Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
betr. Wahl der vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost
- Drucksache VI/240
Das Haus ist damit einverstanden.
Ich würde vorschlagen, daß wir die Wahl gleich vornehmen. Die Drucksache VI/240 liegt Ihnen vor. Erhebt sich Widerspruch gegen die Wahl der dort aufgeführten Mitglieder? - Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundeskanzlers
Betr. Empfehlung 132 betreffend die Verbesserung der Lebens und Arbeitsbedingungen von Pächtern, Teilpächtern und ähnlichen Gruppen landwirtschaftlicher Arbeitskräfte
- Drucksache VI/182 -zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr. Verbesserung und Ausbildung der Kriminalpolizei
Bezug: Beschluß des Bundestages vom 2. Juli 1969
- Drucksache VI/226 -zuständig: Innenausschuß ({0}) Haushaltsausschuß
Erhebt sich gegen diese Überweisung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 14. Januar 1970 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden Verordnungen, die zwischenzeitlich im Rat verabschiedet und in den Amtsblättern der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden sind, keine Bedenken erhebt:
Verordnung des Rates mit Sondermaßnahmen zur Verbesserung von Produktion und Vermarktung der in der Gemeinschaft erzeugten Zitrusfrüchte
- Drucksache VI/18 - Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 204/69 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und der Kriterien zur Festsetzung des Erstattungsbetrags für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrags fallenden Waren ausgeführt werden - Drucksache VI/27 -Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 19/69 zur vorherigen Festsetzung der Abschöpfung bei der Einfuhr von Olivenöl
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({2}) Nr. 18/69 über die vorherige Festsetzung der Erstattungen bei der Ausfuhr von Olivenöl
Verordnung des Rates über den Pauschbetrag für nicht raffiniertes Olivenöl, das vollständig in Griechenland erzeugt wurde und aus diesem Land unmittelbar in die Gemeinschaft befördert wird
Verordnung des gates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Marktrichtpreis, zum Interventionspreis und
zum Schwellenpreis für Olivenöl im Wirtschaftsjahr 1969/1970
Verordnung der Kommission zur Festsetzung des Schwellenpreises für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1969/1970 - Drucksache VI/30 -Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1009/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker
- Drucksache VI/74 Verordnung des Rates zur Verschiebung des Zeitpunktes, zu dem der Geltungsbereich der Einfuhr- und Ausfuhrlizenzen sowie der Bescheinigungen über die vorherige Festsetzung auf die gesamte Gemeinschaft ausgedehnt werden soll
- Drucksache VI/92 Verordnung des Rates über eine Verlängerung der in Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17/64/EWG über die Bedingungen für eine Beteiligung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft vorgesehenen Frist für das Jahr 1969
- Drucksache VI/101 Verordnung des Rates über die auf dem Agrarsektor infolge der Aufwertung der DM zu treffenden Maßnahmen
sowie
einen Änderungsvorschlag_ der Kommission zu der genannten Verordnung
- Drucksache VI/113 Verordnung des Rates über die Aufrechterhaltung des Verwaltungsausschußverfahrens
- Drucksache VI/129 Weiter erhebt der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gegen die
Verordnung ({3}) Nr. 1975/69 des Rates vorn 6. Oktober 1969 zur Einführung einer Prämienregelung für die Schlachtung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen
Verordnung ({4}) Nr. 2137/69 des Rates vom 28 Oktober 1969 über die Beihilfe für Olivenöl
keine Bedenken.
Ich rufe nun auf:
Fortsetzung der Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland
- Drucksache VI/223 Als erster hat sich Herr Kollege Dr. Apel gemeldet. Er bittet um eine Redezeit von 20 Minuten. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als erster Redner heute morgen möchte ich versuchen, aus der Perspektive der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion ein erstes Fazit aus der Debatte von gestern zu ziehen. Wir sind nach dem genauen Anhören der Reden gestern zu dem Ergebnis gekommen, daß es zur Deutschland- und Ostpolitik der Bundesregierung in diesem Hause keine echte politische Alternative gibt.
({0})
Denn keiner der Redner hat sich gestern hier in diesem Hause gegen die von Herrn Bundeskanzler Brandt dargestellten Orientierungspunkte der Deutschlandpolitik gewandt: Selbstbestimmung für unser Volk, Streben nach nationaler Einheit und Freiheit im Rahmen der Friedensordnung für Europa, die Tatsache, daß West-Berlin mit uns verbunden ist und es eine besondere Vier-Mächte-Verantwortung für ganz Berlin sowie besondere Rechte und Verantwortlichkeiten der drei westlichen Alliierten gibt. Niemand auch hier in diesem Hause hat die Ziele unserer Deutschland- und Ostpolitik, so wie sie der Herr Bundeskanzler dargestellt hat, bestritten, nämlich daß die Bundesrepublik frei bleiben muß, daß wir unsere Westintegration festigen müssen, daß unsere Politik nach Osten wie nach Westen Friedenspolitik ist und es vor allem und als erstes darauf ankommt, mehr Menschenrechte zu sichern.
Wir fragen uns also heute morgen: Wo ist nun eigentlich die polemische Ankündigung des Kollegen Marx von der CDU, des Vorsitzenden des außenpolitischen Arbeitskreises der CDU/CSU, geblieben, man wolle unsere illusionäre Deutschland-und Ostpolitik anprangern und sich von ihr abheben. Wir waren im übrigen bereits vor dieser Debatte sehr beruhigt, was dieses Abheben anlangte. Denn es gab ja eigentlich nur folgende Möglichkeiten, sich abzuheben: zurückzukehren in die Gräben und Katakomben des Kalten Krieges
({1})
Nun, das hat eigentlich gestern nur der Kollege Bach versucht, indem er versucht hat, hier in trüben Gewässern zu fischen. Aber dem Kollegen Bach und anderen, die das in diesem Hause versuchen wollen, schreiben wir ins Stammbuch den Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger vom 17. Juni 1967, der in einer Rede in diesem Hause gesagt hat:
Es gibt aber auch glatt eingespielte Denkgewöhnungen und einen bequemen Formelkult an der Stelle mühevollen politischen Denkens und Handelns.
Wir nehmen zur Kenntnis, daß der Kollege Bach gestern sich der Mühe des Denkens entzogen hat.
({2})
Wir wollen diese Ausführungen von Herrn Bach keineswegs überbewerten, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU.
({3})
Aber für uns wird in diesem Punkte eines deutlich, Herr Kollege Wrangel, auch für Sie: daß wir es leider auch in der Frage der Deutschland- und Ostpolitik nicht mit einer Oppositionspartei zu tun haben, sondern mit einer Union vielfältiger politischer Meinungen,
({4})
die es auch in der Frage der Deutschland- und Ostpolitik notwendig hat, sich auf einen einheitlichen Kurs zu einigen.
Herr Kollege Dr. Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Apel, nach Ihren polemischen Worten gegen den Kollegen Bach möchte ich Sie fragen, ob Sie sich nicht doch der Mühe unterziehen wollen, das, was der Kollege Bach gestern sehr sachlich zum Zusammenhang mit der Deutschlandpolitik, mit dem Deutschlandvertrag und mit den Forderungen des Grundgesetzes gesagt hat, in der Sache zurückzuweisen oder aber Ihre Kritik daran anzubringen.
Herr Kollege Guttenberg, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Bach uns die Formeln der fünfziger Jahre der Deutschlandpolitik vorgetragen hat. Wir alle wollen uns nicht darüber streiten, daß diese Formeln zu einem Ergebnis geführt haben, das uns auf dem Wege zur Wiedervereinigung nicht weitergebracht hat.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Gradl?
Herr Kollege Apel,- wollen Sie damit wirklich ausdrücken, daß das deutsche Unglück der Teilung, das uns in den 25 Jahren nicht verlassen hat, die Folge von Formeln ist und nicht eine Folge des Verhaltens der östlichen Gegenseite, mit der wir es zu tun haben?
Herr Kollege Gradl, Sie ziehen sich Schuhe an, die Ihnen nicht passen. Das ist ihr Problem.
({0})
Sie ziehen sich Schuhe an, die Ihnen nicht passen.
({1})
Ich habe gesagt: die Formeln der damaligen Zeit haben uns damals nicht weitergeführt und führen uns heute überhaupt nicht weiter. Ich habe damit weder über Schuld noch Unschuld gerechtet, sondern
einfach nur Tatsachen dargestellt. Ich werde im übrigen darauf noch zurückkommen.
({2})
Wir können also in einem ersten Punkt feststellen, daß die Ankündigung von Herrn Marx, man wolle uns hier etwas zeigen, nicht verwirklicht worden ist. Es ist Ihnen auch nicht gelungen, meine Damen und Herren, in diesem Hause das zu wiederholen, was Sie draußen versucht haben, nämlich Buhmänner und Pappkameraden aufzubauen und die dann abzuschießen. Sie haben das versucht.
({3})
Der Herr Bundeskanzler hat Ihnen in einer zweifachen Intervention deutlich gemacht, daß es so nicht geht, daß hier nicht halb- und unrichtig interpretiert und zitiert werden darf, sondern umfassend zitiert werden muß.
Sie haben drittens auch keinen Erfolg gehabt,
({4})
wenn Sie versucht haben, hier die Historie auszugraben, sich mit dem Material zum Bericht zur Lage der Nation auseinanderzusetzen. Ich will hier nicht darüber richten, ob alles in Ordnung ist, was da drin steht; das entzieht sich auch meiner Kenntnis. Ich bin ja Mitglied des Deutschen Bundestages und nicht Mitglied eines historischen Seminars, das solche Dinge zu prüfen hat.
({5})
In jedem Falle, meine Herren von der CDU, Sie können sich auf diese Art und Weise nicht den aktuellen und brennenden Fragen der Deutschlandpolitik entziehen, indem Sie immer wieder zurückkehren in die glorreichen Zeiten Ihrer eigenen Politik mit den glorreichen Ergebnissen und dann versuchen, das als Ihre Politik heute und hier darzustellen.
({6})
Wo ist also der glorreiche Angriff geblieben? Wo ist es Ihnen gelungen, uns Illusionen nachzuweisen? Wo ist es Ihnen gelungen, uns nachzuweisen, daß die Marschgeschwindigkeit zu schnell war?
Ich verweise Sie auf die Regierungserklärung vom 28. Oktober. Dort hat der Herr Bundeskanzler mit der vollen Zustimmung der Fraktionen der Koalition ausgeführt: „Wir sind frei von der Illusion, zu glauben, daß das Werk der Versöhnung schnell oder leicht zu vollenden sei." Aber er hat hinzugefügt: „Wir müssen es anfangen."
Das ist auch heute unsere Überzeugung. Wir stehen nicht am Ende einer Politik, sondern am Beginn eines mühevollen Versuchens, schrittweise voranzukommen; wobei wir genauso wie Sie wissen, daß wir nicht wissen, ob wir damit wirklich Erfolg haben werden.
({7})
Allerdings, meine Damen und Herren, es sind gestern in der Debatte vier ernsthafte Punkte zur
Diskussion aufgeworfen worden, und diese vier Punkte möchte ich jetzt doch ansprechen.
Es sind mehrfach Zweifel geäußert worden, ob es überhaupt möglich sei, in der Ostpolitik voranzukommen, denn es liege der Sowjetunion ja nur daran, ihren Willen integral durchzusetzen, und wenn das nicht gelinge, gebe es eben keine Fortschritte. Herr Kollege Wehner hat gestern sehr deutlich gemacht, daß natürlich jede Partei, wenn sie in Verhandlungen hineingeht, ihre Vorstellungen von dem Ergebnis der Verhandlungen hat und versucht, soweit wie möglich ihren Willen durchzusetzen. Das müssen wir der Sowjetunion zugute halten, und wir wissen, daß das die Absicht der Sowjetunion ist. Aber erstens - das hat mir neulich in einem Gespräch ein prominenter Kommunist gesagt - haben alle Verhandlungen ihre Eigendynamik; durch Rede und Gegenrede und durch politische Entwicklungen ist es durchaus möglich, daß sich neue Gesetzmäßigkeiten, neue Entwicklungen anbahnen. Zum zweiten: es geht hier um Verhandlungen, und bei diesen Verhandlungen sprechen eben wir und vor allen Dingen mit uns auch unsere Irrrestlichen Verbündeten ein gewichtiges Wort mit.
Die Sowjetunion weiß und muß nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers wissen, daß es für uns eben doch einen unlöslichen Zusammenhang zwischen den bilateralen Verhandlungen zum Gewaltverzicht, etwaigen Verhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik und einer europäischen Sicherheitskonferenz gibt. Der Herr Bundeskanzler hat wiederholt unterstrichen, daß wir nicht wollen, daß die querelles allemandes, die deutschen Streitigkeiten, eine europäische Sicherheitskonferenz belasten und sie unter Umständen in die Nähe des Scheiterns bringen könnten. Insofern kommt es entscheidend darauf an, daß im Vorfeld diese Gespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik beginnen. Das weiß der östliche Gesprächspartner. Er weiß auch, daß es durchaus enge, offene und rückhaltlose Konsultationen mit unseren westlichen Verbündeten in allen diesen Fragen gibt und daß die europäische Sicherheitskonferenz, wenn sie nach unserer Meinung nicht genügend vorbereitet worden ist, auch nicht von anderen westlichen Ländern besucht werden wird. Da jedoch die Sowjetunion aus ökonomischen wie aus sicherheitspolitischen und anderen Gründen an dieser Konferenz interessiert ist, wir aber sehr vorsichtig und zurückhaltend dargestellt haben, wie wir die Zusammenhänge zwischen dieser europäischen Sicherheitskonferenz und Gesprächen mit der DDR sehen, kann ich hier sagen, daß auch in Moskau die Bäume in dieser Frage nicht in den Himmel wachsen. Auch in Moskau muß man wissen, daß es hier bei uns Partner gibt, die eindeutig Position bezogen haben.
Ein Zweites wurde hier gestern in die Debatte eingeführt - und auch damit muß ich mich auseinandersetzen -: die Behauptung oder Befürchtung, Gewaltverzicht könne, aber dürfe nicht zur Zementierung der deutschen Grenzen, der mehrfachen deutschen Grenzen führen. Gomulka hat in einer Neujahrsansprache deutlich gemacht, daß Grenzfragen Friedensfragen sind, und ich meine, zumin934
dest in diesem Hause müssen wir endlich einmal wegkommen von der albernen Formeldiskussion: Anerkennung der DDR - ja oder nein, Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze - ja oder nein, und je nachdem, wo man sein Kreuz macht, ist man reaktionär, revolutionär, progressiv oder nicht progressiv.
({8})
- Ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen, Herr von Wrangel.
({9})
Wir wollen wegkommen von dieser Debatte; wir wollen wegkommen von dieser Frage. Diese Fragen sind eingebettet in den großen Zusammenhang der europäischen Sicherheitskonferenz.
({10})
Herbert Wehner hat einmal deutlich unterstrichen, daß Fragen dieser Preislage zu vergleichen sind mit den beiden Höckern des Kamels: Anerkennung - Selbstvertretungsanspruch und daß die echten Probleme Deutschlands dazwischen verschaukelt werden.
({11})
- Ich komme noch darauf zurück. Verlieren Sie doch nicht die Nerven, Herr von Guttenberg.
({12}) - Bitte, ich komme gleich darauf.
Er hat deutlich gemacht, daß es um diese Fragen gar nicht geht, sondern es darum geht, den Frieden in Europa sicherer zu machen.
({13})
Dazu brauchen wir - das ist allerdings unsere feste Überzeugung - Gewaltverzichtsabkommen mit Polen, mit der Sowjetunion und mit der DDR. Wir müssen von uns aus deutlich machen, daß natürlich in diese Verhandlungen auch die Frage der Grenzen einbezogen wird. Grenzfragen sind Friedensfragen. Wenn wir Frieden in Europa wollen und wenn wir Gewaltverzichtsabkommen schließen wollen, müssen wir auch über diese Fragen reden.
({14})
Ich kann nur unterstreichen, was vergangene Bundesregierungen dazu gesagt haben. Sie haben doch diesen Gewaltverzicht originär angeboten, und dann kann man nicht sagen: Gewaltverzichtsabkommen dürfen aber, was die deutschen Grenzen anbelangt, nicht zu einer Festlegung führen.
({15})
Natürlich führen sie nicht dazu, sondern wir werden diese Fragen in die Verhandlungen mit einbeziehen, wie es notwendig und zweckmäßig ist.
({16})
- Herr von Wrangel, was wollen Sie eigentlich mit
Ihren Zwischenrufen, mich nervös machen oder mich
ärgern? Sie können weder das eine noch das andere.
({17})
Ich komme zu einer dritten Bemerkung, die der Kollege Strauß gestern gemacht hat. Er hat gesagt, er müsse befürchten, daß die Aussage von der Existenz zweier deutscher Staaten quasi der letzte Nothalt des Eilzuges sei, in dem die Bundesregierung sitze, und daß die Endstation dieses Expreßzuges die völkerrechtliche Anerkennung der DDR sei. Herr Strauß hat anscheinend zwei Dinge durcheinanderbekommen, nämlich die Tatsache, daß die Aussage von der Existenz zweier deutscher Staaten Tatsachenbeschreibung ist,
({18})
an der niemand vorbeikommt, auch Sie nicht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Sie mögen das „Phänomen" oder „angebliches Phänomen" oder wie auch immer nennen, aber Sie kommen nicht daran vorbei, daß das Tatsachenbeschreibung ist.
({19})
Wir Sozialdemokraten unterscheiden sehr deutlich zwischen Tatsachenbeschreibung und politischer Willenserklärung.
({20})
Wenn wir sagen, daß es zwei deutsche Staaten gibt, dann ist das keine politische Willenserklärung, sonder leider Gottes Tatsachenbeschreibung, an der wir nicht vorbeikommen.
({21})
Ganz etwas anderes ist die Aussage einer völkerrechtlichen Anerkennung. Das ist nicht mehr Tatsachenbeschreibung, sondern politische Willenserklärung, und wir lehnen es ab, wenn Sie uns hier unterstellen, wir wollten von der Tatsachenbeschreibung zu einer politischen Willenserklärung kommen, was die völkerrechtliche Anerkennung anbelangt, die eben ausdrücklich in der Regierungserklärung wie auch in dem Bericht zur Lage der Nation von uns dargestellt und zurückgewiesen worden ist.
({22}) So können Sie mit uns nicht umgehen.
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petersen? - Bitte schön.
Herr Kollege Apel, sind Sie sich eigentlich der außenpolitischen Folgen dieser so erfolgten Tatsachenbeschreibung, wie Sie das nennen, bewußt und vorher bewußt gewesen in bezug auf die Konfusion, die das natürlich in der Welt hervorruft, die dann auch von zwei deutschen Staaten ausgeht mit all den daraus folgenden Konsequenzen?
Herr Kollege Petersen, diese Konfusion haben Sie jahrelang in diesem Hause getrieben.
({0})
- Sie haben jahrelang in Konfusion gemacht, indem Sie mit Phänomenen Gewaltverzichtsabkommen abschließen wollten, indem Sie mit Phänomenen verhandeln wollten.
({1})
Sie haben vernebelt, während unsere Position völlig eindeutig und klar ist. So billig können Sie es sich hier nicht machen.
({2})
Wir müssen die Frage stellen, ob Sie mit dem anderen deutschen Staat auf der Grundlage der Tatsachenbeschreibung verhandeln wollen oder nicht, und wenn Sie es nicht wollen, dann sind Sie wieder in den Katakomben des Kalten Krieges und verspielen den Rest der Substanz des deutschen Volkes.
({3})
Herr Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Steiner?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage mehr, weil ich weiß, daß das Taktik der CDU ist, Reden auf diese Art und Weise auseinanderzureißen.
({0})
Im übrigen führen wir hier ja eine Debatte, und die Zwischenfrager sollten den Kollegen, die nach mir sprechen, nicht alles vorwegnehmen. Die können es im übrigen meistens besser als die Fragesteller.
Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen. Der Herr Kollege Barzel hat ja sehr zur Überraschung mancher mehr Aktivität gefordert, und er hat sogar einmal gesagt,
({1})
wenn die Pressemeldungen stimmen, man solle doch dem Vertragsentwurf, den die DDR uns übermittelt hat, durch ein eigenes Dokument begegnen und auf diese Art und Weise unsere Vorstellungen deutlich machen. Herr Kollege Barzel, ich muß Sie fragen, ob diese Taktik, diese Verhandlungsweise
wirklich zweckmäßig wäre, Papiere so hin und her zu schicken.
({2})
- Ja, das finde ich nett; ich werde mir das dann genauso geduldig anhören, wie Sie jetzt hoffentlich geduldig zuhören.
({3})
- Das finde ich sehr nett von Ihnen.
({4})
Sie sind also der Meinung, wir sollten Papierchen hin- und herschicken, Vertragsentwurf hier, Vertragsentwurf dort, das deutsche Volk in der Mitten, um wieder einmal einen Spruch von Herrn Kiesinger abzuwandeln, das sich dann aber nur wundert, denn heraus kommt dabei nichts.
({5})
Wir unterstreichen die Linie des Bundeskanzlers.
({6})
Jede Seite hat das Recht, die Probleme, die sie angesprochen sehen möchte, auf den Tisch des Hauses zu bringen. Wir werden dann in einer großen Bestandsaufnahme sehen, um was es geht, wir werden darüber diskutieren, und dann werden wir sehen, inwieweit wir zu Regelungen kommen.
({7})
- Und, Herr Stoltenberg, es gibt nämlich ein Konzept des Herrn Bundeskanzlers. Wir finden das in seiner Rede, was er auf den Brief von Herrn Ulbricht antworten will. Er hat vier Punkte genannt, Orientierungspunkte, in die er seine Antwort einbetten und auf die er sie ausrichten will. Er hat gesagt, er möchte den Partnern in der DDR sagen, und er möchte sie fragen, ob sie nicht auch der Meinung seien, daß beide Staaten Verpflichtungen für die Einheit der Nation hätten. Er bezieht sich dabei ausdrücklich auf die DDR-Verfassung. Er möchte ihnen sagen und anbieten, daß es zwischenstaatliche Beziehungen ohne Diskriminierung geben soll. Dazu ist einiges Weitere gesagt. Ich brauche das nicht darzustellen. Er bietet ihnen mehr Zusammenarbeit an, aber er möchte die alliierten Rechte in unserem Lande erhalten sehen.
Ich vermisse in den letzten 24 Stunden, daß die Opposition auf diese vier Punkte, die, wenn Sie so wollen, in statu nascendi sind und die die Richtung unserer Antwort auf den Vertragsentwurf darstellen sollen, auch nur ein konstruktives Wort verwandt hätte. Hier sind Sie gefordert, Herr Barzel, zu sagen, was Sie von diesen vier Punkten halten. Sie können sich nicht immer an die Klagemauer stellen und sagen: Wir sind nicht informiert. Hier gibt es die Chance für Sie, zu sagen, was Sie davon halten. Sagen Sie etwas dazu, informieren Sie den Bundeskanzler, helfen Sie uns!
({8})
Sie dagegen - und damit zitiere ich den früheren Außenminister der CDU, Herrn Schröder - haben es damit bewenden lassen, die laufenden Verhandlungen mit negativer Begleitmusik zu versehen.
Natürlich war zu erwarten, daß die Reaktion in Ost-Berlin und auch in Moskau auf die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und auch auf die Debatte des gestrigen Tages nicht freundlich sein würde. Wir haben das erwartet, aber wir lassen uns davon nicht beirren. Wir sind weder bereit, von irgend jemand hämische Bemerkungen so mit dem Tenor „Da habt ihr es!" entgegenzunehmen,
({9})
noch werfen wir die Flinte ins Korn, noch sind wir bereit, entsprechend zu antworten. Wir sind dem Test unterworfen, von dem der Herr Bundeskanzler gesprochen hat, diesem Geduldstest, Geduld in der Zeit und auch Geduld in der Nervenkraft. In jedem Fall - und wir Sozialdemokraten unterstreichen das, was dazu gestern der Herr Bundesaußenminister und auch Herr Dahrendorf gesagt haben - werden wir gestärkt aus diesen Verhandlungen herausgehen. Wir können Europas Frieden unter Umständen sicherer machen und die Substanz unseres Volkes retten. Wie aber auch immer, wir gewinnen durch diese Verhandlungen moralischen und politischen Kredit. Wir loten alle Möglichkeiten aus, die es heute und jetzt gibt. Uns wird man in den achtziger Jahren nicht den Vorwurf machen können, den man Ihrer Regierung zu Recht machen muß, in den fünfziger Jahren eben nicht ausgelotet zu haben, was damals in der Deutschlandpolitik wirklich drin war.
({10})
Uns wird man diesen Vorwurf nicht machen können.
Wir festigen durch unsere Ostpolitik die westliche Einheit. Gott sei Dank ist Ihnen ja nach dem letzten Brief des amerikanischen Präsidenten Nixon die Argumentationsbasis endgültig, so hoffen wir, unter den Füßen weggezogen worden, wir wollten hier traumtänzerisch allein etwas versuchen.
Lassen Sie mich abschließen. Wir Sozialdemokraten stellen nach den ersten 24 Stunden fest, daß die Obstruktionspolitik der Opposition in der Deutschlandfrage gescheitert ist, daß sich die CDU in den letzten 24 Stunden gewunden hat, da sie weder in die Katakomben des Kalten Krieges zurück wollte noch ihre Buhmänner hier richtig verkaufen konnte, noch mit ihrer historischen Analyse Glück hatte. Wir freuen uns darüber nicht, meine Damen und Herren; denn wir wissen, daß wir in der Deutschland- und in der Ostpolitik alle zusammenhalten müssen.
({11})
- Wir wären froh, Herr Barzel, wenn Sie diesen Lernprozeß der letzten 24 Stunden und der vorangegangenen Wochen so verstehen würden, wie ihn Herr Wehner gestern gemeint hat, nämlich endlich zu begreifen, wie es Herr Schröder schon lange begriffen hat, daß es in unserer Deutschland- und
Ostpolitik keinen kleinlichen Parteienstreit geben I kann, sondern daß das, was der Herr Bundeskanzler hier angeboten hat
({12})
- und da ist sich die gesamte Tagespresse heute morgen einig -, eine anständige, ehrliche Analyse unserer Lage und unserer politischen Möglichkeiten ist. Wir wollen auf dieser Analyse aufbauen, um in der Politik weiterzukommen.
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Weizsäcker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herbert Wehner hat gestern gesagt, daß wir am Anfang der achtziger Jahre vor derselben Frage stehen werden, vor der wir jetzt in bezug auf die sechziger .Jahre stehen, was dieses Haus nämlich für die Einheit der Nation in den siebziger Jahren getan haben wird. Ich glaube, wir brauchen dafür den Nachweis sachlicher Auseinandersetzungen, aber nicht den Nachweis der Polemik, die wir soeben gehört haben.
({0})
Ich möchte auf einige Punkte der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und der gestrigen Debatte eingehen. Lassen Sie mich aber vorweg noch zwei andere Bemerkungen machen.
Die erste bezieht sich auf die Frage an den Herrn Bundeskanzler wegen seines Nachworts im Buch „100 Jahre Deutschland". Ich hatte Anlaß, dieses Nachwort sehr sorgfältig zu lesen; denn ich habe zu diesem Buch das Vorwort geschrieben. Ich habe vieles von dem, was der Bundeskanzler in seinem Nachwort geschrieben hat, mit großem Eindruck gelesen. Aber ich gestehe, daß auch ich bei der Formel über die restaurativen Muster und bei der Formel von dem radikalen Bruch mit der Vergangenheit, dem wir ausgewichen seien, sehr gestutzt habe. Der Vorwurf der restaurativen Muster ist uns, wie wir wissen, damals allen gemacht worden, der SPD nicht weniger als der CDU und den Kirchen nicht weniger als den Gewerkschaften. Der Vorwurf, nicht radikal mit der Vergangenheit zu brechen, ist ein Vorwurf von radikaler Seite, dem wir wiederum gemeinsam heute gegenüberstehen. Aber was der Bundeskanzler wirklich konkret mit dem vermißten radikalen Bruch mit der Vergangenheit gemeint hat, das scheint er mir gestern ebensowenig beantwortet zu haben wie die Frage von Herrn Dr. Barzel, wie er es denn mit dem radikalen Bruch nun in der Zukunft zu halten gedenke. Das ist meine erste Vorbemerkung.
({1})
Die zweite bezieht sich auf eine Bemerkung des Bundesaußenministers. Wir waren dankbar, daß er die Deutschlandpolitik in den allgemeinen Rahmen der Außenpolitik gestellt hat. Er sprach von den Wandlungen der Struktur im Warschauer Pakt und
Dr. Frhr. von Weizsäcker
von den Auflockerungen, die von der wirtschaftlichen und technologischen Vernunft zu erwarten wären, auf die wir setzen sollten. Meine Damen und Herren, ich glaube in der Tat, daß das das einzige ist, worauf wir überhaupt setzen können. Aber wenn wir das sagen, so müssen wir doch hinzufügen: diese wirtschaftliche und technologische Vernunft ist ihrer Natur nach notwendig verknüpft mit gesellschaftspolitischen Konsequenzen und Wandlungen. Die eigentliche Gefahr, vor der wir doch stehen, ist, daß der Widerspruch zwischen den Zwängen der wirtschaftlichen und technologischen Vernunft und der Angst des Parteiapparates vor den Liberalisierungsfolgen dieser Zwänge uns, wie es scheint, immer wieder auf den restaurativen, auf den reaktionären Kurs zurückbringt, vor dem wir in Moskau stehen. Das ist es, was zum 21. August 1968 geführt hat, das hat uns die Breschnew-Doktrin nach außen und die Verschärfung innerhalb der Gesellschaft in der Sowjetunion und den Blockländern gebracht.
({2})
Das Mißtrauen in der Sowjetunion gerade gegen diejenigen westlichen Politiken, die auf die wirtschaftliche und technologische Vernunft setzen, ist deswegen nicht geringer, sondern schärfer geworden. Das Mißtrauen der Sowjetunion, daß mit Hilfe dieser unserer Hoffnung westliche Politiken Erfolge im Bereich des Warschauer Paktes haben, das ist es, womit wir es zu tun haben, und ich glaube, wenn unser Außenminister über die zu erwartenden Auflockerungen spricht, dann muß er diesen Gesichtspunkt mit nennen.
Aber ich möchte nun zur Erklärung des Bundeskanzlers zurückkommen und dazu folgendes sagen. Auch ich gehöre zu denen, die in den letzten Wochen vor dieser Debatte mit wachsender Sorge beobachtet haben, wie unsere Regierung in dem sehr verständlichen Bemühen nach Zeichen guten Willens und in dem von uns geteilten Bemühen nach Glaubwürdigkeit in unseren Begriffen im Umgang mit neuer und alter Sprache der Deutschlandpolitik Verwirrung stiftete. Trotz ständiger Fragen von unserer Seite hatten wir keine Klarheit und keinen Plan vorgelegt bekommen, und das ist es doch, was die Zusammenarbeit erschwert hat.
Ich bin dankbar, daß der Bundeskanzler in einigen wesentlichen Punkten in der vorgestrigen Erklärung eine lange erforderliche und deshalb von uns seit langem geforderte Klärung gebracht hat. Ich denke vor allem an das, was er zur Einheit der Nation
das - worauf auch Herr Apel
gesagt hat, und das - worauf auch Herr Apel soeben zu sprechen gekommen ist -, was er die unverzichtbaren Orientierungspunkte in den Verhandlungen mit Ost-Berlin genannt hat. Zu beidem und zum Thema der Zusammenarbeit möchte ich ein paar Worte sagen.
Dankbar also bin ich, daß der Bundeskanzler die Einheit der Nation unterstrichen hat, und ich meine, er hat ganz recht: Es sind nicht unsere Gesetze, sondern es sind Wille, Wort und Tat, die sich dokumentieren, wenn die Einheit gesichert und die Hoffnung auf ihre Verwirklichung lebendig gehalten werden soll. Die Verantwortung der Politiker und der Regierung ist entscheidend groß, besonders im Hinblick auf die Erwartungen der Menschen hüben und drüben; denn diese Erwartungen entscheiden doch letztlich über den Sinn, über die Fortdauer der Einheit der Nation zu sprechen. Wir haben drüben keine empirische Sozialforschung, die wissenschaftlichen Anforderungen genügen würde. Aber soviel wissen wir doch alle: die Menschen drüben sind seit dem Jahre 1961 eingesperrt, unschuldige Menschen, die dafür bezahlen, daß von einer deutschen Regierung ein Krieg verschuldet und verloren wurde. Aber sie müssen leben, sie müssen ihre Lebenskraft im eigenen Haus investieren. Eben dies haben sie getan. Sie mußten sich im eigenen Haus notgedrungen einrichten. Sie wissen am besten, daß ihre Regierung nicht durch ihren Willen an die Macht gekommen ist. Trotzdem - wie soll es anders sein? - identifizieren sie sich mit den Werten, die sie selber geschaffen haben, und sie haben Erwartungen an die Zukunft.
Was bedeutet das alles für den Zusammenhang der Deutschen? Ich glaube, zwei Dinge können wir deutlich feststellen, wenn wir uns hüben und drüben auf diese Sachen einlassen. Das erste ist: ihr Urteil über die Chancen der Wiedervereinigung ist sehr nüchtern, aber ihr Interesse an der Wiedervereinigung als Chance ist nichtsdestoweniger eindeutig lebendig.
({3})
Das zweite: sie haben sehr deutliche eigene Vorstellungen über Werte und Ziele in Gegenwart und Zukunft. Aber sie zielen damit nicht auf die Spaltung, sondern auf ihre Überwindung, und zwar dann, wenn unsere hiesige Einstellung dieser Einheit Kraft und Lebendigkeit verleiht.
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es so wichtig, wie das Parlament und wie die Regierung handeln und sprechen. Wir müssen sehr deutlich sagen, was mit der Wiedervereinigung gemeint ist und was nicht gemeint ist. Es genügt nicht, alte Formeln zu wiederholen oder alte Formeln zu streichen, sondern wir müssen sie ständig begründen. Wir wissen, meine Damen und Herren, Wiedervereinigung kann nicht ein restauratives, sondern nur ein neues Zusammenwachsen bringen. Wir sprechen von einer Einheit, die auf Europa weist und die dazu beitragen muß, Grenzen zu überwinden. Sonst kann sie nicht zustande kommen. Aber damit leugnen wir doch nicht, sondern bestätigen, daß unter den Deutschen das elementare Bewußtsein fortlebt, zusammenzugehören. Die Spaltung der Nation würde es allein bedeuten, wenn die Deutschen nicht mehr den Willen hätten, ihre Identität als Volk zu wahren. Welche Regierung will sagen, daß dieser Wille erloschen sei, nur weil die weltpolitische Konstellation die Selbstbestimmung für die Deutschen heute nicht zuläßt? Welche Regierung darf den Einfluß verkennen, den sie selbst auf diesen Willen durch die Art und Weise nimmt, wie sie von Wiedervereinigung spricht oder schweigt?
({4})
Dr. Frhr. von Weizsäcker
Hier liegt der Kern des Berichtes zur Lage der
Nation. Die Deutschlandpolitik ist nur seine Folge.
Für die laufenden Verhandlungen, meine Damen und Herren, sind vor allem klare Positionen, klare Begriffe und klare Pläne vonnöten. Nur sie werden uns Respekt und Vertrauen nach außen und innen verschaffen. Wir haben gestern von den Orientierungspunkten für die Verhandlungen gehört, und wir sind dankbar für das, was der Bundeskanzler zur Selbstbestimmung, zur Einheit und Freiheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung, zu Berlin und zur Verantwortung der Drei und der Vier Mächte gesagt hat. Es hätte die letzten Wochen wesentlich erleichtert, wenn von vornherein kein Zweifel an diesen Punkten erlaubt gewesen wäre.
({5})
Wo Unklarheiten bleiben, werden wir nicht aufhören zu fragen. Das bezieht sich - ich möchte es noch einmal aufgreifen - auf die zwei Staaten.
({6})
Wir begrüßen - ich sagte es schon - den nüchternen Realismus und die Bemühung um Glaubwürdigkeit in den Ausdrücken. Aber hat die Regierung
ich möchte nur einen bestimmten Punkt als Beispiel nennen - die Konsequenzen bedacht und die politischen Ziele festgelegt, bevor sie sich entschloß, von den zwei Staaten zu sprechen? Wenn ja, wo ist z. B. das Konzept der Regierung, wenn es um Vereinbarungen und um die Mitgliedschaft der DDR in multilateralen Organisationen geht, Organisationen, in deren Satzung z.B. für neue Mitglieder die Staatsqualität verlangt wird? Wissen unsere Diplomaten im Ausland, wie sie sich verhalten sollen, wenn ihre Kollegen ihnen die Frage vorlegen: „Ausland ist die DDR für uns immer gewesen; daß sie ein Staat sei, bestätigt uns jetzt eure Regierung. Wie sollen wir uns ihrem Wunsch nach Mitgliedschaft gegenüber verhalten?"
({7})
Ich diskutiere nicht die Frage, ob eine solche Mitgliedschaft der DDR in einzelnen Fällen vielleicht sogar erwünscht sein könnte, sondern ich frage nach dem vorher durchdachten Plan; denn wir sind ja hier nicht ein Klub formalistischer Juristen, die zu entscheiden haben, ob die DDR die klassischen Merkmale des Staates besitzt oder nicht,
({8}) sondern wir haben Politik zu machen.
({9})
Wir haben zu entscheiden, welchen Einfluß wir auf die Rolle der Regierung von Ost-Berlin im internationalen Feld nehmen können und wollen. In diesem Sinne stimme ich dem ganz zu, was der Außenminister gestern gesagt hat, daß es nicht um abstrakte Rechtsregeln, sondern um Politik geht, bevor man Tatsachenbeschreibungen ausspricht, die man von der Politik gar nicht trennen kann, Herr Apel.
({10})
Ich möchte, da die Zeit hier oben immer drängt, auf ein letztes Thema kommen, das mich besonders beschäftigt, auf ein Thema, das auch die ganze Debatte immer wieder durchzogen hat: die Frage der Zusammenarbeit in der nationalen Frage. Der äußere, vielfach heilsame Zwang der Großen Koalition ist vorbei, sich über die Lage der Nation und die Deutschlandpolitik zu verständigen. Aber der Zwang in der Sache selber ist ja dadurch nicht verändert, nicht geringer geworden.
({11})
Er stellt eine Frage an uns alle, an die Opposition und an die Regierungsparteien. Die Aufgabe der Opposition, unbequeme, harte kritische Fragen zu stellen, ist es in Fragen der Nation keineswegs, der Regierung zu schaden, sondern der Lage der Nation zu dienen.
({12})
Die Opposition weiß dies sehr wohl. Sie will ja selbst wieder die Geschäfte übernehmen, und zwar in einem Zustand, der verantwortbar ist.
Aber ob Zusammenarbeit möglich und fruchtbar ist, dafür liegt nun einmal nach der Lage der Dinge der Schlüssel in der Hand der Regierung. Diesen Schlüssel, Herr Bundeskanzler, hat nach meinem Eindruck die Regierung bisher unzureichend benutzt. Es beginnt zunächst mit der Information. Es ist kein Zustand, wenn wir zweimal hintereinander über Ostberliner Vertragsentwürfe durch die Presse schneller informiert werden als in den Bundestagsausschüssen.
({13}) Aber ich will darauf nicht insistieren.
Viel wichtiger als die Information dieser Art, die auch gestört werden kann, ist der Wille zur Zusammenarbeit, bevor die Entscheidungen getroffen sind.
({14})
Es geht um Entscheidungen auf der Basis ausgetragener Gegensätze, wie Herr Dahrendorf gestern ganz zu Recht sagte. Ein Bundeskanzler, der diese Zusammenarbeit wirklich will, wird noch andere Methoden finden, als dem Oppositionsführer - zumeist in einem größeren Kreise - beschlossene Dinge mitzuteilen. Bisher scheinen mir Zeit, Methode und Prioritätenfeststellung für diese Zusammenarbeit zu fehlen. Wo ist der Wille im Zentrum der Regierung, nicht aus Taktik, sondern um der Ergebnisse willen an den Dingen zu arbeiten, um sie zu ringen, bevor sie festgelegt und beschlossen sind?
({15})
Es geht um die Zusammenarbeit nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit den die Regierung tragenden Fraktionen. Ich habe stets mit großem Respekt mit angehört, was Herbert Wehner zur Deutschlandfrage hier zu sagen hatte und zu sagen hat. Aber das Wort von dem „Spiel mit den Resolutionen" war kein gutes Wort.
({16})
Wenn hier in ernsthafter Arbeit eine Resolution
gemeinsam erarbeitet worden ist, dann kann es
selbstverständlich ernsthafte Gründe geben, von dieDr. Frhr. von Weizsäcker
ser Resolution abzurücken. Aber so, wie sie gemeinsam erarbeitet worden ist, so bedarf es auch der gemeinsamen Erörterung, daß und warum dies nicht mehr die Basis sein kann.
({17})
Im übrigen können wir auch keineswegs zustimmen, Resolutionen in diesen Fällen überhaupt zu eliminieren. Das wäre ja die Abdankung des Parlaments in seiner Aufgabe gegenüber der Regierung!
({18})
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. Wir müssen alle immer wieder neu lernen. Aber ich wiederhole: Der Schlüssel zur Zusammenarbeit liegt bei der Regierung. Sie muß die Konsequenzen bedenken, wenn sie hier nicht für Besserung sorgt. Wer es unter unseren Verhandlungspartnern im Osten mit den Verhandlungen ernst meint, der weiß, daß jede dauerhafte Lösung einer breiten Mehrheit in diesem Hause bedarf. Sollte aber einer dieser Verhandlungspartner mit seiner Taktik auf die Spaltung dieses Hauses abzielen, nun, dann darf er hier keine Unterstützung finden.
({19})
Wir werden in Reden und Taten die Einheit der Nation nicht wahren, wenn wir nicht mehr im Grundsatz die Verständigung in der Deutschlandpolitik suchen. Wir werden 1980 als unverantwortliche Politiker dastehen, wenn eine deutschlandpolitisch eher nüchtern denkende deutsche Bevölkerung den Eindruck gewönne, sie würde in den Fragen der Nation durch die Parteien zu einer Spaltung aufgefordert.
({20})
Die ungelöste deutsche Frage bedrückt uns alle und macht uns alle ungeduldig. Vor allem jüngere Menschen drängen darauf, es deshalb nun doch einmal anders herum zu probieren. Auf der Suche nach Fortschritten meinen sie, es läge nur an den Politikern, eine bestimmte Wahl zwischen zwei Möglichkeiten zu treffen, um den Bann zu brechen. Wir alle wollen die Beziehungen im geteilten Deutschland verbessern und wollen uns die Ausführungen, die der Bundesminister Franke dazu gemacht hat, auch sehr sorgfältig durchlesen. Aber in der Deutschlandpolitik sind die Fristen lang und der Spielraum eng. Es erfordert Mut, die Lage so hart zu vertreten, wie sie ist, und der begreiflichen Ungeduld entgegenzutreten. Denn die Lösungen, die uns die Ungeduld nahelegt, sind Fluchtwege, und Fluchtwege sind weder der Opposition noch der Regierung in der Deutschlandpolitik erlaubt.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen von Weizsäcker unterscheiden sich nicht nur durch den zeitlichen Abstand von 24 Stunden von dem, was gestern Herr Kiesinger und Herr Strauß für die Fraktion der CDU/CSU gesagt haben. Ich bin der Meinung, die Entfernung zwischen diesen beiden Darlegungen beträgt so ungefähr ein Lichtjahr,
({0})
weil Herr von Weizsäcker bei aller Kritik an der Methode, die für die Opposition ganz verständlich ist, in der Substanz die Regierungspolitik und die Regierungserklärung unterstützt hat und auch der Regierung, so möchte ich sagen, eine Vollmacht zugestanden hat, nach ihrer Lagebeurteilung zu handeln - ohne Rückgriff auf vergangene Selbstfestlegungen, die nur schädlich sein können , etwa am Beispiel der Resolutionen.
({1})
Dafür sollten wir dem Kollegen von Weizsäcker danken.
({2})
- Herr Dr. Kiesinger, ich will es an einem Beispiel verdeutlichen. Sie haben gestern ausdrücklich die Regierung und den Bundeskanzler gefragt, wo denn die Zielsetzung nicht nur der Einheit der Nation, sondern auch der staatlichen Einheit bleibe. Und wenn Sie genau nachlesen, was Herr von Weizsäcker gesagt hat - jedenfalls wie ich es gehört habe und nicht, wie ich es hören wollte; ich habe es mir notiert -, dann fällt Ihnen möglicherweise auf, daß genau die Akzentuierung, die Sie vorgenommen haben, Ihr Fraktionskollege - ich meine, mit gutem Grund - nicht vorgenommen hat. Er hat gesagt, wir würden in den achtziger Jahren gefragt, was wir für die Einheit der Nation getan hätten. Aber er hat nicht gesagt, wir würden gefragt, was wir für die staatliche Einheit getan hätten. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
({3})
- Ich denke schon. Er muß ja wohl einen Grund gehabt haben, sich von Ihnen in diesem Punkte zu unterscheiden.
({4})
Diese Ihre Unruhe ist ganz unbegründet. Ich will Ihnen einfach darlegen, was mir als einem in dieser Frage sehr distanzierten Beobachter der deutschen Szenerie in den letzten 23 Jahren aufgefallen ist. Ich erinnerte mich gestern bei den Darlegungen von Professor Carlo Schmid an jene Ausführungen, die er vor 23 Jahren einmal hei der Begründung einer Landesverfassung in Tübingen zum deutschen Problem gemacht hat. Wir haben das als Studenten sehr aufmerksam gehört. Es hat mich doch sehr berührt, daß er gestern einiges über die andere Beurteilung der Lage in den Jahren 1947 bis 1949 dargelegt und bekannt hat, daß die Väter des Grundgesetzes in der Präambel in der Tat etwas anderes gemeint haben, als heute auf Grund der veränderten Lage zu meinen ist, denn in dieser Präambel steht ausdrücklich - darauf hat sich Herr Kiesinger gestern sicher beziehen wollen , daß die staatliche und nationale Einheit des deutschen Vol940
kes zu wahren sei. Das ist in der Präambel damals aus gutem Grunde so formuliert worden, aber ich wundere mich darüber, daß diese Frage gestern nun gerade von der Seite, nämlich von Herrn Dr. Kiesinger, so zugespitzt aufgegriffen worden ist, die doch in den fünfziger Jahren damals war ich ein sehr aufmerksamer Zuhörer auf der Tribüne - in diesem Hause den Kollegen gegenübergetreten ist, die damals auf diesen Punkt hinwiesen. Ich nenne hier die Namen Thomas Dehler und Gustav Heinemann. Ich erinnere mich sehr genau an diese Debatten. Damals wurde diesen Kollegen versichert, daß dieses Ziel keineswegs aus dem Auge gelassen sei, daß man sich aber jetzt für die westliche Integration, für die Vertragspolitik entscheiden müsse und daß es ganz falsch sei, solche Besorgnisse zu haben, wie sie Thomas Dehler in diesem Haus ausgesprochen hat.
Wer sich damals aus Gründen, die hier dargelegt worden sind und die ich gar nicht in Frage stellen will, nun einmal für den Vorrang der Westpolitik entschieden hat und damit eben dem Auftrag des Grundgesetzes keineswegs so präzise gerecht geworden ist, wie man ihm nach Meinung anderer in den fünfziger Jahren hätte gerecht werden können und müssen, darf sich heute nicht darüber wundern, daß etwa mein Kollege Dahrendorf gestern - wie ich meine, sehr zutreffend - festgestellt hat, daß der Vorrang der staatlichen Einheit das ist doch der Sinn dessen, was wir hier zu diskutieren haben am Ende die nationale Einheit selbst gefährden könne, wenn wir auch jetzt noch, im Jahre 1970, auf jeden Fall beides gleichrangig haben möchten. Das scheint mir dac Problem zu sein
({5})
- Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen.
Ich möchte mich nicht in die Reihe derer einreihen, die gestern als Historiker gesprochen haben - ich denke z. B. an Herrn Strauß; Sie wissen, daß die Nichthistoriker gelegentlich behaupten, die Historiker seien rückwärtsgewandte Propheten -, sondern ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Geschichte der deutschen Nation, wenn Sie 1848 anfangen, eine Geschichte der falschen Zielsetzungen, der nicht realistischen Zielsetzungen gewesen ist
({6})
und daß diejenigen, die in der Geschichte so sehr auf staatliche Einheit drängen wollten und immer wieder gedrängt haben,
({7})
auf diese Weise sehr oft die nationale Einheit in Frage gestellt haben und auch die staatliche Einheit nicht erreicht haben.
({8})
- Ich bin der Meinung, daß die nationale Einheit
zu bewahren ist und auch bewahrt werden kann, daß
Sie aber dann, wenn Sie alles haben möchten, nämlich gleichzeitig eine Veränderung der Machtverhältnisse, unter dem Rubrum, daß Sie jetzt auch die staatliche Einheit ganz in den Vordergrund der Bemühungen stellen
({9})
- ich habe es hier dargelegt, Sie können es nachlesen -,
({10})
am Ende eine weitere Teilung der Nation provozieren, die Sie möglicherweise damit nicht gewollt haben.
Wie gesagt, die deutsche Geschichte ist voll von solchen Hinweisen. Ich möchte hier am Schluß nur noch ein Zitat anführen und Sie bitten, es doch einmal nachzulesen und zu überdenken. Carlo Schmid hat gestern schon auf den Ursprung dieses Zitats bei Renan hingewiesen. Meinecke hat sich damit in „Weltbürgertum und Nationalstaat" auseinandergesetzt. Er hat betont, daß es gewissermaßen eine Zweiteilung, eine Unterschiedlichkeit von Kulturnation und Staatsnation gibt und daß die Staatsnation vorzugsweise auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen Geschichte und Verfassung beruht.
Die Kulturnation kann in sich, - ich zitiere wörtlich -wie das Beispiel der großen deutschen Nation zeigte, mehrere Staatsnationen entstehen sehen, d. h. Bevölkerungen von Staaten, die ihr politisches Gemeingefühl zu kräftiger Eigenart ausprägen, die dadurch zu einer Nation werden, oft es bewußt werden wollen, zugleich aber - sie mögen es wollen oder wissen oder nicht - auch Angehörige jener größeren umfassenden Kulturnation bleiben können.
Das war ein Problem der Jahrhundertwende. Das ist geschrieben unter Hinweis auf das damalige Elsaß-Problem.
Mit dieser Frage, was wir eigentlich bleiben wollen und bleiben können, müssen wir uns heute beschäftigen. Ich bin denjenigen in diesem Hause dankbar, die ganz unbefangen und realistisch die Situation des Jahres 1970 sehen und die die Ziele jetzt so stecken, wie sie aus den gegebenen machtpolitischen Gründen erreichbar erscheinen, die nicht den übernächsten Schritt unter allen Umständen zusammen mit dem nächsten Schritt tun wollen, um am Ende weiterhin stehenzubleiben, wie wir es zu unserem gemeinsamen Bedauern in den letzten zwanzig Jahren geblieben sind. Das ist eine Feststellung, die Sie doch gemeinsam machen müssen: mit der Beschwörung der Wiedervereinigung in Worten sind Sie ihr nicht nähergekommen, sondern Sie sind ihr ferner gerückt. Ich meine, wenn wir davon Abschied nehmen, vollziehen wir einen Akt politischer Vernunft.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich hat die Regierungserklärung eigentlich die Voraussetzung geschaffen, in diesen Tagen mehr über das zu sprechen, was' zu tun ist, als über das, was wir uns über die Vergangenheit zu sagen haben. Aber das ist nun einmal leider so gelaufen. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß die CDU, die Opposition, gestern eine große Chance verpaßt hat. Sie hätten gestern die Gelegenheit gehabt, Ihren 30. Juni zu erleben.
Die Bundesregierung hat - das ist unbestreitbar
auch für Sie - großes, zusätzliches internationales
Vertrauen - ich meine nicht, daß früher keines da
war - aufgestockt: bei Verbündeten und befreundeten Mächten und auch in der neutralen Welt. Die Ursachen kennen wir, ich brauche sie hier aber nicht aufzuzählen; wir wollen nicht alte Wunden aufreißen, wenn es nicht notwendig ist. Es gibt für die heutige Politik der Bundesregierung ein festes westliches Fundament und absolute Rückendeckung.
Wenn ich sage: 30. Juni, so möchte ich damit folgendes ausdrücken. Ich komme noch einmal auf den 30. Juni 1960 zurück. Herbert Wehner hat gestern mit Recht an diese Auseinandersetzung erinnert. Am Schluß dieser Auseinandersetzung hat Fritz Erler nach der Rede Ihres Herrn Kollegen von Guttenberg eine konkrete Frage an ihn gerichtet. Er hat gefragt: Herr von Guttenberg, seien Sie doch bitte so freundlich und sagen Sie nun einmal klipp und klar sachlich in Einzelheiten, wie Ihre Vorstellung von der Wiedervereinigungspolitik ist! - Sie haben damals nicht geantwortet, Herr von Guttenberg. Sie haben diese Frage bis heute nicht beantwortet, sondern Sie haben immer nur davon gesprochen, daß Sie eine richtige Politik betreiben. Wir haben die Antwort bis heute nicht.
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, anknüpfend an das, was Herr Dr. Gradl gestern hier gesagt hat, folgendes sagen. Einem Berliner läuft es bei der Erinnerung an die Zeit von 1945 bis - ich sage es nur abgegrenzt - zum 13. August 1961 manchmal noch eiskalt den Rücken herunter. Das fängt an mit der Frage der Währungsreform. Hier im Saal sitzt noch ein Zeuge, Dr. Franz Seume, der damals mit Reuter und Klingelhöfer die Auseinandersetzung geführt hat, insbesondere mit Ihren Herren Adenauer und Erhard: Was wird bei der Währungsreform aus Berlin? Damals kam dann Ihr Kollege Dr. Friedensburg noch mit der Bärenmark. Wo wäre denn Berlin heute, wenn dieser erste Schritt, Berlin in die Währungreform einzubeziehen, nicht getan worden wäre?!
Stalin hat 1945 gesagt:
Dieser Krieg endet anders, im Unterschied zu allen bisherigen. Nach diesem Krieg wird der Sieger dem Besiegten seine Gesellschaftsordnung aufzwingen.
Das, meine Damen und Herren, hat von 1945 an eine ganze Zeit in Anspruch genommen. Einen gewissen Abschluß gab es vielleicht mit dem 17. Juni 1953.
Hier muß ich auf die Bemerkungen von Herrn Dr. Gradl und insbesondere auch von Herrn Strauß gestern in bezug auf die Situation 1952 zurückkommen, als wir es mit der Note der SU zu tun hatten und es bei Ihnen auch keine einheitliche Haltung dazu gab, wie man sich zu verhalten habe. Ihr Evangelischer Arbeitskreis hat am 15. September 1952 einen Beschluß gefaßt - ich darf zitieren -:
Wir sehen in der Note der Sowjetunion vom 10. 3. 1952 einen Erfolg der Politik der Bundesregierung, da damit ein Gespräch zwischen den Mächten veranlaßt wird, auf denen die Verantwortung für die Teilung Deutschlands beruht. Wir bitten die Bundesregierung, bei ihren Beratungen mit den Westmächten sich dafür einzusetzen, daß auch diese nichts unversucht lassen, das von ihnen gleichfalls bejahte Ziel der deutschen Wiedervereinigung zu verwirklichen.
Das war am 15. März 1952. Am 16. März 1952 bezeichnete Dr. Adenauer diese Note als einen „Fetzen Papier".
Lassen Sie mich diese Bemerkung mit einem Zitat aus jener Zeit, das auch von Adenauer stammt, abschließen:
Erst wenn der Westen stark ist, ergibt sich ein wirklicher Ausgangspunkt für friedliche Verhandlungen mit dem Ziel, nicht nur die Sowjetzone, sondern das ganze versklavte Europa östlich des Eisernen Vorhangs zu befreien.
Dazu hat er noch gesagt, meine Damen und Herren:
Der Zeitpunkt ist nicht mehr allzufern, in dem sich die SU zu einem vernünftigen Gespräch bereit erklären wird.
Sie kennen die Zitate. Auf Grund der Debatte von gestern mußte ich sie noch einmal wiederholen. Daran kann man doch nur diese eine Schlußfolgerung knüpfen: die Vorstellungen, mit denen Dr. Adenauer in seine damalige Vertragspolitik gegangen ist, waren auf alle Fälle falsch. Zu dieser Erklärung sollten wir gemeinsam kommen.
({0})
Nun hat sich Herr Strauß gestern hier auch noch einmal mit dieser Situation beschäftigt und nach den Zielen der Sowjetunion zu jener Zeit gefragt. Er kam gestern zu der Feststellung: Wir konnten 1952 nicht verhandeln, weil die Sowjetunion nur darauf ausging, ihre Mitbestimmung in ganz Deutschland zu erreichen.
({1})
Jetzt sage ich Ihnen folgendes: 1952 war das, was Stalin gesagt hatte, nämlich man werde den Besiegten eine andere Gesellschaftsordnung aufzwingen, noch nicht vollendet. Das war vor dem 17. Juni 1953.
Es gab aber etwas, das Herr Strauß gestern zu erwähnen vergessen hat: Auf Grund der Auseinandersetzung in Europa und in Asien war die Haltung der westlichen Mächte klar, nämlich keinen
Fußbreit freien Bodens mehr aufzugeben. Auf diesem Fundament konnte man 1952 abtasten, was in den Angeboten der Sowjetunion tatsächlich ernstgemeint war, nämlich in einer Zwischenperiode, einschließlich in der Übergangszeit nach dem Ausscheiden Stalins.
({2})
- Da brauchen Sie gar nicht mit dem Kopf zu schütteln; bewiesen ist das nicht. Sie, meine Damen und Herren, haben es versäumt, diesen Versuch in einer Periode zu unternehmen, in der die Sicherheit für den freien Raum Deutschlands durch die Westmächte schon gewährleistet war. Das ist unbestreitbar.
({3})
- Entschuldigen Sie, welche Illusionen haben Sie denn jetzt? Das sind keine Illusionen.
({4})
- Das sind sachliche Feststellungen über versäumte Versuche, abzutasten, was geschichtlich notwendig gewesen wäre, Herr Stücklen. Das ist ein unbestreitbarer Vorgang.
Nun sind wir ja doch ein Stück weiter. Der Streit, der jetzt hier geführt wird, ist auch unter Ihnen nicht ausgetragen. Ich darf daran erinnern, daß Herr Strauß in seinem Buch folgende Feststellungen trifft:
Dagegen setzte ich in aller Offenheit meine Meinung: ich glaube nicht an die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates.
- Wörtlich Herr Strauß in seinem Buch! -Nur im Rahmen eines vereinigten Europa wird die deutsche Frage zu lösen sein.
({5})
Da sind wir genau an dem Punkt, an dem die deutsche Bundesregierung mit ihrem Bericht zur Lage
- ich sage das hier ganz offen, wie ich es sehe im Vergleich mit früheren Zeiten - endlich mal einen Bericht - wie das neulich in einer anderen Veranstaltung gesagt wurde - „ohne Augenzwinkern" geschrieben hat und den Versuch gemacht hat, eine Politik „ohne Augenzwinkern" zu betreiben. Ich meine, dieser Bericht zur Lage hätte die CDU wirklich veranlassen können - wenn Sie die Presse gestern morgen nach dem Bericht genau gelesen haben, hätte Ihnen das noch einmal aufkommen können , den Versuch zu machen, bei den geringen Differenzen, die wirklich da sind, wenn Sie einmal Ihre Polemik lassen und wenn Sie das lassen, was Sie vorher erwartet haben, und wenn Sie die Leute beiseiteschieben, die mit Dreckschleudern in den vorigen Wochen herumgelaufen sind, zu Gemeinsamkeiten zu kommen. Vor mir liegt eine Erklärung des Mitgliedes Ihrer Fraktion, Herrn Martin: „Die Bundesregierung bewegt sich in Ihrer Außenpolitik am Rande des Landesverrats". - Natürlich, wenn so etwas in Ihren Reihen gesagt
wird, ist es schwer, drei Wochen später zu sagen: „Wir wollen uns gemeinsam finden, weil die Gemeinsamkeit eine Voraussetzung einer durchschlagenden Deutschlandpolitik ist." Aber Sie sollten sich das selber in Ruhe mal überlegen.
Eines ist doch wohl die Voraussetzung unserer Politik: Frieden, wie wir ihn wollen, ist nur durch Verständigung und nur durch Kompromisse zu erreichen. Die Bundesregierung ist mit ihren befreundeten und verbündeten Mächten heute in einer ausreichend starken und gesicherten Position, daß sie tatsächlich alle Bemühungen daransetzen kann, ich sage jetzt, in Fragen von Kompromißangeboten den Sowjetrussen und der DDR mehr als den halben Weg entgegenzugehen, weil wir die moralische Position haben, die materielle Position haben, die gesicherte Position haben, die westliche Rückendeckung haben, daß wir uns das erlauben können.
Das hat zwei Ziele: entweder daß wir erreichen, was wir hoffen, daß uns die Sowjetunion und die DDR, wenn sie auch der Meinung sind, der Frieden muß durch Kompromisse gesichert werden, ein Stück Weges entgegenkommen -
Herr Kollege Mattick, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
- ich möchte erst zu Ende sprechen -, ein Stück Weges entgegenkommen, und dieser Versuch wird jetzt durch die Verhandlungen und durch die Angebote auf Gewaltverzicht gemacht. Oder - da möchte ich mich Herrn Dahrendorf von gestern anschließen -: Unsere Position ist so: wenn uns dies nicht gelingt, wird unsere Lage nicht schlechter, sondern bei den Verbündeten und bei den neutralen Mächten besser. Ich sage Ihnen auch: sie wird besser bei den Menschen, bei den Völkern jenseits von Mauer und Stacheldraht, um deren Freundschaft und um deren Beziehungen wir uns bemühen. Alles, was Sie jetzt tun, ist meiner Ansicht nach der Versuch, das, was Sie als „alte Politik" bezeichnen, noch eine Weile zu verteidigen.
In seiner Botschaft an die Nation hat der Präsident Kennedy, als er von seiner Europareise und von seiner Begegnung mit Chruschtschow zurückkam, dem Volke folgendes gesagt - und ich darf das noch zitieren -:
Wir glauben an ein System staatlicher Freiheit und Unabhängigkeit, er - Chruschtschow - an eine expandierende und dynamische Idee des Weltkommunismus. Und die Frage stellt sich,
- die stellt sich auch für uns ob überhaupt die Hoffnung besteht, daß diese beiden Systeme in Frieden miteinander leben können, ohne daß es dadurch etwas an Sicherheit einbüßt oder die Freiheit unserer Freunde irgendwie geschmälert wird. So schwierig es auch sein mag, diese Frage angesichts so mancher uns bevorstehender harter Proben positiv zu beantworten, so glaube ich doch, daß wir es der gesamten Menschheit schuldig sind, jeden nur erdenklichen Versuch zu unternehmen.
Ich beglückwünsche die Bundesregierung, daß sie den Weg gefunden hat, jeden nur erdenklichen Versuch zu unternehmen, um dem Frieden ein Stück näher zu kommen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kiep.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sinn und Zweck der Debatte über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland ist nach unserer Ansicht die Feststellung und das Festhalten von Gemeinsamkeiten. Diese Feststellung von Gemeinsamkeiten ist auch in dieser Debatte trotz all dem, was heute morgen und gestern hier in teilweise sehr polemischer Art und Weise gesagt worden ist, gelungen. Es sind eine Reihe wichtiger Punkte festgehalten worden, und wir legen Wert darauf, daß diese Punkte nicht nur hier in der Debatte verbal festgehalten werden, sondern daß sie die Grenzen abstecken, in denen sich die Politik der Bundesregierung in den nächsten Monaten bewegen wird.
Es sind dies das Recht auf Selbstbestimmung für das gesamte deutsche Volk, die nationale Einheit und Freiheit, die Viermächteverantwortung für West-Berlin, die Bestätigung, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der Regierung in Ost-Berlin nicht vorgesehen ist, die Dreimächteverantwortung schließlich für Deutschland.
Ich frage mich, warum, nachdem diese Gemeinsamkeiten hier erneut festgehalten und festgestellt worden sind, man sich dann nicht dazu verstehen kann, der Resolution vom 26. September 1968, die einstimmig gefaßt worden ist, auch heute erneut zuzustimmen.
Herr Kollege Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte nur - in Frageform - etwas feststellen. Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: es gibt keine Viermächte-verantwortung für West-Berlin, es gibt nur eine Viermächteverantwortung für ganz Berlin. Den falschen Zungenschlag hat schon ein Kollege von mir heute gemacht, und ich möchte das hiermit nur richtiggestellt haben.
Herr Kollege Mattick, es gibt eine Viermächteverantwortung für Berlin, es gibt aber auch eine Viermächteverantwortung für Deutschland. Ich möchte, wenn Sie schon dieses Thema anschneiden, fragen, warum eigentlich hier immer nur von einer Dreimächteverantwortung für Deutschland und die Wiederherstellung der Einheit dieses Landes gesprochen worden ist.
Das Festhalten an diesen Punkten erscheint mir wesentlich. Die Einheit in diesen Fragen ist in unserem gespaltenen Lande eine wertvolle, wichtige Sache, die schutzbedürftig ist, die erhalten werden muß.
Dazu gehört aber auch, daß sich diejenigen, die um diese Gemeinsamkeiten ringen, in der Art und Weise der Debattenführung, in der Wahl ihrer Argumente eines Stils befleißigen, der das Zustandekommen von Gemeinsamkeiten auch ermöglicht.
({0})
Ich habe den Eindruck - nach sorgfältigem Zuhören gestern den ganzen Tag und insbesondere heute morgen -, daß hier gelegentlich doch wohl gegen diesen zur Erreichtung von Gemeinsamkeiten notwendigen Stil in flagranter Weise verstoßen worden ist.
({1})
Hier ist in zunehmendem Maße - und der Herr Kollege Apel, von dem ich das nun schon gar nicht erwartet hätte, hat es heute morgen noch einmal demonstriert - immer wieder der Versuch gemacht worden, eine Art von Monopol für Demokratie und Friedenspolitik für die Sozialdemokratische Partei aufzustellen. Wir kennen das schon, insbesondere diejenigen, die das Vergnügen haben, in sozialdemokratisch regierten Ländern zu wohnen.
({2})
Dieser Alleinvertretungsanspruch ist gerade jetzt wieder in dieser Debatte in einer Art und Weise dokumentiert worden, daß wir nur darum bitten können, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, etwas mehr Toleranz, etwas mehr Fähigkeit zum ruhigen Zuhören,
({3})
etwas weniger mimosenhafte Empfindlichkeit zu zeigen, wenn man selber angegriffen wird.
({4})
Ich fand die Bemerkung, die gestern der Fraktionsvorsitzende der SPD hier in bezug auf die „Gladiatoren der 50er Jahre" gemacht hat, wenig angebracht, wenn man gemeinsame Positionen in dieser entscheidenden Frage der Deutschlandpolitik finden will, und ich weiß, daß ein Kollege, der in dieser Zeit in dieser Politik für die Bundesrepublik und für Berlin besonders tätig war, unser Kollege Ernst Lemmer, der heute nicht hier ist, durch diese Worte schwer getroffen und persönlich verletzt worden ist.
Herr Kollege Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mattick?
Wenn sie nicht angerechnet wird.
Nein, sie wird nicht angerechnet.
Herr Kollege, ich wollte Sie nur fragen, ob ich mich geirrt habe oder Sie. Bayern will doch aus der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten ausscheiden und nicht irgendein sozialdemokratisch geführtes Land!
Herr Kollege Mattick, ich sprach ja nicht von dein Ein- oder Austreten aus Rundfunkanstalten, sondern ich sprach von dem Alleinvertretungsanspruch und der Monopolanmaßung für Demokratie in diesem Lande bei einer bestimmten Partei.
({0})
Herr Kollege Kiep, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen? - Bitte.
Stücklen (({0}) : Herr Kollege Kiep, darf ich über diese Schaltstation die Frage stellen - ich fasse sie neutral -, ob Herrn Kollegen Mattick bekannt ist, daß wir nicht eine Einschränkung des Angebots an Programmen erreichen wollten, sondern allein schon auf Grund der Erhöhung der Gebühren eine Vielfalt und Vermehrung an Programmen - auch in Bayern - und nicht umgekehrt.
({1})
Herr Kollege, nachdem ich in die besonders delikate und ehrenvolle Rolle des Maklers zwischen Bayern und der Sozialdemokratischen Partei gekommen bin, will ich gern bestätigen, daß es so ist, wie Sie es soeben hier gesagt haben.
({0})
- Ich würde mich gern einmal mit der demokratischen Wirklichkeit eines Landes wie Hessen befassen, in dem ich zu leben die Ehre habe und in dem seit 20 Jahren eine Partei an der Macht ist. Ich weiß nicht, ob Sie dann nicht vielleicht zu einer etwas detaillierteren und nuancierteren Aussage in dieser Frage kommen würden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, wo es um Gemeinsamkeit geht, noch ein kurzes Wort zu der Legende von 1952 sagen, die ja heute auch hier wieder Urständ gefeiert hat. Diese Debatte kann nicht der Vergangenheitsbewältigung einzelner Abgeordneter oder bestimmter Gruppen von Abgeordneten in diesem Hause dienen.
({1})
Wenn auf die Ziele und darauf hingewiesen wird, daß wir zu gemeinsamen Ergebnissen kommen wollen, und wenn man den Blick auf 1952 richtet, dann wird immer von den nicht genutzten Chancen gesprochen. Dabei wird aber vergessen, daß die Sowjetunion sich bei ihren Angeboten nicht nur gegen die damals in der Verhandlung befindliche EVG gerichtet hat, sondern daß es dabei ebenso um die Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik ging, wie es heute um die Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik geht.
({2}) Die Sowjetunion hat gefordert, die Veränderungen gemäß Potsdamer Abkommen, so wie sie sie nannte, auch in der Bundesrepublik einzuführen, bevor man über Annahme und Durchführung der russischen Vorschläge diskutieren konnte.
({3})
Die Erklärung der Bundesregierung zur Lage der Nation hat einige Unklarheiten beseitigt, hat einige Punkte klargestellt und einige Leerräume ausgefüllt, die nach der Regierungserklärung vom 28. Oktober offengeblieben waren. Übertriebene Erwartungen, die sich auf Grund dieser Regierungserklärung allenthalben ergeben haben, sind teilweise durch Konfrontation mit der Wirklichkeit, teilweise sicherlich auch durch Einwände und Gegenvorschläge und konstruktive Kritik der Oppositionsparteien auf den Boden der Wirklichkeit zurückgebracht worden. Die Nebelwand, die verschiedentlich, nicht zuletzt auch im Bereich der Deutschlandpolitik, gezogen war, beginnt, sich etwas zu lichten, und das scheint mir ganz besonders wichtig.
Die Erklärung von den zwei Staaten, die in diesem Zusammenhang gemacht worden ist, hat natürlich dazu geführt, daß die auch von dieser Regierung ganz klar und deutlich abgelehnte völkerrechtliche Anerkennung einer zweiten deutschen Regierung in Ost-Berlin neue Nahrung bekommen hat. Dieser Anerkennungseuphorie, die davon ausgeht, daß sich alles, wenn man einen erst einmal anerkannt hat, zum Guten wenden würde, ist die Bundesregierung hier entgegengetreten. Sie hat die völkerrechtliche Anerkennung der Regierung in Ost-Berlin als ausgeschlossen bezeichnet. Wir können daher hoffen, daß diese Diskussion und die damit verbundenen euphorischen Illusionen nunmehr verschwinden.
Der Bundeskanzler hat dankenswerterweise - und ich glaube, ich darf mit der Erlaubnis der Frau Präsidentin diesen Satz noch einmal zitieren - von der Stunde der Wahrheit gesprochen und gesagt:
Dazu gehört dann auch, daß in diesem Hause nicht anders gesprochen wird als draußen im Lande und daß man den Landsleuten nicht Hoffnungen macht, die nicht verwirklicht werden können. Es ist Augenauswischerei, wenn man den Eindruck vermittelt, Politik müsse immer kurzfristig sichtbare Erfolge haben.
Dieser Satz scheint mir wichtig zu sein. Wir können ihn unterschreiben und unterstreichen und wünschen ihn auf die Regierungspolitik der kommenden Monate und Jahre angewandt.
({4})
Unsere Bemühungen in der Deutschlandpolitik müssen unserer Bevölkerung nüchtern und ohne Verniedlichung deutlich und klargemacht werden. Der Katalog, den Bundesminister Franke hier vorgelegt hat, ist interessant, wichtig und lesenswert. Wir müssen ihn studieren, wir müssen aber auch hier wiederum klar sehen, daß eine Verwirklichung dieses Kataloges selbstverständlich durch eine völKiep
kerrechtliche Anerkennung unmöglich gemacht würde.
Erlauben Sie mir, nun noch drei Punkte zu zitieren, in denen eine zusätzliche Klärung der Lage durch die Bundesregierung wünschenswert wäre. Im Raum steht noch die Frage nach dem zwischenstaatlichen Recht, und wir wären dankbar, wenn wir hierzu eine ganz klare Definition und Erläuterung bekommen könnten. Weiter steht noch die Frage im Raum, welche Attribute der von der Bundesregierung genannte und angesprochene zweite Staat auf deutschem Boden haben soll, wie sich die übrige Welt zu diesem Staat verhalten soll, und wie wir den übrigen Staaten unsere Position gegenüber diesem zweiten Staat auf deutschem Boden, wie die Regierung ihn hier zitiert hat, klarmachen wollen.
({5})
Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir nicht eine weltweite Etablierung dieses Staates zulassen, ja sogar fördern können, denn wenn das einträte, wäre das nicht mehr möglich, was der Bundesaußenminister gestern hier zu Recht und dankenswerterweise gesagt hat, daß wir aus diesem Versuch bestehende Barrieren zu durchbrechen und zu einem Miteinander zu kommen, beim Scheitern dieser Bemühungen ohne Schaden daraus hervorgehen können. Deshalb, meine ich, muß dieser Punkt geklärt werden.
Schließlich hat der Bundeskanzler in seiner Erklärung Professor Heimpel zitiert und ausgeführt, daß Heimpel gesagt hat: Es gibt kein für allemal gegebenes Recht auf Wiedervereinigung; es gibt auch Möglichkeiten, daß diese Chance durch uns selber verspielt wird.
({6})
Die Frage nach diesen Attributen des Staates muß unbedingt beantwortet und in diesem Hause geklärt werden.
Herr Dahrendorf hat gestern hier als Abgeordneter sehr interessante Ausführungen gemacht. Ich möchte in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit nur eine Frage stellen, Herr Staatssekretär Dahrendorf. Das Offenhalten der Möglichkeiten auch für den Fall des Scheiterns Ihres Versuchs, gemeinsame Interessen zwischen feindseligen Gesellschaften festzustellen, scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. An dem Offenhalten dieser Möglichkeiten habe ich allerdings in der Tat auf Grund Ihrer Ausführungen große Zweifel; eine Ergänzung wäre wünschenswert.
Unsere Politik, die Politik der CDU/CSU, und, wie ich meine, die Politik der großen Mehrheit dieses Hauses in der deutschen Frage muß unserem Volk verständlich sein. Sie darf sich nicht in rechtlichen Formen und Zitaten von Verträgen, Diskussionen über verpaßte Gelegenheiten erschöpfen, sie darf aber auch nicht utopische Hoffnungen erwecken, und Verniedlichungen der Lage aussagen.
Die Anerkennung der Regierung der DDR in Ost-Berlin, dieser derzeitigen Machthaber, bringt keine
Verbesserung der Lebensbedingungen oder der Freizügigkeit zwischen den beiden Teilen.
({7})
Das Gegenteil ist der Fall. Für uns ist die Verhinderung der Anerkennung einer Regierung in Ost-Berlin nicht vorrangiges Ziel oder gar Selbstzweck unserer Politik. Für uns ist die nationalstaatliche nicht die einzige denkbare Lösung der deutschen Teilung. Ziel unserer gesamten Politik ist - unter Wahrung des Friedens - die Erreichung eines Mehrs an Freiheit für die Menschen im anderen Teil Deutschlands bis hin zu der Freiheit, selbst über ihre Zukunft entscheiden zu können.
({8})
Unterlassen wir daher, meine Damen und Herren, nichts, um das Modell Bundesrepublik so weiterzuentwickeln, daß diese hoffentlich bald mögliche freie Entscheidung der Menschen im anderen Teil Deutschlands zu einem gemeinsamen Weg aller Deutschen führen möge.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen von Weizsäcker haben mich angeregt, doch noch ein paar Worte zu dem hier anstehenden Thema zu sagen.
Er hat die Frage aufgeworfen und die Forderung gestellt, daß wir hier deutlich sagen sollten, was wir mit Wiedervereinigung meinen. Er hat gesagt, Regierung und Parlament müßten deutlich aussprechen, was sie wollten. Nun, ich glaube, es gibt keinen Zweifel darüber, daß die Bundesregierung hier in dieser Woche sehr klare Konzeptionen vorgetragen hat und daß der Bundeskanzler doch eindeutig die Vorstellung der Regierung und der Koalitionsfraktionen, wie das hier auch in den ergänzenden Reden der Sprecher der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck kam, geklärt hat, welche Grenzen, welche Abgrenzungen und welche Möglichkeiten der Verhandlungen gesehen werden und wo die Chancen liegen, zu einem konkreten Ergebnis zu kommen.
Der Aufforderung des Kollegen von Weizsäcker folgend, zu sagen, wie das nun aussehen kann und welche konkreten Vorstellungen auch bei Mitgliedern in diesem Hause vorhanden sein können, möchte ich an ein Wort erinnern, da man es auch so aussprechen kann. „Was wir wollen, ist dies: möglichst bald alle unsere Ämter und Mandate, alle Systeme und Gesetze, alle politischen und gesellschaftlichen Realitäten in West- und in Ostdeutschland zur Disposition stellen, zur Disposition des ganzen deutschen Volkes, das allein das Recht hat, zu entscheiden, was sein, wer regieren und wie die gesellschaftliche Ordnung in Deutschland sein soll. Wir wollen für das ganze Deutschland eine Regierung durch das Volk und für das Volk, und hierbei soll auch eine kommunistische Partei im ganzen Deutschland ihre Chance haben." - „Auf dem Boden
eines wiedervereinigten Deutschlands könnte im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems Platz auch für Truppen der Sowjetunion bleiben."
Das, meine Damen und Herren, ist eine Konzeption, die der Fraktionsvorsitzende der Christlich-Demokratischen Union, Rainer Barzel, in einem Entwurf für Reden am 16. und 17. Juni 1966 in Washington und in New York niedergeschrieben hat.
Alles zur Disposition stellen heißt aber - und das sagt er an anderer Stelle in seiner Rede auch -, daß man weiterkommen muß, daß der Status quo überwunden werden muß, daß man Verhandlungen führen muß, daß man - auch das sagt er an einer anderen Stelle in seiner Rede - gemischte Kommissionen aus den beiden Teilen Deutschlands endlich anfangen lassen muß, die Arbeit aufzunehmen, um zu diesem Gesamtdeutschland zurückfinden zu können. Ich meine, Herr Kollege Barzel, das klingt im Jahre 1966 sehr progressiv, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich heute noch zu dem bekennten; denn das, was gestern und auch heute von einigen Kollegen Ihrer Fraktion hier vorgetragen wurde, war eigentlich genau das Gegenteil von dem, was Sie damals gefordert haben.
Ich komme dabei auf einige Argumente noch einmal zurück. Ich darf an das erinnern, was einige Kollegen schon vor mir angesprochen haben, das, was die Kollegen Marx und Strauß in den vergangenen Wochen geschrieben oder in Interviews von sich gegeben haben und was eindeutig dem widerspricht, was hier an politischer Konzeption sichtbar geworden ist.
Ich meine, Herr Kollege Marx, auch ein anderes Problem muß hier deutlich sichtbar werden, das der Kollege Kiep heute noch einmal vorgetragen hat. Ich habe, etwas zurück in den Bänken unserer Fraktion sitzend, eine Reihe von Zwischenrufen gehört, als der Kollege Apel und der Kollege Moersch heute morgen dazu sprachen, als die Frage der Verhandlungsmöglichkeiten und Chancen des Jahrs 1952 angesprochen wurde. Herr Kollege Kiep hat vorhin gesagt, 1952 sei es wie heute um die Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland gegangen, und das Fazit der Christlich-Demokratischen Union 1952 hieß: keine Verhandlungen. Meine Frage an Sie: Ist das Fazit für Sie heute unverändert, oder gilt das, was Ihr Parteivorsitzender Kurt Georg Kiesinger im vergangenen Jahr hier gesagt hat, daß Verhandlungen geführt werden müssen und daß er selbst bereit sei, mit dem Teufel zu verhandeln, wenn es für unser Volk nützlich sei?
({0})
- Na, wenn das gilt, frage ich mich, ob dann auch das Bestand haben kann, was der Kollege Kiep hier gerade ausgeführt hat, daß Verhandlungen mit den derzeitigen Machthabern in Ost-Berlin sinnlos sind.
({1})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie bewegen sich doch permanent im Kreis.
({2})
Sie erklären hier permanent, was Sie für möglich oder was Sie für unmöglich halten. Nun ist das, was Sie für möglich halten, so minimal, daß es uns über den Status quo gar nicht hinausbringen kann,
({3})
den Sie selbst für politisch falsch halten.
Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Bitte schön!
Herr Kollege Dorn, würden Sie die Güte haben, im Protokoll einmal nachzulesen, um mir dann darin zuzustimmen, daß ich in keinem Punkt meiner Ausführungen jemals gesagt habe, daß ich Verhandlungen mit den Machthabern im anderen Teil Deutschlands für sinnlos hielte?
Mit den derzeitigen Machthabern in Ost-Berlin!
({0})
Herr Kollege Dorn, ich habe gesagt - und ich bitte Sie dringend, das nachzulesen -, daß eine Anerkennung der derzeitigen Machthaber in Ost-Berlin zu nichts führe. Ich habe aber nicht gesagt, daß Verhandlungen mit den derzeitigen Machthabern abzulehnen seien. Bitte halten Sie sich doch an das, was hier gesagt worden ist!
({0})
Herr Kollege Kiep, ich werde mir das noch einmal durchlesen.
({0})
- Ach, Herr Kollege Marx, über Ihre permanenten Pappkameraden zu diskutieren lohnt sich doch nicht mehr; denn das hat Gott sei Dank keiner Ihrer Fraktionskollegen gestern oder heute aufgegriffen. So weit ist keiner gegangen.
({1})
- Ach, Herr Kollege Marx, auch auf den Bänken der Opposition hat man gelernt - und Sie werden das sicher auch noch lernen -, Geduld zu haben.
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- Sie werden es nie lernen? Ich glaube, Sie haben noch viele Jahre Zeit dazu, das zu lernen.
({3})
Herr Kollege Kiep, ich habe Ihre Klarstellung so verstanden, daß Sie sagen, das könne zu keinem Erfolg führen.
({4})
- Das ist wieder etwas anderes, als was Sie vorhin gesagt haben.
({5})
Meine Damen und Herren, wir stehen doch vor folgendem Problem. Sie betonen hier immer wieder, daß Verhandlungen notwendig sind und daß wir, wenn wir in Ostberlin verhandeln, mit denen verhandeln müssen, die die Macht haben, ob sie uns passen oder nicht. Ich nehme an, politisch passen sie niemandem in diesem Hause. Ob die Verhandlungen zum Erfolg führen oder nicht, ist aber eine zweite Frage. Man kann erst nach den Verhandlungen konstatieren, ob sie Erfolg gebracht haben.
Auf der anderen Seite ist es einfach nicht wahr, daß wir uns hier gegenseitig ich meine wirklich beide Seiten, meine sehr verehrten Damen und Herren - in der Sachdiskussion nicht weiterbringen, wenn wir uns hier gegenseitig bescheinigen: Mein Vorredner hat polemisch argumentiert, ich werde jetzt sachlich argumentieren.
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- Herr Kollege Schulmeister - ({7})
- Entschuldigung, das lag natürlich sehr nahe, das werden Sie verstehen.
({8})
- Die spontane Reaktionen, Herr Kollege, sind manchmal vielleicht sogar die geglücktesten. Herr Kollege Schulhoff, ich weiß, daß Sie mir darin weit überlegen sind.
Aber lassen Sie mich ein Wort dazu sagen. Ich bin wirklich der Meinung, daß in der politischen Auseinandesetzung auch die polemische Auseinandersetzung nicht unbedingt eine schädliche sein muß. Die sachliche und die polemische Auseinandersetzung sind vielmehr beide Bestandteile einer politischen Diskussion. Wenn die Lebensfragen einer Nation diskutiert werden, sollte man nicht immer wieder die Note eins nur für Sachlichkeit und die Note zwei nur für Polemik austeilen.
({9})
- Herr Kollege Stoltenberg, ich weiß natürlich, daß Sie auf diesem Gebiet als Dozent lange gearbeitet haben und daß ich Sie nie erreichen kann. Aber ich habe mir bisher auch nicht die Mühe gegeben, das über diesen Bereich irgendwo zu lernen. Ich werde es sicher noch lernen können, zumal ich lange genug Gelegenheit haben werde, Sie als Oppositionssprecher hier zu erleben.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr von Weizsäcker hat von dem Schlüssel gesprochen, der in der Hand der Regierung liege, wenn es darum gehe, zu einem angemessenen kooperativen Verhältnis zwischen Regierung und Opposition, Regierungsparteien und Opposition in diesen nationalen Fragen zu kommen. Ich habe das wohl verstanden, und ich weiß um die Schwierigkeiten objektiver und subjektiver Art, um die Unzulänglichkeiten, die uns bei unserer Arbeit immer wieder begleiten. Bedenken Sie bitte: wir hatten, als wir vor Weihnachten hier auseinandergingen, sechs Wochen Zusammenarbeit gehabt. Ich habe mich bemüht - und andere in der Regierung haben es auch getan -, während dieser sechs Wochen häufiger, als es früher der Fall gewesen war, zu informieren und zu sprechen. Aber ich weiß: das muß, nicht nur was die Zahl der Termine angeht, sondern auch was die Substanz der Beratungen - und ich meine nicht nur Information, ich meine Beratungen - angeht, sehr viel weiter entwickelt werden. Lassen Sie uns das miteinander versuchen.
Aber ich sage auch - ohne daß daraus jetzt ein Angriff werden soll -, keiner von uns kann einfach so tun, als sei das, was außerhalb dieses Hauses gesprochen werde, völlig von dem zu trennen, was uns dann hier im Hause oder in anderen Kreisen zusammenführt;
({0})
- Das gilt für alle Beteiligten.
Diese Debatte, die noch nicht abgeschlossen ist, aber zu der ich jetzt einige Bemerkungen beitragen darf, hat bisher nicht so viel Uneinigkeit gezeigt, wie manche befürchtet und wie einige gehofft hatten.
({1})
Aber ich sage ganz offen:
Erstens: Für mich selbst und für andere ist bisher auch nicht recht klargeworden, was die Opposition der CDU/CSU in dieser Situation konkret anders machen will, als wir es hier am Mittwoch vorgeschlagen haben.
({2})
An der vollen Handlungsfreiheit der Regierung kann sich nach dem Verlauf und dem Stand dieser Debatte nichts ändern. Ich meine damit allerdings - das mag für alle Beteiligten wichtig sein - die Handlungsfreiheit im Rahmen der hier am Mittwoch entwickelten Grundsätze und Leitlinien.
({0})
Im Zusammenhang damit denke ich bei allen
Meinungsverschiedenheiten, die zutage getreten sind -, niemand hat bisher etwas dagegen gesagt, daß wir Ost-Berlin ein Verhandlungsangebot, ein Gesprächsangebot machen wollen.
({1})
Niemand hat sich gegen die von uns skizzierten Gewaltverzichtsverhandlungen ausgesprochen. Und - darauf komme ich gleich noch einmal in Verbindung mit der Frage der nationalen und staatlichen Einheit zurück - niemand hat sich gegen die europäische Orientierung unserer Deutschlandpolitik ausgesprochen. Wir werden, wenn die Politik sich entwickelt, darüber berichten, dort, wo es möglich ist, hier im Hause, dort, wo es noch nicht möglich ist, vorbereitend, begleitend in den dafür dann zu bildenden Gesprächskreisen.
Der Kollege Strauß hat gestern richtigerweise das zurückgewiesen, was draußen unter dem Stichwort „Rapallo" häufig vorgebracht wird.
({2})
- Auch der Kollege Strauß hat dazu etwas gesagt!
({3})
Ich weiß das sehr zu schätzen. Solche Vergleiche stimmen tatsächlich nicht. Ich habe mich damit in einer Rathenau-Gedenkrede 1967 etwas ausführlicher befaßt. Aber Kollege Strauß deshalb zitierte ich ihn jetzt in diesem Zusammenhang, Herr Kollege Kiesinger - hat gleichwohl von dem Rapallo-Ressentiment bei unseren Verbündeten gesprochen.
Es ist ja kein Zweifel, daß bei dem, was dieser Bundestagsdebatte vorausgegangen war, manche draußen - bei uns draußen, nicht draußen im Ausland -, die schrieben und redeten, gern den Einduck erwecken wollten, als ob diese Regierung und die Politik dieser Regierung dem geballten, dem konzentrierten Mißtrauen der Hauptverbündeten ausgesetzt seien. Das Gegenteil ist richtig.
({4})
Als die eine oder andere französische Zeitung Leine falsche Deutung der Zusammenhänge gab, hat der französische Staatspräsident selbst vor anderthalb Wochen solchen Deutungen und Behauptungen widersprochen und den engen, festen, vertrauensvollen Zusammenhang zwischen uns dargestellt.
Der britische Außenminister hat gestern erklärt: „Wir unterstützen voll die Ziele und Grundsätze der Ostpolitik Herrn Brandts, und wir begrüßen die klare, erneute Bekräftigung seiner Entschlossenheit, diese Politik zu verfolgen. Wir glauben, die Ostdeutschen" - damit meint man dort die DDR -„würden feststellen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, konstruktiv zu antworten."
Der amerikanische Außenminister Rogers hat in der Nacht zum gestrigen Tage klargestellt, daß sich die Beziehungen der Vereinigten Staaten zur Bundesrepublik Deutschland - er sagt: auch zu Frankreich; das können wir nur begrüßen - verbessert hätten. Er sagte, daß der freundschaftliche Kontakt mit der Bundesregierung in Bonn sehr erfolgreich sei und daß diese beiden Elemente die gegenüber früher noch verbesserten Beziehungen zu Bonn einerseits und zu Paris andererseits, die atlantischen Fundamente der Politik der USA verstärkt hätten. Das ist von seiten der amerikanischen Regierung gestern noch weiter unterstrichen worden durch die Erklärung: „Wir hoffen, daß die Bemühungen der Bundesregierung um konstruktivere Beziehungen zum Osten eine positive Entgegnung finden werden."
Ich möchte alle Beteiligten in diesem Hause bitten, es nicht als eine unzumutbare Vorleistung zu betrachten, wenn man auch in diesem Zusammenhang von den Tatsachen Kenntnis nimmt.
Im übrigen möchte ich den westlichen Freunden danken, die mit Verständnis und Hilfsbereitschaft an unserer Seite stehen und mit denen wir zusammenstehen, weil es unsere gemeinsame Aufgabe ist, jede mögliche Anstrengung zu machen, um den Frieden sicherer werden zu lassen.
({5})
Herr Kollege Dr. Kiesinger hat gestern in seiner Rede insistierend zweimal gefragt: Was hat sich denn nun für euch wirklich verändert? Er hat dabei an ein paar Vorträge angeknüpft, die ich im Oktober 1962 in Harvard gehalten hatte und die übrigens von der CDU damals nicht gelobt, sondern kritisiert wurden.
({6})
Herr Kollege Dr. Kiesinger, ich kann natürlich nicht mehr jedes Wort und jeden Satz wiederholen; so ist das in der Politik. Aber ich stelle - ich habe es mir gestern abend noch Leinmal angeschaut - keinen Bruch in meinen politischen Gesamteinschätzungen fest zwischen dem, was dort gesagt wurde, und dem, was ich heute vorbringe.
Aber davon einmal abgesehen: Was hat sich verändert? Zunächst einmal ist ganz einfach die Zeit nicht stehengeblieben. Als ich z. B. im Oktober 1962 dort sprach, da trennten uns fast noch zwei Jahre von dem langfristigen und einschneidenden Vertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR aus dem Jahre 1964.
Die Zeit bleibt auch sonst nicht stehen. Das schafft einige Mühe, z. B. Lim Verhältnis zur heranwachsenden Generation hüben und drüben. Darauf hat Herr Kollege Mischnick gestern hingewiesen. Aber was wichtiger ist: das Verhältnis der Weltmächte zueinander ist nicht unverändert geblieben. Oder wer
wollte hier behaupten, es sei in diesen letzten 25 Jahren unverändert geblieben? Das gilt nicht nur für die Relationen zwischen den beiden Supermächten. Das gilt für neue Aspekte des Ost-West-Verhältnisses überhaupt und für andere weltpolitische Entwicklungen. Die Vorstellung - darauf hat Herr Kollege Wehner gestern hingewiesen , als ob es, was die Lösung der deutschen Frage angeht, leichter oder billiger werden würde, wird heute von manchen anders gesehen werden müssen als damals. Ich halte es z. B. für sehr gewagt, in einer solchen Diskussion heute noch Konrad Adenauer einseitig in Anspruch nehmen zu wollen.
({7})
- Herr Kollege Barzel, Sie haben doch auch nicht vergessen, daß sich der Altbundeskanzler Adenauer, was die Rolle der Sowjetunion und ihr Verhältnis zum Frieden angeht, später doch ganz anders äußerte, als er sich in den Jahren, in denen er von diesem Platz aus sprach, geäußert hatte. Ich kann mich an ein Gespräch - es war im Schöneberger Rathaus - im Frühsommer 1963 mit dem damaligen Bundeskanzler Adenauer erinnern das war
wenige Monate, bevor er sein Amt in neue Hände übergab -; er sagte damals über ein ganz wesentliches Element der Politik, das auch in dieser Debatte eine Rolle gespielt hat: Wann wollen wir das eigentlich wegtun? - Ich sah ihn erstaunt an und sagte: Warum fragen Sie mich? - Da sagte er: Wissen Sie, manchmal muß man in der Politik von Din- gen Abschied nehmen, solange man noch etwas dafür bekommt. - Dies zu einer Äußerung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt - und das gilt auch für diese Regierung -, daß Rechtsvorbehalte, die in bestimmten Zusammenhängen ihre große Bedeutung haben, jedenfalls kein Ersatz für praktische Politik sind.
In bezug auf die Resolution vom September 1968 ist gefragt worden, was sich verändert habe, warum diese Resolution aufgegeben worden sei. Davon, daß sie aufgegeben worden sei, ist zunächst gar nicht die Rede. Im Laufe der Jahre sind hier viele Resolutionen angenommen worden, die in einer sich weiterentwickelnden Situation bewußt nicht wiederholt worden sind. Ich will aber jetzt nicht formalistisch argumentieren, sondern Ihnen, meine Damen und Herren, in voller Offenheit folgendes sagen: Zwischen der Resolution vom September 1968 und dem Januar 1970 liegen nicht nur weitere Entwicklungen in der uns umgebenden Welt, zumal auf Europa bezogen, sondern dazwischen liegt auch ein Bundestagswahlkampf. Die Ehrlichkeit unter uns gebietet es, nicht von den Interpretationen zu abstrahieren, die eine solche Resolution durch die eine und die andere Seite im Gespräch mit dem Volk erfahren hat. Darum geht es halt auch. Das bedeutet, wir müssen nach einer solchen Zäsur neu und sauber zu formulieren anfangen.
Die Regierung hat gesagt, welche Grundsätze, welche Orientierungspunkte, welche Leitlinien für sie auf diesem Gebiet der Politik maßgebend sind.
Ich denke, wir müssen dabei noch stärker als früher der Versuchung widerstehen, Formeln für die Wirklichkeit zu halten. Die Bundesregierung hat die Grundsätze darlegt, an die sie sich halten wird. Über diese Grundsätze und Leitlinien hinaus wollen und sollten wir uns nicht die Zwangsjacke von Resolutionen anlegen. Das war auch der Sinn dessen, was der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion gestern dazu gesagt hat.
Ich muß einige Bemerkungen zum Gewaltverzicht machen. Herr Kollege Kiesinger, ich denke, wir sind uns einig darin, daß ein Gewaltverzicht oder daß Gewaltverzichtsabkommen - mit wem auch immer - kein Ersatz für einen Friedensvertrag oder für eine friedensvertragliche Regelung sein können.
Wir sind uns auch einig, was die große Bedeutung der Auseinandersetzung um die Art. 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen angeht. Es ist ganz selbstverständlich, daß dieses wichtige Thema aus ernsten Diskussionen zwischen uns und der Regierung der Sowjetunion nicht ausgeklammert werden kann, sondern daß man versuchen muß, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Nur, ich frage, ob wir uns nicht auch darin einig sind, daß es nicht realistisch ware, die Streichung dieser Artikel aus der Charta der Vereinten Nationen anzustreben. Dies haben auch unsere westlichen Verbündeten nicht zugesagt. Keiner will in der gegenwärtigen Lage an eine Revision der Charta der Vereinten Nationen heran. Also kann das Ziel der deutschen Politik in diesem Zusammenhang für die Jahre, die vor uns liegen - was die Sowjetunion angeht - nur sein, uns gegenüber einen ähnlichen Stand zu erreichen, wie wir ihn durch die Interpretationen und Zusicherungen seitens der Westmächte erreicht haben. Sie haben nämlich diese Artikel der Charta der Vereinten Nationen für obsolet erklärt, wenn dies von mir aus auch eine sehr runde, globale Formulierung ist; nicht alle drei haben sich mit genau denselben Wendungen dazu geäußert. Aber es ist erlaubt, dies etwas global zu formulieren.
Nicht einverstanden bin ich mit der Auffassung von Herrn Dr. Kiesinger, daß Verhandlungen über einen Gewaltverzicht möglichst nicht mit anderen Fragen gekoppelt sein sollten. Das liefe auf den abstrakten Gewaltverzicht hinaus, und den haben wir auch, als wir gemeinsam Regierungsverantwortung trugen, nicht angestrebt.
({8})
Ich weiß, Herr Kollege Kiesinger, daß - zumal im letzten Jahr oder in den letzten Monaten - das eine und das andere, was der damalige Außenminister für richtig hielt, nicht die Zustimmung des Kanzlers fand, daß wir dadurch etwas Mühe miteinander hatten. Aber ich nehme einmal den Stand vom Juli 1968. Da ließ die sowjetische Regierung durch propagandistisches Feuerwerk den bis dahin geführten schriftlichen Meinungsaustausch platzen, veröffentlichte einiges darüber; wir veröffentlichten das, was Herr Dr. Barzel eben in der Hand hat. Wer das nachliest - unsere Texte sind kürzer, als die anderer -,
({9})
wird feststellen, daß wir uns keineswegs auf den abstrakten Gewaltverzicht hinbewegt haben, sondern daß wir im Zusammenhang damit über andere zwischen den beiden Staaten offene Fragen gesprochen haben.
Ich denke, ich kann Herrn Dr. Kiesinger auch nicht beipflichten, wenn er meint, ein Gewaltverzichtsabkommen - besser gesagt: ein Abkommen über Nichtanwendung von und Nichtdrohung mit Gewalt
- sei nicht geeignet als Basis für die Behandlung der Grenzfrage bei Gesprächen mit der Volksrepublik Polen. Herr Kollege Kiesinger, Sie hatten als Bundeskanzler selber einmal gesagt - man kann es im Archiv der Gegenwart vom 28. Mai vergangenen Jahres nachlesen; ich knüpfe an an Gedanken, die Sie dazu auch gestern vorgebracht haben -:
Wir müssen allerdings sagen,
- so hieß es in Ihrer Äußerung, wie in anderen auch daß diese Frage
- nämlich die der deutsch-polnischen Grenze erst in einem Friedensvertrag geregelt werden kann.
Und dann sagten Sie weiter:
Aber ich habe später hinzugefügt, daß nichts uns hindert, schon vorher über eine ähnliche Lösung miteinander zu sprechen,
({10})
- „ähnliche" steht dort ({11})
die von beiden Völkern akzeptiert werden kann.
- „mögliche" sollte es heißen - und ich bin bereit,
- hieß es dann weiter mit Herrn Gomulka über eine solche Lösung zu sprechen.
({12})
Ich bin dafür, zu sagen: Ein Abkommen über Gewaltverzicht ist nichts wert, wenn es sich nicht auch auf unsere Grenzen, im besonderen auf die europäischen Grenzen im allgemeinen, ingesamt, bezieht. Worauf soll sich ein Gewaltverzichtsabkommen beziehen, wenn nicht insbesondere auf die Fragen der Grenzen. Das heißt, daß Weiterentwicklungen im Zuge einer europäischen Friedensordnung nur in Übereinstimmung der Beteiligten erreicht werden können.
Hier kommt nun die Frage nach dem zwischenstaatlichen Recht dazu. Ich denke, ich hoffe, wir sind uns in diesem Hause einig, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR nicht völkerrechtlicher Natur sein können. Diese Einsicht wird übrigens partiell durchaus auch von der DDR geteilt, z. B. auf dem Gebiet des innerdeutschen Handels und in bezug auf ihre propagandistischen Forderungen für die Gestaltung unserer gesellschaftlichen Ordnung.
Herr Kollege Kiesinger hat nun zu meiner Überraschung gesagt, die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR seien auch nicht zwischenstaatlicher Art.
({13})
Da aber Verträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR, wie sie der Bundeskanzler Dr. Kiesinger Herrn Stoph angeboten hatte, weder dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik noch dem der DDR angehören, sind sie eben Bestandteil des besonderen zwischenstaatlichen Verhältnisses, das heute bereits zwischen diesen beiden Teilen besteht, und die von mir genannten Grundsätze des zwischenstaatlichen Rechts -- ich will sie nicht noch einmal vorlesen, aber ich beziehe mich ausdrücklich darauf - gelten natürlich auch für die Respektierung unserer territorialen Integrität und unserer Genzen.
Ich darf in diesem Zusammenhang übrigens auf den vorzüglichen Aufsatz von Professor Martin Kriele in der „Zeit" vom 28. Dezember hinweisen, in dem diese Fragen zusammengefaßt und auch für den Nichtjuristen verständlich dargestellt sind. Darin steht zum Schluß der Satz, den wir uns vielleicht alle nahegehen lassen sollten:
Nicht die Liebe zum Recht unterscheidet die Gruppen, sondern unterschiedliche Beurteilung seiner Realisierungsbedingungen.
Ich glaube, das ist ein richtiger und ein wichtiger Satz.
Manches wird übrigens draußen auf Abstand, wie das manchmal so ist - wie in der Landschaft, so auch in der Politik -, noch leichter verstanden als bei uns. Gestern stand in der „New York Times" ein bemerkenswerter Aufsatz zu unserer Debatte. Darin hieß es, da die Zielvorstellungen beider Teile Deutschlands auseinanderliefen, sei nur ein Übereinkommen möglich, das dem Bild eines Glases Wasser ähnele, welches als halbleer, aber auch als halbvoll betrachtet werden könne. So werde - ich folge diesem Artikel in der New Yorker Zeitung - ein mögliches Abkommen dem Osten als Aufrechterhaltung der deutschen Teilung für einen langen Zeitraum erscheinen, dem Westen aber als Möglichkeit, die Tür für die Einheit nach dieser Zeit offenzuhalten. So ist es in der Tat, richtig verstanden.
Was Herr Kollege Kiesinger zur Frage der staatlichen Einheit gestern gesagt hat, das habe ich eigentlich weniger auf mich bezogen betrachtet, sondern mehr als Teil eines Meinungsaustausches mit dem Vorsitzenden der CSU,
({14})
der sich aber selbst dazu nicht näher äußerte. Ich habe mit Interesse und mit Respekt im Laufe der Jahre die Auffassungen verfolgt, die Herr Kollege Strauß dazu in Aufsätzen und auf andere Weise geäußert hat. Ich habe mich nicht gegen die staatliche Einheit Deutschlands gewandt. Ich habe nur gesagt, es sei sehr unwahrscheinlich, daß wir sie - zumal durch Rückgriff auf frühere Gegebenheiten
oder frühere Schemata - erreichen könnten. Ich meine überhaupt: hier geht es im Grunde darum, daß in einer europäischen Friedensordnung, wenn sie einmal geschaffen sein wird, die Perspektive dafür offen sein muß, daß die Deutschen, wenn sie es dann wollen - und da es sich um Generationen handeln kann statt um Jahre, muß man diese Einschränkung machen -, anders zusammenleben und ihr Zusammenleben organisieren können, als es ihnen durch die bisherige Entwicklung aufgezwungen ist.
Die Aufgabe ist schwieriger geworden. Die Landschaft hat sich verändert. Es wäre gut, wenn - wie es in Teilen dieser Debatte geschehen ist - wir uns in Zukunft mehr Gedanken darüber machten, wie wir die Landschaft ein wenig mitverändern können, statt ein Schattenboxen um die Frage der staatlichen Einheit vorzuführen.
({15})
Die Opposition - auch Sie, verehrter Herr Kollege Kiesinger - ist die Antwort darauf schuldig geblieben, was denn heute konkret unter „Wiederherstellung staatlicher Einheit" zu verstehen ist. Auch sie, die Opposition, bekennt sich offenbar nicht zur einfachen Wiederherstellung des Deutschen Reiches, eines deutschen Nationalstaates. Auch sie spricht von europäischen Lösungen im Rahmen einer Friedensordnung. Aber es gibt keine konkrete Aussage über das, was gemeint ist. Es kann auch keine geben, weil und hier wiederhole ich den Gedanken, den ich eben anklingen ließ - diese Entwicklung offen ist und, ich füge ganz bewußt hinzu: auch offenbleiben muß.
({16})
Nur ist es dann steril, und vielleicht kann es sogar unpolitisch werden, wenn die Politik der Regierung, die auf die Lösung der aktuellen und konkreten Probleme des geteilten Deutschlands gerichtet ist, an nebulösen, von der Opposition selbst nicht recht geglaubten Vorstellungen über die staatliche Einheit gemessen wird.
Noch eine Zwischenbemerkung, was Berlin angeht. Herr Kollege Strauß hat gesagt: Zu Berlin muß man sich deutlicher äußern, nämlich sagen: der Parlamentarische Rat hat beschlossen, Berlin gehört zum Bund. Ich will jetzt nicht, wie man es auch tun könnte, noch einmal aufblättern und sagen: es hat Jahre gegeben, in denen es meiner Überzeugung nach möglich gewesen wäre, Berlin enger an den Bund heranzubringen.
({17})
Insofern gibt es auch im Kleineren durchaus die Möglichkeit und das legitime Recht, zu fragen, ob nicht manche Weichen hätten anders gestellt werden müssen; das hilft nicht weiter. In dieser konkreten Lage liegt es in unser aller Interesse, neben der deutschrechtlichen Gegebenheit, auf die hier insoweit hingewiesen wird, das größte Gewicht darauf zu legen, daß nicht gerüttelt wird an der obersten Verantwortung der Drei Mächte für das mit uns im Wirtschafts-, Finanz- und Rechtssystem verbundene West-Berlin. Es ist eine Lebensfrage.
({18})
Mir liegt nach ein oder zwei mißverständlichen - unbeabsichtigt mißverständlichen - Äußerungen in der Debatte - das ist nicht auf Sie bezogen, sondern auf andere Debattenredner - auch daran, klarzustellen, daß wir ganz säuberlich unterscheiden müssen - weil andere es sonst zu unseren Lasten durcheinanderbringen - zwischen der weiterbestehenden - was immer das im konkreten Moment wert ist - Viermächteverantwortung für ganz Berlin und der Dreimächteverantwortung auf West-Berlin bezogen.
({19})
Auch dies muß sehr klar auseinandergehalten werden.
Es gibt Leute, die hören möchten, es gebe hier überhaupt keine Gemeinsamkeit. Denen tue ich natürlich nicht den Gefallen, die hier zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten überzubetonen. Es gibt auch heute ein nicht gering zu schätzendes Maß nicht nur an Empfindungen, sondern auch an Überzeugungen, die nicht auf den einen Teil dieses Hauses beschränkt sind; und die Regierung wäre töricht, wenn sie sich nicht im Konkreten von Schritt zu Schritt oder für jeweils eine Etappe der Politik, soweit man sie überblicken kann, um eine möglichst breite und aktive oder jedenfalls kritisch begleitende, stützende Hilfe für ihre Politik bemühte. Andererseits ist es der Redlichkeit wegen notwendig, daß wir die wirklichen Unterschiede nicht verkleistern, sondern offen aussprechen. Nicht mit dem Ziel, sie zu konservieren; es könnte ja sein, daß das eine oder das andere, worauf wir heute keine gemeinsame Antwort finden, doch noch in dem einen oder anderen Bereich einmal gemeinsam beantwortet werden könnte.
Wenn ich sage: „nicht verkleistern", dann bezieht sich das nicht auf die Überzeugung, daß unser Volk nach seinen bitteren Erfahrungen alles ihm Mögliche tun will, den Frieden sicherer zu machen. Das ist keine Parteiüberzeugung in der Bundesrepublik Deutschland, sondern das ist unsere gemeinsame Überzeugung.
({20})
Zu dem Umstrittenen gehört auch nicht die Einsicht, daß die nationale und dort, wo es die Geschichte möglich macht, nationale und staatliche - welche staatlichen Formen dafür auch immer gefunden werden mögen - Einheit nur in einem, leider langsamen, Prozeß der Umwandlung in Europa zu bewahren, zu bestätigen und neu zu verwirklichen sein wird und daß dies eine weitreichende Veränderung der weltpolitischen Großwetterlage voraussetzt.
Wir sollten uns auch wohl einig sein, daß weder Utopien noch Reminiszenzen zur Richtlinie der deutschen Politik gemacht werden können.
({21})
Wenn man eine - hier greife ich das Wort von Herrn Kiesinger auf - „Offensive der Entkrampfung" will, dann muß man auch die dafür erforderlichen konkreten Schritte tun, und zwar im Bewußtsein eines langfristigen Zieles und zugleich auf der der Grundlage dessen, was hier und heute möglich ist. Jawohl, Herr Kollege Kiesinger, es geht, wie Sie gesagt haben, auch um das Vaterland unserer Söhne und Enkel, und es gibt kaum einen Satz der Opposition, den ich mir leichter zu eigen machen kann als diesen, vorausgesetzt, daß hier kein künstlicher Gegensatz zum größeren Vaterland Europa konstruiert wird, und darin sind wir uns wieder einig. Trotzdem, dies ist auch das Vaterland unserer Väter. Bei allem Respekt vor ihnen: was die Väter verloren haben, das werden wir durch keine noch so schöne Rhetorik und durch keine noch so geschliffene Juristerei zurückgewinnen. Wir werden gesinnungstreu, geduldig, hart arbeiten müssen, und das sollten wir uns miteinander vornehmen.
({22})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Barzel. Die Fraktion der CDU/CSU hat gebeten, seine Redezeit auf 45 Minuten zu verlängern. Ich halte diese Verlängerung in Anbetracht der Debatte für richtig und erteile sie.
Danke, Herr Präsident.
) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies wird noch nicht eine Schlußrede der Opposition sein können, aber eine gewisse Zusammenfassung; denn natürlich wird der soeben besonders angesprochene Parteivorsitzende der Union, unser Kollege und mein Freund Kiesinger, noch im einzelnen auf einige Mißverständnisse durch den Bundeskanzler antworten.
Herr Bundeskanzler, Sie haben ein Monitum unseres Kollegen von Weizsäcker über die Fragen der Kooperation aufgenommen, und Sie haben festgestellt, das könne und müsse in der Substanz weitergehen und verbessert werden. Ich möchte gern bestätigen, daß der Bericht der Bundesregierung - ich meine das, was hier mündlich vorgetragen worden ist; allein das ist verbindlich natürlich Wesentliches von dem berücksichtigt, was die Opposition angeregt hat, und wir haben nie etwas dagegen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich auch ohne wörtliche Zitate Gedankengänge, Formulierungen und Vorschläge der Opposition zu eigen machen.
({0})
Ich möchte hier in aller Form sagen: in bezug auf das Verhältnis zwischen einer Koalitionsregierung und einer parlamentarischen Opposition hätte ich nicht den Grad der Information zu beanstanden, höchstens den Grad des Umgehens miteinander, wie wir das gestern hier erlebt haben. Für den Fall aber, daß Kooperation in den großen Fragen gesucht wird, Herr Bundeskanzler, genügt es nicht, uns ganz kurze Zeit vor der Öffentlichkeit zu unterrichten, sondern da wollen wir ständig unterrichtet sein. Wir möchten die Gewißheit haben, daß Anregungen von uns mindestens die Chance haben, ernsthaft geprüft, zeitlich möglich verwertet und in die Überlegungen der Regierung einbezogen zu werden.
({1}) Das war noch nicht ausreichend der Fall.
({2})
Herr Bundeskanzler, Sie haben gefragt, was wir selbst wollten. Ich will dies gleich sagen; das ist der Hauptteil dessen, was ich vorzutragen die Absicht habe. Eigentlich ist es eine wunderbare Frage, die Sie hier dialektisch stellen. Die Opposition drängt Sie nun den dritten Tag - durch die Presse seit Wochen, ja seit dem 29. Oktober -, darzutun, ob und wo und wie Sie noch zu der Gemeinsamkeit stehen, die hier z. B. am 25. September 1968 beschlossen worden ist. Sie beantworten das mit der Gegenfrage nach unserem Konzept. Das, was dort niedergelegt ist, ist unser Konzept,
({3})
und Sie sind schuldig, zu sagen, warum und wo Sie abweichen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann gesagt, am Handlungsraum der Bundesregierung werde sich natürlich durch das Verhältnis zur Opposition nichts ändern. - Na ja, dieses Wort in das Ohr der Geschichte, würde Wehner wohl sagen. Denn Sie sind sich doch unzweifelhaft darüber im klaren, daß nicht nur in Warschau, sondern auch in Moskau und in Washington niemand an wesentlichen Entscheidungen der deutschen Politik interessiert ist, die vielleicht die dürftige Chance haben, am Schluß auch noch gerade vier Stimmen Mehrheit in diesem Hause zu haben.
({4})
- Vielleicht, Herr Bundeskanzler.
Sie haben von Außenminister Rogers gesprochen; das hat uns gefreut. Ich glaube, es war gut, daß der britische und daß auch der amerikanische Außenminister Ihnen Sukkurs gegeben hat. Nur ist das eben nicht neu. Ich habe gestern einem meiner Freunde gesagt: Wenn ihr mir jede Woche dreimal das Vertrauen aussprecht, würde ich zurücktreten.
({5})
- Ja, ja; Sie kennen unsere Fraktion noch nicht genügend, trotz aller Indiskretionen, meine Herren.
({6})
Was hat Rogers denn in seiner großen Rede in Europa, die von der amerikanischen Botschaft mit dem ausdrücklichen Hinweis herumgeschickt worden ist, dies sei die Politik der Regierung, gesagt? Er hat also gesagt:
Wir müssen sorgfältig darauf achten, nicht die Tatsache von Verhandlungen mit einem wirklichen Fortschritt in Richtung auf Vereinbarungen zu verwechseln, und wir dürfen uns nicht in ein trügerisches Gefühl der Entspannung einlullen lassen.
Er hat dann ausdrücklich die Bemühungen der
Regierung um Gewaltverzicht und um Entspannung
in Deutschland unterstützt, aber er hat dann die Frage hinzugefügt, ob die Sowjetunion bereit sei, „sich realistisch mit den Fragen zu befassen, die Europa teilen; oder geht es ihr darum, die bestehende Spaltung Europas zu besiegeln?". Soweit Rogers, und das ist zugleich das zentrale Thema dessen, was ich über unsere Auffassung sagen möchte.
Zunächst, Herr Bundeskanzler, möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Ich tue dies an dieser Stelle besonders gern. Ich wollte eigentlich den Vorwurf erhoben haben, daß Sie Ihre Ostpoiltik noch nicht mit den verantwortlichen Sprechern der Vertriebenen erörtert haben, obwohl wir alle das Wort gegeben haben, daß nichts hinter deren Rücken passiert. Aber das ist wohl jetzt nicht mehr so dringend, denn Sie haben ja eben hier noch eireal von Ihrem Harvard-Buch gesprochen, von Ihren Vorlesungen dort, die dann im Jahre 1963 von der Deutschen Verlagsanstalt als ein Buch von Willy Brandt - ein interessantes Buch und gar nicht schlecht „Koexistenz - Zwang zum Wagnis" herausgegeben worden sind. Da Sie eben sagten, es gebe keinen Bruch Ihrer damaligen Auffassungen zu dem, was Sie heute vertreten, verzichte ich auf eigene Einlassungen zur Frage von Oder-Neiße und Polen, indem ich Ihre „ungebrochene Auffassung", wie Sie eben gesagt haben, von Harvard mit Genehmigung des Präsidenten hier verlese:
Man kann
- so ungebrochen der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin das Verhältnis zu Polen nicht behandeln, ohne auch über die Oder-Neiße-Grenze zu sprechen. Die Antwort ist nicht so einfach, wie es auch wohlmeinende Ratgeber in anderen Ländern vielfach annehmen. Zunächst ist nicht einzusehen, warum die Bundesrepublik hinter den Standpunkt der Siegermächte aus dem Jahre 1945 zurückgehen soll, die die Grenzziehung einem Friedensvertrag vorbehalten haben.
({7})
Es ist unsinnig, wenn die Verfechter der ZweiStaaten-Theorie für Deutschland ausgerechnet von der Bundesrepublik erwarten, daß sie die Oder-Neiße-Linie anerkennen soll. Nach dieser Theorie würde das doch bedeuten, daß die Bundesrepublik die Grenze zwischen zwei anderen Staaten anerkennen soll, also etwa wie die Grenze zwischen Österreich und Italien oder die zwischen Norwegen und Schweden.
({8})
Diese Grenzdiskussion hat nur dann einen Sinn, wenn man entweder von der Grundlage eines rechtmäßig fortbestehenden ganzen Deutschlands ausgeht oder jedenfalls bereit ist, die Grenzfragen im Zusammenhang mit einer Friedensregelung im Sinne der Wiederherstellung der staatlichen Einheit zu erörtern.
({9})
Die gegenwärtige Grenzlinie zwischen Deutschland und Polen ist weder von den Polen noch
von den Deutschen bestimmt noch zwischen ihnen vereinbart worden. Zwischen beiden Völkern steht viel, und das deutsche Schuldkonto ist groß. Man kann die Leiden der Menschen nicht gegeneinander aufrechnen, man kann sich nur um einen ehrlichen Ausgleich bemühen. Wer unbesehen der von anderen diktierten Grenzlinie zustimmt, meint es nicht gut mit den künftigen deutsch-polnischen Beziehungen.
({10})
Soweit dieses Zitat. Ich denke, wir meinen es alle gut mit den künftigen deutsch-polnischen Beziehungen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann als nächstes etwas darüber gesagt, warum die Resolution nach Ihrer Meinung nicht aufgegeben sei, während sie nach Herbert Wehners Meinung gestern wohl doch aufgegeben ist. Die Debatte wird wohl noch ergeben, was noch gilt.
Sie haben dann argumentiert, inzwischen sei die Welt verändert. Gut, dann würden wir gern wissen, aus welchen Weltveränderungsgründen welcher konkrete Punkt von damals nicht mehr gilt. Das lassen wir gelten, wenn man argumentiert; aber mit Plakaten ist hier nicht geholfen.
Bei dem anderen Argument, Herr Bundeskanzler, hatten Sie nicht die glückliche Hand, die wir Ihnen bei Ihrem Amtsantritt gewünscht haben. Sie haben gesagt: Inzwischen waren Wahlen. Haben Sie nicht den Wählern gegenüber diese gemeinsame Position der Großen Koalition als Ihre Auffassung zur Deutschland-, Ost- und Außenpolitik mitgeteilt?
(
Sie aber nicht!)
Haben Sie nicht, meine Damen und Herren, den Wählern immer wieder hieraus zitiert? Hat nicht am Mittwoch vor der Wahl der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, auf meine Frage und nach meinem Bekenntnis zu diesen Punkten noch erklärt, die Frage sei unverschämt, denn selbstverständlich gelte das Wort für Wort für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weiter?
({0})
Das hat auf die Wähler gewirkt, und nun heißt es „Ätsch! Ätsch!", meine Damen und Herren.
Herr Bundeskanzler, Sie haben dann sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, man dürfe nichts von dem, was an Rechtstiteln für die Drei Mächte und an deren Vorbehalten da sei, irgendwie - nicht nur für Berlin, sondern für das ganze Deutschland - schmälern. Dies findet unsere Zustimmung. Aber wie wollen Sie eigentlich diese Formulierungen der Vorbehalte pflegen, fördern, hochhalten, nicht beeinträchtigen, nicht erodieren lassen, wenn Sie von jenem Wort, das in diesem Text des Deutschlandvertrages vorkommt, nun nicht mehr zu reden die Absicht haben, nämlich von dem Wort „Wiedervereinigung" ? Wer anders eigentlich soll davon sprechen als der Bundeskanzler, der doch für uns alle, auch für die Opposition, historisch verantwortliche Entscheidungen fällt? Wer soll davon sprechen?
({1})
Oder soll das etwa nur so gemeint sein, daß man hier ja einen wunderbaren Rechtstrick zur Hand hat, alles provisorisch definitiv zu machen und immer zu sagen: Natürlich unter dem Vorbehalt von Art. 7 des Deutschlandvertrages? Nur, Herr Bundeskanzler, wer das macht oder zu machen die Absicht haben sollte - und ich versuche, danach zu fragen; vielleicht gibt es noch eine Antwort darauf -, der lädt natürlich andere ein, auch Partner dieses Vertrages ein, sich in gleicher Weise unter dem Vorbehalt dieses Textes de facto anders zu verhalten, auch in der Spaltung Deutschlands.
Ich habe Ihnen dies, Herr Bundeskanzler, in unserem vertraulichen Gespräch, für das ich dankbar war, vor Eröffnung des Gesprächs mit Polen ausführlicher vertraulich geschildert. Ich bitte Sie, dieses Problem ganz ernst zu nehmen. Wenn Sie die Resolution vom 25. September ablehnen, deren Text doch identisch mit dem Text des Deutschlandvertrages ist, und wenn der Kanzler in seiner ersten Regierungserklärung das Wort „Wiedervereinigung" aussprach und insofern in „US News and World Report" nichts Neues sagen konnte, als den Verdacht der Opposition zu bestätigen, dann, meine Damen und Herren, produzieren Sie selbst doch Fragezeichen an Ihrer Politik.
Herr Kollege Dorn war so freundlich, Fragen an mich zu stellen. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Koalition sind wir immer gern bereit - Herr Dorn, ich beschäftige mich gerade mit Ihrer Intervention an mich -, Fragen zu beantworten. Sie haben mich nach einem Text aus dem Jahre 1966 gefragt, den Sie als progressiv bezeichnet haben. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß ich zu diesem Text stehe, ,daß ich es allerdings noch besser gefunden hätte, wenn Sie ganz zitiert hätten.
({2})
- Man darf doch nie die Hoffnung aufgeben, daß sich da noch etwas bessert, meine Damen und Herren.
({3})
- Meine Damen und Herren, ich gebe die Hoffnung nicht auf.
({4})
Der hat doch gelernt. Der hat heute zwar nicht so geredet, wie wir das erwarten, weder im Stil noch im Inhalt. Aber er hat doch hier schon schrecklicher geredet. Das muß man doch sagen.
({5})
Das ist sicher ein Erfolg von Herrn Ehmke, der doch die Zucht im Kabinett zu pflegen beabsichtigt.
Herr Dorn, ich stehe dazu, und ich hätte Sie gern gebeten, hier auch noch folgende Sätze aus dieser Rede zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe damals gesagt:
Die Zementierung des Status quo in Europa
wäre alles andere als eine europäische Friedensordnung. Sie würde den eben genannten
Völkern einen Teil ihrer Hoffnung nehmen und den Keim neuer Unordnung in sich tragen, weil sie Ungelöstes zum Dauerzustand zu erklären versuchte. Auch würde für diesen Fall niemand ausschließen können, daß es erneut einen 17. Juni gäbe.
- Wir haben ja die Tschechoslowakei gehabt. -Alle Erörterungen von europäischen Sicherheitsfragen haben für mich zweierlei zur Voraussetzung: Die Anwesenheit der USA in Europa und die Sicherheitsgarantie der USA.
Ich habe dann gesagt:
Wer Grenzen und Minderheitenprobleme human lösen will, muß Ordnungen schaffen, die eben dies zu tragen vermögen.
Dann habe ich, Herr Dorn, ausführlich dazu gesprochen, daß wir ein Verhältnis der Versöhnung mit den Völkern Ost- und Mitteleuropas suchen und daß auf der Basis der europäischen und der deutschen Spaltung die Dinge zu gefährlich seien, und mich im einzelnen damit auseinandergesetzt, warum die Anerkennung der DDR keinen Sinn habe. - So weit auf diese Frage!
Herr Bundeskanzler, Sie haben selber dem Hause mitgeteilt, daß Ihr Bericht über die reale Lage der Nation im gespaltenen Deutschland noch ausstehe, daß er nicht vollständig sei. Ich möchte Sie, da Sie nun vor neuen Ausarbeitungen stehen, gleich daran erinnern, daß die Opposition einen Bericht erwartet, der dem entspricht, was der Kollege Seume von der SPD im Auftrag aller drei Fraktionen am 17. März 1967 konkret verlangt hat: Dieser Bericht soll die reale Lage in beiden Teilen Deutschlands, die gesellschaftlichen, die politischen, die kulturellen Verhältnisse eingeschlossen, tatsachengetreu mitteilen. Dies ist der Auftrag dieses Bundestages an jede Regierung. In dem Ausmaß, in dem Sie diesen Bericht korrekt und schonungslos, auch wenn es Punkte geben sollte, die für uns nicht so gut sind, hier vorlegen, ist es gut. Nur würden Sie sich Verdächten aussetzen, eine noch weitere Konsequenz aus Ihrer Zwei-Staaten-Theorie zu ziehen, wenn Sie etwa darauf verzichten wollten - und es auch das Ziel eines Teils der Einstampfungsabsichten gegenüber dem verworfenen Entwurf gewesen sein sollte -, sich eben nicht mehr „Alleinvertretungsanmaßung" und „Einmischung" vorwerfen zu lassen, weil man es wagt, über Sozialversicherung im anderen Teil Deutschlands Mitteilungen zu machen.
Sie haben statt dessen Materialien vorgelegt, über deren Qualifikation wir uns nicht weiter äußern wollen. Diese sind nicht verbindlich. Verbindlich ist, was der Bundeskanzler hier gesagt hat. Wenn Sie Ihren Bericht vorlegen werden, Herr Bundeskanzler, dann wird - wie ich befürchte - die Lage noch so sein, daß der erste Satz dieses Berichtes heißen wird: Nicht alle Deutschen haben die Menschenrechte.
Sehen Sie, in dieser Debatte ist so viel gesprochen worden. Ich komme nachher auch noch auf den Gewaltverzicht und all diese Sachen. Aber was interessiert denn die Menschen in unserem Volk,
) wenn über die Lage der Nation gesprochen wird? Die interessiert: Habt ihr eine Politik in der Hand oder eine Chance, daß an der Mauer nicht mehr geschossen wird?
({6})
Wie kann ich dafür sorgen, daß die Kinder hierherkommen oder daß ich meine Verwandten besuchen kann?
({7})
Seien Sie ganz vorsichtig auf diesem Gebiet! Denn hier haben Sie, meine Damen und Herren, eben etwas Schweres versäumt. Hier ist die Frage zu stellen - das ist in den Materialien zum Teil beantwortet -, was hier an Kontakten schlecht ist und was nicht schlecht ist. Ich meine, es ist die Pflicht einer Regierung, darzutun, wie die reale Lage hier in Deutschland ist. Ich meine, all denen in der Welt - ({8})
- Herr Mattick, ich habe doch den Bundeskanzler zitiert. Er sagt, der Bericht sei unvollständig und noch nicht genügend. Materialien sind doch nicht verbindlich. Das sind doch Materialien, das ist doch nichts, meine Damen und Herren. Verbindlich ist, was der Herr Bundeskanzler hier erklärt hat. Ich meine, in einem solchen Bericht muß deutlich werden, was uns an Alltagswirklichkeit beschwert, die Fragen, die die Menschen in unserem Volk stellen. Da muß man doch die Frage stellen: Seht ihr eine
Chance, wenn ihr gleichberechtigte Gespräche mit denen anbietet, ja, seht ihr eine Chance, selbst wenn ihr deren politische Forderungen erfüllt, daß diese gesamtdeutsche Qual und dieses Elend im Alltag verändert werden kann? Diese Frage ist zu beantworten. Herr Kiep hat sie gestellt.
Nun komme ich zu Ihren Zwischenrufen. Wir hatten Sie am 29. Oktober von dieser Stelle ermuntert, diesen Katalog aufzustellen. Wir haben ihn sogar mit eigenen Beiträgen vervollständigt gegenüber früheren Einlassungen. Wir haben Sie dann gebeten, in diesen Fragen, die das Volk interessieren, initiativ zu werden, in diesen Fragen offensiv zu sein, Vorschläge zu machen, und wir hatten Ihnen versichert - damit wußte die Regierung bis heute offensichtlich nichts anzufangen -, daß Sie natürlich sprechen müssen. Wir hatten hinzugefügt, wir fragen nicht nach der Farbe der Tinte, ob sie rot oder grün oder schwarz ist, und wir fragen nicht danach, ob das Unterschriftsformular quergestreift oder längs angelegt ist. Wenn Sie etwas für die Menschen herausholen, dann wird diese Opposition dem zustimmen. Das ist unsere Position, meine Damen und Herren.
({9})
Damit haben Sie nicht nur nichts anzufangen gewußt. Bis heute haben Sie diese Initiative nicht ergriffen. Herrn Wehner blieb es vorbehalten, diesen aus Sorge geborenen politischen Vorschlag als ein „Initiativ-Soll" abzutun. Herrn Apel blieb es vorbehalten, dies als „Obstruktion" zu bezeichnen.
({10}) Das werden wir hier nicht im einzelnen beantworten. Das spricht selbst Bände.
Meine Damen und Herren, zu den politischen Dingen! Nicht nur wir hatten vor der Debatte Fragen und Besorgnisse. Ein Teil davon ist, wie von Weizsäcker mit Recht gesagt hat und wie ich selbst gerne bestätigt habe, ausgeräumt. Aber neue Fragen sind durch die Regierungserklärung aufgetreten. Es gibt z. B. die Erklärung des Bürgermeisters Weichmann von Hamburg, der immerhin nach dpa vom 8. Januar erklärte:
Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, als Eintrittspreis für Gespräche ungewissen Ausgangs mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin die totale Erfüllung der Forderungen der anderen Seite anzubieten.
Er hat die Sorge öffentlich formuliert. Ein Stück dieser Sorge ist durch Ihre Erklärung, Herr Bundeskanzler, natürlich weg. Aber ein anderes Stück ist noch geblieben.
Diese Debatte muß naturnotwendigerweise historische Bezüge haben. Wie kann man sonst über Deutschland sprechen? Aber sie soll doch wohl nicht eine Debatte der Rechthaberei und nur über einen Bericht sein, sondern auch andeuten, wohin z. B. nach unserer Meinung der Fortgang der Ostpolitik, um die es hier im wesentlichen geht, gehen soll. Mein Diskussionsbeitrag soll sich deshalb hier noch ein bißchen einlassen. Denn wir sind doch nicht gefragt, wie wir hier noch einmal die Vergangenheit diskutieren, sondern wir sind gefragt: Wie geht es nun weiter? Welche Chancen gibt es? Welches Risiko gibt es? Wie wünscht sich die Regierung das Risiko abzudecken? Hat sie eingerechnet, daß auch alles scheitern kann? Ist sie vorbereitet auf die Verhärtung, die dann eintreten kann? Wünscht sie dann, allein zu stehen mit ihrem Verhandlungsspielraum, oder wünscht sie dann, zusammen mit dem ganzen Haus sagen zu können: Wir haben es versucht, und es ist nicht gelungen?
({11})
Wir haben kein Interesse, hämisch vor einem ostpolitischen Scherbenhaufen der Bundesregierung zu stehen; denn wir alle litten ja darunter. Aber das setzt eben voraus, Herr Bundeskanzler, daß man erklärt, was nicht mehr gilt - und warum es nicht mehr gilt -, was am 25. September vorigen Jahres hier noch gelten sollte.
Es ist nun notwendig, hier eine Art Zwischenbilanz zu machen, damit jedermann weiß, was für uns gilt und was für uns nicht gilt. Herr Bundeskanzler, die Koalition hat weiterhin unsere Unterstützung bei der Absicherung ihrer Politik durch westliche Freunde, bei der Wahrung der Positionen des Grundgesetzes und des Deutschlandvertrages, bei den Bemühungen um Menschenrechte für alle Deutschen, bei dem Ringen um Abrüstung, um eine europäische Friedensordnung, um gute Beziehungen zu allen Europäern, um Gewaltverzicht, um Verständigung mit Polen, um Verbesserung - ich wiederhole es - für die Menschen im ganzen Deutschland. Kurzum, für uns gilt unverändert, was wir hier am 29. Oktober des letzten Jahres für die Ostpolitik der
CDU/CSU des 6. Deutschen Bundestages erklärt haben.
Die Bundesregierung hat nicht unsere Unterstützung für ihre Erklärungen über die zwei deutschen Staaten - und die sichtbarer werdenden negativen Konsequenzen daraus -, nicht unsere Unterstützung für den Verzicht auf die Bezeichnung „gesamtdeutsch" des Ministeriums und des Ausschusses, nicht für die veränderte Berlin-Präsenz des Bundestages und des Bundesbevollmächtigten,
({12})
und sie hat nicht unsere Unterstützung für die Unterschrift unter den Sperrvertrag.
Die Bundesregierung hat es - bis zum Bericht des Bundeskanzlers, der etwas anderes nun heute andeutete, nämlich eigene Vorschläge - nicht für richtig gehalten, zunächst, wie wir vorschlugen, Ost-Berlin eigene konkrete Vorschläge zu machen und die Sondierungen der Westmächte in Moskau abzuwarten, die dort testen wollten: ob es überhaupt eine Chance gibt. Sie hat es statt dessen für richtig gehalten, zugleich diesen Berlin-Vorstoß zu favorisieren, die Verhandlungen mit Moskau zu eröffnen und das Gespräch mit Polen zu suchen, - ein bißchen viel auf einmal, was natürlich die Risiken, von denen sogar „New York Times" vorgestern sprach, Herr Bundeskanzler, noch vergrößert.
Damit Sie aber hier nicht wieder einen „Popanz" aufbauen: Wenn Sie etwa bei Ihren Gesprächen in Moskau über Gewaltverzicht das deutsche Papier vom 3. Juli 1969 zur Basis machen sollten - falls dies geschehen sein sollte -, so soll jedermann hier und auch draußen wissen, daß dieses Papier auch die fortdauernde Zustimmung der Opposition hat. Zugleich muß man natürlich dartun, daß dieses Papier in einem anderen Lichte erscheint, wenn eine Regiedierung es wie die Regierung Kiesinger vorlegt, die sich bezeichnet - und entsprechend dem Völkerrecht so bezeichnet - als die einzige legitimierte deutsche Regierung, oder wenn es von einer Regierung vorgelegt wird, die die Zwei-Staaten-Theorie praktiziert.
Der Herr Bundeskanzler hat es unterlassen - vielleicht war dieser Zeitpunkt zu früh; aber ich will dann wenigstens die Frage für später anmelden -, dem Parlament mitzuteilen, ob nach seiner Meinung seine doch bisher schon sehr weitgehenden Entgegenkommen, z. B. in der Sache Zwei-Staaten-Theorie und Sperrvertrag, etwa die östlichen Partner veranlaßt haben, ihre Forderungen an uns zu mildern oder heraufzuschrauben.
({13})
Diese Frage ist nicht beantwortet. Die Opposition muß der Presse zu ihrem Bedauern - nicht aus Rechthaberei - das letztere entnehmen, nämlich nun schon die Forderung auf Änderung von Gesetzen hier bei uns. Kollege Strauß hat mit Recht von der Pariser Konferenz von 1946 und Molotows Forderung gesprochen, die Westzonen - wie es damals hieß - im Sinne der Ostzone zu demokratisieren. Das ist ein roter Faden. Dieser rote Faden, Herr Wehner, hätte in Ihrer Aufzeichnung der Schwierigkeiten, denen sich jede deutsche Politik gegenübersieht, eigentlich auch noch als die Konstante der sowjetischen Politik genannt werden müssen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie es mit unzumutbaren Forderungen zu tun haben sollten oder zu tun bekommen sollten - wir werden Sie nicht allein lassen, wenn es um das geht - und das waren Ihre Worte -, was hier Vaterland, Nation und europäische Friedensordnung betrifft. Sie werden um so weniger allein sein, wenn Sie sich an das halten, was wir am 25. September, mit Ihrer Stimme und nach einem persönlichen Gespräch zwischen uns, hier verabredet haben. Ich lade Sie ein, und es ist an Ihnen, die Initiative dafür zu ergreifen. Wenn Sie hier nicht argumentieren wollen und hier der Eindruck bleibt: die Gemeinsamkeit ist von Herbert Wehner weggewischt - na gut, dann kommen Sie mit einer neuen Plattform! Aber man muß doch wissen, was hier eigentlich los ist.
Herr Bundeskanzler, Ihr eigener Handlungsspielraum wird doch - und das kann doch nicht das deutsche Interesse sein, auch nicht unseres - eingeschränkt bis zur Untätigkeit; denn das Ausmaß westlicher Unterstützung und das Interesse östlicher Stellen für Ihre Politik hängen doch, in vielem, auch von der Stärke Ihrer parlamentarischen Position in diesen Fragen ab.
Herr Bundeskanzler, Sie haben - gegen unseren Willen zur Unzeit und ohne genügende Klarstellungen - den Atomsperrvertrag unterschrieben und Sie haben damit Hoffnungen auf Verbesserung verbunden. Wir haben immer gesagt: Für Klima kann man so etwas nicht unterschreiben! - Aber gut! Ich möchte Sie heute fragen - das muß doch schon festzustellen sein -: gibt es da etwas Besseres zwischen Moskau und Bonn, oder ist das einfach konsumiert, um neue Forderungen zu stellen?
Denn, Herr Bundeskanzler, und hier muß ich Sie als Außenminister zitieren, die alte Regierung hat während der Verhandlungen über den Sperrvertrag eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes überreicht - sie ist vom 7. April 1967 und im Bulletin nachzulesen, freilich etwas später, weil sie zuerst vertraulich war -, in der es heißt - ich zitiere wörtlich -:
Im Anwendungsbereich des Vertrages sollten die beteiligten Staaten ihr Verhältnis zueinander als entlastet ansehen, in diesem Bereich auf gegenseitige Beschuldigungen verzichten. Es wird weiter erwartet, daß die Kernwaffenmächte sich den Nichtkernwaffenstaaten gegenüber zu einem konstruktiven Wohlverhalten verpflichten.
Haben Sie das vor Ihrer Unterschrift ausgelotet? Können Sie uns Mitteilungen machen über dieses „konstruktive Wohlverhalten" der Sowjetunion gegenüber der Bundesrepublik Deutschland?
({14})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung steht in Verhandlungen. Wir haben nicht die Absicht, hier das zu stören, was wir kennen. Wenn wir durch unsere Äußerungen hier etwas stören sollten, was wir nicht kennen, dann: ultra posse
nemo obligatur - oder „obligetur" ; ein ewiger
Streit zwischen Strauß und mir. - ,,Tenetur" ist
wohl etwas südlich der Mainlinie gebräuchlicher.
Nun stehen - der Herr Bundeskanzler hat soeben
davon gesprochen - Gewaltverzicht und Sicherheitskonferenz an. Herr Bundeskanzler, wie immer die aktuelle Lage der Sondierung und der Verhandlungen, der Gespräche - wie immer Sie das formulieren wollen - sein mag: das ist natürlich vertraulich. Aber Sie müssen uns schon erlauben, weil wir die Konsequenz der Politik der Sowjetunion kennen ich finde, manchmal muß man denen dankbar dafür sein, daß sie immer so deutlich sagen, was sie wollen , hier auf das zurückzukommen, was Sie selbst in die Debatte eingeführt haben, nämlich die Bemühungen der letzten Bundesregierung um ein Gewaltverzichtsabkommen, die ihren Niederschlag in einer Dokumentation der Bundesregierung vom 12. Juli 1968 fanden, die Sie selbst mit einer bemerkenswerten Erklärung vor der Presse übergeben haben. Diese Dokumentation - ich rede jetzt nicht nur von der Vergangenheit macht deutlich, was die Sowjetunion bei der letzten Runde von uns zu verlangen versucht hat.
Da gibt es - immer nach dieser Dokumentation
der alten Bundesregierung - ein Aide-mémoire der Sowjetregierung an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland vom 5. Juli 1968. Da fordert die Sowjetunion von uns, mit der Deutschen Demokratischen Republik zu denselben Bedingungen wie mit den anderen sozialistischen Ländern Gewaltverzichtserklärungen auszutauschen. Sie wirft der Bundesregierung expressis verbis vor, einer völkerrechtlich verbindlichen Regelung der Frage des Gewaltverzichts der DDR auszuweichen. Sie fordert die Unveränderlichkeit der in Europa bestehenden Grenzen, darunter der Oder-Neiße-Linie sowie der Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland.
Sie haben hier eben etwas von Grenzen erklärt, Herr Bundeskanzler; vielleicht ist das auch wieder aktuell. Ich weiß es ja nicht so. Die Sowjetunion kritisierte in dem damaligen Aide-mémoire die Bundesrepublik Deutschland - übrigens bezeichnet sie uns immer korrekt als „Bundesrepublik Deutschland", was in Ihrer Regierungserklärung zu vermissen war, Herr Bundeskanzler, denn da war immer nur von der „Bundesrepublik" die Rede -, daß sie im Grunde den Austausch von Gewaltverzichtserklärungen vorschlage, trotz deren Vorhandensein sie wie bisher Gebietsforderungen an Nachbarstaaten erheben könnte. In diesem Aide-mémoire erhebt die Sowjetunion nochmals ihre bekannten Interventionsanmaßungen und sagt dann wörtlich:
Die Bestimmungen der UNO-Charta über Zwangsmaßnahmen im Falle einer erneuten Aggressionspolitik behalten voll und ganz ihre Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Auch hier kann die Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf die gleiche Stellung, wie sie die anderen europäischen Staaten haben und von der in dem Aide-mémoire der Bundesrepublik die Rede ist, erheben.
Damals hieß es also, daß die Bundesrepublik Deutschland eine andere Stellung als die anderen europäischen Staaten habe.
Ich will nun noch eine Passage aus einem anderen Aide-mémoire zitieren. Das ist ein bißchen trocken, aber man muß das kennen. Daran schließt sich eine große politische Frage an. Ich nehme an, der Herr Bundeskanzler wird schon verstehen, warum ich hier alte Akten aufblättere. Es gibt einen - auch veröffentlichten sowjetrussischen Vertragstext über den Gewaltverzicht vom 21. November 1967. Darin heißt es - ich zitiere -:
Dementsprechend verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland, niemals zur Änderung ihrer gegenwärtigen Grenzen einschließlich den Grenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik Gewalt anzuwenden. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Unantastbarkeit der in Europa bestehenden Grenzen anzuerkennen und zu achten und an andere Staaten keine territorialen Forderungen zu stellen.
Meine Damen und Herren deshalb ist eigentlich all das, was - aus den aktuellen Vorgängen - als so geheimnisvoll hingestellt wird und angeblich nur durch Indiskretionen in der Presse erörtert werden konnte, gar nicht geheimnisvoll. Der „Spiegel" hat ausnahmsweise völlig recht. Das sind alte Dokumente. Die Sowjetunion verlangt von uns nicht nur, auf die Gewalt als ein Mittel der Politik zu verzichten, sondern sie verlangt von uns auch, auf eine Politik zu verzichten, die mit friedlichen Mitteln auf dem Wege einer Einordnung in eine europäische Friedensordnung die Selbstbestimmung und Einheit des deutschen Volkes erreichen will. Das ist die Forderung, die wir seit damals kennen.
({15})
Ich weiß nicht, ob diese Forderung wieder im Mittelpunkt der Verhandlungen, Gespräche, Sondierungen steht. Wenn das der Fall ist, so möchten wir - ebenso wie wir vorher gesagt haben, daß wir zu dem 3. Juli stehen - klar sagen, daß der Verzicht auf diese Politik für uns nach wie vor unannehmbar ist. Verzicht auf Gewalt - selbstverständlich!; das Gespräch mit den anderen drüben, das Unterschreiben von Verabredungen, wenn sie den Menschen helfen - selbstverständlich!; die Vorbereitung des Ausgleichs mit Polen - selbstverständlich! Aber den Verzicht darauf, mit friedlichen Mitteln die Menschenrechte für alle Deutschen zu erstreiten, kann von uns keiner verlangen und wird bei uns keiner erreichen.
({16})
- Das ist nämlich ganz wichtig. Das muß man einer Bundesregierung gegenüber sagen, die darauf verzichtet, weiterhin das Wort „Wiedervereinigung" in den Mund zu nehmen.
({17})
- Die haben Sie aufzubauen versucht, Herr Apel, und Ihre Erregung zeigt vieles.
({18})
Ich möchte gern noch einen Gedanken anfügen, Herr Bundeskanzler; ich bin überzeugt, daß er hilfreich für die Bundesregierung ist. Man muß ganz nüchtern sehen, daß die Sowjetunion behauptet, daß die Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf die gleiche Stellung, wie sie die anderen europäischen Staaten haben, habe.
Herr Bundeskanzler, jetzt kommen zehn Sätze, mit denen ich Ihnen wirklich helfen möchte.
({19})
- Es wäre gut, wenn Sie dem Bundeskanzler auch helfen würden. Wir kommen schon auf den Punkt, meine Damen und Herren. Sie müssen unsere Meinung schon ertragen. In der naßforschen Art, wie hier gestern ein Minister der Bundesregierung Fragen eines Kollegen beantwortet hat oder wie Sie sich weigerten, Zwischenfragen zu beantworten, liegt kein Beitrag zu mehr Demokratie in diesem Lande.
({20})
Ich hoffe, daß ich nun rhethorisch das Gelände frei habe für die zehn Sätze, die ich jetzt loswerden möchte.
({21})
Meine Damen und Herren! Während die Sowjetunion für die Bundesrepublik Deutschland behauptet, daß diese keinen Anspruch auf die gleiche Stellung wie die anderen europäischen Staaten habe, und während sie in Anspruch nimmt, daß die Bundesrepublik Deutschland das Objekt ihrer Intervention, auch mit Zwang, auch nach einem Gewaltverzichtabkommen, sein könne, fordert dieselbe Sowjetunion für die DDR die volle Souveränität, behauptet diese und betreibt deren internationale Bestätigung. Herr Bundeskanzler, wir wissen natürlich auch, daß das Problem der sowjetrussischen falschen Ansprüche aus den Art. 53 und 107 der UNO-Satzung militärisch durch die westliche Sicherheitsgarantie beantwortet ist. Aber hier stellt sich doch eine politische Frage. Die Sowjetunion bringt auf dieser Basis, die ich soeben formulierte, die DDR voll ins internationale Spiel, während sie zugleich für uns einen Status minderen Rechts behauptet, während sie in der Verfassung des Staates, den sie als voll souverän betrachtet, die DDR, stehen hat: Jawohl, wir wollen die Wiedervereinigung, nur unter sozialistischem Vorzeichen. Wer das sieht, Herr Bundeskanzler, kommt doch hier an einen Punkt, über den es im freien Teil Deutschlands nur eine gemeinsame Meinung aller Demokraten geben sollte. Deshalb würde - ich wäge dieses Wort - die deutsche Politik in eine gefährliche Entwicklung geraten, wenn sie auch nur den Anschein erweckte, sie hätte die Wiedervereinigungsforderung aufgegeben, während Ulbricht sie weiter erhebt.
({22})
So bleibt eben die Frage, Herr Bundeskanzler, nach Ihrer Regierungserklärung, wie Sie und wie
Ihre Koalition sich das vorstellt: Die Einheit der deutschen Nation durch die Selbstbestimmung des deutschen Volkes? Dem stimmen wir zu, und wir freuen uns, daß es gelang, das da hineinzuschreiben. In der Regierungserklärung wird aber zugleich gesagt, die Verträge zwischen Bonn und Ost-Berlin dürften zeitlich nicht beschränkt sein. Herbert Wehner hat das hier ausdrücklich noch einmal unterstrichen. Die Verträge müßten mit der Perspektive der Verbesserung - so heißt es in der Regierungserklärung - gelten für die Zeit, in der es diese beiden Staaten gebe. Und zugleich erklärt die Regierung, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Staat des Westens bleibe und die DDR ein Staat des Ostens. Auch der Hinweis, daß beide Staaten nicht mehr provisorisch seien, hat natürlich sein besonderes Gewicht.
Was also, Herr Bundeskanzler, werden Sie erklären oder was würden Sie erklären, falls die Sowjetunion Ihnen - wie 1968 uns zusammen - die Frage anträgt: Seid ihr bereit, nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf friedliche Veränderung der deutschen Dinge mit dem Ziel der Selbstbestimmung des deutschen Volkes zu verzichten? Das ist der Kern, das ist die Frage.
Ich empfehle, meine Damen und Herren, hierauf wie folgt zu antworten. Ich erkläre in aller Form, daß die Opposition, trotz Herbert Wehners Ablehnung von Resolutionen, bereit wäre, eine solche Aussage - in jeder Form, ob in Form einer Resolution oder in Form von übereinstimmenden Erklärungen - zu unterstützen. Und da mir nicht danach zumute ist, hier zuerst Texte zu verlesen und dann die Quelle zu sagen - ich glaube, das ist altmodische parlamentarische Methode -, würde ich empfehlen, daß wir alle beschließen, daß für den Fall, daß eine solche Frage gestellt werden sollte, das ganze Haus und die ganze Regierung mit den Worten antwortet, die ich dem Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands entnehmen möchte. Dort heißt es:
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands lebt und wirkt im ganzen deutschen Volk. Sie steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit. Die Spaltung Deutschlands bedroht den Frieden. Ihre Überwindung ist lebensnotwendig für das deutsche Volk. Erst in einem wiedervereinigten Deutschland wird das ganze deutsche Volk in freier Selbstbestimmung Inhalt und Form von Staat und Gesellschaft gestalten können.
({23})
Dies ist ein Angebot, das abzulehnen auch eine Politik und eine Antwort wäre.
Der Herr Bundeskanzler hat zum Problem der Vorleistungen gesprochen. Herr Strauß hat darauf schon geantwortet. Ich möchte auch hier ganz klar sagen: natürlich sind in den 20 Jahren der Politik der CDU/ CSU - weite Strecken mit der FDP zusammen - Vorleistungen erbracht worden, aber doch nie aus
der Substanz der Nation oder aus der Substanz der Freiheitsrechte der Menschen.
({24})
Herr Bundeskanzler, Sie haben hier von „Patriotismus" und „Vaterland" gesprochen. Darüber freuen wir uns sehr. Wir haben früher einmal gesagt: Wer die Schwierigkeiten, die Zeitabläufe und die erforderliche Geduld zur Lösung der deutschen Frage nicht sieht, ist kein Realist; und haben hinzugefügt: Wer deshalb davor resigniert und das als Utopie oder Wunschvorstellung bezeichnet, ist kein Patriot. Das sagen wir dazu, meine Damen und Herren.
({25})
Herbert Wehner hat davon gesprochen - der Bundeskanzler hat das aufgegriffen; ich kann mir vorstellen, daß er es aufgreifen mußte, wenn sein Fraktionsvorsitzender so etwas sagt -, hier sei kein Konrad Adenauer. Herr Wehner, als Bundeskanzler Adenauer nach Moskau fuhr - übrigens hat er die Opposition mitgenommen -, sagten die Moskauer Führer zu ihm: Hier gibt es keine Kriegsgefangenen mehr. Sie wissen, daß, als er wiederkam, welche da waren; er brachte sie mit. Können Sie sich ernsthaft vorstellen, Herr Kollege Wehner, daß es glaubhaft, vorstellbar, zumutbar wäre, daß Konrad Adenauer einen Satz gesagt hätte wie den: Es gibt keine Möglichkeit der Wiedervereinigung? Das, glaube ich, kann man sich nicht vorstellen, und deshalb hatten gerade Sie recht, als Sie sagten: „Hier gibt es keinen Konrad Adenauer".
({26})
Der Bundeskanzler sagt, die deutsche Politik dürfe sich nicht Wunschvorstellungen hingeben. Wer soll denn eigentlich den Spielraum dessen, was wir selber wollen, bestimmen?
({27})
Dann brauchen nur andere zu kommen und zu sagen: Das und das geht nie, und schon marschieren wir weiter zurück.
({28})
Meine Damen und Herren, auch wenn es eine Wunschvorstellung ist: Ich will daran arbeiten, daß alle Deutschen die Menschenrechte haben und wir alle in einer Demokratie leben. Das sollte der Bundeskanzler hier noch einmal sagen, wenn er schon nicht die Resolution der SPD übernehmen will.
({29})
Aber vielleicht glauben Sie uns weniger. Deshalb mochte ich gern eine jugoslawische Stimme aus diesen Tagen zitieren, nachzulesen im „Europa-Archiv". Sie sagt, und das ist sehr interessant für eine blockfreie Stimme - es ist übrigens ein sehr sachkundiger Artikel , worauf es ankomme, sei erstens, den Prozeß einer Regelung so zu beeinflussen, daß Blockstrukturen und Interessensphären abgebaut werden und ein neues System internationaler Beziehungen entsteht - d. h. nicht den Status quo anerkennen oder stabilisieren -, und zweitens, dafür zu sorgen, daß eine Regelung in Europa im Hinblick auf die Positionen und Rechte, welche die europäischen Länder darin erwerben, auch wahrhaft europäisch wird.
Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, wir haben in der Debatte vom 29. Oktober nicht nur vorgeschlagen, die Initiative gegenüber der DDR um menschlicher Erleichterungen und auch politischer Fragen willen zu ergreifen, sondern haben auch vorgeschlagen, Sie möchten zur Frage der europäischen Sicherheitskonferenz mit eigenen Vorschlägen hervortreten. Ebenso wie diese jugoslawische Stimme ließen sich Dutzende solcher Stimmen aus Ost und West, Nord und Süd und aus neutralen Ländern anführen, die doch alle nicht wollen, daß man die Sache jetzt beendet und den Status quo zementiert, sondern daß man etwas Neues macht. Deshalb muß man doch dafür sorgen.
Ich freue mich darüber, daß Sie wieder von der europäischen Friedensordnung gesprochen haben, die ja mehr ist als das Sicherheitssystem. Aber eine solche Sicherheitskonferenz, die sicher irgendwann einmal kommen kann, sollte doch konfrontiert sein mit anderen Fragen. Es stünde der deutschen Politik sehr gut an, sie ins Gespräch zu bringen. Glauben Sie denn nicht, daß alle Europäer zuhören würden, wenn Sie sagten: Auf dieser Tagesordnung muß stehen erstens das Interventionsverbot der Supermächte. Glauben Sie nicht, daß man zuhören würde, wenn es hieße: zweitens Freizügigkeit, drittens Offenheit der Grenzen, und wenn es hieße: viertens Minderheitenschutz? Das wäre eine Politik, die europäischen Frieden und europäische Sicherheit vom Menschen her sieht und nicht von irgendwelchen formalen Kategorien.
({30})
Herr Bundeskanzler, wir wünschen Ihnen Erfolg bei diesen Sachen.
({31})
Wir wünschen in eine Lage zu kommen, in der Sie eine Ostpolitik machen, bei der wir hier stehen können wie nach der Konferenz von Den Haag. Denn es ist doch unser Schicksal. Das wird um so leichter gelingen, Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit uns reden und nicht selbst noch den Eindruck zu erreichen versuchen, wir hätten kein eigenes Konzept.
Herr Bundeskanzler, erlauben Sie mir, zum Schluß zu kommen. Ich denke, wir Deutschen haben Erfahrungen auch mit der Gefahr der Zerrissenheit der Nation, nicht nur mit der Übertreibung der Parteipolitik,
({32})
sondern wir alle haben Erfahrungen auch mit der Zerrissenheit der Nation im anderen Bereich. Ich möchte deshalb, Herr Bundeskanzler, Sie einladen, doch einmal diese Sätze eines Ihrer Vorgänger nachzulesen. Ich sage auch hier wieder gleich, von wem es ist: es ist diesmal Bismarck. Ich wage das zu sagen, nachdem Sie gestern, wenn ich Sie richtig verstanden habe, doch die Formel von dem „radikalen Bruch mit der Vergangenheit" nicht mehr so ganz aufrechterhalten haben. Bismarck nennt ein wesentliches Motiv für seine Politik der deutschen Einheit -- wir wollen sie heute europäisch, aber das,
960 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Dr. Barzel
was er sagt, finde ich aktuell; Herr Präsident, ich möchte es zitieren -, er sagt:
Ich habe stets den Eindruck des Unnatürlichen von der Tatsache gehabt, daß die Grenze, welche den niedersächsischen Altmärker bei Salzwedel von dem kurbraunschweigischen Niedersachsen bei Lüchow in Moor und Heide dem Auge unverkennbar trennt, dort den zu beiden Seiten Plattdeutsch redenden Niedersachsen an zwei verschiedene, einander unter Umständen feindliche völkerrechtliche Gebilde verweisen will, deren eines von Berlin und das andere früher von London und später von Hannover regiert wurde, und daß friedliche und gleichartige, im Konnubium verkehrende Bauern dieser Gegend - der eine für welfisch-habsburgische, der andere für hohenzollernsche Interessen - aufeinander schießen sollten.
Das Motiv steht doch dahinter, wenn wir von Friedensordnung sprechen. Deshalb hat eben ein Gewaltverzicht keinen Zweck, wenn hinterher trotzdem die Sowjetunion die Diskriminierung Deutschlands und die Gefahr der Zwangsintervention aufrechterhält. Deshalb hat ein Gewaltverzichtsabkommen keinen Zweck, an dessen Ende trotzdem in Berlin weiter geschossen wird und in den Minenfeldern weiter die Menschen sterben.
Ich möchte als letztes noch ein Zitat bringen. Sie sehen, wie weit ich den Bogen spanne, Herr Bundeskanzler:
Staatsmännische Weisheit wird sich darauf einstellen, daß auf die Dauer ein großes Volk in der Mitte Europas nicht geteilt bleiben kann, wenn wir Spannungen beseitigen, Krankheitsherde gesunden lassen und über ein friedliches Nebeneinander zu einem konstruktiven Miteinander der europäischen Völker kommen wollen.
Worte staatsmännischer Weisheit, gesprochen vom Außenminister Willy Brandt vor der Beratenden Versammlung des Europarates genau vor drei Jahren, am 24. Januar 1967.
Herr Bundeskanzler, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: nach internationalem Recht und nach unserem Grundgesetz sind Sie der Kanzler der Bundesregierung, die als einzige frei gewählt ist und die nach der Meinung der überwiegenden Mehrzahl der Völker - nicht nur der freien, sondern auch der blockfreien Welt - die einzige Regierung ist, die für alle Deutschen zu sprechen berechtigt und deshalb verpflichtet ist. Herr Bundeskanzler, erklären Sie: Die erste Tatsache der Nation ist: Alle Menschen hier wollen frei sein. Und die zweite ist: Wir alle wollen wieder zusammenleben. Erklären Sie das, Herr Bundeskanzler; dann machen Sie eine qualitative Friedenspolitik. Denn Frieden ist ohne Menschenrechte für uns undenkbar.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch ein Wort. Mir wird soeben mitgeteilt, daß der Herr Präsident des Parlaments der Republik Elfenbeinküste hier im Hause ist. Ich begrüße ihn und seine ihn begleitende Familie mit Respekt und Herzlichkeit.
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Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Heren! Aus einem doppelten Grunde hat meine Fraktion nicht auch 45 Minuten Redezeit beantragt. Nachdem die Opposition gestern mit einem etwas zutage getretenen Unterton der Koketterie gesagt hat, wir wollten ihre Rechte auch in der Redezeit einschränken, ist jetzt, wie wir glauben, sichtbar geworden, daß es in der Tat gestern nur etwas unterschwellig zur Diskussion gestellt worden ist und keiner es Ihnen wirklich abnehmen konnte und wollte. Zum anderen meine ich aber auch, daß diese Debatte auf den Kern zurückgeführt werden sollte, um den es geht. Wir haben manche Stunde diskutiert, und im Grunde genommen habe ich bei aufmerksamem Zuhören weder beim Kollegen Strauß noch bei Herrn Dr. Kiesinger noch jetzt bei Herrn Barzel herausgehört, was sie denn nun in Wirklichkeit an der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers - wenn ich einmal von den Materialien, die schriftlich gegeben wurden, absehe - auszusetzen oder zu ergänzen haben.
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Nehmen wir einmal das, was gestern und vorgestern vom Herrn Bundeskanzler Brandt vorgetragen worden ist, und nehmen wir die Tatsache, daß sich die FDP-Fraktion und die SPD-Fraktion mit dieser Regierungserklärung identifizieren und daß sie ihnen für das, was uns bevorsteht, und auch für das, was bereits eingeleitet worden ist, ausreichend erscheint; dann müßte man nicht nur zur Regierung, sondern auch zu den sie tragenden Fraktionen hin sagen, was bisher versäumt worden ist und was zusätzlich getan werden sollte.
Zugespitzt auf diese Frage, verehrter Herr Kollege Dr. Barzel, führt uns nicht weiter - so hilfreich es für die Zukunft sein kann, wenn der eine oder andere in eine Grundlagen- oder Motivforschung eintritt -, jetzt weit zurückgehend hier Zitate vorzutragen, sie anzureichern und eigene Stellungnahmen dazu abzugeben. Denn alles muß auf den Kern zurückgeführt werden: Hat man das Vertrauen zu einer Bundesregierung, die hier frei gewählt worden ist, daß sie auf dem Boden dieser Erklärung stehend die Verhandlungen führt, und hat man das Vertrauen zu dieser Regierung, daß sie, wenn ganz bestimmte Punkte in diesen Verhandlungen erreicht worden sind, nicht nur mit den sie tragenden Parteien, sondern gleichermaßen mit der Opposition, daß sie mit diesem Bundestag das Gespräch sucht, um mit ihm gemeinsam festzustellen, ob das noch auf dieser Grundlage liegt oder ob ein Schritt weiter gegangen werden muß, kann oder soll?
Alles andere, was hier in der Diskussion angeführt wird, läuft doch im Grunde genommen darauf hinaus, daß man gewollt oder ungewollt
({1})
- gewollt oder ungewollt - Mißtrauen artikuliert. Ich glaube - und ich nehme das ernst, Herr Kollege Dr. Barzel, was Sie gesagt haben; Sie sagen: Dieser Bundeskanzler und diese Regierung haben bei diesem Weg unsere Unterstützung -, daß artikuliertes Mißtrauen, wenn es drüben und in unserem Volk so verstanden wird - ich unterstelle nicht, daß Sie das wollen , die Position der Regierung schwächt, und das kann um der gemeinsam beschworenen Ziele willen nicht das Anliegen irgendeines Abgeordneten in diesem Hause oder irgendeines Demokraten in diesem Staate sein.
({2})
Herr Kollege Dr. Barzel. ich möchte nicht auf alle Punkte, die Sie angesprochen haben, eingehen, weil ich mich mit zehn, höchsten zwölf Minuten zufriedengeben will. Sie haben aufgeführt, wozu Sie ja sagen: Absicherung nach dem Westen, Grundgesetz, Wahrung der Menschenrechte, Abrüstung, Gewaltverzicht, Verhandlungen zu Polen hin. Sie haben dann gesagt, wozu Sie nein sagen: zwei deutsche Staaten, Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und Innerdeutscher Ausschuß, Berliner Präsenz. Hier will ich nur einhakend sagen, daß der Innerdeutsche Ausschuß von der Mehrheit dieses Hauses so benannt worden ist - das kann nicht die Regierung und daß die Berliner Präsenz von der Mehrheit des Ausschusses mit ihrer ausdrücklichen Erklärung qualitativ nicht gemindert worden ist. Das sollte man jetzt nicht auch noch bei einem Aufwaschen der Regierung anlasten, sondern das sollte man zu den beiden Parteien oder zu denjenigen sagen, die das politisch zu verantworten haben.
Eine weitere Bemerkung. Sie fragen - und ich finde, das ist nicht eine Stärkung der Position der Regierung, sondern eine Schwächung -, ob denn das, was bisher zur Zwei-Staaten-Theorie - wenn es überhaupt so gesagt worden ist - und zum Atomwaffensperrvertrag erreicht oder gesagt worden sei, den Osten veranlaßt habe, uns entgegenzukommen. Gestern habe ich historische Darstellungen gehört, denen zu entnehmen war, wie lang der Weg sein wird. Heute werden recht ungeduldige Fragen gestellt, die - gewollt oder ungewollt - implizieren, daß draußen negativ in Erscheinung treten muß, als sei viel vorgegeben, ohne im Augenblick irgend etwas erreicht zu haben.
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Ich halte das für keine gute Sache, und ich halte es erst recht nicht für eine gute Sache, wenn das von einer Partei und ihren maßgebenden Sprechern geschieht, die immerhin für sich in Anspruch nehmen - wir wollen diesen Anspruch nicht verkleinern -, über rund 18 Jahre hinweg in mühsamer Arbeit zunächst ein Vertrauensfundament zum Westen hin geschaffen zu haben. Das war auch nicht mit einer Erklärung von hier, mit einer Reaktion von dort
verbunden. Wenn Sie diese Zeit hatten, sollten Sie hier das, was wir Ihnen mit Jahren bemessen, wenigstens mit Wochen oder Monaten bemessen. Dann kommen wir wenigstens auf eine Ebene, auf der sich wieder zu reden lohnt.
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Ferner ist gesagt worden, es würden Resolutionen aufgegeben, und damit werde Gemeinsames aufgegeben. Nun, die Frage ist nicht, was aufgegeben wird, sondern die Frage ist, was geschieht. Der Kollege Dr. Gradl und einige andere haben davon gesprochen, daß Pflöcke eingerammt werden sollten. Ja, gut. Muß dann ein Deutscher Bundestag, muß dann ein frei gewähltes Parlament, um der eigenen Regierung Korsettstangen anzuziehen, Pflöcke in die Erde rammen, oder glaubt man, man könnte nach außen hin damit Eindruck erwecken, wenn jetzt zum wievielten Male noch etwas Zusätzliches geschieht?
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Das ist doch nicht die Frage, und das kann doch nicht die Frage sein. Deshalb glaube ich nicht, daß sich die Frage stellt und daß hier ein nationaler Vertrauensbeweis oder Reifebeweis von den einzelnen oder den Fraktionen geliefert wird, wenn sie noch einmal Resolutionen zustimmen, die gefaßt worden sind. Hier geht es für meine Freunde und für mich ganz schlicht gesagt um folgendes: Wir haben Vertrauen zur Bundesregierung, daß sie jeweils dann, wenn sich im Zuge von Verhandlungen oder bei Bemühungen um Verhandlungen die Notwendigkeit ergibt, Entscheidungen substantieller Art zu treffen, das Parlament in angemessener Weise zu Rate zieht, und die letzte Entscheidung wird dann immer, wie es in einer Demokratie selbstverständlich ist, dem Parlament vorbehalten sein. Wer das in Frage stellt, meine Damen und Herren, der stellt in Frage, daß er Vertrauen zu dieser Regierung hat. Wer das in dieser Situation will, der sollte es nicht unterschwellig, der sollte es offen sagen, damit die Fronten klarwerden.
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Herr von Guttenberg, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist das erste Gebot in diesem Hause, daß wir untereinander gerecht bleiben. Ich stehe daher nicht an, hier zu sagen, daß ich von dem Friedenswillen und dem humanitären Antrieb beeindruckt bin, der aus den Erklärungen des Bundeskanzlers hervorgegangen ist. Ich beanspruche aber gleichzeitig für meine Freunde und mich, daß man auch uns uneingeschränkt den gleichen Willen zugesteht. Ich habe, ehrlich gestanden, bei allen Diskussionsbeiträgen aus dem Lager der Regierung nicht den Eindruck gehabt, daß dies der Fall war.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung von der „Stunde der Wahrheit" gesprochen. Ich bin mit ihm, hoffe ich, einer Meinung, wenn ich sage, daß es in diesem Hause immer Stun962
den der Wahrheit geben muß. Hier hat jeder seine Wahrheit vorzutragen, eine andere hat keiner von uns, und in diesem Streit unserer Wahrheiten muß versucht werden, einen Zipfel der objektiven Wahrheit zu erreichen.
Was also ist in der Sicht der Regierung die Wahrheit in der deutschen Situation, und was ist unsere Wahrheit, die wir der Regierung entgegenhalten?
Lassen Sie mich zunächst sagen, daß wir - ich wiederhole, was unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Barzel, gesagt hat dieser Regierungserklärung in weiten Passagen zustimmen, dort jedenfalls uneingeschränkt - die es gegenüber manchen Unterstellungen, die wir gehört haben -, wo es um die Fortsetzung der Politik geht, die wir in der Großen Koalition gemeinsam geführt haben.
Ich sage ein Zweites. Mir scheint, daß manches in dieser Erklärung der Regierung zurechtgerückt wurde, was uns vorher Anlaß zu großer Sorge war. Wir stellen daher mit Befriedigung fest, daß per saldo das Vorbringen der Opposition in den letzten Wochen offenbar insoweit nicht vergebens war. Denn es ist doch auch richtig, daß der Eindruck nicht verwischt werden kann, daß eine ungenügend vorbereitete und ungenügend durchdachte erste Runde der Ostpolitik unserer Regierung zu einem enttäuschenden Ergebnis geführt hat. Man sollte dies als den Hintergrund der Regierungserklärung sehen, die wir vorgestern gehört haben.
Wir haben vielem mit Befriedigung zugehört, z. B. dem Gedanken, daß unser Bündnis die Voraussetzung zu jeder Entspannungspolitik und - besser - zu jeder Friedenspolitik sei. Denn damals, als wir dieses Bündnis schufen, klang es anders. Damals wurde gesagt, wir erhöhten durch unseren Beitritt zu diesem Bündnis die Kriegsgefahr.
Hier soll von der Wahrheit die Rede sein. Sie lautet in diesem Zusammenhang so: Die Unionsparteien haben von Anfang an eine konsequente Politik des Friedens und der Sicherung des Friedens geführt. Aber, meine Damen und Herren, es bleiben viele Sorgen und es bleiben am Ende dieser Debatte - auch nach der zweiten Intervention des Herrn Bundeskanzlers viele unbeantwortete Fragen. Ist es nicht so, daß unter der Überschrift „Stunde der Wahrheit" -- in der ersten Debatte, Herr Bundeskanzler, hieß es aus Ihrem Munde polemischer „Erdrutsch der Illusionen" ein Bruch mit einer fundamentalen Gemeinsamkeit vollzogen wurde und daß unter der gleichen Überschrift „Stunde der Wahrheit" zu rechtfertigen gesucht wird, was hier geschehen ist: nämlich daß erstmals eine deutsche Regierung von der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates spricht?
Herr Bundeskanzler, auch wir sind selbstverständlich immer bereit - Sie wissen das selbst aus eigener Erfahrung -, die Methoden unserer Politik geänderten Verhältnissen anzupassen. Die Periode der Großen Koalition hat dies wie auch schon frühere Perioden für jeden objektiven Beobachter erwiesen. Aber bei der Frage nach der Anerkennung eines zweiten deutschen Staates stehen nicht Methoden, sondern - ich weiß, was ich sage - eine Grundposition freiheitlich, rechtsstaatlich demokratischen Denkens auf dein Spiel.
({0})
Herr Bundeskanzler, wir haben Sie gefragt, was Sie veranlaßt habe, diese Position aufzugeben. Ich muß Ihnen sagen: Sie und die Sprecher Ihrer Fraktion haben diese Frage bis zu diesem Moment nicht beantwortet.
({1})
Oder sollte etwa, Herr Bundeskanzler, die Maxime, die Sie in Ihrer Regierungserklärung so formuliert haben - ich zitiere -, man sollte „keine Forderungen erheben, die in den Bereich der Wunschvorstellungen gehörten", als Begründung für diesen Bruch mit der Gemeinsamkeit dienen? Wenn dies der Grund für Ihr Aufgeben dieser Gemeinsamkeit ist, wie könnte dann der gleiche Bundeskanzler, nämlich Sie, dem Prinzip der Selbstbestimmung zustimmen, für das doch gleichermaßen gilt, daß es weder heute noch morgen realisierbar ist? Oder glauben Sie wirklich, daß Herr Ulbricht eher Freiheitsforderungen der Bundesrepublik sein Ohr leihen werde als dem Einheitsverlangen? Ist es nicht vielmehr so, daß das genaue Gegenteil der Fall ist?
Ein Zweites. Ist die Aufrechterhaltung des Grundsatzes, daß es nur einen deutschen Staat gibt, nicht eine selbstverständliche Konsequenz des auch von Ihnen als unverzichtbar angesehenen Selbstbestimmungsrechts, jedenfalls so lange, wie die Deutschen drüben nicht selbst darüber entscheiden durften, ob sie einen zweiten deutschen Staat wollen?
Drittens. Haben trotz aller gegenwärtig unüberwindbaren Hindernisse nicht die Kollegen Dr. Strauß und Dr. Bach recht, wenn sie - ,endlich einmal wieder, sage ich - von freien Wahlen gesprochen haben? Herr Bundeskanzler, wie denn anders könnte das Selbstbestimmungsrecht auf deutschem Boden je bewerkstelligt werden als durch freie Wahlen? Unser Kollege Wehner hat vor Jahren einmal hier gesagt, es gebe zur Lösung der deutschen Frage eine „sozusagen unter allen Umständen einzuhaltende Reihenfolge", an deren Beginn freie Wahlen stünden! Soll dies alles nicht mehr gelten? Das Wort vom unverzichtbaren Selbstbestimmungsrecht wäre dann eine leere Formel.
Ein Viertes. Sprechen wir nicht alle mit Ernst und Hoffnung zugleich vom Ziel einer europäischen Friedensordnung? Ist aber nicht auch dies heute angesichts der Breschnew-Doktrin und des 21. August 1968 ein Ziel - jawohl! -, das in den Bereich der Wunschvorstellungen gehört? Was also, Herr Bundeskanzler, ist denn dann die innere Wahrheit Ihres Satzes, man solle keine Forderungen erheben, die dem Bereich der Wunschvorstellungen angehörten?
Entweder gilt dieser Satz - dann müßten wir allerdings angesichts der gegenwärtigen Haltung unserer Gegner auf der ganzen Linie resignieren -, oder er bezieht sich nur auf das aktuell Realisierbare; dann aber kann er keine Rechtfertigung für die Aufgabe von Grundpositionen sein.
({2})
Im übrigen ist für meine Freunde und für mich die Aufrechterhaltung unserer nationalen Grundrechte trotz der Erkenntnis ihrer gegenwärtigen Nichtrealisierbarkeit seit über 20 Jahren sozusagen das tägliche Brot.
({3})
Für uns war die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit - anders gesagt : die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch alle Deutschen - immer ein geschichtliches Problem, die Spaltung Deutschlands also nicht ein Unfall der Tagespolitik, der durch eine bessere Tagespolitik ungeschehen gemacht werden könnte.
Früher, als wir dies hier als die Sprecher der Unionsparteien sagten, da wurden wir - ich sage das aus eigener bitterer Erfahrung - der nationalen Unzuverlässigkeit geziehen, da sagte man uns hier in diesem Hause, wir wollten die Wiedervereinigung gar nicht. Und heute? Welche Umkehrung der Fronten! Heute wird uns vorgehalten, wir hielten an antiquierten Positionen der fünfziger Jahre fest. Ich kann nur verwundert die Gegenfrage stellen: Ist wirklich - wirklich? - einer in diesem Hause hier, der die Forderungen nach Freiheit, nach Selbstbestimmung und nach Volkssouveränität eine antiquierte Position der fünfziger Jahre zu nennen wagte?
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Nichts anderes als dies - Freiheit, Selbstbestimmung und Volkssouveränität - fordern wir, wenn wir sagen: Ob es zwei deutsche Staaten gibt, das hat keine Regierung in Ost-Berlin und keine Regierung in Bonn, sondern nur das deutsche Volk zu entscheiden.
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Nun eine ernste Frage. Auch sie wurde hier schon einmal in der Debatte gestellt und ist nicht beantwortet worden. Im September 1968 - ich komme auf das zurück, was Herr Dr. Barzel gesagt hat - waren sich beide großen Parteien darüber einig, daß - ich zitiere es noch einmal wörtlich - die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates nicht in Betracht kommt. Heute spricht die von der SPD geführte Bundesregierung bewußt - und bewußt wiederholt - von zwei deutschen Staaten auf deutschem Boden. Sie sagt gleichzeitig, daß sie eine völkerrechtliche Anerkennung ablehnt. Abgesehen von der Fragwürdigkeit einer solchen Unterscheidung zwischen staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Anerkennung, abgesehen von der gefährlichen Verwirrung, die durch diese Diktion entstanden ist, frage ich: wie lange gilt denn nun dieses Wort von der Ablehnung der völkerrechtlichen Anerkennung? Welchen Rang, welchen Grundsatzwert können wir dieser neuen Erklärung beimessen? Welche Glaubwürdigkeit können Sie, Herr Bundeskanzler, für dieses Wort erwarten, nachdem Sie Ihr letztes Wort sozusagen über Nacht und - ich sage es trotz allem, was Sie vorhin hierzu erklärt haben - ohne einleuchtende Begründung verlassen und aufgegeben haben?
Meine Damen und Herren, ich sage: ohne Begründung. Denn in der Tat ist bisher weder von den
Koalitionsfraktionen noch von der Bundesregierung gesagt worden, was sie zu diesem Wandel, zu dieser Aufgabe einer gemeinsamen Grundposition veranlaßt hat. Oder hat sich etwa in Ost-Berlin irgend etwas Entscheidendes geändert? Zeigt sich dort eine reelle Chance - nun bitte ich Sie zuzuhören, meine Damen und Herren -, durch die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts die Verwirklichung dessen Hauptteils, nämlich der individuellen Menschenrechte, zu erlangen? Dies und nur dies könnte nämlich eine Rechtfertigung für staatliche Anerkennung sein.
Aber ist nicht das genaue Gegenteil der Fall? Ist nicht eingetreten, was wir vorausgesagt haben, nämlich daß einseitige Konzessionen, Vorleistungen also, von drüben damit beantwortet werden, daß die Forderungen höher und nicht geringer werden? Hat nicht unsere Generation die leidvolle Erfahrung mit totalitären Staaten gemacht, daß solche Regime durch Konzessionen auf Teilgebieten nicht zufriedenzustellen sind, daß vielmehr für sie der alte Satz gilt, daß der Appetit beim Essen kommt?
Ich nenne es auch einen untauglichen Rechtfertigungsversuch den Professor Carlo Schmid gestern unternommen hat, als er mit völkerrechtlichen Gründen die Anerkennung eines zweiten deutschen Staates zu untermauern suchte. Er hat eine These vertreten, und er weiß selbst, daß es auch andere Thesen gibt. Aber selbst wenn seine These allen rechtlichen Einwänden standhielte, warum hat der Abgeordnete Professor Schmid dann nicht schon vor zwei Jahren die Anerkennung dieses Staates gefordert? Was hat sich denn seither an Staatsmacht, Staatsgebiet und Staatsvolk drüben geändert? Dies ist eben nicht ein Problem des Völkerrechts und ist eben nicht, Herr Kollege Apel, ein Problem der Tatsachenbeschreibung. Hier handelt es sich um die Konsequenzen unserer freiheitlich-rechtlichen Grundüberzeugung.
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Dies, meine Damen und Herren, sollten Sie uns abnehmen.
Lassen Sie mich nun zu Ende kommen und noch etwas in Sorge sagen. Herr Kollege Wehner hat gestern unüberhörbar an die Adresse der Opposition die Warnung gerichtet, den Ultras von rechtsaußen keine Schützenhilfe zu leisten. Ich habe in der Sache hierzu nicht viel zu sagen, nichts anderes jedenfalls als dies: uns, den Unionsparteien, geht es um die Freiheitsrechte der Deutschen, um nichts anderes. Deshalb trennen uns Welten von jenem Häuflein unverbesserlicher Narren, die Kollege Wehner gemeint hat.
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Meine Sorge ist eine andere. Meine Sorge betrifft die deutsche Sozialdemokratie.
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- Meine Damen und Herren, nehmen Sie mir dies bitte ab! Ich fühle mich deshalb legitimiert, dies zu sagen, weil ich nicht nur durch Worte für das eingetreten bin, was ich jetzt sage: Für uns alle in diesem Hause, in unserem Volk, für unser Vaterland
und für unsere Demokratie ist es unverzichtbar - unverzichtbar sage und meine ich-, daß es eine starke, gesunde und erlauben Sie mir das Wort - in gewisser Weise im Sinne Schumachers nationale deutsche Sozialdemokratie gibt.
({9})
Weil dies so ist - wenn auch einige von Ihnen dort hinten lachen -, beklage ich es, daß eine deutsche SPD-Regierung - die erste seit 40 Jahren - in einer entscheidenden Frage unserer gemeinsamen deutschen Politik eine bisher unbezweifelte Gemeinsamkeit ohne Not verlassen hat.
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Bedenken Sie das wohl, meine Damen und Herren!
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern hat eine kleine Debatte darüber stattgefunden, ob das zutreffe, was in der „Frankfurter Rundschau" zum Ausdruck gebracht wurde, nämlich daß manche Äußerungen gerade bestimmten Kreisen in der DDR besonders zugute kommen könnten. Es ist dabei gesagt worden: man weiß ja, wo es gestanden hat.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von 3) heute zitieren; Jürgen Tern schreibt hier:
Es gibt keine Rückkehr zu Konrad Adenauer, weder für die Bundesrepublik noch auch nur für die CDU .. .
Von Adenauers späten Einsichten führt eine gerade Linie bis zur Sprachregelung der Regierung Kiesinger/Brandt vom „anderen Teil Deutschlands", von wo wiederum die Überlegung der Regierung Brandt/Scheel über die zwei Staaten der deutschen Nation nicht mehr gar so weit entfernt ist. Die Gründe, die Kiesinger und seine Freunde ({0}) davon abhalten, den letzten Schritt mitzumachen, sind an sich durchaus respektabel. Man kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Ob sie damit aber nicht gerade denen in der „DDR" Vorschub leisten, die ihrerseits die weitere Verhärtung gegenüber der Bundesrepublik betreiben, steht auf einem gesonderten Blatt. Wenn man Kiesingers offensive Friedenspolitik nach Osten weiterwirken sehen möchte - und das liegt in der Konsequenz christdemokratischer Außenpolitik -, dann kann man aus den Bemühungen um Modifikation der bestehenden Zustände jedenfalls die „DDR" nicht aussparen. Es war Kiesinger, der Stoph nach Ost-Berlin den ersten Brief schrieb. Das hat Folgen.
({1})
Man muß auf sie einwirken. So weit das Zitat.
Wir teilen die Meinung des Kollegen Barzel, mehr Freiheitsrechte, mehr Menschenrechte für alle Menschen. Aber, Herr Kollege Barzel, es ist nicht damit getan, daß man hier mahnt, das zu tun, sondern das ist nur durch praktische Politik möglich, wie sie diese Regierung konzipiert hat.
({2})
Es kommt nicht mehr auf die Appelle an, sondern es kommt ausschließlich darauf an, geschlossen die Politik der Regierung zu unterstützen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich habe keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen. Werden irgendwelche Anträge gestellt? Das ist nicht der Fall. Dann ist dieser Punkt der Tagesordnung abgeschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollte die Fragestunde, die auf Mittag verlegt worden ist, um 13 Uhr beginnen. Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß die Fragen jetzt schon aufgerufen werden. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich jetzt die
Fragestunde
Drucksachen VI/222, VI/236 auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe zunächst Frage 1 des Abgeordneten von Wrangel auf Drucksache VI/236 auf:
Welche Möglichkeit für Sofortmaßnahmen sieht die Bundesregierung, um einen koordinierten und konzentrierten Beitrag zur Bewahrung von Millionen von Menschen vor dens Hungertode in dem bisherigen nigerianischen Kampfgebiet zu leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär Professor Dahrendorf!
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, die Bundesregierung hat durch den deutschen Botschafter in Lagos am 12. Januar 1970 erneut ihre Bereitschaft bekundet, der nigerianischen Regierung bei der humanitären Hilfe in Ostnigeria nach Kräften beizustehen und ihre Wünsche und Anregungen bereitwillig zu prüfen.
Ergänzend zu diesem Hilfsangebot hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. am 13. Januar mit dem hiesigen nigerianischen Botschafter deutsche Hilfsmaßnahmen besprochen, die dem wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Ostnigeria gelten sollen. Im übrigen hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen inzwischen ein Gespräch mit derselben Absicht mit dem nigerianischen Botschafter geführt. Die Bundesregierung hat die nigerianische Regierung gebeten, die Weiterführung der humanitären Hilfsmaßnahmen bruchlos und unmittelbar zu betreiben.
Ihre Frage enthält vor allem auch den Gesichtspunkt, wie das am wirksamsten erfolgen kann. Nach
Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf Meinung der Bundesregierung ist die wirksamste Form der Hilfe die, die über die von der nigerianischen Regierung geschaffenen zentralen Stellen erfolgt.
Eine Zusatzfrage.
von Thadden ({0}) : Herr Staatssekretär, welche Nachrichten aus den letzten beiden Tagen hat die Bundesregierung über die Bereitschaft der nigerianischen Regierung, die Mittel, die wir zur Verfügung stellen wollen, tatsächlich in die bisherigen Kampfgebiete hineinzubringen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, es gibt eine Fülle von Nachrichten in den letzten beiden Tagen. Viele davon haben Sie wie ich In den Zeitungen, die ausführlich darüber berichtet haben, gelesen.
({1})
Ihre Frage bezieht sich präzise auf die nigerianische Regierung. Hier sind unsere Nachrichten so, daß die nigerianische Regierung nicht nur bereit ist, diese Hilfsmaßnahmen wirksam werden zu lassen, sondern daß sie auch die dafür notwendigen Einrichtungen bereits geschaffen hat, wobei die Nach richten der letzten Tage darauf hinzuweisen scheinen, daß an die Stelle der Kommission für Rehabilitation, wie sie, glaube ich, heißt, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung treten soll. In jedem Fall aber wird hier eine wirksame Organisation aufgebaut.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Wörner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, mit der Regierung Großbritanniens Fühlung zu nehmen, um im Zusammenwirken mit ihr bei der nigerianischen Zentralregierung zu erreichen, daß den kirchlichen Hilfsorganisationen Möglichkeiten geboten werden, ihre Hilfeleistungen fortzusetzen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich verstehe Ihre Frage, Herr Kollege Wörner; ich möchte Sie bitten, meine Antwort auch ZU verstehen. Die Bundesregierung hat sehr genau geprüft, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise am wirksamsten eine Hilfe für die betroffene Bevölkerung möglich ist. Die Bundesregierung ist zu dem Schluß gekommen, daß die wirksamste Form, diese Hilfe zu leisten, darin liegt, daß wir die Instanzen, die die nigerianische Regierung geschaffen hat, als vorerst ausschließlichen Vermittler dieser Hilfe verwenden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Kiesinger.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß, nachdem nunmehr die Kampfhandlungen abgeschlossen und gewisse Schwierigkeiten, die sich während der Kampfhandlungen aus den internationalen Gegebenheiten ergaben, beseitigt sind, die Fortsetzung der bisherigen Hilfsmaßnahmen in dem bisherigen Umfang angesichts der ungeheuerlichen Bedrohung der dortigen Bevölkerung durch Hungertod einen fast zynischen Charakter gewinnt und daß es eine Auszeichnung für die Bundesregierung - übrigens für uns alle - bedeuten würde, wenn wir eine gesamteuropäische Hilfsaktion für die bedrohte Bevölkerung in Biafra anregen würden, und zwar sofort?
Ich glaube, Sie fragen zu müssen: Hilfsmaßnahmen der bisherigen Art und des bisherigen Umfanges können die Gefahr für die dortige Bevölkerung doch wohl nicht abwenden?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Kiesinger, ich glaube, daß wir gut daran tun, im Interesse der Wirksamkeit unserer Hilfsmaßnahmen davon auszugehen, daß del Staat Nigeria souverän ist und daß die nigerianische Regierung ihrerseits die Voraussetzungen für die Hilfsleistungen schaffen will und zum Teil geschaffen hat.
Richtig ist - insofern stimme ich Ihnen ausdrücklich zu -, daß der bisherige Umfang der Hilfsleistungen, vor allem auch kurzfristig, nicht ausreichen wird und daß insofern ein stärkeres Zusammenwirken der hilfsbereiten Länder, aber auch ein Zusammenwirken mit der nigerianischen Regierung der Sache, um die es hier geht - und schließlich geht es um Menschen - am allerdienlichsten ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kiesinger.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es mit der Haltung der nigerianischen Regierung und dem, was sie zu tun bereit und entschlossen ist, durchaus vereinbar wäre und daß es sich auch für die Bundesregierung lohnen würde, eine kollektive Aktion der europäischen Staaten, jedenfalls der, die in der Europäischen Gemeinschaft zusammengeschlossen sind, anzuregen, um eben den Umfang und die Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen in dem notwendigen Maße zu steigern?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Kiesinger, Sie wissen, daß die nigerianische Regierung diejenigen Länder mit einer gewissen, vielleicht verständlichen Empfindlichkeit betrachtet, die Biafra in besonderem Maße unterstützt haben. Darunter sind auch europäische Länder. Es ist nicht auszuschließen, daß eine als europäische Hilfsaktion konstruierte Form der Unterstützung, an der auch diese Länder beteiligt sind, bei der nigerianischen Regierung auf Widerstände stoßen würde. Ich habe diese Widerstände nicht zu bewerten; ich gehe vor
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf
allem davon aus, daß wir helfen wollen. Ich meine daher, daß der Versuch, diese Hilfe wirksam werden zu lassen, von uns allein und auch in Gesprächen mit anderen Ländern, von denen sie angenommen wird - so will ich es formulieren -, unternommen werden kann und muß.
Eine dritte Frage.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, nach der Ordnung dieses Hauses bin ich zu meinem Bedauern nicht in der Lage, eine dritte Zusatzfrage zuzulassen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Jung.
Herr Staatssekretär, trotz Ihrer eben gegebenen Antwort möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, auf die Regierung in Nigeria dahin einzuwirken, neben der Tätigkeit der nigerianischen Organisation auch internationalen Hilfsorganisationen ein selbständiges Operieren im Notgebiet zu ermöglichen, da es nach den bisher bekanntgewordenen Meldungen doch fraglich erscheint, ob die nigerianischen Organisationen allein imstande sind, die Ernährung der Zivilbevölkerung Biafras sicherzustellen.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Jung, die Bundesregierung hat in Gesprächen mit der nigerianischen Regierung - sowohl direkt als auch über unseren Botschafter ständig versucht, jede mögliche Form der Hilfe wirksam werden zu lassen, auch die durch unabhängige Hilfsorganisationen. Wir respektieren es aber, wenn die nigerinasche Regierung sich jetzt auf den Standpunkt stellt, sie sei selbst in der Lage, diese Hilfsmaßnahmen zu konzentrieren und weiterzuleiten. Unsere Bemühungen, um das noch einmal zu sagen, werden wir nicht aufgeben, aber wir respektieren, eben weil wir helfen wollen, die Einstellung der nigerianischen Regierung.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Jung.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeit hat denn die Bundesregierung, zu überprüfen und zu überwachen, ob die nigerianischen Organisationen imstande sind, die notwendige Hilfe sicherzustellen, und wird die Bundesregierung gegebenenfalls mit politischen Mitteln versuchen, auf die Regierung Nigerias einzuwirken, wenn sie sieht, daß die nigerianischen Organisationen zu dieser Hilfeleistung allein nicht in der Lage sind?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, ich halte das zunächst für einen hypothetischen Fall, zu dem ich insofern nicht Stellung zu nehmen brauche. Aber ich darf Ihnen sagen - was ich sonst nachher in Beantwortung der Frage des
Herrn Abgeordneten Kiep gesagt hätte - daß wir uns ja bemühen, die Einreise für Vertreter humanitärer Organisationen zu ermöglichen, ebenso wie unsere Botschaft sich bemüht, genau zu erfahren, in welcher Form nun die Entwicklung in dem früheren Kampfgebiet vorangeht.
Herr Kollege Czaja, Sie hatten sich vorhin zu einer Zusatzfrage gemeldet. Ich wollte Sie nur noch einmal darauf aufmerksam machen: Sie haben noch eine Frage frei.
Eine Zusatzfrage zu der ersten Frage: Herr Staatsekretär, würden Sie nicht angesichts des Ernstes, ja, ich möchte sagen, der Dramatik der Situation, die hier auch in der Fragestunde zum Ausdruck kommt und die dadurch geprägt ist, daß während wir hier diskutieren, Tausende von Menschen den Hungertod erleiden, diese Fragestunde zum Anlaß nehmen, noch einmal, über Ihre Auskünfte hinaus, die ja, wenn ich recht verstanden habe, nicht Sofortmaßnahmen ins Kampfgebiet hinein betrafen, ohne Berührung der Souveränität Nigerias, auch in Übereinstimmung mit afrikanischen Staaten - wir haben soeben die Vertreter der Elfenbeinküste hier begrüßt -, zu versuchen, einen deutschen Beitrag sowohl in der Aktivität als auch in der Leistung dazu zu erbringen - still oder offen; je nachdem, wie es opportun ist -, mitten ins Kampfgebiet Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung des Hungers in den nächsten Stunden zu ermöglichen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, ich teile Ihre Einschätzung der Situation. Ich bin gerne bereit, Ihnen zuzusagen, daß die Bundesregierung das mit aller Entschiedenheit, und zwar sofort, betreiben wird. Neben mir sitzt der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der, wie ich meine, schon eine ganze Menge getan hat, um genau diese sofortige Hilfe zu leisten, und der das mit Sicherheit auch weiterhin tun wird. Aber Ihre Frage war, ob die Bundesregierung diese Fragestunde zum Anlaß nehmen wird, ihre Bemühungen noch entschiedener zu gestalten. Ich beantworte diese Frage mit Ja.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kiep.
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf Ihre Bemerkung, die Empfindlichkeit der nigerianischen Regierung betreffend, möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht gerade im Hinblick auf diese Tatsache für besonders zweckmäßig erachten würden, wenn wir den Vorschlag von Herrn Dr. Kiesinger aufgegriffen und hier in einer multilateralen europäischen Aktion vorgingen, weil das sicherlich Empfindlichkeiten, die dort vorhanden sind, eher überwinden ließe, und sind Sie weiter mit mir der Ansicht, daß wir auf diese Empfindlichkeiten nach der Beendigung der Feindseligkeiten
I etwas weniger einzugehen brauchen, als das während der Feindseligkeiten - sicherlich zu Recht - der Fall war?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Dem letzten Teil Ihrer Frage würde ich entgegnen: Politisch ja. Aber wenn wir helfen wollen, d. h. wenn wir gerade diese humanitären Absichten haben, dann ist meine Antwort nein. So weit möchte ich auch in der Fragestunde schon aus Gründen der Offenheit gehen. Denn es kommt ja darauf an, daß wir auch das erreichen, was wir wollen. Da aber - um es direkt zu sagen - Frankreich zu den Ländern gehört, von denen keine Hilfe genommen wird, europäische Aktionen aber natürlich Aktionen mit Frankreich wären, würden wir unter Umständen den Zweck durch die Methode gefährden. Daher bin ich der Auffassung, daß wir Methoden wählen sollten, die vor allem den Zweck erreichen, den wir in diesem Zeitpunkt erreichen wollen, jetzt unabhängig von den längerfristigen politischen Fragen, die sich stellen und die, wie Herr Kollege Czaja mit Recht gesagt hat, nicht die Fragen dieser Stunde sind, in der es um die Menschen geht.
Zu der ersten Frage eine letzte Zusatzfrage des Kollegen Kliesing.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, diese Frage der Zweckmäßigkeit eines europäischen Vorgehens baldmöglichst zum Gegenstand einer Beratung im Ministerrat des Europarates zu machen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es ist ein bißchen schwierig, hier jetzt eine Zusage zu machen. Ich würde sagen: Da die unmittelbaren Notwendigkeiten bestehen, ist es zunächst wichtig, sofort etwas zu tun. Die Frage der Zweckmäßigkeit eines gemeinsamen europäischen Vorgehens für längerfristige Hilfen zu prüfen, ist die Bundesregierung bereit. Ich kann hier nicht für die Bundesregierung eine Zusage geben, daß das im Ministerrat des Europarates geschehen wird. Ich kann das nur als Ihre Anregung aufnehmen, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Dr. Czaja aus der Drucksache VI/236 auf:
Wird die Bundesregierung ihre guten Dienste zur Verfügung
stellen, um einen Abbau der Gegensätze in dem bisherigen nigerianischen Kampfgebiet zu erleichtern?
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, bis zu einem gewissen Grade ist .die Frage des Kollegen Czaja schon insoweit beantwortet, als ich auf die Tätigkeit der Bundesregierung, d. h. sowohl des deutschen Botschafters als auch insbesondere des Herrn Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und des Bundesaußenministers, hingewiesen habe, und zwar als Versuch, unsere guten Dienste zur Verfügung zu stellen, wie Sie es in Ihrer Frage ausgedrückt haben.
Wir haben Nachrichten, nach denen die innenpolitische Versöhnung in Nigeria, wenn ich jetzt einmal die politische Seite Ihrer Frage nehme, von der nigerianischen Regierung selbst mit einiger Entschiedenheit betrieben wird. Es ist so, daß man in Lagos - ich glaube, wir alle nehmen das mit Befriedigung zur Kenntnis - ,auf Siegesfeiern verzichtet und statt dessen, wie es Herr Gowon ausgedrückt hat, drei Tage des „nationalen Gebets" angeordnet hat. Erkennbar ist die entschiedene Absicht der nigerianischen Regierung, die Versöhnung und damit eine innere Ordnung in Nigeria herbeizuführen, in der Menschen aller Gruppen leben können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie es gerade unter diesem Aspekt für vertretbar halten, daß die Bundesregierung in geeigneter Form Gespräche mit afrikanischen und europäischen Staaten darüber aufnimmt, ob es nicht denkbar ist, daß afrikanische Flugzeuge, gekennzeichnet mit dem roten Kreuz, Lebensmittel für :die hungernde Bevölkerung wenigstens abwerfen, wenn sie schon nicht landen können?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Auswärtigen: Ich würde es unter Umständen für möglich halten, daß wir solche Gespräche führen, aber nur dann, wenn auch die nigerianische Regierung daran beteiligt ist.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Würden Sie dann mit großer Beschleunigung auf diesen Versuch 'der europäischen und afrikanischen Mächte, in solche Gespräche einzutreten, dringen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, ich möchte Ihnen an diesem Punkt eines versichern. Aus den Fragen, die hier gestellt worden sind, wird die große Sorge deutlich; die nicht nur die Fragesteller, sondern die sehr viele in diesem Hohen Hause und in unserer Bevölkerung haben. Die Bundesregierung teilt diese Sorge uneingeschränkt. Sie hat aus dieser Sorge heraus gehandelt und wird auch weiter aus dieser Sorge heraus handeln. Sie empfindet es als eine Unterstützung ihres Handelns, daß durch Ihre Fragen auch öffentlich auf diese Sorge hingewiesen wird. - Ich darf Ihnen in dieser etwas allgemeinen, aber auch auf Ihre spezielle Frage bezogenen Weise meine Antwort geben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Thadden.
von Thadden ({0}) : Herr Staatssekretär, werden Sie sich in Ihrem Hause dafür einsetzen und das als einen Beitrag zum Ausgleich der Gegensätze in Nigeria betrachten, daß die hier unter uns lebenden etwa tausend Menschen aus dem bisher als „Biafra" bezeichneten Gebiet bei der Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen großzügig behangelt werden, zumal meines Wissens einige hundert von ihnen in ernste Paßschwierigkeiten geraten sind?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Matthöfer.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß die Bundesregierung darauf hinwirkt, daß zur besseren Unterrichtung der Weltöffentlichkeit über die weitere Entwicklung in Nigeria eine UN-Beobachterdelegation dorthin entsandt wird?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin wirklich nicht sicher, Herr Kollege, ob eine UN-Beobachterdelegation in diesem Stadium nötig ist. Die Bundesregierung wird auf jeden Fall zu erreichen versuchen, daß jedem, der dorthin will, insbesondere auch denjenigen, die eine genaue Unterrichtung der deutschen und der Weltöffentlichkeit suchen, Einreisevisen gewährt werden. In dieser Hinsicht sind schon gewisse Versuche unternommen worden. Wir haben bisher keinen Grund, anzunehmen, daß die nigerianische Regierung das verweigern wird.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Josten.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, am Donnerstag kommender Woche im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit einen kurzen Bericht über die angelaufenen Hilfsmaßnahmen und damit einen kurzen Überblick über alle hier angeschnittenen Probleme zu geben?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekrebeim Bundesminister des Auswärtigen: Es ist in der Fragestunde vielleicht nicht ganz formgerecht, aber, wie ich glaube, im Sinne der Frage, wenn ich nach kurzer Konsultation mit dem neben mir sitzenden Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit sage: Wenn der Ausschuß das wünscht, ist die Bereitschaft der Bundesregierung dazu vorhanden.
({0})
- Das macht es noch einfacher.
Ich rufe die Dringliche Mündliche Frage des Kollegen Kiep auf Drucksache VI/236 auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, daß Vertreter der Deutschen Botschaft gemeinsam mit Vertretern humanitärer Organisationen die Einreise in die bisherigen Kampfgebiete erhalten mit dem Ziel festzustellen, auf welche Hiltsmaßnahmen sich die Bundesrepublik Deutschland sofort konzentrieren muß?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Wir wissen, daß sich Vertreter humanitärer Organisationen nach Nigeria zu begeben beabsichtigen, um sich in Lagos bzw. im bisherigen Kampfgebiet über die Bedürfnisse und Notwendigkeiten zu unterrichten. Die Deutsche Botschaft in Lagos ist angewiesen, sie hierbei zu unterstützen. In welcher Form das möglich ist, läßt sich im Augenblick von hier aus noch nicht beurteilen. Ich selber habe aus Anlaß Ihrer Frage ein Gespräch mit dem nigerianischen Botschafter in der Bundesrepublik geführt, der mir versichert hat, daß Anträge auf Visen normal behandelt werden, was in diesem Falle heißt: sie werden hier eingebracht, werden nach Lagos geschickt und dann gegebenenfalls erteilt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist das Auswärtige Amt bereit, zu überprüfen, ob die Besetzung der Deutschen Botschaft in Lagos die personellen Voraussetzungen für die Unterstützung und Vorbereitung eines so großen Hilfsprogrammes bietet, wie es offensichtlich in Anbetracht der Not für Nigeria und Biafra notwendig ist?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekrebeim Bundesminister des Auswärtigen: Eine klare Antwort auf Ihre Frage setzt voraus, daß die Organisation der Hilfeleistungen bereits festliegt, d. h. also, daß im Rahmen dieser Hilfeleistungen unserer Botschaft eine besondere Steuerungs- oder Schlüsselstellung zukommt. Bevor das entschieden ist, wäre eine solche Überprüfung wohl wenig sinnvoll. Wenn es dazu kommt, wird sicher genau diese Überprüfung nötig sein.
Eine zweite Zusatzfrage!
Darf ich aus Ihren bisherigen Antworten, Herr Staatssekretär, die Überzeugung mitnehmen, daß die Bundesregierung - ebenso wie die Fragesteller und wahrscheinlich alle Mitglieder dieses Hauses - sich darüber klar ist, daß bei den Hilfsmaßnahmen für Nigeria jede Stunde von Bedeutung ist?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ja, Herr Kollege, genau das war der Sinn meiner Antwort, Ihnen deutlich zu machen, daß die Bundesregierung diese Meinung teilt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hein.
Herr Kollege Dahrendorf, ist die Bundesregierung bereit, nach Beendigung des Bürgerkrieges in Ostnigeria neben der humanitären Hilfe nunmehr auch verstärkt technische Hilfe bereitzustellen, wobei ich besonders an die Reparatur von Brücken und Straßen denke, da das zusammen gebrochene Verkehrssystem ja ein großes Hindernis für die humanitäre Hilfe ist? Ich sehe eben Herrn Kollegen Eppler neben Ihnen sitzen; vielleicht kann auch er etwas dazu sagen.
Herr Kollege, die Fragestunde muß ich natürlich nach ganz bestimmten Richtlinien abwickeln. Ich bedauere, daß ich insoweit nicht in der Lage bin, hie eine weitere Ausweitung zuzulassen. Aber der Herr Staatssekretär hat vorhin gezeigt, daß er in der Lage ist, die Konsultation so schnell sicherzustellen, daß er das beantworten kann. Bitte schön!
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, ich danke Ihnen sehr, auch dafür, daß Sie diese Zwischenbemerkung gemacht haben, die mir die Zeit gegeben hat, eine Antwort zu hören, die ich vorhin nicht wußte, nämlich die, daß der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit bereits dafür Sorge getragen hat, daß in der nächsten Woche zwei Experten nach Nigeria fahren, die prüfen werden, wo in erster Linie die Notwendigkeiten der technischen Hilfe liegen. Im übrigen ist diese Frage der technischen Hilfe eine der längerfristigen Fragen, die sich stellen und bei denen dann auch die vorhin angeschnittenen Fragen der Zusammenarbeit in Europa wichtig werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Thadden.
von Thadden ({0}): Herr Staatssekretär, würden Sie sich dafür einsetzen und würde die Bundesregierung sich bereit erklären, solchen Personen, die zur Zeit noch in dem bisher als „Biafra" bezeichneten Gebiet leben und den Wunsch haben - vielleicht aus Furcht um die Erhaltung ihres Lebens -, das Land zu verlassen, bei der Prüfung ihrer Asylgesuche großzügig entgegenzukommen?
Dr. Dahrendorf; Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist eine schwierige Frage, bei der die Bundesregierung in diesem Augenblick im Grunde genommen gar nichts tun kann, soweit es sich urn Personen handelt, die gegenwärtig in Nigeria leben. Die Frage würde sich anders stellen bei der vorhin in anderem Zusammenhang erwähnten Personengruppe, die in der Bundesrepublik lebt.
Eine letzte Zusatzfrage des Kollegen Dr. Czaja.
Darf ich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Frage des Kollegen Kiep noch einmal fragen, ob Ihre zugesagte Unterstützung zur Erteilung von Visen zur Einreise nach Nigeria sich auch darauf bezieht, die Zureise von Vertretern der deutschen Botschaft in die Hilfs- und Kampfgebiete zusammen mit Vertretern der humanitären Organisationen zu ermöglichen angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland in guten, freundschaftlichen Beziehungen zu Nigeria steht, Entwicklungshilfe in beachtlichem Ausmaß für Nigeria ermöglicht hat und daher vielleicht auch bei einer humanitären Aktion in Anspruch nehmen könnte, daß ihre Vertreter sich am Ort von den augenblicklichen Notwendigkeiten überzeugen.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nach den bisherigen Berichten kann ich Ihre Frage dahin beantworten, daß wir uns in dieser Richtung nicht nur bemühen werden, sondern daß diese Bemühungen auch von Erfolg gekrönt sein werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jung.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, daß parlamentarische Fachleute die technischen Experten, die Sie hinschicken wollen, begleiten?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich würde das unter Umständen und nach genauer Prüfung der Lage für möglich halten. Jedenfalls würde die Bundesregierung sich dafür verwenden, daß diese Möglichkeit eröffnet wird, wenn aus diesem Hohen Hause ein solcher Wunsch kommen sollte. Aber das ist im jetzigen Zeitpunkt, wo rasch geholfen werden muß, wohl noch nicht zu erwarten.
Ich rufe nunmehr die Frage 123 des Kollegen Dr. Kliesing auf:
Hält die Bundesregierung die Äußerung von Radio Warschau vom 9. Dezember 1969, „die beiden Seiten, die verhandeln sollen, dürfen nicht auf eine gleiche moralisch-politische Ebene gestellt werden" für förderlich oder belastend für den Beginn deutsch-polnischer Verhandlungen?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel daran, daß hei den kommenden Verhandlungen oder Gesprächen zwischen der Bundesrepublik und Polen die Gleichberechtigung beider Partner vorausgesetzt wird. Die polnische Regierung hat daran ebenfalls keinen Zweifel gelassen. Es kann im übrigen nicht Sache der Bundesregierung sein, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die in der Presse hier oder dort geäußert worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Kliesing.
Glaubt die Bundesregierung, daß in einem totalitären Staat, wie es Polen ist, die staatliche Rundfunkanstalt in dieser Frage eine Meinung verbreiten würde, die mit der Regierungsmeinung nicht übereinstimmt?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich würde das zumindest für möglich halten.
Darf ich fragen, auf Grund welcher bisherigen Erfahrungen Sie das für möglich halten.
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Auf Grund der Erfahrung, daß gerade bei den Vorbereitungen der Verhandlungen mit den Ländern des Ostens immer wieder ziemlich sorgfältig differenziert wird zwischen dem, was dort in der Presse steht, und dem, was die Regierungen vertreten.
Ich rufe die Frage 124 des Kollegen Dr. Kliesing auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage, festzustellen, daß die Behauptung von Radio Hilversum vom 9. Dezember 1969, die Vertreter der SPD hätter, bei ihrem Besuch im Vatikan erklärt. die Bundesregierung würde keine grundsätzlichen Einwände erheben, wenn der Vatikan Bischöfe für die „polnischen Westgebiete" ernennen würde, in allen Teilen haltlos ist?
Dr. Dahrendorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr ) Präsident, diese Frage stimmt in ihrem Kern mit der Frage des Abgeordneten Dr. Jenninger überein, die bereits in der Fragestunde vorn 5. Dezember beantwortet worden ist. Die von Ihnen zitierte Behauptung von Radio Hilversum trifft also nicht zu.
Frage 128 des Abgeordneten Lenze ({0}). - Ich sehe ihn nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Frage 129 des Abgeordneten Draeger. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, alle anderen Fragen sind von den Fragestellern nicht mehr zur Behandlung gestellt worden, die Fragesteller haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner anwesend.
Frage 54 des Abgeordneten Dr. Tamblé:
Treffen Presseberichte zu, nach denen die bislang schon nicht den Ansprüchen genügenden Verkehrswege über den NordOstsee-Kanal dadurch weiter beeinträchtigt werden, daß eine von den zur Zeit noch bestehenden 14 Fähren über den NordOstsee-Kanal ohne Ersatzleistung stillgelegt wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, aus Gründen der
Sicherheit des Verkehrs auf dem Nord-Ostsee-Kanal ist die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung daran interessiert, die Querfahrten auf dem Kanal auf das unabdingbar notwendige Maß zu beschränken. Sie hat aus diesem Grunde die alten langsamfahrenden Kettenfähren durch moderne schnellfahrende Fähren mit großem Pkw-Aufnahmevermögen ersetzt.
Die Presseberichte treffen insofern zu, als zur Zeit im Rahmen der Baumaßnahmen zur Sicherung der Ufer des Nord-Ostsee-Kanals geprüft wird, inwieweit es möglich ist, mit der gleichen Zielsetzung auf den Betrieb der Fähre Rüsterbergen, eine der am schwächsten benutzten Fähren, zu verzichten und den Straßenverkehr auf die Fähre Breiholz im Westen oder auf den Tunnel Rendsburg im Osten zu verlegen. Im Rahmen eines landesplanerischen Verfahrens werden gegenwärtig Verhandlungen mit allen beteiligten Dienststellen hierüber geführt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ist, wenn der Verkehr von dieser Fähre über die beiden anderen nach Osten und Westen abgeleitet werden soll, sichergestellt, daß die Zufahrtswege entsprechend ausgebaut werden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Soweit eine Verantwortung des Bundes in Frage kommt, kann ich das bejahen. Sie wissen, daß wir uns im Rahmen des neuen Ausbauplans der Bundesfernstraßen seit längerem darum bemühen, auch mehr feste Verbindungen über den Kanal zu schaffen. Ich darf daran erinnern, daß die Bundesautobahn Hamburg-Flensburg bei Rendsburg einen neuen Übergang erhält, daß die B 503 bei Kiel-Holtenau einen neuen Übergang erhält und daß darüber hinaus auch ein Übergang nordwestlich von Kiel im Zuge der B 76 geplant worden ist. Ihr Argument wird also durch die Schaffung neuer Querverbindungen fester Art entsprechend berücksichtigt.
Wir kommen zur Frage 55 des Kollegen Dr. Riedl ({0}). - Der Kollege ist nicht im Saal; die Frage wird daher schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 56 des Kollegen Kiep auf:
Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen zur Vereinheitlichung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung auch die modernen technischen Erkenntnisse im Automobilbau, die Sicherheit im Fahrverhalten, Verhinderung von Körperschäden und Todesfällen sowie Verminderung der Abgasentwicklung zum Ziel haben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident, gestatten Sie mir, die beiden Fragen wegen des engen sachlichen Zusammenhangs gemeinsam zu beantworten, wenn Herr Kollege Kiep einverstanden ist.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe zusätzlich die Frage 57 auf:
Gedenkt die Bundesregierung, die in den USA in jahrelangen Untersuchungen erarbeiteten Sicherheitsbestimmungen für die Automobilhersteller in absehbarer Zeit auch in der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden, nachdem die deutschen Automobilproduzenten auf Grund ihrer Lieferungen in die USA ohnehin bewiesen haben, daß sie ähnlich scharfen Sicherheitsanforderungen wie den amerikanischen genügen können?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Selbstverständlich berücksichtigt die Bundesregierung die Erkenntnisse der Verkehrsunfallforschung sowie die Forderungen nach Emissionsschutz auch bei den Bemühungen um eine Schaffung international einheitlicher Bau- und Ausrüstungsvorschriften für Kraftfahrzeuge, wie sie bei der UN-Wirtschaftskommission für Europa in Genf und bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel unter deutscher Mitwirkung erarbeitet werden.
Das Bundesverkehrsministerium bezieht u. a. auch amerikanische Sicherheitsforderungen in seine Erwägungen bei der Weiterentwicklung der deutschen Bau- und Ausrüstungsvorschriften für Kraftfahrzeuge mit ein. Eine Übernahme der Kraftfahrzeug-Sicherheitsbestimmungen der USA in ihrer Gesamtheit als einheitliche Vorschriften für Europa oder auch nur für die Bundesrepublik ist aus verkehrstechnischen und kraftfahrzeugtechnischen Gründen nach einheitlicher Auffassung nicht möglich, da die europäischen Verkehrsverhältnisse und Fahrzeugkonstruktionen eine eigene Beurteilung verlangen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, nachdem ich in meiner Frage nicht eine globale Übernahme der amerikanischen Bestimmungen erfragt oder gar erbeten habe, möchte ich Sie fragen, ob nicht zumindest auf Teilgebieten die in Amerika inzwischen Gesetz gewordenen Bestimmungen für die Reduzierung der Abgasentwicklung, für blockierfreie Bremsen, für Sicherheitsgas und andere Dinge bei uns in der Bundesrepublik in absehbarer Zeit eingeführt werden können, zumal die Einführung solcher zusätzlichen Sicherheitsvorschriften im Interesse der Verhinderung von Verkehrsunfällen liegt.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich kann das insofern bejahen, als wir die Dinge, die Sie nannten, z. B. die Abgasentwicklung, schon durch eigene deutsche Gesetz- bzw. Verordnungsgebung berücksichtigt haben. Ich bin gerne bereit, Ihnen einmal eine Übersicht zu geben. Die Aufzählung der technischen Fakten würde sicher den Rahmen der Fragestunde spengen. Ich darf Sie deshalb bitten, einen Brief von mir darüber entgegenzunehmen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sind sich bei der Beantwortung meiner Fragen selbstverständlich darüber im klaren, daß die deutsche Automobilindustrie auf Grund ihres starken Amerika-Exports automobiltechnisch - ich beziehe mich auf Ihre Bemerkung von vorhin - sehr wohl in der Lage ist, Sicherheitsanforderungen wie den amerikanischen schon heute gegen Aufpreis zu genügen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ja, das wissen wir. Umgekehrt ist es aber auch nicht so, daß man eventuell aus Ihrer Problemstellung schlußfolgern könnte, daß automatisch alle amerikanischen Fahrzeuge sicherer seien. Die Konstruktionsmerkmale sind sehr verschieden. Die Entwicklung berührt das Interesse der Automobilindustrie im ganzen EWG-Raum. Das ist eine Frage, die man nicht nur bilateral zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik im Hinblick auf die Exportquoten unserer Industrie sehen kann, sondern wir müssen uns bemühen, in Europa zu einer möglichst einheitlichen Auffassung zu kommen und sie in die Tat umzusetzen, damit von daher das zusammenwachsen des Gemeinsamen Markes gefördert wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Kiep!
Herr Staatssekretär, nachdem meine vorhergehende Frage sich nicht auf die Sicherheit amerikanischer Fahrzeuge, sondern auf die Beachtung amerikanischer Sicherheitsvorschriften durch deutsche Automobilhersteller beim Export nach Amerika bezog, möchte ich die weitere Frage an Sie richten, ob die Durchsetzung der Sicherheitsvorstellungen des Bundesverkehrsministers beim Automobilbau etwa auf europäischen Widerstand, auf den Widerstand europäischer Partner stößt, die Rücksicht auf ihre eigene Industrie nehmen wollen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, daß jede Einführung von Sicherheitsmaßnahmen im Automobilbau natürlich nicht die jubelnde Begeisterung der davon betroffenen Industrie hervorbringt. Das ist aber kein Gesichtspunkt, von dem wir uns leiten lassen dürfen. Wir haben, auch gestützt durch eine Anhörung im Hohen Hause im vergangenen Bundestag, ein breites Paket von Sicherheitsvorschriften in Arbeit. Ich darf ,auf das verkehrspolitische Programm verweisen. Das wird durchgeführt, ob es den Betroffenen paßt oder nicht, weil wir der Meinung sind, daß die Autos sicherer werden müssen.
({0})
Ich rufe die Frage 58 des Kollegen Dr. Jahn ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, wann die verkehrsmäßige Benachteiligung des Raumes Braunschweig durch Elektrifizierung der Strecke Hannover-Braunschweig-Helmstedt beseitigt wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn ist grundsätzlich bereit, die Strecke Hannover-Braunschweig-Helmstedt zu elektrifizieren. Die Finanzierungsverhandlungen mit dem Bundesland Niedersachsen haben jedoch bisher zu keinem Ergebnis geführt. Deshalb kann ein Termin für die Elektrifizierung dieser Strecke noch nicht genannt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie den wesentlichen Inhalt dieser Schwierigkeiten aus der Besprechung mit der Landesregierung Niedersachsen bekanntgeben oder mir schriftlich mitteilen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ich würde vorschlagen, daß ich Ihnen darüber einen Brief schreibe, weil dazu auch gewisse Rückfragen bei der Bundesbahn nötig sind.
Dann 'die Frage 59 'des Abgeordneten Dr. Kempfler:
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß bei etwaigen Streichungen im Verkehrsetat 1970 oder bei Sperrung von Straßenbaumitteln auf keinen Fall Projekte in den Bundesförderungsgebieten einschließlich der Bundesausbaugebiete und der landwirtschaftlichen Problemgebiete berührt werden?
Der Herr Kollege Kempfler hat gebeten, seine Frage schriftlich zu beantworten.
Ich sehe den Kollegen Wurbs nicht im Saal. Seine Frage, die Frage 60, wird schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen 61 und 62 des Kollegen Peters ({0}).
Ist der Herr Kollege Mursch im Saal? - Dann
rufe ich die Frage 63 des Kollegen Mursch auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß eine Beteiligung Deutschlands am NAOS ({1})-System mit mindestens einem Schift der Bedeutung des deutschen Luftverkehrs über den Nordatlantik angemessen wäre, und wird eine solche Beteiligung von den anderen NAOS-Staaten und der ICAO ({2}) gewünscht?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesrepublik Deutschland leistet seit 1955 erhebliche Finanzbeiträge für das System der neun Ozeanstützpunkte, d. h. Wetterschiffstationen im Nordatlantik. Bei einem derzeitigen Finanzierungsanteil, der etwa den Kosten für 1,3 Schiffe - rein statistisch, muß ich hier hinzufügen - entspricht und sich aus dem deutschen Anteil am Luftverkehr über dem Nordatlantik ergibt, hält die Bundesregierung eine aktive Mitwirkung in diesem System mit einem eigenen Schiff für durchaus angemessen.
Im Rahmen der 6. Konferenz über die nordatlantischen Stützpunkte in diesem Wetterschiffsverkehr sind die bisherigen Betreiberstaaten für die fünf Stationen auf europäischer Seite, d. h. das Vereinigte Königreich, Frankreich, Niederlande, Schweden und Norwegen, an die Bundesrepublik Deutschland mit dem Vorschlag herangetreten, sich mit einem eigenen Schiff an diesem Dienst zu beteiligen.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege?
({0}) - Nein.
Dann rufe ich die Frage 64 des Kollegen Mursch auf:
Falls clie vorstehende Frage bejaht wird, frage ich, welche Konsequenzen die Bundesregierung hieraus ziehen wird, insbesondere, ob sie nicht eine ideale Lösung darin sieht, schnellstens ein kombiniertes NAOS-Forschungsschiff zu bauen und die entsprechenden Mittel, beginnend im Bundeshaushalt 1970, einzusetzen,
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Mitwirkung in diesem System mit einem eigenen Schiff ist nicht zuletzt dadurch bestimmt, daß dieses Schiff neben den Diensten für die Luftfahrt zugleich auf An- und Abmarsch wie auf Station meteorologische, ozeanographische und sonstige geophysikalische Untersuchungen durchführen könnte, die der deutschen und internationalen Wissenschaft zugute kämen.
Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen sind daher in den Entwurf des Bundeshaushalts 1970 die ersten Mittel für den Bau eines kombinierten Ozeanstützpunkt-, Wetter- und Forschungsschiffes eingestellt worden. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft beabsichtigt, sich an den Kosten zu beteiligen.
Keine weitere Zusatzfrage? - Ich danke Ihnen, Herr Kollege.
Ich frage, ob der Kollege Horstmeier im Saal ist. - Das ist nicht der Fall. Dann werden seine Fragen 65 und 66 schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 67 des Kollegen Seefeld auf:
Da die Bundesregierung in den Fragestunde vom 12. November 1969 erklärt hat, sie sehe „gegenwärtig keine Möglichkeit, in absehbarer Zeit auf den Bundesstraßen Notrufsäulen zur Verfügung zu stellen", frage ich, ob die Bundesregierung bereit ist, wenigstens die autobahnähnlichen Schnellstraßen mil den dringend erforderlichen Notrufsäulen beschleunigt zu versehen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wie in der Fragestunde am 12. November 1969 bereits ausgeführt wurde, fehlen an allen Bundesstraßen, also auch an den zweibahnigen, autobahnähnlichen Abschnitten, die fernmeldetechnischen und betrieblichen Voraussetzungen für die Aufstellung von Notrufsäulen. Es
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
ist aber beabsichtigt, die autobahnähnlichen Bundesstraßen zu Bundesautobahnen aufzustufen. Sobald dann dort Autobahnmeistereien gebaut und Fernmeldekabel verlegt sind, werden auch diese Straßen mit Notrufsäulen ausgestattet.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß künftig bei der Anlage autobahnähnlicher Fernstraßen alle Vorkehrungen getroffen werden sollten, damit nicht später weitere Kosten bei der Anlage dieser erforderlichen Notrufeinrichtungen entstehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, soweit der Bund hier als Baulastträger in Frage kommt, wird das geschehen, weil sich aus der Verkehrsentwicklung, der letzten Jahre diese zwingende Notwendigkeit ergibt.
Eine weitere Zusatzfrage!
Können Sie mir noch sagen, wann etwa mit der Heraufstufung dieser Straßen gerechnet werden kann?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, im Rahmen der Beratungen des neuen Ausbauplans des Bundesministers für Verkehr, der wahrscheinlich im Frühsommer dieses Jahres auch das Hohe Haus beschäftigen wird, werden wir mit Ihrer Genehmigung auf diese Fragen zurückkommen. Es handelt sich ja um Prioritäten im Straßenbau. Ich möchte nicht durch Erwähnung einzelner Objekte jetzt diesem Gesamtwerk vor greifen.
Damit ist diese Frage beantwortet.
Die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Lemmrich und die Fragen 71 und 72 des Abgeordneten Blumenfeld werden schriftlich beantwortet, da die Fragesteller nicht im Saal sind.
ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Ollesch auf:
Gibt es far die Deutsche Bundespost keine rationellere Möglichkeit als bisher, die Rundfunk- und Fernsehgebühr zu erheben, z. 13. durch Verbindung mit der Tel bei Fernsprechteilnehmern oder durch finanzielle ,Anreize wie Skonti etc. bei Vorauszahlung der Gebühren für mehrere Monate?
Das Wort zur Beantwortung hat der Staatssekretär.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bundespost zieht die Rundfunk- und Fernsehgebühren im Rahmen landesrechtlicher Gebührenvorschriften für Rechnung der Landesrundfunkanstalten ein. Die Rationalisierungsmöglichkeiten bei der Einziehung im Bereich der Post sind nahezu erschöpft. Eine Verquickung von posteigenen Fernmeldegebühren mit den von der Deutschen Bundespost treuhänderisch einzuziehenden Rundfunkgebühren auf eine Gebührenrechnung würde in betrieblicher und rechtlicher Hinsicht zu erheblichen Schwierigkeiten führen und keine Kosteneinsparung bringen. Die Zahl der Vorauszahlungen für längere Zeitabschnitte könnte bei Gewährung eines Gebührensnachlasses möglicherweise erhöht werden. Voraussetzung für eine Skontogewährung wäre eine Änderung der Rundfunkgebührenvorschriften durch die Bundesländer. Die Deutsche Bundespost kann von sich aus keinen Rabatt gewähren.
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Ollesch.
Herr Staatssekretär, da Sie gerade erklärten, daß die Länder zuständig sind, frage ich, oh die Bundesregierung bereit ist, darauf hinzuwirken, daß dieser Gesichtspunkt einer möglichen Rationalisierung durch die Länder beachtet wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ich will das gern noch einmal prüfen lassen, darf aber darauf hinweisen, daß die Rationalisierungsmöglichkeiten innerhalb der Post, wie ich Ihnen eben gesagt habe, nahezu erschöpft sind.
Damit ist die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Hauses, Herr Staatssekretär, abgeschlossen, jedenfalls nach meiner Übersicht.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident, ist nicht noch die in unseren Geschäftsbereich fallende Frage 36 zu beantworten?
Das ist die Frage des Kollegen Dröscher. Er hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Nach meinen Notizen müßte Ihnen das schon mitgeteilt worden sein. Entschuldigen Sie bitte!
Wir kommen zu den Fragen ans dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen.
Ich rufe die Fragen 74 und 75 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Welche Erleichterungen plant die Bundesregierung im Rahmen einer Novellierung des Bundesbaugesetzes für die Bebauung im Außenbereich ländlicher Räume?
Wann ist mit einer entsprechenden Regierungsvorlage zu rechnen?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Fragen 76 und 77 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den Patentbehörden in München seit Jahren ein erheblicher Fehlbestand an Bundesbedienstetenwohnungen besteht?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diesen Wohnungsnotstand unverzüglich zu beseitigen, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß neben dem Erfordernis der Erstellung von 300 neuen Wohnungen in der nächsten Zeit für ca, 500 Bundesbedienstetenwohnungen der Patentbehörden das Besetzungsrecht des Bundes ausläuft?
Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Dr. Lauritzen zur Verfügung.
Der Bundesregierung ist die Wohnungssituation beim Patentamt und beim Bundespatentgericht in München bekannt. Auf Wunsch des Herrn Bundesministers der Justiz hat mein Haus daher zusätzlich zu den allgemeinen Zuteilungen an Wohnungsfürsorgemitteln für die beiden Behörden im Jahre 1965 2,5 Millionen DM, im Jahre 1966 2 Millionen DM und im Jahre 1967 nochmals 2 Millionen DM, insgesamt also 6,5 Millionen DM, zur Verfügung gestellt. Den Patentbehörden stehen zur Zeit rund 950 Mietwohnungen und etwa 360 Eigenheime zur Verfügung. Nach der letzten Bedarfsmeldung, Herr Kollege, haben beide Behörden noch 39 Trennungsgeldempfänger, 38 Mietbeitragsempfänger und 44 anerkannte Härtefälle. In Kürze werden 17 Wohnungen in Perlach zugewiesen werden und im nächsten Jahr nochmals 152 Wohnungen. Damit würden alle Bedarfsfälle berücksichtigt sein.
Was das Besetzungsrecht des Bundes an den Wohnungen angeht, so ist es für die gesamte Laufzeit der Darlehen, mindestens aber für die Dauer von 20 Jahren vereinbart. Bis Ende 1973 wird bei etwa 400 Wohnungen, die von Angehörigen des Patentamts bewohnt werden, die vereinbarte Mindestfrist von 20 Jahren ablaufen. Es ist natürlich völlig offen, ob die Darlehensnehmer von ihrem Recht, nach Ablauf dieser Frist die Darlehen vorzeitig abzulösen, Gebrauch machen werden. Nach den bisherigen Erfahrungen sind Wohnungsunternehmen, insbesondere die gemeinnützigen, an einer vorzeitigen 'Rückzahlung im allgemeinen nicht interessiert. So hatten wir im Jahre 1969 bei 8 Objekten einen Ablauf der Mindestfrist zu verzeichnen. Nur 4 Eigentümer haben das Restdarlehen vorzeitig zurückgezahlt; sie haben aber die Möglichkeit zu einer Vollkündigung nicht ausgenutzt, sondern nur zu einer Teilkündigung, um die Mieten anzuheben.
Es läßt sich also im Augenblick noch nicht ganz übersehen, wie die Entwicklung im Jahre 1973 sein wird. Im allgemeinen rechnen wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht damit, daß sich die Wohnungssituation verschlechtern, sondern daß sie sich im wesentlichen befriedigend lösen lassen wird.
Danke schön. Damit sind die beiden Fragen beantwortet.
Ich rufe die Frage 78 des Kollegen Baier ({0}) auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau die seit vielen Jahren bewährte Wohnungsbauförderungsmaßnahme „Junge Familie" im Haushaltsjahr 1970 einstellen will?
Herr Kollege Baier, die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß sich die Sonderförderungsmaßnahme „Junge Familie" unter den derzeitigen Bedingungen und in der derzeitigen Form nicht ganz bewährt hat. Denn obwohl wir bei der Handhabung der Mittel sehr flexibel waren, ist der Bewilligungsrahmen des Jahres 1969 nur zur Hälfte in Anspruch genommen worden. Ich habe deshalb nicht die Absicht, diese Sondermaßnahme in der jetzigen Form fortzuführen; ich bin vielmehr der Meinung, daß der Wohnungsbau für junge Familien einen entscheidenden Schwerpunkt in dem langfristigen Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung bilden muß, wie es in der Regierungserklärung vom Herrn Bundeskanzler angekündigt worden ist. Ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, daß in diesem Programm ausreichende Mittel für junge Familien zur Verfügung gestellt werden, aber - was mir besonders wichtig zu sein scheint - Mittel zu angemessenen Bedingungen, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die wir bei dem bisherigen Sonderförderungsprogramm festgestellt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte!
Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß in den vergangenen Jahren die seinerzeit von Bundeswohnungsbauminister Lücke eingeleitete Förderungsaktion „Junge Familie" außerordentlich gut in Anspruch genommen wurde, so daß die vorhandenen Deckungsmittel Ihres Hauses teilweise überhaupt nicht ausreichten, und diese Mittel nach Ihrer heute abgegebenen Erklärung offensichtlich erst in der letzten Zeit nicht mehr in Anspruch genommen werden?
Diese Mittel sind von 1966 an - im Rahmen der damaligen Rezessionserscheinungen und der Entwicklung in unserem Haushaltsplan insgesamt leider sehr rückläufig gewesen. Außerdem waren, was entscheidend war, Herr Kollege Baier, die Bedingungen sehr ungünstig, Bedingungen, die nicht von meinem Haus allein aufgestellt worden sind. Das hat praktisch dazu geführt, daß der Bewilligungsrahmen in den Jahren 1967, 1968 und 1969 nicht ausgenutzt worden ist. Ich habe die Zahl für 1969 vorhin genannt.
Ich bin der Meinung - Herr Baier, das scheint mir etwas Grundsätzliches zu sein -, daß man nicht Töpfchen bilden sollte - hier für diesen Personenkreis und dort für jenen -, sondern man sollte ein langfristiges Wohnungsbauprogramm mit einigen
Schwerpunkten bilden, wobei ich der jungen Familie einen entscheidenden Schwerpunkt beimesse, in gleicher Weise aber auch den kinderreichen Familien, den alten Menschen und den alleinstehenden Personen.
({0})
So würde ich die künftige Wohnungsbaupolitik gern finanziert sehen, ohne die vielen Einzeltöpfchen für Sonderprogramme, die in der Vergangenheit offensichtlich Schwierigkeiten gemacht haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, nachdem Sie hier erneut, wie Sie es seit langem landauf, landab tun, eine Erklärung abgegeben haben, wie Sie sich für besondere Schwerpunkte im Wohnungsbau, auch für junge Familien, einsetzen wollen, gleichzeitig aber erklären, daß Sie die Förderungsaktion „Junge Familie" einstellen, möchte ich Sie doch konkret fragen, wie Sie sich - neben der allgemeinen deklamatorischen Erklärung der gezielten Förderung dies im kommenden Jahr, wenn diese Aktion eingestellt ist, konkret vorstellen.
Wir stehen im Augenblick bei den Beratungen über den Haushaltsplan des Jahres 1970 und über die mittelfristige Finanzplanung. Das Kabinett wird in der nächsten Woche darüber seine Beschlüsse fassen, nachdem das Finanzkabinett darüber beraten haben wird. Ich kann Ihnen also im Augenblick noch keine Zahlen nennen. Ich stelle mir aber ein langfristiges Wohnungsbauprogramm so vor, daß wir, von den Ergebnissen der Wohnungszählung des Oktober 1968 ausgehend, zunächst feststellen, wie groß der Wohnungsbedarf in der Bundesrepublik effektiv ist - er ist wahrscheinlich größer, als bisher angenommen worden ist; einige Ergebnisse deuten darauf hin -, und daß wir dann zusammen mit den Ländern ein regional gegliedertes, an den echten Bedarfspunkten orientiertes und nach den Bedarfskategorien, die ich soeben genannt habe - kinderreiche Familien, junge Ehepaare, alte und alleinstehende Menschen - ausgerichtetes Programm im Laufe dieses Jahres erarbeiten.
Damit ist die Frage beantwortet.
Ich rufe die Fragen 81 und 82 des Kollegen Orgaß auf. - Er ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 83 des Kollegen Dr. Hauser auf:
Warum beharrt das Bundeswohnungsbauministerium auf seinem mit Erlaß vom 24. Juni 1969 eingenommenen Standpunkt, daß die Umstellung von Stadt- auf Erdgas keine Wertverbesserung im Sinne von § 11 Abs, 4 der II. Berechnungsverordnung darstelle, obwohl der Heizwert des Erdgases gegenüber dein Stadtgas doppelt so hoch ist und die Gasversorgungsunternehmen zudem eine günstigere Preiskalkulation nach Wärmewerten zugrunde legen, die für den Verbraucher eine Verbilligung des Gasbezugs um 10 °/o bis 20 °/o bringen dürfte?
Bitte schön, Herr Minister!
Herr Kollege, ich sehe keine Veranlassung, den Erlaß meines Hauses vom 24. Juni 1969 aufzuheben; denn wir haben nach Rücksprache mit den Vertretern des Verbandes der deutschen Gas- und Wasserwerke festgestellt, daß durch die Umstellung von Stadtgas auf Erdgas eine wesentliche Verbilligung weder allgemein belegt ist noch für die Zukunft in Aussicht gestellt werden kann. Auch die Fachminister der Länder, die ich befragt habe, haben eine solche deutliche Verbilligung nicht bestätigt.
Ich meine daher, man kann bei dieser Sachlage nicht generell davon ausgehen, daß die Mieter für die bloße Umstellung von einer Gasart auf die andere nun eine höhere Miete zahlen sollen.
Allerdings schließt mein Erlaß nicht aus, daß im Einzelfall bei besonders günstigen Gastarifen auch eine andere Beurteilung der Rechtslage möglich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß etwa in Mannheim, wo die Umstellung auf Erdgas his i . Juli oder 1. Oktober dieses Jahres durchgeführt sein soll, ohne weiteres ein rund um das Doppelte höherer Heizwert erwartet wird, was allein schon eine Verbilligung mit sich bringt, daß aber darüber hinaus bei der Umstellung über die ganze Stadt hinweg der Preis von bisher 13 Pfennig auf 9 Pfennig ermäßigt wird, so daß eine deutliche Kostenersparnis in Aussicht steht, worauf Sie in Ihrem Erlaß so stark abgehoben haben?
Ich habe doch soeben darauf hingewiesen, Herr Kollege Hauser: sobald sich eine so wesentliche Verbilligung herausstellt, kann diesem Umstand auch im Rahmen meines Erlasses Rechnung getragen werden. Ich möchte aber nachdrücklich betonen: den augenblicklichen Zeitpunkt halte ich für ganz ungeeignet, um an Kostenberechnungen für die Mieten etwas ändern zu wollen. Überall dort, wo es um administrativ bestimmte Preise geht, wird von allen Seiten aus konjunkturellen Gründen gefordert, sehr behutsam zu sein und eine Preiserhöhung auf jeden Fall zu vermeiden.
({0})
Ich meine daher, hier muß wirklich achtgegeben werden, um nicht über die administrativ bestimmten Mieten - darum handelt es sich ja bei diesen Kostenberechnungen - noch eine Tendenz hineinzubringen, die zu einer weiteren Preissteigerung Veranlassung geben könnte. Den gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich dafür für ganz ungeeignet.
Herr Kollege Orgaß, Sie haben den Aufruf Ihrer Fragen um wenige Sekunden verpaßt; ich bedaure.
Eine weitere Zwischenfrage.
Dann muß ich Sie fragen, Herr Minister, wie Wohnungsunternehmen die ganzen Umstellungskosten tragen sollen, wenn etwa ein mir bekanntes größeres Unternehmen für 7000 Wohnungen einen Eigenkapitalbetrag von rund 2 bis 2,5 Millionen DM hierfür einsetzen muß, also einen Betrag, der dann bei diesem Unternehmen dein Wohnungsbau selber unweigerlich verlorengeht.
Zu dem von Ihnen geschilderten Einzelfall kann ich Ihnen hier nichts sagen. Ich bin aber gerne bereit, ihn nachzuprüfen. Der Erlaß läßt ja einen gewissen Spielraum zu. Nur ganz
generell würde ich heute den Zeitpunkt für falsch
gewählt halten, die Berechnungsverordnung ändern
zu wollen und auf diesem Wege eine Auftriebstendenz bei den Mieten in Erscheinung treten zu lassen.
({0})
Herr Kollege Baier, im Hinblick auf die Kollegen, die hier ausgeharrt haben, will ich versuchen, weiterzukommen. Damit 'schließe ich diese Frage ab.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Dröscher auf:
Trifft es zu, daß nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts die gesetzlichen Krankenversicherungsträger verpflichtet sind, auch bei Sportunfällen die Krankenhilfe gemäß § 182 RVO zu übernehmen, während die Beamtenkrankenkasse der Deutschen Bundeshahn und der Deutschen Bundespost nur 50 % der anfallenden Heilbehandlungskosten übernimmt, und hat die Bundesregierung nicht die Absicht, diese für Angehörige der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost eindeutige Schlechterstellung durch entsprechende Maßnahmen zu beenden?
Herr Kollege Dröscher hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten.
Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Ich rufe die Frage 84 des Abgeordneten Müller ({0}) auf:
Ist in der Frage der Standortbestimmung des von der Ëuropäischen Atombehörde zu errichtenden 300 Ge V-Beschleunigers eine Entscheidung getroffen worden?
Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: In der Frage des Standortes für den von der europäischen Organisation für Kernforschung geplanten großen europäischen Protonenbeschleuniger ist noch keine Entscheidung gefallen. Eine Ministerkonferenz der sechs zur Teilnahme an dem Projekt bereiten Staaten - nämlich Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Schweiz -, von denen alle bis auf die Schweiz Gelände angeboten haben, soll in absehbarere Zeit über diese Fragen entscheiden.
Keine Zusatzfrage.
Frage 85 des Abgeordneten Müller ({0}) :
Kann unter Berücksichtigung des hohen finanziellen Anteils, den die Bundesrepublik Deutschland erbringen wild, aber ouch im Interesse von Wirtschaft und Wissenschaft erwartet werden, daß dieses Objekt auf deutschem Boden errichtet wird?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der bisherige Plan sieht einen Finanzierungsanteil der Bundesrepublik von etwa 36 % vor. Aber nicht in erster Linie aus diesem Grunde - wie sich vielleicht aus der Frage erkennen ließe - ist die Bundesrepublik der Meinung, daß ein Standort in der Bundesrepublik gewählt werden sollte. Die Bundesrepublik Deutschland hat einmal ein Gelände bei Drensteinfurt angeboten, das nach allen objektiven Kriterien mindestens gleichwertig, wenn nicht in einigen wichtigen Punkten sogar besser als andere angebotene Standorte ist.
Hinzu kommt, daß die Bundesregieruung die Auffassung vertritt, Standorte europäischer Organisationen und Einrichtungen sollten, soweit dies eben möglich ist, einigermaßen gleichmäßig zwischen den europäischen Staaten verteilt werden. Dies ist aber heute - und zwar ganz eindeutig zuungunsten der Bundesrepublik - leider nicht der Fall. Bisher befindet sich kein einziger -auch vom Volumen her - wirklich gewichtiger Standort in unserem Land.
Die Bundesregierung ist gewiß - und ich möchte das hier betonen - kein Anhänger des sogenannten „just return", der „gerechten Finanzrückverteilung". Das würde im Endergebnis, wie jedermann weiß, auch sicherlich zum Tode jeder europäischen Gemeinschaft führen. Aber die Ungleichheit der Verteilung der Standorte darf auch nicht so werden, daß sie politisch schwer vertretbar ist.
Die Regierung bemüht sich deswegen mit Nachdruck, die Wahl des deutschen Geländes zu erreichen. Sie hat durch Kabinettsbeschluß vom 11. Dezember 1969 die Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und des Auswärtigen beauftragt, mit den beteiligten Regierungen über die Standortwahl zu verhandeln, um auf diese Weise ein für das deutsche Angebot günstiges Resultat zu erreichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Müller.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung auch dann bereit sein, diesen hohen finanziellen Anteil zu übernehmen, wenn die Entscheidung anders aussähe, also kein deutscher Standort für dieses Objekt in Frage käme?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Müller, hinsichtlich der Finanzbeiträge legt die CERN-Konvention grundsätzlich das Netto-Volkseinkommen zugrunde. Bei Teilnahme der sechs Staaten, die ich bei Beantwortung der Frage 84 genannt habe, würde der deutsche Anteil gegenwärtig etwa 36 % betragen. Der CERN-Rat kann jedoch mit Zweidrittelmehrheit auch einen Höchstbetrag festlegen. Dieser Höchstbetrag
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi würde bei der Teilnahme dieser sechs Staaten für die Bundesrepublik maximal bei 38,5 % liegen.
Die Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege, hängt offensichtlich vom weiteren Gang der Verhandlungen ab. Die Bundesregierung wird gegebenenfalls in Betracht zu ziehen haben, im Sinne einer angemessenen und ausgewogenen Beteiligung der Mitgliedstaaten auf eine Herabsetzung des Höchstbetrages hinzuwirken, um dadurch ihre eigene Finanzbeteiligung herabzusetzen. Es wird in diesem Zusammenhang auch zu erwägen sein, ob eventuell unter bestimmten Umständen vom Sitzstaat, dem Staat also, in dem der Standort liegt, ein besonderer Zuschuß zu den Investitionskosten verlangt werden soll, wie dies bei anderen internationalen Forschungseinrichtungen geschehen ist. Eine weitere Möglichkeit würde eventuell in der Streckung des Beitrages über einen längeren Zeitraum liegen.
Danke schön.
Wir kommen zu den Fragen des Kollegen Wurbs. - Er ist nicht im Saal. Die Fragen werden ebenso wie die des Kollegen Würtz, der ebenfalls nicht anwesend ist, schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 89 der Abgeordneten Frau Dr. Walz auf:
Wer soll nach Meinung der Bundesregierung die Zulassungsbedingungen im Gesamthochschulbereich festlegen: der Bund in den a 1l gemeinen Grundsätzen zum Hochschulwesen oder die Lander in Abstimmung mit den Universitäten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, die Frage des Zugangs zur Hochschule und insbesondere der Bedingungen für den Zugang zu einzelnen Ausbildungseinrichtungen ist von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des sogenanten tertiären Bereichs. Diese Frage wird deswegen im Hochschulrahmengesetz behandelt werden und damit natürlich ganz wesentlich von diesem Hause zu entscheiden sein. Auf diese Weise sind im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens natürlich auch die Länder an der Entscheidung beteiligt.
Es kann nach Auffassung der Bundesregierung in dieser Frage niemals ein Entweder-Oder geben. Bund, Länder und Hochschulen müssen an diesen Entscheidungen auf allen Ebenen jeweils beteiligt sein.
({0})
Frau Kollegin, ich wollte Ihnen nur folgendes sagen. Wenn Sie Zusatzfragen haben, kann ich Ihre letzte Frage nicht mehr zur Beantwortung stellen, weil die Fragestunde abgelaufen ist. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen; die Zusatzfragen werden natürlich noch behandelt.
Dann möchte ich gern die Zusatzfragen stellen.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung überhaupt auf die Anforderungen für die Hochschulreife einwirken, wenn sie, nach Herrn Leussinks Bielefelder Vortrag, der Meinung ist, daß das Abitur in Inhalt und Funktion völlig umgestaltet werden soll und von einer allgemeinen Hochschulreife zu einer reinen Schulabschlußprüfung werden soll? Wäre hierfür nicht eine Rahmenkompetenz für das Bildungswesen erforderlich, und strebt die Bundesregierung eine solche an?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, ich kann Ihre Frage nicht ganz verstehen. Wenn die Entwicklung in der Tat so verlaufen würde, wie Herr Professor Leussink dies in Bielefeld als eine .bildungspolitische Konzeption dargestellt hat - nicht als etwas, was die Bundesregierung oder der Bundestag verwirklichen könnte, sondern es ist eine Konzeption -, würde die Zulassung zur Hochschule im Sinne der Aufnahmebedingungen für die Hochschule wohl erst recht eine größere Rolle spielen. Das heißt, wenn der Abschluß im Sekundärbereich nicht mehr immer unmittelbar das Recht zum Zugang zur Hochschule gibt, würde natürlich, Frau Kollegin Walz, die Frage der Aufnahmebedingungen der Hochschulen sogar eine größere Rolle spielen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Auf welche Unterlagen der Begabungsforschung stützt sich der Minister für Bildung und Wissenschaft, wenn er die Meinung vertritt, daß in Zukunft 50 % eines jeden Geburtsjahrgangs das Abitur II in einer dreifach differenzierten Form ablegen können, wenn die Elemente des kritisch-rationalen Denkens, die er mit dem Abitur II vermitteln will, schon im Abitur I, das er ebenfalls von 50 °/o ablegen lassen will, erreicht sein sollten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, die Frage der Quantität - Zugang zum tertiären Sektor - ist eine Frage, die man nicht, auf jeden Fall nicht allein, durch sogenannte Begabungsforschung aufklären kann. Wie bekannt ist, ist im Bereich der Begabungsforschung die Debatte über die bestehenden Begabungsreserven durchaus nicht ausgetragen.
Die Frage ist also in erster Linie eine Frage des politischen Entschlusses und einer langfristigen Vorstellung vom demokratischen Bildungswesen für unsere Gesellschaft. Diese Frage kann nicht die Begabungsforschung allein lösen, sondern sie muß im Rahmen der politischen Konzeption und der Vorstellung von der Bildung in ihrer Bedeutung für die gesamte Gesellschaft entschieden werden.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist abgelaufen. Ich bedauere im Hinblick auf die Fragesteller, die ausgeharrt haben, daß keine weiteren Fragen mehr beantwortet werden können.
Wir stehen damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 21. Januar 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.