Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bemerken: Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr. Vorbereitung und Gesamtfinanzierung der Olympischen Spiele 1972
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969 - Drucksache VI/382 zuständig: Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele ({0}), Haushaltsausschuß
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr. Möglichkeiten einer Verstärkung der zivilen Verteidigung
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969 - Drucksache VI/386 zuständig: Innenausschuß ({1})
Haushaltsausschuß
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr. Ergebnisse der Entbehrlichkeitsprüfung und der Veräußerung von Bundesgelände zu Zwecken des Wohnungsbaues und der Eigentumsbildung
Bezug: Beschlüsse des Bundestages vom 18. Mai 1962 und vom 8. Dezember 1966
- Drucksache VI/399 zuständig: Haushaltsausschuß ({2})
Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen
Vorlage des Sprechers der Deutschen Delegation der Beratenden Versammlung des Europarates
Betr. Bericht über die Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 22. bis 30. Januar 1970 in Straßburg
- Drucksache VI/406 zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Gegen die beabsichtigte Überweisung erhebt sich kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Wir haben als erstes den Tagesordnungspunkt XXI zu behandeln, die 31 Wahleinsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969. Ich rufe sie gemeinsam auf:
1. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Gerwin Minrath, Bad Breisig, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag
vom 28. September 1969 im Wahlkreis 149 ({4})
- Drucksache VI/337 - Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
2. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({5}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Werner Lerche, Hunoldstal im Taunus, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 in der Gemeinde Hunoldstal im Taunus
- Drucksache VI/338 - Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
3. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch der Eheleute Margit und Ulf Eggers, Hamburg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 14 ({7})
- Drucksache VI/339 - Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
4. Beratung des Berichts des Ausschussus für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({8}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Diplom-Kaufmanns Leonhard Vetter, Markt Schwaben, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 210 ({9})
- Drucksache VI/340 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klepsch
5. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({10}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Heinrich Kähler, Kiel, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/341 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark ({11})
Vizepräsident Dr. Jaeger
6. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Ing. Josef Hoffmann, Ulm, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/342 -Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
7. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({13}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch der Fernmeldesekretärin Gertrud Vulhop, Osnabrück, Bevollmächtigter: RA Otto-Heinz Beckmann und Dr. Jürgen Riedel, Osnabrück, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 33 ({14})
- Drucksache VI/343 - Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
8. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Leopold Windisch, Mainz, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/344 - Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
9. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Dr. med. Franz Schmidt, z. Z. Bielefeld, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 68 ({17})
- Drucksache VI/345 -Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
10. Beratung ,des Berichts des Ausschussus für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({18}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Dr. Hubert Kuhla, Schwabach, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/346 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klepsch
11. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({19}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch der Frau Dr. Maria Schwarz, z. Z. Rom, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 190 ({20})
- Drucksache VI/347 Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee 12. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({21}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Mathias Hoffmann, Ellwerath, und der Frau Maria Röhrisch, Ellwerath, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 153 ({22})
- Drucksache VI/348 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klepsch
13. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({23}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Wolfgang Billep, Aufenthalt unbekannt, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 in der Gemeinde Nottensdorf, Kreis Stade
- Drucksache VI/349 - Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
14. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({24}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Hermann Köhler, Essen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Wahlkreis 87 ({25})
- Drucksache VI/350 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Klepsch
15. Beratung ides Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({26}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Anton Eich, Naßweiler über Völklingen, gegen die Wahl der Herren Prof. Maihofer und Dr. Hoffmann in den 6. Deutschen Bundestag
- Drucksache VI/351 - Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
16. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({27}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Josef Wenger, Saarbrücken, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- 'Drucksache VI/352 - Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
17. Beratung des Berichts des Ausschussus für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({28}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Karl-Heinz Otte, Schärding ({29}), gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/353 Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
Vizepräsident Dr. Jaeger
18. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({30}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Lambert Schindler, Mannheim, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/354 - Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
19. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({31}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Heinz Neubert, Amsterdam, Postanschrift Düsseldorf, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/355 -Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
20. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({32}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Paul Schiwy, Hanau a. M., gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/356 - Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
21. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({33}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Heinz Marzahn und der Hildegard Schwenk, beide Heidelberg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 in den Wahlkreisen 181 ({34}), 184 ({35}), 145 ({36}) und 159 ({37})
- Drucksache VI/357 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark ({38})
22. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({39}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Diplom-Kaufmanns Ottmar Kreichgauer, Benediktbeuern, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/358 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark ({40})
23. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({41}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch der
Frau Angela Pluskwik, Zweibrücken, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 in der Stadt Zweibrücken
- Drucksache VI/359 - Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
24. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({42}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des K. Anklam, Braunschweig, gegen die Gültigkeit der Wahl des zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 im Land Niedersachsen gewählten Abgeordneten Dr. Jahn ({43})
- Drucksache VI/360 - Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
25. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({44}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Dr. Alfred Richter, Lommersdorf, 1. Vorsitzender der Deutschen Idealistischen Partei ({45}), gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/361 Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
26. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({46}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Wilhelm Driemel, Bonn-Lengsdorf, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/362 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark ({47})
27. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({48}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Albert Reinhold Schaffnit, Heidelberg, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/363 Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
28. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({49}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Willy Klinger, Ober-Bessingen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/ 364 - Berichterstatter:. Abgeordneter Schoettle
Vizepräsident Dr. Jaeger
29. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({50}) - Wahlprüfungsangelegenheiten - über den Wahleinspruch des Rudolf Werner, Großenbach, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969 in der Gemeinde Großenbach
- Drucksache VI/365 Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
30. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({51}) - Wahlprüfungsangelegenheiten -- über den Wahleinspruch des Max Sigmund, Mengen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag vom 28. September 1969
- Drucksache VI/366 -Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
Zunächst hat der Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, der Abgeordnete Schoettle, um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Wahlprüfungsausschuß legt Ihnen heute seine Vorschläge für die Bescheidung von 31 Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen Bundestag zur Beschlußfassung vor. Aus dem Vorblatt ist Ihnen bereits bekannt, welche Gründe die Einspruchsführer im wesentlichen bei ihrer Wahlanfechtung vorgebracht haben.
Die Rechtsgrundlage für. die Durchführung der Wahlprüfung ist zunächst Art.41 des Grundgesetzes, der sagt:
({0}) Die Wahlprüfung ist Sache des Bundestages. Er entscheidet auch, ob ein Abgeordneter des Bundestages die Mitgliedschaft verloren hat.
({1}) Gegen die Entscheidung des Bundestages ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig.
({2}) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Dieses im Grundgesetz erwähnte Bundesgesetz ist das Wahlprüfungsgesetz vom 12. März 1951, das im Jahre 1965 auf Anregung des Wahlprüfungsausschusses geändert wurde. Danach ist es möglich, Wahleinsprüche auch ohne die an sich vorgeschriebene öffentliche mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn der Einspruch offensichtlich unbegründet ist.
Für die Wahlprüfung ist schließlich noch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die im Vorblatt kurz zitiert worden ist, von Bedeutung. Dort heißt es:
Nur solche Wahlfehler vermögen daher die Beschwerde zu rechtfertigen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluß sind oder sein können. Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein als unerheblich aus, die die Ermittlung
des Wahlergebnisses nicht berühren. Aber auch Wahlfehler, die die Ermittlung dies Wahlergebnisses betreffen, können die Beschwerde dann nicht rechtfertigen, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluß auf die Mandatsverteilung haben konnten.
Der Wahlprüfungsausschuß hatte angesichts dieser eindeutigen Entscheidung bei den meisten Wahleinsprüchen zu prüfen, ob er den von den Einspruchsführern gerügten Mängeln überhaupt nachgehen sollte. Er kam jedoch zu der Überzeugung, daß Staatsbürger, die von ihrem gesetzlich verbrieften Recht Gebrauch machen, einen Anspruch darauf haben, daß den von ihnen gerügten Mängeln bei der Wahlvorbereitung oder Wahldurchführung nachgegangen wird. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Wahlprüfungsausschuß seine Aufgabe auch darin sieht, verhindern zu helfen, daß festgestellte Mängel sich bei der nächsten Wahl wiederholen. Daß angesichts des komplizierten Wahlverfahrens dennoch menschliche Fehler möglich sind und bleiben werden, soll hier am Rande vermerkt werden.
Um den Staatsbürger bei festgestellten Mängeln nicht nur auf die ihm vielleicht unbefriedigend erscheinende Entscheidung des Bundestages verweisen zu müssen, hat der Wahlprüfungsausschuß in mehreren Fällen beschlossen, den Einspruchsführern einen die Entscheidung erläuternden Begleitbrief beizufügen.
Wie Sie aus der Drucksache VI/343 entnehmen können, hat der Wahlprüfungsausschuß in einem Falle den Bundesminister des Innern gebeten, unverzüglich gesetzgeberische oder, wenn dies für ausreichend gehalten werden sollte, verwaltungsinterne Maßnahmen zu ergreifen, um hinsichtlich der Auslegung des § 13 Nr. 1 des Bundeswahlgesetzes in Verbindung mit § 1910 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches hinreichend Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
Obwohl in allen Ihnen vorgelegten Fällen vom Ausschuß die Zurückweisung der Einsprüche empfohlen wird, hat es sich der Wahlprüfungsausschuß dennoch mit der Erledigung seiner Aufgaben nicht leicht gemacht. Es ist ihm bekannt, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Literatur nicht unangefochten ist. Er hat dennoch geglaubt, in Bestätigung der früheren Praxis des Bundestages von dieser Entscheidung mit ausgehen zu müssen, bis seitens des Bundesverfassungsgerichts oder durch eine Änderung des Wahlprüfungsgesetzes eine andere Rechtsgrundlage geschaffen wird.
Ergänzend sei noch vermerkt, daß dem Wahlprüfungsausschuß nur noch der Einspruch vorliegt, der im Auftrage der Präsidiumsmitglieder der NPD eingelegt wurde. Der Ausschuß befindet sich hinsichtlich dieses Einspruchs noch in der Vorprüfung, in deren Rahmen er berechtigt ist, Auskünfte einzuziehen und Zeugen und Sachverständige vernehmen und vereidigen zu lassen, soweit deren Anwesenheit bei der öffentlichen und mündlichen Verhandlung nicht erforderlich ist oder nicht zweckmäßig erscheint. Wie bei den anderen Einsprüchen ist der Ausschuß bemüht, im Hinblick auf das öffentliche
Interesse an einer alsbaldigen Klarheit über die Gültigkeit der Wahl die Prüfung dieses Einspruchs so schnell wie möglich abzuschließen.
In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, darauf hinzuweisen, daß die Wahlprüfung nach dem Wahlprüfungsgesetz nur nach dem Anfechtungsprinzip erfolgt, d. h. die Wahlen werden nur auf Einspruch und nur insoweit nachgeprüft, als sie durch den Einspruch angefochten worden sind.
Abschließend darf ich noch bemerken, daß die Beschlüsse des Wahlprüfungsausschusses nach Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrung gegliedert sind. Aus der Rechtsmittelbelehrung können die Einspruchsführer entnehmen, daß sie gemäß § 48 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Beschwerde bei diesem Gericht einlegen können.
({3})
Ich danke dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung für seine ergänzende Berichterstattung. Ich darf zugleich den Berichterstattern, die uns die einzelnen Schriftlichen Berichte vorgelegt haben, danken. Eine mündliche Ergänzung ist nicht notwendig.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird offenbar nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß ich die Wahleinsprüche Nrn. 1 bis 30 gemeinsam zur Abstimmung stelle. - Das ist der Fall. Der Ausschuß schlägt in allen Fällen vor, den Wahleinspruch zurückzuweisen. Wer diesen Ausschußanträgen auf den Drucksachen VI/337 bis VI/366 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Zustimmung zu den Ausschußanträgen ist damit einstimmig erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zu Punkt XXIII:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Strafrechtsänderungsgesetzes
- Drucksache VI/293 Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
- Drucksache VI/410 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus
({0})
Ich danke der Berichterstatterin, der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus, für ihren Schriftlichen Bericht. Eine mündliche Ergänzung ist sicherlich nicht notwendig.
Ich komme zur zweiten Beratung und rufe die Art. 1 bis 6, Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen
Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Entwurf eines Zehnten Strafrechtsänderungsgesetzes in der dritten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu Punkt XXV:
Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes und Maßnahmen der Bundesregierung gemäß Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpassungsgesetz
- Drucksache VI/372 Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Termingerecht, am 15. Februar, wurde Ihnen der Grüne Bericht, Drucksache VI/372, vorgelegt. Ich möchte einleitend bemerken, daß dieser Bericht in diesem Jahr noch umfangreicher und, wie ich hoffe, noch gehaltvoller geworden ist. Ich glaube, daß es bei dieser Gelegenheit notwendig ist, meinen Mitarbeitern für ihre mühsame Arbeit zu danken. Sie ersehen daraus, welchen hohen Wert mein Haus diesem Bericht beimißt, den ich im Auftrag der Bundesregierung vorzulegen habe.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Entwicklung der Landwirtschaft im Berichtszeitraum, d. h. im Wirtschaftszeitraum 1968/69 sowie in den ersten sieben Monaten dieses laufenden Wirtschaftsjahres, wurde durch eine Reihe politischer Ereignisse beeinflußt, die auch in Zukunft nicht ohne Einfluß auf die Landwirtschaft bleiben werden.
Das agrarpolitische Grundkonzept dieser Regierung wurde in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 formuliert. Darin heißt es, daß die Landwirtschaft sich zu einem gleichberechtigten Teil unserer Volkswirtschaft entwickeln soll und daß sie in die Lage versetzt werden muß, in vollem Umfange an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen zu können. Dieser Erklärung sind bereits Taten gefolgt.
Im Agrarhaushalt wurde die bisherige Regelung aufgehoben, wonach steigende Aufwendungen für die Finanzierung der EWG-Agrarpolitik zu Lasten der nationalen Förderungsmittel für die Landwirtschaft gingen. Denn die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Aufwendungen für die EWG-Agrarmarktordnungen zum großen Teil ein Preis für die europäische Einigung sind. Diese Auffassung kommt auch in dem Bericht der Bundesregierung über Finanzhilfen und Steuervergünsti1658
gungen, der dem Hohen Hause in der Zwischenzeit vorliegt, zum Ausdruck. Außerdem wurden die nationalen Förderungsmittel für die Landwirtschaft für das Jahr 1970 um 389 Millionen DM erhöht.
({0}) - Ich bedanke mich.
Die neue Bundesregierung stellte ferner unmißverständlich fest, daß sie die notwendige Strukturverbesserung der Landwirtschaft nicht durch eine Politik des Preisdrucks betreiben wird.
Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung versprochen, die Landwirtschaft an der Konzertierten Aktion teilnehmen zu lassen. Dieses Versprechen wurde in der Zwischenzeit eingelöst. Durch ihre gleichberechtigte Teilnahme an diesen Gesprächen kann sie ihren Einfluß entsprechend geltend machen.
Im Rahmen der Beratungen über das Städtebauförderungsgesetz habe ich mich mit Nachdruck für die Sicherung des bäuerlichen Bodenbesitzes eingesetzt. Dadurch wurde der Gesetzentwurf in eine für die Landwirtschaft akzeptable Form gebracht.
In der Regierungserklärung erhielt die Landwirtschaft die klare Zusage, daß die aufwertungsbedingten Einkommensverluste voll ausgeglichen werden. Im Ministerrat der EWG wurde ein Ausgleich von jährlich 1,7. Milliarden DM ausgehandelt und durch Bundesgesetz abgesichert. Der über eine Sonderregelung bei der Mehrwertsteuer erfolgte Teilausgleich ist bereits seit dem 1. Januar 1970 wirksam. Die Ansätze für den Direktausgleich in Höhe von 920 Millionen DM sind im Haushaltsentwurf enthalten. Die gesetzgeberischen Vorarbeiten wurden inzwischen so weit vorangetrieben, daß mit einer Auszahlung dieses Direktausgleichs im Laufe des Sommers gerechnet werden kann, vorausgesetzt, daß das Parlament nach Einbringung des Haushalts die entsprechende Unterstützung gibt.
Lassen Sie mich hier .auf etwas hinweisen, das mir sehr am Herzen liegt. Es ist Kritik geäußert worden, daß diese Ausgleichsmittel im Einzelplan des Landwirtschaftsministeriums ausgewiesen sind. Somit bestünde die Gefahr, daß diese Ausgleichszahlungen der Landwirtschaft als zusätzliche Subventionen angerechnet werden könnten. Ich möchte deshalb erneut die Gelegenheit benutzen, hier vor diesem Hohen Hause in aller Deutlichkeit nochmals klarzustellen: diese 1,7 Milliarden DM haben mit einer Subvention für die Landwirtschaft nicht das geringste zu tun. Sie dienen vielmehr dem notwendigen Ausgleich von Preissenkungen, die sich auf Grund der Bindung der Agrarpreise an die europäische Rechnungseinheit für die deutsche Landwirtschaft - im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen - unmittelbar und direkt ergeben haben.
Ein bedeutsames Ereignis der europäischen Politik war die Haager Gipfelkonferenz im Dezember vorigen Jahres, auf .der die Regierungschefs der Mitgliedstaaten dem ins Stocken geratenen Integrationsprozeß neue, nicht zu übersehende Impulse gegeben haben.
Von unmittelbarer Bedeutung für die Landwirtschaft sind vor allem folgende Grundsätze, über die man sich in Den Haag geeinigt hat: 1. die termingemäße Beendigung der Übergangszeit zum 31. Dezember 1969 und die damit zusammenhängende Finanzregelung für die gemeinsame Agrarpolitik, 2. die Fortsetzung ,der Anstrengungen für eine bessere Beherrschung der Märkte, die eine Begrenzung der Haushaltslasten gestattet, 3. die Ausarbeitung eines Stufenplanes für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie 4. die Eröffnung von Verhandlungen innerhalb kürzester Frist zwischen der Gemeinschaft und den beitrittswilligen Staaten.
Für die Landwirtschaft ergeben sich daraus zwei entscheidende Schlußfolgerungen:
Erstens. Es wird der Grundsatz ,der europäischen finanziellen Solidarität bejaht.
Zweitens. Bei einer Erweiterung der Gemeinschaft zu einer Zehnergemeinschaft ist zwar nach dem derzeitigen Stand der Produktion und des Konsums der Selbstversorgungsgrad insgesamt geringer als in der Sechsergemeinschaft. Es muß aber mit erneuter Verschärfung des Wettbewerbs gerechnet werden. Ein großer Teil der Landwirtschaft der beitrittswilligen Staaten ist nämlich bei derzeit niedrigen Agrarpreisen und einer modernen Betriebs- und Marktstruktur hoch rationalisiert.
Bei den weiteren Verhandlungen in der EWG wird es darauf ankommen, die erheblichen Ungleichgewichte im Integrationsprozeß sobald wie möglich zu beseitigen. Ich denke hier vor allem an die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion. Erfreulicherweise zeichnen sich diesbezüglich, wie die jüngsten Verhandlungen in Paris ergeben haben, Fortschritte ab: Die Ungleichgewichte in diesen Bereichen sind durch die Abwertung des französischen Franc und die Aufwertung der D-Mark mit aller Deutlichkeit zutage getreten und haben die Gemeinschaft an den Rand einer ernsten Krise gebracht.
Diese Entwicklung hat glücklicherweise - und ich bin sehr froh darüber - in einer breiten Öffentlichkeit zu der Erkenntnis geführt, daß der Agrarunion alsbald eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Währungsunion folgen muß, wenn nicht alles bisher Erreichte aufs Spiel gesetzt werden soll.
In den Brüsseler Ministerratssitzungen am 5. und 6. Februar wurden nach langen schwierigen Verhandlungen Beschlüsse gefaßt, die den grundsätzlichen Vereinbarungen der sechs Regierungschefs in Den Haag Rechnung tragen. Es gelang u. a., die Regelungen der Finanzverfassung zum Abschluß zu bringen und eine Einigung über das Tabak- und Weinproblem zu erzielen. Bei der für die Weinmarktordnung verabschiedeten Entschließung wurde weitgehend den bisherigen Bestimmungen des deutschen Weingesetzes Rechnung getragen.
Schließlich hatte ,die anhaltende Hochkonjunktur in der Bundesrepublik für die Landwirtschaft - wie für andere Wirtschaftsbereiche - positive und negative Auswirkungen. Positiv ist die
beträchtliche Steigerung der Masseneinkommen zu werten. Sie führte zu einer entsprechenden Zunahme der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten, und zwar insbesondere nach den einkommenselastischer nachgefragten tierischen Veredelungserzeugnissen. Positiv zu beurteilen ist auch der Einfluß der Hochkonjunktur auf die Bereitstellung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze für die Erwerbstätigen, die aus der Landwirtschaft ausscheiden wollen. Die Zahl der in den ländlichen Räumen geschaffenen außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze war 1969 nicht zuletzt infolge der konjunkturellen Entwicklung wesentlich höher als ursprünglich geplant.
Vom Kostengesichtspunkt weniger erfreulich waren dagegen die Lohnsteigerungen. Auch die Betriebsmittelpreise erhöhten sich seit dem November 1968.
Damit will ich meine allgemeinen Anmerkungen zu wichtigen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen abschließen. Ich komme nunmehr zu den Einzelheiten des Grünen Berichts, und zwar zunächst zur Lage ,der Landwirtschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der diesjährige Bericht enthält eine Reihe von wichtigen Neuerungen. Dabei wurde versucht, Anregungen von den verschiedensten Seiten, insbesondere auch aus diesem Hohen Hause, Rechnung zu tragen. Unverändert geblieben ist der bewährte Aufbau des Berichts, der uns ja weitgehend durch den Gesetzesauftrag vorgegeben ist.
Neu sind folgende Teile, die den Aussagewert des Berichts wesentlich erhöhen dürften: erstens eine detaillierte volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für den Sektor Landwirtschaft - durch diese differenzierte Gesamtrechnung wird der Vergleich der Landwirtschaft sowohl mit anderen Wirtschaftsbereichen als auch mit den Landwirtschaften der EWG-Partner erleichtert, die nach dem gleichen Konzept eine Gesamtrechnung für den Sektor Landwirtschaft aufbauen -; zweitens eine Vermögensrechnung für verschiedene Betriebsgruppen der Testbetriebe; drittens ein langfristiges Projektionsmodell bis zum Jahre 1980.
Da Ihnen der Bericht vorliegt, kann ich mich im folgenden auf die Darstellung der wichtigsten Ergebnisse beschränken. Sie müssen vor dem Hintergrund der Hochkonjunktur gesehen werden.
In dieser Konjunkturphase wurde der strukturelle Anpassungsprozeß der Landwirtschaft in Verbindung mit erfolgreichen Rationalisierungsbestrebungen der Landwirte und gezielten Förderungsmaßnahmen des Bundes und der Länder beschleunigt. Insgesamt hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe seit 1949 um 600 000 verringert; das ist knapp ein Drittel aller Betriebe. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen auf weniger als die Hälfte zurück. Dieser für das volkswirtschaftliche Wachstum bedeutsame Strukturwandel vollzog sich relativ lautlos. In der Öffentlichkeit wurde davon kaum Notiz genommen.
Die Steigerung der nominalen Verbrauchernachfrage hat bei guter Ernte und hoher tierischer Produktion das Erzeugerpreisniveau gegenüber dem sehr niedrigen Stand von 1968/69 um 3 % ansteigen lassen. Hierbei war nicht ohne Einfluß, daß die gleichzeitig günstige Konjunktur in den übrigen EWG-Partnerländern wie auch in den Industrieländern außerhalb der EWG zu einer hohen Nachfrage führte. Unter diesen Bedingungen konnte die Landwirtschaft 1968/69 gegenüber dem Vorjahr ihre Verkaufserlöse um etwa 8 % auf rund 29 Milliarden DM steigern. Die Betriebsausgaben einschließlich Ersatzbeschaffungen stiegen mit 3 % schwächer als die Verkaufserlöse. Dabei verminderten sich die Ausgaben für Löhne durch einen weiteren Rückgang der Lohnarbeitskräfte erstmals deutlich.
Bei dieser verbesserten Ertragslage stiegen die Investitionen der Landwirtschaft nach zweijährigem Rückgang wieder um 500 Millionen DM. Insoweit sieht man, wie eine verbesserte Ertragslage der Landwirtschaft sehr schnell auch für die übrigen Bereiche der Wirtschaft wirksam wird. Diese Investitionen wurden jedoch in erheblich größerem Umfang aus Eigenmitteln finanziert. Die um 700 Millionen DM verringerte Fremdkapitalzunahme und die weiter zugunsten langfristiger Verbindlichkeiten verbesserte Struktur des Fremdkapitals zeigen, daß die Landwirte sich durchaus veränderten Bedingungen anzupassen vermögen.
Die enge marktwirtschaftliche Verflechtung zwischen Landwirtschaft und übriger Wirtschaft wird darin sichtbar, daß die Landwirtschaft für die Vorleistungen anderer Wirtschaftsbereiche und für Bruttoinvestitionen 1968/69 insgesamt rund 20 Milliarden DM ausgegeben hat. Darüber hinaus hat die landwirtschaftliche Erwerbsbevölkerung von ihrem Einkommen rund 10 Milliarden DM für den Kauf von Gütern des privaten Verbrauchs verwendet. Die Landwirtschaft ist außerdem der bedeutendste Rohstofflieferant für die Nahrungs- und Genußmittelindustrie, die im Jahre 1968 allein 63 Milliarden DM umgesetzt hat. Mit ihren Verkaufserlösen in Höhe von etwa 30 Milliarden DM erreicht die deutsche Landwirtschaft einen höheren Jahresumsatz als die gesamte deutsche Autoindustrie.
Das Bild der allgemeinen Entwicklung im Wirtschaftsjahr 1968/69 spiegelt sich im wesentlichen auch in den differenzierten Buchführungsergebnissen wider. Das Betriebseinkommen je Vollarbeitskraft hat sich im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr um 10 % auf fast 12 000 DM erhöht. Dabei ist abermals festzustellen, daß sich der Abstand im Betriebseinkommen je Vollarbeitskraft zwischen den Bodennutzungssystemen und Größenklassen weiter vergrößerte.
Besonders bemerkenswert ist die Feststellung des Berichts, daß Betriebe mit hoher Inanspruchnahme von Fremdkapital ein unterdurchschnittliches Reineinkommen und Vermögensverluste aufweisen. Wenn die Zahl der Betriebe mit Substanzverlusten nicht weiter zunehmen soll, muß in Zukunft für jede mit einer größeren Kreditaufnahme verbundene Investition eine umfassende und realistische Be1660
triebsplanung sowie eine ständige Kontrolle mit Hilfe der Buchführung gefordert werden.
Bei der Ertrags-Aufwandsrechnung nach § 4 des Landwirtschaftsgesetzes ist anders als im Grünen Bericht 1969 der Abstand zwischen dem erzielten Betriebseinkommen und der Summe der Vergleichsansätze in Prozenten angegeben und für das Bundesgebiet nach drei Größenklassen zusammengefaßt. In den Betrieben unter 20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche lag das Betriebseinkommen 26 % unter den Vergleichsansätzen; in den Betrieben mit 50 ha und mehr entsprach das Betriebseinkommen nahezu der Summe der Vergleichsansätze. Trotz der begrenzten Aussagekraft derartiger Durchschnittsergebnisse zeigt sich jedoch der starke Einfluß der Betriebsgröße auf das landwirtschaftliche Einkommen, wobei sicherlich die Betriebsgröße allein nicht entscheidend ist.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze Bemerkung zu der Ertragslage der Sonderkulturbetriebe! Die Betriebsergebnisse in den Gemüse- und Zierpflanzenbaubetrieben waren im Berichtsjahr besonders günstig. Die hier erzielten Einkommen lagen größtenteils über dem Vergleichslohn. Demgegenüber verschlechterte sich die Lage der Obstbaubetriebe.
Die Vorausschätzung für das laufende Wirtschaftsjahr 1969/70 läßt eine weitere Verbesserung der Ertragslage erwarten. Dabei wurden die Folgen der D-Mark-Aufwertung, die für die Landwirtschaft im wesentlichen erst ab 1. Januar 1970 wirksam wurden, sowie der Aufwertungsausgleich berücksichtigt.
Einige Bemerkungen zu den Perspektiven bis 1980: Der jährliche Grüne Bericht ist dem Gesetzesauftrag entsprechend in erster Linie eine Darstellung der Lage im abgelaufenen Wirtschaftsjahr und insoweit vergangenheitsbezogene Analyse der Wirtschaftsentwicklung. Für die agrarpolitischen Entscheidungen, die kurz- und mittelfristig in die Zukunft wirken, sind nicht nur die Erfahrungen aus der Vergangenheit notwendig, sondern auch quantitative Vorstellungen über zukünftige Entwicklungstendenzen. Als Entscheidungshilfen haben sich dafür Projektionsmodelle mit alternativen Annahmen als zweckmäßig erwiesen. Sie geben wertvolle Hinweise für die Ausrichtung wirtschaftspolitischer Maßnahmen und erleichtern darüber hinaus die unternehmerische und berufliche Disposition. Jedoch sollte bei den aus den Projektionen gezogenen Schlußfolgerungen der jeweils vorgeschätzten Entwicklungsrichtung ein größeres Gewicht beigemessen werden als dem zahlenmäßigen Projektionsergebnis. Während der letzte Grüne Bericht nur qualitative Überlegungen über mögliche Entwicklungen enthielt, ist in dem diesjährigen Bericht erstmalig ein derartiges Projektionsmodell für das nächste Jahrzehnt enthalten.
Um Mißverständnisse von vornherein auszuschalten, möchte ich betonen, daß es sich bei den hier verwendeten Arbeitshypothesen nicht um Zielvorstellungen der Bundesregierung handelt; dieses Modell enthält also keine Zielprojektionen. Die Bundesregierung bekennt sich vielmehr zu dem Grundsatz
der freien Entscheidung des einzelnen Unternehmers.
Das auf die Nachfrageentwicklung abgestellte Projektionsmodell für den Agrarbereich geht von der Annahme aus, daß das durchschnittliche Einkommen je Erwerbstätigen in der übrigen Wirtschaft etwa wie bisher ansteigt und der Einkommensabstand der in der Landwirtschaft Tätigen zur übrigen Wirtschaft sich relativ nicht ändert. Lediglich über die Entwicklung des Agrarpreisniveaus werden alternative Annahmen gemacht. In der Preishypothese 1 wird bis 1980 ein nominaler Anstieg der Agrarpreise um jährlich knapp 2 v. H. angenommen. Würde das allgemeine Preisniveau langfristig in dem gleichen Ausmaß steigen, so bliebe das Agrarpreisniveau real konstant. Bei dieser Vorausschätzungsvariante würde die für 1980 geschätzte Wertschöpfung der Landwirtschaft zur Befriedigung der bis dahin weiter gestiegenen Einkommensansprüche von rund 1,4 Millionen Erwerbstätigen ausreichen.
Wird hingegen wie in der Preishypothese 2 ein nominal gleichbleibendes Agrarpreisniveau angenommen, so ergibt sich unter sonst gleichen Bedingungen für 1980 eine um rund 5 Milliarden DM niedrigere Wertschöpfung. Sollte sich die tatsächliche Agrarpreisentwicklung entsprechend der zuletzt genannten Variante vollziehen, so könnten nur die Einkommenserwartungen von etwa 1 Million Erwerbstätigen erfüllt werden.
Der Erkenntniswert dieses Modells muß primär darin gesehen werden, die Konsequenzen verschiedener Alternativen in der Preispolitik auf die Einkommens- und Strukturentwicklung transparenter zu machen. Wenn die tatsächliche Preisentwicklung der Preishypothese 1 - nominaler Anstieg des Agrarpreisniveaus um jährlich knapp 2 % - entspräche, müßte der Landwirtschaft bereits ein großes Maß an Anpassungsleistung zugemutet werden. Noch stärkere ökonomische und soziale Spannungen würden eintreten, wenn sich die Agrarpreise entsprechend der Preishypothese 2 - gleichbleibende nominale Agrarpreise - entwickelten.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zu den Persepektiven 1980 generell noch folgendes festzustellen. Ich glaube, Sie werden mir zubilligen, daß ich nicht zu denen gehöre, die die Bedeutung derartiger Vorausschätzungen überbewerten. Allen denjenigen aber, die wegen des konditionalen Charakters von Vorausschätzungen solche Betrachtungen in Bausch und Bogen ablehnen, darf ich sagen, . daß wir unsere Entscheidungen auf noch unsichererem Boden träfen, wenn wir auf die Konstruktion derartiger Gedankenmodelle ganz verzichteten.
Lassen Sie mich etwas über die Landwirtschaft im volkswirtschaftlichen Wachstum sagen. Die Agrarpolitik in hochentwickelten Volkswirtschaften sieht sich vor eine Fülle von Problemen gestellt. Sie muß insbesondere der permanenten Tendenz zur Überschußproduktion in der Landwirtschaft entgegenwirken, während gleichzeitig in weiten Teilen der Welt Hunger herrscht. Diese Problematik hat nicht nur ökonomische, sondern auch humanitäre Aspekte. Trotz aller Bereitschaft entwickelter VolkswirtschafBundesminister Ertl
ten, ,den hungernden Völkern durch Nahrungsmittellieferungen zu helfen, ist ein solcher Transfer weder in der Lage, das Nahrungsproblem in den Entwicklungsländern langfristig zu lösen, noch mit dem Überschußproblem in den Industriestaaten fertig zu werden.
Die Agrarpolitik in den hochentwickelten Volkswirtschaften steht ferner vor der schwierigen Aufgabe, die landwirtschaftlichen Einkommen an die rasch wachsenden Einkommen der übrigen Wirtschaftsbereiche heranzuführen. Angesichts der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Märkte für Nahrungsmittel ist dieses Problem nur dadurch zu lösen, daß die Gesamtproduktion an den Nachfrageverhältnissen orientiert wird, während gleichzeitig das Produktionsvolumen des Einzelbetriebes zunehmen muß. Das bedeutet, daß die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen und die Zahl der Betriebe sich laufend verringern wird. Aufgabe der Agrarpolitik in der hochentwickelten Volkswirtschaft ist es, diesen Prozeß, der sich seit Jahren vollzieht, so zu steuern, daß die notwendige Anpassung ohne soziale Härten kontinuierlich erfolgt.
Der Anteil der Landwirtschaft am gesamten Sozialprodukt geht 'zwar laufend zurück. Aus dieser Tatsache darf aber nicht der Schluß gezogen werden, daß dieser Wirtschaftsbereich im Gefüge der Wirtschaft und Gesellschaft an Bedeutung verliert. Die Landwirtschaft erfüllt vielmehr lebenswichtige Funktionen, die sich nicht allein im Zahlenwerk der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung niederschlagen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Bedeutung, die die Landwirtschaft für die Gestaltung der Kulturlandschaft hat. Die Land- und Forstwirtschaft wird auf längere Sicht überdies in wachsendem Umfange Funktionen für Erholung und Freizeitgestaltung der städtischen Bevölkerung übernehmen. Wenn wir Prognosen Glauben schenken wollen, die voraussagen, daß im Jahre 2000 mehr als 80 % der Menschheit in städtischen Agglomerationen leben, wird der notwendige Beitrag der Landwirtschaft zur Gestaltung einer lebenswerten Umwelt deutlich.
Meine sehr verehrten Damen und, Herren, lassen Sie mich dabei auch darauf hinweisen, daß wir gerade in diesen Tagen ständig beunruhigt werden durch neue Lawinenunglücke. Wir sollten daran denken, daß sich die Natur, wenn wir nicht in der Lage sind, in den Bergzonen eine harmonische Forst- und Landwirtschaft zu erhalten, mit gewaltigen Katastrophen rächt.
({1})
Das muß im Interesse der Menschheit verhindert werden, und hierbei spielt die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle.
Eine wissenschaftliche Untersuchung über die Dienstleistungsfunktion der Landwirtschaft im Tegernseer Tal hat ergeben, daß ohne lebensfähige, einkommensstarke und funktionsfähige Landwirtschaft in diesem Bereich die Kosten für die Allgemeinheit je Hektar bei 240 DM liegen. Ich glaube, auch das muß in Zukunft mehr denn je in unsere agrarpolitischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen einbezogen werden.
({2})
Nun zu den Schwerpunktaufgaben der Agrarpolitik!
Erstens: Struktur- und Regionalpolitik. Obwohl die Verzahnung zwischen dem Agrarbereich und den übrigen Sektoren der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich weiter vorangeschritten ist als in den meisten Partnerstaaten der EWG, bleibt die Lösung der regionalpolitischen Probleme in unseren ländlichen Räumen eine der großen Herausforderungen an die Agrar- und Wirtschaftspolitik in den 70er Jahren. Ich darf hinzufügen, daß nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesregierung bei den Verhandlungen um die EWG-Finanzregelung dafür Sorge getragen wurde, daß die nationale Kompetenz auf dem Struktursektor weitgehend erhalten blieb.
Das Fehlen eines regionalpolitischen Konzepts während der wirtschaftlichen Aufschwungphase im ersten Nachkriegsjahrzehnt hat auf der einen Seite zu einer Konzentration der Bevölkerung in den großen Ballungszentren und auf der anderen Seite zu einer Bevölkerungsverdünnung in ländlichen Gebieten mit zum Teil sehr nachteiligen Folgen für die Wirtschaftskraft dieser Räume geführt. Sehr negativ wirkt sich außerdem die Tatsache aus, daß die landwirtschaftlichen Betriebe in den peripheren ländlichen Gebieten sowohl hinsichtlich ihrer natürlichen Wirtschaftbedingungen als auch hinsichtlich ihrer Lage zum Markt erheblich benachteiligt sind. Angesichts dieser Situation müssen die altrar- und wirtschaftspolitischen Bemühungen mehr als bisher den spezifischen Entwicklungsmöglichkeiten einzelner ländlicher Regionen angepaßt und schwerpunktmäßig eingesetzt werden.
Nur so kann mit den begrenzten Haushaltsmitteln für die nationale Agrarpolitik ein maximaler Erfolg erzielt werden. Um dies sicherzustellen, wird zur Zeit in meinem Hause ein mittelfristiges Förderungsprogramm für die Landwirtschaft vorbereitet. Dieses Programm wird unter Berücksichtigung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern aufeinander abgestimmte Maßnahmen sowohl im überbetrieblichen als auch im betrieblichen Bereich umfassen.
Im Bereich der überbetrieblichen Förderung ist beabsichtigt, agrarstrukturelle Förderungsmaßnahmen, wie z. B. Flurbereinigung, Wegebau und wasserwirtschaftliche Maßnahmen, zukünftig nur noch auf der Grundlage einer regionalen Infrastrukturanalyse und Entwicklungsplanung einzuleiten. Die regionalen Entwicklungspläne müssen dabei Auskunft sowohl über die speziell landwirtschaftlichen als auch über die außerlandwirtschaftlichen Entwicklungsziele der betreffenden Region geben. Als Grundlage dieser regionalen Entwicklungspläne wird zur Zeit vom Bundesminister des Innern eine umfassende Regionalanalyse des gesamten Bundesgebietes erarbeitet.
Meines Erachtens ist es in der Vergangenheit oft versäumt worden, die agrarstrukturpolitischen Maß1662
nahmen, die neben ihrem agrarwirtschaftlichen Nutzen in gleichem Umfang auch der Allgemeinheit dienen, mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der ländlichen Regionen abzustimmen. Diese Einordnung der Agrarstrukturverbesserung in die allgemeine Erschließung ländlicher Räume wird auch in der Öffentlichkeit zu größerem Verständnis für diese zum Teil kostspieligen Maßnahmen führen. Es wird bisher in nichtlandwirtschaftlichen Kreisen leider viel zu wenig beachtet, daß agrarstrukturelle Maßnahmen in vielen Fällen Voraussetzung für die Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und idamit der Lebensbedingungen in ländlichen Räumen sind.
({3})
Bei dem engen Zusammenhang zwischen Agrarstruktur- und Regionalpolitik im ländlichen Raum darf die Bedeutung der Forstwirtschaft nicht übersehen werden. Eine leistungsfähige Forstwirtschaft ist Voraussetzung dafür, daß dieser Wirtschaftszweig seine Aufgaben als Element der Infrastruktur und seinen Beitrag zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur voll erfüllen kann.
Die neue Konzeption der regionalen Wirtschaftsförderung und ihre verstärkte Ausstattung mit finanziellen Mitteln hat nach einem vorläufigen Überblick die vorgesehene Schaffung von jährlich 20 000 gewerblichen Arbeitsplätzen in den Bundesausbaugebieten erheblich übertroffen. Regional stimmte allerdings das neugeschaffene Arbeitsplatzangebot nicht immer mit der entsprechenden Nachfrage überein, so ,daß Abwanderungswillige teilweise keinen Arbeitsplatz in erreichbarer Nähe fanden. Hier bedarf es sicherlich einer verbesserten Zusammenarbeit und auch Überprüfung der bisherigen Maßnahmen.
Mein Haus hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft, dem Bundesarbeitsministerium, mit der Bundesanstalt für Arbeit sowie mit den Ländern inzwischen Initiativen ergriffen, um sowohl die sozialökonomische Beratung als auch die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze auf Gebiete zu konzentrieren, die noch über mobilisierbare Arbeitskräftereserven in der Landwirtschaft verfügen.
Die neuen Gesetze auf dem Gebiet der Ausbildungs- und Berufsförderung, nämlich Ausbildungsförderungsgesetz, Arbeitsförderungsgesetz und Berufsbildungsgesetz, stellen geeignete Instrumente und umfangreiche Mittel bereit, mit denen durch Umschulung auf qualifizierte außerlandwirtschaftliche Berufe zur Lösung der spezifischen Probleme der ländlichen Gebiete beigetragen werden kann.
In diesem Zusammenhang übernimmt die Bildungspolitik eine Schlüsselposition. Unsere Bemühungen müssen sich verstärkt darauf konzentrieren, die Kluft zwischen den Arbeits- und Lebensbedingungen in ländlichen Gebieten und hochentwickelten Industrieregionen weiter abzubauen. Leider ist festzustellen, daß die Bildungschancen und somit die gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten höchst ungleich verteilt sind. Mit dem Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land dürfen wir uns nicht abfinden. Wir müssen mit aller Energie darangehen,
die grundgesetzlich garantierte Gleichheit der Bildungschancen, vor allem im ländlichen Bereich, herzustellen.
Geistige Investitionen sind auf Dauer gesehen ebenso notwendig wie materielle und dürften diese sogar in vielen Fällen ersparen.
({4})
Dazu gehört es, daß das Angebot an Ausbildungsstätten und -einrichtungen qualitativ und soweit erforderlich auch quantitativ verbessert wird.
Die Ausschöpfung aller gegebenen Möglichkeiten und ihre Nutzbarmachung für die Landbevölkerung werde ich mir stets angelegen sein lassen, auch wenn ihre Durchführung nicht in die unmittelbare Zuständigkeit meines Ressorts fällt.
Als zweite Säule unseres mittelfristigen Förderungsprogramms wollen wir die einzelbetriebliche Investitionsförderung für land- und forstwirtschaftliche Unternehmen in diesem Jahr auf eine neue Basis stellen. Die verschiedenen zur Zeit noch nebeneinanderlaufenden Richtlinien mit unterschiedlichen Förderungsbedingungen sollen dabei zusammengefaßt und sinnvoll auf das überbetriebliche Förderungskonzept abgestimmt werden.
Kernstück der einzelbetrieblichen Invistitionsförderung wird in Zukunft die Zinsverbilligung sein. Die Förderung muß sich konsequenter als bisher auf entwicklungsfähige Betriebe konzentrieren. An Hand eines Betriebsentwicklungsplanes ist nachzuweisen, daß geförderte Betriebe nach Abschluß ihrer Investitionen ein Betriebseinkommen erreichen können, das sie als nachhaltig existenzfähig ausweist.
({5})
Bei der Beurteilung der Entwicklungsfähigkeit eines Betriebes muß der Qualifikation des Betriebsleiters größte Beachtung geschenkt werden. Der Leistungsnachweis muß an Hand einer Betriebsbuchführung erbracht werden. Diese muß allerdings praktikabel sein. Sie bildet zusammen mit dem Betriebsentwicklungsplan in Zukunft die Grundlage jeder einzelbetrieblichen Förderung. Derartige Auflagen bei der Investitionsförderung sind erforderlich, um die Landwirte davor zu bewahren, Fehlinvestitionen zu tätigen und sich durch Vermögensverluste ihre Zukunft zu verbauen.
Mit Befriedigung kann ich hier feststellen, daß man sich auch innerhalb der EWG-Kommission von den technischen Größenvorstellungen des MansholtPlanes als alleiniges Kriterium für die Förderungswürdigkeit gelöst hat. Selbst Vizepräsident Mansholt ist zu der Erkenntnis gelangt, daß derartige Kriterien technischer Art kein brauchbarer Maßstab zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungskraft eines Betriebes sind. Die Entwicklungsfähigkeit eines Betriebes hängt entscheidend von seiner Einkommenskapazität und von den unternehmerischen Fähigkeiten des Betriebsleiters ab.
Die Neuordnung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung läßt jeder Betriebs- und Unternehmensform ihre individuelle Entwicklungschance. Dies gilt auch für landwirtschaftliche NebenerwerbsBundesminister Ertl
betriebe, die ein wesentliches Element unserer Betriebsstruktur darstellen. Diese Betriebe werden an dem Programm ebenfalls teilnehmen, wenn sie sich in geeigneter Weise der vielseitigen Möglichkeiten überbetrieblicher Zusammenschlüsse bedienen.
Zur Sozialpolitik. Die stärkere Bindung wirtschaftlicher Förderungsmaßnahmen an den Nachweis ökonomischer Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit ist in einer Gesellschaft unerläßlich, die den Strukturwandel als wesentliche Voraussetzung des wirtschaftlichen Fortschritts anerkennt. Das bedeutet, daß den Betrieben, die nicht an der Investitionsförderung teilnehmen können, eine weite Palette von Alternativen im außerlandwirtschaftlichen und sozialen Bereich angeboten wird, also ein soziales Ergänzungsprogramm. Entsprechende Anträge liegen diesem Hohen Hause vor. Sie werden bereits heute diskutiert. Ich hoffe, daß wir in Zusammenarbeit mit diesem Hohen Hause zu einer befriedigenden Lösung kommen.
Für die ältere Generation muß neben der Altershilfe vor allem die Landabgaberente zu einem wirksamen sozial- und strukturpolitischen Instrument ausgebaut werden. Wir streben eine Erweiterung des Berechtigtenkreises und eine Erhöhung der monatlichen Rente an.
Für die mittlere und jüngere Generation beabsichtigen wir, bei dem möglicherweise notwendigen Wechsel in einen nichtlandwirtschaftlichen Haupterwerb die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit staatlicher Unterstützung in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern. Daneben soll die bereits eingeführte Landabgabeprämie durch eine Verbesserung der Leistungen attraktiver gestaltet werden. Vergabebedingungen und Leistungshöhe bei Landabgaberente, Verpachtungsprämie und Nachversicherungszuschuß müssen harmonisch aufeinander abgestimmt werden.
Dieses soziale Ergänzungsprogramm und das betriebliche Förderungsprogramm werden durch spezifische Hilfen für jene Landwirte ergänzt werden, die für keine der beiden Maßnahmengruppen in Frage kommen. Für diesen Personenkreis müssen unter bestimmten Voraussetzungen zeitlich begrenzte Überbrückungshilfen bis zur Möglichkeit der Inanspruchnahme von Alternativmaßnahmen in Betracht gezogen werden.
Aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik sind noch zwei Probleme besonders anzusprechen. Für die Krankenversicherung der Landwirte müssen wir möglichst bald eine gesetzliche Regelung finden. Die vorbereitenden Arbeiten sind so weit gediehen, daß noch im Laufe dieses Jahres mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Regelung der Krankenversicherung für Landwirte gerechnet werden kann. Vor allem bei älteren Kleinlandwirten und Altenteilern bestehen zum Teil erhebliche Lücken im Versicherungsschutz. Hier bietet sich eine Regelung analog zur Rentnerkrankenversicherung an.
Für die landwirtschaftliche Unfallversicherung ergeben sich folgende Probleme - übrigens wiederum analog wie beim Bergbau -:
Erstens. Die Zahl der Beitragszahler nimmt ständig ab.
Zweitens. Die Leistungen der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung müssen an die Leistungen der übrigen Berufsgenossenschaften angeglichen werden.
Drittens. Infolge der Abwanderung aus der Landwirtschaft müssen die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften Leistungen an ehemals in der Landwirtschaft beschäftigte und nunmehr berufsfremde Personen erbringen. Hieraus ergibt sich die Forderung nach ständiger Erhöhung der Bundeszuschüsse. Meines Ermessens kann auf längere Sicht eine befriedigende Lösung nur durch eine Solidarhaftung der gesamten Wirtschaft erreicht werden, wie dies bei der Knappschaftsversicherung bereits geschehen ist.
Zur Agrarpreispolitik. Die Agrarpreispolitik in der EWG steht nach wie vor im Widerstreit der Meinungen. Vom Berufsstand wird - und dafür habe ich Vertändnis - unter Hinweis auf die rasch steigenden Einkommen in der gewerblichen Wirtschaft eine fühlbare Anhebung der Preise für wichtige Agrarprodrukte gefordert. In der nichtlandwirtschaftlichen Öffentlichkeit mehren sich dagegen die Stimmen, die in einer Herabsetzung der Agrarpreise das einzig wirksame Mittel zur Verminderung der Überschüsse und damit auch der ständig steigenden Kosten für die Überschußverwertung sehen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Jahresgutachten 1969 sogar vorgeschlagen, das nominale Agrarpreisniveau stufenweise so lange zu senken, bis so viele Grenzbetriebe und Grenzböden ausgeschieden sind, daß das Überschußproblem gelöst ist. Es wäre manchmal nützlich, ökonomische Betrachtungen auch mit den gesellschaftlichen und praktischen Erfordernissen abzustimmen.
({6})
Darüber hinaus verlangt der Sachverständigenrat sogar weitere Preissenkungen, um auf diese Weise den Selbstversorgungsgrad in der Gemeinschaft weiter zu senken und das Einfuhrvolumen an Agrarprodukten für andere Länder zu vergrößern. Es besteht kein Zweifel, daß die Erörterung so konträrer Forderungen in Presse, Funk und Fernsehen zu erheblicher Unruhe, ja zu Existenzangst bei der landwirtschaftlichen Bevölkerung geführt hat und führen muß.
({7})
Gestatten Sie mir hierzu ein klärendes Wort: Ausgangspunkt aller preispolitischen Überlegungen innerhalb der 'Bundesregierung ist die Regierungserklärung. Dort heißt es unmißverständlich:
Bei der notwendigen Strukturverbesserung der Landwirtschaft muß vermieden werden, daß eine Politik des Preisdrucks betrieben wird.
Was 'bedeutet das? Es bedeutet zunächst - und ich möchte dies ganz besonders betonen -, daß für die Bundesregierung eine Herabsetzung der Agrarpreise, wie sie der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, keine annehmbare preispolitische Alter1664
native ist. Die Verwirklichung dieser preispolitischen Vorschläge würde mit so großen wirtschaftlichen und sozialen Härten für große Teile der Menschen auf dem Lande und der in der Landwirtschaft tätigen Personen verbunden sein, daß dies nicht zu verantworten wäre.
Hinzu kommt, daß eine Politik des Preisdrucks dazu führen könnte, daß gerade wettbewerbsfähige Betriebe zur Aufgabe gezwungen würden. In diesen Betrieben reicht der mögliche Konsumverzicht der Inhaberfamilie nicht aus, um die Folgen einer Preisminderung auszugleichen. Das heißt also: es würde zu einer negativen Betriebsauslese führen.
Der entscheidende Anstoß zur Beherrschung der Produktion wird nicht von der Preispolitik, sondern von der Struktur- und regionalen Wirtschaftspolitik ausgehen müssen. Es wäre deshalb sehr zu begrüßen, wenn auch unsere Partnerstaaten in der Gemeinschaft ihre Anstrengungen zur Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze so verstärken würden, wies dies bei uns geschieht. Denn es steht völlig außer Zweifel, daß sich eine zufriedenstellende Lösung der Überschuß- und Einkommensprobleme in der Landwirtschaft nur dann erreichen läßt, wenn einzelbetrieblich das Produktionsvolumen bei gleichzeitiger Steigerung der Arbeitsproduktivität ausgeweitet wird, während sich die Produktionskapazität der gesamten Landwirtschaft an der Nachfrageentwicklung zu orientieren hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus meinen Ausführungen folgende Schlußfolgerungen ziehen.
Erstens. Im Mittelpunkt unserer agrarpolitischen Bemühungen steht der Mensch auf dem Lande,
({8})
und zwar in der dreiteiligen Form: der Mensch auf dem Lande als Unternehmer und praktizierender Landwirt, der Mensch auf dem Lande und seine soziale Sicherheit, der Mensch auf dem Lande und seine gleichen Bildungschancen.
({9})
Es gilt, ihn als gleichberechtigtes Glied in das Gesamtgefüge der Wirtschaft einzuordnen. Kern der Betriebsstruktur muß der entwicklungsfähige Vollerwerbsbetrieb sein, und zwar unabhängig davon, in welcher Rechtsform er sich organisiert. Daneben spielen Zu- und Nebenerwerbsbetriebe, insbesondere im Hinblick auf den Strukturwandel, eine bedeutsame Rolle.
Zweitens. Die im ganzen erfreuliche Entwicklung der Agrar- und Einkommenslage im Berichtsjahr 1968/69 darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß uns noch schwerwiegende agrarpolitische Prüfungen bevorstehen.
({10})
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Beseitigung der Agrarüberschüsse in der EWG, die eine schwere Hypothek für die Agrarpolitik darstellen.
Drittens. Die Brüsseler Erfahrungen haben eindeutig erwiesen, daß Agrarpolitik als sektoral orientierte Politik im EWG-Bereich zum Scheitern verurteilt ist. Die bisherige Beschränkung der Integration auf den Agrarbereich und das Fehlen aller Voraussetzungen dafür, die europäische Agrarpolitik in eine gemeinsame europäische Konjunktur-, Wirtschafts- und Währungspolitik einzubetten, hat die Gemeinschaft im vergangenen Jahr in eine ernste Krise gebracht.
({11})
Es gibt schon wieder manche Schatten, die auf uns zukommen. Das Ungleichgewicht in der Wirtschaftsentwicklung der Mitgliedsstaaten erzwang die bekannten Paritätsänderungen in Frankreich und Deutschland mit ihren gefährlichen Konsequenzen für die gemeinsame Agrarpolitik.
({12})
Die politischen Impulse der Haager Gipfelkonferenz müssen beschleunigt in die europäische Praxis umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat gerade in diesen Tagen einen Stufenplan für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion vorgelegt. Eine in die wachstumsorientierte Wirtschaft integrierte Agrarpolitik ist die einzig solide und politisch praktikable Lösung der europäischen Agrarmarktpolitik.
({13})
Viertens. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Agrarbereich im Zuge einer solchen Politik von seiner jetzigen Schuldnerrolle in eine Gläubigerrolle hineinwachsen kann. Die Landwirtschaft verfügt -- insbesondere in Frankreich und Italien - noch über ein beachtliches Reservoir an Arbeitskräften, dem nach allen Prognosen knappsten Produktionsfaktor der siebziger Jahre. Die Mobilisierung dieser Reserven wird weitgehend über das Wirtschaftswachstum mit entscheiden. Investitionen zur Förderung des landwirtschaftlichen Anpassungsprozesses kommen mithin dem Wachstum der Gesamtwirtschaft in zunehmendem Maße zugute und finden hierin ihre gesamtwirtschaftliche Berechtigung.
Fünftens. Die Bundesregierung ist fest entschlossen, die Chancen, die sich im Rahmen der Gesetze über 'die Gemeinschaftsaufgaben bieten, durch eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte regionale Wirtschaftspolitik, Agrarstrukturpolitik und Bildungspolitik für die ländlichen Räume in vollem Umfang 211 nutzen. Bei ihren Bemühungen um die Förderung der Anpassung des Agrarbereichs an die allgemeine volkswirtschaftliche Entwicklung steht die Bundesregierung allerdings unter den restriktiven Bedingungen einer antizyklischen Finanzpolitik. Der diesjährige Agraretat hat jedoch gezeigt, 'daß die Bundesregierung gewillt ist, ihren Finanzierungsspielraum im Agrarbereich bis zur Grenze des Vertretbaren auszuschöpfen.
({14})
Sechstens. Lassen Sie mich zum Abschluß eine für mich sehr erfreuliche Feststellung treffen. Nach langen Jahren einer eher gegenteiligen Haltung beginnt heute die Öffentlichkeit, viel Verständnis für die Probleme der Landwirtschaft aufzubringen. Es scheint sich eine echte Partnerschaft zwischen Stadt und Land anzubahnen. Dies ist nicht zuletzt auf eine
sehr objektive Berichterstattung von Presse, Rundfunk und Fernsehen zurückzuführen, für die ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind zuversichtlich und davon überzeugt, daß unseren Anstrengungen der Erfolg nicht versagt bleibt und ,daß es uns gelingen wird, den auf dem Lande lebenden Menschen - dem Auftrag des Grundgesetzes - entsprechend - gleichwertige Entwicklungschancen zu bieten wie der städtischen Bevölkerung. Nur so können wir den Menschen auf dem Lande die Stellung sichern, die 'ihrer lebenswichtigen Aufgabe in Wirtschaft und Gesellschaft zukommt. Nur so brauchen sich die Menschen auf dem Lande nicht vor der Zukunft zu fürchten.
Lassen Sie mich zum Schluß danken. Ich möchte mich bei der Bevölkerung auf dem Lande für ihre schwere Arbeit bedanken. Ich möchte meinen Mitarbeitern danken. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, meinem Amtsvorgänger für die mühevolle Arbeit zu danken, die er geleistet hat.
({15})
Ich glaube, daß es auf diesem Sektor notwendiger denn je ist, gemeinsam zusammenzustehen und zu helfen, damit die Menschen auf dem Lande auf die Zukunft hoffen können.
({16})
Das Haus hat den Bericht der Bundesregierung entgegengenommen. Die Aussprache findet am 11. März statt.
Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte
- Drucksache VI/249 -Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Berberich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der CDU/CSU-Fraktion den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte zu begründen. Der vergangene Bundestag hat kurz vor Schluß seiner Legislaturperiode ein Viertes Änderungsgesetz zur Altershilfe für Landwirte beschlossen, und im Zuge dieser Schlußphase des vergangenen Bundestages war es nicht möglich, all die Fragen auszudiskutieren, vor allen Dingen finanziell zu diskutieren, die im Zusammenhang mit der Altershilfe und Landabgaberente notwendig gewesen wären. Wir waren uns damals innerhalb der Koalition und darüber hinaus unter den gesamten bäuerlichen Abgeordneten darüber einig, daß zu Beginn dieser neuen Legislaturperiode das Gesetz erneut verändert werden muß. Insbesondere sollten die Erfahrungen, die in der Zwischenzeit mit der Landabgaberente gewonnen worden sind, ausgewertet werden. Außerdem wollte man eine Erhöhung
des Altersgeldes für die Landwirtschaft durchführen.
Wenn ich in dem Zusammenhang unseren Gesetzentwurf mit einer Erhöhung des Altersgeldes von 175 auf 240 DM pro Monat herausstelle, dann insbesondere deshalb, weil in Veröffentlichungen von verschiedenen Pressediensten - sicherlich nicht gerade von der CDU-Fraktion inspiriert - darauf hingewiesen wurde, daß eine Verbesserung der Altershilfe vorerst nicht dringlich sei, sondern daß man sich anderen sozialpolitischen Maßnahmen zuwenden wolle, Maßnahmen, die von uns als CDU-Fraktion sicherlich nicht abgelehnt werden.
({0})
- Ich danke für diesen Zuruf. Wir haben bereits einen dieser Entwürfe, nämlich den für die Nachversicherung in der Rentenversicherung, eingebracht.
- Wir halten es aber für notwendig, daß wir nicht einseitig für den oder jenen etwas tun, sondern daß wir die Sozialpolitik in der Landwirtschaft als ein Ganzes sehen. Dazu ist es notwendig, daß man auch die Altershilfe für die Landwirte verbessert.
Wir bekommen fast täglich Berichte auf den Tisch, wir sehen Meldungen der Presse- und Nachrichtendienste, aus denen hervorgeht, daß der Strukturwandel in der Landwirtschaft fortgesetzt werden muß. Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß sich dieser Strukturwandel in der Landwirtschaft fortsetzt; und zwar nicht wegen der vielen Pläne, sondern trotz der vielen Pläne für die Landwirtschaft.
({1})
Wenn man aber diese Entwicklung sieht, dann muß man auch für den alternden Landwirt und für denjenigen, von dem man erwartet, daß er seinen Betrieb aufgibt, etwas mehr tun, als es bisher der Fall ist. Denn die Konzeption des Altershilfegesetzes, bei der ursprünglich ein Bargeldzuschuß zum Unterhalt aus dem landwirtschaftlichen Betrieb gegeben werden sollte, tritt ja mehr und mehr in den Hintergrund. An ihre Stelle tritt die Altershilfe als ein Hauptteil der Altersversorgung für den ausgeschiedenen Landwirt.
({2})
Deshalb müssen wir die Altershilfe für Landwirte weiterentwickeln.
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung entsprechende Mittel nicht bereitgestellt seien oder bereitgestellt werden könnten. Es ist natürlich sehr einfach, solche Pressenotizen zu lancieren, wie ich sie hier vor mir liegen habe. Man operiert darin mit Zahlen, was dieser Antrag der CDU koste, die in keiner Weise den Tatsachen entsprechen.
({3})
Man addiert zusammen, was Landabgaberente und Altershilfe für 'die Landwirtschaft im Jahre 1974 ausmachen, und kommt zu dem Ergebnis, daß über 1300 Millionen DM an Zuschüssen erforderlich seien. Daß solche Meldungen die Öffentlichkeit kopfscheu
machen, ist ganz klar. Diese Zahl könnte richtig sein, wenn man Altershilfe und Landabgaberente als Gesamtaufwendung zusammenrechnet und wenn man die Altershilfe für Landwirte auf 300 DM heraufsetzte und dementsprechend die Landabgaberente auf mindestens 400 bis 450 DM erhöhte. Solange man aber in dem Rahmen bleibt, den wir vorgeschlagen haben, sind solche Zahlen illusionäres Spielwerk, mit ,dem man die öffentliche Meinung vergiften und gegen unsere Absichten einnehmen will. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit hier feststellen.
({4})
Wir haben über die Altershilfe hinaus in diesem Gesetzentwurf auch die Verbesserung der Landabgaberente vorgeschlagen, allerdings mit 10 DM weniger, als in den Ankündigungen der Koalitionsfraktionen gefordert wird. Meine Damen und Herren, Sie werden sicherlich von uns keinen erbitterten Widerstand finden, wenn Sie in den Beratungen auf die 350 DM gehen wollen.
({5})
Nur das Zahlenspiel, das in der Öffentlichkeit vorhanden ist, bedarf gründlicher Revision.
Wir haben uns bei ,der Verabschiedung dieses Gesetzes im letzten Bundestag ,darüber unterhalten, welche Mittel für die Landabgaberente notwendig sind. Dabei wurden Bedenken laut, ob die 12 Millionen DM, die damals eingestellt worden sind, überhaupt reichen.
({6})
Meine Damen und Herren, wir haben noch nicht eine einzige Million von diesen 12 Millionen DM gebraucht.
({7})
Jetzt sehen wir im Haushalt einen Ansatz von 28 Millionen DM für Landabgaberente. Wahrscheinlich ist das auch eine Zahl, mit der man gewisse Reserven im Bundeshaushalt schafft, um sie für andere Zwecke verwenden zu können, wie das auch im vergangenen Jahr der Fall war.
Wenn wir in unserem Antrag fordern, die Grenze für die Landabgaberente auf die fünffache Mindestbetriebsfläche nach dem GAL zu erhöhen, dann deshalb, weil wir infolge der Entwicklung zum größeren Betrieb und der Vorstellungen, die im Zusammenhang mit dem Mansholt-Plan und ähnlichen Dingen entwickelt werden, heute nicht mehr davon ausgehen können, daß Betriebe von 6, 8 oder 10 ha noch existenzfähig sind; wir müssen immerhin mit 20 bis 25 ha rechnen. In der öffentlichen Vorstellung geht man allgemein von diesen Größenklassen aus. Wenn man das weithin für real hält, muß man mit der Grenze für die Landabgaberente auf das Fünffache der Mindestbetriebsfläche nach dem GAL hinaufgehen, damit man den Anschluß an die Wirklichkeit halten kann.
Im vergangenen Jahr waren für die Altershilfe der Landwirtschaft 665 Millionen DM im Haushaltsplan eingestellt. Es ist vielleicht für das Hohe Haus interessant zu erfahren, daß insgesamt 635,4 Millionen DM von diesen bereitgestellten Mitteln abgerufen wurden und damit der Anschluß an das Jahr 1970 erreicht wurde.
Warum bringe ich diese Zahlen? Nicht etwa, um darzulegen, daß die Bundesregierung nicht genug für die Altershilfe getan hätte, sondern um darzutun, daß die Berechnungen, die im gegenwärtigen Moment über die Auswirkungen auf der Kostenseite angestellt werden, vermutlich genauso überhöht sind, wie die bisherigen Ansätze in diesem Bereich es waren. Es wird kritisiert, daß 'in unserem Antrag ein Zuschußbedarf von 180 Millionen DM eingesetzt wird, und eis wird darauf hingewiesen, daß erheblich mehr notwendig sei. Es mag durchaus sein, daß hier ein höherer Betrag notwendig ist.
Es kommt aber immer darauf an, welchen Inkraftsetzungszeitpunkt wir für dieses Gesetz nehmen. Wir haben in unserem Entwurf geschrieben: „Das Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft." Wir haben damit dokumentiert, daß wir uns nicht auf einen bestimmten Termin für das Inkrafttreten festgelegt haben, sondern durchaus bereit sind, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu bleiben. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens soll so gewählt werden, daß im Rahmen unseres Haushaltsplanes Mittel für diesen sozialen Sektor sinnvoll bereitgestellt werden können.
Wir haben, um innerhalb der heute vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten zu bleiben, gleichzeitig vorgeschlagen, von der Erhöhung des Altersgeldes ab auch den Beitrag von 27 auf 33 Mark zu erhöhen. Damit dokumentieren wir, daß wir als Landwirte und als CDU-Fraktion nicht daran interessiert sind, daß der Staat allein die soziale Sicherheit für die Landwirtschaft tragen soll, sondern auch der Landwirtschaft durchaus zumuten wollen und müssen, für diese soziale Sicherung eigene Beiträge aufzubringen. Daß diese Beiträge nicht im selben Rahmen liegen können wie in anderen Versicherungszweigen, liegt einfach daran, daß auch die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft sich nicht der Einkommensentwicklung in der übrigen Wirtschaft angeschlossen hat. Im Zeichen sinkender Agrarpreise ist es wenig sinnvoll, auf sozialem Gebiet nach Sicherung der Landwirtschaft zu rufen, diese Sicherung aber davon abhängig zu machen, ob der Landwirt bereit und in der Lage ist, entsprechend hohe Beiträge zu leisten.
Wir glauben, daß unsere Vorlage in den Ausschußberatungen so gestaltet werden kann, daß sie wirklich einen Fortschritt in der Sozialpolitik der Landwirtschaft bringt. Wir werden in der Debatte auf die sozialen Vorstellungen, die Herr Minister Ertl soeben bei der Einbringung des Grünen Berichts dargelegt hat - im Grundsatz begrüßen wir diese Vorstellungen -, eingehen, zu einzelnen Problemen eingehend Stellung nehmen und Unsere Ansicht zu diesen Fragen vortragen. Wir werden hier im Bundestag allerdings nicht nur Absichtserklärungen darüber, was wir gern möchten, abgeben, sondern wir werden Sie mit konkreten Gesetzentwürfen von unserer Seite konfrontieren, damit Sie in der Lage sind, Ihre Absichtserklärungen durch gesetzgeberische Maßnahmen in die Tat umzusetzen.
({8})
Dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates stimmt die CDU/CSU-Fraktion zu.
({9})
Vizepräsident. Dr. Jaeger: Ich rufe Punkt XXVII der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. landwirtschaftliche Sozialpolitik
- Drucksache VI/390 -Zur Begründung erteile ich dem Abgeordneten Schonhofen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache VI/390 zur Agrarsozialpolitik zu begründen. Lassen Sie mich zunächst zwei allgemeine Feststellungen treffen.
Erstens. Mit diesem Antrag sollen die Weichen für die künftige Politik auf diesem für uns so wichtigen Gebiet gestellt werden. Es geht in diesem Antrag selbstverständlich nicht um ein allgemeines, den gesamten Bereich der Agrarsozialpolitik umfassendes Programm, sondern um Schwerpunkte, die die aktuelle Lage der bäuerlichen Bevölkerung berücksichtigen.
Zweitens soll mit diesem Antrag die gefährlich offene Flanke der Agrarpolitik möglichst rasch geschlossen werden. Ich meine jene Flanke, die sich daraus ergibt, daß die Auswirkungen des Strukturwandels nicht in ausreichendem Maße sozial abgesichert sind. Meine Damen und Herren, es gibt wohl keinen Zweifel darüber, daß diese Flanke in langen Jahren in gefährlicher Weise offen geblieben ist
({0})
und daß es nur zögernd gelungen ist, sie zu schließen. Die Folgen, die dadurch - vor allem für die Grenzbetriebe - aufgetreten sind, zeigen sich heute in einer oftmals aussichtslosen, bedrückenden wirtschaftlichen Lage. Hinzu kommt, daß diese Betriebe oft keine Alternativen haben, so daß sie sich, nachdem ihre Substanz weitgehend verzehrt ist, zu Kümmerexistenzen entwickelt haben. Eine Politik, die mehr auf das Konservieren bestehender Strukturen ausgerichtet ist,
({1})
fördert nicht die Neigung, den Betrieb aufzugeben,
selbst wenn die wirtschaftliche Lage aussichtslos ist.
({2})
Die Politik der Vergangenheit hat oft den Eindruck vermittelt, daß man noch Hoffnung haben könne. Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf die lange Skala der sozialdemokratischen Anregungen, Vorstellungen und Forderungen hinweisen,
weil das einen umfangreichen Rückblick bis zu dem Sozialplan der SPD von 1952 erfordern würde. Ich will mich auch nicht bei den harten und jahrelangen Auseinandersetzungen insbesondere um die Agrarsozialpolitik, die in diesem Hause geführt worden sind, aufhalten. Diese Auseinandersetzungen haben nur langsam zu einem Erfolg geführt.
Wer die Geschichte der sozialen Agrarpolitik der 50er und 60er Jahre nachliest, wird feststellen - ich meine, das ist unumstritten -, daß sie eine Dokumentation 'des Umdenkens, aber auch des hartnäckigen Festhaltens an oftmals sachlich nicht gerechtfertigten Positionen ,ist. Es wäre in diesem Zusammenhang sicher sehr reizvoll, den Meinungsumschwung, der sich allgemein vollzogen hat, noch einmal nachzuzeichnen, den Bogen zu schlagen beispielsweise von den Ausführungen des früheren Kollegen Wehking in der 2. Wahlperiode in der Debatte ,um das Gesetz über die landwirtschaftliche Alterssicherung .am 2. Juli 1957 bis heute. Damals hatte ,die sozialdemokratische Fraktion einen Bundeszuschuß für diese landwirtschaftliche Alterssicherung beantragt. Er wurde aber von dem ehemaligen Kollegen Wehking abgelehnt mit dem Hinweis auf die Eigenart des Bauerntums. Der Kollege Wehking mußte sich damals von dem Kollegen Dr. Martin Schmidt fragen lassen, ob alle übrigen Hilfen für die Landwirtschaft ebenfalls als sogenannte Almosen aufgefaßt werden müßten. Es wäre sicher sehr reizvoll, den Bogen zu schlagen von dieser Meinungsäußerung bis zum heutigen Tage, wo wir sehr oft temperamentvolle Ausführungen über die Notwendigkeit und die Dringlichkeit der Agrarsozialpolitik von der 'heutigen Opposition hören.
({3})
Wie gesagt, meine Damen und Herren, es wäre sicher sehr reizvoll, diesen Meinungsumschwung nachzuzeichnen. Aber es mag die Feststellung genügen, daß es in diesem Hohen Haus lange Zeit umstritten war, ob und, wenn ja, in welchem Umfang landwirtschaftliche Sozialpolitik in der Agrarpolitik überhaupt eine Rolle spielen dürfe.
({4})
Heute stellen wir mit Genugtuung fest - das mag genügen - ({5})
- Das gehört schon dazu, Herr Kollege,
({6})
wenn man die Bedeutung des Antrags der Koalitionsfraktionen übersehen will. Wir freuen uns jedenfalls darüber, daß heute die Einsicht gewachsen ist, daß Agrarsozialpolitik notwendig ist, und daß es heute nicht mehr verpönt ist, im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Position der bäuerlichen
Bevölkerung von der Notwendigkeit einer entsprechenden Sozialpolitik zu reden.
Bei unserem Antrag geht es uns erstens darum, die Prioritäten zu verdeutlichen, die Bestandteil der aktuellen Gesetzgebung der kommenden Monate sein müssen. Es geht uns zweitens darum, die bäuerliche Bevölkerung mehr als bisher in die Politik der sozialen Sicherheit einzubeziehen. Wir gehen von der Überzeugung aus, daß die nationale Strukturpolitik auf die Dauer nur erfolgreich sein kann, wenn die sozialpolitische Komponente verstärkt wird. Dazu, meinen wir, reicht die Altershilfe allein nicht aus; dies ist keineswegs zu bestreiten. Der Beitrag, den die Altershilfe zur sozialen Sicherheit in der bäuerlichen Bevölkerung leistet, ist durchaus beachtlich.
Aber das Bedürfnis nach mehr sozialer Sicherheit verlangt auch die gesetzliche Regelung des Krankenversicherungsschutzes, den wir in der Ziffer 1 unseres Antrags gefordert haben. Wir begrüßen es dankbar, daß zu dieser Zeit Diskussionsbeiträge nicht nur hier im Hause, sondern auch von den Berufsverbänden zu diesem Thema geleistet werden. Wir haben mit Interesse Kenntnis genommen von dem sozialpolitischen Arbeitsprogramm des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, der u. a. eine Krankenpflichtversicherung fordert und dazu sagt, daß diese Krankenpflichtversicherung für die selbständigen Landwirte, die Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder eingerichtet werden müsse, daß die Altersgeldempfänger, soweit sie nicht als Rentner bereits pflichtversichert sind, mit einbezogen werden sollten und daß man davon ausgehe, daß die Beiträge für die Altersgeldempfänger vom Bund übernommen würden. Genau das entspricht auch unserer Konzeption, wobei wir uns im klaren darüber sind, daß darüber im einzelnen noch zu debattieren sein wird.
Wir sind auch dankbar dafür, daß die zuständigen Ministerien bereits Vorarbeiten leisten. Wir hoffen nur, daß diese vorbereitenden Arbeiten bald abgeschlossen werden können, so daß der Gesetzentwurf uns dann zur Beratung vorliegt.
Weiter geht es uns bei diesem Antrag darum, Sozialpolitik und Strukturpolitik miteinander zu kombinieren. Der Anpassungprozeß muß sozialpolitisch erleichtert werden, und die Sozialpolitik muß finanzielle Hilfen anbieten, damit Alternativen zur Begründung neuer Existenzen vorhanden sind. Schließlich muß die landwirtschaftliche Sozialpolitik selbst solche Alternativen bieten. Es geht also darum, den Durchbruch zu einer echten Agrarsozialpolitik zu erweitern, jenen Durchbruch, der in den vergangenen zwei Jahren erreicht werden konnte, und zwar einerseits auf Grund der Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministers, des sogenannten Schiller-Papiers - hier will ich nur zwei Stichworte nennen: Nachversicherung für die Ausscheidenden und jährlich etwa 20 000 neue Arbeitsplätze in landwirtschaftlichen Problemgebieten -, und andererseits durch die sozialdemokratische Initiative zum ersten Agrarstrukturgesetz. Hier will ich auch nur das Stichwort Landabgabenrente nennen.
Meine Damen und Herren, wir meinen, daß diese politische Zielsetzung sozialpolitische Maßnahmen notwendig macht, deren Struktureffekt sichtbar und
gewollt ist und die den Anpassungsprozeß, der sich über lange Jahre hinweg vollzogen hat, möglichst beschleunigt, ihn auf jeden Fall aber sozial absichert. Deswegen fordern wir von der Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs, mit dem die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung geschaffen werden,
({7})
eine Hilfe für jüngere Landwirte, die ihre Betriebe aufgeben wollen oder müssen. Wir gehen davon aus, daß als eine zeitliche Übergangsmaßnahme, harmonisiert mit der Landabgabenrente, die Bundeszuschüsse gestaffelt und die Vergabebedingungen den Bedingungen der Landabgaberente angepaßt werden. Das ist Ziffer 2 unseres Antrags.
Noch eine kurze Bemerkung zur Ziffer 3. Hier geht es uns um eine nachhaltige Verbesserung der Landabgaberente. Wir gehen davon aus, daß eine Verdoppelung notwendig ist und die Landabgaberente auf 350 bzw. 230 DM erhöht werden muß. Wir sind darüber hinaus zu der Überzeugung gelangt, daß uns die Erfahrung des letzten halben Jahres bewiesen hat, daß die Bedingungen zu eng gefaßt sind und deshalb die Betriebsgröße ausgeweitet werden muß.
In Ziffer 4 unseres Antrags schließlich geht es ebenfalls um eine zeitlich begrenzte Übergangsmaßnahme, um jüngeren Landwirten, die ausscheiden wollen oder müssen, alternative Möglichkeiten zu bieten, selbständige Existenzen außerhalb der Landwirtschaft zu begründen. Auch hier sollte eine Harmonisierung vorgenommen werden.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß die Vorarbeiten, soweit sie bereits laufen, zügig abgeschlossen und die Gesetzentwürfe diesem Hohen Hause baldmöglichst vorgelegt werden,
({8})
wobei wir hoffen, daß die Verbesserung der Landabgaberente und die Verpachtungsprämie schon in aller Kürze beraten und verabschiedet werden können.
Die Koalitionsfraktionen stimmen den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zu, und wir bitten dieses Hohe Haus, das ebenfalls zu tun.
({9})
Wird zu den beiden aufgerufenen Punkten der Tagesordnung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die 'beiden Anträge an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend -, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- mitberatend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen.
- Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ab 15 Uhr steht der Nachmittag den Ausschüssen zur Verfügung. Die gemeinsame Sitzung des Auswärtigen Ausschusses
Vizepräsident Dr. Jaeger
und des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen findet nicht um 13, sondern um 15 Uhr statt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zur
Fragestunde
- Drucksachen VI/415, VI/442, VI/446 Zunächst die Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Anwesend ist Herr Bundesminister Genscher. Ich rufe zuerst die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Josten aus Drucksache VI/442 auf:
Welche Sofortmaßnahmen zur Behebung der großen Hochwasserschäden in der Bundesrepublik Deutschland will die Bundesregierung mit den betroffenen Ländern vereinbaren?
Zur Unterstützung der örtlichen Kräfte der Kommunen und der Länder sind vom Bund Einheiten des Technischen Hilfswerks sowie Bundesgrenzschutz und Bundeswehr bei der Abwehr und Milderung der Hochwasserschäden im gesamten Katastrophengebiet eingesetzt. Schwerpunkte sind die Räume Donau, Main, Rhein und Ruhr. Genügend Hilfskräfte einschließlich Reserven stehen bereit oder können schnell herangeführt werden. Die Länder sind über die Bereitstellungen unterrichtet und auf die Möglichkeit hingewiesen worden, die zusätzlichen Bundeskräfte zur Bekämpfung der Gefahren einschließlich der Aufräumungsarbeiten anzufordern.
Das Technische Hilfswerk ist angewiesen worden, sich besonders mit der Verhütung oder Bekämpfung von Schäden durch auslaufendes Öl und mit der Sicherung der Ölbrenner sowie ihrem Wiedereinbau zu befassen. Bei Rückgang der Flut soll sich das THW auch an der Beseitigung von Verkehrshindernissen und Versorgungsschwierigkeiten, bei der Wiederherstellung der Gas-, Wasser- und Elektrizitätsnetze sowie bei Aufräumungsarbeiten beteiligen. Entsprechende Vorsorgmaßnahmen sind beim Technischen Hilfswerk getroffen. Mein Haus hat zusätzliche Haushaltsmittel für den Einsatz des Technischen Hilfswerks zur Verfügung gestellt. Der Einsatz dauert noch an.
Im übrigen darf ich zur Hochwasserlage bemerken: Nach den beim Bundesverkehrsministerium eingegangenen Meldungen der nachgeordneten Stellen ist kein weiterer Anstieg des Hochwassers mehr zu befürchten. In vielen Katastrophengebieten, so insbesondere am Ober- und Niederrhein, zeichnet sich bereits eine leicht fallende Tendenz des Wasserstandes ab. Da nach den Wetterprognosen für die nächsten Tage Abkühlung zu erwarten ist, wird sich diese Tendenz weiter verstärken. Ich hoffe daher, daß sehr bald mit der Behebung der Hochwasserschäden begonnen werden kann.
Umfang und Einzelheiten der Hochwasserschäden und die Höhe der zur Wiederherstellung erforderlichen Mittel sind noch nicht überschaubar. Für den Ausgleich von Katastrophenschäden sind in erster Linie Länder und Kommunen zuständig. Nach einem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 16. Dezember 1960, der hier entsprechend gilt, kommt analog der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern die Beteiligung des Bundes an Hilfsmaßnahmen bei Naturkatastrophen subsidiär dann in Frage, wenn dem einzelnen Land eine ausreichende Hilfeleistung nicht zugemutet werden kann oder im Einzelfall die Existenz der Betroffenen gefährdet ist.
Zur Feststellung dieses Tatbestandes habe ich mich gestern an die Innenminister der hauptsächlich betroffenen Länder gewandt und um Mitteilung von Einzelheiten gebeten. Die Bundesregierung wird sodann unverzüglich konkret prüfen, welche Hilfe nötig und unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze möglich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Minister, werden Sie bei den Verhandlungen mit den Ländern sicherstellen, daß zuerst den am schwersten betroffenen Gebieten Hilfe zuteil wird?
Ganz zweifellos.
Herr Minister, wenn ich noch eine Frage bezüglich Ihrer Mitteilung über die Wetternachrichten stellen darf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Nachrichtendienst in den Hochwassergebieten nicht immer zutreffend war und die Hochwasserfluten schneller, als von den Experten errechnet, kamen, wodurch natürlich auch die Schäden größer wurden?
Derartige Probleme sind niemals ganz auszuschließen, Herr Kollege. Aber wir bemühen uns, sie soweit wie möglich auszuschließen.
Bitte schön, noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie haben eben zum Schluß anklingen lassen, daß die Bundesregierung bereit ist, irgendwelche Maßnahmen zur Hilfe für die Geschädigten zu ergreifen. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, im Kabinett vielleicht dafür einzutreten, daß den geschädigten Betrieben ein Pauschbetrag für nicht nachzuweisende Schäden - z. B. am Gemäuer oder an den Einrichtungen - zum Abzug bei der Steuer zugebilligt und Erleichterungen in bezug auf Steuervorauszahlungen gewährt werden?
Herr Kollege, welche Maßnahmen im Einzelfall und für bestimmte Regionen die wirksamsten sind, kann erst entschieden werden, wenn die von mir angeforder1670
ten Berichte der Innenminister der hauptsächlich betroffenen Bundesländer vorliegen.
Ich rufe die Dringliche Mündliche Frage Nr. 2 des Herrn Abgeordneten Baier aus Drucksache VI/446 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Benehmen mit den betroffenen Ländern, die in den letzten Tagen insbesondere im süddeutschen Raum entstandenen katastrophalen Hochwasserschäden, welche Millionenverluste an Privat- und Gemeindevermögen verursachten, durch finanzielle Hilfe tatkräftig und beschleunigt zu lindern?
Ich habe zur Frage des Herrn Kollegen Josten 'schon ausgeführt, daß ich das Erforderliche veranlaßt habe, um prüfen zu können, welche Leistungen im Rahmen des von diesem Hohen Hause festgelegten Grundsatzes der subsidiären Hilfe durch den Bund nötig und möglich sind. Ich darf Ihnen versichern, daß diese Prüfung in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern beschleunigt durchgeführt wird mit dem Ziel, die Not tatkräftig zu lindern. Es gilt auch hier der Grundsatz: Wer schnell hilft, hilft doppelt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Bundesminister, angesichts der Größenordnung der Schäden, die man mit den anderen im letzten Jahrzehnt kaum vergleichen kann, möchte ich Sie fragen, ob nicht eben dadurch eine neue Situation entstanden ist, die den seinerzeitigen Beschluß dieses Hauses in diesem Punkte doch zu revidieren Anlaß gäbe?
Herr Kollege, die Tatsache, daß ich von mir aus schon an die Innenminister herangetreten bin, um mir die notwendigen Unterlagen zu verschaffen, mag Ihnen zeigen, daß in meinem Hause ernsthaft geprüft wird, ob nicht schon der Tatbestand der notwendigen subsidiären Hilfe gegeben ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Darf ich Sie noch fragen, Herr Bundesminister, ob Sie meine Auffassung teilen, daß es zweckmäßig und geboten wäre, zur beschleunigten Schadenserfassung und Hilfeleistung einen interministeriellen Ausschuß einzusetzen, da ein solcher doch die verschiedensten Bereiche umfaßt?
Ich habe keinen Zweifel, daß wir dazu kommen werden, wenn die Meldungen vorliegen und sich die Schäden in der Größenordnung herausstellen, wie ich sie leider befürchten muß.
Es gibt jetzt noch zwei weitere Dringliche Fragen zu den Hochwasserschäden. Herr Bundesminister, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie damit eiverstanden wären, daß die
dritte an Sie gerichtete Dringlichkeitsfrage später kommt.
Ich rufe dann die Dringliche Mündliche Frage Nr. 1 dies Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 'aus Drucksache VI/446 auf:
Welche Sofortmaßnahmen wird die Bundesregierung zugunsten der hochwassergeschädigten Gebiete, vor allem für die Landwirtschaft und hier wieder speziell für die Intensivbetriebe, durchführen?
Bitte schön, Herr Minister Ertl!
Herr Kollege, in Ergänzung zu dem, was Herr Kollege Genscher gerade auf 'zwei Fragen geantwortet hat, darf rich Ihnen mitteilen, daß sich das Bundeskabinett in der heutigen Sitzung ,bereits mit dem Problem befaßt hat und daß sich die Bundesregierung, sobald die Länderberichte vorliegen, unverzüglich mit Hilfsmaßnahmen befassen wird.
Das ist der Beschluß der heutigen Kabinettsitzung, denn wir alle ,stehen, ohne bereits jetzt das Ausmaß der Schäden im .einzelnen beurteilen zu können, unter dem unmittelbaren Eindruck der Überschwemmungen, von denen die Bevölkerung weiter Regionen des Bundesgebietes in den letzten Tagen betroffen wurde.
Besonders zu bedauern ist es, daß durch diese Ereignisse Menschen ums Leben gekommen sind. Aber auch die wirtschaftlichen Schäden, die vor allem in weiten Teilen der Landwirtschaft und im Gartenbau bestimmter Gebiete eingetreten sind, stellen .die Betroffenen vor schwierige ,Probleme.
Die Bundesregierung ist - und darauf hat der Kollege Genscher schon hingewiesen - bemüht, möglichst schnell die Schäden zu erfassen und dann ,gegebenenfalls die Hilfsmaßnahmen einzuleiten, wobei sicherlich davon auszugehen ist, daß vordringlich geprüft werden muß, wo es sich um Fälle der Existenzgefährdung handelt.
Ich selbst habe für meinen Bereich durch Fernschreiben bereits die Berichte angefordert. Ich hoffe, daß wir dann auf Grund der vorliegenden Berichte unverzüglich .gemeinsam rim Parlament entsprechende Hilfsmaßnahmen beschließen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, wenn ich Sie richtig verstehe, teilen Sie mit Herrn Bundesminister Genscher und offenbar auch mit den Fragestellern die Auffassung, daß hier eine Katastrophe vorliegt, wie sie zumindest seit einem Jahrzehnt glücklicherweise nicht mehr zu verzeichnen war. Teilen Sire meine Meinung, daß der Beschluß des Bundestages von damals tatsächlich insoweit überprüft werden muß und daß die Bundesregierung vielleicht von sich aus ein Angebot für einen ersten Katastrophenfonds an idle Länder macht?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, über dien heutigen Beschluß des Bundeskabinetts hinauszugehen, denn zunächst muß ich das Ausmaß der Schäden und .den Umfang der nötigen Hilfsmaßnahmen kennen. Dann wird es sicherlich notwendig sein, gemeinsam mit den Ländern eine Lösung zu finden, gegebenenfalls auch gemeinsam mit diesem Hohen Haus.
Eine zweite Zusatzfrage. des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, da das Ausmaß der Schäden zweifellos sehr groß ist - und das kann man unabhängig von den Berichten, ,die Sie erwarten, schon sagen -, sehen Sie nicht eine Möglichkeit, eine Sofortmaßnahme Ihres Hauses vor allen Dingen zugunsten der Betriebe mit Sonderkulturen zu erwägen?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich bin gerne bereit, eine Sofortmaßnahme zu ergreifen, glaube aber, bei der Unterschiedlichkeit der Schäden wird eine globale Sofortmaßnahme keine Wirkung haben. Ich muß möglicherweise die Schäden individuell beseitigen helfen bzw. die Hilfsmaßnahmen sehr individuell gestalten, und daher fürchte ich, daß ich kaum in der Lage bin, sozusagen global etwas zu machen. Das kann ich erst an Hand der vorliegenden Berichte beurteilen. Ich sehe mich zur Zeit außerstande, mir ein klares Bild darüber zu machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Minister, wären Sie angesichts der großen Hochwasserschäden bereit, im Kabinett dafür einzutreten, daß die Schadensfeststellung nicht so kompliziert erfolgt, daß viele Bürger von einer Antragstellung zurückschrecken?
Herr Kollege Josten, ich bin gerne dazu bereit, ich glaube aber, daß das eine Frage ist, die in den Landtag gehört, weil die Länderregierungen einschließlich der kommunalen Behörden für die Schadensermittlung zuständig sind. Ich sehe mich außerstande, bei der mir eigenen föderativen Grundeinstellung Anweisungen zu geben. Ich möchte nicht in den Geruch kommen, ein Zentralist zu sein, so leid es mir für die Betroffenen tut, das möchte ich auch hinzufügen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke.
Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß die Bundesregierung in der Lage ist, sich über gültige Feststellungen des Bundestages
hinwegzusetzen, ohne vorher die nötigen Grundlagen dafür zu haben.
Nein, Herr Dr. Rutschke. Ich habe bereits in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß es notwendig sein wird, gemeinsam mit dem Hohen Haus zu einer neuen Klärung des Beschlusses zu kommen. Ich würde meinen Auftrag überschreiten, wenn ich mich, ohne das Hohe Haus zu fragen, über seine Beschlüsse hinwegsetzte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler.
Herr Bundesminister, werden Sie in die Regulierung dieser Schäden auch erhebliche Schäden an Teichwirtschaft und in der Forstwirtschaft einbeziehen?
Ich werde sicherlich dafür sorgen, soweit es in meinen Kräften steht, soweit ich die Möglichkeiten und die Mittel habe, alle Schäden gleichmäßig zu behandeln.
Keine weitere Zusatzfrage. - Herr Josten, Sie haben schon eine gehabt. - Vielen Dank, Herr Minister Ertl.
Ich rufe die dringliche Frage des Abgeordneten Josten aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr aus Drucksache VI/442 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, mit den Ländern am Rhein und mit der Internationalen Rheinschiffahrts-Zentralkommission zu vereinbaren, daß zur Verhinderung von noch größeren Schäden das Fahrverbot für die Rheinschiffahrt aufrechterhalten wird, bis der Pegelstand wieder auf 7 m zurückgegangen ist?
Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Börner anwesend.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, einer Vereinbarung zwischen den Ländern am Rhein, der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt und der Bundesregierung bedarf es nicht. Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung hat ohne weiteres die Möglichkeit, durch schiffahrtspolizeiliche Anordnungen ein allgemeines Fahrverbot zu erlassen, wenn dies notwendig ist. Die Wasser- und Schiffahrsdirektionen werden angewiesen, die Rheinstrecke zu überprüfen und erforderlichenfalls ein solches Fahrverbot auszusprechen.
Wenn die Hochwassermarke II überschritten ist, gilt ein allgemeines Schiffahrtsverbot. Diese Hochwassermarke ist von den Rheinuferstaaten in der Rheinzentralkommission festgelegt. Die Marke schwankt je nach den örtlichen Stromverhältnissen und der Wassertiefe für die einzelnen Abschnitte des Rheins zwischen 5 m bei Bingen und 11,30 m in Duisburg-Ruhrort.
Ich möchte noch hinzufügen, Herr Kollege, daß Herr Minister Leber heute morgen in einem Inspektionsflug das Überflutungsgebiet besichtigt hat
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
und die Anordnung erlassen hat, daß unbeschadet der Bestimmungen des § 54 der Rheinschiffahrtspolizeiverordnung die Höchstgeschwindigkeit der Talfahrer auf dem Rhein gegenüber dem Ufer nicht mehr als 20 km/h betragen darf, solange der Wasserstand die Marke I noch überschreitet. Ich nehme an, daß damit Ihre Bedenken ausgeräumt sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie trotzdem fragen, ob Ihr Ministerium nicht bereit ist, mit allen für die Rheinschiffahrt zuständigen Stellen in Verbindung zu treten, damit die Höchstmarken bei Hochwasser neu festgesetzt werden, weil die noch heute zum Teil geltenden Bestimmungen von vor zirka 50 Jahren sind, als nur ab und zu ein Schleppzug den Rhein befuhr.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich darf insoweit auf die Antwort der Bundesregierung in der Drucksache vom 5. Januar 1967 verweisen. Damals ist Ihnen und einigen anderen Kollegen des Hohen Hauses erläutert worden, welche besonderen Gesichtspunkte dieser gesamte Komplex umfaßt. Die Sachlage hat sich seitdem nicht geändert. Sie können aber sicher sein, daß Beschädigungen der Ufer und der Grundstücke durch die getroffenen Anordnungen bzw. durch die Möglichkeit der Einführung des Schiffahrtsverbots vermieden werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kehren zurück zum Bereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die Dringliche Frage des Herrn Abgeordneten Kiep aus Drucksache VI/442 auf:
Hält die Bundesregierung es angesichts der um sich greifenden Gewalttätigkeit ausländischer politischer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht nur das Leben von Menschen gefährdet, sondern auch die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten beeinträchtigen kann, für zweckmäßig, Angehörigen von ausländischen politischen Organisationen, deren Zielsetzung die Anwendung von Gewalt mitbeinhaltet, die öffentliche politische Betätigung zu untersagen?
Herr Kollege, eine politische Betätigung kann Ausländern untersagt werden, die Gewalttätigkeiten begehen oder andere zu ihrer Begehung aufhetzen. Der Erlaß von Verboten politischer Betätigung wie auch .weitergehende ausländerrechtliche Maßnahmen, wie etwa Ausweisung oder Abschiebung, fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der Ausländerbehörden der Länder. Die Bundesregierung hält es in der Tat für erforderlich, daß von diesen gesetzlichen Möglichkeiten jedenfalls in gravierenden Fällen auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird. Voraussetzung ist dabei, daß dem einzelnen Ausländer selbst rechtswidrige Handlungen nachgewiesen werden können.
Die Bundesregierung ihrerseits hat eine Reihe von Maßnahmen getroffen oder eingeleitet, die ein weiteres Überhandnehmen von Gewalttätigkeiten durch Ausländer unterbinden sollen. Ich habe am Dienstag dieser Woche mit den Innenministern der Länder über einige organisatorische und rechtliche Möglichkeiten gesprochen. Insbesondere geht es uns darum, die Ausländer schärfer als bisher zur Einhaltung ihrer Meldepflichten anzuhalten und die im Gesetz gebotenen Maßnahmen auch wirklich anzuwenden, wenn diese Meldepflichten versäumt oder mißachtet werden. Nur dann wird es möglich sein, die Ausländerzentralkartei beim Bundesverwaltungsamt auf dem letzten Stand zu halten und bei der Überwachung mit heranzuziehen.
Um diese Zentralkartei den Polizeibehörden der Länder und auch denen des Bundes schnell und für bestimmte Fälle geeignet zur Verfügung zu stellen, habe ich angeordnet, daß beim Bundesverwaltungsamt ein Computer angeschafft wird, in den die Daten eingespeichert werden, damit sie nach Nation und Region jederzeit abgerufen werden können.
Darüber hinaus beabsichtige ich - ich habe das auch den Herren Innenministern der Länder bei dieser Besprechung mitgeteilt -, sicherzustellen, daß durch eine Erweiterung der gesetzlichen Grundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz die vorbeugende Überwachung militanter ausländischer Organisationen .auf 'deutschem Boden erweitert und intensiviert werden kann. Weitere Möglichkeiten einer wirksameren Anwendung der ausländerrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Frage der Gleichbehandlung und .der gleichen Beurteilung politischer Tätigkeiten von Ausländern, sollen in der nächsten Besprechung mit den Innenministern der Länder, wie jetzt in Bonn vereinbart, erörtert werden.
Ich darf hinzufügen, daß diese Maßnahmen,-über die wir übereingekommen sind und die wir ergreifen wollen, zugleich sicherstellen sollen, daß wirklich diejenige kleine Minderheit von Ausländern auf deutschem Boden, die gegen unsere Gesetze verstößt, erfaßt werden kann, 'und damit auch vor der Öffentlichkeit klargestellt wird, daß sich der weitaus größte Teil der Ausländer, der sich auf deutschem Boden aufhält, im Rahmen unserer Gesetze bewegt.
Im übrigen herrschte bei der Zusammenkunft mit den Innenministern der Länder völlige Übereinstimmung hinsichtlich der Entschlossenheit der Bundesregierung und -der Landesregierungen, alles zu tun, damit die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einem Tummelplatz krimineller und militanter Ausländergruppen wird.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiep.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob bei den Besprechungen, -die bisher mit den Innenministern der Länder stattgefunden haben, festgestellt werden konnte, daß auch dort die BereitKiep
schaft zu einer weitergehenden Kooperation mit der Bundesregierung besteht.
Herr Kollege, nicht nur bei meinem Besuch in München, sondern auch jetzt in der Zusammenkunft der Innenmainister habe ich es als besonders positiv empfunden, daß ein hohes Maß an Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Länder untereinander und mit dem Bund vorhanden ist. Das wird z. B. in dem Umstand deutlich, daß erstmalig auch der Innenminister eines Landes, nämlich der hessische Innenminister, eine Einheit des Bundesgrenzschutzes zu Sicherungsaufgaben auf dem Rhein-Main-Flughafen angefordert hat.
Ich möchte hinzufügen, daß ich bei den Herren Innenministern der Länder auch Verständnis für meine Vorstellung gefunden habe, die Rechtsgrundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz zu erweitern. In dem dort zum Ausdruck kommenden Verständnis sehe ich ein positives Zeichen eines kooperativen föderalistischen Geistes.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Minister, glauben Sie, daß bei den Ländern, den Landesverfassungsschutzämtern und beim Bundesverfassungsschutz die personellen und sachlichen Voraussetzungen gegeben sind, um diese Aufgaben, die hier zusätzlich auf sie zukommen, zu erledigen?
Die Rechtsgrundlage für die Verfassungsschutzämter der Länder ist unterschiedlich extensiv oder intensiv geregelt. Personell sind erhebliche Probleme vorhanden. Das gilt für den Bund wie für die Länder. Ich habe nach meinem ersten Besuch beim Bundesamt in Köln - das war im .November 1969 - den Auftrag gegeben, das Vorhandensein eines personellen Schwerpunkts gerade in diesem Bereich schon im Rahmen der jetzt bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu prüfen. Wir werden im Rahmen der Verstärkungen, die uns beim Verfassungsschutzamt möglich sind, dafür Sorge tragen, daß dann auch personell alles zur Verfügung steht, um die Kompetenzen, von denen wir hoffen, daß sie mit Zustimmung des Hohen Hauses bald geschaffen werden können, auch ausfüllen zu können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Bundesminister, werden Sie bei Ihren zukünftigen Überlegungen und Maßnahmen eine besondere Aufmerksamkeit auch auf jene Organisationen richten, die, mit der Diktatur in Griechenland sympathisierend, von Athen gesteuert, finanziert und moralisch unterstützt, in der Bundesrepublik auf hier arbeitende Griechen einen physischen und psychischen Terror im Interesse der Diktatur .ausüben?
Es kann keine Gruppe, die als militant zu bezeichnen ist und die mit terroristischen Mitteln, mit dem Mittel der Gewalt oder mit der Drohung von Gewalt, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorgeht, ausgeschlossen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kempfler.
Werden Sie, Herr Bundesminister, auch die Möglichkeiten des von uns vor einigen Jahren einstimmig beschlossenen Vereinsgesetzes gegen solche Organisationen anwenden, das für das Vorgehen weniger Voraussetzungen festlegt als bei Einzelpersonen, bei denen z. B. schon der Nachweis einer Betätigung oder einer Tendenz in 'verfassungsfeindlicher oder krimineller Richtung genügt?
Auch das Vereinsgesetz muß mit einbezogen werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kliesing.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf die Vorfälle auf deutschen Flugplätzen alle jene Vorbeugungsmaßnahmen anzuwenden - beispielsweise Identifizierung der Fluggäste -, welche den Regierungen auf Grund einer Enquete von Interpol empfohlen worden sind?
Ich darf sagen, daß wir in den Gesprächen mit den Innenministern der Länder und im Rahmen der Bundesregierung die Ergreifung genau dieser Maßnahmen erwägen.
Herr Minister, würden Sie dann bitte in diesen Gesprächen darum besorgt sein, daß die Identifizierung der Fluggäste dort, wo sie auf deutschen Flugplätzen stattfindet, sinnvoll durchgeführt wird? Ich selbst habe vorgestern noch die Erfahrung gemacht, daß die Identifizierung und die Aushändigung der Bordkarte 'durch die betreffende Luftfahrtgesellschaft zwar stattfand, es aber infolge (des Fehlens jeglicher Paßkontrolle durchaus möglich gewesen wäre, mit den ausgehändigten Bordkarten Mißbrauch zu treiben, indem man sie anderen Personen übergibt.
Wir bemühen uns, jede vorhandene Lücke gerade in diesem Bereich zu schließen. Ich habe für die Kontrollmaßnahmen auf den Flugplätzen - es geht jetzt nicht um die Personenkontrolle, sondern um die ebenso wichtige Gepäckkontrolle - dem Herrn Bundesminister der Finanzen angeboten, dafür, falls die Kräfte des Zolls dazu nicht ausreichen, ebenfalls Beamte des Bundesgrenzschutzes einzusetzen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Herrn Minister Genscher.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde anwesend.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Brück aus Drucksache VI/415 auf:
Was ist bis jetzt geschehen, um die im Aktionsprogramm Saarland-Westpfalz vorgesehene „gleichlaufende bzw. zeitlich vorgezogene Anpassung der Ausbildung von Arbeitskräften an die veränderten Arbeitsmarktbedingungen" zu verwirklichen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Nach dem Aktionsprogramm Saarland-Westpfalz sollen an zentralen Plätzen im Einzugsbereich der wichtigen Industrieorte des Saarlandes Berufsausbildungszentren errichtet werden. Ich bin mit Ihnen, Herr Kollege, der Auffassung, daß bei der Art der Ausbildung nicht nur die heutigen, sondern auch die künftigen Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden sollen. Überall, wo die Bundesregierung Gelegenheit hat, ihre Auffassung zur Geltung zu bringen, wird sie in einer solchen Weise verfahren.
Soweit wir unterrichtet sind, sollen erste bauliche Maßnahmen für Ausbildungszentren in diesem Jahr in Völklingen, Dillingen, Homburg und Saarlouis beginnen. Aus dem Aktionsprogramm sind dafür entsprechende Mittel bereitgestellt worden. Eis bemüht sich vor allem auch die Bundesanstalt für Arbeit darum, den Auf- und Ausbau moderner beruflicher Bildungseinrichtungen zu fördern. Es liegen bereits sieben Anträge vor; über die Förderung von fünf weiteren Projekten wird zur Zeit mit dem zuständigen Landesarbeitsamt verhandelt.
Ich darf noch einmal, Herr Kollege, unterstreichen, daß bei der Art der Ausbildung auf den Bedarf, der sich aus ,den Veränderungen der Wirtschaftsstruktur ergibt, Rücksicht genommen werden sollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück.
Da Sie, Herr Staatssekretär, darauf hingewiesen haben, daß auf künftige Industrien Rücksicht genommen werden soll, darf ich Sie fragen, ob das bedeutet, daß Sie der Auffassung sind, daß im Saarland auch überbetriebliche Ausbildung notwendig ist.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, das möchte ich hier unterstreichen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 24 des Abgeordneten Zebisch auf:
Wird die Bundesregierung darauf hinarbeiten, daß die Altersgrenzen in der Sozialversicherung für Verfolgte des Nationalsozialismus herabgesetzt werden?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom 24. Februar 1970 lautet:
Die Bundesregierung prüft gegenwärtig, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, für alle Rentenversicherten eine flexible Altersgrenze einzuführen. Darum ist davon abgesehen worden, im Vorgriff auf eine allgemeine Regelung in Einzelgesetzentwürfen Vorschriften über die vorzeitige Gewährung des Altersruhegeldes aufzunehmen.
Wie die flexible Altersgrenze gesetzlich gestaltet werden soll, ist zur Zeit Gegenstand eingehender Untersuchungen in meinem Haus. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich erst nach Abschluß dieser Vorarbeiten nähere Angaben über die vorgesehene Regelung machen kann. Es ist sicher, daß in eine solche Regelung auch die Verfolgten des Nationalsozialismus einbezogen werden.
Die Frage 25 des Abgeordneten Zebisch ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen dann zur Frage 26 des Abgeordneten Dr. Haack. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich komme nunmehr zur Frage 27 des Abgeordneten Dr. Probst. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Es folgt die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack, die zwischengeschoben worden ist. - Da der Herr Abgeordnete nicht im Saal ist, wird diese Frage ebenfalls schriftlich beantwortet.
Schönen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Damit kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. - Anwesend ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal.
Die Frage 79 des Abgeordneten Peters ({0}) wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist.
Ich komme dann zu den Fragen 80 und 81 des Abgeordneten Wende. - Da der Fragesteller nicht im Saal ist, werden auch diese Fragen schriftlich beantwortet.
Ich rufe nunmehr die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ({1}) auf:
Liegt der Bundesregierung der kürzlich von der World Health Organization angekündigte ausführliche Erfahrungsbericht über Trinkwasserfluoridierung vor, der von 28 Wissenschaftlern aus 11 Ländern Beiträge enthalten soll?
Der Abgeordnete ist im Saal. Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Frau Präsidentin, ich bitte, beide Fragen des Herrn Abgeordneten zusammengefaßt beantworten zu dürfen.
Bitte schön. Ich rufe dann auch die Frage 83 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) auf:
Haben die bisher veröffentlichten Berichte die Behauptungen bestätigen können, daß die Karies in den 33 Ländern mit rund 120 Millionen Menschen, die bereits die Fluoridierung des Trinkwassers durchführen, deutlich zurückgedrängt wurde und daß außerdem keinerlei Nebenwirkungen, Erkrankungen oder Todesfälle dabei bislang auftraten?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Der von der WHO angekündigte ausführliche Erfahrungsbericht über die Trinkwasser-Fluoridierung liegt der Bundesregierung noch nicht vor. Nach Auskunft der WHO wird der Bericht als Monographie Mitte dieses Jahres erscheinen. Erst dann kann nach Prüfung auch die zweite Frage beantwortet werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt.
Ist von der Bundesregierung überhaupt geplant, eine Fluoridierung des Trinkwassers oder eine Anreicherung des Kochsalzes, das verkauft wird, vorzunehmen, um eine Fluoridierung auf diesem Wege zu erreichen, wie es die Schweiz seit Jahren praktiziert?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin nicht in der Lage, Ihnen dazu jetzt eine Auskunft dahin zu geben, daß in dieser Hinsicht schon feste Pläne bestehen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen anschließend schriftlich Antwort darauf zu geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zu prüfen, ob das in Ihrem Ministerium im vergangenen Jahr stattgefundene Anhörverfahren und Kolloquium über diese Frage zu einer allmählich doch wohl fälligen endgültigen Beurteilung der Situation geführt haben könnte?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin selbstverständlich gern bereit, dies schnell nachzuprüfen und Ihnen dann eine Antwort darauf zukommen zu lassen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 84 des Abgeordneten Dr. Schwörer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Maße in ländlichen Gebieten die fachärztliche Versorgung der Bewohner durch Kinder- und Augenärzte gewährleistet ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Schwörer, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Versorgung der Landbevölkerung durch praktische Ärzte mancherorts auf Schwierigkeiten stößt. Hierzu haben sowohl der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als auch ich in dieser und in der vergangenen Legislaturperiode mehrmals Stellung genommen. Darüber, daß auch die fachärztliche Versorgung der Bevölkerung durch Kinder- und Augenärzte in ländlichen Gebieten nicht gewährleistet sein soll, liegen bei den beteiligten Ressorts keine Unterlagen vor. Falls Sie, Herr Kollege, mir Fälle nennen können, wo die fachärztliche Versorgung auf den genannten Gebieten nicht mehr gewährleistet ist, bin ich gern bereit, in Zusammenarbeit mit dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und den zuständigen Länderministern zu prüfen, welche Maßnahmen zur Abstellung dieses Zustands getroffen werden können.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneter Dr. Schwörer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, etwa im Rahmen von ERP-Krediten oder durch steuerliche Begünstigung, für Augen-, Kinder- und Zahnärzte Anreize zu schaffen, sich in fachärztlich unterversorgten Gebieten niederzulassen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Soweit Ihre Frage die finanzielle Förderung im Rahmen des ERP-Haushalts betrifft, darf ich auf die Antwort hinweisen, die Herr Staatssekretär Rohde in der Fragestunde vom 21. Januar 1970 auf die Frage des Kollegen Jung gegeben hat. Herr Staatssekretär Rohde hatte die Absicht der Bundesregierung angekündigt, im Rahmen der Finanzierungshilfe für Angehörige der freien Berufe durch eine Änderung der Zinsverbilligungsrichtlinien vor allem die Gründung von Praxen, an deren Leistungen ein dringlicher Bedarf besteht, insbesondere der auch dringlich zu besetzenden Kassenarztstellen, bevorzugt zu fördern. Steuererleichterungen können allerdings kein geeignetes Mittel sein, die mit der Niederlassung von Fachärzten in ländlichen Gebieten verbundenen Probleme in befriedigender Form zu lösen. Überdies wäre eine steuerliche Sondermaßnahme für einen eng begrenzten Personenkreis unter dem Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere deshalb, weil in ähnlich gelagerten Fällen entsprechende Vergünstigungen nicht versagt werden könnten, wenn man so vorgeht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß Sie mit den Kultusministern der Länder darüber ein Gespräch führen, ob bei der Zulassung von Abiturienten zum Medizinstudium Kinder von Landärzten bevorzugt zugelassen werden könnten, ob also solche Fälle im Rahmen des Punktsystems, das beim Numerus clausus eingeführt worden ist, besonders bevorzugt bedient werden könnten?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Um hier nicht neue Bevorzugungen leichtfertig für verschiedene, möglicherweise berechtigte Anliegen zuzusagen, möchte ich Ihnen hier nur sagen, daß ich bereit bin, darüber mit dem für diesen Kontakt zuständigen Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ein Gespräch zu führen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Hat die Bundesregierung inzwischen, wie in der Beantwortung der Kleinen Anfrage betreffend Querschnittgelähmte ({0}) Möglichkeiten geprüft und bei den Landesregierungen Schritte unternommen, um die exakte Zahl der Querschnittgelähmten in unserem Land zu ermitteln?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Meinecke, die Bundesregierung hat inzwischen die Möglichkeiten geprüft, die exakte Zahl der Querschnittgelähmten in der Bundesrepublik Deutschland festzustellen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Ermittlung des jährlichen Zugangs und des Bestandes an Querschnittgelähmten. Zur Erfassung der frischverletzten Querschnittgelähmten ist das Bundesministerium.für Jugend, Familie und Gesundheit inzwischen an die obersten Gesundheitsbehörden der Länder mit der Bitte herangetreten, für das Jahr 1969 durch eine retrospektive Erhebung in allen Krankenhäusern die Patienten mit frisch entstandenen Querschnittlähmungen zu ermitteln. Es ist vorgesehen, eine gleichartige Erhebung zu gegebener Zeit auch für das Jahr 1970 durchzuführen.
Wie bereits in der Antwort der Bundesregierung vom 28. Februar 1969 zum Ausdruck gebracht wurde, ist die Erfassung des Bestandes an Querschnittgelähmten außerordentlich schwierig, weil über die Leistungsträger nur ein Teil dieses Personenkreises zu ermitteln ist. Auch in den zwischenzeitlich geführten Ressortbesprechungen mit dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Vertretern des Bundesgesundheitsamtes, des Statistischen Bundesamtes und namhaften Sachverständigen kamen die Schwierigkeiten der Erfassung des Bestandes an Querschnittgelähmten zum Ausdruck. Unter den erörterten Möglichkeiten erschien den Beteiligten zunächst die Durchführung einer regionalen Feldstudie angebracht. Dabei soll von allen zugänglichen Unterlagen, d. h. von den Unterlagen aller Stellen, die den Querschnittgelähmten in irgendeiner Form Hilfe leisten, ausgegangen werden. Eine enge Zusammenarbeit mit allen Leistungsträgern ist hierfür Voraussetzung. Außerdem wird Wert darauf zu legen sein, insbesondere isoliert lebende Querschnittgelähmte zu ermitteln. Für diese Erhebung wird man sich in bestimmten Grenzen auch der Öffentlichkeitsarbeit bedienen müssen.
Es ist beabsichtigt, Herr Kollege, mit dieser Regionalerhebung noch im Jahre 1970 zu beginnen. Nach Vorliegen der Ergebnisse dieser Studie soll die Möglichkeit einer solchen Erhebung auf Bundesebene geprüft werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke.
Herr Kollege Westphal, entspricht es den Tatsachen, daß es durch
den weiten Vorsprung der Berufsgenossenschaft in der Bereitstellung von entsprechenden Betten für ihren Versichertenkreis und durch das Hinterherhinken anderer Versicherungsträger gewissermaßen Querschnittgelähmte erster und zweiter Klasse gibt und daß bei den Gelähmten zweiter Klasse enorm lange Wartezeiten bis zu einer eventuell notwendigen Krankenhausaufnahme zu erleiden sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich bin leider nicht in der Lage, Herr Kollege Dr. Meinecke, diese Frage unmittelbar zu beantworten. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen eine Antwort schriftlich mitzuteilen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß die von mir zitierte Arbeit aus wissenschaftlich exakten Analysen besteht und wir also von einem katastrophalen Mangel an etwa 2000 Betten in der Bundesrepublik ausgehen können? Darf ich Sie fragen, ob die möglicherweise geplante oder sich in Vorbereitung befindliche gesetzliche Regelung einer Krankenhausfinanzierung gemeinsam mit den Ländern Möglichkeiten eröffnet, um die dergestalt unterrepräsentierten medizinischen Fachdisziplinen vordringlich mit Hilfsmaßnahmen zu begünstigen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich glaube, daß ich Ihnen das zusagen kann, zumal Untersuchungen vorliegen, .aus denen sich die Zahl der erforderlichen, also neu zu errichtenden Betten ergibt. Allerdings werden unterschiedliche Zahlen genannt. Ich glaube, Ihre nächste Frage bezieht sich noch auf dieses Thema.
Keine Zusatzfrage hierzu.
Dann rufe ich die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Sind der Bundesregierung die letzten wissenschaftlichen Arbeiten ({0}) bekannt, nach denen wir schätzungsweise von einem Bedarf an Behandlungsplätzen für Querschnittgelähmte in der Größenordnung von 2400 auszugehen haben, gegenüber einem Bestand von etwa 600 Plätzen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Der Bundesregierung sind die wissenschaftlichen Arbeiten über die Möglichkeiten der Behandlung von Querschnittgelähmten, insbesondere die im Deutschen Ärzteblatt Nr. 6 vom 7. Februar 1970 von Herrn Dr. Meinecke, durchaus bekannt.
In der Zwischenzeit hat sich der Ausschuß „Gesundheitsvor- und -fürsorge" des Bundesgesundheitsrates unter Hinzuziehung namhafter Sachverständiger mit folgender Frage befaßt:
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
Welche Maßnahmen sind zur Intensivierung der medizinischen Versorgung und Rehabilitation Querschnittgelähmter notwendig?
Dieser Ausschuß hat dabei auch den Bedarf an Behandlungsplätzen für Querschnittgelähmte sehr eingehend erörtert und für die Verabschiedung in der Vollversammlung des Bundesgesundheitsrates am 5. März - also in der nächsten Woche - u. a. einen Votumvorschlag erarbeitet, dem ein Gesamtbedarf von mindestens 1600 klinischen Behandlungsplätzen in Spezialabteilungen zugrunde liegt. Während Sie, Herr Kollege, in Ihrer Anfrage von einem Fehlbestand von 1800 Behandlungsplätzen ausgehen, hält der Bundesgesundheitsrat dagegen die Erstellung von zusätzlichen 1100 Betten in Spezialeinrichtungen für notwendig. Sie mögen daraus ersehen, daß sowohl bei den Angaben über die Zahl der Querschnittgelähmten als auch über den Bedarf an Spezialbehandlungsplätzen nur Schätzungen vorliegen, die vorerst noch voneinander abweichen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, anläßlich des Beschlusses im Bundesgesundheitsrat, der dann gefällt werden muß, darauf aufmerksam zu machen, daß unabhängig von der Gesamtzahl der zu erstellenden Behandlungsplätze eine wesentliche Bedeutung noch dem Problem zukommt, inwieweit regional erhebliche zusätzliche Unterrepräsentierungen vorhanden sind, und auf die Arbeit des Herrn Kollegen Dr. Meinecke hinzuweisen, der beweist, daß mit Ausnahme Hamburgs im norddeutschen Raum ein zusätzlicher, kaum noch zu verantwortender Mangel an solchen Plätzen besteht?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich nehme Ihre Bitte gern entgegen und werde sie an den Bundesgesundheitsrat weiterleiten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Wilhelm auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung eine Pressemeldung, nach der das Bundesgesundheitsministerium sich dahin gehend geäußert habe, daß Hunde und Katzen als Haustiere die Volksgesundheit gefährden würden?
Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Wilhelm, von einer Gefährdung der Volksgesundheit durch Haustiere kann nicht die Rede sein. Weder das frühere Bundesministerium für Gesundheit noch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat gesetzliche Bestimmungen befürwortet oder beabsichtigt, die das Halten von Hunden und Katzen in Wohnungen etwa einschränken wollten. Selbstverständlich kann das für die Aufgaben der Gesundheit zuständige Bundesministerium nicht darauf verzichten, bei der Beantwortung von Anfragen aus der Bevölkerung darauf hinzuweisen, daß im Interesse der Tierhalter und auch der Gesamtbevölkerung hygienische Mindestanforderungen eingehalten werden sollen. Die dafür bestehenden Vorschriften halten wir für ausreichend.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wilhelm.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die in den Kreis der Tierhalter hineingetragene große Unruhe vermeidbar gewesen wäre, wenn der Reporter der Zeitung „Bild am Sonntag" sich rechtzeitig bei der zuständigen Stelle Ihres Hauses gründlich informiert hätte?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Dies ist eine Frage, die ich gern mit einem „Ja" beantworten möchte. Aber ich möchte noch einen Gedanken hinzufügen, 'der, glaube (ich, auch eine Antwort auf Ihre Zusatzfrage gibt. Sie wissen, Frau Minister Strobel ist selbst eine große Tierliebhaberin.
({0})
Dies konnte man inzwischen auch aus der genannten Zeitung entnehmen. Durch die weitere Aufklärung des Sachverhalts ist das Verständnis dafür vorhanden, daß die Fachleute für Hygiene in einem Ministerium, das für die Gesundheit der Bevölkerung in besonderer Weise verantwortlich ist, auf hygienische Gesichtspunkte hinweisen, die für den Umgang mit Tieren von Bedeutung sein können.
Diese Hinweise sollten sich keineswegs gegen die Haltung von Tieren in Wohnungen richten, sondern einen den hygienischen Erfordernissen Rechnung tragenden Umgang mit Tieren fördern.
Ich hoffe, daß das Gleichgewicht in dieser Frage inzwischen gerade durch die Äußerungen von Frau Minister Strobel wiederhergestellt ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Berichte der Zeitschrift ,,Medical Research of Tuberculosis" bekannt, wonach der Grad der Infektiosität vom Tier auf den Menschen in puncto Tuberkulose recht gering ist?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Es sind uns Berichte bekannt, daß es hier zwar Gesundheitsgefährdungen gibt, der Grad der Erkrankungen aber nicht so ist, daß Veranlassung bestünde, für eine Änderung von Vorschriften einzutreten. Solche Absichten gibt es im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nicht.
Frage 89 des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann. - Herr Dr.
Vizepräsident Frau Funcke
Jungmann ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erledigt, denn die Frage 90 ist in den Bereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung übernommen worden.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl hier.
Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler:
Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag einen Gesetzentwurf betreffend die Erhebung der Heizölsteuer über den 30. April 1971 hinaus vorzulegen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Der Prozeß der inneren Konsolidierung des Steinkohlenbergbaues könnte nach Auffassung der Bundesregierung bei einer zu frühen Entlastung der konkurrierenden Energieträger gefährdet werden. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffasssung, daß trotz der gegenwärtig günstigen Marktlage für die Steinkohle auf flankierende Maßnahmen zugunsten des Bergbaues - dazu zählt auch eine Verlängerung der Heizölsteuer über den 30. April 1971 hinaus - noch nicht verzichtet werden kann. Es wurde daher in einer Fußnote zur Einnahmeseite des Finanzplans 1969 bis 1973 bereits die Möglichkeit angedeutet, daß die ab 1971 im Finanzplan eingesetzte Einnahmeverbesserung durch eine Verlängerung der steuerlichen Belastung auf Heizöl über den 30. April 1971 hinaus - verwirklicht werden könnte. Ein entsprechender Gesetzentwurf zur Verlängerung der Heizölsteuer wird noch im Laufe dieses Jahres bei den gesetzgebenden Körperschaften eingebracht werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer verhältnismäßig zurückhaltenden Antwort entnehmen, daß beabsichtigt ist, die Heizölsteuer erstens wieder zu terminieren und zweitens vielleicht degressiv zu gestalten?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich kann noch nichts Endgültiges über die Gestaltung .des Entwurfs sagen. Ich könnte mir aber denken, daß gerade diese beiden Möglichkeiten dabei erörtert werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich ,die Bundesregierung darüber im klaren, daß gerade die Heizölsteuer die revierfernen Bundesfördergebiete betrifft, ,diese revierfernen Gebiete also
durch den Wegfall der Kohlenfrachthilfe doppelt geschädigt sind?
({0})
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Diese Frage muß im Zusammenhang mit einer etwaigen Verlängerung bzw. etwaigen Abwandlung des Gesetzes ebenfalls geprüft werden.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Biehle auf. - Herr Abgeordneter Biehle ist nicht im Saal. Dann werden die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Biehle schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 50 ,des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit einer Novelle zum Umsatzsteuergesetz, die den § 19 UStG ({0}) beseitigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich bitte, die Fragen 50 und 51 wegen ihres engen Zusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen.
Gern. Ich rufe dann noch die Frage 51 des Herr Abgeordneten Lenzer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch den § 19 UStG der ohnehin durch Sozialleistungen usw. besonders betroffene Mittelbetrieb erhebliche Nachteile in Kauf nehmen muß?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Vorschrift des § 19 des Umsatzsteuergesetzes hat für zahlreiche kleinere Unternehmer große arbeitsmäßige und materielle Erleichterungen gebracht. Nachteilig hat sich ausgewirkt, daß lohnintensive Mittelbetriebe, die an Letztverbraucher leisten und die Umsatzgrenze von 60 000 DM überschreiten, mit dem Steuersatz von 11 v. H. erheblich stärker belastet werden als ein örtlicher Konkurrent, ,der knapp unter .dieser Grenze liegt und seine Umsätze mit 4 v. H. versteuern muß. In solchen besonderen Fällen kann davon gesprochen werden, daß einzelne mittelständische Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen benachteiligt werden. Die Bundesregierung ist bemüht, für die Besteuerung der Kleinunternehmer eine Regelung zu finden und den gesetzgebenden Körperschaften vorzuschlagen, die den Gedanken der Wettbewerbsneutralität so vollkommen wie möglich verwirklicht. Da sich das neue Umsatzsteuersystem durch ein besonderes Maß an Wettbewerbsneutralität auszeichnet, bietet es sich an, die Kleinunternehmer in die Regelbesteuerung einzubeziehen. Diese Lösung wird auch, soweit bisher Meinungsäußerungen vorliegen, von den Spitzenverbänden der Wirtschaft vorgeschlagen. Die Bundesregierung wird daher vor allem untersuchen, welche Möglichkeiten für eine derartige Regelung bestehen. Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob und in welParlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
chem Umfang den Kleinunternehmen im Rahmen der Regelbesteuerung formelle oder materielle Erleichterungen gewährt werden können. Ich habe die Hoffnung, daß auch in diesem Punkt bald eine befriedigende Lösung gefunden wird.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie momentan keine Streichung des § 19 des Umsatzsteuergesetzes als Dringlichkeitsmaßnahme im Sinne der Fragestellung ins Auge fassen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Aufhebung des § 19 gehört nach den gegenwärtigen Planungen zu 'den Maßnahmen, die auch vor einer generellen Steuerreform 'durchgeführt werden könnten, weil sich auf einigen Gebieten echte Wettbewerbsverzerrungen ergeben haben.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Wie 'beurteilen Sie das Argument, daß die jetzt geltende Regelung in gewissen Branchen natürlich auch dem Herausbilden leistungsfähiger Betriebsgrößen entgegensteht?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist sicher richtig. Auch diese Frage wird in dem Zusammenhang berücksichtigt. Deswegen 'habe ich - ich glaube, Sie haben meine Antwort auf die erste Zusatzfrage schon richtig verstanden - ja auch die Dringlichkeit dieser Angelegenheit bejaht und gesagt, daß wir diese Frage zu den Fragen rechnen, die gegebenenfalls vorweg, also noch vor der allgemeinen Steuerreform, in einer Novelle zum Umsatzsteuergesetz behandelt werden müssen.
Noch eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß eine Verfassungsbeschwerde vom Fachverband Chemische Reinigung und Färberei gegen diesen § 19 läuft?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Tatsache, daß eine Verfassungsbeschwerde läuft, ist mir bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Nölling auf:
In welchem Maße hat im Jahre 1969 die zunehmende Zahl von Veranlagungen unselbständiger Beschäftigter zur Einkommensteuer und daraus resultierender Erstattungen von einbehaltener Lohnsteuer zu der relativ geringen Zuwachsrate der veranschlagten Einkommensteuer von 4,4 % beigetragen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nach Berechnungen in meinem Hause, die auf den Einkommensteuerstatistiken 1961 und 1965 basieren, ist davon auszugehen, daß im Jahre 1969 rund 3 Millionen unselbständig Beschäftigte zur Einkommensteuer veranlagt worden sind. Im Jahre 1961 waren es noch rund 1,4 Millionen und im Jahre 1965 rund 2,5 Millionen unselbständig Beschäftigte. Den veranlagten Unselbständigen wurden im Jahr 1969 rund 8,5 Milliarden DM einbehaltener Lohnsteuer bei der Einkommensteuer in Anrechnung gebracht; der entsprechende Betrag belief sich 1961 auf rund 2,2 Milliarden DM und 1965 auf rund 4,7 Milliarden DM. Dies bedeutet, daß die Zahl der veranlagten Unselbständigen von 1965 bis 1969 um 20 v. H., die anrechenbare Lohnsteuer aber um 80 v. H. gestiegen ist. Die Zuwachsrate der veranlagten Einkommensteuer wäre, wenn die veranlagten Unselbständigen vom Lohnsteuerabzug befreit wären, damit spürbar höher und die der Lohnsteuer niedriger gewesen, so daß die Entwicklung der Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer und aus der Lohnsteuer nicht so weit auseinandergelaufen wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nölling.
Handelt es sich bei den Rückerstattungen um Nettozahlen? Es gibt doch sicher bei diesen Veranlagungen auch Steuernachzahlungen.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist die Nettozahl der abgezogenen Lohnsteuer. Natürlich kann das Verfahren in Einzelfällen auch dazu führen, daß etwas zurückgezahlt werden muß.
Haben Sie irgendwelche Vorstellungen über die Größenordnung?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wenn ich hier bis ins einzelne gehende Angaben machen soll, kann das nur schriftlich geschehen. Dazu müssen nämlich die gesamten Zahlen in Bezug gesetzt werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Nölling auf:
Gibt es noch andere Faktoren, die die starke Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Lohnsteuerzuwachsrate ({0}) und der Zuwachsrate der veranlagten Einkommensteuer erklären?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Von grundsätzlicher Bedeutung ist zunächst, daß sowohl für Einkommensteuerpflichtige als auch für Lohnsteuer1680
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
pflichtige der gleiche einheitliche Steuertarif gilt. Wenn es trotzdem zu unterschiedlichen Einnahmeentwicklungen gekommen ist, so liegt dies in erster Linie an den Gründen, die ich bei der Beantwortung der vorherigen Frage erwähnt habe. Zum stärkeren Zuwachs der Lohnsteuer gegenüber der veranlagten Einkommensteuer haben allerdings auch noch folgende Faktoren beigetragen:
Erstens die stetig steigende Zahl von abhängig Beschäftigten - allein 330 000 zusätzliche Gastarbeiter im Jahre 1969 -, zweitens die günstige Lohnentwicklung, nämlich die Zunahme der Lohnquote, also des Anteils des Lohnes am Volkseinkommen, von 64,5 v. H. im Jahre 1968 auf 65,3 v. H. im Jahre 1969, wobei ich darauf hinweisen darf, daß 1960 diese Quote gerade um 60 % gelegen hat,
drittens die zeitlich unterschiedliche Entrichtung der Steuerschuld bei der Lohnsteuer und bei der veranlagten Einkommensteuer. Bei der Lohnsteuer wird bekanntlich die Steuer vom Arbeitgeber monatlich oder je nach dem Lohnzahlungszeitraum abgeführt; bei der veranlagten Einkommensteuer gehen die Abschlußzahlungen in der Regel erst nach 12 bis 18 Monaten ein, da die Finanzämter im Interesse der Steuerpflichtigen weisungsgemäß zunächst die Erstattungsfälle bearbeiten, also die Fälle, in denen der Steuerzahler etwas zurückbekommen soll.
Viertens spielt noch die Erstattung von im Vorjahr zuviel gezahlter Lohnsteuer bei der Veranlagung von Lohnsteuerpflichtigen zu Lasten des Einkommensteueraufkommens eine Rolle.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die angeordneten Erhöhungen der Vorauszahlungen etwa den konjunkturpolitischen und finanzpolitischen Erfordernissen entsprechen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Mir ist von einer Anordnung erhöhter Vorauszahlungen nichts bekannt.
Ich darf vielleicht aus dem Bulletin vom 17. Februar zitieren; dort heißt es, daß trotz der aus konjunkturellen Gründen angeordneten Sonderanpassungen der Vorauszahlungen - das bezieht sich hier auf die veranlagte Einkommensteuer - die Zuwachsrate nur 4,4 % betragen habe.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das sind aber doch keine zusätzlichen Zahlungen, sondern das ist nur eine außerordentliche Anpassung, also eine schnellere Anpassung der Vorauszahlungen an das tatsächliche Einkommen. In der Regel lassen die Finanzämter mehrere Jahre vergehen, bis sie wieder anpassen, während sie in diesen Fällen außer der Reihe sofort angepaßt haben. Aber solange keine Einkommensteuererklärung vorliegt, ist es gar nicht möglich, die Vorauszahlungen anzupassen.
Das bewirkt also im ganzen keine höheren Eingänge.
Herr Abgeordneter Nölling, Ihre Zusatzfragen sind erschöpft.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Kliesing ({0}) auf. - Herr Dr. Kliesing ist nicht mehr im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die zuletzt im Jahre 1965 auf 24 000 DM im Kalenderjahr festgesetzte Einkommensgrenze für die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit entsprechend den inzwischen eingetretenen allgemeinen Lohn- und Einkommenssteigerungen angemessen zu erhöhen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die für die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags und Nachtarbeit maßgebende Jahresverdienstgrenze von 24 000 DM ist in § 34 a des Einkommensteuergesetzes gesetzlich festgelegt. Sie könnte deshalb auch nur durch eine Gesetzesänderung erhöht werden.
Hierzu darf ich aber darauf hinweisen, daß die Vorschrift des § 34 a ohnehin nicht verfassungsgemäß ist und nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 1969 durch eine neue gesetzliche Regelung ersetzt werden muß. Das Problem ist dem Hohen Hause hinreichend bekannt.
Zu -der Frage, wie die gesetzliche Neuregelung gestaltet werden soll und ob dabei eine Erhöhung der 24 000 DM-Grenze erwogen werden kann, wird die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion - Drucksache VI/269 - Stellung nehmen. Wegen der erforderlichen Abstimmung der Antwort innerhalb der beteiligten Ressorts kann diese Antwort leider erst Anfang März vorgelegt werden. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich vorher von seiten eines Ressorts dazu nichts sagen kann.
({1})
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Riedel ({0}) auf. Der Herr Abgeordnete Riedel ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 58 ides Herrn Abgeordneten Wagner ({1}) auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Kilometerpauschale in Höhe von 36 Pf pro Kilometer, die Arbeitnehmer für Fahrten zwischen dem Wohnort und der Arbeitsstätte von der Lohnsteuer absetzen können, nicht ausreicht, um die entstehenden Kosten zu decken?
Bitte schön!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung stimmt Ihrer Auffassung zu, daß der Kilometer-Pauschbetrag von 0,36 DM zur Deckung der tatsächlichen Kosten nicht ausreicht. Aber auch schon im Jahre 1966, als das Hohe Haus im Rahmen
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
des Steueränderungsgesetzes 1966 die Herabsetzung des Kilometer-Pauschbetrags beschlossen hat, konnte von einem kostendeckenden Pauschbetrag nicht die Rede sein. Die Herabsetzung ist, wie Ihnen bekannt ist, aus anderen, insbesondere aus haushaltsmäßigen und verkehrspolitischen Gründen erfolgt. Diese Gründe haben in der Zwischenzeit ihre Bedeutung nicht verloren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Staatssekretär, Sie teilen also nicht die Auffassung des Bundesverkehrsministers, .der nach einer Mitteilung der Münchener „Abendzeitung" Nr. 284 erklärt hat, daß die Arbeitnehmer mit 36 Pf steuerlich bereits mehr absetzen könnten, als sie Unkosten hätten?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das habe ich nicht richtig verstanden, Herr Kollege.
Der Bundesverkehrsminister soll nach Mitteilung dieser Zeitung gesagt haben, die Arbeitnehmer könnten mit 36 Pf steuerlich mehr absetzen, als sie Unkosten hätten.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das kann ich mir unter diesen Umständen nicht vorstellen. Ich weiß auch nicht sicher, ob der Verkehrsminister das wirklich so gesagt hat. Sie wissen, Herr Kollege, wie oft durch ,das Herausreißen einzelner Teile aus einer Erklärung eine völlig andere Erklärung zustande kommt.
Eine zweite Zusatzfrage .des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, den geltenden Satz der Kilometer-Pauschale in absehbarer Zeit zu überprüfen und Vorschläge für eine Änderung zu unterbreiten?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Sie sagen „Änderung". Was meinen Sie damit?
({0})
- Sie entschuldigen, daß ich diese Gegenfrage gestellt habe; aber ich muß es schließlich wissen. - Eine Verbesserung? - Nein.
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich als letzte Fragen die Fragen 59 und 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Frerichs auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Kommission im Sinne deren Empfehlung vom 22. Dezember 1969 an die Bundesrepublik Deutschland betreffend die Umformung des staatlichen Handelsmonopols für Alkohol, daß nach Ablauf der Übergangszeit die mengenmäßige Beschränkung der Einfuhren von dem Deutschen Branntweinmonopol unterworfenen Erzeugnissen aus
Mitgliedstaaten der EWG eine Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen innerhalb der Gemeinschaft darstellt und gemäß Artikel 37 EWG-Vertrag nur durch eine uneingeschränkte Liberalisierung, notfalls unter übergangsweiser Erhebung von Grenzausgleichsabgaben, zu ersetzen sind?
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung unter Angabe eines geschätzten Terminplanes zu ergreifen, um einer wegen der Schwere des Verstoßes dieser Verfahrensweise gegen den EWG-Vertrag zu verhindernden Verschleppung in der Beratung der Kommissionsempfehlung entgegenzuwirken und das Einfuhrverfahren für die betroffenen Erzeugnisse baldmöglichst mit dem EWG-Vertrag in Einklang zu bringen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Aufhebung mengenmäßiger Beschränkungen bei der Einfuhr von Branntwein aus Mitgliedstaaten erst dann gefordert werden kann, wenn die in Art. 37 Abs. 4 des EWG-Vertrags vorgesehenen Sicherheiten für die Erzeuger solcher landwirtschaftlicher Rohstoffe geschaffen sind, die zu Branntwein verarbeitet werden. Insbesondere ist das Preisgefälle zwischeninländischem Branntwein und dem in eingeführten Erzeugnissen enthaltenen Branntwein durch die Erhebung von Ausgleichsabgaben auszugleichen.
Die Kommission ,der Europäischen Gemeinschaften hatte einen Antrag der Bundesregierung vom 20. März 1968 abgelehnt, sie zur Erhebung von Ausgleichsabgaben auf eingeführte Branntweine zu ermächtigen. Die Kommission hat jedoch nunmehr solche Ausgleichsabgaben unter Hinweis auf Art. 37 Abs. 4 des EWG-Vertrags in ihrer Empfehlung vom 22. Dezember 1969 selbst vorgeschlagen. Die Bundesregierung prüft, inwieweit der Empfehlung entsprochen werden kann und für welche Erzeugnisse und in welcher Höhe Ausgleichsabgaben zu erheben sein werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf kann in Kürze dem Parlament vorgelegt werden. Sobald auf Grund eines solchen Gesetzes Ausgleichsabgaben erhoben werden, können die mengenmäßigen Beschränkungen der Einfuhr von Trinkbranntwein aus den Mitgliedstaaten aufgehoben werden.
Wir kommen zu den Fragen 61 und 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({0}) :
Trifft es zu, daß beim Lohnsteuerjahresausgleich die Ausgaben, die bei Verwandtenbesuchen in Ost-Berlin durch die von den DDR-Behörden geforderten Tagesaufenthaltsgenehmigungen entstehen, nicht als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden können?
Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die finanziellen Belastungen auszugleichen, die bei Verwandtenbesuchen in Ost-Berlin entstehen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl vom 25. Februar 1970 lautet:
Es trifft zu, daß die bezeichneten Gebühren grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes berücksichtigt werden können.
Gebühren für Tagesaufenthaltsgenehmigungen sind zu den Reisekosten zu rechnen. Reisekosten, die zum Besuch von Verwandten in Ost-Berlin aufgewendet werden, stellen aber grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung dar, weil Aufwendungen für Verwandtenbesuche in der Regel weder außergewöhnlich sind, noch zwangsläufig erwachsen.
Das Problem der Erstattung von Gebühren für eine Aufenthaltsgenehmigung in Ost-Berlin wird zur Zeit in anderem Zusammenhang zwischen dem Herrn Minister für innerdeutsche Beziehungen und meinem Hause erörtert. Die Frage kann daher jetzt noch nicht abschließend beantwortet werden. Das Ergebnis der Prüfung werde ich Ihnen unverzüglich mitteilen.
Vizepräsident Frau Funcke
Es folgt die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Jungmann. - Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Wir sind dann mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen am Ende. Haben Sie schönen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Zugleich sind wir am Ende der Fragestunde und unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe das Haus ein für Freitag, den 27. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.