Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem, was ich hier zu erklären habe, wird schon deshalb Aufmerksamkeit entgegengebracht, weil der Bundeskanzler zum erstenmal von dem Recht Gebrauch macht, den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes zu stellen. Dies ist der Weg, der mir zur Verfügung steht, um zu jenen Neuwahlen zu kommen, für die sich inzwischen alle Fraktionen des Hohen Hauses ausgesprochen haben. Bei allem, was sonst umstritten ist, meine ich mich also insoweit in sachlicher Übereinstimmung mit der einhelligen Auffassung der Fraktionen dieses Hohen Hauses zu befinden, wenn ich hiermit, Herr Präsident, den Antrag nach Art. 68 des Grundgesetzes stelle.
Was die Vorgeschichte angeht, so erinnern wir uns alle daran, daß am 27. April in diesem Hause der Versuch des Mißtrauensvotums mit dem Ziel, Herrn Kollegen Dr. Barzel zum Bundeskanzler zu wählen, gescheitert ist. Am Tage darauf, also am 28. April, habe ich von dieser Stelle aus der Opposition eine Vereinbarung über Neuwahlen angeboten. Die Opposition hat es auch in den damals im Zusammenhang mit den Ostverträgen geführten interfraktionellen Gesprächen leider nicht für möglich gehalten, über das Wann und Wie von Neuwahlen eine vom Parteienstreit losgelöste Vereinbarung zu treffen. Am 24. Juni habe ich dann in Übereinstimmung mit Herrn Kollegen Scheel erklärt, daß wir, die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien, Neuwahlen im November anstreben.
Nun braucht nicht darüber gestritten zu werden, daß der Weg über Art. 68 des Grundgesetzes etwas
kompliziert ist. Diese Vorschrift - das ist mir wohl bewußt - sollte an sich anderen verfassungspolitischen Zielen dienen. Aber ich habe den Weg des Art. 68 gewählt, da unser Grundgesetz, wie wir alle wissen, im Unterschied zu den Verfassungen einer Reihe anderer demokratischer Staaten weder die Selbstauflösung des Parlaments noch die Auflösung durch die Regierung kennt und wir meiner Meinung nach auch nicht bei jeder neu auftretenden Schwierigkeit gleich das Grundgesetz ändern dürfen.
Mein erklärtes, zu keinem Zeitpunkt verschwiegenes Ziel ist es, durch die Ablehnung des hier gestellten Antrags in die Lage versetzt zu werden, dem Herrn Bundespräsidenten die Auflösung des 6. Deutschen Bundestages und die Ansetzung von Neuwahlen vorschlagen zu können. Die Mitglieder der Bundesregierung werden sich daher am Freitag auch nicht an der Abstimmung über den Antrag beteiligen.
Niemand sollte den törichten Versuch machen, den Eindruck zu erwecken, als ob es mir hier um ein Votum für die Fortsetzung meiner Arbeit mit dem Bundestag in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung ginge. Mir geht es im Gegenteil darum, daß der Weg für Neuwahlen freigemacht wird, damit die Vertrauensfrage erneut an den Wähler gestellt werden kann. Denn, wie sich die Dinge entwickelt haben, kann uns nur der Wähler dabei helfen, daß das Remis im Bundestag überwunden wird. Ich habe den Eindruck, nicht alle hören es gern, wenn ich sage: Die eigentliche Vertrauensfrage wird an den Souverän, also an die mündigen Wahlbürger, zu richten sein.
({0})
Warum dies nicht von allen akzeptiert werden kann, ist mir schwer verständlich, wenn es doch bei allen bekannten Gegensätzen auf den Hauptgebieten der Außen- und Innenpolitik eine gemeinsame Auffassung ist, daß neu gewählt werden soll. Ich verstehe erst recht nicht, wenn hier und da in diesem Zusammenhang von einem plebiszitären Vorgang gesprochen wird. Hier geht es nicht um ein Plebiszit - eine Volksabstimmung -, das unsere Verfassung auch gar nicht vorsieht, hier geht es um Neuwahlen zum Deutschen Bundestag.
Die Opposition wird nun verständlicherweise nicht gern hören wollen, wenn ich in diesem Augenblick und von dieser Stelle aus sage: Diese Bundesregierung und das Regierungsbündnis von Sozialdemokraten und Freien Demokraten sind stolz auf die Arbeit, die sie in den vergangenen drei Jahren geleistet haben.
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Diese drei Jahre haben sich nach außen und nach innen gelohnt für unser Land und für unser Volk.
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Und wir betrachten dies als eine gute Grundlage für die Arbeit in den vor uns liegenden Jahren.
Neuwahlen sind erforderlich geworden, weil die von den Wählern 1969 geschaffenen Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause so verändert worden
1 sind, daß nun weder die Koalitionsfraktionen noch die Opposition über eine handlungsfähige Mehrheit verfügen.
Mandatsüberträger haben gegenüber dem Regierungsbündnis, das als Ergebnis der Wahlen vom September 1969 zustande kam, eine Vetorolle übernommen. Die Wähler allein können darüber entscheiden, ob sie dieses Veto bestätigen oder ob sie es - wie ich erwarte - außer Kraft setzen werden.
({3})
Die Regierung hat ihr Wort gehalten.
({4}) Sie hat ihre Pflicht getan,
({5})
und sie wird genau nach den Bestimmungen des Grundgesetzes
({6})
ungeschmälert weiter tun, was ihre Pflicht gebietet, bis es nach den Neuwahlen zur Regierungsbildung gekommen sein wird. Wir bauen auf das nüchterne und faire Urteil der Menschen in unserem Lande, denen unsere Arbeit diente und weiterhin dienen wird. Damit der Wähler zu seinem Recht kommt und damit die Interessen unseres Staates nicht Schaden leiden, müssen wir am Freitag die Prozedur nach Art. 68 des Grundgesetzes vollziehen.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag des Bundeskanzlers gehört. Nach Art. 68 Abs. 2 des Grundgesetzes müssen zwischen dem Antrag und der Abstimmung 48 Stunden liegen. Ich stelle fest, daß über den Antrag frühestens am Freitag, dem 22. September 1972, ab 9.15 Uhr abgestimmt werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 28. April wurde der Haushalt des Kanzlers abgelehnt.
({0})
Es hätte normalem demokratischem Stil und gutem parlamentarischem Brauch entsprochen, wenn der Herr Bundeskanzler damals zurückgetreten wäre.
({1})
Politisches Siechtum und monatelange Konfrontation und Verkrampfung, die weder dem Ansehen unseres Staates nach draußen noch unserer Demokratie nach innen förderlich waren, hätten Sie, Herr Bundeskanzler, uns dadurch ersparen können.
({2})
Von der entscheidenden Tatsache, dem Scheitern Ihrer Politik,
({3}) versuchen Sie abzulenken,
({4})
I indem Sie am Grundgesetz vorbei eine Parteienverabredung über Neuwahlen suchten.
({5})
Sie machen wieder Übungen in „Mehr Demokratie wagen". Was S i e darunter verstehen, haben wir in diesen drei Jahren gelernt,
({6})
indem Sie, Herr Bundeskanzler, sich am Parlament vorbei an die Bevölkerung wenden und indem Sie die Gewissensentscheidung einiger Kollegen,
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die aus Treue zu ihrer Überzeugung handelten, herabsetzen.
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Das ist ein Angriff auf das freie Mandat aller Abgeordneten.
({9})
Immer sind - wir haben es soeben wieder gehört - angeblich andere schuld.
Um für die Zukunft keinen Schaden entstehen zu lassen und um dem Ansehen des Parlaments gerecht zu werden, sind wir verpflichtet, hier konkret daran zu erinnern, warum einige Abgeordnete, indem sie dem Auftrag des Art. 38 des Grundgesetzes folgten,
ihre Fraktion verlassen haben.
({10})
Da sind zunächst die liberalen Abgeordneten von Kühlmann-Stumm, Mende, Starke und Zoglmann, die von der ersten Stunde dieses 6. Deutschen Bundestages an keinen Zweifel daran ließen, daß sie aus grundsätzlichen Überlegungen gegen diese Regierung, gegen diesen Kanzler und gegen dessen Politik seien.
({11})
Dann verließen vier sozialdemokratische Abgeordnete ihre Fraktion: der Berliner Abgeordnete Klaus-Peter Schulz, weil er das mangelnde Engagement dieser Regierung hinsichtlich der politischen Vereinigung des freien Europa nicht mehr decken wollte.
({12})
- Ich spreche nicht weiter, weil das für sich selber wirkt.
({13})
- Das wirkt für sich selber.
({14})
Meine Damen und Herren, ich fahre fort: der Berliner Abgeordnete - 40 Jahre Ihr Kollege - Franz Seume, weil er gehindert wurde, sein Mandat entsprechend dem Art. 38 des Grundgesetzes auszuüben.
({15})
Der Abgeordnete Herbert Hupka,
({16})
weil er sich von der Regierung getäuscht und in den
Fragen des Selbstbestimmungsrechts verraten sah.
({17})
Der Abgeordnete Günther Müller - ({18})
- Meine Damen und Herren, dieses Gelächter, wenn wir davon sprechen, was Gewissensentscheidungen von Kollegen betrifft, möchte ich in Erinnerung halten und es vergleichen mit der Haltung, die wir einnahmen, als Freunde von uns - ich nenne nicht die Spitze des Staates, sondern ich nenne Peter Nellen - den Weg zu Ihnen gefunden haben. Wir haben Gewissen respektiert, meine Damen und Herren!
({19})
Ich wiederhole deshalb: der Abgeordnete Günther Müller, weil er nicht Sozialist, sondern sozialer Demokrat sein wollte.
({20})
Der liberale Abgeordnete Gerhard Kienbaum legte sein Mandat nieder, nachdem es im April nicht gelungen war, hier einen Kurswechsel herbeizuführen, den er für notwendig hielt. Aus gleichen Gründen verließ der Abgeordnete Helms seine Fraktion.
Niemand - weder dieses Haus noch der Bundeskanzler - sollte diesen Kollegen zunahetreten!
({21})
Und keiner sollte vergessen, daß Ihr „zweiter Mann" in der letzten Wahl und danach, Herr Bundeskanzler, Karl Schiller, nicht mehr an Ihrer Seite ist, weil er ein deutliches und sichtbares Zeichen grundsätzlichen Protestes geben wollte.
({22})
Wem dieser Blick ins Parlament nicht genügt, der mag sich fragen, warum wohl so auffallend viele der Bundesregierung den Rücken kehrten. Die Reformunfähigkeit dieser Bundesregierung, die sich selbst bei ihrem Amtsantritt vor knapp drei Jahren mit dem Etikett der „Regierung der Inneren Reformen" schmückte, dokumentiert sich in personeller Auszehrung.
({23})
Dem seit Monaten überfälligen Abtritt dieses Kabinetts ging ein Rücktritt in Raten voraus.
({24})
Jeder Rücktritt eines Ministers oder Staatssekretärs
markiert ein Stück gescheiterter Reformen: der
Rücktritt von Alex Möller signalisierte das Ende
des Versuchs einer halbwegs soliden Finanzpolitik und den Abgesang auf die große Steuerreform; der Rücktritt des Parlamentarischen Staatssekretärs Arndt bewies die Zerstrittenheit innerhalb der Regierung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik; der Rücktritt des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal zeigte das endgültige Scheitern der Vermögenspolitik an; der Rücktritt von Minister Leussink offenbarte das Desaster der Bildungsreform, die nach der Regierungserklärung des Kanzlers „an der Spitze der Reformen" stehen sollte; der Rücktritt von Staatssekretär Haller bedeutete auf dem wichtigen Gebiet der Steuerpolitik das Ende der mit besonderer Feierlichkeit versprochenen Steuerreform. Der Rücktritt von Karl Schiller war dann das letzte Glied einer langen Kette von Versäumnissen und Fehlern nicht anderer, sondern dieses Bundeskanzlers.
({25})
Es sollte nachdenklich stimmen, daß so viele aus Parlament und Regierung diesem Kanzler nicht mehr folgten.
In der Bevölkerung ist es nicht anders. Die abgeschlossene Serie der Landtagswahlen und deren Ergebnisse zeigen die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dieser Politik.
Nehmen wir etwas anderes hinzu: Warum wohl hat Professor Steinbuch, 1969 noch mit einer engagierten Anzeige Wahlhelfer des Herrn Bundeskanzlers, in zwei offenen Briefen den Herrn Bundeskanzler vor Illusionen über den politischen Radikalismus gewarnt? Er glaubt nicht - so seine Worte -, „daß die ideologische Potenz der Nazis im Jahre 1930 so stark war wie heute die Linksextremen".
({26})
Der Verleger Dr. Knorr verließ nach 50jähriger Mitgliedschaft die SPD mit dem Vorwurf, der Bundeskanzler „hätschele" „die Schläge der Strukturrevolutionäre als Jugendstreiche".
Wir dürfen - so meinen wir - nicht zulassen, daß die Freiheitsrechte der Bürger, in lang andauernden Auseinandersetzungen mit dem alten Obrigkeitsstaat erstritten, jetzt umfunktioniert werden zu Angriffswaffen gegen die rechtsstaatliche Ordnung.
({27})
Sie haben, Herr Bundeskanzler - und dies wird im einzelnen am Freitag oder Donnerstag zu besprechen sein, weil wir heute die Rentenreform zu verabschieden wünschen -, Ihre Versprechungen nicht eingehalten. Versprochen haben Sie Steuersenkungen; in Wirklichkeit haben Sie die Steuern erhöht. Versprochen haben Sie Steuerreform und Arbeitsgesetzbuch, Bildungsreform und Vermögensbildung, stabile Preise und solide Finanzen. Alles das ist ausgeblieben. Sie haben durch Ihre Politik trabende Inflation bewirkt.
({28})
Herr Bundeskanzler, niemand bestreitet, daß Sie gearbeitet haben, aber der Erfolg ist ausgeblieben. Sie haben eine traurige Bilanz mit negativen Rekorden.
In den 20 Jahren unserer Regierungen stiegen die Preise für die Lebenshaltung im Durchschnitt je Jahr um 2 %. Unter Ihrer Verantwortung stiegen sie Jahr um Jahr alarmierend an. 5,7 % und für die Rentner sogar 6,3 % sind die traurige Bilanz im August dieses Jahres. Die Erhöhungen der Renten und die Zinsen der Sparer kommen da nicht mehr mit. Inflation betrügt gerade den kleinen Mann um das Ergebnis seiner Leistungen.
({29})
In den 20 Jahren unserer Regierung stiegen die Realeinkommen der Arbeitnehmer im Durchschnitt je Jahr um 5,4 % und haben sich die Nominallohnsteigerungen zu über 70 0/o in einer Verbesserung des Realeinkommens niedergeschlagen.
({30})
Das reale Sozialprodukt stieg von 1950 bis 1969 im Jahresdurchschnitt um 6,5 %; in der Zeit Ihrer Regierung sank die Wachstumsrate von Jahr zu Jahr. Seit 1971 liegt sie unter 3 %.
Wir fragen: Was ist da entsprechend Ihrer Versprechung besser, moderner, sozialer und demokratischer geworden?
({31})
Diese Bilanz, Herr Bundeskanzler, die wir im einzelnen noch ziehen werden, ist negativ - negativ vor allem für Reformer, für die junge Generation und für den kleinen Mann. Der Deutsche Bundestag wird Ihnen deshalb - und darum geht es - durch seine Abstimmung am Freitag das Vertrauen entziehen.
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Es ist Zeit zum Wechsel! Es ist Zeit, wieder den Weg zum Erfolg zu beschreiten und Fortschritt auf Stabilität zu bauen! Es ist Zeit für einen neuen Anfang!
({33})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache über den Vertrauensantrag des Herrn Bundeskanzlers jetzt unterbrochen und am Freitag fortgesetzt werden.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und über die Fünfzehnte Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ({34})
- Drucksachen VI/2153, VI/2584, VI/2916, VI/3325, VI/2585, VI/3214, VI/3448 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({35}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3781 - Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
Präsident von Hassel
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({36})
- Drucksachen VI/3767, zu VI/3767 Berichterstatter: Abgeordneter Müller
({37})
Abgeordneter Killat-von Coreth
Abgeordneter Schmidt ({38})
({39})
Es ist vereinbart worden, die zweite Beratung nun mit einer allgemeinen Aussprache zu beginnen. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Katzer. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.
({40})
Ich darf Sie bitten, wieder Ruhe im Hause eintreten zu lassen, damit der Abgeordnete Katzer das Wort nehmen kann. Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute vor der Verabschiedung einer Reihe von Gesetzentwürfen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - ({0})
Präsident von Hassel: Verzeihung, Herr Abgeordneter Katzer! Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Ihre Gespräche wenigstens in den hinteren Teil des Saales zu verlegen.
({1})
Wir stehen heute vor der Verabschiedung einer Reihe von Gesetzentwürfen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die eine konsequente Fortentwicklung der modernen und fortschrittlichen Rentenpolitik der Union seit Kriegsende darstellen. Ich erinnere hier an die große Rentenreform von 1957 mit der Einführung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente, an die Einbeziehung der Vertriebenen und Flüchtlinge in unsere Alterssicherung durch das Fremdrentengesetz und an die wesentlichen Verbesserungen durch das Härtegesetz im Jahre 1965.
Daß es der Union mit der Teilhabe der Älteren und Alten am wirtschaftlichen Fortschritt ernst ist, hat sie auch in schwierigen Zeiten in den Jahren 1967 und 1968 bewiesen, als sie das Konzept der bruttolohnbezogenen Rente gegen alle Angriffe, gegen aufkommende Tendenzen quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen und Parteien gesichert hat. Damals habe ich den Satz „Ruhe an der Rentenfront" gesprochen und empfohlen, die Rentenversicherung zu konsolidieren. Ich glaube, diese Politik war richtig,
({0})
denn es ist uns gelungen, die Finanzen trotz des sogenannten Rentenberges langfristig zu stabilisieren.
Die realen Verbesserungen der Lebenssituation der Rentner haben damals trotz einer Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung weit über dem gelegen, was SPD und FDP bis jetzt erreicht haben.
({1})
Daß die SPD seinerzeit Mitverantwortung getragen hat, will ich ihr auch heute gern bestätigen; daß sie sich aber all ihrer Mitverantwortung jetzt dort, wo diese sich als unbequem erweist, zu entziehen versucht, vermag ich nur zu bedauern.
({2})
Aber, meine Damen und Herren, die kritische Öffentlichkeit läßt sich dadurch nicht täuschen. So heißt es denn auch in der „Stuttgarter Zeitung" vom 13. September dieses Jahres in diesem Zusammenhang:
Auch sozialdemokratische Politiker wären gut beraten, es bei dieser Wahrheit zu belassen, es sei denn, sie legten Wert darauf, daß ihnen ein Sprichwort entgegengehalten wird, in dem von kurzen Beinen die Rede ist.
({3})
Präsident von Hassel: Darf ich einen Moment unterbrechen. - Meine Damen und Herren! Diese Sitzung wird von den Rundfunk- und Fernsehanstalten übertragen. Die technische Einrichtung bei den Rundfunk- und Fernsehanstalten ist so, daß die Geräusche aus dem Saal fast in voller Lautstärke zu hören sind. Selbst wenn man hier nicht geneigt ist, dem Redner zuzuhören, bitte ich auf die Rücksicht zu nehmen, die die Reden über die Anstalten verfolgen wollen.
({4})
Ich darf Sie bitten, die Gespräche in den Hintergrund zu verlegen.
„Diese Bundesregierung tritt unter günstigeren Startbedingungen an als jede Bundesregierung vor ihr." Das stellte Rainer Barzel zu Beginn dieser Legislaturperiode fest. Diese Feststellung traf auch für die Rentenpolitik zu. Die konsolidierten Finanzen machten den Weg für weitere Verbesserungen unserer sozialen Alterssicherung frei.
Heute nun stellen wir fest, daß diese Koalition - die gemeinsam verabschiedete Streichung und Rückzahlung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages ausgenommen - kein einziges Gesetz zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung zur Verabschiedung gebracht hat. Was wir heute verabschieden wollen, ist die Schritt für Schritt logisch aufeinanderfolgende Konzeption der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, die Gesetzentwürfe chronologisch nennen. Herbst 1970: Gesetzentwurf zur Nichtanrechnung von 50% der Rente auf die Leistungen der Sozialhilfe; Mai 1971:
Gesetz zur Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige; Juni 1971: Aktualisierung der Rentenanpassung um ein halbes Jahr und Gesetzentwurf mit dem gleichen Ziel im September 1971; 21. September 1971: Gesetz zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner; April 1972: Rentenniveausicherungsgesetz; Juni 1972: Initiativantrag zur Unfallversicherung für Hausfrauen; Juli 1972: CDU/CSU-Antrag zur flexiblen Altersgrenze.
Dieses Konzept, meine sehr verehrten Damen und Herren, berücksichtigt die Interessen der noch Erwerbstätigen ebenso wie die der Rentner und ist solide finanziert.
({0})
Lassen Sie mich dazu im einzelnen folgendes sagen: Zum ersten Male seit Einführung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente haben die Rentner unter der sozialliberalen Koalition in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht am Zuwachs des Volkseinkommens teilgenommen; denn die Rentenerhöhungen zum 1. Januar 1971 um 5,5% und zum 1. Januar 1972 um 6,3 % brachten den Rentnern in der Regel nicht mehr als einen Ausgleich für den Kaufkraftschwund des Geldes und bei kleinen Renten nicht einmal das. Damit ist der Sinn der Rentenreform von 1957 ins Gegenteil verkehrt worden.
({1})
Es ist eine der schmerzlichsten Erkenntnisse dieser drei Jahre Regierung Brandt/Scheel, daß die langandauernde inflationäre Entwicklung in erster Linie zu Lasten der schwachen Gruppen unseres Volkes gegangen ist. Mit rund 41 % hat das Rentenniveau einen bisher nicht gekannten Tiefstand erreicht. Die Rentner, die Sparer, die kinderreichen Familien sind die Hauptgeschädigten dieser Politik.
({2})
Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion die Wiederanhebung des Rentenniveaus als Voraussetzung für alle sonstigen Weiterentwicklungen der gesetzlichen Rentenversicherung gefordert.
Dabei machen wir Ihnen, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, nicht zum Vorwurf, daß Sie die Anpassungssätze 1971 und 1972 etwa nicht der Rentenformel entsprechend berechnet hätten. Das Versagen der sozial-liberalen Koalition liegt darin, daß sie nicht erkannt hat, daß die Rentenformel auf der Annahme beruht, daß das Preisniveau stabil bleibt oder daß es zumindest keine Beschleunigung einer schleichenden Geldentwertung gibt.
({3})
Diese Feststellung ist im übrigen ein wörtliches Zitat aus dem Jahresgutachten 1971 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
So ist in den drei Jahren der sozial-liberalen Koalition aus der Rentenreform 1957, die uns im internationalen Vergleich an die Spitze des sozialen Fortschritts gebracht hat, eine Reformruine geworden.
({4})
Die Wirklichkeit sieht noch schlimmer aus, wenn wir uns die Lage des einzelnen Rentners ansehen. Welcher Rentner kann sich noch einen Platz im Altersheim leisten, wer bei den erhöhten Telefongebühren einen Telefonanschluß? Die Briefe, die uns erreichen, sind doch geradezu erschreckend und einer modernen Industriegesellschaft nicht würdig. Das muß hier deutlich gesagt werden.
({5})
In diesen Briefen bringen alte Menschen immer wieder ihre Befürchtungen zum Ausdruck, weil der Mietzins schneller steigt als ihre Renten.
Meine Damen und Herren, hier helfen keine Worte, sondern nur Taten. Wir sind hier in diesem Hohen Hause, vornehmlich aus den Reihen der Sozialdemokraten, in großen Zwischenrufen immer wieder gefragt worden: Wo ist denn eure Alternative? Bitte legt die Alternative auf den Tisch! - Nun haben wir die Alternative in diesem Bereich auf den Tisch gelegt, und wir werden heute und morgen darum ringen, daß diese, wie wir glauben, bessere Alternative auch zum Siege kommt.
({6})
Wir haben bereits im Juni 1971 bei der damals routinemäßigen Rentenerhöhung gefordert, das Niveau durch Aktualisierung der Anpassungsgrundlagen um ein halbes Jahr anzuheben. Sie haben dies damals in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Kein einziger Abgeordneter der SPD hat damals für eine Vorziehung der Rentenanpassung gestimmt.
({7})
Der Herr Kollege Schellenberg erklärte damals, die zusätzliche Anhebung der Renten sei das strikte Gegenteil einer soliden Leistungsverbesserung. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, sie verhindere den sozialen Ausbau unserer Rentenversicherung.
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Angesichts der Vorlagen, die wir heute auf dem Tisch haben, kann ich dazu nur sagen: Welchen Lernprozeß haben die Koalitionsfraktionen seit dem 23. Juni 1971 durchmachen müssen!
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben schon damals darauf hingewiesen, daß als Folge des ungenügenden Leistungsniveaus die Kassen der Rentenversicherungsträger gefüllt sind, und wir haben festgestellt, daß diese Überschüsse der Rentenversicherung im wesentlichen Gelder sind, die den Rentnern - immer im Sinne der Rentenreform von 1957 - vorenthalten werden. Deshalb haben wir diese Alternative gesetzt, der Sie jahrelang auszuweichen versucht haben.
({10})
Noch vor gut einem Jahr erklärte der Herr Bundesarbeitsminister, eine allgemeine Erhöhung der Renten verschwinde - so wörtlich - wie ein Tropfen im Meer. Die Einführung einer Mindestrente bezeichnete der Herr Arbeitsminister laut „Süddeutscher Zeitung" gar als Sozialpolitik aus der Gießkanne. Warum er sich für diese Ausfüh11580
rungen ausgerechnet eine Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei ausgesucht hat, ist mir vollends schleierhaft.
Unseren im September 1971 eingebrachten Gesetzentwurf, die für den 1. Januar 1973 anstehende Rentenerhöhung um 9,5% auf den 1. Juli dieses Jahres vorzuziehen, haben Sie im Ausschuß auf Eis gelegt. Das gilt übrigens für alle Gesetzentwürfe zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung, seien es die der Opposition, seien es die der eigenen Regierung. Wenn wir heute unter Zeitdruck geraten sind, dann trägt - das muß ich hier feststellen - der Vorsitzende des federführenden sozialpolitischen Ausschusses die Verantwortung dafür, denn die Beratungen im Ausschuß konnten bereits seit Dezember vergangenen Jahres geführt werden.
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Noch im März 1972 ist die von der CDU/CSU geforderte Behandlung der Rentenerhöhung im Ausschuß von Ihnen abgelehnt worden. In einer denkwürdigen Kampfabstimmung vor Beginn der Sommerpause haben Sie es dann unter Nutzung Ihrer geschäftsordnungsmäßigen Mehrheit abgelehnt, die Frage der Rentenerhöhung überhaupt erst auf die Tagesordnung dieses Hauses zu setzen.
({12})
Das ist erst drei Monate her, meine Damen und Herren. Erst im Juli 1972 haben Sie von der SPD und FDP mit Ihrem Vorschlag eines Rentensockelbetrages von 20 DM im Prinzip wenigstens anerkannt, daß für die Rentner zusätzlich etwas getan werden muß. Der Vorschlag war allerdings so unausgegoren, daß der Herr Bundesarbeitsminister erklärt hat, dieser Vorschlag hätte gar nicht mehr realisiert werden können. Sie haben diesen Vorschlag dann auch sehr schnell wieder fallengelassen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil Ihnen die Gewerkschaften deutlich gesagt haben, daß sie von diesem Vorschlag aber auch gar nichts halten.
Vor wenigen Wochen haben Sie nun Ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir freuen uns darüber. Wir freuen uns insbesondere darüber, daß nun endlich 10 Millionen Rentner das bekommen, worauf sie so lange haben warten müssen.
({13})
Wir freuen uns auch darüber, meine Damen und Herren, daß die Stetigkeit und Festigkeit der Union in dieser Frage endlich zum Ziel geführt haben.
({14})
Wir wollen, daß sich in Zukunft eine inflationäre Aushöhlung der Renten nicht wiederholt und stellen daher heute das Rentenniveau-Sicherungsgesetz zur Abstimmung. Danach soll ein Rentenniveau von mindestens 50 % auf Dauer gesichert werden, von dem nur kurzfristig bei Konjunkturschwankungen nach oben und unten abgewichen werden, das aber nicht unter 45 % liegen darf. Die Unionsparteien gehen damit eine bewußte Bindung auch für sich selbst für die Zukunft ein. Eine CDU/CSU-Bundesregierung wird die nächste Rentenanpassung, die
voraussichtlich mehr als 11 % betragen wird, zum
1. Juli 1973 dem Deutschen Bundestag vorschlagen.
({15})
Es ist - das sage ich freimütig - mehr als ein Schönheitsfehler, daß wir heute nicht zugleich auch die Anhebung der Kriegsopferrenten auf den 1. Juli 1972 vorziehen können. Dies ist bei der kritischen Lage des Haushalts leider nicht möglich.
({16})
- Es ist nach den Haushaltsmitteln leider nicht möglich. Ich bedauere das. Die CDU/CSU verpflichtet sich jedoch, bei der fälligen Bestandsaufnahme mit Vorrang zu prüfen, wann dies nachgeholt werden kann.
Die gleichzeitige Anpassung der Sozialversicherungsrenten und der Versorgungsleistungen ist unser Ziel. Es ist immerhin gelungen, durch die Nichtanrechnung der Erhöhung für den Rest dieses Jahres Unzuträglichkeiten in der Kriegsopferversorgung zu vermeiden. Dies geschah in Übereinstimmung. Wir begrüßen es auch, daß durch die Einführung einer flexiblen Altersgrenze ab 62 Jahre die besonderen Bedürfnisse der Schwerbeschädigten ausdrücklich anerkannt werden.
Nun, meine Damen und Herren, wer der Problematik der sogenannten Rentenschere zu Leibe rükken will, muß zuerst eines tun: er muß gezielt die Kleinrenten anheben.
({17})
Das war die Politik der Union von der ersten Stunde an. Ich erinnere an die denkwürdige Sitzung
({18})
- das haben wir vorgeschlagen; Ihr Minister sagte dann: Das steht gar nicht auf unserer Tagesordnung -,
({19})
als der Herr Kollege Wehner hier - das wissen Sie doch alle noch - zu später Abendstunde sagte: Ich verstehe nicht so schrecklich viel von diesen Dingen, aber warum kann man denn dieses Problem nicht anpacken? - Ich bin sofort hier heraufgegangen und habe gesagt: Aber bitte sehr, wenn Sie das wollen, haben Sie uns auf Ihrer Seite; dann sagen Sie Ihrem Arbeitsminister Bescheid, daß er entsprechend mitzieht.
({20})
Von der Stunde an haben wir das doch erst hier im Bundestag behandeln können. Das war doch die Position.
Ich wiederhole: Wer der Problematik der Rentenschere zu Leibe rücken will, muß zuerst gezielt die Kleinrenten anheben.
In der Debatte über unsere Große Anfrage zu den inneren Reformen im März 1971 habe ich dies als ein sozialpolitisches Anliegen von besonderer Dringlichkeit bezeichnet: Müssen die Krankenschwestern, die
früher zu niedrig entlohnt wurden, Landarbeiter, Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen mit geringen Verdiensten für die damaligen Ungerechtigkeiten auch heute noch bestraft werden, indem sie eine zu niedrige Alterssicherung bekommen? Das Konzept der Union hilft diesen Menschen mehr als der Vorschlag der Regierung. Es ist auch teurer, allerdings nicht in dem Maße, wie Sie es darstellen. Unser Konzept hilft den Menschen mehr. Das hat auch der Dramatiker Rolf Hochhuth jüngst in einer Fernsehaufzeichnung eingeräumt. Diese Einsicht haben Sie von der Regierungskoalition bisher leider vermissen lassen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat sich von Anfang an gegen eine Rentenpolitik mit Schlagseite ausgesprochen, nämlich entweder die Rentner oder die noch Erwerbstätigen zu berücksichtigen. Unsere Priorität für die Anhebung der Renten war nicht gegen die flexible Altersgrenze gerichtet. Im Gegenteil, wir haben stets betont, daß erst ausreichende Renten die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze sind.
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Durch eigene Berechnungen über die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung haben wir nachgewiesen, daß beide Maßnahmen finanzierbar sind.
Die Union hat sich in ihrem Berliner Programm ausdrücklich zur flexiblen Altersgrenze bekannt. Wir sehen die Einführung einer flexiblen Altersgrenze als eine sozialpolitische Forderung von hohem Rang an. Verläuft doch der Alterungsprozeß individuell unterschiedlich! Auch die persönliche Wahlfreiheit, den Beginn des Ruhestands selbst zu bestimmen, halten wir für ein nur allzu berechtigtes Anliegen. Wir wollen den einzelnen in die Lage versetzen, von seinem Lebensabend etwas zu haben. Daher will die CDU/CSU-Fraktion heute eine flexible Altersgrenze einführen, die dem einzelnen zwischen dem 63. und 67. Lebensjahr eine wirkliche Wahlfreiheit einräumt.
({22})
Wenn wir „flexibel" sagen, dann meinen wir das auch, dann meinen wir damit nicht nur eine Herabsetzung der Altersgrenze.
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Da wir eine ausreichende Höhe der Rente als Voraussetzung ansehen, haben wir versicherungsmathematische Abschläge, wie sie da und dort gefordert wurden, abgelehnt. Es wäre unlogisch, auf der einen Seite das Rentenniveau zu erhöhen und gleichzeitig die Renten durch Abschläge zu kürzen. Umgekehrt halten wir es jedoch für gerecht, demjenigen, der mit dem Rentenbezug noch wartet, durch einen versicherungsmathematischen Zuschlag einen Ausgleich für die kürzere Laufdauer der Rente zu geben. Dieser Zuschlag beträgt 5% der Rente pro Jahr. Hinzu kommen jährlich rund 2,5 %, die sich aus der geltenden Rentenformel ergeben.
Damit kann der einzelne selbst entscheiden, ob er für eine längere Laufdauer die normale oder für eine kürzere Laufdauer die erhöhte Rente in Anspruch nehmen will. So scheint uns der Grundsatz
der persönlichen Wahlfreiheit in optimaler Weise verwirklicht zu sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß von diesen ins Gewicht fallenden Erhöhungen in größerem Umfang Gebrauch gemacht wird. Es ist uns eine Genugtuung, daß hier die Chance geboten wird, eine nicht ausreichende Rente in verhältnismäßig kurzer Zeit wesentlich zu erhöhen. Dies wird für nicht wenige Arbeitnehmer erst die reale Möglichkeit sein, unbefriedigende Aussichten hinsichtlich der eigenen oder der Alterssicherung der Ehefrau zum Besseren zu wenden. Daher schließen wir uns nicht der .Auffassung an, daß durch die Zulassung unbeschränkter Erwerbstätigkeit neben der Altersrente nun hundert Prozent der Berechtigten vom Recht auf vorgezogenes Altersruhegeld Gebrauch machen würden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, widerspricht es, glaube ich, unserer freiheitlichen Ordnung, wenn wir es dem Rentner verbieten, was jedem Beamten erlaubt ist: daß er ungeachtet seines Ruhegeldes noch die Tätigkeit ausübt, für die er auf Grund seiner Konstitution geeignet ist.
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Der Regierungsvorschlag sah ursprünglich keine Zuschläge vor. Er wollte den zukünftigen Rentnern die Möglichkeit derartiger Zuschläge vorenthalten. Die Koalitionsfraktionen sind nunmehr - ich begrüße das sehr - bereit, Zuschläge einzuführen
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- dazu habe ich vorhin etwas gesagt; das hätten Sie gemerkt, wenn Sie zugehört hätten -, aber merkwürdigerweise mit einer völlig falschen Staffelung. Der Zuschlag im 64. Lebensjahr soll minimal sein, im 67. dagegen besonders hoch. Daß diese Staffelung dem Alterungsprozeß genau entgegengesetzt verläuft, erscheint mir offensichtlich. Wenn schon eine Staffelung der Zuschläge, die natürlich auch eine zusätzliche Komplizierung unseres Rentenrechts bedeutet, so müßte sie eher in umgekehrter Richtung laufen. Wir sehen daher in diesem Punkt keinen Anlaß, von dem von uns vorgelegten Antrag abzugehen.
Es ist die Pflicht verantwortungsvoller Politik, an dieser Stelle zu erklären, daß alle drei Parteien des Bundestages darin übereinstimmen, als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze eine Versicherungszeit von 35 Jahren festzusetzen. Ich sehe die Problematik sehr wohl, die hierin liegt; doch ist eine andere Lösung im gegenwärtigen Zeitpunkt aus finanziellen Gründen nicht möglich.
Wir haben es immer als einen Vorzug der gegenwärtigen Rentenregelung betrachtet, daß es niemanden etwas angeht, ob ein Rentner neben seiner Rente noch etwas verdient oder nicht. Die Koalitionsfraktionen sind hier, wie ich vorhin sagte, anderer Ansicht, - noch anderer Ansicht; vielleicht ändert sich das noch. Wir sehen jedenfalls in einem Verbot der Arbeit neben der Rente eine inhumane Einschränkung der Gestaltung der Lebensmöglichkeiten des einzelnen.
({26})
Außerdem, meine Damen und Herren, würde ein solches Verbot zu einer Welle von Schwarzarbeit führen. Eine Überwachung des Beschäftigungsverbots wäre nach sachverständiger Auskunft nach dem gegenwärtigen Stand überhaupt nicht möglich. Wer sollte das auch tun? Sollte dieses Verbot dennoch durchgesetzt werden, müßte ein zusätzlicher Apparat aufgebaut werden, eine neue Bürokratie mit dem Auftrag, unseren älteren Mitbürgern nachzuspionieren, ob sie nun während des Rentenbezugs auch noch diese oder jene Nebentätigkeit haben. All dies paßt nicht in das Konzept der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union.
({27})
Deshalb werden wir bei unserem Vorschlag bleiben.
Was der Regierungsvorschlag an Nebenerwerbsmöglichkeit bietet, ist außerdem in der Praxis weitgehend, so glaube ich, unrealistisch; denn nach den Angaben der Bundesanstalt für Arbeit ist das Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen für Männer minimal. Teilweise ist der Teilzeitarbeitsmarkt sogar geschlossen. Wir bedauern dies und werden Anstrengungen von uns aus unternehmen, um durch eine Auswertung der Teilzeitarbeitsplätze einen gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand zu ermöglichen. Die CDU/CSU-Fraktion wird daher die Altersgrenze nach ihren Vorstellungen hier im Parlament zur Abstimmung stellen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt anschneiden: die Frage der sozialen Sicherung der Frau. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion betrachtet die Reform der sozialen Sicherung der Frau als eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben. In der Regel beruht die soziale Sicherung der Hausfrauen und Mütter auf Ansprüchen, die von denen des Ehemannes abgeleitet sind. Dieses Sicherungssystem wird dem eigenständigen Wert der Arbeit der Frau im Haushalt und der gewandelten Stellung der Frau in Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr gerecht. Wir brauchen eine soziale Absicherung der Frau, die sowohl die gesellschaftlichen Leistungen der Frau für Kinder und Familie als auch die Frauenerwerbstätigkeit berücksichtigt. Wir wenden uns dagegen, daß der Versuch unternommen wird, ein staatlich verordnetes Leitbild der Rolle der Frau in der Gesellschaft vorzuzeigen.
({28})
Es ist nach unserer Ansicht Aufgabe der Politik, den Frauen die Möglichkeit zu verschaffen, selbst zu entscheiden, welchen Platz in der Gesellschaft sie ausfüllen wollen. Dieser individuellen Entscheidung der Frau muß auch die Ausgestaltung der sozialen Sicherung entsprechen. Ich halte nichts davon, die NurHausfrau zu diskreditieren. Denn die Frau, die zu Hause ist und die Kinder großzieht, hat den gleichen Rang und die gleiche Stellung in der Gesellschaft wie die Frau, die nebenher noch einer Berufstätigkeit nachgeht.
({29})
Wir müssen beides den Frauen als Chance für ihre individuelle Lebensgestaltung eröffnen.
Als ersten Schritt wollen wir heute die Rente nach Mindesteinkommen verwirklichen. Nach unserem Vorschlag werden etwa 800 000 Frauen Rentenaufbesserungen von zum Teil 100 DM und mehr erhalten.
Wir sind auch dafür, daß Hausfrauen das Recht der freiwiligen Beitragsleistung in der Rentenversicherung haben sollen. Bisher setzt dies eine fünfjährige Pflichtversicherungszeit voraus. Aber, meine Damen und Herren, niemand glaube, daß durch eine solche Öffnung der Rentenversicherung praktisch die Hausfrauenrente geschaffen werde. Hier muß man doch einfach vor der Weckung von Illusionen warnen. Von einer solchen Öffnung werden nur die finanziell besonders gut gestellten Frauen Gebrauch machen können.
({30})
Ich nenne einmal eine Zahl, damit das realistisch betrachtet wird. Eine Frau, die bisher keinen eigenen Rentenanspruch hatte, muß für eine monatliche Altersrente in Höhe von 266,80 DM nach dem Entwurf der CDU/CSU bzw. 225 DM nach dem Entwurf der SPD/FDP-Fraktionen 26 784 DM an Beiträgen nachentrichten. Das ist doch nur ein ganz kleiner Teil unserer Bevölkerung, der überhaupt mit solch einem Gedanken spielen kann. Das müssen wir doch hier klar sagen.
({31})
Wenn wir diese Möglichkeit einräumen, dann wird wenigstens kein anderer Teil dadurch geschädigt. Etwas anderes gilt für den Vorschlag der Regierungskoalition, das sogenannte Baby-Jahr einzuführen. Dies kostet 18 Milliarden DM. 18 Milliarden müssen die Rentenversicherten für diesen Vorschlag bis 1986 aufbringen, und wer weiß, ob das schon das Ende sein soll. In den Genuß dieser Rentensteigerung kämen allerdings nur 1,6 % der 19 Millionen Frauen mit Kindern im Jahre 1973.
({32})
Die Rentnerinnen - das sind über 2,5 Millionen Frauen - und alle Frauen, die über keinen eigenen Rentenanspruch verfügen, werden davon ausgeschlossen.
Hinzu kommt, daß eine Frau mit dem höchsten Einkommen, das der Rentenversicherungspflicht unterliegt, einen Vorteil von monatlich 23 DM hätte, während eine Frau, die nur die geringeren Beiträge entrichten könnte, einen Vorteil von lediglich 1,20 DM monatlich hätte. Schließlich wird bei diesem Vorschlag überhaupt nicht beachtet, ob eine Frau ihr Kind nun tatsächlich auch großgezogen hat; es wird lediglich auf die Geburt abgestellt.
Dies scheinen mir einige entscheidende Einwände zu sein. Deshalb schlägt die Union als wichtigstes Ziel für die Gesamtlösung dieser Frage einen Stufenplan für die kommende Legislaturperiode vor. Wir wollen stufenweise die Einführung einer eigenständigen Alterssicherung der Frau und das schwierigste aller zu lösenden Probleme: die Verbesserung' der Witwenrenten. Denn hier muß in der Tat ein Stück Gleichberechtigung noch verwirklicht werden. Die Frauen empfinden es mit Recht als bedrückend,
daß beim Tode des Ehemannes die Rente der Witwe auf 60 °/o gekürzt wird, obwohl ein großer Teil der bisherigen Ausgaben für den gemeinsamen Haushalt weiterläuft.
Ein Stück Eigenständigkeit wird für die Frauen auch die von uns vorgeschlagene Unfallversicherung für Hausfrauen bieten. Hier liegt eine Lücke im System unserer sozialen Sicherung vor, erleiden doch in der Bundesrepublik jährlich rund 15 000 Frauen Unfälle im Haushalt, die zur Dauerinvalidität führen.
Für erwerbstätige Frauen ergeben sich heute besondere Probleme, wenn ein Kind erkrankt ist. Wir haben in einem Gesetzentwurf vorgesehen, daß die berufstätige Mutter, die ein krankes Kind zu Hause pflegt und daher der Arbeit fernbleiben muß, ein Pflegegeld von der Krankenversicherung in Höhe des Krankengeldes erhält. Dieser Gesetzentwurf fällt nun der vorzeitigen Auflösung des Bundestages zum Opfer; die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihn in der kommenden Legislaturperiode erneut einbringen.
Eine Bemerkung zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige! Die Regierungsvorschläge hierzu haben von Anfang an daran gekrankt, daß sie Selbständige, d. h. Personen mit Erwerbseinkommen, und Hausfrauen, d. h. Personen ohne eigenes Einkommen, in einen Topf geworfen haben. Unser Gesetzentwurf räumt dem Selbständigen die Wahlmöglichkeit ein, in die Rentenversicherung einzutreten oder nicht. Wenn er es tut, dann allerdings zu gleichen Rechten und gleichen Pflichten wie der Arbeitnehmer auch. Das war unsere Position von Anfang an.
Der Kostenaufwand für das Programm der CDU/ CSU ist nach den Annahmen des Rentenanpassungsberichtes mit 151 Milliarden DM zu veranschlagen. Unterstellt man die neuen Lohnannahmen der Bundesregierung als richtig, erhöht sich diese Zahl auf 165 bis 170 Milliarden DM. Zwar kostet der Kleinstrentenantrag der CDU/CSU-Fraktion rund 3 Milliarden DM mehr als der entsprechende Entwurf der Regierungskoalition, dafür ist im Programm der CDU/CSU jedoch das sogenannte Baby-Jahr nicht enthalten, das von der Regierung bis 1986 auf 18 Milliarden DM veranschlagt wird. Mit einer Verdoppelung, ja sogar Verdreifachung dieses Aufwandes kann sicher gerechnet werden, weil der Forderung nach Ausbau und Ausweitung auf zwei oder drei Jahre in Zukunft kaum wird widersprochen werden können, wenn es erst einmal eingeführt ist.
Die Bundesregierung bezweifelt die Richtigkeit der Berechnungen der CDU/CSU. Das ist nichts Neues. Beim Vermögen der Rentenversicherung mit 200 Milliarden DM im vergangenen Jahr und bei der flexiblen Altersgrenze mit Berücksichtigung der demographischen Entwicklung haben wir das alles hier schon einmal erlebt. Ich versage es mir, auf die Äußerungen von sozialdemokratischen Kollegen zurückzukommen, die vom 200-Milliardenrausch der CDU/CSU sprechen, wozu dann der Herr Arbeitsminister wenige Wochen später zugeben mußte, daß es bis 1986 exakt 205 Milliarden DM sein würden. Nun haben Sie noch einmal hochgerechnet um weitere 20 Milliarden DM.
Nun, meine Damen und Herren, unser Kleinstrentenantrag und die Kosten der flexiblen Altersgrenze nach dem Vorschlag der CDU, das sind die zwei strittigen Punkte hinsichtlich der Finanzen:
Zum ersten: Die Berechnungen der Bundesregierung kommen deshalb zu einem höheren Aufwand für die Kleinrenten, weil die Bundesregierung nicht hinreichend berücksichtigt hat, daß nach unserem Vorschlag nur Rentenbestandteile, die auf Pflichtbeiträgen beruhen, erhöht werden sollen, und zusätzlich von der Bundesregierung nicht berücksichtigt wurde, daß der Anteil der Personen, die unter 75% des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten zur Verfügung haben, sowohl in der Vergangenheit zurückgegangen ist als auch ganz sicherlich in der Zukunft zurückgehen wird. Wir sind also der Meinung, daß die Berechnungen der Bundesregierung in diesem Punkt schlicht fehlerhaft sind.
Bei der flexiblen Altersgrenze hingegen schätzt die Regierung das Verhalten der Versicherten anders ein als die CDU/CSU. Die Bundesregierung tut so, als würde bei der von der CDU/CSU geforderten unbegrenzten Erwerbsmöglichkeit die flexible Altersgrenze zu 90 % und nicht zu 70 %, wie es die Bundesregierung für ihren eigenen Vorschlag unterstellt, in Anspruch genommen. Dies halten wir für unrealistisch. Tatsächlich rechnen Rentenexperten, so z. B. der Versicherungsmathematiker Herr Dr. Heubeck, noch jüngst in einem Interview, nur mit einer Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze nach dem Vorschlag der CDU/CSU von 30 % bis 50 %. Dafür sprechen im übrigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern, z. B. in Schweden, wo eine ähnlich ausgestaltete flexible Altersgrenze vorliegt, die nur zu 5 bis 10 % in Anspruch genommen wird.
Hierzu nur noch ein Wort. Die nach dem Regierungskonzept vorgesehene Beschränkung der Erwerbstätigkeit mag zwar geeignet sein, die Rentenfinanzen noch mehr zu schonen, als es das CDU/ CSU-Konzept tut. Entsprechend höher wird jedoch die Belastung des Haushalts - Herr Kollege Schellenberg, das sollte nicht übersehen werden -, weil über ein verringertes Arbeitsangebot auch das Wirtschaftswachstum und mithin die Steuereinnahmen vermindert werden. Steuerausfälle in der Größenordnung von 200 Millionen DM bis 1 Milliarde DM könnten die Folge der Beschränkung der Erwerbsmöglichkeit sein. Wir sind verpflichtet, hier auf die Zusammenhänge zu achten und nicht nur auf die Rentenfinanzen zu schauen.
Meine Damen und Herren, das ist in groben Zügen die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach anderthalbjährigem Ringen um die Weiterführung der Reform der sozialen Rentenversicherung. Die Weiterentwicklung der Alterssicherung unseres Volkes entsprechend diesem Konzept ist, so glauben wir, eine Reform, die diesen Namen wirklich verdient. Wir haben uns dabei von den Bedürfnissen des Menschen leiten lassen, und zwar des einzelnen Menschen.. Denn für uns - das ist die Richtschnur gewesen, mit der wir vor anderthalb
Jahren angetreten sind und an die wir uns heute in diesem Bereich halten wollen - steht der Mensch im Mittelpunkt, der einzelne konkrete Mensch. Er ist uns wichtiger als Organisationen und Systeme.
({33})
Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, daß es heute schwer sein wird, Sachargumente abzuwägen; denn ich gehe davon aus - das hat auch die Rede meines verehrten Vorgängers gezeigt -: Heute soll es der Bundesregierung mal „gegeben" werden, heute soll Stärke demonstriert werden.
({0})
Ich muß dennoch zunächst den Blick in die Vergangenheit richten. Herr Katzer hat davon gesprochen, daß die Vorstellungen der Opposition ein geschlossenes Konzept beinhalten, das sich an Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande richte. Es ist wahr: Sie hatten 20 Jahre Zeit, sich um die Lösung der Probleme zu bemühen, und Sie haben diese Probleme nicht gelöst. Denn, meine Damen und Herren, niedrige Renten gibt es doch nicht erst seit dem Tage, seitdem der Bundeskanzler Willy Brandt heißt.
({1})
Daß die soziale Sicherung der Frau unzureichend ist, ist doch keine Erkenntnis, die wir erst heute gewonnen haben.
({2})
Die Tatsache, daß mehr als die Hälfte der Beschäftigten das 65. Lebensjahr im Betrieb überhaupt nicht erreicht, sondern vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden muß, weil diese Menschen am Arbeitsplatz entweder berufsunfähig oder gar erwerbsunfähig geworden sind, ist doch keine neue Erkenntnis.
({3})
Daß Gruppen unserer Bevölkerung, seien es Selbständige, seien es nicht erwerbstätige Frauen, der Zutritt zur Rentenversicherung verwehrt war, darauf sind wir doch nicht erst heute gekommen. Sie hatten 20 Jahre Zeit, diese Fragen anzupacken und sie zu lösen.
({4})
Herr Kollege Katzer, ich will das ganz friedlich und sachlich machen, soweit es möglich ist. Aber ich muß doch auf das Papier der CDU/CSU-Fraktion vom 20. August 1969 verweisen. Darin wurde die Grundlage der Sozial- und Gesellschaftspolitik der CDU/CSU für die 6. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages konzipiert. Was steht in diesem Papier? Da heißt es z. B.: Renten nach Mindesteinkommen kommen nicht in Frage, die Bezieher niedriger Renten werden auf die Sozialhilfe verwiesen. Ferner steht darin: Die flexible Altersgrenze geht nicht, das machen wir nicht. In diesem Papier
steht weiter: Die auskömmliche soziale Sicherung der Frau können wir auch nicht durchführen, weil dafür die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind. Man muß sich einmal vorstellen: Wenn 1969 nicht diese Bundesregierung ins Amt gekommen wäre, sondern die Opposition weiter die Verantwortung getragen hätte, dann wäre wahrscheinlich dieses Papier die Grundlage für die Sozial- und Gesellschaftspolitik dieser 6. Legislaturperiode gewesen.
({5})
Das heißt im Klartext: Es wäre überhaupt nichts gekommen.
({6})
- Herr Kollege Russe, Ihr Sprecher hat ja den Leidensweg und die Leidensstationen Ihrer sogenannten geschlossenen Konzeption hier vorgetragen. Er hat dargelegt, wie lange Sie gebraucht haben, beispielsweise den Antrag über die Einführung der flexiblen Altersgrenze hier vorzulegen. Das war genau in der Sommerpause dieses Jahres, 1972.
Als am 28. Oktober 1969 der Bundeskanzler seine Regierungserklärung abgab und in dieser Regierungserklärung angekündigt wurde, daß diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen die Frage der flexiblen Altersgrenze anpacken würden, als angekündigt wurde, daß wir die Rentenversicherung öffnen wollten für Gruppen, denen der Zutritt zur Rentenversicherung bisher verwehrt war, da haben Sie - das gebe ich zu - ein Kontrastprogramm entwickelt. Da mußte ein Kontrastprogramm her. Sie wollten im Grunde genommen - lassen Sie mich das einmal ganz deutlich aussprechen - die Rentner gegen die Versicherten ausspielen.
({7})
- Mein Vorredner hat noch einmal darauf hingewiesen. Er hat gesagt, wir wollten den Rentnern etwas vorenthalten. Was in der Finanzrechnung bis zum Jahre 1986 an Überschüssen errechnet wird, liegt doch gar nicht in den Tresoren des Arbeitsministeriums. Das müssen die Versicherten von heute erst einmal durch ihre Beiträge aufbringen. Hier wird den Rentnern nichts vorenthalten.
Sie sollten sich auch daran erinnern, daß wir, diese Regierung und diese Regierungskoalition, nicht nur den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner abgeschafft haben und daß es seit dem 1. Januar 1970 wieder die ungekürzte Rente gibt, sondern daß wir im April dieses Jahres den Rentnerinnen und Rentnern die in den Jahren 1968 und 1969 geleisteten Krankenversicherungsbeiträge auch zurückerstattet haben.
({8})
Ich kann zu dem Ergebnis kommen: Die Rentenerhöhungen im Jahre 1972 waren niedrig. Das Jahr 1972 ist das letzte Jahr, in dem sich die Rezessionsjahre auswirken. In der nächsten, übernächsten und überübernächsten Anpassung wirkt sich die Vollbeschäftigungspolitik dieser Bundesregierung aus, und dann werden die Anpassungssätze höher sein.
({9})
Wir haben im Jahre 1972 durch die allgemeine Anpassung, durch den Wegfall des Krankenversicherungsbeitrages, durch die Rückerstattung dieser Beiträge für 1968/69 das Durchschnittseinkommen der Rentner um annähernd 10 % erhöht. Das bedeutet - wenn ich das tarifpolitisch ausdrücken darf -, daß die Rentner mit in der Spitzengruppe der Lohnentwicklung im Jahre 1972 stehen.
({10})
Wir haben schon im vergangenen Jahr auf der Grundlage der Regierungserklärung ein Reformwerk vorgelegt. In diesem Reformwerk war vorgesehen, daß z. B. die Öffnung der Rentenversicherung Wirklichkeit werden sollte. Da war vorgesehen, daß die Rente nach Mindesteinkommen eingeführt werden sollte. Da war vorgesehen, daß wir den ersten Schritt zur flexiblen Altersgrenze machen, und da war vorgesehen, daß wir ein Baby-Jahr für die erwerbstätigen Frauen einführen.
Dieses Programm war ausgewogen und finanziell gesichert. Es richtete sich an die Rentner wie an die Versicherten, die Frauen wurden genauso begünstigt wie die Männer. Es war ein wohlabgewogenes Programm.
Sie haben dagegen Ihre Vorstellungen sukzessive vorgelegt, und zur flexiblen Altersgrenze - das habe ich schon gesagt - konnten Sie sich erst im Sommer 1972 entschließen, nachdem Sie vorher über Abschläge diskutiert haben.
({11})
Nun will ich jetzt gar nicht auf alle einzelnen Punkte eingehen. Ich wollte nur eine Bemerkung machen zur flexiblen Altersgrenze nach Ihren Vorstellungen, meine Damen und Herren von der Opposition. Was Sie im Kern in Ihrem Vorschlag vorsehen, ist, daß der 63jährige nicht nur sein Arbeitseinkommen, sondern auch seine Rente soll nebenher beziehen können. Ich glaube, Sie in Ihrer Fraktion hätten alle Veranlassung, einmal ernsthaft und noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob das der richtige Weg ist, wenn der Arbeitnehmer neben seinem Lohn seine volle Rente beziehen kann.
Das ist auch der Grund, warum wir zu einer höheren Ianspruchnahme bei Ihrem Vorschlag kommen. Denn soviel Unverständnis können Sie keinem Arbeitnehmer unterstellen, daß er, wenn er die Möglichkeit hätte, zu seinem Lohn auch noch die Rente zu nehmen, das nicht machen würde.
({12})
Aber es kommt noch etwas ganz anderes hinzu, und das muß man auch sehen,
({13})
wenn Ihr Entwurf zum Tragen käme. - Verehrter Herr Zwischenrufer, Sie sind doch ein Mann der Praxis - ({14})
Sie müssen das doch aus den Betrieben wissen. Ich
sage es einmal anders: Nach Ihrem Vorschlag wird
die flexible Altersgrenze im Grunde genommen ein
Disziplinierungsmittel für sogenannte renitente Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit.
({15})
Nur der kann Rente und Arbeitseinkommen beziehen, der einen Arbeitsplatz hat.
({16})
- Herr Böhme, über diese Disziplinierungsmittel müssen Sie gerade reden. - Diese Möglichkeit ist im Grunde genommen in das Belieben eines Dritten gestellt. Hier wird dem Versicherten nicht der Freiheits- und Spielraum eröffnet, in einem bestimmten Altersabschnitt selbst entscheiden zu können, ob er in die Rente gehen oder weiterarbeiten will, sondern hier wird ein Dritter entscheiden, wie die Möglichkeit der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze gegeben ist.
Präsident von Hassel: Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Böhme?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, würden Sie bitte einmal erklären, wie Sie Ihren soeben gemachten Vorwurf, daß es sich um ein Bestrafungsmittel für renitente Arbeitnehmer handle. begründen. Mir ist das nämlich - wenn ich das sagen darf - nicht klar, und ich bitte da um Erklärung, wieso gerade dadurch, daß jemand arbeiten kann und Rente bezieht, wie Sie es soeben ausgeführt haben, vom Arbeitgeber bestraft werden könnte.
Herr Böhme, da Sie sich in diesen Praktiken ganz sicherlich auskennen, bin ich sicher, daß Sie wissen, was ich meine. Aber ich will es Ihnen gern noch einmal sagen. Nach Ihrem Vorschlag kann ein Arbeitnehmer nur dann Rente beziehen, weiter Arbeit verrichten und sein Arbeitseinkommen erhalten, wenn er einen Arbeitsplatz hat.
({0})
- Nein, Sie brauchen gar nicht so zu lachen! Sie wissen es ja - nein, Sie wissen es nicht -, wie das in der Praxis aussieht! Können Sie sich an die Debatten über das Betriebsverfassungsgesetz erinnern? Was glauben Sie denn, wieviel Betriebe noch existieren, die keinen Betriebsrat haben!? Da braucht nur ein einziger Fall aufgegriffen zu werden. Ich sage Ihnen, diejenigen Arbeitnehmer, die sich nicht in das Gesamtkonzept einfügen, werden „kleine Brötchen backen" müssen, damit sie nämlich neben der Rente auch ihr Arbeitseinkommen beziehen können.
({1})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, ich möchte meine Ausführungen jetzt beenden. - Das ist die Praxis. Und wenn Sie noch einen Blick in die Praxis werfen: Sie wissen, daß eine ganze Reihe von Arbeitnehmern den Strapazen des modernen Industriebetriebs nicht mehr gewachsen sind und daß sie als berufsunfähig oder erwerbsunfähig vorher ausscheiden müssen. Was soll denn eine solche Theorie, daß auch der seinen Arbeitsplatz erhalten kann, heute schon den Arzt aufsuchen muß, um eine Berufsunfähigkeitsrente zu bekommen?! Das stimmt doch vorn und hinten nicht!
({0})
Meine Damen und Herren, und dann sage ich Ihnen noch etwas anderes: Ihre Vorstellungen zur flexiblen Altersgrenze sind geeignet, die flexible Altersgrenze unmöglich zu machen.
({1})
Was hier im Grunde genommen für die flexible Altersgrenze gilt, das gilt auch für Ihre Vorstellungen von der Rente nach Mindesteinkommen, das gilt zu einem Teil für die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige, und das gilt natürlich nicht, weil Sie es gar nicht in Ihrem Konzept haben, für die Einführung des Baby-Jahres; das wollen Sie ganz ausschalten.
Ich sage Ihnen: das, was der sozialpolitische Ausschuß des Bundestages auf der Grundlage der Regierungsentwürfe in seiner Sondersitzung erarbeitet hat, ist ein guter Beitrag, um die Interessen der Versicherten und der Rentner, der Frauen und der Männer, zu verbessern. Es ist ein Beitrag, das System unserer sozialen Sicherung zu vervollkommnen und auf einen modernen Stand zu bringen.
({2})
Ich bitte Sie alle recht herzlich, dieser Ausschußvorlage in der heutigen zweiten Lesung Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schellenberg. Für ihn hat die Fraktion der SPD eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesarbeitsminister hat überzeugend
({0})
die Versäumnisse der CDU-Sozialpolitik von 20 Jahren dargelegt.
({1})
Herr Katzer wollte mit seinen Ausführungen vergessen machen, daß die CDU/CSU in dieser Legislaturperiode
({2})
soziale Reformen überhaupt nicht wollte; das hat sie dokumentiert. Sie hat in ihrem Programm für diese Legislaturperiode erklärt:
Die Leistungen in unserem sozialen Sicherungssystem sind so hoch und im ganzen so ausgewogen, daß wir keine aufwendigen strukturellen Leistungsverbesserungen mehr anstreben wollten.
So die Erklärung der CDU/CSU zu Beginn der Legislaturperiode.
Zu der vom Herrn Bundeskanzler angekündigten Reformpolitik hat Herr Katzer hier am 20. Oktober 1969 wörtlich gesagt:
Wenn in der Regierungserklärung von Reformen gesprochen wird, so haben wir es hier mit verbalen Allgemeinheiten zu tun.
({3})
Herr Katzer meinte also, das Reformprogramm der Regierungserklärung als allgemeines Gerede abtun zu können. Damit, Herr Katzer, haben Sie den Reformwillen der sozialliberalen Koalition desavouieren wollen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Götz?
Bitte schön!
Herr Kollege Professor Schellenberg, wären Sie nicht endlich bereit, sich in der Frage der Beurteilung dessen, was die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion sich für die Sozialpolitik in dieser Legislaturperiode vorgenommen hat und vorhatte, in erster Linie an das Parteiprogramm der CDU/CSU und zweitens insbesondere an die zahlreichen Initiativen zu halten, die wir in dieser Legislaturperiode eingebracht haben? Ich meine, dies ist der allein gültige Maßstab für unsere Absicht, eine konstruktive Sozialpolitik auch in dieser Legislaturperiode zu betreiben.
({0})
Herr Kollege Götz, ich werde nachweisen, daß Sie zu diesen Initiativen erst gekommen sind, nachdem die sozialliberale Koalition Gesetzentwürfe vorgelegt hat.
({0})
Das sind die Fakten. Das will ich Ihnen beweisen.
Herr Dr. Barzel hat vorhin von Reformunfähigkeit der Regierung gesprochen;
({1})
das war Ihr Wort, Herr Kollege Dr. Barzel. Inzwischen sind wichtige Reformwerke der sozialliberalen Koalition verwirklicht worden, angekündigt in der Regierungserklärung:
Die Reform der Betriebsverfassung; sie hat mehr Demokratie im Arbeitsleben geschaffen.
({2})
Die Reform der Ausbildungsförderung; sie hat 400 000 jungen Menschen neue Chancen eröffnet.
({3})
Die Reform der Krankenversicherung, die Millionen von Erwachsenen und Kindern das Recht auf Vorsorgeuntersuchungen gewährt hat und allen Angestellten den Arbeitgeberanteil.
Die Reform der Unfallversicherung, die 10,5 Millionen Kinder, Schüler und Studenten in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen hat.
({4})
Die Reform des Wohngeld- und Mietrechts, die Millionen von Bürgern ein menschenwürdiges Leben sichert.
Die Reform der Kriegsopferversorgung, die durch die Dynamisierung der Kriegsopferrente zu einem Markstein in der sozialpolitischen Entwicklung wurde.
Meine Damen und Herren, heute stehen wir wieder vor der Verabschiedung einer großen Reform, die die sozialliberale Koalition im Bundestag vorgelegt hat.
({5})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Kollege Schellenberg, wären Sie bereit, im Interesse intellektueller Redlichkeit
({0})
zuzugeben, daß zu all den aufgeführten Reformwerken die Opposition Alternativen in dieses Hohe Haus eingebracht hat, die Sie dazu gezwungen haben, die Alternativen der Opposition zu übernehmen, damit es überhaupt zur Verabschiedung dieser Reformgesetze gekommen ist?
({1})
Herr Kollege Breidbach, ich erinnere mich daran, daß über 90 % der Mitglieder Ihrer Fraktion das Betriebsverfassungsgesetz abgelehnt haben!
({0})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme?
Nun spricht Herr Katzer immer davon - Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte fortfahren. - Nun sagt Herr Katzer immer: Wir, die
CDU/CSU, haben das bessere Konzept für die Rentenreform. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich muß Sie daran erinnern, daß Ihre Fraktion in den zentralen Fragen der Rentenreform
- wie flexible Altersgrenze und Öffnung der Rentenversicherung für alle Bürger - noch nicht einmal einen Gesetzentwurf zustande gebracht hat. Sie hat vielmehr entweder dazu in der letzten Runde der Ausschußberatungen Änderungsanträge nachgeschoben oder, wie bei der Herabsetzung der Altersgrenze für Schwerbeschädigte, noch nicht einmal einen Antrag gestellt. Dies obwohl Herr Katzer das als eine große Leistung der CDU/CSU dargestellt hat. Noch nicht einmal ein Antrag Ihrer Fraktion im Ausschuß lag dazu vor. Das sind die Tatsachen!
({0})
Um dieses Reformwerk, das wir heute verabschieden, mußte mit der Opposition hart gerungen werden.
({1})
- Sie haben erst einmal im Bremserhäuschen gesessen!
({2})
- Sie haben es in den ersten Wochen der Sommerpause unmöglich gemacht, das Gesetz zu verabschieden.
({3})
- Herr Breidbach, Sie waren im Ausschuß gar nicht dabei. Deshalb kann ich eine Frage von Ihnen dazu nicht zulassen. Sie kennen das alles nur aus Erzählungen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Ich möchte das nicht tun, weil Herr Breidbach bei den Ausschußberatungen nicht anwesend war oder nicht anwesend sein konnte. Ich möchte ihm bei den Tatsachen, die ich hier darlegen will, nicht die Möglichkeit von Zwischenfragen geben.
({0})
Tatsache 1! Der Bundesarbeitsminister hat überzeugend dargelegt, daß die CDU/CSU hierzu keine konstruktiven Vorschläge gemacht hat. Dabei will ich gar nicht bestreiten, daß in Ihrem Berliner Programm irgend etwas über die flexible Altersgrenze steht. Aber entscheidend ist hier die Politik, die gemacht wird!
({1})
Dabei haben Sie zu Beginn der Legislaturperiode die flexible Altersgrenze abgelehnt. Herr Dr. Barzel, Ihr Fraktionsvorsitzender, den ich zitieren möchte, hat noch im letzten Jahr, am 9. März 1971, die Pläne der Bundesregierung zur Einführung der flexiblen Altersgrenze als „leichtfertig genährte Hoffnungen und Erwartungen, die einer Nachprüfung nicht standhalten", bezeichnet.
({2})
Das war die Erklärung Ihres Fraktionsvorsitzenden, und dann sind Sie ins Bremserhäuschen gegangen!
({3})
Herr Kollege Katzer, Sie haben erklärt, Sie seien gegen die Rentenabschläge. Aber gerade aus Ihrer Fraktion liegen doch sehr konkrete Angaben über versicherungsmathematische Abschläge vor. - Herr Kollege Ruf?
Präsident von Hassel: Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf.
Herr Kollege Professor Schellenberg, Sie haben eben eine Äußerung von Herrn Dr. Barzel vom März 1971 zitiert. Sind Sie mit mir darin einig, daß im März 1971 ganz andere Zahlen über den rechnerisch verfügbaren Finanzierungsspielraum vorlagen als heute?
Im März 1971 gab es intensive Arbeiten der Bundesregierung, die flexible Altersgrenze zu verwirklichen; da gab es bereits einen Referentenentwurf dazu.
({0})
Das waren die Tatbestände, und diese flexible Altersgrenze wollten Sie damals verhindern!
({1})
Meine Damen und Herren!
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren!
({3})
-- Die Kollegen der FDP werden reichlich Gelegenheit haben, hier zu sprechen, und dann wird auch Kollege Mischnick die Möglichkeit haben, sich zu äußern.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist, daß erst in der allerletzten Runde der Ausschußberatungen die CDU/CSU-Fraktion ihren Kampf gegen die flexible Altersgrenze aufgegeben hat.
({4}) Eine zweite Tatsache! - ({5})
- Die CDU war zuerst gegen die Kleinrentner. Ursprünglich - vor dieser Legislaturperiode - hat die CDU/CSU erklärt:
Die Bereinigung des Problems der sogenannten Kleinrenten ist im Rahmen des Rentenversicherungsrechts nicht möglich, und soweit eine Kleinrente einzige Einkommensquelle ist, kann zusätzlich Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch genommen werden.
Das war Ihre Ausgangsposition. Erst als feststand
- nämlich durch den Referentenentwurf der Bundesregierung -, daß die sozialliberale Koalition Renten nach Mindesteinkommen einführen wollte, vollzog ,die CDU eine Kehrtwendung, und sie wollte dabei - und will dabei, koste es, was es wolle - jetzt die Bundesregierung übertreffen.
Bis zuletzt noch - bis zur letzten Woche - hat .die CDU/CSU im Ausschuß beantragt, künftig sollte allen Personen, die zwischen 290 DM und 1050 DM Einkommen im Monat haben, trotz außerordentlich unterschiedlicher Beiträge, die sie entrichten müssen, eine gleich hohe Rentenleistung gewährt werden. Eine solche skandalöse Gleichmacherei, die vielfältige Möglichkeiten der Manipulation bietet, wollten Sie als soziale Tat anpreisen. Heute stelle ich aus Ihren Anträgen mit Interesse fest, daß Sie endlich - jetzt endlich - von dieser Zielvorstellung abrücken.
Aber, meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, wie sich die CDU/CSU in Wirklichkeit zu Leistungsverbesserungen zugunsten der Kleinrentner verhalten hat. Es wurde die Bundestagsrede unseres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Wehners, erwähnt, der sich nachdrücklich für die Kleinrentner einsetzte. Wie haben Sie von der CDU/CSU sich denn zu unserem Vorschlag verhalten, im Interesse
- vor allem der Kleinrentner - den zusätzlichen Grundbetrag einzuführen? Darüber ist in der Öffentlichkeit viel geredet worden; aber, meine Damen und Herren, ich möchte klarstellen, worum es sich handelt.
({6})
- Das meinen Sie, weil Sie die sozialen Auswirkungen nicht kennen.
({7})
Der laufende Grundbetrag über die normale Anpassung hinaus hätte für den Zeitraum - - Bitte, Herr Franke!
({8})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ({9}) ?
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen die Einlassung eines Institutes bekannt, welches unter der Präsidentschaft Ihres Parteifreundes Klaus Dieter Arndt steht und folgendes geschrieben hat:
Die Einführung eines zumindest vorläufig nicht dynamisierten Leistungsteils widerspricht allen modernen Vorstellungen über moderne Geldleistungen. Nicht zuletzt steht sie im Gegensatz zu zahlreichen sozialpolitischen Maßnahmen der jüngeren Vergangenheit wie z. B. der Dynamisierung der Kriegsopferrenten und des Krankengeldes der gesetzlichen Krankenversicherung?
Franke ({0})
Kennen Sie dieses Zitat aus dem Blatt des Instituts für Wirtschaftsforschung unter der Präsidentschaft Ihres Freundes Klaus Dieter Arndt?
Ich kenne sogar den Herrn, der das verfaßt hat. Herr Rosenberg hat diesen Artikel geschrieben, der selbstverständlich unzensiert in dem Blatt des Instituts veröffentlicht wurde. Klaus Dieter Arndt hat mit dem Artikel gar nichts zu tun. Der Artikel ist lediglich in der Zeitschrift des Instituts veröffentlicht worden.
({0})
Jetzt will ich Ihnen einmal die sozialen Auswirkungen des Grundbetrages darstellen. Im Jahreszeitraum vom 1. Juli 1972 bis zum 30. Juni 1973 wäre dieser laufende Grundbetrag für alle Rentner und Witwen mit einer Rente von bis zu 421 DM vorteilhafter gewesen als die halbjährlich vorgezogene Anpassung. Das wäre - damit Sie es wissen - für 6,7 Millionen der insgesamt 10 Millionen Rentner,
({1})
darunter 90 % der berufs- und erwerbsunfähigen Frauen
({2})
und 77 % aller Witwen günstiger gewesen als die vorgezogene Anpassung.
({3}) Dagegen haben Sie mit allen Mitteln gefochten.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ruf?
Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie den Vorschlag eines Grundbetrages für alle Rentner schon für so gut halten, warum haben Sie ihn dann aufgegeben?
({0})
Ich will Ihnen das sagen. Sie haben das nicht nur als Fraktion strikt abgelehnt - das hätten wir im Plenum durchgestanden -; die Sprecher der CDU/CSU im Bundesrat haben ausdrücklich unter Hinweis darauf, daß dieses Gesetz ein Zustimmungsgesetz ist, erklärt, die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat würde dieses Gesetz an dem Grundbetrag scheitern lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, weil wir wissen, daß das Instrument des Vermittlungsausschusses nicht mehr greifen kann, hat die Koalition um die gesamte Rentenreform, auf die Millionen von Menschen in unserem Lande dringend warten, zu retten, dann auf den zusätzlichen Grundbetrag verzichtet und erklärt: Wir sind mit einer vorgezogenen Anpassung einverstanden. Wir haben dies aus Verantwortung - das war für uns der entscheidende Gesichtspunkt - getan, damit in diesem Bundestag vor seiner Auflösung überhaupt noch Leistungsverbesserungen für unsere Rentner beschlossen werden.
({1})
Nun zu einer dritten Tatsache. Zur sozialen Sicherung für Selbständige. Es war doch die CDU/CSU, die mit ihrer damaligen Mehrheit den Selbständigen mit Wirkung vom 1. Januar 1956 die Möglichkeit genommen hat, der gesetzlichen Rentenversicherung beizutreten. Alle Versuche der Sozialdemokraten und unseres freidemokratischen Koalitionspartners, diese Fehlentscheidung rückgängig zu machen, sind gescheitert. Herr Katzer kommt nicht um die Verantwortung dafür herum, daß der Auftrag des Bundestages von 1967, einen Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige vorzulegen, nicht erfüllt worden ist. Erst nachdem Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige angekündigt hatte, schwenkte die CDU auch in dieser Hinsicht ein. Ihr Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, mißachtet jedoch durch die Ablehnung der freiwilligen Versicherung die besonderen Bedürfnisse der selbständigen Existenzen.
({2})
- Ja, jetzt haben Sie endlich die Kurve genommen. In der allerletzten Runde haben Sie sich bezüglich der Freiwilligkeit dem Regierungsentwurf angeschlossen.
({3})
- Sie haben sich erst im Ausschuß für die freiwillige Versicherung entschieden, und jetzt im Plenum stellen Sie wieder den Antrag, Pflichtversicherung auf Antrag einzuführen. Damit wählen Sie einen doppelgleisigen Weg - aus Prestigegründen. Denn, meine Damen und Herren, ganz wenige Selbständige werden bei Beginn ihres Berufslebens eine unwiderrufliche Pflichtversicherung wählen, wenn sie die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung haben, die wir ihnen schaffen wollen.
Tatsache 4! Herr Kollege Katzer hat beredte Worte über die soziale Sicherung der Frauen gesprochen. Aber Tatsache ist, daß der Gesetzentwurf, den die CDU/CSU vorgelegt hat, die Hausfrauen von der Möglichkeit, Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung zu werden, ausdrücklich ausschließt. Meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, ich muß Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie sich bis jetzt - auch in dem Änderungsantrag - gegen die Gleichberechtigung der Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung wehren.
({4})
- Sie wollen nämlich den nicht erwerbstätigen Hausfrauen Zeiten der Mutterschaft, Zeiten der Krankheit, Zeiten der Ausbildung nicht gewähren und machen damit die Versicherung dieser Hausfrauen zu einer Versicherung minderen Rechts - ungeachtet der schönen Worte, die Herr Katzer hier gesagt hat.
({5})
Dann hat Herr Katzer von dem Baby-Jahr gesprochen, das war sehr widerspruchsvoll, Herr Katzer. Sie sagten zuerst, es würden nur etwas mehr als 1 Prozent der Frauen begünstigt. Dann aber sagten Sie, das Baby-Jahr koste insgesamt 18 Milliarden. Das ist ein ganz offensichtlicher Widerspruch.
({6})
Das Baby-Jahr läuft langsam an, schrittweise, aber dann soll es allen versicherten Frauen zugute kommen.
({7})
Meine Damen und Herren, die sozialliberale Koalition hat beantragt - und das ist der Ausschußbeschluß -, durch das Baby-Jahr für versicherte Mütter mehr soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das will die CDU/CSU ablehnen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich muß Ihnen sagen, ungeachtet aller guten Worte von Herrn Katzer ist das für uns eine mütterfeindliche Haltung.
({8})
Die 4 Tatsachen, die ich dargelegt habe, zeigen, daß wir hart mit Ihnen um die Verwirklichung der Rentenreform ringen müssen.
({9})
Meine Damen und Herren, heute verwirklicht die sozialliberale Koalition ihr Reformversprechen: Einführung der flexiblen Altersgrenze, Rente nach Mindesteinkommen, soziale Sicherung der Selbständigen, Öffnung der Rentenversicherung für Hausfrauen.
Nun zu der Frage der Leistungsverbesserungen für die Rentner. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es eine der ersten Maßnahmen der sozialliberalen Koalition war, die Rentenkürzung durch den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag zu beseitigen.
({10})
- Sie wissen nicht, was Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Barzel, zu diesem Thema erklärt hat. Das möchte ich zitieren. Herr Dr. Barzel sagte:
Der Vorschlag, den jetzigen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner zu streichen, zwingt dazu, entweder die Beiträge oder aber den Bundeszuschuß zu erhöhen.
Herr Dr. Barzel fuhr fort: Die Leichtfertigkeit
- nämlich den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag zu streichen -,
mit der den Rentnern etwas versprochen wird, ist beispiellos.
({11})
Meine Damen und Herren, die sozialliberale Koalition hat sich durch diese Miesmacherei in ihrem Willen, Leistungsverbesserungen für alle Rentner zu verwirklichen, nicht beeinflussen lassen.
({12})
Der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag wurde gegen Ihren hinhaltenden Widerstand beseitigt. Die Beiträge, die 1968 und 1969 abgezogen wurden, wurden zurückgezahlt.
({13})
Der Bundesarbeitsminister hat dargelegt - und das muß unterstrichen werden -: In diesem Jahr, 1972, sind die Renten faktisch bisher um 10 % erhöht worden.
({14})
Vorschläge auf Verbesserungen für Rentner müssen auf einer soliden Finanzierung beruhen. Denn den Rentnern ist nur mit Leistungsverbesserungen gedient, die langfristig gesichert sind und durchgehalten werden können, und auch nicht mit großartigen Versprechungen, die dann irgendwann wieder mit Verschlechterungen nach dem unseligen Beispiel der Rentenkürzung des Jahres 1967 enden.
Meine Damen und Herren, der von uns vorgeschlagene Grundbetrag wäre nicht nur sozialer, sondern auch weniger aufwendig gewesen. Aber erst nachdem wegen der günstigen Wirtschaftsentwicklung dieses Jahres entsprechend hohe Beitragseingänge festgestellt wurden,
({15})
konnten wir uns für die vorgezogene Anpassung entscheiden, die nämlich allein im zweiten Halbjahr 1972 Mehraufwendungen von 1 Milliarde DM erfordert.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja, bitte!
Herr Kollege Schellenberg, dann distanzieren Sie sich ausdrücklich von der Erklärung, die Herr Bundesminister Walter Arendt abgegeben hat:
Außerdem würde eine Anhebung des Niveaus generell dazu führen, daß wir mit der Gießkanne über Land gehen und die dürren und die fetten Weiden gleichmäßig begießen würden.
- Darf ich feststellen, daß Sie sich dann von dem, was Herr Arendt gesagt hat, ausdrücklich distanzieren?
Der Herr Bundesarbeitsminister hat vorhin selbst gesprochen. Er hat sich im Ausschuß des Parlaments, nachdem die finanzielle Lage der Rentenordnung und die tatsächliche
wirtschaftliche Entwicklung, die entgegen Ihren
Prophezeiungen der Düsternis ablief, feststanden,
ausdrücklich zur vorgezogenen Anpassung bekannt.
({0})
Jetzt noch einige Bemerkungen zu den Packen von Änderungsanträgen, die die CDU/CSU vorlegt. Wenn man sie genau durchsieht, stellt man fest, daß sie den Kerngehalt des Reformwerks nicht berühren. Es handelt sich überwiegend um Fachfragen, die kaum Sachverständige verstehen, die für die Rentner und Versicherten und vielleicht auch für viele Mitglieder dieses Hauses in den Bereich RentenChinesisch gehören. Mit der Vielzahl der Anträge, meine Damen und Herren der CDU/CSU, wollen Sie den Anschein erwecken, als ob es heute darum gehe, die Reform der sozialliberalen Koalition zu einer solchen der CDU zu machen. In Wirklichkeit sind die meisten Sachfragen der Reform bereits entschieden und heute unstreitig.
Unstreitig ist die Einführung der flexiblen Altersgrenze, unstreitig ist die Leistungsverbesserung für die Rentner durch die vorgezogene Anpassung, unstreitig ist die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und Hausfrauen, unstreitig ist die Einführung von Mindestrenten. Streitig von den Kernproblemen der Reform ist jetzt leider noch das Baby-Jahr.
Durch die Anträge der CDU/CSU können die Grundlagen der Reform der sozialliberalen Koalition nicht verändert werden. Sie möchten durch massenhafte Prestigeanträge die Tatsache vergessen machen, daß sich die soziale Alterssicherung im Jahre 1967 in einer schweren Finanzkrise befand. Damals mußten harte Eingriffe beschlossen werden. Das hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Stabilität der sozialen Sicherung schwer erschüttert.
Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden Leistungsverbesserungen für 1972 in Höhe von 2,5 Milliarden DM, für 1973 von 6,8 Milliarden DM und für den Zeitraum bis 1986 Mehraufwendungen in einer vorausgeschätzten Höhe von 186 Milliarden DM beschlossen. Nach den schlimmen Erfahrungen mit der von der CDU/CSU damals verschuldeten Krise der Rentenversicherung ist es eine Leistung von historischer Bedeutung, wenn wir jetzt ein Reformgesetz mit einem derartigen erhöhten Leistungsaufwand beschließen können, das die soziale Sicherung in unserem Land auf eine neue und gerechte Grundlage stellt. Daß die sozialliberale Koalition das erreicht hat, ist ungeachtet Ihres dauernden Krisengeredes das Ergebnis einer außerordentlich günstigen wirtschaftlichen Entwicklung.
({1})
Im übrigen, meine Damen und Herren, führt die Opposition dadurch, daß sie sich nunmehr zu diesem Reformwerk in einem solchen Ausmaß bekennt, ihre ständigen wirtschaft- und finanzpolitischen Schwarzmalereien selbst ad absurdum.
({2})
Die Rentenreform ist und bleibt das Reformwerk der sozialliberalen Koalition,
({3})
von ihr versprochen, von ihr dem Parlament vorgelegt, von ihr in den Ausschüssen bis _zur heutigen Entscheidung politisch erkämpft.
({4})
Für uns Sozialdemokraten ist diese Rentenreform ein Höhepunkt unseres politischen Kampfes um die Verwirklichung unseres Volksversicherungsplans.
({5}) Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen.
Für die Fraktion der Freien Demokraten hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({6}) das Wort. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.
({7})
- Ich hoffe, daß solche Kommentare zur angemeldeten Redezeit künftig unterbleiben, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verspreche Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß ich mich bemühen werde, eher fertig zu werden. Aber ich weiß aus vielen Debatten in der Vergangenheit, daß Sie manches noch etwas genauer wissen wollen, und deshalb habe ich vorsichtshalber etwas mehr Zeit angemeldet.
Wir Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß dieser zweiten Lesung vor der Beratung und Abstimmung über die Anträge noch einmal eine grundsätzliche Aussprache vorgeschaltet worden ist, weil wir glauben, daß es nach den Diskussionen in der Öffentlichkeit, in den Publikationsorganen in den letzten Tagen, Wochen und Monaten allmählich dazu gekommen ist, daß das ganze Rentenreformwerk, das die Bundesregierung im Auftrag der sie tragenden Fraktionen und in Erfüllung der Regierungserklärung vorgelegt hat, das einen langen Weg über Beratungen, Sachverständigenanhörungen und entsprechende Ausschußbeschlüsse bis heute zurückgelegt hat, draußen - ich möchte sogar sagen, vielleicht auch bei manchem in diesem Hause, der nicht mit diesen sehr diffizilen Problemen befaßt ist - in seinen Einzelheiten etwas verschwommen erscheint. Vor allem wird nicht deutlich - und es ist notwendig, dies heute vor unserer Entscheidung noch einmal deutlich zu machen -, worum es bei den uns nun erneut vorliegenden Änderungsanträgen der Opposition eigentlich geht.
In einer sehr bekannten Zeitung schrieb vor wenigen Tagen ein Journalist: „Über die Rentengesetzgebung wird es jedoch zu einer Debatte kommen, die zur Stunde der Wahrheit zu werden verspricht." Genau darum geht es: daß wir uns heute
Schmidt ({0})
einmal klar werden, was vor uns liegt und über was wir heute abstimmen. Auch müssen wir uns alle die Frage vorlegen - besonders die Damen und Herren in der Opposition -: kann ich diesen Weg so mitgehen? Oder wollen Sie von der Opposition, will sich jemand von Ihnen eines Tages oder vielleicht schon morgen nachsagen lassen, daß nicht etwa der bessere Sachverstand, die besseren Leistungen für die Rentner und für die Beitragszahler - die späteren Rentner - hier entschieden hätte, sondern allein Machtfragen, allein die Frage einer Stimme Mehrheit, allein zugelaufene Minderheiten der Opposition, die Sie zu einer Stimme Mehrheit gebracht haben? Wollen Sie sich wirklich der Verantwortung aussetzen, eine zugelaufene Mehrheit, die nicht dem Wählerwillen von 1969 entspricht,
({1})
über diese Fragen entscheiden zu lassen?
Der Herr Kollege Dr. Barzel hat heute vormittag von einer Verkrampfung gesprochen. Ich glaube, die Debatte in Ihren Reihen über die Rentenreform und das, was sich im Ausschuß in den letzten Wochen und Monaten abgespielt hat, hat doch deutlich gezeigt, wo diese Verkrampfung liegt. Diese Verkrampfung liegt doch bei Ihnen! Lösen Sie sich einmal daraus!
({2})
Leider hat der Kollege Katzer nicht dazu beigetragen, den Nebel zu durchstoßen, der in dieser Frage über Ihrer Fraktion liegt, sondern er hat noch einmal sozusagen die Durchhalterede für Ihre Fraktion gehalten, für die zugelaufene Mehrheit, die Sie haben. Viele von Ihnen, das weiß ich sehr genau, sitzen mit blutendem Herzen und mit sehr, sehr vielen Fragen im Innern hier, wenn sie an die bevorstehenden Abstimmungen denken.
({3}) - Natürlich ist es so.
Denn worum geht es bei den Abstimmungen in den nächsten Stunden? Worum geht es bei der Rentenreform der Bundesregierung und bei den Änderungsanträgen? Es geht darum, sowohl für 10 Millionen Rentner als auch für 23 Millionen Beitragszahler die beste, gesichertste und finanziell gesündeste und solideste Lösung zu finden.
({4})
Es geht um gesetzliche Festlegungen für Leistungsverbesserungen für die Rntner von heute und die Rentner von morgen. Man muß auch einmal mit einigen Vorstellungen aufräumen, mit denen mancher auch draußen an diese Diskussion herangeht oder diese Dinge beurteilt. Es ist ja nicht so, daß die 186 Milliarden, die die Ausschußbeschlüsse insgesamt umfassen und die das Limit darstellen, das man verantworten kann, etwa bereits vorhanden sind - wie es mancher in der Öffentlichkeit vielleicht glaubt -, daß man sie nur noch gesetzlich verteilen muß. Vielmehr müssen sie bis 1986 von den 23 Millionen Beitragszahlern mit dem ab 1. Januar 1973 geltenden 18 %igen Beitragssatz erst einmal aufgebracht werden. Erst daraus ergibt sich
die Errechnung dieses möglichen Volumens, über das wir entscheiden. Dann sollte aber auch die Frage eines Mehr durch zusätzliche Anträge von jedem von Ihnen sehr, sehr sorgfältig geprüft werden, weil sich doch wohl keiner dem Vorwurf aussetzen will, hier aus Wahltaktik, aus Verkrampfung der Fraktion, die entstanden ist, unsolide Beschlüsse für die Zukunft zu fassen.
({5})
Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht, welche Beitragsentwicklung es in den letzten Jahren gegeben hat! Vergessen wir nicht, daß wir 1942 noch einen Beitrag von 5,5 % hatten, 1955 11 %, 1957 14 % und ab 1. Januar 1973 einen Beitrag von 18% haben werden! Wir Freien Demokraten und die sozialliberale Koalition sind der Auffassung, daß diese 18 % angesichts der sonstigen Belastung das Limit der Belastung sind und daß wir davon auch unsere Überlegungen abhängig machen müssen. Deshalb muß es doch - und, Herr Kollege Katzer, ich nehme das nach den langen Jahren der Zusammenarbeit eigentlich auch bei Ihnen an -oberster Grundsatz sein, daß die Leistungsverbesserungen für die Rentner von heute und von morgen, die wir heute hier beschließen wollen, keine weiteren Beitragserhöhungen für die Zukunft notwendig machen,
({6})
daß eine solide Finanzierung auf Grund der Zahlen bereits heute gesichert erscheint und daß wir nicht etwa - ich glaube, Herr Kollege Katzer, Sie haben Erfahrung damit - in irgendeiner Form heute ein Finanzänderungsgesetz provozieren wollen, das Sie damals zu Lasten sowohl der Rentner als auch der Beitragszahler mit Senkung der Leistungen und Erhöhung der Beiträge vorlegen mußten.
({7})
Ich glaube, keiner von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, kann es verantworten, daß infolge weitergehender Anträge dieses Problem möglicherweise auf einen zukünftigen Bundestag zukommt.
Deshalb, Herr Kollege Dr. Barzel - ich bedauere, daß der Kollege Strauß nicht da ist, der für Finanzfragen besonders zuständig ist -, möchte ich doch einmal Sie und alle, die sich in der CDU/CSU besonders mit haushalts- und konjunkturpolitischen Fragen befassen, fragen: Wie können Sie es sich eigentlich zusammenreimen, daß Sie bei der Vertretung Ihrer Vorstellungen fast tagtäglich davon sprechen - insbesondere der Herr Kollege Katzer : Wir haben die besseren Vorstellungen, wir haben die besseren Vorschläge, die den Rentnern mehr bringen, aber unsere kosten weniger? Meine sehr geehrten Damen und Herren, bringen Sie mir einmal hierfür das Ergebnis der Berechnungen!
({8})
Mehr Leistungen, aber weniger Kosten - diese Rechnung ist noch nirgends aufgegangen.
({9})
Schmidt ({10})
Herr Kollege Katzer, Sie haben hier gesagt: 165 bis 170 Milliarden DM, wobei ich zugebe, daß durch die Streichung des Baby-Jahres - ich komme noch darauf -, die Sie beantragen, von den 186 Milliarden DM etwas heruntergeht und, wenn das so käme und Sie sich durchsetzen, auch der Regierungsentwurf bei 165 bis 170 Milliarden DM liegen würde. Gut, es gibt unterschiedliche Einstellungen zu den vorgelegten Zahlen. Sie haben aber dabei nicht gesagt, daß nach Vergleichsberechnungen mit gleicher Ausgangsbasis und gleichen Voraussetzungen für das Regierungsprogramm und für Ihre Vorstellungen, die Sie jetzt durchsetzen wollen, das Programm der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen 186 Milliarden DM kostet, Ihre Vorstellungen aber bisher einschließlich des Baby-Jahres, wenn es drinbleibt - was wir sehr hoffen -, 208 Milliarden DM. Selbst wenn Sie die 18 Milliarden DM abziehen, die Sie in Ihrer Rechnung wegen des Baby-Jahres weniger haben im Vergleich zu unseren Vorstellungen, sind es noch 190 Milliarden DM. Hier liegt das Problem, das, wie ich soeben sagte, unlösbar ist. Sie sagen nach außen: Wir bringen mehr Leistungen. Gleichzeitig aber sagen Sie: Das kostet weniger. Noch nie hat es das in diesem Hohen Hause gegeben, daß man ein Gesetz mit mehr Leistungen und weniger Kosten hätte verabschieden können. Das muß man einmal sehen, daß müssen Sie sich einmal sagen lassen, meine Damen und Herren der Opposition.
Wir Freien Demokraten jedenfalls sehen in dem ausgewogenen Ergebnis des Ausschusses, in dem Ausschußbericht, der Ihnen nunmehr vorliegt und der neben den vier Grundgedanken des Regierungsentwurfs in ihrer Gesamtheit - Öffnung, flexible Altersgrenze, Baby-Jahr und Renten nach Mindesteinkommen - auch die Anpassung enthält, ein gut in den Rahmen des finanziell Möglichen passendes Reformwerk, das einmal erhebliche Leistungsverbesserungen ermöglicht, zum anderen aber nicht die Gefahr von Beitragserhöhungen, von Rentenkürzungen aus Gründen der Entwicklung in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten und auch von Belastungen des Haushalts mit sich bringt. Wir sehen darin die Erfüllung der Regierungserklärung.
Keiner von Ihnen kann behaupten - das ist schon mehrmals gesagt worden, ich will es deshalb nur ganz kurz erwähnen -, Sie hätten vom ersten Tag an eine echte Alternative gehabt. Tröpfchenweise kamen Ihre Vorschläge, bis zuletzt die flexible Altersgrenze noch nachgeschoben wurde.
({11})
- Herr Kollege Dr. Götz, darüber sind wir uns doch klar.
Trotzdem - Herr Kollege Schellenberg hat schon darauf hingewiesen - waren die Regierungsfraktionen im Ausschuß aus der Sorge im Hinblick auf die Situation im Bundesrat und angesichts der Gesamtsituation bereit - und sie haben eine solche Entscheidung getroffen -, Kompromisse, Möglichkeiten der Gemeinsamkeit anzubieten, um den Rentnern
zur rechten Zeit und ohne wahltaktische Überlegungen das zu geben, was wir im Rahmen der Koalition seit langem vorhaben und was jetzt nach den Berechnungen auch möglich ist. Wir haben uns kompromißbereit gezeigt. Und wie sah es bei Ihnen aus? Wir haben in der Frage der Anpassung eine Lösung mit Ihnen gefunden; ich komme im Detail noch kurz darauf. Wir haben in der Frage der Zuschläge eine Lösung mit Ihnen gefunden; ich komme im Detail auch noch darauf. Wo war denn die Bereitschaft auch von Ihrer Seite, zu einer gemeinsamen Verabschiedung zu kommen und damit den Rentnern zu helfen? Manches Mitglied der Opposition im Ausschuß - ich verrate kein Geheimnis - hat mit manchen Beiträgen sehr deutlich erkennen lassen, daß es schon noch Kompromisse, vernünftigere Kompromisse, nicht die Kosten steigernde Kompromisse geben könne. Aber dann kamen von draußen - es ist ja manchmal leichter, die Dinge von draußen zu steuern, wenn man nichts von innen gesehen hat und die Beratungen nicht mitgemacht hat - wieder Äußerungen: keine falschen Kompromisse! Meine sehr verehrten Damen und Herren, in einem war das mit Sicherheit falsch. Heute haben Sie in Ihren Anträgen nicht mehr die Rente nach Mindesteinkommen nach 1973 für die Zukunft. Ich begrüße das ausdrücklich. Darüber haben wir auch im Ausschuß gesprochen, und da haben wir einen Weg der Verständigung gefunden. Aber damals gab es keine Kompromisse, es gab keine Möglichkeit, im Interesse der Rentner ein vernünftiges, ein sachgerechtes, ein finanziertes Paket vorzulegen. Nun stehen wir hier vor der neuen Entscheidung.
Wir Freien Demokraten sehen jedenfalls in der Ausschußvorlage wesentliche Teile unserer Vorstellungen zur sozialen Sicherung im Alter erfüllt. Wesentliche Gedanken unserer Wahlplattform von 1969 sind darin enthalten. Ich denke nur daran - ich darf es ganz kurz sagen -, daß wir 1956/57 zusammen mit den Sozialdemokraten die Beibehaltung der Selbstversicherung wollten. Sie haben sie damals abgelehnt. Heute sind Sie auch für die Öffnung. Nun gut, unsere Gedanken haben sich durchgesetzt, anscheinend auch bei Ihnen. 1956/57 waren wir Freien Demokraten für die Beibehaltung der Mindestrente, um negative Auswirkungen der Rentenreform zu verhindern. Heute liegen - auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition - Entwürfe mit unterschiedlichen Modalitäten vor, die eine Rente nach Mindesteinkommen vorsehen. Das hätte man 1957 leichter haben können. Mancher Klein- und Kleinstrentner, den Sie, Herr Katzer, genauso wie wir in seiner Situation bedauern, hätte nicht seit 1957 in die Situation von heute kommen müssen, wenn man damals unseren Vorstellungen der Beibehaltung einer Mindestrente gefolgt wäre. Wir sehen in den Einstieg für Hausfrauen einen ersten Schritt in Richtung unserer Vorstellungen einer späteren eigenständigen Sicherung der Hausfrau. Wir sehen darüber hinaus in der Verwirklichung der flexiblen Altersgrenze den Gedanken, den wir während der Großen Koalition aus der Öffentlichkeit aufgegriffen und zum ersten Mal auch für die Rentenversicherung als möglich und durchführbar angesprochen haben.
Schmidt ({12})
Lassen Sie mich noch zu ein paar Einzelheiten kommen, um die es in den nächsten Stunden geht. Herr Kollege Katzer, Sie haben heute wieder den Niveauausgleich angestellt, Sie haben heute wieder die Niveaufrage angesprochen. Ich glaube, es muß vor allen Mitgliedern dieses Hauses doch einmal sehr deutlich gesagt werden, daß der Vergleich, den Sie, Herr Kollege Katzer, immer anstellen der Vergleich zwischen dem Bruttoeinkommen und der Rente, die netto gleich brutto oder brutto gleich netto ist -, in Wirklichkeit gar kein echter Vergleich sein kann, ja daß er widersinnig ist. Denn in dem Augenblick, wo der Arbeitnehmer seine Rente zum ersten Mal erhält, kann er das nur vergleichen mit dem, was er zuletzt netto verdient hat, und nicht etwa mit dem, was er brutto bekommen hat.
Der Niveauvergleich kann also überhaupt nur zwischen der Nettoleistung des Arbeitenden und der Rentenhöhe des Rentners gezogen werden. Von daher, Herr Kollege Katzer, sieht die Situation allerdings etwas anders aus, und ich glaube, es muß einmal gesagt werden, daß der Nettovergleich im Jahre 1972 bei 40jähriger Versicherungszeit 55,7% ausmacht und nicht etwa, wie Sie immer behaupten, knapp über 40 %, daß derNettovergleich 1975 auf 61 %. ansteigen wird - das wissen wir bereits heute -, daß also das schon manchmal etwas penetrante Gerede vom Niveauvergleich einmal echt und sachlich geführt werden muß. Darüber wird man sich unterhalten können. Aber man kann nicht einen Vergleich zwischen Bruttolohn und Nettorente ziehen, der natürlich immer hinken muß und der laufend stärker hinkt, weil ja die Abzüge 1960 beim Arbeitenden noch 16% betrugen, während sie 1971 auf 24% gestiegen sind.
Wenn man dieses Zahlenspiel etwas weiter verfolgt, Herr Kollege Katzer, dann muß ich Sie einmal auf den Sozialbericht verweisen, wo dieser Nettovergleich ja angestellt ist. Da stelle ich mit einiger Überraschung fest, daß der Nettovergleich zwischen der Rente und dem Arbeitsverdienst in den Jahren von 1961 bis 1966 - 1961 54,1 %, 1962 52,4 % 1963 52,9%, 1964 52,9 %, 1965 52,6 %, 1966 53,9 % - niedrigere Zahlen ergab, als sie sich heute nach der Arbeit der sozialliberalen Koalition auf Grund der Anpassungen usw. ergeben.
({13})
Zu Ihrer Zeit, Herr Kollege Katzer, als Minister lagen die Zahlen des Nettovergleichs niedriger als heute. Sie hätten damals als verantwortlicher Minister die Dinge sagen sollen, die Sie heute mit dem Bruttovergleich laufend anbringen. Daraus hätten in Ihrem Hause Konsequenzen gezogen werden müssen. Denn dem Rentner nützt es nichts, wenn seine Rente mit dem durch Steuern belasteten Einkommen des Arbeitenden verglichen wird, sondern es nützt ihm nur, wenn seine Rente verglichen wird mit dem - das ist unsere Aufgabe -, was der Arbeitende nach Abzügen auf die Hand bekommt. Das ist Niveauvergleich. Das hat nichts mit der Bruttobezogenheit bei der Berechnung der Rente zu tun, sondern das möchte ich klar sagen - gilt für den Vergleich: was kann der Rentner mit
seinem Geld im Vergleich zum Arbeitenden anfangen.
({14})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich mir nun die zum zweitenmal vorliegenden Änderungsanträge der CDU/CSU so anschaue und einmal einen Überblick zu gewinnen versuche, dann fallen mir zwei Dinge auf: Entweder hat die Opposition ihr sozialpolitisches Gewissen erst in der Opposition entdeckt.
({15})
- Herr Kollege Ruf, ja! Das ist nicht polemisch.
({16})
Ich kann mich auf das berufen, was der Herr Kollege Schellenberg schon mehrmals über diesen Punkt hier gesagt hat: Wenn Ihr Schwerpunktprogramm vom August 1969 Ihr Regierungsprogramm geworden wäre, - ({17})
- Herr Kollege, Sie haben damals gesagt - das
darf ich auch sagen -: das kenne ich gar nicht, das hat irgend jemand in der Fraktion kurz vor der Wahl erarbeitet.
({18})
- Entschuldigen Sie, wenn das so ist, ist das zwar etwas merkwürdig, aber ich darf dabei doch feststellen, daß dieses Papier nicht etwa „Arbeitspapier des Referenten X oder Y" hieß, sondern daß es den Titel trug: „Sozialpolitisches Schwerpunktprogramm der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die 6. Legislaturperiode", für diese Legislaturperiode.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nölling?
Schmidt ({0}) : Bitte sehr!
Herr Kollege Schmidt, können Sie bestätigen, daß Idas Rentenergänzungsprogramm der CDU/CSU, das am 8. Juni 1972 veröffentlicht wurde, in derselben Form veröffentlicht worden ist wie das Wahlkampfpapier von 1969?
Genau! Mit diesem Gesamttitel werden nämlich alle ihre Veröffentlichungen - ich habe da noch einige vorliegen - publiziert. Ich nehme eigentlich an, daß die maßgeblichen sozialpolitischen Sprecher das vorher wissen, Herr Kollege Ruf. Es tut mir leid! Sie haben mir das schon damals öffentlich gesagt; deshalb konnte ich sagen, daß Sie es nicht wußten. Daß ,dies das Regierungsprogramm einer CDU/CSU-geführten Regierung für den sozialpolitischen Bereich sein sollte, das mußte ja nun wohl jeder begreifen, wenn es als Schwerpunktprogramm für die 6. Legislaturperiode am 20. August 1969, also wenige Wochen vor der Wahl, vom Pressereferat Ihrer Fraktion hier veröffentlicht wurde. Da kommt doch nun keiner drum herum!
Schmidt ({0})
Herr Katzer, ich billige Ihnen zu, daß Sie sagen: wir sind in der Opposition schlauer geworden, wir haben unser sozialpolitisches Gewissen besser entdeckt; all das billige ich Ihnen zu. Aber Sie sollten hier nicht behaupten, daß Sie schon im August 1969 gewollt haben, was Sie danach als Opposition dann hier so langsam tröpfchenweise vorgelegt haben. - Bitte!
Herr Abgeordneter Franke, Sie haben die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.
Herr Kollege Schmidt, wie bewerten Sie dann die Entscheidung, zur Rentenanhebung im Juli noch nein und am 4. September plötzlich ja zu sagen?
Herr Kollege Franke, dazu komme ich noch; das ist das nächste Stichwort auf meinem Zettel. - Herr Kollege Katzer, ich würde Ihnen auch zubilligen, daß Sie im Rahmen der Oppositionsarbeit Erkenntnisse gewonnen haben, die Sie vielleicht als Minister nicht gewinnen konnten, Erkenntnisse, daß manches, was Sie 1957 gewollt, behauptet, versichert und versprochen
({0})
- Moment, ich komme darauf gleich zu sprechen; ich wußte schon, daß der Zwischenruf kommt - und vielleicht auch geglaubt haben, in 'der Entwicklung etwas anders gekommen ist. Es waren meine poli- tischen Freunde, die beispielsweise bei der Mindestrente damals gesagt haben: Laßt sie lieber, weil die Entwicklung nicht so wie erwartet vor sich geht, weil es nicht möglich ist, 50 oder 60% zu erreichen, wie ihr es bei der Rente gern möchtet. Diese Erkenntnisse sammeln vielleicht viele. Man kann auf so lange Frist nicht alles voraussehen. Manche Ziele des Jahres 1957 sind nicht erreicht worden. Nun, dann ist das ein Eingeständnis, das man dann ja auch machen kann. Bei der Öffnung der Rentenversicherung sagen Sie ja auch: Ich habe es eingesehen; damals dagegen, heute dafür. Nun gut! Aber dann soll man nicht so tun, als ob man immer schon gewollt hätte, was man erst in den letzten Jahren hier so allmählich vorlegt.
Ein Zweites hat mich eigentlich etwas merkwürdig berührt. Das ist, daß vielen der Änderungsanträge der CDU/CSU irgendwie ein patriarchalischer Hauch anhängt, der Hauch, als ob man dort gern die Frau, ob berufstätig oder nicht, immer wieder stärker an den Mann bindet, die völlige Verantwortung dem Mann wieder auferlegt und die selbständige Versorgungsmöglichkeit, die selbständige Absicherungsmöglichkeit der Frau eigentlich in den Hintergrund drängt. Da verstehe ich vor allen Dingen die Kolleginnen in der CDU/CSU ganz und gar nicht;
({1})
denn es läßt sich doch nicht leugnen, daß aus der
Tatsache, daß die Hausfrauen zu Rentnern minderen Rechts gestempelt werden, wenn sie in die Rentenversicherung gehen, daß aus der Ablehnung des Baby-Jahres eine gewisse Frauen-, Familien- und Kinderfeindlichkeit spricht,
({2})
deren Grund ich eigentlich - wie gesagt - nur in gewissen patriarchalischen Vorstellungen sehen kann, wie Sie sie in der Vergangenheit auch gehabt haben. Wir jedenfalls sehen das etwas anders, und wir hatten an sich auch gemeint, daß Sie sich in dieser Richtung inzwischen von manchen Dingen der Vergangenheit freigeschwommen hätten. Aber es scheint nicht so; darüber müssen Sie sich selbst klarwerden.
Herr Kollege Franke, Sie waren eben schon so liebenswürdig, mich darauf aufmerksam zu machen, daß ich keinesfalls die Änderungen in der Entscheidung - Grundbetrag zur Anpassung - vergessen sollte. Das hatte ich auch nicht vor. Einen Teil der Gründe für diese notwendige Änderung hat dankenswerterweise der Kollege Schellenberg genannt. Ich habe Ihnen versprochen, nicht länger zu sprechen, als ich muß.
({3})
-- Das kommt auf Sie an. Wenn Sie noch viele Fragen stellen, dauert es länger. Aber ich bin gern bereit, sie zu beantworten.
({4})
Einen Teil hat der Kollege Schellenberg - Hinweise auf den Bundesrat, Hinweise auf die Neuberechnung der Mittel usw. - genannt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Schmidt?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Schmidt, können Sie uns einmal sagen, welche sozialpolitischen Fachleute und welche Organisationen Ihren Vorschlag befürwortet haben?
Herr Kollege Härzschel, ich wollte einiges dazu sagen; manche Frage könnten Sie sich wirklich sparen. Ich hatte nämlich bisher nur die Dinge kurz gestreift, die ich nicht wiederholen will. Ich sage für die Freien Demokraten noch einmal eindeutig: wir gehörten zu denjenigen - vielleicht waren wir in früheren Zeiten sogar die einzigen in diesem Hause -, die noch nie von Systemfetischismus und Systematik in diesen Fragen so beengt waren, daß sie nicht auch Möglichkeiten sahen, dort, wo es notwendig ist, andere Wege zu gehen, wenn sie für die Zukunft und die Betroffenen besser sind.
({0})
Schmidt ({1})
Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Wir sind keine Systemfetischisten, Sie ja auch nicht mehr Rente nach Mindesteinkommen!
Aus dieser Sicht waren wir allerdings der Meinung, gerade weil Sie immer so sehr darauf hinwiesen, wie stark die Teuerung besonders den Rentner treffe
({2})
- Herr Kollege Geisenhofer, Sie habe ich in dieser Frage ganz besonders nicht verstanden -, daß es besser ist, über diesen Grundbetrag eine zusätzliche Möglichkeit des Ausgleichs zu schaffen.
({3})
Herr Kollege Geisenhofer, es gab Probleme; das gebe ich zu. Aber immerhin - das wollen wir deutlich sagen - hätte diese Lösung allen Rentnern - dazu gehören auch die, Herr Kollege Geisenhofer, die Sie vertreten - bis zu 420 DM mehr gebracht als die 9,5%ige Anpassung, die wir jetzt beschließen. Immerhin hätte dieser Grundbetrag, der auch gegenüber der Kriegsopferversorgung anrechnungsfrei geblieben wäre - das muß einmal gesagt werden -, 80 % der Frauen, 80 % der Witwen und vielen Berufsunfähigkeitsrentnern mehr gebracht als die 9,5%ige vorgezogene Anpassung; das steht fest. Wie gesagt, wir sind keine Systemfetischisten; wir hätten in dieser Situation die bessere Lösung darin gesehen, daß der Weg anders gegangen worden wäre. Die Gründe dafür - das gesamte Paket für die Rentner zu erhalten und hier nicht etwa am Bundesrat zu scheitern - sind deutlich geworden. Aber man sollte nicht so leichtfertig über die Vorstellung vom Grundbetrag hinweggehen, sondern gerade diejenigen, die sich immer sehr viele - berechtigte Sorgen um die Klein- und Kleinstrentner machen, sollten sehen, daß man das Problem nicht immer nur mit linearen Anhebungen lösen kann, sondern daß man wie es die Gewerkschaft heute bei Tarifverträgen des häufigen tun, zwei Wege überlegen muß: nicht nur den linearen, sondern auch den mit der Anhebung von Niedrigststufen, wie wir es auch in diesem Hause im Frühjahr bei der Beamtenbesoldung getan haben, als wir die Überlegung angestellt haben: erst einen Grundbetrag und dann linear noch etwas drauf. Solche Überlegungen kann man ohne weiteres auch im Bereich der Rentenversicherung anstellen. Das wollte ich doch einmal grundsätzlich zum Grundbetrag sagen.
({4})
Einige wenige Worte zum Thema „Öffnung für Selbständige"; das meiste wird ja noch im Rahmen der Antragsberatungen dazu zu sagen sein. Hier, meine Damen und Herren von der Opposition, verstehe ich Sie nun schon ganz und gar nicht. Hier verstehe ich vor allen Dingen alle diejenigen nicht, die sich in der Öffentlichkeit immer zugute tun, daß sie dem Mittelstandskreis der CDU/CSU angehören. Ich verstehe sie deshalb nicht, weil alle Verbände der einschlägig Betroffenen - denen wir
schon 1957 die Selbstversicherung erhalten wollten und für die wir heute die Öffnung einführen - der Auffassung sind, daß der Vorschlag der Bundesregierung, der Vorschlag der Koalitionsfraktionen für die Selbständigen gegenüber Ihrem Vorschlag die liberalere, die bessere Lösung darstellt. Vielleicht denken Sie noch einmal darüber nach - viele der Angehörigen des Mittelstandskreises haben ja das Protokoll des Hearings bisher nicht gelesen , daß sich dort immerhin die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, die Union der leitenden Angestellten, die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, der Bundesverband der freien Berufe, der Deutsche Gewerbeverband, der Reichsbund und die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversicherung zum Regierungsvorschlag positiv äußerten.
({5})
Ich habe es gestern extra herausgesucht und noch einmal nachgelesen.
({6})
Wir können es ja nachher noch einmal vergleichen. Alle haben sich zum Regierungsvorschlag positiver geäußert, weil er dem Selbständigen bei seiner Entscheidung nicht die Verpflichtung für sein ganzes Leben - Versicherungspflicht auf Antrag, wie Sie das vorsehen - auferlegt, sondern ihm mehr Flexibilität bietet, weil er es ihm ermöglicht, sich voll zu versichern, aber auch ermöglicht, den anderen Weg zu gehen, ohne dann die Solidargemeinschaft über den Rentenanspruch hinaus in Anspruch nehmen zu können.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren - ich sehe wenige Vertreter des Mittelstandskreises der CDU/CSU im Saale -, daß diese Vertreter wieder einmal im Rahmen des Nebels, der bei diesen Dingen manchmal in Ihrer Fraktion verteilt worden ist, überfahren oder zugedeckt worden sind, denn sonst müßten sie ja nun wissen, daß in dieser Sache diejenigen, die sie draußen immer ansprechen, anderer Meinung sind, als es Ihr Vorschlag will.
({7})
Ein besonderes Problem scheint es mir auch zu sein, Ihrem Vorschlag bezüglich der Einbeziehung der Hausfrauen zu folgen. Was Sie hier tun - das ist schon mehrmals angesprochen worden, und ich habe es auch schon einmal in diesem Gesamtrahmen gesagt -, ist wirklich die Diskriminierung der Hausfrau, die sich auch in der Rentenversicherung eine Altersversorgung - zunächst einmal mit diesem ersten Schritt; in weiterer Fortsetzung sollte ja eine selbständige Sicherung erfolgen - sichern will.
({8})
Dieser Hausfrau geben Sie, was Ausfall- und Ersatzzeiten, Krankheiten usw. angeht, nicht den Vollschutz, den Sie den Selbständigen bei Versicherung auf Antrag ermöglichen.
({9})
Schmidt ({10})
- Wir geben ihn dort, wo die betreffende Frau bereit ist, die entsprechenden Beiträge zu zahlen. Aber noch nicht einmal das machen Sie ja. Sie sehen die Frau in der ganzen Sache nur als Randerscheinung.
Daß wir damit das Problem der Sicherung für Hausfrauen, auf Dauer gesehen, noch nicht gelöst haben, wissen wir alle. Aber dieser erste Schritt ist jedenfalls in unserem Konzept für die Hausfrauen besser.
Wir begrüßen es ganz besonders, daß es einem FDP-Antrag zufolge gelungen ist - ich freue mich, daß das einstimmig im Ausschuß akzeptiert wurde -, auch den Angestellten, die 1968 ihre Befreiung beantragt hatten, auf Grund der neuen Situation noch einmal die Nachversicherung und damit die Sicherung gewisser Ansprüche zu ermöglichen.
Lassen Sie mich nun ein kurzes Wort zur flexiblen Altersgrenze sagen. Im Detail werden wir bei den Anträgen darüber beraten.
Herr Kollege Katzer hat insbesondere die Frage der vollen Weiterarbeit herausgestellt. Herr Kollege Katzer, gleichzeitig haben Sie gesagt, die flexible Altersgrenze sei eine sozialpolitische Entscheidung und Forderung hohen Ranges. Da stimme ich völlig mit Ihnen überein. Es ist eine Entscheidung hohen sozialpolitischen und auch gesundheitspolitischen Ranges. Deshalb haben wir auch die flexible Altersgrenze in unserer Regierungserklärung angesprochen. Und wie erschweren Sie nun mit Ihrer vollen Weiterverdienstmöglichkeit die echte sozialpolitisch und gesundheitspolitisch richtige Entscheidung des einzelnen! Machen wir uns doch nichts vor, meine Damen und Herren! Denken Sie doch einmal selbst nach! Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie - wie es der CDU-CSU-Vorschlag vorsieht - mit 63 Jahren an ihrem Arbeitsplatz bleiben und gleichzeitig nebenher die Rente beziehen können? In den vier Jahren bis zu seinem 67. Lebensjahr verdient derjenige, der das kann, Erhebliches mehr, als wenn er die Zuschläge bei Nichtbeantragung der Rente bekäme. Nehmen Sie nur ein Durchschnittseinkommen von, sagen wir einmal netto 1000 DM. Der Mann kann also, wenn er das Glück hat, seinen Arbeitsplatz zu behalten - das werden alle versuchen; davon werden sie ihre Entscheidung abhängig machen -, bis zu 48 000 DM neben dem Rentenbezug verdienen. Glauben Sie nicht, daß er sich ausrechnet, daß er das bei seiner Lebenserwartung über die Zuschläge nie bekommen kann? Glauben Sie, daß dann die Entscheidung, die wir aus gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Gründen wollen, die den Übergang aus dem Berufs- und Arbeitsleben in das Rentenleben durch Weiterbeschäftigung in einem gewissen Rahmen erleichtern soll, noch von diesem wichtigen Gedanken getragen wird? Wird dann nicht das Materielle die einzige entscheidende Frage sein, die sich der einzelne stellt? Wird dann nicht auch derjenige, der eigentlich ausscheiden möchte, sagen: „Nein, ich mache weiter, wenn ich meinen Arbeitsplatz behalten kann!" ? Meine Damen und Herren,
stellen Sie sich vor der Beratung der Anträge in aller Ruhe die Frage, ob das richtig ist.
({11})
- Wir wollen niemanden gängeln, Herr Kollege Franke, wir geben ihm die Entscheidungsfreiheit und eine Zuverdienstmöglichkeit, die in den meisten Fällen das ausgleicht, was zwischen Rente und seinem letzten Lohn, nämlich zur Zeit 575 DM im Monat, liegt.
({12})
- Wenn Sie davon ausgehen, daß er auch voll weiterarbeiten kann, werden die Teilzeitbeschäftigungen mit Sicherheit auch vorhanden sein. - Aber es kann auch anders kommen, meine Damen und Herren, und das sollten Sie sich überlegen! Es kann, Herr Kollege Franke - ({13})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; das höre ich besser. - Herr Kollege Franke, es kann auch so kommen - denken Sie einmal darüber nach -, daß der Arbeitsmarkt einmal nicht so ausgelastet sein wird wie heute. Dann wird diese Ihre Konzeption zur Guillotine für den Kranken, der mit 63 Jahren ausscheiden muß und keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung mehr findet. Das ist, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, eine sehr problematische Sache. Viel mehr will ich jetzt darüber nicht sagen. Es ist eine sehr problematische Sache, die Entscheidung, ob jemand die flexible Altersgrenze beantragt oder nicht, mit gleichzeitigem Vollverdienst zu verbinden. Ich glaube, jeder, der darüber nachdenkt und der auch daran denkt, daß derjenige - auch das muß man einmal sagen -, der voll weiterarbeitet und gleichzeitig Rente beantragt, nach dem 63. Lebensjahr ein höheres Einkommen haben wird, als er je gehabt hat, wird uns recht geben können. Ich glaube, auch das war nicht der sozial- und gesundheitspolitische Sinn dieser Gesamtsituation.
Meine Damen und Herren, ich reiße dies hier nur an. Wir haben bis zur Abstimmung ja noch etwas Zeit. Aber denken Sie einmal darüber nach, ob dies eine gute Entscheidung wäre. Denken Sie auch einmal darüber nach, daß hier auch die Kostenfrage eine erhebliche Rolle spielt, weil bei unserem Arbeitsmarkt im Falle der Möglichkeit, voll weiterarbeiten zu können, die Antragsquote natürlich höher wäre, als in dem Falle, ,den wir wollen, daß nämlich ein Nebenverdienst von bis zu 575 DM im Monat neben der Rente ermöglicht werden soll.
({14})
- Herr Kollege Ruf, wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht wissen, daß diese Dinge - so heißt es ja immer - nicht miteinander zu verquicken sind? Oder wollen Sie ,die Mittel vielleicht für einen
Schmidt ({15})
neuen Zuschuß zur Rentenversicherung einsetzen oder Ihre noch nicht finanzierte, sondern nur in den Raum gestellte Stiftung, auf die ich noch gar nicht zu sprechen gekommen bin - ich komme später bei den Anträgen darauf zu sprechen -, damit finanzieren.
({16})
- Sie hängen nicht zusammen. Sie haben doch immer behauptet, das hänge nicht mit dem Haushalt zusammen. Sie waren es doch auch, der immer gesagt hat: Das geht alles ohne den Haushalt! - Auf einmal besteht ein Zusammenhang.
({17})
- Das mag sein. Die Größenordnung kann man im Moment nicht überschauen.
({18})
Das hat aber mit ,der finanziellen Sicherung der Rentenversicherung nichts zu tun, denn Sie sagen ja auch immer: Das hat nichts mit dem Haushalt zu tun, das kommt aus dem Beitragsaufkommen, das liegt im System. Nun können Sie nicht plötzlich sagen: Jetzt kommen 200 Millionen DM mehr Steuern herein; davon können wir Mehrkosten in der Rentenversicherung bezahlen. - Dann müßten Sie einen entsprechenden Antrag vorlegen, der aber das System durchbräche. Darüber sind Sie sich doch auch im klaren.
({19})
Ich möchte es mir, zumal meine Redezeit gleich um ist, jetzt versagen, auf die Rente nach Mindesteinkommen näher einzugehen. Hinzu kommt, daß ich dankbar anerkenne, daß Sie hier einen wirklich widersinnigen Vorschlag zurückgezogen haben. Ich möchte mich bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition, die dem Ausschuß angehören, ausdrücklich dafür bedanken, daß sie diesen widersinnigen Antrag zurückgezogen haben, daß Sie dafür gesorgt haben, daß das Beispiel, wie es Professor Schellenberg dargestellt hat, nicht Wahrheit werden kann, daß nämlich einer, der heute nur 300 oder 400 DM verdient und auch nicht mehr verdienen will, weil er nur eine Teilzeitbeschäftigung hat, weil er andere Einnahmen hat, bei der Rentenberechnung eines Tages einem anderen gleichgestellt wird, der 1000 DM verdient. Nach Ihrem widersinnigen Antrag wäre das in der Zukunft eingetreten.
Wir wollen mit der Rente nach Mindesteinkommen die Strukturschwierigkeiten, die regionalen Schwierigkeiten, die zum Teil tariflosen Situationen in weiten Bereichen korrigieren. Das ist die Zielvorstellung der Regierungsvorlage.
Sie sollten aber eines auch noch berücksichtigen. Meine Damen und Herren von der Opposition, auch darüber bitte ich nachzudenken. Ist es wirklich gut, nur 25 Jahre Beitragszeit vorzuschreiben und die Ausfallzeiten wegzulassen, wie Sie es tun? Sind Sie sich darüber im klaren, daß der Vorschlag der Bundesregierung und des Ausschusses, 35 Jahre inklusive der Ersatz- und Ausfallzeiten vorzusehen, wesentlich sozialer ist? Mit der Weglassung der Ausfallzeiten diskriminieren Sie diejenigen, der lange Ausbildungszeiten hat. Sie diskriminieren damit den, der wegen Krankheit nicht arbeiten konnte. Ebenso diskriminieren Sie den, der länger arbeitslos war, und auch alle diejenigen, die bereit waren, freiwillige Beiträge in der für sie notwendigen Höhe zu leisten. Alle diese Personen diskriminieren Sie bei dieser Beantragung. Überlegen Sie sich sehr gut, ob das wirklich die bessere Lösung ist, ob hinter dieser Lösung wirklich der notwendige Sachverstand steht.
Meine Redezeit ist um. Die rote Lampe leuchtet. Zum Baby-Jahr werde ich im Zusammenhang mit den Anträgen etwas sagen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ich bitte Sie sehr herzlich, das, was ich eingangs sagte, doch noch einmal zu erwägen. Diese Rentendebatte sollte die Stunde der Wahrheit werden. In dieser Rentendebatte sollten Beschlüsse gefaßt werden, die den Rentnern echte Mehrleistungen bringen, Leistungen, die den Rentnern später nicht wieder weggenommen werden müssen; es sollten Beschlüsse gefaßt werden, die den Beitragszahlern auch in Zukunft die 18 % als Grenze sicherstellen und uns nicht über die Querverbindung zum Haushalt möglicherweise höhere Zuschüsse zu Lasten der Steuerzahler abverlangen, als im Gesetz vorgesehen. Bedenken Sie diese Probleme alle! Bedenken Sie auch, ob manches, was vielleicht, wie gesagt, unter dem Motto „Wir können es ja probieren" vorgelegt wurde, wirklich dem Sachverstand entspricht, mit dem Sie sich ja immer bemühen, Ihre Anträge zu begründen.
({20})
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Killat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zuerst eine redaktionelle Berichtigung bekanntzugeben. In der Drucksache VI/3767 muß auf Seite 23 rechte Spalte oben, in Art. 1 § 3 Nr. 13 ({0}) der letzte Halbsatz hinter dem Wort „erhöhen" durch folgende Fassung ersetzt werden: „der sich für die zuschlagsfähigen Kalendermonate nach § 53 Abs. 4 a ergibt".
Ich gebe diese rein redaktionelle Änderung, Herr Präsident, zu Protokoll.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, ich darf als Berichterstatter einige wenige erläuternde Feststellungen zu dem Abschnitt Mindesteinkommen treffen. Wir haben uns als Berichterstatter die Arbeit aufgeteilt. Ich glaube, das ist der Punkt, über den bei vielen - ich darf sagen: sogar bei manchen Sozialpolitikern - noch gewisse Unklarheiten bestehen oder Zweifel aufgetreten sind. Das stellt man auch bei der allgemeinen Diskussion fest.
Man spricht z. B. teilweise draußen - auch hier ist es heute schon geschehen - bei dieser Mindesteinkommensregelung von einer Mindestrente. Eine Mindestrente aber ist weder von der Regierung noch von der CDU vorgeschlagen, sondern wir wollen eine Korrektur der früheren Einkommen vornehmen. Eine Mindestrente würde im lohnbezogenen Rentensystem ohne eine grundlegende Veränderung der Basis gar nicht durchzuführen sein.
Ich glaube, es wird dem Verständnis der Diskussion und auch den Abstimmungen nachher dienen, wenn wir uns einmal die Größenordnungen vor Augen halten, die bei der Einführung einer Mindesteinkommensgrenze als Berechnungsgrundlage für vollbeschäftigte Arbeitnehmer zugrunde gelegt werden. Ich möchte folgende Daten nennen: 1972 haben wir es nach den letzten Hochrechnungen mit einem Durchschnittseinkommen aller Versicherten von 1360 DM zu tun und 1973 mit einem Durchschnittseinkommen von 1500 DM. Das würde bedeuten, daß man im Jahre 1972 allen Beschäftigten, ganz gleich, ob sie Teilbeschäftigte oder Vollbeschäftigte waren, nach dem Regierungsvorschlag, also bei einer Mindesteinkommensgrenze von 70 %, ein Mindesteinkommen von 952 DM und nach dem CDU-Vorschlag - jetzt korrigiert auf 75 % - von 1020 DM zugrunde legt. Für 1973 sind es 1050 DM nach dem Regierungsvorschlag und 1125 DM nach dem Vorschlag der Opposition.
Meine Damen und Herren, es sollte kein Irrtum entstehen über die Größenordnung der Renten, die dabei anfallen. Wenn man hört: Einkommensgrenze über 1000 DM, könnte man glauben, auch die Kleinstrente müsse irgendwo in der Nähe dieses Betrages liegen. Nach dem Vorschlag der Opposition - mindestens 25 Versicherungsjahre, mit Zurechnungs- und Ersatzzeiten also mindestens
29 Jahre käme man zu einer Rente von 32,6 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage. 1972 sind es, auf das aktuelle Einkommen abgestellt, 326 DM oder nur 24%, also noch nicht einmal ein Viertel des Durchschnittseinkommens. Der Vorschlag der Regierung mit 35 Versicherungsjahren kommt zwar zu einem höheren Ergebnis mit immerhin 36,7 %, aber 1972 sind das 368 DM oder 27 %, und 1973 sind es etwas über 400 DM oder 27,3 %.
Ich glaube also, wir sind alle gut beraten, ganz gleich, auf welcher Seite des Hauses wir sitzen, wenn wir uns diese Zahlen vergegenwärtigen und nicht falsche Hoffnungen erwecken, die wir selbst mit dieser Regelung nicht erfüllen können.
Es besteht auch nicht die Absicht, eine absolute Mindestrente einzuführen, sondern dieses Gesetz soll die Lohnungerechtigkeiten - das kann man im Bericht nachlesen - beseitigen, die früher in den vier bis sechs Ortslohnklassen oder in den 10 bis
30% Frauenabschlägen oder in den außerordentlichen Niedrigstlöhnen in Notstandsgebieten und für Heimarbeiter bestanden.
Ich möchte noch auf einen Irrtum aufmerksam machen, der auch heute in der Debatte aufgetreten ist, nämlich zu glauben, daß wir für den Personenkreis, der neben Lohn- teilweise auch Sachbezüge hatte - also für die Hausgehilfin, den Landarbeiter, Beschäftigte in Gaststätten, die Krankenschwester im Krankenhaus , eine sehr hohe Mindesteinkommensgrenze brauchten. Das haben wir 1965 korrigiert. Nach Art. 2 § 55 der Übergangsvorschriften werden diese Personen so wie heute Berufstätige behandelt. Sie kommen etwa bis an 70 % heran, je nachdem, welcher Berufssparte sie angehören. Aber bei der Mehrheit der niedrigsten Gruppe, die man heraussucht, kommt man auf über 70 %.
Das soll gar kein Streitfall sein. Ich will nur davor warnen, mit diesen Gruppen zu operieren, weil sie zum Teil gar nicht darunter fallen werden, sobald sie eine bestimmte Schichtung erreicht haben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, mit diesen ergänzenden und erläuternden Ausführungen dazu beigetragen zu haben, daß wir nachher in der Debatte um die Anträge tatsächlich zu einer Regelung kommen, die für die Versichertengemeinschaft wie aber auch für die Betroffenen tragbar ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Es liegen Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Umdrucken 305 *) bis 311 **) vor. Sie sind nach Problemkreisen geordnet. Es ist vereinbart worden, diese Anträge blockweise zu begründen und zu debattieren. Ich rufe daher zunächst die Änderungsanträge auf Umdruck 305 auf. Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU/ CSU-Fraktion begründe ich die 91 Anträge auf Umdruck 305. Aber haben Sie keine Sorge; ich werde mich auf das Wesentliche beschränken und alles Technische und Redaktionelle weglassen. Wir wiederholen auf diesem Umdruck im wesentlichen nichts anderes als unsere Anträge, die wir im Mai 1971 auf Drucksache VI/2153 eingebracht hatten, als der Regierungsentwurf noch in weiter Ferne lag.
In dem Umdruck werden Sie allerdings den Art. 3 § 2 der Drucksache, wo wir eine „Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger" mit einer Ausstattung von 150 Millionen DM aus Bundesmitteln vorgesehen hatten, nicht mehr finden. Ferner finden Sie nicht mehr Art. 4, der gewisse Änderungen des § 10 des Einkommensteuergesetzes zugunsten der Selbständigen in Zusammenhang mit der Öffnung vorgesehen hatte. Warum wir auf diese beiden Punkte verzichtet haben, liegt auf der Hand; das brauche ich nicht näher zu erläutern. Wir wollten die Verabschiedung des gesamten Reformwerkes noch in dieser Woche, noch vor Auflösung des Bundestages erleichtern und fördern. Das heißt aber nicht, meine Damen und Herren, daß wir grundsätzlich von dem, was wir gefordert haben, oder von unseren Auffassungen abgegangen wären.
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5
Neu in diesem Antrag auf dem vorliegenden Umdruck ist die Ziffer 3: freiwillige Versicherung; das war in der Drucksache VI/2153 seinerzeit nicht enthalten. Doch zuvor einige Bemerkungen zur Ziffer 1 dieses Umdrucks.
Die neue Nr. 9, die dem § 1227 der RVO - Kreis der versicherungspflichtigen Personen - angefügt werden soll, enthält unsere Konzeption für die Öffnung der Rentenversicherung; sie enthält den Kern unserer Alternative.. Hier liegt der eigentliche Unterschied zum Regierungsentwurf, nämlich in der Versicherungspflicht der Selbständigen auf Antrag. Danach haben alle Selbständigen, insbesondere die Gewerbetreibenden und die freien Berufe, die Möglichkeit, die Aufnahme in den Kreis der in der Rentenversicherung versicherungspflichtigen Personen innerhalb von zwei Jahren zu beantragen. Wer innerhalb von zwei Jahren nach Aufnahme der Selbständigentätigkeit diesen Antrag stellt, wird Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung wie die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, und zwar mit denselben Rechten und Pflichten.
Der Regierungsentwurf hat versucht - das wollen wir gar nicht verkennen -, diesen Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherten in etwa zu verwirklichen. Aber dies ist ihm nur sehr, sehr unvollkommen gelungen. Wir sind nach Würdigung aller Diskussionen im Ausschuß und außerhalb des Ausschusses nach wie vor der Meinung, daß unser Vorschlag sowohl den Bedürfnissen der Selbständigen als auch den berechtigten Interessen der Versichertengemeinschaft am ehesten Rechnung trägt.
({0})
Die Ziffer 3 - freiwillige Versicherung -, die wir vorgeschlagen haben, ist neu; sie war, wie gesagt, in unserem ursprünglichen Antrag nicht enthalten. Damit wird die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur für Selbständige, sondern für alle bisher von ihr ausgeschlossenen Personenkreise geöffnet. Das gilt insbesondere für Hausfrauen und für diejenigen Selbständigen, die von dem Antrag auf Versicherungspflicht keinen Gebrauch machen können oder keinen Gebrauch machen wollen. Diese freiwillig Versicherten können die Zahl und die Höhe der Beiträge im Gegensatz zu den Versicherungspflichtigen selber bestimmen; sie können also frei wählen.
Einen solchen Antrag haben wir schon vor Beginn der Ausschußberatungen angekündigt. Sie können unserem Antrag entnehmen, daß wir im übrigen, ähnlich wie es die Regierung getan hat, die Beamten herausgenommen haben, um eine Doppelversorgung zu vermeiden.
Da die Versicherungspflichtigen Solidarleistungen, wie Ersatz- und Ausfallzeiten, nur dann erhalten, wenn sie eine bestimmte Zeit als Versicherungspflichtige Beiträge gezahlt, also die sogenannte Halbbelegung mit Pflichtbeiträgen erzielt haben, können die freiwillig Versicherten diese Solidarleistungen natürlich nicht erhalten. Dagegen können - und das muß festgehalten werden - die freiwillig Versicherten sehr wohl Anwartschaften auf
die Rehabilitationsmaßnahmen der Rentenversicherungen, also Heilbehandlung, bekommen.
Das gleiche gilt für die Krankenversicherung der Rentner. Den Anspruch auf Krankenversicherung der Rentner - eine sehr teure Leistung der Rentenversicherungsträger - erhalten die freiwillig versicherten Hausfrauen unter den gleichen Voraussetzungen wie alle anderen Versicherten auch. Unter den gleichen Voraussetzungen heißt: Erfüllung der kleinen oder der großen Wartezeit von 60 oder von 180 Monaten.
Nun hat unser Kollege Schellenberg heute vormittag unsere freiwillige Versicherung als eine Versicherung minderen Rechts hingestellt, und Herr Kollege Schmidt ({1}) hat diesen Vorwurf wiederholt. Beide Redner haben behauptet, wir diskriminierten versicherungsrechtlich mit unserem Vorschlag zur freiwilligen Versicherung gerade die Frauen.
Dazu einige Bemerkungen! Wir haben doch in der Rentenversicherung seit eh und je das Institut der freiwilligen Weiterversicherung, und wer freiwillig weiterversichert ist, hat seit eh und je nicht den Anspruch auf die gleichen Leistungen wie die Versicherungspflichtigen, d. h. er muß bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Niemand hat in der Vergangenheit daran Anstoß genommen. Weder die SPD noch die FDP hat dazu in den letzten Jahren irgendwelche Änderungsanträge gestellt. Es müßte eigentlich auch für die Sozialdemokraten und für die Freien Demokraten der Satz gelten: Wer wie die freiwillig Weiterversicherten und die freiwillig Versicherten weniger Pflichten hat, muß sich damit abfinden, daß er auch weniger Rechte hat. Das ist doch einleuchtend, Kollege Franke?!
Was im übrigen die Leistungen für Frauen angeht, lassen Sie mich ganz nebenbei einmal darauf hinweisen, daß nach unserem Entwurf die freiwillig versicherten Frauen die Möglichkeit haben, Beiträge bis 1956 nachzuentrichten. Das ist ähnlich, wenn auch etwas anders geregelt, als es bei der Regierung vorgesehen ist. Aber nach unserem Entwurf bekommen diese freiwillig versicherten Frauen, die Beiträge nachentrichten, aus diesen nachentrichteten Beiträgen eine um 20 % höhere Rente, als sie der Koalitionsvorschlag vorsieht. Ich meine, das ist doch sehr beachtlich.
Dann sprach Herr Kollege Schellenberg, unser Ausschußvorsitzender, davon, wir hätten jetzt im Gegensatz zur Regierung mit unserer Versicherungspflicht auf Antrag und unserer freiwilligen Versicherung eine zweigleisige Regelung für die Alterssicherung der Selbständigen vorgeschlagen. Nun, die CDU hat für die Selbständigen eben nicht, wie es die Regierung getan hat, einen Eintopf vorgeschlagen, sondern zwei Modelle vorgesehen, damit gewählt werden kann,
({2})
und zwar ein Modell für die Selbständigen, die ja der Versicherung freiwillig beitreten, weil es ihre Verhältnisse nicht anders erlauben oder weil sie meinen, anderweitig genügend vorgesorgt zu haben,
und ein zweites Modell für diejenigen Selbständigen, die einen Antrag auf Pflichtversicherung stellen wollen. Das bedeutet doch gerade für die Selbständigen ein Mehr an Entscheidungsmöglichkeiten, ein Mehr an Entscheidungsfreiheit. Hier hat sich wieder einmal die CDU als die wirklich liberale Partei erwiesen, die für mehr Entscheidungsfreiheit, für mehr Wahlmöglichkeit eintritt.
({3})
Das läßt sich doch gar nicht leugnen.
Weil wir unter Zeitdruck stehen, will ich auf die Begründungen einer ganzen Reihe von Ziffern, die zu begründen wären, verzichten. Sie ergeben sich teils aus dem Wortlaut. Darüber hinaus bin ich in der glücklichen Lage, auf meine eigenen Ausführungen in der ersten Lesung verweisen zu können. Ich empfehle Ihnen, diese Ausführungen aus jener Zeit nachzulesen. Wir stehen selbstverständlich zu jedem Punkt der Debatte nachher zur Verfügung.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen. Sie haben immer gesagt: Die CDU hat keine Alternative. Hier in der Frage der Öffnung der Rentenversicherung haben wir als erste in diesem Haus eine Alternative eingebracht. Wir sind bei aller objektiver Würdigung der Diskussionen, die innerhalb und außerhalb des Ausschusses geführt worden sind, der Meinung, daß unsere Alternative die bessere ist. Sie finden diese Alternative auf Umdruck 305. Ich bitte Sie daher, diesem unseren Antrag zuzustimmen. Im Namen meiner Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ruf, ich finde nicht, daß Ihre Alternative die bessere ist, trotz Ihrer persönlichen Liebenswürdigkeit. Ich muß also für die Vorlage des Ausschusses plädieren und gegen Ihren Antrag sprechen.
Wie die Selbständigen, so fühlen sich besonders die nicht erwerbstätigen Frauen seit Jahren dadurch benachteiligt, daß ihnen der Beitritt zur gesetzlichen Rentenversicherung bisher verwehrt wurde. Die Öffnung der Rentenversicherung auch für diesen Personenkreis war meines Erachtens lange fällig. Seitdem die Frau nicht mehr in die soziale Sicherung der Großfamilie eingebettet ist - und das ist sie seit Jahrzehnten nicht mehr -, hätte konsequenterweise für sie eine Sicherung durch die Rentenversicherung angeboten werden müssen.
Erst die Regierung der sozialliberalen Koalition beantwortete diese dringende soziale Frage und machte, das Versprechen aus der Regierungserklärung erfüllend, die Öffnung der Rentenversicherung auch für nicht erwerbstätige Frauen zum Angebot. Nur muß jede Frau selbst entscheiden,
({0}) ob und wie sie von diesem Angebot Gebrauch machen will, inwieweit sie z. B., Herr Kollege Härzschel, Konsummöglichkeiten zugunsten einer Alterssicherung einschränken will; denn die Höhe des Beitrags bleibt ihr freigestellt. Auch mit freiwilligen Beiträgen soll nach unserer Vorlage der Anspruch auf die Solidarleistungen erreicht werden, und zwar dann, wenn drei Viertel der möglichen Versicherungszeit mit Beiträgen belegt sind.
Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Härzschel gestatten?
Ich bitte, mich doch zu Ende kommen zu lassen, Herr Kollege Härzschel. Ich werde es dafür auch ganz kurz machen.
Wenn die Frau von dem Angebot der Rentenversicherung Gebrauch macht, erwirbt sie auch bei uns nach der allgemeinen Wartezeit Anspruch auf Maßnahmen der Rehabilitation, z. B. Heilbehandlung in Heilstätten, bei Kuren und in Badeorten.
Der Druck der Frauen in Richtung auf Öffnung der Rentenversicherung ist sehr stark. Das haben sicherlich auch die Kollegen aus der Opposition in ihren Diskussionen draußen erfahren müssen; denn sonst hätten Sie jetzt nicht einen entsprechenden Antrag nachgeschoben.
({0})
In der Begründung Ihres Antrags sprechen Sie von bisher ausgeschlossenen Personenkreisen. Gerade dieses Wort „ausgeschlossen", das Sie bis jetzt zu verantworten hatten, drückt die ganze Verbitterung aus, die die Frauen empfanden, wenn sie dieses Problem überdachten.
Der nachgereichte CDU/CSU-Vorschlag hat jedoch, wie ich meine, einen neuen Ausschließungseffekt. Er verweigert nämlich den freiwillig versicherten Frauen die Solidarleistungen, z. B. Ausfallzeiten für die Berufsausbildung, für Krankheit und für Schwangerschaft. Wenn der freiwillig Versicherten von vornherein die zusätzlichen Leistungen verweigert werden, fehlt ein starker motivierender Faktor für den Beitritt. Der Vorschlag der CDU/CSU schafft, wie ich wiederholen muß, eine Versicherung minderen Rechts. Davon beißt keine Maus einen Faden ab.
Leider ist der Bewußtseinsstand vieler Frauen noch viel zu stark auf eine vom Manne abgeleitete Versorgung ausgerichtet. Dabei zeigt doch das Lebensschicksal vieler Frauen, wie wenig ausreichend unsere Sicherungen heute noch sind. Es ist nach wie vor zu erkennen, daß die Sicherungen dann nicht ausreichend sind, wenn die Frauen sehr früh durch Unfall, durch frühen Tod oder, wie es 72 000 Frauen pro Jahr erleben, durch Scheidung ihren Mann und die Sicherung verlieren. Ich erkenne also im Vorschlag der Regierung einen edukatorischen Effekt, der einen Anreiz bietet.
Wir können auch auf keinen Fall der erwerbstätigen oder der nicht erwerbstätigen Mutter oder
der, die früher erwerbstätig war, das Baby-Jahr verweigern, das wir gern anbieten würden.
({1})
Auch bei freiwilliger Versicherung soll bei uns die Frau in den Genuß dieser Leistung kommen. Wenn die Opposition weiterhin auf ihrer Konzeption beharrt, steht sie mit sehr leeren Händen vor den Frauen.
({2})
Liebe Kollegen auf dieser Seite [zur Mitte], die Sie behaupten, einen Arbeitnehmerflügel zu haben, mit Ihrer Konzeption für die Frauen können Sie auf keinen Fall behaupten einen Frauenflügel zu haben.
({3})
Sie haben 20 Jahre lang versäumt, ein Konzept für dieses Problem vorzulegen. Jetzt haben Sie endlich begriffen. Aber Sie haben Ihren Willen zu einer Konzeption für die Frauen nur in einem heute vorliegenden Entschließungsantrag dargereicht. Das sind schöne Worte, die auf dem Papier stehen, weiter nichts. Der von der sozialliberalen Koalition vorgelegte Reformvorschlag ist noch keine Lösung des Problems der eigenständigen Sicherung der Frau, aber ein notwendiger Schritt, der eine weitere Entwicklung ermöglicht,
({4})
und, wie ich meine, ein echtes, der heutigen Situation angemessenes Angebot an die 7 Millionen nicht erwerbstätigen Frauen. Unser Reformpunkt schließt eine Lücke in der vollen Integration der Frau in unsere Gesellschaft.
Ich bitte daher alle im Hause, der Ausschußvorlage zuzustimmen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, das Hohe Haus ist Herrn Ruf sehr dankbar, daß er den Antrag Umdruck 305 so kurz begründet hat. Aber so einfach kann man sich die Dinge nicht machen; denn der Umdruck 305 umfaßt immerhin beinahe 24 vollgeschriebene Schreibmaschinenseiten. Damit wird deutlich, was die Christlich-Demokratische Union alles geändert haben will gegenüber dem, was im Ausschuß besprochen und worüber dort abgestimmt wurde. Ich frage mich, was für einen Sinn Ausschußberatungen noch haben sollen; denn daß die CDU auf ihren Vorstellungen bestehen wird, war deutlich geworden. Aber es war auch deutlich geworden, daß die CDU sich in der Frage der Öffnung und in der Frage der Mindestrente in einer außerordentlich schwierigen Situation befindet, weil ihre Vorstellungen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen und als unsachgemäß bezeichnet werden konnten.
({0})
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ruf?
Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben diese 91 Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion erwähnt. Sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß davon jeweils die RVO, die Angestelltenversicherung und die Knappschaftsversicherung, das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz, das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz immer gleichlautend betroffen werden? Wollen wir doch sachlich bleiben!
Herr Kollege Ruf, ich werde nicht auf alle Ziffern Ihre Antrags eingehen. Aber ich kann es mir nicht ganz so leicht machen, wie Sie es sich gemacht haben angesichts der Mehrheit, von der Sie annehmen, daß die CDU/CSU sie heute hier im Hause hat.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Nein, ich gestatte keine weiteren Zwischenfragen, Herr Präsident; denn ich möchte in der mir selbst gesetzten Zeit zu Ende kommen.
Herr Kollege Ruf, Sie haben erfreulicherweise auch davon gesprochen, daß in Art. 2 a der § 3 fehlt mit den 150 Millionen DM Steuermitteln, die für die Stiftung vorgesehen waren. Ich richte an die CDU/CSU die Frage, woher denn nun die 150 Millionen DM oder noch mehr kommen sollen. Sie haben in § 2 nur noch die Möglichkeit eingeräumt, Spenden von dritter Seite anzunehmen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Hier hat man einfach den Eindruck, daß Sie eine Stiftung in den Raum stellen, sie noch nicht einmal mit einer Grundausstattung versehen und annehmen, daß die Möglichkeit besteht, aus dieser einfach in den Raum gestellten Stiftung bei der Beitragsnachentrichtung für die Alt- und Uraltlast der Selbständigen in der Größenordnung von Hunderten von Millionen zu helfen. Das ist einfach nicht ehrlich gegenüber den Selbständigen; entschuldigen Sie bitte den harten Ausdruck. Meine Damen und Herren, so kann man nicht operieren.
({0})
Herr Kollege Ruf, nun haben Sie erklärt, daß Sie mit dem Antrag vom 6. Mai 1971 der Regierung voraus waren. Am 6. Mai 1971 war in der ganzen deutschen Öffentlichkeit bekannt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien endlich die Rentenversicherung für Selbständige und weitere Personengruppen öffnen wollen. Sie haben es als Opposition und als Partei nur leichter als die Regierung, den Gesetzgebungsweg einzuschlagen, die hierfür eben den vorgeschriebenen Weg einschließlich des Bundesrates, in dem die CDU/CSU-Ministerpräsidenten ja auch wieder ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben, zu berücksichtigen hat.
Herr Kollege Ruf hat gesagt, die Ziffer 1 treffe den Kern. Er hat behauptet, die CDU/CSU habe sich dadurch, daß sie den Antrag vom 6. Mai 1971 nun noch ergänzt und eine freiwillige Versicherungsmöglichkeit eingebaut habe, als eine Partei erwiesen, die ein Mehr an Entscheidungsfreiheit biete und die sich damit als die liberalere Partei erwiesen habe. Gestatten Sie mir, daß ich diesen grotesken Satz und diese in meinen Augen groteske Feststellung des Kollegen Ruf einmal näher unter die Lupe nehme.
Herr Kollege Ruf, was Sie als Wahlfreiheit bezeichnet haben, ist doch gerade für die Selbständigen, für die Ihr Mittelstandskreis draußen im Lande doch so sehr die Lanze bricht und ihnen klarmachen will, daß die CDU/CSU die Heimat der Selbständigen, der kleinen und der großen, sei, eine bedenkliche Freiheit. Es gibt sehr viele kleine Selbständige. Wenn wir beispielsweise den Grundsteuerfreibetrag von 7200 DM auf 12 000 DM erhöhen würden, würden 600 000 Selbständige herausfallen. Das zeigt doch, wieviel kleine Existenzen es gibt. Und dann sagen Sie: Denen bieten wir die liberalere Alternative an.
Wie sieht denn die liberalere Alternative aus? Wer sich nicht, Herr Kollege Ruf, für den freiwilligen Antrag auf Pflichtversicherung entscheidet, läuft in die Fußangeln; denn er hat dann keine Ausfall- und Ersatzzeiten. Da möchte ich sagen, Herr Kollege Ruf: Was Sie als größere Liberalität angekündigt haben, ist für uns eine Fußangelliberalität, weil Sie nämlich nicht sagen, in welche Fußangeln die Selbständigen laufen, die von Ihrer Wahlfreiheit Gebrauch machen.
({1})
Das möchte ich doch einmal ganz klar herausgestellt haben.
Herr Kollege Ruf, ich möchte noch ein Weiteres sagen. Die Alternative der Wahlfreiheit, die Sie bieten, ist doch eine Wahlfreiheit minderer Rechtspositionen. Das als größere Liberalität darzustellen ist geradezu absurd. Entschuldigen Sie diese harten Worte, aber ich muß das sagen.
Ich bin überzeugt, daß wir durch Argumente natürlich kaum mehr jemanden von der praktischeren, sinnvolleren und praxisbezogeneren Lösung überzeugen können, weil die Entscheidungen in den Fraktionen gefallen sind. Aber ich möchte doch noch einmal klar und deutlich herausstellen: der Vorschlag von SPD und FDP geht auf die besonderen Bedürfnisse der Selbständigen in einem ganz anderen Grad ein als der der ChristlichDemokratische Union, dies im Hinblick auf die Beitragsentrichtung, auf die Nachentrichtung, auf die Beitragshöhe und im Hinblick auf die Beitragsdauer. Der CDU/CSU-Antrag läßt jedes Verständnis für die andere Situation bei selbständiger Tätigkeit gegenüber denjenigen, die ihr reguläres Einkommen in bestimmter Höhe haben, vermissen.
Ich möchte ausdrücklich festhalten und der SPD als Koalitionspartner dafür danken, daß sie bereit war, mehr im Sinne der Selbständigen zu tun, als die CDU/CSU hier und heute bereit ist zu tun und als die CDU/CSU, als sie noch unser Koalitionspartner war, überhaupt nicht bereit war zu tun, geschweige denn damals mit uns darüber zu sprechen.
({2})
Noch etwas anderes. Der Vorschlag, den wir gemacht haben und der ja auch zur Abstimmung steht, in dem nämlich der Antrag der CDU/CSU abgelehnt wird, nimmt eindeutig auf die Betroffenen und die Selbständigen mehr Rücksicht. Für die von der SPD und FDP vorgeschlagene Freiwilligkeit haben sich im übrigen bei der Sachverständigenanhörung auch alle Organisationen mit Ausnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Angestelltengesellschaft ausgesprochen, nämlich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Union der leitenden Angestellten, der Deutsche Einzelhandelsverband, die freien Berufe, der Gewerbeverband, der Reichsbund, die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung - es war sogar Herr Heubeck, der sich für diese Lösung, den Grundsatz der Wahlfreiheit, ausgesprochen hat - und der Verband der Lebensversicherungen. Auch er war - wenn schon geöffnet wird - für Wahlfreiheit.
Meine Damen und Herren, wenn ich hier noch einmal in das Protokoll der Sitzung des Ausschusses vom 20. Januar 1972 schaue, dann wird deutlich, daß alle diese Organisationen dem Grundsatz der Wahlfreiheit eindeutig den Vorzug vor der Versicherungspflicht auf Antrag gegeben haben. Von der besseren Nachentrichtung im SPD/FDP-Vorschlag habe ich bereits gesprochen.
({3})
- Herr Kollege Ruf, Ihnen gestatte ich noch eine Zwischenfrage als Ausnahme vom Grundsatz.
Herr Kollege Spitzmüller, vielen Dank! - Sind Sie bereit, zuzugeben, daß bei der öffentlichen Anhörung der Sachverständigen im Ausschuß unser Antrag zur freiwilligen Versicherung für Selbständige und andere Personen, insbesondere für Hausfrauen, noch nicht vorgelegen hat, und daß deswegen die Sachverständigen zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage waren, zu unserem Gesamtkonzept Stellung zu nehmen?
({0})
Herr Kollege Ruf, ich bin gern bereit zuzugeben, daß zwischen dem 20. Januar 1972 und heute der Erkenntnisstand der CDU angereichert wurde.
({0})
Aber er wurde mit Sicherheit nicht so angereichert, daß heute diese Organisationen sagen würden, der CDU-Vorschlag ist der bessere. Denn so kenne ich die Vertreter dieser Organisationen auch; daß sie unserem Vorschlag den Vorzug gäben. Das ist der gravierende Unterschied.
({1})
Meine Damen und Herren von der CDU, das ist doch das Schwierige an Ihren Vorschlägen, daß Sie sie so spät eingebracht haben und daß sich die Öffentlichkeit mit ihnen nicht so sehr auseinandergesetzt hat, weil sie natürlich annehmen konnte, daß diese Vorstellungen nicht Gesetzeswirklichkeit werden könnten, und jetzt natürlich außerordentlich überrascht ist, wenn das eventuell doch als Möglichkeit ins Haus steht.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ({0}) ?
Nein, ich gestatte auch meinem Kollegen Schmidt keine Zwischenfrage; ich habe gesagt als Ausnahme vom Grundsatz für den Kollegen Ruf. Ich möchte da also doch grundsätzlich bleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die FDP- und SPD-Vorschläge bieten eine Menge von Vorteilen, die klar herausgearbeitet worden sind und in den Ausschußprotokollen nachzulesen sind. Ich möchte sie deshalb hier nicht alle aufzählen. Nur, wenn der Herr Kollege Ruf hier so getan hat, als ob der Vorschlag der CDU das Nonplusultra dessen sei, was man hier regeln könnte, dann kann ich nur sagen: wo blieben denn die nachdenklichen Damen und Herren des CDU-Mittelstandskreises? Dieser Mittelstandskreis ist offensichtlich ebenso überfahren worden wie früher beim Kindergeld oder in der vergangenen Legislaturperiode bei der Lohnfortzahlung, wo man zwar das Bonbon des Ausgleichs für Kleinbetriebe unter 20 gegeben hat, aber auch das nur in auslaufender Form.
Die Anträge, die die CDU/CSU hier vorlegt, lassen jedes Gefühl für soziale Symmetrie gegenüber den Selbständigen vermissen. Wir Freien Demokraten haben den Eindruck, daß die Mittelständler der CDU nur noch eine Doppelfunktion haben: einmal Herrn Katzer und dann wieder einmal einer anderen Seite in der CDU zur Mehrheit zu verhelfen, aber ihrerseits von sich auch nichts durchzusetzen. Allein die Tatsache, daß die Christlich-Demokratische Union den so sachverständigen Kollegen Ruf heute beauftragt hat, dieses Bündel von CDU-Anträgen vorzutragen, hat in mir die schreckliche Erkenntnis wieder deutlich werden lassen, daß die ChristlichDemokratische Union von ihren Mitgliedern erwartet, nicht nur wider den besseren Sachverstand zu stimmen, sondern gegebenenfalls auch zu sprechen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Wort hat jetzt zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Arndt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe
folgende persönliche Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung abzugeben.
In der 188. Plenarsitzung am 7. Juni 1972 habe ich dem Abgeordneten Dr. Schäfer ({0}) die Zwischenfrage gestellt, ob er bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine bestimmte Kritik des Abgeordneten Hellwig an den Beschlüssen der Ministerpräsidenten der Länder zur Beschäftigung von radikalen Aktivisten im öffentlichen Dienst durch ausdrücklichen Beschluß als ein Verhalten mißbilligt habe, das eines Sozialdemokraten unwürdig ist ({1}).
Die SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf hat mir nunmehr mitgeteilt, daß ihre Debatte über die Äußerungen des Abgeordneten Hellwig nicht zu einem förmlichen Beschluß geführt habe. Die in der Presse berichtete Mißbilligung der Kritik des Abgeordneten Hellwig ist vielmehr im Rahmen der internen Fraktionsdiskussion geäußert worden. In der Sitzungsniederschrift der SPD-Fraktion vom 5. Juni 1972 heißt es dazu lediglich:
Im Anschluß daran entwickelte sich eine längere Diskussion über die Problematik des Beschlusses der Ministerpräsidenten, die Rede des Abg. Hellmut Hellwig bei einer Veranstaltung des Landesjugendrings zum gleichen Thema, die Beschlüsse des Parteivorstandes zum SHB. An dieser Diskussion beteiligten sich die Abg. Bahr, Hellwig, Janssen, Kuhlmann und Trinius.
Ich stehe nicht an, dies auf Wunsch des betroffenen Abgeordneten Hellwig dem Hohen Hause mitzuteilen.
Meine Damen und Herren, der amtierende Präsident hatte zu Beginn der Sitzung dem Herrn Kollegen Arndt die Zusage gegeben, daß er um die Mittagszeit diese Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung abgeben kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur das, was ich eigentlich in einer Zwischenfrage den Kollegen Spitzmüller in Beantwortung Ihrer Frage, Herr Kollege Ruf, fragen wollte, schnell noch vorbringen. Sie haben festgestellt, bei den Verbänden hätte sich seit dem Hearing eine Veränderung der Situation ergeben.
({0})
- Doch! - Ich stelle fest, daß der Zentralverband des Deutschen Handwerks - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren - in seinem Rundschreiben vom 7. September dieses Jahres die Öffnung der Rentenversicherung begrüßt, zumal das Handwerk für seinen Bereich längst eine bewährte Rentenversicherung für die Selbständigen
Schmidt ({1})
hat. Unter den gegensätzlichen Auffassungen der Parteien ist denen von SPD/FDP der Vorzug zu geben, weil deren größere Flexibilität den Belangen und Möglichkeiten der Selbständigen besser gerecht wird. Für einen Selbständigen mit schwankendem Einkommen ist die von CDU/CSU geforderte Versicherungspflicht mit der Verpflichtung zur ständigen Zahlung einkommensgerechter Beiträge weniger geeignet als die Eröffnung der Möglichkeit der Regierungsvorlage.
({2})
Ich wollte das noch feststellen, weil wir vor der Abstimmung über die Frage stehen, ob wir den Selbständigen eine liberale oder eine Zwangslösung anbieten, die liberale Lösung der Regierungskoalition oder die Zwangslösung der CDU/CSU.
({3})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge auf Umdruck 305. Es besteht Einigkeit im Hause, daß über die Änderungsanträge blockweise abgestimmt wird, also jeweils über alle Änderungsanträge zu einem Problemkreis gemeinsam. - Ich stelle fest, daß sich dagegen kein Widerspruch erhebt.
Ich eröffne die Abstimmung über die Änderungsanträge auf Umdruck 305. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wer diesen Änderungsanträgen zustimmen will, den bitte ich mit Ja zu stimmen, wer sie ablehnt, mit Nein oder mit Stimmenthaltung.
I Ich bitte die Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Mit Ja haben von den uneingeschränkt stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses 248 und 10 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 247 Damen und Herren des Hauses und 10 Berliner Abgeordnete gestimmt, so daß sich insgesamt 495 Mitglieder des Hauses und 20 Berliner Abgeordnete beteiligt haben.
Ergebnis:
Abgegebene Stimmen 495 und 20 Berliner Abgeordnete. Davon
Ja: 248 und 10 Berliner Abgeordnete
Nein: 247 und 10 Berliner Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Artzinger
Dr. Bach
Balkenhol
Dr. Becher ({0})
Dr. Becker ({1})
Becker ({2}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge
Biechele
Biehle
Dr. Birrenbach
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe
Breidbach Bremer
Bremm
Brück ({3}) Dr. Burgbacher
Burger
Cantzler
Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans
Dr. Dittrich Dr. Dollinger Draeger
von Eckardt Engelsberger Dr. Erhard
Erhard ({4}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke ({5})
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({6}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({7}) Dr. Gölter
Gottesleben Dr. Gruhl Haase ({8})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Dr. Hallstein Dr. Hammans Hanz
Hartnack
von Hassel
Hauser ({9}) Dr. Hauser ({10})
Dr. Heck
Dr. Hellige Helms ({11})
Dr. Hermesdorf ({12}) Höcherl
Hösl
Horstmeier Horten
Dr. Hubrig Dr. Hupka Hussing
Dr. Huys
Frau Jacobi ({13})
Dr. Jahn ({14}) Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Josten
Dr. Jungmann Frau Kalinke Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee
Dr. Klepsch
Dr. Kley
Dr. Kliesing ({15})
Klinker Köster Krammig
Krampe
Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner
Lampersbach
Leicht Lemmrich
Lensing
Dr. Lenz ({16})
Lenze ({17})
Lenzer Link
Löher ({18})
Dr. Löhr
Looft
Dr. Luda
Lücke ({19})
Lücker ({20})
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({21}) Maucher
Meister Memmel
Dr. Mende
Menth ({22})
Mick
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Dr. Müller ({23})
Dr. Müller ({24})
Müller ({25}) Müller ({26})
Dr. Müller-Hermann
Mursch ({27}) Niegel
Orgaß Ott
Petersen
Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Preiß
Dr. Probst
Prochazka
Rainer Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Richarts
Riedel ({28})
Dr. Riedl ({29})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Roser Ruf
Russe Sauter Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Schedl Schlee Schlichting-von Rönn
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({30}) Schmitt ({31})
Dr. h. c. Schmücker Schneider ({32}) Dr. Schneider ({33}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({34}) Dr. Schröder ({35}) Schröder ({36}) Schulhof f
Schulte ({37}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Spilker Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({38})
Dr. Starke ({39})
Stehle
Stein ({40})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar Vogel Vogt Volmer Wagner ({41})
Dr. Wagner ({42})
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({43})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Wendelborn
Werner
Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wittmann
({44})
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann ({45})
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger Dr. Gradl Dr. Kotowski
Kunz
Müller ({46})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({47})
Dr. Seume ({48})
Wohlrabe
Nein SPD
Adams
Dr. Ahrens
Anbuhl Dr. Apel
Arendt ({49})
Dr. Arndt ({50})
Baack Baeuchle
Bäuerle Bals
Barche
Dr. Bardens
Batz
Bauer ({51})
Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({52}) Becker ({53})
Dr. Beermann
Behrendt
Bergmann
Berkhan Berlin Biermann
Böhm
Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({54})
Bredl
Brück ({55})
Brünen Buchstaller
Büchler ({56})
Buchner ({57})
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Corterier
Cramer
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers
Dr. Enders
Engholm
Dr. Eppler
Esters Faller Dr. Farthmann
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({58})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch Geiger Gerlach ({59})
Gertzen
Dr. Geßner
Gnädinger
Grobecker
Dr. Haack
Haar ({60})
Haase ({61}) Haehser
Halfmeier
Hansen Hansing
Hauck
Dr. Hauff
Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({62}) Herold
Höhmann ({63})
Hörmann ({64}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({65})
Jaschke Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kater
Kern
Dr. Koch
Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen
Lautenschlager
Frau Lauterbach
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Maibaum
Marquardt
Marx ({66})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({67}) Meinike ({68}) Metzger
Michels .Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
({69})
Müller ({70})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Dr. Oetting
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter Pensky Peters ({71})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Richter
Dr. Rinderspacher
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({72}) Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({73})
Frau Schimschock Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid ({74}) Schmidt ({75}) Dr. Schmidt ({76}) Schmidt ({77})
Dr. Schmidt ({78}) Schmidt ({79}) Schmidt ({80}) Schmidt ({81})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({82})
Schwabe Seefeld Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({83})
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({84}) Wehner
Welslau Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
r Wilhelm Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({85}) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({86})
Bartsch Heyen Frau Krappe
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei Sieglerschmidt
FDP
Dr. Achenbach
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
vorn Ertl
Gallus
Geldner
Genscher
Graaff
Grüner
Jung Kirst Kleinert
Krall Logemann
Dr. h. c. Menne ({87})
Mertes Mischnick
Moersch Ollesch Opitz
Peters ({88}) Scheel
Schmidt ({89}) Spitzmüller
Wurbs
Berliner Abgeordnete Borm
Damit ist der Antrag Umdruck 305 angenommen.
({90})
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages. Wir treten in die Mittagspause ein. Wir beginnen um 14 Uhr mit der Fragestunde.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({91})
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache VI/3783 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz.
Fragen 35 und 36. - Hier bitten die Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 37 des Abgeordneten Kaffka:
Hat die von der Bundesregierung angekündigte Besprechung mit den Ländern über die Vorbereitung gesetzlicher Maßnahmen zum wirksamen Schutz der Verbraucher vor einer mißbräuchlichen Verwendung unangemessener ({0}) Allgemeiner Geschäftsbedingungen stattgefunden, und zu welchen Ergebnissen hat eine etwaige Kontaktaufnahme mit den Ländern geführt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Kaffka, die angekündigte Beratung zur Vorbereitung gesetzlicher Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher gegenüber den Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Vertretern der Landesjustizverwaltungen hat am 26. und 27. Juli 1972 in meinem Hause stattgefunden. Die Teilnehmer einigten sich auf den Vorschlag an Bundesminister Gerhard Jahn, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen sowie mit den Justiz- und Wirtschaftsministern der Länder eine Arbeitsgruppe zu berufen, in der neben Angehörigen der Justiz- und Wirtschaftverwaltungen unter anderem Vertreter aus Wissenschaft und Rechtsprechung mitwirken sollen. Die Konstituierung dieser Arbeitsgruppe, die im Interesse einer straffen und effektiven Arbeitsweise möglichst klein gehalten werden soll, ist in die Wege geleitet. Die Arbeitsgruppe soll sich in geeigneter Weise auch die Kenntnisse und die Erfahrungen der Wirtschaft und der Verbraucher mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunutze machen. Aufgabe der Arbeitsgruppe wird es sein, mit Vorrang und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, im Interesse eines befriedigenden und wirksamen Verbraucherschutzes Auswüchse bei der Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu beseitigen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, weshalb ist die Arbeitsgruppe noch nicht zusammengetreten, obgleich die Länderjustizverwaltungen bereits im Juni zusammen waren?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Kaffka, es war nicht sehr leicht für mein Haus, aus allen Ländern - in einem entsprechenden Proporz selbstverständlich - genügend Sachverständige zu finden, die geeignet und in der Lage sind, die Vorarbeiten für unsere Reformmaßnahmen zu leisten.
Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Kaffka auf:
Welche sachlichen und zeitlichen Voraussagen lassen sich gegenwärtig für eine gesetzliche Lösung des Problems machen, Verbraucher wirksamer als bisher vor mißbräuchlicher Ausnutzung durch Verfolgung einseitiger Geschäftsinteressen zu schützen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Sachliche Voraussagen über Art und Umfang einer gesetzlichen Regelung lassen sich im gegenwärtigen Zeitpunkt, da die Arbeitsgruppe, wie ich bereits ausgeführt habe, ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat, nur schwer machen. Es erscheint aber denkbar, daß die Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis gelangen wird, daß eine nur auf Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgerichtete Regelung für einen befriedigenden Verbraucherschutz nicht ausreicht. Soweit erforderlich, sollen deshalb über eine spezielle Regelung oder Reform der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinausgehende Änderungen des Privatrechts in Richtung auf eine sozialere Ausgestaltung in die Prüfung mit einbezogen werden. Feste zeitliche Voraussagen, Herr Kollege Kaffka, über eine gesetzliche Regelung sind gegenwärtig nicht' möglich. Die Teilnehmer der Besprechung vom 26. und 27. Juli 1972 sind davon ausgegangen, die Arbeitsgruppe werde die eine spezielle Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen betreffenden Fragen so zügig prüfen, daß die Bundesregierung auf der Grundlage dieser Vorarbeiten in der nächsten Legislaturperiode rechtzeitig einen Gesetzentwurf hierfür vorlegen wird.
Zusatzfrage.
Können Sie sagen, wann die Arbeitsgruppe zusammentreten wird?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Sicher, Herr Kollege, in den nächsten Wochen.
Ich rufe die Frage
39 des Abgeordneten Krockert auf:
Hat die vom Bundesminister der Justiz angekündigte Sachverständigenkommission, die Maßnahmen zur wirkungsvolleren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität erarbeiten soll, inzwischen ihre Tätigkeit aufgenommen, und wie ist der Prüfungsauftrag der Kommission abgegrenzt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Krockert, der Bundesminister der Justiz hat am 25. Juli 1972 die Kommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, also für die Reform des Wirtschaftsstrafrechts, eingesetzt. Auf ihrer ersten Arbeitssitzung, die vom 11. bis zum 13. Oktober 1972 in Berlin stattfindet, wird die Kommission ihr Arbeitsprogramm festlegen. Wie bereits der Bundesminister der Justiz in seiner Ansprache anläßlich der konstituierenden Sitzung ausgeführt hat, wird erwartet, daß die Kommission einfache, praktikable Straftatbestände vorschlägt, die entweder durch Herauslösung von Sonderfällen aus den allgemeinen Tatbeständen der Vermögensdelikte oder durch vorsichtige Vorverlegung des strafrechtlichen Schutzes bereits in den Gefährdungsbereich entstehen. Es ist davon auszugehen, daß die Kommission sich besonders mit dem Anwendungsbereich des Betrugs befassen wird. Auf diesem Gebiet liegen bereits Entschließungen der mit der Bearbeitung von Wirtschaftsstrafsachen befaßten Staatsanwälte der Länder vor. Danach werden u. a. besonders Tatbestände der Krediterschleichung, der Abgabe falscher Wertgutachten über Grundstücke, eine Erweiterung des § 4 UWG im Sinne der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, Vorschriften gegen Wechselreiterei und Scheckbetrug sowie eine Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes vor Schwindeleien bei der Gründung von Firmen gefordert.
Ich rufe die Frage
40 des Abgeordneten Krockert auf:
Wie ist diese Kommission personell zusammengesetzt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums der Justiz: Der Vorsitzende der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist Generalstaatsanwalt a. D. Dr. Hanns Dünnebier, Bremen. Sein Vertreter ist Generalstaatsanwalt Günther Weinmann, Stuttgart. Ferner gehören der Kommission weitere zwölf Persönlichkeiten aus dem wirtschaftlichen Bereich, aus der Wissenschaft und aus der Praxis der Steuerberater an, aber auch einige erfahrene Richter. Aus dem Deutschen Bundestag wurden auf unseren Wunsch in diese Kommission berufen aus der Bundestagsfraktion der SPD der Abgeordnete Dr. Farthmann und als sein Stellvertreter Dr. Hans de With, aus der FDP-Fraktion die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus und als ihr Vertreter Herr Kleinert. Die CDU/CSU-Fraktion hat bisher noch keinen Abgeordneten benannt. Sie hat uns wissen lassen, daß sie dies demnächst tun wird.
Ich rufe die Frage
41 der Frau Abgeordneten Meermann auf:
Wie hat sich der neue Kündigungsschutz für Wohnraummietverhältnisse in der Praxis bewährt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Frau Kollegin Meermann, das von den Koalitionsparteien im vergangenen Jahr durchgesetzte Wohnraumkündigungsschutzgesetz hat sich in der Praxis sehr bewährt. Nach den bisher gemachten Erfahrungen ist das Ziel des Gesetzgebers erreicht worden, die Rechtsstellung des Mieters zu verstärken, insbesondere dem Mieter einen wirksamen Schutz vor ungerechtfertigter Kündigung zu gewährleisten und einen unangemessenen Anstieg der Mietpreise zu verhindern. Wie zahlreiche Berichte aus der Praxis zeigen, sind nach Inkrafttreten der Neuregelung nicht nur die Zahlen der Kündigungen und der Räumungsklagen, sondern auch die Mieterhöhungen merklich zurückgegangen. Der Präsident des Deutschen Mieterbundes wie auch der Direktor dieses Verbandes haben das erst kürzlich wiederholt bestätigt.
Eine Ubersicht über die bisher veröffentlichten gerichtlichen Entscheidungen zeigt darüber hinaus, daß sich die neuen Vorschriften auch bei einer streitigen Auseinandersetzung als wirksames Instrument zum Schutze des Mieters vor ungrechtfertigtem Verlust seiner Wohnung und vor finanziellen Überforderungen bewähren.
Eine Zusatzfrage.
Herr -Staatssekretär, können Sie mir auf Grund Ihrer Untersuchungen bestätigen, daß keine der beiden eigentlich in sich widersprüchlichen Voraussagen der Opposition in diesem Hause eingetreten sind, nämlich daß dieses Gesetz einen absoluten Mietstopp bedeute bzw. zur Beschleunigung des Mietanstiegs führen würde?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege, ich kann Ihnen bestätigen, daß diese extremen Prophezeiungen selbstverständlich völlig falsch waren und durch die Praxis widerlegt wurden.
({0})
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung Anzeichen dafür, daß sich das neue Mieterschutzrecht in irgendeiner Weise hemmend auf den Bau von Mietwohnungen oder auf die dafür ergriffenen Initiativen auswirkt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Keineswegs, Herr Kollege
Ich rufe die Frage
42 der Frau Abgeordneten Meermann auf:
Vizepräsident Dr. Schmid
Ist gegebenenfalls an eine Verlängerung der bislang auf den 31. Dezember 1974 begrenzten Geltungsdauer des Wohnraumkündigungsschutzes oder an dessen Übernahme als Dauerrecht gedacht?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Frau Kollegin, die Geltung des Wohnraumkündigungsschutzgesetzes ist zur Zeit bis zum 31. Dezember 1974 befristet. Die künftige Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften werden rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist zu prüfen haben, ob nach der alsdann gegebenen Lage auf dem Wohnungsmarkt eine Verlängerung der Geltungsdauer geboten ist.
Wegen der bisher positiven Erfahrungen mit den neuen mietrechtlichen Regelungen sollte aber nicht nur eine zeitlich befristete Verlängerung, die sich nach meiner Einsicht als unabdingbar erweisen wird, geprüft werden. Es wird vielmehr zu prüfen sein, ob diese Regelungen nicht als Dauerrecht in das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches zu übernehmen sind.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Höcherl auf:
Wieviel Projekte des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms für die Landwirtschaft wurden in den Jahren 1969 bis 1972 verwirklicht, und wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zu den Jahren 1960 bis 1969?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich fürchte, Herr Kollege Höcherl, daß ich Ihre Frage nicht so beantworten kann, wie Sie es wahrscheinlich erwarten. Sie verlangen von der Bundesregierung Vergleichszahlen für Zeiträume und Maßnahmen, die nicht miteinander vergleichbar sind.
Wie Ihnen bekannt ist, werden die Richtlinien zum Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm seit 1. Juli 1971, also seit gut einem Jahr, angewandt. Ein Vergleich der nach diesem Programm in den Jahren 1966 bis 1969 bzw. 1969 bis 1972 geförderten Anzahl von Projekten ist also unmöglich.
In der Zeit, in der Sie die Verantwortung für die Agrarpolitik trugen, wurde z. B. im Vollzug des EWG-Anpassungsgesetzes die Investitionsbeihilfe durchgeführt. Es handelt sich hier um eine Maßnahme, mit der sehr viele, oft aber nur kleine Einzelprojekte gefördert wurden.
Inzwischen wurde - ich glaube, in den Grundsatzfragen bestehen hier keine unterschiedlichen Auffassungen - die Förderungspolitik zu einer gezielten Investitionsförderung entwicklungsfähiger Betriebe und einem entsprechenden sozialen Ergänzungsprogramm weiterentwickelt. Die Zahl der geförderten Investitionsprojekte muß dabei zweifelsohne zurückgehen.
Damit wir uns nicht mißverstehen, Herr Kollege Höcherl: Ich habe hier nichts zu verschleiern oder zu beschönigen. Gerne bin ich bereit, Ihnen alle erbetenen Zahlen mitzuteilen. Allerdings läßt sich die Antwort nicht in zwei oder drei Zahlen zusammenfassen. Ich möchte daher - Ihr Einverständnis voraussetzend - das Hohe Haus in der Fragestunde nicht mit dem Vortrag einer langen Statistik belästigen, sondern schlage vor, die Frage insoweit schriftlich zu beantworten.
Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn nicht in der Lage - nachdem schon eine genaue Quantifizierung in Ihrem Hause offenbar nicht möglich ist -, wenigstens eine kleine Schätzung abzugeben? Ich wäre schon sehr dankbar, wenn Sie bloß eine ganz kleine, bescheidene Schätzung mitteilen könnten.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich habe eine Reihe von detaillierten Aufstellungen, Herr Kollege Höcherl. Ich könnte Ihnen natürlich einige Zahlen nennen, z. B.: Auf Grund des EWG-Anpassungsgesetzes wurden in den Jahren 1966 bis 1969 167 625 Projekte im Rahmen der Investitionshilfe gefördert. 1970 und 1971 wurden diese Maßnahmen vollends abgewickelt; 18 243 Förderungsfälle fallen in diesen Zeitraum. Oder: Bei den Maßnahmen zur Verbesserung der arbeitwirtschaftlichen und hygienischen Bedingungen in den Wohnhäusern landwirtschaftlicher Betriebe ergibt die Gegenüberstellung folgende Zahlen: 1966 bis 1969 wurden durch Bundeszuschüsse in Höhe von rund 110 Millionen DM 74 737 landwirtschaftliche Wohnhäuser modernisiert. 1970 und 1971 wurden für diesen Zweck insgesamt rund 67,4 Millionen DM aufgewendet. 44 452 Betriebe kamen in den Genuß dieser Förderung. Die Zahl der geförderten Fälle ist seit 1970 sprunghaft angestiegen. Wegen des starken Antragseingangs ist für 1972 eine weitere Aufstockung des bisherigen Bewilligungskontingents von 30 Millionen DM vorgesehen.
Ein anderer Punkt: Die Inanspruchnahme der zinsverbilligten Kredite hat sich seitdem bei den mit dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm vergleichbaren Maßnahmen folgendermaßen entwickelt: 1966 bis 1969 wurden 138 081 Kredite zinsverbilligt. Sie entsprechen einem Kreditvolumen von rund 2,5 Milliarden DM. 1970 und 1971 waren es insgesamt 42 654 Kredite. Das Kreditvolumen betrug rund 1,1 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe nur nach Investitionshilfe gefragt und nicht nach anderen Dingen. Meinen Sie nicht, daß das Ergebnis sehr, sehr bescheiden ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
und Forsten: Das will ich nicht sagen, Herr Minister, -
({0})
Herr Kollege Höcherl; Minister war sicherlich falsch formuliert; ich bitte um Entschuldigung.
Nein, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Höcherl, die Investitionshilfe ist seinerzeit ausgelaufen. Sie kennen auch die Gründe dafür. Wir meinen, daß wir mit unserem Einzelbetrieblichen Förderungsprogramm jetzt zahlenmäßig durchaus nachweisen können, daß sehr wohl nun auch dieses Programm verstärkt genutzt wird - allerdings in den Ländern unterschiedlich.
Bitte, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, würden Sie die ausweichende Antwort, in der Sie mit Hinweisen auf Wohnungsbauten und sonstige Dinge die gezielten direkten Investitionshilfen zu vertuschen suchten, auf die sehr präzise Frage des Herrn Kollegen Höcherl als eine überzeugende Aussage erfolgreicher Agrarpolitik bezeichnen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Früh, dabei gibt es nichts zu vertuschen, Sie würden meine Auffassung bestätigen, wenn ich jetzt auch noch die anderen Seiten vorlesen würde. Ich habe hier Zahlen über die Entwicklung hinsichtlich der Aufstockung, der Aussiedlung und der baulichen Maßnahmen in Altgehöften. Hier sind also durchaus positive Zahlenentwicklungen zu erkennen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß uns vor einigen Tagen eine Aufstellung aus Ihrem Haus zuging, in der Zahlen des Einzelbetrieblichen Förderungsprogramms mit denen aus Förderungsmaßnahmen vergangener Jahre verglichen wurden und in der Ihr Haus zum Ausdruck bringt, daß die Förderungsmaßnahmen sprunghaft zurückgingen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das mußte ja, Herr Kollege, zwangsläufig so sein - ich habe es hier erwähnt -, weil hier Objekte verglichen werden, die nicht miteinander vergleichbar sind. Ich habe darauf hingewiesen, daß gerade bei den Investitionsbeihilfen sehr viele kleinere Vorhaben gefördert worden sind, während wir uns jetzt vor allen Dingen gezielt Schwerpunkten zuwenden.
Ich rufe die Frage 61 der Abgeordneten Frau Dr. Orth auf:
Trifft es zu, wie auch die Arbeitsgemeinschaft für Verbraucher feststellt, daß seit 1956 durch den Einsatz von über einer Milliarde DM staatlichen Zuschüssen die Zahl der Molkereien von rund 3000 auf 1100 verringert wurde, daß dabei Betriebe stillgelegt wurden, die gerade erst mit staatlichen Investitionszuschüssen gebaut worden waren, daß gleichzeitig neue, unangemessen aufwendige Betriebe errichtet wurden, deren Kapazitäten - auch in Spitzenzeiten - nur zum Teil ausgelastet sind, und daß die Verbraucherpreiserhöhung für Trinkmilch in der letzten Zeit zum Teil Folgen dieser fehlgeplanten Molkereistrukturpolitik sind?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Frau Kollegin Dr. Orth, es trifft zu, daß für die Förderung der notwendigen Strukturmaßnahmen in der deutschen Molkereiwirtschaft von 1957 bis 1971 rund 1,076 Milliarden DM ausgezahlt wurden, und zwar rund 932 Millionen DM aus Bundesmitteln, 94 Millionen DM aus Landesmitteln, rund 50 Millionen DM aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der Molkereien von rund 3100 auf 1100 verringert.
Zur Frage der vorzeitigen Stillegung geförderter Molkereien ist nach den Meldungen der Länder festzuhalten, daß in keinem Fall ein Neubau errichtet wurde, der in seiner Gesamtheit vorzeitig aus dem Produktionsprozeß ausgeschieden ist. Lediglich Produktionsabteilungen oder maschinelle Anlagen sind in 79 Fällen mit einem Beihilfevolumen von 20,342 Millionen DM - das sind rund 2 % der insgesamt bereitgestellten Bundesmittel - nicht antragsgemäß über die vorgesehene Zeitdauer verwendet worden. Auf Grund weitergehender Rationalisierungsmaßnahmen ist jedoch der überwiegende Teil dieser Anlagen in neu zu fördernde Strukturfälle eingegangen. Soweit eine Wiederverwendung nicht wirtschaftlich sinnvoll war, sind bzw. werden die Beihilfen anteilig zurückgefordert. In einer sich dynamisch entwickelnden Wirtschaft sind derartige Fälle unvermeidlich. Da für die Bewilligung der Beihilfen die Länder zuständig sind, müssen zu den von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher in der Öffentlichkeit genannten Einzelvorhaben meine Kollegen in den Ländern Stellung nehmen.
Über die Frage der Kapazitätsauslastung habe ich bereits im Herbst vorigen Jahres durch die Bundesanstalt in Kiel Erhebungen veranlaßt. Diese Erhebungen konnten zu keinem aussagefähigen Abschluß gebracht werden. Wir haben deswegen die Erarbeitung einer Nutzen-Kosten-Analyse im Sinne einer Erfolgskontrolle durch ein neutrales Institut ausgeschrieben. Im Rahmen dieser Untersuchungen erwarten wir auch eindeutige Aussagen zur Kapazität.
Der in der öffentlichen Diskussion hergestellte Sachzusammenhang zwischen Förderung der Molkereien einerseits und Trinkmilchpreisanhebung andererseits ist unzutreffend. Dem Wettbewerb auf dem Trinkmilchmarkt sind auf Grund der produktspezifischen Eigenschaften Schranken gesetzt. Deshalb wird bei pasteurisierter Milch der örtliche Markt überwiegend von den gebietsansässigen MolParlamentarischer Staatssekretär Logemann
kereien versorgt. Durch die Liberalisierung der Einfuhren, die Aufhebung der Einzugs- und Absatzgebietsregelung und des Festpreises für Trinkmilch sind durch die Bundesregierung alle für die Entwicklung des Wettbewerbs notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Darüber hinaus werden von uns seit langem alle Bemühungen gefördert, durch die weitere Verbreitung von haltbaren Trinkmilchsorten und durch eine Steigerung der Qualität und Haltbarkeit der pasteurisierten Trinkmilch den Wettbewerb zu fördern.
Im übrigen ist hier festzustellen, daß Trinkmilchmolkereien, soweit sie eine marktbeherrschende Stellung haben, der Mißbrauchsaufsicht auf Grund des Kartellgesetzes unterliegen. Dies gilt insbesondere für die Preisgestaltung in diesem Bereich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie aber im großen und ganzen mit mir darin überein, daß sich durch diese Molkereistrukturpolitik weder für den Erzeuger noch für den Verbraucher irgendwelche Vorteile ergeben haben?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich meine doch, daß sich für den Erzeuger insoweit Vorteile ergeben haben, daß die nun geschaffenen größeren Molkereien rationeller arbeiten und damit den Anteil des Erzeugerpreises am Verbraucherpreis erhöht haben.
Für den Verbraucher, Frau Kollegin, gibt es insofern keine Nachteile, wie ich schon ausführen konnte, als auf dem Gebiet der Trinkmilchversorgung andere Kriterien mit wirksam sind, die Nachteile für den Verbraucher verhindert haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß man annehmen muß, daß die verehrte Kollegin Frau Dr. Orth einer Falschinformation aufgesessen ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nein, Herr Kollege Höcherl, auch das würde ich nicht sagen, denn gerade diese Art Information, wie sie hier in den Fragen von Frau Dr. Orth zum Ausdruck kommt, ist erklärlich durch die Pressemeldungen, die in letzter Zeit laufend zu lesen waren.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß in jedem Bereich, in dem Investitionen vorgenommen werden, auch gelegentlich selbst bei optimaler Planung Fehlinvestitionen vorkommen können, und sind Sie bereit zuzugeben,
daß z. B. bei der Molkereistrukturverbesserung in Schleswig-Holstein, worüber mir die Zahlen vorliegen, z. B. bei einem Zuschußvolumen von etwa 90 Millionen DM lediglich 500 000 DM Fehlinvestitionen anzutreffen sind, was einem Prozentsatz von 0,5 bis 0,6 % der verwendeten Mittel entspricht?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Klinker, ich gebe Ihnen recht, daß man bei erheblichen Investitionsbeträgen damit rechnen muß, daß nicht alle Beträge im Sinne des Gesetzgebers oder der Initiatoren dieser Entwicklung angelegt werden. Die von mir schon erwähnten - wenn ich es so nennen darf - „Fehlinvestitionen" sind aber wirklich sehr gering. Ich habe sie mit 2 % der Gesamtinvestitionssumme beziffert. Damit muß ich Ihnen recht geben. Im übrigen habe ich Ihre holsteinischen Zahlen hier nicht vorliegen, aber mir ist bekannt, daß solche Zahlen ihre Richtigkeit haben können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die beiden Fragen der Frau Kollegin Orth sind ja sehr allgemein gehalten, aber in ihnen ist doch eine Feststellung enthalten, und deswegen möchte ich, wenn Sie gestatten, noch eine Frage stellen. Können Sie angeben, in welchen Molkereibetrieben in einem unangemessenen Umfang Aufwendungen auf Grund staatlicher Zuschüsse vorgenommen wurden, die zu einer Nichtauslastung der Molkereien geführt haben? Das geht ja aus den Zeilen dieser etwas schlangenförmig formulierten Frage hervor.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Klinker, hier muß ich Sie enttäuschen. Mir liegen keine Zahlen vor, und in meinen Unterlagen sind auch nicht einzelne Molkereien aufgeführt. Ich könnte versuchen, diese Frage schriftlich zu beantworten.
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Die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihrer ersten Antwort mit Recht entnommen, daß Sie mit mir der Ansicht sind, daß die Verbraucherpreiserhöhung für Trinkmilch der letzten Zeit nicht, wie es in der Frage von Frau Dr. Orth behauptet wird, auf eine fehlgeplante Molkereistrukturpolitik zurückzuführen ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Da haben Sie mich völlig richtig verstanden. Man kann, glaube ich, nicht feststellen, daß Trinkmilchpreiserhöhungen auf falsche Investitionen bei den Molkereien zurückzuführen wären.
Herr Kiechle!
Herr Staatssekretär, können Sie auf Grund der Antwort, die Sie hier eben gegeben haben, meine Auffassung bestätigen, daß die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände für ihre überaus kritische Haltung der letzten Wochen in dieser Frage doch offensichtlich sehr fragwürdige Informationsquellen hatte?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nein, Herr Kollege Kiechle, das kann ich eben nicht bestätigen. Ich bin der Meinung, daß die Verbraucherverbände durchaus gehalten sind - deshalb sind es ja Verbraucherverbände -, die Verbraucherpreisentwicklung auch bei der Trinkmilch kritisch zu verfolgen. Das ist geschehen.
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- Den Begriff „wahrheitsgemäß" möchte ich hier im Augenblick nicht mit definieren.
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Ich meine aber auch, daß eine gewisse Aufregung über die Entwicklung der Trinkmilchpreise berechtigt ist, denn hier sind Preissteigerungen da, die wir, meine ich, auch als Erzeuger mit kritischen Augen betrachten sollten. Es darf ja für uns nicht uninteressant sein, ob der Trinkmilchverbrauch zu- oder abnimmt. Er hat leider abgenommen, und deshalb prüfen wir sehr genau auch die Entwicklung der Trinkmilchpreise.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatssekretär, es ist bekanntgeworden, daß in letzter Zeit Meinungsverschiedenheiten im Bundesforschungsinstitut für Milchwirtschaft zwischen der Leitung und einigen mehr oder weniger qualifizierten Mitarbeitern entstanden sind. Ich hätte gern Ihre Meinung dazu gehört, welche von beiden Seiten Sie nun bei der weiteren Beurteilung heranziehen wollen, wie Sie sich also, wenn Sie diese Bundesforschungsanstalt einschalten, um meinungsbildend tätig zu sein, verhalten und wem sie bei der Meinungsbildung den Vorzug geben.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Bei einer detaillierten Antwort auf diese Frage wäre ich jetzt überfordert. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir die kritischen Anmerkungen von einigen Wissenschaftlern - Sie meinen ja wahrscheinlich die aus Kiel - sofort haben prüfen lassen, und wir haben sie auch anderen Stellen zugänglich gemacht. Auch darauf habe ich in meiner Antwort schon hingewiesen.
Herr Abgeordneter Struve!
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die öffentliche Diskussion, in die die Bundesforschungsanstalt, die ja international angesehen ist, hineingezogen wurde, doch ein Beweis dafür ist, daß sich gewisse wissenschaftlich fundierte Äußerungen und Feststellungen, die auf Grund von Richtlinien Ihres Hauses zustande kommen, nicht immer mit gewissen parteipolitischen Einflüssen vertragen, und teilen Sie weiter meine Auffassung, daß diese Kampagne letzten Endes auf Kosten unserer gemeinsam getragenen Bundesforschungsanstalt und deren wissenschaftlicher Leitung gegangen ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Struve, ich bin mit Ihnen völlig einig: Wir wollen nichts tun, was dem Ruf der Bundesforschungsanstalt für Milchwirtschaft in Kiel irgendwie abträglich sein könnte. Ich darf Ihnen aber auch sagen: Mir ist nichts bekannt über parteipolitische Einflüsse, die dort wirksam geworden sein sollen. Auf diesem Gebiete bin ich eigentlich empfindlich, aber ich habe solche Einflüsse nicht verspürt, und insofern muß ich Sie enttäuschen.
Ich kann nur noch einmal betonen, daß gerade dieser Sachverhalt im Hause sehr genau verfolgt, geprüft und bewertet worden ist. Aber ich möchte jetzt nicht weiter in ein - wenn wir es so nennen wollen - schwebendes Verfahren eingreifen.
Herr Dr. Früh!
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Meinung teilen, daß sich dem aufmerksamen Zuhörer der Eindruck aufdrängt, daß Sie hier, wenn Sie auf die Frage von Herrn Kiechele antworten, die Verbraucherverbände hätten keine falschen Informationen, und auf die gezielten Fragen von Herrn Klinker andererseits sagen, es sei hier nichts falsch investiert worden, nach der Methode „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" verfahren, sich also nach keiner Seite entscheiden möchten oder können?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Nein, das meine ich nicht. Ich habe erklärt, daß, wenn Sie so wollen, 2 % von der Gesamtsumme „fehlinvestiert" sind. Dann habe ich Herrn Kiechle auch die Entwicklung der jetzigen Situation beim Trinkmilchverbrauch zu bedenken gegeben. Das alles und auch die Entwicklung der Trinkmilchpreise muß man im Zusammenhang sehen.
Eine Zusatzfrage; das ist die letzte Zusatzfrage, die ich zulasse.
Herr Staatssekretär, wären Sie vielleicht bereit, hier vor der Öffentlichkeit zu bestätigen, daß die in der Frage der Frau Kollegin Dr. Orth enthaltene Behauptung, daß gerade erst
mit staatlichen Zuschüssen gebaute Milchbetriebe als Fehlinvestitionen anzusehen sind, richtig ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich habe versucht, die Frage von Frau Dr. Orth umfassend zu beantworten. Warum sollte ich hier etwas wiederholen? Ich meine aber auch, daß solche Fragen nach dem, was man in der letzten Zeit in der Presse lesen konnte, durchaus ihre Berechtigung haben.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 62 der Frau Abgeordneten Dr. Orth auf:
Trifft es zu, daß zur Erstellung von Gutachten zur Molkereistrukturverbesserung bei der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel nicht oder nur in geringem Umfang das eigens zu diesem Zweck eingestellte wissenschaftliche Personal eingesetzt wurde, und sind aus den Ergebnissen des Bonner Untersuchungsausschusses bei seinen Überprüfungen an der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel sachliche, organisatorische und personelle Konsequenzen in dieser Richtung zu erwarten?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Soweit die aus Mitteln des Grünen Planes bezahlten wissenschaftlichen Mitarbeiter der Bundesanstalt für Milchforschung Kiel nicht unmittelbar mit der Gutachtenerstellung befaßt waren, sind sie mit ökonomischen Problemen beschäftigt worden, die mit der Molkereistruktur im Zusammenhang stehen bzw. Grundlage der Gutachtenerstellung sind. Auf Grund der Überprüfungen von Vertretern meines Hauses ist beabsichtigt, die Gutachtertätigkeit im engeren Sinne aus den Instituten der Betriebswirtschaft und Marktforschung sowie für Verfahrenstechnik auszugliedern.
Die Frage ist beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) auf:
Erscheint angesichts des ständigen Geldwertverlustes ein bereits 1960 festgesetzter, ohne besonderen Nachweis anerkannter Pauschalbetrag von monatlich 150 DM, der Schwerstbeschädigten nicht als Einkünfte auf ihren Berufsschadenausgleich angerechnet wird, noch angemessen, insbesondere dort, wo es sich um lohnsteuerfreie Aufwandsentschädigungen für Mitglieder eines Gemeindeparlaments handelt?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Dr. Hauser, ich würde gern beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Bitte. Dann rufe ich auch die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) auf:
Sind Schwerstbeschädigte, die unter den Personenkreis der Sonderfürsorge fallen, bei Ausübung ehrenamtlicher kommunalpolitischer Tätigkeiten gegenüber nicht kriegsbeschädigten Inhabern politischer Ehrenämter, die derartige Erschwernisse nicht hinnehmen müssen, angesichts einer Handhabung, wie sie in Frage 63 angesprochen ist, nicht besonders benachteiligt, obwohl doch offenkundig bleibt, daß derart vom Schicksal hart Betroffene bei Ausübung öffentlicher Aufgaben außerordentliche Auslagen in Kauf zu nehmen haben?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Bei der Feststellung des Berufsschadenausgleichs nach dem Bundesversorgungsgesetz sind grundsätzlich alle Einkünfte zu berücksichtigen, die dem Beschädigten aus seiner Erwerbstätigkeit zufließen. Durch Rechtsverordnung sind jedoch einige Arten von Einkünften ausgenommen, zu denen auch Leistungen, die zur Abgeltung eines besonderen Aufwandes bestimmt und aus diesem Grunde nicht lohnsteuerpflichtig sind, gehören. Diese Leistungen dienen nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts, sondern der Abgeltung der im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit verbundenen Unkosten, die über die normale Lebenshaltung hinausgehen. Ein fester Betrag für Aufwandsentschädigungen, die bei der Ermittlung der Einkünfte von Schwerbeschädigten unberücksichtigt bleiben, ist im Versorgungsrecht nicht genannt. Er wird vielmehr von den Versorgungsämtern nach den Umständen des Einzelfalls festgelegt.
Falls sich Ihre Fragen - was ich nur vermuten kann, Herr Kollege -, auf diesen Problemkreis beziehen, muß ich um Verständnis dafür bitten, daß ich keine konkrete Auskunft geben kann. Nur bei Kenntnis der Fakten, die das zuständige Versorgungsamt berücksichtigt hat, ließe sich die Rechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung und deren Bedeutung für die gegenwärtige und zukünftige Rentenbemessung beurteilen. Ich bin selbstverständlich bereit, die Nachprüfung eines Ihnen gegebenenfalls bekannten Einzelfalles zu veranlassen, wenn Sie mir dazu die notwendigen Daten mitteilen.
Im übrigen möchte ich abschließend noch darauf hinweisen, daß der Berufsschaden- und der Schadenausgleich dadurch eine entscheidende Verbesserung erfahren haben, daß das Vergleichseinkommen nunmehr jährlich nicht mehr wie früher im zweijährigen Abstand neu ermittelt wird. Auf diese Weise wird der Berufsschaden- und der Schadenausgleich wie die übrigen Renten laufend an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse angepaßt.
Für die Fragen 65 und 66 bittet die Fragestellerin um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Geisenhofer auf. Der Fragesteller ist nicht im Saal. - Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Härzschel auf:
Wie hoch war im vergangenen Jahr der Prozentsatz der Frauen und Männer, die sich einer Vorsorgeuntersuchung unterzogen haben, und welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, wie die Bereitschaft, an Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen, gefördert werden kann?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Härzschel, in seiner 75. Sitzung am 4. November 1970 hat der Deutsche Bundestag bei der Verabschiedung des Zweiten Krankenversicherungs11614 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 197. Sitzung. Bonn, Mittwoch. den 20. September 1972
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde Änderungsgesetzes beschlossen, daß die Bunderegierung bis zum 31. Dezember 1972 u. a. über die Erfahrungen berichtet, die aus der Einführung von Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten als Pflichtleistungen der Krankenkassen vorliegen. Die Bundesregierung bereitet diesen Bericht vor. Hierzu werden zur Zeit repräsentative und aussagefähige Daten über die Inanspruchnahme der Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten ermittelt. Da diese Daten noch nicht vorliegen, bitte ich um Ihr Verständnis, daß ich noch keine Quantifizierung vornehmen kann. Sie können aber davon ausgehen, daß die Bundesregierung den angekündigten Bericht zum Anlaß nehmen wird, die für die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen wichtigen Aufklärungsmaßnahmen mit den Beteiligten erneut zu erörtern.
Wie Sie wissen, hat der Gesetzgeber die Krankenkassen verpflichtet, im Zusammenwirken mit den kassenärztlichen Vereinigungen die Versicherten und ihre anspruchsberechtigten Familienangehörigen mit allen geeigneten Mitteln und in bestimmten Zeitabständen über die zur Sicherung der Gesundheit notwendige und zweckmäßige Inanspruchnahme von Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten aufzuklären. Die Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen haben vielfältige Anstrengungen unternommen, um diese Aufgabe zu erfüllen. Ich habe hierauf schon in mehreren Fragestunden ausführlich hingewiesen. So wurde das Interesse der Versicherten für die Vorsorgeuntersuchungen u. a. durch individuelle Anschreiben, durch Merkblätter der verschiedensten Art und durch zahlreiche Presseinformationen geweckt und gestärkt.
Im übrigen hat auch Minister Arendt in einem Aufruf am 1. Juli 1972 die versicherte Bevölkerung erneut auf die ihr gebotenen Möglichkeiten der Früherkennungsuntersuchungen aufmerksam gemacht. Sie können davon ausgehen, Herr Kollege, daß eine solche oder ähnliche Information der versicherten Bevölkerung ein ständiger Bestandteil unserer Öffentlichkeitsarbeit bleiben wird.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Die Fragen 69 und 70 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Nachdem der Bundesminister der Verteidigung entschieden hat, daß der neue Sitz für die zusammengeführten Kreiswehrersatzämter Heidelberg, Mosbach und Mannheim in Mannheim sein soll, frage ich den Bundesminister für Verteidigung, ob und welche Konzeption für die Sicherstellung der bisherigen Arbeitsplätze der Bediensteten der drei Kreiswehrersatzämter besteht?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, Herr Abgeordneter Baier, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 71 und 72 im Zusammenhang beantworten dürfte.
Bitte sehr!
Dann rufe ich noch die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Besteht für das neue Kreiswehrersatzamt - Musterungszentrum - Mannheim bereits ein Stellenplan, und wie viele der bisherigen Bediensteten der drei Kreiswehrersatzämter sollen entlassen oder an andere Stellen versetzt werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das Bundesministerium der Verteidigung hat in seinem Erlaß zur Zusammenlegung der Kreiswehrersatzämter Mannheim, Heidelberg und Mosbach zu einem Musterungszentrum in Mannheim festgelegt, daß die Belange der von dieser Organisationsmaßnahme betroffenen Beamten und Arbeitnehmer soweit wie möglich Berücksichtigung finden. Es ist in allen Fällen zu versuchen, freiwerdendes Personal bei der Truppe oder anderen Dienststellen zu verwenden. Sofern dies im Einzelfall nicht möglich sein sollte, sind überzählige Angestellte und Arbeiter zur Vermeidung von Kündigungen oder Herabstufungen zunächst außerhalb der genehmigten Dienstposten zu beschäftigen. Ich möchte zusammenfassend ausdrücklich feststellen, daß Entlassungen oder Herabstufungen nicht vorgenommen werden.
Für das Musterungszentrum in Mannheim - damit, Herr Abgeordneter Baier, komme ich zu Ihrer zweiten Frage - liegt ein vorläufiger Stellenplan vor. Inwieweit im einzelnen Beschäftigte der betroffenen Kreiswehrersatzämter zukünftig beim Musterungszentrum Mannheim oder bei anderen Dienststellen der Bundeswehr tätig sein werden, konnte mit Rücksicht auf die erst am 1. September 1972 getroffene Organisationsentscheidung noch nicht abschließend entschieden werden, zumal die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen möglichst Berücksichtigung finden sollen und die dazu notwendigen Personalgespräche noch nicht abgeschlossen sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu - falls ja, billigen Sie dies? -, daß Sie gegen Personalräte der Kreiswehrersatzämter dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen einleiten, weil sie sich für die Bediensteten ihrer Ämter einsetzen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, ich kann weder sagen, daß dies zutrifft, noch sagen, daß dies nicht zutrifft. Ich kann den Sachverhalt nur prüfen, wenn Sie mir konkret sagen, welche Personen betroffen sind. Ich kann verstehen, daß Sie das nicht hier im Plenum des Bundestages tun. Aber schreiben Sie mir doch einen Brief. Erst dann kann ich prüfen lassen, ob solche allgemeinen Behauptungen, sowohl was die personelle als auch was die sachliche Seite angeht, eine Grundlage haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, diese Behauptung - ich habe auch danach gefragt, ob Sie, falls meine Darstellung hier zutrifft, ein solches Vorgehen billigen würden - entnehme ich einer Pressekonferenz des Personalrates des Kreiswehrersatzamtes Heidelberg, die in Anwesenheit Ihres Staatssekretärs Fingerhut abgehalten wurde. Ihr Haus müßte also darüber Bescheid wissen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie ein solches Vorgehen billigen, falls die hier gegebene Darstellung zutrifft.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Die Pressekonferenz, die mein Kollege Fingerhut abgehalten hat, war nicht eine Pressekonferenz mit dem Personalrat, sondern eine Pressekonferenz mit Journalisten, Herr Kollege Baier.
Im übrigen habe ich darauf verzichtet, auf Ihre Frage zu antworten, ob ich so ein Vorgehen billigen würde. Sie können nicht erwarten, daß eine Amtsperson - und so etwas stelle ich ja dar -Rechtsbrüche billigt, sondern Sie können davon ausgehen, daß dieser Staat ein Rechtsstaat ist und daß unrechtmäßiges Verhalten dementsprechend gerügt und geahndet wird.
Bei den Fragen 73 und 74 hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gegebeten. Die Antworten werden in der Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Frage 75 des Abgeordneten Dr. Schwörer. - Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Fragen 75 und 76 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden in der Anlage abgedruckt.
Frage 77 des Abgeordneten Bauer ({0}) :
Ist das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bereit, der auf dein 24. deutschen Therapiekongreß in Karlsruhe zum Ausdruck gebrachten fachärztlichen Meinung, die „Masern" seien wegen relativ häufiger Komplikationen eine keineswegs harmlose Erkrankung, dadurch grundsätzlich beizupflichten, daß der Versuch, den epidemischen Charakter dieser Krankheit durch Verwendung von „Schwarz-Lebendimpfstoff" auf dem Weg von Massenschutzimpfungen einzudämmen, gefördert wird?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege, Masern sind sicher keine leichtzunehmende Erkrankung. Die Frage der Masernschutzimpfung ist aber noch nicht wissenschaftlich genügend abgeklärt, um Massenimpfungen mit einem bestimmten Impfstoff propagieren zu können. Das Bundesgesundheitsamt ist in einem Gutachten von 1968 zu dem Schluß gekommen, daß aus einer Reihe von Gründen Massenimpfungen gegen Masern in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit nicht erforderlich sind. Massenimpfungen könnten nach den bisherigen Erfahrungen mit anderen freiwilligen Impfungen nur lückenhaft sein und damit zu einer nicht überschaubaren Änderung der Immunitätslage der Bevölkerung führen. Das Bundesgesundheitsamt hat eine individuelle Impfprophylaxe gegen Masern empfohlen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Hemmungen gegen die Massenschutzimpfungen mehr in der Problematik einer neuen Massenschutzimpfung als im Mißtrauen gegen den neu empfohlenen Schwarz-Lebendimpfstoff zu suchen sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Bauer, ich bin kein Fachmann, um die Frage beantworten zu können, wie gut oder wie problematisch der von Ihnen erwähnte Impfstoff ist. Insoweit möchte ich mich hierzu nicht äußern. Aber ich stimme Ihnen zu, daß die Problematik - wie ich geschildert habe - hauptsächlich in der Massenimpfung liegt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind nach den Erfahrungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit die Erkrankungen an Masern im Sinne einer Massenepidemie so erheblich, daß die Frage weiterverfolgt wird, wie man dieser angeblichen Welle steuern kann?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Natürlich wird man auf diesem Gebiet weiterarbeiten und -forschen und neue Erkenntnisse verwerten. Mir ist jedoch nicht bekannt, daß die Anzahl der Erkrankungen so groß ist, daß man eine solche Maßnahme schon jetzt erwägen müßte.
Frage 78 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) :
Sind der Bundesregierung die Erkenntnisse der Dissertation des Mainzer Arztes Peter von Seck ({1}) bekannt, wonach sich die aus den Klosetts von Eisenbahnwagen fliegenden Fäkalien in kleine Tröpfchen auflösen und - statt auf dem Gleiskörper zu landen - als eine Art Spray die seitlichen äußeren Fahrzeugwände bestreichen und durch geöffnete Fenster auch ins Innere der Waggons gelangen können?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege, der Bundesregierung ist die Veröffentlichung in der Zeitschrift „Der Spiegel", nicht aber die Dissertation, von der Sie sprechen, bekannt. Eine fachlich fundierte Stellungnahme ohne Kenntnis der Originalarbeit ist mir zur Zeit nicht möglich. Ich bin gern bereit, nach genauerer Prüfung der Ergebnisse der Dissertation auf Ihre Frage im einzelnen zurückzukommen.
Frage 79 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) :
Wie beurteilt die Bundesregierung die davon ausgehenden Gefahren der Übertragung von Seuchenerregern?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich muß zunächst, Herr Kollege Schmidt, darauf hinweisen, daß nach den bisherigen wissen11616
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
schaftlichen Erkenntnissen das von der Bundesbahn praktizierte Verfahren des Ableitens von Fäkalien auf die Gleise in seuchenhygienischer Hinsicht als unbedenklich angesehen wird. Auch bei den Eisenbahnen anderer Länder wird nicht anders verfahren. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen, die am 2. Dezember 1971 erfolgt ist.
Sollte die von der Bundesregierung neu eingeleitete Überprüfung ergeben, daß die Ergebnisse der Dissertation zutreffend sind, wird sie selbstverständlich alle erforderlichen seuchenhygienischen Schutzmaßnahmen treffen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, das Bundesgesundheitsamt zu beauftragen, die Ergebnisse der vorhin genannten Dissertation zu überprüfen, um im Hinblick auf die seuchenhygienischen Notwendigkeiten hier auch ein unabhängiges Urteil, nicht nur eines der Bundesbahn, zu erreichen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Es geht im Augenblick nicht um das Urteil der Bundesbahn, Herr Kollege Wittgenstein, sondern darum, daß das für die Gesundheit zuständige Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die Erkenntnisse dieser Dissertation prüfen wird. Danach wird es entscheiden, ob das Bundesgesundheitsamt als wissenschaftliche Institution eingeschaltet werden muß.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Bauer ({0}) auf:
Welche Folgerungen zieht das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit aus der während der 24. deutschen Therapiewoche in Karlsruhe getroffenen fachärztlichen Feststellung, das Vorkommen von Gicht als Folge wachsenden „Luxuskonsums" von Nahrungsmitteln mit „Vorstufen" von Harnsäure stehe in der ärztlichen Praxis heute an erster Stelle unter den rheumatischen Krankheiten?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Die Rangfolge der rheumatischen Erkrankungen kann von der Bundesregierung nicht bestätigt werden. An erster Stelle dieser Erkrankungen stehen die Arthrosen. Die Morbidität der Bevölkerung an Gicht liegt zur Zeit bei 2 bis 3 %. Es ist richtig, daß die Gicht in erster Linie auf eine zu kalorienreiche Kost zurückzuführen ist. Sie bedarf aber auch einer besonderen Prädisposition. Auf die gesundheitlichen Gefahren, die bei falscher Ernährung entstehen, hat die Bundesregierung immer wieder in vielen Schriften hingewiesen.
Beim Bundesgesundheitsamt laufen zur Zeit Untersuchungen mit dem Ziel, im Rahmen von Blutuntersuchungen auf eine Reihe von Erkrankungen gleichzeitig auch den Harnsäurespiegel im Blut bestimmen zu können. Hierdurch soll möglichst frühzeitig eine Gichterkrankung festgestellt werden.
Zu direkten Folgerungen aus den Aussagen auf der Therapiewoche sieht die Bundesregierung zur Zeit keinen Anlaß.
Zusatzfrage.
Wird das zuständige Ministerium Veranlassung nehmen, auch in der Zukunft auf die Gefahr falscher Ernährung, d. h. auf alle Folgen von Arthritiserkrankungen hinzuweisen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Im Rahmen unserer Bemühungen um gesundheitliche Aufklärung wird auch dies weiterhin als eine unserer wichtigen Aufgaben betrachtet.
Die Frage 81 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 82 des Abgeordneten Dr. Arndt ({1}) auf:
Mit welchem Ergebnis ist die im Jugendbericht der Bundesregierung mitgeteilte Prüfung beendet worden, ob die Einführung von Unterhaltsausgleichskassen für nichtehelich geborene oder aus geschiedenen Ehen stammende Kinder nach skandinavischem Vorbild sinnvoll erscheint?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Arndt, das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik E. V. in Köln kommt in seiner Untersuchung zur Problematik der Einführung sogenannter Unterhaltsvorschußkassen zu dem Ergebnis, daß die vorschußweise Auszahlung der Unterhaltsbeträge zwar zu einer Reduzierung der ökonomisch bedingten Statusunsicherheit alleinstehender Mütter führen kann, daß aber durch diese Leistungen die durch mangelnde schulische und berufliche Qualifikation verursachte sozial schwache Position der alleinstehenden Mütter und ihrer Kinder nicht überwunden oder auch nur berührt wird.
Die Prüfung der in den skandinavischen Ländern geltenden Regelung hat gezeigt, daß es noch eingehender Überlegungen bedarf, ob die Einrichtung von Unterhaltsvorschußkassen ein geeigneter und realisierbarer Weg zur Verbesserung der Lage alleinstehender Mütter mit abhängigen Kindern ist und wie sich gegebenenfalls solche Leistungen in das System des Familienlastenausgleichs und die Hilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz einfügen lassen. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist der Bundesregierung eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in diese Prüfung auch die Frage einzubeziehen, ob nicht eine Regelung im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes der Einrichtung einer neuen Bürokratie in Form solcher Kassen vorzuziehen ist?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: In meiner Antwort habe ich darauf hingewiesen, daß die Einordnung dieses Problems in das System des Bundessozialhilfegesetzes noch eingehender Überlegungen bedarf. Ich muß allerdings darauf hinweisen, daß die Schwierigkeit darin besteht, die Zustimmung der Länder und der Gemeinden zu finden, die finanziell belastet werden.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie an dieser Meinung auch dann festhalten, wenn einige, die besonders viel mit dem Bundessozialhilfegesetz zu tun haben, die Auffassung vertreten, daß dies im Rahmen dieses Gesetzes nicht systemgerecht sei?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich möchte mich in der Frage, wo und wie dieses Problem geregelt werden könnte, inhaltlich nicht auf ein System festlegen, weil dies gerade ja auch Teil dessen ist, worüber wir nachdenken.
Frage 83 des Abgeordneten Härzschel:
Wie beurteilt die Bundesregierung die auf kommerzieller Basis betriebenen Diagnosezentren, und treffen Pressemeldungen zu, wonach wegen zu geringer Inanspruchnahme einige dieser Zentren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Härzschel, die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich jeden Zusammenschluß von Allgemeinärzten und Fachärzten, der geeignet ist, die ambulante ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Einrichtungen wie Apparategemeinschaften, Praxisgemeinschaften und auch sogenannte Ärztehäuser sind bereits ein nicht wegzudenkender Bestandteil im System der ambulanten ärztlichen Versorgung geworden.
Ob reine Diagnosezentren ein Beitrag zur Konzentrierung und besseren Effizienz ärztlicher Tätigkeit und eines optimalen Einsatzes der Technik in der Medizin sind, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Eine Abgrenzung zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Basis ist zudem kaum möglich.
Pressemeldungen, wonach in jüngster Zeit einige solcher Diagnosezentren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, treffen zu. Die Gründe hierfür dürften vielschichtiger Natur sein. Sie sollten allen Beteiligten Anlaß geben, über diese Form der ärztlichen Berufsausübung mit dem alleinigen Ziel einer Diagnosefindung erneut ohne Vorbehalte zu diskutieren.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob in diesen privaten Diagnosezentren auch Versicherte der Krankenversicherung behandelt worden sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Es gab, soweit ich es übersehe, in einigen Fällen auch Angebote, Versicherte der sozialen Krankenversicherung einzubeziehen. Das gilt aber - soweit ich unterrichtet bin - nicht für alle Diagnosezentren.
Letzte Zusatzfrage!
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß sich die Bundesregierung noch kein abschließendes Urteil über den Wert der privaten Diagnosezentren sowie darüber gebildet hat, wie sie diese in die gesamte Gesundheitspolitik einordnen soll?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Diese Einrichtungen werden von privaten Trägern als gemeinschaftliches Unternehmen geschaffen. Wie ich schon ausgeführt habe, kann ein abschließendes Urteil noch nicht gegeben werden.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Frage 84 der Abgeordneten Frau Dr. Timm! - Die Fragestellerin ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 85 des Abgeordneten Rollmann! - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 86 des Abgeordneten Hösl! - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 87 des Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, zunächst zur Frage 88 des Abgeordneten Dr. Kreutzmann:
Wie haben sich die deutschlandpolitischen Bemühungen der Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die Aufgabenstellung der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ausgewirkt, wonach es Aufgabe der praktischen Politik sei, die Einheit der Nation zu wahren, und wie haben sich diese Bemühungen im Bewußtsein und Wissen unserer Bevölkerung niedergeschlagen?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Verehrter Herr Kollege Kreutzmann, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 wurde als Aufgabe der praktischen Politik in den
Parlamentarischer Staatssekretär Herold
kommenden Jahren genannt, die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird; ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation müsse verhindert werden, also versucht werden, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander eines Tages zu kommen. Das ist die Zielsetzung der Deutschlandpolitik der Bundesregierung.
Zunächst ist festzustellen, daß durch die vielfältigen Bemühungen der Bundesregierung das Verhältnis zur DDR und die Frage der Nation neue Aktualität erlangt haben. Vor allem die Begegnungen der Regierungschefs in Erfurt und Kassel wie auch die ständigen und andauernden Gespräche und Verhandlungen des Kollegen Staatssekretär Bahr mit Herrn Kohl haben die Aufmerksamkeit des In-und Auslands erneut auf die Probleme Deutschlands und der deutschen Nation gelenkt.
Das Bewußtsein von der Einheit der Nation hängt davon ab, wie sie von jedem persönlich erfahren wird.
Die Verhandlungen und Vereinbarungen, die die Bundesregierung mit der DDR geführt und getroffen hat, haben praktische Ergebnisse gezeitigt, die mehr Kontakte für Menschen in beiden Staaten in Zukunft ermöglichen. Das dient dem menschlichen Zusammenhalt, aus dem das Bewußtsein von der Einheit der Nation erwächst.
Zu den Schritten, die in der Amtszeit dieser Bundesregierung bereits zu formellen und in ihren
praktischen Auswirkungen bedeutsamen Regelungen mit der DDR geführt haben, zählt u. a. die Postvereinbarung vom 30. September 1971. Das Inkrafttreten des Verkehrsvertrages wird erhebliche Erleichterungen im Reise- und Besuchsverkehr mit sich bringen. In den jetzt laufenden Verhandlungen zwischen den Staatssekretären Bahr und Kohl geht es darum, eine Entwicklung einzuleiten, die' zu einem friedlichen Nebeneinander zwischen den beiden Staaten in Deutschland, zu normalen gutnachbarlichen Beziehungen mit dem Ausblick auf ein eventuelles Miteinander führt.
Daß diese schwierige, aber doch mit Erfolg voranschreitende politische Entwicklung positive Auswirkungen auf die Haltung und Meinung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland hat, ist klar erkennbar. Das Interesse an der Entwicklung in der DDR wächst. Das Interesse an Reisen in die DDR nimmt zu. Der nachweisbaren Zustimmung zur Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Problematik der Teilung Deutschlands vor allem im menschlichen Bereich zu sehen ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, in welchem zahlenmäßigen Umfang sich die Begegnungen innerhalb Deutschlands seit dem Viermächteabkommen über Berlin ausgeweitet haben?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Kollege Dr. Kreutzmann, es gibt bereits umfangreiche Statistiken. Ich wollte es dem Hause hier ersparen; aber ich bin gerne bereit, Ihnen - auch dem Ausschuß das gesamte Material bezüglich des Gesamtverkehrs zur Verfügung zu stellen.
Herr Dr. Schmude!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben von den Wirkungen dieser Politik der Bundesregierung auf die Bevölkerung der Bundesrepublik gesprochen haben, frage ich: Liegen der Bundesregierung Hinweise oder Anzeichen dafür vor, daß auch die Bevölkerung der DDR diese von Ihnen hier geschilderte Politik als in ihrem Interesse liegend betrachtet?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich kann hierzu keine generelle Aussage machen. Aber wir haben Informationen aus verschiedensten Teilen der Bevölkerung, die diese Politik als richtig und als vernünftig bezeichnen. Wir hoffen, daß diese Politik weiterhin noch mehr Grundlagen in beiden Teilen Deutschlands findet.
Herr Abgeordneter Ott, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu erklären, ob Sie glauben, daß in absehbarer Zeit auch die Schüsse an der Mauer aufhören werden?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Sehr verehrter Herr Kollege, ich möchte Ihnen sagen, wir alle verurteilen die Schüsse und den Schießbefehl an der Mauer. Aber ich möchte Ihnen auch sagen, daß diese Bundesregierung seit ihrer Amtszeit bemüht ist, diese Verkrampfung aufzulösen und es wäre gut gewesen, wenn man diese Politik bereits vor Jahren eingeleitet hätte. Vielleicht wären wir dann heute schon weiter.
({0})
Abgeordneter Müller!
Herr Staatssekretär, ich richte dieselbe Frage mit anderen Worten an Sie: Haben Sie die Erwartung, daß die Schüsse einmal dort aufhören werden, und worauf stützen Sie diese Erwartung?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Daß wir davon überzeugt sind, daß das eines Tages erreicht wird, zeigt allein, mit welcher Zähigkeit unsere Verhandlungsführer diese Verhandlungen betreiben. Wir sind davon überzeugt, daß das allParlamentarischer Staatssekretär Herold
gemeine Verhältnis sich so entwickelt, daß die Schüsse als Absurdum eines Tages auch von den Vertretern der DDR erkannt werden müssen.
Keine Frage mehr. Fragen 89 und 90 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein:
Treffen Meldungen zu, daß entgegen der in „Information der Deutschen Demokratischen Republik zu Reiseerleichterungen" zugesagten Verbesserung der Besuchsmöglichkeiten in der DDR große Sperrgebiete entlang der Zonengrenze von einer solchen Regelung ausgenommen werden sollen?
Welche Schritte wird die Bundesregierung einleiten, um eine solche Einschränkung der Besuchsmöglichkeiten zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Herr Kollege, darf ich die Fragen zusammen beantworten? - Danke schön.
Ich kann hier ganz kurz darauf antworten: Meldungen, daß entgegen den in der „Information der Deutschen Demokratischen Republik zu Reiseerleichterungen" zugesagten Verbesserungen der Besuchsmöglichkeiten in der DDR große Sperrgebiete entlang der Zonengrenze von einer solchen Regelung ausgenommen werden sollen, treffen nach unseren Informationen nicht zu.
Zusatzfrage.
Darf ich Ihrer Aussage, Herr Staatssekretär, entnehmen, daß bei den Verhandlungen zwischen den Staatssekretären Kohl und Bahr auch das besondere Problem der Bewohner der Sperrgebiete entlang der Zonengrenze besprochen und befriedigend geregelt worden ist?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Diese Frage habe ich bereits in mehreren Fragestunden - sie ist damals in Zusatzfragen an mich gerichtet worden - beantwortet. Selbstverständlich werden diese Themen immer wieder bei den Gesprächen erläutert. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß gerade bei der Vorlage der neuen Grenzordnung einige Dinge eingetreten sind, mit denen nicht zu rechnen war. Danach kann man also heute mit einer Verringerung des Sperrstreifens auf der östlichen Seite rechnen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung geht also nach Ihren Ausführungen davon aus, daß sowohl Besuche in dringenden Familienangelegenheiten wie aber auch Touristenbesuche auch in den Sperrgebieten entlang der Zonengrenze möglich sein werden, wenn der Verkehrsvertrag in Kraft tritt?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Das habe ich hier nicht ausgeführt. Daß es bei der Einreise in diese Sperrzone, die jetzt nur noch 500 m beträgt, Schwierigkeiten geben wird, ist in jedem Fall wahrscheinlich.
Zusatzfrage.
Da, Herr Staatssekretär, die Sperrzone nicht nur 500 m umfaßt, sondern in Teilbereichen sogar bis zu 30 km landeinwärts reicht, möchte ich Sie fragen, ob das nicht doch eine erhebliche Einschränkung der Besuchsmöglichkeiten sowohl im Ost-West-Reiseverkehr wie auch im West-Ost-Reiseverkehr darstellt.
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Es ist bekannt, daß zum Teil Sperrgebiete ausgeweitet worden sind. Aber in der Regel und im großen und ganzen sind sie vermindert worden.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung bereit sein, bei etwa aufkommenden Schwierigkeiten diese unverzüglich in die Themen der Gespräche zwischen Herrn Staatssekretär Bahr und Herrn Staatssekretär Kohl einzuführen?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Das hat sie in der Vergangenheit gemacht, das hat sie in der Gegenwart gemacht, das wird sie auch in Zukunft tun.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist beendet.
Wir fahren in der Beratung der Rentengesetzentwürfe fort.
Vor der Mittagspause sind die Änderungsanträge auf Umdruck 305 angenommen worden. Wir kommen jetzt zu den Änderungsanträgen auf Umdruck 308 *). Die Änderungsanträge werden gemeinsam begründet und gemeinsam debattiert.
Das Wort zur Begründung der Änderungsanträge auf Umdruck 308 hat der Abgeordnete Müller ({0}). Für ihn sind 20 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Meine Aufgabe ist es, den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur Einführung einer flexiblen Altersgrenze zu begründen. Es handelt sich um den Umdruck 308.
Die Bundesregierung hatte in ihrem ursprünglichen Entwurf vorgeschlagen, daß Versicherte der gesetz-
*) Siehe Anlage 6
Müller ({0})
lichen Rentenversicherung, wenn sie 35 anrechnungsfähige Versicherungsjahre nachweisen, ohne besondere Ab- oder Zuschläge mit Vollendung des 63. Lebensjahres das Altersruhegeld beantragen können. Wer nach diesem Gesetzentwurf von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollte, sollte nach Meinung der Bundesregierung bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres einer Erwerbstätigkeit nur bis zu einem Verdienst von einem Viertel der Beitragsbemessungsgrenze, d. h. im Jahre 1973 monatlich 575 DM, nachgehen dürfen. Dieser ursprüngliche Vorschlag der Bundesregierung sah nicht die Einführung einer flexiblen Altersgrenze vor, sondern hatte die Herabsetzung der Altersgrenze nur für einen bestimmten Personenkreis zum Inhalt. Danach wäre derjenige, der nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt seine Rente beantragt, gegenüber dem, der die Rente früh beantragt, finanziell erheblich benachteiligt worden. Eine solche Benachteiligung würde nicht der sozialen Gerechtigkeit dienen. Derjenige, der nach Erhalt seines Kontoauszugs von der Rentenversicherung feststellt, daß die Rente, die er erhalten würde, nicht seinen Vorstellungen entspricht, weil er in seinem Arbeitsleben vielleicht durch mangelnde Verdienstmöglichkeiten oder persönliche Schicksalsschläge nicht so viel verdient hat, daß die Rente jetzt für ihn ausreichend ist, soll nicht auch noch bei der Rente benachteiligt werden.
Demgegenüber hat die Fraktion der CDU/CSU in ihrem Antrag vom 8. Juni 1972 die Einführung einer wirklich flexiblen Altersgrenze vorgeschlagen. Dieser Vorschlag ist auch heute noch Inhalt des Ihnen
) vorliegenden Änderungsantrags. Wir schlagen vor, daß alle Versicherten, die die Voraussetzung von 35 Versicherungsjahren erfüllen, mit Vollendung des 63. Lebensjahres das Altersruhegeld beantragen können. Insoweit besteht zum Entwurf der Bundesregierung und auch zu den im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gefaßten Beschlüssen kein Unterschied.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller, Sie sagen gerade, daß diese Veröffentlichung vom 8. Juni Grundlage Ihres Antrags ist und daß insofern auch kein Unterschied zur Regierungsvorlage bestehe. Wie erklären Sie sich dann, daß Sie in der Anlage 2 zu dieser Erklärung von einer Inanspruchnahme von 80 % ausgegangen sind statt, wie Sie bisher immer behauptet haben, von 70 %?
Herr Kollege Nölling, auf diese Berechnungen komme ich. Ich möchte mich nicht gerne von Ihnen aus meinem Konzept bringen lassen, weil ich das kontinuierlich aufgebaut habe. Aber über Ihre Phantasiezahlen werden wir uns noch unterhalten.
Ich sagte: Insoweit besteht kein Unterschied zu dem Enwurf der Bundesregierung. Nach unserem
Antrag sollten aber diejenigen, die diese Voraussetzungen erfüllen und die die Rente nicht beantragen, vom 63. Lebensjahr an bis maximal zum 67. Lebensjahr einen versicherungsmathematischen Zuschlag von 5 % für jedes aufgeschobene Rentenjahr erhalten, genauer gesagt: von 0,4 % pro Monat, in dem der Rentenbezug aufgeschoben wird. Auch die Versicherten, die den Nachweis der 35 Versicherungsjahre nicht haben, sollen nach unserer Meinung diese Zuschläge wenigstens vom 65. Lebensjahr an erhalten, wenn sie weiter arbeiten. Wir wollen darüber hinaus die volle Weiterarbeit auch dann ermöglichen, wenn der Versicherte vorzeitig die Rente beantragt.
Durch diese Maßnahmen, die von einem umfassenden Programm für ältere Menschen flankiert werden müssen, wird aus einer schematischen Herabsetzung der Altersgrenze eine flexible Altersgrenze mit der Konsequenz, daß nicht nur theoretisch, Herr Minister Arendt, sondern auch praktisch der Freiheitsspielraum des einzelnen Arbeitnehmers gesichert wird. Wer später als mit dem 63. Lebensjahr die Rente beantragt, hat durch die von uns vorgesehenen Zuschläge keinen finanziellen Nachteil.
Im Laufe des Beratungsverfahrens haben die Fraktionen der SPD und der FDP den ursprünglichen Regierungsentwurf durch einen Änderungsantrag in Richtung auf den Antrag der CDU/CSU hin verbessert. Ein solcher Schritt wurde während der Ausschußberatungen noch einmal vollzogen, ohne daß jedoch die letzte und, wie ich meine, die richtige Konsequenz gezogen und der bessere Antrag der CDU/CSU übernommen wurde. Die Fraktionen der SPD und der FDP schlugen im Juli 1972 zunächst vor, daß solche versicherungsmathematischen Zuschläge vom 65. Lebensjahr an gezahlt werden sollten. Sie klammerten aber weiterhin die Zeit zwischen dem 63. und dem 65. Lebensjahr aus, und sie hielten an dem teilweisen Beschäftigungsverbot, nach dem man höchstens ein Viertel der Beitragsbemessungsgrenze hinzuverdienen darf, fest. Während der Ausschußberatungen in den vergangenen 14 Tagen wurde dann von der Koalition der Antrag gestellt, denjenigen, die die Rente mit 63 Jahren nicht beantragen, schon von diesem Zeitpunkt an Zuschläge zu gewähren, allerdings - wie das aus der Ihnen vorliegenden Ausschußdrucksache hervorgeht - so gestaffelt, daß ein Zuschlag von 0,3 % mit dem 63. Lebensjahr gegeben wird und diese Zuschläge dann bis zum 67. Lebensjahr kontinuierlich steigen sollen.
Ich habe schon im Ausschuß erklärt und wiederhole das hier: Wir erkennen an, daß Sie sich - wie im übrigen auch bei der Schätzung des Finanzrahmens der Rentenversicherung - auch in diesem Fall sprungweise an die besseren Vorschläge der CDU/ CSU herangearbeitet haben. Jedoch ist die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Staffelung falsch, und sie entspricht nicht der Lebenslage der älteren Menschen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nölling?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller, in einem Interview, daß wir beide am 4. September 1972 gaben, bevor die Beratungen begannen, sagten Sie: Ich sehe Kompromißmöglichkeiten bei der flexiblen Altersgrenze. Haben Sie das damals so verstanden, daß Kompromiß nur das Nachgeben einer Seite ist, oder haben Sie darunter etwas anderes verstanden?
Herr Kollege Nölling, wir haben uns Kompromissen dann, wenn sie richtig, notwendig und konsequent waren, nie verschlossen. Das wissen Sie aus der Vergangenheit. Wenn wir aber ein Konzept für richtig erkannt haben, dann können Sie uns nicht zumuten, wenn Sie sich unseren Vorschlägen annähern, aber nicht die Konsequenz des richtigen Vorschlages übernehmen, das als Kompromiß anzunehmen.
({0})
Wenn man schon nach einzelnen Jahren staffeln wollte, dann müßte man das, wie mein Freund Hans Katzer das heute morgen schon gesagt hat, gerade in umgekehrter Reihenfolge tun. Das haben im übrigen auch die Versicherungsmathematiker Höfer und Muth in Heft 9/1972 des „Betriebsberaters" überzeugend dargestellt.
Außerdem muß man sehen, daß eine Staffelung das Verfahren wesentlich erschweren würde. Daher haben wir uns für einen einheitlichen Zuschlag in Höhe von 0,4 % pro Monat entschieden, um damit den notwendigen und gerechten Ausgleich zu schaffen.
Ein weiterer Unterschied bei den Zuschlägen ist aber noch beachtlich. Meine Fraktion beantragt, die Zuschläge der Rente zuzuschlagen, die der Versicherte zum Zeitpunkt der späteren Antragstellung erhält, während die Fraktionen der SPD und FDP beschlossen haben, diese Steigerungsbeträge nur auf die Rente zu gewähren, auf die der Versicherte zum Zeitpunkt des Beginns des Verzichts Anspruch gehabt hätte. Ein wesentlicher Unterschied, weil sich ja der Versicherte durch seine Weiterarbeit und die Weiterzahlung der Beiträge zur Rentenversicherung auch noch eine höhere Rente erarbeiten kann.
Leider haben die Koalitionsfraktionen auch bei diesem Beschluß im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wiederum an dem Beschäftigungsverbot festgehalten, so daß sich hier nach wie vor bei der Gestaltung der flexiblen Altersgrenze die Geister scheiden.
Hier darf ich zunächst einmal zwischenschalten: Meine Fraktion stimmt darin überein, daß den Schwerbeschädigten sowie den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrentnern bereits nach Vollendung des 62. Lebensjahres die Möglichkeit zum vorzeitigen Bezug des Altersruhegeldes gegeben wird. Gerade diesen Personengruppen, die, durch ein persönliches Lebensschicksal betroffen, im Alter unter erheblich schwierigeren Bedingungen weiterarbeiten müssen, sollte diese Sonderregelung zuerkannt werden. Wir sehen das als eine notwendige Ergänzung und Verbesserung der ursprünglichen Vorlagen an. Unser Änderungsantrag bezieht sich auf diese Passage nicht, so daß wir insoweit der Ausschußvorlage zustimmen.
Wenn Sie nun also fragen, was ist noch im Streit, dann ist zu antworten, daß sich unser Änderungsantrag von den Ausschußbeschlüssen in zwei wesentlichen Punkten unterscheidet.
Der erste, um das noch einmal zu sagen: die unterschiedliche Gestaltung der Zuschläge für diejenigen, die trotz Anspruchsberechtigung nach dem 63. Lebensjahr weiterarbeiten.
Der zweite ist der wahrscheinlich noch entscheidendere, nämlich die Möglichkeit für den Rentner, den ihm zugebilligten Freiheitsspielraum trotz beantragter vorzeitiger Rente so auszunutzen, daß er voll weiterarbeiten kann, wenn er will. Die Regierungskoalition läßt also, um es noch einmal deutlich zu machen, nur ein Hinzuverdienen von einem Viertel der Beitragsbemessungsgrenze zu. Wir glauben, daß unsere Vorschläge hinsichtlich der Zuschläge richtiger sind, dem Anliegen besser dienen, praktikabler sind und Benachteiligungen derjenigen Versicherten vermeiden, die die Rente nicht zum frühestmöglichen Termin beantragen: also mehr soziale Gerechtigkeit.
Meine Damen und Herren, es hat im Laufe der Beratungen nicht an Stimmen gefehlt, die das System der Zuschläge in Grund und Boden verdammt haben. Besonders aus dem Kreis der Regierungsparteien kamen solche harten Töne. Man unterstellte uns: wer solche Zuschläge als Ausgleich der sozialen Gerechtigkeit wolle, wolle in Wirklichkeit die flexible Altersgrenze nicht. Nun, abgesehen davon, daß dieses Argument für die Fraktionen der SPD und FDP durch die Übernahme des Grundsatzes aus dem CDU/CSU-Entwurf offensichtlich nicht mehr gilt, scheint es mir doch noch notwendig zu sein, auf einige Anwürfe einzugehen, wie sie heute morgen auch von Herrn Bundesarbeitsminister Arendt und von Herrn Schellenberg vorgetragen wurden: die CDU habe sich erst sehr spät zu Vorschlägen der flexiblen Altersgrenze entschlossen.
Meine Damen und Herren, der Vorsitzende unserer Fraktion, Herr Dr. Barzel, hat am 28. Dezember 1970 vor der Bundespressekonferenz die Kernpunkte des innenpolitischen Programms der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgestellt und dabei wörtlich erklärt: „In der Rentenversicherung streben wir - im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten - als Ziele den Ausbau der sozialen Sicherung der Frauen und die Einführung einer individuellen Altersgrenze an."
Am 27. Januar 1971 verabschiedete der Bundesparteitag der CDU das fortgeschriebene Berliner Parteiprogramm, in dem es in der Ziff. 99 heißt: „Die Altersgrenze ist im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten flexibel zu gestalten."
({1})
- Wir sind eben sehr schnell dabei, Herr Nölling.
({2})
Müller ({3})
Am 3. November 1972 erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, mein Freund Hans Katzer, gegenüber der Presse:
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Form der flexiblen Altersgrenze kann nicht befriedigen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 28. Oktober 1971 eine Anhörung von Wissenschaftlern zur Situation der älteren Menschen in der Gesellschaft und speziell zum Problem der älteren Arbeitnehmer durchgeführt. Das Hearing hat gezeigt, daß die Probleme der älteren Arbeitnehmer umfassender angegangen werden müssen. Deshalb wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Vorlage der neuen Rentenvorausschätzungen der Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf zur flexiblen Altersgrenze vorlegen.
Ich selbst habe anläßlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung am 16. Dezember 1971 in diesem Hause erklärt:
Ich werfe der Regierung vor, daß sie die Anhebung des Rentenniveaus und die Einführung einer flexiblen Altersgrenze als einander ausschließende Maßnahmen konzipiert hat. Diese einseitige Betrachtungsweise ist falsch. Beide Maßnahmen sind miteinander kombinierbar. Die Kombinationsmöglichkeit ist richtig und möglich.
Das, was ich am 16. Dezember gesagt habe, können wir heute mit Befriedigung als richtig beweisen.
In unserem Antrag vom 8. Juni, den ich Ihnen hier noch einmal erläutert habe, haben wir Ihnen dann unsere Vorschläge vorgelegt, nachdem wir, wie ein solider Hausvater, nicht nur absolute Klarheit über die Finanzentwicklung der Rentenversicherung, sondern auch Klarheit darüber hatten, daß unser Vorschlag in der Sache gut und finanziell solide war. Unser geschlossenes Konzept ist im Rahmen des verfügbaren Finanzspielraums zu sehen und in dieser Geschlossenheit finanziell zu verkraften. Nachdem Sie die von uns vorgelegten Schätzungen der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung zunächst als Milliardenrausch bezeichnet hatten, haben Sie sich, wie ich es soeben schon angedeutet habe, in Etappen an unsere Schätzungen herangerobbt und diese Schätzungen vor 14 Tagen sogar noch übertroffen. Diese neuesten Zahlen scheinen mir allerdings allzu sehr gegriffen zu sein; sie sind nicht erhärtet. In meiner Heimat würde man sagen, Sie haben da ein bißchen „mit der Kappe danach geschlagen".
Da Sie jetzt unsere Zahlen für die Finanzentwicklung nicht mehr bezweifeln können, schätzen Sie nun die Kosten unseres Programms bewußt hoch ein. In den Ausschußberatungen wurde deutlich - wir haben das heute wieder gehört , daß Sie den Grad der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze wesentlich zu hoch und wesentlich höher einschätzen als wir.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege Nölling!
Es soll auch die letzte Frage sein, Herr Kollege Müller, aber ich meine, diese Frage hätte hier ihren Platz. Da Sie sich im Ausschuß in bezug auf dieses Problem gegenüber unserer Kritik taub gezeigt haben, möchte ich Sie bitten, mir zu erklären, wie es dazu kommt, daß der DGB folgendes schreibt:
Die CDU/CSU-Lösung, vom 63. Lebensjahr an neben dem vollen Arbeitseinkommen die Rente beziehen ({0}) können, ({1}) wegen der mit Sicherheit zu erwartenden wesentlich stärkeren Inanspruchnahme gegenüber dem Regierungsentwurf und der damit verbundenen wesentlich höheren Kosten dazu führen . . .
Zweitens von der DAG am 30. August:
Es ist allerdings zu bezweifeln, ob der Oppositionsvorschlag solide zu finanzieren ist.
Sagen Sie mir doch bitte, ob das Stellungnahmen sind, die wir hier zumindest beachten sollten.
Herr Kollege Nölling, Sie wissen, ich schätze Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes sehr, aber für falsche Stellungnahmen aus diesem Kreis bin ich nicht verantwortlich.
({0})
Es ist ja doch Ihre Ansicht, unsere soliden Finanzierungsvorschläge zu durchlöchern, indem Sie von einem Grad der Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze von 90 % ausgehen. So ist es auch im Ausschuß mehrfach gesagt worden. Wir halten das einfach für falsch und für entschieden zu hoch gegriffen. Erfahrungen des Auslandes mit der flexiblen Altersgrenze, insbesondere in Schweden, zeigen doch, daß der Grad der Inanspruchnahme wesentlich niedriger sein wird. Versicherungsmathematiker -so Herr Heubeck - sprechen sogar von einer Inanspruchnahme zwischen 30 und 50 %. Wir glauben, daß die Inanspruchnahme schließlich bei etwa 60 % liegen könnte. Absolut voraussagen läßt sich das ohnehin nicht, wie das auch von einigen Instituten gesagt worden ist. Viel wahrscheinlicher ist aber, daß der Grad der Inanspruchnahme wesentlich geringer sein wird.
({1})
- Wir wollen einmal sehen, Herr Kollege Nölling, wie sich das einpendelt. Selbst wenn man 70 % zugrunde legt, sind das immer noch keine 90 %.
({2})
Die Schätzungen, Herr Kollege Nölling, sind von Ihnen ganz bewußt so hoch gegriffen worden, um eben - um das noch einmal deutlich zu machen - unser geschlossenes Programm so darzustellen, als sei es nicht finanzierbar. Von daher resultiert Ihre Schätzung einer so hohen Inanspruchnahme, für die
Müller ({3})
Sie ebensowenig einen absoluten Beweis antreten können wie wir für unsere Zahlen.
({4})
Wenn aber die Wissenschaftler von 30 bis 50 % sprechen, so spricht das doch dafür, daß die tatsächlichen Zahlen wesentlich niedriger liegen werden. Wir halten das für realistisch, wie uns auch Fachkenner der Materie außerhalb unseres Hauses mehr als einmal bestätigt haben.
Der zweite Punkt, in dem sich unser Antrag von den Vorstellungen der SPD/FDP unterscheidet, ergibt sich aus der Möglichkeit des Hinzuverdienens bei Inanspruchnahme der Rente. Die von SPD und FDP im Gesetzentwurf fixierte Möglichkeit des Hinzuverdienens von einem Viertel der Beitragsbemessungsgrenze ist rein theoretischer Natur. Wir wissen nicht erst seit heute, daß Teilzeitarbeitsplätze für Männer so gut wie überhaupt nicht vorhanden sind. Aus diesem Grunde wollen wir gerade denjenigen älteren Arbeitnehmern, die in ihrem Arbeitsleben nicht soviel verdient haben, um sich etwas auf die hohe Kante legen zu können, die sich aber körperlich und geistig noch in der Lage fühlen zu arbeiten, auch die Möglichkeit zur Weiterarbeit geben. Das abrupte Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis kann im übrigen, wie Sie wissen, zu gesundheitlichen Störungen führen. Das wissen alle diejenigen, die sich mit den Problemen des alternden Menschen beschäftigt haben. Abgesehen davon, daß ein teilweises Beschäftigungsverbot nach Auskunft der Rentenversicherungsträger nicht kontrollierbar sein würde, wenn man nicht harte Polizeimethoden einführen wollte, möchten wir es der Entscheidungsfreiheit des einzelnen überlassen, ob, wann und in welchem Maße er aus dem Arbeitsleben ausscheiden will.
({5})
Meine Damen und Herren, ich habe darauf verzichtet, hier Paragraph für Paragraph unseres Änderungsantrages vorzutragen, weil die politische Auseinandersetzung jetzt das Vordringliche ist. Wir haben gute Argumente, wir haben die besseren Argumente für unseren Antrag, dem Ihre Zustimmung zu geben ich Sie bitte, und deshalb beantrage ich im Auftrage meiner Fraktion namentliche Abstimmung.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion spielt sich heute, wie wir gehört haben, als Vorkämpferin der flexiblen Altersgrenze auf.
({0})
Das ist ein makabres Schauspiel.
({1})
Es soll von der unrühmlichen Rolle ablenken, die die CDU/CSU bisher hinsichtlich der flexiblen Altersgrenze gespielt hat.
({2})
Ich möchte deshalb, um das zusammenzufassen und noch einmal plastisch zu machen, ganz kurz an folgende Tatsachen erinnern.
Erstens. Noch vor fünf Jahren beauftragte der damalige Bundeskanzler Kiesinger seinen Arbeitsminister Katzer, die finanziellen Auswirkungen einer Heraufsetzung der Altersgrenze vom 65. auf das 66. Lebensjahr berechnen zu lassen.
({3})
Der damalige CDU/CSU-Bundeskanzler erwog also, die Arbeitnehmer zu zwingen, noch ein Jahr länger als nach geltendem Recht im Arbeitsprozeß zu bleiben.
({4})
Zweitens. In ihrem sozialpolitischen Regierungsprogramm -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Katzer?
Einen Augenblick, bitte! Lassen Sie mich diesen Gedanken eben zu Ende bringen. Ich bin bereit, dann auf Ihre Zwischenfragen einzugehen, Herr Katzer, aber es muß endlich einmal möglich sein, dies jetzt zusammenhängend darzustellen. Dann können Sie ja Ihre Fragen stellen.
Zweitens also: In ihrem sozialpolitischen Regierungsprogramm für die 6. Legislaturperiode vom 20. August 1969 hat die CDU/CSU die Einführung einer flexiblen Altersgrenze kategorisch abgelehnt.
({0}) : Hört! Hört!)
Wenn die CDU/CSU an die Regierung gekommen wäre, hätte sie also die Einführung der flexiblen Altersgrenze verhindert.
({1})
Drittens. Noch vor einem Jahr hat Herr Dr. Barzel die Pläne der sozialliberalen Koalition zur Einführung der flexiblen Altersgrenze als - ich zitiere erneut - „leichtfertig genährte Hoffnungen und Erwartungen, die einer Nachprüfung nicht standhalten", politisch diffamiert.
Viertens. Erst vor sechs Monaten begann die CDU/CSU einzuschwenken, wollte jedoch die Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze mit versicherungsmathematischen Abschlägen, also mit Rentenkürzungen bestrafen. Damit wollte die CDU/CSU die flexible Altersgrenze zu einer Farce machen.
Fünftens. Noch vor wenigen Wochen weigerte sich die CDU/CSU in ihrem sogenannten „Rentenergänzungsprogramm", einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten der flexiblen Altersgrenze zu nennen.
Sie wollte also diese wichtige Reform auf unbestimmte Zeit vertagen.
Sechstens. Erst in der allerletzten Runde hat die CDU/CSU ihren politischen Kampf gegen die von der sozialliberalen Koalition beantragte flexible Altersgrenze aufgegeben. Daß sie sich heute mit Forderungen überschlägt, ist nichts weiter, so meine ich, als pures Wahlkampftheater.
({2})
Nachdem sie jahrelang die Einführung einer flexiblen Altersgrenze politisch bekämpft hat, kann sie heute gar nicht weit genug gehen. Dabei hat sie jedoch diejenigen, die im besonderen Maße auf eine flexible Altersgrenze angewiesen sind, nämlich die Schwerbeschädigten, die Berufs- und Erwerbsunfähigen, völlig vergessen. Hier ist sie erst in allerletzter Stunde auf den Zug der Koalition gesprungen. Ich bin sicher, daß die Arbeitnehmer in unserem Lande diese bisherige reformfeindliche Haltung der CDU/CSU - darüber kann nichts hinwegtäuschen - nicht vergessen haben und auch nicht vergessen werden.
Meine Damen und Herren, wir stehen heute vor der Verabschiedung einer weiteren großen gesellschaftspolitischen Reform der sozialliberalen Koalition. Um diese Reform mußte mit der Opposition jahrelang hart gerungen werden. Wesentlicher Bestandteil dieser Reform ist die flexible Altersgrenze. Lassen Sie mich deshalb ganz kurz deren humanitären Gehalt und ihre sozialpolitische Bedeutung würdigen. Ich bin überzeugt, daß ich dabei gegenüber der Würdigung des Herrn Kollegen Müller ({3}) zu einer etwas abweichenden Würdigung komme.
Erstens. In Zukunft werden alle Arbeitnehmer nach einem erfüllten Arbeitsleben, d. h. nach 35 Versicherungsjahren, das Recht haben, bereits mit dem 63. Lebensjahr, also zwei Jahre früher als nach dem gegenwärtigen Recht, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Das bedeutet mehr Freiheit, und das bedeutet mehr Menschlichkeit. Jeder, der das Los vieler älterer Arbeitnehmer in der betrieblichen Praxis kennt, weiß, daß damit ein großer gesellschaftspolitischer Fortschritt erreicht wird.
Zweitens. Für Schwerbeschädigte, Erwerbs- und Berufsunfähige wird eine flexible Altersgrenze bereits vom 62. Lebensjahr an eingeführt. Schwerbeschädigte werden also in Zukunft drei Jahre früher als nach geltendem Recht aus dem Erwerbsleben ausscheiden können. Berufs- und Erwerbsunfähige werden sich drei Jahre früher als nach geltendem Recht ihre Rente in ein Altersruhegeld umstellen lassen können. Das entspricht den besonderen Bedürfnissen der Menschen, die durch Krieg und Verfolgung, Unfall und andere Lebensschicksale hart betroffen sind.
Drittens. Die Versicherten, vor allem also die Arbeitnehmer, sollen das Recht erhalten, neben dem vorgezogenen Altersruhegeld noch eine Teilerwerbstätigkeit auszuüben; für 1973 beispielsweise
bis zu einem Verdienst von 575 DM monatlich bzw. bis zu 6900 DM jährlich.
({4})
- Und ob das durchführbar und kontrollierbar ist!
({5})
- Ganz etwas anderes ist Quatsch; auf den Quatsch komme ich gleich noch! Diese Regelung erleichtert den Übergang vom vollen Erwerbsleben in den Ruhestand. Das wollen wir damit erreichen. Auch das ist, so meine ich, ein Beitrag zu mehr Humanität.
Viertens. Der neue Freiheitsspielraum, der den älteren Arbeitnehmern eingeräumt wird schließt jedoch auch das Recht auf uneingeschränkte Weiterarbeit bis zum 67. Lebensjahr ein.
({6})
- Jawohl, bis zum 65. Lebensjahr darf niemand gezwungen werden, aus dem Berufsleben auszuscheiden. Deshalb baut das Rentenreformgesetz auf Antrag der sozialliberalen Koalition den Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer aus. Das ist gegenüber dem gegenwärtigen Rechtszustand ein großer sozialer Fortschritt.
Fünftens. Außerdem sollen diejenigen, die ihren Rentenbeginn hinausschieben und weiterarbeiten, einen nach dem Lebensalter abgestuften Zuschlag zu ihrer späteren Rente erhalten. Wir hatten nämlich innerhalb der Koalition bereits an einen Zuschlag gedacht und diesen bereits beschlossen, als Sie überhaupt noch nicht an die Einführung einer flexiblen Altersgrenze gedacht haben. Sie wissen auch, daß wir die Konsequenzen daraus in unserem Gesetzentwurf bei der Ausschußberatung gezogen haben.
Eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Glombig, wenn das stimmt, was Sie gerade sagen, warum hat dies dann im Regierungsentwurf keinen Platz gefunden? Warum sind Sie erst, nachdem die CDU/CSU diesen Vorschlag der Prämie gemacht hat, auf den Gedanken gekommen, eine solche Regelung einzuführen?
Die Zuschläge für das 66. und 67. Lebensjahr sind innerhalb der sozialliberalen Koalition Anfang dieses Jahres bereits beschlossene Sache gewesen. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie an die Einführung der flexiblen Altersgrenze überhaupt noch nicht gedacht.
({0})
- Das ist innerhalb der sozialliberalen Koalition im Januar, also Anfang dieses Jahres so gut wie beschlossen gewesen.
({1})
Dieser Zuschlag, der zusätzlich zu den durch weitere Beitragszahlung erworbenen Ansprüchen gewährt wird, reicht von 3,6 % im 64. Lebensjahr bis zu 7,2 % im 67. Lebensjahr. Er beträgt für vier Jahre insgesamt 21,6 %. Auf Grund dieser Rechnung ergibt sich natürlich mehr als das, was die Opposition denjenigen geben will, die länger arbeiten wollen. Diese Rentenzuschläge sollen kein wirtschaftlicher Anreiz zur Weiterarbeit sein. Sie sollen vielmehr einen Ausgleich für den vorläufigen Verzicht auf Rente für diejenigen darstellen, die im Rahmen des gegebenen Freiheitsspielraums weiterarbeiten. Der Rentenzuschlag stellt deshalb für diese Arbeitnehmer, so meine ich, einen Akt der Gerechtigkeit dar. Daß wir heute diese Reform, die allein im ersten Jahr der Verwirklichung insgesamt 340 000 Arbeitnehmern und 50 000 Schwerbeschädigten zugute käme, verabschieden können, stellt, so meine ich, ein historisches Ereignis dar. Meine Damen und Herren, diese große Leistung der sozialliberalen Koalition wird auch nicht dadurch geschmälert, daß die CDU/CSU die Regierungskoalition heute noch übertrumpfen möchte. Die flexible Altersgrenze ist und bleibt das Werk der sozialliberalen Koalition, insbesondere ihres Arbeitsministers Walter Arendt. Darüber sollte es in diesem Hohen Hause keinen Zweifel geben.
({2})
Darüber kann die Opposition, wie gesagt, auch mit ihren zusätzlichen Forderungen nicht hinwegtäuschen.
Lassen Sie mich abschließend noch ein mahnendes
i) Wort an die Adresse der Opposition richten. Die Erfüllung der Forderung der CDU/CSU, neben dem vorgezogenen Altersruhegeld weiterhin den vollen Arbeitsverdienst zuzulassen, muß zu folgenden Konsequenzen führen.
Erstens. Die meisten Arbeitnehmer werden nicht mit 62 bzw. 63 Jahren, also bei Beginn der Zahlung des Altersruhegeldes, in den Ruhestand treten, sondern ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand weiterzuarbeiten versuchen, um neben der Rente den vollen Arbeitsverdienst zu erhalten.
({3})
- Das hat mit Verantwortungslosigkeit nichts zu tun. Es handelt sich hier um eine „Versuchung", die Sie in das Gesetz hineinbringen wollen.
Dies würde dem humanitären Sinn der flexiblen Altersgrenze widersprechen und, wie ich fürchte, nicht zu einer flexiblen Altersgrenze, sondern eher zu einer neuen starren Altersgrenze von 63 Jahren führen.
Zweitens. Darüber hinaus hätte derjenige, der weiterarbeitet, im Alter ein Gesamteinkommen, das weit über seinen bisherigen Arbeitsverdienst hinausgeht. Dies würde dem sozialpolitischen Sinn einer vernünftigen Alterssicherung widersprechen, weil dadurch die Rente ihrer Lohnersatzfunktion entkleidet werden würde. Man kann die 63jährigen hinsichtlich des vollen Verdienstes auch nicht mit den 65jährigen gleichstellen, weil 65 Jahre immer
noch das normale Alter für den Beginn des Bezugs von Altersruhegeld ist und auf Grund der tarifvertraglichen Bestimmungen 65jährige kaum weiterarbeiten können. Sie müssen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, während die 63jährigen auf Grund unseres Antrages einen bevorzugten Kündigungsschutz erhalten sollen.
Drittens. Derjenige aber, der aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterarbeiten kann, wäre nur auf seine Rente angewiesen. Das aber wiederum würde zwei Klassen von Arbeitnehmern am Ende ihres Arbeitslebens schaffen und den Grundsatz der Solidarität aller Arbeitnehmer ernstlich in Gefahr bringen.
({4})
Lassen Sie mich zusammenfassen, meine Damen und Herren. Die CDU/CSU war lange Zeit ein strikter Gegner der flexiblen Altersgrenze.
({5})
Hätte die CDU/CSU vor drei Jahren die Regierungsverantwortung übernommen - ich habe soeben versucht, es Ihnen darzustellen; es tut mir sehr leid, wenn Sie das nicht begriffen haben -, könnten wir heute nicht über die Einführung der flexiblen Altersgrenze entscheiden.
({6})
Allein die sozialliberale Koalition ist Vorkämpferin der flexiblen Altersgrenze. Nur ihrem politischen Ringen ist es zu verdanken, daß wir heute vor der Verabschiedung dieses großen Reformwerkes stehen. Die Tatsache, daß die CDU/CSU heute die sinnvolle und ausgewogene Konzeption der sozialliberalen Koalition für eine flexible Altersgrenze durch fragwürdige Detailregelungen verwässern will, ändert nichts an dem großen sozialen Fortschritt, der mit diesem Reformwerk erreicht wird.
Ganz gleich, wie diese Abstimmung ausgehen wird, meine Damen und Herren: Dieser Tag bleibt ein großer Tag in der Geschichte der deutschen Sozialpolitik. Die Bürger in diesem Lande werden die historische Leistung der sozialliberalen Koalition - davon bin ich überzeugt - zu würdigen wissen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird dem Antrag der Opposition auf Umdruck 308 nicht zustimmen und bittet um Ablehnung dieses Antrags, da er nach unserer Auffassung erstens den sozialpolitischen und den gesundheitspolitischen Überlegungen, die der Einführung der flexiblen Altersgrenze bei der Regierung und den Koalitionsfraktionen zugrunde liegen, völlig widerspricht und zum zweiten mit seiner Unausgewogenheit bezüglich der möglichen Beanspruchung mit Sicherheit den Spielraum, der von mir bereits heute
Schmidt ({0})
früh mit 184 bzw. 186 Milliarden DM als dem möglichen Volumen angesprochen wurde, um ca. 10 bis 15 Milliarden DM überschreiten und damit die Solidität dieser Rentenreform gefährden würde.
Herr Kollege Müller ({1}), ich glaube, Sie haben sich etwas zu weit vorgewagt, als Sie eingangs sagten, die Koalition habe sich an die Vorstellungen der Opposition sprungweise herangerobbt. Ich glaube, das völlige Gegenteil war der Fall.
({2})
- Herr Kollege Müller, muß ich das noch einmal sagen? Aber so etwas kann ja nicht unwidersprochen hier im Raum stehenbleiben. Sie haben im Jahre 1969 für eine mögliche CDU/CSU-Regierung keine flexible Altersgrenze gewollt. Das ist aktenkundig.
({3})
Sie haben im Herbst des vergangen Jahres noch nichts darüber gewußt. Sie haben sie im Juli überhaupt erst nachgeschoben. So ist die Situation. Bei uns stand sie in der Regierungserklärung und war im Rentenpaket sorgfältig vorbereitet und vorberaten und lag auf dem Tisch des Hauses. Wollen wir doch hier die Entwicklungen nicht verdrehen!
Ein zweites hat mich auch gewundert - heute früh schon einmal bei einem Sprecher der Opposition und jetzt schon wieder: Meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, Sie bemühen so auffällig oft den Herrn Heubeck in Ihren Beiträgen hier. Ich habe zwar in den Jahren 1956/57 diesem Hause noch nicht angehört, aber ich habe mir von meinen Kollegen sagen lassen und auch aus den Protokollen ersehen, daß zur damaligen Zeit der Herr Heubeck bei Ihnen nicht etwa in diesem großen Ansehen stand wie heute, wo Sie sich plötzlich auf ihn immer als Kronzeugen berufen. Anscheinend hat sich auch hier - wie in manchem etwas geändert.
({4})
- Freund ist eine andere Frage, aber als Sachberater, als Sachverständiger stand er sicher nicht in so großem Ansehen. Oder soll ich einmal aus dem Protokoll vorlesen, was damals dazu gesagt wurde? - Aber, wie gesagt, man kann sich ja ändern. Bloß soll man dann zugeben: Damals haben wir uns geirrt, und heute wollen wir etwas Besseres. Das habe ich heute früh schon einmal gesagt.
Herr Kollege Müller, Sie haben hier das Wort vom Beschäftigungsverbot und vom abrupten Ausscheiden gebracht. Ich möchte noch einmal klar feststellen: Die Regierungsvorlage und das, was der Ausschuß beschlossen hat, enthalten weder ein Beschäftigungsverbot noch ein abruptes Ausscheiden, sondern die unterschiedliche Auffassung zwischen Ihnen und uns ist -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schmidt, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich von einem teilweisen Beschäftigungsverbot und immer davon gesprochen habe, daß Sie ein Viertel der Bemessungsgrenze hinsichtlich der Beschäftigung zulassen wollen? Würden Sie mir dann aber bitte auch die Frage beantworten, wie dies realisiert werden soll? Würden Sie mir sagen, wo die Teilzeitarbeitsplätze für männliche Arbeitskräfte sind?
Ich habe darauf zwar heute früh schon einmal geantwortet, aber ich will es gern noch einmal tun, Herr Kollege Müller. Sie hatten mich nicht ganz ausreden lassen. Nicht ein teilweises Beschäftigungsverbot - es kommt da auf die Aussage an -, sondern eine teilweise Weiterbeschäftigung im Sinne eines Übergangs aus dem Arbeits- in das Rentenleben enthalten die Regierungsvorlage und der Ausschußbeschluß. So möchte ich es noch einmal zu Protokoll geben.
Was die Kontrolle betrifft - das kann ich gleich vorziehen, weil Sie die Frage hier eben angesprochen haben -, so haben Sie, Herr Kollege Müller, in Ziffer 1 Ihres Antrags, wenn ich ihn richtig gelesen habe, ja auch die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung sogar auf ein Achtel reduziert, wofür wir insgesamt ein Viertel haben.
({0})
- Entschuldigen Sie, in Ziffer 1 ist das Achtel drin.
({1})
- Sie sollten mich erst einmal ausreden lassen. Herr Kollege Müller, bei diesen Gruppen, bei denen wir für das vorgezogene Altersgeld die Begrenzung haben, muß ja auch die Kontrollmöglichkeit vorhanden sein. Oder ist sie dort nicht vorhanden? Das haben wir bisher doch gehabt. Wieso soll dann die Kontrollmöglichkeit nicht auch gegenüber demjenigen gegeben sein, der die flexible Altersgrenze beantragt? Das ist hier doch mit zweierlei Maß gemessen. Einmal brauchen wir die Kontrollmöglichkeit beim vorgezogenen Altersgeld sowieso, aber hier gibt es angeblich keine Möglichkeit.
Der entscheidende Punkt für unsere Ablehnung des Antrags ist einfach die Tatsache, daß, wie ich eingangs schon sagte, die von Ihnen vorgeschlagene Möglichkeit des völligen Weiterverdienstes - was praktisch auf die Beantragung einer Rente bei Weiterarbeit hinausläuft - erstens im Endeffekt die Herabsetzung der Altersgrenze auf 63 Jahre in einem weiten Maß begünstigt. Das ist nicht der Wunsch und Wille bei der Einführung der flexiblen Altersgrenze gewesen. Zweitens wird der gesundheitspolitische Gesichtspunkt bei dem einzelnen durch materielle Überlegungen weitgehend ausgeschaltet. Er rechnet sich aus: Wie komme ich besser dabei weg? Er fragt nicht: Was tut mir besser? Drittens wird damit der soziale Effekt weitgehend eingeschränkt, den eigentlich wir alle gewollt haben und von dem Herr Katzer heute früh noch einmal gesprochen hat. Viertens liegt dadurch die BeSchmidt ({2})
anspruchungsquote zweifellos höher. Das wird Ihnen immer wieder bestätigt. Das haben Sie vorhin auch von dem Kollegen Nölling vorgelesen bekommen. Die Kosten sind nicht abschätzbar.
({3})
- Hier steht dann eben Behauptung gegen Behauptung. Aber jede Behauptung hat ihre guten Gründe. Die Kosten werden auf alle Fälle höher liegen, weil diese Zuverdienstmöglichkeit die größere Inanspruchnahme bringt. Dagegen kann im Falle von Arbeitsmarktschwankungen Ihre Lösung zur Guillotine für kranke und nicht mehr so leistungsfähige Arbeitnehmer werden. Diese kommen bei Arbeitsmarktschwankungen in die Situation, die Rente, das Altersruhegeld vorzeitig beantragen zu müssen, aber natürlich ohne eine Zuverdienstmöglichkeit zu haben, da zu diesem Zeitpunkt der Arbeitsmarkt das nicht zuläßt. Hier ist etwas unausgegoren, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis, denn Sie sind ja erst im Juli dieses Jahres auf diese Idee gekommen. Aber Sie können schließlich vor der Abstimmung noch einmal darüber nachdenken und sich überlegen, ob Sie nicht den besseren Weg im Sinne der Rentner bzw. derjenigen, die demnächst oder in den nächsten Jahren die flexible Altersgrenze beantragen möchten, gehen wollen.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 308. Wie zuvor werden wir über alle Anträge auf diesem Umdruck gemeinsam abstimmen. Es ist namentliche Abstimmung beantragt.
Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen.
({0})
Meine Damen und Herren, an der namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 308 haben 494 voll stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 22 Berliner Abgeordnete teilgenommen. Von den voll Stimmberechtigten haben 248 mit Ja gestimmt, mit Nein 246. Von den Berliner Abgeordneten haben 10 mit Ja gestimmt, mit Nein 12. Der Antrag ist angenommen.
Ergebnis:
Abgegebene Stimmen 494 und 22 Berliner Abgeordnete. Davon:
Ja: 248 und 10 Berliner Abgeordnete
Nein: 246 und 12 Berliner Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner
Alber
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Arnold
Dr. Artzinger
Dr. Bach
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({0})
Dr. Becker ({1})
Becker ({2}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Birrenbach
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe Breidbach Bremer
Bremm
Brück ({3})
Dr. Burgbacher
Burger
Cantzler
Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans
Dr. Dittrich Dr. Dollinger
Draeger
von Eckardt Engelsberger Dr. Erhard
Erhard ({4}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke ({5})
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({6}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({7}) Dr. Gölter
Gottesleben Dr. Gruhl Haase ({8})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Dr. Hallstein Dr. Hammans
Hanz
Hartnack
von Hassel
Hauser ({9}) Dr. Hauser ({10})
Dr. Heck
Dr. Hellige Helms ({11})
Dr. Hermesdorf ({12}) Höcherl
Hösl
Horstmeier
Horten
Dr. Hubrig
Dr. Hupka
Hussing Dr. Huys Frau Jacobi ({13})
Dr. Jahn ({14})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Jungmann
Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch
Dr. Kley
Dr. Kliesing ({15}) Klinker
Köster
Krammig Krampe Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lemmrich Lensing Dr. Lenz ({16})
Lenze ({17})
Lenzer
Link
Löher ({18})
Dr. Löhr Looft
Dr. Luda
Lücke ({19})
Lücker ({20})
Majonica Dr. Martin
Dr. Marx ({21}) Maucher
Meister Memmel Dr. Mende
Menth ({22})
Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Dr. Müller ({23})
Dr. Müller ({24})
Müller ({25}) Müller ({26})
Dr. Müller-Hermann
Mursch ({27}) Niegel
Orgaß
Petersen Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann Dr. Prassler
Dr. Preiß Dr. Probst Prochazka Rainer
Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Richarts
Riedel ({28})
Dr. Riedl ({29})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Roser
Russe Sauter
Schedl Schlee Schlichting-von Rönn
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({30}) Schmitt ({31})
Dr. h. c. Schmücker Schneider ({32}) Dr. Schneider ({33}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({34}) Dr. Schröder ({35}) Schröder ({36}) Schulhoff
Schulte ({37}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Spilker Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({38})
Dr. Starke ({39})
Stehle
Stein ({40})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar Vogel Vogt
Volmer
Wagner ({41})
Dr. Wagner ({42})
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({43})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Wendelborn
Werner Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wittmann
({44})
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann ({45})
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger
Dr. Gradl
Dr. Kotowski
Kunz
Müller ({46})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({47}) Dr. Seume ({48}) Wohlrabe
Nein SPD
Adams
Dr. Ahrens Anbuhl
Dr. Apel
Arendt ({49})
Dr. Arndt ({50})
Baack
Baeuchle
Bäuerle
Bals
Barche
Dr. Bardens Batz
Bauer ({51})
Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({52}) Becker ({53})
Dr. Beermann
Behrendt
Bergmann Berkhan
Berlin
Biermann Böhm
Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({54})
Bredl
Brück ({55}) Brünen
Buchstaller
Büchler ({56})
Büchner ({57})
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Corterier Cramer
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Dr. Enders Engholm
Dr. Eppler Esters
Faller
Dr. Farthmann
Fellermaier Fiebig
Dr. Fischer Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({58})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch
Geiger
Gerlach ({59})
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger
Grobecker
Dr. Haack
Haar ({60})
Haase ({61}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({62}) Herold
Höhmann ({63})
Hörmann ({64}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({65})
Jaschke Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann
Kater
Kern
Dr. Koch Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Frau Lauterbach
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Maibaum Marquardt
Marx ({66})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({67}) Meinike ({68}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllere Müller ({69})
Müller ({70})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Dr. Oetting
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye
Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({71})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Richter
Dr. Rinderspacher
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({72}) Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({73})
Frau Schimschock Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid ({74}) Schmidt ({75}) Dr. Schmidt ({76}) Schmidt ({77})
Dr. Schmidt ({78}) Schmidt ({79}) Schmidt ({80}) Schmidt ({81}) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({82})
Schwabe
Seefeld Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({83})
Frau Strobel
Strohmayr
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({84}) Wehner
Welslau
Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({85}) Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Vizepräsident Dr. Jaeger Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({86}) Bartsch
Bühling
Dr. Dübber Heyen
Frau Krappe Löffler
Mattick
Frau Schlei Sieglerschmidt
FDP
Dr. Achenbach
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Gallus
Geldner
Genscher
Graaff
Grüner
Jung Kirst Kleinert
Krall Logemann
Dr. h. c. Menne ({87}) Mertes
Mischnick
Moersch
Ollesch
Opitz
Peters ({88}) Scheel
Schmidt ({89}) Spitzmüller
Wurbs
Berliner Abgeordnete Borm
({90})
Gemäß der vereinbarten Prozedur komme ich zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 306*). Die verschiedenen Anträge, die dieser Umdruck enthält, werden gemeinsam begründet und debattiert. Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Kalinke. - Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit für die Rednerin. Sollten Sie Gespräche führen müssen, bitte ich, das außerhalb des Sitzungssaales zu tun.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das Problem, das im Augenblick zur Diskussion steht, gehört leider zu den Themen, die in unserem Volk und nicht zuletzt bei den Frauen unseres Volkes ungewöhnlich viel Illusionen geweckt haben und die, wie ich fürchte, zu ungewöhnlich viel Enttäuschungen führen könnten.
Diese Regierung wollte besser und anders als jede andere eine Regierung großer gesellschaftlicher Reformen sein, und sie wollte das in besonderer Weise für die Frauen unseres Landes sein! Diese Regierung wollte anders als jede andere ihre Wahlversprechen von 1969 verwirklichen, und diese Regierung steht heute vor der Situation, den Frauen - und ich sage: allen Frauen, nicht nur den sozialversicherten Frauen - die sozialen Versprechungen, die sie ihnen landauf, landab gegeben hat, nicht erfüllen zu können.
({0})
Darum ist dies für uns eine Stunde großer Sorge, zumal da das Ansehen der demokratischen Ordnung, die wir mehr als bisher zu verteidigen alle aufgerufen sind, davon abhängt, daß Demokraten, die Versprechen machen, auch die Voraussetzungen für die Erfüllung der Versprechungen schaffen müssen.
({1})
Der Arbeitsminister hat in seiner Erklärung vom 14. September 1972, abgedruckt im Bulletin, gesagt - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
*) Siehe Anlage 7
Wer es ernst meint und wer gewillt ist, auch nach dem Wahltage zu halten, was er heute beschließt, darf die finanzielle Solidität der deutschen Rentenversicherung nicht in Frage stellen.
Und er hat uns - ich nehme an, nicht nur uns, sondern vor allen Dingen auch seine Genossen - vor etwas gewarnt: Wahlkampfüberlegungen dürfen nicht zur Auszehrung der politischen Verantwortung führen, wenn es nicht schlecht um das Ganze bestellt sein soll. - Wer möchte ihm da nicht zustimmen! Ich möchte diese Ihre Warnung, Herr Kollege Arendt, ganz ernst nehmen, und ich möchte sie ganz besonders ernst nehmen im Zusammenhang mit den sozialen Versprechungen und Problemen, über die wir heute in diesem Hause vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit diskutieren. Hoffnungen und Illusionen hervorrufen und im Menschen den Glauben wecken, daß das Versprechungen sind, denen auch in die Zukunft hinein solide Lösungen folgen werden, ist, glaube ich, das Schlimmste, was eine Regierung und ein Parlament tun können, wenn sie nicht auf gesicherter finanzieller Grundlage die Möglichkeiten sehen, die sozialen Versprechungen nicht nur morgen, sondern auch übermorgen zu verwirklichen.
Es ist daher sicher richtig, wenn viele Sachverständige - ich möchte nicht wie die Freien Demokraten hier nun alle Wirtschafts- und Interessenverbände aufzählen, die das gesagt haben -, Männer und Frauen mit großem Sachverstand, uns in der Fachliteratur, in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, aber auch im Hearing dieses Bundestages zu den Rentengesetzen immer wieder gesagt haben, daß man die einzelnen Probleme und Pakete der Rentenreform in aller Sorgfalt beraten solle, daß man diese Probleme gründlich, ja sehr gründlich, ausdiskutieren müsse, um dann zu sachlich ausgewogenen und sozialpolitisch optimalen Entscheidungen zu kommen.
Erstes Gesetz bleibt die Solidität. Darin sind wir uns doch hoffentlich einig, nicht nur im Wort, sondern in der Tat. Ich habe in diesen letzten Wochen im Ausschuß immer ganz andere Töne - angenehme, verständnisvolle - vom Vorsitzenden des Ausschusses gehört, als sie hier im Plenum zu hören waren. Solidität ist auch dann unerläßlich, wenn die Schatten des Wahlkampfes schon tief fallen. Sie sollte sich von selbst verstehen, besonders in Fragen unserer Rentenversicherungen, die wir ja niemals für eine Legislaturperiode behandeln können.
Der errechnete finanzielle Spielraum, den wir jetzt umverteilen, ist ja nicht zuletzt die Voraussetzung für das, was auch morgen ausgegeben werden soll. Dieser Spielraum beruht im Grunde auf der Beitragserhöhung, die vom 1. Januar an in Kraft treten wird und die nun der Verwirklichung der Lösungen, die auch die Regierung angestrebt hat und die wir mit ihr sachverständig und verantwortungsbewußt beraten haben, dienen soll. Aber die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung unseres Volkes in die Zukunft hinein muß auf Dauer Vorrang vor den Wünschen haben, die auch wir in bezug auf die Fortentwicklung der sozialen
Sicherung - der gesellschaftspolitischen wie der familienpolitischen - haben. Die Erhaltung dieser Leistungsfähigkeit haben Sie uns, Herr Professor Schellenberg, so oft im Ausschuß vorgehalten. Auch heute morgen ist man der CDU/CSU-Fraktion wieder so entgegengetreten, als nehme sie es nicht so ganz ernst mit der Fülle der finanziellen Verantwortung und als sehe sie nicht den begrenzten Spielraum der Mittel, die auszugeben wir gemeinsam verantworten sollten.
Die Finanzen der Renten- und Krankenversicherung, meine Herren und Damen - das gilt besonders für die Regierungsparteien -, können nur einmal ausgegeben und auch nur einmal umverteilt werden. Auch von daher gibt es eine Rangfolge der Reformen. Es ist einfach nicht richtig, daß die flexible Altersgrenze nicht ein Programm der CDU war. Sie war es genauso wie andere Fragen.
({2})
Aber Vorrang vor allen Programmen hatten für uns eben die Rentenniveausicherung und die Rentenerhöhung im Interesse aller Rentenempfänger.
({3})
Erst die Nachholung der Rentenanpassung hat die Voraussetzungen gegeben, um dem einzelnen die Möglichkeit zu eröffnen, sich für eine flexible Altersgrenze zu entscheiden.
Ich habe es in diesem Hause schon bei der letzten Diskussion gesagt: flexible Altersgrenze hat es schon immer gegeben. Sie haben sie nicht erfunden. Es gab schon 1957 die vorgezogene Altersgrenze. Die Fortentwicklung dieser Altersgrenze mit dem Ziel der Senkung der Altersgrenze, wie Sie es sehen, und der Wahlfreiheit, wie wir es wünschen, ist das Thema des heutigen Tages und war der Inhalt der Abstimmung, die wir soeben erlebt haben, deren Ergebnis wir begrüßen und von dem ich hoffe, daß Sie es in dritter Lesung auch begrüßen werden.
Wir sehen es als positiv an, daß es im Ausschuß eine verantwortungsbewußte gemeinsame Überzeugung gegeben hat. Ich sage es hier wie im Ausschuß: Sie haben hoffentlich der Rentenanhebung und der flexiblen Altersgrenze nach dem Modell der CDU nicht nur zugestimmt, Herr Kollege Schellenberg, weil es - wie Sie es hier gesagt haben -, an der Stimme und damit an der Mehrheit fehlt, die Sie im Bundesrat und hier im Hause nicht haben, sondern ich möchte hoffen, daß Sie ihr auch zustimmen werden, weil die Sache der CDU, weil die Lösung eine bessere ist und weil sie besser in das System hineinpaßt, das doch gerade Sie auch im Ausschuß so ernst zu verteidigen versucht haben: unser Rentenversicherungssystem mit der Renten-Formel, die wir gemeinsam in diesem Hause beschlossen und in vielen Jahren verteidigt haben.
Im Interesse der vielen Frauen, die davon betroffen sein werden, der Pflichtversicherten, der freiwillig Versicherten, der Berufstätigen, auch der berufstätigen Hausfrauen, die zwar nicht erwerbstätig, aber doch im Haushalt berufstätig sind, begrüßen wir, daß die Anhebung des Rentenniveaus, daß die Regelung bei den Kleinstrenten, daß die Beibehaltung des vorgezogenen Altersruhegeldes, daß
die Öffnung der Versicherung für die Frauen allen
Frauen Chancen und bessere Leistungen geben wird.
Ich glaube, es wird sehr viel sein, was in den verschiedensten Bereichen gerade denen zugute kommen wird, die der Hilfe aus der Solidarhaftung aus den Mitteln der Rentenversicherung in besonderer Weise bedürfen.
Sie behaupten nun, dies alles sei im CDU-Programm nicht so solide finanziert wie in Ihrem und das würde alles scheitern, wenn die CDU zu ihrem Programm auch noch einen Modellversuch wünscht, wie Sie ihn mit dem Baby-Jahr machen wollen, einen Versuch, den Sie aber gar nicht ernsthaft zu verwirklichen wünschen, sondern bei dem Sie in dieser Stunde fürchten, daß er gar, weil die CDU nicht zusammenhält oder nicht einheitlich abstimmt, zustande kommen könnte und Sie dann beim Wort genommen und zur Kasse gebeten würden. Ich meine, nichts wäre schlimmer, als wenn wir das Paket, das Sie gepackt haben und das wir heute nach den Vorstellungen der CDU beschließen wollen und heute beschließen können, am Artikel 113 des Grundgesetzes scheitern ließen. So redlich möchten wir bis zur letzten Stunde vor der Wahl bleiben, daß wir genau sagen, was heute finanzierbar und was morgen lösbar sein wird.
Reformen, meine Herren und Damen, müssen nicht nur gut durchdacht, müssen nicht nur gut untermauert sein, damit sie nicht zu Fehleinschätzungen und nicht zu finanziell unübersehbaren Risiken führen, wie sie uns alle Sachverständigen dargestellt haben. Reformen, meine Herren und Damen, dürfen aber auch nicht zu Ungerechtigkeiten führen. Gerade bei der Besprechung dieses Themas hat sich doch gezeigt, wie ungeheuerlich die Ungerechtigkeit wäre, wenn wir Leistungen, die auch wir wünschen und die auch wir begrüßen, dem großen Teil der Frauen, die darauf hoffen, heute versagten, weil wir Maßnahmen einleiten, die ganz große Schwierigkeiten in der Verteidigung der sozialen Gerechtigkeit mit sich bringen müssen. Den Grundsatz „gleiches Recht für alle" sollten wir doch gemeinsam vertreten. Ich darf hier deutlich machen - das müssen alle Frauen in der Bundesrepublik wissen -, daß die Solidarität der Beitragszahler der Rentenversicherungsträger nicht allein angesprochen werden darf, sondern daß auch die Solidarität aller Steuerzahler für unsere Mütter, für unsere berufstätigen Hausfrauen und für alle diejenigen angesprochen werden muß, die sich als Mütter in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft unseres Volkes für die Familie und für das ganze Volk eingesetzt haben.
Darum sind viele Komplexe gerade dieses Teils des Reformpakets so unerhört problematisch. Wer wünschte nicht eine eigenständige soziale Sicherung der im Haushalt berufstätigen Frauen? Aber niemand sollte etwas wünschen, was das Bestehende gefährdet. Niemand sollte etwas beschließen, was noch nicht ausdiskutiert, was noch nicht entscheidungsreif ist und was bei vielen den Eindruck erwecken muß, als seien sie vergessen oder als seien
sie gar angeführt worden, wenn sie nachher feststellen müssen, daß sie nicht zu denjenigen gehören, die bei dem großen Thema „mehr soziale Sicherheit für alle Frauen" nun auch selber auf Heller und Pfennig und in D-Mark und Gröschelchen wissen, was dabei herauskommt.
({4})
Darum meine ich: wer diesen ersten Schritt tut, muß einen Weg beschreiten, der allen Frauen - ich betone: allen - zugute kommt.
({5})
Und wer diesen ersten Schritt tut, muß ihn einfügen in eine große Konzeption moderner Familienpolitik, wie wir das anzukündigen versucht haben.
({6})
Und noch eines, damit Sie nicht gleich wieder in der primitiven Form sagen: 20 Jahre lang habt ihr das ja gekonnt.
({7})
20 Jahre lang haben wir in einem Staat die Voraussetzungen der Solidität und der Stabilität und damit überhaupt erst
({8})
die Grundlagen geschaffen, über solche Reformen zu sprechen.
({9})
Wenn der Herr Glombig meinte - er hat sich sicher sehr im Wort vergriffen; er ist ja sonst ein bedachter Kollege -, dies sei ein „makabres Spiel", dann muß ich das zurückweisen und sagen: makabre Spiele spielen diejenigen, die auf der einen Seite so besorgt um die Finanzen, um die Erhaltung der Prinzipien der Rentenversicherung sind oder tun,
({10})
und dann auf der anderen Seite bereit sind, um eines Wahlschlagers willen, den sie nicht realisieren können, alle diese Prinzipien aufzugeben.
({11})
Es wäre schön, wenn Herr Schellenberg hier im Plenum dasselbe wiederholte, was er mahnend im Ausschuß gesagt hat. Ich bestätige Ihnen, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie im Ausschuß viele vernünftige Dinge gesagt haben,
({12})
wobei ich hoffe, daß Sie zu denen gehören, die im Alter vom Irrtum zur Weisheit reisen und auf Grund mancher Fehlschläge und vielleicht auch falscher Ideale ihres Lebens einsehen, daß man am Ende nur das umverteilen kann, was man wirklich in der Kasse hat, und daß niemand, der einmal wieder regieren will und der Vertrauen gewinnen will, glaubwürdig bleibt, wenn er Dinge verspricht, die er nicht halten und erfüllen kann.
Wie wollen Sie den nicht rentenversicherten Frauen, deren Männer nicht in der Lage sind, Sozialversicherungsbeiträge in ausreichender Höhe zu zahlen, oder den vielen älteren Frauen, die fünf oder sechs Kinder geboren haben und nun meinen, sie bekämen eine neue Form eines Kindergeldes, erklären, daß Sie vor ihnen allen mit leeren Händen stehen?
Wir sind sicher, daß die Frauen unseres Landes uns die Wahrheit abnehmen werden.
({13})
Denn die Wahrheit ist zwar manchmal unpopulär,
({14})
aber sie ist immer geeignet, Vertrauen auf Dauer zu erwecken,
({15})
während die unredlichen Sprüche, die übersteigerten, illusionären Versprechungen, mit denen Sie sich so übernommen haben und die Sie nun in das Dilemma dieser Stunde geführt haben, nicht dazu beitragen, das Vertrauen in das Parlament, zu den Parlamentariern und zuletzt zu den Sozialpolitikern, die solches sagen, zu verstärken. Sie werden das Vertrauen erschüttern, und das wird uns allen, unserer gesamten Gesellschaftsordnung Schaden zufügen. Darum haben wir den Mut - das sage ich für meine politischen Freunde -, aufrichtig zu sagen: Weil wir das bessere Programm verwirklichen wollen, können wir nicht alles heute verwirklichen. Und weil wir ein vollständiges, ein gerechtes, ein umfassenderes familienpolitisches Programm wünschen, meinen wir, daß wir auch die Aufgabe haben, die Steuermittel, die Sie uns hoffentlich trotz des Dilemmas, trotz jener großen Notlage, in die wir wahrscheinlich geraten werden, dann noch übriglassen werden, besser und gerechter zu verteilen, als das mit Ihrer Finanzpolitik der Fall war.
({16})
Ich muß dem Kollegen Arendt hier heute noch auf eine Behauptung antworten, die nicht unwidersprochen bleiben darf. Er hat die Beschlüsse dieses Hauses zur Einführung von Vorsorgeuntersuchungen als besondere Leistung der Regierung für die Frauen herausgestellt. Damit hat er niemanden überzeugt; auch den Kollegen, die versucht haben, mit diesem gleichen Argument zu überzeugen - Herr Schellenberg einbegriffen -, dürfte das nicht gelungen sein; denn die Menschen, die daran interessiert sind, können Protokolle nachlesen und werden sich überzeugen, wie die Dinge wirklich waren. Sie haben heute wieder gesagt, daß Sie die große gesundheitspolitische Maßnahme, die ersten Schritte zur Vorsorgeuntersuchung, verwirklicht hatten, und dafür lassen Sie sich dauernd Beifall zollen. Es ist so, wie meine Kollegen Ihnen gesagt haben: Die Anträge dazu hat die Christlich-Demokratische Union gestellt. Wir stellen mit Freude fest, daß Sie damals denselben Mut gefaßt haben zuzustimmen und nicht weiter zu warten, weil es notwendig und die Stunde richtig war. So gebe ich auch die Hoffnung nicht auf, daß Sie auch in diesem Hause bei der dritten Lesung diesem unseren Konzept zustimmen werden, weil Sie nicht zugeben dürfen, daß die ersten großen Schritte zu einer Verbesserung der Leistungen für so viele Frauen und Männer nicht Wirklichkeit werden können.
Die CDU/CSU hat vielen Verbesserungsvorschlägen nicht nur zugestimmt, sondern sie hat den Anstoß dazu gegeben. Vieles wäre möglich gewesen und würde auch sehr bald möglich werden, wenn uns diese Regierung ein so heiles Instrumentarium überlassen würde, wie unsere Regierung es ihr bei der Regierungsübernahme übergeben hat.
({17})
Wenn Sie heute davon sprechen, was in der Großen Koalition nicht möglich war, so sollten Sie auch den Mut haben, von der inflationären Beitragsentwicklung und den vollen Kassen, aber auch von dem zu sprechen, was in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen kann, wenn alle Vorausschätzungen, alle Unterstellungen und alle Annahmen entgegen unserer gemeinsamen Erwartung nicht in Erfüllung gehen. Für die Christlich-Demokratische und die Soziale Union möchte ich hier ausdrücklich sagen: wir sehen es als richtig und positiv an, daß hier gemeinsam bessere Lösungen beschlossen werden
Darum haben wir uns auch, wie Sie wissen, im Ausschuß bemüht. Wenn nicht alles gemeinsam gelungen ist, lag es daran, daß Herr Arendt meinte, am Anfang dieser Debatte sagen zu müssen, wir seien hier im Vollbesitz der einen Stimme oder, wie sich jetzt gezeigt hat, zwei Stimmen Mehrheit wild entschlossen, alles durchzusetzen. Nein, Herr Kollege Arendt, Sie haben Ihre Koalition mit einer Stimme Mehrheit im Ausschuß drei Jahre wild entschlossen daran gehindert, auf bessere Argumente, auf sachverständige Einwände, auf gemeinsame Anliegen einzugehen.
({18})
Nun, wo wir zum erstenmal vor der Möglichkeit stehen, daß eine moderne Familienpolitik auch mit der Reform der Rentenversicherung eingeleitet wird, wo mehr soziale Gerechtigkeit für die alleinstehenden berufstätigen Frauen, für die geschiedenen, für die Witwen, für die vielen älteren Frauen eingeleitet werden soll, sagt die Frau Kollegin Schlei durchaus zu recht: Wir wollen erste Schritte tun! Auch wir möchten das. Aber wir wollen nicht erste Schritte tun, die so unvollkommen aussehen - ich ergänze jetzt nur, was der Kollege Katzer schon heute morgen gesagt hat -, daß es sich eben nicht um Leistungen für alle Frauen handelt, sondern nur Zurechnungszeiten für Sozialversicherte, die eine Frau nicht erhalten kann, wenn sie Kinder großzieht, sondern zunächst in ihrem sogenannten Baby-Jahr - ich finde das eine nicht sehr gute Bezeichnung - als die Prämie für die Geburt eines Kindes nur dann erhält, wenn sie die Voraussetzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt und die Rente nach 1973 beantragen kann. Die Mehrzahl der Hausfrauen und Mütter können das leider nicht. Sie sind z. B. nicht bereit, die große Leistungen der Adoption eines Kindes oder der Erziehung eines Pflegekindes, die in unserer Welt eine so große und wichtige Rolle spielt - wie alle Sozialpädagogen wissen -, überhaupt nur ernsthaft zu erörtern. Sie sind auch nicht bereit, den Frauen unseres Landes ehrlich zu sagen, was sie zu
erwarten oder nicht zu erwarten haben. Ich wiederhole noch einmal: in der Regel werden die Frauen nach der Eröffnung der Rentenversicherung die Mindestbeiträge zahlen, wie sie das bisher auch bei der Nachversicherung und bei der Weiterversicherung getan haben. Das ergibt einen Rentenzuschlag von 1,20 DM pro Monat und - was den Höchstbetrag angeht - vielleicht 20 DM. Bei einem Monatsbeitrag von fast 400 DM stellen Sie ihnen das als eine sozial- und gesellschaftspolitische Leistung dar, für die Sie eine exorbitante Belohnung durch die Stimmen der Frauen erwarten! Nach ihren eigenen Angaben werden von den 191/2 Millionen Frauen mit Kindern in der Bundesrepublik Deutschland nach Ihrem Konzept nur 300 000 Frauen - das sind genau 1,6%; auch das kann man gar nicht deutlich genug sagen - daran einen Anteil haben. Selbst wenn der Anteil durch eine erfreuliche bevölkerungspolitische Entwicklung, wofür bei dem Geburtenrückgang nichts, aber auch gar nichts spricht, anstiege, so wäre Ihre Lösung eben nicht ausreichend, um allen Frauen unseres Landes gerecht zu werden: den älteren Frauen, den Frauen, die noch keinen Rentenanspruch haben und keinen erwerben können, vor allen Dingen den Frauen der Selbständigen, der Beamten, der in freien Berufen Tätigen, den vielen älteren Frauen mit großen Familien, den Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätheimkehrern, die die Chance der Nachversicherung auch nicht haben, weil sie die 20 000 oder 30 000 DM, die für die Nachversicherung notwendig wären, einfach nicht zur Verfügung haben. Den Frauen, die nicht in der Lage sind, ausreichende Beiträge zu zahlen, kann nicht einfach gesagt werden: Ihr seid unselbständig, weil ihr von den Männern abhängig seid. Die Zeit reicht hier nicht aus, um eine große gesellschaftspolitische Diskussion darüber zu führen, ob alle Frauen wirklich unglücklich sind, deren Männer für sie eine ausreichende Altersversorgung sicherstellen, die es ja nicht nur in den gesetzlichen Rentenversicherungen, sondern auch im weiten Bereich der Eigentumsbildung, der privaten und individuellen Lebenssicherung gibt. Ich glaube, es wäre auch ungeheuerlich, wenn man allen Ehemännern unterstellte, sie würden nicht mit bedenken, daß die Altersversorgung ihrer Frauen und Witwen gesichert sein muß.
({19})
Sie haben uns im Ausschuß erklärt, daß Sie die vorgesehenen Verbesserungen in der Versorgung der Witwen und geschiedenen Witwen aus dem Gesetz herausnehmen müßten, weil die Pläne des Justizministers zur Reform des Versorgungsrechts - wie so viele Reformpläne von Ihnen - gescheitert seien. Wir meinen, daß dieser Komplex von dem neuen Bundestag in Ruhe und sorgfältig beraten werden muß. Ich glaube, daß Herr Muhr vom DGB recht hatte, als er auf meine Fragen und die Fragen meiner Kollegen im Hearing immer wieder antwortete, daß es sich hier um eine Leistung des Familienlastenausgleichs handeln müsse - dem stimme ich uneingeschränkt zu -, die den Rentenversicherungsträgern aus Steuermitteln erstattet werden müsse. Dafür haben Sie auch nicht eine einFrau Kalinke
zige D-Mark angesetzt. Sie haben noch nicht einmal versucht, das Problem in dieser Weise zu lösen und die dafür notwendigen Mittel an anderer Stelle einzusparen. Die Solidarhaftung der Sozialversicherten, der Beitragszahler wie der Steuerzahler, wird bei der Lösung dieses Problems angesprochen sein. wir wollen eine bessere Versorgung der Witwen und der geschiedenen Witwen. Wir wollen in umfassendem Maße die Lücken im sozialen Schutz, die Lücken in der Unfallversicherung, die Lücken in der sozialen Sicherung beseitigen. Auch das Problem der Reformbedürftigkeit der Krankenversicherung ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Sie haben die Finanzprobleme der Krankenversicherung der Rentner mit keinem Wort erwähnt. Sie haben unsere Anträge zu anderen Problemen weit von sich gewiesen. Wir haben im Zusammenhang mit den vielen wichtigen Fragen, die die berufstätigen Frauen betreffen und die im Rentenbericht angesprochen werden, keine Anträge gestellt, weil wir solide bleiben wollten. Wir haben gemeinsam mit Ihnen bekannt, daß man nicht alle Probleme auf einmal lösen könne.
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung möchte ich zum Schluß nur noch wenige Sätze sagen. Herr Kollege Schellenberg, nachdem Sie 25 Jahre in der Politik tätig und seit 1949 in diesem Hause sind, sollten Sie nicht von skandalöser Gleichmacherei sprechen.
({0})
Ich empfinde es als peinlich und geradezu tragisch, wenn jemand, der von dem Weg zur Volksversicherung spricht, der einmal der Vorkämpfer einer Einheitsversicherung war, hier im selben Atemzug uns gegenüber von skandalöser Gleichmacherei spricht.
({1})
Herr Schellenberg, es wäre gut und es wäre eine große Freude für eine Sozialpolitikerin, die es immer sehr ernst gemeint hat - auch mit dem notwendigen politischen Kampf, ohne den es keinen Fortschritt gibt -, wenn Sie einsähen, daß Verantwortung, daß Vorsorge, daß Hilfe dazu und daß Gesetze, die man auch morgen gut finanzieren kann, besser sind als Illusionen und Wunschbilder.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schlei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zum Thema Baby-Jahr zu sprechen. So sieht es u. a. der zärtlich rosa Umdruck vor, den wir Ihnen zu verdanken haben.
Frau Kalinke hat eine Menge zum Thema Baby-Jahr gewußt, obwohl auf diesem Zettel der CDU/ CSU nur der Betreff „Baby-Jahr" steht und neunmal das Wort „gestrichen". Ich meine, zu diesem Nichts wußte Frau Kalinke viel zu sagen.
({0})
Im Ausschuß - das muß ich bestätigen - haben die Kollegen sehr ernsthaft, ausführlich und natürlich sehr kritisch den von uns vorgelegten Reformpunkt diskutiert. Dieser Reformpunkt der Regierung wurde durch den Vorschlag der sozialliberalen Koalitionsparteien etwas verändert. Ich werde darüber noch einige Sätze sprechen.
Zunächst möchte ich aber noch einmal zu einer grundlegenden Würdigung kommen. Wir meinen, daß unter den gezielten Verbesserungen, die das Rentenreformprogramm der Bundesregierung vorsieht, die Reform mit dem Namen „Baby-Jahr" zu Recht populär geworden ist. Dieser Vorschlag nimmt meines Erachtens unter den Reformpunkten eine besondere Stellung ein. Wir haben die Einführung des Baby-Jahres - ich finde diesen Namen sehr hübsch - als ein bedeutsames Novum in der Geschichte der Rentenversicherung begrüßt, weil dieses zusätzliche Versicherungsjahr ohne eigene Beitragszahlung den Müttern eine Verbesserung ihres Rentenstatus bringen wird. Wenn man bedenkt, um wieviel höher die Ersatz- und Ausfallzeiten sind, die Männern auf ihre Versicherungszeit angerechnet werden, erscheint uns diese Verbesserung für Frauen nur gerecht.
({1})
Die Regierung begründet die Notwendigkeit dieser neuen Regelung mit dem Hinweis darauf, daß die Geburt eines Kindes den Aufbau einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau erschwert. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Gleichfalls von vielen begrüßt wurde der zur Milderung dieser Nachteile angebotene pauschalierte Zuschlag, der für jede Frau gleich hoch sein sollte. Für den gleichen Tatbestand, nämlich lebend geborenes Kind, sollte eine gleiche Versicherungsleistung geboten werden. Die Höhe dieses Zuschlags wurde mit 70 % der maßgebenden allgemeinen Bemessungsgrundlage angesetzt - allerdings mit einer Begründung, die von politisch bewußten, besonders von gewerkschaftlich organisierten Frauen abgelehnt wurde. Sie lautete nämlich:
Die Höhe des Zuschlages ist auf Grund der Tatsache berechnet worden, daß der Verdienst der Frauen im allgemeinen 70 % des Durchschnittsverdienstes beträgt.
Die Festschreibung dieses diskriminierenden Zustandes konnten wir nicht akzeptieren, weil die leider immer noch andauernde Ungleichheit der Entlohnung von Männern und Frauen nicht auch noch auf diese Weise in die Zukunft befördert werden sollte.
({2})
Im Ausschuß setzte sich also der gemeinsame Antrag der Fraktionen der SPD und FDP durch, der auf die individuellere Regelung einer Zurechnungszeit abstellt. Er geht davon aus, daß sich die Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre bei einer Versicherten für jedes von ihr vor Ein11634
tritt des Versicherungsfalls geborene Kind um ein Jahr erhöht. Diese Regelung ist auch als systemgerechter anzusehen.
Wegen der genannten Veränderung bleibt es nicht bei den finanziellen Auswirkungen, die im Regierungsentwurf mit 14 Milliarden DM bis 1985 angegeben worden waren. Die Kosten werden sich bis 1986 auf 17,9 Milliarden DM belaufen. Durch die individuelle Regelung kommt also insgesamt eine Erhöhung zustande.
Wir haben uns in den intensiven Beratungen des Gesetzentwurfs Gedanken über die Berücksichtigung der Frauen gemacht, die auch Frau Kalinke erwähnt hat, nämlich der Frauen, die ein Pflegekind betreuen oder ein Adoptivkind haben.
Besonders gründlich wurde auch die Frage der sogenannten alten Last geprüft, also das Hineinnehmen der Mütter, die bereits Rentnerinnen sind, in die Vergünstigung. Diese Frauen haben ihre Mutterschaft unter viel schwierigeren materiellen Bedingungen bestehen müssen, als das heute allgemein der Fall ist. In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hatte ich bereits zum Ausdruck gebracht, daß es wünschenswert und gerecht wäre, auch diesen Frauen das Baby-Jahr zu gewähren. Leider hat der zu enge Finanzrahmen hier keine Lösung zugelassen.
Die Ausweitung auf den Rentenbestand hätte allein für das Jahr 1973 800 Millionen DM bedeutet und würde bei der notwendigen langfristigen Vorausberechnung bis 1986 zu einer Mehrbelastung von 40 bis 45 Milliarden DM führen. Hinzu kommen die enormen Verwaltungsschwierigkeiten, die z. B. dazu geführt hätten, daß die Rentenneuberechnung über Jahre gedauert hätte. Der Verzicht auf diese Lösung fiel uns allen sehr schwer. Dem Protokoll vom 21. Juni 1972 ist zu entnehmen, daß auch die Kollegen der Opposition dieses Problem gern positiv geregelt gesehen hätten, obwohl sie in dieser Richtung keine Anträge gestellt haben.
Hervorzuheben ist jedoch die Wichtigkeit folgender rückwirkender Regelung. Von der Einführung des Baby-Jahrs sollen bereits die Mütter profitieren, die ab 1. Januar 1973 ihre Rente beantragen. Das ist nach vorläufigen Schätzungen die beachtliche Zahl von 332 000 Frauen für nur ein Jahr.
Die im Ausschuß vorgetragene Kritik der Opposition, daß diese Reformabsicht nur für versicherte Frauen gelte, kann die Bedeutung dieses wichtigen ersten Schritts auf den Weg zu einer eigenständigen Sicherung der Frau nicht schmälern. Gerade dieser Teil der Rentenreform hat in der Öffentlichkeit eine intensive Bewußtseinsbildung eingeleitet. Man begriff, daß hier erstmals versicherungsrechtlich auf die soziale Biographie der Frau mit ihren spezifischen Lebensbelastungen abgestellt wurde, und erkannte, daß ohne solche Berücksichtigung eine eigenständige soziale Sicherung der Frau und Mutter nie entwickelt werden könnte.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Herr Franke, ich bin im Parlament erst ein Anfänger. Lassen Sie mich doch erst einmal zu Ende kommen.
({0})
Wir hatten doch auch im Ausschuß genug Zeit zu beraten. Ich bitte, jetzt meine Gedanken zu Ende führen zu dürfen, und haben Sie charmanterweise Verständnis dafür, daß ich heil über die Runden kommen möchte.
({1})
Zu der notwendigen weiteren Entwicklung eines Sicherungssystems für alle Mütter mit Kindern, die sich in einem unabdingbaren Erziehungszeitraum befinden, sind alle gesellschaftlichen Kräfte aufgerufen. Diese familienpolitische Aufgabe liegt noch vor uns allen. Das heute Machbare aber ist hier und heute zu tun.
Ein Wettbewerbsprogramm von Herrn Katzer liegt dazu nicht vor. Ich erinnere daran, daß die Kolleginnen und Kollegen der CDU im Ausschuß diesem Gesetzentwurf nicht mit Nein begegnet sind, sondern Stimmenthaltung geübt haben. Ich frage mich also: Wo sitzt der sozialpolitische Pole Poppenspäler, der an den Strippen gezogen und Sie zu einem Nein geführt hat?
({2})
Ich bitte darum, daß wir uns im Interesse einer Entwicklung, die noch schwierig sein wird, hier zu einem Ja zusammenfinden.
Ich bitte um namentliche Abstimmung über unseren Vorschlag.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn in diesem Hohen Hause eine Fraktion einen Streichungsantrag stellt, so bringt sie damit seit jeher zum Ausdruck, daß sie das, was sie damit gestrichen haben will, ablehnt, daß sie also den betreffenden Sachpunkt in ihrem politischen Programm nicht haben will. Sie haben mit Ihrem Streichungsantrag zum Ausdruck gebracht, daß Sie einen der Schwerpunkte des Regierungsprogramms, einen der Schwerpunkte der Rentenvorlage, nämlich das Baby-Jahr, nicht wollen, daß Sie das Baby-Jahr zum jetzigen Zeitpunkt also nicht für notwendig halten.
({0})
- Ich komme noch zu den Einzelheiten. Damit haben Sie wieder einen Punkt der von mir heute schon einmal angeschnittenen, durch Ihre Vorstellungen gehenden dosierten Frauen- und Familienfeindlichkeit in Rentenfragen deutlich gemacht. Wir haben darüber bereits heute früh im Zusammenhang mit der Öffnung der Rentenversicherung diskutiert; hier wird es wiederum deutlich.
Schmidt ({1})
Sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, Sie haben gesagt: „Die Wahrheit ist manchmal unpopulär." Ich habe den Eindruck: die Wahrheit haben Sie und die CDU/CSU in diesem Hause allein gepachtet. So sieht es manchmal aus, wenn man Sie hört. Natürlich ist die Wahrheit manchmal unpopulär.
({2})
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Bitte schön!
Herr Kollege, ich habe Ihre letzten Ausführungen nicht verstanden; Sie werden sie sicher wiederholen.
Ich kann sie gern wiederholen.
Ich wollte Sie zu Ihren vorangehenden Ausführungen fragen: Wollen Sie wirklich behaupten, daß jemand von der CDU/ CSU gesagt hätte, er wolle eine Lösung dieses Problems nicht? Wollen Sie es sich so einfach machen, Herr Kollege, und wären Sie, auch wenn Sie nicht immer im Ausschuß waren, so ehrlich, zu sagen, daß wir um die finanzpolitischen Probleme dieser Frage sehr ernst, sehr sachverständig und sehr verantwortungsbewußt gerungen haben, ohne daß Sie einen Beitrag dazu geleistet haben?
({0})
Die Fragen sollten nach Möglichkeit kurz sein.
Frau Kollegin Kalinke, ich glaube, ich bin Manns genug, Ihnen selber zu antworten, obwohl ich gerade Schützenhilfe bekommen habe; danke schön, Herr Kollege Buschfort. Ich möchte nur feststellen, daß ich bei den Beratungen im Ausschuß immer anwesend war, mit Ausnahme eines einzigen Tages, an dem ich aus familiären Gründen nicht teilnehmen konnte. Ansonsten war ich öfter anwesend als viele Kollegen, öfter jedenfalls als der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Katzer - das wollen wir einmal feststellen -,
({0}) der hier immer große Töne spuckt.
({1})
- Jawohl, er war nie anwesend. Ich lasse mir doch hier nicht vorwerfen, ich sei nicht im Ausschuß gewesen, zumal da Ihr Sprecher nie anwesend war.
Aber nun wieder zur Sache. Frau Kollegin Kalinke, ich will gern das wiederholen, was Sie nicht verstanden haben. Sie haben erklärt: „Die Wahrheit ist manchmal etwas unpopulär." Dabei hatte ich den Eindruck, daß Sie damit sagen wollten, die
Wahrheit habe die CDU/CSU gepachtet. Den Vorwurf, den Sie erhoben haben, daß die Koalition das Baby-Jahr in Wirklichkeit gar nicht wünsche, muß ich entschieden zurückweisen, denn das Baby-Jahr ist einer der vier Punkte der Regierungsvorlage. Es ist auch im Beschluß des Ausschusses zusammen mit den Kosten verankert, und zwar in dem Limit von 186 Milliarden DM. Das wollen wir doch einmal festhalten.
({2})
Frau Kollegin Kalinke, ich muß Sie ein weiteres Mal ansprechen. Sie haben ein Wort gesagt, das Ihnen sicherlich leid tun wird, wenn Sie es im Protokoll noch einmal nachlesen. Sie haben das, was als Beschluß des Ausschusses vorliegt und was Sie streichen möchten, als „Prämie für die Geburt eines Kindes" abqualifiziert. Sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, dieses Wort sollte man lieber aus dem Protokoll streichen.
({3})
Es ist zweifellos noch nicht die Patentlösung. Es ist zweifellos noch nicht das, was in dieser Richtung alles geschehen muß. Aber es ist ein erster Schritt, um die doppelte Belastung der berufstätigen Frau und Mutter wenigstens in der Altersversorgung etwas anzuerkennen.
({4})
Es ist, Frau Kollegin Kalinke, ein erster Schritt, den berufstätigen Müttern eine gewisse Erleichterung zu geben, für eine gewisse Zeit aus dem Berufsleben auszuscheiden, um für ihr Kind dasein zu können. Denn sie hat sonst keine Altersversorgung. Sicher, sie kann jetzt ein Jahr auf diese Art und Weise Beiträge anerkannt bekommen.
Aber, Frau Kollegin Kalinke, Sie haben ja zum Schluß auch sozusagen die Katze aus dem Sack gelassen; in dem Fall kann man nicht sagen: den Katzer, sondern muß sagen: die Katze aus dem Sack gelassen. Denn Sie haben deutlich gemacht, warum Sie hier streichen wollen. Sie geben nämlich selber zu, daß die anderen Anträge, die Sie hier durchsetzen wollen zur flexiblen Altersgrenze - das ist ja durchgesetzt worden - und zur Rente nach Mindesteinkommen, eben mehr kosten als die 186 Milliarden, und um das auszugleichen, wollen Sie die 17 Milliarden streichen, die in der Vorlage des Ausschusses stehen.
({5})
- Es ist damit nicht ausgeglichen, Herr Kollege Leicht; darüber werden wir uns ja im Haushaltsausschuß noch unterhalten. Aber da wollen Sie einen Weg finden, weniger Kosten, die Sie verursachen, zu erreichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, ich muß nun wirklich sagen: Ist das eine sehr gute Sache, zu Lasten der berufstätigen Mütter mit Kindern, zu Lasten der Familie hier einen Streichungsantrag vorzulegen, ein Nein zum Baby-Jahr zu sagen, weil Ihre flexible Altersgrenze mehr kostet, weil Ihre Vorstellungen für die Rente nach Mindesteinkommen mehr kosten, und deshalb diese
Schmidt ({6})
Mehrkosten praktisch etwas zu senken? Für meine Fraktion ist das eine klare Aussage gegen die berufstätige Frau und Mutter und gegen die Familie. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
({7})
Meine Damen und Herren, wird zu diesem Thema weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 306. Hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Karten einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/ CSU auf Umdruck 306 bekannt. Es haben abgestimmt: 495 uneingeschränkt stimmberechtigte und 22 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben von den uneingeschränkt stimmberechtigten Abgeordneten 248 gestimmt, von den Berliner Abgeordneten 10. Mit Nein haben von den uneingeschränkt stimmberechtigten Abgeordneten 247 gestimmt, von den Berliner Abgeordneten 12.
Ergebnis
Abgegebene Stimmen 495 und 22 Berliner Abgeordnete.
Ja: 248 und 10 Berliner Abgeordnete
Nein: 247 und 12 Berliner Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Artzinger Dr. Bach
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({0})
Dr. Becker ({1})
Becker ({2}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Birrenbach
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe Breidbach Bremer
Bremm
Brück ({3})
Dr. Burgbacher
Burger
Cantzler Dr. Czaja Damm
van Delden Dichgans Dr. Dittrich Dr. Dollinger
Draeger
von Eckardt Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard ({4}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke ({5})
Dr. Franz Dr. Freiwald
Dr. Frerichs Dr. Früh Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({6}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({7}) Dr. Gölter
Dr. Götz Gottesleben
Dr. Gruhl Haase ({8})
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. Hallstein
Dr. Hammans
Hanz
Hartnack von Hassel
Hauser ({9}) Dr. Hauser ({10})
Dr. Heck Dr. Hellige
Helms ({11})
Dr. Hermesdorf ({12}) Höcherl
Hösl
Horstmeier
Horten
Dr. Hubrig Dr. Hupka Hussing Dr. Huys Frau Jacobi ({13})
Dr. Jahn ({14}) Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Jungmann
Katzer
Dr. Kempfler
Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch Dr. Kley
Dr. Kliesing ({15}) Klinker
Köster
Krammig Krampe
Dr. Kraske Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lemmrich Lensing
Dr. Lenz ({16}) Lenze ({17})
Lenzer
Link
Löher ({18})
Dr. Löhr Looft
Dr. Luda
Lücke ({19})
Lücker ({20}) Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({21}) Maucher
Meister
Memmel Dr. Mende
Menth ({22}) Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Dr. Müller ({23}) Dr. Müller ({24}) Müller ({25}) Müller ({26})
Dr. Müller-Hermann Mursch ({27})
Niegel
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Preiß
Dr. Probst
Prochazka
Rainer Rawe Reddemann
Dr. Reinhard
Richarts
Riedel ({28})
Dr. Riedl ({29})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Roser Ruf
Russe Sauter
Schedl Schlee Schlichting-von Rönn
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({30}) Schmitt ({31})
Dr. h. c. Schmücker Schneider ({32}) Dr. Schneider ({33}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({34}) Dr. Schröder ({35}) Schröder ({36}) Schulhoff
Schulte ({37}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Spilker Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({38})
Dr. Starke ({39})
Stehle
Stein ({40})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar Vogel Vogt
Volmer
Wagner ({41})
Dr. Wagner ({42})
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke Wawrzik
Weber ({43})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Wendelborn
Werner
Windelen Winkelheide
Wissebach
Dr. Wittmann
({44})
Dr. Wörner Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann ({45})
Berliner Abgeordnete
Amrehn Frau Berger
Dr. Gradl Dr. Kotowski
Kunz
Müller ({46})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({47})
Dr. Seume ({48})
Wohlrabe
Nein
SPD
Adams
Dr. Ahrens Anbuhl
Dr. Apel
Arendt ({49})
Dr. Arndt ({50})
Baack
Baeuchle Bäuerle
Bals
Barche
Dr. Bardens Batz
Bauer ({51})
Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({52}) Becker ({53})
Dr. Beermann
Behrendt Bergmann Berkhan Berlin
Biermann Böhm
Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({54})
Bredl
Brück ({55})
Brünen
Buchstaller
Büchler ({56}) Büchner ({57})
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Corterier
Cramer
Dr. von Dohnanyi Dürr
Eckerland Dr. Ehmke
Frau Eilers
Dr. Enders
Engholm Dr. Eppler
Esters
Faller
Dr. Farthmann Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({58}) Frehsee
Frau Freyh
Fritsch Geiger
Gerlach ({59}) Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger
Grobecker
Dr. Haack
Haar ({60})
Haase ({61}) Haehser
Halfmeier
Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Henke
Frau Herklotz Hermsdorf ({62}) Herold
Höhmann ({63})
Hörmann ({64}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({65}) Jaschke
Junghans Junker Kaffka
Kahn-Ackermann
Kater
Kern
Killat-von Coreth Dr. Koch
Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Frau Lauterbach Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Maibaum Marquardt
Marx ({66}) Matthes
Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({67}) Meinike ({68}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({69})
Müller ({70})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Dr. Oetting
Offergeld Frau Dr. Orth
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({71})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Richter
Dr. Rinderspacher
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({72})
Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({73})
Frau Schimschock
Schirmer Schlaga
Dr. Schmid ({74}) Schmidt ({75})
Dr. Schmidt ({76}) Schmidt ({77})
Dr. Schmidt ({78}) Schmidt ({79})
Schmidt ({80}) Schmidt ({81})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({82})
Schwabe Seefeld Seibert Seidel
Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({83})
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({84})
Wehner Welslau Wende Wendt Westphal
Dr. Wichert
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({85})
Wolf
Wolfram
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({86})
Bartsch Bühling Dr. Dübber
Heyen
Frau Krappe
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Sieglerschmidt
FDP
Dr. Achenbach
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Gallus Geldner
Genscher
Graaff Grüner Jung
Kirst
Kleinert
Krall
Logemann
Dr. h. c. Menne ({87}) Mertes
Mischnick
Moersch
Ollesch Opitz
Peters ({88})
Scheel
Schmidt ({89}) Spitzmüller
Wurbs
Berliner Abgeordnete Borm
Der Antrag ist angenommen.
({90})
Vizepräsident Dr. Jaeger
Als nächstes steht der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 309 *) zur Debatte. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Ausführungen beziehen sich auf den Teil des vorliegenden Entwurfs eines Rentenreformgesetzes, der die Rente nach Mindesteinkommen, also die Kleinstrenten, behandelt.
Die CDU/CSU-Fraktion stellt diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung ihre Änderungsanträge auf Umdruck 309 gegenüber, die bis auf eine Änderung - Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner - mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vollkommen übereinstimmen. Wir bedauern, daß unser Gesetzentwurf im Ausschuß mit einer Stimme Mehrheit durch die SPD/FDP-Koalition abgelehnt worden ist.
({0})
Wir bedauern ferner, daß unser Gesetzentwurf, der als erster bereits vor mehr als einem Jahr dem Bundestag vorlag,
({1})
im Ausschuß mehrere Monate liegengeblieben ist.
({2})
Der Gesetzentwurf könnte schon längst verabschiedet worden sein,
({3})
und die Erhöhungen der Renten für die Kleinstrentner könnten bereits am 1. Januar 1972 wirksam geworden sein,
({4}) wenn die SPD/FDP-Koalition das gewollt hätte.
({5})
Meine Herren von der SPD/FDP, ist das nicht bezeichnend: es mußte erst zum Verlust Ihrer Mehrheit kommen, damit die bessere Regelung für die Kleinstrenten im Sinne der CDU/CSU-Vorschläge nun Wirklichkeit werden kann!
({6})
Mit Nachdruck muß ich feststellen, daß die Regierungsvorlage das Kleinstrentenproblem nicht lösen kann. Jedermann in Deutschland weiß, daß durch eine verfehlte Wirtschafts- und Währungspolitik dieser Bundesregierung eine inflationäre Entwicklung wie noch nie zuvor in der Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist. Viele Rentner, vor allem die Kleinstrentner, sind verbittert, weil sie in einer Zeit großen Wohlstandes einerseits und einer Zeit der großen Inflationsrate andererseits Renten erhalten, die unter den Sätzen oder hart am Rande der Sätze der Sozialhilfe liegen.
({7})
*) Siehe Anlage 8
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ihre Zahl ist in den Jahren 1971/72 in erschreckendem Maße gestiegen. Natürlich sind nicht alle Kleinstrentner arme Leute, aber viele Hunderttausende sind es, und denen muß geholfen werden.
({8})
Man sagt, die Renten seien beitragsbezogen und leistungsbezogen. Daß sie beitragsbezogen sind, ist unbestritten; ob sie aber auch leistungsbezogen sind, muß in Frage gestellt werden, wenn man bedenkt, daß Hausgehilfinnen, landwirtschaftliche Dienstboten - wie überhaupt die sogenannten „Dienenden Berufe" - große Leistungen vollbracht haben. Sie haben länger als acht Stunden am Tag gearbeitet und sind zu Kleinstrentnern geworden. Hier muß angesetzt werden. Diese Gruppen sind zweimal benachteiligt, einmal durch Lohndiskriminierung und das andere Mal im Alter durch die Kleinstrente. Die CDU/CSU ist willens, dieses Unrecht endgültig zu beseitigen.
({9})
Die Tatsache, daß in diesem Hohen Hause heute über konkrete Hilfsmaßnahmen für Kleinrentner diskutiert und auch entschieden wird, erfüllt die CDU/CSU-Fraktion mit großer innerer Genugtuung, denn sie war es, die in unermüdlichem Drängen dieses Problem aufgegriffen und der Bundesregierung überhaupt erst zur Kenntnis gebracht hat.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, niemand von Ihnen - ich spreche jetzt SPD und FDP an hat an die Kleinstrentner gedacht, als die CDU/CSU ihre Gesetzentwürfe längst beschlossen hatte. Wir haben schon im Januar 1970 einen Teil der Gesetzentwürfe die heute zur Abstimmung stehen, vor allem die Kleinstrentnerregelung, beschlossen. Wir haben bezüglich der Kleinstrentner viele Anfragen hier im Hohen Hause an die Bundesregierung gerichtet. Man hat uns immer auf die Sozialhilfe und auf die angeblichen Versäumnisse der Union in der Vergangenheit verwiesen. Tatsächlich ist aber doch zu verzeichnen - das hat Herr Katzer heute früh deutlich angesprochen -, daß es das große Verdienst der Unionsparteien war, 1956 die große Rentenreform eingeleitet zu haben. Seitdem haben sich die Renten durch 14 Rentenanpassungsgesetze fast verdreifacht. Auch in der Frage der Kleinstrenten hat die CDU/CSU 1956 durch die Härtenovelle maßgebliche Hilfen geschaffen. In der damaligen Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeutete mehr Geld für die Rentner auf Grund einer erfolgreichen Stabilitätspolitik der CDU/CSU auch mehr Kaufkraft. Leider hat sich diese Entwicklung unter dieser Regierung nicht nur nicht fortgesetzt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Mehr Geld bedeutet heute leider wegen der Inflationsrate weniger Kaufkraft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf und die Änderungsanträge der CDU/ CSU beinhalten die Anhebung der Kleinstrenten derjenigen Rentner, die 25 Jahre und mehr versicherungspflichtig tätig waren, auf 75% der persönlichen bzw. der allgemeinen Bemessungsgrundlage. Mit
dieser Regelung werden fast eine Million Rentner eine Rentenerhöhung von monatlich bis zu 100 DM und mehr erhalten. Der große Anteil der Frauen, die begünstigt werden, erklärt sich daraus, daß die Lohndiskriminierung der Frauen früher ganz besonders groß war.
({11})
Das soll nun bereinigt werden. Auch die Witwenrenten werden nach unserem Gesetzentwurf angehoben.
Ohne Durchsetzung der vorgezogenen Rentenanpassung und ohne Verabschiedung unserer Kleinstrenten-Gesetzentwürfe würde beispielsweise ein Rentner nach 25jähriger versicherungspflichtiger Tätigkeit bei einer Bemessungsgrundlage von 55 v. H. eine Rente von nur 206 DM monatlich am 1. Januar 1973 erhalten. Nach Inkrafttreten unserer Vorschläge dagegen erhält der gleiche Rentner eine Monatsrente von zirka 300 DM. Bei 30 Jahren Tätigkeit erhöht sich seine Rente von 249 auf 358 DM, bei 35 Jahren auf 417 DM, bei 40 Jahren auf 476 DM und bei 50 Jahren sogar auf 600 DM monatlich. Das sind echte Hilfen, die den Kleinstrentnern hier gegeben werden.
Wir bedauern, daß künftige Versicherungszeiten in die Kleinstrentenanhebung heute nicht mit einbezogen werden können. Wir verzichten darauf, heute einen entsprechenden Änderungsantrag zu stellen. Dadurch soll Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD-FDP-Koalition, die Möglichkeit gegeben werden, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir haben jedoch die Zukunftsregelung im Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion angesprochen und werden einen Bericht über die gesammelten Erfahrungen abwarten.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung dagegen werden die Renten jener Kleinstrentner, die 35 Versicherungsjahre nachweisen, auf nur 70 % angehoben. Diese Regelung geht am Anliegen und am Problem vorbei, weil die meisten Kleinrentner wegen Nichterfüllung der Voraussetzung der 35 Jahre von der Vergünstigung ausgeschlossen werden. Vor allem die Frauen können diese Voraussetzung nicht erfüllen.
({12})
Die SPD rühmt sich immer, sich für die Frauen einzusetzen. Es ist unverständlich, daß man dann so harte Grenzen setzt, die die Frauen einfach nicht erfüllen können. Die Anhebung auf nur 70 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage halten wir für unzureichend. Diese Pläne bringen lediglich eine Kostenverschiebung von der Sozialhilfe hinüber in die Rentenversicherung, den Rentnern aber ist damit nicht genügend gedient. Erst durch eine Anhebung auf 75 % wird das Ziel, Rentner, die 25 Jahre und länger versicherungspflichtig tätig waren, aus der Sozialhilfe herauszuheben, erreicht, und das ist unser ernstes Anliegen.
Herr Professor Schellenberg, der jetzt leider nicht anwesend ist, hat heute früh gesagt, daß durch die Kleinrentenregelung der CDU/CSU mit ihrem hohen
Anpassungssatz dem Mißbrauch und der Manipulation Tür und Tor geöffnet würden. Ich weise den Vorwurf der Manipulation mit Nachdruck zurück. Die CDU/CSU-Fraktion stellt sich schützend vor die Kleinverdiener und Kleinstrentner, die, meine Damen und Herren, mindestens ebenso ehrlich sind wie alle anderen Volksschichten auch.
({13})
Es ist fast unglaublich: Für Rentner, die 25 Jahre bis 34 Versicherungsjahre aufzuweisen haben, tut die SPD-FDP-Koalition überhaupt nichts. Sie sind von der Vergünstigung ausgeschlossen, während sie nach den CDU/CSU-Vorschlägen wesentliche Anhebungen ihrer Renten zu erwarten haben. Der Vorwurf des Mißbrauches dadurch, daß nach unserem Vorschlag auch Renten aus Teilzeitbeschäftigungen erhöht werden, trifft nicht zu; schon deswegen nicht, weil wir im Gegensatz zur SPD 25jährige versicherungspflichtige Tätigkeit als Mindestgrundlage verlangen, während die SPD in ihrer Regelung bei den 35 Jahren auch freiwillige Beiträge mit hineinnimmt.
Herr Bundesminister Arendt, Sie haben in Ihrer Pressekonferenz am 4. September in Bonn behauptet, der Vorschlag der CDU/CSU erfordere wegen der gesonderten Feststellung der Pflichtbeiträge für die Umstellung bei den Versicherungsträgern einen Zeitraum bis zu fünf Jahren. Ähnliches haben wir auch im Ausschuß von der SPD/FDP gehört. Das ist zweifellos übertrieben. Aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis: die CDU/CSU-Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß die tatsächliche Mehrarbeit im Interesse größerer sozialer Gerechtigkeit in Kauf genommen werden muß.
({14})
Das war auch bei der Härtenovelle der Fall. Die Rentenumstellungsfälle, bei denen das Ziehen der Rentenakte notwendig ist, teilen sich auf 18 Landesversicherungsanstalten und auf die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf. Vielleicht kann man die Arbeit durch Dezentralisierung bei den Versicherungsträgern etwas beschleunigen.
Herr Minister Arendt, was sagen Sie zu folgender Feststellung? Sie wissen, daß nach dem CDU/CSU-Gesetzentwurf ungefähr 1 Million Kleinstrentner eine wesentliche Anhebung ihrer Renten erfahren. Nach Ihrem Regierungsvorschlag werden zirka 400 000 Kleinstrenten angehoben. Wollen Sie, Herr Bundesminister Arendt, den 500 000 bzw. 600 000 Kleinstrentnern, die unseren CDU/CSU-Stichtag erfüllen, aber bei Ihnen wegen Nichterfüllung des Stichtages 35 Jahre ausgeschlossen werden, keine Hilfe gewähren? Wollen Sie das? Diese sind ebenso bedürftig. Wir von der CDU/CSU wollen auch diesen genauso helfen, wie wir den 10 Millionen Rentnern durch das Vorziehen der 15. Rentenanpassung zum 1. Juli 1972 soziale Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen.
({15})
Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Bundesminister Arendt, daß es richtig sein kann, einer kleineren Zahl Rentner rasch zu helfen und einer größeren Zahl ebenso Bedürftiger überhaupt nicht zu helfen.
Das kann doch nicht Ihr Ziel und das einer gerechten Sozialpolitik in Deutschland sein! Das kann ich mir nicht vorstellen.
Nun zur Kostenfrage. Die Höhe der Kosten unseres Gesetzentwurfes, die von uns im Ausschuß mit 20 Milliarden DM in der Hochrechnung bis 1986 angegeben wurde, wurde schon sehr viel diskutiert. Unsere Berechnungsgrundlage ist solide, auch wenn sie aus taktischen Gründen von der Regierung bestritten wird. Die Bundesregierung hat bewußt oder unbewußt - das bleibt dahingestellt - nicht berücksichtigt, daß die freiwilligen Beiträge bei uns nicht in die Erhöhung einbezogen werden und daß der Anteil der Rentner mit extrem niedrigen Pflichtbeiträgen laut Statistik ständig zurückgeht.
Zur Sozialhilfe nur einen Satz. Wir haben auch hier einen Gesetzentwurf eingereicht, der vorsieht, daß für diejenigen Rentner, die nicht unter die Förderung unseres Gesetzentwurfes fallen, weil sie den Stichtag 25 Jahre nicht erreichen, aber zur Sozialhilfe müssen, weil sie kein anderes Einkommen und Eigentum besitzen, ein Freibetrag von monatlich 80 DM geschaffen wird. An der Grundidee, auch Sozialhilfeempfängern, die eigene Vorsorgeleistungen für das Alter erbracht haben, diese zu honorieren und sie nicht dafür zu bestrafen, hält die CDU/ CSU fest. Das sehen Sie auch aus der vorliegenden Entschließung.
Zusammenfassend und abschließend darf ich noch folgendes sagen. Unsere Renteninitiativen helfen den Kleinstrentnern und den Frauen mehr als das Fünf-Punkte-Programm der Bundesregierung einschließlich Baby-Jahr zusammengenommen. Der Herr Bundeskanzler - er ist leider jetzt nicht anwesend - hat in seiner Regierungserklärung gesagt, er wolle sich zum Anwalt derjenigen, die im Schatten unserer Wohlstandsgesellschaft leben, machen.
({16})
Der Herr Bundeskanzler hat mittlerweile drei Jahre Zeit gehabt, sein Versprechen, z. B. im Bereich der Kleinstrenten, in die Tat umzusetzen.
({17})
Leider ist nichts geschehen.
({18})
Ich schließe mit einem Hinweis an Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion. Sie haben im Zusammenhang mit Ihrem unglücklichen 20-DMSockelbetrag, den Sie ja wieder haben fallenlassen, immer wieder von der Hilfe für die Kleinstrentner gesprochen. Hier und heute bieten wir Ihnen die Gelegenheit zur Hilfe: Sie können unserem Gesetzentwurf zustimmen.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
({0})
- Gut, wenn das so vereinbart war. Ansonsten ist
es in diesem Hause nicht üblich, daß Angehörige
derselben Partei hintereinander sprechen. Mir war diese Vereinbarung nicht bekannt. Wenn es aber so vereinbart war und niemand benachteiligt wird, verfahren wir so. Herr Abgeordneter Varelmann hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag - es ist einer der letzten Tage, an denen ich hier in Bonn mitwirke ist für meine Person ein glücklicher Tag, freilich nur dann, wenn der Änderungsantrag der CDU/CSU angenommen wird. Diese Vorlage der CDU/CSU beinhaltet einen echten Fortschritt für die große Gruppe der Bezieher von Kleinst- bzw. mittleren Renten, die durch das Schicksal ihres Lebens in der Vergangenheit hart getroffen wurden. Ich freue mich über dieses Ergebnis und scheide auf Grund dessen mit einem gewissen Wohlbehagen aus diesem Kreis. Mar merkt, Ausdauer führt immer zum Erfolg, und nur die Ausdauer hat dieses Ergebnis herbeigeführt.
({0})
Jetzt hat der Abgeordnete Dr. Nölling das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hatte seinen guten Grund, zwei Kollegen der Opposition vor mir sprechen zu lassen. Es handelt sich nämlich um die beiden Kollegen, die mindestens zehn Jahre in diesem Hause vergebens gegen die Kräfte in ihrer eigenen Partei gekämpft haben, um eine Mindestrentenregelung durchzusetzen.
({0})
Sie haben, wie wir wissen, gegen eine Wand anlaufen müssen, um in der Kleinstrentenfrage etwas zu erreichen. Es bedurfte erst des Klimas der sozialliberalen Koalition, bevor Mindestrenten-Gedanken in dieses Parlament überhaupt hereingelassen wurden.
({1})
Meine Damen und Herren, die Mindestrentenregelung, wie sie im Ausschuß gefunden wurde, ist Hauptbestandteil des Rentenpakets der Bundesregierung,
({2})
und sie entspricht dem Grundgedanken, wie er im Volksversicherungsplan der SPD von 1965 entwikkelt worden ist. Die CDU/CSU hat mangels eigenen Gedankengutes, das sich hätte verwirklichen lassen, diese Idee aus unserem Volksversicherungsplan abgeschrieben und in der sie kennzeichnenden Verantwortungslosigkeit finanziell und sozialpolitisch karikiert,
({3})
um, wie Herr Katzer immer sagt, ein Alternativprogramm vorlegen zu können. Wir haben ja im Ausschuß erlebt, wie die Vertreter Ihrer Fraktion argumentiert haben. Während es früher bei allen Plenardebatten unmöglich war, zwischen verschiedenen Situationen von Kleinrentnern zu differenzieren, ist
nun im Ausschuß auf einmal wieder die alte Leier aufgelegt worden, man müsse doch differenzieren, nicht jeder Kleinrentner sei mit jedem anderen vergleichbar. So haben Sie doch dauernd mit zwei Zungen gesprochen. Was hier passiert, was die Opposition will, geschieht nach dem Motto: Koste es, was es wolle, es wird versucht, die durch Überläufer erschlichene Macht für einen Tag dazu zu benutzen,
({4})
um der Koalition Niederlagen zu bereiten. Sie sagen „unerhört". Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß diese Kräfteverschiebung durch den Wähler sanktioniert worden wäre, daß die Kräfteverteilung hier der entspricht, die der Wähler 1969 hat haben wollen.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Härzschel?
Ich möchte im Moment zu Ende sprechen.
({0})
- Entschuldigen Sie mal, daß ich keine Angst vor Zwischenfragen des Kollegen Härzschel habe, das wird man mir ja wohl in diesem Hause bestätigen.
({1})
Wie unseriös der Originalvorschlag der CDU/CSU gewesen ist, geht doch aus ihrem Absetzmanöver hervor. In der Fassung des ursprünglichen Gesetzentwurfs hätte er die Lohnstruktur für die Rentenberechnung bis zu 85 % des Durchschnittseinkommens außer Kraft gesetzt. Das war Ihr Vorschlag. Dieser Vorschlag hat bis vor etwa vierzehn Tagen offiziellen Bestand gehabt. Seine Durchführung hätte, da diese Regelung auch für die Zukunft Bestand haben sollte - was Herr Geisenhofer so lebhaft bedauert -, etwa 64 Milliarden DM gekostet.
({2})
Mit Nivellierung und Abkehr vom Leistungsprinzip hat so etwas natürlich überhaupt nichts zu tun. Ich glaube, das muß man hier einmal ironisch feststellen. Ich sage das für den Fall, daß Sie nicht merken sollten, daß ich das ironisch gemeint habe.
Trotz der Änderungsanträge der Opposition, die nun gekommen sind und die der Kollege Geisenhofer hier begründet hat, verbleiben immer noch 35 Milliarden DM, die Ihr Vorschlag bis 1986 kosten wird, gegenüber 15 Milliarden DM nach unserem Vorschlag, nach der Ausschußvorlage. Ich finde es geradezu ungeheuerlich, meine Damen und Herren, daß sich ein Vertreter der Opposition hier hinstellt und behauptet, die Zahl der begünstigten Kleinrentner sei nach ihrem Vorschlag doppelt so hoch, auch die Beträge, die gezahlt würden, seien doppelt so hoch und höher als das, was wir wollten, und dann gleichzeitig behauptet, das koste nicht viel mehr als etwa das, was die Regierung vorgeschlagen habe.
({3})
Ich kann nur sagen, wer hier eine solche Argumentation anführt, ist unglaubwürdig.
({4})
Dem kann ich nur bescheinigen, daß man ihm Narrenfreiheit gegeben hat, sonst nichts. Verantwortliche Politik ist das nicht mehr.
({5})
Herr Abgeordneter, der Ausdruck „Narrenfreiheit" geht an die Grenze des parlamentarisch Zulässigen. Im übrigen möchte ich fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.
Herr Kollege Müller, na, von mir aus. Na gut.
({0})
Ich danke für die Großzügigkeit. Aber ich bitte Sie doch, einmal die Begründung unseres Antrages zu lesen. Dann werden Sie sehen, daß wir nicht unbedingt an 85 % festhalten wollen.
Ich hatte wirklich erwartet, daß Sie in der Lage seien, eine Frage zu stellen. Deshalb hatte ich die Ausnahme zulassen wollen.
({0})
Die Zahlen sind im Ausschuß lange hin und her überlegt und erörtert worden. Ich gebe zu, daß sie umstritten bleiben. Die CDU und ihr Planungsstab verbleiben bei ihren Berechnungen; wir mußten aus Verantwortungsbewußtsein für die finanzielle Solidität bei unseren Berechnungen bleiben. Ich habe soeben aufgezeigt, warum ein überschlägiges Rechnen mit den Zahlen, die der Kollege Geisenhofer hier genannt hat, sofort zu einer Verdoppelung des Finanzrahmens des Oppositionsvorschlags führen muß.
Nun ist es sicher richtig, daß man in diesem Plenum nicht über Berechnungen beispielsweise des Planungsstabes der CDU - was uns ja bevorsteht - oder anderer Experten abstimmen kann. Aber wäre es dann nicht ein Gebot der Vernunft und der Vorsicht gewesen - Sie haben das doch so betont; Frau Kalinke ist doch in ihrer wahrscheinlich letzten Rede in diesem Bundestag fast überschwenglich für Stabilität eingetreten - und hätte man nicht erwarten können, daß Sie unsere kompromißbereite Hand, zu einem Ausgleich zu kommen, ergriffen hätten? - Nichts! Sie waren stur, rechthaberisch und nicht bereit, auch nur auf ein einziges Argument, das wir hier hatten, einzugehen.
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, was hier finanziell geschehen soll, das müssen Sie verantworten. Wir werden sehr schnell feststellen, wann diese Sache finanziell schiefgeht.
({2})
Ein letzter Punkt: Es ist ganz besonders bedauerlich und steht in merkwürdigem Kontrast zu dem, was Herr Geisenhofer so gern möchte, daß auch unsere Argumente, die Bearbeitung und die Auszahlung der Beträge würden sich zu sehr in die Länge ziehen - bis zu fünf Jahren, hat man uns gesagt, wird es dauern, bis diese Kleinrentenregelung nch dem CDU-Vorschlag erledigt wäre -, bei Ihnen einfach kein Gehör finden.
({3})
Wie können Sie sich denn hier hinstellen, Herr Kollege Geisenhofer - nun seien Sie doch wirklich einmal ehrlich! - und das Los der Kleinrentner beklagen und beklagen, daß die Bundesregierung nicht schon am 1. November 1969 alles für die Rentner getan hat? Das ist doch etwa das Motto, das Sie von uns erwarten, das aber für Sie früher nie gegolten hat. Wie können Sie sich hier hinstellen und das Los dieser armen Menschen beklagen und eine Regelung vorschlagen, die bedeuten wird, daß der letzte von Ihnen begünstigte Kleinrentner in fünf Jahren, wenn er dann noch lebt, seine Nachzahlung bekommt?
({4})
Das ist doch die Konsequenz.
({5})
- Das ist keine Schwarzmalerei, Herr Kollege Härzschel. Im Ausschuß ist deutlich geworden - Sie sind da doch Fachmann, Sie kennen das doch -, daß unser Rentenreformprogramm die Versicherungsträger mit zusätzlichen Arbeiten belastet. Das kann man doch nicht so einfach wegwischen. Nun, Sie hätten bei Ihrem Vorschlag bleiben und wenigstens diese verwaltungsmäßige Sache herausnehmen können. Das wäre doch gar nicht schwierig gewesen, und es wäre auch finanziell wohl in Ihrem Rahmen geblieben. Da verstehe ich Sie nicht. Ich muß nur an dieser Stelle darauf hinweisen, daß das Wortgeklingel und Rederei ist, wenn hier so getan wird, als wolle man den Rentnern sofort helfen und ihnen müsse sofort geholfen werden, während sie in Wirklichkeit bis auf das Jahr 1976 oder das Jahr 1977 vertröstet werden.
({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn das wirklich zutrifft, was Frau Kollegin Kalinke heute so betont hat, daß Sie für finanzielle Solidität und für Sofortmaßnahmen sind, in deren Genuß die Rentner dann schnell kommen, dann können Sie Ihrem Änderungsantrag nicht zustimmen. Die Koalition jedenfalls wird ihn ablehnen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Bei keinem Änderungsvorschlag wird so wie hier bei der Rente nach Mindesteinkommen deutlich, daß das Rentenreformkonzept der CDU vom Jahre 1957 in diesem Punkt völlig versagt hat. Damals wurde nämlich erklärt - und ich bitte die Kollegen, die sich hier so warm für die Lösung dieses Problems einsetzen, einmal nachzulesen, was CDU-Kollegen damals gesagt haben -, bei entsprechenden Versicherungszeiten kämen unzureichende Renten nicht mehr in Frage, oder aber der Betreffende müsse zur Sozialhilfe. Herr Kollege Geisenhofer und Herr Kollege Varelmann, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie den heutigen Tag mit einem Abstimmungssieg der CDU in dieser Frage als einen glücklichen Tag in Ihrer persönlichen politischen Laufbahn betrachten. Aber die CDU muß sich auch ins Stammbuch schreiben lassen, daß sie mit der Annahme dieses Antrags eine totale Kehrtwendung von dem macht, was sie 1957 hier vehement vertreten hat.
({0})
Es ist wirklich interessant, einmal nachzulesen, was in dem Schriftlichen Bericht zu der Frage der Mindestrente von Ihnen gesagt wurde, nämlich: Mindestrenten stehen im Widerspruch zu dem Grundgedanken der individuellen Rentenberechnung. Das war damals Ihre Vorstellung. Ihre Kollegen haben gesagt, daß man bei geringer Beitragszahlung, wenn es keine hohe Rente gibt, eben auch die Fürsorge in Anspruch nehmen muß. Ich möchte nur auf diese totale Kehrtwendung hinweisen, um deutlich zu machen, daß Sie damals ein Problem, das angesprochen wurde, völlig verkannt haben und heute hier so tun, als seien die FDP und die SPD schuld daran, daß es dieses Problem gebe.
Meine Damen und Herren, damals ist darüber gesprochen worden. In der Zukunft wird sich mancher fragen: Wieso kann Herr Geisenhofer hier eigentlich von einer beitragsbezogenen Rente sprechen? Von beitragsbezogen und beitragsgerecht kann doch wahrhaft keine Rede mehr sein, wenn das angenommen wird, was Sie hier vorschlagen. Mit diesen Änderungsvorschlägen gesteht die CDU nämlich selbst ein, daß sie auch hier in der Vergangenheit mit ihrer damaligen absoluten Mehrheit falsche Entscheidungen getroffen hat, ebenso wie bei den Selbständigen, den Hausfrauen und in anderen Fällen, wobei Sie heute der Öffnung, wenn auch in beschränkter Form, zugestimmt haben, die Sie damals verneinten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, Herr Kollege Ruf!
Herr Kollege Spitzmüller, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Sie all das, was Sie gegen den CDU/CSU-Entwurf vorgebracht haben, im Prinzip auch gegen den Regierungsentwurf gelten lassen müssen? Die gleichen Tendenzen, die gleiche Absicht verfolgen auch Sie.
Herr Kollege Ruf, ich möchte ganz klar sagen: Wenn Sie vom Grundsatz ausgehen, steht auch der Vorschlag einer Mindestrente bei 35 Versicherungsjahren nicht in vollem Einklang mit dem Prinzip; aber er steht in wesentlich besserem Einklang damit als das, was Sie vorschlagen.
({0}) Ich komme darauf noch zurück.
Herr Kollege Ruf, eines aber unterscheidet uns von Ihnen, nämlich daß die Sozialdemokraten für eine Mindestrente und die Freien Demokraten für eine Sockelrente schon im Jahre 1957 waren. Wir haben Prinzipien nicht so verfolgt wie Sie damals, Prinzipien, von denen Sie sich heute anscheinend mit Schaudern und Schrecken abwenden. Das muß doch auch einmal festgehalten werden.
({1})
Wir haben als Ihr Koalitionspartner, wir haben als FDP mit der CDU immer die Schwierigkeit gehabt, daß Sie bei allen unseren Wünschen nach Beseitigung von Härten, von Ungereimtheiten die Prinzipientreue als oberstes Gebot ansahen. Deshalb waren manche Verbesserungen nicht durchzusetzen, abgesehen von einigen Änderungen, die bei der Härtenovelle 1965 endlich mühselig erreicht wurden.
Meine Damen und Herren von der CDU, Sie sollten diese Frage nicht so hochstilisieren, denn Sie sind der entscheidende politische Faktor, der dafür gesorgt hat, daß diese Frage heute überhaupt noch im Raume steht, eine derartige Rolle spielt und darüber noch politisch diskutiert werden muß.
Ihr Antrag benachteiligt die Selbständigen, die Hausfrauen und auch alle Rentner, die früher einmal Rente mit Zurechnungszeiten bezogen haben. Lassen Sie mich das belegen. Die Diskriminierung der Selbständigen und der Hausfrauen wird wie in der Vergangenheit fortgesetzt, weil Zeiten der freiwilligen Versicherung und Ausfallzeiten im Gegensatz zu unserem Vorschlag nicht berücksichtigt werden. Das heißt konkret, daß in vielen Fällen der nur Pflichtversicherte, der keine Mark mehr gezahlt hat als ein freiwillig Weiterversicherter, unter Umständen eine entscheidend höhere Rente erhält. Wie kann man in einer solchen Situation noch von Beitragsgerechtigkeit oder von sozialer Gerechtigkeit oder von sozialer Symmetrie sprechen?
Meine Damen und Herren, wir haben den Eindruck, daß auch hier wiederum die Mittelständler und Hausfrauen innerhalb der CDU/CSU total überfahren worden sind oder daß sie das, was gewisse CDU-Kreise mit ihnen treiben, noch gar nicht erkannt und durchschaut haben. Man kann doch nicht die freiwilligen Beiträge, die in vielen Fällen genauso hoch sind wie die der Pflichtversicherten, in dieser Weise diskriminieren. Das kann man einfach nicht.
({2})
Im übrigen haben Sie anscheinend noch ein anderes Problem übersehen, ein Problem, von dem ich überzeugt bin, daß Sie es gar nicht so gelöst haben
wollen, wie Sie es beantragt haben. Lassen Sie mich Ihnen dies als einen Merkposten für die noch folgende Ausschußberatung und für Ihre eigenen Überlegungen mit auf den Weg geben. Ihr Vorschlag schließt nämlich einen Personenkreis von der Teilhabe an dieser Rechtswohltat aus, dem unser besonderes sozialpolitisches Interesse und unsere Fürsorge gelten müßten. Ich spreche von den Frührentnern, deren Rentenbezug einmal unterbrochen wurde und deren frühere Zurechnungszeit damit nunmehr Ausfallzeit ist. Diese Leute verurteilen Sie unter Umständen durch Ihren Antrag dazu, nicht mehr an der Anspruchsberechtigung teilzuhaben, und das bei einem Personenkreis, dem es, was in der Natur der Sache liegt, ohnehin Schwierigkeiten bereiten muß, diesen Zeitraum mit 25 Versicherungsjahren zu füllen. Ich bin davon überzeugt, daß Sie das nicht wollen. Aber Sie haben übersehen, daß bei jemandem, der eine BU-Rente bezogen hat, der dann wieder in den Arbeitsprozeß aufgenommen wird und danach wiederum eine Rente bezieht, die vorher zulässigen Zeiten nicht mehr als Zurechnungszeiten, sondern als Ausfallzeiten gewertet werden. So kompliziert ist das Rentenrecht. Das ist nur einer der Punkte, die mir ins Auge gesprungen sind und die ich hier einmal ausbreiten wollte, weil ich nicht will, daß Sie vor lauter Kraftanstrengung, die eine Stimme Mehrheit ständig unter Beweis zu stellen, auch noch diesen Fehler begehen, der verständlich ist, weil, wie gesagt, das Rentenrecht so kompliziert ist.
Rentenerhöhungen nach Mindesteinkommen sollen auf Rentenfälle bis Ende dieses Jahres beschränkt sein. Das ist ein Fortschritt, denn Sie hatten das ursprünglich auch für die Zukunft beantragt. Kollege Nölling hat dazu schon einiges gesagt. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen in diesem Hause ehrlich genug sein zuzugeben - das gilt sowohl für die Opposition als auch für die Koalition -: Was auch immer beschlossen wird, es wird Wirkungen in die Zukunft hinein haben, unabhängig davon, ob unser Antrag also der der Koalition oder Ihr Antrag, also der der Opposition, angenommen wird. Nur mit einem Unterschied: daß die Voraussetzungen, die Sie setzen, durch Manipulationen viel leichter und viel schneller zu erreichen sind als die Voraussetzungen, die wir gesetzt haben.
Mit Ihrem Antrag wird doch nur der Versuch unternommen, eine soziale Komponente in ein Rentensystem zu bringen, das eine Grundsicherung für jeden Versicherten nicht kennt. Solange wir diese Grundsicherung nicht haben, werden wir mit Hilfskonstruktionen und Geistesakrobatik aller Art da und dort etwas helfen, aber kein Ergebnis finden, das von der Höhe der Rente, also von der Leistung und vom Rentensystem her befriedigt. Jedenfalls sollte die Opposition den Mut haben, zuzugeben, daß ihr Konzept von 1957 gescheitert ist und daß von Beitragsgerechtigkeit langsam nur noch in Sonderfällen gesprochen werden kann.
Ein Letztes möchte ich noch anführen, das Kollege Nölling auch angesprochen hat: die verwaltungstechnische Seite der Angelegenheit. Jede Akte muß manuell bearbeitet werden. Ob das drei Jahre oder
fünf Jahre dauert, darüber wollen wir uns nicht streiten. Es dauert seine Zeit.
({3})
Nach unserem Vorschlag kann die Post, weil unser Vorschlag EDV-gerecht ist, schnell handeln. Nach Ihrem Vorschlag müssen die Beamten und Angestellten der Rentenversicherungsträger jahrelang aufarbeiten.
({4})
Das ist, glaube ich, ein Moment, das Sie beachten sollten. Denn ich habe den Eindruck, daß Sie es richtig wollen und gut meinen. Aber mit dem Gutmeinen allein ist es nicht getan. Wer helfen will, sollte schnell helfen, und schnell geholfen werden kann nur mit unserem Vorschlag.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre sehr reizvoll, in der Tonart zu sprechen, in der der Kollege Nailing hier gesprochen hat. Aber ich glaube, dazu bedarf es einer ganz besonderen Voraussetzung. Ich gestehe ganz offen: über diese Voraussetzung verfüge ich nicht.
({0})
Ich will versuchen, mich ganz ruhig und sachlich mit den Dingen auseinanderzusetzen, die hier im Laufe des Nachmittags im Hinblick auf die finanziellen Belastungen erörtert oder behauptet worden sind.
Ich darf Sie einmal ganz kurz an die Geschichte der Möglichkeit des zukünftigen Verbrauchs der Überschüsse in der Rentenversicherung erinnern. Da bekamen wir - ich glaube, es war im März 1971 - den 15. Rentenbericht. Im 15. Rentenbericht war von einem Überschuß in einer Größenordnung von 132 Milliarden DM die Rede. Am 3. November 1971 - ich kann es Ihnen nicht ersparen, weil es wichtig für das Protokoll ist sagte Hans Katzer hier vor der Presse:
Eine erste überschlägige Berechnung zeigt, daß sich das Vermögen der Rentenversicherung von 132 Milliarden DM im Jahre 1985 auf annähernd rund 200 Milliarden DM erhöhen würde. Diese Größenordnungsvorstellung unterstreicht die Notwendigkeit neuer Vorausschätzungen der Bundesregierung.
In einer Fragestunde des Bundestages am 8. Dezember 1971 hat der sich eben hier so ganz spezifisch produzierende Dr. Nölling an den Herrn Staatssekretär Ehrenberg aus dem Bundesministerium für Arbeit eine Frage gestellt:
({1})
Herr Staatssekretär, können Sie dem Kollegen Varelmann
- der hatte eine Frage gestellt bestätigen, daß die Bundesregierung im Rahmen der geplanten Rentenreform wahrscheinlich noch mehr tun würde, um die Probleme in Angriff zu nehmen oder zu beseitigen, wenn die Berechnungen der Opposition zuträfen, daß bis 1985 tatsächlich etwa 200 Milliarden DM an Überschüssen in der gesetzlichen Rentenversicherung entstehen?
({2})
Herr Ehrenberg, der mit so großem Schwung aus dem Bundeskanzleramt ins Arbeitsministerium gegangen ist, sagt auf diese Frage:
Die Bundesregierung würde das sehr gern in größerem Ausmaß und auch sehr gezielt tun, wenn diese Rechnung stimmte. Leider ist das nicht der Fall. Ich muß darauf hinweisen, daß in der. vergangenen Woche der seit langem angekündigte Besuch eines Herrn von der CDU-Planungsgruppe in unserem Hause stattgefunden hat. Leider ist es diesem Herrn nicht möglich gewesen, uns die Rechnungsgrundlagen für die 200 Milliarden DM vorzulegen, so daß ich annehmen muß, daß sich diese Zahl in Nebel auflösen wird.
So Herr Ehrenberg am 8. Dezember 1971, vor 9 Monaten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Nailing?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin überhaupt nicht rachsüchtig und nachtragend. Der Kollege Nölling hat es zum Prinzip erhoben,
({0}) hier keine Zwischenfragen zuzulassen.
({1})
Ich habe bei allen Debatten in der Vergangenheit allen Kollegen und auch dem Kollegen Nölling hier Zwischenfragen gestattet. Meine Damen und Herren, ich will ihn auch nicht bestrafen, obwohl ich als Vater von sechs Söhnen das hier wohl einmal könnte und er es vielleicht auch einmal verdient hätte.
({2})
Aber, Herr Kollege Nölling, ich bin nicht bereit, Ihre Zwischenfrage zu beantworten, insbesondere deshalb, weil Sie keine Zwischenfrage zulassen, und auch wegen des penetranten Tons, den Sie eben in dieses Haus hineingebracht haben.
({3})
Wenn ich so wäre wie Sie, würde ich sagen - ({4})
- Das ist ja wohl klar, daß ich keine Angst habe, Ihre Zwischenfragen zu beantworten! Aber ich bin nicht so wie Sie, und ich will diese Frage auch nicht so beantworten, weil ich das in der Vergangenheit hier immer bewiesen habe.
Franke ({5})
Meine Damen und Herren, den Kollegen Spitzmüller, den ich ebenfalls hier in meiner Sammlung habe, will ich aussparen. Wir beide haben hier einmal einen kleinen Disput über diesen „Milliardenrausch" gehabt. Ich will das aussparen, weil das sonst doch zu lange dauern würde.
Aber den Kollegen Professor Schellenberg - er ist mein politischer Gegner, wird von mir aber doch sehr geschätzt - kann ich hier nicht ganz aussparen. Er äußerte sich am 16. Dezember 1971 vor dem Deutschen Bundestag zu dieser Frage.
({6})
Ich kann das nicht so nachmachen, wie Sie das hier sagen, Herr Professor Schellenberg.
({7})
Ich erinnere mich immer an einen Zwischenruf Ihres alten Berliner Kollegen Benda von der CDU, der sagte: „Hallesches Tor"! Ich habe mich mal erkundigt, was das war; ich glaube, das ist ein Theater.
({8})
Am 16. Dezember 1971 sagte Herr Schellenberg:
Damit hat ({9}) bei den Rentnern Hoffnungen erweckt, die unerfüllbar sind. Meine Damen und Herren, der CDU-200-MilliardenRausch wird bald verfliegen.
Meine Damen und Herren, jetzt kommt Willi Nölling vom 10. Dezember 1971:
Nun sitzt der CDU-Experte Katzer
- das stimmt im übrigen; das ist die einzig richtige Feststellung, die Herr Nölling in den vergangenen Jahren getroffen hat ({10}) weiter in seiner selbstgebastelten Klemme.
- Das stimmt nicht mehr, Herr Kollege Nölling. Man könnte darüber hinweggehen und fragen: Wem schadet es schließlich, wenn Katzer nicht rechnen kann?
Und jetzt weiter:
So einfach ist das 200-Milliarden-Mißverständnis aber nicht aus der Welt zu schaffen. Der CDU-Experte Katzer hat mit Hoffnungen von Millionen Rentnern gespielt.
- Das halte ich für eine sehr politische und auch an die Emotionen gerichtete Bemerkung. Darum sage ich das in dieser Deutlichkeit. - Nölling sagt weiter:
Er will die Union profilieren
- das hat er immer getan, das tut er auch weiterhin und verspricht zu diesem Zweck das Blaue vom
Himmel herunter. Er läßt alle verantwortungsvolle Vorsicht bei Vorausschätzungen fahren
({11})
und setzt damit die unrühmliche Tradition der Opposition fort, Zahlen nicht mehr so genau zu nehmen wie früher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Geschichte.
Die Geschichte ist inzwischen so ausgelaufen, daß nach einem Abstimmungsgespräch unserer Planungsexperten - denen man hier, glaube ich, auch einmal von dieser Stelle, zumindest was diese Seite des Hauses angeht, herzlich für ihre Arbeit danken darf, die sie geleistet haben ({12})
mit Ihren Experten - ich glaube, bei uns sind das drei; das Bundesarbeitsministerium ist bataillonsstark, und wenn ich die Zahl noch richtig im Gedächtnis habe, sind das etwa 800 Experten, die sich allerdings nicht nur mit dieser Frage beschäftigen - im Bundesarbeitsministerium festgestellt worden ist, daß es bis 1986 nicht 132 Milliarden DM und, ein Jahr weiter gerechnet, nicht 200 Milliarden DM sind, sondern etwas mehr als 205 Milliarden DM, wie auch die Experten des Bundesarbeitsministeriums zugeben mußten.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang will ich nur in Ihre Erinnerung zurückrufen, was die Experten auf dieser Seite des Hauses gesagt haben, wie sie mit Formulierungen unsere Kollegen diffamiert haben, indem sie gesagt haben, wir seien Volksverführer. Dabei haben wir solide gerechnet und haben auf dieser soliden Basis unsere gesamte Konzeption entworfen.
({13})
Meine Damen und Herren, was kostet wirklich unser Paket?
({14})
- Herr Kollege Nölling, Sie verfallen schon wieder in den Ton, den Sie hier eben produziert haben. Ich höre gar nicht darauf, und mich stört das gar nicht. Mich beeindrucken Sie damit gar nicht.
({15})
Die vorgezogene Rentenanpassung, die 15. Rentenanpassung, die auch von Ihnen inzwischen anerkannt wird, meine Damen und Herren, kostet 77 Milliarden DM.
({16})
- Bei beiden. Das ist in diesem Hause unstrittig. Über diese Zahl bis 1986 gibt es keinen Streit.
Dann kommt die flexible Altersgrenze. Hier geht der Streit los. Wir haben ein Papier der Experten aus dem Bundesarbeitsministerium, die so gut gerechnet haben, wie ich es Ihnen gerade nachgewiesen habe, daß man ihnen das Prädikat von Experten zubilligen muß. Aber ich will ja nicht die Beamten angreifen. Ich habe vielmehr den Verdacht, daß sie politisch haben rechnen müssen.
({17})
Meine Frau hat einmal im Fernsehen zugesehen und hat gesagt, ich sollte nicht den Finger erheben. Verzeihung, Herr Minister! Ich will das auch nicht
Franke ({18})
tun. Das ist ein Fehler, wie ich zugebe. Das ist eine Frage des Temperaments.
Verehrter Herr Minister, die Verantwortung tragen Sie. Ich will nicht Ihre Experten hier beschuldigen, sondern Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie hier falsch gerechnet haben. Dann können Sie uns nicht verdenken, daß wir auch Ihrem Papier vom 7. September 1972 kein großes Zutrauen schenken, dem Papier, in dem Sie uns vorrechnen, daß unser Programm teurer ist als das, was die Regierungskoalition uns vorlegt. Wir verlassen uns hier wiederum auf unsere eigenen Experten, die ja Ihnen und der gesamten Öffentlichkeit schon nachgewiesen haben, daß sie besser zu rechnen in der Lage sind als Sie, meine Damen und Herren.
({19})
Herr Kollege Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Urbaniak?
Kollege Franke, ist Ihnen die DAG-Korrespondenz bekannt, die uns allen zugegangen ist, und können Sie mir bestätigen, daß dort z. B. im Zusammenhang mit der flexiblen Altersgrenze geschrieben ist: „Es ist allerdings zu bezweifeln, ob der Oppositionsvorschlag solide zu finanzieren ist", und daß sich dieses Blatt ausschließlich wegen der finanziellen Solidität für die Regierungskonzeption ausspricht?
Ja. Vielen Dank für diese Zwischenfrage! Ich bin Mitglied der Deutschen Angestelltengewerkschaft. Aber ich sage dasselbe, was mein Kollege Müller hier gesagt hat. Für das falsche Rechnen von Experten bei den Gewerkschaften sind wir nicht verantwortlich. Wir verlassen uns auf unsere eigenen Experten.
({0})
Bei der flexiblen Altersgrenze haben wir eine Inanspruchnahme von 60 bis 70 % zugrunde gelegt. Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, ehe wir uns letztlich zu diesen Zahlen durchgerungen haben, haben wir „jedes Blatt unter dem Baum umgedreht", um auch für uns selber sicher zu gehen. Wir haben uns gestritten, wir haben uns über diese Zahlen wochenlang auseinandergesetzt. Das ist doch eine herrliche Geschichte in einer politischen Auseinandersetzung. Wir haben Experten dazu gehört, auch die, die Sie hier heute schon genannt haben. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß wir bei unserer Annahme von 60 bis 70 % - ich lege mich jetzt auf die sichere Seite und sage: 70% - mit 61 Milliarden DM recht haben.
Meine Damen und Herren, ich muß noch einmal in die Debatte einführen, was heute etwas untergegangen ist. In Schweden gibt es ein ähnliches Altersruhegeld-Bezugssystem vom 63. Lebensjahr an - ich meine nicht die Rentenberechnungssysteme - wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland jetzt vorgesehen. In Schweden ist das definitive Rentenbezugsjahr 67. Jeder, der in Schweden vorzeitig vor 67 in Rente geht, erhält einen Abschlag von 7,2 0/o.
Bei uns ist das umgekehrt, im Effekt dasselbe. Wer bei uns mit 63 Jahren in Rente geht, bekommt nicht den Zuschlag von 5 % plus 1,5% - das sind in der Wirkung der Rechnung = 7,5 % - pro Versicherungsjahr bis zum 67. Jahr dazu, so daß im System alles mit der Regelung in Schweden vergleichbar ist.
Ein weiteres kann man noch miteinander vergleichen. In Schweden gibt es eine Durchschnittsrente bei einer anderen Basis von etwa 480 DM pro Monat; das ist schon umgerechnet von Schwedenkronen in Deutsche Mark. Bei uns sind es Durchschnittsrenten von 460 DM. In Schweden nehmen 5 '0/o der 63jährigen das vorzeitige Altersruhegeld in Anspruch.
({1})
Ich darf in Ihre Erinnerung zurückrufen: Wir schätzen 70 %, und wir gehen mit 61 Milliarden DM an die Lösung dieses Problems heran. Seriöser und solider kann man eine solche Frage nicht lösen.
Dann zu den Renten nach Mindesteinkommen. Die Koalition rechnet uns vor, das koste 35 Milliarden DM. Unsere Experten haben gerechnet - und die Experten haben recht - idas kostet 18,5 Milliarden DM.
Die Kosten des vorgezogenen Altersruhegeldes für Schwerbeschädigte ab 62. Lebensjahr und für die Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrentner betragen 2,25 Milliarden DM, die Kosten für die Übernahme der knappschaftlichen Versicherung 7 Milliarden DM und die Kosten für den sogenannten kumulativen Effekt - das ist der Zusammenfall von Einzelmaßnahmen, der dann letztlich eine Mehrausgabe bewirkt - 4,3 Milliarden DM.
Zusammengerechnet kostet das Gesamtpaket der CDU/CSU 170 Milliarden DM auf eine Laufzeit bis 1986. Das Paket der Koalition kostet nach den Angaben der Bundesregierung 185 Milliarden DM. Wir haben ein solideres Programm. Ich entscheide mich für dieses Programm.
({2})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir stimmen nunmehr ab über die Änderungsanträge auf Umdruck 309. Die CDU/CSU-Fraktion hat namentliche Abstimmung beantragt.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung zum Umdruck 309 bekannt. Insgesamt haben 495 voll stimmberechtigte Mitglieder dieses Hauses und 22 Berliner Abgeordnete Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 248 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder gestimmt, 247 mit Nein, keine Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 10 zugestimmt, 12 haben abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 494 und 22 Berliner Abgeordnete.
Ja: 248 und 10 Berliner Abgeordnete
Nein: 246 und 12 Berliner Abgeordnete
Ungültig: 1 Abgeordneter
Ja CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Aigner Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Dr. Arnold Dr. Artzinger
Dr. Bach Baier
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({0})
Dr. Becker ({1})
Becker ({2}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. Birrenbach
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe Breidbach Bremer
Bremm
Brück ({3})
Dr. Burgbacher
Burger
Cantzler Dr. Czaja Damm
van Delden
Dichgans
Dr. Dittrich Dr. Dollinger
Draeger
von Eckardt Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard ({4}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke ({5})
Dr. Franz Dr. Freiwald
Dr. Frerichs Dr. Früh Dr. Fuchs Dr. Furler Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({6}) Gewandt
Gierenstein Dr. Giulini Dr. Gleissner
Glüsing ({7}) Dr. Gölter
Dr. Götz Gottesleben Dr. Gruhl Haase ({8})
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. Hallstein
Dr. Hammans Hanz
Hartnack von Hassel
Hauser ({9}) Dr. Hauser ({10})
Dr. Heck Dr. Hellige
Helms ({11})
Dr. Hermesdorf ({12}) Höcherl
Hösl
Horstmeier
Horten
Dr. Hubrig Dr. Hupka Hussing Dr. Huys Frau Jacobi ({13})
Dr. Jahn ({14}) Dr. Jenninger
Dr. Jobst Josten
Dr. Jungmann
Katzer
Dr. Kempfler
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee Dr. Klepsch
Dr. Kley
Dr. Kliesing ({15}) Klinker
Köster
Krammig Krampe Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lemmrich Lensing
Dr. Lenz ({16})
Lenze ({17})
Lenzer
Link
Löher ({18})
Dr. Löhr Looft
Dr. Luda
Lücke ({19})
Lücker ({20}) Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({21}) Maucher
Meister Memmel Dr. Mende
Menth ({22})
Mick
Dr. Mikat Dr. Miltner
Dr. Müller ({23}) Dr. Müller ({24}) Müller ({25}) Müller ({26})
Dr. Müller-Hermann Mursch ({27}) Niegel
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen Pfeifer
Picard
Pieroth
Dr. Pinger Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Preiß
Dr. Probst
Prochazka
Rainer Rawe Reddemann
Dr. Reinhard
Richarts
Riedel ({28})
Dr. Riedl ({29})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Rommerskirchen
Roser Ruf
Russe Sauter Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Schedl Schlee Schlichting-von Rönn
Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({30}) Schmitt ({31})
Dr. h. c. Schmücker Schneider ({32}) Dr. Schneider ({33}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({34}) Dr. Schröder ({35}) Schröder ({36}) Schulhoff
Schulte ({37}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Seiters
Dr. Siemer
Solke Spilker Springorum
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({38})
Dr. Starke ({39})
Stehle
Stein ({40})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vehar Vogel Vogt Volmer Wagner ({41})
Dr. Wagner ({42})
Frau Dr. Walz
Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({43})
Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Wendelborn
Werner
Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wittmann
({44})
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf Baron von Wrangel Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Zoglmann ({45})
Berliner Abgeordnete
Amrehn
Frau Berger Dr. Gradl Dr. Kotowski
Kunz
Müller ({46})
Frau Pieser
Dr. Schulz ({47})
Dr. Seume ({48})
Wohlrabe
Nein SPD
Adams
Dr. Ahrens Anbuhl
Dr. Apel
Arendt ({49})
Dr. Arndt ({50})
Baack
Baeuchle Bäuerle
Bals
Barche
Dr. Bardens Batz
Bauer ({51})
Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert ({52}) Becker ({53})
Dr. Beermann
Behrendt Bergmann Berkhan Berlin
Biermann Böhm
Börner
Frau von Bothmer
Brandt ({54})
Bredl
Brück ({55})
Brünen
Buchstaller
Büchler ({56})
Büchner ({57})
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Corterier Cramer
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Dr. Enders Engholm Dr. Eppler Esters
Vizepräsident Frau Funcke
Faller
Dr. Farthmann
Fellermaier
Fiebig
Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({58})
Frehsee Frau Freyh
Fritsch
Geiger
Gerlach ({59})
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger
Grobecker
Dr. Haack
Haar ({60})
Haase ({61}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({62}) Herold
Höhmann ({63})
Hörmann ({64}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({65})
Jaschke Junghans Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kater
Kern
Dr. Koch Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann Kriedemann
Krockert Kulawig Lange
Langebeck
Dr. Lauritzen Lautenschlager
Frau Lauterbach
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Maibaum Marquardt
Marx ({66})
Matthes Matthöfer
Frau Meermann
Dr. Meinecke ({67}) Meinike ({68}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({69})
Müller ({70})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann Neumann Dr. Oetting Offergeld Frau Dr. Orth
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({71})
Pöhler
Porzner
Raffert
Ravens
Dr. Reischl Frau Renger
Richter
Dr. Rinderspacher
Rohde
Rosenthal Roß
Säckl
Sander
Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({72})
Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({73})
Frau Schimschock
Schirmer Schlaga
Dr. Schmid ({74}) Schmidt ({75})
Dr. Schmidt ({76}) Schmidt ({77})
Dr. Schmidt ({78}) Schmidt ({79})
Schmidt ({80}) Schmidt ({81})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle Schollmeyer
Schonhofen Schulte ({82})
Schwabe Seefeld
Seibert
Seidel
Frau Seppi Simon
Dr. Slotta Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({83})
Frau Strobel
Strohmayr Suck
Tallert
Dr. Tamblé Frau Dr. Timm
Tönjes
Urbaniak Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({84})
Wehner Welslau Wende
Wendt
Westphal Dr. Wichert
Wiefel
Wienand Wilhelm Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({85})
Wolf
Wolfram Wrede Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({86}) Bartsch
Bühling
Dr. Dübber
Heyen
Frau Krappe
Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei Sieglerschmidt
Dorn
Ertl
Gallus Geldner Genscher
Graaff Grüner Jung
Kirst
Kleinert
Krall
Logemann
Dr. h. c. Menne ({87}) Mertes
Mischnick
Moersch
Ollesch Opitz
Peters ({88}) Scheel
Schmidt ({89}) Spitzmüller
Wurbs
FDP
Dr. Achenbach
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Berliner Abgeordnete Borm
Damit ist der Antrag angenommen.
({90})
Ich rufe die Abänderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 307 *) auf. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Böhme das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme Bezug auf die Drucksache VI/3325 zum Rentenniveau-Sicherungsgesetz und beziehe mich auf die Begründung und das Vorblatt. Ich beziehe mich zusätzlich auf den Bericht, in dem unsere Angaben gemacht sind. Die vielen Ausarbeitungen, die ich als Einwände gegen dieses Rentenniveau-Sicherungsgesetz gemacht habe, lege ich dann zu der Mappe nicht gehaltener Reden.
Frau Präsidenten, da ich gerade hier bin, darf ich Sie fragen, ob ich auch den Änderungsantrag auf Umdruck 310 **) mit einem Satz begründen darf.
Bitte schön!
Meine Damen und Herren, wir haben auf Umdruck 310 **) einen Änderungsantrag gestellt, der notwendig geworden ist, weil das Bundesverfassungsgericht die bisherige Regelung, die Beiträge der befreiten Angestellten auf die Halbdeckung anzurechnen, als mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar bezeichnet hat. Wir haben deshalb die Lösung, die auch die Bundesregierung für die Zeit vorgesehen hat, in der die Halbdeckung nach dem Regierungsentwurf für den betroffenen Personenkreis noch Gültigkeit hat, in unseren Entwurf für die Dauer aufgenommen, da die Halbdeckung nach unseren Vorstellungen nicht geändert werden soll.
*) Siehe Anlage 9
**) Siehe Anlage 10
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war schon bei der Beratung des Antrages auf Einführung einer flexiblen Altersgrenze nach den Vorstellungen der CDU/CSU versucht, im Namen der Koalition an die Opposition den Appell zu richten, Vernunft walten zu lassen und nicht halsstarrig an Anträgen festzuhalten, die lediglich auf den Schlitz der Wahlurne gezielt sind; aber ich habe mich inzwischen eines „Besseren" belehren lassen. Sie sind zweifellos nicht nur in einem Milliardenrausch, sondern auch in einem anderen Rausch. Davon wird man Sie im Augenblick nicht abbringen. Aber zu der Sache selbst möchte ich ganz kurz folgendes sagen.
Der CDU/CSU-Antrag zur Sicherung der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente ist nur verständverständlich, wenn man sich in die schwierige Mentalität dieser Fraktion hineinversetzt. Für meine Fraktion ist die Sicherung des Rentenniveaus nie ein Problem gewesen.
({0})
- Herr Kollege Katzer, in meiner Fraktion hat nie zur Diskussion gestanden, von der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente abzugehen.
({1})
Meine Fraktion hat sich in allen Bundestagen - im Gegensatz zu Ihrer Fraktion - für die Rechte der I Rentner eingesetzt. Nur wenn man sich daran erinnert, daß in der vorigen Legislaturperiode von großen Teilen der CDU/CSU und von dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger ernsthaft die Frage gestellt wurde, ob man nicht ein anderes System der Rentenanpassung an die Stelle des heutigen Systems setzen könne, versteht man den Sinn dieses Antrages, Herr Kollege Katzer.
Dieser Antrag ist auch keineswegs eindeutig. Er macht die Rentenanpassung künftig von der vorausgeschätzten Lohnentwicklung abhängig, klärt aber ihr Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die in der gleichen Vorschrift angesprochen wird, überhaupt nicht. Es stimmt 'auch nicht, daß, wie allgemein angenommen wird, nach diesem Antrag die Rente jeweils nach 40 Versicherungsjahren 50 vom Hundert des vorausgeschätzten durchschnittlichen Bruttolohnes betragen soll, weil dieser Richtsatz ja im gleichen Atemzug wieder auf 45 % gesenkt wird.
Es ist offensichtlich auch kein Zufall, sondern ein „schöner" Trick, daß dieser Gesetzentwurf nichts kostet, weil nach der in dieser Woche zu beschließenden vorgezogenen Rentenanpassung diese 45 vom Hundert in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich nicht unterschritten werden. Dieser Gesetzentwurf wird also nach dem heutigen Stand der Vorausschätzung überhaupt keine Auswirkungen haben.
Damit die Opposition aber nicht den Schluß zieht, daß die SPD-Bundestagsfraktion an der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente Zweifel hegt, wird
sich meine Fraktion bei der Abstimmung über diese Änderungsanträge der Stimme enthalten. Wir möchten damit dokumentieren, daß die Dynamik der Renten für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Wir werden der Bevölkerung in den kommenden Wochen deshalb wieder einmal klarmachen, daß die Rente nicht durch so wirkungslose Vorschriften wie diese gesichert werden kann. Zur Sicherung der Rente bedarf es einer ungeschminkten sozialen Einstellung, wie wir sie immer wieder unter Beweis gestellt haben. Das Vertrauen der Rentner zu meiner Fraktion, die sich in ihrer sozialen Einstellung nicht übertreffen läßt, ist ein sichererer Garant für die Rentenanpassung als diese Gesetzesvorschrift, die eine Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion in einer der künftigen Legislaturperioden ändern könnte. Wenn Herr Kollege Katzer eine solche Sicherung gegenüber seinen eigenen Parteifreunden braucht, so wollen wir ihm durch unsere Stimmenthaltung sogar noch dazu verhelfen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Werte Kollegen! Nach den Ausführungen des Kollegen Glombig kann ich mich kurzfassen. Wenn die Lohnentwicklung die veranschlagte Höhe erreicht und nicht über mehrere Jahre hin wesentlich absackt, wird das, was hier beantragt wird, in der Gesetzgebung nie relevant werden. Dieser Antrag bleibt dann praktisch nur Kosmetik.
Damit jetzt aber nicht der Schluß gezogen werden kann, wir Freien Demokraten wollten die bruttolohnbezogene dynamische Rente nicht, werden auch wir uns bei der Abstimmung über diesen aus kosmetischen Gründen gestellten Antrag der CDU/CSU-Fraktion der Stimme enthalten.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 307 der Fraktion der CDU/CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 311 *) und im Zusammenhang damit - wegen der gleichen Materie - zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP auf Umdruck 313 **). Zur Begründung des Antrages auf Umdruck 311 hat der Herr Abgeordnete Orgaß das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Auf Umdruck 311 legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen An*) Siehe Anlage 5
**) Siehe Anlage 11
trag auf Ergänzung der Reichsversicherungsordnung vor. Diese Ergänzung soll die Möglichkeit für die Gewährung eines Überbrückungsgeldes, der sogenannten Seemannsrente für Seeleute nach Vollendung des 55. Lebensjahres, eröffnen. Hierdurch wird einem Jahrzehnte alten Anliegen der Seeleute Rechnung getragen, was um so wichtiger ist, als gerade diese Arbeitnehmer besonderen beruflichen Strapazen unterworfen sind und ihre Leistungskraft häufig vorzeitig gemindert ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt es daher um so mehr, daß die Tarifvertragspartner der Seeschiffahrt hier eine Lösung im Wege der Selbstverwaltung gefunden haben, bei der die öffentliche Hand nicht in Anspruch genommen wird, da die Mittel durch die Reeder im Wege der Umlage aufgebracht werden. Somit können auch anstehende dringende wirtschaftlich-technologisch bedingte Umstrukturierungen in der deutschen Seeschiffahrt in einer Art erfolgen, die menschlich wie wirtschaftlich gleichermaßen bedeutend und befriedigend ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bedauert jedoch, daß diesem gemeinsam vorgetragenen Anliegen der Tarifvertragspartner der Seeschiffahrt und auch der Hochseefischerei von seiten der Regierung wie auch der SPD/FDP-Koalition bislang nicht Rechnung getragen wurde. Alle dringenden Appelle von seiten der Deutschen Angestelltengewerkschaft wie auch der Seeberufsgenossenschaft sind zunächst nicht beachtet und später mit der Erklärung abgetan worden: das ist nicht mehr möglich. So hat beispielsweise auch der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, Herr Professor Schellenberg, auf den Vorstoß der Seeberufsgenossenschaft in dieser Angelegenheit zunächst nicht einmal eine Antwort erteilt.
({0})
Und der SPD-Abgeordnete Nölling erklärte noch Ende voriger Woche auf dringende Vorstellungen der Deutschen Angestelltengewerkschaft: da ist nichts mehr drin.
({1})
Selbst der Abgeordnete Glombig hat gestern noch bei der DAG bezweifelt, ob das Ganze in dieser Form überhaupt richtig wäre.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nölling?
Bitte.
Herr Kollege Orgaß, würden Sie, da Sie soeben diese Behauptung in den Raum gestellt haben, so freundlich sein, zu sagen, woher Sie die haben. Sie ist nachweislich falsch.
Herr Kollege Nölling, ich bin bereit, den Bundesvorstand der DAG zu bitten, zu seiner nächsten Sitzung sowohl Sie als auch
mich zu laden. Dann werde ich den Beweis antreten, daß Ihre Behauptung eben nicht stimmt.
({0})
Daß die Lösung des Problems nötig und auch möglich ist, beweist der Antrag der Opposition vom 19. September auf Umdruck 311. Ich bitte alle Mitglieder dieses Hohen Hauses dringend, im Interesse der Seeleute wie auch der Schiffahrt insgesamt diesem Antrag er CDU/CSU-Fraktion die Zustimmung nicht zu versagen.
({1})
Zur Begründung des Antrags auf Umdruck 313 bitte Herr Professor Schellenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen waren sich darüber einig, daß diese Angelegenheit geregelt werden sollte, aber sie waren gemeinsam der Auffassung, daß sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit nicht mehr in der letzten Runde gestaltet werden könnte. Jetzt liegt sowohl ein Antrag der Opposition wie der Koalition mit dem gleichen sachlichen Inhalt vor.
Die Koalition wird dem Antrag der Opposition zustimmen, nachdem wir vereinbart haben, daß wir wegen der Formulierung noch eine Absprache treffen. Morgen werden wir dann in dritter Lesung einen Antrag aller Fraktionen zu diesem Thema, das alle bejahen, vorlegen können.
Meine Damen und Herren, gibt es eine Möglichkeit einer Vereinbarung zu diesem Antrag, den Herr Professor Schellenberg soeben gestellt hat? - Herr Abgeordneter Ruf!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion erkläre ich, daß wir dem Vorschlag des Herrn Kollegen Schellenberg zustimmen.
({0})
Darf ich damit davon ausgehen, daß die Anträge auf den Umdrucken 311 und 313 für heute zurückgezogen werden?
({0})
- Darf ich noch einmal ganz konkret wissen, über was wir jetzt abstimmen müssen?
({1})
- Also zunächst Abstimmung über den Antrag Umdruck 311. Damit ist der Antrag Umdruck 313 gegenstandslos. Wer dem Antrag auf Umdruck 311 zuzuVizepräsident Frau Funcke
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Jetzt kommen wir zu dem Antrag Umdruck 310 der Fraktion der CDU/CSU. Begründet wurde er bereits durch Herrn Dr. Böhme. Wünscht jemand das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Bei Enthaltung der Koalition so beschlossen.
Nun stimmen wir noch über den Antrag Umdruck 314 ({2}) *) ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist schwierig, jetzt bei der Einzelabstimmung in zweiter Lesung über jeden einzelnen Paragraphen in der geänderten Form abstimmen zu lassen. Ich möchte deswegen die
*) Siehe Anlage 12
an sich unübliche Form wählen und die Einzelabstimmung zu einer Gesamtabstimmung zusammenfassen.
({3})
Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, die den einzelnen Paragraphen in der geänderten Fassung mit Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, haben wir die Arbeit des heutigen Tages getan. Die dritte Beratung findet morgen im Anschluß an den Tagesordnungspunkt 16 statt.
Ich schließe die heutige Sitzung und berufe das Haus auf Donnerstag, den 21. September 1972, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.