren, ich komme da - das muß ich offen sagen - nicht so recht mit.
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Es geht doch um nicht mehr und um nicht weniger als darum, daß der friedliche Demonstrant dadurch, daß er sich entfernt, bekanntgeben und klarmachen kann, ,daß er weiterhin friedlich demonstrieren will. Wenn er dort bleibt, wo Gewalt verübt wird, wird ihm kein Mensch mehr abnehmen - und zwar mit Recht nicht -, daß er mit friedlichen Mitteln demonstrieren will, vielmehr wird jeder sagen: Dieser Mann identifiziert sich mit dem, was 'dort geschieht, auch mit den Gewalttätigkeiten.
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Das hat nichts mit einer friedlichen Fortsetzung der Demonstration zu tun, sondern durch das Dabeibleiben in einer solchen Situation werden die Gewalttätigkeiten mit gefördert und mit verstärkt. Ich meine auch, jener, .der dort noch .stehenbleibt und sich dadurch mit dieser Gewalt identifiziert, tut nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch seinem Anliegen einen außerordentlich schlechten Dienst. Je mehr er deutlich macht, so meine ich, daß er Gewalt nicht will, desto eher wird er mit seinen Argumenten auch von den anderen Bürgern gehört.
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Ein kurzes Wort noch zur Frage 'des Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Wir haben bereits in 'der ersten Lesung. 'angedeutet, daß hier durchaus eine Einigung zu erzielen sei. Ich kann sagen, daß wir diese Einigung im Sonderausschuß erzielt haben, und zwar in Anlehnung an die Rechtsprechung, wie wir sie in der ersten Lesung 'bereits vorgetragen haben. Eines allerdings muß man sagen, weil durch Presseverlautbarungen in der Öffentlichkeit der falsche Eindruck 'entstanden ist, als .ob hier nun 'die Möglichkeit eröffnet werde, sich unter Berufung auf irgendwelchen Irrtum gegen die Amtsausübung von Polizeibeamten wehren zu können. Wir müssen feststellenn, daß wir hier nicht eine Vorschrift gefunden haben, die dem Irrenden Tür und Tor öffnet, sondern eine Vorschrift, die die Einschränkung enthält, daß jeder sein Gewissen anzustrengen habe, ob er in diesem Fall nicht mit anderen Mitteln den Zustand verhindern könne, den er verhindert haben möchte, und daß er nicht gleich Gewalt anwenden dürfe.
Die Polizeibeamten haben befürchtet, daß sich nun jeder auf Irrtum berufen könne und daß dadurch die Amtsausübung erheblich eingeschränkt werden könne. Ich glaube, wir sollten sagen, daß diese Bedenken nicht zu Recht bestehen und daß die Amtshandlung eines Polizeibeamten auch dann gerechtfertigt bleibt, wenn jener, der Widerstand gegen ihn leistet, sich irren sollte. Diese Regelung entspricht dem in der Rechtsprechung entwickelten Schuldprinzip, und sie ist meines Erachtens gerechtfertigt.
Wir hätten - das sei zum Schluß gesagt, meine Damen und Herren - gewünscht, daß auch auf dem
Gebiete des Landfriedensbruchs eine solche Einigung zustande gekommen wäre. Sie wäre im Interesse der Rechtssicherheit, so meinen wir, dringend erforderlich. Sie wäre insbesondere deshalb erforderlich, weil wir unserer Bevölkerung klarmachen sollten, daß wir hier nicht auf Grund von Mehrheiten Gesetze beschließen, sondern auf Grund einer Übereinstimmung in dem Wollen, Klarheit, aber auch Sicherheit für den Bürger herbeizuführen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Schluß der Beratungen über das Demonstrationsstrafrecht sollte meines Erachtens zunächst einmal darauf hingewiesen werden, daß Anfang dieses Jahres über die mit der Reform dieses Teils des Strafrechts zusammenhängenden Fragen eine große öffentliche Anhörung stattgefunden hat, bei der 33 Sachverständige und Auskunftspersonen zu Wort gekommen sind. Ich stelle dies deshalb fest, weil nach meiner Überzeugung niemand, kein Angehöriger irgendeiner Gruppe unseres Volkes sagen kann, daß er bei den Vorbereitungen zu diesem Gesetzentwurf nicht angehört worden sei.
Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß sich der Strafrechtsausschuß eine ganz besondere Mühe insoweit gemacht hat, als er die Sachverständigen und Auskunftspersonen sehr sorgfältig ausgewählt hat. Es kamen Psychologen zu Wort, die uns über die massenpsychologischen Aspekte Vortrag hielten. Es kamen Polizeibeamte jeder Charge zu Wort, vom Polizeihauptwachtmeister bis zum Polizeipräsidenten, die uns ihre Erfahrungen diesseits der Barrikaden vortrugen. Es kam auch die junge Generation zu Wort, die von ihren Erfahrungen jenseits der Barrikaden sprach. Schließlich haben wir fachmännischen Rat durch Professoren der Strafrechtswissenschaft erhalten, genauso aber auch durch Praktiker, die als Rechtsanwälte, als Verteidiger, als Richter oder als Staatsanwälte Erfahrungen im Bereich des Demonstrationsstrafrechts gesammelt haben.
Ich darf feststellen, daß die diskussionsmäßige Konfrontation zwischen Vertretern der jungen Generation und Parlamentariern sehr fruchtbar war, daß sicher beide Seiten voneinander gelernt haben. Warum soll man in unserer heutigen modernen Zeit nicht eine solche Feststellung treffen, wenn sie zudem noch den Vorzug hat, wahr zu sein?
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Der Strafrechtsausschuß war nach der Anhörung dieser 33 Sachverständigen und Auskunftspersonen über das Demonstrationsgeschehen in den letzten Jahren in der Bundesrepublik voll im Bild. Er konnte also nach diesen Anhörungen im Laufe der Beratungen durchaus sein Urteil fällen.
Auf der Grundlage dieser Ausführung darf ich sagen, daß die Juristen der sozialdemokratischen
Bundestagsfraktion gestern abend in einer gewissen begreiflichen Unruhe deshalb waren, weil sie abwarteten, was das Ergebnis der letzten Beratungen der CDU-Juristen in diesem Bereich wohl sein werde. Es ist guter Brauch in diesem Hause, daß man bei großen Gesetzesvorhaben rechtzeitig untereinander die Änderungsanträge austauscht, damit die Fraktionen ins Bild gesetzt sind und ihre Vorbereitungen treffen können.
Als wir dann verhältnismäßig spät von den Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion die Änderungsanträge erhielten, waren wir - ich möchte es sehr offen und deutlich sagen - einigermaßen erstaunt und überrascht. Wir waren erstaunt und überrascht deshalb, weil es die CDU/CSU-Fraktion offenbar nicht über sich gebracht hatte, aus ,all dem, was vorher in der öffentlichen Diskussion angesprochen worden war, aus all dem, was Gegenstand der öffentlichen Anhörung war, aus ,all dem, was in den Beratungen des Strafrechtsausschusses vorgetragen wurde, die Konsequenzen zu ziehen und moderne, fortschrittliche Vorschläge auf den Tisch des Hauses zu legen. Denn diese Änderungsanträge - wir werden im nachhinein noch zu_ einzelnen Fragen sprechen müssen - sind letztlich nur das, was bisher schon von seiten ,der CDU/CSU-Fraktion allseits bekannt war, ohne daß in irgendeiner Weise eine entscheidende neue Konzeption wenigstens zwischen den Zeilen zu erkennen gewesen wäre.
Insoweit ist es am Platze, darauf zu verweisen, daß .der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Jürgen Echternach, in Heft 2 aus dem Jahre 1970 der Zeitschrift „Die Entscheidung" folgendes gesagt hat:
Als erstes Beispiel möchte ich den Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Reform der sogenannten Demonstrationsdelikte nennen. Dieser Entwurf verdient den Titel „Reform" eigentlich nur in dem Sinne, daß etwas verändert, keineswegs aber verbessert wird, im Gegenteil, es sollen einige der fast 100 Jahre .alten Strafbestimmungen aus dem kaiserlichen Obrigkeitsstaat weiter verschärft werden.
Ich glaube, .daß diese Stellungnahme des Bundesvorsitzenden der Jungen Union deutlich darlegt, welche Diskrepanz zwischen den Auffassungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den Vertretern Ihrer eigenen jungen Generation in dieser Frage besteht.
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- Das können Sie an anderer Stelle vortragen, Herr Kollege Vogel. Es ist sicher für Sie politisch sehr peinlich, wenn Sie sich eine solche Feststellung gefallen lassen müssen.
Wenn wir schon beim Zitieren sind, darf ich sagen, daß beispielsweise Herr Kollege Jaeger in der „Quick" vom 4. Februar 1970 wortwörtlich erklärt hat:
Es besteht heute die Gefahr einer unverantwortlichen Demontage des Schutzes des demokratischen Rechtsstaates, idenn nichts anderes bedeutet der Gesetzentwurf der Koalition.
Wenn man diese beiden Erklärungen miteinander in Verbindung setzt, kann man sich über die riesige Bandbreite der politischen Auffassungen in der CDU/CSU-Fraktion nur wundern.
Ich darf im einzelnen, ohne daß ich zu sehr spezielle Fragen behandle, noch auf eines eingehen, was Herr Kollege Eyrich angesprochen hat, indem er erklärt hat, die CDU/CSU-Fraktion sei bis zum Schluß bereit zu Kompromißentscheidungen gewesen. Dies ist - das betone ich ausdrücklich - im Grundsatz richtig, nur ist hierzu ergänzend noch darauf hinzuweisen, daß die erste Möglichkeit, zu einer Einigung zu kommen, leider deshalb scheiterte, weil die Vertreter der CDU/CSU-Fraktion bei dem Gespräch am 21. Januar 1970 - es ist also auch schon rund zwei Monate her - sich nicht bereit erklären konnten, in einigen entscheidenden Punkten auf der Grundlage dessen, was alle Sachverständigen vorgetragen hatten, zu einer Einigung zu kommen, wobei hierzu noch festgestellt werden muß, daß in einigen dieser Punkte hinterher auf einmal doch eine Einigung zustande kam.
Ich darf weiterhin feststellen, daß mein Kollege Martin Hirsch in einem ausführlichen Brief Herrn Kollegen Benda darum gebeten hatte, über einzelne Fragen zu sprechen, und seine Bereitschaft zu Kompromißentscheidungen ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht hat.
Ich darf weiterhin feststellen, daß ich .von meiner Seite aus die Herren Kollegen Schlee und Eyrich mehrfach darum gebeten hatte, daß man sich noch einmal zusammensetzen solle, um auch in den strittigen Punkten zu Lösungen zu kommen. Ich hatte sogar ausdrücklich Termine, nämlich in der Woche ab 23. Februar und auch in der Woche ab 9. März 1970, genannt. Diese Termine wurden leider von seiten der Herren Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in keiner Weise beachtet. Die Beratungen waren dann so weit vorangeschritten, daß zwangsläufig eine Änderung kaum noch möglich war.
Es ist richtig, daß noch gestern nachmittag von seiten der CDU/CSU-Fraktion der Versuch unternommen wurde, ein letztes Gespräch zu erreichen. Sie werden mir aber selbst zugeben, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, daß angesichts der Schwierigkeit dieser Materie gestern nachmittag schwerlich noch eine Einigung hätte erzielt werden können. Denn Sie waren sich alle darüber im klaren, daß der Kompromißvorschlag ,des Herrn Bundesrichters Meyer sicher auch noch eingehend hätte überprüft werden müssen. Dabei ist gerade zu dem letzten, gescheiterten Kompromißversuch von gestern nachmittag zu sagen, daß die Vorlage zu § 125 StGB, wie sie vom Sonderausschuß letztlich beschlossen worden ist, eingehend überprüft worden ist. Sie ist in ihrem materiellen Gehalt ganz sicher nicht nur zumindest ein bißchen präziser als der Vorschlag des Herrn Bundesrichters Meyer, sondern hat darüber hinaus auch noch den Vorzug, daß sie im Grunde den gleichen materiellen Inhalt hat wie der Vorschlag des Herrn
Bundesrichters Meyer. Wir hätten deshalb praktisch nur ,um völlig unnötige Formulierungen gestritten. Wer solche Verhandlungen kennt, weiß, wie lange man dann darüber gestritten hätte, ohne im Grundsatz überhaupt einen Millimeter weiter voranzukommen, abgesehen davon, daß eine materielle Einigung zwischen den Fraktionen zumindest gestern nachmittag letztlich doch vorhanden war.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß meine Fraktion ganz besonders darüber verwundert ist, daß es die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach dem Scheitern der Verhandlungen von gestern nachmittag gleichwohl fertiggebracht hat, uns heute zum Bereich des § 125 mit einem Änderungsantrag zu überraschen, der wieder in die alte Mottenkiste zurückgreift, die wir eigentlich schon längst überwunden zu haben glaubten, während das, was die CDU/CSU-Fraktion gestern als Diskussionsgrundlage angesehen hat, nämlich der Vorschlag des Herrn Bundesrichters' Meyer, heute nicht auf dem Tisch des Hauses liegt.
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- Mir ist jedenfalls bislang ein solcher Antrag nicht bekanntgeworden.
({3})
- Gut, entschuldigen Sie! Sie werden mir gestatten, daß ich insofern eine Berichtigung vornehme. Das ist aber ganz neu, Sie ersehen es auch .aus der Nummer des Umdrucks: Umdruck 20. Das ist uns soeben ganz frisch auf den Tisch des Hauses gelegt worden.
(({4})
Ich bin schließlich kein Prophet und konnte daher nicht wissen, daß Sie trotzdem noch einen sogenannten Alternativantrag einreichen würden.
Meine Damen und Herren, ich darf, ohne im Augenblick zu § 125 im einzelnen Stellung nehmen zu wollen, noch darauf hinweisen, daß es verwunderlich ist, daß die CDU/CSU-Fraktion nunmehr einen Änderungsantrag einbringt, dessen Ziel es ist, einen besonderen Tatbestand der Richternötigung zu schaffen.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abgeordneten Erhard?
Wenn sie mit dieser Materie, mit diesem Punkt etwas zu tun hat, bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Emmert, ist Ihnen gestern nicht der Wortlaut des Vorschlags des Herrn Bundesrichters Meyer bekannt gewesen, und ist Ihnen nicht von seiten der Verhandlungsführer der CDU/CSU-Fraktion mitgeteilt worden, wir seien bereit, uns auf dieser Ebene über einen Kompromiß mit Ihnen zu verständigen?
Sicher ist mir das gesagt worden.
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- Ich glaube, Sie haben nicht richtig zugehört. Was heißt „Aha!"? Hören Sie doch bitte erst einmal zu! Was ich hier feststelle, gilt natürlich insbesondere für diejenigen, Herr Kollege Erhard, die im Ausschuß anwesend sind und darüber detaillierteste Sachkenntnis haben. Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang - in meiner Eigenschaft als Abgeordneter der SPD-Bundestagsfraktion - sagen, daß entscheidende Anträge meist nur von solchen Kollegen Ihrer Fraktion gestellt werden, die nicht Mitglied des Strafrechtsausschusses sind. Das ist etwas, was man vom Stil her beanstanden oder vielleicht auch nicht beanstanden sollte. Jedenfalls ist es dann so, daß damit die Arbeit des Strafrechtsausschusses erheblich erschwert wird, weil nämlich die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in diesem Ausschuß oftmals gar nicht wissen, ob das, was sie hier vortragen, letztlich auch die Billigung derjenigen findet, die gar nicht Mitglied dieses Ausschusses sind. Das bloß am Rande.
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Wenn man - das sage ich immer noch in Beantwortung Ihrer Frage - dies also feststellt, dann muß man sagen, daß rein vom Materiellen her ein Unterschied zwischen dem Formulierungsvorschlag Meyer - wenn ich das so kurz sagen darf - und dem Formulierungsvorschlag des Bundesjustizministeriums, der letztlich die Zustimmung des Ausschusses gefunden hat, nicht besteht. Es geht ausschließlich um Formulierungsfragen, wobei diese Formulierungsfragen, wenn man sich in der Sache doch einig ist, tatsächlich in den Hintergrund gedrängt werden sollten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Frage des Abgeordneten Erhard?
Bin ich -darüber richtig unterrichtet, Herr Kollege Müller-Emmert, daß auch Sie bereit waren, kompromißweise auf diesen Boden zu treten, aber nach einer Kampfabstimmung in der SPD-Fraktion selbst unterlegen sind, und daß erst daraufhin die Gespräche abgebrochen wurden?
Herr Kollege Erhard, Sie sind leider nicht richtig informiert.
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Es ist auch schwer, wenn man sich als Mitglied einer anderen Fraktion erkühnt, wissen zu wollen, was in unserer Fraktion vorgeht.
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- Er hat wohl gefragt, aber die Art seiner Fragestellung ließ erkennen, daß Herr Kollege Erhard meinte, den Finger am richtigen Loch gehabt zu haben. So ist es doch.
Herr Abgeordneter Müller-Emmert gestatten Sie eine Frage ,des Abgeordneten Pinger?
Herr Kollege Müller-Emmert, gestehen sie zu, daß der Vorschlag des Bundesrichters Meyer, der gestern Gegenstand der Diskussion war, auch im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform allgemein als durchaus diskutable Grundlage für eine Fassung der Bestimmung über den Landfriedensbruch angesehen wurde?
Es ist durchaus richtig, daß man darüber geredet hat. Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Dr. Pinger - auch Sie waren bei diesem Gespräch nicht anwesend, das konnte auch schwerlich sein -, daß Ihnen bei dem ersten Vorgespräch am 21. Januar 1970 dieser Vorschlag des Bundesrichters Meyer, wenn damals auch noch in einer etwas anderen Fassung, im Grundsätzlichen aber doch so, wie er heute vorliegt, bekannt war, daß aber damals die Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von diesem Vorschlag noch nichts wissen wollten.
Dazu muß ich aber noch eines sagen, damit Sie die Kompromißbereitschaft der Fraktionen der SPD und der FDP, wenn es um die Sache geht, sehen mögen. Sie vergessen ganz, Herr Kollege Pinger, daß wir uns beispielsweise im Bereich des § 113 StGB voll geeinigt haben. Sie ersehen hieraus doch, daß tatsächlich ein Bemühen von seiten unserer Fraktion vorhanden war - auch von seiten der FDP-Bundestagsfraktion -, zu einer breiten Mehrheit zu kommen. Hier, Herr Kollege Pinger, war Ihre Fraktion offenbar daran interessiert, eine Einigung zu finden. Denn das, was Herr Kollege Erhard in der ersten Lesung zu § 113 gesagt hatte, lag offenbar so neben der Sache, daß Ihre Fraktion dies korrigieren mußte.
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Aber in anderen Fragen waren Sie offenbar nicht dieser Auffassung. Sie haben offensichtlich angenommen, daß bei den Fragen des § 125 ein harter Standpunkt richtig sei, wobei Sie erst ganz zum Schluß, nämlich gestern, zu der Überlegung gekommen sind, so nehme ich an, daß Sie in der Öffentlichkeit einen schweren Stand haben würden, wenn Sie diese ollen Kamellen hier noch verträten.
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Deshalb haben Sie, gerade weil beispielsweise die Junge Union für die Vorschläge des Koalitionsentwurfs war, versucht, nun noch in etwa zu einer Einigung zu kommen.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Pinger?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Emmert, gestehen Sie zu, daß die CDU/CSU-Fraktion nicht erst gestern durch ihre Delegation diesen
Vorschlag zur Dikussion gestellt hat, sondern daß sie das bereits im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, als dort darüber beraten wurde, als eine nicht nur diskutable, sondern durchaus brauchbare Lösung angesehen hat?
Gar keine Frage. Ich muß Ihnen nur ergänzend folgendes sagen. Sie wissen genau, daß bei einer solch wichtigen Gesetzesvorlage ein Schlußbericht des Ausschusses gefertigt werden muß, und zwar rechtzeitig, damit dieser Schlußbericht dem Plenum vorliegt. Das bedeutete, daß das Zeitprogramm, wie wir es uns vorgestellt hatten, eingehalten werden mußte.
Herr Kollege Hirsch - auch das habe ich schon gesagt - hat einen Brief an Herrn Kollegen Benda geschrieben, Herr Kollege Pinger, und darum gebeten - oder zumindest seine Bereitschaft dazu erklärt -, daß man über diese Frage spricht. Ich selbst habe sowohl mit Herrn Kollegen Schlee als auch mit Herrn Kollegen Eyrich gesprochen und gesagt: Auch wenn man jetzt Mehrheitsentscheidungen hat, die die Grundlage des Ausschußberichts sein müssen - weil wir ja nicht noch in den letzten Tagen vor dieser Beratung im Nebel herumstochern können -, so schließt dies nicht aus, daß wir uns nach Fertigung des Berichts noch zusammensetzen und eine Kompromißlösung suchen.
Dies habe ich Ihnen, Herr Kollege Schlee, ausdrücklich gesagt. Dann haben Sie mir erklärt, Herr Kollege Benda vertrete die Auffassung, daß zunächst einmal die Mitglieder des Ausschusses sich einig werden sollten und dann erst der Versuch unternommen werden sollte, auf höherer Ebene zu einem Gespräch miteinander zu kommen. Jedenfalls: die Termine, die dann vorgesehen waren, nämlich die Woche ab 23. 2. und die Woche ab 9. 3., gingen leider ungenutzt ins Land, und es hat sich niemand von Ihrer Seite gemeldet, um über diese Frage noch einmal zu reden.
Erst gestern, also kurz vor Toresschluß, als unser Zeitprogramm in äußerster Gefahr war, sind Sie mit Ihren Vorschlägen gekommen, obwohl - das können Sie nicht bestreiten - dieser Vorschlag des Bundesrichters Meyer schon seit dem 21. 1. 1970, also seit rund zwei Monaten, bekannt ist. Ich behaupte: wenn Sie ernstlich zu einer Einigung hätten kommen wollen, hätten Sie sich genauso verhalten können wie beim Problembereich des § 113 StGB, wo wir zu einer Einigung gekommen sind. Auch hier hätten wir schnell eine Einigung finden können.
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Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert, es haben sich jetzt drei weitere Abgeordnete zu Zwischenfragen gemeldet. Ich erteile das Wort in der Reihenfolge der Meldung, sofern der Redner die Fragen annimmt.
Herr Präsident, ich wollte nur darauf hinweisen, daß ich eigentlich gar nicht so lange reden wollte.
Ihre Redezeit wird natürlich um diese Zeit verlängert; das ist selbstverständlich. - Herr Abgeordneter Dr. de With!
Herr Kollege Müller-Emmert, da es in dem Ihnen wohl noch nicht ganz bekannten jüngsten zweiten Vorschlag der CDU/CSU zu § 125 StGB heißt: „Wer sich einer Menschenmenge ... anschließt oder sich nicht aus ihr entfernt und durch sein Verhalten die Unfriedlichkeit dieser Menge fördert ..." - es fehlt also „über seine bloße Anwesenheit hinaus" -, frage ich Sie: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es sich hier nur um den halben Meyer-Vorschlag und nicht um den ganzen Meyer-Vorschlag handelt und die Oppositionsparteien wieder einmal mindestens im vorletzten Graben liegengeblieben sind?
Ich darf dazu sagen, Herr Kollege de With, daß nach meiner Auffassung das, was Sie hier vorgetragen haben, richtig ist. Denn wenn man den ursprünglichen Vorschlag des Herrn Bundesrichters Meyer mit diesem Vorschlag der CDU/CSU vergleicht, wird man feststellen - das wird Kollege Vogel auch nicht bestreiten -, daß die Worte „über seine bloße Anwesenheit hinaus" gestrichen worden sind.
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- Ich bin gefragt worden und gebe nur Antwort auf die gestellte Frage.
Wenn man von dieser veränderten Vorlage der CDU/CSU-Fraktion, wie sie uns auf Umdruck 20 vorliegt, ausgeht, muß man sagen, daß eigentlich das Wesentliche, das Essentiale des Meyer-Vorschlags, in diesem Antrag nicht mehr enthalten ist.
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Die nächste Zwischenfrage ist von Herrn Abgeordneten Schlee.
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, war es denn nicht so - wie ich es in der Erinnerung habe -, daß im Ausschuß über den Vorschlag von Herrn Dr. Meyer nicht nur diskutiert, sondern auch abgestimmt wurde und daß Sie diesen Vorschlag zunächst begrüßt, dann aber dagegen gestimmt haben und daß der Vertreter Ihrer Fraktion im Ausschuß erklärt hat, eine weitergehende Regelung, als sie von Ihrer Fraktion vorgeschlagen wurde - unter Ergänzung durch das Ministerium -, komme nicht in Betracht?
Es wird von meiner Seite aus nicht bestritten, daß ich zunächst einmal für den Vorschlag des Bundesrichters Dr. Meyer war, an dem ich im übrigen selbst etwas mitgearbeitet habe. Dann hat sich das Ministerium mit dieser Frage beschäftigt. Die Fachleute des Ministeriums halben ihrerseits eine neue Formulierung gefunden. Sie wissen, worauf es dabei ankommt, Herr Kollege Schlee, nämlich auf die Formulierung „wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern". Sie werden mir zugeben müssen, Herr Kollege Schlee, daß diese von unabhängigen Fachleuten des Ministeriums gefundene Formulierung, die auch eingehend überprüft worden ist, hieb- und stichfest ist. Sie ist - das gebe ich unumwunden zu - nach meiner Überzeugung besser als der vorhergehende Formulierungsvorschlag des Herrn Bundesrichters Dr. Meyer, so daß ich ohne weiteres und ohne irgendeinen Vorbehalt zu dieser neuen Formulierung ja sagen konnte. Was besser ist, muß man eben akzeptieren.
Meine Damen und Herren, ich darf, nachdem viele Zwischenfragen gestellt worden sind, zum Schluß kommen. Zu den einzelnen Änderungsanträgen, die die CDU/CSU-Fraktion vorgelegt hat, ist im Detail noch vieles zu sagen. Der Gesamteindruck ist fraglos der, daß die CDU/CSU-Fraktion aus all den Diskussionen in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren und Wochen, aus der öffentlichen Anhörung der Sachverständigen durch den AusschUß und aus den Beratungen des Strafrechtsausschusses nach unserer Überzeugung nicht die Konsequenzen gezogen hat, die dafür Sorge tragen, daß das Spannungsverhältnis zwischen der Staatsgewalt auf der einen Seite und dem freiheitlich eingestellten Bürger auf der anderen Seite eine Lösung findet, mit der sowohl den Belangen der Staatsgewalt als auch den Belangen des einzelnen freiheitlich. denkenden Bürgers Rechnung getragen wird.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allgemeinen Erörterungen, wie sie vor dieser zweiten Lesung geführt werden sollen, als Dritte zu sprechen, ist nicht leicht, weil schon vieles vorweggenommen worden ist. Ich möchte nicht dem Kollegen Eyrich darin folgen, jetzt schon über die einzelnen Änderungsanträge zu debattieren, die seitens der Opposition gestellt sind. Wenn man vor der zweiten Lesung spricht, dann sollte man sich wohl darauf beschränken, noch einmal die Grundsätze darzulegen, nach denen man bei den Beratungen im Ausschuß an die Reform herangegangen ist.
Dazu muß ich allerdings noch ein Wort sagen, Herr Kollege Eyrich. Ich war auf das äußerste überrascht, als Sie am Anfang Ihrer Ausführungen davon sprachen, daß die CDU so kompromißbereit gewesen sei und daß eine breite Basis für einen Kompromiß vorhanden gewesen wäre. Ich hatte eigentlich nicht den Eindruck. Ich war angenehm überrascht, daß sich bei dem schwierigen § 113, bei dem Widerstand gegen die Staatsgewalt, eine Einigung gezeigt hat. Das war aber auch das einzige. Sonst habe ich immer wieder den Eindruck gehabt, die CDU ist nicht bereit, von ihren sehr konservativen Vorstellungen in ihrem eigenen Entwurf abzugehen. Das ist ja jetzt in dem, was Sie uns an Änderungsvorschlägen
vorgelegt haben, hundertprozentig bestätigt worden.
({0})
- Freuen wir uns, daß wenigstens in dieser Hinsicht bei § 113 ein Kompromiß möglich war.
Was steht denn hinter dieser Reform? Es steht hinter dieser Reform, daß eine Liberalisierung dieser sehr alten Bestimmungen aus dem Jahre 1871 notwendig ist. Es steht hinter der Reform, daß wir nicht mehr den Obrigkeitsstaat aus dem Jahre 1871 haben mit dem Untertan, dem nicht das Recht zugestanden wurde, auch nur gegen irgendeine Verordnung vorzugehen und sie als nicht Rechtens gegebenenfalls anzugreifen. Wir haben heute die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sich ja mit der Überprüfung von Verordnungen und Verfügungen befaßt, und dem Bürger steht es heute durchaus zu, gegen Verwaltungsvorschriften geltendzumachen, daß sie nicht Rechtens seien; etwas, was allerdings von Ihnen, Herr Kollege Eyrich, wieder bestritten worden ist. Es steht hinter der Reform, daß wir heute eine freiheitliche parlamentarische Demokratie haben, daß wir heute den verantwortlichen Staatsbürger haben, daß wir wünschen, einen Staatsbürger zu haben, der nicht nur sich alle vier Jahre zur Wahlurne begibt und seinen Stimmzettel abgibt, sondern sich mitverantwortlich für die Politik fühlt, auch wenn er nicht in einem Parlament sitzt, und gegebenenfalls seine Verantwortlichkeit in entsprechender Form auch zeigt. - Herr Kollege Eyrich?
Eine Zwischenfrage, Abgeordneter Dr. Eyrich.
Frau Kollegin, sind nicht auch Sie der Auffassung, daß Sie selber mit Ihrem Hinweis auf die Verwaltungsgerichte bestätigt haben, daß bei uns durchaus die Möglichkeit besteht, im Rechtswege gegen Rechtsvorschriften vorzugehen, so daß die Anwendung von Gewalt nicht gerechtfertigt ist?
({0})
Selbstverständlich, Herr Kollege Eyrich. Aber es ging doch um Ihre Ausführungen zur Aufforderung zum Ungehorsam. Da haben Sie unterstellt: „Wie darf ein Bürger zunächst einmal anzweifeln, daß Gesetze und Verordnungen richtig sind und sich dagegen wehren?" - Aber auf die Einzelheiten werden wir nachher noch zu sprechen kommen.
Ich möchte zum Grundsätzlichen folgendes sagen. Für mich ging es bei dieser Reform in der Einzelberatung um 'das, was das Bundesverfassungsgericht schon darüber gesagt hat, wie Grundrechte auszulegen sind und wie gegebenenfalls die Abwägung der einzelnen Grundrechte gegeneinander zu erfolgen hat. Ich möchte statt meiner eigenen Worte ein ausgezeichnetes Gutachten zitieren, das uns schon in der letzten Legislaturperiode vorgelegt wurde, das Gutachten vom Kriminalwissenschaftlichen Institut ,der Universität Köln, dessen Direktor Professor Dr. Klug ist. Er hat aber das Gutachten nicht verfaßt; es ist verfaßt von Rechtsanwalt Dr. Kalsbach; das möchte ich hier gleich besonders betonen. Die Ausführungen grundsätzlicher Art, die da gemacht worden sind, zeigen - darf ich das einmal vorwegnehmen -, daß die Darstellung, die bei Ihnen, Herr Kollege Eyrich, durchklang, wir von den Regierungsparteien, die nicht Ihren konservativen Vorstellungen folgen, nähmen den Bürger nicht genügend in Schutz und unterstützten damit gegebenenfalls auch Gewalttätigkeiten und seien damit einverstanden,
({0}) nicht zutrifft.
Rechtsanwalt Dr. Kalsbach führt aus: Der Unterschied unseres demokratischen Staates gegenüber dem Weimarer Staat liege darin, daß der Weimarer Staat wertneutral gewesen sei, daß aber das Grundgesetz aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit nicht wertneutral sei, sondern daß es sich bekenne zu seinen Grundrechten, daß es sich auch bekenne zu einer dynamischen Demokratie und daß es deshalb nur die Demonstrationen schütze - und das ist ganz wesentlich -, die auf dem Boden dieses Grundgesetzes stehen.
Ich glaube, insofern sind wir uns alle einig. Ich möchte das vollkommen klar herausstellen.
Dr. Kalsbach fährt fort:
Auf 'das Demonstrationsrecht können sich nur diejenigen berufen, deren Zielsetzungen den Rahmen der verfassungsmäßigen Grundordnung von vornherein nicht überschreiten, denen es nicht um Revolution, sondern nur um Reformen im Rahmen dieser Grundordnung geht.
Nur insoweit besteht auch ein grundgesetzlicher Schutz, so daß also diejenigen, die unser parlamentarisch-demokratisches System durch ein Räte-System abgelöst haben wollen, bei ihren Demonstrationen nicht d'en Schutz 'des Grundgesetzes genießen.
Ich möchte weiter darauf hinweisen, daß hinsichtlich der heutigen Grenzlinie zwischen dem, was durch Art. 5 und Art. 8 geschützt wird - Demonstrationsrecht, Versammlungsrecht, Meinungsfreiheit -, und dem, was kriminell strafbar sein muß, das Bundesverfassungsgericht in einer anderen Entscheidung grundsätzliche Ausführungen gemacht hat, und zwar zu der Frage, wieweit gegebenenfalls Grundrechte durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden können. Das spielt hier im Zusammenhang mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit - der Demonstrationsfreiheit - des Art. 8 eine besondere Rolle. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die „gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz jedoch nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft 'des Grundrechte durch die allgemeinen Gesetze", hier also insbesondere der §§ 110 ff. StGB, aufzufassen. Das Bundesverfassunggericht fährt fort - und das ist jetzt das Entscheidende -:
„Es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach 'dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechtes im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen. In keinem Fall darf durch die Einschränkung der Wesensgehalt des Grundrechts angetastet werden."
Wenn ich nun diese grundsätzlichen Ausführungen bei meinen einzelnen Entscheidungen zugrunde lege, meine Damen und Herren von der Opposition, dann kann ich nicht den Vorschriften zustimmen, die Sie nach wie vor als wünschenswert erachten.
({1})
Daran ist einfach die Zeit vorbeigegangen. So geht es nun einmal nicht. Sondern wir müssen doch unserem heutigen Staat, unserem heutigen, auch politisch bewußten Bürger Rechnung tragen. Wir können deshalb nicht, wie Sie es mit Ihrem Vorschlag zu § 125 wollen, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch für solche, die sich an keinen Gewalttätigkeiten beteiligen, die keine Anheizer sind, in dem Umfang einschränken, wie das nach Ihrem Vorschlag der Fall sein soll.
Zum Abschluß meiner kurzen Ausführungen möchte ich für uns Freie Demokraten ganz klar herausstellen: wir schützen das Demonstrationsrecht, wir schützen 'die Meinungsfreiheit, wir schützen die Versammlungsfreiheit. Diese Rechte haben aber ihre eindeutigen Grenzen da, wo diese Freiheit ausschlägt in Verletzungen, in Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen. Es kann niemals eine Rechtfertigung sein, gegebenenfalls das Rechtsgut des Art. 14, das Grundrecht des Eigentums, im Zusammenhang mit Demonstrationen bei anderen zu beeinträchtigen. Da hat das Demonstrationsrecht seine Grenzen. Wenn wir diese Grenzen eindeutig gesetzt haben, dann können wir verlangen, daß sie beachtet werden.
Ich hoffe, daß diese beiden Gesetze -das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz zusammen mit einer großzügigen Amnestie, die wir uns als eine starke Demokratie leisten können - wesentlich dazu beitragen, zu einer Befriedung in unserem sozialen Zusammenleben auch hinsichtlich der Demonstrationen und zu einer Befriedung hinsichtlich der gerichtlichen 'Verfahren zu kommen. Aber wenn nachher trotzdem gegen diese Gesetze verstoßen wird, wenn es trotzdem wiederum zu Gewalttätigkeiten kommt, dann muß natürlich mit diesen Mitteln des Gesetzes entsprechend 'durchgegriffen werden.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um nur einige wenige Sätze zu den Ausführungen des Kollegen Müller-Emmert zu sagen. Herr Kollege Müller-Emmert hat sich in einer relativ breiten Darstellung mit dem Thema 'beschäftigt, ob die CDU/ CSU-Fraktion sich in den Ausschußberatungen und in der Entwicklung 'dessen, was nebenherlief, kompromißbereit verhalten hat oder nicht. Herr Kollege Müller-Emmert, ich bin nicht in der Lage, mit Ihnen jetzt die Daten auszutauschen, weil ich im Gegensatz zu Ihnen keine Notizen darüber bei mir habe. Ich kann also jetzt nicht im einzelnen durchdiskutieren, ob ,es so war, wie Sie es dargestellt haben, oder nicht. Abers elbst wenn ich die Notizen hier hätte, würde ich es nicht tun, denn ich halte das - 'ich habe mich vor allem gemeldet, um das zu sagen, Herr Kollege Müller-Emmert - nicht für relevant für unsere heutigen Diskussionen.
Alle, die eine gewisse Zeit hier im Parlament sind und an Ausschußberatungen teilgenommen haben, wissen, 'daß es neben den Ausschußverhandlungen - das beklage ich nicht, sondern das halte ich für richtig - natürlich immer eine Fülle von inoffiziellen Gesprächen, von Kontakten, manchmal auch von feierlichen offiziellen Kontakten zwischen den Fraktionen, zwischen einzelnen Kollegen gibt. Es wäre sehr schade, wenn es diese Kontakte nicht gäbe, aber ich finde, je weniger man darüber redet, auch was die Daten angeht, desto besser ist es, wobei ich nicht sagen will, daß es sich hier etwa um irgendeine Geheimwissenschaft handelt. Man sollte sich darauf verlassen können, daß der Inhalt solcher Gespräche, auch wenn sie zu keinem Ergebnis führen, nicht aus dem Kreis der Beteiligten hinausgetragen wird. Aber das nur nebenbei.
Nun zu der Grundposition von meinen politischen Freunden und mir zu dem Thema, das Sie hier angeschnitten haben, Herr Kollege Müller-Emmert. Ich halte den Kompromiß für ein notwendiges Element der Demokratie. Ich glaube, .daß wir den Kompromiß in vielen Bereichen unserer parlamentarischen Tätigkeit brauchen. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Regelung einer strafrechtlichen Materie mehr als die vieler anderer Materien darauf angewiesen ist, eine möglichst breite Mehrheit in diesem Hause zu finden.
Herr Abgeordneter Benda, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?
Herr Kleinert, ich habe nichts dagegen, aber ich möchte erst meinen Gedankengang zu Ende bringen. Ich will es an sich sehr kurz machen. Bitte melden Sie sich nachher freundlicherweise noch einmal, wenn Sie die Frage dann noch für wichtig halten. Ich möchte jetzt gern meine Position in wenigen Sätzen darstellen. Ich bitte Sie um Verständnis dafür.
Der Kompromiß kann notwendig sein, und die möglichst breite Mehrheit kann erstrebenswert sein. Von daher haben beide Seiten, wie ich glaube, immer wieder versucht, sich in den strittigen Fragen näherzukommen. Das ist im Hinblick auf § 113 gelungen; im Hinblick auf § 125 ist es nicht - oder
soll ich sagen, Herr Müller-Emmert: noch nicht - gelungen. Ich spreche jetzt nicht zum materiellen Teil. Die Einzelberatungen geben Gelegenheit, dazu zu sprechen. Der Vorschlag, der von Ihnen diskutiert worden ist, liegt auf dem Tisch. Sie haben den Antrag vor sich, und nachher im Laufe der Beratungen besteht jederzeit die Gelegenheit, sich dazu konkret zu äußern und zu sagen, was Ihnen daran nicht paßt. Man kann also darüber reden und immer noch zu einem Ergebnis kommen, wenn man es wirklich will. Der Test, ob eine wirkliche Kompromißbereitschaft vorhanden ist, wird also in der zweiten und dritten Beratung hier im Hause und nicht bei irgendwelchen anderen Gelegenheiten angestellt.
Herr Kollege Müller-Emmert, nun zu einem letzten Punkt, der allerdings in der Diskussion, die wir heute hier führen und die wir auch in den vergangenen Wochen geführt haben, eine große Rolle gespielt hat. Ich halte es für ganz falsch, im Zusammenhang mit Änderungen des Strafrechts und gerade in dem Bereich, über den wir heute reden, von einem - ich zitiere Sie - „fortschrittlichen" Strafrecht, das man entwickeln müsse, zu sprechen. Dem steht dann das Bild, das Sie in der Tat auch zu zeichnen versucht haben, von den sehr konservativen und, wie mancher dann sagt, verstockten Leuten bei der CDU/CSU gegenüber. Frau Diemer-Nicolaus hat sich auch in dieser Richtung geäußert. Das sind politische Wertungen, die ich Ihnen nicht übelnehme. Es ist Ihr gutes Recht, es so zu sehen. Allerdings führt das am Kern unserer Diskussion vorbei.
({0})
Für mein Empfinden - und ich sage hier ganz offen meine Meinung - gibt es kein „fortschrittliches" und kein „konservatives" Strafrecht. Wenn wir über Strafrecht reden, geht es um das richtige Recht, d. h. um das, was - freilich in unserer Zeit, nicht vor hundert Jahren, sondern für unsere gegenwärtige Zeit - richtig und angemessen ist. Darum werden wir miteinander in den Einzelauseinandersetzungen ringen. Da sollen sich die Argumente gegeneinander stellen und aneinander messen lassen. Dieser Auseinandersetzung wollen wir uns gerne stellen.
Aber werfen Sie diese entsetzlich flachen und oberflächlichen Klischees „wir, die Fortschrittlichen, und dort natürlich die Reaktionären" bitte über Bord!
({1})
Sie haben damit kein wirkliches Argument gebraucht, sondern nur eine, übrigens auch noch falsche, Redensart. Davor möchte ich warnen.
({2})
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen in zweiter Beratung zur Einzellesung, zuerst zu Art. 1 Nr. 1: „§ 110 wird aufgehoben." - Dazu liegen keine Wortmeldungen
vor.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 15 *) Ziffer 1 vor. Ferner liegt unter Ziffer 2 desselben Umdrucks ein Antrag auf Einfügung einer Nr. 2 a vor. Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu unserem Antrag, einen § 112 in das Strafgesetzbuch einzufügen, nur einige kurze Bemerkungen.
Erstens. Wir bedauern, daß uns bei dieser Gelegenheit nicht die Möglichkeit gegeben ist, diese interessante Frage in Kenntnis eines Votums des Bundesrates zu diskutieren. Gerade bei diesen Vorlagen, deren Ausführung ja nicht der Bundesregierung, sondern den Bundesländern obliegt, wäre es sehr interessant gewesen, auch ein Votum der Länderkammer, des Bundesrates, hier vorliegen zu haben.
Zweitens. Uns scheint, die Koalitionsfraktionen lassen hier den typischen Tatbestand weg, den man mit einem Stichwort gewisser Kreise in diesem Lande die begrenzte Regelverletzung nennt. Es gibt die totale Regelverletzung, die totale Konfrontation einer umstürzlerischen Gruppe mit der Staatsgewalt. Das wollen Sie - das attestieren wir Ihnen, meine Damen und Herren - nach wie vor unter Strafe stellen. Aber es gibt auch die begrenzte Regelverletzung, bei der man nicht gleich mit Brandstiftung, mit Attentaten, mit Molotow-Cocktails arbeitet, sondern zunächst einmal etwa sagt: Am soundsovielten um soundsoviel Uhr wird mit dieser oder jener Mißachtung der Straßenverkehrsordnung der Straßenverkehr lahmgelegt. Das ist eine scheinbar harmlose Geschichte. Dazu findet man viel leichter Mitmacher, nicht nur Weitermacher. Genau das, meine Damen und Herren, fehlt als strafwürdige Handlung in dem Koalitionsentwurf. Diese Lücke will unser Antrag schließen.
Drittens. Indem wir den Aufruf zu Handlungen, die Ordnungswidrigkeitstatbestände erfüllen, aus dem Strafrechtsschutz herausnehmen, kommen wir meiner Ansicht nach zum Todesurteil über eine Reform, die wir in der vergangenen Legislaturperiode gemeinsam eingeleitet haben. Denn wie kann ich dem Bürger heute noch glaubhaft darstellen, daß das Ordnungswidrigkeitenrecht seine Rechte wirklich schützt, wenn es ungestraft möglich ist, zur Mißachtung dieser Vorschriften aufzurufen?
({0})
Meine Damen und Herren, ein Fortschritt, den Sie damals unter Bundesjustizminister Heinemann gefeiert haben, wird sich auf diese Weise schon nach einem Jahr als ein stumpfes, verrostetes Schwert erweisen.
({1})
*) Siehe Anlage 2
Dr. Lenz ({2})
Viertens. Nach unserer Auffassung ist die Nichtaufnahme einer Vorschrift, wie wir sie beantragen, auch ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit. Wir wollen Sie denn eigentlich klarmachen, daß jemand wegen Falschparkens eine Geldbuße zahlen muß, wenn die Aufforderung zum Falschparken straflos ist?
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ostmann von der Leye.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte nur eine ganz kurze Bemerkung.
Die CDU/CSU-Fraktion beantragt mit ihrem neuen § 112, die öffentliche Aufforderung zu einer Übertretung oder zu einer Ordnungswidrigkeit mit einer Kriminalstrafe von bis zu einem Jahr zu bedrohen. Nun haben Sie, Herr Kollege Dr. Eyrich, eben lange über den § 110 gesprochen, ohne jedoch hier einen Abänderungsantrag zu § 110 vorzulegen. Sie haben auch gemeint, die Polizeipräsidenten hätten verlangt, daß der § 110 im Gesetz verbleibt. - Das ist ein Irrtum. Ich kann nur darauf hinweisen, daß sowohl Herr Polizeipräsident Dr. Schreiber wie Herr Pedall im Hearing mit der Streichung des § 110 einverstanden waren.
({0}) : Nicht mit der
ersatzlosen!)
Die Aufforderung zu einer Übertretung ist bereits im § 111 der Ausschußvorlage durch die Formulierung „zu einer mit Strafe bedrohten Handlung" erfaßt. Mit dieser Formulierung waren wir bereits Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, und dem Vorschlag des Bundesrates sehr weit entgegengekommen. Das ist uns zugegebenermaßen nicht ganz leichtgefallen. Es wäre nun ganz unsinnig, diese Vorschrift jetzt in einem neuen § 112 noch einmal niederzulegen.
Was nun aber die Aufforderung zu einer Ordnungswidrigkeit betrifft, so soll derjenige, der auffordert, mit einer Kriminalstrafe, derjenige, der die Tat begeht, also der Täter, dagegen nur mit einer Geldbuße bedroht werden. Das ist ein Widerspruch, der mir nicht einzuleuchten vermag.
({1})
Herr Abgeordneter Ostmann von der Leye, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Gerne!
Herr Kollege von der Leye, ist Ihnen bekannt, daß der Richterbund, .auf den Sie sich ja in ,anderen Zusammenhängen immer sehr gern berufen, eine Vorschrift gleichen Inhalts vorgeschlagen und auch zu der Frage Stellung genommen hat, ob es sich hier um kriminalwürdiges Unrecht handelt oder nicht?
Ich komme gleich noch auf diese Frage zurück, Herr Kollege Vogel. Aber es hat in ,diesem Zusammenhang sicher eine ganze Menge verschiedener Auffassungen gegeben.
Wenn Sie nun meinen, die Aufforderung z. B. zu einer unerlaubten Ansammlung, die ja erst am Ort der Haupttat möglich ist, wodurch der Aufforderer in der Praxis immer zugleich auch Mittäter wird, zeuge von einer größeren kriminellen Intensität, so muß ich .Sie an die Meinung des bekannten Strafrechtslehrers Jürgen Baumann erinnern, der bekanntlich sowohl im Hearing wie auch zuletzt in der „Juristenzeitung" vom 20. Februar dieses Jahres die Forderung erhoben hat, den gesamten § 111 zu streichen. Er hält nämlich das heimliche Verhalten des Täters für sozialschädlicher als das öffentliche Auftreten, das es wenigstens ermögliche, rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu treffen. Das Polizeirecht eröffnet solche Gegenmaßnahmen jederzeit, sofern die Voraussetzungen für 'die Anwendung 'dieses Polizeirechts gegeben sind.
Wir sind Baumann im Falle des § 111 nicht gefolgt, sollten nun aber wenigstens, wenn wir schon diesen wichtigen Gesichtspunkt unberücksichtigt lassen, nicht noch zusätzlich und in Erweiterung des geltenden Rechts einen neuen Bagatellstraftatbestand schaffen.
In Wahrheit würde es sich dabei auch um eine Erweiterung der Vorfeldbestrafung handeln. Genau dies aber widerspricht den Prinzipien der gesamten Strafrechtsreform, die das Vorfeld dem Polizeiunrecht und dem Verwaltungsunrecht vorbehalten will und die nur dort mit Kriminalstrafe eingreifen soll, wo ein konkretes Rechtsgut konkret geschädigt oder konkret gefährdet wird.
Deswegen wollen wir auch weg von der Bestrafung ,des reinen Ungehorsams und hin zu dem rationalen Grund für den Gehorsam, nämlich dem konkreten Strafschutz für Personen, für Sachen und für Institutionen, die den Selbstentwurf des Menschen möglich machen. Wenn Sie wirklich glauben, daß man für das Ordnungswidrigkeitenrecht auch einen Aufforderungstatbestand brauche - was ich nicht für nötig halte, weil es übertriebener Perfektionismus wäre -, dann müssen Sie einen solchen Aufforderungstatbestand auch im Ordnungswidrigkeitenrecht niederlegen, nicht aber im Kriminalrecht. Wenn wir Ihrem Antrag folgten, meine Damen und Herren von 'der Opposition, könnte leicht das geschehen, was Sie selber nicht wollten, jedenfalls im Ausschuß nicht, es würde nämlich aus einem Reformgesetz allzu leicht und unversehens ein Restaurationsgesetz werden.
Aus allen diesen Gründen bitte ich namens der Fraktionen .der SPD und der FDP, den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zu § 112 abzulehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? - Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann den Ausführungen, die Herr Kollege Ostman von der Leye gemacht hat, in vollem Umfang zustimmen. Ich möchte Ihnen aber einmal ein etwas plastisches Beispiel geben, was nach idem Antrag der Opposition alles pönalisiert würde. Ich nehme, an, die meisten von Ihnen sind verheiratet und haben Kinder; Sie wissen, daß eine Schulpflicht besteht. Herr Kollege Dr. Lenz, der sich hier so temperamentvoll für die Pönalisierung einer Aufforderung zu einer Ordnungswidrigkeit eingesetzt hat, hat selber Kinder. Ich möchte ihm folgendes Beispiel sagen.
In Baden-Württemberg haben wir heute Schulreformen, in deren Rahmen benachbarte Schulen zusammengelegt werden, und zwar nicht immer ganz so, wie es die Eltern in den betreffenden Gemeinden für richtig erachten. Da ist es nicht nur einmal, sondern wiederholt vorgekommen, daß es zu erheblichen Auseinandersetzungen über die Frage kam, ob die Kinder der Gemeinde A in die Schule der Gemeinde X oder in die Schule der Gemeinde Y kommen sollten. Die Schulverwaltung war der Auffassung: in die Gemeinde X, die Eltern waren der Auffassung: in die Gemeinde Y. Weil die Eltern sich mit der Schulverwaltung nicht einigen konnten, haben sie dazu öffentlich aufgefordert, die Kinder nicht in die Schule der Gemeinde X zu schicken. Das haben sie auch getan.
({0})
Herr Kollege Lenz, eine derartige Haltung wäre mach Ihren Vorstellungen ein kriminelles Unrecht, und die Staatsanwaltschaft hätte sie zu verfolgen und müßte gegen alle diese Eltern Strafverfahren durchführen. Die Eltern würden also nachher kriminell Vorbestrafte sein. Halten Sie das noch für richtig?
Man darf sich also nicht nur die Beispiele nehmen, die in das Exempel passen, das man gern haben möchte, sondern muß sich die ganze Tragweite klarmachen, wie ich ,das jetzt an Hand eines einzigen Beispiels dargetan habe. Es gibt Tausende derartiger Beispiele.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz!
Nur drei Sätze, gnädige Frau:
Der erste Satz: Ich halte den Schulstreik nicht für ein geeignetes Mittel der kulturpolitischen Auseinandersetzung.
({0})
Die zweite Bemerkung: In Baden-Württemberg gibt es eine Stadt Heidelberg; es gibt in .anderen deutschen Ländern andere Städte, z. B. Hannover, Saarbrücken oder Köln: Dort hat es in den letzten Jahren gezielte Aktionen zur Lahmlegung des öffentlichen Verkehrs gegeben. Wir wenden uns dagegen, daß die öffentliche Aufforderung zu solchen Aktionen sozusagen legaliter in das Instrumentarium des politischen Kampfes .eingestellt wird.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich schlage Ihnen vor, über die Ziffern 1 und 2 auf Umdruck 15 gemeinsam abzustimmen. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 15 Ziffern 1 und 2 zustimmen will, der gebe Idas Handzeichen. - Gegenprobe! - Das Ergebnis wird angezweifelt. Wir müssen auszählen.
Zunächst eine Frage: Sind alle Damen und Herren des Haushaltsausschusses, der im Turmhaus getagt hat, inzwischen eingetroffen?
({0})
Dann gebe ich das Ergebnis der Auszählung bekannt.
Abgegeben wurden 457 Stimmen, davon mit Ja 217, mit Nein 240, Enthaltungen: keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über Nr. 2 im ganzen ab. Wer mit dieser Nummer einverstanden ist, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist 'angenommen.
Nr. 3! Wortmeldungen? - Keine Wortmeldungen!
Wer Nr. 3 in der Ausschußfassung zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Nr. 4 ,auf. Wortmeldungen? - Keine. Wer der Ausschußfassung zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Nein-Stimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Zu Nr. 5 liegt der Änderungsantrag Umdruck 16 *) Ziffer 1 vor. Zur Begründung Herr von Thadden!
von Thadden ({1}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Jahren hat sich dieses Haus ein ehrenvolles Zeugnis ausgestellt, indem es eine unüberhörbare Absage an Verbrechen erteilte, die während der nationalsozialistischen Zeit im Richtertalar begangen wurden. Heute und hier ist von anderem die Rede, nämlich von dem verstärkten Schutz der Richter unseres demokratischen Staates gegenüber Gefahren, von denen Herr Bundesjustizminister Jahn selber in einem Schreiben vom März an den Obersten Richterrat bei dem bayerischen Obersten Landesgericht sagt, die Bundesregierung verfolge die Tatbestände mit zunehmender Besorgnis.
Um welche Tatbestände handelt es sich hier? Es handelt sich - ich folge hier dem Brief des Herrn Ministers - darum, daß sich Anschläge auf Richterwohnungen und Morddrohungen gegen Richter und Staatsanwälte häufen. Der Bericht, den die Bundesregierung Anfang März durch die Hand des Herrn
*) Siehe Anlage 3
von Thadden
Bundesjustizministers vorgelegt hat, erwähnt plastisch solche Beispiele. Ich kann mich hier damit begnügen, auf sie zu verweisen. Aber es wäre gefährlich, zu glauben, daß lediglich die wenigen in dem Bericht des Herrn Bundesjustizministers aufgeführten Beispiele die zunehmende Gefährdung der Sicherheit von Männern und Frauen, die in unserer Justiz tätig sind, beschreiben. Die Realität wird weit deutlicher, wenn wir uns einmal die Ereignisse in einem einzigen Bundesland ansehen. Ich spreche von Bayern, und die Ereignisse lagen alle in den letzten Monaten.
Eine Aufstellung ergibt hier - das begann im vergangenen Jahr -, daß es zunächst einmal dazu kam, daß ein Schlafzimmerfenster eines Münchener Amtsrichters mit Steinen eingeworfen wurde, weil sich dieser Mann durch seine Urteile bei bestimmten unbekannten Tätern mißliebig gemacht hatte. Etwa ein Vierteljahr später kam es zum ersten tätlichen Angriff in einem Sitzungssaal auf einen Staatsanwalt, wiederum im Land Bayern. Vier Wochen später wurden bereits gegen einen Amtsrichter Farbbeutel, Eier, ja, Knallkörper geworfen.
Die nächste Steigerung erlebten wir im Sommer 1969, als viele von uns gesagt hatten: Wir machen mit, die Hand denen auszustrecken, die Reformen wollen, die sie auch stürmisch wollen, aber nur, wenn sie bereit sind, ihrem Reformwillen mit demokratischen Mitteln Ausdruck zu geben. Zu dem Zeitpunkt hatten wir bereits einen Brandanschlag auf die Wohnung des Leiters der Staatsanwaltschaft beim Landgeicht München I, bei dem erheblicher Sachschaden entstand. Nachdem dieser Anschlag resultatlos blieb, kam es später zu neuen Drohungen von anonymer Seite, Drohungen mit einem weiteren Attentat.
Die Intensität krimineller Elemente steigerte sich noch. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, hier wird wohl niemand mehr behaupten können, daß bis zum 23. Februar der ernste Wille der Regierung, zu einer Rechtsbefriedung zu kommen, sich nicht überall herumgesprochen hatte. Am 23. Februar hatten wir einen neuen Brandanschlag auf die Wohnung eines Münchener Amtsgerichtsrats. Bei diesem Richter war zuvor schon einmal durch Steinwürfe Sachschaden in der Wohnung angerichtet worden.
Die letzte Steigerung, das ernsteste Gefahrensignal, kommt dann mit einem Flugblatt, ebenfalls von Ende Februar, in dem eine Organisation, die sich „Tupamaros" nennt, ankündigt, sie wolle die Brandanschläge gegen Richter und Staatsanwälte in München fortsetzen. Das ist ein Beispiel aus einem einzigen Bundesland, das die wachsende Intensität der Gefährdung von Organen unserer Justiz deutlich macht, in einem Ausmaß, wie wir es nur bei Rollkommandos der SA, des Rotfrontkämpferbundes oder meinetwegen auch zur Zeit von spartakistischen Unruhen gekannt haben.
Der Herr Bundesjustizminister hat uns in Drucksache VI/479, die Ihnen vorliegt, gesagt, er sei davon überzeugt, daß diese und andere Vorgänge - beispielsweise in Berlin in der letzten Zeit neun Bombendrohungen - die Integrität und Objektivität unserer Richter und Staatsanwälte nicht beeinträchtigten. 'Selbstverständlich, Herr Minister, wurde durch .die Anschläge die Integrität nicht beeinträchtigt. Die Frage ist jedoch, ab ein Urteil, das in diesem Bericht bezüglich der Rechtssicherheit bei unserer Polizei abgegeben wird, in Zukunft nicht auch in bezug auf unsere Gerichtsorgane abgegeben werden müßte.
In dieser Sorge fühle ich mich durch einen Brief bestärkt, der Mitte März bei einem bayerischen Justizorgan eingegangen ist. Er stammt von einem Mann, der sich um Einstellung in (den höheren Justizdienst beworben hatte. Ich zitiere aus diesem Brief, um zu zeigen, daß die ersten Leute - allerdings offensichtlich solche mit einem schwach entwickelten demokratischen Herz - anfangen, kalte Füße zu bekommen und insoweit 'der Optimismus nicht mehr hundertprozentig .aufrechterhalten werden darf.
Es heißt in diesem Brief:
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, meinen Antrag auf Übernahme in den höheren Justizdienst zurückzunehmen. Dieser Entschluß ist mir nicht leichtgefallen, zumal Ihrerseits bereits für die Ernennung alles in die Wege geleitet war. Anlaß für meine Entscheidung waren die jüngsten Ereignisse im Amtsgericht München.
Das sind die Ereignisse, die ich vorhin bereits kurz skizziert habe. Hier will zwar ein Mann seinen Entschluß aufgeben, von dem wir ruhig sagen können: Wir verzichten im demokratischen Rechtsstaat auf jemanden, der sofort Ohrensausen bekommt, wenn es ernst wird.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, machen Sie es sich bitte nicht so leicht, wenn Sie es auf dieses Geleise schieben. Denn da gibt es auch noch die Familien von Richtern und Staatsanwälten, die unter Umständen von anonymer Seite in einer Nacht bis zu einem Dutzend Mal durch Anrufe bedroht werden; da gibt es die Sorge bei (denen, die miterleben, daß Kollegen wiederholt Opfer von Terroraktionen gewesen sind.
Wie soll das weitergehen? Darum meinen meine Fraktionsfreunde, daß wir es nicht nur bei dem Ausdruck wachsender Beunruhigung bewenden lassen sollten; denn diese rhetorische Floskel beeindruckt 'diejenigen nicht, die feige und aus dem Hinterhalt heraus versuchen, den Rechtsstaat zu zerstören oder zumindest zu verunsichern.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich beschwöre Sie in diesem Augenblick, einmal Abstand von Ihren Klischeevorstellungen zu nehmen, daß die Partei, die hier in. dieser Mitte unter Ihnen sitzt, nur mit solchen Wünschen auf Sie zukomme, aus denen Sie ein konservatives Weltbild herauslesen. Wir dagegen meinen, in der Mitte der Demokratie beheimatet zu sein.
({3})
von Thadden
Geben Sie sich darum einen Ruck, sagen Sie mit uns: Es ist der Zeitpunkt gekommen, bei dem wir nicht nur mit dem scharfen Besen - dabei machen meine Freunde mit - veraltete Gesetze aus der Justiz herausfegen sollten! Geben Sie sich auch den Ruck, zu sagen, daß lin einer sich wandelnden Zeit auch neue Tatbestände, neue Gefahrenquellen auftreten können, beispielsweise Gefahrenquellen, die einen besonderen Straftatbestand notwendig machen, den der Richternötigung. Reihen Sie sich in die Front derjenigen ein, die sagen: Jetzt ist die Zeit gekommen, nicht nur der dritten Gewalt in der Demokratie von Zeit zu Zeit eine respektvolle Verbeugung zu erweisen; jetzt ist die Zeit gekommen, durch die Annahme dieses Antrags deutlich zu machen, daß der demokratische Rechtsstaat hinter der demokratischen Justiz steht!
({4})
Meine Damen und Herren, es war eine Jungfernrede.
({0})
Wir beglückwünschen Herrn von Thadden zu dieser Rede.
Das Wort hat der Herr Justizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich mich den Glückwünschen zu dieser Jungfernrede herzlich anschließen.
Meine Damen und Herren, was hier in der Sache gesagt worden ist, berührt, was die Darstellung und die Rechtfertigung der Motive anbelangt, in der Tat ein ernstes Problem. Ich bin sicher, daß sich das ganze Haus einig ist in der schärfsten Verurteilung und der Forderung nach schärfster Verfolgung all der Straftaten, mit denen versucht wird, Richter und sonstige Angehörige der Rechtspflege in ihrer Arbeit zu behindern oder zu bedrohen oder auch konkret zu gefährden.
({0})
Niemand sollte auch nur ein Fragezeichen hinter die gemeinsame Überzeugung dieses Hauses und der Bundesregierung setzen, daß alles, was in ihren Kräften liegt, geschehen muß und geschehen wird, insbesondere den Richtern, aber auch den übrigen Angehörigen der Rechtspflege jeden nur denkbaren und möglichen Schutz zuteil werden zu lassen.
({1})
Die Frage ist nur, ob der Vorschlag in dein Antrag, der hier begründet worden ist, dazu ein geeigneter Weg ist. Hier wird eine neue Vorschrift vorgeschlagen, die sich besonders dem Schutze der Richter widmen soll, obwohl gerade die hier genannten Beispiele gezeigt haben, daß die Fälle, um die es geht und die zur Rechtfertigung eines solchen Antrags herangezogen worden sind, in der Regel gar nicht mit einer solchen Strafvorschrift erfaßt werden können, sondern daß ganz andere, im Strafgesetz aber bereits vorhandene Strafvorschriften in Frage kommen. Ganz abgesehen davon, der Kern dieser Vorschrift, für 'die Sie hier geworben haben, Herr Kollege von Thadden, ist ebenfalls im Strafgesetzbuch enthalten. Wir haben ine allgemeine Bestimmung für den Tatbestand der Nötigung. Der wird in jedem Falle auch bei der versuchten Nötigung eines Richters oder Staatsanwalts zur Anwendung kommen.
Es ist also nicht recht einzusehen, aus welchem Grunde eine solche zusätzliche Bestimmung, die nicht einmal eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Strafrechts darstellt, hier eingeführt werden soll. Das ist der 'Grund dafür, weshalb ich der Auffassung bin, weshalb 'die Bundesregierung der Auffassung ist, daß es einer solchen zusätzlichen Bestimmung nicht bedarf. Das Problem ist nämlich nicht, ob wir die Täter, von denen Sie hier gesprochen haben, bestrafen können. Das ist in jedem Fall möglich, und es ist bisher kein Fall bekanntgeworden, in dem eine Bestrafung nicht möglich gewesen wäre, weil etwa eine Strafbestimmung gefehlt hat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Pinger? - Bitte!
Herr Minister, gestehen Sie zu, daß der Fall des Abs. 2 Nr. 2, daß jemand wegen eines Urteils tätlich angegriffen wird, vom geltenden Strafrecht nicht erfaßt wird und daß insofern in dieser Vorlage eine wesentliche zusätzliche Regelung enthalten ist?
Auch hier reichen die vorhandenen Strafvorschriften aus. Es bedarf dieses von Ihnen vorgeschlagenen Tatbestandes nicht; es ist in jedem Falle eine Strafvorschrift, und zwar eine ausreichende Strafvorschrift, vorhanden, auch bei einem tätlichen Angriff.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, ist es nicht so, daß hier wegen der mangelnden Strafbarkeit der versuchten Körperverletzung der tätliche Angriff unter Strafe gestellt wird, während er im allgemeinen Strafrecht 'wegen der mangelnden Strafbarkeit des Versuchs nicht 'enthalten ist, und daß insofern die Vorlage eine zusätzliche Regelung enthält?
In jedem Fall würden 'bei dem von Ihnen gedachten Sachverhalt mindestens die Strafvorschriften über Nötigung zur Verfügung stehen und eine ausreichende Ahndung ermöglichen.
Ich meine, daß, weil wir eine ausreichende und breite Auswahl von Strafvorschriften haben, die in jedem dieser Fälle zur Anwendung kommen können, von denen hier die Rede war und für die ja auch die von Ihnen vorgeschlagene Regelung gedacht ist, jeder Fall angemessen beantwortet werBundesminister Jahn
den kann und es dieser zusätzlichen Bestimmung nicht bedarf.
Wenn Sie gerade an Hand der Beispiele, die Herr von Thadden genannt hat, die Dinge noch einmal genau betrachten, müssen Sie zu dem Ergebnis kommen: Nicht fehlende Strafvorschriften, sondern der leider bisher noch weithin ausgebliebene Erfolg der Ermittlungen bei Feststellung der Täter ist das, was uns eigentlich Sorgen macht. Das werden Sie aber dadurch, daß Sie neue Strafvorschriften einführen, auch nicht ändern können.
Ich stelle hier noch einmal fest: Was zum Schutze der Richter notwendig ist, das wird in unserem Lande geschehen. Das, was notwendig ist, ist aber mit den geltenden Strafvorschriften erreichbar. Deswegen bedarf es einer solchen besonderen Vorschrift nicht, schon gar nicht mit dieser Begründung.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nach den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers zu diesem Punkt sehr kurz fassen. Mir scheint, daß bei den Ausführungen von Herrn von Thadden, relationstechnisch betrachtet, der Bericht das Gutachten doch bei weitem überwogen hat und da ein gewisses Ungleichgewicht herrschte. Es ist sicherlich niemand in diesem Hause, der keine Kenntnis genommen hätte von den nicht nur bedauerlichen, sondern einfach schrecklichen Vorfällen in bezug auf die Beeinträchtigung - jedenfalls den Versuch der Beeinträchtigung - der Unabhängigkeit unserer Richter und der nicht mit Entsetzen zur Kenntnis genommen hätte, zu welchen Mitteln die Täter dabei glaubten greifen zu müssen, so daß hier von Bomben, von Brandstiftung und dergleichen die Rede ist. Gerade wenn aber hier im Tatbestand so deutlich gemalt wird, wenn von Bomben und Brand die Rede ist, dann besteht für uns Veranlassung zu sagen: Auch Ihr Abs. 2 in der vorgeschlagenen Neufassung bleibt ja weit hinter dem zurück, was die bestehenden Gesetze in diesen Fällen bereits vorsehen. Es geht nach geltendem Recht in keinem Fall unter unbeschränktem Zuchthaus ab, wenn von Feuer oder von Sprengstoff die Rede ist. Wenn Sie glauben, zur Begründung Ihres Antrages vom Tatbestand her gerade diese exzessiven Fälle herausgreifen zu müssen, dann müssen Sie sich allerdings auch um so deutlicher von uns sagen lassen, daß hier die geltenden Bestimmungen über das, was Sie zusätzlich fordern, weit hinausgehen.
Ich sehe in Ihrem Entwurf nur einen Unterschied, und zwar im Sinne einer Verschärfung der bisherigen Strafmöglichkeiten. Das betrifft die Einführung einer Mindeststrafe - die im Falle der Nötigung nicht gegeben wäre - von sechs Monaten in Ihrem Abs. 1. Darin liegt eine Strafverschärfung. Dazu ist zu sagen, daß wir doch Mindeststrafen tunlichst vermeiden sollten, wenn nicht ganz besondere Gründe vorliegen. Bei all diesen besonders herausgegrenzten Tatbeständen bringen wir doch nach den Erfahrungen der gerichtlichen Praxis immer wieder die Richter in Verlegenheit, weil der Gesetzgeber sich nicht vorstellen kann, daß der abstrakt besonders schwer zu mißbilligende Tatbestand sich im Einzelfall doch so leicht darstellen kann, daß der Richter sich fragt: Wie komme ich nur um diese Mindeststrafe herum? Das können wir den Gerichten getrost überlassen. Nach oben hin ergibt sich nicht die geringste Änderung zum Straftatbestand der Nötigung.
Wenn das so ist, dann frage ich mich: warum jetzt der besondere Tatbestand der Richternötigung, nachdem die bestehenden Strafvorschriften - ich will das nicht vertiefen, könnte es aber in jedem einzelnen Punkt - das gleiche vollkommen abdecken und in einer ganzen Reihe von Fällen, gerade in den hier genannten besonders gravierenden Fällen noch weit über das von Ihnen verlangte Strafmaß hinausgehen. Ich finde dafür nur eine Erklärung, nämlich die, daß hier der Gedanke mitschwingt, die Richterpersönlichkeit - und nicht nur diese, sondern damit zugleich den Staat, wenn Sie so wollen: die Obrigkeit - stärker herauszuheben gegenüber demjenigen, der ihr gegenübersteht.
Das allerdings ist die Stelle, an der wirklich eine Trennung zwischen uns besteht, nicht in der Absicht, den Richter zu schützen, aber in der Schaffung eines Tatbestandes, der genau das tut, was wir mit der gesamten Reform abbauen wollten, der nämlich das Gleichgewicht, das zwischen Staat und Bürger bestehen sollte, zuungunsten des Bürgers verschiebt, rein vom Psychologischen her.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, aus welchem Grund wird wohl in dem bereits verabschiedeten § 113 - mit Zustimmung der Koalition, also der SPD und der FDP - der tätliche Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten nach wie vor unter Strafe gestellt? Soll der Richter gegen einen tätlichen Angriff nicht geschützt sein? Warum soll da ein Unterschied sein?
({0})
Die Frage kann ich Ihnen für meine Person sehr gut beantworten. Das steht da drin mit Zustimmung der Koalition, weil wir gehofft haben, durch ein Entgegenkommen in einer solchen Frage eine breitere Basis für (die von uns allgemein für sehr wichtig gehaltenen Regelungen zu finden. Meiner Auffassung nach ist es überflüssig. Es handelt sich um ein Entgegenkommen gegenüber Ihren Wünschen in einer Frage, ,die nicht annähernd so gravierend ist wie die hier zu behandelnde Frage eines besonderen Straftatbestandes für die Richter.
In diesem Zusammenhang, meine ich, ist es legitim, auch einmal auf die Ihnen im gedruckten Bericht vorliegende Stellungnahme des Deutschen Richterbundes hinzuweisen. Man kann vieles aus den
unzähligen Stellungnahmen zitieren, die im Laufe der Beratungen abgegeben worden sind. Aber mir scheint entscheidend zu sein, daß die Richter selber mit Nachdruck und völlig einhellig erklärt haben, sie wünschten einen 'solchen Sonderstraftatbestand nicht, da sie davon eine Erschwerung ihrer Situation befürchten müßten. Damit entfallen für uns alle Gründe, die bei sorgfältigster und wohlwollendster Prüfung etwa für die Annahme Ihres Antrages hätten sprechen können.
({0})
Herr Abgeordneter Vogel!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bei Herrn Kleinert für den freundlichen Hinweis darauf bedanken, daß die Koalition uns in einer kleinen Frage entgegengekommen sei. Meine Damen und Herren von der Koalition, uns geht es nicht darum, ob Sie uns entgegenkommen, sondern darum, ob Sie das, was richtig und notwendig ist, tun oder nicht tun. Das ist die Frage.
({0})
Wir betrachten diese ganze Diskussion nicht unter dem Gesichtspunkt, ob Sie der CDU/CSU entgegenkommen, sondern unter dem Gesichtspunkt, ob Sie bereit sind, das, was für diesen Staat, für diese Gesellschaft, für die Bürger in diesem Staat erforderlich ist, hier zu tun.
({1})
Ich bin ganz einfach der Auffassung, daß auch das hier einmal gesagt werden muß. Wir können nicht nur die Tendenz verfolgen, Strafrecht abzubauen, sondern wir müssen als Gesetzgeber auch bereit sein, dort, wo neue Tatbestände in gravierender Form auftreten, die Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen die Bereitschaft und die Kraft aufbringen, dann auch neue Straftatbestände in unser Gesetzbuch aufzunehmen. Das ist das, was wir hier wollen.
({2})
Keine weiteren Wortmeldungen. Bevor wir abstimmen, müssen wir die Vorlage korrigieren. Sie enthält einen Druckfehler. Es muß in Umdruck 16 Ziffer 1 heißen: „Wer ein Mitglied eines Gerichts . . ."
Wir stimmen über Umdruck 16 Ziffern 1 und 2 gemeinsam ab. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieselben Mehrheitsverhältnisse wie bei früheren Abstimmungen. Letzteres war die Mehrheit. Enthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich lasse jetzt über Nr. 5 der Ausschußvorlage abstimmen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Nach einer Vereinbarung der Fraktionen sollen die Anträge auf den Umdrucken 17 *), 18 **) und 20 ***) zusammen beraten werden. Ist das Haus einverstanden? - Dann rufe ich diese Anträge auf.
Ich erteile dem Abgeordneten Pinger zur Begründung der drei Änderungsanträge das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der CDU/CSU-Fraktion geht es keineswegs darum, im Zusammenhang mit den Vorschriften über Auflauf und Landfriedensbruch etwa in die Mottenkiste zu greifen oder in den letzten Graben zurückzugehen, wie es soeben dargestellt worden ist. Uns geht es bei der Reform dieser Vorschriften um eine stärkere Differenzierung gegenüber den Regelungen, die wir im jetzigen Strafgesetz haben, weil sich gezeigt hat, daß die Sachverhalte außerordentlich unterschiedlich sind und daß z. B. eine Mindeststrafenregelung von drei Monaten Freiheitsstrafe, wie sie jetzt für den Landfriedensbruch gilt, nicht immer angemessen ist. Wir möchten daher in § 119 zwischen der lediglich verbotenen, aber friedlichen Versammlung, die nach unserer Vorstellung nur Ordnungswidrigkeit sein soll, und einer anderen Gruppe verbotener Versammlungen, bei denen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, eine konkrete ,Gefahr für Leben und Gesundheit anderer Bürger besteht, unterscheiden.
Eine gleiche Differenzierung möchten wir in § 125 - Landfriedensbruch - vornehmen. Wir sehen vor, daß Freiheitsstrafen von einem Tag bis zu drei Jahren und in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren ausgesprochen werden können. Nach § 125 Abs. 3 kann sogar von Strafe abgesehen werden. Die Fassung, die im Sonderausschuß mit Mehrheit angenommen worden ist, halten wir für äußerst bedenklich. Danach wird - abgesehen von Tätern und Teilnehmern - derjenige unter Strafe gestellt, der ,auf die Menschenmenge einwirkt, um die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit zu fördern. Der Richter muß dem Angeklagten demgemäß nachweisen, daß er in der Absicht handelt, die Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten zu fördern. Der Nachweis einer solchen Absicht ist bekanntlich immer schwer. Entweder gesteht der Täter in der Hauptverhandlung, daß er mit einer solchen Absicht gehandelt habe. Dann müßte man den Täter schon wegen seiner Dummheit bestrafen. Oder er streitet, wie im Regelfall, ab, daß er eine solche Absicht gehabt habe. Dann muß der Strafrichter aus Indizien heraus bestrafen. Ein solcher Indizienbeweis ist immer eine fragwürdige Angelegenheit. Bei dieser Strafrechtsreform sollte es nicht zuletzt darum gehen, Unsicherheit des Strafrechts zu beseitigen. Mit der Fassung des Sonderausschusses wird aber nicht nur dieser Zweck vereitelt, sondern auch neues Unbehagen geschaffen.
Es gibt zwar im Strafgesetzbuch auch andere Strafnormen, bei denen die Strafbarkeit an die Absicht geknüpft ist, z. B. den Diebstahl, die Weg-
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5 ***) Siehe Anlage 6
nahme einer Sache, um sie sich zuzueignen. Da ergeben aber in aller Regel die äußeren Umstände, daß eine solche Zueignungsabsicht besteht. Genauso verhält es sich bei Erpressung, Betrug, Urkundenfälschung und anderen Tatbeständen. Hier haben wir aber eine Strafnorm - so soll sie jedenfalls in das Gesetz hineinkommen -, in der im äußeren Tatbestand lediglich steht, daß jemand auf die Menge einwirkt. Dann kommt die Absicht, die nachgewiesen werden muß. Das ist, wie gesagt, eine ganz bedenkliche Fassung.
Ein zweiter Gesichtspunkt: Wenn die Absicht, die Bereitschaft zu Straftaten zu fördern, wirklich nachgewiesen wird, haben wir auch den notwendigen Vorsatz für den Täter der Gewalttätigkeit. Wer nämlich die Absicht der Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten hat, der hat zumindest den bedingten Vorsatz, daß solche Gewalttätigkeiten begangen werden. Damit kommen wir auf die ursprüngliche Fassung der Koalition zurück, nach der nur Täter und Teilnehmer bestraft werden sollen. Damit kommen wir zu einer Verkürzung der Strafbarkeit im Rahmen des § 125 - Landfriedensbruch -, die wir in keiner Weise hinnehmen können. Es muß eine Fassung gefunden werden, die die strafwürdigen Fälle tatsächlich erfaßt.
Wenn wir von der CDU/CSU-Fraktion abzuwägen haben zwischen dem Schutz gewalttätiger Demonstrationen auf der einen Seite und dem Schutz von Gesundheit, Leben und auch Eigentum der Bürger auf der anderen Seite, dann bekennen wir uns für den Schutz dieser Rechte des einzelnen Bürgers.
({0})
Nach unserer Auffassung muß strafbar bleiben - wir halten dies für strafwürdig -, wenn jemand an einer gewalttätigen Demonstration weiter teilnimmt und dadurch die Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten herbeiführt oder verstärkt. Den Grund für die Bestrafung auch derjenigen, die nicht selbst Gewalttätigkeiten verüben oder Teilnehmer im engeren, technischen, strafrechtlichen Sinn sind, sehen wir darin, daß diese Personen die Gefährlichkeit der Situation erhöhen und damit auch die Gefahr für den einzelnen Bürger, der durch die Polizei geschützt werden soll und muß, erhöhen.
Demgegenüber wird darauf hingewiesen, daß diesen Gefahren mit polizeimäßigen Mitteln begegnet werden könne und müsse. Damit erwartet man von der Polizei, daß sie mit dem Polizeiknüppel das tut, was wir als Strafgesetzgeber aus einer großzügigen Geste heraus nicht mehr tun wollen. Anstatt die an einer gewalttätig gewordenen Demonstration teilnehmenden Bürger auch mit dem Strafgesetz zur Loyalität anzuhalten, erwartet man die brutale Auseinandersetzung .mit dem Polizeiknüppel auf der Straße. Mit Recht wehrt sich die Polizei gegen die Rolle, die man ihr da zuzuschieben gedenkt.
({1})
Ohnehin reicht ja ein noch so großes Polizeiaufgebot bei einer gewalttätigen Massendemonstration, wie wir wissen, nicht aus, um den Bürger zu schützen. Der aber hat ein unbedingtes Recht auf diesen
Schutz, nachdem der moderne Staat ihn entwaffnet und ihm damit die Möglichkeit genommen hat, sich selbst gegen eine gewalttätige Demonstration zu wehren.
Wenn Sie den strafrechtlichen Schutz verkürzen; dann allerdings muß mindestens überlegt werden, ob nicht die Ländergesetze über Tumultschäden angemessen zu reformieren sind, damit dem Bürger wenigstens im nachhinein ein gewisser Schutz gewährt wird. Wir halten diesen Schutz nicht für ausreichend. Wir halten Schutz nur dadurch für ausreichend gegeben, daß wir den Bürger präventiv schützen, nämlich, da es nicht anders geht, durch eine Strafdrohung, eine Strafdrohung für alle, die durch Teilnahme an einer gewalttätigen Demonstration die Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten herbeiführen oder erhöhen.
Nun noch kurz etwas zu der Fassung des § 125 a, zu den besonders schweren Fällen. Wir haben vorgeschlagen und wir schlagen vor, in Nr. 4 die Körperverletzung mit aufzunehmen. Das ist im Sonderausschuß Strafrecht abgelehnt worden. Wir können darin nur eine wieder einmal allzu kapitalistische Einstellung des Gesetzgebers - wenn es Gesetz wird - erblicken, weil nämlich der Schutz von Sachen stärker ausgestaltet wird als der Schutz vor Körperverletzung. Die versuchte Sachbeschädigung ist strafbar, die versuchte Körperletzung ist nicht strafbar. Der Schutz von Sachen wird aufgenommen, der Schutz vor Körperverletzung nicht.
Der Schutz, der durch die Nr. 3 - schwere Körperverletzung - gegeben ist, reicht uns nicht aus, denn die schwere Körperverletzung des § 224 muß eine ganz gravierende, dauernde Einstellung bzw. den Verlust eines wichtigen Gliedes, zur Folge haben, und es gibt ja noch Fälle von schwerer Körperverletzung, die dazwischen liegen. Wenn Körperverletzungen erfolgen, wenn gewalttätige Demonstrationen begangen werden und wenn jemand selbst Gewalt gegen eine Person anwendet, dann halten wir bei diesem Täter einen besonders schweren Fall für gegeben.
({2})
Ich habe soeben ausgeführt, warum nach unserer Auffassung der Beschluß des Sonderausschusses mit der Absichtsregelung eine sehr bedenkliche Regelung ist, die im übrigen eine Verkürzung des Tatbestandes herbeiführt, die dem notwendigen Schutz nicht gerecht wird.
Nun zur Alternativfassung. Es ist schon gesagt worden, daß die Alternativfassung des Bundesrichters Meyer im Sonderausschuß beraten und auch von uns gestern noch einmal vorgelegt worden ist, ,um für diesen wichtigen Fall zu einer breiten Mehrheit hier im Hause zu kommen.
Wir halten diese Fassung für durchaus glücklich. Uns geht es nicht etwa um 'diese oder jene Formulierung, wir wollen nicht etwa unbedingt bei unserem ursprünglichen Entwurf bleiben, sondern uns geht es um eine Fassung, die die strafwürdigen Fälle erfaßt.
Soeben ist darauf hingewiesen worden, daß in Umdruck 20, dem Vorschlag des Bundesrichters Meyer zu § 125, der Zusatz „über die bloße Anwesenheit hinaus" fehle und daß dadurch eine Erweiterung des Tatbestandes erfolge. Nun, wir erklären, daß dieser Zusatz von uns aus ohne weiteres wieder hineinkommen könnte, weil wir der Meinung sind, daß auch ohne diesen Zusatz ein aktives Verhalten vorhanden sein muß, jedenfalls ein Verhalten, durch das die Gefährlichkeit erhöht wird. Wenn der Kompromiß hier in 'allerletzter Minute daran scheitern sollte, daß dieser Zusatz nicht hineinkommt, sind wir also bereit, diesen Zusatz wieder hineinzunehmen und dann auf eine Formel zu kommen, wie sie im Sonderausschuß Strafrecht von allen als durchaus diskutable Lösung empfunden worden ist. Wenn es wirklich darum gehen sollte, uns jetzt nicht den „Schwarzen Peter" zuzuschieben, sondern in dem wichtigen Bereich des Landfriedensbruchs - das ist das Kernstück der Reform - zu einer vernünftigen Regelung zu kommen, dann soll das an uns nicht scheitern. Wir sind bereit, einer entsprechenden Fassung zuzustimmen.
({3})
Das Wort hat Frau Diemer-Nicolaus.
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- Herr Müller-Emmert hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in icier gebotenen Kürze zu den Änderungsanträgen ,der CDU/CSU-Fraktion folgendes sagen.
Die CDU/CSU-Fraktion geht von einer anderen Konzeption aus, über deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit man, vom Sachlichen her gesehen, durchaus streiten kann. Die Konzeption der CDU/CSUFraktion sieht vor, daß zunächst einmal derjenige eine Ordnungswidrigkeit begeht, der an einer Menschenansammlung teilnimmt und trotz Aufforderung, sich zu entfernen, .stehenbleibt. ,Die Konzeption 'sieht als zweite Stufe vor, daß derjenige wegen eines Vergehens bestraft werden soll, der sich in einer Menschenmenge befindet, die die öffentliche Sicherheit bedroht. ,Drittens sieht die CDU/CSU-Fraktion als 'Folgerung vor, daß ein Landfriedensbruch im eigentlichen Sinn dann gegeben sein soll, wenn, aus einer Menschenmenge heraus noch Schlimmeres geschieht, wenn nämlich Gewalttätigkeiten begangen werden. Man kann, wie gesagt, über die Frage streiten, ob man es so ,oder anders machen sollte.
Zunächst einmal muß man - ich darf auf das verweisen, was Herr Kollege de With als Berichterstatter schon klar ausgeführt hat - davon ausgehen, daß 'es bei einer so großen Ansammlung von Menschen im Rahmen einer Demonstration sehr oft zu Schwierigkeiten 'bei der Ermittlung von Tätern und überhaupt zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Eingriffsmöglichkeiten der Polizei kommen kann. Deswegen sollte man weitmöglichst im Bereich des Demonstrationsstrafrechts .das Legalitätsprinzip, das die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, nämlich die Polizei, einzuhalten haben, einschränken und zu der Anwendung des sogenannten Opportunitätsprinzips kommen. Man sollte also in diesem Bereich so wenig Strafrecht wie möglich verordnen, vielmehr der Polizei die Möglichkeit lassen, im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens tätig zu werden.
Diese Grundhaltung ist bei den Koalitionsfraktionen in jeder Weise eingehalten und in dem Entwurf durchgeführt. Bei dem Modell der Koalitionsfraktionen wird davon ausgegangen, daß die Polizei zunächst ,einmal von den Möglichkeiten des Polizeirechts, die äußerst vielschichtig und umfassend sind, Gebrauch machen sollte, bevor sie mit Straftatbeständen winkt. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, daß sie auch auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes gegen Demonstranten vorgehen soll und daß erst dann, wenn die Menge wirklich unfriedlich wind, ein Eingreifen der Polizei repressiver Weise und in der Eigenschaft als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft notwendig ist.
Wenn man diese beiden Modelle miteinander vergleicht, muß man, wenn man auch über gewisse Demonstrationserfahrungen verfügt, zu dem Ergebniskommen, daß es vernünftiger ist, wenn der Polizei viele Konfrontationen 'erspart bleiben, sie vielmehr die Möglichkeit hat, flexibel und 'beweglich zu bleiben. - Bitte sehr, Herr Kollege Schlee, - wenn Sie mich schon so fragend anschauen!
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, sind Ihre Ausführungen dahin zu verstehen, daß bei einer Fassung des Landfriedensbruchs, wie Ihre Fraktion sie vorschlägt, die Polizei die nach diesem Tatbestand begangenen Vergehen oder Verbrechen nur noch nach dem Opportunitätsprinzip zu verfolgen hat, und sind Sie etwa der Meinung, daß es dann leichter wäre, die Täter festzustellen und der Bestrafung zuzuführen, als bei anderen Fassungen?
Dazu ist folgendes zu sagen, Herr Kollege Schlee. Nach Ihrem Modell kommt die Polizei ganz sicher mehr in die Gefahr des Verdachts der Begünstigung im Amt als nach unserem Modell. Denn bei Ihrem Modell müssen Sie die Zwischenstufe des § 119 berücksichtigen, die als Vergehen ausgestaltet ist mit der Folge, daß dafür das Legalitätsprinzip gilt, und mit der weiteren Folge, daß die Polizei dann, wenn eine Menschenmenge die öffentliche Sicherheit bedroht, einschreiten muß. Darüber hinaus haben Sie den § 125 so weit gefaßt, daß in § 125 nicht nur die echten Kriminellen hineinkommen, sondern daß auch die Neugierigen, sogar die Abwiegler, sogar die Weitermacher und sogar die Passanten unter Strafe gestellt sind.
Jetzt frage ich Sie: Ist in einem solchen Fall die Polizei nicht in einer schwierigeren Situation, weil der Rahmen des Straftatbestands, den Sie vorsehen, viel weiter gefaßt ist als in unserem Modell, wo die Polizei nur dann eingreifen muß - und zwar strafrechtlich eingreifen muß mit der Verpflichtung, StrafDr. Müller-Emmert
anzeigen zu erstatten, Ermittlungsverfahren einzuleiten -, wenn tatsächlich echte Gewalttaten begangen worden sind und wenn es darum geht, diejenigen, die Anstifter, Gehilfen, Teilnehmer, Anheizer und Abschirmer sind, ausfindig zu machen, sie der Staatsanwaltschaft vorzuführen und sie in ein Gerichtsverfahren zu verwickeln? Unser Modell ist ganz sicher beweglicher als Ihr Modell, das immer wieder die strafrechtliche Konfrontation mit den Bürgern herausfordert.
Sie können nicht bestreiten, Herr Kollege Schlee, daß Ihr Vorschlag äußerst weit gefaßt ist. Er umfaßt unbestritten - ich sagte es schon - den Passanten genauso wie den Abwiegler, den Neugierigen wie den Weitermacher. Ich darf Sie daran erinnern, daß der Vorsitzende der Jungen Union in dem Hearing die Vorstellungen Ihrer jungen Freunde deutlich gemacht hat und daß er in dem schon von mir zitierten Bericht dasselbe erklärt: Der Straftatbestand des Auflaufs soll in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt werden, und der Straftatbestand des Landfriedensbruchs soll auf die Täter beschränkt werden, die sich aktiv an Gewalttätigkeiten beteiligen, da sonst ein willkürliches Herausgreifen und Bestrafen einzelner unvermeidlich wäre.
In diesem Zusammenhang muß ich Sie, Herr Kollege Schlee, weil Sie diese Frage aufgeworfen haben, darauf hinweisen, daß im Januar und Februar eine repräsentative Meinungsbefragung stattgefunden hat, bei der sehr vielen Bürgern in der Bundesrepublik folgende Frage vorgelegt wurde: Ein junger Mann läuft in einer Demonstration mit, und plötzlich werden von einigen Demonstranten Steine geworfen. Der junge Mann selbst hat aber auch nach den Beobachtungen der Polizei keinen Stein geworfen. Nun ist die Frage: Soll dieser junge Mann, weil er dabei war, mit vor Gericht gestellt werden, oder sollte er von vornherein straflos bleiben? Die Antwort wird Sie interessieren. „Vor Gericht gestellt werden" - dafür waren insgesamt 17 % „Straflos bleiben" - dafür waren insgesamt 75 %. Unentschieden waren 8 %. Wenn Sie die politische Orientierung derjenigen, die für Straflosigkeit waren, interessiert: SPD-Anhänger 79 %, CDU/CSU-Anhänger 75 %. Wenn Sie diese Zahlen einmal überlegen, dann werden Sie sehen, daß vom Politischen her Ihre Ausgangsposition nicht besonders angenehm ist.
Eine Zwischenfrage für Herrn Lenz.
Bitte sehr.
Herr Kollege Müller-Emmert, halten Sie demoskopische Umfragen für geeignete rechtspolitische Erkenntnisquellen?
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Über diese Frage kann man streiten. Sie wissen, Herr Kollege Lenz, daß Sie auch schon Gelegenheit genommen haben, sich auf repräsentative Meinungsumfragen zu beziehen. Daß aber diese Fragen, die mit dem
Amnestiegesetz, über das wir später reden, und mit dem Demonstrationsstrafrecht zusammenhängen, in den letzten Wochen und Monaten in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert worden sind, so daß eine Meinungsbildung auf breiter Ebene stattgefunden hat, Herr Kollege Lenz, können Sie doch füglich nicht bestreiten.
Eine Zwischenfrage von Herrn Pinger.
Herr Kollege Müller-Emmert, würden Sie diesen Fall, den Sie vorgetragen haben, auch unter die Fassung des Eventualantrages subsummieren, in dem steht „und durch sein Verhalten die Unfriedlichkeit dieser Menge fördert"?
Herr Kollege Pinger, darauf sind zwei Antworten zu geben, und zwar die erste auf Grund Ihres Änderungsantrages, denn das, was Sie eben gefragt haben, betrifft nur Ihren Eventualantrag, wobei Sie offenbar davon ausgehen, daß Ihr Änderungsantrag abgelehnt wird. Sie würden ja sonst den Eventualantrag gar nicht stellen. Wenn man aber zunächst einmal von Ihrem Änderungsantrag Umdruck 18 ausgeht, muß man klar zu der Feststellung kommen, daß der Fall, den ich geschildert habe und der einer repräsentativen Meinungsbefragung zugrunde gelegen hat, so zu lösen ist, daß nach Ihrer Vorlage dieser junge Mann auf jeden Fall, obwohl er nichts getan hat, beileibe nichts getan hat, bestraft werden müßte.
Der zweite Teil der Antwort ist der: Wenn Sie den Meyer-Vorschlag zugrunde legen - ich bitte um Entschuldigung, wenn ich das so kurz sage und nicht Bundesrichter Meyer sage -, dann dürfte nach meiner Überzeugung dieser junge Mann auch nicht bestraft werden, so daß dieser Meyer-Vorschlag insofern durchaus vernünftig wäre.
Sie müssen dann aber auch noch von unserer Vorlage ausgehen, die der Ausschuß insgesamt beschlossen hat und die Ihnen zur Entscheidung vorliegt. Auch da können Sie nicht bestreiten, Herr Kollege Pinger, daß dieser Fall nicht unter § 125 unserer Formulierung fällt, so daß auch nach der Ausschußformulierung dieser Mann nicht bestraft werden würde.
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- Na, und? - Da geht es also praktisch nur um Vorfragen. Jetzt beißen wir uns also, so meinen Sie, an Formulierungen fest, wobei doch eindeutig feststeht, daß der Vorschlag, den die Mehrheit des Strafrechtsausschusses gefunden hat, eingehend vorgeprüft worden ist, auch vom Bundesjustizministerium vertreten worden ist, und deshalb wohl auch akzeptiert werden sollte, weil Sie nicht bestreiten können, Herr Kollege Pinger, daß wir dann, wenn wir Ihrem Eventualvorschlag näherträten, auch noch darüber diskutieren und gewisse kleinere Änderungen vornehmen müßten. Das kann man deshalb nicht, weil das Gesetzgebungsverfahren schon so
weit gediehen ist und weil Ihren materiellen Anliegen, wenn Sie tatsächlich das, was Sie in Ihrem Eventualantrag vortragen, als richtig erachten, durch den Beschluß des Ausschusses voll Rechnung getragen ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Pinger?
Bitte sehr, Herr Kollege Pinger!
Darf ich Sie, Herr Kollege Müller-Emmert, darauf hinweisen, daß im Änderungsantrag Umdruck 48, unserem Hauptantrag, die Formulierung enthalten ist: „oder sich nicht unverzüglich ... entfernt, obwohl aus der Menge ....Gewalttätigkeiten ... begangen werden", und würden Sie dem zustimmen, daß der Fall, den Sie genannt haben, allenfalls unter diese zweite Alternative der Fassung fallen würde - nach meiner Auffassung dennoch nicht zu (subsumieren ist -, also allenfalls unter die Formulierung „oder sich nicht unverzüglich ... entfernt", daß also das bloße Steinewerfen eines anderen nicht für den Mitläufer bereits zur Strafbarkeit führt?
Herr Kollege Pinger, ich habe dazu doch schon vom Materiellen her Stellung genommen. Ich darf noch einmal sagen: Der von mir geschilderte Fall, der einer Meinungsumfrage zugrunde lag, würde sowohl bei Ihrem Eventualvorschlag zur Straflosigkeit führen als auch biei dem Vorschlag des Ausschusses, und infolgedessen dreschen wir doch im Augenblick leeres Stroh, weil insofern beide Vorschläge zu einem vernünftigen und richtigen Ergebnis kommen. Ich muß Ihnen, da Sie einen Eventualantrag eingebracht haben, aber noch einmal sagen: Es wäre viel schöner und politisch klarer gewesen, wenn Sie Ihre Änderungsanträge auf den Umdrucken 17 und 18 überhaupt nicht 'gestellt, sondern von Anfang an zu erkennen gegeben hätten, daß diese Ihre Änderungsanträge in die Mottenkiste gehören. Es wäre viel besser gewesen, wenn Sie Ihren Eventualantrag von Anfang an als Hauptantrag vorgetragen hätten.
Ich darf namens unserer Fraktion beantragen, die drei Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen.
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Das Wort hat Frau
Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Koalitionsfraktionen hat dazu geführt, daß wir uns auch darüber abgesprochen haben, wer zu welchen Punkten in welcher Reihenfolge spricht. Das war der Grund, warum ich mich zunächst zurückgehalten und Herrn Müller-Emmert, wie es vereinbart war, gebeten habe, seine Ausführungen zu machen. Es besteht zwischen den beiden Regierungsparteien volles Einverständnis darüber, wo beim Landfriedensbruch die Grenzlinie zum kriminell Strafbaren zu ziehen ist.
Herr Kollege Pinger, ich möchte Sie auf folgendes hinweisen. Man darf gerade beim Landfriedensbruch nicht nur eine einzelne Bestimmung sehen, sondern muß das Zusammenwirken der verschiedensten Gesetze berücksichtigen. Man muß vor allen Dingen auch die Aufgaben der Polizei sehen und muß ihr - das möchte ich mit aller Eindeutigkeit hervorheben -- diejenigen Mittel und Möglichkeiten geben, die sie, wenn sie schon befürchten muß, daß eine zunächst friedliche Demonstration in eine unfriedliche umschlägt, in die Lage versetzen, einzugreifen, für Ruhe und Ordnung und den Schutz anderer Bürger zu sorgen, die nicht demonstrieren, und zwar für den Schutz ihrer Sachen und ihrer persönlichen Integrität. Das ist selbstverständlich.
Ich darf jetzt doch noch einmal auf das Hearing zurückkommen. Es war für mich insofern sehr aufschlußreich. Die einzelnen Polizeibeamten und Polizeipräsidenten wurden gefragt, wie sie mit unfriedlichen Demonstrationen - nur um solche handelt es sich; friedliche sind erlaubt - fertig würden. Nach den jetzt gültigen weitgehenden Bestimmungen wären die Polizeibeamten an und für sich verpflichtet, in dem Augenblick, in dem eine Demonstration umschlägt, gegen alle, die dabei sind, einerlei ob es sich nun um solche handelt, die Gewalttätigkeiten begehen, ob es Neugierige, Passanten oder Abwiegler sind, ein Strafverfahren einzuleiten.
Sie haben gesagt, das könnten sie nicht, sondern sie könnten in einer solchen Situation praktisch nur gegen den sogenannten harten Kern vorgehen. Der harte Kern - das wurde uns anschaulich geschildert - sind diejenigen, die Gewalttätigkeiten begehen und die nach einer gewissen Strategie, die vorher verabredet wird, einige Reihen anderer Demonstranten, die zwar keine Gewalttätigkeiten begehen, sich aber vor die Gewalttäter stellen, aufbauen, um die Polizei am Zugriff zu hindern. Gegen diese gehen sie vor. Dazu kommen noch die sogenannten Anheizer, wie wir gesagt haben. Das sind diejenigen, die, ohne selbst Gewalttätigkeiten zu begehen, durch entsprechende Zurufe zu einer Gefährlichkeit der Masse, wie ich in diesem Fall sagen möchte, beitragen.
Soweit es sich um diesen harten Kern und was dazu gehört handelt, ist er durch die Formulierung, die vom Sonderausschuß mit Mehrheit beschlossen wurde, vollkommen erfaßt. Sie sind kriminell zu bestrafen, und gegen sie müssen Strafverfahren durchgeführt werden.
Die andere Frage ist jetzt: Was hat die Polizei noch für Rechte? - Herr Kollege Eyrich, Sie schütteln mit dem Kopf. Stellen Sie sich eine solche Situation doch einmal vor! Natürlich wird gesagt, es sei nachher ,sehr schwer festzustellen, wer eigentlich Gewalttätigkeiten begangen habe. Aufgabe der Polizei ist es, zunächst einmal für Ruhe und Ordnung auf den Straßen und für den Schutz des Bürgers zu sorgen, was insofern mit Recht hervorgehoben worden
ist. Sie hat dann die Möglichkeit - man muß ja sowohl das Versammlungsgesetz wie auch die Polizeigesetze sehen -, in dem Augenblick, wo sie sieht, daß die Versammlung, die Demonstration unfriedlich wird, sie aufzulösen. Das wird die erste und natürlichste Reaktion sein. In dem Augenblick, in dem sie sie auflöst, ist damit natürlich die Aufforderung verbunden, sich zu entfernen. Dabei müßte der Polizei aber unbedingt nahegelegt werden, den Betreffenden auch zu sagen - das steht nicht im Gesetz -, in welcher Richtung sie sich entfernen sollen, damit sie nicht auf einmal, wie es schon bei Demonstrationen geschehen ist, wieder vor einer Polizistenkette stehen und nicht weiter können und dadurch in Schwierigkeiten 'kommen. Es müssen also auch die Wege genannt werden, auf denen sich diejenigen entfernen können, die aufgefordert wurden, sich zu entfernen. Aber ,das kann man nicht ins Gesetz schreiben.
Wer sich aber - das ist der Unterschied zu den Vorschlägen, die von seiten der Opposition gekommen sind - trotz dieser Auflösung und trotz der Aufforderung, sich zu entfernen - ob das ein Passant ist oder jemand, der sich nur mit einer friedlichen Demonstration identifiziert und mit den Gewalttätigkeiten nicht einverstanden ist -, nicht entfernt, der begeht nach Art. 2 eine Ordnungswidrigkeit. Er kann von 'der Polizei festgenommen werden. Diese kann die Personalien feststellen. Das wird meist nicht in dem nächsten Polizeirevier erfolgen, sondern etwas weiter weg. Bis dann die Personalien festgestellt sind usw., ist der harte Kern herausgenommen und die übrige Demonstration verlaufen.
So gibt unser Vorschlag also die Möglichkeit, gegen diejenigen, die sich wirklich kriminell verhalten, mit entsprechenden Maßnahmen vorzugehen. Weiterhin hat die Polizei durch die Polizeigesetze, durch das Versammlungsgesetz, durch Art. 2 - über den wir zwar noch nicht abgestimmt haben, über den wir aber ziemlich einig waren - Möglichkeiten, ohne sich zunächst lange überlegen 'zu müssen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und damit ihre polizeiliche Aufgabe zu erfüllen, den Bürger zu schützen, was uns Freien Demokraten und selbstverständlich auch den Sozialdemokraten sehr am Herzen liegt.
Hier wurde vom Kollegen Pinger gesagt, daß die Polizei ihre Aufgabe nicht erfüllen könnte, wenn man diese Strafbarkeit nicht entsprechend dem CDU-Antrag ausdehnt, d. h. auch diejenigen, die als Passanten gar nicht demonstrieren wollen, die sich nicht mit Urfriedlichkeit ,und Gewalttätigkeiten identifizieren, nicht gegebenenfalls auch kriminell bestraft. Die Annahme, daß die Polizei im Stich gelassen werde, trifft aber in gar keiner Weise zu.
Noch ein kurzes Wort zu der immer wieder durchgeklungenen Frage der sogenannten Gefährlichkeit der Masse; wenn ,eine Menschenmenge zusammen sei, dann sei sie damit ipso iure schon gefährlich. - Ich habe gesagt, ,daß es so ,durchklang. Herr Kollege Eyrich, in dem jetzt nicht mehr gebrauchten Ausdruck der Zusammenrottung 'steckte das doch drin. Es schwingt aber immer noch so nach. Das ist, auch wenn Sie mit ,dem Kopf geschüttelt haben, absolut auch in Ihren Vorschlägen enthalten. Sie verlangen nämlich von jemand, der sieht, daß 'da vorn irgendwo ,ein Stein geworfen wird, daß er schleunigst weggeht, auch wenn die Polizei nicht auflöst. Er müsse sich sofort entfernen. Wenn er das nicht tut, mache er sich insofern schon kriminell strafbar. Das geht einfach zu weit.
Bei der Begründung wurde immer wieder auf die Gefährlichkeit der Menge, auf die Erhöhung der Gefährlichkeit hingewiesen, wenn jemand dabei bleibt, obwohl aus der Menge heraus Gewalttätigkeiten geschehen. Das ist ja auch für Sie der Grund, warum Sie zu ,dieser sehr extensiven Strafvorschrift kommen. - Herr Kollege Pinger!
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, ist Ihnen in Erinnerung, daß ich eben immer nur von gewalttätigen Demonstrationen gesprochen habe, nicht etwa von der Gefährlichkeit einer Demonstration überhaupt, und 'daß ich immer nur von der Gefährlichkeit im Hinblick auf weitere Gewalttätigkeiten gesprochen habe?
Ja, Herr Kollege Pinger. Meine Ausführungen haben sich natürlich nur auf die unfriedliche Demonstration bezogen. Es ist doch eine ganz natürliche menschliche Regung, daß jemand aus Neugierde stehenbleibt und guckt: Was passiert denn da? Das müssen Sie doch mit in Betracht ziehen. Jemand, der nicht gleich wegläuft, sondern guckt, was da passiert, soll schon kriminell strafbar sein? Dadurch, daß er sich nicht entfernt, soll er die Gefährlichkeit der Masse bei einer unfriedlichen Demonstration erhöhen?
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- Nur noch ein Wort, Herr Kollege Eyrich.
Ich darf insofern auch 'auf das Hearing und auf die Ausführungen von Herrn Professor Tiedemann verweisen, in denen sehr bestritten wurde, daß überhaupt eine derartige Erhöhung der Gefährlichkeit vorliege.
Herr Kollege Eyrich!
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, würden Sie es nicht auch als eine menschliche Regung ansehen, daß derjenige, der sieht, daß Gewalttätigkeiten verübt werden und er die Aufgaben der Ordnungsorgane erschwert, sich entfernt?
Herr Kollege Eyrich, nur müssen Sie damit rechnen, daß die Menschen außerordentlich unterschiedlich veranlagt sind. Natürlich sind Ihnen und uns diejenigen Bürger die liebsten, die in einem solchen Fall sagen: Oh je, da passiert was, damit will ich nichts zu tun haben, ich gehe weg!
Sie müssen aber auch in mindestens genau demselben Maß damit rechnen, daß - ohne eine entsprechende Identifikation - die reine Neugier obsiegt. Da bin ich nun einmal der Meinung, daß der1970
artige Neugierige nachher nicht als kriminell wegen Landfriedensbruch Vorbestrafte auf Jahre hinaus mit einem derart schweren sozialen Makel belastet sein dürfen. Es genügt, daß sie, wenn sie einer Aufforderung der `Polizei nicht nachkommen, mit einem Bußgeld, gegebenenfalls bis zu 1000 DM, belangt werden. Das spricht sich auch herum. Ein derartiger Bescheid, gegebenenfalls von Presseveröffentlichungen begleitet, spricht sich mehr herum als eine Strafbestimmung, die im Strafgesetzbuch steht.
Auf die angesprochene Problematik der heute zweifellos bestehenden Spannung zwischen versuchter Sachbeschädigung und versuchter Körperverletzung möchte ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß dieses Problem nicht jetzt im Zusammenhang mit den Demonstrationsdelikten gelöst werden kann. Das gehört in den Rahmen der Gesamtreform des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, wenn die die Straftaten gegen Personen betreffenden Bestimmungen beraten werden. Es wäre nicht gut, wenn jetzt vorschnell Entscheidungen in dieser viel komplexeren Frage getroffen werden sollten.
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Das Wort hat Abgeordneter Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, wir sind eben bei Ihrer Rede gewissermaßen in eine ) kleine Diskussion gekommen, und deshalb möchte ich mir erlauben, kurz darauf einzugehen.
Erstens. Es ist richtig und natürlich, daß unsere Vorstellungen von der Fassung und von der Konzeption der Bestimmungen über den Landfriedensbruch andere sind als Ihre. Wir gehen davon aus, daß der loyale Staatsbürger die Verpflichtung hat, sich zu entfernen oder sich nicht anzuschließen, sich nicht zu beteiligen, wenn auf der Straße, in der Öffentlichkeit unfriedliche Vorgänge beginnen oder vor sich gehen.
Nun sollte man nicht sagen - wie das neuerdings immer geäußert wird -, daß eine solche Menge nicht gefährlich sei. Es gab schon bei den alten Römern den Satz „inter arma tacent leges". Diesen Satz habe ich immer so verstanden: Wenn sich jemand beim großen Haufen befindet, tut er manches, was er sonst nicht täte. Genau das sind die Erfahrungen auch bei den Vorgängen des Landfriedensbruchs, die wir hier treffen wollen.
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, wenn man Ihre Konzeption, wie Sie sie ursprünglich in Ihrem Entwurf vorgelegt haben, genau anschaute, mußte man sich wirklich ernsthaft überlegen, ob es dann noch notwendig sei, tatsächlich einen solchen Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen,
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um überhaupt noch etwas unter dem Begriff Landfriedensbruch gefaßt zu haben.
Zweitens. Sie wissen so gut wie ich, daß es einem Gesetzgeber niemals möglich ist, einen Tatbestand so zu formulieren, daß alle, aber auch wirklich alle Fälle so darunter fallen, daß sie wünschenswert gelöst zu werden scheinen. Das muß er einem vernünftigen Gericht überlassen. Ich glaube, bei beiden Vorschlägen, die wir vorlegen, bei dem ursprünglichen und bei dem Alternativvorschlag wird der von Ihnen hier angeführte Fall des jungen Mannes, der da mitläuft, nicht berührt. Das Gericht kann sowohl nach dem § 125 Abs. 4, wenn der Täter keine Gewalttätigkeit begangen hat, als auch nach dem Alternativvorschlag von Strafe absehen, wenn er sich nicht sofort entfernt, was er ja gar nicht kann, und sein Verhalten nicht die Unfriedlichkeit fördert.
Das Letzte. Herr Kollege Dr. Müller-Emmert, Sie wissen genau und erinnern sich, daß ich bei der Anhörung an die Herren Professoren die Frage gerichtet habe, ob es denn nicht so sei, daß die Polizei, wenn sie eine Demonstration in Ordnung zu halten habe, wenn sie hierbei für Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu sorgen habe, in erster Linie die polizeiliche Aufgabe erfülle und daher zunächst einmal nach dem Opportunitätsprinzip vorgehen könne und daß das Legalitätsprinzip im Hintergrund stehe. Sie wissen, diese Meinung ist mir von den Herren bestätigt worden, und es ist mir nicht in Erinnerung, daß man irgendwo der Polizei den Vorwurf gemacht habe, sie habe bei der Aufrechterhaltung der Ordnung bei Demonstrationen das Legalitätsprinzip verletzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Plenarberatung soll ja nicht die Ausschußberatung wiederholen, und
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- einen Augenblick, meine Damen und Herren - als jemand, der nicht dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform angehört, also nicht die subtilen Erwägungen, die dort sicher angesprochen worden sind, kennen kann, bin ich mir der Gefahr bewußt, daß wir sehr in Details gehen.
Herr Kollege Müller-Emmert, ich will aber kurz etwas zu der Formulierung sagen, die der Strafrechtssondernausschuß zu dem § 125 gefunden hat. Ich kann mich nicht mit Ihrer vorhin zweimal gebrachten Erklärung beruhigen, die sachverständigen Herren des Bundesjustizministeriums hätten gesagt, das sei alles so richtig, also sollten wir uns damit zufriedengeben. Das ist wohl nicht ausreichend, wobei ich die Sachkunde der Herren des Bundesjustizministeriums natürlich nicht bestreite. Aber es ist die Aufgabe dieses Hauses und aller seiner Mitglieder, sich eine eigene Meinung zu bilden und nicht noch so sachverständige und kluge Erwägungen der Herren Beamten, die damit befaßt sind, einfach entgegenzunehmen.
({1})
Nun möchte ich etwas fragen, und ich frage deswegen, weil ich wirklich an einer Antwort interessiert bin. Die neue Formulierung ist vorhin ein
bißchen unter der Generalüberschrift „Kompromiß" zelebriert worden, mit Ihrer Bereitschaft, die uns als Vorbild hingestellt worden ist, sei eine wesentliche Erweiterung gegenüber dem Text der bisherigen Fassung des Koalitionsentwurfs erreicht worden. Der wesentliche Fortschritt steckt also darin, daß, abgesehen von den Tätern oder Teilnehmern, auch die bestraft werden - ich zitiere jetzt den Text des Gesetzesentwurfs in der Ausschußfassung -, die auf die Menschenmenge einwirken, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, nämlich zu gewalttätigen Handlungen. Das ist der neue Rechtsbegriff des „Anheizers". Bisher kennt der Jurist den Täter, den Teilnehmer, den Anstifter und was es da sonst noch gibt; zusätzlich haben wir jetzt den „Anheizer". Ich weiß noch nicht, wer rechtlich „Anheizer" ist, der nicht im Rechtssinne entweder Anstifter oder „Beihelfer" ist, also Teilnehmer, und nun unter diesem Begriff strafbar sein soll. Ich fürchte, Herr Kollege Müller-Emmert, daß Sie mit dieser Erweiterung gar niemanden fassen werden - mit Ausnahme eines Falles, den ich Ihnen gleich noch schildern will -, daß Sie also -
Herr Abgeordneter Benda, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, wenn ich den Satz beendet habe, Herr Präsident. - - daß Sie also wahrscheinlich sich selber oder uns oder beiden etwas vormachen, wenn Sie meinen, über den Kreis der unmittelbaren Täter oder Teilnehmer hinaus könnte irgend jemand erfaßt werden.
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Frau Kollegin Diemer-Nicolaus wollte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Frau Kollegin!
Herr Kollege Benda, würden Sie mir zugestehen, daß der „Aasheizer", wie wir ihn jetzt nennen, Teilnehmer ist, Beihilfe leistet? Ich hatte ihn an und für sich schon in unserer ursprünglichen Gesetzesvorlage als „Teilnehmer" mit erfaßt geglaubt. Es ist jetzt nur verdeutlicht worden. Es sollte damit kein neuer juristischer Begriff geschaffen, sondern nur eine besondere Teilnahmehandlung verdeutlicht werden.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, Sie haben, möchte ich sagen, juristisch recht. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mir soeben bestätigt haben, daß eine Erweiterung des Kreises der Leute, die erfaßt werden sollen - wie sie allerdings vorhin behauptet worden ist, nicht von Ihnen, aber von Herrn Kollegen Müller-Emmert und anderen Herren -, in Wirklichkeit nicht vorgenommen ist, so 'daß wohl meine These, Sie hätten sich selber oder uns beiden etwas vorgemacht, von einer beinahe offiziellen Seite, nämlich von einem Mitglied der Regierungskoalition, bestätigt worden ist. Ich kann mich für diese Mitteilung bei Ihnen nur bedanken.
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Jetzt darf ich den einen Fall nennen. Herr Kollege de With, wir haben darüber neulich ein Gespräch geführt. Es ist nicht meine Art, den Inhalt von Gesprächen hier bekanntzugeben; aber wenn Sie einverstanden sind, will ich den Fall, den Sie geschildert haben, als mögliches Beispiel anführen, wobei ich den Namen weglasse.
Sie haben vorhin als Berichterstatter gesagt, und so steht es auch im Schriftlichen Bericht an der entsprechenden Stelle, die Einwirkung auf die Menschenmenge könne auch eine psychische Einwirkung sein. Was ist das nun? Der Fall, den wir in unserem interessanten Gespräch neulich behandelt haben, war der eines Menschen, der schon des öfteren einschlägig in Erscheinung getreten ist. Man kennt ihn. Dieser Mensch tritt immer dann in Erscheinung, wenn es zu Gewalttätigkeiten kommt. Er steht also in einem gewissen Geruch. Der ist also in einer Veranstaltung da und tut folgendes: er lehnt an einem Baum, hat auch noch die Hände in den Taschen, trägt einen uns allen bekannten Namen, außerdem lange Haare, und, was das Schlimmste ist, ein bestimmtes Lächeln auf den Lippen. Durch diese Summierung in einem bestimmten Verhalten heizt er die Leute 'an. Die sehen ihn da, und dann stürzen sie voller Wut oder Begeisterung auf die nächste Fensterscheibe und zerschmeißen sie, um einen noch relativ harmlosen Fall zu nehmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn eine Rechtsprechung in dem Bemühen, aus dem, wie Frau Kollegin Diemer-Nicolaus soeben 'bestätigt hat, an sich inhaltlosen Zusatz etwas herauszupressen, auf den - ich sage ausdrücklich: völlig abwegigen - Gedanken käme, auf Grund der Unterstellung: „Den Mann kennen wir, der muß also auch in dieser neuen Situation zur Gruppe der „Anheizer" gerechnet werden, ohne daß man mehr ermitteln kann" noch etwas zu machen. Ich warne Sie vor der Rechtsunsicherheit und vor der Gefahr eines Mißbrauchs einer solchen Klausel, einer Gefahr, die auf diesem Wege entstehen wird.
({1})
Ich will die Grundproblematik, weil ich jetzt zum Ende kommen möchte, nicht noch einmal aufgreifen. Der einzige Ausweg, aus dem Dilemma herauszukommen, ist, da Sie nicht in das Herz der Leute in einer zu Gewalttätigkeiten neigenden Menge oder einer Menge, aus der heraus Gewalttätigkeiten verübt werden, hineinsehen können und sie Ihnen auch nicht sagen werden, was sie im Einzelfall beabsichtigen, daß man an ihr äußeres Verhalten anknüpft. Das kann nicht das bloße Dabeistehen sein; darin stimme ich Ihnen zu. Es kann aber - und sollte nach meiner Auffassung - das Verbleiben dann sein, wenn entweder die Situation jedem vernünftigen Menschen klar macht, daß er durch sein Verbleiben die Gewalttätigkeit fördert, oder - zweite verfahrensmäßige Möglichkeit - daß er durch die Polizei einmal, zweimal oder von mir aus dreimal aufgefordert, also darauf hingewiesen wird, daß sein Verbleiben am Ort die Unfriedlichkeit und die Gewalt1972
tätigkeiten fördert oder ihre Abstellung behindert. Das ist die einzige Möglichkeit, aus dem Dilemma - das ich mit Ihnen sehe - herauszukommen.
Ihre Formulierung ist, ich sage es noch einmal, entweder inhaltsleer - so Frau Diemer-Nicolaus -, oder sie ist eine zu Mißbrauch verführende und eine schwammige Formel, die zu willkürlicher Auslegung führt. Ich überlasse es Ihnen, zu entscheiden, welches gefährlicher ist. Ich halte beides für gleich gefährlich.
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Weitere Wortmeldungen zu den Änderungsanträgen? - Herr Abgeordneter Pinger!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zwei Sätze! Wenn wir die Unsicherheit im Strafrecht beseitigen wollen und jetzt in der Regierungskoalition, wie sich zeigt, und zwar unter den Spezialisten Müller-Emmert und Frau Diemer-Nicolaus, eine völlige Unklarheit über die Auslegung dieser wesentlichen Bestimmung in diesem Kernpunkt besteht,
({0})
dann muß ich feststellen, daß eine neue Unklarheit ins Gesetz gebracht wird,
({1})
wenn der Vorschlag, den der Sonderausschuß beschlossen hat, Gesetz wird.
({2})
- Frau Diemer-Nicolaus versteht es auch nicht!
Weitere Wortmeldungen? - Frau Diemer-Nicolaus!
Ein Satz zur Klarstellung! Herr Kollege Pinger und Herr Kollege Benda, es besteht überhaupt keine Divergenz über die Auslegung der Teilnahmehandlungen und über das, was darunterfällt, zwischen der SPD und der FDP.
({0})
Ich sehe keine Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar nach der Vereinbarung der Fraktionen über die Anträge auf den Umdrucken 17, 18 und 20. Besteht Klarheit darüber? Zunächst stimmen wir - - Herr Vogel, bitte!
Umdruck 20 ist ein Alternativantrag.
Das weiß ich. Ich nehme an, daß Sie ihn alternativ stellen für den Fall, daß die beiden anderen abgelehnt werden. - Genau. Das ist das, was ich dem Hause zu sagen versuchte.
Umdruck 17! Wer für die Annahme dieses Änderungsantrages ist, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr Umdruck 18! Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr Eventualantrag auf Umdruck 20! Wer dem Antrag auf Umdruck 20 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit abgelehnt. Damit sind alle drei Änderungsanträge abgelehnt.
Wir stimmen über Nr. 6 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit, nur umgekehrt - andersherum -, angenommen.
Nr. 7! - Keine Wortmeldungen. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Nunmehr Art. 2! - Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einige Enthaltungen. Im übrigen mit derselben Mehrheit angenommen.
Art. 3! Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 19 *) vor. Zur Begründung Abgeordneter! Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, daß man danach streben müsse, die Zahl- der Kriminaltatbestände zu vermindern. Dieser Meinung sind wir auch. Aber wir kennen die Grenzen, und wir haben andere Grenzen, als sie die Koalitionsparteien hier einhalten.
Es soll also der § 23 des Versammlungsgesetzes überhaupt aufgehoben werden. § 23 stellt unter Strafe - und zwar unter eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren -, wenn jemand
. . . öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften, Schallaufnahmen, Abbildungen oder Darstellungen zur Teilnahme an einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder einem verbotenen Aufzug auffordert, . . .
Was sind nun verbotene Versammlungen in der Öffentlichkeit oder verbotene Aufzüge? Es sind zunächst einmal diejenigen Versammlungen und Aufzüge, die nach § 15 verboten werden können, weil sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden. Es sind nach § 16 diejenigen Versammlungen und Aufzüge, die die Bannmeile des Bundestages und der Parlamente verletzen.
*) Siehe Anlage 7
Wenn § 23 des Versammlungsgesetzes aufgehoben wird, so bedeutet das, daß derjenige, der eine solche Aufforderung ausspricht, nach § 111 StGB wie ein Anstifter bestraft wird. Da er aber nur zu einer Übertretung anstiftet, wird er lediglich mit Haft oder später Freiheitsstrafe bis zu 6 Wochen oder mit Geldstrafe bedroht. Das scheint uns nicht die Pönalisierung zu sein, die für die Aufforderung zu verbotenen Versammlungen und Aufzügen notwendig ist.
Meine Damen und Herren, der loyale Bürger braucht ein Strafrecht. Er kommt auch ohne Widerstand zu seinem Recht und auch ohne verbotene Aufzüge und Demonstrationen zu seinem Recht auf öffentliche 'Kundgebung seiner Meinung. Hier geht es um die Aufforderung zum Beginn des Aufstandes. Diese Aufforderung lediglich wie eine Anstiftung zu einer Übertretung zu bestrafen, scheint uns im Hinblick auf die Bedürfnisse der Ordnung unseres Staates und der Sicherheit unserer Bürger nicht ausreichend zu sein.
Wir sind mit Ihnen durchaus darin einer Meinung, daß die bisherige Strafdrohung bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zu hoch ist. Wir schlagen daher eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. Die kriminelle Pönalisierung einer solchen Aufforderung scheint uns auch in Zukunft unbedingt notwendig zu sein.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es paßt nicht zusammen, daß, wenn der Täter nur wegen einer Übertretung bestraft wird, derjenige, der 'zu dieser Übertretung auffordert, wegen eines Vergehens bestraft wird. Wir meinen daher, daß derjenige, der zu einer Übertretung auffordert, auch nur wegen einer Übertretung bestraft werden soll. Aus diesem Grunde beantragen wir, diesen Änderungsantrag abzulehnen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 19 zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr über Art. 3 der Ausschußvorlage ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 4, 5, 6, 7, 8, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - 'Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Artikel sowie Einleitung und Überschrift sind angenommen.
({0})
- Die dritte Beratung soll heute nachmittag erfolgen, wird mir gesagt. Ist das Haus einverstanden? -({1})
- Ist das Haus nichteinverstanden? -Gut, dann haben wir noch bis 13 Uhr Zeit, und ich rufe zur dritten Beratung auf. - Wird das Wort gewünscht? ({2})
- Die Herren Geschäftsführer rufen mir 'zu, daß die dritte Beratung heule nachmittag nach der Fragestunde beginnen soll. Ich glaube, das ist ein Wort, dem man sich zu beugen hat. Wir beginnen um 14 Uhr 'mit der Fragestunde.
Ich unterbreche ,die Sitzung bis 14 Uhr.
({3})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Wir kommen zu Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksachen VI/525, VI/532 Wir haben zwei Dringliche Mündliche Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen vorliegen. Anwesend ist der Herr Bundesminister Dr. Möller. Ich rufe zunächst die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Luda von Drucksache VI/532 auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundesregierung beabsichtigt, die für das erste Quartal vorgesehene erste Tranche für die Konjunkturausgleichsrücklage durch einen Bundesbankkredit zu finanzieren?
Bitte schön, Herr Minister!
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Meine Antwort auf Frage 1 lautet: Nein, 'diese Mitteilungen treffen nicht zu. Die zu erwartende Aufkommensteigerung bei den laufenden Einnahmen und die restriktive Ausgabenpolitik im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung des Bundes werden dazu führen, daß die erste Rate der Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes in Höhe von 750 Millionen DM zum 3,1. März 1970 aus laufenden Einnahmen gezahlt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda.
Fristgemäß gezahlt werden kann, Herr Minister? Das ist wichtig angesichts der Tatsache, daß die Konjunkturausgleichsrücklage ja eigentlich schon Ende vorigen Jahres hätte gebildet werden müssen.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Luda, Sie sind im Irrtum. Diese Konjunkturausgleichsrücklage muß gebildet werden auf Grund einer Entschließung der Bundesregierung,
({0})
einer Verständigung mit den in Frage kommenden
Instanzen einschließlich der Bundesbank und auf
1974 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Grund der für Bund und Länder gleichlautenden Vereinbarung, daß die erste Rate am 31. März 1970 und die zweite und letzte Rate bis zum 30. Juni 1970 eingezahlt sein müssen.
Was ich erklärt habe, bedeutet also, daß diese Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes bis zum 31. März 1970 mit einer Rate von 750 Millionen, aus laufenden Einnahmen stammend, eingezahlt werden wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda.
Herr Minister, werden an diese Stelle globale Minderausgaben treten, wie es im Bundesrat gefordert worden ist?
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Luda, ich glaube, wir werden uns in den Beratungen des Haushaltsausschusses unschwer über eine zweckmäßige Etatisierung verständigen. Wenn wir zunächst einen Leertitel vorgesehen haben, dann deswegen, weil der Bundeshaushalt eingebracht wurde, bevor der Beschluß über die Bildung der Konjunkturausgleichsrücklage gefaßt worden war. Da war es zunächst das Einfachste, einen Leertitel vorzusehen. Ich bin zu jeder anderen vernünftigen Lösung, die durch ein Gespräch mit dem Haushaltsausschuß zustande kommt, bereit. Da wird es keinerlei Schwierigkeiten geben.
Ich rufe nunmehr die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Dr. Luda aus Drucksache VI/532 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zu bestätigen, daß der durch das Stabilitätsgesetz angestrebte Stabilisierungeffekt nur dann erreicht werden kann, wenn die Konjunkturausgleichsrücklage aus stillzulegenden Kassenmitteln gebildet wird?
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Auf diese Frage kann ich nur einfach und schlicht mit Ja antworten. Vielleicht darf ich hinzufügen, Herr Kollege Luda, ,daß ich mit Ihnen der Meinung bin, daß auf diese Weise unzweifelhaft der erwünschte Stabilisierungseffekt erreicht wird. Deswegen kann ich zu dieser Frage uneingeschränkt ja sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Luda.
Herr Minister, wie glauben Sie glaubhaft klarmachen zu können, daß jede Manipulation mit Kassenkrediten der Bundesregierung bei der Deutschen Bundesbank ausgeschlossen erscheint?
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Indem ich Sie nicht bitte, mir ein Vertrauen schenken, das eine solche Auslegung ausschließt, sondern Sie bitte, dieses Vertrauen wenigstens der Deutschen Bundesbank entgegenzubringen.
Keine Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister Dr. Möller.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Ich rufe aus Drucksache VI/525 die Frage 1 des Herrn Abgeordneten von Thadden auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung zu verhindern, daß die Zinsbelastung von Althauseigentümern, die vom Bund zinsverbilligte Instandsetzungs- oder Modernisierungsdarlehen erhalten haben, durch die Erhöhung des Diskontsatzes ansteigt?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens.
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege von Thadden, die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, eine Erhöhung der Zinsbelastung von Althauseigentümern, die vom Bund verbilligte Kapitalmarktdarlehen für die Instandsetzung und Modernisierung aufgenommen haben, zu verhindern. Die Bundesregierung sieht jedoch eine Zinserhöhung nur insoweit als unvermeidbar an, als sich diese Erhöhung am Sparzins orientiert. Im Gegensatz zum Diskontsatz, der innerhalb eines Jahres um 4 1/2 Prozent angehoben worden ist, wird z. B. der Spareckzins in der vergleichbaren Zeit eine Anhebung um 1 1/2 Prozent erfahren.
Keine Zusatzfrage? Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen erledigt. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Ravens.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Ich rufe die Fragen 2 und 3 des Herrn Dr. Schmidt ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auch in Deutschland in zunehmendem Umfang Kinder auf dem Wege der sogenannten heterologen Insemination erzeugt werden?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtslage hinsichtlich des Vorganges selbst, der Beziehungen der daran Beteiligten ({1}) zueinander und insbesondere die Rechtsstellung des auf diesem Weg erzeugten Kindes?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Jahn.
Der Bundesregierung ist bekannt, daß in der Bundesrepublik Kinder durch heterologe künstliche Insemination gezeugt werden und daß es Anhaltspunkte für eine gewisse Zunahme ihrer Zahl gibt. Zuverlässige Angaben über die genaue Zahl fehlen. Auf dem Deutschen Ärztetag 1959 ist die Zahl der durch künstliche Insemination gezeugten Kinder im Bundesgebiet auf 1000 geschätzt worden. Von dieser Schätzung ist auch der im Jahre 1962 vorgelegte Entwurf eines Strafgesetzbuches ausgegangen. Da- bei wurde angenommen, daß es sich in der Mehrzahl um Kinder handele, die durch heterologe Insemination gezeugt worden sind. Wahrscheinlich müssen diese Schätzungen korrigiert werden.
Nach einer Umfrage, auf die etwa zwei Drittel aller in Schleswig-Holstein tätigen Ärzte geantBundesminister Jahn
wortet haben, überwiegt die Zahl der homologen Inseminationen die der heterologen erheblich. Aus derselben Umfrage ergibt sich, daß Ende 1967 in Schleswig-Holstein nur vier Kinder bekannt waren, deren Zeugung auf heterologer Insemination beruhen kann. Es ist allerdings möglich, daß die entsprechenden Zahlen in anderen Ländern der Bundesrepublik höher liegen, zumal da sich dort vereinzelt Arbeitskreise gebildet haben, die sich der heterologen Insemination in besonderem Maße annehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß, wie Mandt in seiner Arbeit „Zur Neukodifikation des ärztlichen Strafrechts" feststellt, die österreichische Strafrechtskommission die Strafbarkeit der heterologen Insemination abgelehnt hat, da der Wunsch nach dem Kind als Beweggrund nicht verwerflich sei und eine Strafverfolgung in unerträglicher Weise in die Intimsphäre der Eheleute eingreife?
Dies ist der Bundesregierung erstens bekannt, und zweitens deckt es sich mit ihrer eigenen Auffassung.
Eine zweite Zusatzfrage.
Teilt die Regierung diese Meinung - das ist die erste Frage, die ich gestellt habe - und auch die im Alternativ-Entwurf von 1968 von vierzehn Strafrechtlern vertretene Auffassung, daß die Vorschrift über die künstliche Samenübertragung ersatzlos gestrichen werden sollte?
Es ist nicht beabsichtigt, daß die Bundesregierung für die Schaffung einer solchen Strafvorschrift eintritt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Ich danke Herrn Bundesminister Jahn.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Eppler hier. Ich rufe die Frage Nr. 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Hein auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Förderung einer Woche der Begegnung mit Asien im Rahmen der diesjährigen Ruhr-Festspiele aus Entwicklungshilfemitteln?
Bitte schön, Herr Minister!
Herr Kollege, die Ruhrfestspiele Recklinghausen haben mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit folgende Ensembles für das diesjährige Festspielprogramm nach Recklinghausen eingeladen:
1. eine Tanzgruppe aus Cochin, Indien, von 17 Personen,
4. eine Tanzgruppe aus Madras, Indien, von neun Personen,
5. ein Ensemble des Nationaltheaters Bangkok, Thailand, von 45 Personen,
6. ein Ensemble aus Bali, Indonesien, von 45 Personen,
7. ein klassisches Chinesisches Orchester aus Singapur, das sich zur Zeit der Ruhrfestspiele ohnehin auf einer Tournee in der Schweiz aufhält.
Die Bundesregierung - 'in diesem Fall das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit - fördert aus ihren Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit die Begegnung mit Asien im Rahmen der Ruhrfestspiele 1970 als Beitrag zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Dritten Welt. Die Bereitschaft der Ruhrfestspiele, die Begegnung mit Asien in das diesjährige Festspielprogramm aufzunehmen, bietet eine 'besonders günstige Gelegenheit, den Einbahnweg von Industrie- zu Entwicklungsländern zugunsten einer ebenbürtigen Gegenseitigkeit zu durchbrechen. Partnerschaft setzt voraus, daß beide Seiten geben und nehmen, und dies nicht nur im ökonomischen Bereich. Die Bundesregierung ist daher den Ruhrfestspielen dankbar, daß sie diesen Gedanken aufgegriffen und im Einklang damit für die Woche der Wissenschaft der Ruhrfestspiele 1970 das Thema „Auf dem Weg zur Einen Welt" gewählt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hein.
Herr Bundesminister, messen die 'beteiligten Entwicklungsländer der Aktion die gleiche Bedeutung bei wie die Bundesregierung?
Ja, Herr Kollege. Der :stellvertretende Leiter der Ruhrefstspiele hat auf seiner Asienreise feststellen können, daß in diesen Ländern ein außerordentlich großes Interesse für diese Veranstaltung vorhanden ist.
Eine weitere Zusatzfrage 'des Herrn Abgeordneten Hein.
'Herr Bundesminister, handelt es sich hierbei um eine einmalige Aktion, oder ist bereits an weitere Projekte ähnlicher Art gedacht worden?
Herr Kollege, wenn sich diese Woche als ein Erfolg herausstellt, wie wir hoffen, so möchten wir gern 'auch anderen Kulturkreisen in ähnlicher Weise eine Möglichkeit zur Darstellung in 'der deutschen Öffentlichkeit geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Ruhrfestspiele Recklinghausen gerade das geeignete Instrument sein können, Widerstände gegen den Gedanken der Entwicklungshilfe, die in weiten Teilen der Bevölkerung noch vorhanden ist, zu überwinden, so daß auch von daher der Einsatz von Mitteln, selbst wenn die Empfängerländer nicht mit der Meinung der Bundesregierung übereinstimmen, gerechtfertigt wäre?
Ja, so ist es.
keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Borm auf:
Ist die Bundesregierung angesichts ihrer Einstellung, die Familienplanung als eine wichtige Aufgabe ihrer Politik in den Entwicklungsländern anzusehen, bereit, solchen Ländern, die dies wünschen, kostenlose Hilfe in Form von Arzneimitteln zu gewähren?
Herr Kollege Borm, daß die Bundesregierung der Familienplanung in Entwicklungsländern große Bedeutung zumißt, können Sie schon daraus ersehen, daß ich die Berufung in den beratenden Ausschuß des UN-Bevölkerungsfonds durch Generalsekretär U Thant sofort angenommen habe. Daraus ergibt sich auch, daß wir auf diesem Gebiet multilaterale Anstrengungen vorziehen, weil sie auch weniger politische Ressentiments wecken.
Maßnahmen der Familienplanung sind in erster Linie unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten einer gezielten und umfassenden Familienberatung zu betrachten und sinnvoll in das entwicklungspolitische Gesamtkonzept einzuordnen. Die Geburtenregelung in engerem Sinne, mit der die angesprochene Hilfe in Form von Arzneimitteln zusammenhängt, kann und darf davon nicht isoliert werden. Aus diesen Gründen steht die Bundesregierung der von Ihnen aufgeworfenen Frage mit Zurückhaltung gegenüber. Sie könnte auch künftig nur dann erwägen, Mittel für die Lieferung von Arzneimitteln für den genannten Zweck im Rahmen der Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, wenn das zur Ausstattung von integrierten Beratungsprogrammen ratsam erschiene.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister Dr. Eppler.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Dorn anwesend.
Die Fragen 12 und 13 des Herrn Abgeordneten Arnold werden vorgezogen. - Der Abgeordnete Arnold ist nicht im Saal. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei dem von ihr geplanten Presserechtsrahmengesetz eine einheitliche Regelung des Gegendarstellungsanspruchs auch für den Anzeigenteil der Zeitungen ins Auge zu fassen, so daß nicht, wie es bisher z. B. in Rheinland-Pfalz der Fall ist, der durch eine falsche Tatsachenbehauptung Geschädigte für den Abdruck der Gegendarstellung auch noch „die üblichen Einrückungsgebühren" entrichten muß?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Mertes, die Frage, ob über den redaktionellen Teil einer Zeitung hinaus, der naturgemäß dem Inhalt nach in der eigenen Verantwortung des Herausgebers liegt, auch der Anzeigenteil einer Zeitung dem Gegendarstellungsanspruch unterliegen muß, ist bisher in der Rechtsprechung und im Fachschrifttum umstritten. Hierbei ist zu bedenken, daß die inhaltliche Richtigkeit privater Anzeigen vom Herausgeber der Zeitung regelmäßig nicht nachgeprüft werden kann. Aus diesem Grunde verneinen die meisten Landespressegesetze überhaupt einen Gegendarstellungsanspruch für Anzeigen, die ausschließlich dem geschäftlichen Verkehr dienen. Für die übrigen Anzeigen wird zwar ein Gegendarstellungsanspruch zugelassen, jedoch müssen hierfür in den Ländern Berlin, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz die üblichen Einrückungsgebühren gezahlt werden. Eine einheitliche Regelung der Kostenfrage fehlt also.
Die Vorarbeiten zum Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes haben ergeben, daß der Gesetzgeber wohl einen Mittelweg gehen muß. Eine ausgewogene Lösung wird der Bund noch im Gespräch mit den Ländern suchen. Dies gilt auch für die Kostenfrage. Die Konzeption des Bundes ist insoweit also noch völlig offen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatssekretär, falls es nicht gelingt, hier eine entsprechende Regelung 'zu finden, würde also weiterhin die Gefahr bestehen, daß ein finanziell Schwächerer nicht in der Lage ist, im Wege einer eigenen Anzeigenaktion fragwürdigen Behauptungen in einer Anzeige entgegenzutreten?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, Sie haben in der Prämisse vorausgesetzt: „falls es nicht gelingt, eine Regelung zu finden". Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß eine Regelung gefunden werden kann. Wenn keine Regelung gefunden werden könnte, sind wir natürlich in bestimmten Ländern an die dort gültigen Pressegesetze dieser Länder gebunden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 7 der Frau Abgeordneten Lauterbach auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, Auskunft über Zahl und Größenordnung derzeit vorhandener Autofriedhöfe in der Bundesrepublik Deutschland zu geben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin, nach dem im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheitswesen vom Battelle-Institut im Oktober 1968 vorgelegten Gutachten über die Beseitigung von Autowracks wurden für Herbst 1968 in der Bundesrepublik Deutschland 2122 Sammelplätze für Altautos gezählt. Davon entfielen 76 auf die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und West-Berlin. Auf den 2046 Plätzen der übrigen Bundesländer lagerten etwa 208 500 Autowracks. Diese Plätze nahmen insgesamt eine Fläche von 570 ha ein. Rein rechnerisch ergibt sich dabei ein Durchschnitt von rund 100 Fahrzeugen pro Sammelplatz von durchschnittlich 2700 qm Größe. Der Anteil der Plätze mit einem Bestand bis zu 50 Altautos betrug allerdings etwa 60 % davon. Für das Jahr 1969 wurde ein Anstieg des Altautoanfalls gegenüber 1968 von etwa 17 % errechnet.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 der Frau Abgeordneten Lauterbach auf:
Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß die Beseitigung der Autofriedhöfe sowohl ein dringendes gesundheitliches wie auch wirtschaftliches Anliegen ist, und welche Maßnahmen hat sie angesichts der ständig steigenden Zahl der Autowracks zur Lösung dieses Problems geplant?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung hat sich zunächst bemüht, mit dem bereits genannten Gutachten des Battelle-Instituts eine umfassende Lösung für das Autowrack-Problem aufzeigen zu lassen. Danach werden für eine laufende und wirtschaftliche Beseitigung dieser Autowracks etwa 20 zentrale Verwertungsanlagen benötigt, die Investitionskosten von ungefähr 100 Millionen DM erfordern. Die Bundesregierung hat die für die Beseitigung zuständigen Länderressorts gebeten, die Vorschläge des Battelle-Instituts zu prüfen und möglichst rasch zu realisieren.
Verhandlungen der zuständigen Länderressorts mit der Industrie, insbesondere mit der Studienkommission des Bundesverbandes des Deutschen Schrottgroßhandels und der Studiengesellschaft für Schrottverwertung der Vertragsgesellschaften der Stahlindustrie, haben zu folgendem Ergebnis geführt. Die Industrie nimmt in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Battelle-Institutes an, daß die Kosten der Beseitigung ohne finanzielle Zuwendungen von dritter Seite aus dem Schrotterlös gedeckt werden können. Die Anzahl der notwendigen Beseitigungsanlagen wird in Abweichung von dem Gutachten jedoch nur mit zehn angegeben. Die Industrie bemüht sich bereits darum, die erforderlichen Beseitigungsanlagen zu errichten. Es ist zu erwarten, daß das Problem der Beseitigung von Autowracks auf diese Weise in den nächsten Jahren befriedigend gelöst wird.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Lauterbach.
Hält die Bundesregierung das in Amerika angewandte und dort vielfach bewährte Shredder-Verfahren für eine Lösungsmöglichkeit dieses Problems auch bei uns ?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das ist eine der Lösungsmöglichkeiten, die sich hier anbieten könnten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Link auf. Ist der Abgeordnete Link im Saal ? - Das ist nicht der Fall. Dann wird diese Frage schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Link.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg auf:
Kann die Bundesregierung inzwischen mitteilen, welche konkreten Hilfsmaßnahmen - zur Ergänzung der Maßnahmen in den Ländern - zugunsten der Hochwassergeschädigten sie beschlossen oder in Aussicht genommen hat, um die generellen Zusagen der Bundesminister des Innern und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu erfüllen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär !
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, nach Abstimmung mit den Bundesministern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Finanzen darf ich die Frage wie folgt beantworten:
Erstens: Ob und in welchem Umfange subsidiäre finanzielle Hilfeleistungen .des Bundes für den Ausgleich der Privatpersonen entstandenen Hochwasserschäden notwendig werden, kann erst gesagt werden, sobald der Umfang dieser Hochwasserschäden und die Belastung der Länder im einzelnen ermittelt sind. Ich habe mich deswegen am 25. Februar und am 3. März 1970 fernschriftlich an die Innenminister der betroffenen Länder gewandt. Auch der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat die Landwirtschaftsminister der Länder am 27. Februar 1970 fernschriftlich um nähere Angaben zu den Hochwasserschäden gebieten. Die schwierigen Feststellungen konnten in den Ländern bisher aber noch nicht abgeschlossen werden. Soweit eine finanzielle Hilfeleistung ides Bundes in Betracht kommt, wind sie den Ländern gewährt werden. Die Abwicklung der Einzelfälle bleibt den zuständigen Behörden der Länder und den kommunalen .Gebietskörperschaften überlassen.
Zweitens: Da bereits jetzt übersehbar ist, daß die Gemeinden und Länder durch die Hochwasserkatastrophe erheblich belastet werden, ist der Bundesfinanzminister gebeten worden, im gesamtstaatlichen Interesse auf die Erstattung der für den Einsatz von Bundeskräften entstandenen Kosten zu verzichten. Für das Technische Hilfswerk hat der Bundesminister Finanzen diesem Antrag bereits entsprochen. Ähnliche Regelungen für die übrigen Einsatzkräfte des Bundes sind zu erwarten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
. Dr. Schulze-Vorberg ({0}) : Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung darauf hinwirken, daß den Betroffenen steuerliche Vergünstigungen gewährt werden? Können 'Sie dazu etwas Konkretes sagen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Dazu kann ich heute leider noch nichts Konkretes sagen, Herr Kollege Schulze-Vorberg, weil die Bundesregierung erst einmal eine Übersicht haben muß; wie das in den einzelnen betroffenen Gebieten aussieht und inwieweit die Länder nun tatsächlich auf die Hilfe der Bundesregierung ,angewiesen sind. Erst wenn das völlige Ausmaß dieser notwendigen finnanziellen Hilfeleistungen bekannt ist, kann die Bundesregierung von sich aus Überlegungen anstellen, in welcher Form diese Hilfeleistung dann gewährt wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Schließt die Bundesregierung aus der Tatsache, daß hier ein Antrag der Regierungsfraktionen vorliegt und immer wieder Anfragen zu diesem Thema von Abgeordneten unseres Hauses kommen, daß in diesem Fall eine Hilfe durch den Bund auch aus dem Hause dringend gefordert wird, und ist 'diese Hilfe nicht etwas schneller, zügiger 'zu realisieren?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Von seiten des Bundes leider nicht, Herr Kollege Schulze-Vorberg, weil nämlich der Bund einfach auf das Zahlenmaterial, das er von den Ländern mehrfach angefordert hat, angewiesen ist. Solange uns dieses Zahlenmaterial nicht vorliegt, können wir 'natürlich keine Hilfsmaßnahmen konkret umreißen oder irgendwelche Zusagen machen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zu Iden Fragen .14 und 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Gleißner. Ist Herr Dr. Gleißner im Saal? - Das ist nicht der Fall; die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack auf. - Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 17 und 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß neuere Forschungen ergeben haben, daß durch Schwefeldioxyd, das einen Hauptbestandteil der verunreinigenden Substanzen in der Luft darstellt, Erbschädigungen hervorgerufen werden?
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gegen die steigenden Emissionen von Schwefeldioxyd vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, das Schwefeldioxyd ist in erster Linie ein Reizgas und wirkt vor allem auf die Atmungsorgane. Das in der Luft befindliche ,Schwefeldioxyd zersetzt sich sehr schnell und dürfte in den vorhandenen Konzentrationen keine Erbschäden verursachen. Mir ist auch aus der internationalen Fachliteratur kein derartiger Hinweis bekannt.
Die Emissionen von Schwefeldioxyd können durch eine Entschwefelung ' der Brenn- und Treibstoffe oder durch eine Entfernung des SO2 aus dein Abgas verringert werden. Die Bundesregierung fördert deshalb seit Jahren die technische Entwicklung entsprechender Verfahren und 'Einrichtungen. Die bisherigen Ergebnisse lassen erkennen, daß es technisch möglich ist, eine Verringerung der S02-Emissionen zu erreichen. Es fehlt noch die Aussage über die Kasten, die bei Anwendung dieser Entschwefelungsverfahren im praktischen Betrieb entstehen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die „Süddeutsche Zeitung" vom 8. März einen ausführlichen Bericht über amerikanische Untersuchungen bringt, daß man dort festgestellt habe, daß Schwefeldioxyd erhebliche Erbschädigungen herbeiführt und daß dieses Schwefeldioxyd in erster Linie aus Autoabgasen und Abgasen von Heizkraftwerken und Industriefeuerungen kommt?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerdes Innern: Mir persönlich ist das nicht bekannt, aber ich bin gern bereit, in der zuständigen Abteilung des Hauses diese Frage noch einmal prüfen zu lassen. Nach den bisher vorliegenden Unterlagen in unserem Hause war darüber nichts bekannt, was zu einem derartigen Schluß Anlaß gäbe.
Noch eine weitere Zusatzfrage.
Nach diesem Bericht ist es sogar so, daß das Schwefeldioxyd von Pflanzen aufgenommen wird, die etwa in Gärtnereien am Straßenrand stehen und zum späteren menschlichen Genuß bestimmt sind, dadurch weitergegeben wird und diese Wirkung erzielt.
Herr Kollege, wollten Sie eine Frage stellen?
({0})
- Sie haben eine Mitteilung gemacht. Sie sollten eine Frage stellen.
({1})
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich werde diese Frage in
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
meinem Hause mit in den Prüfungskreis der ersten von Ihnen gestellten Frage einbeziehen und Ihnen dann eine schriftliche Antwort zukommen lassen, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Schiller ({0}) auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 21 und 22 des Herrn Abgeordneten Müller ({1}) auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 23 und 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf. - Der Herr Abgeordnete ist ebenfalls nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher ({2}) auf:
Ich frage die Bundesregierung: Mit welcher Begründung wurden zwei von den vier Flüchtlingen, die am Dienstag, dem 17. Februar 1970, bei Bärnau im Landkreis Tirschenreuth die tschechoslowakische Grenze zur Bundesrepublik Deutschland überschritten, den tschechoslowakischen Behörden zurücküberstellt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Becher, die Rücküberstellung von zwei der vier tschechoslowakischen Staatsangehörigen wurde am 17. Februar 1970 durch bayerische Behörden vorgenommen. Das Bundesministerium des Innern ist von der Angelegenheit erst nachträglich im Rahmen der laufenden Berichterstattung zur Grenzlage durch die bayerischen Behörden unterrichtet worden.
Als Begründung für die Rücküberstellung ist in einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern folgendes mitgeteilt worden:
Die vier tschechoslowakischen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 21 Jahren haben bei getrennten Vernehmungen angegeben, aus Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und wegen angeblich zu geringer Entlohnung nach Deutschland gekommen zu sein. Die Frage, ob weitere, insbesondere politische Gründe für das Verlassen des Heimatstaates maßgebend waren, wurde ausdrücklich verneint. Es lagen auch sonst keinerlei Anhaltspunkte vor, die auf eine Verfolgung aus politischen Gründen hätten schließen lassen. Die Ausländer hatten zudem übereinstimmend ausgesagt, daß bei ihrer Flucht auch ein gewisses Maß an Abenteuerlust eine Rolle gespielt habe. Diese Darstellung erscheint dem Bayerischen Staatsministerium des Innern angesichts des Alters der Grenzgänger überzeugend.
Die zwei tschechoslowakischen Staatsangehörigen wurden von der bayerischen Grenzpolizei nach Einschaltung des Landratsamtes Tirschenreuth, der Regierung der Oberpfalz und der Staatsanwaltschaft am Grenzübertritt Schirnding rücküberstellt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, ist bei Flüchtlingen, die unter Einsatz ihres Lebens über eine tiefverschneite Grenze aus einem Land kommen, das durch die sowjetische Okkupation in seiner freien Lebensart schwer 'beeinträchtigt wurde, nicht zunächst einmal ,anzunehmen, daß sie aus Gründen in die Bundesrepublik kommen, die mit der Freiheit ihres Lebens zusammenhängen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das mag in vielen Fällen zutreffend sein, Herr Kollege Dr. Becher. In dieser Frage sind wir aber auf die Mitteilungen des bayerischen Innenministeriums angewiesen, und diese habe ich Ihnen bekanntgegeben. Bei diesen beiden Flüchtlingen scheint das eindeutig nicht der Fall gewesen zu sein.
Eine zweite Zufrage, Herr Becher.
Herr Staatssekretär, darf ich angesichts der Tatsache, daß es sich hier weniger um eine Angelegenheit der Länder als um ein wirkliches Problem der Menschlichkeit handelt, fragen, ob alle Vorschriften eingehalten worden sind, um diesen jungen Menschen - denn alte Menschen von 80 Jahren könnten ja in einem solchen Fall nicht über die Grenze kommen - die Chance eines ordentlichen Gehörs zu geben? Ist Ihnen nicht aus der Presse bekannt, daß u. a. behauptet wurde, zwei von ihnen seien mit der Feststellung zurückgewiesen worden, daß sie wegen krimineller Angelegenheiten geflohen seien? Wer hat das überprüft, und woher kam diese Nachricht?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium des Innern: Die Nachricht traf nach meinen Informationen nur auf einen der beiden Beteiligten zu. Auch diese Nachricht stammt aus dem bayerischen Innenministerium.
Keine weitere Zusatzfrage - Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für möglich, um Flüchtlingen, die unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens Grenzsperren überschreiten, die Chance gründlichen Gehörs sowie des vorläufigen Aufenthaltes zu gewähren?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bunministerium des Innern: Zur Behandlung von Ausländern, die ihren Heimatstaat aus Furcht vor einer drohenden politischen Verfolgung verlassen. und in die Bundesrepublik Deutschland kommen, enthalten das Ausländergesetz 'in § 38 und die dazu ergangene allgemeine Verwaltungsvorschrift eine klare und nach Auffassung der Bundesregierung ausreichende
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Regelung. Diese sieht insbesondere eine sorgfältige Vernehmung vor. Nach Mitteilung des bayerischen Staatsministeriums das Innern ist eine solche auch in dem Fall, den Ihre Frage betrifft, durchgeführt worden. Dabei hat sich aus ,den eigenen Aussagen der Betroffenen ergeben, daß sie zu dem Grenzübertritt nicht durch Gründe bestimmt worden sind, welche die Gewährung von Asyl rechtfertigen könnten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, darf man in solchen Fällen nicht annehmen, daß es auch bei Anwendung der Vorschriften des Asylgesetzes notwendig ist, Flüchtlingen die Chance zu geben, vor einer oder mehreren Instanzen gehört zu werden, und ihnen auch eine gewisse Rechtsaufklärung zu geben ?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Becher, ich gehe mit Sicherheit davon aus, daß das bayerische Staatsministerium des Innern diese Erwägungen bei der Vernehmung der beiden Betroffenen, bevor sie rücküberstellt worden sind, mit in seine Betrachtungen einbezogen hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staats- Sekretär, sind Sie nicht mit mir der Überzeugung, daß dieser Vorfall, der weithin Aufsehen erregt hat, Veranlassung geben sollte, daß das Innenministerium mit den hier meist betroffenen Länderinnenministern noch einmal die Vorschriften überprüft, damit hier ein gerechtes, menschliches Verfahren sichergestellt wird?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Becher, ich kann hier nur noch einmal betonen, daß auf Grund der gesetzlichen Regelungen, die wir in der Bundesrepublik und in den Ländern haben, eindeutig klar ist, daß jeder, der aus politischen Gründen bei uns um Asyl nachsucht, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen behandelt wird. Wie aber die Untersuchung nach Auskunft des bayerischen Staatsministeriums des Innern eindeutig gezeigt hat, lag ein solcher Fall, den Sie voraussetzen, hier konkret nicht vor, so daß also die Bundesregierung von sich aus, selbst wenn sie die notwendige Zuständigkeit dafür hätte, in dieser Frage nach der Gesetzeslage nicht anders hätte entscheiden können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 27 ist vom Fragesteller, Abgeordneter Müller ({0}), zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Wolfram auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Naturparke ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Raumordnung sind und in jedes Entwicklungsprogramm gehören?
Bitte schön, Herr Staatssekretär !
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wolfram, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß Naturparke, sowohl aus Gründen der Landschaftserhaltung und
entwicklung als auch zur Erholung ein wichtiger Bestandteil der Raumordnungs- und Entwicklungspolitik für bestimmte Räume sein können. Sie meint jedoch, daß Naturparke deshalb kein unverzichtbarer Bestandteil der Raumordnung sind, weil die Ausweisung und der Aufbau von Naturparken jeweils von den landschaftlichen Gegebenheiten abhängig sind.
Demzufolge können Naturparke nur in bestimmten Gebieten ausgewiesen werden. Der Aufbau von Naturparken ist nur eine Möglichkeit zur Deckung des Bedarfs an Erholung. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten, z. B. den Ausbau von Erholungsgebieten oder von Freizeitparkanlagen.
Dessenungeachtet mißt die Bundesreigerung den vielfach durch Privatinitiative ausgelösten Bestrebungen um die Erhaltung und Entwicklung der Landschaft durch die Naturparke im Rahmen ihrer Raumordnungspolitik erhebliche Bedeutung bei.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Wolfram auf.
In welchem Umfang ist die Bundesregierung im Rahmen der derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung bereit, finanzielle Mittel für die Ausgestaltung der Naturparke bereitzustellen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, im Haushalt des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zur Förderung von Naturparken und Landschaftsschutzmaßnahmen jährlich 900 000 DM vorgesehen. Auch im Haushaltsplan für das Jahr 1970 ist dieser Betrag enthalten. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß nach Inkrafttreten der Finanzreform für die Förderung der Naturparke ausschließlich die Länder zuständig sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht ,die Bundesregierung eine Möglichkeit, vor allem Naturparks in der Nähe von Ballungszentren - ich erinnere z. B. an den Naturpark Hohe-Mark am Rande des Ruhrgebiets - eine besondere Förderung zuteil werden zu lassen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung wird in Abstimmung mit den Ländern diese Mittel mit
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
Sicherheit verteilen. Ich kann mir vorstellen, daß die Länder bei den Beratungen, die im Endergebnis dann zu dieser Abstimmung führen müssen, Prioritäten setzen werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmt die Behauptung des Verbandes deutscher Naturparke, daß der Bund 1969 760 000 DM bereitgestellt hat? Wenn das so ist, wäre in der mittelfristigen Finanzplanung eine Erhöhung des 69er-Betrages vorgesehen.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich könnte mir denken, Herr Kollege, daß hier wie bei vielen anderen Haushaltspositionen der Unterschied zwischen Soll- und Ist-Zahlen eine Rolle spielt. Ich kann das im Augenblick nicht konkret nachprüfen; ich halte das aber für die wahrscheinlichste Erklärung dieses Zahlenunterschieds.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dorn.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Trifft es zu, daß seitens des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit daran gedacht wird, die Verwendung von Chloroform in Zahncreme zu regeln?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Miltner, für die Beurteilung von Inhaltsstoffen kosmetischer Erzeugnisse liegen bis auf wenige Fälle noch keine wissenschaftlich gesicherten Ergebnisse vor. Deshalb ist auf meine Veranlassung hin beim Bundesgesundheitsamt eine Kosmetikkommission gebildet worden, die sich auch mit den Rechtsangleichungsarbeiten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften befaßt.
In der Sitzung dieser Kommission vom 27./28. November 1969 wurde auch die Frage behandelt, ob und gegebenenfalls inwieweit die Verwendung von Chloroform bei der Herstellung von Zahnpasten als unbedenklich angesehen werden kann. Eines der wissenschaftlichen Kommissionsmitglieder übernahm damals den Auftrag, alle bisherigen Erkenntnisse über die Toxizität von Chloroform zusammenzustellen. Aus dieser Sachlage ergibt sich, daß ein konkretes Vorhaben, Vorschriften über die bei der Herstellung von Zahnpasten zulässigen Stoffe zu erlassen, noch nicht besteht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß das der einzige Grund dafür sein kann, daß bei Erzeugern und beim Handel über diese Frage Unruhe entstanden ist?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Mir ist nicht bekannt, daß bei Erzeugern und beim Handel Unruhe entstanden ist.
Ich rufe nunmehr die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Ist es richtig, daß eine solche Regelung schon seit längerem beabsichtigt ist, nunmehr aber im Hinblick auf den möglichen Beitritt Großbritanniens in die EWG zurückgestellt wurde, weil dort dieser Fragenkomplex liberal geregelt ist?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Auf Grund der zur ersten Frage gemachten Ausführungen beantworte ich diese Frage mit einem eindeutigen Nein.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen dann zu den Fragen 56 und 57. Herr Abgeordneter Dr. Pohle ist nicht im Saal. Die beiden Fragen werden schriftlich beantwortet.
Dann komme ich zur Frage 58 des Abgeordneten Dr. Slotta. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe dann die Frage 59 des Abgeordneten Josten auf:
Wie ist der Stand der organisatorischen Vorbereitungen für die Errichtung von Ausbildungsförderungsamtern entsprechend dem am 1. Juli 1970 in Kraft tretenden Ersten Ausbildungsförderungsgesetz in den einzelnen Ländern?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Josten, das Ausbildungsförderungsgesetz wird im Auftrag des Bundes durch die Länder durchgeführt. Die Einrichtung der Behörden sowie die weiteren organisatorischen Vorbereitungsararbeiten sind danach Angelegenheit der Länder.
Um entsprechend § 27 des Ausbildungsförderungsgesetzes Ämter für Ausbildungsförderung einrichten zu können, sind in einigen Bundesländern - z. B. in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und im Saarland - besondere Organisationsgesetze erforderlich. Für die Bundesregierung besteht kein Anlaß anzunehmen, daß die Vorbereitungsarbeiten in den Bundesländern nicht rechtzeitig abgeschlossen sein werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der zuständige Ausschuß für Familien- und Jugendfragen bei seinen Beratungen im
Frühjahr vergangenen Jahres den Termin für das Inkrafttreten dieses Gesetzes so spät vorschlug, weil die Ländervertreter zusicherten, bis zu diesem Zeitpunkt die Ausbildungsförderungsämter errichtet zu haben?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Josten, es ist mir selbstverständlich bekannt, daß dieser Zeitpunkt für das Inkrafttreten des neuen Gesetzes auch unter diesen Gesichtspunkten gewählt worden ist. Auf Grund von Erörterungen mit den Ländern besteht für mich kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Länder die erforderlichen Vorschriften rechtzeitig erlassen. Das Bundesministerium für. Jugend, Familie und Gesundheit wird weiterhin mit den Ländern im Gespräch bleiben, damit die Ausbildungsförderungsämter bald geschaffen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, ist es nicht angesichts des Vorhandenseins des Gesetzes zur rechtzeitigen Vorbereitung von jungen Menschen, die diese Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen wollen, notwendig, daß der Öffentlichkeit möglichst schnell bekannt wird, an wen man sich jetzt schon wegen der Informationen wenden kann?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Wir sind bemüht, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Gesetzes durch Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung aufzuklären. Die zweite Frage des Kollegen Josten zielt ein wenig näher in diese Richtung, so daß ich dann noch darauf antworten kann. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß alle Bundesländer darin übereinstimmen, daß die Ausbildungsförderungsbehörden bei den Städten bzw. Landkreisen errichtet 'werden. Über Einzelheiten können nun die Länder Auskunft geben.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß Informationen und Antragstellung für das Erste Ausbildungsförderungsgesetz ausreichend vorbereitet sind?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes wurde auf das Ausbildungsförderungsgesetz in Fernsehen, Rundfunk und Presse in großem Umfang hingewiesen. Mit rechtlichen Einzelfragen haben sich in der Zwischenzeit zahlreiche Fachzeitschriften befaßt; auf individuelle Bitten hin sind durch das Ministerium Informationsschriften versandt worden. Es ist beabsichtigt, vor Inkrafttreten des Gesetzes im Mai und Juni 1970 erneut Publikationen über dieses bedeutende sozialpolitische Leistungsgesetz herauszugeben. Die Vorbereitungen dafür werden zur Zeit getroffen. Danach wird das am 1. Juli 1970 in Kraft tretende Ausbildungsförderungsgesetz bei den hierdurch begünstigten Bevölkerungsschichten hinreichend bekannt sein. Die Vorbereitung für die Antragstellung, nämlich die Erarbeitung der Antrags- und Bearbeitungsvordrucke sowie der zur Durchführung erforderlichen Bestimmungen, wurden auf einer Konferenz der Vertreter des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit und der Länder vom 11. bis 13. März 1970, also am Anfang dieser Woche bzw. am Ende der vergangenen Woche, dem Abschluß zugeführt. Die Bundesregierung ist danach der Auffassung, daß die für die Antragstellung nach dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz erforderlichen Vorbereitungen getroffen sind oder noch rechtzeitig getroffen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß viele Tausende der Familien in der Bundesrepublik auf einfache und klar verständliche Informationen über das Erste Ausbildungsförderungsgesetz warten, auch in Form von Anzeigen in den Tageszeitungen informieren?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich werde prüfen, ob dies zweckmäßig ist und ob gegebenenfalls finanzielle Mittel zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß dieses Gesetz von einer Bedeutung wie vielleicht auch das Wohngeldgesetz sein wird - und für uns Abgeordnete so wichtig -, wären Sie bereit, dafür zu sorgen, daß uns Abgeordneten für die Verwendung in den Sprechstunden eine kurz gehaltene Information über die Möglichkeiten zur Verfügung gestellt wird?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin selbstverständlich gern bereit, dafür zu sorgen, und danke für die Anregung.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Gölter auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um eine generelle Vorsorgeuntersuchung von Kleinkindern in die Wege zu leiten?
Bitte, Herr Staatsekretär.
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Gölter, in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien sind Modelle für VorunterParlamentarischer Staatssekretär Westphal
suchungen von kleinen Kindern 'entwickelt worden, die von einem dem jeweiligen Lebensalter entsprechenden, durchschnittlichen körperlichen und geistig-seelischen Entwicklungsstand ausgehen. Die Bundesregierung wird zunächst gemeinsam mit den für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerien der Länder darauf hinwirken, wissenschaftlich entwickelte Vorsorgeuntersuchungsmodelle in bestimmten Städten und Landkreisen über einen längeren Zeitraum durch Ärzte erproben zu lassen. Ziel solcher Vorsorgeuntersuchungen soll sein, Erkenntnisse über ,die Aussage und Anwendbarkeit der Untersuchungsmodelle bei kleinen Kindern zu gewinnen. Bei vertretbarem Personal- und Zeitaufwand soll größtmögliche Aussagekraft erreicht werden, damit durch Ausschluß bzw. Früherkennung von angeborenen Leiden oder krankhaften Störungen die betroffenen kleinen Kinder schon früh einer intensiven Behandlung zugeführt werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Gölter.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, ,daß Haltungsschäden, wie sie insbesondere bei der Musterung zutage treten, sehr stark auf Versäumnisse zurückgehen, die allenfalls in den ersten Lebensjahren korrigiert werden können, und daß gerade deshalb einer generellen Vorsorgeuntersuchung allgemein erhöhte Bedeutung zukommt?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin zwar kein Arzt, möchte Ihnen aber zustimmen. Allerdings muß ich darauf hinweisen, daß die Zuständigkeit des Bundes für die Regelung von Vorsorgeuntersuchungen sehr beschränkt ist. Der Bundesminister für Jugend, Familie 'und Gesundheit wird insbesondere durch Entwicklung von Untersuchungsmodellen zu Fortschritten verhelfen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist Ihr Ministerium bereit, in dieser Richtung mit den Ländern Gespräche zu führen, um eine einheitliche Regelung auf einem gütlichen Wege zwischen Bund und Ländern herbeizuführen?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist mit den Ländern im Gespräch. Das trifft insbesondere für die Erprobung von Untersuchungsmodellen zu.
Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, bei diesen Gesprächen darauf hinzuweisen, daß diese Untersuchungen auch auf dem flachen
Lande durchgeführt werden, weil gerade dort wegen des Ärztemangels solche Untersuchungen oft gar nicht stattfinden?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin bereit, darauf hinzuweisen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Götz auf. Herr Dr. Götz ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; ebenfalls die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Götz.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der oft recht brutalen Fernsehserien der beiden deutschen Fernsehprogramme, insbesondere an Sonntagnachmittagen, auf die psychische Entwicklung zuschauender Kinder und Heranwachsender?
Bitte schön!
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Apel, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bereitet gegenwärtig die Vergabe eines Forschungsauftrags vor, der unter anderem auf diese Frage zum Gegenstand haben wird, da gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswertung vor Darstellungen brutaler Handlungen auf Kinder und Jugendliche bislang nicht vorliegen. Es überwiegt allerdings die Auffassung, daß derartige Darstellungen geeignet sind, vor allem labilen jungen Menschen als Verhaltensmodelle zu dienen.
Speziell hinsichtlich des Fernsehens ist darauf hinzuweisen, daß die Rundfunkanstalten einer Staatsaufsicht nicht unterliegen. Auch die geltenden Jugendschutzgesetze erstrecken sich nicht auf Fernsehsendungen. Lediglich in § 10 des Staatsvertrages über das Zweite Deutsche Fernsehen ist eine Bestimmung aufgenommen worden, die besagt, daß Sendungen, die geeignet sind, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen, nicht vor 21 Uhr veranstaltet werden dürfen.
Eine Zusatzfrage, des Herrn Abgeordneten Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß gerade das ZDF sich eben nicht an die im Staatsvertrag enthaltene Regelung hält, sondern durchaus Sonntagsnachmittagssendungen der von mir kritisierten Art ausstrahlt?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin nicht in der Lage, Ihnen im einzelnen darauf zu antworten. Da ich aber Mitglied des Fernsehrates des von Ihnen genannten Zweiten Deutschen Fernsehens bin, habe ich die Gelegenheit
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal wahrgenommen, in einer Sitzung dieses Fernsehrates auf diese Dinge hinzuweisen. Man ist dort durchaus bereit, Untersuchungen anzustellen, um mehr Erkenntnisse zu gewinnen. Sie sehen, daß die Anstalten auf diesem Gebiet eigene Überlegungen anstellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Untersuchungen in den USA bekannt, die in die Richtung meiner Frage gehen und die insbesondere auch in den USA sicherstellen wollen, daß gewisse Fernsehzeiten, die besonders für Heranwachsende die interessanten sind, von einer gewissen Art von Sendungen freigehalten werden?
Westphal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Mir persönlich sind diese Untersuchungen nicht bekannt. Aber bei dem, was wir auf diesem Gebiet zu tun beabsichtigen, werden wir uns sicherlich auch der Erkenntnisse bedienen, die in anderen Ländern, z. B. in den USA schon vorliegen oder zu erwarten sind.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Westphal.
Wir kommen zu den Fragen ,aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, uni die in den USA ergriffene Initiative, die Luftverschmutzung durch Strahltriebwerke von Düsenmaschinen durch einen Umbau der Triebwerke auf ein Mindestmaß zu begrenzen, auch in der Bundesrepublik Deutschland zu realisieren?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, durch einen gemeinsam mit dem Lande Nordrhein-Westfalen finanzierten Forschungsauftrag soll der Beitrag der Luftverschmutzung durch den Luftverkehr in der Umgebung eines großen deutschen Verkehrsflughafens ermittelt werden. Bisherige Untersuchungen haben eine zusätzliche Luftverschmutzung durch Flugbetrieb nicht feststellen können. Ungeachtet dessen werden jedoch auch in der Bundesrepublik Deutschland Maßnahmen vorgesehen, die Fluggesellschaften veranlassen, ihre Triebwerke entsprechend dem technischen Stand so umzurüsten, daß die sichtbaren Rauchfahnen verschwinden. Solche Maßnahmen würden nach Erkenntnissen über den Grad der Verschmutzung und seiner Verringerung bindende Vorschriften an die Halter der Luftfahrzeuge sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Erfahrungen hat die Deutsche Lufthansa mit den raucharmen Sätzen der Triebwerke, die sie seit einiger Zeit in eine Reihe von Boeing-Flugzeugen eingebaut hat, bisher gemacht?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fenmeldewesen: Soweit mir bekannt ist, sind die entsprechenden Geräte ausgezeichnet.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, Pressemeldungen zu bestätigen, die darauf hinweisen, daß in. den USA mit relativ geringen Kosten eine Umrüstung möglich wird und auf diese Art und Weise die Belästigung der gerade in den Einflugschneisen lebenden Bevölkerung durch die Rauchschwaden der Düsenflugzeuge abnimmt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen ja angedeutet, daß wir der Meinung sind, daß hier etwas geschehen muß. Die Untersuchung ist eine Vorbereitung dieser Maßnahmen.
Ich darf darauf hinweisen, daß es ja nicht nur um die Umrüstung deutscher Flugzeuge geht, sondern daß das Problem, das Sie ansprechen, international ist und auf jedem Großflughafen auftritt. Wir müssen möglichst erreichen, über internationale Organisationen oder zumindest in dem Teil des Nordatlantiks mit starkem Luftverkehr, diese Regelung gleichmäßig durchzusetzen, um entsprechende Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung bereit, den Antrag der Deutschen Lufthansa auf Erhöhung der Flugpreise im innerdeutschen Verkehr um 14 % vom 1. Juni 1970 an zu genehmigen, und sieht die Bundesregierung diese Maßnahme noch in Einklang mit ihrer am 28. Februar 1970 in den deutschen Tageszeitungen veröffentlichten Anzeige, wonach sie ihre Absicht zur Sicherung der Stabilität mit der Feststellung unterstreicht: „Die Preise sollen nicht hochgetrieben werden?"
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, der innerdeutsche Luftverkehr der Deutschen Lufthansa ist wegen seiner extrem kurzen Streckenlängen besonders kostenintensiv und seit Jahren defizitär. Nachdem in letzter Zeit erhebliche weitere Kostensteigerungen zu verzeichnen sind, läßt sich eine erneute Zurückstellung des Lufthansa-Antrags, wie dies im Herbst 1968 geschehen ist, nicht mehr rechtfertigen. Die relativ geringen Mehreinnahmen von jährlich etwa 15 Millionen DM nach der Erhöhung dienen lediglich zur Abdeckung des Defizits. Eine stimuParlamentarischer Staatssekretär Börner
lierende Wirkung auf die Erhöhung anderer Verbraucherpreise ist nicht zu erwarten. Die Bundesregierung ist daher der Ansicht, daß eine Genehmigung des Lufthansa-Antrags im Einklang mit den von Ihnen genannten Veröffentlichungen steht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß diese Meinung der Bundesregierung in Widerspruch steht zur Meinung des Sachverständigenrates in seinem Gutachten vom 1. Dezember 1969, in dem es wörtlich heißt:
Als Anbieter im Verkehrs- und Nachrichtenwesen könnte der Bund darauf verzichten, die Tarife während der preispolitisch besonders kritischen Periode anzuheben.
Und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir im Augenblick eine solche besonders kritische Periode haben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ich darf Sie darauf hinweisen, daß im Zusammenhang mit der Lufthansa nicht der Bund der Anbieter ist, sondern eine Gesellschaft, an der auch private Aktionäre teilhaben, und daß von daher bestimmte Verpflichtungen bestehen, wirtschaftliche Grundsätze einzuhalten.
Eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie die Stellung des Bundes im Unternehmen „Deutsche Lufthansa" weniger hoch bewerten als die Beteiligung von privaten Aktionären an diesem Unternehmen und daß Sie nicht bereit sind, dem vielleicht bestehenden Druck von dieser Seite seitens des Bundes ein entsprechendes Gewicht entgegenzusetzen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Nein, Herr Kollege, es handelt sich nicht um Druck, es handelt sich unter Umständen um Schadenersatzpflicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Ausführungen des Kollegen Müller-Hermann gestern abend in Bonn bekannt, als er darauf hinwies, daß bei den durch das Kabinett genehmigten Tariferhöhungen sicherlich das ständige Insistieren der Opposition und sein eigenes Insistieren hilfreich gewesen sei? Und erkennen Sie nicht darin, daß Herr Müller-Hermann über preistreibende Wirkungen von Tariferhöhungen ganz anderer Ansicht ist als der Kollege Dr. Riedl?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich kann dazu nur sagen, daß die von Ihnen zitierte Äußerung und die Meinung, die hier von Herrn Dr. Riedl vertreten wurde, die außerordentliche Meinungsbreite in der Opposition darstellt.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Mursch ({0}) auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, daß bei der endgültigen Fassung der bundeseinheitlichen Richtlinien für die Güteüberwachung von Straßenbaustoffen ({1}) für alle natürlichen und festen Gesteine das bewährte Verfahren der Güteüberwachung beim Zement für den Straßenbau übernommen wird, um so eine neutrale Prüfung zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr hat bezüglich der Zemente, die im Bundesfernstraßenbau Anwendung finden sollen, in Ergänzung zu den einschlägigen DIN-Normen besondere Lieferbedingungen, die zusätzliche Güteanforderungen enthalten, eingeführt. Die vom Bundesminister für Verkehr für die Auswahl von Zement für Bundesfernstraßen getroffene Regelung ist nicht vergleichbar mit den in den „Richtlinien für die Güteüberwachung von Straßenbaustoffen" angegebenen Verfahren zur Güteüberwachung von Gesteinen. Abgesehen davon ist die für die Auswahl von Zement vorgesehene Prüfung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen aus technischen und personellen Gründen nicht auch bei Straßenbaugesteinen möglich.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen dann zu den Fragen 68 und 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger. Herr Kollege Jenninger ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Grüner auf:
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung den Meldungen bei, nach denen eine zeitliche Begrenzung der Gesprächseinheiten im örtlichen Telefonverkehr geplant ist, und welche Auswirkungen und Kosten hätte diese Maßnahme, falls der Plan der Deutschen Bundespost verwirklicht werden sollte?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Präsidentin, ich bitte darum, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr. Kollege damit einverstanden ist.
Dann rufe ich noch die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Grüner auf:
Ist die Bundesregierung in Anerkennung des Rechtsgrundsatzes, daß Gebühren nicht zur Subventionierung benutzt werden dürfen, auch vorbehaltlich der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereit, die Telefongebühren von derzeit 18 DM Grundgebühr und 0,18 DM für die Gesprächseinheit angesichts der jährlichen zum Ausgleich defizitärer Postdienstleistungszweige verwendeten Überschüsse zu senken?
Bitte schön!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bundespost untersucht zur Zeit alle denkbaren Möglichkeiten, durch Einführung einer neuen Gebührenerfassungstechnik die Tarifgrenzen elastischer gestalten zu können. Hierbei wird auch die Möglichkeit der zeitlichen Begrenzung der Gesprächseinheit im Ortsverkehr in die Überlegungen einbezogen. Welche Lösung dem Interesse der Kunden ebenso wie dem der Post am besten gerecht wird, ist zur Zeit noch nicht abzusehen. Angaben über Auswirkungen und Kosten können deshalb noch nicht gemacht werden.
Es trifft nicht zu, daß mit Gebühreneinnahmen aus dem Fernmeldewesen Postdienstzweige subventioniert werden. Soweit ein Kostenausgleich stattfindet, ist dieser vom Postverwaltungsgesetz vorgesehen, das die Deutsche Bundespost als Einheit betrachtet und das bestimmt, daß das dem Post- und Fernmeldewesen gewidmete Vermögen sich aus seinen Einnahmen zu tragen hat und keine Zuschüsse aus der Bundeskasse erhält.
Es ist im übrigen festzuhalten, daß die aus den Gebühreneinnahmen des Fernmeldewesens stammenden Überdeckungen auch nicht annähernd für die erforderlichen Investitionen ausreichen. Es müssen deshalb erhebliche Fremdfinanzierungsmittel aufgenommen werden.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob Untersuchungen darüber angestellt wurden, wie eine Entlastung des Fernsprechnetzes durch die Einschränkung der Zeitdauer bei Ortsgesprächen erreicht werden könnte, und ob es überhaupt eine Möglichkeit gibt, derartige Untersuchungen anzustellen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe angedeutet, daß wir das untersuchen. Ich möchte aber gerade von dieser Stelle aus den Technikern nicht vorgreifen. Ich werde mir erlauben, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf die Frage zurückzukommen, da sich aus den bisherigen Berichten wirklich noch keine endgültige Aussage ergibt.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen 72 und 73 des Herrn Abgeordneten Geldner. Der Herr Abgeordnete Geldner ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner auf:
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Verschuldung der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und der Forderung der DDR nach einem finanziellen Ausgleich für die unterschiedlich starke Inanspruchnahme der Post im innerdeutschen Verkehr?
Bitte schön!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär 'beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Forderung der Postverwaltung der DDR auf Abrechnung des innerdeutschen Post- und Fernmeldeverkehrs beruht . darauf, daß die DDR-Postverwaltung bei einzelnen Dienstzweigen wie z. B. im Paketdienst größere Verkehrsleistungen erbringt und damit finanziell mehr belastet ist als die Deutsche Bundespost. Ein Zusammenhang dieser Forderungen mit der allgemeinen Verschuldung der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ist nur insoweit zu sehen, als für die Abwicklung der Postzahlungen das gleiche Konto verwendet wird wie für den gesamten Dienstleistungsbereich des innerdeutschen Handels.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob in den Gesprächen mit Vertretern der DDR über Ausgleichszahlungen der Bundespost jemals angedeutet worden ist, daß ein enger Zusammenhang zwischen dem Fortgang der Verhandlungen und der zunehmenden Verschuldung besteht?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wie Sie wissen, sind diese Verhandlungen noch nicht beendet. Ich möchte den weiteren Fortgang nicht durch Äußerungen zu Detailproblemen von dieser Stelle präjudizieren.
({0})
Keine weitere
Zusatzfrage. Als letzte Frage rufe ich die Frage 75
des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf:
Ist die Regierung bereit, den in den Großstädten München, Hamburg, Berlin und Hannover eingerichteten ärztlichen Notdiensten der kassenärztlichen Vereinigungen, bei denen die Fahrten zur Heranbringung der Notärzte an die Patienten durch Funktaxen erfolgen, leicht merkbare Fernsprechnummern mit mehreren Anschlußleitungen zuzuweisen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Antwort lautet: Ja, entsprechende Rufnummern werden seit längerem zugeteilt.
Keine weitere Zusatzfrage. - Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Börner.
Wir kehren zurück zu dem Tagesordnungspunkt 2, dem Strafrechtsreformgesetz. Ich rufe die
dritte Lesung
auf. Wird das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Vogel!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen in der dritten Lesung des Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts. Ich darf sagen, daß wir am Ende eines relativ ungewöhnlichen Gesetzgebungsvorganges stehen. Wir haben es mit einem wichtigen Teilbereich der Strafrechtsreform zu tun, aber wir müssen feststellen, wir haben hierzu keine Regierungsinitiative, wir haben bis heute keine Stellungnahme der Bundesregierung zum Inhalt dieses Gesetzes, und wir haben eine von vornherein beabsichtigte Terminfixierung, was die Verabschiedung dieses Gesetzes angeht, eine Terminfixierung zu Beginn einer Legislaturperiode, und dies angesichts der Tatsache, daß der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform anschließend keine besondere Materie zu bearbeiten hat. Ich glaube, wir sollten das sehr aufmerksam feststellen, und ich habe die Frage, ob das wirklich ein Stil ist, in dem mehr an Demokratie praktiziert wird, als das früher hier der Fall war.
({0})
Wir stellen mit Bedauern fest, daß dieser wichtige Teilbereich der Strafrechtsrefom in diesem Hause nicht mit breiter Mehrheit verabschiedet werden kann. Es hat auf unserer Seite Kompromißbereitschaft gegeben. Unsere Fraktion hat gestern eine sehr weitgehende Kompromißbereitschaft gezeigt. Wir haben einen Kompromiß erörtert, Herr Kollege Müller-Emmert, in dem wir bis an die äußerste Grenze dessen, was wir glauben von unseren Ausgangspositionen her vertreten zu können, gegangen sind. Wir haben das deshalb getan, weil wir der Auffassung sind, daß der Kern dieses Gesetzeswerkes die Vorschrift über den Landfriedensbruch ist, und wir wären bereit gewesen, zugunsten einer befriedigenden Regelung in diesem Bereich auf manche unserer Vorstellungen von anderen Vorschriften dieses Gesetzes zu verzichten.
({1})
Ich stelle das nicht etwa deshalb ausdrücklich fest, meine Damen und Herren, weil wir uns in die letzte oder vorletzte Position unseres Grabens begeben hätten, sondern deshalb, weil wir der Auffassung sind, daß wir gerade im Bereich des Landfriedensbruchs versuchen sollten, noch das letzte für die Sicherung des Gemeinschaftsfriedens herauszuholen.
Wir haben die Hoffnung gehabt - und wir hatten sie noch gestern -, daß die SPD schließlich auch beim Landfriedensbruch - wie schon bei der Irrtumsregelung hinsichtlich des Widerstandes gegen die Staatsgewalt - der auch in ihren Reihen ja vertretenen klareren Einsicht bezüglich dieses Tatbestands folgen würde. Wir sind in dieser Hoffnung enttäuscht worden. Wir waren bereit, erhebliche Bedenken zurückzustellen; wir waren bereit, bis an die äußerste Grenze zu gehen. Aber das, was Sie uns mit der Vorlage des Sonderausschusses angeboten haben, kann unsere Zustimmung nicht finden. Ich stelle hier noch einmal fest: Das ist meilenweit von dem entfernt, was wir in unserem Antrag auf Umdruck 20 heute morgen vorgelegt haben. Ich möchte gar keinen Zweifel daran lassen, daß diese beiden Bestimmungen in ihrem Inhalt erheblich voneinander abweichen.
Herr Kollege Müller-Emmert hat heute morgen gemeint, unsere Bereitschaft, auf diese Fassung des § 125 - Landfriedensbruch - in dem Antrag Umdruck 20 zurückzugehen, sei darauf zurückzuführen, daß wir Sorge hätten, wie wir denn in der Öffentlichkeit mit unseren Vorstellungen ankämen. Herr Kollege Müller-Emmert, ich kann Sie hier sehr wohl beruhigen. Wir haben unsere eigenen Vorstellungen darüber, mit was wir in der Öffentlichkeit ankommen. Ich sage Ihnen aber weiter: Uns geht es im im übrigen nicht darum, wie wir damit in der Öffentlichkeit ankommen, sondern uns geht es hier um das, was richtig und was falsch ist. Wir sind der Auffassung, daß das, was uns vorgeschlagen worden ist, falsch ist. Wir sind der Auffassung, daß das richtig wäre, was wir in unserem Entwurf vorgeschlagen haben.
({2})
Und wir sind der Auffassung, daß das, was wir im Kompromißwege angeboten haben, auch unter diesem Gesichtspunkt soeben noch vertretbar gewesen wäre.
Ich darf hier feststellen, daß wir uns außerstande sehen, dem Entwurf in der Fassung, wie sie in der zweiten Lesung verabschiedet worden ist, zuzustimmen. Unsere Fraktion wird gegen diesen Entwurf stimmen. Damit haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einen schlechten Start in dieser Legislaturperiode, was die weitere Arbeit an der Strafrechtsreform angeht. Ich habe die Hoffnung, daß sich das in anderen Teilbereichen der Strafrechtsreform nicht fortsetzen wird.
Ich darf einiges sagen zu der Bewertung des Entwurfs, wie er uns jetzt zur Verabschiedung vorliegt. Der Ausgangspunkt für diesen Teilbereich der Strafrechtsreform war der, eine wirksame, zulängliche Sicherung des Gemeinschaftsfriedens zu schaffen. Ich darf feststellen, daß der Entwurf so, wie er uns jetzt vorliegt, dieser Zielsetzung nicht gerecht wird. In der Diskussion um die Vorschriften zur Sicherung des Gemeinschaftsfriedens ist zu sehr die Frage der Sicherung des Rechts auf Demonstrationsfreiheit in die Optik gerückt worden. Meine Damen und Herren, auch wir wollen die Sicherung des grundgesetzlich gewährten Rechts auf Demonstrationsfreiheit. Aber eben darum geht es hier in allererster Linie nicht, sondern es geht hier in allererster Linie um die wirksame Sicherung des Gemeinschaftsfriedens
({3})
unter Einschluß der notwendigen Sicherungen auch
für das Recht auf Demonstrationsfreiheit. Es ist ein1988
fach ein falscher Ansatz, wenn davon ausgegangen wird: dieses Gesetz ist hundert Jahre alt. Das haben wir wie mit der Gebetsmühle inzwischen landauf, landab immer wieder gehört. Es wird nicht dadurch richtiger, daß immer wieder gesagt wird: Die Unsicherheit in der Praxis bei der Anwendung dieser Bestimmung nötigt uns, hier ein ganz erhebliches Stück an „Liberalisierung" dieser Vorschriften durchzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur in einem Klammersatz: Ich glaube, die Vorstellung, der Staat von 1871, der uns unser heutiges Strafrecht beschert hat, sei schlechthin ein Obrigkeitsstaat gewesen, ist einfach zu undifferenziert und wird nicht gerade sehr erhellt durch die Ergebnisse der Forschung der Rechtsgeschichte. Auch dieser Staat von 1871 war ein Rechtsstaat, in dem es eine unabhängige Justiz gegeben hat. Außerdem wollen wir nicht vergessen, meine Damen und Herren, daß die Vorschriften, mit denen wir es hier zu tun haben, Vorschriften sind, die es nicht nur bei uns, sondern auch in anderen westeuropäischen Ländern mit gesicherter demokratischer Tradition gibt. Ich darf hier nur die Schweiz und Schweden nennen - Schweden deshalb, weil es Ihnen ja näher liegt, meine Damen und Herren von der SPD -,
({4})
Länder, in denen es entsprechende Vorschriften, wie wir sie in unseren Strafgesetzen haben, gibt.
Wo liegt denn heute die Gefährdung? Die Gefährdung liegt doch nicht darin, daß das Demonstrationsrecht bei uns in der Bundesrepublik,
Deutschland gefährdet wäre. Keiner kann darüber hinwegsehen, daß !das Demonstrationsrecht bei uns extensiv wahrgenommen werden kann und extensiv wahrgenommen worden ist. Die echte Gefährdung, mit der wir es zu tun haben, liegt in der Gefährdung des Gemeinschaftsfriedens, liegt in der Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens der Menschen in unserem Staat. Dieses friedliche Zusammenleben der Menschen in unserem Staat zu sichern wäre die Aufgabe echter Liberalität in unserer Zeit.
({5})
Was ist denn in den hinter uns liegenden Jahren angegriffen worden? Angegriffen worden sind Leib und Leben von einzelnen Menschen, angegriffen worden ist die Freizügigkeit von Bürgern, angegriffen worden ist das Eigentum von Bürgern in diesem unserem Staat, und letztlich ist auch die negative Demonstrationsfreiheit angegriffen worden, die wir als das Pendant zur positiven Demonstrationsfreiheit sehen müssen. Wir haben es zu tun mit der zunehmenden Intoleranz und der zunehmenden Unfriedlichkeit in der politischen Auseinandersetzung, im Austragen von Meinungsverschiedenheiten. Ich darf hier wiederholen, was ich bei früherer Gelegenheit bereits gesagt habe. Es geht hier um die Sicherung der Essentials der Demokratie bei uns, um die Sicherung des friedlichen Miteinanders und um die Sicherung des friedlichen Austrags von Meinungsverschiedenheiten durch Diskussion. Dabei wird so getan, als wären diejenigen, die gegen diese Grundsätze demokratischen Miteinanders verstoßen haben, die wahren Demokraten, die nur in besondere Schwierigkeiten geraten wären.
Womit haben wir es sonst zu tun? Wir haben es zu tun mit einem Umsichgreifen von subversiven Kräften in unserer Bundesrepublik Deutschland, von subversiven Kräften, gegen deren Angriffe wir uns mit aller Entschiedenheit zur Wehr zu setzen haben.
Dieser Entwurf bringt keine echte Liberalisierung im Sinne der Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Bürger und der friedlichen Auseinandersetzung in dieser unserer Demokratie, des friedlichen Austrags von Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Gruppen dieser unserer Gesellschaft. Wenn die Diskussion unter der Überschrift ,,wir liberalisieren, wir sind progressiv" geführt wird, muß ich sagen: ich halte das angesichts dieses Tatbestandes, den ich geschildert habe, schlicht und einfach für ,einen Etikettenschwindel.
Wenn wir es recht sehen, haben wir hier einen Vorgang ohne Beispiel. Wir haben den Vorgang, daß Vorschriften unseres Strafrechtes deshalb beseitigt werden, deshalb erheblich eingeschränkt werden, weil besonders oft gegen sie verstoßen worden ist. Ich will daran keine Bewertung knüpfen. Aber wir haben ganz einfach diesen Tatbestand festzustellen, der in der Geschichte unseres Strafrechtes einmalig ist. Ich frage, wie angesichts der Unfriedlichkeit, die sich in unserer Gesellschaft entwickelt hat, die psychologischen Auswirkungen sein sollen, wenn der Staat .in dieser Situation den Schutz des Gemeinschaftsfriedens in erheblichem Maße einschränkt.
Um es noch einmal zu sagen: die angebliche Liberalisierung, die hier vorgenommen werden soll, gefährdet in Wirklichkeit den Schutz ides Gemeinschaftsfriedens in schwerwiegender Weine. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal insbesondere auf die Vorschriften des Landfriedensbruchs verweisen, eine Vorschrift, die für uns zum Kernbestandteil dieser Sicherung des Gemeinschaftsfriedens gehört.
Im übrigen wollen wir auch nicht übersehen, daß auf diesem Wege die gewollte Stärkung des Demonstrationsrechts, des Rechts auf Demonstrationsfreiheit, in Wirklichkeit in erheblicher Weisse gefährdet wird. Ich will das begründen. Die Stärke des Grundrechts .auf Demonstrationsfreiheit hängt davon ab, wieweit dieses Recht in breitesten Kreisen der Bürger 'dieses Landes Zustimmung findet. Ich bin der Auffassung, daß, je mehr sich in der breiten Öffentlichkeit das Gefühl breitmacht, daß dieses Recht zu extensiv wahrgenommen wird, daß hier über die Grenzen dieses Rechts hinausgeschritten wird, je mehr sich das Gefühl in unserer Bürgerschaft breit-macht, daß der Staat den Gemeinschaftsfrieden nicht in zureichender Weise schützt, um so mehr von innen her, von der Zustimmung der Bürgerschaft her dieses Recht geschwächt werden wird. Sie können also feststellen - das ist auch unsere Auffassung in Iden Beratungen zu diesem Gesetzentwurf -: Je schwächer der Schutz des Gemeinschaftsfriedens durch den Staat ist, desto größer ist die Gefahr, daß friedlich gesinnte Bürger der Ausübung dieses
Rechts überdrüssig werden. Das ist die Gefahr, die wir hier sehen müssen.
Wir haben auch die Frage zu stellen, ob dieser Gesetzentwurf dem Anspruch gerecht wird, daß die Grundrechte der Bürger mehr als bisher gesichert werden. Ich bin der Auffassung, daß so, wie dieses Gesetz jetzt vorliegt, eher einer zunehmenden Verunsicherung als einer stärkeren Sicherung der Grundrechte der Weg geöffnet wird. Das Ziel, das verfolgt werden soll und das sicherlich gemeinsam vertreten wird, list, mehr Rechtsklarheit, mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Ziel wird mit diesem Gesetzentwurf verfehlt.
Es wird immer wieder von den polizeilichen Möglichkeiten bei umschlagenden Demonstrationen gesprochen. Es wird .darauf hingewiesen, daß das Legalitätsprinzip hier unflexibel sei und daß es durch das im Polizeirecht zur Verfügung stehende flexiblere Opportunitätsprinzip abgelöst werde. Wir werden uns mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Ist es wirklich so, daß ein breiterer Raum für die Anwendung des Opportunitätsprinzips hier mehr Rechtsklarheit, mehr Rechtssicherheit schafft? Ich persönlich bin der Auffassung, daß die psychologische Auswirkung die sein wird, daß wir auch in 'den Reihen der Polizei mehr Verunsicherung haben werden, als das zur Zeit der Fall ist, und daß die Elastizität des Opportunitätsprinzips eigentlich nur eine scheinbare ist, daß in Wirklichkeit die Eingriffsmöglichkeiten der Polizei damit nicht besser werden, ,daß sie nicht flexibler werden, sondern daß im Gegenteil das Opportunitätsprinzip auch dahin führen kann, daß ,das Eingreifen der Polizei zu einer Frage der Opportunität wird. Das sollten wir sehr wohl sehen, und ich wäre sehr dankbar gewesen, wenn wir auch auf diesem Wege die Diskussion ein Stück weiter miteinander hätten führen können.
Herr Kollege Vogel, Sie sprechen nun schon 20 Minuten.
({0})
Eine Verlängerung der Redezeit ist nicht beantragt worden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie versuchten, bald zum Schluß zu kommen.
({1})
Frau Präsident, ich werde mich bemühen, in wenigen Minuten zum Schluß zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hätte gerne zu dieser Frage noch einiges gesagt. Vielleicht ergibt sich dazu im Verlauf der weiteren Aussprache die Gelegenheit. Ich bin der Auffassung, daß das Legalitätsprinzip durchaus eine starke Stütze für den Einsatz der Polizei gegenüber unfriedlich gewordenen Demonstranten sein kann.
Hier ist gesagt worden, wir hätten aus dem Hearing offenbar nichts gelernt. Ich würde sagen, daß diejenigen, die uns den § 125, diesen Tatbestand des Landfriedensbruchs, vorgelegt haben, aus dem Ergebnis des Hearings ebenfalls nichts gelernt haben. Sie hätten etwas mehr auf das hören müssen, was die Herren, die aus der Praxis kommen, gesagt haben.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz, das uns jetzt vorgelegt worden ist, ist alles andere als ein Jahrhundertgesetz. Strafgesetze sind Jahrhundertgesetze. Was wir hier vorliegen haben, kann diesem Anspruch deshalb nicht gerecht werden, weil von vornherein bei der Beratung der Blickwinkel verengt worden ist. Der Blick richtete sich auf die Ereignisse weniger Jahre und auf einen bestimmten Bereich studentischer Unruhen. Von daher gesehen kann dieses Gesetz dem Anspruch, einen wirksamen Schutz vor der Gewalt radikaler politischer Minderheiten und anderer radikaler Minderheiten auch für die Zukunft, d. h. über einen längeren Zeitraum hinaus zu gewährleisten, nicht gerecht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns in den beiden letzten Tagen noch einmal bemüht, eine Brücke zwischen den verschiedenen Vorstellungen zu diesem Gesetz zu finden. Wir haben uns um einen Kompromiß bemüht, den wir von unserer Seite unter Zurückstellung schwerwiegender Bedenken hätten tragen können. Es ist nicht möglich gewesen, in diesem Bereich zu einem Kompromiß zu kommen. Das ermöglicht es uns aber auch, nun in aller Klarheit weiterhin unsere Vorstellungen in diesem Bereich des Strafrechts zu vertreten. Wir werden das tun, und werden deshalb dieses Gesetz heute ablehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Emmert.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Auffassung der SPD-Fraktion ist heute schon so viel über Einzelheiten gesprochen worden, daß man im Rahmen der Abschlußerklärungen wirklich nicht mehr auf Einzelheiten kommen sollte.
({0})
Die Fraktion der SPD sagt aus vollem Herzen ja zu diesem Gesetz. Sie begrüßt insbesondere, daß es gelungen ist, dieses schwierige Gesetzesvorhaben sehr zügig, gleichwohl aber gründlich zu behandeln. Wir bedauern es sehr, daß sich die Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion nicht bereit finden konnten, auch zu dem Vorschlag, wie er zu § 125 vorliegt, ja zu sagen. Es ist sinnlos, hier detailliert noch einmal vorzutragen, welches die Standpunkte sind. Soviel kann von unserer Seite festgestellt werden: Wir waren von Anfang an bemüht, zu einer Lösung zu kommen, die eine große, breite Mehrheit findet. Leider ist dies nach unserer Auffassung deshalb nicht gelungen, weil die Damen und Herren Kollegen von der Fraktion der CDU/CSU kurz vor Toresschluß, in letzter Sekunde, nachdem sie merkten, daß der Zug schon davongefahren war, noch einmal ein Gespräch mit uns führen wollten. Wir bedauern dies sehr und hoffen, daß bei zukünftigen wichtigen Gesetzesvor1990
haben aus diesem Verfahrensablauf gelernt wird und daß man sich zukünftig früher zusammensetzt und zu gemeinsamen Lösungen kommt.
Ich darf die Gelegenheit benutzen, mich auch beim Herrn Bundesjustizminister namens meiner Fraktion sehr herzlich für die Mitarbeit zu bedanken, die er im Strafrechtsausschuß im Rahmen der Beratungen geleistet hat. Der Herr Bundesjustizminister hat dem Strafrechtsausschuß mit seinen Herren Mitarbeitern ständig zur Verfügung gestanden.
({1})
Ich darf darüber hinaus die Gelegenheit benutzen, den Ausschußassistenten und Mitarbeitern des Ausschusses ebenfalls für ihre Mitarbeit sehr herzlich zu danken.
({2})
Der Strafrechtsausschuß hat oftmals Überstunden machen müssen, um sein Zeitprogramm einzuhalten. Deswegen kommt dieser Dank aus ganz besonders großem und entgegenkommendem Herzen.
Wir sind - das darf ich zum Schluß sagen - der Überzeugung, daß in dem Gesetzesvorhaben, das Ihnen zur Entscheidung vorliegt, eine gute und befriedigende Lösung gefunden worden ist. Wir bitten Sie, ihm Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz sind zwei Gesetze vorausgegangen. Bei der heutigen Einzelaussprache habe ich mich an die Grundsätze erinnert, die bei der Beratung des Ersten und Zweiten Strafrechtsänderungsgesetzes vorgetragen worden sind. Damals wurde davon gesprochen, man müsse unbedingt von der Tatsache wegkommen, daß bei uns zu viel bestraft wird. Die Entpönalisierung wurde vom ganzen Hohen Hause bejaht.
Heute hat sich wiederum gezeigt, daß es leicht ist, zunächst einmal zum Grundsätzlichen ja zu sagen. Wenn es aber nachher darum geht, das Grundsätzliche in die Wirklichkeit umzusetzen, steht man keineswegs immer zu dem früheren Ja. Ein Beispiel dafür haben wir heute erlebt.
Ein weiterer Grundsatz war, daß bei jeder Strafbestimmung genau geprüft werden sollte, ob der betreffende Tatbestand auch wirklich strafwürdig sei oder ob man nicht gegebenenfalls mit anderen Maßnahmen, z. B. Verwaltungsmaßnahmen, auskommen könne. Kriminell strafbar sollte danach nur das sein, was einen so hohen Unrechtsgehalt hat, daß man ohne eine kriminelle Strafe nicht auskommt. Deswegen erfolgte die Beseitigung der Übertretungen, und deswegen wurde das Ordnungswidrigkeitsgesetz beschlossen. Das, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, heute wieder getan haben, war ja doch ungefähr das Gegenteil davon. Sie haben nämlich nicht weniger pönalisieren, sondern im Gegenteil zusätzlich noch die Richternötigung schaffen wollen.
Herr Kollege Benda hat heute morgen bemängelt, daß ich mir erlaubt habe, die CDU-Vorschläge in diesem Sinne .als „konservativ" zu bezeichnen. Er sagte, man möge doch hier nicht von „konservativ" und „fortschrittlich" sprechen; es komme vielmehr auf ein zeitgemäßes Gesetz an. Herr Kollege Benda, im letzteren stimme ich mit Ihnen vollkommen überein. Aber wenn Sie schon eine Reform durchführen wollen - die Reformbedürftigkeit 'dieser Bestimmungen wurde in der ersten Lesung von allen Seiten des Hauses bejaht -, können Sie doch nachher nicht praktisch genau das gleiche Gesetz vorlegen, ein Gesetz, dessen eine oder andere Bestimmung zwar einen etwas anderen Wortlaut hat, aber den Grundgehalt des Gesetzes in keiner Weise ändert. Das ist keine Reform. Das kann dann auch kein zeitgemäßes Gesetz mehr sein. Ihre Vorschläge stehen unter dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
({0})
Demgegenüber bin ich der Auffassung, daß das, was die Mehrheit sowohl dm Ausschuß als .auch heute hier beschlossen hat, den heutigen gesellschaftlichen und politischen Erfordernissen entspricht. Nur achtet dieses Gesetz das Grundgesetz und die Grundrechte, und zwar sowohl das Demonstrations- und Versammlungsrecht sowie die Meinungsfreiheit auf der einen ais auch die Grundrechte, die dem einzelnen Bürger zustehen, seine persönliche Integrität und sein Eigentum auf ,der anderen Seite. Dieses Gesetz wird dem Grundgesetz in vollem Umfang gerecht. Es ist nicht nur zeitgemäß, sondern bietet auch in Zukunft die Möglichkeit, unseren Gemeinschaftfrieden entsprechend zu sichern. Wir werden keine weitere Verunsicherung erleben. Die Vergangenheit mit ihren übermäßigen Strafen hat gezeigt, daß dieser Effekt bei den übermäßigen Strafen nicht vorhanden ist. Wir werden zu einer Befriedigung unserer Verhältnisse vielmehr mit einer echten Liberalisierung kommen, die bei unseren Vorschriften, Herr Kollege Vogel, kein Etikettenschwindel sind. Ich war aber überrascht, Sie von Ihrer Nichtreform als von einer Liberalisierung sprechen zu hören.
Wir Freien Demokraten stehen in vollem Umfang zu diesem Gesetz. Wir erwarten und hoffen, daß es auch im richtigen Geist angewendet wird. Wir sind der Überzeugung, daß es mit dazu beitragen wird, ,den Gemeinschaftsfrieden zu sichern.
(({1})
Das Wort hat Herr Bundesminister Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe namens der Bundesregierung am Ende der Beratungen dieses Gesetzes zu danken.
Zunächst danke ich besonders herzlich dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform für die
schnelle, zügige Beratung und Verabschiedung des Gesetzentwurfs. Das ist dem Ausschuß sicher dadurch erleichtert worden, daß er sich bereits in der letzten Wahlperiode in sehr eingehenden und gründlichen Beratungen mit der Materie, die jetzt zu entscheiden war, hat beschäftigen können. Es ist sicher, wie von dem Vertreter der CDU/CSU-Fraktion gesagt wurde, zu bedauern, daß es nicht eine breitere Mehrheit gegeben hat. Aber ich glaube, daß die streitige Auseinandersetzung um die Prinzipien dieses Gesetzentwurfs der Güte des Ergebnisses durchaus zugute gekommen ist.
Zum zweiten möchte ich den Ländern danken, die trotz dieses Gesetzgebungsverfahrens und seiner Besonderheiten in einer sehr fruchtbaren Mitarbeit geholfen haben, gerade auch der Bundesregierung in einer sehr eingehenden Referentenkonferenz geholfen haben, dieses Gesetz mit wichtigen Anregungen zu verbessern.
Der dritte Adressat des Dankes, den ich hier zu sagen habe, sind die Sachverständigen, die in einer sehr gründlichen Anhörung des Sonderausschusses, aber auch bei den Vorarbeiten durch den Deutschen Richterbund und die Bundesrechtsanwaltskammer ebenfalls wichtige Beiträge zu dem jetzt vorliegenden Ergebnis geleistet haben.
Schließlich möchte ich meinen Dank den zahlreichen Organisationen und einzelnen Bürgern sagen, die sich an der Erörterung dieser Entwürfe in einer erfreulich großen Zahl beteiligt haben.
Das neue Gesetz, meine Damen und Herren, bringt zwei wesentliche Ergebnisse, erstens eine abgewogene Strafdrohung für den Bereich, der in Zukunft strafwürdig sein soll, zum zweiten eine bessere Berücksichtigung der Wertordnung des Grundgesetzes. Dies sind auch die beiden entscheidenden Motive für diesen Gesetzentwurf gewesen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist ihnen in der vorliegenden Fassung in vollem Umfang Rechnung getragen worden. Damit sind im Ergebnis wegen der damit verbundenen größeren Rechtsklarheit auch die Möglichkeiten zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens entscheidend verbessert worden. Diese werden für die Zukunft eine bessere und klarere Handhabung möglich machen.
In diesem Zusammenhang möchte ich. an die Polizeibeamten die Bitte richten, die neuen Wiederstandsvorschriften unvoreingenommen zu sehen. In der alltäglichen Praxis der unpolitischen Widerstandsfälle wird sich ohnehin nichts ändern. Die Notwendigkeit, den Polizeibeamten bei seiner gefährlichen Tätigkeit zu schützen, ist durch die Fassung, die jetzt im Gesetz gefunden worden ist, in aller Form und nachdrücklich anerkannt worden.
Meine Damen und Herren, die klare Grenzziehung, die klare Abgrenzung, die hier zwischen strafwürdigem, d. h. strafbarem und straffreiem Verhalten gefunden worden ist, wird es in Zukunft ermöglichen, zu einer Konzentration der Strafverfolgung auf die wirklich schwerwiegenden Fälle zu gelangen und darüber hinaus den Beamten die innere Sicherheit und das Bewußtsein zu geben, im
Einklang mit der Verfassung und im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in unserer Gesellschaft zu handeln. Das Ende des Zweifels an der Verbindlichkeit von hundertjährigen Vorschriften wird dazu beitragen.
Es wird auch in Zukunft Konflikte geben, aber die Konfliktmöglichkeiten bei friedlichen Demonstrationen sind weitgehend ausgeräumt. Wer bei Demonstrationen in Zukunft Gewalt verübt, muß wissen, daß er nun dem Willen des demokratischen Gesetzgebers zuwiderhandelt und dieser demokratische Gesetzgeber mit der neuen Abgrenzung keineswegs Übergriffe in irgendeiner Form hinnehmen oder billigen will.
Es bleibt dabei, daß der Schutz fremder Rechtsgüter in unverminderter Form aufrechterhalten bleibt. Es wird für die Zukunft der Schutz der Rechte der Demonstranten auch gegenüber rechtswidrig handelnden Demonstrationsgegnern oder gar Polizeibeamten gesichert.
Mit der größeren Rechtsklarheit und der größeren Rechtssicherheit ist für die Zukunft aber auch eine Feststellung notwendig. Niemand wird sich mehr darauf berufen können, daß nunmehr auf Grund des bisher ungesicherten Rechtszustands sozusagen eine Art Einladung oder Freibrief für Übergriffe im Zusammenhang mit Demonstrationen gegeben sein könnte. Die neue Rechtsgrundlage wird uneingeschränkt, unnachsichtig und ohne irgendwelche Vorbehalte angewandt werden müssen. Darüber sollte niemand, der sich bisher vielleicht in Fehlvorstellungen mit diesem Problem auseinandergesetzt hat, im unklaren bleiben.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß das Dritte Strafrechtsreformgesetz bei allen Meinungsunterschieden über Einzelheiten für die Zukunft erlauben wird, daß Fehlvorstellungen über diesen Rechtsbereich abgebaut werden, daß erlaubtes und unerlaubtes Verhalten in überzeugender Weise abgegrenzt sind und daß damit für die Zukunft die erforderliche Rechtsklarheit geschaffen ist.
In diesem Sinne darf ich allen Beteiligten namens der Bundesregierung für ihre Arbeit den sehr herzlichen Dank aussprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung über das Gesetz auf Drucksache VI/502. Seitens der Fraktion der CDU/CSU ist namentliche Abstimmung verlangt. Dieses Verlangen ist nach § 57 der Geschäftsordnung ausreichend unterstützt. Ich bitte daher, in die namentliche Abstimmung einzutreten. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, das vorläufige Ergebnis liegt vor. Abgegeben sind 441 Stimmen und 19 Stimmen der Berliner Abgeordneten. Mit Ja haben gestimmt 231 Abgeordnete und 11 Berliner Ab1992
Vizepräsident Frau Funcke
geordnete, mit Nein 210 und 8 Berliner Abgeordnete. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
({0})
Endgültiges Ergebnis:
Abgegebene, Stimmen 440 und 19 Berliner Abgeordnete. Ja: 231 und 11 Berliner Abgeordnete
Nein: 209 und 8 Berliner Abgeordnete
Enthalten: keine
Ja
SPD
Dr. Ahrens Dr. Apel
Arendt ({1})
Dr. Arndt ({2})
Baack
Baeuchle
Bäuerle
Bals
Barche
Dr. Bardens Batz
Bauer
Bay
Dr. Bechert (Gau Algesheim Becker ({3})
Dr. Beermann
Bergmann Biermann Böhm
Börner
Frau von Bothmer
Dr. Brand ({4}) Brandt
Brandt ({5})
Bredl
Brück
Brünen
Buchstaller
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann Collet
Corterier
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Frau Dr. Elsner
Dr. Enders Engholm
Dr. Eppler Esters
Faller
Fellermaier Fiebig
Dr. Fischer Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({6})
Frau Freyh Fritsch
Geiger
Gertzen
Dr. Geßner Glombig
Gnädinger Grobecker Haage ({7})
Haar ({8})
Haase ({9}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Dr. Hein Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({10}) Herold
Hirsch
Höhmann ({11})
Hörmann ({12}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Dr. Hupka
Jahn ({13})
Jaschke Junghans Junker Kaffka Kater
Kern
Killat von Coreth
Dr. Koch Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum Marquardt
Marx ({14})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({15}) Meinike ({16}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({17})
Dr. Müller ({18}) Müller ({19})
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({20})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schäfer ({21}) Frau Schanzenbach
Scheu
Dr. Schiller
Schiller ({22})
Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid ({23}) Schmidt ({24}) Dr. Schmidt ({25}) Schmidt ({26})
Dr. Schmidt ({27}) Schmidt ({28}) Schmidt ({29}) Schmidt ({30})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Smude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({31})
Schwabe
Seefeld Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({32})
Wehner Weislau Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wittmann
Wolf
Wrede Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({33})
Bartsch
Bühling
Heyen
Liehr
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei Sieglerschmidt
FDP
Dr. Dahrendorf
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Fran Funcke
Geldner Genscher Grüner Helms
Jung
Kienbaum
Kirst
Kleinert Krall
Logemann
Mertes Mischnick
Moersch Ollesch Peters ({34})
Dr. Rutschke
Schmidt ({35}) Wurbs
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Bonn
Nein CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Bach
Baier
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({36})
Dr. Becker ({37})
Becker ({38}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann
Blank
Blumenfeld
von Bockelberg
Dr. Böhme
Frau Brauksiepe
Breidbach Bremer
Bremm
Dr. Burgbacher
Burger
Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans
Dr. Dollinger
Ehnes
Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard ({39}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Eyrich von Fircks Franke ({40})
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({41}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({42}) Dr. Gölter
Dr. Götz
Frau Griesinger
Dr. Gruhl
Freiherr von und zu Guttenberg
Haase ({43})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Dr. Hammans
Hanz
von Hassel
Hauser ({44}) Dr. Hauser ({45})
Dr. Heck
Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf ({46}) Höcherl
Hösl
Horstmeier Dr. Hubrig Hussing
Dr. Huys
Frau Jacobi ({47})
Dr. Jaeger Dr. Jenninger
Dr. Jobst .Tosten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Dr. Kempfler
Kiechle
Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch Dr. Kley
Dr. Kliesing ({48}) Klinker
Köster
Krammig Krampe
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht Lemmrich
Lensing
Dr. Lenz ({49})
Lenze ({50})
Lenzer Link
Dr. Löhr
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({51}) Maucher
Meister Memmel
Dr. Mikat
Müller ({52}) Müller ({53})
Dr. Müller-Hermann Mursch
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Ott
Petersen
Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Probst
Rainer Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Dr. Riedl ({54})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rommerskirchen
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({55}) Schmitt ({56})
Dr. h. c. Schmücker
Dr. Schneider ({57}) Dr. Schober
Dr. Schröder ({58}) Schröder ({59}) Schröder ({60}) Schulhoff
Schulte ({61}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({62})
Stein ({63})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß
Struve Stücklen
Susset
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Unertl
Dr. Unland
Varelmann
Vehar Vogel Vogt
Volmer
Wagner ({64})
Dr. Wagner ({65}) Wawrzik
Weber ({66})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Windelen
Winkelheide Wissebach
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn Benda
Dr. Gradl Dr. Kotowski Lemmer
Müller ({67})
Frau Pieser Wohlrabe
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen. - Wir müssen noch abstimmen über Ziffer 2 des Antrages des Ausschusses. Wer diesem Antrag des Ausschusses - Ziffer 2 in Drucksache VI/502, Seite 12 - seine Zustimmung geben will, den bitte ich ,um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer ist für den Antrag? - Ich bitte um das Handzeichen! - Meine Herren und Damen, vielleicht herrscht Unklarheit darüber, worum es geht.
({68})
Es geht hier um jenen Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2, in dem es heißt:
Der Bundestag wolle beschließen,
die zu den Gesetzentwürfen Drucksachen VI/139 und VI/261 eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.
({69})
Ich nehme an, daß hierüber keine Kampfabstimmung erforderlich ist. Ichbitte diejenigen, ,die zustimmen, um ,das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. 'Damit sind wir am Ende der Behandlung des Tagesordnungspunktes 2.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und .dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Straffreiheit ({70})
- Drucksachen VI/392, VI/486 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache VI/526 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Eyrich
Abgeordneter Krockert
({71})
Es liegt Ihnen der Schriftliche Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform vor. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Frau Funcke
Es liegen Ihnen Änderungsanträge auf den Umdrucken 13 *) und 14 **) vor, wobei die Anträge auf Umdruck 14 Eventualanträge zu Iden Änderungsanträgen auf Umdruck 13 sind.
Ich rufe die §§ 1, 2 und 6 gemeinsam auf, weil sich die Änderungsanträge auf Umdruck 13 ,auf sie beziehen.
Zur Begründung der Änderungsanträge hat Herr Abgeordneter Erhard das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten über ein Gesetz, das wir einfach Amnestiegesetz nennen sollten. Es geht darum, das, was eben mit Mehrheit angenommen wurde, in die strafrechtliche Praxis umzusetzen. Es geht erstens darum, alle Betroffenen von der Strafverfolgung freizustellen, soweit sie noch nicht bestraft sind, und zweitens darum, über das hinaus, was wir eben an strafrechtlicher Änderung beschlossen haben, eine Amnestie weitergehender Art zu beschließen.
Der materiell-rechtliche Teil des Änderungsantrags auf Umdruck 13 findet sich in Ziffer 2. Die Ziffern 1 und 3 betreffen reine Folgewirkungen.
Der Antrag auf Umdruck 14 Ziffer 4 ist nicht nur als Eventualantrag gestellt. Dieser Antrag ist hier selbstverständlich mit zu berücksichtigen.
Dies vorausgeschickt, erlaube ich mir, die Anträge im einzelnen zu begründen. In § 2 sollen die Absätze 2 und 3 gestrichen werden. In § 2 Abs. 2 heißt es, daß alle Straftaten, „die durch eine zur Meinungsäußerung oder Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten bestimmte Demonstration oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind", von Strafe freigestellt werden sollen.
Eine solche Amnestie bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr und nicht weniger, als daß diese Amnestie nach dem Volksbewußtsein nicht ein Ausfluß eines dem Recht vorgehenden Gnadenaktes sei, sondern eine Korrektur des Rechtes selbst darstelle.
({0})
Eine Korrektur ,des Rechts selbst kann aber doch wohl nur dann in Frage kommen, wenn ein Vorgang in der Geschichte als abgeschlossen betrachtet werden kann oder betrachtet werden muß wie z. B. in der Vergangenheit, als es sich ,darum handelte, Straftaten, die während des Krieges oder in den Wirren der Nachkriegszeit begangen wurden, schließlich zu amnestieren.
Die Frage ist also, ob hier bei uns die Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Demonstrationen als abgeschlossen angesehen wenden können. Daß jedenfalls der Abschluß für erforderlich gehalten wird, hat bereits der Herr Bundesjustizminister Jahn in seinem „Spiegel"-Interview vom 3. November angedeutet, ich möchte meinen, sogar sehr
*) Siehe Anlage 8 **) Anlage 9 verdichtet gesagt, indem er nämlich erklärte, über die Amnestie muß man mit Vorsicht reden, „denn wir sind doch mitten in diesem Prozeß". Mitten in diesem Prozeß!
({1})
Wenn das im November richtig war, wäre - nach Meinung des Herrn Justizministers - die :Amnestie also nur begründet, wenn heute ein anderer Zustand eingetreten wäre.
({2})
Nach den Angaben, die uns der Herr Bundesjustizminister zu den Fragen, die auf Antrag der CDU/ CSU und (des Sonderausschusses gestellt waren, mit der Drucksache VI/479 gemacht hat, kann man aber von einem Abschluß der unfriedlichen Demonstrationen in der Bundesrepublik absolut nicht reden.
Wir hatten im Jahre 1968 an unfriedlichen Demonstrationen in der Bundesrepublik 533, und wir hatten nach den Angaben des Bundesjustizministers im Jahre 1969 813. Davon gab es allein im letzten Vierteljahr 1969 - und um diesen Zeitraum geht es bei der Amnestie - 105 gewalttätige unfriedliche Demonstrationen, in drei Monaten .105! Und es sind für die gesamte Zeit vorher bis Ende Dezember nach den gleichen Unterlagen, nämlich den Angaben des Herrn Ministers. 'höchstens 5000 Personen betroffen.
Wir haben also hier 'festzustellen, daß der Vorgang geschichtlich nicht abgeschlossen ist, daß keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Annahme vorliegen und daß die Entwicklung mit dem 31. Dezember 1969 nicht in irgendeiner Weise eine Zäsur erfahren hat.
Wenn alle Taten, die bis zum 31. Dezember begangen wurden, amnestiert werden, soweit es das Gesetz vorsieht, wird doch notwendigerweise für die unfriedlichen Demonstranten, die ab 1. Januar 1970 aufgetreten sind, ein völlig unverständliches Recht geschaffen. Es wird damit ein neues, schwerwiegendes Unrecht geschaffen, und ich meine, man kann dem Herrn Bundesjustizminister nur zustimmen, wenn er in seinem Interview, das er am 9. Dezember 1969 der Zeitung „Die Welt" gegeben hat, gesagt hat:
Man muß aber dabei die Gefahr sehen, mit einer auf eine bestimmte Personengruppe gezielten Amnestie eine neue Art von Unrecht zu schaffen.
Also auch die Erkenntnisse des Bundesjustizministers stimmen mit unseren Rechtsvorstellungen hier völlig überein.
(Es ist also sicherlich nicht vertretbar, eine solche Zäsur - 31. Dezember - vorzunehmen. Wenn man das tut, schafft man - ich wiederhole es - für die Späteren eine nicht mehr vertretbare, eine nicht mehr verstehbare Rechtssituation. Und ich wage zu behaupten, man schafft mit dem, was man für die zurückliegende Zeit tut, auch kein neues echtes Recht, sondern man schafft eine Art von - wie 'ich in verschiedenen Briefen, die mir und anderen zugegangen sind, gelesen habe - Gruppenamnestie - der Minister spricht ja auch von bestimmten GrupErhard ({3})
pen von Tätern -, ja, man kann fast sagen eine Standesamnestie, schärfer gesagt: eine Klassenamnestie.
({4})
- Nicht anders läßt sich das, bei Licht besehen, betrachten und beurteilen, Herr Kollege Schäfer.
({5})
Nach den Angaben der Regierung geht es insgesamt um maximal 5000 Verdächtige, nicht in konkrete Strafprozesse Verwickelte, und zwar aus einer Gruppe von Tätern, die im wesentlichen in der akademischen oder demnächst akademischen Jugend zu suchen sind.
Was soll denn nun konkret über das hinaus, was in dem Strafrechtsänderungsgesetz steht, amnestiert werden? Man muß einfach in das Gesetz hineinschauen, um sich das klarzumachen. Ich will Ihnen einmal einige der Taten vorlesen, die zahlenmäßig relevant sind. Ich stütze mich hier wiederum auf die Angaben des Herrn Bundesjustizministers in der Drucksache VI/479. Amnestiert werden sollen Widerstand mit Gewalt gegen die Staatsgewalt, Nötigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Beleidigung, Verleumdung, die Aufforderung zu strafbaren Handlungen, soweit sie nach wie vor strafbar bleiben. Teilweise soll amnestiert werden der gefährliche Eingriff in Iden Straßenverkehr. Aber damit nicht genug, es soll nicht nur die Körperverletzung amnestiert werden, sondern auch die gefährliche Körperverletzung. Meine Damen und Herren, was ist gefährliche Körperverletzung? Ich lese hier in meinem Strafgesetzbuch, was gefährliche Körperverletzung sei:
Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs oder mittels eines hinterlistigen Überfalls oder von mehreren gemeinschaftlich oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen, so tritt Freiheitsstrafe von zwei Monaten bis zu fünf Jahren ein.
Wer das also gemacht hat, der soll frei sein, wenn er es bis zum 31. Dezember gemacht hat. Wenn er es aber am 4. Januar gemacht hat, dann wird er weiter bestraft.
({6})
Wir können so etwas auch nicht in Umrissen mit irgendwie vertretbarer Rechtsetzung gleichsetzen oder als solche verstehen. In der Vergangenheit sind auch schon ,dementsprechende rechtspolitische Auffassungen geäußert worden. Zum Beispiel hat der Abgeordnete Dr. Greve ({7}) am 26. Februar 1954 hier dm Bundestag gesagt: „Aus dem, was Unrecht war und Unrecht bleibt, soll nun nachträglich Recht gemacht werden." Wollen Sie 'das auch?
({8})
- Das hat Herr Greve hier gesagt. Sie glauben das nicht, weil Sie von Ihren Vorläufern schon so weit entfernt sind.
({9})
Herr Dr. Arndt, der Vater unseres hochverehrten Hern Kollegen Arndt, hat zur gleichen Zeit, im März, ausgeführt, daß man in einer Zeit, in der die Gesetze nicht hinreichend beachtet würden - hier geht es ja darum, daß Gesetze sogar organisiert gebrochen worden sind -, dem Staatswesen nicht diene, wenn man dieses Unrecht nicht Unrecht nenne und es amnestiere. Diese rechtspolitischen Vorstellungen, die früher von sehr namhaften Vertretern der Sozialdemokratischen Partei hier im Bundestag vertreten worden sind, sind nach wie vor richtig.
Wenn man das im Auge hat, kann man, meinen wir, einer Ausdehnung der Amnestie auf alles das, was ich Ihnen soeben gesagt habe, nicht folgen, vor allem dann nicht,. wenn so vage Rechtsbegriffe verwendet werden wie z. B. in Abs. 2 - ich will es vorlesen, weil so etwas selten gelesen wird -:
... Straftaten, die durch eine zur Meinungsäußerung oder Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten bestimmte Demonstration oder im Zusammenhang hiermit begangen worden sind.
Was ist denn das konkret in der Wirklichkeit für den Praktiker: „im Zusammenhang mit einer zur Meinungsäußerung oder Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten bestimmten Demonstration"? Das kann man verstehen, wie man will. Eine strafrechtlich saubere Formulierung liegt hier jedenfalls nach unserer Auffassung nicht vor, bei allem, was man dafür und dawider sagen will und vielleicht kann.
Noch viel weniger liegt sie vor - das hat auch der Bundesrat gesagt -, wenn man eine Ausnahme macht und sagt: Nicht amnestiert werden sollen Verbrechen und Vergehen, die aus Eigennutz begangen worden sind. Wann ist etwas aus Eigennutz begangen? Betrifft das nur die subjektive Seite? Soll es einfach bei der Erklärung sein Bewenden haben, es müsse sich aus dem Tatbestand selbst ergeben? An sich fiele bloß der Diebstahl darunter; denn die Beleidigung wird ja nicht aus Eigennutz begangen worden sein, die Körperverletzung vielleicht, ich weiß es nicht, ich glaube aber, nicht. Die Bestimmungen sind jedenfalls so dehnbar, daß die Verabschiedung so weitgehender Vorschriften mit so wenig greifbarem Inhalt nicht angezeigt erscheint.
Ich fasse zusammen. Wenn Sie unserem Antrag folgen, vermeiden Sie ein neues Unrecht, das durch Willkür des Gesetzgebers gesetzt würde und vielleicht sogar unter dem Gesichtspunkt der Gleichheit vor dem Gesetz nach Art. 3 des Grundgesetzes höchst zweifelhaft sein könnte. Sie vermeiden, daß für eine so weitgehende Regelung ein Präjudiz gesetzt wird. Denn es gibt für eine so weitgehende Amnestie keinen Anlaß, es gibt keinen Grund dafür. Daß die Regierung im Oktober gebildet wurde, kann ja wohl nicht der Grund für eine Amnestie
Erhard ({10})
zum 31. Dezember 1969 sein. Sonst müßte man auf den Gedanken kommen, Sie sähen in denen, die amnestiert werden sollen, eine Art von Erfüllungsgehilfen, denen Sie jetzt das Bonbon der Straffreiheit geben wollen.
({11})
Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, vermeiden Sie, daß das allgemeine Rechtsempfinden in unserem Volke gemindert wird. Sie stärken es damit und verhindern eine Erschütterung des Vertrauens, auf das der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ganz besonders, viel mehr als jeder andere Staat, angewiesen ist. Es kann die Vorstellung entstehen, man brauche nur auf die Straße zu gehen - das darf man - und könne dort Gewalt gegen andere üben und werde amnestiert, bekomme nachträglich bescheinigt: Das war eigentlich gar nicht so schlimm; im Gegenteil, wir sanktionieren das nachträglich. Eine solche Vorstellung muß gefährliche Auswirkungen in einem Staat haben, der freiheitlich bleiben will, der rechtsstaatlich sein und bleiben möchte und in dem Kräfte am Werke sind, die diese Ordnung gezielt von unten unterlaufen wollen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was heute noch zu entscheiden ist, wird ganz gewiß nicht in der Art eines Wettbewerbs in der Ausnutzung oder Ausdehnung von Redezeiten entschieden werden können. Ich habe den Eindruck, daß, besonders in unserer Ausschußarbeit, sehr viele Argumente, fast alle, die zu dieser Gesetzesvorlage vorzubringen sind, erörtert worden sind. Ich glaube nicht, daß es sinnvoll ist, in der Art einer Ausschußberatung hier all dies zu wiederholen.
({0})
Ich sehe es insbesondere nicht für sinnvoll an, Herr Kollege Erhard, von unserer Seite jetzt auf Ihre Argumente zu einer „Gruppen-, Klassen- oder Standesamnestie" einzugehen, auf Ihre Unterstellung, es werde hier ein neues Recht proklamiert, das Unrecht sei usw.
Darf ich Ihnen ganz offen sagen: man merkt an dieser Art der Argumentation, daß Sie verhältnismäßig wenig Gelegenheit genommen haben, diese Argumente im Ausschuß auszutauschen und prüfen zu lassen. Wir waren dort im Grunde über eine solche Art von Argumenten hinaus.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Fraktionen der FDP und der SPD lehnen Ihren Änderungsantrag Umruck 13 ab, weil wir die Befriedungs und Bereinigungsamnestie für einen wesentlichen Bestandteil des Gesetzentwurfs halten, der von der Rechtskorrekturamnestie nicht zu trennen ist. Wir haben ausführlich begründet, weshalb wir dieser Überzeugung sind. Für die Beurteilung der Geschehnisse während der Demonstrationen - nicht nur der Delikte, die unmittelbar die zu reformierenden
Straftatbestände betreffen, sondern darüber hinaus auch Sachbeschädigung, Körperverletzung und anderes mehr - ist auch die Situation eines bis dahin unbereinigten Strafrechts heranzuziehen, wenn man nach der Verantwortlichkeit fragt. Wir können uns also, was Sie bereits wissen und was wir insofern nur wiederholen, auf diese Argumentation nicht einlassen. Wir lehnen Ihre Vorlage ab.
({1})
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Frau Kollegin Funcke hat mir gesagt, daß sie die Änderungsanträge auf Umdruck 13, die Ziffern 1 bis einschließlich 3 - § 6 -, gemeinsam aufgerufen hat.
Ist das richtig?
({0})
- Ja.
({1})
Das ist mir klar. - Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, weil der Herr Kollege Müller-Emmert Zweifel hatte und meinte, die Ziffer 3 betreffend § 6 müsse noch gesondert aufgerufen werden. Aber sie stimmen als Antragsteller mit der Frau Präsidentin überein.
Meine Damen und Herren, wer dem Änderungsantrag Umdruck 13 Ziffer 2 zustimmen will - das ist der entscheidende; dann ergibt sich die Konsequenz, daß die anderen mit abgelehnt sind -, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, die Schriftführer erklären mir, daß das Abstimmungsergebnis zweifelhaft sei. Ich lasse die Abstimmung daher zunächst durch Aufstehen von den Plätzen wiederholen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Meine Damen und Herren, soweit Sie da hintenstehen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie durch Eintreten in die Reihen sichtbar machten, ob Sie noch zu den abstimmungsberechtigten Abgeordneten gehören. - Danke schön. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, das Präsidium stimmt nicht überein. Wir müssen auszählen.
Meine Damen und Herren, es haben insgesamt 398 Mitglieder des Hauses abgestimmt. Mit Ja haben 189, mit Nein 209 Mitglieder des Hauses gestimmt. Es hat sich kein Mitglied des Hauses der Stimme enthalten. Der Antrag ist abgelehnt.
({2})
Damit, meine Damen und Herren, entfallen die weiteren Änderungsanträge unter Ziffer 1 und Ziffer 3 auf Umdruck 13.
Ich rufe nunmehr den Eventualantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 14, und zwar zunächst die Ziffer 1, auf. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
({3})
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Herr Kollege, einen Augenblick! Meine Damen und Herren, wenn Sie von hier oben in den Saal sehen, stellen Sie fest, daß der Redner beim besten Willen nicht in der Lage ist, sich dem Hause verständlich zu machen. Ich wäre Ihnen daher sehr dankbar, wenn Sie notwendige Gespräche außerhalb des Plenarsaals führten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Ihnen vorliegenden Änderungsantrags ist es, die gefährliche Körperverletzung in den Ausnahmekatalog derjenigen Straftaten aufzunehmen, für die keine Straffreiheit gewährt werden soll. Die gefährliche Körperverletzung ist nach unserer Auffassung nicht amnestiewürdig, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Zielsetzung des Regierungsentwurfs.
({0})
Meine Damen und Herren von der Koalition, in dei Begründung des Regierungsentwurfs heißt es, im Hinblick auf die entstandene Rechtsunsicherheit und im Zusammenhang mit der Einschränkung der Strafbarkeit sei Straffreiheit geboten. Lassen Sie uns diese beiden Grundsätze kurz auf den vorliegenden Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung anwenden. Ich brauche den Wortlaut dieser Vorschrift nicht mehr zu verlesen; das hat soeben schon der Kollege Erhard ({1}) getan. Ich darf nur noch einmal daran erinnern, worum es da geht: Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, mittels eines hinterlistigen Überfalls oder gemeinschaftlich oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung.
Es hat niemals den geringsten Zweifel daran gegeben, daß die genannten Methoden nicht zu den erlaubten Mitteln der politischen Auseinandersetzung gehören.
({2})
- Herr Kollege Schäfer, das steht in der Begründung zu Ihrem Entwurf. Ich habe es auch nicht erfunden.
({3})
Deswegen messe ich es an den Zielsetzungen dieses Entwurfs; ich glaube, das ist legitim.
Der Herr Bundesjustizminister hat uns verdienstvollerweise einen Bericht über gewalttätige Aktionen vorgelegt. Diesem entnehme ich z. B. auf Seite 4, daß in Kiel eine Senatssitzung im November 1969 infolge studentischer Gewaltmaßnahmen aufgehoben werden mußte. Bei den Vorgängen wurde der Rektor verletzt.
Ein weiteres Beispiel. Ich entnehme es der Zeitung von heute. Gestern hat es sogenannte Demonstrationen vor dem Düsseldorfer Landtag gegeben. Dabei wurde ein schwerkriegsbeschädigter, beinamputierter Abgeordneter tätlich angegriffen. Meine Damen und Herren, wir weigern uns, überhaupt nur zuzugeben, daß die ;e Art von Verhalten zu irgendeinem Zeitpunkt in diesem Lande amnestiewürdig gewesen sein soll.
({4})
Auch der zweite Grund, den Sie, meine Damen und Herren angeben, die Einschränkung der Strafbarkeit sei beabsichtigt, trifft auf die gefährliche Körperverletzung nicht zu; denn niemand denkt doch daran das, was ich Ihnen eben geschildert habe, in Zukunft weniger zu bestrafen als in der Vergangenheit.
Nun wird, was ich besonders bedenklich finde, in verschiedenen Darlegungen, vor allen Dingen im Bundesrat, versucht, weniger bedeutende Fälle der gefährlichen Körperverletzung in den Vordergrund zu stellen, und man sagt, es sei gar nicht alles so schlimm gewesen, gefährliche Körperverletzung sei ja auch schon dann gegeben, wenn zwei gemeinsam einen Dritten verprügeln oder wenn Stockschläge verabreicht würden. Meine Damen und Herren, unsere Antwort ist: Das gemeinschaftliche Verprügeln politischer Gegner oder die Mißhandlung eines solchen mit dem Stock sind keine erlaubten oder amnestiewürdigen Methoden der politischen Auseinandersetzung.
({5})
Weiter wird gesagt, wenn man das nicht amnestiere, müßten auch alle Polizisten bestraft werden, die den Schlagstock benutzt haben. Meine Antwort ist: Polizisten, die vom Schlagstock im Rahmen des Polizeirechts Gebrauch gemacht haben, haben rechtmäßig gehandelt und dürfen nicht bestraft werden.
({6})
Und sollte es Fälle gegeben haben, in denen Polizisten von dem Schlagstock Gebrauch gemacht, ohne vom Polizeirecht gedeckt zu sein, dann meine ich, es sei im Interesse der Rechtsstaatlichkeit und der Polizei besser, wenn diese wenigen Einzelfälle geklärt und nach den Gesetzen abgeurteilt werden.
({7})
Das ist immer noch besser, als wenn die gesamte Polizei mit dem Makel belastet wird, sie habe sich mit einer Amnestie vor einem Rattenschwanz von Verurteilungen schützen müssen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Weil es sich bei gefährlichen Körperverletzungen nicht um amnestiewürdige Taten handelt, bitte ich Sie, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktionen der FDP und SPD möchte ich dem Versuch, die gefährliche Körperverletzung aus dem Anwendungsbereich des Sraffreiheitsgesetzes herauszunehmen, nachdrücklich entgegentreten. Herr Kollege Erhard hat vorhin
1998 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Dr. Schmude
schon § 223 a StGB, in dem dieser Tatbestand geregelt ist, verlesen, so daß ich darauf nicht im einzelnen einzugehen brauche. Ich möchte nur einiges herausgreifen, was hier meines Erachtens entscheidend ist und entscheidend sein muß.
Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches hat durch die Rechtsprechung eine recht weite Auslegung erfahren. Es ist heute nicht unsere Sache und nicht unsere Gelegenheit, hieran etwas zu ändern; wir haben auch nicht die Möglichkeit, hier zu differenzieren. Diese weite Auslegung hat dazu geführt, daß als „gefährliches Werkzeug" und damit als Waffe, die eine einfache Körperverletzung zur gefährlichen qualifiziert, Instrumente wie der Teppichklopfer und der schwere Schuh oder Stiefel, mit dem ein Täter einen anderen tritt, angesehen werden.
({0})
Unter diesen Begriff fällt damit ohne Zweifel auch der Polizeiknüppel, der ja in dem Zeitraum, an den wir uns heute erinnern, einige Male in Aktion getreten ist.
Das würde also bedeuten, daß der Demonstrant, der bei seinem Abtransport um sich tritt und dabei jemanden trifft, wegen gefährlicher Körperverletzung zu bestrafen wäre.
({1})
Herr Kollege Dr. Lenz hat schon einige Worte zur gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzung
) gesagt. Auch hier. kommen wir wieder auf die Polizei zurück: Wenn zwei Polizeibeamte im Übermaß oder unnötig gegen einen einzelnen vorgegangen wären und ihn gemeinsam abtransportiert und dabei seine körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt hätten, würden sie sich der gemeinschaftlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Auch hier läge eine gefährliche Körperverletzung vor, und nach Ihrem Willen müßte die Strafe eingreifen.
Wir halten es für unerläßlich, uns bei unseren Überlegungen zum Straffreiheitsgesetz an diesen einfacheren Begehungsformen zu orientieren.
({2})
Wir meinen, daß es nicht förderlich ist und auch nicht dem Ziel des Gesetzes entspricht, hier auszumalen, was alles an Schlimmem in diesem Bereich passiert ist oder passieren konnte.
({3})
Soweit es sich um schwerste oder besonders schwere Begehungsarten handelt, sorgt die Strafgrenze von neun Monaten dafür, daß diese nicht straffrei bleiben. Zwischen einem Bagatellfall und dieser Strafgrenze mag manches liegen - das will ich durchaus zugestehen -, das sich bei sehr genauer Überprüfung unter dem einen oder anderen Gesichtspunkt noch als strafwürdig erweist.
Aber hier hat eben eine Abwägung Raum zu greifen, eine Abwägung, die für uns dahin ausgeht, daß wir lieber in diesem Zwischenbereich die Straflosigkeit hinnehmen, als die Gesamtheit der geringfügigen Delikte in diesem Bereich von der Straffreiheit auszunehmen. Wir halten es für mit dem Ziel des Gesetzes nicht vereinbar - wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, sogar für unerträglich -, daß diese Fälle von Bagatelldelikten, wie man sie bezeichnen muß, soweit sie über die unterschiedliche Schwelle des Ermessens in bezug auf die Einstellung wegen Geringfügigkeit hinausgehen, weiterhin bestraft wird.
Wir halten es aber auch für nicht hinnehmbar, daß weiterhin Polizeibeamte weitgehend strafbar bleiben, obwohl für die Demonstranten die Straffreiheit eintritt.
Es stellt sich uns die Frage, ob Sie als Antragsteller diese Konsequenzen eigentlich bis in den Schluß hinein durchdacht haben. Wenn das nicht der Fall gewesen ist, bedarf es der Auseinandersetzung nicht; ist es aber der Fall gewesen, stellt sich Ihr Antrag als Versuch dar, das zu erreichen, was eben zum Antrag Umdruck 13 abgelehnt worden ist, nämlich das Amnestiegesetz auf den Bereich der Strafnormen, die wir vorhin neu gefaßt haben, zu beschränken.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lenz?
Ich bin eigentlich am Schluß; aber bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Schmude, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß auch wir bei unseren Eventualanträgen den Bereich der leichten Körperverletzung, Sachbeschädigung usw. innerhalb der Amnestie gelassen haben?
Mir ist nicht nur das aufgefallen, Herr Kollege Lenz, mir ist bei Ihrem Vorschlag eben aufgefallen, daß Sie verschiedene Einzelfälle benannten, ohne daß daraus überhaupt klar wurde, ob es sich um leichte. Körperverletzungen handelt oder um schwere. Somit besagen die von Ihnen hier angeführten, im ersten Moment recht eindrucksvollen Beispiele für unser Sachgebiet gar nichts.
({0})
Wir haben vorhin klargemacht, daß wir nicht bereit sind, diese von Ihnen gewollte Beschränkung des Straffreiheitsgesetzes hinzunehmen. Ich darf betonen, daß wir dabei bleiben und auch nicht bereit sind, diese Beschränkung auf dem Umwege, auf dem wir uns jetzt befinden, zu akzeptieren.
Zusammenfassend beantrage ich namens der Fraktionen der FDP und SPD, diesen Änderungsantrag abzulehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich danke. Die Gegenprobe! - Mit der bei der Auszählung festgestellten Mehrheit abgelehnt.
({0})
- Herr Kollege Memmel, wenn Sie Wünsche haben, haben Sie die Möglichkeit, sich zur Geschäftsordnung zu Wort zu melden. Im Präsidium besteht Übereinstimmung über das Ergebnis der Abstimmung.
Ich rufe nunmehr die Ziff. 2 des Antrags Umdruck 14 auf. Das Wort hat der Herr Kollege Lenz.
Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Antrag komme, noch ein Wort zu dem Kollegen Schmude: Wenn mehrere gemeinschaftlich in einen Saal eindringen und es dabei zur Verletzung eines Rektors kommt - das war der eine Fall, den ich vorgetragen habe -, dann liegt zumindest prima facie der Verdacht nahe, daß hier gemeinschaftlich gehandelt worden ist. Das gleiche gilt für den Fall von gestern, für die Demonstration in Düsseldorf. Es ist doch für diese Fälle typisch, daß eben nicht einer auftritt, sondern mehrere. Das braucht man doch nicht jedesmal in aller Breite zu begründen.
({0})
Lassen Sie mich jetzt zu dem Antrag kommen. Ziel unseres Antrags ist, den § 315 b, das gemeingefährliche Vergehen der Transportgefährdung im Straßenverkehr, von der Amnestie auszunehmen, und zwar mit folgender Begründung. Einmal darf ich sagen, daß auch hier weder eine Straffreiheit oder Strafeinschränkung für die Zukunft geplant ist, noch daß jemals in der Vergangenheit zweifelhaft gewesen ist, daß man diese Dinge nicht tun darf. Nach unserer Auffassung geht es hier vor allen Dingen um zwei Fälle. Das eine ist das InBrand-Setzen von Kraftfahrzeugen, das bekanntlich sonst nur einfache Sachbeschädigung ist, aber, wenn es im Rahmen des Straßenverkehrs geschieht, nach dem § 315 b bestraft werden muß. Wir meinen, daß gerade diejenigen, die für die leichtere Kriminalität eine Amnestie wollen, Interesse daran haben, daß die Leute, die amnestiert werden sollen, nicht mit solchen in einen Topf geworfen werden, die Kraftfahrzeuge anstecken.
({1})
Der zweite Fall, den wir hier meinen, der uns aus dem Kreise der Landesjustizverwaltungen zugetragen worden ist, ist der, daß Kraftfahrzeuge von ihren Fahrern dazu benutzt worden sind, auf Polizeibeamte loszufahren und sie auf diese Weise zu bedrohen. Man hat uns gesagt, daß dies nach der Rechtsprechung als ein „ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff" im Sinne des § 315 b behandelt wird.
Wir sind der Auffassung, daß diese Dinge nicht amnestiewürdig sind und, auch wenn man nicht auf eine reine Rechtskorrektur hinaus will, nicht in das Gesetz hineingehören. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD und der FDP bitte ich, diesem Antrag nicht zuzustimmen. Herr Kollege Lenz, wir lehnen diesen Antrag nicht deshalb ab, weil wir etwa der Auffassung wären, im Zusammenhang mit Demonstrationen dürften Fahrzeuge angesteckt werden. So etwas kann ja überhaupt keine Rolle spielen; denn die Brandstiftung wird bei uns entsprechend hart bestraft.
Bei Iden Fällen, Herr Kollege Lenz, die Sie aufgeführt haben, haben Sie eigentlich den markantasten Fall nicht genannt, bei dem die Rechtsunsicherheit am allergrößten ist. Das ist die Frage des Sit-in. Wie ist das friedliche Sitzen auf Straßenbahnschienen zu bewerten? Das ist nämlich der typische Fall, der unter § 315 b StGB fällt. Ihr von mir sehr geschätzter Parteifreund Laepple - er kandidiert jetzt ja bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen - hat in Köln ein Sit-in auf Straßenbahnschienen organisiert.
({0})
- Herr Kollege Erhard, ich möchte zunächst zu Ende sprechen. ({1})
Der Fall liegt Jahre zurück. Herr Laepple wurde zunächst freigesprochen. In der Zwischenzeit ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs mit einer Zurückverweisung an das zuständige Gericht ergangen. Dieses Hin und Her erfolgte wegen der Rechtsunsicherheit, die in diesen Fällen immer noch besteht. Ist das Gewalt oder ist das keine Gewalt? Ist das Nötigung oder ist das keine Nötigung?
({2})
Denken Sie an die anderen Fälle, z. B. an den Fall Hannover. Das Sit-in dort hat dazu geführt, daß sich die Bevölkerung mit der Aktion „Roter Punkt" mit den Demonstranten solidarisiert hat.
Das sind alles Fälle, die gegebenenfalls im Rahmen des § 315 b StGB behandelt werden müßten, wenn sie nicht in die Amnestie eingeschlossen würden. Deswegen wird auf Grund der Ermittlungen über die Strafverfahren in den Ländern in der Begründung darauf hingewiesen - nicht jeder hat die Zeit, die Begründung zu allen Gesetzen zu lesen, die hier verabschiedet werden -, daß es sich bei diesen Fällen, die amnestiert werden sollen, um Demonstrationsdelikte mit einem regelmäßig geringen Unrechtsgehalt handelt, die absolut amnestiewürdig sind.
Ich bitte Sie, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, sondern Verständnis dafür zu haben, daß wir die Gerichte nicht wieder mit einer Unzahl von Verfahren belasten wollen. Mit dieser Amnestie und dieser Rechtskorrektur beenden wir die Rechtsun2000
sicherheit, die vorher bestanden hat. Gegenüber den Teilnehmern eines friedlichen, nicht gewalttätigen Sit-in ist eine Amnestie durchaus angebracht.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard.
Frau Kollegin, Sie haben so freundlich vom Lesen und Nichtlesen gesprochen. Sollte Ihnen beim Nichtlesen des § 315 b tatsächlich entgangen sein, daß eine Gefährdung eines anderen erfolgen muß und nicht nur der Täter sich selbst gefährden kann? Also ist doch das friedliche Sitzen, bei dem sich der Sitzende nur selbst gefährdet, niemals ein Tatbestand, der unter den des § 315 b fällt.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 14 Ziffer 2. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist mit einer ähnlichen Mehrheit wie der letzte Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Umdruck 14 Ziffer 3.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz. ({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir selber leid, daß ich so oft hier heraufkommen muß. Ich will es ganz kurz machen.
Unser Antrag hat das Ziel, Straftaten von der Amnestie auszuschließen, für die eine höhere Freiheitsstrafe als sechs Monate verhängt worden oder zu erwarten ist. Die Höchstgrenze soll also sechs statt neun Monate betragen.
Zur Begründung möchte ich folgendes anführen - und dem können Sie eigentlich nur zustimmen. Nach dem Bericht des Herrn Bundesministers der Justiz über die gewalttätigen Aktionen stehen bei den Urteilen über gewalttätige Aktionen Geldstrafen und kurze Freiheitsstrafen eindeutig im Vordergrund. Freiheitsstrafen über drei Monate sind verhältnismäßig selten. Dem Bundesjustizministerium sind nur 12 Urteile gegen 13 Personen bekannt, in denen Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten verhängt worden sind, und von diesen 13 Personen fallen vier nicht unter das Straffreiheitsgesetz, weil sie jeweils mehr als ein Jahr aufgebrummt bekommen haben.
Wir sind also der Auffassung, daß auf Grund der empirischen Feststellungen des Herrn Bundesministers der Justiz der Strafrahmen von sechs Monaten ausreicht, um die große Masse der hier Verurteilten straffrei zu stellen. Sollte darüber hinaus ein Straferlaß in Einzelfällen geboten sein, so können die
Landesjustizverwaltungen Gnade vor Recht ergehen lassen.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ostman von der Leye.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion will die von der Amnestie erfaßten Strafen des § 2 Abs. 3 Nr. 3 von neun Monaten auf sechs Monate herabsetzen. Bekanntlich gibt es in weiten Kreisen Forderungen, die Grenze von neun Monaten ganz aufzuheben.
({0})
Wir sind diesen Forderungen nicht gefolgt, um bösartige Taten von hohem kriminellen Gehalt von der Wohltat der Straffreiheit auszuschließen.
({1})
Aber wir halten es auch für falsch, die Grenze von neun Monaten zu unterschreiten.
Die Statistiken, von denen eben Herr Dr. Lenz sprach, die bislang nur von wenigen Verurteilungen zwischen sechs und neun Monaten zu berichten wissen, sind nicht ganz vollkommen; denn sie erfassen nicht die Nötigung des § 240 StGB,
({2})
die mit einem relativ hohen Strafrahmen ausgestattet ist. Wer die Rechtsprechung des BGH kennt, weiß, was alles unter Nötigung fallen kann, übrigens unter Umständen auch ein CDU-Kandidat, dem wir eine faire Chance geben wollen.
({3})
Wir sahen uns ja leider aus praktischen Gründen außerstande, jene Strafbestimmung in diesem Zuge schon mit zu reformieren; das wird später bestimmt noch geschehen.
Neun Monate stellen auch im Strafrecht eine gewisse magische Grenze dar. Hier endet in der Regel die Strafaussetzung zur Bewährung, und hier beginnt so langsam die Möglichkeit für Beamte, im nachfolgenden Disziplinarverfahren ihrer Rechte verlustig zu gehen.
({4})
Deswegen sprechen Gerichte Strafen bis zu diesen neun Monaten leichter aus.
Aber es sind keine rechtlichen, sondern es sind kriminalpolitische Gründe, die zu der Grenze von neun Monaten geführt haben. Nach Möglichkeit soll die Masse der noch anhängigen über 4000 Strafverfahren erfaßt werden. Die Befriedung soll möglichst umfassend sein.
Die 16 Straffreiheitsgesetzes seit Ende des 1. Weltkrieges, die Zeit des „Dritten Reiches" natürlich nicht mitgerechnet, kannten Strafmaßbegrenzungen zwischen einem Monat und fün Jahren.
Herr Kollege, würden sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen von Thadden genehmigen?
Ja, Herr von Thadden.
von Thadden ({0}) : Herr Kollege, würde es Ihnen nicht zu denken geben, wenn nach wie vor, auch nach der Verkündung des Entschlusses, eine Amnestie durchzubringen, ein Drittel aller Demonstrationen im letzten Quartal 1969 - 104 nach den Berichten des Justizministers - umschlagen? Warum stimmen Sie dann jeden Antrag der Opposition hier nieder, obwohl Sie doch in dem Falle die Realitäten draußen gegen sich haben?
Welche Realitäten meinen Sie in diesem Falle, die aus dem vorigen Quartal von 1969?
von Thadden ({0}) : Die Realität, daß auch nach der Ankündigung draußen ,die Kräfte, die die Demonstrationen umzufunktionieren versuchen, nicht bereit sind, sich auf den Weg eines friedlichen Ausgleichs zu begeben.
Aber, Herr von Thadden, das werden wir dann doch sehen; wenn wir nämlich die Amnestie durchgebracht, die Befriedung durchgeführt haben,
({0})
dann haben wir doch die Möglichkeit einzugreifen. Wir haben ja gerade ein Strafrecht beschlossen, daß uns diese Möglichkeit verschafft.
({1})
Außerdem gab es viele Fälle ohne Strafmaßbegrenzung. Das gilt auch für die Amnestien der Jahre 1949, 1954 und 1968. Die Bundesrepublik kann es sich leisten, großzügig zu sein; sie ist in sich gefestigt genug.
({2})
Es gibt ein Buch mit dem Titel „Bonn ist nicht Weimar". Wir sollten mehr Selbstvertrauen haben.
({3})
Die Bundesrepublik ist aber auch kein Staat von Selbstgerechten, die kein Vergessen und keine Versöhnung kennen. Die Strenge des Vaters, von der man manchmal gesprochen hat - der Staat ist kein Vater -, wird sehr häufig mit Dressur und mit bloßer Abschreckung verwechselt. Ich bekenne mich persönlich zu dem Prinzip der Barmherzigkeit, das auch in der Amnestie steckt und insofern die Amnestie über das Recht hinaus erhebt.
({4})
Ich hatte eigentlich gedacht, bei Ihnen dafür Verständnis zu finden.
({5})
Es mag sein, daß der eine oder andere, wenn wir uns für die Grenze von neun Monaten entscheiden, in den Genuß der Straffreiheit kommt, der eigentlich strafwürdig gewesen wäre. Sicher dagegen ist, daß bei einer Grenze von sechs Monaten mehr Menschen nicht in den Genuß der Amnestie kämen, die sie eigentlich verdient hätten.
({6})
Und wenn es sich auch nur um einen einzigen handelte - hier gilt analog der fundamentale Satz jeder Demokratie, daß es besser ist, einen Schuldigen mehr laufen zu lassen, als einen Unschuldigen zu bestrafen.
({7})
Ich sage ausdrücklich „analog", denn es handelt sich um Menschen, die im Sinne des Gesetzes schuldig geworden sind. Genau müßte es heißen: Es ist besser, einen Strafwürdigen mehr der Straffreiheit teilhaftig werden zu lassen, als einen Amnestiewürdigen nicht zu amnestieren.
Machen wir uns nichts vor: Wir haben in der Regel die Verführten und nicht die Verführer geschnappt. Sicher gibt es einige wenige, die die Bundesrepublik mit dem Bolivien Che Guevaras verwechseln. Es gab auch Anlässe, verführt zu werden, aber keine echten Gründe, Gewalt anzuwenden.
Nach der Rechtskorrektur und nach der Befriedung sind wir um so mehr in der Lage, mit einem glaubwürdigen und rational begründeten Recht sowohl das Grundrecht des Art. 5 zu gewährleisten als auch zugleich gegen Gewalttaten aller Art - seien sie gegen Personen oder Sachen gerichtet - vorzugehen und das Recht, das den Bürger schützt, zu bewahren. Wer nach seinem Gewissen dennoch nicht auf Gewalt verzichten zu können glaubt - die Situation der rechtfertigenden Nothilfe ist in unserem Lande in dieser historischen Lage nicht gegeben -, wird auch die Folgen, wenigstens aus Einsicht in die Notwendigkeit, auf sich nehmen.
Meine Damen und Herren, aus allen diesen Gründen und um die Befriedigung möglichst umfassend zu gestalten, bitte ich namens der Fraktionen der SPD und FDP, es bei der Strafbemessungsgrenze von neun Monaten zu belassen und den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein ganz persönliches, sehr aufrichtig gemeintes Wort an das ganze Haus richten. Grillparzer hat einmal gesagt: von der Humanität zur Bestialität. Diesen Weg haben wir Älteren in der Zeit der Weimarer Republik in erschütternder Weise erlebt, wir, die wir Menschen der Linken, Menschen der Demokratie und des
Fortschritts sind. Es begann mit einem Zuviel an Humanität, die aus unserem Idealismus erwuchs..
Mein Vorredner zitierte das Buch „Bonn ist nicht Weimar". Dazu muß ich bemerken, daß das Buch gut geschrieben, aber völlig falsch ist und nicht mit dem übereinstimmt, was zu dem uns alle heute noch bekümmernden Niedergang der so ideal gedachten Republik von Weimar geführt hat.
({0})
Ich spreche nicht deshalb, weil ich nur das erwähnen will, sondern weil ich selbst im Laufe von zwei Jahren Gegenstand dreier körperlicher Angriffe seitens derer gewesen bin, die unsere gemeinsamen Feinde sind - ob es sich um die FDP handelt, ob um meine Freunde oder ob es sich um die SPD handelt.
Ein Staat, der sich eigentlich auf vielen Gebieten noch nicht ausgewachsen sieht - auch dort; wo es gilt, schneller und wirksamer uns alle vor Übeltätern in Schutz zu nehmen -, sollte vorsichtig sein und sich nicht zu einem Tempo, das der derzeitigen Unruhe nicht entspricht, verführen lassen. Wohlgemeinte Humanität - wer teilt sie nicht als anständiger Mensch, wer teilt sie nicht als Sozialist, wer teilt sie nicht als Liberaler, wer teilt sie nicht als christlicher Demokrat? Für uns alle, für alle drei Fraktionen ist das Humane aus verschiedenen Gründen das absolut Selbstverpflichtende.
Aber - damit will ich schließen - ich bitte wirklich, mir zu glauben, daß ich in innerer Unruhe bin, denn ich sehe, wie die Autorität - jetzt im ganz simplen Sinne nur gemeint - dieses Staates, und seiner Repräsentanten schon beginnt, von jedem, der es will, einfach mit Füßen getreten zu werden.
({1})
- Meine drei körperlichen Verletzungen haben keine Ahndung gefunden. Bei der einen auf dem Rudolf-Wilde-Platz stand ein Polizeibeamter zehn Schritte neben mir, als mir ein Farbbeutel in meinen Wagen geworfen wurde, und auf meine Frage hin, warum er sich nicht rühre, bekam ich die klassische Antwort: Wir haben Befehl, uns zurückzuhalten.
({2})
So könnte ich Ihnen auch die beiden anderen Fälle noch schildern. Sie können mir also glauben, daß ich hier wirklich ehrlich spreche. Ich kann unrecht haben, und Sie haben vielleicht recht, aber ich kann es nicht unterdrücken, von meinem Gewissen her diese Mahnung an alle Kollegen und Freunde dieses Hauses in diesem Augenblick gerichtet zu haben.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffer 3 des Umdrucks 14. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Danke schön. Enthaltungen? Meine Damen und Herren, im Präsidium besteht keine Übereinstimmung. Ich schlage vor, daß wir die Abstimmung nicht durch Aufstehen wiederholen, sondern daß wir sofort auszählen. Sind Sie damit einverstanden? - Danke.
({0}) Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, mehrere Kollegen haben den Plenarsaal in Richtung Wandelgang verlassen. Kollegen der CDU/CSU haben nun darauf hingewiesen, daß die Auszählungskontrolle nicht mehr möglich sei, weil die Kollegen in der Lage seien, die Seitenhalle zu verlassen. Ich werde mich sofort vergewissern. Wenn das möglich wäre, müßte ich die Abstimmung wiederholen lassen. Ich wäre dankbar, wenn festgestellt würde, ob es möglich ist, die Seitenhalle ohne Kontrolle zu verlassen. - Mir wird gesagt, es sei nicht möglich, die Seitenhalle zu verlassen.
Dann fahren wir in der Abstimmung fort. - Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Mir wird soeben von einem Schriftführer gemeldet, daß eine Tür der Seitenhalle nicht abgeschlossen gewesen sei. Es sei möglich gewesen, sie zu verlassen, und dadurch habe die Möglichkeit bestanden, erneut an der Abstimmung teilzunehmen. Unter diesen Umständen muß ich die Abstimmung wiederholen lassen. Ich lasse alle Türen jetzt sorgfältig schließen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. - Die Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung über Ziffer 3 des Umdrucks 14 bekannt. Mit Ja haben gestimmt 192 Mitglieder des Hauses, mit Nein 210. Es gab keine Stimmenthaltungen, so daß der Antrag abgelehnt ist.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr zunächst die Ziffer 5 des Antrags auf Umdruck 14 auf, und zwar deswegen, weil die Frau Präsidentin die §§ 1, 2 und 6 in der zweiten Lesung aufgerufen hat. Ich muß natürlich in dieser Systematik fortfahren, Herr Kollege Müller-Emmert.
Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei diesem Änderungsantrag um Täter, die mehrfach an gewalttätigen Aktionen beteiligt waren. Nach der Ausschußvorlage sollen sie straffrei bleiben, wenn sie in jedem einzelnen Fall die Höchstfreiheitsstrafe von neun Monaten nicht verwirkt haben. Das kann dazu führen, daß jemand, der fünfmal eine mehrmonatige Freiheitsstrafe von insgesamt, sagen wir, zwei Jahren verwirkt hat, straffrei davonkommt, während einer, der durch nur eine Handlung eine Strafe von zehn Monaten verwirkt hat, nicht in den Genuß der Straffreiheit kommt. Wir halten das für ungerecht. Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, ist Ziel unseres Antrags, dem wir zuzustimmen bitten.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lenz hat den Antrag so begründet, als ob er damit bestimmte Stimmungen habe erwecken wollen. Ich möchte jetzt einmal ,auf den juristischen Grundgehalt zurückkommen.
Wenn jemand mehrere selbständige Straftaten begangen hat, liegt ,die sogenannte Realkonkurrenz vor. Dann besteht folgende Möglichkeit. Im Gerichtsverfahren kann zunächst jede einzelne Handlung für sich abgeurteilt werden. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die einzelne Tat unter ,die Amnestie fällt - diese sind viel enger begrenzt, als man nach der Darstellung von Herrn Kollegen Lenz meinen könnte -, darf man nachher nicht von der Zusammenrechnung einer Gesamtstrafe ausgehen. Für die Nichtjuristen möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Nach dem allgemeinen Strafrecht wird, wenn mehrere selbständige Taten zusammen abgeurteilt werden, die sogenannte Gesamtstrafe gebildet, die geringer als .die Summe der Einzelstrafen ist. Der Angeklagte hat aber kein Recht darauf, daß die Einzelverfahren in einer Hauptverhandlung abgeurteilt werden, weil das eine Vergünstigung
Mit diesem Antrag, in dem Sie nicht von den einzelnen verhängten Strafen, sondern von der Gesamtstrafe ausgehen, kehren Sie die Tatsache, daß die Gesamtstrafe an und für sich eine Vergünstigung für den Angeklagten ist, in eine Verböserung um. Das widerspricht nun völlig dem Prinzip der Realkonkurrenz, der gemeinsamen Aburteilung von mehreren Straftaten in einem Verfahren.
Ich bitte deshalb namens der Fraktionen der SPD und der FDP, diesen Antrag abzulehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 14 Ziffer 5. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Mit einer ähnlichen Mehrheit wie bei der letzten Abstimmung ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ausschußfassung der aufgerufenen §,§ 1, 2 und G, über die ich gemeinsam abstimmen lasse, weil sämtliche Änderungsanträge abgelehnt sind. Wer der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Mit einer ähnlichen Mehrheit wie soeben beschlossen.
Nunmehr rufe ich §§ 3 und 4 der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Antrag Umdruck 14 Ziffer 4 auf Einfügung eines § 4 a auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der beantragte § 4 a entspricht dem § 4 b der Bundesratsvorlage. Er hat zum Ziel, daß bereits dm Strafregister vermerkte Strafen von Amts wegen getilgt werden, sowie für sie Straffreiheit gewährt wird. Wir wollen damit eine möglichst gleichmäßige Behandlung gleichartiger Straftaten erreichen. Mit anderen Worten: Diejenigen, die gewohnheitsmäßig gewalttätige Aktionen begehen, verfügen häufig über eine vorzügliche Rechtsberatungsorganisation. Diejenigen, die sich nur einmal im Eifer des Gefechts zu einer solchen Aktion haben hinreißen lassen, verfügen darüber möglicherweise nicht und könnten, wenn im Strafregister nur ,auf Antrag gelöscht wird, eventuell nicht in den Genuß der Löschung kommen. Wir wollen aber, daß diese zweite Gruppe nicht schlechter behandelt wird als die erste.
Wir bitten Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen, der sich, wie ich glaube, im übrigen auch mit Ihren Intentionen deckt.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktionen der SPD und der FDP stelle ich den Antrag, diesen Antrag abzulehnen, und zwar dm wesentlichen aus folgenden drei Gründen.
Zunächst erregt es große Verwunderung, daß sich die Unionsfraktionen 'bei diesem Punkt großzügigst erweisen, nämlich alles tilgen wollen, wohingegen sie bisher stante pede versucht haben, überall etwas an der Amnestie abzuzwacken. Offenbar liegen hier noch andere Gründe vor.
({0})
Zweitens. Auch unsere Fraktion ist der Meinung, daß grundsätzlich eine Löschung im Strafregister erfolgen soltle. Aber wir vertreten die Auffassung - ich meine, das war auch die Auffassung Ihrer Vertreter im Strafrechtssonderausschuß - daß hier § 8 des Straftilgungsgesetzes ausreicht, zumal wir davon ausgehen können, daß ein nicht unwesentlicher Kommentator, nämlich Fritz Hartung, meint, daß es gefährlich sei, solche Straftilgungen im Rahmen von Amnestiegesetzen durchzuführen.
Drittens. Wir meinen, daß die Länder und der Bund nach dem Votum, das im Strafrechtssonderausschuß ausgesprochen wurde, großzügig mit dem Härteausgleich im Sinne des § 8 des Straftilgungsgesetzes verfahren werden.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 14
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit einer ähnlichen Mehrheit wie bei der letzten Abstimmung abgelehnt.
Ich rufe nunmehr § 5, §§ 7 bis 13, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Ausschußvorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenhaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Mit einer ähnlichen Mehrheit wie bei der letzten Abstimmung angenommen.
Wir treten jetzt in die
dritte Beratung
ein. Es hat sich zunächst für die Fraktion der CDU/ CSU der Abgeordnete Benda zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst sagen, daß die Fraktion der CDU/CSU für die Schlußabstimmung über diesen Gesetzentwurf in der dritten Lesung namentliche Abstimmung beantragt.
({0})
Es gibt nach der ausführlichen Einzeldiskussion, die wir zu einer Reihe von Punkten geführt haben, wenig Neues zu sagen. Diese Feststellung treffe ich aber nicht in dem Sinne - das sage ich an die Kollegen Krockert und Ostman von der Leye von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei -, daß I etwa alles gesagt und heute oder bei der vorigen Beratung in der ersten Lesung auch nur e i n überzeugendes Argument für dieses Vorhaben, das Sie dem Hause unterbreiten, vorgebracht worden wäre.
({1})
Wir haben schon in der ersten Lesung die Frage aufgeworfen, welche Gesichtspunkte und Argumente denn eigentlich für eine solche Amnestie sprechen. Wir haben in der ersten Lesung keine Antwort bekommen, und in der zweiten Lesung haben wir von Herrn Kollegen Krockert nur hören können, das sei ja alles im Ausschuß besprochen worden, und die Mitglieder des Ausschusses würden jetzt wohl wissen, warum das der Fall sei.
({2})
Zunächst einmal, Herr Kollege Krockert: es ist das Recht des ganzen Hauses, Ihre Gesichtspunkte zu erfahren. Hier ist der Ort der Auseinandersetzung.
({3})
Der Ausschuß dient der Vorbereitung unserer Entscheidungen hier im Plenum; er tritt nicht an die Stelle des Plenums.
Herr Kollege Ostman von der Leye und Frau Kollegin Diemer-Nicolaus haben noch bei der Beratung des vorigen Tagesordnungspunkts versucht, ein paar Punkte vorzutragen. Mit diesen Ausführungen will ich mich kurz beschäftigen.
Herr Kollege Ostman von der Leye, ich höre mit Respekt - ich meine das nicht ironisch, sondern so, wie ich es sage -, daß Sie für Ihre Person und, wie ich annehme, auch für Ihre Fraktion sagen, Sie würden sich in diesem Bereich - ich hoffe, Sie zutreffend zu zitieren - zu dem „Prinzip der Warmherzigkeit" bekennen.
Ich sage Ihnen, daß das Prinzip, das uns bei dieser Entscheidung zu leiten hat, nicht das Prinzip der Warmherzigkeit, sondern nur das des Rechts ist und sein kann.
({4})
- Ich komme auf Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Schäfer, in zwei oder drei Minuten zurück. Ich behalte ihn im Auge und habe vor, dazu etwas zu sagen.
Es gibt in der Frage, wie das Verhalten von Menschen, die gegen die Rechtsordnung verstoßen haben, zu beurteilen ist, nur die Auffassung des Rechts und keine andere. Es ist nicht Sache des Politikers und nicht Sache des Parlaments, einen auf Grund der geltenden Gesetze und nach einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren gefällten Gerichtsspruch für eine große Gruppe - außer auf Grund der im Grundgesetz und in den Gesetzen und Landesverfassungen vorgesehenen Gnadenverfahren - zu korrigieren.
Wir beginnen vom Wege des Rechts abzugehen, wenn wir meinen, aus Gründen der Opportunität - es sind Gründe der Opportunität vorgetragen worden ({5})
vom Wege des Rechts abgehen zu können. - Sie gucken erstaunt, Herr Kollege Ostman von der Leye, daß ich von „Gründen der Opportunität" spreche. Ich will die diesbezüglichen Ausführungen zitieren; sie stammen alle aus der heutigen Debatte. Ich will mich in diesem kurzen Beitrag auf die Argumente, die heute hier ausgetauscht worden sind, beschränken.
Wenn ich mich nicht täusche, hat Frau Kollegin Diemer-Nicolaus gesagt, die Gerichte seien mit einer Vielzahl von Verfahren „belastet". Es liegt wohl nahe, daraus die Folgerung zu ziehen, man müsse um der Arbeitslast der Gerichte willen. etwas tun.
({6})
- Sie haben es gesagt, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus; vielleicht wollen Sie Ihre Zwischenfrage, die ich sehr gern beantworten will, benutzen, um hier etwas hinzuzufügen.
Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, der Herr Kollege läßt die Zwischenfrage zu.
Herr Kollege Benda, Sie haben sich offensichtlich nur diesen einen Ausspruch notiert, aber nicht das, was ich als eigentlichen Grund angegeben habe, nämlich die
Rechtsunsicherheit, die bestanden hat und die dazu geführt hat, daß man hier über die reine Rechtskorrekturamnestie hinausgehen muß. Daß das der innere Grund ist, habe ich genau ausgeführt.
Frau Kollegin, ich bedanke mich für die Bestätigung, daß Sie diesen Gesichtspunkt genannt haben. Es ist der zweite von drei Punkten, die abzuhandeln ich die Absicht hatte.
Ich möchte zunächst einmal sagen, der Gesichtspunkt der Belastung der Gerichte kann weder hier noch in irgendeinem anderen Komplex, in dem die Gerichte zur Aburteilung in Strafverfahren zuständig sind, irgendeine Rolle spielen. Er spielt keine Rolle im Bereich der allgemeinen Kriminalität,
({0})
er spielt keine Rolle in dem Bereich, der sich teilweise aus Bagatellen, teilweise aus ernsterem Geschehen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zusammensetzt und der natürlich die Gerichte besonders belastet. Der Gesichtspunkt, die Gerichte hätten zu viel zu tun und müßten entlastet werden, kann überhaupt keine Rolle spielen. Ich glaube, hier handelt es sich um ein Argument, das auch auf der praktischen Seite ziemlich problematisch ist. Es gibt nämlich Leute - und Herr Kollege Dr. Lenz hat vorhin eindrucksvolle Beispiele dafür genannt, bis zum gestrigen Tage -, die trotz dessen, was Sie hier im Sinne des Herrn Ostman von der Leye an Befriedung, Aussöhnung und warmherzigen Angeboten auf den Tisch legen, bis zu diesem Zeitpunkt, zu dem wir diskutieren, unbeeindruckt und unentwegt dasselbe tun, von dem Sie heute sagen: Ja, bis zum 31. Dezember 1969 Augen zu, und ab 1. Januar nicht mehr. Heute haben wir bereits etwas über Mitte März. Zweieinhalb Monate sind ins Land gegangen. Wenn diese Leute - es gibt sie nach dem, was hier vorgetragen worden ist, und wir alle wissen das - überlegen, ob der Gesetzgeber - und ich nehme an, sie überlegen es - wenn er in naher Zukunft wieder vor der gleichen Frage stehen sollte, das vielleicht nicht auch bereinigt, dann könnte der Gesichtspunkt, daß wieder so viel passiert ist und die Gerichte wiederum entlastet werden müssen, vielleicht auch wieder eine Rolle spielen.
({1})
Je mehr man in dieser Richtung veranstaltet, desto näher liegt es - wenn man das Entlastungsargument überhaupt anerkennt -, diese Entwicklung erneut in Gang zu bringen.
({2})
Das zweite Argument, die Rechtsunsicherheit, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, will ich kurz behandeln. Denken Sie an das, was Herr Kollege Lenz Ihnen an Beispielen gesagt hat. Mit demjenigen, der sich darüber nicht im klaren ist, daß er damit gegen geltendes Recht verstößt und etwas tut, was auch in einem sittlichen Sinn Unrecht ist - worüber wir uns wohl bei den Beispielen, die Herr Lenz angeführt hat, einig sind -, darüber unter dem Gesichtspunkt der Rechtsunsicherheit zu diskutieren, halte ich eigentlich nicht für sehr aussichtsreich.
Das dritte Argument ist das wichtigste. Hier komme ich zurück zu dem Gesichtspunkt Opportunismus. Vergessen, versöhnen und befrieden - schöne Worte. Meine Damen und Herren, der Präsident des Bundesrates, Herr Bürgermeister Professor Weichmann, hat in seiner Rede anläßlich des 20. Jahrestages des Bestehens des Bundesrates am 24. Oktober 1969 vor dem zunehmenden und andauernden Mißbrauch der gesetzlichen Freiheiten gewarnt und ausdrücklich hinzugefügt: er warne auch vor der andauernden Tolerierung dieses fortdauernden Mißbrauchs der grundgesetzlichen Freiheiten. Er hat darauf hingewiesen, daß Aktionen in allen Spielarten, die im Wege von aktiver oder passiver Gewalt gesetzte Rechtsnormen verletzen, einen anarcho-syndikalistischen Charakter tragen und daß der rechtliche Mißbrauch der Freiheit des Protestes die Freiheit überhaupt gefährdet. Meine Damen und Herren, hierüber zu reden, hierüber nachzudenken, ist nicht nur opportun, es ist für uns alle dringend notwendig, und daran sollten wir uns begeben. Das ist das Thema und das Problem, vor dem wir stehen.
({3})
- Herr Kollege Hirsch, ich höre den Zuruf: dies ist selbstverständlich. Mit dem Gesetz, das Sie hier zu verabschieden offenbar entschlossen sind, tun Sie genau das Gegenteil. Vor dieser Situation, die der Präsident des Bundesrates in einer, wie ich glaube, völlig zutreffenden Weise dargestellt hat, drücken Sie beide Augen fest zu. Sie versprechen sich, wie Frau Kollegin Diemer-Nicolaus das getan hat, es werde sich schon alles befrieden, obwohl wir - bis zum gestrigen Tage zumindest - wissen, daß sich gar nichts befriedet hat.
Meine Damen und Herren, wir werden uns hierüber in diesem Hause in wenigen Monaten wieder sprechen. Die Statistik, die der Herr Bundesminister der Justiz zu dem Antrag, der vorhin schon erwähnt worden ist, vorgelegt hat, widerlegt die herkömmliche Meinung, es habe sich alles befriedet. Ich habe manchmal das Gefühl, daß sich unsere öffentliche Meinung und die Presse in dem Sinne bereits daran gewöhnt, daß es eben keine Neuigkeiten mehr sind, wenn irgendwo so etwas passiert wie das, was gestern in Düsseldorf geschehen ist. Das ist ja doch ein unerhörter Vorgang, der dann in einigen Zeitungen nur noch in drei Zeilen - mehr nicht - erwähnt wird. Überlegen wir uns einmal, welchen Raum ein solcher Vorgang vor ein oder zwei Jahren eingenommen hätte und zu welchem Sturm der Entrüstung es in allen Parlamenten unseres Landes und in der ganzen Bevölkerung gekommen wären. Muß man darüber nicht nachdenken?
({4})
Ein letzter Gesichtspunkt zum Thema Opportunismus - damit will ich meine Ausführungen abschließen. Herr Kollege Ostman von der Leye und meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, es ist nicht nur eine politische Diskussion, ob man um des vorhin dargestellten. Zieles der Versöhnung und Befriedung willen - abgesehen von
der Frage, ob Sie es erreichen können - eine Amnestie verabschiedet. Das ist auch eine Rechtsfrage. Eine Amnestie ist nicht schlechthin zulässig. Ich fange nicht wieder mit der „Jubelamnestie" an, nachdem mir von allen Seiten versichert worden ist, sie sei natürlich unter gar keinen Umständen beabsichtigt. Lassen wir also dieses Thema; ich will dazu weiter nichts sagen. Eine Amnestie dieser Art wäre rechtlich auch schlechthin unzulässig.
Gustav Radbruch hat in seiner Rechtsphilosophie darauf hingewiesen, daß die durch Amnestie; oder auch durch Einzelbegnadigungsakte zuerkannte Gnade nicht einem politischen Zwecke - ich zitiere ihn jetzt wörtlich insofern dienen dürfe, daß etwa zum Zwecke der Versöhnung und Gewinnung bisher oppositioneller Volkskreise begnadigt werde.
({5})
Gustav Radbruch, der große Rechtsphilosoph, der große Sozialdemokrat, hat eine solche Amnestie, die im Sinne meiner Argumentation eine opportunistische Amnestie ist, für unzulässig, auch rechtlichfür unzulässig gehalten!
({6})
Meine Damen und Herren, damm handelt es sich. Die Mehrheit, die offenbar bereit ist, diese Amnestie zu verabschieden, geht einen opportunistischen Weg;
({7})
sie verläßt damit den Weg des Rechts; ({8})
sie wird nicht zur Aussöhnung beitragen; sie wird unserem Lande nicht nutzen, sondern Schaden zufügen. Wir warnen auf das nachdrücklichste vor diesem Weg. Wir sind nicht bereit, diesen Weg mitzugehen.
({9})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Verlauf der zweiten Lesung zur Beratung dieses Gesetzentwurfes ist es ja wohl deutlich geworden: Die Amnestie, wie sie die Koalitionsfraktionen nach Inhalt und Umfang wollen und wie sie im Entwurf in § 2 Abs. 2 dargelegt ist, weist in der Tat rechtspolitische undgesellschaftspolitische Begründungen auf. Offenbar geht es bei dem Meinungsunterschied zwischen Opposition einerseits, Koalitionsfraktionen und Regierung andererseits um diese letzte, die gesellschaftspolitische Begründung, nach der auch Herr Benda so eindringlich gefragt hat.
Mich wundert, daß er so eindringlich gefragt hat, nachdem er gerade mit seinem Ruf - ich möchte ihn Kassandra-Ruf nennen ({0})
als Warnung die Gründe genannt hat, warum in diesem Lande Spannungen herrschen und welche Spannungen es gerade in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mit politischen und anderen Mitteln zu lösen ;gilt.
Ich bin allerdings sehr, sehr enttäuscht - ich möchte nichts Härteres sagen -, daß offenbar Herr Kollege Benda und 'die Fraktion der Opposition uns unterstellen zu müssen meinen, wir wollten hier eine opportunistische Amnestie, wir wollten das Recht verlassen.
({1})
Als ob wir uns nicht ernsthafte Gedanken gemacht hätten! Wir haben sie auch vorgetragen, und zwar nicht nur im Ausschuß.
({2})
Für uns ist diese Amnestie eine 'ganz wichtige innenpolitische Frage.
({3})
Wir möchten Ihnen verständlich machen, daß wir die Amnestie im Zusammenhang, mit dem gesamten Demonstrationsgeschehen der letzten drei bis vier Jahre sehen. Dieses Geschehen hat sich entwickelt, in ,einem Prozeß gesteigert, eskaliert. Wir haben es doch in den einzelnen Demonstrationen als Eskalation und als Konfrontation zwischen politisch engagierten jungen Menschen und den demokratischen Ordnungskräften erlebt. Hier hat sich inzwischen ein Konflikt entwickelt, den wir sehen müssen, und zwar nicht nur als Konflikt zwischen den demokratischen Ordnungskräften einerseits, nämlich der Polizei und den Gerichten, und einer politisch engagierten Jugend andererseits. Vielmehr ist in diesen Jahren noch etwas ganz anderes zutage getreten, das viel tiefer geht, nämlich ein Konflikt, der inzwischen nicht nur das Demonstrationsgeschehen kennzeichnet, sondern in alle unsere gesellschaftlichen Einrichtungen hineinreicht, in die Hochschulen, Schulen, Parteiorganisationen, Kirchen, ja 'sogar in die einzelnen Sie haben doch auch die Frühstücks- und Abendtischgespräche mit Ihren jungen Partnern zu führen.
({4})
Hier geht es offensichtlich um große Probleme für junge Menschen, Probleme, die gar nicht auf unsere Bundesrepublik beschränkt sind. Wir wissen es doch: es geht um gesellschaftlich bedingte Probleme, die es jungen Menschen in allen hochindustrialisierten Ländern heute schwermachen, in dieses Leben hineinzuwachsen.
Wir meinen allerdings, daß diese Problematik und Konfliktsituation in unserer Bundesrepublik noch gesteigert und belastet wurde dadurch, daß in der Konfrontation, der Auseinandersetzung auch noch ein veraltetes, obrigkeitsgeprägtes Strafrecht angewendet werden mußte. Hier gibt es etwas zu bereinigen.
Ich möchte noch ein Wort zu dem Begriff „Befriedung" sagen. Mir gefällt er gar nicht. Ich meine,
er ist mißdeutet worden. Wir hängen keinen falschen Harmonisierungsvorstellungen an. So leicht machen wir es uns nicht, und so leichtfertig sind wir auch nicht. Aber in bezug auf die Vergangenheit ist hier etwas zu bereinigen, damit wir in der Zukunft in unseren politischen Auseinandersetzungen klarere Verhältnisse haben. Dieses Parlament hat allzu lange gebraucht, um eine klare Position in dieser tiefgründigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zu beziehen, die Demonstrationen als ein Mittel der politischen Meinungs- und Willensbildung von Minderheiten anzuerkennen und das Strafrecht entsprechend zu reformieren.
({5})
Das alles ist gemeint, wenn ich sage: Wir meinen es sehr ernst mit einer Bereinigung und mit der Schaffung von klaren Verhältnissen für alle an der politischen Auseinandersetzung Beteiligten, d. h. nicht nur für die junge Generation, die Polizisten, die Gerichte, sondern auch für uns, die Politiker. Aus den Diskussionen, die wir in diesen Tagen geführt haben, und aus unseren Gesetzentwürfen wird sehr deutlich, daß in diesem Lande nur friedliche Demonstrationen als Mittel der politischen Auseinandersetzung geschützt sind.
({6})
Wir sagen ganz klar: Gewalttätigkeiten und Gesetzesverletzungen sollen und müssen in den Auseinandersetzungen ausgeschlossen bleiben. Wir wollen und können keine brutale Verwilderung unserer politischen Auseinandersetzung dulden.
({7})
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sind uns in der Abwehr antidemokratischer Ausnutzer unserer demokratischen Freiheiten einig. Wir wenden uns gegen diejenigen, die diese Freiheiten mißbrauchen wollen. Wir sind uns aber auch darüber einig, daß eine große Zahl von durchaus demokratisch gesinnten jungen Menschen, die zu uns gehören und die wir schützen müssen, in dieser Problematik, die ich vorhin zu schildern versuchte, stehen.
Die Amnestie - so verstehen wir sie, und so versteht sie auch die Regierung - ist ein Angebot zur gemeinsamen Aufarbeitung nun einmal vorhandener Konflikte und Spannungen. Wir sind uns darüber klar, daß die notwendigen großen Reformvorhaben in diesem Lande nur mit den Kräften der jungen Generation, mit der Hilfe der jungen Menschen, deren Leben doch weit über das Jahr 2000 hinausreicht, gemeistert werden können.
({8})
Diese jungen Menschen haben ein Recht, an der Weichenstellung und Gestaltung des heutigen gesellschaftlichen und politischen Lebens mitzuwirken. Meine Damen und Herren von der Opposition, lassen Sie es nicht zu einer Polarisierung kommen, lassen Sie uns nicht auf Grund der Provokationen die falsche Alternative wählen!
({9})
Aus diesen Gründen plädiere ich dafür, daß der Gesetzentwurf in der Form, wie er vom Sonderausschuß für die Strafrechtsreform vorgelegt wurde, angenommen wird.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte ist heute oft das Wort „Korrekturamnestie" gefallen. Eine solche Korrekturamnestie wäre gar nicht notwendig, weil die Justizbehörden der Länder in früheren Fällen nicht nur auf Grund von Gesetzesänderungen, sondern auch auf Grund von Änderungen in der Entscheidungspraxis höchster Gerichte für einen Ausgleich auf dem Gnadenwege gesorgt haben. Eine Korrekturamnestie ist also kein Thema für unsere Debatten in diesem Hohen Hause. Thema kann lediglich die jetzt vorgeschlagene Amnestie sein. Sie hat verschiedene Namen bekommen, die ich alle nicht für sehr glücklich halte. Bleiben wir bei dem Begriff „Amnestie".
Jeder Jurist lernt - spätestens wenn er sich mit dem von Herrn Benda zitierten Wort von Gustav Radbruch befaßt -, daß eine Amnestie im Sinne der wahren Gerechtigkeit etwas Schlechtes ist. Bis vor wenigen Jahren bin auch ich davon überzeugt gewesen. Es hat keinen Fall gegeben, in dem ich für eine Amnestie hätte eintreten mögen. Sie werden fragen: Warum dann jetzt? Ich werde versuchen, das zu begründen.
({0})
- Wenn ich hier zu dieser Sache spreche, dann tue ich das besonders gern deshalb, meine Herren Zurufer, weil mir das, was ich hier vorzutragen habe, ein ganz persönliches Anliegen ist und weil ich ,der Meinung bin, 'daß in diesem Land Dinge hinter uns liegen, an denen wir alle, wie wir hier sind, jedenfalls nicht unschuldig gewesen sind
({1})
und die nun einmal bereinigt werden müssen. Die Frage ist, wie wir das auf eine nicht nur rechtlich, sondern auch im Sinne der Gerechtigkeit einwandfreie Weise tun können.
Herr Benda, ich habe es Ihnen, offen gestanden, verübelt, daß Sie irgend jemandem in diesem Hause, der sich um die Dinge so viel Sorgen gemacht hat, wie man ,das eigentlich von allen annehmen kann, unterstellen, hier würde aus Opportunismus gehandelt.
({2})
Ich halte von Opportunismus gar nichts,
({3})
aber besonders halte ich von Opportunismus nichts, wenn er zusammenhängt mit Dingen des Rechts.
({4})
Herr Kollege Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benda?
Bitte schön!
Herr Kollege Kleinert, erlauben Sie, daß wir uns einen Augenblick über den Sinn des Wortes „Opportunismus" oder des Wortes „Opportunität". - so hatte ich gesagt - unterhalten?
({0})
- Die Frage geht nicht dahin, ob die Herren von
der SPD, sondern ob der Herr Kleinert es erlaubt,
daß wir uns einen Augenblick darüber unterhalten.
Damit wir das Haus nicht zu lange aufhalten, Herr Benda: Sind Sie damit einverstanden, daß ich zur Kenntnis nehme, daß hier ein philologisches Mißverständnis vorliegt? Dann, meine ich, sollten wir über diesen Punkt im Moment nicht weiter verhandeln. Ich habe es anders aufgefaßt.
({0}) Dann wollen wir wieder zur Sache kommen.
Darf ich meine Frage ausfiühren, oder wollen Sie sie nicht zulassen?
Kleinert ({0}): Bitte schön! Wenn Sie also der Philologie wegen - Benda ({1}) : Herr Kollege Kleinert, ich versuche jetzt nicht, mit Ihnen zu diskutieren, weil mir das gar nicht zukommt; ich wollte eine Frage stellen, und wenn Sie mir Gelegenheit geben würden, das zu tun, dann tue ich es sehr gerne.
Bitte schön!
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Ausdruck „Opportunität" bezeichnen will, daß jemand etwas deswegen tut, weil er von der schlichten Nützlichkeit dessen, was er tut, überzeugt ist? Das ist ja wohl der Wortsinn. Warum wehren Sie sich gegen diese Unterstellung? Ich habe über das Verhältnis von Opportunität und Recht ja einige Ausführungen gemacht.
Herr Benda, Sie haben das sehr schön sagen dürfen. Aber es steht doch nun einmal fest, daß von diesem von Ihnen zutreffend wiedergegebenen sprachlichen Wortsinn inzwischen für das Sprachgefühl ein gewisser Weg zurückgelegt worden ist, der dem Wort einen ausgesprochen negativen Klang gegeben hat
({0})
in dem Sinn, daß etwas eben nur wegen des Zwecks und womöglich sogar - und das war insbesondere aus dem Zusammenhang zu entnehmen, in dem Sie dieses Wort vorhin gebraucht haben - unter Hintanstellung anderer, durchaus wertvoller Gründe getan wird.
({1})
Und in diesem Sinne muß ich es eben nach wie vor zurückweisen.
({2})
Da hat eben die philologische Klarstellung nicht weitergeholfen. Aber wir wollen doch dabei jetzt nicht allzu lange stehenbleiben.
Wenn Sie hier davon sprechen, eine Amnestie sei nicht möglich, und sagen, allenfalls käme eine Korrekturamnestie in Frage, dann stellen Sie die Dinge doch so dar, als habe sich der Bundestag, weil es nun einmal an der Zeit gewesen sei, im ganz normalen Geschäftsgang gesagt: Wir müssen auch einmal die Bestimmungen über diese sogenannten Demonstrationsdelikte überholen, weil sie schon reichlich alt sind.
So ist es aber doch nicht gewesen. Es ist doch nicht in aller Ruhe und rein routinemäßig diese Aufgabe aufgegriffen worden, sondern die Aufgabe der Bereinigung des materiellen Rechts auf diesem Gebiet ist in Angriff genommen worden, weil es dringend nötig geworden war, weil es brandeilig geworden war, weil man zu lange gewartet hatte,
({3})
weil man es zu lange unterlassen hatte, den tatsächlichen Verhältnissen und insbesondere der von unserem Grundgesetz vorgeschriebenen freiheitlichen Ordnung auf diesem Gebiet Genüge zu tun, und weil es dadurch zu Konflikten gekommen ist, die nicht von böswilligen Demonstranten und Aufheizern, sondern von ehrbaren, ruhigen, gereiften und erfahrenen Richtern nicht gelöst werden konnten, wie der Leidensweg einschlägiger Prozesse ohne weiteres belegt.
({4})
Diese Konflikte mußten möglichst bald vom Gesetzgeber ausgeschlossen werden. Das ist mit dem heute verabschiedeten Gesetzentwurf endlich geschehen.
Wenn aber eine solche Ausnahmesituation bestanden hat - und sie hat bestanden; derartige Rechtsunsicherheit haben wir auf keinem anderen Gebiet, noch dazu in einer so gehäuften Zahl von Fällen gehabt wie auf diesem; hier liegt ein Versäumnis, das wir mit zu vertreten haben -, dann ist es nicht etwa ein Gebot der Opportunität, sondern ein Gebot der Gerechtigkeit, es nicht allein die letzten entgelten zu lassen, die in dieser ungeklärten Situation vielleicht noch über das hinausgerissen worden sind, was sie unter anderen Umständen getan haben, die die Rechtslage naturgemäß noch viel weniger beurteilen konnten als die Richter, die damit später auch nicht fertig geworden sind. Wir sollten diese nicht entgelten lassen, daß wir erst heute zu der notwendig gewordenen Änderung kommen. Darum diese Amnestie. Es geht nicht an, hier von Opportunität zu
sprechen bei einem Anliegen, das nun wirklich in vollem Umfang der Gerechtigkeit dient.
({5})
Ich hatte versprochen, mich mit Rücksicht auf die vorgerückte Stunde möglichst kurz zu fassen. Aber ein Wort noch: Es ist hier gelegentlich so angeklungen - insbesondere in Zwischenrufen, deren Urheber dann bezeichnenderweise nicht recht erkennbar sind -, als ob vielleicht auch so etwas wie eine politische Nähe - ich will es einmal ganz vorsichtig umschreiben - zu den Demonstranten und damit eine verdeckte Begünstigungsabsicht eine Rolle spielen könnten.
({6})
- Ich danke Ihnen für diese Bestätigung. Das ist bezeichnend dafür, daß ich nicht fehlgehe in meiner Beurteilung der Art, wie einige von Ihnen hier die Diskussion führen wollen, auf lange Sicht sicherlich sehr zu -ihrem Nachteil.
Ich möchte dazu sagen, daß ein Blick in die Subliteratur der äußersten Linken jedem unbefangenen und objektiven Betrachter in dieser Hinsicht sehr zu denken geben muß. Wenn nämlich dort eines mehr angegriffen wird als irgend etwas sonst - und es wird dort fast alles angegriffen, wie Sie alle wissen -, dann sind ,das die Liberalen. Die Verbalinjurien lassen sich in diesem Hause nicht wiederholen. Ich meine jetzt ausnahmsweise nicht die FDP, sondern ich meine alle Liberalen in .diesem Hause. Da steht der Feind Nr. 1 für diese Leute. Sie fürchten sich davor, daß auf isle ein vernünftiges Recht zur Anwendung kommt, daß ihnen billige Vorwürfe genommen werden, um aufheizend wirken zu können, größere Kreise zu schlagen und Sympathisanten zu finden. Davor fürchten sie sich, und deshalb kämpfen sie gegen jeden, der für die Reform eintritt, .die wir heute hier beschlossen haben, und der für die Reform eintritt, die wir jetzt noch beschließen werden. Diese Leute da linksaußen, mit denen wir wirklich nichts zu tun haben wollen, wissen, wo ihr Feind steht; der steht nämlich auf der Seite der Vernunft. Diese Vernunft ,gebietet es uns allerdings, jetzt auch konsequenterweise unseren Gesetzentwurf heute hier zu verabschieden.
({7})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister der Jusitz, Herr Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dm Namen der Bundesregierung dem Strafrechtsausschuß dafür danken, daß er in so kurzer Zeit dm Anschluß an die Beratungen über das Dritte Strafrechtsreformgesetz auch die Fragen des Amnestiegesetzes geprüft, beraten und entschieden hat.
Meine Damen und Herren! Wenige Bemerkungen zur Sache im Anschluß an die jetzt geführte Debatte. Die sogenannte Rechtskorrekturamnestie, die auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU-Fraktion, bejahen, gibt Straffreiheit für eine erkleckliche Anzahl von Straftatbeständen. Danach werden Personen amnestiert, die zum Ungehorsam gegen Gesetze aufgefordert haben, die einen Beamten genötigt haben, die an einer öffentlichen Zusammenrottung teilgenommen haben, die sich aus einer öffentlich versammelten Menschenmenge trotz wiederholter Aufforderung nicht entfernt haben und vor allem die .an .einer öffentlichen gewalttätigen Zusammenrottung teilgenommen haben, immerhin Vorwürfe, die, wenn sie zu Recht erhoben werden, nicht ganz ohne Gewicht sind.
Nun muß ich offen gestehen, ich verstehe eines nicht. Sie, die CDU-Fraktion, sagen: Diesen Bereich von 'Straftaten, die bei Demonstrationen begangen worden sind, wollen wir amnestieren, den übrigen Bereich von Straftaten im Zusammenhang von Demonstrationen aber nicht. Ich verstehe nicht, weshalb Sie auf einen einheitlichen gesellschaftlichen und politischen Vorgang eine gespaltene Antwort geben wollen, eine 'gespaltene Antwort, die der Konsequenz letztlich entbehrt. Denn wir setzen uns doch nicht mit der Frage auseinander, wie man sich gegenüber dem einen oder anderen exzessiven Täter verhält. Was Sie dazu in dieser Debatte gesagt haben, war doch nur das Herausgreifen von extremen Beispielen, mit deren Hilfe Sie versuchen wollen, Ihren Standort deutlich zu machen. Aber in der Konsequenz Ihrer Haltung würde nach dem, was wir bisher an ergangenen Urteilen und Strafbefehlen wissen, das Ergebnis sein - das möchte ich noch einmal sehr deutlich sagen -, daß Sie aus demselben gesellschaftlichen Vorgang zwar 32 % amnestieren wollen, bei 68 %, dem Teil, den man unter das Stichwort „Befriedungsamnestie" faßt, aber nein sagen wollen. Sind Sie wirklich der Meinung, daß Sie damit eine überzeugende Antwort auf diesen Vorgang geben können?
Ich habe, nicht ohne sehr aufmerksam zuzuhören, versucht, zu verstehen, was Herr Kollege Lemmer bei seiner Intervention vorhin zum Ausdruck 'bringen wollte, als er hier den Verdacht aussprach oder den Vorwurf erhob, es solle zuviel Humanität angewandt werden. Herr Kollege Lemmer, meine Damen und Herren von der CDU und der CSU, dies ist nicht eine Frage von Humanität oder nicht Humanität, genauso wie die Frage nach dem Opportunismus, die Sie, Herr Kollege Benda, aufwarfen, zu eng und zu kurz gestellt ist. Eine Antwort, die der Sache gerecht wird, muß es sich ein wenig schwerer machen und sich von einer .allzu formalistischen Betrachtungsweise lösen. Auch Sie können nicht der Frage ausweichen: Wo liegen die Ursachen für die Unruhe? Wo liegen die Ursachen für das Aufbegehren, das zugegebenermaßen oft über die Stränge schlagende, nicht maßvolle Aufbegehren vorwiegend der jungen Generation in unserem Lande? Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, daß Sie glauben, eine ausreichende Antwort darin finden zu können, daß Sie - bitte mißverstehen Sie das Wort jetzt nicht - vielleicht ein bißchen selbstgerecht von oben herab sagen: Man kann sich mit dieser Form der politischen Meinungsäußerung nur dadurch auseinandersetzen,
({0})
daß man unter allen Umständen und mit allem Nachdruck alles, was in diesem Zusammenhang geschieht,
({1})
- lassen Sie mich bitte diesen Gedanken zu Ende führen, ich will Ihre Fragen gleich gerne beantworten -({2})
- ich sage ja, ich kann es mir schwer vorstellen, Herr Kollege Barzel -({3})
nur damit beantworten kann, daß man nach der bedingungslosen Anwendung der Strafgesetze ruft.
({4})
Meine Damen und Herren, hier müssen doch auch von Ihnen zwei Tatbestände eingeräumt werden können, erstens, daß die jungen Menschen, die hier aufbegehrt haben und aufbegehren, zu einem guten Teil recht haben mit ihrer Kritik an Versäumnissen, Unterlassungen und Mängeln.
({5})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie, Herr Minister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Herr Kollege Jahn, haben Sie nicht Verständnis dafür, daß wir vom Bundesminister der Justiz eine rechtspolitische Würdigung der verschiedenen Auffassungen erwarten und nicht eine allgemeine Erörterung über gesellschaftliche Vorgänge und von Aufbegehren, das sich zum Teil in rechtsförmigen Formen, zum Teil in ganz rechtswidrigen Formen äußert, die auch Sie nicht billigen und die auch Sie nicht freistellen wollen?
({0})
Herr Kollege Stoltenberg, ich meine, die Rechtspolitik fängt da an, wo man gezwungen ist, im Rahmen der Rechtsordnung eine sachgerechte Antwort auf bestimmte gesellschaftspolitische Entwicklungen zu finden.
({0})
Ich bemühe mich gerade darum, diesen meinen Standpunkt hier deutlich zu machen.
Das Zweite, was ich in diesem Zusammenhang sagen möchte, ist folgendes. Übersehen Sie doch bitte nicht, gerade in der Argumentation, die wir in der letzten Stunde gehört haben: Die Masse derjenigen, die sich an Demonstrationen beteiligt haben, die Masse derjenigen, die da - ich sage es noch einmal - zugegebenermaßen über die Stränge geschlagen haben und etwas an sich Strafwürdiges getan haben, sind doch junge Menschen, die zu diesem Staat, zu dieser Demokratie ein volles und klares Ja sagen.
({1})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine . Zwischenfrage des Abgeordneten Dasch?
Bitte schön!
Herr Bundesminister, wollen Sie nicht eindeutig klarstellen, daß zwischen der jungen Generation oder der Jugend, von der Sie sprachen, die auch Kritik an der Gesellschaft ansetzt, und den paar hundert, die bei diesen Äußerungen über die Stränge geschlagen haben, ein ganz gewaltiger Unterschied besteht?
({0})
Wenn Sie das nach dem, was ich bisher gesagt habe, noch ausdrücklich bestätigt haben müssen, will ich das gern tun. Diese Amnestie wendet ich in der Tat nicht an die Unbelehrbaren, sondern sie wendet sich an den größeren Teil der jungen Generation in diesem Land, um ihr gegenüber deutlich zu machen, daß anerkannt wird, daß das, was sie zu ihren Demonstrationen, zu ihrem Aufbegehren veranlaßt hat, nicht dazu führen kann, sie von oben herab mit einem kalten Nein abzufertigen. Wir wollen den Versuch machen, mit ihnen auf einer neuen Grundlage, was diesen Bereich betrifft, zu einem Gespräch und da, wo es möglich ist - und es ist bei sehr viel weiteren Teilen dieser Generation möglich, als Sie offenbar wahrhaben wollen -, auch zu einer gemeinsamen Bewältigung der anstehenden Fragen zu kommen.
({0})
Dies bedeutet keinen Freibrief für Exzesse. Diese Amnestie ist ein einmaliger Beitrag in der gegenwärtigen Diskussion in der Erwartung, daß, nachdem das erste Wort von diesem Hause dazu gesagt worden ist, eine entsprechende Antwort von der jungen Generation, von denjenigen, die hier angesprochen sind, nicht ausbleiben wird. Da - so haben wir gehört - gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Wir, die Mehrheit dieses Hauses und diese Bundesregierung, sind der Auffassung, daß wir dies wagen können und daß eine angemessene Antwort darauf nicht ausbleiben wird. Es wäre gut, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie daraufhin Ihre eigene Auffassung noch einmal überdächten.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß Herr Bundesminister Jahn davon gesprochen hat, daß dieses Haus den vorliegenden Gesetzentwurf rasch beraten hat, denn damit hat er die beiden Vorredner widerlegt, die gesagt haben, dieses Haus habe zu lange gewartet, sich zu entscheiden.
({0})
Wenn gewartet worden ist, meine Damen und Herren, dann seitens einer Bundesregierung, die sich in ihrer Unsicherheit erst darüber schlüssig werden mußte, ob sie überhaupt einen Entwurf für ein Amnestiegesetz vorlegen will und welchen.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie können von der Unsicherheit, die Frau Kollegin Dr. Timm und andere beschworen haben, in diesem Zusammenhang nicht reden; denn ob bestimmte Tatbestände des Demonstrationsstrafrechts verfassungskonform waren oder nicht, darüber mögen hier verschiedene Meinungen herrschen; Sie haben heute jedenfalls einen der Mehrheit dieses Hauses entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Die Bestimmungen aber, die aufrechterhalten worden sind, insonderheit Körperverletzung, Sachbeschädigung, Brandstiftung, waren immer strafbar, und niemand ist auf den Gedanken gekommen, hierüber könne es eine Unsicherheit geben.
({2})
Wir haben der Rechtskorrekturamnestie zugestimmt, im Ausschuß und hier, indem wir gesagt haben, wir halten sie für notwendig, nicht deshalb, weil wir Demonstrationsdelikte anders beurteilen als vor mehreren Monaten, sondern allein deswegen, weil die Mehrheit dieses Hauses nun einmal das Demonstrationsstrafrecht gegen unsere Stimmen verändert hat und weil wir aus dem Gleichheitsgrundsatz heraus meinen, wenn in Zukunft niemand mehr strenger beurteilt werden kann, als es das neue Gesetz sagt, wenn das neue Gesetz als das mildere auch für laufende Verfahren gilt, dann, meine Damen und Herren, muß es auch oder soll es wenigstens auch für diejenigen gelten, die bereits verurteilt sind. Das hat nichts mit der Beurteilung des Sachverhalts der Demonstrationsdelikte selbst zu tun, sondern ist nur die Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes auf Grund von Be chlüssen, die wir selbst für verfehlt halten, aber als Demokraten anerkennen, weil wir uns einer Mehrheitsentscheidung nun einmal beugen müssen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus möchte ich sagen: Es ist niemand bestraft worden, auch bisher nicht, weil er das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Anspruch genommen hat.
({3})
Es ist nur bestraft worden, wer dieses Recht mißbraucht hat, wer die Grundrechte der Gesundheit,
des Eigentums oder der Freizügigkeit anderer verletzt hat. Das Grundgesetz kennt die Versammlungsfreiheit, aber nur zu friedlichen Zwecken. Eine unfriedliche Versammlung genießt nun einmal nicht den Schutz des Grundgesetzes. Es geht nicht gegen diejenigen, die ihre abweichende politische Willensbildung verfassungskonform geäußert haben, sondern es geht nur gegen diejenigen, die glauben, mit Straftaten politische Willensbildung zu betreiben. Politische Willensbildung kann aber nur in freier und friedlicher Weise erfolgen, um damit eine Meinung zu dokumentieren, Anhänger zu gewinnen und sie dann in Wahlen und Abstimmungen zu bekräftigen.
({4})
Es mag politische Augenblicke geben, in denen eine gewisse Befriedung durch eine Amnestie am Abschnitt einer geschichtlichen Entwicklung möglich oder angebracht ist. Aber, meine Damen und Herren, leider können wir heute keinen Schlußstrich ziehen; denn es ist doch nicht so, als ob diese Gewaltdelikte gegen unseren Staat und gegen Persönlichkeiten dieses Staates nicht mehr begangen würden. Denken Sie an das, was gestern erst in Düsseldorf geschehen ist, denken Sie daran, daß in Berlin und München Richter und Staatsanwälte mit Morddrohungen überhäuft wurden, ja daß man Anschläge auf ihr Leben, auf ihr Haus und auch auf ihre Familie verübt hat! Dann wissen Sie, wie die Lage wirklich ist!
({5})
Wir stehen nun einmal leider Gottes inmitten schwerer Auseinandersetzungen um die Existenz dieses freiheitlichen Rechtsstaates, und da wirkt es eben als eine Manipulation des Rechts aus politischen Gründen, wenn die eine Ohrfeige amnestiert wird, weil sie angeblich aus politischen Gründen erfolgt ist, und die andere Ohrfeige weiterhin bestraft wird, weil sie aus dem Affekt des Augenblicks gegeben wurde.
({6})
Meine Damen und Herren, ich sage in aller Ruhe, so gewichtig es ist: ich sehe in diesem Gesetzentwurf die nachträgliche Legalisierung des Terrors.
({7})
Das führt zu jener Erschütterung des Rechtsbewußtseins, die leider einer der höchsten Beamten dieser Regierung schon dadurch angekündigt hat, daß er nachträglich die Ausschreitungen bei den AntiSpringer-Demonstrationen für verständlich erklärt hat.
({8})
- Herr Abgeordneter Wehner, darüber, was „typisch Wehner" ist, wollen wir uns heute abend nicht unterhalten.
({9})
- Verehrter Herr Präsident, ich habe nicht die Absicht, die Frage eines Bundesministers zu beantworten; denn Bundesminister sitzen auf der Regierungsbank und haben zu unserer Zeit auch keine Fragen gestellt.
({10})
Meine Damen und Herren, ich sehe eine geistige Verwirrung in unserem Land immer größer werden
({11})
und fürchte, .daß sie zu einer Lähmung von Justiz und Polizei führen wird.
({12})
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert war so liebenswürdig, mich heute völlig richtig zu zitieren. Ich habe in der Tat von einer „Demontage" des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit gesprochen.
({13})
Ich habe sie schon in der Vergangenheit bedrohlich kommen sehen, ich sehe sie auch in dem Gesetz, das wir bereits verabschiedet haben, und in dem Gesetz, das jetzt verabschiedet werden wird.
Aber lassen Sie mich, nachdem zu einem ,anderen Punkt Herr Kollege Lemmer so ,eindrucksvoll gesprochen hat, nun noch etwas sagen. Es ist falsch, hier in diesem Zusammenhang d i e junge Generation zu zitieren.
({14})
Wir sollten alle die junge 'Generation gegenüber
Rechtsbrechern und Rabauken in Schutz nehmen.
({15})
Frau Kollegin Dr. Timm hat gesagt, mein Freund Benda habe hier einen Kassandraruf ertönen lassen. Dazu kann ich nur sagen: Es ,mögen Kassandrarufe sein, aber Kassandra hat recht behalten.
({16})
Präsident von Hassel: Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung - nachdem die Rednerliste erschöpft ist, kommen wir zur namentlichen Abstimmung - hat der Herr Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter Bezugnahme auf die Fußnote zu § 59 der Geschäftsordnung bitte ich eine Erklärung zur Abstimmung abgeben zu dürfen.
Ich stimme gegen dieses Gesetz vor allem deswegen, weil Straffreiheit nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes auch bei einer Freiheitsstrafe über sechs Monate hinaus bis zu einer Strafe von neun Monaten gewährt wird. Man hat früher schon - mit „früher" meine ich die Zeit, in der ich selber Staatsanwalt und Vorsitzender eines Schöffengerichts war - allerhand pekzieren müssen, ehe man sich vor einem Strafgericht neun Monate einhandelte. Was hat man dafür nicht alles anstellen müssen!
In letzter Zeit ist es noch viel schwerer geworden, neun Monate zu bekommen.
({0})
Leuten, die mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs und neun Monaten belegt worden sind, wollen Sie die „Rechtswohltat" einer Amnestie gewähren. Hier kann ich nicht mitmachen, und deswegen stimme ich dagegen.
({1})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführer, ihres Amtes zu walten und die Stimmkarten einzusammeln.
Ich schließe 'die Abstimmung und darf Sie bitten, schon jetzt Platz zu nehmen, und zwar aus folgendem Grunde. Wir können, wenn Sie damit einverstanden sind, die Zeit, die jetzt zur Auszählung benätigt wird, dadurch nutzen, daß wir einen Teil der übrigen Tagesordnung erledigen. Da wir dabei abzustimmen haben, darf sich Sie bitten, Platz zu nehmen, jeder hat ein Interesse daran, möglichst schnell zu Rande zu kommen. Wir kehren zu diesem Tagesordnungspunkt noch einmal zurück, wenn das Abstimmungsergebnis vorliegt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Grundrentenabfindung in der Kriegsopterversorgung ({2})
- Drucksache VI/274 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/513 -Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache VI/471 -Berichterstatter: Abgeordneter Jaschke ({5})
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß dazu keine Aussprache mehr stattfindet. Ich rufe zur zweiten Beratung auf und darf Sie bitten, Ihr Abstimmungsexemplar zur Hand zu nehmen. Zunächst danke ich den Herren Berichterstattern und frage diese, ob sie noch das Wort wünschen. - Dias ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. Wird das Wort gewünscht? Dais ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über die §§ 1, 2, 3, 4, 5 und 6. Ich mache darauf aufmerksam, daß in § 1 Abs. 2 'das Wort „Abtretung" durch das Wort „Übertragung" ersetzt werden soll. Wer diesen aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich
Präsident von Hassel
! um .das Handzeichen. - Ichbitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf. Wind das Wort dazu gewünscht? - Das Wort hat ider Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Ich habe eine kurze Erklärung; sich gebe sie zu Protokoll.
Präsident von Hassel: Verzeihung, wir können keine Erklärung zu Protokoll nehmen. Sie müssen entweder eine mündliche Erklärung abgeben oder auf eine Erklärung verzichten. - Gut, es wird auf eine Erklärung verzichtet.
Wir kommen idamlit zur Abstimmung in dritter Beratung. Wier den §§ 1 bis 6, Einleitung und Überschrift zustimmt, Iden bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine verehrten Damen und Herren, ich bitte, das etwas schneller zu tun, damit wir weiterkommen. Enthaltungen? -Keine Enthaltungen. Es isst einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die am 14. Juli 1967 in Stockholm unterzeichneten Übereinkünfte auf dem Gebiet des geistigen Eigentums
- Drucksache VI/401 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
({0})
- Drucksache VI/520 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Kuchtner
Abgeordneter Gnädinger ({1})
Ich darf den Herren Berichterstattern danken.
Ich eröffne die zweite Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich mache darauf aufmerksam, daß wir nur eine zweite Beratung, verbunden mit der Schlußabstimmung, haben, da es sich um ein Ratifizierungsgesetz handelt.
Wer diesem Gesetz auf Drucksache VI/401 in den Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 6 a, 6 b und 6 c der Tagesordnung auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. März 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Republik Kongo über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache VI/310 Schriftlicher Bericht des Aussschusses für Wirtschaft ({2})
- Drucksache VI/517 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs ({3})
b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Mai 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Gabun über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache VI/311 Schriftlicher Bericht des Aussschusses für Wirtschaft ({4})
- Drucksache VI/517 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs ({5})
c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum dem Vertrag vom B. November 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
- Drucksache VI/312 Schriftlicher Bericht des Aussschusses für Wirtschaft ({6})
- Drucksache VI/517 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs ({7})
Es handelt sich ebenfalls um Ratifizierungsgesetze; damit gibt es nur eine zweite Beratung und die Schlußabstimmung.
Ich danke den Herrn Berichterstattern und eröffne die Aussprache. Wird das Wort zu Drucksache VI/310 gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die zweite Beratung und Schlußabstimmung zunächst zu Punkt 6 a der Tagesordnung auf. Wer den Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift dieses Ratifizierungsgesetzes zustimmt, Aden bitte rich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir kommen damit zu Punkt 6 b der Tagesordnung. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Ratifizierungsgesetz. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Präsident von Hassel
Damit kommen wir zu Punkt 6 c der Tagesordnung. Auch hier handelt es sich um ein Ratifizierungsgesetz. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren ich komme nun. zu dem vorhin verlassenen Punkt 3 ,der Tagesordnung zurück und gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung bekannt. Es haben 444 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 19 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben 231 Abgeordnete und 11 Berliner Abgeordnete, mit Nein 212 Abgeordnete und 8 Berliner Abgeordnete gestimmt. Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis:
Abgegebene Stimmen 444. und 19 Berliner Abgeordnete. Ja: 231 und 11 Berliner Abgeordnete
Nein : 212 und 8 Berliner Abgeordnete
Enthalten: 1 Abgeordneter
Ja
SPD
Dr. Apel
Arendt ({8})
Dr. Arndt ({9})
Baack Baeuchle
Bäuerle
Bals
Barche
Dr. Bardens
Batz
Bauer Bay
Dr. Bechert ({10}) Becker ({11})
Dr. Beermann
Bergmann
Berkhan
Biermann
Böhm Börner
Frau von Bothmer
Dr. Brand ({12}) Brandt
Brandt ({13})
Bredl Brück Brünen Buchstaller
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Corterier
Dr. von Dohnanyi
Dürr Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers
Frau Dr. Elsner
Dr. Enders
Engholm
Esters Faller Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({14})
Frau Freyh
Fritsch Geiger Gertzen Dr. Geßner
Glombig
Gnädinger
Grobecker
Haage ({15})
Haar ({16})
Haase ({17}) Haehser
Halfmeier
Hansen Hansing Hauck Dr. Hauff
Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({18}) Herold
Hirsch
Höhmann ({19})
Hörmann ({20}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Dr. Hupka
Jahn ({21})
Jaschke Junghans
Junker
Kaffka
Kater
Kern
Killat-von Coreth
Dr. Koch Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maihamm Marquardt
Marx ({22})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({23}) Meinike ({24}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({25})
Dr. Müller ({26}) Müller ({27})
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Offergeld
Frau Dr. Orth
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({28})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schäfer ({29})
Frau Schanzenbach
Scheu
Dr. Schiller
Schiller ({30})
Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga .
Dr. Schmid ({31}) Schmidt ({32})
Dr. Schmidt ({33}) Schmidt ({34})
Dr. Schmidt ({35}) Schmidt ({36})
Schmidt ({37}) Schmidt ({38})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({39})
Schwabe
Seefeld Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({40}) Wehner
Welslau Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wittmann
Wolf
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
FDP
Dr. Achenbach
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Geldner Genscher
Grüner Helms Jung
Kirst
Kleinert Krall
Logemann
Mertes Mischnick
Moersch
Peters ({41})
Dr. Rutschke
Schmidt ({42}) Wurbs
Berliner Abgeordnete
SPD
Dr. Arndt ({43})
Bartsch Bühling Heyen Liehr
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei Sieglerschmidt
Berliner Abgeordnete FDP
Borm
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Bach Baier
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({44})
Dr. Becker ({45})
Becker ({46}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann
Blank
Blumenfeld
von Bockelberg
Dr. Böhme
Frau Brauksiepe
Bremer
Bremm
Dr. Burgbacher
Burger
Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans
Dr. Dollinger
Ehnes
Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard ({47}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke ({48})
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({49}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({50}) Dr. Gölter
Dr. Götz
Frau Griesinger
Dr. Gruhl
Freiherr von und zu Guttenberg
Haase ({51})
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. Hallstein
Dr. Hammans
Hanz
von Hassel
Hauser ({52}) Dr. Hauser ({53})
Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf ({54}) Höcherl
Hösl
Horstmeier Dr. Hubrig Hussing
Dr. Huys
Frau Jacobi ({55})
Dr. Jaeger Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Dr. Kempfler
Kiechle
Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch Dr. Kley
Dr. Kliesing ({56}) Klinker
Köster
Krammig
Krampe
Dr. Kraske Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lemmrich
Dr. Lenz ({57}) Lenze ({58})
Lenzer
Link
'Dr. Löhr
Dr. Luda Majonica Dr. Martin
Dr. Marx ({59}) Maucher
Meister
Memmel Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Müller ({60}) Müller ({61})
Dr. Müller-Hermann Mursch
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Ott
Petersen-Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann Dr. Preiß Dr. Probst Rainer
Rawe
Reddemann Dr. Reinhard
Riedel ({62})
Dr. Riedl ({63})
Dr. Rinsche Dr. Ritgen Dr. Ritz
Rock
Röhner Rösing Rommerskirchen
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({64}) Schmitt ({65})
Dr. h. c. Schmücker
Dr. Schneider ({66}) Dr. Schober
Dr. Schröder ({67}) Schröder ({68}) Schröder ({69}) Schulhoff
Schulte ({70}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({71})
Stein ({72})
Steiner
Frau Stommel
Storm
Strauß Struve Stücklen
Susset
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Unertl
Dr. Unland Varelmann Vehar
Vogt
Volmer
Wagner ({73})
Dr. Wagner ({74})
Dr. Warnke Wawrzik
Weber ({75})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Windelen
Winkelheide
Wissebach Dr. Wörner Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
CDU/CSU Amrehn
Dr. Gradl
Dr. Kotowski
Müller ({76})
Frau Pieser Wohlrabe
Enthalten
FDP Zoglmann
Damit ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen.
Wir haben zu diesem Punkt noch über den Ausschußantrag unter Ziffer 2 abzustimmen. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Nachdem wir - ich darf Sie bitten, das zu verfolgen - die Punkte 2, 3, 4, 5, 6 a, b und c erledigt haben, rufe ich Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung zu dem von der Bundesreigerung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu der Langfristigen Vereinbarung vom 9. November 1962 über den internationalen Handel mit Baumwolltextilien im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({77}) und des Protokolls vom 1. Mai 1967 zur Verlängerung der Vereinbarung über den internationalen Handel mit Baumwolltextilien
- Drucksache VI/313 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
({78})
- Drucksache VI/519 -Berichterstatter: Abgeordneter Lenders ({79})
Das ist ebenfalls ein Ratifizierungsgesetz. Wir haben darüber in zweiter Beratung und durch Schlußabstimmung zu befinden.
Präsident von Hassel
Ich eröffne die zweite Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite Beratung. Wir kommen zur Schlußabstimmung über Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Meine verehrten Damen und Herren, darf ich ein Wort zur Geschäftslage sagen. Wir haben damit zu rechnen, daß bei Punkt 8 a und b, nämlich beim Städtebauförderungsgesetz mit zwei Vorlagen, eine Debatte kommt. Der Ältestenrat glaubt, daß der Punkt 9 ohne Debatte verabschiedet werden kann, ebenso die Punkte 10 bis 20 geschlossen ohne jede Debatte; beim Rest der Tagesordnungspunkte sind ebenfalls Debatten nicht mehr zu erwarten. Ich stehe vor folgender Frage. Wenn ich jetzt mit Punkt 8 a und b fortfahre, kommt eine Debatte, und ich fürchte, daß sich dann das Haus etwas geleert hat, wenn wir nachher über alle anderen Punkte abstimmen. Ich frage deshalb das Haus: Wollen wir erst die anderen Punkte erledigen - es dauert ein paar Minuten - und dann Punkt 8 a und b behandeln? - Ich höre keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren. Ich darf bitten, daß nachher bei der Aussprache zum Städtebauförderungsgesetz doch eine Reihe von Kollegen hier bleibt.
Eine Frage noch. Im Ältestenrat ist gesagt worden, Punkt 9, Bericht über die Erfahrungen mit dem Wohngeldgesetz, werde ohne Debatte behandelt. Bleibt es dabei? - Das ist der Fall. Dann rufe ich
Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Dritten Berichts der Bundesregierung über die in den einzelnen Ländern gemachten Erfahrungen mit dem Wohngeldgesetz
- Drucksache VI/378 Es wird Überweisung an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen - federführend - und den Haushaltsausschuß in üblicher Form vorgeschlagen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe gemeinsam die Punkte 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 der Tagesordnung auf:
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films
- Drucksache VI/508 -11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister ({80})
- Drucksache VI/477 -12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ({81})
- Drucksache VI/460 13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 29. Juli 1969 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den mit dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen
- Drucksache VI/483 -14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. November 1968 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Italienischen Republik über die Erstattung der Auf, wendungen für Sachleistungen, welche von den italienischen Trägern der Krankenversicherung in Italien an Familienangehörige in der Bundesrepublik Deutschland versicherter italienischer Arbeitnehmer gewährt wurden, durch die deutschen zuständigen Träger der Ktankenversicherung
- Drucksache VI/484 -15. Erste Beratung des von den Abgeordneten Krammig, Struve, Ehnes und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes
- Drucksache VI/491 -16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Revisionsprotokoll vom 9. Juni 1969 zu dem am 21. Juli 1959 in Paris unterzeichneten Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern
- Drucksache VI/503 -17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zuckersteuergesetzes
- Drucksache VI/504 -18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
- Drucksache VI/507 -Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Klepsch, Ernesti, Damm, Dr. Zimmermann, Stahlberg, Dr. Marx ({82}) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes - Drucksache VI/530 -Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand
- Drucksache VI/509 Präsident von Hassel
Wir sind im Ältestenrat übereingekommen, daß man die Entwürfe geschlossen an eine Reihe von Ausschüssen überweist; Sie finden sie in Ihrer Tagesordnung aufgezeichnet. Es hat sich aber dadurch ein bißchen kompliziert, daß inzwischen zusätzlich folgende Überweisungsbegehren gestellt worden sind. Ich kann mir jedoch vorstellen, daß man damit einverstanden ist.
Zu Punkt 10 soll statt an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft an den Innenausschuß zur Mitberatung überwiesen werden, da inzwischen die entsprechende Ressortzuständigkeit auf das Innenministerium übergegangen ist.
({83})
- Ich wiederhole: Zu Punkt 10 sollen der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und der Innenausschuß mitberatend beteiligt sein, der Ausschuß für Wirtschaft federführend und der Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
Der Gesetzentwurf unter Punkt 11 soll an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend -, an den Innenausschuß - mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Die weiteren Überweisungsvorschläge des Ältestenrates lauten wie folgt: Zu Punkt 12 der Tagesordnung Überweisung an den Rechtsausschuß, zu Punkt 13 Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend -, an den Auswärtigen Ausschuß und, zusätzlich begehrt, an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, zu Punkt 14 Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zu Punkt 15 Überweisung an den Finanzausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend -, zu Punkt 16 Überweisung an den Finanzausschuß, zu Punkt 17 Überweisung an den Finanzausschuß
- federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend -, zu Punkt 18 Überweisung an den Verteidigungsausschuß sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, zu Punkt 19 Überweisung an den Verteidigungsausschuß - federführend -, an den Innenausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - sowie an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, zu Punkt 20 an den Rechtsausschuß - federführend - und den Ausschuß für Wirtschaft - mitberatend -.
Ich höre keinen Widerspruch; ich stelle fest, daß das Haus allen Überweisungsvorschlägen zustimmt.
Damit haben wir die Punkte 10 bis 20 erledigt. Ich rufe Punkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP
betr. Hochwasserkatastrophe im Februar 1970 - Drucksache VI/506 Mein Vorschlag geht dahin, ihn mit dem Zusatzpunkt 2 zu verbinden:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martin, Baier, von Alten-Nordheim, Haase ({84}), Josten, Röhner, Erhard ({85}), Dr. Miltner, Hussing, Schulte ({86}), Lenzer, Susset, Dr. Lenz ({87}), Weber ({88}), Rösing, Zink, Picard, Frau Dr. Walz, Niegel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Hochwasserschäden im Bundesgebiet - Drucksache VI/538 Sind Sie damit einverstanden, daß wir beide Anträge gemeinsam erledigen und gemeinsam an den Innenausschuß - federführend -, den Haushaltsausschuß und den Verteidigungsausschuß überweisen?
({89})
- Ich weiß nicht, ob mich jemand darüber informieren kann, warum auch Überweisung an den Verteidigungsausschuß vorgesehen ist.
({90})
- Gut, auch an den Verteidigungsausschuß. - Es ist so beschlossen.
Punkt 22 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({91}) über den Antrag der 'Fraktion der CDU/CSU
betr. Enquete-Kommission Auswärtige Kulturpolitik
- .Drucksachen VI/57, VI/515 -Berichterstatter: Abgeordneter Raffert
Es wird vorgeschlagen zu beschließen, wie im Schriftlichen Bericht Drucksache VI/515 dargestellt ist. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 23 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({92}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für Verordnungen bzw. eine Richtlinie des Rates
zur Aufnahme weiterer Waren in die gemeinsame Liberalisierungsliste der Verordnung ({93}) Nr. 2041/68 des Rates vom 10. Dezember 1968
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Aluminiumoxyd der Tarifnummer ex 28.20 A und Ferrosiliziumchrom der Tarifnummer 73.02 E II des Gemeinsamen Zolltarifs
zur Änderung der Richtlinien dies Rates vom 27. Juni 1968 und vom 13. März 1969 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe
- Drucksachen VI/233, VI/379, VI/287, VI/336, VI/518 Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
Präsident von Hassel
Ich nehme nicht an, daß der Herr Berichterstatter noch das Wort dazu wünscht.
Meines Erachtens können wir die Punkte 23 und 24 zusammen behandeln. Es handelt sich um Ausschußberichte zu Vorschlägen der Kommission der EWG.
- Ich rufe auch Punkt 24 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({94}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für
eine Verordnung des Rates zur Festsetzung allgemeiner Regeln für die Gewährung der in Artikel 3 a) der Verordnung ({95}) Nr. 865/68 vorgesehenen Erstattungen bei der Ausfuhr von Verarbeitungserzeugnissen aus Obst und Gemüse sowie der Kriterien für die Festsetzung der Erstattungsbeträge
eine Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung ({96}) Nr. 865/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse durch einige Vorschriften über die Gewährung der Ausfuhrerstattungen
eine Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Birnen für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1970
eine Verordnung ({97}) des Rates zur Änderung der Verordnungen Nr. 134/67/EWG und 137/67/EWG über die Einschleusungspreise und über das sogenannte „System von Leit und Folgeerzeugnissen auf dem Schweinefleischsektor"
eine Verordnung des Rates über zur Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Kartoffelversorgung zu ergreifende Maßnahmen
eine Verordnung ({98}) des Rates über die vollständige Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Kartoffeln, andere, der Tarifstelle 07.01 A III b
eine Verordnung ({99}) des Rates über die Herstellung und das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von Zucker ({100}), Glukose und Dextrose
eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Kaseine und Kaseinate
eine Verordnung ({101}) des Rates über die Verlängerung der in Artikel 12 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 130/66/EWG über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehenen Frist
eine Verordnung des Rates über die luxemburgische Landwirtschaft
eine Verordnung ({102}) des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu Artikel 11 und Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung ({103}) Nr. 1975/69 zur Einführung einer Prämienregelung für die Schlachtung von Kühen und
die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen
- Drucksachen VI/90, VI/91, VI/201, VI/204, VI/205, VI/206, VI/285, VI/292, VI/294, VI/295, VI/527 Berichterstatter: Abgeordneter Helms
Bei Punkt 24 muß ich darauf aufmerksam machen, daß nach Mitteilung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Vorschlag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Drucksache VI/285 aus dem Bericht gestrichen werden muß.
Die Ausschüsse empfehlen Kenntnisnahme der Vorschläge der EG-Kommission.
Auch der Herr Berichterstatter zu Punkt 24 hat das Wort nicht erbeten. Ich komme zur Abstimmung über die Ausschußanträge in den Drucksachen VI/518 und VI/527. Wer ihnen seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({104}) über den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Numerus clausus
- Umdruck 6, Drucksache VI/523 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Meinecke
({105})
Abgeordneter Pfeifer
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Nunmehr kehren wir zu dem vorhin ausgeklammerten Punkt 8 a und b der Tagesordnung zurück:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen in Stadt und Land ({106})
- Drucksache VI/434 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden ({107})
- Drucksache VI/510 Das Wort zur Begründung des Entwurfs hat der Abgeordnete Erpenbeck. Für ihn sind 45 Minuten Redezeit beantragt worden. Ich glaube, im Interesse aller wäre es ein dankenswertes Unternehmen, wenn Sie eine gewisse Kürzung vornehmen könnten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich selbstverständlich bemühen, dem Rate ,des Präsidenten folgend eine Kürzung vorzunehmen. Ich möchte aber doch an den Anfang stellen: Wenn dieses Hohe Haus heute siebeneinhalb Stunden über
das Spannungsverhältnis der Freiheit und Rechte und des Rechtsschutzes des einzelnen und der Ansprüche und des Schutzbedürfnisses der staatlichen Gemeinschaft diskutiert hat, dann sollte man mit gleicher Leidenschaft dieses Spannungsverhältnis im Sachbereich der heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwürfe diskutieren, weil es hier genauso wie in dem heute über den ganzen Tag behandelten Sachbereich um den Menschen geht, um die Freiheit, um das Recht des Menschen und um das Spannungsverhältnis gegenüber den Ansprüchen des Gemeinwohls.
Wenn wir die Förderung städtebaulicher Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen gesetzlich normieren, müssen wir wissen, daß der Maßstab dieser Normierung der Mensch ist: ,der Mensch in seinen Bedürfnissen und in seinem Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit; der Mensch als Glied der Gemeinschaft, der Bürger als der, der auch für das Gemeinwohl mitverantwortlich zu bürgen hat; der Mensch als freier Bürger mit Recht auf Eigentum und gesundem Lebensraum.
Hier stellt sich die notwendig zu klärende Vorfrage, wie dieser Spannungsbereich des Rechtes und Anspruchs des einzelnen und der Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dem Allgemeinwohl seinen Ausgleich findet. Das allein ist der Entscheidungsraum, in dem das Instrumentarium und die Gestaltungsnormen und -formen dieser Gesetzentwürfe zu realisieren sind.
Lassen Sie mich auch das Gemeinsame sagen, das den in erster Lesung vorliegenden Entwürfen eigen ist. Die Überzeugung, daß die nachhaltige Verbesserung der Umweltbedingungen des Menschen in der Industriegesellschaft zu den großen von unserer Gesellschaft noch ungelösten Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft gehört, und die Tatsache, daß heute neben einem Regierungsentwurf zu diesem komplexen Thema gleichzeitig ein Initiativentwurf der CDU/CSU eingebracht wird, sollen weniger die parteipolitische Konkurrenz als vielmehr die entscheidende Bedeutung der gesetzlich zu ordnenden Materie unterstreichen. Die Erkenntnis der Notwendigkeit und Bedeutung eines Gesetzes zur Förderung von städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen in Stadt und Land ist nunmehr nach sieben Jahren intensiver Arbeiten an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung Allgemeingut geworden.
Bei der Begründung des Initiativentwurfs unserer Fraktion, der Ihnen in Drucksache VI/434 vorliegt, muß ich den Namen des Mannes nennen - das tue ich mit großer Hochachtung -, der die große Zukunftsaufgabe städtebaulicher Erneuerung und Entwicklung unter ungleich geringerem allgemeinen und öffentlichen Verständnis und Interesse als erster in die parlamentarische Debatte einführte. Ich meine den damaligen Minister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Paul Lücke.
({0})
Wir sind 'ihm dankbar und sehen in seinem Wirken eine Verpflichtung.
Selbstverständlich hat in diesen sieben Jahren eine Entwicklung in der Beurteilung der Möglichkeiten von städtebaulicher Erneuerung und Entwicklung und der sich daraus ergebenden Konsequenzen stattgefunden. Unverändert aktuell ist aber der Kern der mit diesem Gesetz angestrebten Ziele geblieben. Die jahrelange Diskussion hat bei aller Dringlichkeit der Realisierung der erkannten Notwendigkeiten ein Gutes gehabt: Auf die Frage nach den Notwendigkeiten einer Verbesserung der Umweltbedingungen kann heute eine umfassendere Antwort gegeben werden, als das noch vor Jahren der Fall war und als es in früheren Gesetzentwürfen geschehen ist. Gerade das ist auch der entscheidende Grund .für unsere Initiative, denn nach unserer Meinung berücksichtigt der vorliegende Regierungsentwurf diese Weiterentwicklung nur unzureichend. Wir möchten in den nächsten Monaten kein Gesetz verabschieden, das vielleicht noch den Erfordernissen des heutigen Tages gerecht wird, aber schon für die nahe Zukunft nur noch wenig Tauglichkeit hat.
Meine Damen und Herren, Städte sind niemals für einen kurzen Zeitraum gebaut, und Maßnahmen zu ihrer Erneuerung und künftigen Neuentwicklung müssen zumindest auf die Erfordernisse einer mittelfristigen Zukunftsprojektion bezogen sein. Ich denke nicht daran, mich unter Berufung auf die Erkenntnisse und Schlußfolgerungen futurologischer Experten in Visionen der Stadt der Zukunft zu flüchten. Mir scheint allerdings - hier lehne ich mich an ein Wort von Professor Dr. Hans Paul Bahrdt ({1}) an, das er auf dem 42. Bundestag des BDA gesagt hat -, daß man sich heute über die Zukunft nur Gedanken macht, soweit sie in weiter Ferne liege, daß aber der Gedanke an die nahe Zukunft so gern verdrängt werde, weil sich zu deutlich zeige, welche Verkrustungen aufgebrochen werden müßten und was an Vorstellungen umgepflügt werden müsse. Ich meine, daß wir uns - wenn überhaupt - gerade im Hinblick auf den Städtebau und die Beurteilung seiner Notwendigkeiten einer Futurologie mittlerer Reichweite bedienen sollten. Sie ist sicher viel schwieriger, weil wir dann vielleicht noch selber mit den Ergebnissen konfrontiert werden und weil sich dann vielleicht ein Zukunftsbild ergibt, das von uns kaum noch verantwortet werden kann.
Was die Frage nach den Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer Verbesserung der Umweltbedingungen angeht, so wurde bisher zumeist an eine Erneuerung der überalterten Bausubstanz gedacht. Die unbestrittene Notwendigkeit der Sanierung der gebauten Umwelt darf aber nicht den Blick für noch größere Zukunftsaufgaben verstellen, die sich aus einer vorhersehbaren Entwicklung unserer Gesellschaft ergeben. Aus dieser vorhersehbaren Entwicklung ergibt sich z. B. die Notwendigkeit, jährlich etwa 500 000 neue Wohnungen mit menschengerechten Umweltbedingungen zu bauen. So bedeutsam die Erneuerung von 20 000, 30 000 oder 50 000 Wohnungen im Jahr für unsere Städte und Dörfer auch ist, so bleibt die große Aufgabe doch die Entwicklung einer zukunftsweisenden Siedlungsstruktur.
Die vorhandene unausgeglichene Raum- und Siedlungsstruktur wird nicht verbessert werden können, wenn nicht der Gesetzgeber Entwicklungsziele weist und das Instrumentarium zur Erreichung dieser Ziele schafft.
Jede Gesellschaft, meine Damen und Herren, ist abhängig von dem Raum, auf dem sie sich entwickeln kann. Deshalb muß die Gesellschaftspolitik das Zielsystem für eine bewußte Gestaltung der menschlichen Umweltbedingungen formulieren, und so darf sich ein Gesetz zu Verbesserung der Siedlungsstruktur nicht damit begnügen, ein bodenrechtliches Instrumentarium zu schaffen, sondern es muß die vom Gesetzgeber gewollte gesellschaftspolitische Zielrichtung mit angeben. Dabei muß das in der Verfassung garantierte Recht auf freie Entfaltung .der Persönlichkeit ebenso berücksichtigt werden wie das aus dem Grundsatz der sozialen Chancengleichheit entspringende Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen des Bundesgebiets.
Meine Damen und Herren! Ein Gesetz, das die Siedlungsstruktur beeinflussen soll und das damit städtebauliche Maßnahmen der Entwicklung und Erneuerung fördern und bestimmen soll, darf den gesellschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen über das Bodeneigentum nicht ausweichen. Die Frage „Wem sollen unsere Städte gehören?" muß von uns klar und eindeutig beantwortet werden. Ein Gesetz zur Verbesserung der Siedlungsstrukturen muß, Art. 14 des Grundgesetzes folgend, Inhalt und Schranken des Bodeneigentums so bestimmen, daß dessen Gebrauch dem Eigentümer größeren Nutzen bringt und zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dient. Nur so kann die Gesellschaft eine ihr dienende und von ihr bestimmte Siedlungsstruktur realisieren.
Für die vom Grundgesetz garantierte Individual-und Sozialfunktion jeglichen Eigentums ist die Tatsache von Bedeutung, daß sich unsere expansive Industriegesellschaft hinsichtlich des zur Verfügung stehenden Grund und Bodens bei räumlich und finanziell sehr begrenzten Erschließungsmöglichkeiten einem steigenden Wohnungs- und Siedlungsbedarf sowie gemeinwohlbedingten größeren Umwidmungen privaten Eigentums gegenübersieht.
Die soziale Belastung und Verpflichtung des begrenzt verfügbaren Grundeigentums ist damit in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten. Natürlich muß diese Tatsache bei einem zeitgemäß zu novellierenden Bodenrecht entsprechend berücksichtigt werden. Ein den gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten gerecht werdendes Städtebauförderungsgesetz muß eine planvolle, zukunftgerichtete Entwicklung des Raumes ermöglichen und der Erneuerung der Städte und Dörfer dienen.
Meine Damen und Herren! Die Sozialverpflichtung des Grundeigentums braucht nicht zu einer Sozialisierung des Bodens zu führen.
({2})
Es gibt auch auf der Basis des Privateigentums
durchaus die Möglichkeit, Sozial- und Individualfunktion des Grundeigentums miteinander zu verbinden. Ich behaupte nicht, daß im Regierungsentwurf Ansätze dieser Zielsetzung nicht zumindest verbal vorhanden wären.
({3})
Nur genügen unseres Erachtens hier keineswegs Deklamationen. Die Entschließung des Bundesrates fordert geradezu dazu auf, den Regierungsentwurf in dieser Hinsicht zu ergänzen, bei allen Maßnahmen die Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung stärker zu berücksichtigen und geeignete Institutionen zu schaffen, die eine Erhaltung und eine breite Streuung des Eigentums ermöglichen.
Bei dieser Gelegenheit muß ich kritisch bemerken, daß allein schon die Vielzahl der Anträge und Empfehlungen des Bundesrates eine wesentliche Veränderung und Ergänzung des Regierungsentwurfs nahelegt. Uns erscheint er aber in einigen wesentlichen Punkten so reformbedürftig, daß „Sanieren" hier nicht genügt, sondern daß wir hier schon erneuern müssen.
({4})
Ich muß jenen entgegentreten, die immer wieder und immer noch der CDU/CSU vorwerfen, sie habe im 5. Bundestag die Verabschiedung eines Städtebauförderungsgesetzes verhindert:
({5})
Der heute vorliegende Regierungsentwurf und die Bemerkungen des Bundesrates dazu zeigen allzu deutliche daß die im 5. Bundestag zur Beratung verfügbare Zeit eben nicht ausreichte. Ein solches Gesetz, meine Damen und Herren, ist entsprechend seiner Zielsetzung ungeeignet, einer vordergründigen parteipolitischen Erfolgsmeldung willen unsolide und ungenügend beraten zu werden.
({6})
Und noch eines sei gesagt: Das Städtebauförderungsgesetz ist wichtig, es ist sogar sehr wichtig. Es ist aber keine Wunderwaffe, die mit einem Schlage die kommunale, soziale, volkswirtschaftliche und finanzielle Problemstellung künftiger städtebaulicher Handlungen lösen könnte.
({7})
Es ist nicht mehr, aber es soll auch nicht weniger sein als ein an klaren gesellschaftspolitischen Normen ausgerichtetes Leitinstrument vernünftiger, kontinuierlicher Entwicklung, und es wäre schlecht, wenn parteitaktische oder gar wahltaktische Überlegungen etwas anderes daraus zu machen versuchten. Die Ernüchterung nach unverantwortlich hoch geschraubten Erwartungen wäre groß, und zwar, was viel schlimmer ist, zum Schaden aller.
Zwar ist der Regierungsentwurf in einzelnen Teilen gegenüber früher besser geworden, vor allem in den Bestimmungen, die auf die Beratungen des federführenden Ausschusses der letzten Periode gründen. Allerdings ist er in anderen Teilen auch hinter den seinerzeitigen Beratungen zurückgeblieben.
Der Entwurf der CDU/CSU stellt die Förderung von städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Vordergrund und sieht Zwang nur insoweit vor, als es unbedingt nötig ist. Das kommt bereits in dem Gesetzestitel zum Ausdruck, und das ist das Leitmotiv der gesamten Konzeption. Nach Auffassung meiner Fraktion hängt das Gelingen der großen Aufgaben, die man sich mit dem Gesetz gestellt hat, entscheidend davon ab, daß es gelingt, die Eigentümer von Grund und Boden und alle sonstigen Betroffenen zur Mitwirkung bei der Erneuerung und Entwicklung zu gewinnen.
Die Erfahrungen im Wohnungsbau in der Wiederaufbauphase der letzten Jahrzehnte lehren uns, daß die Aufgabe städtebaulicher Erneuerung und Entwicklung technisch und finanziell nur durch praktisches und vor allem finanzielles Engagement der Bürger bewältigt werden kann, beträgt doch die finanzielle Größenordnung der auf diesem Gebiet im Laufe der nächsten Jahrzehnte erforderlichen Maßnahmen mehrere hundert Milliarden D-Mark.
Die CDU/CSU ist sich voll bewußt, daß dem Grundsatz der Sozialbindung des Grundeigentums gerade bei der städtebaulichen Erneuerung und Entwicklung besondere Bedeutung zukommt. Soweit Eingriffe in das Eigentum notwendig und unvermeidlich sind, sind sie auch in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. Wir lehnen aber Eingriffe in das Eigentum ab, die zur Erreichung der Gesetzesziele nicht unbedingt erforderlich sind. Darin unterscheidet sich unser Gesetzentwurf vorn Regierungsentwurf, bei dem die Erweiterung der Befugnisse der Gemeinde und der öffentlichen Hand sehr im Vordergrund steht. Wir sind der Meinung, daß die Durchführung der Erneuerung und Entwicklung in erster Linie den Eigentümern obliegt und daß sie hierbei von der Gemeinde unterstützt werden sollten. Unser Entwurf geht deshalb davon aus, daß die Gemeinde subsidär tätig wird.
Wer daraus eine gewisse Kommunalfeindlichkeit der CDU/CSU konstruiert, wie es in einer Stellungnahme der SPD-Fraktion vom 6. März zum Ausdruck kam, sollte sich noch einmal gründlich auf Aufgaben und Beziehungen im Verhältnis „Bürger-Gemeinden" besinnen. Er wird dann sicher sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß die entscheidende Grundlage eines guten Gemeinwesens eine größtmögliche Entfaltungsmöglichkeit und Mitwirkungsbereitschaft der Bürger ist.
Um den mitwirkungswilligen Eigentümern ihre Aufgabe zu erleichtern, ist von uns auch der Zusammenschluß zu einem Erneuerungs- oder Entwicklungsverband oder einem Eigentümerverband vorgesehen. Wir bedauern, daß die diesbezüglichen Vorschriften, die in den früheren Gesetzentwürfen enthalten waren, im jetzigen Regierungsentwurf gestrichen sind.
({8})
Die vom Herrn Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen vor dem Bundesrat abgegebene Erklärung, eine bundesrechtliche Regelung sei im Hinblick auf die unterschiedlichen körperschaftsrechtlichen Regelungen der Länder zu schwierig, kann nicht befriedigen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hier der Grundsatz "teile und herrsche" zugunsten der Gemeinde gelten und die Streichung dieser Vorschriften nicht dem Schutz des Eigentümers sondern eher der Schwächung seiner Position dienen soll.
({9})
Die früheren Vorschriften, die einen Zusammenschluß dann zuließen, wenn mehr als die Hälfte der Grundeigentümer dazu bereit war, schien uns eine durchaus brauchbare Grundlage, ein durchaus brauchbarer Ansatzpunkt zu sein.
({10})
Wir sind der Meinung, daß die Durchführung der Erneuerung und Entwicklung durch die Eigentümer nicht daran scheitern darf, daß sich eine Minderheit ihr widersetzt. Den berechtigten Interessen einer solchen Minderheit kann dadurch Rechnung getragen werden, daß die Betreffenden die Übernahme ihres Grundstücks zum gesetzlichen Preis verlangen können.
Darüber hinaus wollen wir mit unserem Entwurf die Möglichkeit schaffen, Erneuerungs- und Entwicklungsgesellschaften für die Dauer von mindestens 30 Jahren zu gründen. An diesen Gesellschaften können sich die Gemeinden, Körperschaften des öffentlichen Rechts, Kreditinstitute und andere natürliche und juristische Personen mit Sach- und Geldeinlagen beteiligen. Für die Einlagen werden Namensaktien oder sonstige Gesellschaftsanteile gewährt. Die Beteiligten haben ein Wahlrecht zwischen der Zuteilung eines Grundstücks und der Ertragsbeteiligung. Wir wissen, daß wir mit dieser Bestimmung Neuland betreten haben, glauben aber, damit eine durchaus zukunftgerichtete Möglichkeit aufzuzeigen.
Meine Damen und Herren, wir sind gerne bereit, in den Ausschußberatungen in konkrete Überlegungen einzutreten, wie z. B. auch das alte Genossenschaftsprinzip modern und zeitgerecht ausgeformt und für den Städtebau der Zukunft genutzt werden kann und wie neue Eigentumsformen damit eröffnet werden können. Eine Entschließung des Bundesrates, wenn sie das auch nicht ,ausspricht, geht ja durchaus in diese Richtung. Man könnte so Wohnungsinhabern die Möglichkeit geben, Genossenschaftsanteile in Höhe des Durchschnittswerts ihrer Wohnung zu 'erwerben, die mit einem ständigen Wohnrecht verbunden sind und je nach dem Wert der Wohnung mit dem früheren Mietpreis aufgerechnet werden. Hier könnte auch durch Einschaltung von Bausparkassen zur Vorfinanzierung von Genossenschaftsanteilen und durch die dann an die Stelle der Miete tretende Sparbeiträge der bisherige Mieter allmählich zum lastenfreien Eigentümer einer von ihm benutzten Wohnung werden. Damit könnte dann auch jenen, die kein Interesse oder auch keine Möglichkeit haben, ein eigenes Haus zu bauen, die Chance gegeben werden, trotzdem Immobilienvermögen zu erwerben.
Meine Damen und Herren, die volkswirtschatflich bedeutsame Nebenwirkung der Umwandlung von Arbeitseinkommen in Sparkapital sei nur am Rande bemerkt, ebenso der Hinweis, auf eine durchaus interessante Variante in der Diskussion um die Vermögensbildung. Sie sehen, welche Gestaltungs- und Ausformungsmöglichkeiten auch noch bei den vorliegenden Entwürfen bestehen.
In besonderem Maße stellt unser Entwurf darauf ab, auch durch steuerliche Anreize die Mitwirkung der Eigentümer und sonstiger Interessierter zu fördern. Dieses Kapitel ist im Regierungsentwurf allzu kurz gekommen. Den in diesem Zusammenhang 'erhobenen Vorwurf, mit den steuerlichen Vergünstigungen würde man insbesondere kapitalstarke Mitwirkende bevorteilen, lasse ich nicht gelten. Die große städtebauliche Erneuerungs- und Entwicklungsaufgabe ist nicht zu bewältigen - ich wiederhole es -, wenn es nicht gelingt, dabei weitgehend den finanziellen Einsatz möglichst vieler Bürger einzuschalten. Die Vorteile der Erneuerung und der Entwicklung kommen allen in dem Bereich und darüber hinaus wohnenden Bürgern zugute.
Auch bei der Durchführung der Erneuerung oder Entwicklung durch die Eigentümer müssen hoheitliche Aufgaben wie die Erklärung zum Erneuerungs und Entwicklungsgebiet, 'die Bauleitplanung, die Bodenordnung, die Erschließung selbstverständlich grundsätzlich der Gemeinde überlassen bleiben. Wir sind aber im Gegensatz zum Regierungsentwurf der Meinung, daß dabei eine wesentlich stärkere Einschaltung der Betroffenen notwendig ist. Etwas mehr Demokratie ist eine Forderung, ,die durchaus auch für das Städtebauförderungsgesetz Geltung haben sollte. Daher möchten wir sicherstellen, daß der betroffene Bürger vom Beginn möglicher Maßnahmen an an der Vorbereitung, Durchführung und Gestaltung beteiligt wird. Eine möglichst reibungslose und rechtlich abgesicherte Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, hier Irrsonderheit der Gemeinde, wird sicher am ehesten zum Ziel führen. Diese Einschaltung der Betroffenen wird dazu beitragen, ihre eventuellen Vorbehalte gegen geplante Maßnahmen zu beseitigen und 'ihr Interesse an aktiver Mitarbeit zu wecken.
Unser Entwurf sieht vor, daß der Erklärung zum. Erneuerungs- und Entwicklungsgebiet vorbereitende Untersuchungen vorangehen. Bereits zu diesem Zeitpunkt soll den Betroffenen Gelegenheit zu Informationen und Stellungnahmen gegeben werden.
Bei der Durchführung der Erneuerung oder Entwicklung müssen hoheitliche Zwangsmittel auf das notwendige Mindestmaß beschränkt bleiben. Hier haben wir gegen verschiedene Punkte des Regierungsentwurfs Bedenken. Sie beziehen sich vor allem auf die Ausgestaltung der Bodenverkehrsgenehmigung, des gemeindlichen Grunderwerbsrechts, der Entschädigungsregelung und der Reprivatisierungsverpflichtung.
Wir halten z. B. eine Preiskontrolle im Rahmen der Bodenverkehrsgenehmigung für falsch. Wir wissen aus den Erfahrungen der Vergangenheit, daß mit derartigen Preiskontrollen die auch von uns gewünschte Preisstabilität nicht erwirkt wird. Der Preisstopp für Grundstücke hat oft genug zu Preisen unter dem Ladentisch und zu beurkundeten Scheinpreisen geführt. Wir möchten nicht, daß diese unerfreulichen Zustände durch das Städtebauförderungsgesetz erneut begünstigt werden.
({11})
Außerdem besteht ein öffentliches Interesse daran, daß auch in Erneuerungs- und Entwicklungsgebieten die Mobilität des Grundstücksverkehrs erhalten bleibt. Auch vom Standpunkt der öffentlichen Hand besteht kein .Bedürfnis für eine solche Preiskontrolle. Die Erneuerung oder Entwicklung wird bei Verzicht auf eine solche Regelung nicht behindert. Selbst wenn ein Grundstück zu einem höheren als dem anteiligen Preis verkauft würde, hätte das auf eine spätere Enteigungsentschädigung keinen Einfluß, da nach dem Gesetz nur die gesetzlich festgelegte Entschädigungssumme zu zahlen ist und der Käufer, der auf einen höheren Kaufpreis eingegangen ist, auf sein Risiko gehandelt hat. Wir sind daher gegen eine derartige Preiskontrolle, die auch den Verwaltungsdirigismius ohne Not vermehrt.
Das gleiche gilt für das gemeindliche Grunderwerbsrecht. Wir lehnen es ab, da es der Sache nach eine vereinfachte Enteignung ist, ohne den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Enteignung zu genügen. Wir können nicht einsehen, daß der Enteignungsbegünstigte selbst über die Enteignung entscheiden soll. Das ist in diesem Falle noch um so bedenklicher, als der Regierungsentwurf noch nicht einmal das Vorhandensein eines Bebauungsplans dabei voraussetzt. Wenn verschiedentlich behauptet wind, daß .das gemeindliche Grunderwerbsrecht keine Enteignung sei, so müssen wir dem widersprechen, denn ein Zwangskaufvertrag, in dem einem Eigentümer Bedingungen aufgezwungen werden, mit denen er nicht einverstanden ist, ist und bleibt eine Enteignung.
Wir verkennen auf der anderen Seite natürlich nicht, daß in Erneuerungs- und Entwicklungsgebieten Enteignungen dann nötig sind, wenn der Eigentümer die Mitwirkung endgültig versagt und auch ernsthafte Bemühungen um freihändigen Erwerb fehlschlagen. In diesen Fällen geht unser Entwurf über den Entwurf der Regierung hinaus. Wir sind ebenso wie der Bundesrat der Auffassung, daß in diesen Fällen in Erneuerungs- und Entwicklungsgebieten das Enteignungsverfahren beschleunigt werden muß, sobald der Bebauungsplan rechtskräftig geworden ist. Das Enteignungsverfahren darf nicht zu untragbaren Verzögerungen zum Schaden der übrigen Betroffenen führen. Wir glauben, dem auch mit geeigneten Bestimmungen Rechnung zu tragen.
Was nun die Höhe der Entschädigungen angeht, sind wir - in Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf - selbstverständlich der gleichen Meinung, daß ungerechtfertigte Gewinne an Grund und Boden gesetzlich ausgeschlossen werden müssen. Wir haben aber 'erhebliche Bedenken dagegen, daß der Zeitpunkt, von dem an Wertsteigerungen unberücksichtigt bleiben, unbestimmt ist. Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Enteignungsbehörde bei
der Ermittlung des Grundstückswertes zurückgehen muß, bleibt bei der Regierungsvorlage offen. Hierdurch wird ein Unsicherheitsfaktor in die Entschädigungsregelung getragen, der zu einer Häufung gerichtlicher Streitigkeiten geradezu herausfordern muß. Wir haben deshalb in unserem Entwurf einen festen Stichtag für die Wertermittlung vorgesehen. Es ist der Tag, an ,dem die vorbereitenden Untersuchungen durch Gemeinderatsbeschluß bekanntgemacht werden.
Im Gegensatz zum Regierungsentwurf sind wir auch der Meinung, daß der Härteausgleich ein Teil der Entschädigungsregelung sein muß und daß darauf ein Rechtsanspruch bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen gegeben sein soll. Es kann nicht in das Ermessen der Gemeinde gestellt werden, ob ein Härteausgleich zu gewähren ist oder nicht. Das gleiche gilt für Mieter und Pächter im Erneuerungs und Entwicklungsgebiet, die ihren Wohn- oder Geschäftsraum oder ihr Pachtland verlieren, ohne daß ihnen nach dem Bundesbaugesetz eine Entschädigung zu zahlen wäre. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung des Härteausgleichs halten wir auch aus Gründen der Verfahrensvereinfachung für nicht glücklich, da zwei Verfahrensgänge bei zwei verschiedenen Behörden vorgesehen sind.
Im Regierungsentwurf fehlt auch eine Entschädigungsregelung für jene, die im Zuge des gemeindlichen Genehmigungsverfahrens Nutzungsbeschränkungen hinnehmen müssen. Diese Beschränkungen können unter Umständen bis zu einem Jahrzehnt oder gar darüber hinaus andauern. Das kann nach unserer Meinung sowohl wegen der Unbilligkeit als auch aus verfassungsrechtlichen Bedenken nicht länger entschädigungslos hingenommen werden, als es vergleichbar auch im Bundesbaugesetz geregelt ist.
Bedenken haben wir ferner gegen die in der Regierungsvorlage enthaltene Vorschrift über die Reprivatisierungspflicht geltend zu machen. Sie enthält nämlich einige Lücken, die zumindest die Gefahr einer weitgehenden Kommunalisierung der im Erneuerungs- bzw. Entwicklungsbereich von der Gemeinde oder von den von ihr beauftragten Trägern erworbenen Grundstücke in sich birgt. Wir wünschen, daß die Entscheidungen der Gemeinde in der Frage der Reprivatisierung justitiabel gemacht werden, und haben deshalb in unseren Entwurf eine Vorschrift aufgenommen, nach der diejenigen Eigentümer, die ihr Grundstück für die Durchführung der Erneuerung und Entwicklung hergeben mußten, vor der späteren Reprivatisierung von der Gemeinde anzuhören sind und dabei festzustellen ist, ob sie den Rückerwerb ihres früheren Grundstücks, den Erwerb eines anderen Grundstücks oder eines anderen dinglichen Rechts wünschen. Dem Eigentümer, der bei der Reprivatisierung nicht berücksichtigt werden kann, ist ein begründeter Bescheid zu geben. Bei der Veräußerung an einen früheren Eigentümer muß die Gemeinde das Grundstück zum Selbstkostenpreis abgeben. Selbstverständlich kann sie ihre Kosten dem Grundstückspreis zuschlagen. Aber wir sollten sehr wohl Obacht geben, daß nicht auch bei Reprivatisierungen der Grundstückspreis ansteigt.
Wir haben vor allen Dingen Bedenken gegen die Vorschrift im Regierungsentwurf, daß ein Erneuerungs- oder Entwicklungsträger ,auf eigene Rechnung tätig werden kann. Wir sind der Meinung, daß Erneuerungs- und Entwicklungsträger nur als Treuhänder tätig werden dürften und damit auch im gleichen Umfang wie die Gemeinden reprivatisierungspflichtig sein müßten.
Meine Damen und Herren, wir haben bei dem sogenannten bodenrechtlichen Instrumentarium keine unterschiedlichen Regelungen für Erneuerungs- und Entwicklungsgebiete getroffen. Es mag sein, daß die in Entwicklungsgebieten wohnenden oder auch besitzenden Betroffenen weniger von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich an der Durchführung der Maßnahmen selbst zu beteiligen. Wer aber die Bereitschaft zur Mitwirkung hat, der darf daran auf keinen Fall gehindert werden.
Meine Damen und Herren, schließlich noch ein Wort zur Finanzierung. Wir begrüßen es, daß der Regierungsentwurf erstmalig einen festen Finanzierungsbeitrag des Bundes vorsieht. Wenn auch im Entwurf an Stelle der Zahlen zunächst nur Pünktchen eingesetzt sind, kommt es doch auf die Auffüllung dieser Pünktchen an. Der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen hat inzwischen erklärt, daß in den Jahren 1971 bis 1973 in .der mittelfristigen Finanzplanung ein Bindungsrahmen von 450 Millionen DM vorhanden sei. Wenn man die hier heute verkündeten Prioritäten ernst nimmt, sollte es möglich sein, auch die von uns gewünschten 500 Millionen DM zu erreichen.
Sicher 'ungenügend. ist die Regelung der Regierungsvortage, die für die Zeit nach 1973. Es ist nämlich nichts vorgesehen. Die Regierungsvorlage schweigt sich aus und überläßt die Höhe der bereitzustellenden Bundesmittel 'der mehrjährigen Finanzplanung ohne Zahlenangabe. Da es aber bei den Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen um langfristige Maßnahmen geht, müssen auch für die Zeit mach 1973 die jährlichen Bundesbeiträge im Städtebauförderungsgesetz festgelegt werden.
Unser Entwurf sieht deshalb vor, daß der Bundesbeitrag für das Jahr 1974 auf 300 Millionen DM festgelegt wird und sich dann in den nächsten zehn Jahren jährlich um 10 % erhöht. Das entspricht im System der Regelung, die früher im Zweiten Wohnungsbaugesetz getroffen wurde und sich durchaus bewährt hat.
Wir sind auch der Meinung, daß für die Bundesmittel unabhängig von den jährlichen Schwankungen des Bundeshaushalts eine Rechnungsgrundlage gefunden werden kann, wenn das Rückflußaufkommen aus den früheren Wohnungsbaumitteln erhöht wird. Der Entwurf der CDU/CSU sieht deswegen vor,eine Mobilisierung der öffentlichen Baudarlehen vorzunehmen. Der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen soll im Einvernehmen mit den zuständigen obersten Landesbehörden darauf hinwirken, daß die öffentlichen Baudarlehen, vor allem solche, deren Zinsen auf Grund des Zinserhähungsgesetzes bereits auf 4 % erhöht .sind, auf Kapitalmarktmittel umgeschuldet werden. Die Zins2024
differenz kann gegebenenfalls für die Dauer von zwei Jahren dm begrenzten Umfang von der öffentlichen Hand übernommen werden. Meine Damen und Herren, obwohl es gerade beim Geld hier im Saale etwas dunkler wurde, meine. ich doch, daß wir hier die Hoffnung haben dürfen, daß eis auf dem Gebiet der Finanzierung ides Städtebaus und des Städtebauförderungsgesetzes für die Zukunft nicht unbedingt finster ist.
Meine Redezeit geht zu Ende. Deswegen möchte ich zusammenfassend folgendes sagen. Mir scheint, daß dem federführenden fund den mitberatenden Ausschüssen sowie allen interessierten Verbänden und Persönlichkeiten und zuletzt diesem Hohen Hause eine große, zukunftsweisende und zukunftsgestaltende Aufgabe übertragen wurde. Es geht dabei - ich komme auf meine Anfangsworte zurück - um nichts anderes, als die Synthese zwischen Freiheit und Ordnung in der Gestaltung unseres Raumes und der Umweltbedingungen der künftigen Generationen zu suchen, Bedingungen für die Menschen einer freiheitlichen Gesellschaft, in der das Leben ganz einfach menschenwürdig ist.
Meine Damen und Herren, es mag dem einen oder anderen nicht ganz erklärlich sein, daß ich in der Begründung keine Sonderinteressen einzelner Gruppen angesprochen habe. Dieses Gesetz, für das heute zwei Entwürfe eingebracht wurden, betrifft uns .alle. Sicher sind die einen mehr davon berührt als die ,anderen. Aber nur der Blick auf alle, auf das Gemeinwohl läßt uns auch die Rechte und Pflichten des einzelnen klar sehen.
Die Haus- und Grundbesitzer in den Städten, die Landwirte und Bodenbesitzer in den Entwicklungsgebieten, die Mieter und Pächter, die Städteplaner und Städtebauer, die Gesellschaften und Unternehmungen, die Gemeinde- und Stadträte, sie alle erwarten wie wir von diesem Gesetz und von uns als Gesetzgeber eine gute, eine gerechte, einen ihnen dienende Lösung. Sie wird ihnen dienen, wenn es uns gelingt, in unseren Beratungen aus den vorliegenden Entwürfen ein Gesetzeswerk zu machen, von dem man sagen kann, daß es dazu beiträgt, den Lebensraum der Bürger in unserem Volk besser und schöner zu gestalten.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen, Herr Dr. Lauritzen. Er hat 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der Großen unter den Architekten und Städtebauern unserer Zeit, Walter Gropius, sagte warnend schon im Jahre 1952 - ich darf mit Genehmigung des Herr Präsidenten zitieren -:
Die modernen Siedlungen bestehen gewöhnlich nur in einer simplen Addierung von Straßen und Häusern ohne Gemeinschaftsanlagen, wie Versammlungsräumen, Schulen, Kindergärten ... die ja aus dieser bloß quantitativen Anhäufung erst einen lebensfähigen, planmäßig begrenzten Organismus machen würden.
Der Soziologe Hans Paul Bahrdt, der ja bekanntermaßen eine Arbeit zum Thema „Humaner Städtebau" veröffentlicht hat, fügte 1965 hinzu:
Mit falsch gebauten Städten kann man eine Gesellschaft und eine Demokratie genauso ruinieren wie durch die Errichtung eines totalitären Regimes.
Erkennt man weiter, meine Damen und Herren, daß es heute doch kaum eine Gemeinde oder eine Stadt gibt, in der nicht Gebiete mehr oder minder großen Ausmaßes in ihrer Bausubstanz hoffnungslos veraltet sind, und daß fast alle Städte erhebliche Mängel in der Wahrnehmung ihrer urbanen Funktionen aufweisen, dann wird doch sehr deutlich, welche Aufgaben wir zu bewältigen haben, wenn wir von modernem - und das heißt doch: sozialem und humanem Städtebau 'sprechen wollen.
Die Diskussion über diese Probleme und damit auch die Diskussionen über den Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes haben in der letzten Zeit einen Umfang und eine Intensität angenommen, wie wir es bisher nicht erlebt haben. Immer drängender wird in der Öffentlichkeit die Forderung nach der Verabschiedung eines solchen Gesetzes. Damit verbunden ist allerdings auch ein erhebliches Maß an Kritik - eine Kritik, die dahin geht, daß der Wiederaufbau der letzten 20 Jahre eben nur ein Wiederaufbau und noch kein Städtebau gewesen sei, daß die Grundstücks- und Bauspekulation ungerechtfertigt Blüten getrieben habe, daß monotone Siedlungen und Schlafstädte entstanden seien, die den Anforderungen an einen modernen Städtebau eben nicht gerecht würden, und daß die Innenstädte im Verkehr zu ersticken drohten sowie wirtschaftlich und sozial zum Erliegen kämen. Die Architekten - hier darf ich vieleicht zwei nennen, nämlich die Professoren Albers und Eiermann - und die Soziologen - hier nenne ich für viele den eben schon zitierten Göttinger Soziologen Bahrdt und den Frankfurter Mitscherlich - sowie die gesamte junge Generation von Brandi über Bernd bis Sieverts artikulieren in dieser eben skizzierten Weise ihren Unmut über zwei Jahrzehnte Wohnungs- und Städtepaupolitik, in denen ein Nachholbedarf angewachsen ist und Versäumnisse entstanden sind, die wir jetzt endlich aufholen müssen.
Wir wollen dabei einmal die politische Verantwortung für diesen Rückstand klar herausstellen, wenn wir jetzt darangehen, die Voraussetzungen für seine Beseitigung zu schaffen. Mir scheint allerdings - da möchte ich an die Ausführungen unseres Kollegen Erpenbeck anknüpfen -, daß die Opposition bei der Abfassung ihres Entwurfs, wie wir aus den immer wieder vorgetragenen Bedenken gehört haben, Angst vor der eigenen Courage gehabt hat.
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- Ja, es fehlt eben der Mut. Mit halbherzigen Schritten kann man die vor uns liegende Aufgabe nicht lösen.
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Die Vorschläge der Opposition können doch gar zu leicht dazu führen, daß in zehn Jahren hier wieder über ein neues Städtebauförderungsgesetz verhandelt wird, weil das vorgelegte nicht ausgereicht hat.
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In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 hat der Herr Bundeskanzler ausgeführt - ich darf kurz zitieren, Herr Präsident -:
Umwelt und Lebensverhältnisse werden sich in den 70er Jahren immer rascher verändern. Besonders auf den Gebieten der Raumordnung, des Städtebaus und des Wohnungsbaus werden daher systematische Vorausschau und Planung immer wichtiger. Als erster Schritt muß ein Städtebauförderungsgesetz zügig verabschiedet werden.
Mit der Ihnen zugegangenen Vorlage VI/510 entspricht die Bundesregierung dieser Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers und schafft damit die Voraussetzungen für eine zügige Verabschiedung dieses Gesetzes. Die Notwendigkeit dieses Gesetzes - das haben wir eben auch gehört - wird doch in diesem Hohen Hause von niemandem mehr bestritten. Selbst die Opposition hat dies in der Begründung zu ihrem Entwurf zum Ausdruck gebracht.
Daher sollten wir uns alle, glaube ich, dessen bewußt sein, meine Damen und Herren, daß es jetzt wirklich darum geht, endlich städtebauliche Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen in einer Weise in Angriff zu nehmen, die sich an den Erfahrungen der Vergangenheit orientieren und den Entwicklungen der Zukunft gerecht werden. Denn hier geht es nicht nur um die Lösung technischer oder ästhetischer Probleme, sondern um die Bewältigung einer Aufgabe von einer ganz besonderen gesellschaftspolitischen Bedeutung. Moderner, d. h. sozialer und humaner Städtebau muß ein integrierender Faktor einer aktiven und fortschrittlich orientierten Gesellschaftspolitik sein.
Städte sind - so hat es der Münchener Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel einmal ausgedrückt - steingewordene Gesellschaftspolitik, und aus ihren Grundrissen, aus ihrer Struktur können Wertordnungen abgelesen werden. Ich möchte hinzufügen: Vorstellungen, die die Gesellschaft vom Wert menschlicher Gemeinschaft hat. Daher ist moderner Städtebau eine der Voraussetzungen für eine Realisierung des Verfassungsgrundsatzes der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses Verfassungspostulat zu erfüllen, ist eine Aufgabe des modernen Sozialstaats. Wir müssen diese Aufgabe jetzt in Angriff nehmen, und wir müssen sie in einer Weise lösen, daß man nicht in zwanzig Jahren sagt, wir wären ebenfalls der Verantwortung nicht gerecht geworden, die die heutige Zeit von uns verlangt.
Die gesetzlichen Grundlagen, die uns zur Zeit zur Verfügung stehen, insbesondere das Bundesbaugesetz, reichen dafür nicht aus. Zu dieser Erkenntnis ist inzwischen auch die Opposition gekommen, wie sich aus der Begründung zu ihrem Entwurf ergibt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf soll diese Lücke jetzt schließen. Er soll den
Gemeinden die rechtlichen und organisatorischen Rechtsbehelfe an die Hand geben, damit die städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen vorbereitet und geplant werden können und ihre Durchführung gewährleistet ist, und dieser Gesetzentwurf soll in Ausführung des neuen Artikels 104 a des Grundgesetzes dafür die finanzielle Hilfe des Bundes zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz kann und will aber kein städtebauliches Programm sein. Hier muß ich mich etwas von den Ausführungen distanzieren, die Herr Kollege Erpenbeck soeben gemacht hat. Es ist ein Gesetz, das nur rechtliche Instrumente schafft und nur finanzielle Hilfen zur Verfügung stellt.
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Wenn gelegentlich kritisiert wird oder kritisiert worden ist, das Gesetz mache keine Aussagen darüber, wie die Städte denn nun gebaut werden sollen, dann muß ich Ihnen ganz offen sagen, mich schreckt der Gedanke, von einem Gesetzgeber zu verlangen, er solle Gesetzesnormen aufstellen, wie die Städte aussehen sollen.
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- Die Voraussetzungen dafür schaffen wir mit diesem Gesetz. - Auch eine etwa für die ganze Bundesrepublik verbindliche Konstruktion auf dem Reißbrett entwickeln zu wollen, würde ich für völlig abwegig halten.
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Die städtebauliche Verantwortung - darin unterscheiden wir uns anscheinend - und damit auch die Möglichkeit der freien Gestaltung liegt in den Händen derer, die in den Gemeinden und Städten die politische Verantwortung tragen, und derjenigen, die sie damit beauftragen, der Städtebauer und Architekten,
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der Nationalökonomen und Soziologen, kurz, der Fachleute - lassen Sie mich das einmal ausdrücklich betonen -, all der Fachleute, die herangezogen werden müssen und die nach meiner Auffassung herangezogen werden sollten, damit die interdisziplinäre Aufgabe des modernen Städtebaus in befriedigender Weise gelöst werden kann. Lösungsmöglichkeiten können immer nur unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, des historischen Entstandenen, der topographischen Verhältnisse und der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im weitesten Sinne erarbeitet werden, und das kann niemals Aufgabe der Gesetzgebung sein. Allerdings betrachte ich es als eine selbstverständliche Aufgabe des Bundes, zusammen mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden Zielvorstellungen, Ausstattungsmerkmale und Grunddaten für den Städtebau und die Gemeindeentwicklung zu erarbeiten. Wir wollen sie laufend in unseren Städtebauberichten veröffentlichen; einen dieser Berichte haben wir der Öffentlichkeit bereits vorgelegt.
Meine Damen und Herren! Die Regierungsvorlage beruht auf folgenden Grundgedanken:
Erstens. Die städtebauliche Erneuerung und Entwicklung von Städten und Dörfern - lassen Sie mich das noch einmal unterstreichen: und Dörfern - werden völlig gleichwertig nebeneinander gestellt. Dieses Gesetz soll für alle Gemeinden gelten, nicht nur für die Großstädte oder gar nur die Verdichtungsräume. Denn in den ländlichen Gemeinden sind Sanierungsmaßnahmen oft noch dringlicher als in den Städten, weil sich dort der Struktur- und Funktionswandel besonders nachteilig ausgewirkt hat. Auf die Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur soll nach dem Gesetzentwurf ganz besonders Rücksicht genommen werden.
Zweitens. Bei der Anwendung des Gesetzes sind - und nun komme ich auf den entscheidenden Punkt - die Belange der Eigentümer so weitgehend wie nur irgend möglich zu berücksichtigen. Während der Beratung des Entwurfs im Bundesrat wurde ja auch festgestellt, dieser Gesetzentwurf sei der eigentümerfreundlichste, der bisher von einer Bundesregierung vorgelegt worden sei. Dies ist ein Ziel, das die Bundesregierung bewußt anstrebt. Denn Wir wissen doch alle: ohne die Mitwirkung der Eigentümer können viele gute Planungen nicht oder nur schwer durchgeführt werden.
Grundsätzlich soll es daher jedem Eigentümer freistehen, bei der Sanierung mitzuwirken. Ist das aus zwingenden Gründen nicht möglich, so soll die
Gemeinde dafür sorgen, daß das Eigentum der bisherigen Eigentümer an ihren Grundstücken erhalten bleibt oder für sie Eigentum an anderen Grundstücken in gleicher oder gleichwertiger Lage, Grundeigentum in anderer Rechtsform oder ein grundstücksgleiches Recht begründet wird. Bei Entwicklungsmaßnahmen soll nach Möglichkeit Eigentum an Grund und Boden oder sollen grundstücksgleiche Rechte für weite Kreise der Bevölkerung begründet werden. Bei diesen, meine Damen und Herren, doch weitgehenden Reprivatisierungsverpflichtungen der Gemeinden, aber auch der Träger, ist deshalb die oft gehörte Kritik von einer „Kommunalisierung", Herr Erpenbeck, völlig unbegründet.
Die materiell-rechtlichen Vorschriften bodenrechtlicher Art sind durch das Bemühen gekennzeichnet, das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Bindung des Grundeigentums im Bereich städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen durch einen wohlabgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen der betroffenen Eigentümer zu überbrücken, wie dies den Grundsätzen ides Art. 14 unseres Grundgesetzes entspricht. Dieser so gern zitierte Artikel enthält im Abs. 1 eine verfassungsrechtliche Garantie des Eigentums, die niemand antasten will, auch nicht der vorgelegte Gesetzentwurf. Aber der Art. 14 hat auch einen Abs. 2, der leider oft übersehen wird. Er lautet:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Diese Sozialfunktion des Eigentums findet ihre (4 rechtliche Begründung in der Sozialstaatklausel das Art. 20 des Grundgesetzes, worauf Herr Kollege Benda in seinem Vortrag auf dem Zentralverbandstag der Deutschen Haus- und Grundeigentümer im Juni 1967 in München mit Recht hingewiesen hat. In dieser Sozialfunktion des Eigentums muß der Ansatz für eine gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten gefunden werden, wie es der Art. 14 in seinem Abs. 3 ausdrücklich vorsieht. Gerade das ist auch die Zielsetzung des Regierungsentwurfs. Wenn gleichwohl versucht wird, hier die entscheidende Kritik anzusetzen, und gelegentlich polemische Äußerungen von einer Kommunalisierung oder gar Sozialisierung des Eigentums sprechen wollen, dann müssen hier auch einmal andere Stimmen zitiert werden, und ich darf das - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - tun; es sind nur drei kurze Zitate.
In seiner Enzyklika „Populorum progressio", die Papst Paul VI. im Jahre 1967 herausgegeben hat, stehen folgende Sätze:
Das Privateigentum ist für niemand ein unbedingtes und unumschränktes Recht. Niemand kann guten Grunds seinen Überfluß ausschließlich für sich gebrauchen, wo anderen das Notwendigste fehlt. Mit einem Wort: Das Eigentum darf niemals zum Schaden des Gemeinwohls genutzt werden.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hatsich in ihrer Denkschrift zur Eigentumsfrage im Jahre 1966 wie folgt geäußert:
Die Bodenpreise versperren in vielen Fällen die Möglichkeit, Eigentum an Wohnraum für angemessene Gegenleistung zu bilden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, immer erneut zu prüfen, wie ungerechtfertigtem Bodengewinn entschieden mehr als bisher gewehrt werden kann.
Und schließlich noch ein letztes Zitat:
Wir sind die erste deutsche Generation, die Großstadtleben wirklich durchlebt hat. Das Erlebnis kennen Sie alle. Wir leiden nach meiner tiefsten Überzeugung in der Hauptsache in unserem Volk an der falschen Bodenpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Ich betrachte diese falsche Bodenpolitik als die Hauptquelle aller physischen und psychischen Entartungserscheinungen, unter denen wir leiden. Die bodenreformerischen Fragen sind nach meiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit.
Sie wissen, wer das gesagt hat: So sprach vor dem Heimstättenausschuß der deutschen Gewerkschaften im Jahre 1920 der damalige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer. Ich meine, wir sollten mit diesen Forderungen - die erste aus dem Jahre 1920 habe ich zitiert - nun endlich ernst machen. Nur habe ich in dem von der CDU/CSU vorgelegten Entwurf davon leider noch nichts gemerkt.
Der Regierungsentwurf geht unter Berücksichtigung dieser Forderungen davon aus, daß niemand bei der Anwendung des Gesetzes einen Schaden erleiden, aber auch niemand auf Kosten der AllgeBundesminister Dr. Lauritzen
meinheit einen ungerechtfertigten Gewinn erzielen soll. Haus- und Grundeigentümer erhalten, wenn sie sich aus Gründen des allgemenen Wohles zeitweilig von ihrem Grundeigentum trennen müssen, eine gerechte Entschädigung. Die Ausschaltung der Planungsgewinne und der Gewinne, die erst durch die Tätigkeiten und Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden entstehen, entspricht zwingenden Bedürfnissen und wird auch von der Rechtsprechung bereits praktiziert.
Nach Druchführung der Maßnahmen entstehen den Eigentümern sogar Vorteile: Durch Einsatz der öffentlichen Mittel entsteht ein neuer, gesunder und entwicklungsfähiger Wert, der sich im wesentlichen erst lin der Zeit nach der Sanierung zeigen wird. Dieser spätere Wertzuwachs kommt den Eigentümern voll zugute. Der Landwirtschaft soll ebenfalls eine ausreichende Entschädigung für den Verlust von Grund und Boden zugesichert werden. Abgesehen davon, daß Entwicklungsmaßnahmen klar abgegrenzt sind, soll der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen das Recht erhalten, durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Mindesthöhe des Verkehrswertes landwirtschaftlich oder fortswirtschaftlich genutzter Grundstücke im mstädtebaulichen Entwicklungsbereich zu erlassen.
Damit wird doch klar herausgestellt, daß als Entschädigung bei Entwicklungsmaßnahmen der Verkehrswert zu zahlen sein wind, der sich bis zur Einleitung der Maßnahmen auf dem Grundstücksmarkt entwickelt hat und der in der Regel zwischen dem reinen Ackerlandpreis und dem Baulandpreis liegen wind.
Die materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Handhaben sollen unter Berücksichtigung des besonderen Charakters der Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen so ausgestaltet werden, daß sie im Interesse der Allgemeinheit und der Betroffenen die zügige Abwicklung der notwendigen Maßnahmen sicherstellen. Damit wird gerade dem Anliegen der Betroffenen entsprochen, Belastungen möglichst schnell wieder zu beseitigen, rentable Grundstücksnutzungen herzustellen und im Interesse aller Beteiligten die Kosten zu verringern. Diesem Ziel dienen ein Abbruch- und Baugebot, ein gemeindliches Grunderwerbsrecht und - das ist entscheidend - die zeitliche Abkürzung des Enteignungsverfahrens. Durch eine Zusammenfassung bestehender Genehmigungspflichten und durch Verzicht auf entbehrliche Genehmigungstatbestände soll eine wesentliche Vereinfachung und Liberalisierung der behördlichen Kontrollen erreicht werden.
Herr Kollege Erpenbeck, wenn Sie gegen die mit dem Genehmigungsverfahren verbundene Preiskontrolle Bedenken haben, so möchte ich hier noch einmal sehr nachdrücklich sagen - wir haben uns ja schon in der vorigen Legislaturperiode im Ausschuß darüber unterhalten -: Diese Preiskontrolle ist doch notwendig, um den 'Käufern eine ausreichende Rechtssicherheit zu gewähren ; denn kein Käufer, der eine behördliche Genehmigung für einen Kaufvertrag bekommt, wird verstehen, wenn nachher bei dem Entschädigungsverfahren der vereinbarte Kauf- I preis nicht der Werterrechnung zugrunde gelegt wird, sondern er unter einem Wert entschädigt wird, der nicht der Höhe des in dem genehmigten Kaufvertrag enthaltenen Kaufpreises entspricht. Das wird niemand verstehen. Hier ist im Interesse der Rechtssicherheit nach meiner Meinung eine Preiskontrolle unverzichtbar.
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- Auf welche Rechtssituation?
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- Nein, das können Sie doch von niemandem erwarten. Jemand, der einen genehmigten Kaufvertrag in Händen hat, in ,dem der Kaufpreis steht, rechnet doch damit, daß dann, wenn es einmal zu einem Entschädigungsverfahren kommt, dieselbe Behörde, die den Kaufvertrag genehmigt hat, auch den Kaufpreis anerkennen wird. Sonst hätte sie bei der Genehmigung des Kaufvertrages doch etwas sagen müssen. Das verlangt die Rechtssicherheit. Darauf können wir nicht verzichten.
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- Ich gebe Ihnen recht, wir werden noch über manches im Ausschuß zu sprechen haben.
Meine Damen und Herren, bei der Fassung der wichtigsten Vorschriften dieses Entwurfs sind viele Anregungen aus der Mitte des zuständigen Ausschusses des Hohen Hauses aus der vergangenen Legislaturperiode, zahlreiche Vorschläge des Bundesrates zu früheren Vorlagen und zu dieser Gesetzesvorlage sowie die Anregungen von politisch und fachlich interessierten Kreisen und Verbänden berücksichtigt warden. So ist ein ganz neuer Entwurf entstanden, der zudem gegenüber seinem Vorgänger wesentlich gestrafft worden ist. Damit ist die Übersichtlichkeit für den Bürger verbessert und ein überflüssiger Perfektionismus vermieden worden.
Ich möchte, was die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes angeht, auf die Begründung der Regierungsvorlage Bezug nehmen, aber noch folgendes besonders hervorheben.
Voraussetzung für Sanierungsmaßnahmen können sowohl bauliche wie funktionelle Mißstände sein. Die Entwicklungsmaßnahmen sind - enger als in früheren Entwürfen - auf solche Fälle beschränkt, in denen neue Ortschaften geschaffen, vorhandene Ortschaften zu neuen Siedlungseinheiten entwickelt oder um neue selbständige Siedlungseinheiten erweitert werden. Damit wird stärker herausgestellt, daß diese Maßnahme der Durchführung der Raumordnung dienen und Ziele der Strukturpolitik verwirklichen sollen. Zugleich wird damit aber auch die Beziehung zur Landes- und Gemeindeentwicklungspolitik aus der Sicht großräumiger Landesentwicklung hervorgehoben.
Eine weitere wesentliche Änderung stellt die Neufassung der Vorschriften über die Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen dar.
Damit trägt der Gesetzentwurf dem Gebot des Artikels 14 Rechnung, nach dem Art und Ausmaß der Entschädigung im Gesetz selbst zu regeln sind.
Zur Finanzierung der umfangreichen Kosten der Ordnungsmaßnahmen werden Förderungsmittel des Bundes, der Länder und Gemeinden eingesetzt sowie Wertsteigerungen der Grundstücke herangezogen. Die Heranziehung erfolgt bei den Eigentümern, die ihre Grundstücke veräußern, dadurch, daß sie den Verkehrswert der Grundstücke vor der Sanierung erhalten und bei Rückkauf im Wege der Reprivatisierung den neuen, durch die Sanierungsmaßnahmen beeinflußten Verkehrswert zahlen müssen. Eigentümer, die nicht ausscheiden, müssen nach der Sanierung den Differenzbetrag zwischen dem Verkehrswert ihres Grundstückes vor und nach der Sanierung an die Gemeinde entrichten. Dieser Betrag kann gestundet werden. Er ist der Höhe nach durch die anteiligen Kosten der Ordnungsmaßnahmen begrenzt. Entsprechendes gilt bei Entwicklungsmaßnahmen. Überschüsse darf die Gemeinde nicht behalten, sondern sie muß sie verteilen. Dadurch soll sichergestellt werden, daß niemand an den im Interesse der Allgemeinheit durchgeführten Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen verdienen kann, auch nicht die Gemeinden. Planungsgewinne werden so der Bodenspekulation entzogen.
In den neuen Entwurf ist darüber hinaus eine Härteklausel aufgenommen worden, nach der wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden können, die auf Grund persönlicher Lebensumstände bei der Sanierung auftreten.
Weitere Änderungen, die ich ausdrücklich hervorheben möchte, sind die konkrete Ausgestaltung der Förderungsvorschriften, die gegenseitige Rückflußbindung von Wohnungsbau- und Städtebauförderungsmitteln und vor allem die Einführung eines festen Finanzierungsrahmens. Nachdem nun die mittelfristige Finanzplanung vorliegt, bin ich ermächtigt, im Namen der Bundesregierung zu erklären, daß für die Jahre 1971, 1972 und 1973 ein Bindungsrahmen von 450 Millionen DM vorgesehen ist. Ich bedaure allerdings, daß es bisher nicht gelungen ist, mit den Ländern im Bundesrat ein Verfahren über die Verteilung der Mittel zu vereinbaren. Wir waren der Meinung, daß das Bundesprogramm die Grundlage für die Verteilung der Bundesmittel bilden wird, daß es auf Grund der Anmeldungen der Länder aufgestellt werden soll; daß es aber keineswegs so sein darf, daß dann, wenn ein Einvernehmen nicht erzielt werden kann, die Mittel nach der Bevölkerungszahl der Länder verteilt werden.
Das entspricht nicht den Grundsätzen des Art. 104 a des Grundgesetzes.
Am Schluß meiner Ausführungen zur Regierungsvorlage möchte ich noch einen besonderen Hinweis geben. Der Deutsche Rat für Stadtentwicklung hat nach meiner Meinung eine ganz wichtige Aufgabe; seine Funktionen sind im einzelnen im Gesetz dargelegt. Entscheidend ist, daß hier ein echtes Instrument für eine föderative und kooperative Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu schaffen ist. Dieses Gremium halte ich für besonders wichtig.
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Nun, meine Damen rund Herren, diese und viele andere Überlegungen fehlen leider in dem von der CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurf. Ich darf allerdings mit einer gewissen Genugtuung feststellen, daß offensichtlich jetzt auch alle diejenigen, die bisher von der Notwendigkeit eines Gesetzentwurfs noch nicht überzeugt waren, diese Meinung aufgegeben haben.
Darüber hinaus muß ich allerdings auch bewundern, welche Mühe aufgewendet worden ist, um die Gliederung und Paragraphenfolge des Regierungsentwurfes so umzugestalten, daß optisch daraus der Eindruck eines neuen Entwurfs entsteht, der vielleicht sogar noch alternativ sein soll. Der Inhalt des Entwurfs ist dadurch nicht viel besser geworden. Im Gegenteil, ich muß leider die Feststellung treffen, daß der von der Opposition vorgelegte Entwurf mir in seinem ,systematischen Aufbau verunglückt zu sein scheint,
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und zwar einfach aus dem Bestreben heraus, etwas anderes zu machen; denn neue Gedanken, die einen anderen Aufbau des Gesetzes rechtfertigen würden, habe ich in dem Entwurf nicht finden können.
Die tragenden Säulen des Gesetzes - und das sind ja doch insbesondere die Fragen der Wertermittlung bei Entschädigungsleistungen und die Ermittlung 'und Inanspruchnahme des neuen Grundstückswertes nach Durchführung der Sanierung - stimmen doch fast wörtlich mit dem Regierungsentwurf überein. Ich freue mich allerdings, Ihnen sagen zu können, daß ich den Eindruck habe: Hier haben sich anscheinend die progressiven Kräfte durchgesetzt. Allerdings hat der Entwurf dabei etwas mehr Ballast aufgenommen. Das scheint Folge eines Kompromisses mit den überall vorhandenen Perfektionisten zu sein. Aber der Entwurf ist dadurch nicht lesbarer und nicht verständlicher geworden und, so glaube ich, auch für die Praxis nicht brauchbarer.
({12})
Wir brauchen, meine Damen und Herren, ein gutes und praktikables Gesetz. Es wäre schlecht, wenn sich mit dem Gesetz die Gerichte allzusehr beschäftigen müßten, und es wäre kein Ruhmesblatt, wenn sich eines Tages zu schnell die Notwendigkeit einer Novellierung herausstellen würde. Ich sehe diese Gefahr allerdings kommen, wenn ich mir vorstelle, daß manche Regelungen, auf die die Opposition Wert zu legen scheint, gesetzgeberisch verwirklicht werden würden.
Diese Gefahr haben anscheinend auch die Bundesländer bei der Beratung im mBundesrat erkannt, denn die Länder haben bereits bei diesen Beratungen vieles von dem abgelehnt, was damals an Anträgen von der CSU-Landesregierung in Bayern vorgetragen wurde
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und was wir jetzt im gemeinsamen Antrag der CDU und CSU wieder vorfinden.
({14})
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig indiskutabel, den Bodeneigentümern bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen - bei der Planung! - den absoluten Vorrang einräumen zu wollen
({15})
und bei Sanierungsmaßnahmen zunächst das Individualinteresse und dann erst das Interesse der Allgemeinheit zu sehen.
({16})
Es ist ja 'bezeichnend, daß die ersten lautstarken Proteste hiergegen aus den eigenen Reihen der CDU kommen. Es ist Ihnen sicherlich nicht unbekannt, daß der Vorsitzende der Kölner Sozialausschüsse, Herr Heinz Soenius, an Ihren Fraktionsvorsitzenden einen Brief geschrieben hat, in dem er sagt, dieser CDU/CSU-Entwurf - das ist nicht meine, sondern seine Formulierung - „unternehme den Versuch einer Sanierung der Eigentümer".
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Er sagt, der Entwurf sei diktiert von partikularen Interessen verschwindend kleiner Minderheiten und wolle überholte Strukturen konservieren.
Meine Damen und Herren, ich kann das auch nicht klarer ausdrücken, und das müßte Ihnen eigentlich zu denken geben. - Bitte!
von Thadden ({18}) : Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß gerade bei einem Sujet, in dem für die Zukunft nicht unerhebliche Einigungsmöglichkeiten liegen und das in einem Ausschuß beraten werden wird, der den guten Ruf genießt, daß in ihm viel Bereitschaft zur Kooperation über die Grenzen .der Parteien hinweg da ist, und außerdem angesichts 'einer Situation, in der wir hier doch im wesentlichen unter uns sind, also gar nicht mehr groß zum Fenster hinaus zu reden 'brauchen, die Harschheit Ihrer Angriffe ein wenig deplaciert ist?
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Nein. Nun darf ich einmal eines sagen. Herr von Thadden, wir brauchen es doch nicht so nachzumachen, wie ,es hier den ganzen Tag über gewesen ist.
({0})
Erstens hat Herr Erpenbeck eine Liste von Bedenken vorgetragen, und zweitens hat er selber von der Kommunalisierung des Eigentums gesprochen. Nun wollen wir doch nicht so empfindlich sein.
({1})
- Nein, nein, meine Damen und Herren. Lassen Sie mich noch eine ganz präzise Aussage machen! Ich habe ja soeben Herrn von Thadden die Möglichkeit gegeben, eine Frage zu stellen. Es kann nicht Aufgabe der Stadtsanierung sein, eine Sanierung der Eigentümer 'und eine Sozialisierung der Verluste herbeizuführen. Das gibt es nicht.
({2})
Ich habe gegen den Entwurf der CDU noch eine Reihe von Bedenken geltend zu machen. Ich werde jetzt gemahnt, zum Schluß zu kommen; ich will das tun. Aber wenn Sie z. B. auch die Forderung aufnehmen, der Bund solle bei der Vergabe der Mittel, wenn er sich mit den Ländern nicht einigt, eine Verteilung nach der Bevölkerungszahl vornehmen, so ist das mit Art. 104 a GG nicht vereinbar. Art. 104 a GG sieht Bundeshilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und unterschiedlicher Wirtschaftsstruktur der Länder vor, d. h. eine nicht schematische, sondern eine 'angepaßte Verteilung der Bundesmittel.
Es geht auch nicht an, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie fordern, diejenigen Eigentümer, die an der Sanierung beteiligt sind, sollten höhere Förderungssätze erhalten. Was heißt „höhere Förderungssätze" ? Welche höheren Förderungssätze? Höher im Verhältnis zu welchen Bewilligungen?
Noch ein Wort zur Entschädigungsregelung. So begrüßenswert es ist, daß Sie sich praktisch dem Ergebnis unserer früheren Beratungen und damit auch dem Regierungsentwurf in der Bemessung der Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen angepaßt haben: der Härteausgleich gehört nicht in die Entschädigungsregelung hinein, sondern bringt einen enormen Unsicherheitsfaktor, weil jede Entschädigung dann zunächst einmal wieder revisibel ist und den Gerichten vorgelegt werden muß. Der Härteausgleich gehört neben die Entschädigungsregelung in ein besonderes Verwaltungsverfahren.
({3})
Ich möchte nicht viel mehr zu dem Entwurf sagen. Glauben Sie aber, wenn ich schweige, nicht, daß ich den anderen Bestimmungen zustimme! Schweigen gilt hier nicht als Zustimmung. Ich glaube nur, daß wir mit diesem Entwurf in der Beratung nicht weiterkommen, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als wollte man hier Reformen nur sehr widerstrebend mitmachen.
Meine Damen und Herren! In dem Buch der Bücher
- das man auch gerne zitiert - findet sich eine Stelle, die ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren darf.
({4})
- Ja, ja, Sie kennen sie.
Suchet der Stadt Bestes; denn wenn's ihr wohl geht, so geht es euch auch wohl.
Wäre dieses Bibelzitat nicht ein schönes Motto für einen Entwurf der CDU für ein Städtebauförderungsgesetz?
Abg. Erpenbeck: Wir haben einen guten
Entwurf gemacht!)
Nur, es paßt leider nicht zu Ihrem Entwurf. Zu Ihrem Entwurf passen leider auch nicht die Zitate der evangelischen und katholischen Kirche, die ich vorhin angeführt habe.
({5})
Leider passen sie nicht dazu, meine Damen und Herren.
Ich glaube, wir alle wissen, daß der Entwurf eilig ist, daß die Städte und Gemeinden auf das Gesetz warten. Und wem das Wohl unserer Bürger am Herzen liegt, der sollte auch bereit sein, mitzuhelfen, daß wir zu einer schnellen Verabschiedung kommen.
({6})
Namens der Bundesregierung darf ich das Hohe Haus bitten, mitzuhelfen, damit dieser Entwurf zügig beraten und noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs. Es sind zwanzig Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegen hier zur ersten Lesung zwei Entwürfe für ein Städtebauförderungsgesetz vor. Ich habe die Stellungnahme der FDP-Fraktion zu dem Regierungsentwurf abzugeben und möchte dazu noch einige Bemerkungen zu Herrn Kollegen Erpenbeck machen.
Mit idem Eintritt in 'die 70er Jahre, mit dem Beginn eines neuen Jahrzehnts, ist es notwendig, die Wohnungsbaukonzeption, nach der in den vergangenen Jahren verfahren wurde, einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, zumal der Wohnungsmarkt, von einigen Ballungsräumen abgesehen, im wesentlichen gesättigt ist. Nach idem Kriege galt es zunächst, die Bevölkerung schnell und in ausreichendem Maße mit Wohnungen zu versorgen. Man hat dabei zwangsläufig mehr Wert auf die Quantität als auf die Qualität gelegt. Heute stellt sich jedoch die Aufgabe, die Probleme der Zukunft zu lösen und entsprechend die Weichen zu stellen. Wenn man bedenkt, daß in den letzten fünfzig Jahren allein die Hälfte aller naturwissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Erfindungen gemacht wurde, kann man sich ausmalen, mit welcher Geschwindigkeit sich diese Entwicklung künftig fortsetzen wird.
Eine auf die Zukunft gerichtete Wohnungspolitik muß ,den sich in allen Bereichen abzeichnenden sektoralen und regionalen Strukturwandel berücksichtigen. Nach den Jahren des Wiederaufbaus kommt heute und künftig der Modernisierung sowie der Stadt- und Dorferneuerung und -sanierung eine besondere Bedeutung zu. Damit wird eine Akzentverlagerung vom Wohnungsneubau auf den Städtebau, auf die Sanierung und die Modernisierung zwangsläufig.
Dieser Einsicht ist auch die Bundesregierung gefolgt und hat im Zuge der vorgesehenen Reformen auch im gesellschaftspolitischen Bereich bald nach der Regierungsbildung erneut den Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes vorgelegt. Dabei haben Maßnahmen der städtebaulichen Sanierung und Entwicklung einen starken Bezug zu dem Problem der Raumordnung selbst.
Die Einbringung dieses Regierungsentwurfs stellt nunmehr den vierten Versuch dar, ein geeignetes Instrumentarium künftiger Wohnungsbaupolitik zu schaffen. Der erste Entwurf, der sogenannte Lücke-Plan, scheiterte seinerzeit an dem Veto des Bundesrates, der verfassungsrechtliche sowie finanz- und wirtschaftspolitische Bedenken geltend machte. Ein erneut eingebrachter Entwurf unter Minister Bucher scheiterte an der Regierungsumbildung, und schließlich blieb der dritte Versuch Minister. Lauritzens kurz vor der Beendigung der Legislaturperiode in der Beratung stecken.
Der neu vorgelegte Entwurf bringt gegenüber den bisherigen Entwürfen wesentliche Änderungen und Verbesserungen, die sich zum Teil auf Grund von eingehenden Ausschußberatungen der letzten Legislaturperiode ergeben haben. Ich darf hier ausdrücklich feststellen, daß diese Veränderungen, die zum Teil in diesem Entwurf 'spürbar wurden, in eingehenden Koalitionsgesprächen erörtert und damit festgelegt wurden. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 der Raumordnung und idem Städtebau besondere Bedeutung beigemessen, und dies ausdrücklich mit dem besonderen Akzent ,der Erhaltung und Bildung von Eigentum. Herr Kollege Erpenbeck, ich glaube, Ihre Sorgen, man würde hier besondere Eingriffe in das Eigentum vornehmen, sind an dieser Stelle nicht begründet.
Die inneren Reformen unserer Gesellschaft erfordern eine Verbesserung der Umweltbedingungen. Die Umwelt wirkt in dem Lebensbereich eines jeden einzelnen ein und beeinflußt ihn ständig. Dies trifft in besonderem Maße auch auf die Wohnung und damit generell auf die bebaute Umwelt zu. Es darf keineswegs verkannt werden, daß in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht Fehler gemacht wurden. Das bisher bestehende Instrument, das Bundesbaugesetz, reicht zur Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben nicht mehr aus. Das haben die wenigen gemachten praktischen Erfahrungen ergeben. Kritiker werden zwar einwenden, daß es Einzelfälle erfolgreicher Stadtsanierungen, z. B. in Kempten und in Hameln, gebe, die mit dem Instrument des Bundesbaugesetzes durchgeführt worden seien. Aber dies sind glückliche Einzelfälle.
Die fortschreitende technische Entwicklung, die Mechanisierung, die Rationalisierung, die Automatisierung, der sich laufend verstärkende Verkehr - um nur einige Bereiche zu nennen - erfordern andere Maßnahmen und Überlegungen als die für die Wiederaufbaujahre gültigen. Die Aufgaben der ZuWurbs
kunft erfordern langfristige Planungen und Finanzierungen, damit die Fehler der Vergangenheit vermieden werden. Das Städtebauförderungsgesetz mit der Reform des Bodenrechts und den finanziellen Unterstützungen soll den Kommunen eine sachgerechte Durchführung ihrer Planungen ermöglichen und Bodenspekulationen verhindern. Der Entwurf hat Anregungen berücksichtigt, die sowohl von politisch als auch von fachlich interessierten Kreisen gemacht wurden. Ich glaube, es besteht in diesem Hause Einigkeit darüber, daß der Lösung der bodenrechtlichen Frage eine besondere Bedeutung zukommt. Bei den Beratungen der letzten Entwürfe im Ausschuß wurde deutlich, daß Spekulationsgewinne, die in Aussicht auf eine Sanierung entstehen, nicht dem Eigentümer zufallen sollen.
Meine Damen und Herren, bei der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs ist es allgemein nicht üblich, sich schon mit Detailfragen zu befassen. Zur Verdeutlichung gestatten Sie mir aber dennoch ein paar wenige Bemerkungen, vor allen Dingen auch im Hinblick auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Erpenbeck.
Der vorliegende Entwurf unterscheidet sich von den früheren Entwürfen in folgender Hinsicht.
Erstens. Der Begriff der Entwicklungsmaßnahmen wurde eingeengt.
Zweitens. Den Belangen der Eigentümer wird in besonderem Maße Rechnung getragen. Die Voraussetzungen für Eingriffe bodenrechtlichen Inhalts sind eingeengt.
Drittens. Die Sanierungsträger sind zur Reprivatisierung verpflichtet.
Viertens. Die Vorschriften über die Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen tragen in besonderem Maße dem Art. 14 des Grundgesetzes Rechnung.
Fünftens. Ein Härteausgleich soll Unbilligkeiten vermeiden.
Sechstens. Die Finanzierung wird im Gesetz geregelt.
Zu den soeben von mir aufgezählten Punkten möchte ich noch ein paar Erläuterungen machen dürfen.
So wurde beispielsweise in § 1 Abs. 4 ausdrücklich eingefügt, daß die Betroffenen mit Grund und Boden in gleicher oder gleichwertiger Lage zu entschädigen sind, wenn dies an dem bisherigen Grundstück nicht möglich ist. Dadurch soll vermieden werden, daß ein Betroffener mit einem minderwertigen Grundstück abgespeist wird.
In der Begründung des § 4 wird darauf hingewiesen, daß vorbereitende Untersuchungen zwingend durchgeführt werden müssen. Es wird weiter darauf hingewiesen, daß die Gemeinde den Betroffenen frühzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme geben soll. Das steht im Gegensatz zu dem, Herr Erpenbeck, was Sie vorhin an unserem Entwurf bemängelt haben. Diese Begründung ist eindeutig darauf abgestellt, dem Rechnung zu tragen, was Sie vorhin am Gesetzentwurf der Regierung moniert haben.
In § 11 wird die Initiative der Eigentümer bei der Durchführung der Sanierungsmaßnahmen der Vorrang gegeben. Die Gemeinde übernimmt erst insoweit die Durchführung der Sanierung, als die Sanierung durch den Eigentümer nicht gewährleistet ist. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern, um es ganz deutlich zu machen. Sind z. B. zehn Eigentümer von einer Sanierungsmaßnahme betroffen und neun Eigentümer bereit, die Sanierung in eigener Regie durchzuführen, so ist die Gemeinde lediglich befugt, die Baumaßnahmen für den einen durchzuführen, der sich nicht dazu bereit erklärt. Es trifft also nicht zu, wie in der Öffentlichkeit immer wieder behauptet wird, daß die Gemeinde für alle Beteiligten die Durchführung der Sanierung übernimmt, wenn sich auch nur ein Eigentümer nicht an der Sanierung beteiligt,
Von verschiedenen Stellen wird fälschlicherweise, um nicht zu sagen: böswilligerweise der vorgelegte Regierungsentwurf als eigentumsfeindlich bezeichnet. Er begünstige die Gemeinden in besonderem Maße. Diesem Vorwurf muß ich entschieden widersprechen. Der Gesetzentwurf umreißt klar die gemeindlichen Befugnisse und sieht genügend Kontrollmöglichkeiten vor, sowohl durch übergeordnete staatliche Behörden wie auch durch die kommunale Öffentlichkeit, d. h. die öffentliche Hand kann Sanierungsmaßnahmen nur unter strenger Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze planen und durchführen.
Der vorliegende Regierungsentwurf bringt entscheidende Veränderungen zugunsten der Eigentümer gegenüber dem Entwurf der Großen Koalition. Hier möchte ich ein Wort zum Sanierungsverband einfügen. Herr Erpenbeck, Sie erwähnten vorhin, daß die Passagen über den Sanierungsverband, vor allem über die Eigentümersanierungsmöglichkeiten, die §§ 31 und 39, aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden seien. Man hat die Passagen aus dem Gesetz herausgestrichen, um die Eigeninitiative nicht einzuschränken, um keinen Zwang auf den einzelnen auszuüben und ihn nicht finanziellen Belastungen auszusetzen.
Bei der Gegenüberstellung beider zur Beratung anstehenden Entwürfe, z. B. des § 20 der Regierungsvorlage und des § 65 des Oppositionsentwurfes, ist festzustellen, daß beide Entwürfe bei der Bemessung von Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen das Bundesbaugesetz und damit den Verkehrswert zugrunde legen. Der Minister hat ausgeführt, daß in § 48 auch noch eine Sonderregelung für die Landwirtschaft getroffen wurde. Ich möchte mir aus Zeitgründen ersparen, auf diesen Punkt einzugehen.
Darüber hinaus bringt der Gesetzentwurf in § 61 eine wesentliche Verbesserung für die Betroffenen im Wege eines Härteausgleichs. Ich darf Sie, Herr Erpenbeck, im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen auf die Begründung zu f§ 61 hinweisen.
Der Regierungsentwurf wird erstmalig echte Finanzansätze ausweisen, die in Einklang mit der mittelfristigen Finanzplanung stehen. Wir Freien Demokraten haben bisher konsequent die Auffassung vertreten, daß ein Städtebauförderungsgesetz ohne konkrete Finanzansätze Stückwerk sei. Wir sind da2032
her sehr dankbar, daß die Bundesregierung auch in diesem Punkte konkret wurde. Ich bin der Meinung, daß seitens der Bundesregierung in Abstimmung mit den Betroffenen Prioritäten für geplante Vorhaben gesetzt werden sollten. Die Festlegung der Rangfolge erscheint mir sehr wichtig, damit die Gemeinden nicht unnütz animiert werden, Sanierungsvorhaben zu projektieren und dadurch gegebenenfalls zum Teil erhebliche Kosten aufzuwenden, um dann festzustellen, daß keine ausreichenden Finanzierungsmöglichkeiten bestehen.
Meine Damen und Herren, dem Ausschuß wird es vorbehalten sein, in eingehenden Beratungen beide Gesetzentwürfe zu behandeln. Dies trifft auch für den vorgelegten Entwurf der CDU/CSU zu. Zu diesem Entwurf der Opposition nur noch ein kurzes Wort. Sie haben, Herr Erpenbeck, vorhin wieder den Begriff der Erneuerung ins Spiel gebracht, und dieser Begriff ist auch in Ihrem Gesetzentwurf wieder aufgeführt. Die Arbeitsgruppe Bodenrecht beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen hat in ihrer Stellungnahme vom Januar 1968 davon abgeraten, den Begriff der Erneuerung in das Gesetz einzuführen, weil die Definition dieses Begriffes kaum möglich erschien. Soweit mir bekannt ist, hat sich diesem Petitum auch das Mitglied der Arbeitsgruppe angeschlossen, das jetzt an Ihrem Entwurf maßgeblich mitgearbeitet haben soll. Wir werden im Ausschuß feststellen, wieweit sich der von der Opposition vorgelegte Entwurf vom damaligen Lücke-Plan unterscheidet. Ich gebe zu, daß sich im Laufe der Zeit durchaus ein Wandel in der Auffassung ergeben kann. Zu prüfen bleibt jedoch, ob die Opposition aus sachlichen Gründen Änderungen wünscht oder ob nur taktische Gesichtspunkte eine Rolle spielen.
Wir Freien Demokraten werden dazu beitragen, daß der Entwurf zügig beraten und baldmöglichst verabschiedet werden kann. Die FDP-Fraktion stimmt den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats zu.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ahrens.
'Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß wir uns schon heute, wenn auch zu später Stunde, aber immerhin erst viereinhalb Monate nach Bildung der neuen Bundesregierung, mit diesem Vorhaben beschäftigen können.
({0})
- Wir halten zwar dieses Gesetz, Herr Kollege Erpenbeck, auch nicht für eine Wunderwaffe, aber immerhin für einen wesentlichen Teil jener inneren Reformen, die durchzuführen wir uns für die nächsten vier Jahre gemeinsam mit der FDP vorgenommen haben.
Wir freuen uns darüber, daß uns mit der Regierungsvorlage zugleich auch der Initiativentwurf der Opposition vorliegt. Ich darf dieser Tatsache ebenso wie den Worten des Kollegen Erpenbeck entnehmen, daß Über die Notwendigkeit eines Städtebauförderungsgesetzes in diesem Hause Einigkeit besteht. Das beruhigt mich, zumal ich auf Grund schriftlicher Äußerungen einiger der Herren Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion aus den letzten Wochen daran Zweifel bekommen konnte. Ich darf vielleicht - ich werde es in Anbetracht der vorgerückten Zeit kurz machen - darauf hinweisen, daß das keineswegs unbestritten war und daß man bei 'der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes, jedenfalls so der 'damalige Bundesminister Lücke, davon ausgegangen ist, daß auch das Bundesbaugesetz bereits Grundlagen und Handhabungen für eine zukunftsweisende Wohnungs- und Städtebaupolitik einschließlich der notwendigen Sanierung unserer Gemeinden und Städte schaffen würde. Diese Hoffnung hat das Bundesbaugesetz - wie übrigens auch sonst manché Erwartung - nicht erfüllt. Vielmehr ist das eingetreten, was Werner Jacobi als Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in jener Sitzung lausgeführt hat. Ich darf es mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren:
Die Bodenfrage ist durch das Bundesbaugesetz der Lösung nicht einen Schritt nähergebracht worden. Den entscheidenden Aufgaben eines neuzeitlichen Städtebaus weicht das Gesetz aus. Baulandnot und Bodenspekulation werden sich weiter auswirken, ja, wie zu befürchten ist, ausweiten. Nichts in diesem Gesetz wirkt dem entgegen. Im sozialen und politischen Bereich erfüllt dieses Gesetz die ihm gestellte Aufgabe nicht.
Herr Kollege Wurbs hat soeben auf den dornenvollen Weg hingewiesen, der dem Vorhaben, dem wir uns heute widmen, seit Mai 1965 bis heute beschieden war. Auch die Folgen der Versäumnisse sieht man überall. Wenn man sich im Lande umsieht, stellt man fest, daß nur an wenigen Stellen neue selbständige Siedlungseinheiten entwickelt worden sind. Man kann die gelungenen Fälle solcher Initiativen an den Fingern einer Hand abzählen.
Fast noch seltener gelang die Sanierung eines Stadtviertels. Über die Sanierung einzelner Grundstücke, einige Verkehrsvorhaben und Verkehrsdurchbrüche 'ist man selten einmal hinausgekommen. So ist es in den Städten; aber in den Dörfern ist es nicht besser. Im Gegenteil! Hier läßt der Strukturwandel eine Erneuerung besonders dringlich erscheinen. Unsere Dörfer haben weithin ihre frühere Funktion verloren, eine Zusammenfassung landwirtschaftlicher Höfe und Betriebseinrichtungen zu sein. Inn hohem Maße sind sie heute reine oder doch überwiegend Wohngemeinden geworden, haben aber ihre Struktur dieser Funktionsänderung nicht anpassen können. Ein gründlicher Umbau ist schon aus hygienischen Gründen geboten. Aber auch hier gelangen bislang allenfalls einige Modellvorhaben.
Besonders schmerzlich ist das Versagen des Gesetzgebers für die Zentren unserer Städte. Weil die notwendige gründliche Sanierung unterblieb, wurden viele von ihnen für den Verkehr zunehmend unerreichbar, konnten zahlreiche die FordeDr. Ahrens
rungen von Handel und Gewerbe auf rationell nutzbare Grundstücke im Stadtkern nicht mehr erfüllen. Aus diesem Grund vor allem siedeln sich in zunehmendem Maße Geschäfte, Kaufhäuser und Einkaufszentren vor den Toren der Städte an. Dies führt zu einem Abfluß von Kaufkraft aus den Städten, unter dem das ansässige Gewerbe und der heimische Handel schon heute zu leiden haben.
Die Ansiedlung auf der grünen Wiese führt aber darüber hinaus die Städte in die Gefahr, ihre Marktfunktion - das ist die eigentliche Funktion dieser Städte gewesen - zu verlieren. Das wird zugleich zu einem Verlust an kultureller und sozialer Substanz führen, und zwar gerade in den Orten, die wir für die Entwicklung des flachen Landes brauchen. Nicht nur im Interesse der Städte selbst, sondern auch und gerade im Interesse des ihnen zugeordneten Umlandes müssen daher Städte und zentrale Orte gesund bleiben.
Das Bundesbaugesetz hat diese negative Entwicklung nicht verhindern können. Da aber zugleich auch die Frage nach einem sozialen Bodenrecht nicht beantwortet ist, ist genau das eingetreten, was Werner Jacobi vor zehn Jahren von dieser Stelle aus gesagt hat: Die Bodenspekulation hat Gewinne erzielen können wie nie zuvor, wenn man von einigen Erscheinungen in der sogenannten Wunderzeit absieht.
({1})
- Nicht nur die gemeinnützigen Gesellschaften, sondern vor allen Dingen auch die Verkäufer, Herr Kollege.
Von 1962 bis 1968, also unter der Herrschaft des Bundesbaugesetzes, sind - das ist eine Statistik des Statistischen Bundesamts - die Baulandpreise im Bundesdurchschnitt um fast 100 % gestiegen; das bedeutet im Jahresdurchschnitt 13 %. Dabei waren auch 1962 - das ist der Anfang dieser Berechnung - die Grundstückspreise bereits um ein Vielfaches gegenüber denen des Jahres 1950 gestiegen. Man kann das an einigen absoluten Zahlen vielleicht noch etwas deutlicher sehen. Beispielsweise hat die Stadt München nur für eigene Maßnahmen allein in den letzten zehn Jahren 500 Millionen DM wegen gestiegener Grundstückspreise bereitstellen müssen, die in die Taschen einiger weniger geflossen sind. In einer Stadt ist das also allein für eigene Maßnahmen eine halbe Milliarde DM, vom Mehrbedarf privater Bauherren ganz zu schweigen.
Insgesamt schätzt man die Gewinne aus Bodenwertsteigerungen nach dem Kriege auf mindestens 100 Milliarden DM. Diese Gelder, meine Damen und Herren, sind nun nicht das Ergebnis von Arbeit und Leistung des Eigentümers, sondern Ausnutzung der Marktchancen und oftmals eine hemmungslose Ausnutzung einer Monopolstellung. Sie sind auch nicht von irgendwem gezahlt worden, sondern sie sind, soweit es sich um Bedarf für öffentliche Zwecke handelt, aus Steuermitteln gezahlt worden. Daher kann man mit von Nell-Breuning sicherlich zu Recht sagen, daß diese Praxis längst zu unerträglichen Unzuträglichkeiten geführt hat.
Zentrales Thema der Regierungsvorlage wie des Entwurfs der CDU/CSU sind die bodenrechtlichen
Bestimmungen. Meine Damen und Herren, ich erzähle Ihnen sicherlich nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, daß es unter Fachleuten wie Politikern keineswegs unbestritten ist, ob man die große und komplexe Aufgabe der Stadtsanierung und der Gründung neuer Städte überhaupt auf der Grundlage des Privateigentums an Grund und Boden lösen kann.
Wenn Sie sich im Ausland umsehen, werden Sie feststellen, daß dort durchgeführten Maßnahmen in der Tat fast sämtlich unter Ausschaltung des Privateigentums und ohne Beteiligung privater Eigentümer zustande gekommen sind. Im Raum Stockholm ,etwa vollzieht sich die städtebauliche Entwicklung auf Grundstücken, die .die Stadt - nicht wegen der Sozialisten, sondern wegen einer stockkonservativen Stadtregierung - im Jahre 1904 erworben hat. In den Niederlanden ist es üblich, daß die Gemeinden Gelände erwerben, bevor Planungen eingeleitet werden. In Großbritannien gewährt der öffentliche Grundeigentümer privaten Bauherren oftmals nur .ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht - 'unserem Erbbaurecht vergleichbar -, nach dessen Ablauf eine umfassende Sanierung stattfinden kann.
Trotz dieser Erkennisse und trotz der daraus abgeleiteten Bedenken unternehmen beide Entwürfe - und wir begrüßen das - den Versuch, die Pro-blame auf der Grundlage ides überkommenen Eigentums, also auch ides privaten Eigentums, zu lösen. Dieser Versuch aber - darüber müssen wir uns klar .sein - muß scheitern, wenn man Eigentum weiterhin als individualistisches Herrschaftsrecht praktiziert. Mit einer solchen Auffassung ist die Aufgabe nicht zu lösen. Dabei handelt es sich bei den Versäumnissen der Vergangenheit in der Tat um ein Versagen der Gesetzgebung, nicht um einen Mangel der Verfassung.
Herr Minister Lauritzen hat bereits darauf hingewiesen, daß man bei der Erwähnung des Art. 14 des Grundgesetzes den Abs. 2 dieser Vorschrift nicht vergessen dürfe. Gerade zur Auslegung dieser Verfassungsnorm gibt es einige recht interessante und, wie ich meine, überzeugende Ausführungen in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Ich darf mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitieren. Das Gericht sagt wörtlich:
Es trifft nicht zu, daß dein Enteigneten durch die Entschädigung stets das volle Äquivalent für das Genommene gegeben wenden muß. Der Gesetzgeber
- der Gesetzgeber! -kann je nach den Umständen vollen Ersatz, aber auch eine darunter liegende Entschädigung bestimmen.
An anderer Stelle führt das Bundesverfassungsgericht aus:
Das Grundgesetz gebietet nicht, daß der ländliche Grundstücksverkehr so frei sein muß wie der Verkehr mit jedem anderen „Kapital". Die Tatsache, daß Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich sind, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien
Kräfte und dem Belieben des einzelnen vollständig zu überlassen. Eine gerechte Rechts-und Wirtschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.
Ein letztes Zitat:
Das Grundgesetz hat dem Gesetzgeber für die Bestimmung des Eigentumsinhalts in Art. 14 einen verhältnismäßig breiten Gestaltungsbereich eingeräumt. Mit der Bestimmung, daß sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, hat der Verfassungsgesetzgeber vor allem die Bodenordnung im Auge gehabt.
Es ist also auch nach Auffassung unseres höchsten Gerichts eine Aufgabe des Gesetzgebers, den Konflikt ,zwischen prtivatem Recht und öffentlicher Verpflichtung des Eigentümers zu lösen, die Grenze zwischen privater Nutzung und sozialer Bindung zu ziehen und damit Art. 14 des Grundgesetzes zu konkretisieren ,und ,authentisch zu interpretieren.
Wir begrüßen es, daß diese Interpretation jetzt endlich, wenn auch begrenzt auf die Teilbereiche Sanierung und Entwicklung, durch ein Städtebauförderungsgesetz vorgenommen werden muß. Gerade in diesen Bereichen ist eine Interessenabwägung durch den Gesetzgeber um so vordringlicher, als hier die Monopolsituation der Eigentümer, wie die Erfahrung zeigt, zu besonders hohen Bodenwertsteigerungen geführt hat. Die Regierungsvorlage legt für die Festsetzung der Entschädigungen den Verkehrswert zugrunde. Wertsteigerungen, die lediglich durch die Aussicht auf die Sanierung, durch ihre Vorbereitung oder ihre Durchführung eingetreten sind, sollen generell nicht den Eigentümern zugute kommen. Wir meinen, daß dieser Vorschlag eine brauchbare Lösung des Konflikts darstellt.
Auch der Initiativantrag der Opposition geht für die Entschädigung vom Verkehrswert aus. Auch diese Vorlage auf Drucksache VI/434 schließt die sanierungs- und entwicklungsbedingten Wertsteigerungen aus. Insoweit also faßt die Opposition eine durchaus vergleichbare Regelung ins Auge. Dennoch meine ich, daß § 65 des Oppositionsentwurfs einige Stolperdrähte enthält, über die die fortschrittliche Auffassung mit einiger Sicherheit zu Fall kommen wird.
So wird zum einen bestimmt, daß nur solche sanierungsbedingten Werterhöhungen ausscheiden, die seit der Bekanntmachung der Gemeinde über den Beginn der vorbereitenden Untersuchungen eingetreten sind. Herr Kollege Erpenbeck hat das eben mit dem Bestreben begründet, von einem bestimmten, festen Zeitpunkt auszugehen - ein Vorhaben, über das wir uns im Ausschuß sicher noch werden unterhalten müssen. Ich möchte hier nur folgendes sagen: Der Zeitpunkt, den Sie gewählt haben, liegt zu spät. Jeder Kenner der kommunalen Praxis weiß - Herr Kollege Erpenbeck, gerade Ihnen erzähle ich wahrscheinlich nicht viel Neues -, daß die Bekanntmachung dieses Beschlusses nicht am Anfang der Bemühungen um eine Sanierung steht. Vielmehr gehen langjährige Beratungen voraus, bevor der Rat einen solchen Beschluß faßt.
Bei den Entwicklungsmaßnahmen wird das noch deutlicher. Hier beschließt nämlich die Landesregierung über die Einleitung vorbereitender Untersuchungen. Das kann und wird sie nicht tun, ohne vorher mit den Gemeinden zu verhandeln. Jeder weiß, daß solche Vorbereitungen nicht geheim bleiben, und jeder weiß, daß unsere Grundstückspreise ausgesprochen sensibel reagieren. Schon die leiseste Andeutung einer möglichen Bebauung läßt sie nach oben schnellen. Der im Entwurf der CDU/CSU genannte Zeitpunkt liegt somit nicht vor dem Anstieg der Bodenpreise, sondern trifft in die in Gang befindliche Eskalation hinein.
Den zweiten Fallstrick, der nach meiner Auffassung das Eindringen neuer Erkenntnisse in die überkommene Praxis verhindert, sehe ich in der Regelung des Härteausgleichs. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: auch wir sind für einen Härteausgleich, sowohl im Sanierungsgebiet als auch im Entwicklungsbereich. Denken Sie an folgendes. Wenn ein Unternehmer, ein Handwerker oder ein Kaufmann etwa im vorgeschrittenen Alter seine Betriebstätte, seinen Laden oder seine Werkstatt aufgeben muß, ist ihm mit der Zahlung des Verkehrswertes für sein Grundstück nicht gedient. Hier muß die Allgemeinheit mit zusätzlichen Hilfen eingreifen.
Wir haben uns vorgenommen, gerade den § 61 der Regierungsvorlage mit der Regelung des Härteausgleichs sehr genau zu beraten und ihn möglichst weiter zu konkretisieren, vielleicht auch auszuweiten. Nach unserer Auffassung könnte man etwa auch die Zahlung von Umzugskosten an Mieter mit in diese Vorschrift oder in eine andere einbeziehen. Nur meinen wir, daß es nicht möglich ist, den Härteausgleich als Teil der Entschädigung zu betrachten, wie es der Oppositionsentwurf macht. Ein Härteausgleich kann schon von seiner Zweckbestimmung her erst in Betracht kommen, wenn die Gewährung der Entschädigung zu einer unbilligen Härte führen würde. Erst dann kann ich mit dem Härteausgleich beginnen. Folgt man den Vorstellungen der Opposition, so würde das dazu führen, daß für Grundstücke mit gleichem Verkehrswert unterschiedliche Preise und Entschädigungen bezahlt würden, die sich nach den persönlichen und beruflichen Lebensumständen des jeweiligen Eigentümers richten, und ich glaube, man braucht keine große Phantasie, um daraus zu folgern, daß das allgemein einen Trend zu einer Erhöhung der Entschädigungen auslösen wird. Wir meinen also, daß auch die Regelung des Härteausgleichs im Entwurf der Opposition dem an sich richtigen Ansatz, vom Verkehrswert auszugehen, nicht gerecht wird.
Die Interpretation des Art. 14 des Grundgesetzes durch den Entwurf des Städtebaufördeungsgesetzes zeigt sich aber nicht nur in bezug auf Bodenwert und Grundstückspreise, sondern auch in Richtung auf das bodenrechtliche Instrumentarium. Auch hier sind dem Eigentümer durch die Sozialgebundenheit seines Eigentums Grenzen gezogen. Wir stimmen den Bau- Modernisierungs- und Abbruchgeboten der Regierungsvorlage zu. Wir halten auch die vorDr. Ahrens
gesehenen Genehmigungsvorbehalte für notwendig. Zur Versagung der Genehmigung bei Überschreitung der zulässigen Entschädigungssätze hat Herr Minister Dr. Lauritzen eben bereits Ausführungen gemacht. Wir meinen, daß auch das gemeindliche Grunderwerbsrecht, das an den Tatbestand der Versagung einer Genehmigung geknüpft ist, notwendig ist. Hat der Eigentümer durch seine Veräußerungsabsicht zu erkennen gegeben, daß er selbst nicht bereit oder in der Lage ist, an der Sanierung mitzuwirken, so sollte die Gemeinde 'an Stelle des Käufers in ,seine Rechtsposition einrücken können. Hierbei handelt es sich aber eben nicht um eine Enteignungsvorschrift, weil hier nur der Fall gemeint ist, in dem der Eigentümer bereit ist, sich von seinem Eigentum zu trennen. Wenn das aber der Fall ist, dann brauchen wir keine Enteignung.
({2})
- Darum geht es gar nicht. Wir gehen vom Verkehrswert aus, und Sie doch auch.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch, daß in Sanierungsgebieten ein Enteignungsverfahren zugunsten der Gemeinde bereits eingeleitet werden kann - ich betone: eingeleitet werden kann, Herr Kollege Niegel -,
({3})
wenn der Entwurf des Bebauungsplanes ausgelegt ist, also nicht auf irgendwelche Phantasievorstellungen hin, wie man das so leichthin schreibt oder äußert, und daß Verhandlungen mit den Beteiligten über einen freihändigen Erwerb des Grundstücks vorausgegangen sind. Gerade diese Regelung dürfte dazu beitragen, die Enteignungsverfahren praktikabler zu gestalten.
Die größten Unterschiede zwischen den beiden Vorlagen scheinen mir bei der Beantwortung der Frage zu bestehen, wieweit , der Eigentümer an der Sanierung und Entwicklung zu beteiligen ist. Auch wir sind der Auffassung - das möchte ich klarstellen -, daß eine Sanierung - bei einer Entwicklungsmaßnahme liegen die Interessen nach unserer Auffassung anders - nur dann zu einem vollen Erfolg führt, wenn es gelingt, die betroffenen Eigentümer, Mieter und sonstigen Nutzungsberechtigten von der Notwendigkeit der Sanierung zu überzeugen. Daher schreibt der Regierungsentwurf mit Recht eine frühzeitige Erörterung mit den Eigentümern vor. In diese Erörterung sollten nach unserer Auffassung übrigens auch die Mieter einbezogen werden; denn auch ihre Existenz wird von den geplanten Maßnahmen tangiert, und wenn sie nach der Regierungsvorlage schon zur Auskunft verpflichtet sind, so sollte man sie auch anhören.
Eine enge Fühlungnahme mit allen Betroffenen ist also unerläßlich, und ein möglichst hohes Maß an Übereinstimmung ist anzustreben. Die Verantwortung aber für die Durchführung der Ordnungsmaßnahmen im Sanierungsgebiet und mehr noch im Entwicklungsbereich muß vorrangig bei der Gemeinde liegen. Nur dann, wenn diese Maßnahmen ebensogut durch die Eigentümer wie durch die Gemeinde durchgeführt werden können, sollte man sie ihnen überlassen. In allen anderen Fällen und bei jeder Entwicklungsmaßnahme kommt die Verantwortung für die Ordnungsmaßnahmen der örtlichen Gemeinschaft, d. h. der Gemeinde, zu. Sie mögen den Eigentumsbegriff noch so extensiv auslegen - es folgt einfach nicht daraus ein Recht der Eigentümer, einer Stadt etwa, den Stadtkern abzureißen und neu zu bauen.
Die Baumaßnahmen nach Durchführung der Ordnungsmaßnahmen sind dagegen vorrangig Sache der Eigentümer. Ich meine, daß diese Arbeitsteilung zwischen privater und öffentlicher Seite sachgerecht ist und der Interessenlage entspricht.
Von da her halte ich es auch für einen Vorteil der Regierungsvorlage, daß sie Regelungen über einen Eigentümerverband nicht mehr enthält. Nach unserer Auffassung ist ein solcher Verband überflüssig. Im übrigen haben wir auch Bedenken gegen den zwangsweisen Zusammenschluß zu einem solchen Verband, der die Regel sein dürfte. Es wurde vorhin in den Erklärungen des Kollegen Erpenbeck so sehr viel von Freiwilligkeit gesprochen. Ich glaube, daß die Interessen derjenigen Eigentümer, die man zur Mitarbeit in einem solchen Verband zwingt - und sie können ja nur heraus, wenn sie ihr Grundstück veräußern - bei der Gemeinde besser aufgehoben sind als in einer solchen Eigentümergemeinschaft mit ihren sehr oft kontroversen Interessen und Belangen. Schließlich aber dürften die Bildung und Einschaltung eines solchen Verbandes auch zu einer Verzögerung des Verfahrens führen und damit gegen die Interessen aller Beteiligten verstoßen.
Wir lehnen auch die im Oppositionsentwurf vorgesehene Eigentümergesellschaft ab. Es ist - jedenfalls für den Juristen - schon eine gewisse Zumutung, sich eine Gesellschaft als öffentlichrechtliche Körperschaft vorzustellen. Im übrigen aber ist sie wegen ihrer Mindestdauer von 30 Jahren doch lediglich darauf angelegt, die überkommenen Eigentumsverhältnisse möglichst lange zu erhalten. Gerade wegen der langen Dauer des Zusammenseins scheint mir hier der zwangsweise Zusammenschluß noch gewagter. Ich glaube, wir brauchen eine solche Gesellschaft nicht.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens ein Hinweis auf den § 33b Ihres Entwurfs. Hiernach können die Gesellschafter Aktien der Gesellschaft erwerben, und zwar innerhalb bestimmter Gruppen zum Höchstgebot. Diese Regelung wird doch sicherlich darauf hinauslaufen, Eigentum bei einem zu kumulieren. Ich frage mich, wie das zu Ihren Leitsätzen paßt, wonach Eigentum auf breite Schichten der Bevölkerung zu verteilen ist. Und welche Bedeutung gewinnt dann der Programmsatz, daß das Gesetz „der gesamten Bevölkerung, insbesondere auch ihren leistungsschwächeren Teilen" dienen soll? Zum Höchstgebot paßt das nicht.
Auch die Tatsache, daß die Regierungsvorlage keine Worte mehr an einen Sanierungsbetreuer verschwendet, erscheint uns 'sachgerecht. Wir brauchen
in einem Spezialgesetz nicht zu regeln, was nach allgemeinem Recht bereits möglich ist: .daß sich ,ein Geschäftsfähiger bei der Vornahme von Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen vertreten lassen kann.
Daher habe ich auch Bedenken gegen die besonderen Qualifikationen, die Sie in Ihrem Entwurf für diese Betreuer aufstellen. Das ist nach unserer Auffassung schon deshalb wenig sachgerecht, weil je nach eigenem Können der Eigentümer sich eines Architekten, eines Baukaufmanns oder Jauch eines Rechtsanwalts als Vertreter wird bedienen wollen.
Geradezu falsch aber erscheint .es mir, den Vertrag zwischen Eigentümer und Betreuer, also einem Vertreter, einer behördlichen Genehmigung zu unterwerfen. Es handelt sich um einen Fall der rechtsgeschäftlichen Vertretung. Wenn wir hier eine Genehmigung durch eine Behörde verlangen, müßten wir, um konsequent zu sein, in Zukunft auch den Vertrag zwischen Anwalt und Klient genehmigen lassen.
Man hört nicht .selten den Vorwurf, das Städtebauförderungsgesetz werde zu einer Kommunalisierung oder gar Sozialisierung des Grund und Bodens ,führen. Derartige Bedenken verkennen, glaube ich, die Regelungen der Regierungsvorlage. Wir sind mit der Regierungsvorlage der Auffassung, daß ,die früheren Eigentümer die Gelegenheit erhalten müssen, im Rahmen ihres aufgegebenen Eigentums wieder Eigentum zu erlangen, Eigentum oder eigentumsgleiche Rechte oder Surrogate. Eine über diese Reprivatisierung hinausgehende Verpflichtung der Gemeinde, den gesamten erworbenen Grundbesitz zu veräußern, lehnen wir ab. Wir würden die Gemeinden damit unter Druck setzen und sie zwingen, sich von Grundstücken zu trennen, die sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt selber brauchen oder dann auch einer 'privaten Nutzung zuführen können.
Im übrigen würde eine generelle Veräußerungspflicht mit aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, daß der Grund und Boden in den Händen weniger konzentriert würde, sicherlich in den Händen derjenigen, die am meisten dafür bieten. Der Entwurf der Opposition geht in dieser Frage keineswegs weiter. Auch nach diesem Entwurf besteht eine Veräußerungspflicht der Gemeinde nur den früheren Eigentümern gegenüber. Darüber hinaus ist in § 22 Abs. 5 des Oppositionsentwurfs, bestimmt, daß die Gemeinde, falls nicht genügend geeignete Bewerber aus dem Kreise der früheren Eigentümer vorhanden sind, das Grundstück auch an Dritte veräußern kann. Diese Möglichkeit hat die Gemeinde ohnehin; die brauchen wir ihr nicht durch ein Bundesgesetz zu bescheinigen. Diese Bestimmung ist so überflüssig, daß sie schon fast falsch ist!
({4})
Ich glaube, daß an dieser Bestimmung deutlich wird, daß man den Oppositionsentwurf - wenn ich so sagen darf - mit heißer Nadel genäht hat. Ich sage das ohne Vorwurf und hoffe nur, daß das darauf zurückzuführen ist, daß Sie sich mit diesem Vorhaben genauso beeilen, wie wir das anstreben.
Nun möchte ich noch kurz zu dem Vorwurf kommen, das Städtebauförderungsgesetz sei eigentumsfeindlich. Wer das sagt, hat entweder die Regelungen nicht begriffen oder er redet wider besseres Wissen. Was geschieht eigentlich? In der Regel - in Ausnahmefällen noch nicht einmal - wird der Eigentümer eines Grundstücks im Sanierungsgebiet sein Recht auf begrenzte Zeit auf die Gemeinde übertragen. Er wird entschädigt mit genau dem Wert, den sein Eigentum hat; er erhält nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nach Durchführung der Ordnungsmaßnahmen kann er wieder Eigentum erwerben. Das wird nicht immer Einzeleigentum sein können. Daher 'kann er auch Teileigentum erwerben, auch Eigentumsanteilsrechte, und zwar im Werte seines aufgegebenen Eigentums. Darauf hat er Anspruch, nicht auf mehr, aber auch nicht weniger.
Welchen wirtschaftlichen Nachteil erleidet der Eigentümer also eigentlich? Man muß in diesem Zusammenhang doch auch die Frage stellen, was eigentlich aus dem Eigentum würde, wenn weiterhin nichts geschähe.
({5})
Dann würden doch weiterhin Geschäfte und Wohnungen vor den Städten auf der grünen Wiese angesiedelt. Die Wohnungen in den Sanierungsgebieten, in Hinterhöfen und überalterten Häusern sind ohnehin nur so lange zu vermieten, wie wir Mangel an Wohnungen haben. Innerhalb unserer Städte würden fortschreitend entwertete Gebiete wie tote Zellen in einem lebenden Körper entstehen. In diesen Bereichen würde das Eigentum des einzelnen fortschreitend entwertet, bis es letztlich wertlos ist.
({6})
Das aber sollte das vorliegende Gesetzeswerk verhindern, und zwar unter erheblichem Einsatz öffentlicher Mittel. Daher kann man eigentlich nur fragen, warum heute der Vorwurf der Eigentumsfeindlichkeit erhoben wird und warum die Leute, die heute so laut rufen, nicht schon gegen den jetzigen herrschenden Zustand längst auf die Barrikaden gestiegen sind.
({7})
Es wurde allerdings im Zusammenhang mit dem Städtebauförderungsgesetz von einer Sozialisierung gesprochen, der ich zustimme. Das ist die Sozialisierung der unrentierlichen Kosten.. Beide Entwürfe enthalten eine Vorschrift über die Verteilung von Überschüssen. Ich glaube, wir sind uns alle im klaren darüber, daß das Vorschriften sind, die sicherlich nur in Ausnahmefällen - leider! - bemüht zu werden brauchen. In der Regel wird jede Sanierungsoder Entwicklungsmaßnahme nur mit einer ganz erheblichen Kostenbeteiligung der öffentlichen Hand durchgeführt werden können. Wir begrüßen es daher, daß nach Verabschiedung des Art. 104 a des Grundgesetzes nunmher auch für den Bund die Möglichkeit besteht, diese Aufgaben mitzufinanzieren. Dabei mag nach unserer Auffassung der vorgesehene Bindungsrahmen einen ersten Anfang darstellen. Das Hohe Haus sollte sich darüber im klaren sein, daß wir auch diese Mittel künftig in erhebDr. Ahrens
lichem Umfange werden erhöhen müssen, wenn wir die Aufgabe des Neubaus unserer Städte wirklich ernst meinen.
Sicherlich kann man die Regierungsvorlage in manchen Punkten verbessern; einige Anregungen dazu habe ich heute bereits vorgetragen. Wir sollten unser Augenmerk insbesondere auf praktikable Verfahrensnormen richten. Bei der Schwierigkeit und der Komplexität der Probleme legen wir Wert auf eine gründliche Beratung. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich jedoch zugleich mit allem Nachdruck für eine zügige Behandlung einsetzen.
Dieses Gesetz ist überfällig. Mit jedem Tag, den wir warten, wird die Aufgabe schwieriger, werden die Schäden größer. Wir sind es nicht nur den Gemeinden, sondern unseren Bürgern schuldig, diese Versäumnisse nun endlich nachzuholen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir haben soeben eine Jungfernrede gehört. Herr Kollege Dr. Ahrens, Sie hatten wegen der späten Stunde keine große Zuhörerschaft. Aber ich glaube, diejenigen, die Ihnen zugehört haben, haben das um so aufmerksamer getan. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider ({1}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will mit meinem Beitrag nur einige Aspekte in beiden Gesetzentwürfen ansprechen. Zu einem detaillierten Eingehen auf die kontroversen Themen fehlt es an Zeit. Wenn ich also einer Sache nicht ausdrücklich widerspreche, darf dem nicht der Sinn unterstellt werden, ich wolle dem zustimmen.
Lassen Sie mich zunächst bitte einige grundsätzliche Feststellungen über unsere Auffassung von Stadt und Städtebau vorausschicken. Das Thema Stadt und Städtebau, Bürger und Bürgerkultur durchzieht die Weltliteratur seit den Tagen des Alten Testaments. Der Herr Wohnungsbauminister hat heute ja schon einmal daraus zitiert. Von der Aeneis bis zum Faust, von der griechischen Philosophie, die ja im wesentlichen eine Polis-Philosophie gewesen ist, bis zu Bert Brecht mit seinem Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters" werden wir mit den Problemen der Stadt und Stadtbürger konfrontiert. In der Tat ist der Städtebau, die Ordnung und Gestaltung der gebauten Umwelt, zuallererst eine politische Aufgabe. Er führt, wie bereits dargetan, die Politik auf ihren originären Sinnesursprung zurück. Die urbane Stadt mit der Agora, dem Forum und dem Markt hat durch die Industrialisierung ihr humanes Gesicht und ihre Funktionsfähigkeit teilweise verloren. Der gegenwärtigen Politik ist daher die Aufgabe gestellt, die volle Funktionsfähigkeit unserer städtischen Gemeinwesen wieder zurückzugewinnen. Das gilt selbstverständlich auch für die
Gemeinden, bis hin zur letzten und kleinsten Gemeinde.
Unter diesem Anspruch und mit diesem Ziel haben wir, die CDU/CSU, unseren Initiativentwurf vorgelegt. Wir wissen freilich genau, daß wir es mit einem Prozeß zu tun haben, der weder durch wissenschaftliche Formeln noch durch politische Programme in Gänze prognostiziert und zutreffend umschrieben werden kann. Die Stadt ist eben ein geschichtliches Phänomen, das sich einer formelhaften Definition entzieht. Sie ist Aufgabe und Erfüllung für alle, die sich des Ursprungs aller Kultur und allen gesellschaftlichen Fortschrittes bewußt geworden sind.
Mit dem Städtebauförderungsgesetz wird unseren Gemeinden und Städten das Tor zu einer neuen Entwicklungsphase aufgestoßen. Zum erstenmal in der deutschen Rechtsgeschichte bestimmt ein Gesetz nicht nur, wo und in welchen Quantitäten gebaut werden muß, sondern auch, wann und gegebenenfalls durch wen gebaut werden muß. Ganz entscheidend scheint mir die Tatsache zu sein, daß die Planungshoheit bei den Gemeinden bleibt, daß die Gemeinden weiterhin die Souveräne der Stadtplanung sind. Mit dem Bau- und Abbruchgebot und dem Modernisierungsgebot ist den Gemeinden ein Instrument in die Hand gegeben, das sie in die Lage versetzt, jeden Eigentümer zu einer sozialpflichtigen Nutzung seines Grundstücks zu zwingen. Mein Herr Vorredner hat davon gesprochen, das Eigentum dürfe kein individualistisches Herrschaftsrecht sein. Wir stimmen dem ohne jeden Vorbehalt zu.
({0})
Unser Gesetzentwurf beweist das auch.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 den Satz ausgesprochen: „Mit dem Städtebauförderungsgesetz soll die Reform des Bodenrechtes eingeleitet werden." Ich frage Sie - auf diese Frage erbitte ich eine Antwort von der Bundesregierung -, wohin die Entwicklung dieser Reformbewegung führen soll. Um es deutlich zu sagen, um unsere Position klar zu umschreiben: Wir bekennen uns zu einem sozialen Bodenrecht, wir sagen aber nein zu einem sozialisierten Bodenrecht. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, stimmen wir darin sogar überein. Wir werden Gelegenheit haben, in den Ausschußberatungen jeweils von Fall zu Fall konkret zu prüfen, ob diese Formel auch tatsächlich von allen in der Praxis bejaht werden wird.
Bei der Beurteilung der Mittel und Möglichkeiten des Gesetzes darf freilich niemals verkannt und übersehen werden, daß es sich hier um ein Förderungsgesetz handelt, also um ein Gesetz, durch das beträchtliche Steuermittel zum Zwecke einer gezielten, geplanten, geordneten Bau- und Siedlungspolitik langfristig und unter Beachtung interdisziplinärer Grundsätze verwendet werden sollen. Mit dieser Feststellung ist auch klargemacht, daß beim Vollzug des Gesetzes zuerst die erforderlichen öffentlichen Förderungsmittel vorhanden sein müssen. Das heißt, daß der Fortgang und die Quantität der Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen davon ab2038
Dr. Schneider ({1})
hängen, in welchem Umfange Förderungsmittel in den öffentlichen Haushalten zur Verfügung gestellt werden können.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das bodenrechtliche Instrument allein - und damit stimme ich dem Herrn Bundeswohnungsbauminister zu - bedeutet zwar eine entscheidende Verstärkung und Ergänzung der gemeindlichen Planungshoheit; es vermag aber den schöpferischen Beitrag der Städteplaner, der Architekten, der Soziologen und der Bautechniker nicht zu ersetzen. Ja, es liegt in diesem neuen Bodenrecht auch eine Gefahr, die nicht leichtfertig übersehen werden sollte, eine Gefahr insbesondere dann, wenn es zu vorschnellen, pauschalen, nicht ausgereiften und am jeweiligen Baufall orientierten Entscheidungen führte. Mit dem Inkrafttreten des Städtebauförderungsgesetzes beginnt eine neue Epoche der deutschen Städtebaugeschichte, die es zu nutzen gilt, die aber nur im interdisziplinären Gemeinschaftswerk dynamisch und schöpferisch gestaltet werden kann.
Lassen Sie mich auch darauf hinweisen, daß das Bundesbaugesetz bereits große Möglichkeiten beinhaltet hat, diese interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Vieles, was unter der Herrschaft des Bundesbaugesetzes gebaut wurde und heute unsere Kritik verdient, hätte besser gebaut werden können, wenn man im Detail schöpferischer, phantasievoller gewesen wäre.
({3})
Nach unserer Auffassung muß das Gesetz von kollektivierenden Tendenzen freigehalten werden. Es muß die alten Eigentümer ebenso schützen und deren Verfassungsrechte sichern, wie es in allen seinen Formen und auch durch die Bestimmungen, die schon das Bundesbaugesetz kennt, den Zugang zum Eigentum an Grund und Boden den breiten Bevölkerungsschichten eröffnen muß. Wenn etwa gesagt worden ist - das hat der Herr Bundeswohnungsbauminister getan -, unser Gesetzentwurf brächte eine Sanierung der Eigentümer und eine Sozialisierung der Verluste, so muß ich sagen ({4})
- Er hat jedenfalls dieses Zitat, wenn ich das recht verstanden habe, zustimmend wiedergegeben. Wenn nicht, dann um so erfreulicher. - Ich bedanke mich; durch konkludentes Zuwinken haben sie, Herr Bundesminister, mir zu verstehen gegeben, daß Sie also nicht dieser Meinung sind. Das freut mich, denn unser § 65 und die §§ 41 und 42 - die Beteiligung der Eigentümer an den Ordnungskosten - stimmen - zum Teil wörtlich - überein mit dem § 37 Abs. 3 des Regierungsentwurfes,
({5})
insbesondere dann bezüglich der Regelung der Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen. Ich kann
mich darüber nicht weiter verbreiten; denn ich
möchte Ihre Zeit nicht zu lange in Anspruch nehmen, obwohl ich der erste Sprecher für die Gesamtfraktion bin.
Im Zeichen des neuen Bodenrechts unseres Entwurfs, das alle Merkmale der Sozialpflichtigkeit an sich trägt, ist anzustreben, daß in den großen Wohnsiedlungen unserer Städte die Zahl der Mieter immer mehr abnimmt, dagegen die Schar der Eigentümer und der Miteigentümer von Wohnungen, der Dauermietberechtigten und der Immobilienscheininhaber in gleichem Umfange oder gar noch stärker zunimmt. Der Städtebau der Zukunft muß durch eine Polystruktur des Grundeigentums gekennzeichnet sein. Die Phase des Wohnungsbaues zur Beschaffung eines Daches über dem Kopf ist vorüber. Längst ist die Stunde angebrochen, wo wir Städtebau bewußt als Gestaltung des bebauten Raumes in unserer Umwelt begreifen.
In Zukunft müssen wir allerdings auch Sorge dafür tragen, daß möglichst viele Menschen - in erster Linie Arbeitnehmer, und hier stimmen wir vollkommen mit dem § 1 Abs. 4 des Regierungsentwurfes überein - Eigentum oder eigentumsgleiche Rechte erwerben können.
Ein Wort noch zu einer Sonderfrage: Die Forschungsanstrengungen auf dem Gebiete des Städtebaus und des Wohnungswesens müssen wesentlich verstärkt, systematisch geordnet, planmäßig konzentriert und damit effektvoller gemacht werden. Man hat mir kürzlich auf eine Anfrage erklärt, es gebe zùr Zeit im Bundesgebiet im akademischen Raum hundert Institute, die sich diesem Thema widmen, und etwa sechzig freie Institute. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß man eine Durchforstung vornimmt und die Arbeit dieser Institute insgesamt effektvoller macht.
({6})
- Ich weiß das. Ich spreche von denen, die für ihre Arbeit öffentliche Mittel erhalten.
Es wurde von Herrn Kollegen Dr. Ahrens mit großer Begeisterung davon gesprochen, was man beispielsweise in Stockholm an Städtebau geleistet habe. Wer Stockholm kennt, weiß, daß es keine schöpferische städtebauliche Leistung ist, wenn man im Stadtbereich große Eingriffe in alte Bausubstanzen vornimmt, fünf, sechs Riesenhochhäuser hinstellt und damit die ganze negative Kritik der fachlichen Weltöffentlichkeit auf sich lenkt.
({7})
Ich denke auch an das Beispiel Kopenhagen, wo wir Großsiedlungen geschaffen haben, von denen Fachleute sagen, daß insgesamt Milliarden fehlinvestiert seien, weil man Gefahr läuft, durch monotone, kasernenartige Wohnstrukturen die Slums der Gegenwart zu schaffen und neue Sanierungstatbestände mit hohen öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Hier also heißt es, mehr achtzugeben, hier heißt es, dafür zu sorgen, daß unser Geld auch sinnvoll, zweckmäßig und wirklich gesellschaftspolitisch relevant eingesetzt wird.
Dr. Schneider ({8})
Meine Damen und Herren! Jede städtebauliche Verplanung kostet in die Millionen, kostet das Volk ganze Milliarden, Planvolles An's-Werk-Gehen bringt den Erfolg, nämlich die Stadt, die wir wollen, mit kontaktreicher Atmosphäre, mit humanem Zuschnitt, mit individueller Eigenart, mit Freizeitwert und einer lebensfrohen Umwelt, die aus der Unwirtlichkeit der Städte - ich zitiere Herrn Professor Mitscherlich - wieder Gemeinwesen glücklicher und gesunder Bürger werden läßt.
Noch ein Wort zum Eigentumseingriff! Nach unserer Auffassung muß der Eigentumsbegriff angemessen sein. Er darf nur insoweit vorgenommen werden, als es der Zweck der Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahme erfordert. Deshalb legen wir so großen Wert auf die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Deswegen legen wir auch so großen Wert auf förmliche vorbereitende Untersuchungen. Die Maßnahme soll zügig sein, d. h. die Arbeiten müssen ohne sachfremde Hemmnisse vorangetrieben und ehestmöglich abgeschlossen werden.
Der Herr Bundesminister hat dazu gesagt: keine halbherzigen Schritte! Auch wir wollen keine halbherzigen Schritte. Wir haben einen Entwurf vorgelegt und damit hinlänglich dargetan, daß wir entschlossen sind, unsere gesamte politische Kraft einzusetzen, um möglichst bald dieses verbesserte rechtliche, aber auch verbesserte finanzielle und haushaltspolitische Instrumentarium für den modernen Städtebau zu sichern.
Ein Wort an unsere Kommunen! Den Gemeindeverwaltungen erwächst im Zusammenhang mit diesem Gesetz eine ausgleichende Funktion. Wir müssen also unternehmerische Prinzipien auch im Zusammenhang mit Städtebau zur Geltung bringen. Städtebau ist auch immer ein Teil Wirtschaftsförderung. Städtebau ist auf jeden Fall immer Daseinsvorsorge. Wir müssen also wirtschaftlichen Prinzipien den Vorrang vor den fiskalisch-statischen Begriffen einer überkommenen Kommunalverwaltung einräumen. Mit der Bundesregierung sind wir auch der Ansicht - das hat der Herr Minister gesagt -, daß es Aufgabe des Gesetzgebers und der Gemeindeverwaltungen sein muß, das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Bindung des Eigentums im Bereich städtebaulicher Maßnahmen durch einen wohlabgewogenen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen der betroffenen Grundeigentümer zu überbrücken. Hier können sich Geist und Erfahrung, Dynamik und Freiheit der gemeindlichen Selbstverwaltung exemplarisch bewähren. Im Regierungsentwurf ist dieser ausgewogene Interessenausgleich allerdings nicht gelungen. Ich hoffe, daß die Ausschußberatungen hier in mancher Hinsicht eine angleichende Lösung und eine Harmonisierung der gegensätzlichen Auffassungen bringen werden.
Lassen Sie mich noch darauf hinweisen, daß der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion in vollem Umfang den Empfehlungen entspricht, die die Beratende Versammlung des Europarats am 12. Mai 1969 über
Probleme der Bodenordnung und der Städteplanung angenommen hat.
({9})
- Jawohl. Wir freuen uns, daß unser Entwurf insoweit europäische Dimensionen annimmt. Und die Kongruenz mit Bestimmungen des Regierungsentwurfs darf unserem Entwurf nur zum Vorteile und sicherlich auch nach Ihrer Meinung nicht zum Nachtelle gereichen.
Diese Empfehlungen, die die Beratende Versammlung damals angenommen hat, betonen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Unser Entwurf tut es auch. Sie will die Bodenspekulation verhüten, soweit diese überhaupt auch nach dem Regierungsentwurf zu verhindern ist.
({10})
Unser Entwurf garantiert die Vorrangigkeit der Eigentümer als Maßnahmeträger. Wenn Sie Freunde suchen, Mitstreiter im Kampfe gegen die Bodenspekulation, werden Sie die Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion immer auf Ihrer Seite wissen,
({11}) und zwar den letzten Kollegen.
({12})
Die Beratende Versammlung des Europarats empfiehlt ihren Mitgliedstaaten - ich zitiere -, „klarzustellen und zu unterstreichen, daß es zunächst Sache der Grundeigentümer ist, im Rahmen ihrer sozialen Funktion die Stadtplanung zu verwirklichen". Wir bekennen uns dazu. Ich betone aber noch einmal, daß ,der Planungssouverän die Gemeinde ist; die Planungshoheit soll ergänzt, verstärkt, nicht geschmälert werden.
Ein besonderer Aspekt, der nicht angesprochen wurde: Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion entspricht auch insoweit den Empfehlungen der Beratenden Versammlung des Europarats, als er in § 40 Abs. 3 den Gemeinden Förderungsmittel zum Grunderwerb sichern will: Es müssen neben den bodenrechtlichen Eingriffen in das Eigentum rechtzeitig alle notwendigen Schritte eingeleitet werden, um ihrer Baulandknappheit entgegenzuwirken und die Kommunen in die Lage zu versetzen, „sehr viel Land zu vernünftigen Preisen zu erwerben und in großen Zusammenhängen und Bauabschnitten preisgünstig zu erschließen". Es ist also daran gedacht, daß die Förderungsmittel der Gemeinden auch so verwendet werden sollen, daß die Gemeinden in ihrer Grundstücksbewirtschaftung einen gewissen Vorrat mit Blick auf die Erfordernisse von Sanierungs-, Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen besitzen.
Ein letzter Gedanke: die Vollziehbarkeit. Es wurde gesagt - und auch alte Freunde aus meiner kommunalpolitischen Zeit haben das gesagt -, unser Entwurf sei schwerfällig beim Vollzug; er beschwöre unnötige Rechtsmittelverfahren herauf, usf. Ich kann diesen Bedenken keinen rechten Glauben schenken, ich kann diesen Einwendungen nicht zu2040
Dr. Schneider ({13})
stimmen. Warum? Derjenige baut am schnellsten, der am sorgfältigsten rechnet und plant. Vorschnelle Baubeginne sind schon gesetzlich verboten; Sie wissen, was ich damit meine. Was im Einzelfall gilt, trifft auch für die Maßnahmen des Städtebaues zu, sogar verstärkt. Dort bewahrt uns eine subtile und sachgerechte Planung im Sinne förmlicher vorbereitender Untersuchungen vor unbedachten Überraschungen, die dann immer noch eintreten können. Wer die schweren Eingriffe in die Eigentumsfreiheit in Betracht zieht, ist gern bereit, diese erst dann vorzunehmen, wenn sie sich als unabweisbar im Interesse der Allgemeinheit herausgestellt haben.
Eine sorgfältige Voruntersuchung resultiert auch aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit im allgemeinen. Auf jeden Fall findet sie ihre Grundlage in der amtlichen Begründung der Bundesregierung selbst. Der Begriff „vorbereitende Untersuchungen" findet sich im Regierungsentwurf an zwei Stellen. Wenn man ihn sorgfältig liest und vor allem die amtliche Begründung studiert, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß auch die Bundesregierung vorbereitende Untersuchungen haben will. Jedenfalls gibt es den Begriff an zwei Stellen. Wenn man das aber schon will, dann soll man diesen vorbereitenden Untersuchungen auch bei der Kodifizierung dieses Gedankens jene Präzision zubilligen und jenen Raum einräumen, der erforderlich ist, damit diese vorbereitenden Untersuchungen auch den Zweck erfüllen können, der ihnen vom Gesetzgeber ursprünglich zugedacht gewesen ist.
Herr Kollege Dr. Schneider, Sie haben schon fünf Minuten über die Zeit gesprochen. Es kommen noch zwei Kollegen Ihrer Fraktion; die möchten auch noch sprechen.
Ich werde mich beeilen; ich bin bald am Schluß.
Wenn man bedenkt - und da haben Sie mir vorhin zugestimmt -, daß die Quantität der Sanierungs und Entwicklungsmaßnahmen von der Bereitstellung öffentlicher Mittel abhängt, d. h. die Quantität direkt proportional zu der Bereitstellung öffentlicher Haushaltsmittel sein wird, wenn man weiß, daß wir 24 000 Gemeinden in der Bundesrepublik haben, und wenn man weiß - das hat der Herr Minister ausdrücklich betont -, daß alle Gemeinden, auch das letzte Dorf, unter die Herrschaft dieses Gesetzes fallen, dann kann man sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis jedes Dorf aus diesen 150 Millionen DM - nach unserer Auffassung müssen es wesentlich mehr werden; ich unterstelle, daß die Bundesregierung auch in dieser Richtung - ({0})
- Jedes Dorf fällt darunter. Ich muß jedenfalls von 24 000 Gemeinden ausgehen. Wenn ich den Mittelbedarf auf der einen Seite die Mittelquoten auf der anderen Seite gegenüberstelle, dann muß ich sagen: Viele Städte, nicht nur Dörfer, werden lange, lange darauf warten müssen, bis Förderungsmittel eintreffen. Wenn es also schon so lange dauern wird, bis die Mittel. kommen, sollte man die schweren Eingriffe in das Eigentum erst dann vornehmen, wenn eine reale Aussicht besteht, daß die Mittel gegeben werden können, und wenn - und darauf legen wir großen Wert - auch eine Chance besteht, die Maßnahme in überschaubarer Frist durchzuführen.
({1})
- Ich weiß das, ich kenne das. Ich will nur sagen: Wir dürfen 'hier nicht Sätze addieren, sondern wir müssen Sätze koordinieren. Wir müssen sie synchronisieren. Wir müssen sie zu einem Gesamtsinn zusammenführen. Das ist die Aufgabe meines Beitrags gewesen.
Es wäre natürlich noch .einiges zu sagen gewesen. Am Schluß ein Wort, weil vorhin schon das Alte Testament zitiert worden ist. „Suche der Stadt Bestes", hat der Herr Bundeswohnungsbauminister gesagt. Wir suchen seit langem der Stadt Bestes. Ich habe 14 Jahre lang als Stadtrat versucht, das Beste meiner Stadt zu suchen. Ich möchte an die Stelle Isaias, 5. Kapitel, 8. Vers erinnern, wo es heißt - und gemeint sind sicherlich nicht nur die Einzeleigentümer, sondern auch die Großunternehmer und die Großunternehmungen, gleich welche Rechtsform ihnen eigen ist -: „Wehe, wehe denen, die ein Haus an das andere rücken und ein Bodenstück nach dem anderen erwerben, daß kein Raum mehr ist für die ,anderen." Wir meinen, die Stunde heißt: Individualisierung des Eigentums, heißt: mehr Freiheit im Bodenrecht, mehr Möglichkeit zum Zugang zum Einzeleigentum, und die Stunde heißt: Kampf der Kollektivierung und jede Chance dem individuellen Engagement beim Erwerb von Freiheit!
({2})
Auch das war eine Jungfernrede. Herr Dr. Schneider, für Sie gilt dasselbe, wie für Ihren Vorgänger: herzlichen Glückwunsch !
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige wenige Bemerkungen. Ich bin froh darüber, daß diese erste Lesung nicht jenes Maß an Polemik erreicht hat, das die kommenden Beratungen im Ausschuß erschweren könnte. Unsere Vorlage ist gewiß keine lex perfecta, genau wie die Regierungsvorlage nun auch nicht mit Zitaten aus der Heiligen Schrift begleitet werden muß, als Evangelium oder sonstetwas. Wir werden uns in offener Diskussion auszutauschen haben und bei der Beratung dieses Gesetzes nach praktischen Erwägungen vorzugehen haben. Ich glaube, darüber herrscht Enigkeit, daß das, was erreicht werden soll, eine breiteste Mehrheit in diesem Hause hat. Über den Weg dazu werden wir unsere Ansichten auszutauschen haben.
Ich bin mit Ihnen, Herr Minister, und auch mit dem Sprecher .der SPD, Herrn Kollegen Ahrens, der Meinung, daß dieses Gesetz zügig beraten werden
muß, ich bin aber nicht der Meinung, Herr Kollege Ahrens - und ich hoffe, daß Sie mir da zustimmen; wenn Sie mich kennen, wissen Sie, daß ich das ohne Hinterhalt und ohne Winkelzüge und ohne taktische Anwandlungen sage -, daß diese zügige Beratung auf Kosten der Qualität dieses Gesetzes gehen darf. Wir müssen uns hier entsprechend austauschen, damit wir zu Ergebnissen kommen, von denen ich hoffe, daß sie wieder etwas von dem sichtbar werden lassen, was früher sehr oft der Fall war - trotz der Kritik des Herrn Kollegen Jacobi, die Sie hier heute angemeldet haben -, daß wir doch immer in diesem Hause bei mancher gegenteiligen Meinung so etwas wie eine „Fraktion Wohnungsbau" hatten. Bei aller Kritik, die hier angemeldet worden ist, Herr Minister: die jungen Städteplaner von heute haben die Situation des Jahres 1945 wohl nicht gekannt. Als ich vor einigen Wochen bei dem Essener Jubiläum der Treuhandstelle war, wo Sie am Erscheinen verhindert waren, wo aber dann Ihre Rede verlesen wurde, sagte Professor Tamms, der gewiß kein Unbekannter ist, als er zu Fragen des Städtebaus Stellung nahm - und dem möchte ich mich anschließen -: Alles, was diese jungen Städtebauer heute sagen, ist richtig, aber wenn Sie mich fragen, was wir denn ab 1945 in der ersten und vielleicht entscheidenden Zeit des Wiederaufbaus anders gemacht hätten, dann muß ich Ihnen sagen, wir hätten es genauso machen müssen, wie wir es damals gemacht haben, weil einfach Verhältnisse vorlagen, denen man sich nicht entziehen konnte. - Ich sage das nicht polemisch, ich sage das nur deshalb, weil ich auch etwas stolz auf die Leistung bin, die vollbracht worden ist, stolz auf meine Tätigkeit als Kölner Kommunalpolitiker, stolz aber auch auf meine Tätigkeit hier als Bundestagsabgeordneter, der sich 'die meiste Zeit während seiner Tätigkeit mit dem Bau- und Bodenrecht, dem Wohnungsbau usw. herumgeschlagen hat. Wenn wir das im Ausschuß sichtbar zu machen vermögen, dann habe ich keine Sorge darum, daß wir mit einem guten Ergebnis vor das Plenum dieses Hauses treten können.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich aus der Sicht eines Kreises zu diesem Gesetz Stellung nehme, 'der von diesem Gesetz im wesentlichen im Entwicklungsbereich betroffen ist, nämlich die Landwirtschaft. Sie muß den Grund und Boden zur Verfügung stellen, damit die neuen Städte und Ortschaften sich entwickeln können. Ich darf gleich an die Äußerung anknüpfen, die kürzlich der Herr Bundesernährungsminister machte. Er sagte, daß er sich bei dem Entwurf für das bäuerliche Eigentum eingesetzt habe und daß dieser Entwurf für die Landwirtschaft akzeptabel sei. Wollen wir die Frage prüfen, ob dieser Entwurf der Regierungskoalition tatsächlich von der Landwirtschaft angenommen werden kann oder nicht! Ich glaube, soweit ich die Landwirtschaft kenne, ist dieser Gesetzentwurf der Regierungskoalition für die Landwirtschaft noch nicht akzeptabel. Die wesentlichen Bedenken der Landwirtschaft sind nach wie vor nicht ausgeräumt. Ich will jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen, möchte aber .die Frage der Preiskontrolle stichwortartig ansprechen und sagen, daß z. B. im Rahmen der allgemeinen Genehmigungspflicht die Preiskontrolle mit allem Negativen, was damit verbunden ist - schwarzer oder grauer Bodenmarkt, wie immer man es nennen will -, eingeführt wird. Das zweite ist das gemeindliche Grunderwerbsrecht. Hier darf die Gemeinde sogar selbst über die Dinge befinden. Das dritte und das wesentliche Kriterium überhaupt ist die Frage der Entschädigung. Nach dem Entwurf der Regierung und der Regierungskoalition ist mehr oder weniger eine Entschädigung nach dem Ackerlandpreis vorgesehen. Sie, Herr Bundeswohnungsbauminister, haben gesagt, daß nach § 48 Abs. 5 die Möglichkeit bestehe, die Landwirtschaft auf Grund eines Mittelwertes zwischen Ackerlandpreis und Verkehrswert zu entschädigen. Ich bin der Meinung, daß das mit dem Wortlaut Ihres Gesetzentwurfs und auch mit der Begründung keinesfalls übereinstimmt. Nach wie vor sprechen Sie nur von einer gewissen Mindesthöhe, die Sie selbst festsetzen. Der Gesetzgeber soll damit also überhaupt nicht befaßt werden. Zum anderen steht in der Begründung, daß etwas mehr als der landwirtschaftliche Nutzungswert gegeben werden solle. Man unterscheidet zwischen Nutzungswert und landwirtschaftlichem Verkehrswert. Hier muß man die berechtigten Bedenken der Landwirtschaft verstehen. Es ist ein Gummiparagraph, der die hellhörig gewordene Landwirtschaft beruhigen soll, mehr nicht.
Herr Kollege Niegel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ravens?
Bitte sehr!
Herr Kollege Niegel, täuscht mich meine Erinnerung, daß Ihrem Gesetzentwurf die gleichen Grundsätze für den Erwerb und die Bewertung wie dem Regierungsentwurf zugrunde gelegt sind?
Herr Kollege Ravens, ich bin anderer Meinung. Wenn ich 'die Ausführungen des Kollegen Ahrens vorhin richtig verstanden habe, hat er mit Recht darauf hingewiesen, daß wir einen bestimmten Zeitpunkt vorgesehen haben. Mit diesem Zeitpunkt wird der Preis immerhin etwas über dem Ackerlandpreis liegen.
({0})
Mene sehr verehrten Damen und Herren, ich komme jetzt auf die Auswirkungen zu sprechen, die dieser Gesetzentwurf auf die Landwirtschaft hat. Dazu möchte ich grundsätzlich folgendes bemerken. Man hat der Landwirtschaft oft vorgehalten: Na ja, euer Einkommen ist zwar nicht so hoch wie das der übrigen Berufsgruppen; dafür habt ihr aber
euer Eigentum. Dieses Eigentum wird insbesondere heute, zu dieser Stunde, in Frage gestellt,
({1})
wenn ich Ihre Äußerungen, Herr Kollege Ahrens, richtig verstanden habe. Sie haben Gelegenheit, das zu korrigieren. Aber Sie haben von einem überkommenen Eigentum gesprochen, und das sollte man schärfstens zurückweisen.
({2})
- Ich habe genau zugehört. Wir können es j a später im Protokoll nachlesen.
Ich möchte insbesondere auch klar herausstellen, daß es nicht in erster Linie Ihre Absicht ist, die Städte zu sanieren und die Entwicklung voranzutreiben. Im Hintergrund steht vielmehr - das ist auch in der Begründung zum Regierungsentwurf, wohlgemerkt in der Kabinettsvorlage, zu lesen; im amtlichen Entwurf konnte man es nicht mehr finden -, daß mit der gerechten Neuordnung des Bodenrechts begonnen werden solle. Der Bundeskanzler sprach von der Reform des Bodenrechts, die eingeleitet werden solle. Herr Bundeswohnungsbauminister Lauritzen erklärte in „Publik", in dem bekannten Interview, daß es ein erster Schritt zur Neuordnung des Bodenrechts sein solle, weil der Versuch, das gesamte Bodenrecht 'umzukrempeln, zum Scheitern verurteilt sei; weitere Schritte zur totalen Änderung des Bodenrechts würden folgen.
Ich bin dankbar, ,daß Sie, Herr Bundeswohnungsbauminister, und auch Sie, Herr Kollege Ahrens, kürzlich und heute die Katze aus dem Sack gelassen haben. Wenn man dazu noch die Äußerungen von Jungsozialisten hört und liest, weiß man, was die Stunde geschlagen hat.
({3})
- Ich möchte keine Auseinandersetzung wegen der Jungsozialisten. Das soll kein Alibi für Sie sein, aber es paßt in die gesamte Konzeption, die Sie vorgetragen haben.
({4})
Auf jeden Fall steht im Hintergrund bei Ihnen ein sozialistisches Bodenrecht, das den gesamten Grund und Boden unter Kontrolle bringt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ravens?
Ich möchte Sie jetzt nicht allzu lange strapazieren. Herr Ravens ist meines Wissens Staatssekretär, und als Staatssekretär - ({0})
- Eben, wir wollen ja heute noch zum Bundespräsidenten.
Sie sprachen davon, Herr Ahrens, daß z. B. Stockholm ein Vorbild sei. Dazu hat der SPD-Oberbürgermeister Vogel von München ganz deutlich gesagt, daß 95 % des gesamten Territoriums von Stockholm Eigentum der Stadt sind und daß Private an Grund und Boden nur ein befristetes Nutzungseigentum in Form eines Erbbaurechts erlangen könnten.
({1})
- Ich zitiere jetzt Herrn Vogel. - Dann hat der wörtlich gesagt: „Eine 'solche Regelung sollte auch für die Bundesrepublik ernsthaft ins Auge gefaßt werden."
Ich meine, daß wir hinsichtlich der Frage des Eigentums etwas aufpassen sollten.
Wir bekennen uns dazu, daß das Eigentum die Grundlage unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung ist.
({2})
Wenn Sie von einer verstärkten Vermögensbildung für breite Volksschichten sprechen und gleichzeitig bestrebt sind, altes ererbtes Familieneigentum mehr oder weniger in Frage zu stellen, so paßt das meines Erachtens nicht zusammen.
({3})
- Ich will mich keineswegs - um auf Ihren Einwand einzugehen - vor die Bodenspekulanten stellen. Ich meine, den Bodenspekulanten sollte man die Suppe versalzen.
({4})
Dazu ist aber das Städtebauförderungsgesetz meines Erachtens auch in der von Ihnen vorgeschlagenen Form nicht in der Lage; denn dadurch wird die Bodenspekulation nur verlagert, nämlich auf die Gemeinden und die gemeinnützige Gesellschaften.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte einen Unterschied zwischen den von Ihnen ins Auge gefaßten Bodenspekulanten und denen machen, die ihr Eigentum seit Generationen weitervererbt haben und es nun mehr oder weniger im Zuge der Stadtentwicklung abgeben müssen, Eigentum, das in vielen Fällen die einzige Existenzgrundlage ist. Das trifft viele Landwirte, viele Kleinbürger, viele Geschäftsleute, Handwerker, Arbeiter und Rentner. Ich weiß sogar, daß SPD-Stadträte in meinem Wahlkreis davor gewarnt haben, Ihr Städtebauförderungsgesetz Wirklichkeit werden zu lassen.
({6})
Ich möchte noch eines 'ganz klar herausstellen: Der Bauer ist keineswegs ein Bodenspekulant. Wenn spekuliert wird, dann erst dann, wenn der Grund und Boden aus der Hand des Bauern ist.
Meine Damen und Herren, ganz klar muß ich auch sagen, daß nicht in erster Linie die Bodenpreise
schuld sind, wenn das Wohnen teurer wird. Es sind - und das kann ich auch mit Zahlen beweisen - andere Fakten, die das Wohnen und Bauen teurer machen. Es sind vor allem die Zinsen und die Baukosten. Wenn Sie von der SPD mit Ihrem Wirtschaftsminister darangehen, mit derselben Energie, mit der Sie das Bodenrecht ändern wollen, die Zinsen und Baukosten in den Griff zu bekommen, dann haben Sie für eine künftige Wohnungs- und Städtebauentwicklung meines Erachtens wesentlich mehr getan.
Ich belege Ihnen das mit Zahlen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat im Durchschnitt des Jahres 1968 eine Wohnungseinheit 60 500 DM gekostet. Der Bodenanteil daran betrug im Bundesdurchschnitt 4900 DM oder 8,2 %. Da kann man doch keineswegs sagen, daß es allein die Bodenpreise sind, die das Wohnen teurer machen. Ich möchte davor warnen, die Meinung zu veröffentlichen, daß deswegen das Städtebauförderungsgesetz notwendig sei.
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Nun, meine Damen und Herren, ein Wort zu diem Gesetzentwurf der CDU/CSU. Unser 'Gesetzentwurf ist praktikabel, entspricht dem Prinzip der Förderung vor Zwang, der Ersteigung als letztes Mittel, und tritt für ein soziales Bodenrecht gegenüber einem sozialistischem Bodenrecht Ihrer Prägung ein.
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- Gute Sachen kann man nicht oft genug sagen. Ich möchte ganz klar herausstellen, daß wir in unserem Gesetzentwurf auch an den ländlichen Bereich gedacht haben, und zwar soll die finanzielle Förderung auch für den ländlichen Bereich Platz greifen, ohne ,daß jedoch das bodenrechtliche Zwangsinstrumentarium zur Anwendung gebracht wenden muß. So haben wir in § 39 Abs. 1 unseres Gesetzentwurfs vorgesehen, daß auch finanzielle Förderungsmaßnahmen zur Anwendung kommen, insbesondere auch für Ortserweiterungen, die den in § 2 'dieses Gesetzentwurfs niedergelegten Zielen dienen.
Damit wollen wir in etwa die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land herstellen, ohne daß jenes Zwangsinstrumentarium angewandt werden muß. Denn es darf ja nicht geschehen - Kollege Schneider hat es vorhin ganz deutlich herausgestellt -, daß die Mittel beschränkt sind und dann alles auf die Ballungszentren hinfließt. Wir sollten die Mittel gleichmäßig verteilen.
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- Das hat mit „Sozialisierung der Unkosten" nichts zu tun,
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wenn ich die Entwicklung in einem Dorf finanziell fördere, wo 'ich nicht unbedingt dieses bodenrechtliche Instrumentarium zur Anwendung bringen muß,
Ein Wort zum Härteausgleich, dem Sie äußerst heftig widersprochen haben. Ich halte den Härteausgleich für unbedingt notwendig.
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- Sie haben ihn in einer Kann-Vorschrift, wir aber haben ihn mit gesetzlicher Bindung vorgesehen. Das ist der Unterschied.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens?
Ich habe vorhin schon die Beantwortung von Zwischenfragen abgelehnt.
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Ich möchte an folgendem Beispiel ganz klar zeigen, daß der Härteausgleich notwendig ist. Stellen Sie sich bitte einmal vor, daß jemand von seinem Unternehmen - sei es ein Handwerksbetrieb, sei es ein Bauernhof - nicht von sich aus weggeht. Er erhält zwar eine nach dem Verkehrswert bemessene Entschädigung, verliert aber seine Existenz - und dieser Verlust ist größer als der reine Verkehrswert! In solchen Fällen sollte, so meine ich, der Härteausgleich unbedingt zur Anwendung kommen.
Wir haben uns bei der Abfassung unseres Gesetzentwurfs auch bemüht, beim Genehmigungsverfahren so wenig behördliche Eingriffe wie möglich vorzusehen. Insbesondere wollten wir, daß die Übergabe der Höfe, daß Verträge zwischen Eltern und Kindern nicht der Genehmigung unterliegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Unser Gesetzentwurf berücksichtigt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, lehnt eine Sozialisierung des Bodens ab und ist kommunalpolitisch durchaus praktikabel. Ich hoffe, daß die Mehrheit dieses Hauses unseren Entwurf, der nicht emotional aufgeladen ist, billigt.
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Herr Kollege, sollte auch dies eine erste Rede gewesen sein, gilt Ihnen der Glückwunsch des Hauses ebenso.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Nach dem Vorschlag des Ältestenrates sollen beide Gesetzentwürfe an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen - federführend - und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 19. März 1970, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.