Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das westliche Bündnis hat im vergangenen Monat erneut eine Zwischenbilanz gezogen - und zwar mit positivem Ergebnis. In dieser Epoche, die von Wandlungen der internationalen Beziehungen gekennzeichnet ist, kommt es den Partnern mehr denn je auf politische Geschlossenheit innerhalb des Bündnisses an, zu einem Zeitpunkt, da wir in die große Ost-WestEntspannungsrunde eintreten, politische Geschlossenheit nicht nur in bezug auf die Verhandlungen zwischen Ost und West, sondern auch zur Festigung der eigenen Fundamente. Es war schon bisher realistisch, und es wird in Zukunft realistisch bleiben, daß die Demokratien des Westens zusammenstehen, um die Sicherheit dieser Demokratien zu gewährleisten.
Die Serie von NATO-Konferenzen in diesem Mai hat diese Gemeinsamkeit der Auffassungen erneut bekräftigt. Das gilt für die Tagung der Nuklearen Planungsgruppe in Kopenhagen; das gilt für die EUROGROUP, die in Brüssel tagte; das gilt für die Tagung des Defense Planning Committee - das ist also der NATO-Rat minus französische Beteiligung - ebenfalls kurz vor Pfingsten; das gilt für die NATO-Ratstagung der Außenminister zwei Tage lang nach Pfingsten hier in Bonn gleicherweise.
In dem Kommuniqué der Ministerratstagung vom 31. Mai, d. h. von der Außenministertagung hier in Bonn, haben die Außenminister zum wiederholten Male hervorgehoben, daß es Zweck des Bündnisses ist, die Freiheit und Sicherheit aller seiner Mitglieder zu erhalten, und ferner, daß Verteidigung und Entspannung untrennbar miteinander verbunden sind.
So umfassen beispielsweise die beiden großen Projekte der Jahre 1972 und 1973 - einerseits die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und andererseits das Projekt beiderseitiger gleichgewichtiger Rüstungsverminderung oder, wie man es meistens abgekürzt in den Zeitungen liest, MBFR -, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten, sowohl Aspekte der Kooperation und des Ausgleichs als auch Aspekte und Elemente der Verteidigung und der Sicherheit. Der Zusammenhang der Bemühungen um beiderseitige ausgewogene Truppenverminderungen mit dem Konferenzprojekt ist auf der NATO-Ratssitzung ausdrücklich bestätigt worden. Die Bemühungen zielen bei beiden Projekten in erster Linie auf den Abbau der Gefahren militärischer Konfrontation. MBFR - die beiderseitige Truppenverringerung, im Gleichgewicht und verabredet - soll aber zugleich auch die militärische Sicherheit unvermindert erhalten. Sie soll zugleich auch für keine der beiden Seiten militärische Nachteile entstehen lassen; sie soll zugleich auch den personellen Umfang der Streitkräfte und den finanzwirtschaftlichen Aufwand in Ost und West auf einem niedrigeren Niveau stabilisieren.
In diesem Zusammenhang muß auf die beiden SALT-Vereinbarungen dieses Frühjahrs hingewie11490
sen werden: Die zwischen Nixon und Breschnew vereinbarte Begrenzung nuklearstrategischer Rüstung stabilisiert einen wichtigen Teilbereich des Weltgleichgewichts, und zwar - das verdient hervorgehoben zu werden-in voller Übereinstimmung mit unseren eigenen deutschen Sicherheitsinteressen.
Die Minister des Bündnisses haben die Erklärung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai begrüßt, mit der die Bundesregierung zum politiven Ergebnis der NATO-Ministerratskonferenz beitragen konnte. Wir denken, das ganze Haus stimmt damit überein, wenn ich erneut die Notwendigkeit des politisch-militärischen Gleichgewichts als notwendige Voraussetzung der Entspannungspolitik hervorhebe. Wir denken ferner, das ganze Haus stimmt mit der Würdigung der Situation überein, wie sie Bundeskanzler Brandt anläßlich der Eröffnungssitzung der NATO-Ministerratstagung hier in diesem Hause gegeben hat - ich zitiere -:
Wenn ich von Gleichgewicht spreche, so meine ich damit ein äußeres und ein inneres Gleichgewicht. Es ist gewiß nicht leicht, die Balance zu halten zwischen Verteidigung und Entspannung. Für die meisten unserer Mitbürger in den verschiedenen Staaten des Bündnisses ist Entspannung verständlicherweise populärer als die andere Komponente. Und dennoch sind diese beiden Komponenten untrennbar miteinander verbunden. Wir dürfen uns keinem Wunschdenken hingeben, uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen. Wir müssen also beides tun: Die Verteidigungsbereitschaft intakt halten und gleichzeitig politisch nach Lösungen suchen für die großen Probleme unserer Zeit, hartnäckig und zielstrebig.
So weit der Bundeskanzler vor dem NATO-Ministerrat.
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Meine Damen und Herren, die Zeichen der Verständigungsbereitschaft im Ost-West-Verhältnis sind ermutigend. Sie nehmen zu, und wir sind an deren Zunahme durchaus aktiv beteiligt. Dies trübt uns aber nicht den Blick für die anderen Realitäten. So hat die Ministerratstagung auch festgestellt, daß das gegenwärtige Kräfteverhältnis in Europa ein einseitiges Nachlassen der Verteidigungsanstrengungen des Bündnisses angesichts der ständig wachsenden Stärke des Warschauer Pakts nicht zuläßt. Ein weiteres Zunehmen der sowjetischen nuklearen und konventionellen Kampfkraft ist auf mehreren Gebieten deutlich erkennbar. Die weltweite Dislozierung und Verstärkung der Seestreitkräfte der Sowjetunion bieten ihr zunehmende Möglichkeiten, politischen Einfluß mit Hilfe militärischer Stärke auszuüben. Unser gemeinsames Augenmerk im. Bündnis gilt unvermindert der Situation im Mittelmeerraum, der Situation auf der Nordflanke der NATO, aber auch der stetigen Modernisierung der sowjetischen Land- und Luftstreitkräfte in Mitteleuropa.
Die realistische Einschätzung dieser Situation und unserer Möglichkeiten verlangt, daß wir an dem bewährten Zwillingskonzept, der Doppelstrategie der Allianz - Verteidigung und Entspannung konsequent festhalten. Sichtbarer Ausdruck des Willens, Freiheit und Sicherheit der Mitgliedsländer zu verteidigen, werden die im Herbst dieses Jahres an der Nordflanke der NATO stattfindenden kombinierten Manöver von Land-, Luft- und Seestreitkräften sein, an denen viele Nationen mit ihren Streitkräften unter dem wie immer - zu phantasiereichen und wenig aussagenden Manövertitel „Strong Express" beteiligt sind. Sicherheit durch Abschreckung ist und bleibt ein wesentliches Element des Friedens. Entspannung, von der wir zusätzliche Sicherheit erwarten, setzt ausreichende Verteidigungsfähigkeit und Aufrechterhaltung eines stabilen militärischen Gleichgewichts voraus. Dabei ist die Wahrung des Gleichgewichts der in Europa wirksamen und der von außen auf Europa wirkenden Kräfte für unser Bündnis gleichermaßen von der Präsenz amerikanischer Truppen in Europa und von angemessenen Verteidigungsanstrengungen der europäischen Bündnispartner selbst abhängig.
Das Bündnis ist sich darüber einig, daß die sicherheitspolitische Qualität des amerikanischen Engagements in Europa auf absehbare Zeit nicht durch irgend etwas anderes ersetzt werden kann, weder politisch noch militärisch noch psychologisch; denn alle Forderungen nach einer zwar von einigen angestrebten, aber doch vorläufig eben nicht realisierbaren eigenständigen westeuropäischen Verteidigungsstruktur bleiben gegenwärtig ausschließlich im Bereich des Theoretischen oder des zu Wünschenden. Verteidigung ist in einem früheren Stadium des europäischen Einigungsprozesses nicht integrierbar. Man braucht nicht erst nach Paris zu reisen, um dies bestätigt zu finden. Frühere Erfahrungen, besonders mit der EVG, haben gezeigt, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft nur als Folge von und nicht als Schritt auf dem Wege zu einer politischen europäischen Gemeinschaft in Europa verwirklicht wird. Die spätere politische Einigung Europas bliebe allerdings unvollkommen, wenn sie nicht auch den Bereich der Verteidigung einschlösse.
Die Vereinigten Staaten von Amerika drängen schon seit einer Reihe von Jahren auf eine, wie sie es nennen, ,,,,gerechtere" Verteilung der Verteidigungslasten im Bündnis, und die „Nixon-Doktrin" betont auch die regionale Verantwortung der europäischen Staaten für die Sicherheit in Europa. Nixon hat aber dazu in seinem Bericht zur „Amerikanischen Außenpolitik für die Siebziger Jahre" im Februar dieses Jahres gegenüber dem amerikanischen Parlament die zusätzlichen Verteidigungsleistungen der europäischen Bündnispartner nachhaltig gewürdigt, womit im wesentlichen die Ergebnisse der EUROGROUP gemeint waren, an denen wir unsererseits einen erheblichen Anteil hatten. Nixon hat zugleich die Aufrechterhaltung einer substantiell unverminderten Präsenz amerikanischer Truppen in Europa unmißverständlich von auch in Zukunft entsprechenden Leistungen der europäischen Verbündeten abhängig gemacht.
Diese amerikanische Forderung nach erhöhten Verteidigungsleistungen der Europäer trifft die europäischen Staaten in einer Epoche, in der die Ausgaben für die Verteidigung immer mehr mit den
Anforderungen für andere wichtige Ausgaben konkurrieren; man kann auch sagen: konkurrenziert werden von den Anforderungen für andere wichtiger werdende Aufgaben. Die Zuwachsraten für Investitionen aus den öffentlichen Haushalten der europäischen Staaten beispielsweise für soziale Sicherung, für Bildung, für Verkehr und Gesundheit sind denn auch in diesen Staaten Europas größer als die Wachstumsraten der Verteidigungsausgaben.
Dieser Trend, von dem ich für Westeuropa insgesamt spreche, gilt auch für die Bundesrepublik Deutschland seit einer Reihe von Jahren, Er hat sich unabhängig davon bemerkbar gemacht, welche Partei auf den Regierungs- oder auf den Oppositionsbänken dieses Hauses saßen oder sitzen. Im Vergleich zu den oft sehr reichlich bemessenen Mitteln in den Gründerjahren der Bundeswehr ist der Verteidigungshaushalt seit 1966 in ein immer enger werdendes Korsett geschnürt. 1966 und seither ist der Verteidigungshaushalt denn auch mehrfach zur Ader gelassen worden, hat er zugesagte oder bewilligte Haushaltsmittel, um den Jargon der Finanzbeamten zu benutzen, „erwirtschaftet" - ich kann dieses Wort nur in Gänsefüßchen benutzen -, d. h. Hunderte von Millionen und sogar Milliardengrößenordnungen eingespart. Auch der gegenwärtige Verteidigungsminister hat sich dem nicht entziehen wollen oder können.
Das Hohe Haus muß sich darüber klar sein -- und ich denke, es ist sich eigentlich im klaren, wenngleich das bisher nicht überall ausgesprochen wird -, daß der seit Jahren bestehende Engpaß bei der Finanzierung von Großgerät für unsere Streitkräfte - Schiffe, Flugzeuge, Panzer, Kraftfahrzeuge -, daß diese seit dem Jahre 1966 einschließlich bestehenden Finanzierungsschwierigkeiten keineswegs ein Ende gefunden haben, ja, daß ein Ende dieser Schwierigkeiten bei der Finanzierung oder Ersetzung von Systemen der ersten Generation durch neue, modernere, und das heißt teurere Systeme der zweiten Generation, nicht absehbar ist und sich eher noch verschärfen wird. Die Situation wird sich auch 1973 und in den Jahren danach so darstellen, wie ich es eben prognostiziere. Wir, d. h. die jeweilige Regierung und die jeweilige Opposition, werden deshalb gezwungen sein, der Notwendigkeit zu straffer Rationalisierung der Gesamtstruktur der Bundeswehr zu gehorchen; ich wiederhole den Satz: der Notwendigkeit zu straffer Rationalisierung der Struktur unserer Streitkräfte zu gehorchen.
Dieses Haus wird dabei auch bedenken wollen, daß der investive Teil des Verteidigungshaushalts kein sehr geeignetes Mittel zur Steuerung von Konjunkturen sein kann, weil die sich daraus ergebende Diskontinuität in der Ergänzung und Erneuerung der Ausrüstung eine ordentliche Planung vereiteln würde, den systematischen Fortschritt und die Innehaltung von vorprogrammierten Kosten verhindern würde.
Trotzdem leistet auch der Verteidigungshaushalt unter Aufbietung aller denkbaren betriebswirtschaftlichen Anstrengungen auch in diesem Jahr wieder einen Beitrag zur Minderung der Gesamtausgaben und zur Minderung des Kreditbedürfnisses des
Bundes insgesamt. Nicht genau vorherzuquantifizierende Risiken beim Ablauf werden uns diese gleiche betriebswirtschaftliche Haltung auch weiterhin auferlegen. Ich will jedoch nicht verschweigen, daß der Einzelplan 14 in diesem Jahr weithin ausgenommen ist von finanzpolitischer Steuerung; diejenigen Kürzungen, die wir zur Zeit beispielsweise im Haushaltsausschuß für den Einzelplan 14 zur Debatte anbieten, lassen die Kampfkraft und die Struktur der Streitkräfte intakt.
Was diese heutige Kampfkraft unserer Streitkräfte anlangt, so sollte das Parlament wissen, was auch die militärischen Führungsstäbe wissen und was auch der Verteidigungsminister weiß, daß nämlich die Bundeswehr hinter den vom Bündnis uns gesetzten Zielen in keiner Weise zurückgeblieben ist oder zurückbleibt. Jeder Blick auf die neben uns stehenden verbündeten Streitkräfte zeigt, daß wir keinen Vergleich scheuen müssen. Ich sage das auch mit Bezug auf die Materie, die von der heutigen Novelle zur Wehrdisziplinarordnung, über die heute morgen zu entscheiden sein wird, gedeckt ist.
Zu diesem immer wieder aktuellen Thema Disziplin haben sich in letzter Zeit viele Leute öffentlich geäußert, kompetente Leute und weniger kompetente Leute. Ich möchte eine kompetente Meinung dazu zitieren dürfen, Herr Präsident:
Die Aufträge unseres Staates erreichen uns in der Form von Gesetzen. Wenn im Soldatengesetz festgelegt ist: „Der Soldat hat Disziplin zu wahren", dann besagt dies, daß der Staat nicht irgendeine, sondern eine disziplinierte Truppe will. Die soldatischen Pflichten sind nicht der Marotte militärischer Vorgesetzter entsprungen, sie sind uns von unserem Staat vorgegeben. Das gleiche gilt für die Einschränkungen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung und für die politische Betätigung, für Gehorsam und Kameradschaft, für Verschwiegenheit und Wahrhaftigkeit. Geist, Haltung und Form wollen wir festigen, wenn wir als militärische Vorgesetzte getreu dem Auftrag des Gesetzgebers auf eine disziplinierte Truppe hinwirken.
Diese Worte stammen aus einem Vortrag, den der neue Generalinspekteur der Bundeswehr kürzlich vor Lehrgangsteilnehmern an der Schule für Innere Führung in Koblenz so gehalten hat. Ich möchte diesen Sätzen zustimmen. Dieses Hohe Haus hat allerdings durch eine Reihe von Gesetzesbefehlen, vornehmlich im Soldatengesetz, aber keineswegs nur dort, Disziplin in den Streitkräften verlangt. Diesen Befehlen ist zu gehorchen. Tatsächlich wird diesen Gesetzesbefehlen am besten und am weitestgehenden in den Manövern und in den Übungen gehorcht, dann, wenn von der Truppe etwas verlangt wird, und am ehesten passieren Verstöße gegen diese Vorschriften im Zusammenhang mit den dienstfreien Wochenenden. Das letztere kennzeichnet die Gesellschaft insgesamt und nicht nur die Bundeswehr.
Disziplin setzt allerdings auch ein der Zeit entsprechendes und in seinen Mitteln wirksames Disziplinarrecht voraus. Das geltende Disziplinarrecht hat sich in den letzten 16 Jahren gut bewährt. Es muß
jedoch in einigen Punkten dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen und der Erfahrung angepaßt werden. Die heutige Novelle will deshalb die Disziplinargewalt, insbesondere der Kompaniechefs, stärken. Andererseits soll aber auch einem beschuldigten Soldaten mehr Rechtsschutz als bisher eingeräumt werden. Außerdem soll - so sehr im dienstlichen Bereich die strikte Einhaltung der soldatischen Pflichten gefordert werden muß - im außerdienstlichen Bereich die Privatsphäre des Soldaten mehr als bisher respektiert werden.
Weil ich eben den neuen Generalinspekteur zitiert habe, Herr Präsident, ein kurzes Wort zu seiner Berufung. Mit Admiral Armin Zimmermann ist zum ersten Mal ein Offizier der Marine in dieses höchste militärische Amt berufen worden. Ich habe die Frage nach der Motivation für diese erstmalige Entscheidung scherzhaft so gestellt gelesen: „Warum machte die Bundesregierung einen Admiral zum Generalinspekteur?" Die Antwort: „Na, hätte man vielleicht einen Fregattenkapitän nehmen sollen?"
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Nun ohne Scherz: Ich meine erstens, daß keine der Teilstreitkräfte einen Anspruch darauf hat, den ersten Soldaten der Bundeswehr zu stellen, oder gar den Anspruch, immer und immer wieder den ersten Soldaten der Bundeswehr zu stellen. Zweitens denke ich, daß Admiral Zimmermann in seiner Person hinreichend Gewähr für Umsicht, Tatkraft, Ausdauer und Loyalität bietet, für all das, was man von dem ersten Soldaten der Bundeswehr fordern muß.
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Vor Zimmermann war sechs Jahre lang der aus dem Heer hervorgegangene General Ulrich de Maizière Generalinspekteur der Bundeswehr. Ich hatte noch keine Gelegenheit, seit dem Termin seines Ausscheidens einen Satz darüber hier im Parlament zu sagen. Ich denke, das Hohe Haus stimmt mit der Bundesregierung in der Feststellung überein, daß sich General Ulrich de Maizière in diesen sechs Jahren als Generalinspekteur um Staat und Bundeswehr besonders verdient gemacht hat und unseren Dank verdient.
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Meine Damen und Herren, ich komme zu dem Kostenthema noch einmal zurück. In allen westlichen Ländern erleben wir die gleiche Kostenexplosion bei neuen Waffensystemen. Die gleichen Personalsorgen, die gleichen Fragen der Wehrgerechtigkeit und der Wehrdienstdauer beschäftigen alle unsere Bündnispartner in ähnlicher Weise wie uns. Verteidigungsministerien tauschen darüber ihre Erfahrungen und Meinungen aus und kennen die Sorgen des Nachbarn beinahe genauso gut wie ihre eigenen, und man lernt gegenseitig auch ein bißchen voneinander.
Zu den Personalsorgen gehören die Sorgen um die Personalkosten. Ich gebe ein Beispiel: Während die Personalkosten der Bundeswehr bei annähernd gleichbleibendem Personalumfang in den Jahren
1963 bis 1965 noch bei 5 Milliarden DM pro Jahr
gelegen haben, liegen sie heute bei gleichem personellen Umfang bei über 10 Milliarden DM pro Jahr.
Zugleich wird es fast überall in Westeuropa schwieriger, die öffentliche Meinung von der Notwendigkeit angemessener Verteidigungsausgaben zu überzeugen, weil eben vielfach die Neigung besteht, die Bemühung um Entspannung schon mit deren wohltuendem Endergebnis zu verwechseln.
Die Entwicklung zwingt die europäischen Bündnispartner, für manche ihrer Verteidigungsprobleme gemeinsame Lösungen zu finden, um auf diese Weise die verfügbaren finanziellen Mittel so effektiv wie möglich zu nutzen. Die EUROGROUP hat sich als ein wirksames Instrument der militärischen Zusammenarbeit in Europa erwiesen. Sie wird sich in diesem Jahr vorrangig mit der Frage der technischen und wirtschaftlichen Rüstungszusammenarbeit unter den europäischen Partnern befassen.
Die verbindliche Grundlage für die Beiträge der Bündnispartner sind die in dem Ministerratsdokument AD 70 niedergelegten Empfehlungen über die qualitativen Verbesserungen der Streitkräfte bei Erhaltung des quantitativen Rahmens. Diese Empfehlungen sind inzwischen weitgehend in die Zielsetzungen der Streitkräfte des Bündnisses für die Jahre 1973 bis 1978 eingegangen. Diese Zielsetzungen haben wir vor vier Wochen auf der Sitzung des Defense Planning Committee des Bündnisses in Brüssel für die beteiligten Regierungen bestätigt. Die Zielsetzungen sehen einen gleichbleibenden Anteil des wachsenden nationalen Einkommens der Bündnispartner für die Verteidigungsaufgaben vor.
Aus alledem ergibt sich für unser Land auf absehbare Zukunft die Notwendigkeit, am Wehrpflichtprinzip festzuhalten. Angesichts der anhaltenden Voll- und Überbeschäftigung, illustriert u. a. durch über zwei Millionen Gastarbeiter in unserem Land, bleibt die Wehrpflicht die einzige vernünftige Grundlage für die Deckung des personellen Bedarfs unserer Streitkräfte. Die politisch-psychologische Vorbedingung für die Beibehaltung des Wehrpflichtprinzips ist aber ein hohes Maß an tatsächlicher Allgemeinheit der Wehrpflicht oder, wie man auch sagt, ein hohes Maß an Wehrgerechtigkeit. Um dieses hohe Maß zu erreichen, hat die Bundesregierung das sogenannte Artikelgesetz vorgelegt, das heute morgen verabschiedet werden soll. Dieses Gesetz enthält die gesetzliche Grundlegung erstens für die Heranziehung höherer Prozentanteile des wehrpflichtigen Altersjahrgangs, zweitens für die daraus resultierende Verkürzung des Grundwehrdienstes von 18 auf 15 Monate und drittens für die damit nötigen Maßnahmen zur Gewinnung von längerdienenden Freiwilligen. Das Artikelgesetz bedeutet keine Verringerung unserer Verteidigungsanstrengungen, sondern es schafft die Voraussetzung, unsere Bündnisverpflichtungen zukünftig gerechter erfüllen zu können als bisher.
Erst die Bereitschaft der wehrpflichtigen Soldaten und die Bereitschaft eines angemessenen Anteils von längerdienenden freiwilligen Soldaten zum Dienst in den Streitkräften machen unsere Verbände einsatzfähig. Die Bundesregierung wird diesen ZusamBundesminister Schmidt
menhang auch in Zukunft sehr wohl beachten. Dazu gehört auch, daß Bildung und Ausbildung in den Streitkräften neu gestaltet, Offiziere und Unteroffiziere auf ihre Aufgaben zukünftig besser vorbereitet werden. Solche Zielsetzung entspricht im übrigen auch der allgemeinen bildungspolitischen Entwicklung in unserer Gesellschaft.
Die Neuordnung von Ausbildung und Bildung wird die Bundeswehr in Zukunft effektiver und attraktiver machen. Militärische und möglichst zugleich zivil anerkannte und später zivilnutzbare fachliche Ausbildung wird, wo immer möglich, als Einheit gesehen und als Einheit behandelt. Für die entsprechende Ausbildung unserer Unteroffiziere haben die im Weißbuch 1971/1972 erwähnten Modelllehrgänge inzwischen an mehreren Stellen begonnen. Sie führen zu zivilberuflich anerkannten Abschlüssen, z. B. für technische Berufe oder als Bürokaufmann, als Sozialpädagoge oder Krankenpfleger usw. Mit gleicher Zielsetzung ist an der Pionierschule eine Fachschule für Bautechnik entstanden, und im Herbst dieses Jahres werden an der Fernmeldeschule und an einer Technischen Truppenschule entsprechende Fachschulen ihre Arbeit aufnehmen.
Für die auf mindestens zwölf Jahre oder länger verpflichteten Zeitoffizieranwärter und für die Berufsoffizieranwärter - also für die, die ihr Leben lang dienen wollen und sollen - ist in Zukunft eine insgesamt fünfjährige Offizierausbildung vorgesehen, davon drei Jahre Studium mit Diplomabschluß an einer Bundeswehrhochschule. In der Nähe und in enger Zusammenarbeit mit den großen Universitäten in Hamburg und München, wo wir die vorhandenen Offizierschulen und die vorhandenen anderen Schulen der Bundeswehr unter Wegfall der alten Zwecke für den neuen Zweck umwidmen werden, soll das in drei Studienjahre eingeteilte berufsbezogene Studium von Herbst 1973 an absolviert werden können. Ich unterstreiche das Wort „Studienjahre": Es wird sich um die erste Hochschuleinrichtung der Bundesrepublik handeln, die endlich mit dem „Studienjahr" ernst macht.
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Als Studiengänge werden vorerst nebeneinander Betriebswirtschaft, Pädagogik, Maschinenbau, Luft- und Raumfahrttechnik, Elektrotechnik, Bauingenieurwesen und Informatik angeboten werden. Weitere Einzelheiten über dieses Projekt werde ich als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Opposition dem Hause in Kürze zuleiten.
Die Stabsoffizierprüfung und die Ausbildung der Stabsoffiziere werden ebenfalls neu geordnet. Zu diesem Zweck werden Führungsakademie und Staatsakademie in Hamburg unter einem Dach vereinigt werden
Die Bundesregierung mißt der Reform von Bildung und Ausbildung in den Streitkräften hohe Priorität zu, nicht zuletzt - ich wiederhole das -, um ausreichend viele und ausreichend leistungsfähige junge Männer für einen längeren Dienst bei der Truppe zu gewinnen.
Das Artikelgesetz und diese Neuordnung von Bildung und Ausbildung sind seit Monaten nun auch in der öffentlichen Diskussion. Die Attraktivität dieser Vorhaben läßt sich schon jetzt, ohne daß ich eine langfristige Prognose wagen darf, am Zuwachs der Unteroffizierbewerber und der Offizierbewerber ablesen. Von Januar bis April 1972 einschließlich ist die Zahl der in der Bundeswehr bisher nicht gedient habenden Offizierbewerber, verglichen mit den ersten vier Monaten des Vorjahres, um 40 % gestiegen. Weit überwiegend waren es Bewerber mit mittlerer Reife und mit Fachhochschulreife; bei Abiturienten war der Anstieg nur relativ gering, doch auch bei Abiturienten ist der Anstieg bemerkenswert. Denn es ist das erstemal seit vier oder fünf Jahren, daß ein bisher negativer Trend in eine positive Aufwärtsbewegung umschlägt.
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Für die Laufbahnen der Mannschaften und der Unteroffiziere haben sich in den ersten vier Monaten des Jahres 1972, verglichen mit den ersten vier Monaten des Jahres 1971, erheblich mehr Bewerber gemeldet. Besonders stark war der Anstieg bei den Soldaten auf Zeit, die sich für drei Jahre oder länger verpflichtet haben; hier gab es nämlich einen Anstieg um 37 %. Auch dies signalisiert uns einen Umschwung der Bewerberzahlen, die seit 1968 rückläufig gewesen waren. Wir werden es vermutlich weiter mit einer günstigen Entwicklung zu tun haben, wenn das Artikelgesetz erst in Kraft sein wird und wenn die Maßnahmen zur Verbesserung von Ausbildung und Bildung innerhalb der Streitkräfte wirksam werden.
Übrigens beabsichtigt die Bundesregierung, auch für 1972/1973 ein Verteidigungsweißbuch vorzulegen. Darin wird auch diesmal die Offenlegung unserer personalwirtschaftlichen Entwicklung einen Schwerpunkt darstellen. Das Weißbuch 1971/1972, das ja heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht, hat inzwischen in der westlichen Welt große Anerkennung gefunden; es dient an manchem Ort als Vorbild. Soweit es neue Absichten der Bundesregierung dargelegt hat, werden diese - nicht zuletzt, meine Damen und Herren, durch Ihre heute morgen zu fassenden Beschlüsse - verwirklicht.
In diesem Zusammenhang im übrigen eine einzige antikritische Bemerkung: Auch jedes zukünftige Verteidigungsweißbuch muß dort ausdrücklich Wiederholungen in Kauf nehmen, wo sich die sicherheitspolitische Lage unseres Landes oder die Absichten der Bundesregierung nicht geändert haben, denn Weglassungen genauso wie etwaige Neuerungssucht könnten sonst zu Fehlinterpretationen führen.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und fasse zusammen. Die positive Zwischenbilanz unseres Bündnisses wurde dem NATO-Rat möglich nach der Ratifizierung der Ostverträge im Deutschen Bundestag, nach dem politisch damit verbundenen Inkrafttreten des Berlin-Abkommens in allen seinen Elementen, wurde möglich nach dem Ergebnis des Besuchs von Präsident Nixon in Moskau, wurde möglich auf Grund der nach wie vor übereinstimmenden Interessenlage der Bündnispartner und deren weitgehend übereinstimmender Beurteilung.
Die Bundesregierung und unsere Partner gehen danach ohne Euphorie, aber mit der erforderlichen Festigkeit und Flexibilität auf die Verhandlungen zu, die zu einer Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit und andererseits zu verabredeten gleichgewichtigen Truppenverringerungen führen sollen. Die multilateralen Vorbereitungen beginnen im Laufe des Herbstes. Der als Voraussetzung dafür nötige innere Zusammenhalt unseres Bündnisses ist im Jahre 1972 noch einmal gewachsen. Die Bundesregierung betont erneut, daß sie eine Konferenz anstrebt, die praktische Ergebnisse im Hinblick auf mehr Stabilität, mehr Sicherheit, mehr Vertrauen in Europa bringt. Unsere Motive bleiben unverändert:
Erstens. Wir haben nicht nur ein moralisches, sondern auf Grund unserer geographischen Lage auch ein vitales Interesse an der Spannungsminderung in Europa.
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Zweitens. Die Bundesregierung unterstützt deshalb weitere Schritte zur Konkretisierung der Entspannung auf diesem Kontinent und zur Überwindung der Konfrontation; und sie beteiligt sich aktiv daran.
Drittens. Dabei bleibt die Aufrechterhaltung des Kräftegleichgewichts in Europa eine unerläßliche Bedingung.
Viertens. Die Bundesregierung wird deshalb auch in Zukunft einen ihren Möglichkeiten angemessenen Verteidigungsbeitrag im Rahmen des Atlantischen Bündnisses leisten. Die Kooperation im Bündnis bleibt die Grundlage unserer Sicherheit.
Herr Präsident, gestatten Sie mir am Schluß als persönlichen Beitrag die Wiedergabe eines Zitats aus der Feder eines großen liberalen Kommentators aus dem südlichen Teil unseres Vaterlandes, eines Zitats, das mir an dieser Stelle angemessen erscheint. Hans Heigert hat am 18. März in der „Süddeutschen Zeitung" in einem bemerkenswerten Aufsatz unter dem Titel „Dienst an diesem Land" u. a. folgendes geschrieben:
Dies Land ist nicht nur des Schweißes der Besten wert. Verglichen mit den meisten anderen Gemeinwesen auf dem gegenwärtigen Globus sind nur wenige Staaten imstande, ihre öffentlichen Dinge ähnlich optimal, nämlich derart freiheitlich, derart sozial und gerecht zu ordnen. Daraus leitet sich durchaus die Legitimation ab, auch von der nachfolgenden Generation einen Dienst abzuverlangen. In Zeiten, in denen nahezu ausschließlich von Rechten geredet wird, mag dies unpopulär sein. Engagement scheint gegenwärtig vor allem dann zu mobilisieren zu sein, wenn es gegen etwas geht. Aber es steht Demokraten, progressiven wie konservativen Demokraten sehr wohl an, auch auf die Notwendigkeit des Dienstes und auf die Notwendigkeit der Pflicht aufmerksam zu machen.
Ich unterstreiche: sowohl progressiven als auch konservativen Demokraten.
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Präsident von Hassel: Das Haus hat die Regierungserklärung des Herrn Bundesministers der Verteidigung entgegengenommen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner. Für ihn ist eine Redezeit von 35 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Typisch für eine Zeit des Übergangs zeigt sich die Sicherheitslage der Welt in einer eigentümlichen Doppelgesichtigkeit. Einerseits erleben wir das Streben beider Supermächte, der Vereinigten Staaten wie der Sowjetunion, nach einem partiellen Interessenausgleich. Das atomare Patt und die ständig steigenden Rüstungslasten zwingen die beiden Großmächte zu dem Versuch, ihrer Rivalität Grenzen zu setzen und nach gemeinsamen Spielregeln für ihre Auseinandersetzung zu suchen, die im Interesse ihrer Selbsterhaltung liegen. Der erfolgreiche Abschluß der ersten beiden SALT-Abkommen ist Ausdruck dieser Interessengemeinsamkeit.
Auf der anderen Seite - das wird häufig übersehen - besteht der politische und militärische Gegensatz der Supermächte unvermindert fort. Die Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme der demokratischen Staaten des Westens und der totalitären Staaten des Ostens bleiben unvereinbare Gegensätze. Freiheit und Unfreiheit vertragen sich nicht. Noch steht auch die kommunistische Ideologie uns in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber. Der ideologische Impuls des kommunistischen Systems ist keineswegs nur Fassade. Koexistenz bedeutet, wie sowjetische Politiker vor allem in letzter Zeit immer und immer wieder betonen, eher Verschärfung denn Verminderung des Kampfes. Wir leben also nicht in einer Welt der Entspannung, sondern weit eher in einer Welt, die versucht, Kontrolle der Spannung zu erzielen.
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Noch stehen die Zeichen eher auf Konfrontation denn auf Kooperation.
Ein Blick auf den unverminderten Ausbau des sowjetischen Militärapparats läßt keinen anderen Schluß zu. Dieser Militärapparat geht weit über das hinaus, was die Sowjetunion zur eigenen Verteidigung und zur Absicherung ihres eigenen Machtbereichs benötigt. Die Sowjetunion hat in den letzten Jahren gewaltige Rüstungsanstrengungen unternommen. Die Landtruppen allein wurden auf 3,5 Millionen Mann aufgestockt, die größte Armee, die es je in Friedenszeiten gab. Die Feuerkraft der Divisionen wurde verstärkt, die Überlegenheit an Panzern und Flugzeugen weiter ausgebaut. Der Aufbau einer weltweit operierenden Flotte war vordringlich, Priorität Nr. 1 da drüben. Die Sowjetunion hat heute die modernste Flotte und steht mit Neubauten im Verhältnis von 8 : 1 gegenüber den Vereinigten Staaten im Vorteil.
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Der Etat für wehrtechnische Forschung und Entwicklung, außerordentlich bedeutsam für die Zukunft,
liegt um 40 bis 50 °/o höher als der amerikanische.
Selbst wenn man die vorhandenen Tarntitel nicht berücksichtigt, betragen die sowjetischen Rüstungsausgaben 11 % des Sozialprodukts gegenüber nur 7,9 % in den Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die DDR liegt mit 5,9 % höher als die Bundesrepublik mit 4,5%. Dabei sind die Ausgaben in den Ostblockstaaten für Personalkosten weitaus geringer als im Westen. Die gewaltigen Rüstungsanstrengungen der Sowjetunion können, so meinen wir, nicht anders gedeutet werden als eben nach wie vor mit expansiven Zielsetzungen.
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Sie dienen eben nicht der Stabilisierung und allein der Erhaltung des Status quo, wie das manche bei uns meinen, sondern ganz eindeutig der Ausweitung der sowjetischen Macht- und Einflußsphäre.
Ich glaube, man muß bei uns etwas stärker über die sehr umfassende sowjetische Strategie nachdenken, in der die Streitkräfte eine Karte, eine sehr bedeutsame Karte im Spiel bilden. Es ist doch unverkennbar, daß sich eine sowjetische Doppelstrategie herausgebildet hat. Auf der einen Seite versucht man, durch Entspannungsoffensiven und Entspannungsbeteuerungen die psychologische Basis für die Verteidigung des Westens zu vermindern, und auf der anderen Seite baut man den militärischen Machtapparat aus, um damit seine politischen Ziele durchsetzen zu können.
({3})
Wenn man gerade in den vergangenen Tagen beispielsweise Äußerungen von Breschnew und Honecker liest, fällt einem auf, wie triumphal dort auf das veränderte Kräfteverhältnis, und zwar zugunsten des Sozialismus, hingewiesen wird, um nachzuweisen, daß man in dieser Welt mit guten Chancen für die Zukunft dasteht, und das wird immer mit einer weiteren Kampfansage verknüpft. Das also ist die Doppelgesichtigkeit, von der ich sprach. Welche der beiden Tendenzen sich nun durchsetzen wird, ob die eines weiteren Interessenausgleichs oder aber die einer Verhärtung der Konfrontation, das, meine Damen und Herren, wird in weitem Umfang durch den Westen selbst bestimmt werden.
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Nur dann, wenn die Sowjetunion einsehen muß, daß es aussichtslos ist, die Parität oder das Gleichgewicht zu ihren Gunsten zu wandeln, nur dann wird sie sich die SALT-Gespräche sind dafür ein klarer Beweis - zu einem echten Interessenausgleich Bereitfinden. Darum sind die sehr deutlichen Warnungen der letzten NATO-Konferenz, von der Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, gesprochen haben, nur allzu berechtigt. Einseitige Abrüstungsmaßnahmen und Verringerung der Verteidigungsbereitschaft im Westen würden das Ende jeglicher echten Entspannungspolitik bedeuten.
({5})
Wo das Gleichgewicht auch nicht mehr annähernd gewährleistet ist, droht Unterwerfung an Stelle von Zusammenarbeit.
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Wenn der Westen Konfrontation abbauen und auf der Straße der Kooperation vorankommen will - wir alle wollen das -, dann muß er - das ist eine klare Voraussetzung - zu jeder Zeit bereit und in der Lage sein, der Konfrontation standzuhalten.
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Darum ist jegliche Entspannungseuphorie so gefährlich. Sie ist kontraproduktiv; sie verhindert gerade das, was sie will, nämlich echte Entspannung.
Wir stimmen mit der Feststellung des Bundesverteidigungsministers überein, daß Verteidigung und Entspannung untrennbar miteinander verbunden sind. Wenn der Herr Bundeskanzler anläßlich der Eröffnungssitzung der NATO-Ministertagung - Sie waren so freundlich, das zu zitieren - davon gesprochen hat, daß wir uns keinem Wunschdenken hingeben dürfen und uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen dürfen, so begrüßen auch wir von der CDU das ausdrücklich.
Wir hätten uns allerdings gewünscht - das sage ich vor allem in Richtung auf den Herrn Bundeskanzler , daß man zu allen Zeiten und nach allen Richtungen hin dies so deutlich gemacht hätte wie bei jener Gelegenheit.
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Dann wäre es wohl nicht so weit gekommen, daß heute nicht nur Jungsozialisten,
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sondern beispielsweise auch ein so bedeutender und in den Kreisen der SPD einflußreicher Mann wie der neue Vorsitzende der IG Metall, Loderer, die Streichung von Rüstungsausgaben unter Hinweis auf die Friedenspolitik der Regierung Brandt/Scheel fordern.
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Ich meine, daran ist die Regierung nicht ganz unschuldig. Sie trägt ein Stück Verantwortung dafür, daß sich Illusionen über Stand und Voraussetzungen der Entspannung in unserem Volk breit machen,
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daß es viele gibt, die nicht mehr an die Bedrohung durch die Sowjetunion glauben, daß es viele gibt - und das können Sie sehr leicht feststellen, wenn Sie beispielsweise durch höhere Klassen der Oberschulen gehen -,
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die gar nicht mehr bereit sind, Zahlen über das militärische Kräfteverhältnis in dieser Welt zur Kenntnis zu nehmen.
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Die steigenden Zahlen der Wehrdienstverweigerer in den höheren Schulen legen dafür beredtes Zeugnis ab.
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Das einzige, was ich mit diesen Feststellungen sagen will - ich nehme an, daß der Bundesverteidigungsminister mich hierbei versteht -, ist, daß man in Zukunft stärker als in der Vergangenheit bei
seinen Reden, wo auch immer, das Gleichgewicht von Verteidigung auf der einen Seite und Entspannung auf der anderen Seite betont, so wie das heute hier zu Recht geschehen ist.
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Deswegen ist eben unsere Forderung, wie gesagt, daß man überall dort Illusionen entgegentritt, wo sie sich breitmachen. Deswegen auch unsere Forderung, die ich bei dieser Gelegenheit erneut vortrage, daß an Schulen und an Lehrerbildungsstätten, und zwar nüchtern und sachlich, über diese Grundvoraussetzungen deutscher Enspannungs- und Sicherheitspolitik aufgeklärt wird. Wir wollen gar keine Schwarzweißmalerei,
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wir wollen auch nicht, daß etwa nur von Bedrohung und nicht mehr von der Chance zur Entspannung gesprochen wird. Es ist sicherlich gut und richtig, wenn Wandlungen in der Interessenlage und in der Politik der Sowjetunion aufmerksam registriert werden.
Es war seit jeher Ziel deutscher Außenpolitik, die politischen und die militärischen Spannungen in Europa abzubauen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn man nicht in bloßer Klimaverbesserung steckenbleibt, sondern konkrete Vereinbarungen über die Beseitigung der Spannungsursachen und Spannungsfaktoren erzielt.
({17})
Dafür gibt es zwei Voraussetzungen. Erstens. Politische und militärische Schritte sind zu verknüpfen. Eine militärische Entspannung kann man dauerhaft nur auf der Basis des politischen Vertrauens erreichen. Umgekehrt bildet sich politisches Vertrauen nur dort, wo die militärische Bedrohung vermindert wird.
({18})
Zweitens. Bei allen Abrüstungsschritten ist darauf zu achten, daß die Grundsätze der Gleichwertigkeit, der Wechselseitigkeit und der Kontrolle beachtet werden, damit das Gleichgewicht der Kräfte zu keinem Zeitpunkt gefährdet wird.
Diese Überlegungen bestimmen die Haltung der CDU/CSU-Fraktion zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und zum Projekt einer ausgewogenen Truppenreduzierung. Die Sowjetunion - und das haben Äußerungen Honeckers und Breschnews in den letzten Tagen wieder sehr deutlich gemacht - möchte die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit nach wie vor dazu nützen, ihren Besitzstand in Mitteleuropa politisch und rechtlich zu festigen, der DDR zur internationalen Anerkennung zu verhelfen, die europäische Einigung zu unterlaufen, die Bande zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa zu lockern und damit die Verteidigungsbereitschaft und die militärischen Anstrengungen der NATO zu schwächen.
Niemand sollte sich über diese Zielsetzungen der Sowjetunion irgendeiner Illusion hingeben. Allerdings sei damit auch gleichzeitig gesagt: Wir haben es nicht nötig, auf eine solche Konferenz etwa in der Haltung ängstlicher Defensive zu gehen. Ganz im Gegenteil, die Staaten der NATO sollten die Chance zu eigenen und vorwärtsweisenden Initiativen auf dem Feld der Entspannung nützen. Dies sollte beispielsweise durch konkrete Vorschläge und Vorstellungen auf dem Gebiet der Freizügigkeit und des ungehinderten Austauschs
({19}) von Informationen und Meinungen erfolgen.
({20})
Auch Prinzipien des zwischenstaatlichen Verkehrs sollten nicht losgelöst von den konkreten Beziehungen diskutiert werden. Welchen Wert hätte beispielsweise eine unverbindliche Einigung über das Prinzip der Nichteinmischung, über das Prinzip des Gewaltverzichts, wenn dabei nicht auch die Anwendung auf die Beziehungen der Staaten in den Blökken untereinander konkret besprochen würde?
({21})
Nur durch Konzentration auf möglichst konkrete und substantielle Einzelfragen kann man verhindern, daß sich die Sicherheitskonferenz in allgemeinen Deklamationen erschöpft und so zu einem Propagandaforum entartet.
Die Staaten der NATO müssen in nächster Zeit alles daransetzen, zu einer gemeinsamen und geschlossenen Verhandlungsposition zu kommen. Sie dürfen sich vor allen Dingen nicht gegeneinander ausspielen lassen. Sorgfältige Vorbereitung - lassen Sie mich das ganz klar sagen - entscheidet wesentlich über die Erfolgsaussichten einer solchen Konferenz. Darum sollte sich niemand im Westen unter Zeitdruck setzen lassen.
({22})
Die Konferenz darf auch in der deutschen Frage nichts vorwegnehmen und nichts zementieren. Darauf muß die Bundesregierung in allen Phasen der Vorbereitung und der Durchführung der Konferenz besonders achten.
Schließlich muß die NATO von Anfang an unzweideutig klarmachen, daß alle Versuche, die atlantische Sicherheitsordnung durch eine europäische Sicherheitsordnung - unter Ausschluß der Vereinigten Staaten von Amerika - abzulösen, auf ihren entschiedenen Widerstand stoßen wird.
({23})
Die USA sind und bleiben der Garant der europäischen Sicherheit.
Die Verbindungen zwischen KSZE und MBFR, die man in Form paralleler Verhandlungen auf der NATO-Konferenz gefunden hat, finden wir annehmbar. Es bleibt allerdings das dezidierte Interesse der Bundesrepublik, daß Fragen der militärischen Sicherheit nicht ausgeklammert, sondern in die Verhandlungen einbezogen werden.
Noch schuldet die Sowjetunion der Weltöffentlichkeit Antwort auf die Frage, warum sie weit mehr Truppen in Europa unterhält, als sie zu ihrer Verteidigung und zur Absicherung ihres Machtbereichs benötigt.
({24})
Wer wirklich Entspannung will, muß jede Form militärischer Bedrohung beseitigen. Darum - und darauf legt die CDU/CSU-Fraktion besonderen Wert - darf die Frage militärischer Sicherheit nicht hinter dem Rauchschleier von Kooperationsbeteuerungen verschwinden.
({25})
Wer dies erreichen will, muß darauf achten - und darum bitten wir Sie, Herr Bundesverteidigungsminister -, daß nicht nur ein zeitlicher, sondern auch ein sachlicher Gleichklang und Zusammenhang zwischen KSZE-. und MBFR-Gesprächen hergestellt wird. Als ein formelles und sachliches Bindeglied bieten sich dafür die stabilisierenden und vertrauensbildenden Maßnahmen an wie etwa Bewegungsbeschränkungen, Austausch von Manöverbeobachtern und anderes mehr. Im übrigen gilt auch für MBFR, daß im Rahmen der Allianz nach einem möglichst hohen Maß der Gemeinsamkeit gesucht werden muß, ehe die vorbereitenden Gespräche beginnen.
Unabdingbare Erfolgsvoraussetzung aller Verhandlungen bleibt, daß die Allianz in ihren Verteidigungsanstrengungen nicht nachläßt. Eine weitere Verschiebung der Kräfteverhältnisse zuungunsten der NATO in Europa bedeutet - darüber müssen wir in unserem Volk Klarheit schaffen - eine ernste Gefahr für Sicherheit und Freiheit und für die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
({26})
Darum müssen wir alles daransetzen, das Kräftegewicht in Mitteleuropa ausgeglichen zu halten, um die Wirksamkeit der Abschreckung nicht zu gefährden.
Drei Voraussetzungen machen die Abschreckung glaubwürdig:
1. die europäisch-atlantische Solidarität,
2. ein klar erkennbarer politischer Behauptungswille unseres Volkes und
3. ein präsentes kampfkräftiges flexibles militärisches Instrumentarium.
Zunächst zur europäisch-atlantischen Solidarität. Dazu gehört: Europa muß sich stärker auf seine sicherheitspolitischen Verpflichtungen besinnen. Wir müssen zukünftig einen größeren Teil unserer Verteidigung selbst bestreiten, als wir das gegenwärtig tun. Es gibt keinen anderen Weg als den einer fort-scheitenden Einigung Europas auch auf verteidigungspolitischem Gebiet.
({27})
Rüstungskooperation, Aufgabenteilung und Standardisierung sind erste Schritte auf diesem Weg. Noch ist nicht der Zeitpunkt - hier gebe ich Ihnen recht -, in dem verbindliche Beschlüsse über konkrete Fragen der Organisation einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft gefaßt werden könnten. Sicher ist allerdings auch, daß mit dieser Verteidigungsgemeinschaft und mit den Schritten dahin nicht zugewartet werden darf, bis eines Tages die politische Einigung erst einmal verwirklicht wäre. Das eine wie das andere wäre falsch. Man muß darauf achten, daß beides koordiniert und Schritt um Schritt vollzogen wird.
({28})
Auch ein vereinigtes Europa bleibt - hier stimmen wir überein - auf das verteidigungspolitische Bündnis mit den Vereinigten Staaten angewiesen. Um das Übergewicht der Sowjetunion und des Warschauer Paktes balancieren zu können, müssen die Vereinigten Staaten von Amerika einerseits mit substantiellen und nicht nur symbolischen Truppenverbänden hier in Europa präsent bleiben und andererseits taktisch-nukleare Waffen in Europa stationiert halten, und zwar nicht nur - wie das meistens gesehen wird - zum Ausgleich des konventionellen Übergewichts des Warschauer Pakts, sondern vor allen Dingen als Bindeglieder zur strategisch-nuklearen Abschreckung durch die Vereinigten Staaten von Amerika.
Zum politischen Behauptungswillen unseres Volkes. Hier, meine Damen und Herren, liegen unsere größten Sorgen.
({29})
Wir sehen das sprunghafte Anwachsen der Zahlen der Wehrdienstverweigerer. Unverkennbar ist auch der Rückgang der Verteidigungsbereitschaft in gewissen intellektuellen Schichten und bei der jüngeren Generation, wie Umfrageergebnisse zeigen.
({30})
In diesem Zusammenhang, Herr Bundesverteidigungsminister - ich hoffe, das ohne allzu scharfen polemischen Unterton zu sagen -, haben wir eine Bitte an Sie, und zwar nicht so sehr an den Bundesverteidigungsminister als an den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD: Sorgen Sie dafür, daß die Aktionen der Jungsozialisten gegen die Bundeswehr aufhören!
({31})
Es ist untragbar, daß zum gleichen Zeitpunkt, in dem Sie eine so gute Rede halten, in dem Sie für eine ungebrochene Kampfkraft der Bundeswehr plädieren, Jungsozialisten, Jungdemokraten, DGB-Jugend und die Wehrdienstverweigerer in Stuttgart einen Kongreß gegen die „innere Militarisierung der Bundesrepublik" organisieren.
({32})
Und es ist untragbar, daß zu der gleichen Zeit, zu der Bundeskanzler und Bundesverteidigungsminister die Kultusminister der Länder auffordern, über die Notwendigkeit der Landesverteidigung im Unterricht stärker aufzuklären, Jungsozialisten und damit Mitglieder der SPD auf lokaler Ebene Kampfmaßnahmen etwa gegen den Erlaß des Kultusministers von Baden-Württemberg durchführen.
({33})
Noch untragbarer, glaube ich, ist es, wenn vor kurzem ein vom Vorstand der SPD Süd-Hessen gebildeter friedenspolitischer Ausschuß unter Vorsitz eines Bundestagskollegen der SPD Empfehlungen zur Unterstützung von Wehrdienstverweigerern herausgegeben hat,
({34})
in denen - ich zitiere - „dem Bestimmungsanspruch des für schon so oft verhängnisvollen Militärs" entgegengetreten
({35})
und die allgemeine Dienstpflicht als eine - ich zitiere wieder - „längst überschrittene Stufe im Prozeß der Demokratisierung" bezeichnet wird. Ich habe nicht gehört, daß der Parteivorstand der SPD dagegen eingeschritten wäre. Wie, Herr Bundesverteidigungsminister, reimt sich das mit Ihrer Rede und Ihrer Haltung zusammen?
({36})
Ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es hier wieder: Hier geht es nicht nur um die Glaubwürdigkeit Ihrer Partei - das ist Ihre Sache -, hier geht es eben um diesen Behauptungswillen unseres Volkes. Denn wir werden es nicht schaffen, Schüler und Lehrer draußen von der Notwendigkeit der Landesverteidigung zu überzeugen, wenn Sie in Ihrer eigenen Partei eine solche Überzeugung nicht durchzusetzen vermögen.
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Ich komme zum dritten: zur Forderung nach einem präsenten, kampfkräftigen und flexiblen militärischen Instrumentarium. Auch hier haben wir einen Sektor der Übereinstimmung. Auf die allgemeine Wehrpflicht wird in absehbarer Zeit nicht verzichtet werden können - nicht nur aus den von Ihnen genannten Gründen. Verteidigung muß Sache des ganzen Volkes bleiben. Es darf sich nicht der Eindruck festsetzen, daß Verteidigung nur die Sache einiger weniger bezahlter Spezialisten ist.
Wir stimmen dem Artikelgesetz zu. Diese Entscheidung ist uns - ich will das ganz offen bekennen - nicht leichtgefallen. Ihre Argumente und die Argumente auch der militärischen Sachverständigen haben uns nicht voll zu überzeugen vermocht. Ganz sicher wird die Dienstzeitverkürzung nicht ohne Auswirkung auf die Kampfkraft der Bundeswehr bleiben. Die Schwierigkeiten in der Truppe sind unübersehbar. Lassen Sie mich in dem Zusammenhang schon jetzt Dank an all die Unteroffiziere und Offiziere Nagen, die diese Maßnahme in der Übergangszeit durchtragen und sich dafür erheblichen Mehrbelastungen unterziehen müssen.
({38})
Im einzelnen wird dazu mein Kollege Damm sprechen. Hier sei nur so viel gesagt: die Verkürzung der Unteroffiziers- und Offiziersausbildung ist ein außerordentlich bedenklicher und folgenschwerer Weg.
({39})
Die Einziehung beschränkt Tauglicher bringt zahllose Probleme für die Truppe mit sich. Die Wehrgerechtigkeit ist kurzfristig verbessert und hierin liegt der Wert dieser Maßnahme , langfristig aber nicht gelöst. Es bleibt als einziger Ausweg die Alternative der CDU/CSU-Fraktion: Zusammenfassung der Dienste nach Artikel 12 a und Ausbau der Plätze im zivilen Bereich.
In der Debatte zum Bericht des Wehrbeauftragten habe ich gefordert, daß von der politischen und militärischen Führung wieder klar die Bedeutung von Disziplin und soldatischer Ordnung dargestellt und begründet werden muß. Die von Ihnen zitierte Äußerung von Admiral Zimmermann entspricht voll unserer Auffassung.
({40})
Auch hier, Herr Kollege Schmidt, eine ganz kleine Spitze - nur eine ganz kleine -: Wir hätten uns diese Äußerung aus Ihrem Mund etwas früher gewünscht. Jetzt kommt es darauf an, den Vorgesetzten Mut zu machen, das als verbindlich anerkannte Maß an Disziplin und ein anständiges Erscheinungsbild auch mit den ihnen verfügbaren disziplinären Mitteln draußen durchzusetzen. Sie müssen wissen, daß Sie sich dabei auf die militärische und politische Führung verlassen können.
({41})
Die Ernennung von Admiral Zimmermann findet unsere volle Zustimmung. Wir wissen, daß er alle Voraussetzungen mit sich bringt, um dieses schwierige Amt zu meistern. Für seine Amtsführung darf ich ihm auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion alles Gute und viel Erfolg wünschen.
({42})
Bei dieser Gelegenheit darf ich auch noch einmal für die CDU/CSU-Fraktion dem ausgeschiedenen Generalinspekteur de Maizière unseren Dank für seine vorbildliche Pflichterfüllung sagen.
({43})
Die CDU-CSU-Fraktion sagt grundsätzlich ja zur Verbesserung des Ausbildungssystems in den Streitkräften. Es fehlt allerdings bis heute eine geschlossene Stellungnahme des Verteidigungsministeriums zum Ellwein-Konzept. Die personellen und finanziellen Konsequenzen der Verwirklichung der Vorschläge sind nicht durchgerechnet. Auch die Koordinierung mit den Vorschlägen der Personalstrukturkommission ist nicht erkennbar. Wir haben den Eindruck ich sage es ganz offen -, daß ohne gesichertes Gesamtkonzept Teilstücke ins Werk gesetzt werden.
({44})
So ist etwa unklar, auf welche Ausbildungsprofile und auf welchen Bedarf hin ausgebildet werden soll. Solange weder Realisierbarkeitsuntersuchungen noch ein abgesichertes Finanzkonzept vorliegen, kann hier nur so viel allgemein zu dem Konzept gesagt werden:
Erstens. Das gesamte Ausbildungskonzept muß stärker verwendungsbezogen und praxisorientiert,
das heißt so ausgerichtet werden, daß die Verbesserung der Kampfkraft im Vordergrund steht.
Zweitens. Die Offiziere und Unteroffiziere müssen zu militärischen Führungspersönlichkeiten ausgebildet werden. Dies darf bei aller fachlicher Ausbildung nicht in den Hintergrund treten.
({45})
Drittens. Die Unteroffiziersausbildung darf nicht an die zweite Stelle rücken.
Und schließlich - viertens -: Wenn die akademische Ausbildung des Offizieres verwirklicht wird, geben auch wir in Übereinstimmung mit Ihnen bundeswehreigenen Hochschulen grundsätzlich den Vorzug. Allerdings sollten schon bestehende und bewährte Bildungseinrichtungen der Streitkräfte nicht zerschlagen werden. Ein endültiges Votum wird die CDU/CSU-Fraktion allerdings erst abgeben können, wenn uns nachgewiesen wird, ob, wann und wie die Bundeswehrhochschulen über die Jahre hinweg finanziert werden können, und wenn wir auch wissen, wie die innere Struktur dieser Bundeswehrhochschulen aussehen soll und wie etwa das Berufungsverfahren gehandhabt werden soll. Wenn Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, auf unsere Zustimmung Wert legen, dann dürfen Sie hier keine vollendeten Tatsachen schaffen, ohne nicht die Karten voll, offen und rechtzeitig auf den Tisch zu legen.
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Einige Bemerkungen über den Haushalt. Es verdient Anerkennung - das sage ich Ihnen ausdrücklich , daß Sie es offensichtlich durchzusetzen vermocht haben, daß der Verteidigungsetat bei den Kürzungen verhältnismäßig glimpflich davongekommen ist. Ganz sicher haben Sie recht mit der Feststellung, daß jeder Verteidigungsminister mit der Kostenschere zu kämpfen hatte und zu kämpfen haben wird. Allerdings ist unverkennbar - lassen Sie mich das auch sagen -, daß die inflationäre Gesamtpolitik dieser Bundesregierung zu diesem Zustand erheblich beigetragen hat.
({47})
Der Anteil der für Beschaffung, Entwicklung und Forschung aufgewendeten Mittel am Gesamtetat hat eine fast unvertretbar niedrige Grenze erreicht.
({48})
Sie kann und darf nicht weiter unterschritten werden. Auf diesem Sektor kann nicht uferlos gestreckt und gestrichen werden, ohne daß das langfristig sehr ernsthafte Auswirkungen auf eben die Kampfkraft unserer Streitkräfte hätte. Hier setzen unsere Bedenken ein. Ich will ganz offen reden. Ich habe den Eindruck, als ob Sie - sicher in guter Absicht - gleichzeitig Maßnahmen und Planungen in Gang setzen, deren finanzielle Folgen noch nicht klar überschaubar sind, die mit Sicherheit hohe, wenn nicht gar zu hohe Folgekosten nach sich ziehen. Sie setzen diese Maßnahmen in Gang, ohne daß die Kosten der Einzelmaßnahmen zu Ende gerechnet sind
und ohne daß eine realistische Gesamtschau aller von Ihnen zusätzlich initiierten Kosten vorliegt.
({49})
Ich denke etwa an die riesigen Kosten gerade auf dem Bildungssektor. Hier fehlen die Berechnungen. Wie hoch werden die tatsächlichen Kosten für Lehrstab, Schüleretat usw. - nicht nur im nächsten Jahr - sein? Rechnen Sie die Folgekosten des Artikelgesetzes dazu, die sicher höher sind, als uns das im Augenblick gesagt wird. Rechnen Sie all das hinzu, was die zusätzlichen Maßnahmen des Weißbuches kosten. Ist das wirklich alles finanzierbar angesichts einer mittelfristigen Finanzplanung, die immer noch nicht vorliegt und von der wir wissen, wie problematisch sie ist. Herr Bundesverteidigungsminister, hier müssen wir eine nüchterne realistische Berechnung aller direkten und indirekten Kosten verlangen. Erst dann wird sich sagen lassen, ob sich all diese Maßnahmen durchführen lassen, ohne daß Kampfkraft und Struktur unserer Streitkräfte leiden.
({50})
Es darf jedenfalls nicht so weit kommen, daß Ihr Nachfolger - wer immer es sein mag - sich der unangenehmen Aufgabe aus-gesetzt sieht, beschlossene Maßnahmen rückgängig machen zu müssen.
({51})
Vom neuen Weißbuch, das wir mit einiger Spannung erwarten, erhoffen wir uns nicht neue Versprechen, sondern eine solide, realistische und finanziell abgesicherte Bestandsaufnahme.
({52})
Ich komme zum Schluß. Bei allem, was uns sonst trennen mag, draußen in der Welt wie drinnen in unserem Volk soll man wissen: Wir sind uns mit Ihnen in dem Bemühen einig, die Bundeswehr verteidigungskräftig zu halten. Wir sind uns mit Ihnen und Sie sind sicher mit uns in der Überzeugung einig, daß die Verteidigung Sache aller demokratischen Parteien ist. Die Bundeswehr ist nicht die Armee einer Partei, sondern die Armee des ganzen Volkes.
({53})
Sie hat - auch hier stelle ich Übereinstimmung fest - einen guten, wenn nicht gar sehr guten Kern. Sie hat ein leistungskräftiges, ein leistungswilliges Unteroffizierkorps und Offizierkorps. Wenn ich einmal hier stellvertretend für alle gerade die Hauptmannsgeneration erwähnen darf, die wir im Augenblick draußen haben, so kann ich nur sagen: mit der können wir uns sehen lassen, vorausgesetzt, wir machen es möglich, daß der Geist, der diese Leute immer noch beseelt, erhalten bleibt.
({54})
So sollte unser einziger Wettstreit der Aufgabe gelten, dieser Bundeswehr in einer schwieriger werdenden Lage die nötigen psychologischen, personellen und materiellen Bedingungen zu geben, derer sie bedarf, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.
({55})
Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort ht der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesminister der Verteidigung, unser Kollege Helmut Schmidt, hat in einer Regierungserklärung die Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland und den Zustand ihrer Streitkräfte geschildert. Er hat verdeutlicht, wie die Regierung Brandt/Scheel ihre Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes verstanden und in politische Praxis umgesetzt hat. Lassen Sie mich aus liberaler Sicht - das dritte Jahr dieser Legislaturperiode geht praktisch heute zu Ende, und es ist gleichzeitig das dritte Jahr dieser sozial-liberalen Regierung im Amt - die Frage untersuchen wie es um die Sicherheit unseres Landes und seiner Bevölkerung bestellt ist.
In seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 betonte Willy Brandt:
Das deutsche Volk braucht den Frieden im vollen Sinne dieses Wortes auch mit den Völkern der Sowjetunion und allen Völkern des europäischen Ostens. Zu einem ehrlichen Versuch der Verständigung sind wir bereit, damit die Folgen des Unheils überwunden werden können, das eine verbrecherische Clique über Europa gebracht hat.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Ist in diesem Hohen Hause jemand, der ehrlicherweise bestreiten kann, daß diese Regierung, daß dieser Kanzler und der Vizekanzler diesen ehrlichen Versuch der Verständigung gemacht und ihn mit aller Konsequenz weit vorangetrieben haben? Ist hier jemand, der ernstlich behaupten kann, unsere Politik der Verständigung und Entspannung, unsere ehrlichen Versuche des Abbaus von Konfrontation und Mißtrauen seien vergeblich gewesen? Kann hier jemand aufstehen und sagen, unserer Bevölkerung drohe infolge dieser Politik mehr Gefahr als in vorhergegangenen Etappen unserer Entwicklung seit 1949?
Wie ist denn die Stimmung draußen im Lande wirklich? Meine politische Arbeit, meine Gespräche und Diskussionen lehren mich ganz uneingeschränkt eines: Mag es an diesem oder jenem Kritik an der Regierung geben, an ihrem unverbrüchlichen Friedenswillen und an der Tatsache, daß ihre Politik diesen Friedenswillen auch widerspruchsfrei verkörpert und folglich Gefahren und Bedrohungen verhindert, wird nicht gezweifelt.
Unser Volk weiß und spürt, und unsere Nachbarn rundherum wissen es auch, unsere Sicherheit beruht nicht auf der Haltung eines Bremsers der internationalen Entspannung, sie beruht schon gar nicht auf der Haltung eines letzten Don Quichotte des Kalten Krieges. Sie beruht vielmehr und zunächst und vor allem auf festen, international begründeten politischen Garantien.
Diese sind:
- Feste unverbrückliche Zusammenarbeit im westlichen Verteidigungsbündnis und in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft;
- Abschluß von Gewaltverzichtsverträgen und Herbeiführung eines Modus vivendi, eines durch vertragliche Bestimmungen geregelten Nebeneinanders mit den sozialistischen Ländern, an deren Spitze mit der UdSSR, daneben mit Polen, der Tschechoslowakei und natürlich auch mit der DDR;
- Austrocknung des früheren Krisenherdes Berlin und Verbesserung der Lebens- und Existenzbedingungen der Berliner;
- Sorgfältige Vorbereitung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, wobei nach unserer Meinung eines der Zentralthemen die sogenannte MBFR sein muß.
Diese gesamte Politik befindet sich im zügigen Vollzug. Sie ist im Rahmen unserer Bündnisverpflichtungen voll integriert. Enger und harmonischer als gegenwärtig war noch keine Außen- und Sicherheitspolitik mit unseren Bündnispartnern abgestimmt; und dies nicht nur deshalb, weil die Partner es so wünschen, sondern vor allem deshalb, weil wir selbst es wollen, weil die Regierung Brandt/ Scheel das will. Die Regierung will das, weil es den elementaren Interessen unseres Volkes entspricht.
Ich möchte mich hier nicht mit innenpolitischen Problemen auseinandersetzen. An diese Stelle meiner Darlegungen gehört jedoch notwendig der Hinweis, daß die erfolgreichen Initiativen des Bundesinnenministers, meines Freundes Hans-Dietrich Genscher,
({0})
zur Hebung der inneren Sicherheit bei voller Wahrung aller Gebote und Erfordernisse der rechtsstaatlichen Ordnung fugenlos mit der Außen- und Sicherheitspolitik dieser Regierung zusammenpassen.
({1})
Was dieser Außenminister, dieser Verteidigungsminister und dieser Innenminister für die Gewährleistung der äußeren und inneren Sicherheit des Landes und seiner Bürger in knapp drei Amtsjahren geschaffen haben, das hält jedem Vergleich stand. Dafür danken wir Liberalen - nicht ohne Urheberstolz - dieser Bundesregierung.
({2})
Herr Kollege Kiep, dies sage ich uneingeschränkt: Hier brauchen wir unseren Freund Ertl, wie Sie eben sagten, gar nicht zu erwähnen. Der hat nämlich auf anderen Gebieten so viele Erfolge erzielt, daß er draußen selber für sich sprechen kann.
({3})
Aus dem Gesagten, Herr Kollege Barzel, ziehe ich drei Schlußfolgerungen.
Erstens. Frieden und Sicherheit sind in Europa des Jahres 1972 fester begründet als jemals zuvor seit 1945.
Zweitens. Die Regierungspartnerschaft von Sozialdemokraten und Liberalen und die Ablösung der CDU/CSU aus der Regierungsverantwortung seit
Herbst 1969 waren wesentliche Voraussetzungen zur Durchsetzung dieser Politik für Frieden und Entspannung in Europa.
({4})
Drittens. Die gegenwärtige Opposition, Herr Kollege Haase - und dies hat die Rede des Kollegen Wörner wieder sehr deutlich gezeigt - hat weder außen- noch sicherheitspolitisch eine Alternative. Seien Sie doch ehrlich. Sie bekämpfen die Politik dieser Regierung Brandt/Scheel nicht, weil Sie der Bevölkerung etwas Besseres - mehr Sicherheit, mehr Entspannung, noch zuverlässigeren Frieden - anbieten wollen und können, was Ihr gutes Recht und sogar Ihre Pflicht wäre, sondern Sie, die Opposition, bekämpfen Willy Brandt und Walter Scheel doch, weil Sie an die Macht wollen, weil die Oppositionsbänke Ihnen zu hart und die Prärogativen der Macht Ihnen eben angenehmer erscheinen. Diese Motivation, meine Damen und Herren von der Opposition, mag zulässig sein; in der Leistungsgesellschaft mit demokratischer Verfassung reicht sie indes nicht aus. Wer das Parteiwohl dabei höher stellt als das Gemeinwohl, entwertet seinen Anspruch:
Deshalb haben auch gewisse Sirenenklänge aus gewissen südlichen Landeshauptstädten einen so falschen Klang. Im Gegensatz zu den richtigen Sirenen der Sage muß man aber - und das darf ich Ihnen hier doch einmal ins Stammbuch schreiben den Steuermann der Liberalen nicht am Mast festbinden oder seinen Gefolgsleuten die Ohren mit Wachs verschließen.
Wenn ich mir die gesamte sicherheitspolitische und wehrpolitische Diskussion der letzten zwei, drei Jahre vergegenwärtige, dann kommt zu den drei Schlußfolgerungen, die ich eben anführte, als vierte eine Erkenntnis hinzu, die wir übrigens in allen demokratischen Ländern feststellen, wie ich auch aus den Diskussionen in der WEU und im NATO-Parlament immer wieder bestätigt bekam. Die Bürger dieses Landes scheinen mindestens das zu denken und zu empfinden, was auch die Bürger in unseren Partnerländern denken und empfinden. Sie haben keine Angst. Sie fürchten nicht, wir hätten zuwenig Militär, zuwenig Verteidigungspotential. Viele meinen es eher umgekehrt: wir hätten angesichts der Erfordernisse auf Gebieten wie Bildung, Verkehr, Umwelt und lebenswertes Leben zuviel militärisches Potential, zuviel Verteidigungsausgaben.
Hierzu stelle ich für die Liberalen eindeutig fest: Eine Regierung, egal, wie sie politisch zusammengesetzt ist, muß sich hüten, sich um populärer Augenblickserfolge und vordergründiger Publikumsgunst willen einfach von der Woge der Volksmeinung forttragen zu lassen.
({5})
Auch ist weder in der Bundesrepublik noch gar in Gesamteuropa die heile Welt ausgebrochen; das bestreiten wir gar nicht, das hat niemand von uns gesagt, Herr Barzel. Für Entspannungseuphorie und pazifistische Gefühlsduselei besteht auch nach unserer Meinung keine Veranlassung. Wir Liberalen teilen voll die Auffassung der Bundesregierung, wie Helmut Schmidt sie einprägsam charakterisierte: An dem bewährten Zwillingskonzept der Allianz - Verteidigung u n d Entspannung - ist festzuhalten.
Worauf kam es mir an? Mögen die Diskussionsthemen Haar- und Barttracht, Wehrkundeerlaß, Innere Führung, Kriegsdienstverweigerung, Verkürzung des Grundwehrdienstes, Wehrgerechtigkeit, Zivildienst, Bildungs- und Ausbildungsreform, Personalstruktur der Bundeswehr, Hauptleute 70 usw. usw. Domänen einiger Politiker, Fachleute und Verbände sein, - durch diese Diskussion kommen sich, so meine ich, Bundeswehr und zivile Gesellschaft letztlich näher. Sie lernen sich kennen, sie durchdringen einander mehr als früher. Die Diskussion ist somit nicht nur eine Fehlerdiskussion mit gegenseitigem Sich-Vorrechnen der Sünden, sondern auch eine Diskussion des Sich-Akzeptierens. Darin liegt viel Positives, trotz mancher schmutzigen Wäsche, die hier und da in Sachen Bundeswehr im einzelnen gewaschen wird.
Ich behaupte also, daß diese ganze kontroverse, manchmal quälende Diskussion einfach unerläßlich ist. Machen wir uns doch nichts über die psychologische Verfassung dieser Gesellschaft vor! Als die Bundesrepublik an die Wiederbewaffnung ging und in die NATO aufgenommen wurde, bejahten viele Bürger diese Schritte, die einen aus einer gewissen Russenfurcht, die anderen, weil sie glaubten, den einstweilen tief drinnen versteckten Nationalismus endlich wieder hervorholen und im politischen Alltag anwenden zu können. Spätestens in den sechziger Jahren ließ die Russenfurcht nach, was gewiß nicht etwa eine Folge lästiger propagandistischer Täuschungsmanöver des Kremls war und ist. Sicher machte und macht auch die Politik Moskaus Wandel durch, aber deshalb braucht man sich durchaus nicht sorglos in Sicherheit zu wiegen.
Die nationale psychologische Variante unserer Wiederbewaffnung war von Anfang an in sich widersprüchlich. Während wir nach Westen hin eine Politik des Abbaus nationaler politischer Vorstellungen teilweise enthusiastisch betrieben, verstärkten wir gegenüber den sozialistischen Ländern Osteuropas die Politik des Appells an nationale Emotionen, ganz zu schweigen davon, wie wir uns drehten und wanden, um das Problem unserer nationalen Spaltung wehrpsychologisch in den Griff zu bekommen. Die Kollegen, die in ihren Wehrübungen die Gelegenheit hatten, mit den Soldaten draußen zu diskutieren, wissen, wie schwierig es war, dieses Problem innerhalb der Bundeswehr darzustellen.
Immerhin, in einer Phase des kalten Krieges, der Chruschtschow-Ultimaten und des Mauerbaus ließen sich diese Widersprüche überdecken. Man mußte nur immer wieder feststellen: „Die Lage ist noch nie so ernst gewesen!" So wurden immer neue Fiktionen genährt. Folge: Zwischen dem „Geist der Truppe" und den Empfindungen des zivilen Teils der Gesellschaft entstand eine Kluft, die es vor
allem ganz radikalen Kräften von links und rechts geradezu anbot, sich anzusiedeln und sich weit über ihre zahlenmäßige Bedeutung hinaus breit und wichtig zu machen.
Wenn diese Regierung nunmehr statt mit Fiktionen und der Fuchtel der Angst eine Politik mit Realismus und Augenmaß macht, dann müssen natürlich als Konsequenz dieses Wandels einige Tabus gebrochen und einige Lehren gezogen werden, an denen man sich seit 1945 zunächst vorbeimanövrieren zu können glaubte.
Wir Liberalen weigern uns, zu früheren Verdrängungen und Fehlern zurückzukehren, nur weil sich der Verteidigungsetat mit der Angst der Bürger leichter begründen oder erhöhen und weil sich angesichts des vermeintlichen Weißen im Auge des Feindes die Diskussion mit den Radikalen von der hohen Warte des Kenners der feindlichen Streitkräftezahlen so bequem führen läßt. Willy Brandt hat doch den Nobelpreis nicht für eine Politik „Adenauer'scher als Adenauer" erhalten. Die Verleiher wollten eine politische Haltung ermutigen und würdigen, die in der Bundesrepublik noch nicht Allgemeingut ist.
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Diese Haltung veranlaßt uns Freie Demokraten z. B. in der Frage der Wehrpsychologie zu dem Versuch, in der Diskussion nach vorn durchzustoßen. Das ist gewiß schwer, doppelt schwer in unserem Volk mit seiner Geschichte und seinem 1945. Wir sind indes überzeugt, eine Chance zu haben.
Mein damaliger Kollege, Fritz-Rudolf Schultz und ich haben hier im Plenum - das wissen Sie schon sehr früh das Thema „Bundeswehr und Schule" angesprochen. Der Bundeskanzler hat dann im November 1970 in einem Brief an den damaligen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz festgestellt, daß „Fragen der Verteidigung im Rahmen der Friedenssicherung im Sozialkundeunterricht und in den Lehrbüchern in den einzelnen Ländern unterschiedlich, teilweise auch unzureichend behandelt werden." Vor reichlich einem Jahr, am 26. März 1971, schilderte der Kanzler vor diesem Hohen Hause die Besorgnisse der Bundesregierung „über die innere Abwendung eines Teils der heranwachsenden Generation von den Pflichten, die ihr von Staat und Gesellschaft abverlangt werden." Mit diesen Äußerungen des Regierungschefs der Bundesrepublik und einem damit zusammenhängenden Briefwechsel zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wurde die Diskussion vorangetrieben und vertieft, die so viel fast schon Verdrängtes wieder heraufruft, die scheinbar so viel Ungemach bereitet.
In Wirklichkeit könnten wir vermutlich die Synthese zwischen deutscher Demokratie und deutschen Streitkräften nicht erzielen, wenn diese unbequeme, scheinbar ziellose, ideologie- und traditionsbeladene Diskussion nicht geführt würde.
Unter anderem hat uns die Außen- und Ostpolitik dieser Koalition und dieser Regierung im Überschneidungsbereich von Demokratie- und Wehrbereitschaft Auseinandersetzungen beschert, deren Wahlwirksamkeit wir vielleicht ungenügend einkalkuliert, deren Tendenz wir aber - weil politisch unausweichlich - gewollt haben. Zugleich hat diese Politik uns jedoch auch eine Atempause - hoffentlich mehr als eine Atempause - verschafft, dieses innergesellschaftliche Ringen um ein demokratisch fest gegründetes deutsches Wehrverständnis zu bestehen, ein Wehrverständnis, das sich nicht mehr aus ideologieüberfrachteten Feindbildern und Werteskalen speist, sondern aus so selbstverständlichen Motiven wie Selbstschutz, Notwehr, Souveränitäts- und Demokratieerhalt.
Der Bundesminister der Verteidigung hat in seiner Erklärung mehr die praktischen Aspekte der Sicherheitspolitik der sozialliberalen Regierungskoalition dargelegt. Die Fraktion der Freien Demokraten trägt nicht nur diese Sicherheitspolitik, sondern sie hat wesentliche Elemente mit erarbeitet und definiert. Ich erinnere nur an die Verkürzung des Grundwehrdienstes, die wir hier nachher beschließen wollen, eine Maßnahme, die nach unserer langjährigen Vorstellung unter bestimmten Voraussetzungen und bei strukturellen Veränderungen weiter fortgeführt werden kann.
Sowohl im außen- wie auch im wehrpolitischen Bereich haben sich unsere sicherheitspolitischen Absichten somit als realistisch, durchführbar und ausbaufähig erwiesen. Wir bestärken die Bundesregierung heute in der Absicht, ihre Sicherheitspolitik fortzusetzen und zu vervollkommnen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich der Gewißheit Ausdruck gebe, daß keine andere politische Kombination in diesem Lande als die gegenwärtige Regierungskoalition die in Gang befindliche Diskussion über unsere Wehrbereitschaft und unser Wehrverständnis politisch bewältigen kann.
({7})
Dazu bedarf es mit Sicherheit eines längeren Zeitraums als des Restes dieser Legislaturperiode.
({8})
Mit meinem Dank an alle Soldaten der Bundeswehr verbinde ich die Versicherung, daß Freie Demokraten sich wie seit 1949 uneingeschränkt mit ihnen für die Verteidigung unserer freiheitlichen Demokratie
({9})
gegen jede Bedrohung von außen oder innen einsetzen und die Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik dieser sozialliberalen Koalition auch in den kommenden Jahren entscheidend mitprägen werden.
({10})
Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buchstaller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Oppositionssprechers war ohne Zweifel außerordentlich bemerkenswert. Wer das Vergnügen hat, Herrn Dr. Wörner auch in anderen Veranstaltungen zu hören, muß dem hinzufügen, daß sie in vielen Passagen sogar überraschend war.
({0})
Der Sache nach war sie ohne politische Alternative zu dem Konzept, das der Bundesverteidigungsminister hier vorgetragen hat. Und um zur Überraschung zu kommen: Dem Ton nach mußte ich empfinden, daß Herr Dr. Wörner zur Kenntnis nimmt, daß weder die überspitzte Polemik einiger Oppositionskollegen gegen Verteidigungsminister Helmut Schmidt noch die stetige Schwarzmalerei über die Verteidigungskraft des westlichen Bündnisses, das Krisengerede über die Bundeswehr und auch nicht der Versuch, der Bundesregierung unzureichende Verteidigungsanstrengungen zu unterstellen, die Tatsache verwischen können, daß mit der Politik der Regierung der sozialliberalen Koalition und des Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt: erstens die Zusammenarbeit im westlichen Verteidigungsbündnis enger und die Verteidigungskraft der NATO effektiver geworden ist, zweitens die finanziellen Anstrengungen der Bundesrepublik für die Verteidigungsaufgaben gewachsen sind und drittens sich die Lage in der Bundeswehr konsolidiert und gefestigt hat.
({1})
Das hat die abgegebene Regierungserklärung ebenso unterstrichen, wie es die heutige zur Abstimmung stehenden Gesetze und die zu behandelnden Vorlagen für den Verteidigungsbereich tun.
Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich einzelne Punkte noch einmal herausstellen und unterstreichen.
Erstens. Während der ehemalige Verteidigungsminister Schröder Anfang 1969 im ersten Weißbuch zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung über die innere Situation des Bündnisses noch feststellen mußte:
In den vergangenen Jahren wurden innerhalb des Bündnisses zentrifugale Tendenzen und Spannungen sichtbar. Das Machtgefälle zwischen den Verbündeten, ihre unterschiedlichen weltpolitischen Interessen und nationalstaatlichen Tendenzen verursachten Divergenzen im Bündnis.
können wir heute mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, daß sich während der vergangenen drei Jahre dieser negative Zustand in eine enge Zusammenarbeit und in eine positive Kooperationsbereitschaft verwandelt hat.
({2})
- Herr Kollege Dr. Schröder, selbstverständlich ist
alles in der Politik im Fluß und bleibt im Fluß. Zur
Zeit jedenfalls kann eine positivere Bilanz gezogen
werden, als sie damals in Ihrem Weißbuch festgestellt werden konnte.
({3})
- Sie meinen mit „Vorsicht" wohl nicht nur mich als den Sprecher der SPD, sondern zugleich auch den Herrn Verteidigungsminister.
({4})
Ich glaube, er ist sich bewußt, daß auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Vorsicht immer mit angeraten ist.
({5})
So konnte in der Euro-Group der NATO am 1. Dezember 1970 festgestellt werden, daß das NATO-Verstärkungsprogramm die zehn europäischen NATO-Partner sicherheitspolitisch einander nähergebracht und militärisch glaubwürdiger gemacht hat. Darüber hinaus wurde durch weitgreifende Devisenausgleichsverhandlungen mit den USA und mit England eine Vereinbarung über die Stationierung ausreichender Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik erzielt. Dies ist ein unerläßlicher Faktor der militärpolitischen Abschreckungsstrategie. Diese Aktivitäten im Bündnisbereich ließen die NATO militärisch effektiver und politisch geschlossener werden. Damit ist das westliche Bündnis nicht nur bereit, sondern auch in der Lage, die möglicherweise weitreichenden Perspektiven einer Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in die Fragen der Truppen- und Rüstungsreduzierung einbezogen sind, vorzubereiten. Diese Strategie des Bündnisses, die Sicherheitspolitik des militärischen Gleichgewichts in die weltweiten Entspannungsbemühungen einzuordnen, ist ein wirksamer Beitrag zur Friedenssicherung.
Zweitens. Seit Jahren wird das Problem der herrschenden Wehrungerechtigkeit leidenschaftlich erörtert. Es ist einfach unerträglich, daß immer nur ein Teil der jungen Männer zur Dienstleistung in den Streitkräften oder zum Ersatzdienst herangezogen wird.
({6})
Schon 1968 hat sich die sogenannte Adorno-Kommission um die Lösung dieses Problems bemüht. Sie ist über Berichte nie hinausgekommen. Es blieb dieser Regierung und diesem Verteidigungsminister vorbehalten, Schlußfolgerungen aus dieser unhaltbaren Situation zu ziehen und konkrete Maßnahmen einzuleiten. Mit dem vorgestern verabschiedeten Zivildienstgesetz und mit dem heute zur Entscheidung anstehenden Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher und ersatzdienstrechtlicher Vorschriften werden endlich die konkreten Grundlagen für mehr Wehrgerechtigkeit geschaffen.
({7})
Ihre Ansicht kenne ich. Dazu möchte ich nicht Stellung nehmen.
({8})
Ebenfalls jahrelang haben die CDU/CSU-Verteidigungsminister ein so leidiges, wenn auch in der Ge11504
samtschau kleines Problem wie das Kantinenwesen ungelöst vor sich hergeschoben. Auch hier wurden erst unter Helmut Schmidt konkrete Maßnahmen eingeleitet.
Auch von der Sorge, daß im staatsbürgerlichen Unterricht in den Schulen die Notwendigkeit der Landesverteidigung nicht ausreichend gewürdigt wird, hat man jahrelang gesprochen, man hat sie jahrelang beklagt.
({9})
Es blieb dem Bundeskanzler dieser sozialliberalen Regierung, Willy Brandt, vorbehalten, sich mit Schreiben vom 19. November 1970 an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz zu wenden
({10})
und sich dafür einzusetzen, daß an den Schulen in den staatsbürgerlichen Unterricht auch Fragen der Verteidigung im Rahmen der Friedenssicherung und der Auftrag und die Stellung der Bundeswehr in unserer Demokratie einbezogen werden.
Drittens. Sorgen um qualifizierte Führer und Unterführer und um eine zeitgemäße Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr begleiten die Bundeswehr seit ihrem Bestehen. Spätestens seit einigen Jahren weiß man, daß dieses Problem nicht mit der Methode, alles beim alten zu belassen, gemeistert werden kann. Gegen den erbitterten, teilweise außerordentlich polemischen Widerstand der Opposition - Herr Kollege Horn kann davon ein Lied singen -, allerdings ohne eine Spur von Gegenkonzeption, wurde vom Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt das Konzept für die Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr entwickelt.
({11})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch? -Bitte!
Herr Kollege Buchstaller, darf ich Sie daran erinnern, daß sich der Verteidigungsausschuß auf Wunsch des Herrn Ministers der Verteidigung und des Parlamentarischen Staatssekretärs seit vielen Monaten mit dieser Frage nicht beschäftigt, weil die Regierung die Prüfung dieses Punktes noch nicht abgeschlossen hat, und daß der Minister soeben angekündigt hat, er werde auf unsere Kleine Anfrage, die wir deshalb gestellt haben, in den nächsten Tagen antworten?
Herr Kollege Dr. Klepsch, Ihnen scheint entgangen zu sein, daß ich davon sprach, daß all diese Vorstellungen vom Bundesminister der Verteidigung in einem Konzept zusammengefaßt sind.
({0})
- Aber Herr Kollege Rommerskirchen, lassen Sie uns doch dieses Plenum nicht in eine Verteidigungsausschußsitzung umfunktionieren!
({1})
Lassen Sie uns doch die Feststellung unterstreichen, daß hier eine Konzeption vorgetragen wurde und daß das Ministerium und wir gehalten sind, dieses Konzept in eine reale Möglichkeit einzubetten und durchzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger wollte ich zum Ausdruck gebracht haben.
({2})
Im übrigen gebe ich Ihnen völlig recht; denn mit diesem Konzept wird ja eine der Forderungen, die der damalige Verteidigungsminister Dr. Schröder ebenfalls aufgestellt hat, der Realisierung nähergebracht. Er hat damals im Weißbuch 1969 formuliert, „die Formen und der Inhalt der Ausbildung, Erziehung und Bildung der Soldaten müßten den sich wandelnden Verhältnissen angepaßt werden". Genau das, Kollege Dr. Schröder, wollen wir, und genau zu dem Punkt ist das Konzept des Bundesverteidigungsministers vorgelegt worden.
Viertens. Die beängstigende Personallage in der Bundeswehr, hauptsächlich im Bereich der Unterführer, hat sich weitgehend normalisiert. Allein im Bereich der Unteroffiziere konnte die Verpflichtungsquote im Vergleich zu 1971 um 71,5 % gesteigert werden. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Quote der längerdienenden Mannschaften um 35,9 %.
Fünftens möchte ich einen Punkt ansprechen, der heute in Ihrer Rede, hochgeschätzter Kollege Dr. Wörner, keine Rolle gespielt hat, aber in der Öffentlichkeit diskutiert wird, nämlich die Frage der Disziplin. Sie haben sie heute nur am Rande erwähnt, in Ihrer ersten großen Rede aber sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Tatsache ist doch, daß, wenn um den Begriff notwendiger militärischer Ordnung gerungen wird, man bei vielen Sprechern - ich unterstelle dies keinem unserer Kollegen - den Eindruck gewinnt, sie möchten mit diesem Begriff die Zuchtvorstellungen der preußischen Armee wieder einführen.
({3})
- Ja, Selbstzucht oder Zuchtvorstellungen. Lesen Sie einmal im Duden nach, was Zucht heißt! Das bedeutet die totale Unterordnung des Menschen, mit der wir in einer modernen Armee nicht mehr das geringste zu tun haben wollen.
({4})
Aber darum geht es bei mir gar nicht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sondern mir geht es darum, daß zwar immer sehr viel von Disziplin gesprochen wurde, daß aber den Mut zu konkreten Maßnahmen erstmals wiederum dieser Verteidigungsminister und die Bundesregierung aufgebracht haben.
({5})
Sie haben die heute zur Abstimmung stehende neue Wehrdisziplinarordnung vorgelegt; das schmort doch schon seit fünf Jahren. Niemand kann behaupten, daß es bei Ihnen zügig behandelt worden sei. Sie haben es nicht behandelt.
({6})
Diese Regierung legt die neuformulierte Wehrdisziplinarordnung zur Abstimmung vor. Das scheint mir das Entscheidende zu sein.
Ein andere Punkt! Einige Kollegen aus der Opposition haben ständig der Öffentlichkeit einzureden versucht, Minister Helmut Schmidt habe sie unzureichend informiert. Wer die Ehre hat, schon länger dem Hause anzugehören, und Abgeordneter in den verschiedenen Episoden und Perioden dieses Parlaments war - von der Oppositionsbank über die Bank der Großen Koalition bis zur jetzigen Koalitionsbank -, der weiß, daß dies einfach nicht zutrifft. Im Zeitraum von 1965 bis 1969 sind dem Ressort des Verteidigungsministeriums 35 Kleine Anfragen gestellt worden. Davon stellte die CDU/CSU 9. Im Zeitraum von November 1969 bis März 1972, also in knapp zweieinhalb Jahren, sind insgesamt 44 Kleine Anfragen gestellt worden; 33, also ein Anteil von drei Vierteln, kamen von der Oppositionsfraktion. Zu diesen Kleinen Anfragen kommen noch zwei Große Anfragen hinzu. Zu diesem Informationsstand trugen die Verteidigungsweißbücher 1970 und 1971/1972, vier Kommissionsberichte und zahlreiche Informationen im Verteidigungsausschuß durch die politische und militärische Leitung des Verteidigungsministeriums bei. Ich behaupte, die Opposition vergangener Jahre ist nie in einen auch nur vergleichbar hohen, ähnlichen Informationsstand versetzt worden und war noch nie so eng in die verteidigungspolitischen Entscheidungsvorgänge einbezogen, wie das heute der Fall ist.
({7})
Die Bundesregierung von Willy Brandt hat in ihrer Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 hauptsächlich acht Reformpakete für die Bundeswehr angekündigt. Neben den Verteidigungsweißbüchern standen u. a. auf dem Programm: 1. Maßnahmen für mehr Wehrgerechtigkeit, 2. Reorganisation des Verteidigungsministeriums, 3. Behebung der Personalmisere und Überprüfung der Personalstruktur, weiter: Neuordnung von Bildung und Ausbildung der Bundeswehr, Verstärkung der Fürsorge für die Truppe, Weiterführung der Inneren Führung, Neuordnung des Rüstungsbereichs, Neuregelung des zivilen Ersatzdienstes. Heute können wir feststellen, daß die in der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt und in den Erklärungen von Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt angekündigten Reformen entweder bereits verwirklicht, zumindest aber eingeleitet sind. Außerdem sind von den Weißbuch-Maßnahmen der größte Teil realisiert und der Rest in Angriff genommen.
Diese Reformen und Einzelmaßnahmen haben zu einer Konsolidierung der Situation in unseren Streitkräften geführt. Die Bundeswehr ist ein schlagkräftiges Instrument im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses. Sie ist für ihren Auftrag, gemeinsam mit den Bündnispartnern den Frieden zu sichern, hervorragend ausgebildet und ausgerüstet. An dieser Bilanz mit ihren positiven Auswirkungen auch für den einzelnen Soldaten in der Truppe kann keiner vorbeisehen und kann keiner vorbeireden.
Angesichts dieser Bilanz nutzt es auch nichts, wenn ständig von Oppositionssprechern Nebenkriegsschauplätze eröffnet werden. Darum lassen Sie mich, Herr Dr. Wörner, nur eine ganz kurze Bemerkung zu einer Passage Ihrer Rede machen. Natürlich ist keine Partei frei von Sorgen wegen des drängenden zum Teil ungestümen Nachwuchses. Das ist in der ganzen Gesellschaft so, das ist in den Parteien so. Natürlich haben auch wir unsere Sorgen damit; die brauchen Sie uns nicht abzunehmen, die machen wir uns selber. Wir werden die Probleme auch selber lösen.
({8})
Aber sprechen Sie doch nicht immer nur und darum möchte ich Sie bitten - von den jungen Leuten, die gegen den Stachel im allgemeinen oder gegen den Stachel der Parteiführung oder der Bundestagsfraktion löcken; reden Sie doch endlich auch einmal von den Hunderttausenden jungen Menschen, die ihre Wehrpflicht ableisten, die ihren Wehrdienst tun!
({9})
Reden Sie von den Zehntausenden, die ihren Ersatzdienst leisten.
({10})
- Herr Dr. Klepsch, nehmen Sie bitte auch dies zur Kenntnis: Von diesen Hunderttausenden jungen Leuten ist ein ganz großer Teil der SPD sehr verbunden, und ein ganz großer Teil dieser jungen Menschen ist Mitglied der Gewerkschaften.
({11})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ganz besonders zu begrüßen, daß der Herr Bundesverteidigungsminister die Aufmerksamkeit dieses Hauses an diesem Schnittpunkt der Entwicklung der Ost-WestBeziehungen erneut auf die entspannungspolitische Funktion der militärischen Verteidigung gelenkt hat. Wir müssen in der Öffentlichkeit den Zusam11506 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
menhang zwischen Sicherheits- und Entspannungspolitik immer wieder aufs neue erläutern, damit sich nicht der Trugschluß einstellt, man könne nun, da der Entspannungsprozeß im Gange sei, die Basis verlassen, auf der er letztlich beruht.
An unmißverständlichen Erklärungen dieses Hohen Hauses, der Bundesregierung und der NATO über die Vereinbarkeit von Verteidigung und Entspannung sowie über die Einbettung der Entspannungspolitik in unsere Bündnispolitik hat es nicht gefehlt. Wir müssen indessen aus diesen Erkenntnissen und Absichtserklärungen auch dann Konsequenzen ziehen, wenn damit persönliche und finanzielle Opfer des einzelnen und der Gemeinschaft verbunden sind. Mit anderen Worten: was als sicherheitspolitische Notwendigkeit erkannt ist, muß auch innen- und finanzpolitisch Geltung haben.
({12})
Das gilt für uns, das gilt für unsere Verbündeten, ohne deren andauernde Bereitschaft zur militärischen Präsenz in der Bundesrepublik Deutschland der Sicherheitsstruktur Mitteleuropas insgesamt der Boden entzogen wäre. Ganz besonders die Anwesenheit der amerikanischen Truppen in Deutschland - darin ist dem Verteidigungsminister in vollem Umfange zuzustimmen - ist unabdingbar für die Aufrechterhaltung des derzeitigen Kräfteverhältnisses in Europa und für die Fähigkeit unserer deutschen Streitkräfte, ihre Rolle im Bündnis weiterhin zu erfüllen.
Die solidarische Entschlossenheit, an diesen Grundlagen unseres außenpolitischen Spielraumes nicht zu rütteln, muß um so größer sein, je mehr wir uns Ost-West-Verhandlungen über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und über gegenseitige Maßnahmen der Rüstungskontrolle nähern. In diesem Stadium dürfen wir selber auf keinen Fall das bestehende militärische Ost-West-Kräfteverhältnis zu unseren Ungunsten verändern.
Wir wollen unsere äußere Sicherheit gewiß nicht nur auf militärische Verteidigungsvorkehrungen gründen. Diese Bundesregierung hat es immer wieder deutlich gemacht und in der praktischen Politik bewiesen, daß sie die politischen Möglichkeiten der Entspannung außerordentlich hoch einschätzt und vorneanstellt. Aber wir können uns keine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vorstellen, bei der militärische Maßnahmen zur Stärkung von Vertrauen und Stabilität ausgeklammert würden.
({13})
Ganz gewiß gehört die damit verbundene angestrebte Verminderung der Gefahren einer militärischen Konfrontation zu den Themen einer KSZE; sonst würde sie ihren Namen sicher nicht zu Recht tragen können. Gleichwohl haben wir guten Grund, die in die Zukunft weisende Art der Zusammenarbeit sehr, sehr ernst zu nehmen, denn sie hat ja nicht in dem ursprünglichen, vor Jahren erstellten Konzept einer solchen Konferenz gelegen.
Von diesem umfassenden politisch-militärischen Sicherheitsbegriff werden sich alle NATO-Staaten
schon bei der Vorbereitung einer solchen Konferenz leiten lassen. Das ist im Bündnis unbestritten. Dieser Sicherheitsbegriff wird auch unsere parallelen Bemühungen prägen, durch MBFR-Verhandlungen stufenweise und langfristig bei unverminderter Sicherheit zu einem niedrigeren Niveau des Umfangs der Streitkräfte in Ost und West zu gelangen. Wir sind mit Geduld gewappnet und auf lange, zähe Verhandlungen vorbereitet.
Schon der Prozeß der Verhandlungen selbst kann Vertrauen bilden. Auch das haben wir in jüngster Zeit erfahren dürfen. Wir sollten auf diesem Weg durch vertrauensbildende Verfahren das Kräfteverhältnis stabilisieren, um so die Ausgangslage für beiderseitige und ausgewogene Streitkräfteverminderungen zu verbessern.
Unabdingbare Voraussetzung - auch das darf ich abschließend bemerken - dafür ist aber das Festhalten an den Grundlagen unserer Sicherheitspolitik in diesem Hohen Hause.
({14})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen zu Punkt 35 liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zu der abgegebenen Regierungserklärung.
Ich rufe Punkt 36 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Verteidigungsausschusses ({15}) über das von der Bundesregierung vorgelegte Weißbuch 1971/72 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr
- Drucksachen VI/2920, VI/3384 - Berichterstatter: Abgeordneter Jung Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir können wohl alle davon ausgehen, daß wir in der allgemeinen Aussprache über die Regierungserklärung den Inhalt dieses Weißbuchs praktisch miterörtert haben. Da weitere Wortmeldungen dazu nicht vorliegen, verweise ich darauf, daß der Ausschuß empfiehlt, das Weißbuch zur Kenntnis zu nehmen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Punkt 36 ist ebenfalls erledigt.
Ich rufe Punkt 37 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher, ersatzdienstrechtlicher und anderer Vorschriften
- Drucksache VI/3011 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3585
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer
b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses ({17})
- Drucksachen VI/3558, zu VI/3558 Berichterstatter: Abgordneter Damm ({18})
Präsident von Hassel
Ich darf den Berichterstattern für ihre Berichte danken und sie fragen, ob sie als Berichterstatter das Wort wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache in der zweiten Beratung und erteile dem Abgeordneten Damm das Wort.
({19})
- Ich nehme das zur Kenntnis. - Herr Abgeordneter Würtz, wollen Sie ebenfalls zur dritten Lesung sprechen?
({20})
Dann liegen keine Wortmeldungen zur zweiten Lesung vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 6 a, 7, 7 a 8, 9 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer in zweiter Lesung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Eine Gegenstimme. Enthaltungen ?- Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung ohne Enthaltungen bei einer Gegenstimme angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
In der dritten Beratung hat der Abgeordnete Damm das Wort erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht im wesentlichen um die Verkürzung des Wehrdienstes auf 15 Monate. Sie haben soeben gesehen: Die Opposition stimmt - bis auf einige Stimmen - diesem Gesetzentwurf zu. Wir haben dafür zwei Gründe: einmal das Ziel mehr Wehrgerechtigkeit und zum zweiten - das muß hier natürlich gesagt werden - die Tatsache, daß wir im Grunde in diesem Hause gar nicht mehr frei sind, was diese Materie angeht.
({0})
Der Minister hat, als er den Gesetzentwurf einbrachte - das war im Herbst des vergangenen Jahres -, in aller Öffentlichkeit gesagt: Diejenigen Wehrpflichtigen, die ab Oktober eingezogen werden, werden nur noch 15 Monate dienen, und wer sich in der Zeit ab 1. Januar dieses Jahres als Zeitfreiwilliger meldet, wird schon etwas von den hohen Prämien haben. Außerdem hat er ja auch angeordnet, daß die Ausbildungsorganisation des Heeres ab 1. Januar 1973 geändert werden soll. Diese Umänderung läuft; man kann sie praktisch gar nicht mehr stoppen. Inzwischen sind bestimmt mehr als 100 000 Wehrpflichtige mit dem Ministerversprechen eingezogen worden, daß sie nur 15 Monate zu dienen haben. Es ist gar nicht vorstellbar, daß wir dieses Ministerwort in diesem Hause nicht honorierten, meine Damen und Herren.
({1})
Dabei kann er von Glück reden, daß dieses Parlament nicht schon vor etwa vier Wochen auseinandergegangen ist und schon aus Zeitgründen gar
nicht mehr über sein Gesetz hätte abgestimmt werden können.
Ich will also sagen, meine Damen und Herren: Hier hat der Minister, seiner persönlichen Natur folgend - wenn die Unterschrift von ihm geleistet ist, dann ist das Thema für ihn vom Tisch -, im Grunde das Haus ein weiteres Mal präjudiziert.
Ich mache keinen Hehl daraus, daß der Hauptgrund für unsere Zustimmung die Tatsache ist, daß wir wie Sie das Ziel „mehr Wehrgerechtigkeit" als ein wichtiges Ziel im Rahmen der Sicherheitspolitik ansehen. Dabei habe ich überhaupt nichts von dem zurückzunehmen, was ich in der ersten Lesung zu diesem Thema gesagt habe. Dieses Gesetz bringt allenfalls die Möglichkeit, von vier Wehrpflichtigen drei einzuziehen. 75 % sind die äußerste Grenze dessen, was wir erreichen werden. Natürlich ist das mehr als 60 %. Ich leugne das nicht; das ist ja der Grund, warum wir dem zustimmen. Nur - machen wir uns nichts vor -: wir behalten ein Problem der Wehrungerechtigkeit, und zwar insbesondere deswegen, weil der Bereich, von dem ich schon in der ersten Lesung gesagt habe, er müsse gleichzeitig ausreichend mitgeregelt werden, nämlich der der Ersatzdienstgerechtigkeit, eben in Wirklichkeit nicht geregelt worden ist. Was Sie vor zwei Tagen hier beschlossen haben, bietet keine Chance, mehr einzuziehen, weil Sie den Schritt nicht gewagt haben, der im Verteidigungsausschuß ja mit Ihrer Zustimmung von uns gefordert und beschlossen worden war,
({2})
nämlich die Möglichkeit, anerkannte Kriegsdienstverweigerer in Diensten für das allgemeine Wohl und nicht nur im sozialen Bereich einzusetzen. Diese Möglichkeit haben Sie hier im Plenum wieder zerstört, meine Damen und Herren.
Für diese nur relative Wehrgerechtigkeit zahlen wir in der Bundeswehr einen hohen Preis. Nicht nur, daß das beträchtliche Kosten vursacht, nicht nur, daß wir Infrastruktur- und Personalschwierigkeiten mehr als bisher haben werden, sondern wir muten der Bundeswehr auch zu, künftig bisher eingeschränkt Taugliche bei ihr Dienst leisten zu lassen - mit all den Schwierigkeiten, die das zusätzlich bringt.
({3})
Ich meine, wir sollten das hier nicht leugnen und deutlich machen, daß uns das klar ist, und nicht so tun, als würde das für die Truppe nicht zusätzliche Schwierigkeiten bringen.
Mein Eindruck ist, meine Damen und Herren, daß der Verteidigungsminister schon, als er die Vorlage einbrachte und diese zusätzlichen Schwierigkeiten für die Bundeswehr in Kauf nahm und nehmen wollte, sich sicher war, daß seine eigene Fraktion und seine eigene Partei zu durchgreifenden Lösungen auf dem Gebiet des Ersatzdienstes weder fähig noch willens sein würden. Das hat sich ja zu unserem Bedauern hier vor zwei Tagen bewahrheitet.
Ich verstehe deshalb, daß das Ministerium begierig aufgriff, was die Opposition im Ausschuß vorschlug 11508
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
- ja, Herr Präsident, wenn ich meinen Satz zu Ende gesprochen habe, gern -, nämlich alles das, was wir hier heute beschließen, nur als einen ersten Schritt zu mehr Wehrgerechtigkeit anzusehen und als einen weiteren Schritt das ins Auge zu fassen und anzusteuern, was die Opposition im Verteidigungsausschuß angeraten hat und was ich auch schon in erster Lesung hier vortragen konnte, nämlich - ich zitiere aus dem Bericht -:
Weitere Schritte, vor allem die als Kriegsdienstverweigerer anerkannten Wehrpflichtigen auch tatsächlich zu einem Ersatzdienst heranzuziehen, sind nötig, um Wehr- bzw. Dienstgerechtigkeit in dem Umfang herzustellen, wie das möglich und notwendig ist.
Herr Präsident, jetzt bin ich gern bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten.
Herr Kollege Damm, wenn Sie für die Wehrgerechtigkeit oder Dienstgerechtigkeit - wie immer wir es nennen wollen - in diesem Sinne sind, wie ist dann Ihr im Verteidigungsausschuß gestellter Antrag zu verstehen, nach dem für Zivildienstleistungen praktisch nur ein Dienst im sozialpflegerischen Bereich vorgesehen war, was im Endeffekt dazu geführt hätte, daß wir unter Umständen nur insgesamt 2500 Plätze hätten zur Verfügung stellen können?
Herr Kollege Biermann, diese Frage ist von Herrn Schlaga an mich schon in der Debatte anläßlich der ersten Lesung gestellt worden. Sie beruht ganz sicher auf einem Mißverständnis. Sonst wäre bei der Beratung des Zivildienstgesetzes im Verteidigungsausschuß ja nicht die von uns vorgeschlagene Formulierung „Dienst am allgemeinen Wohl" einstimmig angenommen worden.
({0})
- Herr Präsident, ich nehme an, es soll noch eine weitere Frage hierzu gestellt werden. Ich möchte mich dazu aber nicht weiter äußern, weil es tatsächlich so war, wie ich es gesagt habe.
Keine weitere Zwischenfrage!
Meine Damen und Herren, es ist gar nicht zu bestreiten, daß z. B. ich persönlich große Bedenken hatte, der Herabsetzung des Grundwehrdienstes auf 15 Monate zuzustimmen. Meine Bedenken lagen insbesondere in der befürchteten Auswirkung auf das Bündnis einerseits und in der Sorge um die Erhaltung der Kampfkraft der Bundeswehr andererseits. Ich muß berichten, daß vor allen Dingen die zuständigen militärischen Fachleute, der Generalinspekteur und die Inspekteure der Teilstreitkräfte, diese Bedenken sowohl schriftlich als auch mündlich ausgeräumt haben. In
einer schriftlichen Stellungnahme des Ministeriums heißt es - Herr Präsident, ich möchte einen Satz daraus zitieren -:
Die Erhaltung der Kampfkraft und Präsenz, in gewissem Umfange sogar deren Verbesserung wird möglich durch eine grundlegende Änderung der Truppenausbildung.
Hier ist also sogar von einer möglichen Verbesserung der Kampfkraft die Rede. Ich kann für meinen Teil nur sagen, daß wir das so zur Kenntnis zu nehmen haben. Wie sollten wir qualifizierter sein, eine Fachfrage zu beurteilen, als die obersten Fachleute selbst? Immerhin - diese Bemerkung ist sicherlich erlaubt - ist es ein wenig verwunderlich, daß sich die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf 15 Monate jetzt sogar in einer Verbesserung der Kampfkraft der Bundeswehr auswirken soll. Anders gefragt: Hätte sich die militärische Führung diese Schritte zu einer Verbesserung der Kampfkraft nicht längst einfallen lassen können, wenn es so auf der Hand lag, daß man den Kampfwert der Bundeswehr so schnell und einfach und auch so stark würde verbessern können?
Man kann es auch noch anders formulieren: Angesichts der notwendigen und vom Bündnis ja einstimmig gewollten ausgewogenen Verringerung der Streitkräfte auf beiden Seiten, also angesichts MBFR sind alle Möglichkeiten qualitativer Verbesserung der Bundeswehr besonders wichtig. Man sollte sie sich - das ist sicherlich ein notwendiger allgemeiner Gesichtspunkt - so lange bewahren wie irgend möglich, damit man in den Verhandlungen mit der anderen Seite überhaupt etwas anzubieten hat. Was diesen Teil betrifft, so haben wir schon ein bißchen aus der Hand gegeben. Darüber kann es gar keinen Streit geben.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch deutlich machen, daß der Generalinspekteur bei allem Optimismus hinsichtlich der nicht nur nicht negativen, sondern möglicherweise positiven Auswirkungen der gesamten Maßnahmen nicht zuletzt auf das Heer in der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses auch Vorbehalte gemacht hat. Er hat von der starken Inanspruchnahme der Verbandsführer gesprochen, die die Umorganisation mit sich bringen würde, hat darauf verwiesen, daß man Erfahrungen werde sammeln müssen, und hat dann - und das ist der wesentliche Satz, den ich gerne zitieren möchte, Herr Präsident - gesagt:
Insgesamt halte ich auch nach Verkürzung des Grundwehrdienstes den Auftrag der Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses für erfüllbar. Voraussetzung für diese Bewertung ist allerdings, daß die flankierenden Maßnahmen zur Gewinnung von mehr Zeitsoldaten wirksam werden, wie im Artikelgesetz vorgesehen.
Mit anderen Worten, hier sagt der Generalinspekteur das gleiche, was etwa die Opposition schon in der ersten Lesung gesagt hat. Die flankierenden Maßnahmen, die der Verteidigungsminister noch vor anderthalb Jahren als Voraussetzung dafür bezeichnet hat, daß man so etwas überhaupt machen könne, sind eben noch nicht erfüllt. Sie haben noch
nicht gegriffen, ob sie greifen werden, ist offen, und insoweit kann ich nur begrüßen, daß der neue Generalinspekteur diesen Vorbehalt gemacht hat, damit wir nachher nicht erstaunt sind, daß es eben doch nicht so eintrifft, wie einige Optimisten auf der Hardthöhe vorausgesagt haben.
Meine Damen und Herren, der Minister hat am Schluß seiner Rede - die ja soeben, wenn ich das richtig verstehe, Herr Schmidt, vom Auswärtigen Amt auch noch abgesegnet worden ist - Herrn Heigert zitiert und hat dafür das allgemeine Verständnis in diesem Hause gefunden, insbesondere auch für die Überschrift des Kommentars, der im März in der „Süddeutschen Zeitung" erschienen war, nämlich „Dienst an diesem Land". Daß das ein Tenor ist, über den eigens ein Leitartikel geschrieben werden muß, den man eigens hier in diesem Parlament besonders unterstreichen muß, zeigt die seltsame Situation, die dieses freiheitlichste Land, das es je auf deutschem Boden gegeben hat, in bezug auf seine eigene junge Generation hat. Wir sind uns alle miteinander einig - Herr Minister, Sie, die Koalition und die Opposition -, daß es gemeinsamer Anstrengungen bedarf, um die Bereitschaft zum Dienen zu stärken - nicht nur zu erhalten, zu stärken. Ich bin sicher, daß das, was die Opposition als weiteren Schritt dazu vorschlägt, insbesondere der Aufbau eines Zivilschutzkorps mit den Möglichkeiten ziviler Dienste, die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß überhaupt alle dienen können. Mir will immer scheinen, die Tatsache, daß wir höchstens etwas mehr als der Hälfte überhaupt die Möglichkeit geben zu dienen, ist ein Grund, warum die Resignation nicht zuletzt unter jungen Leuten in diesem Lande so groß ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Würtz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen gebe ich heute zur Schlußberatung des Artikelgesetzes folgende Erklärung ab:
Ziel des Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher, ersatzdienstrechtlicher und anderer Vorschriften ist die Schaffung von einem Mehr an Wehrgerechtigkeit und das Erreichen einer besseren Wehrstruktur bei Aufrechterhaltung des Einsatz- und Kampfwertes der Bundeswehr. Die Koalitionsfraktionen sind der Auffassung, daß mit dem Ihnen heute zur Verabschiedung vorgelegten Gesetzentwurf, den wir im Verteidigungsausschuß einer eingehenden Beratung unterzogen haben, ein wesentlicher Schritt zur Verminderung der Ungerechtigkeiten bei der Praktizierung der allgemeinen Wehrpflicht in unserem Lande getan wird. In einer Zeit, in der das Bewußtsein unserer jungen Bürger sehr stark vom Prinzip der Gerechtigkeit geprägt ist, kann sich unser demokratisches Gemeinwesen in diesem wichtigen Bereich auf Dauer den Zustand der absoluten Ungerechtigkeit nicht leisten, ohne Schaden zu nehmen. Ich meine hier nicht nur den Verlust der Glaubwürdigkeit. Ich sehe vielmehr den Unwillen, der beispielsweise bei
den eingezogenen Wehrpflichtigen oder Zivildienstpflichtigen entstehen muß, wenn sie bemerken, daß gerade sie zur Dienstleistung bei der Bundeswehr bzw. im Zivildienst herangezogen werden, während nahezu die Hälfte ihrer Schul- und Arbeitskollegen keine Pflichten zu übernehmen hat, und der das Betriebsklima in der Truppe oder beim Zivildienst empfindlich stört.
Ich freue mich, feststellen zu können, daß die vom Sprecher der Opposition noch in der ersten Lesung geäußerte große Skepsis heute einer etwas nüchterneren Betrachtung gewichen ist, und ich sage hier in Klammern: Natürlich verstehe ich, Herr Kollege Damm, daß Sie in Ihrer soeben abgegebenen Erklärung einige schärfere Formulierungen verwenden mußten, damit Ihre bisher eingenommene Haltung verständlich wird. Es erfüllt mich zudem mit Genugtuung, wenn der Kollege Dr. Klepsch für die CDU/ CSU-Fraktion in seiner Erklärung zum Abschluß der Beratungen im Verteidigungsausschuß feststellen konnte, daß wir dieses Gesetz im Ausschuß zufriedenstellend zu Ende bringen konnten, und damit die Zweifel ausgeräumt wurden, die der Sprecher der Opposition hier im Januar vorgetragen hat und in denen wir eine ganze Reihe von, ich würde einmal sagen: polemischen Bemerkungen gegenüber dem Verteidigungsminister spüren mußten.
({0})
- Herr Kollege Dr. Klepsch, ich könnte hier zitieren. Ich habe die Rede da. Darin ist einiges enthalten, was besser fortgefallen wäre.
Das Gesetz sieht die Verkürzung der Wehrdienstzeit von 18 auf 15 Monate vor, um durch eine schnellere Rotation und dadurch erhöhten Personalbedarf künftig möglichst viele wehrdienstfähige Wehrpflichtige zur Bundeswehr oder zu einer vergleichbaren Dienstleistung heranzuziehen. In diesem Zusammenhang war es für die Koalitionsfraktionen von ganz besonderer Bedeutung, die Auffassung der militärischen Sachverständigen zum Problem des Einsatzwertes der Bundeswehr bei einer verkürzten Ausbildung der Wehrpflichtigen zu hören. Sie waren übereinstimmend der Meinung, vom Truppenführer über die Inspekteure der Teilstreitkräfte bis hin zum Generalinspekteur, daß die Bundeswehr unter der Voraussetzung des Wirksamwerdens der mit diesem Gesetz vorgesehenen flankierenden Maßnahmen ihren Auftrag weiter erfüllen könne. Es trifft sicher zu, daß die Umstellung auf 15 Monate Grundwehrdienst Probleme für die Bewältigung der Aufgaben bringt. Aber wir wissen auch - und die im Ausschuß befragten Truppenführer haben dies eindeutig bestätigt -, daß die Bundeswehr auftretende Schwierigkeiten meistern kann und wird. Mehr noch, alle Sachverständigen waren der Auffassung, daß durch eine Straffung und Neuorganisation der Ausbildung erhebliche Vorteile für die Präsenz der Streitkräfte erreicht werden.
Lassen Sie mich noch etwas deutlich aussprechen. Wir können nicht bei jeder Gelegenheit, meist bei Diskussionen um eine gerechte Besoldung oder andere soziale Maßnahmen, die sicher notwendig sind, von der besonderen Situation der in der Bundeswehr Dienst Leistenden sprechen und
umgekehrt immer dann, wenn Belastungen aus übergeordneten gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten notwendig werden, von einer Überforderung der Truppe reden. Das paßt einfach nicht.
Die Einführung einer dreimonatigen Verfügungsbereitschaft nach Ableistung des Grundwehrdienstes ist notwendig, um militärische Nachteile und bündnispolitisch negative Auswirkungen zu vermeiden. Ich darf hier in aller Offenheit hinzufügen, daß die Konsultationen, die wir im Rahmen der NATO vorgenommen haben, frühzeitig begonnen wurden und am 8. September letzten Jahres mit einem für die durch die Bundesregierung vorgesehene Verkürzung der Wehrdienstzeit positiven Ergebnis abgeschlossen wurde.
Die Verkürzung der Dienstzeit von 18 auf 15 Monate wird, wenn wir das Gesetz heute verabschieden, schon für alle die Wehrpflichtigen gelten, die am 1. Oktober 1971 eingezogen wurden und die damit am 1. Januar 1973 aus der Bundeswehr entlassen werden können.
Ich möchte hier eine Anmerkung machen. Wir würden es begrüßen, wenn der Bundesminister der Verteidigung auch diesmal - wie in jedem Jahr -
die Weihnachsdienstbefreiung großzügig handhabte.
Die Fraktionen der FDP und der SPD messen den in dem Gesetzentwurf vorgesehenen flankierenden Maßnahmen, die zu einer größeren Zahl längerdienender Soldaten führen sollen, erhebliche Bedeutung zu. Die Ausbildung von zusätzlich 40 000 bis 50 000 Wehrpflichtigen erfordert zwangsläufig mehr Freiwillige und Längerdienende. Als Maßnahmen sind daher vorgesehen: a) die Einführung einer Mindestdienstzeit von 21 Monaten für Soldaten auf Zeit, b) die Gewährung einer Verpflichtungsprämie für eine Dienstzeit von zwei Jahren, c) die Anhebung der Verpflichtungsprämie für Dienstzeiten von vier und acht Jahren, d) die Wiedereinführung einer Verpflichtungsprämie für die Dienstzeit von zwölf Jahren sowie die Beibehaltung des bisherigen Entlassungsgeldes für einen Grundwehrdienst von bisher 18 und nunmehr 15 Monaten. Diese flankierenden Maßnahmen werden zu einer steigenden Zahl von Längerdienenden führen, wie erste Zahlen es deutlich beweisen und der Herr Verteidigungsminister dies ja eben vorgetragen hat.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah das Inkrafttreten der Verbesserung des Bundesbesoldungsgesetzes rückwirkend zum 1. Januar 1972 vor. Im Verteidigungsausschuß bestand Einigkeit darüber, daß die Änderungen des Bundesbesoldungsgesetzes schon für die Zeitsoldaten wirksam werden sollten, die nach dem 30. September 1971 in die Bundeswehr eingetreten und eine Verpflichtung eingegangen sind. Wir halten diese Regelung für richtig, da seit diesem Zeitpunkt die Wehrpflichtigen nur noch für 15 Monate herangezogen werden.
Gemäß unserem Vorschlag soll erstens die Stellenzulage für Führer und Ausbilder im Außen- und Geländedienst von 50 DM monatlich nicht wie bisher ab dem 19., sondern bereits ab dem 16. Monat der Dienstzeit gezahlt werden. Zweitens soll eine Rückzahlungspflicht der Verpflichtungsprämie für die Zeitsoldaten eingeführt werden, die vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen werden. Drittens sollen die vorgesehenen Verbesserungen des Bundesbesoldungsgesetzes auch für Polizeivollzugsbeamte im Bundesgrenzschutz gelten.
Erhöhte Zahlen von Wehrpflichtigen führen zu einem Mehrbedarf an Unterkunftsplätzen. Die Koalitionsfraktionen erwarten von der Bundesregierung, daß sie durch eine zügige Abwicklung der Zubauten und die Bemühungen um frei werdende Kasernen von NATO-Partnern die vorübergehende Überbelegung recht schnell abbaut. Das hierfür vorgesehene Infrastrukturprogramm muß nach unserer Auffassung Vorrang vor allen anderen baulichen Maßnahmen im Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung haben.
Bei der Regelung der Dauer des Zivildienstes ist nach unserer Auffassung vom Gleichheitsgrundsatz auszugehen. Sicher wird es aus der subjektiven Sicht eines Verbandes sowie der Streitkräfte immer unterschiedliche Bewertungen über eine gleichmäßige Belastung geben. Wir glauben, daß nur die tatsächliche Inanspruchnahme des Wehrdienst- bzw. Zivildienstleistenden objektives Kriterium bei der Beurteilung dieser Frage sein darf. Der Wehrpflichtige leiset 15 Monate Grundwehrdienst, steht dann unter der dreimonatigen Verfügungsbereitschaft und muß im untersten Mannschaftsdienstgrad für eine Gesamtdauer von neun Monaten für Wehrübungen zur Verfügung stehen. In den Ausschußberatungen haben wir nun für § 24 Abs. 1 des Zivildienstgesetzes eine Formulierung gefunden, die am Regierungsentwurf mit dem Vorschlag von 16 Monaten festhält, sich zugleich aber an der durchschnittlichen tatsächlichen Inanspruchnahme wehrdienstleistender Wehrdienstpflichtiger durch Wehrübungen orientiert. Wir haben zudem Sorge getragen, daß die Bestimmung der Dienstzeit Aufgabe des Parlaments bleiben und nicht der Exekutive sein wird.
Wenn auch der von der Opposition während der ersten Lesung in Aussicht gestellte Gesetzentwurf bis heute nicht hier vorliegt, so stellt die von der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß eingebrachte und angenommene Entschließung eine interessante Grundlage für die weitere Diskussion im Verteidigungsausschuß dar, die auch die Bundesregierung sorgfältig und unter korrekter Beachtung des geltenden Verfassungsrechts prüfen sollte. Für die Koalitionsfraktionen rege ich deshalb an: Die Bundesregierung möge nach eingehender Prüfung der im Entschließungsantrag vorgesehenen Lösung in einer angemessenen Frist dem Verteidigungsausschuß das Ergebnis mitteilen.
Zusammenfassend darf ich hervorheben, daß die in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 von Bundeskanzler Willy Brandt angekündigten Anstrengungen, ein Maximum an Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer schaffen zu wollen und dabei Wehrdienstausnahmen und -befreiungen abzubauen, mit diesem von der sozialliberalen Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf ein gutes Stück vorankommen
werden. Die Koalitionsfraktionen werden deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 59 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gebe ich zur Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher, ersatzdienstrechtlicher und anderer Vorschriften - Drucksache VI/3011 - eine schriftliche Erklärung ab. *)
Die Erklärung wird zu Protokoll genommen.
Wir kommen jetzt zur Schlußabstimmung. Wer der Vorlage im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Vorlage ist bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung der Ziff. 2 des Ausschußantrages. Die Bundesregierung wird um Prüfung ersucht, ob die Mindestdienstzeit für Unteroffiziere nach § 27 Abs. 2 Nr. 1 b des Soldatengesetzes auf neun Monate herabgesetzt werden kann. Wer zustimmt, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Ziff. 2 des Ausschußantrages ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 38 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) über den Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
- Drucksachen VI/3232, VI/3499 Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskirchen
Wünscht der Berichterstatter das Wort?
({1})
Das Wort hat der Herr Wehrbeauftragte.
Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Tätigkeitsbericht des Wehrbeauftragten ist bereits wenige Tage nach seiner Vorlage in diesem Hohen Hause von den Sprechern aller drei Fraktionen gewürdigt worden, und ich darf mich deshalb heute bei der abschließenden Beratung darauf beschränken, die wesentlichen Gesichtspunkte noch einmal kurz zu umreißen, die in diesem Jahresbericht - von mir aus gesehen - von Bedeutung gewesen sind.
Einer dieser Punkte war die Frage der Kompetenz des Wehrbeauftragten und seine Amtsführung - insbesondere als Hilfsorgan dieses Parlaments. Für
*) Siehe Anlage 2
diese Frage und die angesprochenen Probleme hat der Verteidigungsausschuß beschlossen, eine Kommission einzusetzen, die mit dem Wehrbeauftragten diese Fragen erörtern soll. Hoffentlich kommt es dazu, daß diese Kommission nach den Parlamentsferien in Tätigkeit treten kann.
({2})
- Vielen Dank. - Denn ich wünsche mir sehr, darüber ein Gespräch führen zu können, was wegen der Zeitknappheit im Ausschuß selber nicht möglich gewesen ist. Ich glaube, das kommt auch einem Mitglied dieses Hohen Hauses entgegen, das - wie heute in einer Zeitung gesagt wird - dazu auffordert, der Bundestag möge sich gegenüber dem Wehrbeauftragten stärker als bisher engagieren und ihn praktisch wohl - wenn ich das aus dieser Meldung entnehmen darf - überwachen.
Allerdings glaube ich nicht, daß es richtig ist, zu sagen, dieses Amt befinde sich in Degeneration und verzapfe ideologischen Krampf, insbesondere in seinem letzten Jahresbericht. Man könnte vielleicht sagen, daß in ihm etwas zuviel Soziologie enthalten ist. Aber es ist so: Seinerzeit, als es darum ging, ob und was meine Kinder studieren sollen, habe ich gesagt: für das Studium der Soziologie werdet ihr von mir nie Geld bekommen; das ist ein brotloser Beruf, das ist ein brotloses Studium. - Nachdem ich inzwischen das Amt des Wehrbeauftragten fast zweieinhalb Jahre ausüben darf, ist, so muß ich sagen, meine Einstellung zur Soziologie auch eine andere geworden. Ich glaube, sie ist eine Wissenschaft, die aus unserer heutigen Zeit einfach als Entscheidungshilfe gar nicht mehr wegzudenken ist.
Nun, im Berichtsjahr 1971 hat es fast 8000 Eingaben gegeben. Es wurden 74 Truppenbesuche des Wehrbeauftragten durchgeführt, und darüber hinaus hatten die Herren Mitarbeiter in meinem Amt zahlreiche Gelegenheiten, sich mit Angehörigen aller Teile der Bundeswehr zu unterhalten, mit ihnen zu sprechen und Kontakte aufzunehmen.
Mit Hilfe dieser Informationsmöglichkeiten sowie auf Grund jener Informationsmöglichkeiten, die man durch die amtlichen Statistiken auch des Verteidigungsministeriums hat, konnte man, glaube ich, schon zu dem Schluß kommen, daß sich im Berichtsjahr in der Bundeswehr zunehmend Schwierigkeiten auf dem Gebiet der militärischen Ordnung und der Disziplin ergeben hatten. Ich habe versucht, die Ursachen und die Gründe, die meiner Ansicht nach diese Entwicklung hervorgerufen haben, im Jahresbericht einigermaßen deutlich darzustellen.
Bei der Berichterstattung und bei der Wertung des Tätigkeitsberichts ist es sicher hier und da zu Überzeichnungen und zu vorschnellen Verallgemeinerungen gekommen. Das liegt aber ohne Zweifel außerhalb meiner Verantwortung. Auf der anderen Seite ist man sich, glaube ich, heute auch darüber im klaren - und es gibt keinen Streit mehr -, daß die Bemerkungen, der Wehrbeauftragte habe die Bundeswehr in eine Krise hineingeredet oder habe
Wehrbeauftragter Schultz
für die Bundeswehr eine Krise herbeigeredet, sicher auch nicht zutreffend waren,
({3})
sondern auch eine momentane Überzeichnung gewesen sind.
Ich habe in meinem Bericht völlig deutlich gemacht, daß die Bundeswehr nicht vor ihrer inneren Auflösung steht. Ich habe vielmehr gerade im Schlußkapitel gesagt, daß die Streitkräfte mit den zahlreichen Schwierigkeiten, die von außen auf sie eindringen, eigentlich verhältnismäßig gut zurechtgekommen sind. Aber man kann dabei natürlich nicht übersehen, daß Infektionen immer in der Luft liegen und daß niemand gegen Infektionen immun ist. Auf solche Erscheinungen hinzuweisen scheint mir die Aufgabe des Wehrbeauftragten zu sein.
({4})
Ich sagte, daß ich mich natürlich auch auf die Unterlagen stützte, die mir aus dem Hause des Bundesverteidigungsministers zugegangen sind. Ich darf in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, daß schon die 17. Kommandeurstagung der Bundeswehr im November des vergangenen Jahres das Thema „Disziplin" sicher nicht zufällig mit in ihre Überlegungen einbezogen hat. Und auch dieses Jahr fand eine Tagung der Generalstabsoffiziere, der Führungsgehilfen, bei der Schule für Innere Führung in Koblenz statt, die sich wiederum mit diesem Thema beschäftigte. Und wenn ich an die Äußerungen des Beauftragten für Erziehung und Bildung beim Generalinspekteur erinnern darf, dann meine ich, daß auch hier durchaus Parallelen zwischen dem dortigen Bericht und meinem festzustellen sind, wobei es natürlich nicht so ist, daß der Wehrbeauftragte nun inzwischen vielleicht Lobbyist für das Bundesverteidigungsministerium in diesem Hohen Hause geworden wäre.
Nun hat die politische und militärische Führung der Bundeswehr gerade in der jüngsten Zeit einige Maßnahmen in diesem Bereich ergriffen. Ich halte es für außerordentlich nützlich und richtig, daß der Erlaß über das Verhalten von Soldaten bei ihrer Entlassung, den es schon immer gegeben hat, neu überarbeitet worden ist. Ich hoffe sehr, daß er die Grundlage dafür gibt, diese unschönen Bilder und diese der Bundeswehr nicht zuträglichen Szenen in Eisenbahnen oder sonstwo, die wir bei jedem Quartalsentlassungstag wieder erleben müssen, zu vermeiden. Ich halte auch den Kommandeursbrief des Herrn Generalinspekteurs vom 16. Mai für eine außerordentlich nützliche Hilfe für die Führer aller Grade in der Bundeswehr, weil er sagt, daß verstärkt auf Haltung und Auftreten der Soldaten zu achten ist und die vorhandenen erzieherischen und notfalls auch disziplinaren Mittel nachdrücklich eingesetzt werden sollen.
Schließlich ist auch das leidige Thema der Haar-und Barttracht, das ich hier kaum noch einmal in den Mund zu nehmen wage, durch den neuen Erlaß eigentlich vom Tisch, obwohl es für den Wehrbeauftragten leider doch nicht nicht vom Tisch ist. Aber ich hoffe, daß ich Sie damit nicht wieder belästigen muß. Man muß nun feststellen, daß das
Pendel natürlich nach der anderen Seite ausschlägt und leider schwache Vorgesetzte - solche gibt es natürlich auch unter den vielen guten - diesen Erlaß plötzlich sozusagen als Rettungsanker ansehen, um sich entsprechend durchsetzen zu können. Das ist sicher von dem, was getan werden könnte, das völlig Falsche.
Ich halte die disziplinaren Mittel, die den Führern zur Verfügung stehen, für völlig ausreichend, insbesondere auch dann, wenn die Novelle zur Wehrdisziplinarordnung verabschiedet worden ist, was für heute vorgesehen ist. Diese Mittel reichen völlig aus, die notwendige Disziplin und Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich möchte also dem entgegentreten, daß man nunmehr das Pendel nach der anderen Seite ausschwingen läßt und vielleicht in die Richtung kommt, die Herr Buchstaller vorhin angedeutet hat, daß man sozusagen alte Zucht und Ordnung von vor 100 oder 200 Jahren wiederaufrichten will. Dies ist in unserer Zeit nicht mehr möglich und, wie ich meine, auch nicht nötig. Im Gegenteil, es würde gerade das Zusammenwachsen von Bundeswehr und Bevölkerung nur zu stören geeignet sein. Wir wissen alle - darüber ist schon genug gesprochen worden -, daß Befehl und Gehorsam das tragende Prinzip für die Streitkräfte sein müssen. Aber ich finde, es ist gerade gut, daß in den vergangenen Jahren die Möglichkeit der Diskussion, der Meinungsbildung und der freien Meinungsäußerung sehr stark Eingang in die Streitkräfte gefunden hat.
Selbstverständlich begrüßt es der Wehrbeauftragte, daß die Grundsätze der Inneren Führung in der nächsten Zeit in einer Vorschrift neu gefaßt werden sollen. Ich bin sehr froh, daß es gelungen ist, auch im Hause des Bundesverteidigungsministers, wie dieses Hohe Haus es schon seinerzeit 1969 beschlossen hatte, in dieser Richtung weiter voranzukommen. Ich bin sicher, daß dann, wenn eine solche Vorschrift vorhanden ist, in Zukunft manche Probleme, die noch im Jahresbericht früherer Zeiten behandelt werden mußten, nicht mehr zur Sprache gebracht werden müssen.
Auch heute wurde wieder darüber gesprochen, daß das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform natürlich nur dann funktionieren kann, wenn es den Staatsbürger in Zivil gibt, eine Binsenweisheit, über die wir schon lange gesprochen haben. Ich begrüße deswegen auch alles das, was in der Richtung der Information der Jugend über Probleme der Landesverteidigung im politischen Raum im vergangenen Jahr in Gang gesetzt worden ist.
Die Veränderungen, die in der Bundeswehr stattfinden durch die Verwirklichung der Reformvorhaben, die zum Teil angekündigt sind, zum Teil sich schon in der Verwirklichung befinden, werden natürlich die Bundeswehr und ihre führenden Leute bis hinunter zum Kompaniechef, bis hinunter zum Gruppenführer vor schwierige Probleme und vor schwierige Zeiten stellen. Ich glaube, daß diese Probleme nur dann zu meistern sind, wenn das erkennbare Engagement der Abgeordneten dieses Hauses und der Mitglieder der Bundesregierung, sich mit den Fragen der Bundeswehr zu beschäftigen und auch mit den Leuten draußen zu sprechen, weiWehrbeauftragter Schultz
ter fortgesetzt wird. Daß dies geschieht, daß die Soldaten das Gefühl haben, daß sie erstens ein Teil der Gesellschaft sind und zweitens dieses Haus sich mit großem Interesse ihren Belangen widmet, das möchte ich als Bitte - in diesem Fall nicht als Kontrollorgan, sondern als Sachwalter für die Soldaten - an Sie richten.
({5})
Ich danke dem Herrn Wehrbeauftragten und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rommerskirchen. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 20 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Ihrer Eingangsbemerkung, Herr Wehrbeauftragter, darf ich sagen, daß sich die Kommission, die den Auftrag bekommen hat, die Notwendigkeit einer Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes zu überprüfen, bereits konstituiert hat. Sie hat auch die Beschlüsse gefaßt, die notwendig waren, um die Prüfungsunterlagen zu bekommen; die Aufträge sind erteilt.
Meine Damen und Herren, der Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten ist, wie schon zum Ausdruck gebracht wurde, vor der Überweisung an den Verteidigungsausschuß hier im Plenum - ich darf betonen: zumal von meinem Kollegen Dr. Wörner - ausführlich gewürdigt worden. Es steht fest, daß die ungeschminkte Kennzeichnung der Situation in der Bundeswehr wie das Verhältnis der freien Gesellschaft zu ihr eine außerordentlich brauchbare Grundlage für sachgerechte Erörterungen der aufgezeigten Probleme und für konsequente Folgerungen ist.
Zugleich im Namen meiner Fraktion darf ich dennoch zu einigen Punkten noch einmal kurz Stellung nehmen. Ich muß mit einem Wort an den Herrn Wehrbeauftragten beginnen. Herr Wehrbeauftragter, Sie hatten sicherlich dafür Verständnis, daß wir uns über Ihre eigene Abschwächung Ihrer Verantwortung für den Jahresbericht vor einiger Zeit einfach wundern mußten.
({0})
Sie taten das nach unserer Auffassung insofern, als Sie - wenn es zutrifft, was wir mitgeteilt bekamen - in einer Pressekonferenz erklärten, daß Sie den Bericht zwar verträten, aber ihn nicht gemacht hätten.
({1})
Wir finden, daß diese Betonung schlechterdings nicht notwendig war und daß sie eine Abschwächung bedeuten kann. Weil wir aber, so wie wir Sie kennen, Herr Wehrbeauftragter, nicht unterstellen, daß Sie Angst vor Ihrer eigenen Courage bekommen haben, werden wir all Ihre Feststellungen bei den jeweils gegebenen Anlässen gebührend heranziehen.
In diesem Zusammenhang ist z. B. interessant, daß der Bundesverteidigungsminister in seiner im übrigen recht eingehenden Stellungnahme zum Wehrbeauftragten-Bericht auf eine - so meinen wir außerordentlich bedeutsame und schwerwiegende Feststellung nicht eingegangen ist, die heute schon des öfteren hier Gegenstand der Erörterungen war, aber im Zusammenhang mit dem Wehrbeauftragten-Bericht sicherlich noch einmal hervorgehoben werden sollte. Immerhin stellt der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht auch fest, daß bei Bataillonskommandeuren und Kompaniechefs eine gewisse Trotzhaltung gegenüber der Ostpolitik der Bundesregierung herrsche und daß bei vielen Staatsbürgern im Lande der Eindruck bestehe, es gebe keine äußere Bedrohung mehr, und man deswegen die Notwendigkeit der Bundeswehr in Zweifel ziehe. Wenn Sprecher unserer Fraktion das vor dieser Feststellung sagten, wurde uns das von nicht wenigen Gesundbetern in unserem Staat als unverbesserliche „Kalte-Krieger-Einstellung" schwer verübelt.
({2})
Herr Wehrbeauftragter, wir sind Ihnen dankbar, daß auch Sie es in Verantwortung festhielten.
Sicherlich ist der Wehrbeauftragte in Übereinstimmung mit uns der Auffassung - wozu sonst diese Feststellung? -, daß sich der Bundesverteidigungsminister von niemandem davon abhalten lassen darf, die Maxime vom unabdingbaren Zusammenhang zwischen Sicherheitsvorkehrungen und Entspannungsbemühungen sowohl seinen Soldaten wie der Öffentlichkeit immer neu zu verdeutlichen. Heute hat der Herr Verteidigungsminister selber das dankenswerterweise ja auch betont. Dazu ist und bleibt er auch verpflichtet einerseits auf Grund des Auftrages an die Bundeswehr, mit uneingeschränkter Anstrengung und Zielstrebigkeit zu einer wirksamen Friedenssicherung beizutragen, andererseits in Anbetracht der fortbestehenden ideologischen Bedrohung durch. das kommunistische System bei wachsendem Potential an Angriffswaffen und bei deutlichen Expansionsbemühungen. Mein Kollege Dr. Wörner hat das ausführlich dargelegt. Aber wir meinen, daß es gewiß zur Klarheit unter den Soldaten noch mehr beitragen würde, wenn zwischen den Aussagen ihres Oberbefehlshabers und des Chefs der Bundesregierung auch jeder scheinbare Widerspruch vermieden würde; leider Gottes war nicht selten das Gegenteil der Fall.
Das, was den Soldaten gegenüber gilt, gilt gleichermaßen gegenüber allen Bürgern unseres Staates. Denn es ist dringend vonnöten, sich unablässig um ein vertieftes Verständnis zu bemühen für den unlösbaren Zusammenhang zwischen dem Streben nach dauerhaftem Frieden und der Notwendigkeit von Streitkräften zu seiner Sicherung.
({3})
Das wird doch leider von vielen, die die Segnungen der Freiheit allzu selbstverständlich genießen, nicht klar genug erkannt und nicht eindeutig genug anerkannt.
({4})
Im Hinblick auf das erwähnte Zuordnungsverhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft ist es zu begrüßen, daß der Wehrbeauftragte auch mit seinem Jahresbericht 1971 wie zuvor wieder dazu beiträgt, die nicht selten allzu schiefen Erörterungen
des Integrationsproblems zurechtzurücken. Wer immer von Integration spricht, sollte sich selbst klarmachen, daß sie insofern wesentlich auf den Staat abzielt, als sie das Bemühen aller einzelnen wie aller gesellschaftlichen Gruppen zu sein hat, zu einer höchst möglichen Übereinstimmung im Hinblick auf das Wert- und Normensystem der staatlichen Verfassung und zu entsprechendem Verhalten zu kommen. Die Forderung nach Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft ist insofern korrigierbar, als wir eben feststellen müssen, daß Integration wesentlich auf den Staat abzielt und daß es demgegenüber innerhalb der Gesellschaft auf Kommunikation und Solidarität zwischen den gesellschaftlichen Gruppen ankommt, von denen die Bundeswehr eine ist.
Um das zu verdeutlichen: die Bundeswehr ist als Gesamtkörper, als Institution auftrags- und weisungsgebundener Teil der staatlichen Exekutive mit Kontrolle durch die Legislative. Ihre Funktionstüchtigkeit bedingt die Einhaltung bestimmter Ordnungsund Gestaltungsprinzipien. Ihre Anpassung an die Lebens- und Verhaltensweisen innerhalb der Gesellschaft ist deshalb nur insoweit möglich, als der Auftrag mit höchstmöglicher Effektivität durchführbar bleibt.
Selbst im Hinblick auf die Bundeswehr als Gemeinschaft von Soldaten und insofern als Großgruppe der Gesellschaft macht die Pluralität dieser Gesellschaft mit der Mannigfaltigkeit an Lebensformen und der Vielheit der Auffassungen, mit dem Widerstreit der Anschauungen und entsprechenden Willensbekundungen die Forderung nach Integration in die Gesellschaft, als sei sie eine homogene Größe, auch sehr fragwürdig. Wann immer also die Bundeswehr in Staat und Gesellschaft zur Debatte steht, muß ihr Doppelcharakter genau beachtet werden, wenn Wertungen oder Forderungen nicht an der Sache vorbeitreffen wollen. Was ihren Standort in der Gesellschaft angeht, so darf die sogenannte Integrationsforderung nur darauf abzielen, im gegenseitigen Verständnis für Eigenheiten und Andersartigkeiten der Gruppen und Kräfte einander nicht nur zu tolerieren, sondern im Interesse des Ganzen einander zu Bestleistungen herauszufordern.
Abgesehen davon, daß die Bundeswehr in ihrem instrumentalen Charakter, von dem ich sprach, als konkreter Bestandteil der Friedenspolitik der Bundesregierung wie des Staates die volle Bejahung aller einsichtigen Bürger finden müßte und ihre Existenzberechtigung insofern selbst nicht auszuweisen hat, verdient auch der Beruf des Soldaten volle Anerkennung im Sinne der Gleichwertigkeit mit allen anderen Berufen, in denen hohe und höchste Leistungen in persönlicher und sachlicher Hinsicht gefordert wird. Ich sage das, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil es sehr zu begrüßen ist, daß die im abschließenden Gutachten der zuständigen Kommission des Verteidigungsministers vorgenommene Begründung für die Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr die im ersten Entwurf enthaltene Diskriminierung des Soldatenberufs aufgehoben und dessen Wertung wesentlich korrigiert hat.
({5})
Damit wir nun nicht sofort wieder mißdeutet werden und damit jede unsachgemäße Polemik ausgeschlossen wird, sei festgestellt: wir wollen keine Sonderstellung des Soldaten, aber eine Gleichwertung gegen über anderen Höchstleistungsgruppen.
({6})
Herr Wehrbeauftragter, Ihnen ist dafür zu danken, daß Sie zur Klärung der diesbezüglichen Diskussion nicht unerheblich beigetragen haben.
Im Bericht des Wehrbeauftragten wird erneut auf die Tatsache hingewiesen, daß die Bemühungen um Friedenssicherung und Landesverteidigung innerhalb der politischen Bildung an allen in Betracht kommenden Schulen sowohl im Hinblick auf die Lernenden wie die Lehrenden immer noch zu sehr ausgeklammert werden. Was inzwischen in einigen Bundesländern - wofür wir außerordentlich dankbar sind - im Sinne exakter Information über Ziel, Aufgabe und Organisation entsprechender Staatsleistungen zur Erhaltung des Friedens und zur Sicherung der Freiheit geregelt ist, muß - so meinen wir und fordern wir - dringend Allgemeinordnung in den deutschen Bundesländern werden. Die Begründung für die Berechtigung dieser Forderung liegt ganz unmittelbar in unserer Verfassung selbst. Wenn in ihr die Wehrpflicht der männlichen Staatsbürger normiert ist, sollte es sich eigentlich von selbst verstehen, daß dort, wo den jungen Menschen die Einsichten in die Grundlagen der staatlichen Gemeinschaft vermittelt werden, dieser Sachbereich nicht wegen des Widerspruchs Uneinsichtiger ausgeklammert werden darf.
({7})
Aus aktuellem Anlaß ist in diesem Zusammenhang die Frage aufzuwerfen, ob die Förderung einer Zeitung bzw. Zeitschrift aus öffentlichen Mitteln gerechtfertigt ist, wenn sich in ihr Schreiberlinge offen gegen die verfassungsmäßige Rechtsordnung erklären. Ich greife nicht auf Ladenhüter zurück. Man liest in der Ausgabe Nr. 4 „SMV-Press, Publikationsorgan der Schülermitverwaltung in Nordrhein-Westfalen", Juni 1972, u. a. - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Die meisten Kriegsdienstverweigerer haben den Kampf für eine Veränderung der Gesellschaft, gegen Militarismus, gegen Krieg und Gewalt auf ihre Fahne geschrieben. Diese Ziele sind sicher anerkennenswert; doch wie sollen gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt werden?
Die Kriegsdienstverweigerer - ich zitiere noch verfolgen eine Politik, die in höchstem Maße idealistisch ist und mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Wer gesellschaftliche Veränderungen will,
- und nun kommt der entscheidende Satz muß bemüht sein, sie ohne Gewalt und Opfer herbeizuführen, aber es ist in höchstem Maße borniert, von vornherein den Gebrauch von Gewalt auszuschließen.
({8})
Soweit das Zitat mit dem unverfrorenen Bekenntnis zur Gewaltanwendung, mit dessen Folgen in diesen Tagen sich die ganze Öffentlichkeit und auch wir in diesem Hohen Hause uns auseinanderzusetzen hatten.
({9})
Wenn man sich eingehender mit Publikationen innerhalb der Schüler- und Studentenschaft befaßt, kommt man bald zu der Feststellung, daß das Recht der Kriegsdienstverweigerung in zunehmendem Maße - ich möchte sagen: so zunehmend wie die Zahl der Antragsteller auf Kriegs- bzw., richtiger gesagt, Wehrdienstverweigerung - nicht mehr, wie in Art. 4 GG vorgesehen, aus personaler Gewissensentscheidung in Anspruch genommen, sondern als Instrument zur Durchsetzung ideologischer Gruppenvorstellungen und insofern als politisches Kampfmittel benutzt wird.
Abgesehen davon, daß nicht genug an die Gewissenhaftigkeit und an die Mitverantwortung auch des jungen Menschen für die Erhaltung des konkreten Gemeinwohls appelliert werden kann und sie von allen anderen Verantwortlichen aufgefordert werden müssen, sich nicht manipulieren zu lassen, darf der Mißbrauch, so meinen wir, auf gar keinen Fall geduldet oder gar erleichtert werden.
Dem Herrn Verteidigungsminister bzw. Ihnen, Herr Staatssekretär, wären wir dankbar,
({10})
wenn Sie den zuständigen Ministerkollegen in der Regierung von Nordrhein-Westfalen mit dem konkreten Vorgang, den ich erwähnte, befassen würden, sofern die Mitteilung zutrifft, daß die erwähnte Zeitschrift tatsächlich aus Mitteln des Steuerzahlers gefördert worden ist.
Und nun frage ich mich selbst und frage Sie alle in Anbetracht von gestrigen Ausführungen aus den Reihen der Koalition: Ist das, was ich darstellte, etwa wieder ein unangebrachter Ruf nach Recht und Ordnung? Ich darf in Beantwortung dieser Frage - diese Beantwortung ist nach dem gestrigen Vorfall sicherlich angebracht - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, den Herrn Bundeskanzler zitieren, der am 26. März 1971 in der 111. Sitzung des Deutschen Bundestages u. a. ausführte:
Wir müssen mit Sorge die innere Abwendung eines Teils der heranwachsenden Generation von den Pflichten sehen, die ihnen von Staat und Gesellschaft abverlangt werden. Ich glaube zwar, daß dies eine vorübergehende Erscheinung ist; aber das Ansteigen der Zahl der Militärdienstverweigerer kann die Regierung nicht unbeteiligt lassen. Wir müssen deshalb die Anstrengungen um mehr Wehrgerechtigkeit verstärken und denjenigen entgegentreten, die das unbestrittene Recht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu ganz anderen Zwecken ausnutzen.
Herr Staatssekretär, dürfen wir Sie bitten, zu veranlassen, daß die jungen Leute, die verantwortlich sind für das, was ich soeben darstellte, zur Verantwortung gezogen werden?
Im Hinblick auf eine sinnvolle Neuordnung des Ersatzdienstes - auch das hängt ja ursächlich mit dem Gesagten zusammen - ist es - ich unterstreiche das, was mein Kollege Damm sagte - auch mir und uns unverständlich, daß selbst der Herr Verteidigungsminister und sein Parlamentarischer Staatssekretär für die eingeengten Möglichkeiten zur Ersatzdienstleistung stimmen konnten.
({11})
Wir jedenfalls haben sie in dem Bestreben voll unterstützt, durch ein mögliches Höchstmaß an Dienst-und Leistungsgerechtigkeit das weitverbreitete Ärgernis über die Ungleichheit der Inanspruchnahme zum Dienst an der Allgemeinheit zu beseitigen.
({12})
- Das habe ich eben gesagt, Herr Kollege Klepsch. Es wundert uns, daß hier die rote Karte abgegeben wurde, die nämlich die Ausweitung der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Ersatzdienstplätzen weitgehend eingeschränkt hat.
({13})
Wir vermögen einfach kein Verständnis dafür aufzubringen, wie man uns einerseits das Ja zur Heranziehung sogar eingeschränkt tauglicher Wehrpflichtiger abfordern konnte,
({14})
während man andererseits die Gefahr, auch weiterhin nicht über genügend Einsatzplätze für gesunde Ersatzdienstpflichtige verfügen zu können, nicht nur bestehen läßt, sondern sogar vergrößert hat.
({15})
Auf jeden Fall halten wir fest, daß zutreffenden-falls die Verantwortung bei denen liegt, die im Hinblick auf die von allen verbal als notwendig erachtete Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten unseres Erachtens zu Lasten der Wehrpflichtigen inkonsequent gehandelt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen doch nicht übersehen, daß in den ersten fünf Monaten dieses Jahres die Zahl der Wehrdienstverweigerer schon wieder um 23,8 % gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres zugenommen hat. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen - auch wegen des Sprachgebrauchs von heute morgen -, es muß einfach einmal, so finde ich, um der Klarheit willen festgestellt werden: Wehrdienst wird verweigert, der von den jungen Willigen deswegen geleistet wird, um Kriegsdienst zu verhindern. Das ist der Sachverhalt in diesem Land.
({16})
Es gibt noch eine schwerwiegende Feststellung im Wehrbeauftragtenbericht, auf die weder die schriftliche Stellungnahme des Verteidigungsministers eingeht noch in der Beratung im Verteidigungsausschuß eingegangen wurde, obwohl wir auf sie hingewiesen haben. Der Herr Wehrbeauftragte sagte in seinem Bericht bereits in den Vorbemerkungen wörtlich:
Die großen Reformprojekte der Bundesregierung und des Bundesministers der Verteidigung befanden sich im Berichtsjahr noch im Stadium der Planung und Vorbereitung. In der Truppe haben sich in dieser Hinsicht noch keine konkreten Veränderungen ergeben. Bei meinen Truppenbesuchen konnte ich jedoch wiederholt beobachten, daß die Vorschläge der Kommissionen vielerorts bereits als verbindliche Entscheidungen der Bundesregierung und des Bundesministers der Verteidigung gewertet und aufgefaßt wurden. Das hat gelegentlich zu vermeidbarer Unruhe geführt, da manche Soldaten als feststehende Tatsache ansahen und in ihrer Zukunftsplanung berücksichtigten, was das Stadium der Planung und Vorbereitung noch keineswegs überschritten hatte. Zu diesem Eindruch der Endgültigkeit hat die Aufmachung der Kommissionsberichte nach meinem Eindruck nicht unmaßgeblich beigetragen.
Soweit der Wehrbeauftragte.
({17})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich bin sofort zu Ende. Ich darf nur noch folgendes sagen. Als die Opposition die spektakulär aufgemachten Kommissionsberichte wegen ihres Definitivcharakters kritisierte, als sie das Fehlen der Darstellung oder aber wenigstens der Skizzierung von Realisierungsmöglichkeiten in personeller, infrastruktureller und finanzieller Hinsicht beklagte und bedauerte, daß Erwartungen und Hoffnungen stimuliert wurden, die möglicherweise mehr oder weniger schwer enttäuscht werden müßten, wurde sie nach dem üblichen Verfahren des dialektischen Umkehrschlusses der Krisenmache bezichtigt.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren - Herr Präsident ich darf bald den Schlußsatz sprechen , der Jahresbericht 1971 gäbe Veranlassung, noch auf manches näher einzugehen. Ich handele, Herr Präsident, wenn ich noch eine Minute spreche, wohl auch im Sinne des Herrn Verteidigungsministers. Wir von der CDU/CSU-Fraktion können Ihre Befürchtungen, Herr Wehrbeauftragter, im Hinblick auf den „Pendelschlag" des neuen Haar- und Barttrachterlasses nicht teilen. Es besteht bestenfalls die Möglichkeit, daß der Schwarze Peter jetzt in den Sanitätsdienst abwandert. Ihrer Auffasung stimmen wir jedenfalls nicht zu.
({1})
Dem Herrn Wehrbeauftragten sagen wir mit dem Dank auch weiterhin unsere volle Unterstützung bei der Wahrnehmung des gewiß nicht leichten Auftrages zu.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, FDP-Abgeordnete sind bereit, sich immer einzusetzen, Herr van Delden.
({0})
Uns allen ist die lebhafte und umfangreiche Berichterstattung der Massenmedien über den Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten dieses Hohen Hauses gut in Erinnerung. Wer die Gepflogenheiten der demokratischen Publizistik kennt, versteht, daß nicht jede Zeitung, nicht jeder Rundfunkkommentar sich vollendete Ausgewogenheit zur obersten Richtschnur machten. So entstand hier und da der Eindruck, der Wehrbeauftragte habe ein einseitiges, zu negatives Bild der Bundeswehr gezeichnet. Dieser Eindruck scheint mir schlicht falsch zu sein. Wenn die Institution des Wehrbeauftragten im Sinne der Aufgabenstellung, die wir hier selber konzipiert haben, ihren Wert und Nutzen behalten soll, muß uns an der Nennung konkreter Fakten liegen. Daß daraus ein gewisses, institutionell bedingtes Spannungsverhältnis zum Bundesministerium der Verteidigung resultiert, kann nicht lästige Nebenerscheinung sein, sondern ist gerade das Salz in der Suppe, die wir - das schulden wir, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, als Deutscher Bundestag doch unserer Selbstachtung - nicht unseren Wehrbeauftragten allein auslöffeln lassen sollten. Ich spreche doch wohl eine bare Selbstverständlichkeit aus, wenn ich Fritz-Rudolf Schultz unser aller volle Solidarität bei seiner kritischen Arbeit als einem sozialen Frühwarnsystem der Bundeswehr versichere. Mir scheint es sogar darüber hinaus so zu sein, daß aus der Bundeswehr selbst, gewissermaßen von der Basis her, ebenfalls viel Zustimmung zu den Beispielsammlungen und zu zahlreichen Wertungen des Wehrbeauftragten zu verzeichnen ist.
Jedenfalls scheint sich unser Kontrollorgan, wenn ich auf die bisherige Geschichte zurückblicke, zu festigen und, wie man heute sagt, zu qualifizieren. Das ist eine Entwicklung, die wir nur wünschen können und daher fördern sollten.
Der Wehrbeauftragte beschäftigt sich vorrangig mit den Komplexen der Disziplin in den Streitkräften und der Inneren Führung. Beide Komplexe sind naturgemäß unlösbar miteinander verknüpft.
Das kann man gut an der Frage des eben erwähnten Haar- und Barttrachterlasses erläutern. Führen heißt doch schließlich vor allem Bessermachen und die zu Führenden durch Vorbild überzeugen. Unter diesem Aspekt war der inzwischen überholte Haar- und Barttrachterlaß von 1970/71 ein unklarer Erlaß, der keinen Anhalt für Führungs-, also Überzeugungsarbeit bot. Er bedeutete vielmehr ein Bestreben an, das Problem nach unten weiterzugeben. Damit forderte die oberste Führung von den Einheitsführern mehr als von sich selbst, worin ich unter anderem einen Verstoß gegen Grundregeln der inneren Führung erblicke. Der neue Erlaß hat mit diesen Schwächen aufgeräumt. Das ist zu
begrüßen und hat sicher zu mancher Klärung beigetragen, und zwar nicht nur hinsichtlich der zulässigen Haarlänge, sondern auch in der Hinsicht, was Innere Führung heißt und will.
Ich glaube, wir können im Zusammenhang mit dem Bericht des Wehrbeauftragten feststellen, daß die Bundesregierung nunmehr das Mögliche getan hat und tut, um den inneren Zustand der Streitkräfte zu verbessern. Hierzu gehören die Wehrdisziplinarordnung, die Wehrbeschwerdeordnung und die schon weit gediehene Beratung der neuen Zentralen Dienstvorschrift 10/1 - Innere Führung - sowie andere Maßnahmen. Der Wehrbeauftragte spricht in seinem Jahresbericht 1971 die Forderung nach einer solchen modernen, verständlichen und praxisbezogenen Führungslehre erneut aus. Er gibt damit aus der Sicht seines Amtes einem seit Jahren von der FDP immer wieder vertretenen Anliegen Ausdruck. Das Motiv ist wiederum das elementare Führungsmodell des Bessermachens. Die politische und oberste militärische Führung kann von den Kommandeuren und Einheitsführern, von den Vorgesetzten und Soldaten nur ein Verhalten erwarten, das sie selbst klar und beispielhaft erfüllt, für das sie selbst die unmißverständlichen Normen festsetzt. Die neue ZDv wird in diesem Sinne eine ernste Lücke in der Menschenführung der Streitkräfte unseres Landes schließen.
Lassen Sie mich indes noch auf einen anderen Aspekt dieser Angelegenheit hinweisen. Die Innere Führung wird natürlich nicht schlagartig
durch das bloße Vorhandensein dieser ZDv 10/1 ausgestaltet und verbessert; anders ausgedrückt, es konnte uns nichts an einem möglichst routinemäßigen, raschen, gar geheimen Entstehungsgang der ZDv liegen; erst die breite Diskussion, die Einarbeitung möglichst vieler Meinungen, die Anhörung vieler Gremien, Praktiker, Einheiten usw. sichert den umfassenden erzieherischen Charakter der geplanten Vorschrift. Nicht der perfekte prozedurale Entstehungsgang sollte unser Anliegen sein, obwohl die ZDv gebraucht wird, sondern die breitestmögliche und mehrfache Diskussion und Abstimmung mit so vielen Betroffenen wie möglich.
Hier danke ich Herrn Minister Schmidt, daß er den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses sehr früh Gelegenheit gegeben hat, sich in diesem Sinne einzuschalten, obwohl - frühere Praktiken zeigen das - ihm dies nicht vorgeschrieben war. Ich weiß in diesem Moment auch nicht, ob und wie man eine noch breitere Diskussion organisatorisch machen kann, aber wenn einmal - und dies als Beispiel - an den Schulen mit jungen kritischen Geistern über den Inhalt dieser ZDv diskutiert würde, könnte eine ganz fruchtbare politische Bildungsarbeit entstehen. Vielleicht gibt es Wege, das zu realisieren.
Ich möchte hier nur mit einem Satz auf das eingehen, was Herr Kollege Rommerskirchen am Schluß sagte. Er erhob nämlich einen kleinen Vorwurf, weil der Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Zusammenhang mit dem Ersatzdienst hier im Hohen Hause keine Zustimmung gefunden habe. Herr Kollege Rommerskirchen, vielleicht hätte man das ein bißchen anders formulieren müssen. Ich meine, wir sind alle der gleichen Auffassung, daß wir eine breitere Palette von Diensten anbieten müssen. Vielleicht herrscht hier auch noch eine gewisse Begriffsverwirrung: Zivildienst und ziviler Ersatzdienst. Hier ist ausdrücklich der Dienst gemeint, der für die Kriegsdienstverweigerer gilt. Wenn man also einen solchen Antrag mit der Zielrichtung formuliert, eine breitere Palette für alle anzubieten, die bereit sind, gleich an welcher Stelle, ihren Dienst am Gesamten zu leisten, ihren Pflichten in einer demokratischen Gesellschaft nachzukommen, gleich, wo dies ist, dann sollte man dies hier so vortragen. Ich bin sicher, daß dies die breite Zustimmung dieses Hohen Hauses findet.
({1})
Ich fasse die wichtigsten Lehren aus dem Jahresbericht 1971 zusammen:
1. Aus bald 8000 Eingaben resultierten letzlich zwei Straf- und sieben disziplinarische Verfahren sowie vier Disziplinarstrafen, dagegen 1066 Maßnahmen im Bereich der Fürsorge. Die Bundeswehr ist gesund, sicher gesünder als jeder ähnliche gesellschaftliche Großorganismus.
2. Die Arbeit des Wehrbeauftragten findet unsere volle Billigung; ihr Nutzen und Wert verdient vom Deutschen Bundestag ausdrücklich festgehalten zu werden.
3. Der inneren Führung und dem inneren Zustand der Streitkräfte gilt weiterhin die volle hilfreiche Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages.
4. Die Bundesregierung wird gebeten, die Bundeswehr in die Lage zu versetzen, sich stärker in die öffentliche sicherheits- und wehrpolitische Diskussion einzuschalten und sich selbst offensiver und überzeugender öffentlich darzustellen.
Ich hatte die Ehre, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der Koalitionsfraktionen diese Erklärung zum Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages abzugeben. Ich wäre Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition dankbar, wenn Sie der Quintessenz meiner Ausführungen zustimmen könnten.
({2})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Berkhan.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur zur Diskussion hier Stellung nehmen. Denn das Ressort hatte ausreichend Gelegenheit, sich in einem schriftlichen Bericht zu äußern.
Ich bedauere außerordentlich, Herr Wehrbeauftragter, daß Sie den Eindruck gewonnen haben, der Verteidigungsminister oder seine Organe seien bei der Regelung des Haar-und-Bart-Erlasses mit einem Pendelschlag nun zu weit nach der anderen Seite
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
gerutscht. Ich hatte während dieser Ausführungen in Ihrer Rede Gelegenheit, auf die Tribüne zu schauen. Mir saßen dort ein paar junge Soldaten gegenüber, und ich hatte nicht den Eindruck - die haben leider jetzt den Raum verlassen -, daß die jetzt in preußisch kurzer Haartracht den erlauchten Ausführungen des Wehrbeauftragten lauschten. Dies will weder der Minister noch seine Mitarbeiter, noch der Generalinspekteur. Wir möchten nur, daß sich die Soldaten modischen Gegebenheiten so anpassen, daß sie daneben auch ihren Dienst tun können.
Eine zweite Bemerkung, Herr Kollege Rommerskirchen. Lasten Sie doch bitte dem Verteidigungsminister - Sie sind so lange mit mir in Kontakt, daß Sie wissen, daß ich ein fleißiger Mensch bin - nicht noch Arbeiten an, die woanders erledigt werden müssen! Sie sind mit ausreichend Kollegen im Landtag vertreten, und da sind sicher ein paar Damen und Herren dabei, die sich der Sache annehmen werden. Ich möchte mich über die Sache nicht äußern. Aber der Verteidigungsminister sollte sich auf seine außenpolitischen - bitte sehr, in Anführungszeichen -, verteidigungspolitischen und bundeswehrpolitischen Aufgaben beschränken und sollte daneben in der Landespolitik von Nordrhein-Westfalen eine untergeordnete Rolle spielen.
({0})
- Herr Kollege van Delden, „bei so gravierenden Dingen"? Wenn ich nicht zufällig ein paar Jahre in dem Kuratorium dieser Schülermitverwaltung gewesen wäre, dann würde ich die Sache wahrscheinlich ernster nehmen. Aber Sie müssen sich das mal genau betrachten, was das für ein Verein ist und wieviel Mitglieder der hat. Das ist so ähnlich wie - -; na, lassen wir das.
({1})
Meine Damen und Herren, wird zu diesem Punkt der Tagesordnung noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der Jahresbericht 1971 des Wehrbeauftragten - Drucksache VI/3232 - wird zur Kenntnis genommen.
2. Der Bundestag dankt dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit im Berichtsjahr.
3. Die in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen werden der Bundesregierung zur Prüfung, Erwägung und möglichen Beachtung zur Kenntnis gebracht.
Wer dem zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 39 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts
- Drucksache VI/1834 Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses ({0})
- Drucksache VI/3541 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Abelein ({1})
Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache zur zweiten Beratung. Ich rufe auf in zweiter Beratung: Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - Art. 5, - Art. 5 a, - Art. 6, - Art. 7, - Art. 8, - Art. 9, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort in der allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Abelein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verteidigungsausschuß und die besondere Kommission des -Verteidigungsausschusses, die die Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts vorbereitet haben, haben sich bemüht, in allen wesentlichen Fragen Einmütigkeit zu erzielen. Das ist auch gelungen. In vielen mühsamen Beratungen wurden die zahlreichen Einzelheiten gründlich beraten. Ich verweise hier auf die Drucksache, die Ihnen vorliegt, um dadurch deutlich zu machen, wie viele Stellungnahmen, schriftliche Anhörungen von Sachverständigen wir vorgenommen haben.
Es ist mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle allen Kollegen, besonders denen der Regierungskoalition, für die sachliche Mitarbeit in unserem Ausschuß sehr herzlich zu danken.
({0})
Ich möchte aber auch nicht versäumen, den Damen und Herren der Regierung, besonders den Herren des Bundesverteidigungsausschusses, sehr herzlich für die Unterstützung zu danken, die sie unserer Arbeit geleistet haben. Ohne diese Arbeit wäre es nicht möglich gewesen, die umfangreiche Materie so rasch zu einem guten Ende zu führen.
Für meine Fraktion möchte ich hervorheben, daß wir darum bemüht waren, zusammen mit der Koalition und der Regierung nach so vielen Jahren des vergeblichen Versuchs einer Neugestaltung möglichst rasch die Wehrdisziplinarordnung der Verabschiedung zuzuführen, was heute dann auch gelingen wird. Es ging uns darum, die Wehrdisziplinarordnung den modernen Notwendigkeiten anzupassen, die Führung der Bundeswehr auf allen Ebenen in Stand zu setzen, ihrer schwierigen Verantwortung
bei der Aufrechterhaltung der Disziplin besser gerecht zu werden, als das bisher der Fall war.
Ich möchte es mir entgegen meinen ursprünglichen Absichten jetzt ersparen, auf Einzelheiten des Entwurfs einzugehen. Ich erwähne nur einige Grundprinzipien, eigentlich mehr für die Kollegen, die nicht die Gelegenheit hatten, sich mit dem Entwurf zu beschäftgen, um auf diese Weise klarzustellen, worum es ging.
Es waren zwei große Prinzipien, die uns bei der Neugliederung des Wehrdisziplinarrechts bewegt haben. Einmal wollten wir die Disziplinargewalt stärken. Aber wir wollten auch den Rechtsschutz für den Soldaten verbessern.
Einer der wichtigsten Punkte, der uns in der Diskussion sehr intensiv beschäftigt hat, war der Fragenkomplex der sogenannten Doppelbestrafung. Ich glaube, wir haben hier eine gute Lösung gefunden, nach der eine Doppelbestrafung nur dann vorgenommen werden sollte, wenn angesichts der vorangegangenen strafgerichtlichen Bestrafung und trotz dieser Bestrafung aus Gründen der militärischen Ordnung oder der Ansehenswahrung der Bundeswehr noch zusätzlich eine disziplinare Maßnahme notwendig sein sollte. Dieses „zusätzlich" wird künftig einer besonderen Begründung bedürfen.
Eine Forderung der Truppe ging in Richtung einer Stärkung der Disziplinargewalt. Nach der gegenwärtigen Rechtslage kann z. B. Arrest nur vom Bataillonskommandeur verhängt werden. Künftig wird diese Möglichkeit auch für den Kompaniechef eröffnet werden. Auch der Kompaniechef kann gegen Unteroffiziere und Mannschaften Arrest bis zu sieben Tagen verhängen.
Außerdem haben wir Möglichkeiten der sofortigen Vollstreckbarkeit vorgesehen.
Wir haben eine Reihe von Maßnahmen zur Verstärkung des Rechtsschutzes vorgenommen. Künftig soll bei der Beurteilung eines Disziplinarvergehens nur noch herangezogen werden können, was dem Soldaten vorher an Akten und Schriftstücken eröffnet wurde. Er muß auf seine prozessualen Rechte sehr eingehend hingewiesen werden, insbesondere auf ein Aussageverweigerungsrecht.
Das wollte ich nur ganz kurz in diesem Überblick sagen, um Ihnen an einigen Beispielen darzutun, worum es uns ging: im Prinzip um die Stärkung der Disziplinargewalt, aber auch um die Verbesserung des Rechtsschutzes. Im übrigen verweise ich hier auf die Drucksache, die Ihnen vorliegt.
Ich möchte indessen nicht versäumen, noch darauf hinzuweisen, daß es natürlich ein Irrtum wäre, zu glauben, die Frage der inneren Disziplin der Bundeswehr ließe sich allein mit der Änderung einiger Paragraphen lösen; denn die Ursachen dafür liegen viel tiefer und sind sehr viel ernster zu nehmen.
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages stellte fest, daß die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung gegenwärtig ein Kernproblem der Streitkräfte darstellt. Es ist nicht zu übersehen, daß die Zahl der sogenannten „besonderen Vorkommnisse" seit dem Jahre 1969 von Jahr zu Jahr sprunghaft ansteigt, ohne daß ich damit eine direkte Verbindung zwischen dieser Bundesregierung und diesen Ereignissen herstellen möchte. In letzter Zeit nehmen die „besonderen Vorkommnisse" wie Fahnenflucht, Ungehorsam, Tätlichkeit gegenüber Vorgesetzten, Kameradendiebstähle und Diebstähle von Ausrüstungsgegenständen in einer bedenklichen Weise zu, im übrigen auch die Krankmeldungen vor Übungen, Manövern und Truppenplatzaufenthalten, was mich ein Fragezeichen hinter die Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers setzen läßt, der meinte, in dieser Situation sei die Disziplin gewahrt. Hier besteht ein Widerspruch zu den Ausführungen des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
Angesichts der vorangeschrittenen Zeit möchte ich ganz punktuell auf einige mögliche Ursachen dieser Situation eingehen. Daß die Bundeswehr ein Teil der Gesellschaft ist, ist eigentlich eine pure Selbstverständlichkeit; niemand kann das bestreiten. Man muß sich indessen gegen eine Konzeption der Gesellschaft zur Wehr setzen, die auf ihre Gleichschaltung der Gesellschaft hinausläuft, die beinhaltet, daß alle Bereiche der Gesellschaft unter gleichen Strukturprinzipien zu sehen seien. Denn das stimmt nicht!
({1})
Ich werde noch präzisieren, was ich meine. In engem Zusammenhang damit steht die Frage des Demokratiebegriffes. Wenngleich ich diese Dinge hier gar nicht polemisch behandeln möchte, so gibt es offensichtlich doch einige Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Seiten des Hauses.
({2})
- Ich gehe gleich darauf ein; dort liegt eines der Probleme. - Die Formen der letzten staatlichen Willensbildung für die Leitung des Gesamtstaates in einem demokratisch-parlamentarischen Regierungssystem lassen sich nämlich nicht auf alle Bereiche der Gesellschaft übertragen.
({3})
Eine Armee - etwa in der Bundesrepublik - ist zwar eine demokratische Institution, doch das heißt nicht, daß alle Soldaten an den Führungsentscheidungen beteiligt sein müßten.
({4})
Es gibt auch in einer demokratischen Gesellschaft Bereiche, die nicht durch die Mitbestimmung aller Beteiligten getragen werden, d. h. jede gut funktionierende Armee auch und gerade in einer Demokratie - basiert auf dem Grundsatz der Über- und Unterordnung des Befehls und des Gehorsams sowie der Autorität der Führung.
Ich bin mir darüber im klaren, daß ich damit eigentlich ebenfalls wieder Selbstverständlichkeiten Ausdruck gebe. Dennoch meine ich und habe ich mitunter den Eindruck, daß die gegenwärtige Bundesregierung diese Zusammenhänge klarer herausstellen müßte, als es bisher geschehen ist. Hier sehe ich eine der Ursachen disziplinärer Schwierigkeiten.
Die Aufrechterhaltung - oder besser gesagt: die Wiederherstellung - der Disziplin in der Bundes11520
wehr beginnt mit der Erziehung in der Schule. Ich anerkenne, daß diese Zusammenhänge von der gegenwärtigen Bundesregierung klar gesehen wurden und daß ihnen in einem besonderen Erlaß Ausdruck gegeben wurde. Es muß in der jungen Generation wieder klargestellt werden, daß die Verteidigung unserer Freiheit, die Aufrechterhaltung unserer Sicherheit Inhalt einer wichtigen Bürgerpflicht sind, daß man von diesem Staat nicht nur zu fordern hat, sondern daß der einzelne - und auch der junge Mensch - Leistungen und notfalls Opfer zu erbringen hat. Ich werfe der Bundesregierung gar nicht vor, daß sie diese Zusammenhänge nicht klarstellt. Aber hier handelt es sich um eine Aufgabe auch der politischen Parteien, und mitunter gewinnt man den Eindruck, daß hier im Lager der Regierungskoalition auf den verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Zungen gesprochen wird.
Die Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft ist eine vielverbreitete Forderung. Wir unterstützen sie auch. Nur: das Besondere des Soldatenberufs darf darüber nicht in den Hintergrund gerückt werden. Der Bürger in Uniform, der Soldat, ist nicht eine Art besonderer Zivilist. Ich möchte diese Dinge angesichts der vorangeschrittenen Zeit nicht vertiefen. Aber vom Soldaten wird in gewissen Situationen als Berufspflicht der höchste Einsatz verlangt, den man einem Menschen überhaupt abfordern kann. Das teilt er nicht mit den in normalen, zivilen Berufen Tätigen.
Ich rede hier gar nicht etwa von der preußischen Zuchtrute; denn die wollen wir alle nicht haben. Ich möchte auch das Thema der Haare nicht weiter vertiefen.
({5})
Mir gefällt in diesem Zusammenhang nur eines nicht: lange Haare - kurze Haare; Haarerlaß - Zurücknahme des Haarerlasses; Stärkung der Diskussionsfreudigkeit, Animierung der Kritik - und anschließend Maulkorberlaß. Dieses Hin und Her führt zu einer Verunsicherung der Führung in der Bundeswehr auf den verschiedensten Ebenen. Daher kommt es, daß viele Vorgesetzte sich vor Disziplinareingriffen scheuen und nur noch in schwerwiegenden Fällen eingreifen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß Kameradschaft und Kameraderie zwei völlig verschiedene Dinge sind.
({6})
Es stimmt mich bedenklich, wenn heute festgestellt werden muß, daß sich junge Unteroffiziere weithin im Dienst mit Mannschaften duzen und sich arrangiert haben. Dabei habe ich gegen diese Form der Kommunikation generell überhaupt nichts; nur: es wird in der Bundeswehr festgestellt, daß diejenigen, die das nicht tun, die sich nicht arrangieren, Schwierigkeiten im Dienst haben. Deswegen erlaube ich mir, hier auf eine bedenkliche Entwicklung hinzuweisen.
Hier - und damit komme ich zum Schluß - liegen wichtige Aufgaben der Bundeswehr und der Bundesregierung noch außerhalb einer Novellierung der Wehrdisziplinarordnung vor. Diese Dinge müssen
klargestellt werden; sonst reicht auch die beste Wehrdisziplinarordnung für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Disziplin in der Bundeswehr, die wir alle wünschen, nicht aus.
({7}) Diese Anmerkung wollte ich noch machen.
Im übrigen möchte ich dann den Antrag stellen, der Bundestag wolle beschließen, dem Gesetzentwurf in der Drucksache VI/ 1834, wie er Ihnen vorliegt, in der anliegenden Zusammenstellung anzunehmen und die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Berner-kungen meines Herrn Vorredners veranlassen mich, an ein oder zwei Punkten einen Satz dazu zu sagen. Ich habe es sehr bedauert, daß jemand, der mit einiger fachlicher Präzision zu sprechen sich bemühte und der das auch vorher sorgfältig aufgeschrieben hatte, den Ausdruck „Maulkorberlaß" benutzt hat. Was haben Sie eigentlich damit gemeint, Herr Kollege? Sie können doch wohl nur gemeint haben, daß ich an einer bestimmten Stelle der Entwicklung in einigen Punkten einigen Vorgesetzten in der Bundeswehr ihre gesetzliche Pflichten in Erinnerung gerufen habe. Ich habe jedoch niemandem das Maul verboten, noch einen Maulkorb vorgehalten. Ich habe erinnert - wie Herr Wörner heute, nur etwas früher als er - an Pflichten, an gewisse Gesetzesbefehle im Soldatengesetz. Das Sie den genannten Ausdruck benutzen, finde ich verletzend. Ich finde es verletzend, aber ich sehe an Ihrem Gesicht, daß Sie bereit sind, darüber nachzudenken, ob Sie nicht vielleicht sich von einem Sprachgebrauch, den andere geschaffen haben, haben verleiten lassen.
Sie haben kritisiert, daß es Mannschaften und Unteroffiziere gibt, die sich duzen. Ich verstehe, daß Sie das stört. Ich habe auch schon einmal Kritik von Ihrer Seite erfahren, als im Ausschuß offenbar wurde, daß ich mich mit meinen Staatssekretären duze.
({0})
Gleichwohl, Herr Kollege, ist das nicht ein Punkt, der die Disziplin gefährden muß.
({1})
- Auch unter den Außenministern der Welt ist es üblich, daß sie sich beim Vornamen anreden.
({2})
- Den Generalen würde ich nicht raten, mich zu duzen. Das stimmt.
({3})
- Ich will darüber mittags um halb eins am letzten Tag vor den Ferien keine große philosophische DeBundesminister Schmidt
batte. Ich wollte nur ganz gerne, daß diese Berner-kungen, die alle für das Protokoll und für den späteren Abdruck in irgendwelchen Zeitungen gemacht worden sind, nicht ohne Widerspruch im Protokoll stehen.
({4})
Dann muß ich eine dritte Bemerkung machen dürfen, was den Haarerlaß angeht. Auch der Herr Wehrbeauftragte hat diese seine kaiserliche Werft heute nicht in Ruhe lassen können. Hier ist nicht alles zurückgedreht worden. Auch der erste Haarerlaß, der berühmte, ist uns durch ein Gericht aufgezwungen worden, wie vieles, was ich habe machen müssen, mir durch Gerichte aufgezwungen worden ist. Dann haben wir uns das angeguckt - wir machen ja auch einmal ein falsches Experiment oder eines, das falsch ausgeht - und haben es nicht ganz, sondern zur Hälfte verändert.
({5})
- Nein, das tat er nicht, wirklich nicht.
({6})
Die Gerichtsverfassung hat nämlich dafür gesorgt, daß das Bundesverwaltungsgericht zwei besondere Wehrdienstsenate hat, die nicht, wie das übrige Bundesverwaltungsgericht, in Berlin, sondern in München tätig sind. Sie sind für den Bundesgrenzschutz nicht zuständig. Es ist wirklich so, wie ich gesagt habe.
Wir hätten vielleicht eines tun dürfen, auch das will ich öffentlich einräumen. Wir hätten uns vielleicht vom Gericht erst verurteilen lassen und danach handeln sollen. Wir sind einem drohenden Urteil eilfertig zuvorgekommen und haben eilfertig das gemacht, was die von uns gewollt haben. So ist es wirklich gewesen. Vielleicht hätten wir uns verurteilen lassen sollen - der Staat soll sich ruhig einmal verurteilen lassen - und hätten hinterher die Konsequenzen ziehen müssen. Wir haben uns das diesmal lange angesehen und sind auf einer sehr sorgfältig aufgebauten Erfahrung in der Lage gewesen, eine Veränderung zur hygienischen Vernunft hin vorzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, daß ein Gericht uns erneut in Schwierigkeiten bringt.
Aus den Worten von Herrn Kollegen Abelein und ein bißchen aus den Worten von Herrn Wörner habe ich das Gefühl bekommen, als ob wir diese Sache damals und vielleicht auch diesmal leichtfertig betrieben hätten. Das ist nicht der Fall. Es hat lange Unterhaltungen und Erörterungen darüber gegeben, viel länger, als Sie sich das vielleicht vorstellen.
Trotzdem bin ich dafür, über das Thema Haare den Humor nicht zu verlieren. Ich muß bei dieser Gelegenheit ein öffentliches Bekenntnis ablegen. Da sitzt Herr Kollege Klepsch. Ich habe in den Zeitungen gelesen, mir sei von einer Karnevalsgesellschaft in Aachen ein Orden wider den tierischen Ernst verliehen worden, weil ich etwas über die „German Hair Force" gesagt hätte. Ich habe den Leuten immer gesagt, lieber Herr Klepsch, daß Sie es waren, der das Wort erfunden hat. Aber sie haben darauf bestanden, ich hätte auch sonst Humor bewiesen.
Ich wäre dafür, daß über das Haar-Thema der Humor weiterhin nicht untergeht, Herr Kollege Abelein.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Corterier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte auch ich noch ganz kurz etwas zu dem, was Herr Kollege Abelein am Schluß gesagt hat, bemerken. Ich glaube nicht, Herr Kollege Abelein, daß Sie uns irgendeinen konkreten Anhaltspunkt dafür nennen können, daß wir die Absicht hätten, den von Ihnen dargestellten falschen Demokratiebegriff in die Bundeswehr hineinzutragen. Niemand bei uns hat diese Absicht geäußert.
Zum Wehrkundeerlaß haben Sie gesagt, daß man bei uns oben anders verfahre als unten. Sicherlich ist es richtig, daß es gegen diesen Erlaß eine ganze Reihe von Protesten von Jugendorganisationen gegeben hat. Darunter waren auch die Jungsozialisten, aber sie waren nur eine unter vielen Organisationen. Aber das Entscheidende ist doch, daß die Mitglieder der Bundesregierung und die Mitglieder der Koalitionsfraktionen in dieser Frage eine ganz eindeutige Haltung, nämlich für diesen Erlaß, eingenommen haben und daß sie keinesfalls oben in Bonn anders gesprochen haben als draußen in den Wahlkreisen.
({0})
Zum Haarerlaß hat Bundesminister Schmidt schon das Nötige gesagt. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß Sie diese Frage im falschen Zusammenhang, in der Debatte über die neue Wehrdisziplinarordnung, aufgeworfen haben; denn nach unserer Auffassung ist die Frage der langen Haare weniger eine Frage der Disziplin als der Medizin.
({1})
- Ja, dann müssen Sie eben das Gutachten noch einmal durchlesen; es spricht doch eine sehr eindeutige Sprache.
({2})
Ich möchte im Namen der Koalitionsfraktionen noch ein paar Bemerkungen zu dem uns vorliegenden Entwurf anschließen. Wir meinen, daß dieser Entwurf einer neuen Wehrdisziplinarordnung ein wichtiges Instrument für die Truppenführer zur Aufrechterhaltung der Disziplin in der Bundeswehr werden soll. Keine Armee kann auf ein wirksames Disziplinarrecht verzichten; denn mindestens schwere Verstöße gegen die soldatischen Pflichten gefährden das innere Gefüge der Bundeswehr und können, wenn sie überhandnehmen, sogar die Einsatzbereitschaft der Truppe in Frage stellen. Das Disziplinarrecht als Erziehungsmittel in der Hand des Disziplinarvorgesetzten muß allerdings auch den Erfordernissen unserer Zeit entsprechen. Nur dann kann man erwarten, daß der mit einer Disziplinarmaßnahme erstrebte erzieherische Zweck auch erreicht wird.
Diesem Anliegen dient der heute zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf. Er berücksichtigt die seit der letzten Novellierung der Wehrdisziplinarordnung im Jahre 1961 auf den Gebieten des Strafrechts, des Strafprozeßrechts und des Beamtenrechts eingetretenen Änderungen und will gleichzeitig die bei der praktischen Handhabung des Gesetzes durch die Truppe aufgetretenen Schwierigkeiten beseitigen.
Es ist besonders zu begrüßen, daß bei dieser Novelle auch die Erfahrungen und Wünsche der Disziplinarvorgesetzten berücksichtigt wurden und daß im Rahmen der kritischen Bestandsaufnahme der Bundeswehr Fragen des Disziplinarrechts einen breiten Raum eingenommen haben.
Dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf konnte daher der Verteidigungsausschuß in der Grundkonzeption zustimmen. Nur in einigen Punkten sind allerdings, wie ich meine, nicht unwichtige Ergänzungen und Verbesserungen vorgenommen worden. Herr Kollege Abelein hat Ihnen hier und in seinem Schriftlichen Bericht die wesentlichen Linien des Entwurfs schon dargelegt. Ich will daher nur noch ganz kurz auf einige Einzelpunkte, die mir besonders wichtig erscheinen, eingehen.
Eine der wichtigsten und teilweise auch umstrittenen, jedenfalls in der Vergangenheit umstrittenen Vorschriften des Entwurfs ist die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Strafrecht und Disziplinarrecht, d. h. die Regelung der Frage, in welchen Fällen trotz einer strafgerichtlichen Bestrafung noch zusätzlich eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden darf. Zu diesem Problemkreis gibt es eine eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die als Grundlage für die hier von uns zu treffende Regelung herangezogen werden mußte. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß in derselben Sache eine strafgerichtliche Strafe und eine Disziplinarmaßnahme nebeneinander verhängt werden können. Nur im Bereich der Freiheitsentziehung muß eine gegenseitige Anrechnung bei der Vollstreckung erfolgen. An diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen orientiert sich der uns heute vorliegende Entwurf.
Es liegt auf der Hand, daß die schweren gerichtlichen Disziplinarmaßnahmen der Dienstgradherabsetzung und der Dienstentfernung nicht aufgegeben werden konnten. Das gleiche gilt auch für das neu eingeführte Beförderungsverbot, das an die Stelle der wegfallenden Laufbahnstrafen, der Versagung des Aufsteigens im Gehalt und der Herabstufung in eine niedrigere Dienstaltersstufe treten soll; denn in diesen Fällen stellt die strafbare Handlung zugleich einen schweren Verstoß gegen die soldatischen Pflichten dar, der dienstrechtlich nicht ignoriert werden kann. Aber auch im Bereich der einfachen Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Gehaltskürzung sind Fälle denkbar, in denen aus Gründen der Disziplin und der militärischen Ordnung eine zusätzliche disziplinare Reaktion unerläßlich ist. Das Gesetz bestimmt daher, daß auch bei vorausgegangener strafgerichtlicher Bestrafung die Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme oder einer Gehaltskürzung zulässig ist. Durch die in § 6 a des Entwurfs gewählte Formulierung, daß die Verhängung solcher Maßnahmen nur zulässig sein soll, „wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um die militärische Ordnung aufrechtzuerhalten, oder wenn das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt ist", wird deutlich gemacht, daß Disziplinarmaßnahmen in diesem Bereich keineswegs immer erforderlich sind, sondern nur in den Fällen verhängt werden sollen und dürfen, in denen dies unbedingt notwendig ist.
Eine weitere wichtige Neuerung besteht darin, daß das außerdienstliche Fehlverhalten eines Soldaten einer disziplinaren Bewertung jetzt weitgehend entzogen werden soll. Die jetzige Fassung des Soldatengesetzes, wonach der Soldat sein Verhalten auch außer Dienst so einzurichten hat, daß es dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Dienst als Soldat erfordert, kann allzu weit in die Privatsphäre des Soldaten hineinwirken. Dies läßt sich in der heutigen Zeit in dieser allgemeinen Form nicht mehr vertreten. Eine Disziplinierung des Soldaten für außerdienstliches Fehlverhalten muß vielmehr auf diejenigen Fälle beschränkt werden, bei denen durch den Pflichtenverstoß der dienstliche Bereich erheblich berührt worden ist. Dies kann nur bei schweren Pflichtverletzungen der Fall sein. Der Entwurf trägt dem durch eine Änderung des § 17 des Soldatengesetzes Rechnung. Künftig wird ein Dienstvergehen außer Dienst nur dann noch vorliegen, wenn das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt ist.
Ein Wort noch zur Frage der unerlaubten Abwesenheit von der Truppe. Die zahlreichen Fälle von unerlaubter Abwesenheit, die es in letzter Zeit gegeben hat, bereiten der Bundeswehr zunehmend Sorge. Der Ausschuß sah sich daher veranlaßt, dem Disziplinarvorgesetzten neue disziplinare Mittel in die Hand zu geben, damit er diesen Pflichtverstößen wirksam entgegentreten kann. Der federführende Verteidigungsausschuß empfiehlt deshalb eine Erweiterung des Katalogs der einfachen Disziplinarmaßnahmen. Gegen Soldaten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernen, soll künftig der Disziplinarvorgesetzte neben Arrest oder neben einer Ausgangsbeschränkung zusätzlich noch eine Disziplinarbuße verhängen können.
Ein weiteres und, wie ich meine, besonders wichtiges Anliegen des Entwurfs besteht darin, die Rechtsstellung des beschuldigten Soldaten im Disziplinarverfahren zu verbessern. Insoweit möchte ich nur noch auf folgende, wie ich meine, wichtige Regelungen des Entwurfs hinweisen. Hat ein Soldat aus Gründen der Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung einen gegen ihn verhängten Disziplinararrest sofort verbüßen müssen und wird diese Disziplinarmaßnahme nachträglich im Beschwerdeverfahren ganz oder teilweise aufgehoben, soll er nun - zum erstenmal - für die zu Unrecht verbüßte Strafe eine Entschädigung erhalten.
Auch die Stellung des Soldaten im Ermittlungsverfahren ist erheblich gestärkt worden. Ihm ist, wie im Strafverfahren, bei Beginn der ersten Vernehmung bereits zu eröffnen, welche PflichtverletCorterier
zungen ihm zur Last gelegt werden. Gleichzeitig ist er darauf hinzuweisen, daß es ihm freistehe, sich zur Sache zu äußern oder die Aussage zu verweigern. Der Ausschuß hielt es für erforderlich, diese bisher nur durch Erlaß geregelte Belehrungspflicht in das Gesetz selbst aufzunehmen.
Auch gegenüber Maßnahmen der Einleitungsbehörde, die für den Soldaten besonders einschneidend sind, wie z. B. die Einbehaltung seiner Übergangsbeihilfe, ist sein Rechtsschutz erweitert worden. Während er nach geltendem Recht diese Maßnahme nicht gerichtlich nachprüfen lassen konnte, sieht der Entwurf nunmehr in diesen Fällen ein besonderes gerichtliches Antragsverfahren vor.
In diesem Zusammenhang möchte ich zum Schluß noch ein Wort über die Rechtsstellung des Vertrauensmannes sagen. Seine Befugnisse sollen nach dem Entwurf erweitert werden. Während der Vertrauensmann nach geltendem Recht nur zur Person des beschuldigten Soldaten zu hören ist, soll er künftig auch zum Sachverhalt des Dienstvergehens gehört werden. Damit wird er mehr als bisher Gelegenheit erhalten, seine Vorstellungen über die Person des beschuldigten Soldaten und die Beweggründe für dessen Fehlverhalten dem Disziplinarvorgesetzten vorzutragen. Der Entwurf enthält somit, insgesamt gesehen, wie ich meine, ein fortschrittliches Disziplinarrecht, das einerseits die Belange der Truppe berücksichtigt, andererseits aber auch den Soldaten mit allen notwendigen Rechtsgarantien ausstattet. Der Truppe wird ein differenziertes und den praktischen Bedürfnissen besser angepaßtes System von Disziplinarmaßnahmen zur Verfügung gestellt, während gleichzeitig der Rechtsschutz für die Soldaten grundlegend verbessert worden ist.
Die Koalitionsfraktionen empfehlen daher die Annahme dieses Gesetzentwurfs. Mit ihm wird gleichzeitig eine bereits im Weißbuch 1970 angekündigte vordringliche Reform auf dem Gebiet des militärischen Disziplinarrechts verwirklicht.
({3})
Wird zu diesem Punkt der Tagesordnung noch das Wort gewünscht? - Wünschen Sie das Wort, Herr Abelein? - Dann haben Sie das Wort.
Herr Minister, ich möchte mich hier nicht entschuldigen, aber ich möchte einige Dinge klarstellen.
Ich habe an einigen Beispielen aufgezeigt, daß mir bei wichtigen oder auch weniger wichtigen Dingen ein Vor und Zurück bei Erlassen als eine problematische Haltung der Führung der Bundeswehr erscheint. Das Wort „Maulkorberlaß" habe ich eigentlich gar nicht so verstanden, wie Sie es aufgefaßt haben. Sicher lag mir nicht daran, Sie zu verletzten, auch wenn ich Sie nicht immer als den Allerzimperlichsten in Erinnerung habe.
({0})
Ich habe hier eine Rede von etwa 40 Minuten auf 15 Minuten gekürzt. Ich habe gewisse Stichworte herausgenommen. So kam das. In der Sache bleibt es von meiner Seite aus so, wie ich es gesagt habe.
In einem Punkt, Herr Minister, bin ich allerdings ein bißchen bedenklich geworden: Sie haben die Ebene Minister - Staatssekretär auf die Ebene Unteroffizier - Rekrut, Soldat übertragen. Ich nehme an, daß die Staatssekretäre nicht in diesem Ausbildungsverhältnis bei Ihnen stehen.
({1})
Aber unabhängig davon: mir geht es nicht um die Form allein. Ich meine vielmehr feststellen zu können, daß auf der unteren Führungsebene eine Tendenz besteht, sich mangels der Gewißheit, bei gewissen Disziplinarmaßnahmen von oben abgedeckt zu werden, nach unten zu arrangieren. Was ich hier aufgezeigt habe, waren nur die äußeren Formen dieser Tendenz. Sie gestatten mir die Anmerkung, daß ich hier eine gewisse Tendenz in Richtung auf Aushöhlung der Disziplin sehe. Mehr wollte ich dazu nicht sagen.
Haare hin - Haare her! Ich möchte dieses Thema wirklich nicht vertiefen. Leider komme ich nun doch noch einmal darauf zu sprechen, weil Sie die Frage mit dem Humor angeschnitten haben und mir dazu noch etwas einfiel, was ich in einer Zeitung gelesen habe. Dieser medizinische Grund, den Herr Corterier angesprochen hat, erinnert mich an den Choral: „Ich habe nun den Grund gefunden."
({2})
Da gibt es natürlich noch andere Gründe. Um dieses Thema noch etwas zu erweitern - da die Frage der Länge nun erneut eine Rolle spielt -, möchte ich sagen: vielleicht läßt sich einmal darüber nachdenken, ob man nicht eine Fachoffizierslaufbahn für Friseure einführt.
({3})
Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Abelein, für den Versuch der Andeutung einer Klarstellung in dem Punkt, der mich das zweite Mal hierhergeführt hat, will ich Ihnen Dank sagen. Ich will zweitens auch Dank dafür sagen, daß Sie Ihre vorige Intervention auf 15 Minuten gekürzt haben.
({0})
Keine Wortmeldungen mehr? - Dann kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im Ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich habe noch über die Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen zu lassen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt Izu erklären. - Das Haus stimmt zu.
Vizepräsident Dr. Schmid
Punkt 56 der Tagesordnung:
a) Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses ({0}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schlei
b) Beratung der Sammelübersicht 39 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 31. Mai 1972 eingegangenen Petitionen
- Drucksache VI/3502 -
c) Beratung der Sammelübersicht 40 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache VI/3555 Das Wort zur Berichterstattung hat die Abgeordnete Frau Schlei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 6. Wahlperiode ist die Zahl der Petitionen, die in der 5. Wahlperiode zurückgegangen war, wieder angestiegen. Bis jetzt sind 20 138 Eingaben eingegangen. Das ist fast so viel wie in der gesamten 5. Wahlperiode.
Die in der Sammelübersicht 39 auf der Drucksache VI/3502 angefügte systematische Übersicht zeigt deutlich die Mühe und Belastung der Mitglieder des Ausschusses und der stets hilfsbereiten Mitarbeiter im Ausschußbüro. Unsere Arbeit wird leider dadurch erschwert, daß die notwendige Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses immer noch nicht durchgesetzt werden konnte.
Nach wie vor beziehen sich die meisten Petitionen auf das Gebiet der Sozialversicherung. 4,6 % aller behandelten Beschwerden konnten positiv, d. h. dem Wunsche des Einsenders entsprechend, entschieden werden. Weitere 34% wurden durch Rat, Auskunft, Verweisung oder Materialübersendung erledigt.
Eine Anzahl von Petitionen bezog sich auf die Zusammenfassung der Ausbildungsförderung durch das Ausbildungsförderungsgesetz und danach durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz; denn in bestimmten Fällen hat diese Änderung zu einer Schlechterstellung gegenüber der bisherigen Regelung geführt. So wird beispielsweise Ausbildungshilfe aus dem Lastenausgleich nun nicht mehr an solche Antragsberechtigte gewährt, denen entsprechende Leistungen nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zustehen. Für die noch nicht erfaßten weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Fachoberschulen unterhalb der Klasse 11 bleibt es bei der Ausbildungshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz. Im übrigen wird für Weiter- bzw. Neubewilligungen nach Ablauf des bisherigen Bewilligungszeitraums die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als vorrangig angesehen.
({0})
In der Regel ist dieser Übergang vorteilhaft, weil die vergleichbaren Sätze in den meisten Fällen höher sind. Es gibt allerdings eine Anzahl von Fällen, bei denen sich auf Grund besonderer Umstände und wegen der abweichenden Berechnungsart bei der Ausbildungshilfe höhere Sätze ergeben. Nach § 65 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist aber eine Aufstockung aus dem Lastenausgleich nicht möglich. Den von dieser Regelung Benachteiligten kann jedoch empfohlen werden, bei der Beantragung von Ausbildungsförderung Härteumstände geltend zu machen. Sie können beantragen, im Rahmen der geltenden Härteregelung höhere Leistungen bewilligt zu bekommen. Darauf mache ich hier nochmals ausdrücklich aufmerksam. Anscheinend wurde diese Möglichkeit nicht genügend publik gemacht. Es ist auch anzunehmen, daß einzelne Bewilligungsstellen nicht hinreichend aufklärend gewirkt haben.
Eine spezielle Härteregelung ist durch einen Schnellbrief des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen vom 4. April 1972 konkretisiert worden, und zwar durch eine Änderung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Zweiten Wohngeldgesetz. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nur der Wohnungsbedarf des Auszubildenden selbst, nicht dagegen der Wohnungsbedarf der zu seinem Haushalt rechnenden Familienmitglieder berücksichtigt wird. Da aber der Ehegatte des Studenten nicht als Haushaltungsvorstand gilt, ist er insoweit nach dem Wohngeldgesetz nicht antragsberechtigt. Das führt nun zu einem unbilligen Ergebnis, besonders wenn der Ehegatte kein oder nur ein geringes Einkommen hat und wenn Kinder vorhanden sind. Durch die erwähnte Änderung werden die Auszubildenden, die Haushaltungsvorstand sind und mit dem Ehegatten eine gemeinsame Wohnung bewohnen, jetzt zusätzlich in den Kreis der Wohngeldberechtigten einbezogen.
In den Fällen, in denen beide Ehegatten Studenten sind und keine weiteren zum Haushalt rechnenden Familienmitglieder die Wohnung bewohnen, besteht allerdings weiterhin kein Wohngeldanspruch. In diesen Fällen bleibt es, falls eine Benachteiligung besteht, bei der vorhin genannten Möglichkeit, Härteumstände geltend zu machen.
Die Möglichkeiten der Hilfe für den einzelnen durch den Petitionsausschuß werden oft unterschätzt. Aus dem Gebiet der Sozialversicherung könnte manches Beispiel, besonders was das Zweite Krankenversicherungsänderungsgesetz anbelangt, gebracht werden. Aus Gründen der Rücksichtnahme auf Ihre Zeit will ich diese Beispiele nicht benennen, sondern Sie lediglich bitten, den Sammelüberschriften 39 und 40 Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Meine Damen und Herren, wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall, wir brauchen also nicht in die Aussprache einzutreten.
Es liegt zuerst der Antrag des Ausschusses auf Drucksache VI/3502 vor, die in der nachfolgenden
Vizepräsident Dr. Jaeger
Sammelübersicht enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen. Widerspruch erfolgt nicht, es ist so beschlossen.
Auf Drucksache VI/3555 wird der gleiche Antrag gestellt. - Ebenfalls kein Widerspruch; auch hier so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zu den Zusatzpunkten zur heutigen Tagesordnung. Ich rufe den 1. Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye, Kleinert, Dürr und Genossen betr. Einschränkung der Immunität von Familienangehörigen und Hauspersonal von Diplomaten - Drucksache VI/3587 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Nein. Zur Aussprache? - Auch nicht.
Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den 2. Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hauser ({0}), Vogel, Dr. Frerichs, Dr. Lenz ({1}), Dr. Kliesing ({2}), Rösing und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetze zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
- Drucksache VI/3604 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Zur Aussprache? - Auch nicht.
Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Auswärtigen Ausschuß - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den 3. Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Einführung einer eigenständigen Pflichtunfallversicherung für nicht erwerbstätige Frauen bei privater Trägerschaft
- Drucksache VI/3581 Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Nein. Zur Aussprache? - Auch nicht.
Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - vor. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
-Drucksachen VI/3546, VI/3603 Zuerst werden die Dringlichen Mündlichen Fragen behandelt, und zwar zunächst aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Treffen Meldungen in der heutigen Presse zu, nach denen durch Verzehr von eingeführten Erdbeeren besorgniserregende Gesundheitsschäden in der Bevölkerung aufgetreten sind?
Zur Beantwortung steht der Herr Staatssekretär Dr. von Manger-Koenig zur Verfügung.
Herr Abgeordneter, so weit wir informiert wurden, sind nach dem Genuß aus Frankreich importierter Erdbeeren bei Verbrauchern vereinzelt Übelkeit und leichte Magenbeschwerden aufgetreten. Die uns zugegangenen Informationen weisen nicht darauf hin, daß es sich dabei um ernsthafte Gesundheitsschäden handelt; eine endgültige toxikologische Beurteilung kann jedoch noch nicht gegeben werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, daß die Erdbeeren, die beanstandet worden sind, aus Frankreich gekommen sind, und können Sie ausschließen, daß solche Erdbeeren nicht aus anderen Ländern eingeführt worden sind?
Wir können bestätigen, daß die hier in Frage stehende Sendung aus Frankreich gekommen ist. Gemeinsam mit französischen Stellen werden umfangreiche Untersuchungen vorgenommen. Darüber hinaus sind in den letzten beiden Tagen auch bei anderen Importen Probeziehungen vorgenommen worden. Dabei haben sich jedoch keinerlei Auffälligkeiten gezeigt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht nicht bei einer vielleicht weiterhin großzügigen Art der Kontrollen die Gefahr, daß auch aus anderen Ländern solche Einfuhren möglich sind?
Ich kann hierauf in meiner Antwort zu Ihrer zweiten Frage eingehen, wenn Sie einverstanden sind.
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung an der deutschen Grenze getroffen, um die Möglichkeit gesundheitsschädigender Einfuhren von Nahrungsmitteln, insbesondere von Frischobst, zu verhindern, und wie gedenkt sie durch Sofortmaßnahmen und längerfristige Maßnahmen auf diesem Gebiet die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen?
Herr Abgeordneter, der Bundesminister für
Jugend, Familie und Gesundheit hat die obersten Landesgesundheitsbehörden fernschriftlich unterrichtet und ersucht, die amtliche Lebensmittelüberwachung allenthalben umgehend zu informieren und ein weiteres Inverkehrbringen derartiger Erdbeeren zu verhindern. Mehrere chemische Untersuchungsanstalten der Länder haben zwischenzeitlich zahlreiche Proben untersucht, die nichts Auffälliges ergeben haben. Die Zolldienststellen sind sofort angewiesen worden, eingehende französische Erdbeerimporte den zuständigen Lebensmitteluntersuchungsanstalten umgehend unter Angabe der Herkunft, des Absenders und des Bestimmungsortes zu melden. Ein Waggon ist an der Grenze inzwischen zurückgewiesen worden. Die zuständigen französischen Stellen sind unterrichtet. Sie bemühen sich, wie ich eben sagte, ihrerseits um Aufklärung. Wir werden - das ist sichergestellt - umgehend über die Untersuchungsergebnisse unterrichtet werden.
Zur wirksameren Kontrolle von eingeführtem Obst und Gemüse schlechthin ist vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in Übereinstimmung mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen schon vor einiger Zeit eine engere Zusammenarbeit zwischen Zoll und Lebensmittelüberwachung eingeleitet worden. Danach werden bestimmte Lebensmittelüberwachungsstellen durch rasche Benachrichtigung über größere Obst- und Gemüseimporte in die Lage versetzt werden, umgehend Proben zu analysieren.
Schließlich noch ein Letztes, Herr Abgeordneter. Abgesehen von diesen Sofortmaßnahmen sieht der von der Bundesregierung dem Hohen Hause vorgelegte Gesetzentwurf zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts eine engere Zusammenarbeit, ein engeres Zusammenwirken zwischen dem Zoll und den Lebensmittelüberwachungsbehörden vor. Dieser Gesetzentwurf enthält auch eine Reihe von Verordnungsermächtigungen, die eine schärfere Ausgestaltung des Einfuhrkontrollverfahrens gestatten. De lege ferenda haben wir also wesentlich mehr Kontrollmittel in der Hand als de lege lata.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wer haftet gegebenenfalls für die gesundheitlichen Schäden? Kommt eventuell auch eine Staatshaftung in Frage?
Über Haftungsfragen können wir erst sprechen, wenn das hier in Frage kommende Agens ermittelt ist. Es sind umfangreiche chemisch-toxikologische Untersuchungen im Gange, um zu analysieren, um welche Stoffgruppe es sich überhaupt handelt, wie es zu dieser Kontamination gekommen ist, ob etwa über ein Konservierungsmittel oder über die Verpackung oder möglicherweise auch über Einflüsse beim Transport selbst. Erst wenn das geklärt ist, wird sich über mögliche Haftungsfragen Näheres sagen lassen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung die Öffentlichkeit darüber informieren?
Die Bundesregierung hat schon nach Bekanntwerden dieser Vorgänge informiert und auch entsprechende Warnungen ausgesprochen. Sie wird über das Ergebnis ihrer Recherchen ebenfalls informieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, es handelt sich hier ja nicht um den ersten Fall; so etwas hat sich schon verschiedentlich bei Salaten und anderen Produkten abgespielt. Wie wollen Sie die Gewähr dafür geben, daß die entnommenen Proben so schnell untersucht werden können, daß solche Sendungen zurücklaufen müssen, und das Ergebnis der Untersuchungen nicht erst dann herauskommt, wenn diese Sendungen fast schon verzehrt sind?
Wir sind ja im Zusammenwirken mit den wissenschaftlichen Untersuchungsanstalten dabei, in sehr intensiver Arbeit Schnellmethoden und Schnelltests zu entwickeln.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in den „Lüdenscheider Nachrichten" wurde im Februar berichtet, der Chefchemiker eines der maßgeblichen Institute in Offenburg habe erklärt, daß solche Proben zwar sehr schnell entnommen werden könnten, beim Institut aber so viel Proben eingingen, daß sie erst tiefgefroren werden müßten, ehe sie untersucht werden könnten; wenn die Untersuchung dann erfolgt sei, gehe das Ergebnis in der Bürokratie unter. Ist dieser Zustand mittlerweile überwunden?
Ich würde diese Beobachtungen und Aussagen aus einem Amt nicht für verallgemeinerungsfähig halten. Die Länder sind dabei, die Lebensmittelüberwachung erheblich zu intensivieren. Sie haben ihre Anstalten dazu auch schon in wesentlichem Umfang erweitert und ausgebaut.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den in der Bevölkerung entstandenen Schock zu überwinden, um den Absatz deutscher Qualitätswaren auf dem Sektor von Obst und Gemüse nicht zu behindern?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir dürfen das Verbraucherverhalten nicht unterschätzen. Gleich nach Bekanntwerden dieser Nachricht haben die Verbraucher auf dem Markt - etwa hier in Bonn - sehr wohl zwischen importierter und eigener Produktion zu unterscheiden gewußt. Sie haben sich ganz darauf eingestellt, deutsche Erdbeeren zu konsumieren. Importierte Ware wurde weitgehend zurückgewiesen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Hauser!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Bevölkerung auch darüber aufzuklären, unter welch scharfen Qualitätsbestimmungen in der Bundesreblik Obst und Gemüse erzeugt wird und daß von deutscher Qualitätsware keine gesundheitsschädigenden Auswirkungen ausgehen?
Die Bundesregierung hat bisher schon die Verbraucher weitgehend informiert. Sie wird dies in angemessener Weise auch weiterhin tun. Sie wird sie auch über die Regelungen informieren, die in der EWG zum Verbraucherschutz getroffen worden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, was kann die Bundesregierung tun, damit alle importierten Lebens- und Nahrungsmittel genau den gleichen Kontrollvorschriften unterliegen, wie sie innerhalb der Bundesrepublik gelten?
Die Bundesregierung hat sich deshalb im Rahmen der EWG nachdrücklich dafür eingesetzt, daß die für das deutsche Lebensmittelrecht erarbeitete Normen, Standards und Kontrollmaßnahmen auch im Bereich der EWG Platz greifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Reinhard.
Herr Staatssekretär, (0 würden Sie in der Verbraucheraufklärung darauf hinweisen, daß der Werbeslogan „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" durchaus seine Berechtigung hat?
({0})
Obwohl bei der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse auch importierten Lebensmitteln der Zustand der Frische nicht aberkannt werden kann, werden wir immer wieder darauf hinweisen, welche Bedeutung gerade bei Obst und Gemüse der Frische und der unverzüglichen Aufbereitung zukommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin erfreulicherweise gesagt, daß sich die deutschen Normen im Bereich der EWG durchsetzen werden. Können Sie sagen, in welchem Zeitraum Sie dieses Ziel zu erreichen hoffen?
Ich glaube, daß alle Länder dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes hohe Priorität einräumen und dabei sind, EWG-einheitliche Richtlinien so schnell wie möglich zu verabschieden.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zu den Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Herr Bundesminister Dr. Ehmke steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die erste Frage stellt der Abgeordnete Vogt:
Aus welchen Gründen hat Bundesminister Dr. Ehmke nicht sofort den Bericht der Illustrierten „Stern" dementiert, demzufolge er den Informanten Disler für „vertrauenswürdig" halten soll?
Bitte sehr, Herr Bundesminister!
Zu einem Dementi sehe ich keinen Anlaß, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Minister, sind Sie bereit und willens, hier im Hause darzustellen, wie Sie festgestellt haben, daß der Schweizer Journalist Disler als vertrauenswürdig zu gelten hat, und ist Ihnen bekannt, daß es im Berner Außenministerium Material über Disler geben soll, und ist Ihnen dieses Material zugänglich gewesen?
Herr Kollege, es ging nicht darum, festzustellen, welches Material im Berner Außenministeriums ist. Hier hat sich vielmehr ein Zeuge angeboten, und als Vorsitzender des Staatssekretärausschusses für Sicherheit hatte ich mich zu erkundigen, ob es Zweck hat, den Herrn kommen zu lassen, um zu sehen, ob das, was dort angeboten wurde, überhaupt für diese Dinge relevant ist. Ich habe mich über die Person dieses Herrn erkundigt, teils über Pressequellen, teils über die Möglichkeiten, die der Regierung zur Verfügung stehen, und habe keinerlei Grund gesehen, Herrn Disler nicht zu empfangen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie einen Mann für vertrauenswürdig, der von sich selbst behauptet, während seiner Zeit als Fremdenlegionär mit Sonderaufgaben betraut gewesen zu sein, die von ihm „als das Schmutzigste vom Schmutzigen" bezeichnet worden sind?
Ich sehe nicht, daß diese Frage, die Sie stellen, in irgendeinem Zusammenhang mit meiner Überlegung steht,
({0})
ob ich einen Zeugen, der sich anbietet, anhöre oder nicht.
({1})
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Ott.
Herr Bundesminister, halten Sie einen Mann für vertrauens- und glaubwürdig, von dem bekannt ist - anscheinend aber nicht auf Grund Ihrer Informationen -, daß er in der Schweiz einmal eine Nachricht fabriziert hat, wonach es fünf Tote gegeben habe, die es nicht gegeben hat?
Herr Kollege Ott, Sie verwechseln offenbar den Chef des Bundeskanzleramtes mit der Strafverfolgungsbehörde. Ich hatte mich zu informieren, ob ich es hier mit jemandem zu tun habe, den ich überhaupt empfange. Nichts weiter hatte ich zu tun. Die Frage der Glaubwürdigkeit der Aussage und der Person werden die Strafverfolgungsbehörden zu beurteilen haben.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider ({0}).
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für einen guten parlamentarischen Brauch, ehe bei einer derart schweren Anschuldigung gegen einen Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Staatsanwaltschaft
bemüht wird, zunächst den Präsidenten des Bundestages zu unterrichten, und welche Gründe waren für Sie maßgeblich, dies in diesem Fall nicht zu tun?
Das ist keineswegs ein gewöhnliches Verfahren, sondern hier gibt man an die Strafverfolgungsbehörden ab, und die wenden sich dann an den Parlamentspräsidenten in dem Fall, daß sie der Meinung sind, daß die Immunität aufgehoben werden sollte. Es kam hier darauf an, nicht den Eindruck zu erwecken, als ob die Regierung Funktionen der Strafverfolgungsbehörden übernimmt.
({0})
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Bundesminister, ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß Sie in der Frage nicht gefragt worden sind, ob Sie den Zeugen angehört haben, sondern ob Sie ihn für vertrauenswürdig halten, und würden Sie diese Frage beantworten?
Herr Kollege Czaja, ist Ihnen entgangen, daß ich gesagt habe, daß die Frage der Vertrauenswürdigkeit für mich nur insofern relevant war, ob ich den Mann überhaupt anhöre?
Eine Zusatzfrage, Abgeordnteer Wagner.
Herr Bundesminister, auf welche Weise haben Sie die Vorwürfe Ihres Informanten Disler gegen den Kollegen Hupka sachlich auf ihre Richtigkeit und Haltbarkeit überprüft, ehe Sie die Angelegenheit der Staatsanwaltschaft übergeben haben?
Überhaupt nicht, Herr Kollege Wagner, weil ich schon sagte - ({0})
- Überhaupt nicht, weil auch das geheißen hätte, sich Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden anzumaßen.
({1})
Da gibt es ein schwebendes Verfahren. Das ist Sache der Staatsanwaltschaft. Ich stand als jemand, der für Sicherheitsfragen zuständig ist, allein vor der Frage, ob ich mir einen Zeugen, der sich in einem Fall anbietet, in dem der Bundesrepublik durch Indiskretion und Geheimnisbruch schwere Nachteile zugefügt worden sind, anhöre, um dann zu entscheiden, ob ich dies der Strafverfolgungsbehörde weitergebe. Über den Inhalt der Aussage hatte ich überhaupt nicht zu entscheiden. Die Nachprüfung ist mir auch gar nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Reddemann.
Herr Minister, um Ihre Einlassung, die für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses relevant sein könnte, zu präzisieren: Sie haben, wie der Redakteur des „stern" und langjährige FDP-Spitzenfunktionär Heiner Bremer am 21. Juni im hessischen Rundfunk behauptete, Herrn Disler geprüft, für gut befunden und, konspirierend mit dem „stern", dann dem Herrn Disler beim „stern" einen Persilschein ausgestellt?
Herr Kollege Reddemann, ich würde es der Würde dieses Hauses angemessener halten, wenn Sie so schwerwiegende Vorwürfe gegen ein Mitglied der Bundesregierung vielleicht doch nicht in den Raum stellten - ich höre, Herr Hupka hat das gestern auch schon getan -, ohne mit diesem Mitglied der Bundesregierung wenigstens zu reden.
({0})
Im übrigen darf ich Ihnen sagen, daß in dieser Sache von mir aus nicht der geringste Kontakt mit dem „stern" stattgefunden hat. Ich habe in diesen Tagen überhaupt nicht mit dem „stern" gesprochen. Ich bedaure darum, daß Herr Hupka gestern offenbar das Gegenteil behauptet hat. Ich habe sogar Herrn Disler empfohlen, seinerseits diese Sache nicht journalistisch zu verwerten, sondern abzuwarten, bis die Strafverfolgungsbehörden ihn bitten.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Minister, warum haben Sie den Mann denn nicht gleich der Staatsanwaltschaft zugeführt, zumal es sich, wie Sie eben sagten, um ein schwebendes Ermittlungsverfahren handelt und nicht auszuschließen ist, daß es sich um einen Zeugen handelt? Sie haben doch damit in ein Ermittlungsverfahren eingegriffen.
Ich bitte, keine Feststellungen zu treffen, sondern nur Fragen zu stellen.
Herr Kollege Wittmann, Sie wissen vielleicht, daß diese Frage Gegenstand der Frage von Herrn Kollegen Reddemann ist. Ich werde sie gern beantworten, wenn die Frage aufgerufen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Minister, können Sie um der Klarstellung willen ausdrücklich dementieren, daß der „stern" behauptet hat, der Artikel habe erst erscheinen können, nachdem Sie die Glaubwürdigkeit des Zeugen bescheinigt haben? Am 21. Juni im „Hessischen Rundfunk" !
Mir ist eine solche Aussage des „stern" nicht bekannt. Aber ich wiederhole noch einmal, daß in dieser Sache nicht irgendein Kontakt zwischen mir und dem „stern" bestanden hat.
({0})
- Auch kein mittelbarer.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wagner ({0}).
Herr Bundesminister, darf ich den verschiedenen Antworten auf Fragen entnehmen, daß die Meldungen nicht zutreffen, nach denen Sie Herrn Disler nicht nur empfangen, sondern ihm, als Sie ihn empfingen, noch ausdrücklich erklärt haben, er sei von Ihnen geprüft worden, er sei glaubwürdig und er sei für Sie in Ordnung?
Herr Kollege Wagner, ich kann Ihnen bestätigen, daß es vielmehr so war: Als Herr Disler kam, wollte er sich mit einer Beschreibung seiner Person einführen. Er hat gesagt: „Sie kennen mich nicht. Ich will Ihnen meinen Lebensweg darstellen." Darauf habe ich ihm gesagt: „Herr Disler, darüber habe ich mich schon informiert. Das können Sie sich sparen."
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Miltner.
Herr Bundesminister, halten Sie die Erkundigungen, die Sie bezüglich der Vertrauenswürdigkeit des Herrn Disler eingezogen haben, heute noch für zutreffend und richtig?
Ja.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, würden Sie es, da Sie die Würde des Hauses angesprochen haben, dem ja auch Sie angehören, nicht für richtig halten, so weitgehende Anschuldigungen, bevor man sie weitergibt, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, zumal bei der Person des Informanten gewisse Zweifel auch bei Ihnen doch kaum zu unterdrücken sein dürften?
Herr Schulze-Vorberg, ich habe hier einen Zeugen, der sich angeboten hat, den Strafverfolgungsbehörden benannt. Dies war meine Pflicht. Wenn ich zu der Überzeugung gekommen wäre, dies alles sei ganz falsch, und angenommen hätte,
daß ich es mit jemand zu tun hätte, der irgendwelche Märchen erzählt - ich hatte den Eindruck: es kann was dran sein; ich kann es nicht prüfen; ich gebe es ab - ({0})
Hätte ich etwa den Eindruck gehabt, daß es ein krankhafter Mensch sei, hätte ich es nicht weitergegeben. Nachdem ich mich aber vergewissert hatte, daß der Mann diese Überzeugung hat, war es meine Pflicht, es den Strafverfolgungsbehörden zu geben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter von Thadden.
von Thadden ({0}) : Herr Bundesminister, würden Sie es nicht als einen Beweis für einen geraden Charakter ansehen, wenn jemand, der sich schwerwiegende Vorwürfe anhört, wenigstens dieselbe Zeit aufwendet, um mit einem Kollegen im Parlament zu sprechen?
({1})
Herr Kollege von Thadden, ich muß mich wundern. Auf der einen Seite werfen Sie mir vor, dadurch, daß ich es nicht schnell genug an die Staatsanwaltschaft gegeben habe, hätte ich in ein schwebendes Ermittlungsverfahren eingegriffen. Es wäre aber gerade ein Eingriff gewesen, wenn ich mir angemaßt hätte, den Betroffenen oder den Zeugen zur Sache irgendwie zu vernehmen. Ich mußte es an die Behörde abgeben - allein das war korrekt -, bei der ein Verfahren in dieser Sache schwebt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Minister, war es Ihnen nicht möglich, ebenso schnell, wie es die Journalisten erfahren haben, festzustellen, daß alle drei Presseorgane, denen dieser Brief angeblich zugestellt worden ist, den Brief nicht empfangen haben und dadurch die Unglaubwürdigkeit des Zeugen eindeutig belegt war?
Nein. Es wäre ja wohl ein hanebüchener Eingriff in die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden gewesen, wenn sich die Regierung angemaßt hätte, hier Recherchen anzustellen, ob die Zeitungen etwas bekommen haben oder nicht.
({0})
- Aber, Herr Kollege Fircks, Sie machen mir einen widerspruchsvollen Vorwurf. Einerseits sagen Sie, ich hätte es nicht schnell genug an die zuständige Behörde gegeben, andererseits sagen Sie, ich hätte mich selbst an die Stelle der zuständigen Behörde setzen sollen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Bundesminister, haben Sie von dem „vertrauenswürdigen" Herrn Disler über das hinaus noch weitere Hinweise über andere Kollegen dieses Hauses bekommen, die sich an solchen Dingen beteiligt haben? Und haben Sie die Absicht, weitere Aktionen dieser Art gegen Kollegen dieses Hauses einzuleiten?
Ich glaube, Herr Präsident, daß ich diese Frage wegen der Unterstellung, die am Ende gemacht wurde, nicht zu beantworten brauche.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Bach.
Herr Minister, ist es die normale Aufgabe eines Ministers, einen Zeugen in einem Strafverfolgungsprozeß selber zu empfangen und sich Informationen geben zu lassen?
Es ist die normale Aufgabe des Chefs eines Amtes, das von den Vorgängen mit betroffen sein kann, und des Vorsitzenden des Staatssekretärausschusses für Sicherheit, allen Hinweisen nachzugehen, die in bezug auf diesen Komplex, der die Arbeit der Bundesregierung gefährdet, Aufschluß geben können. Wäre es z. B. so gewesen, daß die Hinweise nicht in den außerexekutiven Bereich gegangen wären, sondern es sich um Hinweise auf den Exekutivbereich gehandelt hätte, wäre selbstverständlich die Regierung diesen Dingen zunächst im eigenen Bereich nachgegangen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Frerichs.
Herr Bundesminister, hätten Sie sich genauso verhalten, wenn der betreffende Kollege Mitglied Ihrer Fraktion gewesen wäre und die Fraktion vorher nicht aus guten Gründen verlassen hätte?
({0})
Herr Kollege, ich nehme an, daß Sie mir die Frage nur gestellt haben, weil Sie wissen, daß ich sie natürlich bejahe.
({0})
Den Ausdruck weise ich zurück; er ist unparlamentarisch. - Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cantzler.
Welche Stellen sind konkret eingeschaltet worden, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen Disler zu überprüfen?
Ich hatte Ihnen schon gesagt, daß ich mich zum Teil bei Leuten erkundigt habe, die Herrn Disler von seiner Pressearbeit her kennen, zum Teil habe ich mir auf den normalen Wegen, die der Regierung zur Verfügung stehen, ein Bild über den Lebensweg und die Arbeit dieses Mannes verschafft.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Röhner.
Herr Minister, wären Sie bereit, die Namen der Personen aus dem Pressebereich, die Sie in Anspruch genommen haben, hier bekanntzugeben?
Falls die Betroffenen ihr Einverständnis geben: ja.
Ich rufe die Frage 4 - das ist die zweite der an Sie gerichteten Dringlichen Mündlichen Fragen, Herr Bundesminister - des Abgeordneten Reddemann auf:
Trifft es zu, daß Bundesminister Dr. Ehmke erst am 21. Juni 1972, nach Bekanntwerden des Berichts im „Stern", die Bonner Staatsanwaltschaft über den angeblichen Geheimnisverrat Dr. Hupkas unterrichtet hat, obwohl ihm die Information hierüber bereits am 12. Juni 1972 bekanntgewesen ist, und welche Gründe gibt es hierfür gegebenenfalls?
Herr Kollege Reddemann, zunächst zum Formellen: Der Leitende Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht in Bonn ist nicht durch ein persönliches Schreiben von mir oder durch mich persönlich, sondern durch ein Schreiben des zuständigen Beamten im Bundeskanzleramt unterrichtet worden. Den Auftrag zur Unterrichtung der Staatsanwaltschaft habe ich am 19. Juni 1972 erteilt. Das Schreiben des Beamten datiert vom 20. Juni 1972. Es ist dem Leitenden Oberstaatsanwalt durch Boten am 21. Juni 1972 überbracht worden.
Nun zum Inhalt der Unterrichtung: In dem Schreiben an die Staatsanwaltschaft ist nicht - wie in Ihrer Mündlichen Anfrage unterstellt wird - von einem Geheimnisverrat Dr. Hupkas die Rede. Vielmehr wurde der Staatsanwaltschaft lediglich mitgeteilt, Herr Disler habe sich erboten, vor einer deutschen Strafverfolgungsbehörde über die Erkenntnisse auszusagen, die er bei seiner journalistischen Tätigkeit über die Preisgabe von geheimzuhaltenden Schriftstücken und Vorgängen im Zusammenhang mit den Ostverträgen gewonnen habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Minister, nachdem Sie selbst jeden Zusammenhang und jede Zusammenarbeit mit dem „Stern" in dieser Frage geleugnet haben - ({0})
Meine Damen und Herren, es ist keine Beleidigung, wenn man jemanden fragt, ob er leugnet oder nicht. „Leugnen" ist keine Beschimpfung.
Widerspruch bei der SPD.)
Ob der Herr Minister geleugnet hat oder nicht, ist seine eigene Angelegenheit; das kann er selbst beurteilen; das ist formal nicht zu beanstanden, während der Zuruf „dreckig" formal zu beanstanden ist.
Nachdem Sie also geleugnet haben, Herr Minister, möchte ich Sie fragen: Wie kam wohl Herr Bremer in dem Interview mit dem „Hessischen Rundfunk" am 21. Juni zu der Feststellung, die ich jetzt wörtlich zitieren darf:
Herr Ehmke hat zuvor
- also unmittelbar vor Erscheinen des Artikels im „Stern" dafür gesorgt, daß er genau wußte, mit wem er es zu tun hat. Er hatte sich Unterlagen über den Sekretär von Herrn Habe besorgt, die ihn für vertrauenswürdig erklärt haben.
({0})
Herr Kollege Reddemann, ich bitte doch darum, diese Frage Herrn Bremer zu stellen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich das getan habe, was meine Pflicht war: ich habe mich, bevor ich einen Mann empfangen habe, erkundigt, um wen es sich handelt.
Im übrigen möchte ich für meine Person das Wort „leugnen" zurückweisen.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Minister, nachdem zumindest in einem Teil des Hauses der Eindruck entstanden ist, daß die Art, wie Sie im Fall Disler mit der Materie umgegangen sind, etwas leichtfertig erscheint, muß ich Sie fragen: War es für Sie nicht einfach eine gute Gelegenheit, nun die Herren Springer, Löwenthal, Habe und Heitzler zusammen ins Zwielicht zu bringen?
Da diese Frage ja wohl nur einer primitiven Stimmungsmache dient, möchte ich sie nicht beantworten.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
Herr Minister, ist es richtig, daß der Herr Bundeskanzler schon am Dienstag einen Vorabdruck des „Stern"-Artikels auf dem Tisch hatte?
Das ist mir nicht bekannt. Ich halte es aber für unwahrscheinlich.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, nach Ihrer Feststellung, daß Sie vorher keinen Kontakt mit dem „Stern" hatten, darf ich fragen: Gab es in dieser Frage womöglich umgekehrt seitens des „Stern" Kontakte zu Ihnen - entweder persönlich oder zum Kanzleramt -, wie das aus dem Interview von Herrn Bremer hervorzugehen scheint?
Herrn Schulze-Vorberg, Sie sollten eigentlich von mir wissen, daß, wenn ich eine Frage so klar beantworte, wie ich sie beantwortet habe, dann auch keine Hintertüren drin sind.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Miltner.
Herr Bundesminister, wäre es nach Ihrer Ansicht nicht auch nötig gewesen, angesichts des Geheimnisverrats, der ja schon längst erfolgt war,
({0})
dieser Sache in Form eines Verfahrens gegen Unbekannt bei der Staatsanwaltschaft auf Grund der Genehmigung durch die Bundesregierung nachzugehen? Warum kommen Sie dann jetzt erst?
Die Strafverfolgungsbehörden sind doch in diesem Bereich tätig! Es sind umfangreiche Untersuchungen und Vernehmungen durchgeführt worden.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ott.
Herr Bundesminister, würden Sie, da Sie sich vorher darauf beriefen, nicht sagen zu können, ob bereits am Dienstag der fraglichen Woche dem Herrn Bundeskanzler ein Probeabzug vorgelegen hat, diesem Hause nach Ihrer Erkundigung noch mitteilen, ob -das der Fall war oder nicht?
Mit größtem Vergnügen, Herr Kollege Ott.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Minister, hätte es nicht sehr nahegelegen, in den Kreis der Journalisten, bei denen Sie sich über Ihren Informanten informierten, auch den Chefredakteur der „Kölnischen Rundschau" mit einzubeziehen, oder erscheint Ihnen Ihr Informant vertrauenswürdiger als der Chefredakteur der „Kölnischen Rundschau"?
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Ich muß offen gestehen, daß ich Ihre Frage nicht ganz verstehe.
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Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sie Nachrichten bestätigen, nach denen ähnliche Kampagnen wie die gegen den Kollegen Dr. Hupka auch gegen andere Kollegen dieses Hauses in Vorbereitung sind?
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Herr Kollege, ich darf darauf die gleiche Antwort geben, die ich auf die Frage von Herrn Reddemann gegeben habe.
Meine Damen und Herren, alle diese Fragen standen im Zusammenhang mit der ersten Frage. Im Zusammenhang mit der zweiten Frage allerdings steht natürlich die zuletzt gestellte Frage nicht mehr.
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Sie zielt auf einen ganz bestimmten Tatbestand.
Ich sehe keine Wortmeldungen mehr und darf Ihnen, Herr Bundesminister, danken.
Wir kommen zu den regulären Fragen in Drucksache VI/3546, zuerst zu denen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn zur Verfügung.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr.
Gruhl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in der Presse erörterte holländische Pläne zur Errichtung einer Müll-Insel in der Nordsee in fachlicher und rechtlicher Sicht, insbesondere im Hinblick auf die Oslo-Konvention über die Verhütung der Verunreinigung der See durch Abfälle?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn der Herr Abgeordnete Gruhl damit einverstanden wäre, daß ich seine beiden Fragen gleichzeitig beantworte, da sie in einem inneren Zusammenhang stehen.
Bitte sehr! Ich rufe dann zusätzlich Frage 7 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung, dem Parlament den Entwurf des Vertragstextes zu dieser Oslo-Konvention vorzulegen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Gruhl, in den hier vorliegenden Pressemeldungen werden Überlegungen angesprochen, die von privater holländischer Seite zur Errichtung einer Müllinsel in der Nordsee angestellt werden. Von derartigen Plänen der holländischen Regierung ist mir nichts bekannt. Soweit die Bundesregierung informiert ist, haben amtliche holländische Stellen auch noch keine Entscheidung über diese Pläne getroffen.
Die Bundesregierung wird mit der holländischen
Regierung in dieser Angelegenheit Kontakt aufnehmen. Dabei wird sie auch die Frage erörtern, inwieweit die in der Presse wiedergegebenen Pläne mit der - im übrigen noch nicht in Kraft getretenen - Oslo-Konvention in Einklang zu bringen sind.
Die Bundesregierung beabsichtigt, den Entwurf des Vertragsgesetzes zur Oslo-Konvention den gesetzgebenden Körperschaften nach Beendigung der Parlamentsferien sofort zuzuleiten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, darf ich daraus schließen, daß Sie noch keine näheren Informationen über dieses Projekt vorliegen haben?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Gruhl, wir haben genau wie Sie nur die Pressemeldungen vorliegen. Auf Grund dieser Pressemeldungen, die sich ja auf private Initiativen zur Errichtung einer Müllinsel beziehen, werden wir den Kontakt mit der holländischen Regierung aufnehmen. Es liegen deshalb noch keine konkreten Verhandlungsergebnisse vor.
Keine Zusatzfrage mehr, Herr Dr. Gruhl?
({0})
- Dann Herr Abgeordneter Dr. Gleissner zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Berichte anderer Länder bekannt, die in die gleiche Richtung gehen, Berichte aus Ländern, die die gleiche Absicht haben?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Zur Zeit nicht, Herr Kollege.
Ich komme zur Frage 8 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) :
Trifft es zu, daß durch ein Rundschreiben des IOC in Lausanne den Teilnehmern der Spiele der XX. Olympiade München 1972 in München im Gegensatz zur bisherigen Übung das Tragen von Sportkleidung mit bestimmten Markenzeichen deutscher Sport-artikelfirmen verboten wurde, und ist diese Entscheidung nicht zuletzt durch entsprechende Anregungen von deutscher Seite auf dem IOC-Kongreß in Sapporo und der Sitzung des IOC-ExekutivKomitees in Lausanne vom 27. bis 31. März 1972 herbeigeführt worden?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Riedl, die Anfrage betrifft Interna von IOC-Sitzungen. Sie werden deshalb Verständnis dafür haben, daß ich auf Auskünfte von Teilnehmern aus diesen Sitzungen angewiesen bin, um Ihre Frage sachlich beantworten zu können. Nach diesen Informationen, die ich erhalten habe, ist Ihre Frage wie folgt zu beantworten:
Das von Ihnen erwähnte Rundschreiben des IOC vom 2. Juni 1972 soll keine neue Situation geschaffen haben. Sein Zweck sei nur, wie dies auch vor früheren Olympischen Spielen geschehen sei, an die IOC-Regeln 26 und 53 zu erinnern und dabei die Regel 53 zu verdeutlichen. Nach der Regel 53 führe das Zurschaustellen von Kleidungsstücken oder Sportartikeln in Olympischen Sportstätten, wenn diese Gegenstände mit auffälligen Werbeemblemen versehen seien, grundsätzlich zur sofortigen Disqualifizierung oder zum Entzug des Delegiertenausweises. Zu Regel 53 habe das IOC-Rundschreiben zum Ausdruck gebracht, daß die Kleidung nur die Farben, den Namen, die Insignien, das Emblem oder die Flagge eines Landes und nicht die Bezeichnung eines Herstellers oder Identifizierungsmerkmale tragen dürfe. Wesentlicher Grund, die Regel 35 zu verdeutlichen, sei das Bestreben, Störungen, wie sie in Sapporo durch übertriebene Wirtschaftswerbung entstanden seien, in München zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage? - Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, es muß doch einen Grund geben - ich hätte Sie gerne danach gefragt, ob Sie ihn kennen -, warum ausgerechnet bei den Olympischen Spielen in München Sportanzüge mit drei weißen Streifen verboten sein sollen, Sportanzüge mit drei farbigen Streifen aber erlaubt sein sollen, nachdem bei allen anderen, voraufgegangenen Olympischen Spielen das Tragen dieser jetzt verbotenen Sportkleidung gestattet war.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Kollege Riedl, ich kann Ihnen leider diese Frage nicht konkret beantworten, weil die Bundesregierung, wie Sie wissen, in diesen Gremien nicht vertreten ist, wir also auch bei den speziellen Einzelheiten, über die Sie jetzt in der Zusatzfrage Auskunft haben wollen, uns erst wieder bei den deutschen IOC-Mitgliedern informieren müßten, um diese Frage konkret beantworten zu können.
Herr Abgeordneter Röhner zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es bei dieser Fragestellung nicht darum geht, die genannte IOC-Entscheidung in Frage zu stellen, sondern daß es vielmehr darum geht, zu erfahren, ob ein deutsches Exekutivmiglied des IOC gegen deutsche Sportartikelhersteller bei dieser IOC-Sitzung in irgendeiner Weise tätig oder initiativ geworden ist?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Diese Frage, Herr Kollege Röhner, kann von der Bundesregierung ebenfalls so nicht beantwortet werden. Wir kennen nicht den Ablauf der IOC-Sitzungen. Wir wissen nicht, welche Anregungen dort gegeben worden sind, welche Anträge dort gestellt worden sind. Das können nur die Mitglieder des IOC selbst beantworten.
Ich komme zur Frage 9 des Abgeordneten Röhner:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen dieser Entscheidung für die deutsche Sportartikelindustrie, und wie wird sich diese Entscheidung auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Sportartikelhersteller auf dem internationalen Markt auswirken?
({0})
- Sie haben verzichtet, indem Sie sich gesetzt haben. Das kommt gar nicht in Frage.
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- Wir sind jetzt bei der Frage 9 des Abgeordneten Röhner. Sie ist ja noch nicht beantwortet. Dazu können Sie wieder eine Zusatzfrage stellen.
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- Ich habe entschieden. Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
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- Die Frage .9 des Abgeordneten Röhner ist jetzt dran.
({4})
- Herr Abgeordneter, ich verweise Sie des Saales, wenn Sie sich meinen Anordnungen nicht fügen.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Röhner, es ist zunächst festzustellen, daß die Regel 53 und die in dem IOC-Rundschreiben vom 2. Juni 1972 gegebene Interpretation nur für den Wirkungsbereich des IOC, also für die Olympischen Spiele, gelten. Damit sind mögliche Auswirkungen auf diesen Bereich begrenzt. Ob es überhaupt zu schwerwiegenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Sportartikelhersteller auf dem internationalen Markt kommen kann, läßt sich ohne genaue Kenntnis der Verhältnisse in der Sportartikelbranche nicht beantworten. Wie mir bekannt ist, wird in Kreisen des IOC der Standpunkt vertreten, daß die von Ihnen aufgeworfene Frage kein spezefisches Problem der deutschen Sportartikelhersteller sei, da die Sportartikelindustrie aller Länder davon betroffen sei.
Herr Abgeordneter Röhner!
Herr Staatssekretär, würden Sie mir dann zustimmen, daß diese IOC-Entscheidung eine einseitige Regelung zuungunsten der Sportlerbekleidung darstellt, während andere Bereiche, z. B. der Bereich der Sportgeräte, von dieser Regelung nicht betroffen sind, und wie beurteilen Sie eine solche Unterscheidung?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Röhner, ich bin im Grundsatz Ihrer Meinung, daß diese Differenzierung sehr schwer zu ertragen ist. Nur ist es nicht Aufgabe der Bundesregierung, diese Entscheidung zu beurteilen, sondern es handelt sich um eine Entscheidung, die sich der Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung völlig entzieht, weil sie auf einer ganz anderen Ebene zustande kommt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung trotz dieser Zuständigkeitslage, die ich bezahen muß, bereit, sich in die derzeitige Auseinandersetzung, die im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 besonders makaber ist, im Rahmen ihrer Möglichkeiten vermittelnd und abhelfend einzuschalten?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Röhner, es gibt nur die eine Möglichkeit, daß sich die Vertreter der Bundesregierung, meinetwegen im Organisationskomitee oder im Vorstand des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in München, mit den deutschen Vertretern des IOC, die überwiegend ebenfalls Mitglied im Organisationskomitee sind, darüber unterhalten, wie man diese Probleme aus der Welt schaffen kann, um auf diese Weise eventuell auftauchende Schwierigkeiten zu vermeiden. Einen anderen Weg der Einflußnahme sehe ich nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl.
Herr Staatssekretär, weiß die Bundesregierung, daß durch diese neuerliche Handhabung vor allem Entwicklungsländer in Afrika und in Asien betroffen sind, weil die deutschen Sportartikelhersteller nach einem Verbot von bestimmten Markenzeichen auf den Anzügen keine Veranlassung mehr haben, diesen Ländern entsprechende Gratisausrüstungen zur Verfügung zu stellen, was ja dadurch unterstrichen wird, daß beispielsweise 20 nationale olympische Komitees bereits diese Anzüge als offizielle Kleidung nicht nur bestellt, sondern auch genehmigt haben?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Riedl, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß schwierige Probleme in München kurzfristig auftreten können. Aber die Bundesregierung hat keinerlei Möglichkeit, von sich aus irgendwie einzugreifen.
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Ott:
Inwieweit entsprechen Nachrichten der Richtigkeit, wonach Mitglieder der Bundesregierung bzw. Staatssekretäre nach ihrem Ausscheiden von der Bundesregierung oder einer ihr verantwortlichen Institution Werkverträge erhalten haben?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident, auch hier wäre ich dankbar, wenn ich die beiden Fragen des Kollegen Ott wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam behandeln könnte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ferner die Frage 11 auf:
Um welche ehemaligen Mitglieder der Bundesregierung handelt es sich, gegebenenfalls wie lange laufen diese Verträge, und wie hoch sind die jeweiligen Vergütungen für welche Art von Leistungen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nach dem Ergebnis einer von meinem Hause durchgeführten Umfrage, Herr Kollege Ott, sind seit dem Ende der vorigen Legislaturperiode von den Bundesministerien oder den Behörden und Einrichtungen ihres Geschäftsbereichs mit vier ehemaligen Staatssekretären Werkverträge abgeschlossen worden. Die entsprechenden Verhandlungen mit einem weiteren ausgeschiedenen Staatssekretär dauern noch an.
Ehemalige Mitglieder der Bundesregierung haben keine Werkverträge erhalten.
Herr Abgeordneter Ott zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie mir die Frage 10 und 11 nicht präzis beantworten können, darf ich Sie angesichts von zwei Mitteilungen in der „Frankfurter Rundschau" - einer vom 21. Juni, wonach Frau Hamm-Brücher einen Vertrag erhalten habe, und einer weiteren vom 22. Juni 1972, wonach Frau Hamm-Brücher entgegen einer ursprünglichen Erklärung des Bundesministeriums für Wissenschaft nun doch keinen Vertrag erhalten habe und sie angesichts der unsicheren Neuwahlfrage übereingekommen sei, zunächst keinen Vertrag abzuschließen - fragen: Sind Verträge mit Frau Hamm-Brücher und mit Herrn Bundesminister Leussink in Vorbereitung gewesen, ab wann, zu welcher Art von Dienstleistungen und in welcher Höhe?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Ott, ich möchte hier feststellen, daß ich Ihre beiden Fragen präzise beantwortet habe. - Entschuldigen Sie, beide Fragen sind von mir ganz präzis beantwortet worden. Das möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen.
Meine Damen und Herren, die Beurteilung, ob eine Frage präzis beantwortet ist, steht mir nicht zu. Aber jedenfalls ist es ein Fehler des Herrn Abgeordneten Ott gewesen, daß er die Antwort des Herrn Staatssekretärs kritisiert hat; denn hier dürfen nur Fragen gestellt, aber keine Wertungen vorgenommen werden. Die Wertungen - sie mögen berechtigt oder unberechtigt sein - können Sie in einer Debatte, aber jedenfalls nicht in der Fragestunde im Rahmen einer Fragestellung vornehmen.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin aber bereit, Herr Kollege Ott, Ihnen die Namen der Staatssekretäre zu nennen, mit denen Verträge abgeschlossen worden sind.
1. Das Auswärtige Amt hat mit den ehemaligen Staatssekretären Hans Herwarth von Bittenfeld, Georg-Ferdinand Duckwitz und Dr. Günter Harkort Werkverträge abgeschlossen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat im Rahmen eines zeitlich nicht befristeten Werkvertrages seit dem 1. November 1971 den früheren Staatssekretären a. D. Birk-holtz mit Aufgaben betraut, die sich aus der Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr ergeben. Frau Staatssekretär Hamm-Brücher ist gebeten worden, die Bundesregierung auf dem Gebiet der Bildungspolitik zu beraten. Die Besprechungen über den Abschluß eines Werkvertrages sind noch nicht abgeschlossen, und es ist noch nicht geklärt, ob ein Werkvertrag abgeschlossen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß es eine sinnvolle Praxis des Bundes und der Länder ist, den Erfahrungsschatz so führender Beamter auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt durch Werkverträge für das deutsche Volk nutzbar zu machen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin Ihrer Meinung, daß das sinnvoll ist, Herr Abgeordneter Dr. Arndt. Auch frühere Bundesregierungen haben von diesem Institut oft genug Gebrauch gemacht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, über welche Materie mit Herrn Staatssekretr a. D. Duckwitz ein Werkvertrag abgeschlossen ist, wie lange er läuft und welches die Ergebnisse des Werkvertrages sind?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin, Herr Kollege Dr. Czaja, in der Lage, Ihnen über alle Werkverträge, die ich vorhin angeführt habe, detaillierte Auskunft zu geben. Sie haben nur nach dem Staatssekretär a. D. Duckwitz gefragt. Er hat die deutsche Delegation bei den deutsch-polnischen Gesprächen geleitet und erhielt diesen Werkvertrag für die Zeit vom 1. Juni 1970 bis zum 31. Dezember 1970.
Wir kommen zu den Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Picard. Der Fragesteller hat um schriftliche Antwort gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 14 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) :
In welch wirksamer, möglichst unbürokratischer Weise wird die Bundesregierung den Gemeinden helfen, die ob ihrer unmittelbaren Nähe von militärischen Flugplätzen seit Jahren laut amtlich durchgeführten Schallmessungen überhöhte Lärmbelästigungen erdulden müssen und allein deshalb zu besonderen Schallschutzmaßnahmen in ihren öffentlichen Gebäuden wie Schulen und damit zu ganz außerordentlichen Mehrkosten gezwungen sind?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Den Gemeinden, die wegen des Fluglärms in der Nähe militärischer Flugplätze zu besonderen Schallschutzmaßnahmen an ihren baulichen Anlagen veranlaßt werden, kann im Rahmen des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 finanziell geholfen werden. Nach diesem Gesetz kann der Eigentümer eines Grundstücks unter bestimmten Voraussetzungen die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen verlangen. Eine Voraussetzung für den Erstattungsanspruch ist, daß sich das Grundstück in Schutzzone 1 eines nach dem Gesetz festgelegten Lärmschutzbereiches befindet. Ferner muß es sich bei den baulichen Anlagen um schutzbedürftige Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser, Altenheime, Erholungsheime und Schulen oder um Wohnungen handeln, die bei Festsetzung des Lärmschutzbereiches errichtet sind. Die baulichen Schallschutzmaßnahmen müssen sich außerdem im Rahmen einer Verordnung halten, die zur Zeit von der Bundesregierung erarbeitet wird. Die Festsetzung der Lärmschutzbereiche nach dem Fluglärmgesetz wird zur Zeit von den zuständigen Bundesressorts vorbereitet. Nach Festsetzung der Lärmschutzbereiche dürfen in den Schutzzonen schutzbedürftige Einrichtungen der erwähnten Art grundsätzlich nicht mehr errichtet werden.
Herr Abgeordneter Dr. Hauser!
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, sprechen Sie davon, daß Hilfen erst gegeben werden können, wenn die entsprechenden Verordnungen erlassen sind. Darf ich nun fragen: erscheint es nicht geboten, mit Überbrückungshilfen oder zins- und tilgungsfreien Darlehen schon vor Erlaß dieser Ausführungsbestimmungen solchen Gemeinden zu helfen, wo ganz offenkundige Sonderfälle vorliegen, die Streitkräfte Verursacher von nicht mehr zumutbaren Lärmbelästigungen sind, deshalb auch schon früher ein Truppenschaden nach dem NATO-Truppenstatut anerkannt worden ist und zudem der Bund als Grundstückseigerrtümer für die Regulierung solcher zusätzlichen Investitionen verantwortlich bleibt?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Hauser, die Bundesregierung kann mit Sicherheit hier nicht im Vorgriff irgendwelche Leistungen erbringen, deren Feststellung und deren Rahmen erst durch die Verordnung geregelt werden muß. Ohne daß diese gesetzliche Regelung vorausgegangen ist, können keinerlei Zahlungen erfolgen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hauser.
Herr Staatssekretär, wann ist damit zu rechnen, daß diese Verordnungen endlich herauskommen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung wird den Erlaß dieser Verordnungen zügig herbeiführen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Bevölkerung und insbesondere die Flugplatzanlieger langsam unruhig werden und auch den politischen Willen dieses Hohen Hauses in Zweifel ziehen, weil die Bundesregierung und insbesondere auch die Bundesländer mit dem Erlaß der Verordnung nicht vorankommen, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Antwort -„zügig" - zu unpräzise ist?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Apel, die Antwort - „zügig" - mag Ihnen nicht ausreichend erscheinen. Ich kann aber, da diese Frage mit mehreren Ressorts und mit den Landesregierungen erörtert werden muß, von hier aus jetzt kein festes Datum nennen, wann die Verordnungen endgültig veröffentlicht werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kliesing.
Herr Staatssekretär, da in der Anfrage des Kollegen Dr. Hauser von militärischen Flughäfen die Rede ist, frage ich: Ist nicht hier - unter dem Begriff „Folgelasten"
wie in vielen anderen Fällen auch der Einzelplan 14 zuständig?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr. Kollege Kliesing, das kann ich jetzt nicht beantworten. Ich bin gern bereit, die Frage schriftlich zu beantworten.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Trifft die Meldung der „Nachrichten der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Lagerdienst" zu, daß die Unterbringung der Aussiedlerfamilien in den Übergangsheimen und sonstigen Durchgangsunterkünften der einzelnen Länder unzureichend und die Wohnfrage für Aussiedler völlig unzulänglich gelöst sei?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Härzschel, die Erklärung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. über Fragen der Integration von deutschen Aussiedlern, die in den Nachrichten der „Arbeitsgemeinschaft Katholischer Lagerdienst" abgedruckt wurde, befaßt sich u. a. mit der Unterbringung der Aussiedlerfamilien in Übergangswohnheimen und sonstigen Durchgangsunterkünften und ihrer wohnraummäßigen Versorgung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft gelangt in diesem Teil ihrer Erklärung zu Schlußfolgerungen, die nach Auffassung und nach den Erkenntnissen der Bundesregierung weitgehend unzutreffend sind.
Die Festellungen der Bundesarbeitsgemeinschaft finden auch in den Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen, die für die Aufnahme und vorläufige Unterbringung der Aussiedler in Übergangswohnheimen und ähnlichen Einrichtungen ausschließlich zuständig sind, keine Bestätigung. Deren Memorandum zu Fragen der Eingliederung von Aussiedlern, das in Kürze veröffentlicht werden wird, enthält keinen Hinweis auf Schwierigkeiten, wie sie von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege beklagt bzw. befürchtet werden.
Nach allen bisherigen Erfahrungen der Bundesregierung und vornehmlich der Landesflüchtlingsverwaltungen wird selbst von den Aussiedlern einer vorübergehenden Unterbringung in einem Übergangswohnheim der Vorzug vor einer sofortigen endgültigen Unterbringung in einer familiengerechten Wohnung gegeben. Die Zahl der Ausnahmen ist verschwindend gering.
Zu der Frage der endgültigen wohnungsmäßigen Versorgung darf festgestellt werden, daß auch diese eine Aufgabe der Länder ist. Sie wird durch die Auflegung von Sonderwohnungsbauprogrammen unter erheblicher Beteiligung des Bundes gefördert. Seit 1953 hat der Bund mit 6,8 Milliarden DM 25 Sonderwohnungsbauprogramme zugunsten von Aussiedlern und Flüchtlingen mitfinanziert und die endgültige Unterbringung von mehr als 2,2 Millionen betroffener Personen gesichert. Der Bundesanteil für
das kürzlich aufgelegte 25. Programm für die im Jahre 1971 gekommenen 47 889 Personen, darunter 33 473 Aussiedler, beläuft sich auf rund 202,2 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß auch für die noch zu erwartenden Aussiedler die notwendigen finanziellen Mittel vorhanden oder eingeplant sind, damit eine zügige Versorgung dieser Aussiedler mit Wohnraum erfolgen kann?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Bundesregierung hat von sich aus alles getan, um die Voraussetzungen dafür zu schafen.
Eine zweite Zusatzfrage, Her Abgeordneter Härzschel.
Darf ich nochmals präzise fragen: Sie halten diese Ausführungen der Zeitschrift für unzutreffend?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ja, so ist es.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Da Sie die Ausführungen für unzutreffend halten, darf ich Sie fragen, ob Sie Beweismaterial haben - Sie haben ja ein umfassendes statistisches Büro -, das Auskunft darüber gibt, wieviel Familien in solchen Notunterkünften sind, wie lange die Familien längstens in diesen Notunterkünften sind und wie lange im Durchschnitt.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Czaja, ich habe bereits in meiner Antwort betont, daß das alles Aufgabe der zuständigen Länderregierungen ist und daß uns die Landesbehörden nach Rückfrage dieses Materials zur Verfügung gestellt haben. Ich kann nur noch einmal bestätigen, daß alle Länder ausnahmslos uns diese Auskunft so bestätigt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, nachdem sich hier die Ergebnisse der Landesflüchtlingsverwaltung und der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände offensichtlich diametral gegenüberstehen, frage ich Sie: Sind Sie nicht der Auffassung, daß es bei dem Ansehen, das die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände genießt, notwendig wäre, eine Klärung unter parlamentarischer Mitwirkung herbeizuführen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich habe nichts gegen eine Klärung mit parlamentarischer Hilfe. Es müßte dann in den Parlamenten der Länder eine entsprechende Initiative ergriffen werden, Herr Kollege.
Die Frage 16 wird auf Wunsch des Fragestellters schriftlich beantwortet. Die Antwort wird in der Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zunächst die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Storm:
Betrachtet die Bundesregierung die „Empfehlung zur Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen in den Schulbüchern der beiden Länder" der einschlägigen Konferenzen vom Februar und April 1972 für ausreichend - insbesondere auch zur Behandlung des deutsch-polnischen Verhältnisses in den polnischen Schulbüchern -, und besteht die Absicht, vor Festlegungen bezüglich der Empfehlungen für deutsche Schulbücher und Schulprogramme mit den Kultusministern der Länder Verbindung aufzunehmen, damit nicht bei später geäußerten abweichenden Meinungen der Kultusminister auswärtige Beziehungen belastet werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär Moersch!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege, zum ersten Teil der Frage wird festgestellt, daß die Besprechungen zwischen der deutschen und der polnischen UNESCO-Kommission noch nicht abgeschlossen sind. Es ist vorgesehen, im Herbst 1972 eine dritte und später möglicherweise eine vierte Tagung abzuhalten. Die bisher vorliegenden Empfehlungen werden von der Bundesreigerung als ein wertvoller Beitrag zur Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern betrachtet. Dem Leiter der deutschen Delegation, Prof. Dr. Eckert, der zugleich Leiter des Internationalen Schulbuchinstituts ist, wurde von polnischer Seite fest zugesagt, daß die Empfehlungen in den polnischen Schulbüchern ihren Niederschlag finden werden.
Zum zweiten Teil der Frage ist zu bemerken, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit für Schulbücher bei den Ländern liegt. Dementsprechend sind die Empfehlungen den Kultusministern zugeleitet worden und werden ihnen auch in Zukunft zugeleitet werden. Einige Länder haben die Empfehlungen bereits veröffentlicht oder werden dies in Kürze tun.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm.
Ist bei der Beratung dieser Frage, Herr Staatssekretär, auch an eine parlamentarische Mitwirkung, etwa des zuständigen Bundestagsausschusses, gedacht worden?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das liegt nicht im Ermessen der Bundesregierung. Wir haben eine Länderkulturhoheit. Wenn sich Parlamentarier beteiligen sollten, müßten es wohl die in den Landtagen sein. Ich habe keine Initiative dieser
Art im Bundestag festgestellt. Es ist ja auch keine Aufgabe der Bundesregierung, die sich hier stellt. Selbstverständlich steht es jedem Abgeordneten frei, sich hierfür zu interessieren. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, interessieren sich die Kollegen aus dem Wissenschaftsausschuß auch für diese Frage.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Storm.
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß sichergestellt ist, daß die Kultusminister der Länder zu all diesen Fragen gehört werden und daß Einvernehmen hergestellt werden soll?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe, glaube ich, in meiner Antwort deutlich gemacht, daß es sich hier um eine recht schwierige Rechtsfrage handelt. Wir sind dabei auf den guten Willen aller Beteiligten angewiesen. Wir haben unsere guten Dienste angeboten. Ich glaube, der Erfolg der ersten Runde läßt hoffen, daß es hier keine Komplikationen geben wird. Die Unterlagen über das Ergebnis, die uns zur Verfügung stehen und die wir gern auch den Parlamentariern zur Verfügung stellen - es gibt ja inzwischen auch gedruckte Empfehlungen dazu -, sind eigentlich doch ein Beweis dafür, daß die Sache positiv verläuft. Ich gehe davon aus, daß die Schulbuchverlage beteiligt sind, ebenso die Lehrerverbände, so daß von dieser Seite her die notwendigen Korrekturen in den Schulbüchern angebracht werden, und auf diese kommt es doch schließlich an.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die guten Dienste der Bundesregierung angeboten haben und dabei auch von dieser Kommission, die von diesen guten Diensten betroffen ist, auch polnische Schulbücher überprüft werden sollen, möchte ich fragen: Wie viele der beteiligten deutschen Wissenschaftler vermögen diese Schulbücher im Original zu lesen?
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Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter Dr. Czaja, ich kann diese Frage zweifellos nicht beantworten, weil ich keine Untersuchungen darüber angestellt habe. Aber die Namen der Wissenschaftler und der Beteiligten und auch die Möglichkeit, Geschriebenes zu lesen, die ja allen dort zur Verfügung steht, werden sicher dazu beitragen, daß diese Kommission einen genauen Einblick in den Inhalt polnischer Schulbücher bekommt. Ich zweifle nicht daran, daß die zuständige Kommission der UNESCO, der auch Kollegen dieses Hauses angehören, mit der Sorgfalt vorgeht, die sie bisher immer angewandt hat. Ich glaube nicht, daß irgendein
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
Grund besteht, anzunehmen, daß die deutschen Mitglieder wie „tumbe Toren" an eine solche Aufgabe herangehen.
({1})
- Diese Frage wäre bei Chinesisch eher akut als bei Polnisch.
Herr Staatssekretär, Sie brauchten darauf nicht zu antworten.
Ich komme zu der Frage 121 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Welche Auskunft kann die Bundesregierung über die Gründe erteilen, warum die Zahl der Aussiedler aus den deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße in den ersten fünf Monaten des Jahres 1972 im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 1971 um die Hälfte zurückgegangen ist, so daß bei gleichbleibender Durchschnittsziffer 1972 nur etwa 10 000 bis 12 000 Aussiedler zu uns kommen dürften, während es 1971 über 25 000 gewesen sind?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Es trifft zu, daß die Zahl der Aussiedler in den ersten fünf Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist. Die Zahl für die ersten fünf Monate des Jahres 1971 lautet: 8252; die Zahl für die ersten fünf Monate dieses Jahres lautet: 5348. Die Gründe für den Rückgang der Zahl der Aussiedler sind der Bundesregierung nicht in allen Einzelheiten bekannt. Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen werden vor allem von lokalen polnischen Stellen den Aussiedlungswilligen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Aussiedlungsverfahrens bereitet. Es gibt ferner Berichte, wonach in den oberschlesischen Woiwodschaften öffentliche Versammlungen durchgeführt werden, in denen den Teilnehmern der Eindruck vermittelt wird, die Umsiedlung sei im wesentlichen abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dieser Rückgang der Zahl der Aussiedler vielleicht bereits darauf zurückzuführen, daß nur noch - ich zitiere jetzt den polnischen Außenminister Olszowski von seiner Pressekonferenz am 15. Juni 1972 in Wien - alle Fälle wirklicher Familienzusammenführung und alle berücksichtigenswerten Fälle geprüft werden und für eine Aussiedlung in Frage kommen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß wir mit der polnischen Seite Gespräche über diese Frage zu führen haben. Bevor diese Gespräche nicht geführt werden konnten, ist es mir nicht möglich, hier die Gründe darzulegen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben sowohl am 12. November 1971 als auch am 17. Dezember 1971 gleichfalls auf laufende Gespräche verwiesen, ohne daß der Auswärtige Ausschuß, der Bundestag oder die Öffentlichkeit bisher etwas von diesen Gesprächen erfahren haben.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das ist eine Feststellung, der ich beipflichten muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Zahlen darüber bekannt, wie viele frühere deutsche Staatsbürger in Oberschlesien heute noch vorhanden sind und wie hoch die Zahl der gegenwärtig gestellten Anträge auf Familienzusammenführung ist?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Uns ist eine Zahl von Anträgen bekannt, die beträchtlich ist. Wie weit die Anträge noch aufrechterhalten oder zurückgezogen worden sind, ist von unserer Seite schwer zu beantworten. Es ist mir erinnerlich das sage ich jetzt aus dem Gedächtnis -, daß kürzlich ein Vertreter des Roten Kreuzes von 280 000 Anträgen gesprochen hatte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Warum haben Sie, Herr Staatssekretär, entgegen Ihrer Ankündigung hier im Hohen Hause vom 12. November 1971 bisher keine näheren Auskünfte über die Schikanen gegenüber den Aussiedlern der Offentlichkeit oder dem Ausschuß gegenüber, Schikanen, die Tausende Familien deutscher Staatsangehöriger betrafen, für die die Bundesrepublik Deutschland auch nach innen und außen eine im Rahmen des Völkerrechts zulässige Schutzpflicht hat, insbesondere über Schikanen wie Entlassung von der Arbeit, Ablehnung von Anträgen, zehn-, zwölf-, fünfzehnmal je Antrag, und öffentliche Diskriminierung dieser Personen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ohne auf den Inhalt der Frage im einzelnen einzugehen, muß ich Ihnen antworten: wenn im Auswärtigen Ausschuß ein Antrag von Ihnen gestellt worden wäre, diese Frage zu erörtern, hätte ich die Auskünfte selbstverständlich gegeben. Ich hatte das hier angeboten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pieroth.
Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht, daß der Rückgang der Zahl der Aussiedler vielleicht auch darauf zurückzuführen ist, daß in der Information der polnischen Regierung schließlich nur von einigen zehntausend möglichen Fällen der Aussiedlung gesprochen worden war und daß diese Zahl mit 25 000 bis 35 000 Aussiedlern nach polnischer Sicht erreicht sein könnte?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es gibt eine Reihe von Vermutungen. Ich glaube, daß es der Sache dienlicher ist, wenn wir, ehe sich die Bundesregierung zu den möglichen Gründen äußert, den Versuch fortsetzen, mit der polnischen Seite hierüber ein politisches Gespräch zu haben. Sie dürfen sicher sein, daß dieser Versuch von unserer Seite gemacht worden ist und weiter gemacht werden wird. Ich darf nur daran erinnern, daß die eigentlichen Beziehungen mit Polen jetzt erst beginnen. Ich hoffe, daß dieser Umstand solche Gespräche erleichtert. Wenn eine Seite ein Interesse daran hat, eine Sache nicht zu beschleunigen, spielen formale Gründe oft eine sehr wichtige Rolle.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, besteht bei Ihnen die Hoffnung, daß, abgesehen von den zentralen Gesprächen, es dem Deutschen Roten Kreuz möglich sein wird, zum Teil auch örtlich von denjenigen ihre Anliegen vorgetragen zu bekommen, die aussiedeln wollen und die Genehmigung nicht bekommen? Ist das im Rahmen der Schutzpflicht der Bundesregierung für die deutschen Staatsangehörigen nicht zu erreichen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich einmal grundsätzlich feststellen, daß diese Bundesregierung das getan hat, was überhaupt nur denkbar war, um den betroffenen Menschen zu helfen. Es muß als ein großer Fortschritt betrachtet werden, daß diese Frage überhaupt noch einmal in dieser Form erörtert werden konnte, denn Ihnen, Herr von Fircks, sind der polnische Standpunkt und die polnischen Begründungen aus der Vergangenheit sicherlich sehr wohl bekannt. Das Rote Kreuz hat sich in vielen Einzelfällen mit großem Erfolg bemüht. Ich kann nur hoffen, daß wir durch eine allgemeine Verbesserung der Beziehungen auch ingsesamt eine bessere Position erhalten werden. Je mehr in diesem Hause dazu beigetragen wird, daß diese Beziehungen besser werden, desto eher ist es möglich, zusammen mit der polnischen Seite Ergebnisse zu erzielen, die unseren Interessen entsprechen.
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Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Hat sich die Bundesregierung in den jüngsten Gesprächen mit amtlichen polnischen Stellen Gewißheit darüber verschaffen können, daß die Aussiedlung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße weder quantitativ noch zeitlich limitiert wird?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die polnische Regierung hat der Bundesregierung wiederholt versichert, daß sie die „Information" loyal erfüllen will. Ihnen liegt der Text der „Information" vor, aus dem sich ergibt, daß die Ausreisegenehmigung solchen Personen erteilt werden soll, die bestimmte Kriterien erfüllen, nämlich entweder Familienzusammenführung oder deutsche Volkszugehörigkeit. Eine zahlenmäßige oder zeitliche Limitierung der Umsiedlung, die Ausreisebewerber trotz Erfüllung der Kriterien von der Umsiedlung ausschließen würde, stünde in klarem Widerspruch zu diesen Zusagen.
Staatssekretär Frank hat bei dem aus Anlaß des Austausches der Ratifizierungsurkunden Anfang Juni in Bonn geführten Gespräch mit dem stellvertretenden polnischen Außenminister Czyrek darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung weiterhin von der zugesicherten loyalen Erfüllung der „Information" ausgehe und daß generell der notwendig einzuleitende Prozeß der Schaffung gegenseitigen Vertrauens zwischen Deutschen und Polen davon abhänge, daß beide Seiten gegebene Zusagen einhalten.
Dies ist die Auffassung der Bundesregierung. In diesem Sinne wird sie die mit der Umsiedlung verbundenen Fragen bei den in den kommenden Monaten vorgesehenen deutsch-polnischen Gesprächen weiterhin behandeln.
Die Fragen 23 und 24 sind von dem Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, wir haben nicht nur - wie üblich - ein arbeitsreiches Jahr, sondern auch besonders strapaziöse Wochen hinter uns. Ich wünsche Ihnen allen deshalb in besonderer Weise einen erholsamen und hoffentlich nicht unterbrochenen Urlaub.
Der Termin der nächsten Plenarsitzung wird noch bekanntgegeben werden. Voraussichtlich ist es Mittwoch, der 20. September 1972.
Die Sitzung ist geschlossen.