Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Seine Exzellenz den Präsidenten des Iranischen Senats, Herrn Sharif-Emami, und eine Delegation von Senatoren zu begrüßen.
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Es ist uns eine besondere Freude, die iranischen Parlamentarier im Deutschen Bundestag und in unserem Lande willkommen zu heißen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 19. Juni 1972 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehenden, zwischenzeitlich verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben habe:
Verordnung des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse
- Drucksache VI/2487 Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Blumenkohl
- Drucksache VI/3411 Verordnung ({1}) des Rates zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Flachs und Hanf
- Drucksache VI/3381 Verordnung ({2}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({3}) Nr. 986/68 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung von Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver für Futterzwecke
- Drucksache VI/3387 Verordnung des Rates ({4}) zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung und Finanzierung einer Beihilfe für Hopfenerzeuger
- Drucksache VI/3388 Verordnung des Rates ({5}) zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung der Bethilfe für Seidenraupen für das Zuchtjahr 1972/1973
- Drucksache VI/3400 Verordnung des Rates ({6}) zur Festsetzung des Beihilfebetrages für Seidenraupen für das Zuchtjahr 1972/1973
- Drucksache VI/3401 Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 21. Juni 1972 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schirmer, Buchstaller, Dr. Schmitt-Vockenhausen, Dr. Müller-Emmert, Mischnick und Genossen und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Sportförderung in der Bundeswehr - Drucksache VI/3476 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/3594 verteilt.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung
- Drucksachen VI/2558, VI/3248 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({7})
- Drucksachen VI/3561, zu VI/3561 Berichterstatter:
Abgeordneter Metzger
Abgeordneter Dr. Stark ({8}) ({9})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte schön, Herr Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses auf Drucksache VI/3561 muß ich einige Anmerkungen machen.
Zunächst muß in Art. 1 Nr. 2, § 112 a Abs. 1 Nr. 2, bei dem Zitat der §§ 243 bis 244 das Wort „bis" durch ein Komma ersetzt werden und es zwei Zeilen weiter statt des dort zitierten § 10 des Betäubungsmittelgesetzes richtig „§ 11" heißen.
Weiter geht es um eine redaktionelle Änderung mit sachlichen Folgen. In Art. 1 Nr. 2 § 112 a Abs. 1 muß hinter den Worten „in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1972 ({0}) " ein Absatz gemacht und das Nachfolgende ausgerückt werden, um deutlich zu machen, daß dieser Nachsatz sich sowohl auf die Nr. 1 als auch auf die Nr. 2 bezieht. Wenn dieser Absatz nicht gemacht und das Nachfolgende nicht ausgerückt wird, kann es zumindest zu erheblichen Mißverständnissen kommen.
Vielen Dank. Wir gehen davon aus, daß die Drucksache in dem vorgetragenen Sinne geändert ist.
Wird in der zweiten Lesung Einzelberatung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 304 *) vor. Zur Begründung Herr Dr. Stark ({0}).
*) Siehe Anlage 2
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag sieht zwar sehr umfangreich aus, es geht aber nur um folgendes: Entgegen der Vorlage des Rechtsausschusses wollen wir den § 242, also einfachen Diebstahl, und den § 259, Sachhehlerei, einfügen. Hier muß ich allerdings bitten, den Änderungsantrag zu berichtigen. Es muß hier heißen: „§§ 249 bis 255, § 259". Es soll also Sachhehlerei eingefügt werden. Das ist der eine Punkt, den wir wünschen. Ich darf das kurz wie folgt begründen.
Die Massendiebstahlskriminalität steht an erster Stelle der ganzen Kriminalstatistik. Ganz sicher sind unter einfachen Diebstählen auch einfache Dinge, die wir nicht durch den Katalog der Wiederholungstaten treffen wollen. Aber daß diese ganz einfachen Diebstähle hier nicht getroffen werden, das ist durch das Erfordernis der schwerwiegenden Tat, durch die mindestens zu erwartende Strafe von einem Jahr, gewährleistet, so daß das kein Hindernis für die Aufnahme des § 242 in diesen Katalog ist. Ich darf darauf hinweisen, daß es auch schwere Fälle des einfachen Diebstahls gibt, vor allem bei Kraftfahrzeugen. Es werden Hunderte und Tausende von unverschlossenen Kraftfahrzeugen gestohlen. Das sind einfache Diebstähle, und gerade diesen Massendelikten wollen wir mit diesem Gesetz auch beikommen.
Der § 259 hängt eng damit zusammen. Teilweise ist es für den Richter überhaupt nicht feststellbar, ob ein einfacher Diebstahl oder eine Sachhehlerei vorliegt. Die Strafprozeßordnung ermöglicht hier Wahlfeststellung. Deshalb soll der § 259 StGB hier mit umfaßt werden.
Zum zweiten wünschen wir die Aufnahme der §§ 239 a und 239 b in den Wiederholungskatalog. Hier handelt es sich um erpresserischen Menschenraub und um den neu eingeführten Tatbestand der Geiselnahme. Wir sind der Meinung, daß dies zwar bisher nicht typische Wiederholungsdelikte sind, die aber, wenn sie wiederholt werden, wegen des schwerwiegenden Unrechtsgehalts eine ganz besondere Gefahr darstellen. Unseres Erachtens sollten wir, wenn wir schon ein effektiveres Strafprozeßrecht schaffen, diese beiden Vorschriften mit in den Katalog aufnehmen. Das ist unser Antrag. Es geht lediglich darum, über die Vorlage des Rechtsausschusses hinaus den einfachen Diebstahl, die Sachhehlerei, den erpresserischen Menschenraub und die Geiselnahme mit in den Wiederholungskatalog hineinzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mir erlauben, zum Umdruck zu sprechen, soweit er die §§ 239 a und 239 b betrifft, d. h. die Tatbestände des erpresserischen Menschenraubs und der Geiselnahme. Vorweg drei Bemerkungen.
Wir sollten uns hüten, aus dem Augenblick heraus eine Entscheidung in bezug auf einen Haftgrund zu treffen, der zu den gefährlichsten gehört und durchaus geeignet sein kann, in das höchste Bürgerrecht einzugreifen, nämlich in die Freiheit.
Zweitens. Deswegen sollten wir bei dieser Prüfung die Sonde sehr sorgsam anlegen und kühl prüfen.
Drittens. Bei der Prüfung sollten wir drei Kriterien anlegen: erstens, ob hier tatsächlich die Aufnahme in den Haftgrund der Wiederholungsgefahr notwendig ist und ob nicht etwa die anderen, wenn ich sagen darf, klassischen Haftgründe ausreichen, zweitens, ob, wenn wir der Auffassung sind, es sollte in den Haftgrund der Wiederholungsgefahr aufgenommen werden, nicht andere Kriterien vorliegen, die es uns verbieten, diese beiden Vorschriften in diesen Haftgrund aufzunehmen, und drittens sollten wir darauf bedacht sein, nur solche Vorschriften in diesen Katalog aufzunehmen, die einigermaßen zusammenpassen. Was ergibt die Prüfung nach diesen drei Kriterien?
Erstens. Beide Vorschriften, sowohl der erpresserische Menschenraub als auch die Geiselnahme, haben eine Regelmindeststrafe von drei Jahren. Damit gehören diese Tatbestände zu den schwersten, die unser Strafgesetzbuch kennt. Das bedeutet aber in praxi, daß wir davon ausgehen können, daß bei einem schwerwiegenden Delikt wegen der zu erwartenden hohen Strafe immer Fluchtgefahr vorliegt, insonderheit deswegen, weil wir den Haftgrund der Fluchtgefahr verbessert haben.
Zweitens. Wir müssen prüfen, ob die vom Verfassungsgericht für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr genannten Voraussetzungen vorliegen. Es wird gesagt, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende schwere Straftaten zu erwarten sein müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns aber das vor Augen führen, was die Länderjustizministerien und die Länderinnenministerien dem Bundesjustizminister hierüber berichtet haben, so ergibt sich, daß kein einziger Landesinnenminister in dieser Bundesrepublik § 239 a, § 239 b oder auch § 239 a in der alten Fassung in den Katalog der Straftaten aufgenommen hat, bei denen es schwere Wiederholungsgefahr gibt. Das bedeutet, würden § 239 a und § 239 b jetzt in den § 112 - Wiederholungsgefahr - aufgenommen werden, so widerspräche das dem Material, das uns allen vorliegt. Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß dies, die Aufnahme in den Katalog der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, nicht möglich ist.
Ein Weiteres. Die Länder, die diese beiden Vorschriften ursprünglich in diesen Katalog aufnehmen wollten, mußten im Unterausschuß „Recht" des Bundesrates erleben, daß überwiegend eine andere Auffassung vertreten wurde. Der Bundesrat hat sich dieser Meinung, die §§ 239 a und 239 b nicht aufzunehmen, angeschlossen. Ich vertrete deswegen die Auffassung, daß es gemäß wäre, wenn der Bundestag sich hier der Meinung des Bundesrates anschlösse.
Abschließend beantrage ich, den Änderungsantrag Umdruck 304, soweit er die §§ 239 a und 239 b betrifft, aus den dargelegten Gründen abzulehnen.
Mir ist gesagt worden, Herr Abgeordneter Schmude möchte hierzu noch sprechen. Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wende mich gegen diesen Änderungsantrag, soweit er die Aufnahme der Delikte des einfachen Diebstahls und der einfachen Hehlerei in den Katalog derjenigen Straftatbestände, die den Haftgrund der Wiederholungsgefahr begründen sollen, vorsieht.
Richtschnur der Beratungen sowohl in meiner Fraktion als auch im Rechtsausschuß ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1965 zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr gewesen. In dieser Entscheidung werden starke Bedenken gegen einen solchen Haftgrund vorgetragen. Es wird ausdrücklich gefordert, daß es sich um eine sehr schwere drohende Straftat handeln muß. Der Sinn dieses Kataloges an Straftatbeständen, den wir hier noch zusätzlich zu den Sicherheitsvorkehrungen allgemeiner Art, die vorgesehen sind, aufnehmen, besteht ausdrücklich darin, den Anwendungsbereich auf schwere Straftaten und auf solche Straftaten, bei denen nach allgemeiner Erfahrung Wiederholungsgefahr besteht, zu beschränken.
Es ist nun eine Bewertungsfrage, ob das Delikt des einfachen Diebstahls, ob das Delikt der einfachen Hehlerei eine derartige Schwere aufweisen, daß dieser schwerwiegende und gefährliche Eingriff in die persönliche Freiheit unbedingt erforderlich ist. Wir sollten uns alle vor Augen halten, daß der schwere Diebstahl als solcher bereits ausdrücklich in einem anderen Paragraphen geregelt und hier zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr hinzugezogen worden ist. Das ist in § 112 a Abs. 1 Nr. 2 enthalten.
Der gesetzliche Straftatbestand des schweren Diebstahls ist neu gefaßt. Die neue Fassung vermeidet viele Ungereimtheiten, die wir früher zu beklagen hatten. Heute ist der Diebstahl eines verschlossenen Kraftfahrzeuges, ja, sogar eines verschlossenen Fahrrades ein schwerer Diebstahl, ist also auch in dem neuen § 112 a erfaßt. Immer wenn der Täter eine Sicherheitsvorkehrung mit besonderer krimineller Energie überwindet, liegt ein solcher schwerer Diebstahl vor. Nachdem das so weit geregelt ist, bleiben eigentlich nur noch Straftatbestände wie der Diebstahl aus dem Selbstbedienungsladen, der ja auch in Serie vorkommt, und ähnliches mehr, Dinge, die wir nicht bagatellisieren wollen, die aber nicht Grund sein können, einen Haftgrund der Wiederholungsgefahr für solche Straftatbestände zu schaffen.
Genauso liegt es beim Straftatbestand der einfachen Hehlerei. Hier ist für die gewohnheitsmäßige oder gewerbsmäßige Hehlerei eine besondere Strafnorm vorgesehen, die wir bereits im Katalog der Haftgründe für Wiederholungsgefahr im neuen § 112 a haben. Es bleibt somit die einfache Hehlerei. Ich darf in diesem Zusammenhang noch daran erinnern, daß die CDU/CSU in ihrem eigenen Entwurf zur Änderung des Haftrechts den Tatbestand des einfachen Diebstahls nicht aufgeführt hatte und daß Sie selbst, Herr Kollege Stark, hier noch einmal erklärt haben, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der einfachen Hehlerei und dem einfachen Diebstahl. Meines Erachtens wäre es konsequent, wenn Sie von diesem Änderungsantrag absähen.
Wir sollten auch daran denken, daß der Straftatbestand der einfachen Körperverletzung nicht in diesen Katalog aufgenommen ist, und wir sollten erwägen, welche Auswirkungen es hat, wenn wir uns draußen sagen lassen müssen, daß wir den einfachen Diebstahl offenbar für schwerwiegender und gefährlicher halten als die einfache Körperverletzung. In solchen Vorgängen kommen Bewertungen zum Ausdruck, und ich würde diese Bewertung für bedauerlich und für schief halten.
Diese Ablehnung, die wir hier vorschlagen, bedeutet nicht Bagatellisierung dieses Delikts, aber es wäre doch ein Irrglaube, zu meinen, es reiche aus, den Katalog der Delikte ordentlich vollzustopfen, um damit die Kriminalität im ganzen irgendwie steuern zu können. Es wird hier in diesem Gesetz immer nur darum gehen, einen im Einzelfall mit Wahrscheinlichkeit drohenden weiteren Schaden zu vermeiden, und zwar in einer vom allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl zwingend geforderten Weise.
Ich meine, daß der Freiheitsentzug wegen Wiederholungsgefahr eine besondere Gefährdung wichtiger Rechtsgüter erfordert. In diesem Falle werden auch immer wieder Unschuldige verhaftet. Schließlich liegt keine Verurteilung vor, und es wird auch in vielen Fällen keine Wiederholungsgefahr vorliegen. Darum hat das Bundesverfassungsgericht sehr enge Grenzen gezogen, und wir haben diese engen Grenzen mit dieser Fassung des § 112 a voll ausgeschöpft. Wir dürfen diese Grenzen nicht sehenden Auges überschreiten. Wir sind es dem hohen Rang des Grundgesetzes schuldig, verfassungsrechtliche Bedenken sehr ernst zu nehmen. Auch wenn verfassungsrechtliche Bedenken zuweilen mit einer gewissen Häufigkeit gebraucht werden und sich oft als unbegründet herausgestellt haben, kann das nicht bedeuten, daß wir sie deswegen leichter nehmen und sehenden Auges eine Grenze, die das Gericht gesetzt hat, überschreiten.
Aus diesen Gründen bitte ich darum, den Antrag auch insoweit abzulehnen, als die Delikte des einfachen Diebstahls und der einfachen Sachhehlerei hier den Haftgrund der Wiederholungsgefahr mit begründen sollen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den Ausführungen der Kollegen de With und Schmude nur einige wenige Ergänzungen und Hinweise auf Widersprüche.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege de With hat mit Recht bemerkt, man sollte die Sonde sorgsam anlegen und kühl prüfen. Ich habe den Eindruck,
Herr Kollege de With, daß Sie selbst dagegen verstoßen haben. Wir haben darauf verzichtet, den gesamten Katalog der Vorschriften sehr schwerwiegender Straftaten, die in unserem ursprünglichen Entwurf enthalten waren, neu in die Debatte einzuführen, zum Inhalt eines Änderungsantrages zu machen. Wir waren der Auffassung, daß wir die Vorschriften, bei denen es uns unumgänglich erscheint, daß sie in dieses Gesetz noch hineinkommen, zum Inhalt dieses Antrages machen sollten. Ich glaube, daß ich nichts über den schwerwiegenden kriminellen Gehalt des erpresserischen Menschenraubes und der Geiselnahme zu sagen brauche. Das hat Herr Kollege de With selbst eingeräumt. Der Einwand, der erhoben wird, ist der, daß das nicht als Seriendelikt vorkomme. Herr Kollege de With, ich verstehe dann nicht ganz die Einwände, die erhoben werden. Wenn es als Seriendelikt nicht vorkäme, wie Sie unterstellen, dann wäre doch die Folge die, daß der Haftgrund der Wiederholungsgefahr, der ohnehin nur subsidiär eingreift, nicht zum Tragen käme. Denn nur für den Fall, daß diese Delikte serienmäßig begangen werden und andere Haftgründe, nämlich Fluchtgefahr und Verdunkelungsgefahr, nicht vorliegen, trifft der Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten de With?
Bitte, Herr Kollege de With.
Herr Vogel, gehen Sie mit mir davon aus, daß keiner der Länderinnenminister die Vorschriften des erpresserischen Menschenraubes und der Geiselnahme oder, wenn wir vom alten Gesetzestext ausgehen, des erpresserischen Kindesraubes in den Katalog der Straftaten aufgenommen hat, bei denen es heute die Wiederholungsgefahr gibt, so daß auch das Material der Länderinnenminister dagegen spricht?
Herr Kollege de With, erstens richte ich mich in dem, was ich mir politisch vornehme, nicht nach dem, was Minister der Länder, soviel Respekt ich vor ihnen habe, an Meinungen vertreten. Zum zweiten habe ich den Eindruck, daß Sie lediglich retrospektiv an diesen Entwurf herangegangen sind, daß Sie das unterlassen haben, was doch sonst Ihre Stärke ist, nämlich zukunftsorientiert Politik zu machen. Ich glaube, wenn Sie hier in die Zukunft schauen, können Sie sehr wohl abmessen, welche Delikte diejenigen sein werden, die künftig unter Umständen serienmäßig begangen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Erhard?
Bitte, Herr Kollege Erhard.
Herr Kollege Vogel, wären Sie bereit, dem Herrn de With zu sagen, daß die Vorschriften, die hier in Rede
stehen, so jung sind, daß Verstöße gegen sie in keiner Statistik irgendwo, auch nicht bei den Innenministern überhaupt enthalten sein können?
Herr Kollege Erhard, eigentlich hätte man das unterstellen sollen, da der Herr Kollege de With dem Strafrechtssonderausschuß angehört und dort an diesen Vorschriften mitgewirkt hat. Ich bin aber gern bereit, Herr Kollege Erhard, dies ausdrücklich dem Herrn Kollegen de With zu bestätigen.
Meine Damen und Herren, einige wenige Sätze zu dem, was zu § 242 - einfacher Diebstahl - und zu § 259 - Sachhehlerei - hier vorgetragen worden ist. Herr Kollege Schmude, der schwere Diebstahl ist in der Tat in § 243 geregelt. Die Frage ist nur, ob wir nach der Neuregelung des schweren Diebstahls rechtssystematisch den einfachen Diebstahl einfach herauslassen können. Das ist einmal eine rechtssystematische Frage, die dazu geführt hat, daß die Länder in ihrem Entwurf die Vorschrift über den einfachen Diebstahl aufgeführt haben. Wir haben das sehr wohl auch bei unserem Entwurf gesehen. Wir wollten, da wir hier auf andere Weise einschränken wollten, als es der Bundesrat getan hat, diese Vorschrift nicht aufführen. Aber bitte denken Sie daran, daß es eine allgemeine Sperre gibt, die gegen den Mißbrauch des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr wirkt. Das ist die Sperre, daß es sich in jedem Fall um Straftaten handeln muß, die die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen. Das ist das, Herr Kollege Schmude, was aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Sie zitiert haben, übernommen ist, was sozusagen als Obersatz über dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr steht. Das können Sie nicht wegbringen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen kleinen Augenblick; sofort, Herr Kollege Schmude.
Meine Damen und Herren, jedermann weiß, wie ungeheuer schwierig es ist, im Einzelfall festzustellen, ob es sich um einen einfachen oder einen schweren Diebstahl handelt. Wenn ich ein Auto aufbreche, um das Radio herauszunehmen, ist es ein schwerer Diebstahl. Wenn ich gleich das ganze Auto mitnehme, ist es ein einfacher Diebstahl. Meine Damen und Herren, nun machen Sie irgend jemandem in dieser Welt klar, daß dort, wo serienmäßig Autos aufgebrochen werden, um die Radios herauszuholen, ein Haftgrund der Wiederholungsgefahr vorliegen kann und da, wo gleich die ganzen Autos serienmäßig mitgenommen werden, das nicht der Fall ist. Ich glaube, das so zu sehen, zeigt schon, wie schief Sie hier in dieser Sache liegen. Deshalb bitte ich Sie herzlich, über die emotionalen Vorbehalte hinwegzusehen und im Auge zu behalten, daß es den Obersatz „schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung" gibt und von da her - wenn wir die Sache wirklich ernsthaft sehen - auch keinerlei Gefahr besteht, daß es etwa zu einer mißbräuchlichen Anwendung dieser Vorschrift kommen könnte, schon gar
nicht im Bereich der Diebstahlskriminalität. Das
sollte uns doch alle zu der Überzeugung bringen,
diese beiden Vorschriften mit aufnehmen zu müssen.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Schmude.
Herr Kollege Vogel, darf ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß Sie bei dem sehr eindrucksvollen Beispiel mit dem aufgebrochenen Kraftfahrzeug von der veralteten, inzwischen nicht mehr geltenden Fassung des Straftatbestandes des schweren Diebstahls ausgegangen sind und daß der § 243 der in unserem Katalog enthalten ist, inzwischen auch den Fall erfaßt, in dem ein Fahrzeug aufgebrochen wird, um es im ganzen zu stehlen?
({0})
Wenn das so ist, Herr Kollege Schmude, dann können Sie nicht über das hinwegsehen, was ich hier an rechtssystematischen Gründen genannt habe. Aus rechtssystematischen Gründen können Sie dann die Vorschrift des einfachen Diebstahls und die Vorschrift des schweren Diebstahls nicht auseinanderpulen. Sie haben offenbar das Bedürfnis, hier ein Repetitorium über die Zusammenhänge von §§ 242 und 243 abzuhalten. Wenn es den Bundestag nicht langweilt, bin ich gern bereit, weitere Zwischenfragen dazu entgegenzunehmen.
Zunächst Herr Kollege Schmude!
Würden Sie bitte auch berücksichtigen, Herr Kollege Vogel, daß wir übereinstimmend dafür sind, den Tatbestand der einfachen Körperverletzung nicht in den Katalog aufzunehmen, und daß es dann doch sehr merkwürdig wäre, dem einfachen Diebstahl größeres Gewicht beizumessen.
Herr Kollege Schmude, Sie gehen davon aus, daß wir einverständlich der Auffassung sind, daß das nicht aufgenommen werden soll. Ich möchte Ihnen dazu sagen, daß wir sehr ernsthaft darüber diskutiert haben, auch die Vorschrift der einfachen Körperverletzung aufnehmen zu sollen. Sie wissen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine nur einfache Körperverletzung vorliegt, wenn jemand infolge eines Kinnhakens vier Zähne verliert und dies nicht zu einer Entstellung führt, d. h. es müssen vier Bakken- und nicht vier Vorderzähne sein. Ich glaube, daß Derartiges - serienmäßig begangen - durchaus die Erwägung nahelegen könnte, auch die einfache Körperverletzung mit in den Katalog aufzunehmen, ganz einfach deshalb, weil hier auch der Obersatz „schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung" steht, Herr Kollege Schmude. Wir würden eine Anregung von Ihnen, die einfache
Körperverletzung mit aufzunehmen, gerne aufgreifen. Der Unterschied liegt in den Strafandrohungen, die im Gesetz enthalten sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stark?
Herr Kollege würden Sie den Herrn Kollegen Schmude vielleicht davon unterrichten, daß nach allen uns vorliegenden Unterlagen, vor allem aus den Großstädten, jährlich Hunderte von unverschlossenen Kraftfahrzeugen gestohlen werden und daß dies einfacher Diebstahl ist? Würden Sie mir weiter zustimmen, daß es heute für einen Menschen, dessen Auto gestohlen wird und der dafür keinerlei Ersatz bekommt, ein schwerwiegender Eingriff in seine Rechtssicherheit ist?
Herr Kollege Stark, wenn der Herr Kollege Schmude bereit gewesen wäre, kühl und mit einer besonnenen Sonde das zu bewerten, was ich an Beispielen hier vorgetragen habe, hätte er eigentlich auch darauf kommen müssen. Ich gebe Ihnen völlig recht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Herr Kollege Vogel, wären Sie bereit, den Kollegen Schmude davon zu unterrichten, daß der einfache Diebstahl ein besonders seriengeneigtes Delikt ist? Es ist der heutigen „Welt" zu entnehmen, daß der Präsident des Bundeskriminalamtes folgendes festgestellt hat:
Das Ansteigen der Kriminalität beruht vor allem auf einer Zunahme der Eigentumskriminalität, hier wieder in erster Linie einer Zunahme des Laden- und Kaufhausdiebstahls.
Ich darf meine Frage wiederholen: Herr Kollege Vogel, sind Sie bereit, dieses Faktum dem Kollegen Schmude noch einmal vor Augen zu führen?
Herr Kollege Lenz, ich bin sogar davon überzeugt, daß es dem Herrn Kollegen Schmude sehr wohl gegenwärtig ist.
Ich darf hier noch einmal sagen - auch auf Ihren Zwischenruf hin, Herr Kollege Dürr -: Über allem steht der Obersatz, daß es sich um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch diese Straftaten handeln muß. Daran kommen Sie nicht vorbei. Das Problem, das wir dabei haben - das darf man an dieser Stelle doch sagen -, ist, daß es offenbar unüberwindliche Schwierigkeiten gibt, einen Generaltatbestand des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr einzuführen. Wir müssen hier auf einen Katalog zurückgreifen, der notwendigerweise Ungereimtheiten enthält.
Meine Damen und Herren, die Einführung eines Generaltatbestandes ist aus den verschiedensten
Gründen nicht möglich gewesen. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen. Ich bitte Sie nur, den Rat des Kollegen de With zu befolgen, die Sonde sorgsam anzulegen und kühl zu prüfen. Stimmen Sie deshalb unserem Änderungsantrag zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Man unterhält sich hier jetzt noch einmal über einzelne Tatbestände im Zusammenhang mit der erheblichen Erweiterung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, den wir vorher nur in einem einzelnen Fall hatten. Ich glaube, wenn man diese Diskussion richtig verstehen will, muß man noch einmal ganz kurz an die Ausgangsposition erinnern. Diese ist doch, daß wir hier etwas tun, was dem Wesen unserer Rechtsordnung zutiefst widerstrebt. Wir halten nämlich einen Mann, ohne daß ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, das uns allein das Recht geben würde, zu sagen, daß der Mann das und das getan hat, unter Verschluß, bevor wir die Voraussetzungen, die hier alle genannt sind, auf die einzige rechtsstaatliche Weise kennen, d. h. durch rechtskräftiges Urteil.
Dies steht am Anfang der ganzen Sache. Es ist nach meiner Ansicht heute morgen bei dem kleinlichen Streit um die eine oder andere Bestimmung etwas in den Hintergrund getreten, zwar insofern mit Recht, als wir das in zwei Debatten schon seht viel gründlicher erörtert hatten, aber insofern auch zu Unrecht, als es bei der Diskussion der Einzeltatbestände, die hier heute morgen vorgenommen worden ist, leicht den Blick trüben kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Vogel!
Herr Kollege Kleinert, würden Sie mir, wenn Sie davon ausgehen, daß uns allen bekannt ist, daß es sich bei dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr um eine Präventivmaßnahme handelt, bestätigen, daß die sehr oft zitierte Menschenrechtskonvention ausdrücklich einen solchen Haftgrund der Wiederholungsgefahr als Präventivmaßnahme zuläßt, was doch sehr deutlich zeigt, daß man das auch bei der Beratung der Menschenrechtskonvention, bei der es um die Ausgestaltung der Grundrechte der Menschen gegangen ist, berücksichtigt und als ein notwendiges Anliegen anerkannt hat?
Herr Vogel, wenn es nicht so wäre, wie Sie sagen, und wenn es auch nach unserem Recht nicht so wäre, daß das in Ausnahmefällen möglich wäre, dann wäre es ja völlig unmöglich, daß wir uns heute hier überhaupt darüber unterhalten und in den letzten Monaten darüber unterhalten haben. Das ist doch ganz klar.
({0})
In Wirklichkeit habe ich doch nichts weiter versucht, Herr Vogel, als noch einmal in die Erinnerung zurückzurufen, daß es sich bei der Ausgangsbasis um etwas ganz Besonderes handelt.
Wir sehen uns nach all den Diskussionen wieder einmal den §§ 242 und 259 StGB gegenüber. Für den Betroffenen ist es außerordentlich mißlich, wenn er bestohlen wird. Es ist auch nicht gut, daß Hehler dieses Diebesgut ankaufen. Aber das liegt doch nicht im Bereich der Art von Kriminalität, die unbedingt verhindert werden muß.
({1})
Das ist doch nicht das, was solche Ausnahmeregelungen rechtfertigen kann. Wir waren der Meinung, daß hier in nur ganz seltenen Ausnahmefällen eingegriffen werden darf.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Herr Kollege Kleinert, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß Sie eben neue Begriffe in die Strafrechtswissenschaft eingeführt haben,
({0})
indem Sie von der Kriminalität, die zu verhindern ist, und derjenigen, die nicht zu verhindern ist, gesprochen haben?
Nein, nein! Ach Herr Lenz, diesen Einwand hätte ich Ihnen eigentlich nicht zugetraut.
({0})
Es ging mir um die Kriminalität, die zu verhindern ist im Wege eines so exzeptionellen Eingriffs, wie ihn die Haft wegen des Verdachts der Wiederholung darstellt. Ich dachte, es hätte sich aus dem Sachzusammenhang ergeben, daß ich von derjenigen Kriminalität sprach, die so zu verhindern ist. Aber wenn sich das für Sie nicht ergeben hat, habe ich das hier gerne noch einmal zur Klarstellung gesagt. Wir möchten selbstverständlich gern jede Art von Kriminalität verhindern, bloß nicht jede Kriminalität auf dem Wege und in der Form, wie Sie das wollen.
Weil Sie jetzt auch nach all diesen Diskussionen nicht davon ablassen und weil wir Juristen die Mehrheit der Kollegen, die sich für diese Probleme nicht so brennend interessieren, mit der heute doch schon zum vierten oder fünften Male wiederholten Diskussion wahrscheinlich etwas zu sehr strapazieren, muß ich mich jetzt darauf beschränken, Ihnen ganz kurz und klar zu sagen: Nachdem Sie trotz aller unserer Argumente - meine Herren Vorredner haben das sehr gründlich noch einmal ausgeKleinert
führt - in Ihren Katalog wieder den § 242 und den § 259 StGB hineingeschrieben haben, müssen wir Ihren Antrag ablehnen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 304. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt Art. 1 in der vorliegenden Fassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Art. 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum drittenmal innerhalb weniger Monate in diesem Jahr beschäftigt sich das Hohe Haus mit dem Problem eines verbesserten und effizienteren Haftrechts. Wenn Herr Kollege Kleinert das eben bemängelt hat, so bin ich ganz anderer Meinung. Ich bin der Meinung, die Bedeutung dieses Themas rechtfertigt es durchaus, daß wir uns hier darübereingehend, sachlich und mit genügend Zeit unterhalten.
({0})
- Wir stehen immer noch besser da als Sie, Herr Kleinert. Schauen Sie einmal hinter sich!
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf für die CDU/CSU-Fraktion mit Befriedigung und Genugtuung feststellen, daß am heutigen Tage mit der Verabschiedung des vor uns liegenden Gesetzentwurfs zur Änderung der Strafprozeßordnung das Stadium der theoretischen, teilweise ideologischen und emotionalen Diskussion verlassen wird und daß endlich in einem Sinne gehandelt wird, wie es die Bevölkerung von uns seit Jahren erwartet, wie es aber auch die unmittelbar mit der Verbrechensverfolgung befaßten Stellen - Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte - überwiegend von uns fordern. Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht eine Behauptung von uns, sondern dies ist gesicherte Grundlage, nachdem inzwischen 1200 Blatt Erfahrungsmaterial aus den Landesjustizverwaltungen, aus den Landesinnenverwaltungen, aus der polizeilichen Praxis und von den Gerichten vor uns liegen.
Wir begrüßen besonders, daß auf Grund einer Vorlage und des ständigen Drängens der CDU/CSUFraktion das ganze Haus, wie es scheint, sich inzwischen nach einem schmerzlichen Umdenkungsprozeß bei vielen Kollegen der SPD und FDP und auch bei manchen Ministern, zu dieser notwendigen Verbesserung des Haftrechts entschlossen hat.
({2})
Was viele in unserem Volk diesem Bundestag offenbar nicht mehr zugetraut haben, wird erstaunlicherweise heute Wirklichkeit. Vielleicht hat die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse, vielleicht hat die Tatsache, daß man im Augenblick mehr als bisher auf die Opposition hört, dazu beigetragen, so daß auch das Patt in diesem Hause eine angenehme Begleiterscheinung für die CDU/CSU hat.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Leistung ist besonders bedeutsam, nachdem der Bundesminister der Justiz dieser Regierung noch am 2. Februar dieses Jahres anläßlich der Debatte über das Haftrecht auf Grund unserer Vorlage und anläßlich der Rede des Kollegen Vogel apodiktisch geäußert hat, damit sei die gemeinsame Grundlage endgültig beseitigt,
({4})
weder der Bundesjustizminister noch die Koalitionsparteien würden sich an dem Versuch des Angstmachens, der Verunsicherung und der Vorlage von leichtfertigen und oberflächlichen Entwürfen beteiligen. Das war die Einstellung des Herrn Bundesjustizministers noch vor drei Monaten.
({5})
Wir freuen uns über den Umdenkungsprozeß, Herr Justizminister, der bei Ihnen langsam, aber ganz offensichtlich von Debatte zu Debatte vonstatten gegangen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir würden nun aus einer gewissen Befriedigung und Freude über die Gemeinsamkeit des Hauses in dieser Sache sehr gern über die Entwicklung dieser Novelle, über ihre ganze Leidensgeschichte schweigen. Wir können das leider nicht. Zwei Gründe zwingen uns als Opposition, einiges dazu zu sagen.
Erstens ist die Kontroverse, die Diskussion über das Problem der Haftrechtsnovelle sowohl innerhalb dieses Hauses als auch außerhalb des Hauses sehr engagiert geführt worden, und das meines Erachtens zu Recht, weil gerade die Gestaltung des Haftrechts tief in unsere verfassungsrechtliche Grundordnung, in unseren freiheitlichen Rechtsstaat, eingreift. Es geht insbesondere um den Interessengegensatz zwischen dem Schutz des einer Straftat verdächtigen Bürgers einerseits und um den Anspruch des Staates auf eine effektive Strafverfolgung und auf den Schutz der friedfertigen und gesetzestreuen Bürger vor Verbrechen. Das ist ein echter Interessengegensatz, den wir im Rahmen unseres Grundgesetzes zu lösen haben.
Noch aus einem zweiten Grund müssen wir auf diese Entstehungsgeschichte eingehen. Meine Damen und Herren, wir von der Opposition haben in drei Jahren Umgang mit dieser Regierung leider erfah11416
Dr. Stark ({6})
ren müssen, daß jedes Gesetz, das hier verabschiedet wird - mag es initiiert sein und kommen, von wem es will, mag die Opposition noch so große Beiträge dazu geleistet haben -, am Schluß im Reformkatalog dieser Bundesregierung abgehakt wird, ohne daß auch nur mit einem Wort auf die Verdienste der Initiatoren, vor allem der Opposition, eingegangen wird.
({7})
Wir mußten diese Erfahrung beim Betriebsverfassungsgesetz, beim Städtebauförderungsgesetz, bei der Herabsetzung des Wahlalters machen, lauter Gesetzen, zu denen wir Alternativen und Entwürfe vorgelegt haben, zum Teil sogar vor der Regierung. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, mir nicht böse zu sein, wenn ich auf den schmerzlichen Gang dieser Novelle bis heute kurz eingehen muß. Er ist nämlich auch für die Denkweise und für einen gewissen Lernprozeß dieses Parlaments und einiger Minister, vor allem der zwei Herren Minister, die für unsere innere Sicherheit zuständig sind und die erfreulicherweise dieser Debatte beiwohnen, symptomatisch. Ich werde auf diese Behauptung nachher noch im einzelnen zurückkommen.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion müssen in aller Bescheidenheit, aber auch in aller Deutlichkeit festhalten, daß die Initiative zur Verbesserung des Haftrechts von uns ausging. Ohne unser Drängen, ohne unsere Initiative, ohne die Initiative des Bundesrates, die von CDU- und CSU-regierten Ländern ausging, gäbe es heute keine Verbesserung des Haftrechts. Ich sage das nicht aus Rechthaberei oder weil ich Streit wegen der Urheberschaft beginnen wollte, sondern weil es von schwerwiegender Bedeutung ist, daß wir erst heute ein verbessertes Haftrecht bekommen. Hätten wir es in früheren Jahren bekommen - wir hatten spätestens im Jahre 1969, als Entwürfe der CDU, SPD und CSU auf dem Tisch lagen, die Möglichkeit dazu gehabt -, wäre das Haftrecht damals novelliert worden, wären Hunderte, wenn nicht gar Tausende von schweren Serien- und Gewalttaten nicht begangen worden, weil die Täter sinnvollerweise in Untersuchungshaft gesessen hätten.
({8})
- Herr Matthöfer, leider hatten Sie nicht die Möglichkeit, die Unterlagen zu studieren. Ihr Zwischenruf ist rein ideologischer Art.
({9})
Ich hatte die Möglichkeit, die Unterlagen zu studieren. Ich berufe mich hier vor allem auf Polizeipräsidenten, Herr Matthöfer, z. B. auf Herrn Schreiber aus München und Herrn Ender aus Wiesbaden. Beide sind Mitglieder Ihrer Partei.
({10})
Ich empfehle Ihnen, sich mit diesen beiden Herren einmal zu unterhalten.
({11})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Jahre 1964 ist dieses Hohe Haus mit der damaligen Haftrechtsnovelle beim Versuch einer Lösung des Interessengegensatzes: Schutz des einer Straftat verdächtigen Bürgers, Anspruch des Staates auf eine effektive Verfolgung von Verbrechen und Schutz des gesetzestreuen Bürgers vor Verbrechen, ganz offensichtlich über das Ziel hinausgeschossen. Das sollten wir heute erkennen und daraus die Folgerungen ziehen. Ich darf der Vollständigkeit halber erwähnen, daß bereits 1964 einige Kollegen und Kolleginnen in diesem Hause gesehen haben, daß man in einem sicherlich gutgemeinten Liberalisierungsbestreben in der Gefahr stand, über das Ziel hinauszugehen. Ich darf daran erinnern, daß ein so erfahrener Kollege wie Herr Dr. Güde, der Kollege Kanka und andere schon damals einen Antrag - Umdruck 500 - eingebracht haben, der einen Haftgrund der Wiederholungsgefahr - allerdings, das muß ich hinzufügen, in Form einer konkretisierten Generalklausel; über die Form hätte man streiten können - vorsah. Dieser Antrag wurde vor allem wegen des maßgeblichen Widerspruchs des damaligen Abgeordneten Jahn, unseres heutigen Bundesjustizministers, abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir hatten dann ein zweites Mal die Chance, ein vernünftiges Haftrecht zu schaffen, nämlich im Jahre 1969. Sie kennen alle die leidvolle Geschichte, als ein wirklich erfahrener Kollege aus der Fraktion der SPD, Herr Martin Hirsch, der jetzige Bundesverfassungsrichter, den Versuch machte, nachdem festgestellt worden war, daß die Verbrechenshäufigkeit stieg und die Aufklärungsquote sank - das war übrigens mit auf die Haftrechtsnovelle von 1964 zurückzuführen -, einen Gesetzentwurf einzubringen und das mit uns zusammen schließlich auch getan hat. Auch die CSU hat seinerzeit einen Gesetzentwurf eingebracht. Dieses Hohe Haus hätte damals die Möglichkeit gehabt. beide Gesetzentwürfe zu beraten und zu verabschieden; die Zeit dafür hätte völlig ausgereicht. Ich muß leider sagen, daß man sich seinerzeit - das sollte uns nicht ein zweites Mal passieren - durch eine zum großen Teil emotionale, ideologische, doktrinäre Kritik hat verunsichern lassen und deshalb davon Abstand genommen hat, im Jahre 1969 das zu tun, was notwendig gewesen wäre. Kommen Sie mir nicht jetzt von der Gegenseite mit dem Argument
({12})
- Entschuldigung, ich möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren -, damals hatte es noch keine Unterlagen gegeben. Herr Justizminister, das war immer Ihr Ein- und Vorwand. Damals gab es bereits genügend Unterlagen. Der Innenausschuß hatte schon im Jahre 1968 ein Hearing zu dieser Frage durchgeführt. Aus der polizeilichen Praxis, vor allem von den Polizeipräsidenten großer Städte, z. B. von Herrn Schreiber aus München und Herrn Ender aus Wiesbaden, sind uns lange Berichte über die Auswirkungen der Haftrechtsnovelle von 1964 vorgelegt worden. Man wollte daraus auf Ihrer Seite nur nicht die Konsequenzen ziehen.
Dr. Stark ({13})
Besonders hervorgetan hat sich in dieser Debatte 1969 - jetzt muß ich auf Sie kommen, Herr Genscher - der damalige Abgeordnete Genscher, unser von mir nun wirklich sehr verehrter Herr Innenminister, der damals mit aller Entschiedenheit gegen jegliche Änderung des Haftrechts eingetreten ist. Im Jahre 1969 hat es die ganze FDP überhaupt abgelehnt, über eine Haftrechtsnovelle zu diskutieren. Wir freuen uns, Herr Genscher, daß auch bei Ihnen, der Sie inzwischen zumindest verbal zu einem harten Verbrechensbekämpfer geworden sind, offensichtlich ein Umdenkungsprozeß stattgefunden hat. Was ich hier vorbringe, ist in den Protokollen nachzulesen, und ich bin auch gern bereit, die Behauptungen, die ich hier aufstelle, an Hand der Protokolle nachzuweisen.
({14})
- Herr Minister, ich werde das gleich tun, und ich hoffe, daß Sie in Ihrer Rede dann dazu Stellung nehmen werden. Sie haben sich inzwischen, wie ich erfahren habe, zum Haftrecht anders ausgesprochen, und es würde uns freuen, wenn Sie hier in aller Öffentlichkeit Ihre Einstellung, die Sie heute dazu haben, zum Ausdruck brächten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich mit diesem historischen Entwicklungsprozeß befassen müssen, weil er wohl eines zeigt: wir sollten uns in so entscheidenen Fragen der Sicherheit unseres Landes und unserer Bürger nicht von einer emotionalen, doktrinären, zum Teil ideologischen Kritik verunsichern lassen, sondern, wenn wir etwas verantwortlich geprüft haben, ohne Rücksicht auf eine gewisse Kritik aus bestimmten Ecken das tun, was Pflicht dieses Hauses ist.
({15})
Das sollte für diese Sache gelten, und das sollte auch in anderen Bereichen gelten, über die wir heute noch sprechen werden.
Zu dem Gesetzentwurf selbst, wie wir ihn jetzt gemeinsam erarbeitet haben, darf ich für die CDU/ CSU-Fraktion zum Ausdruck bringen, daß wir, obwohl wir nicht alle unsere Vorstellungen durchsetzen konnten, im großen und ganzen eine ausgewogene, verfassungsgemäße, aber auch effiziente Lösung des Problems des Haftrechts gefunden zu haben glauben.
({16})
Insbesondere hoffen wir, daß durch die Neufassung des Haftgrundes der Fluchtgefahr in Zukunft vermieden wird, daß allein wegen des Vorliegens oder Behauptens eines festen Wohnsitzes oder familiärer oder sozialer Bindungen selbst bei gefährlichen Serien- und Berufsverbrechern das Vorliegen von Fluchtgefahr verneint wird. Wir sind uns nicht völlig sicher, ob die gefundene Lösung ausreicht, aber wir vertrauen auf die richtige Anwendung durch unsere Richter. Verehrte Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, wir haben zu den Richtern mehr Vertrauen, als Sie in Ihrem Beitrag zu der Debatte im Jahre 1969 gegenüber den Richtern zum Ausdruck gebracht haben. Sie deuteten damals an, im
Augenblick könne man den Richtern vertrauen, aber angesichts dessen, was da noch alles komme, müsse man doch sehr vorsichtig sein. Wir glauben, daß sowohl die jüngeren Richter als auch die älteren voll zu unserem Rechtsstaat stehen, und wir haben das Vertrauen, daß sie diese Vorschriften richtig anwenden, die dann, so wie wir sie gefunden haben, auch ausreichen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus?
Bitte schön!
Herr Kollege, nachdem Sie mich direkt angesprochen haben, möchte ich Sie fragen: Ist es nicht so, daß leider von den Richtern und von der Polizei nicht immer erkannt wird - das haben wir erfahren -, daß ein fester Wohnsitz die Fluchtgefahr eben nicht ausschließt? Insofern liegt nach meiner Auffassung eine richtige Anwendung des bisherigen Haftrechts nicht vor.
Sehr verehrte Frau Kollegin, wir haben uns darüber schon im März unterhalten. Ich gebe Ihnen zu, daß in dieser Frage eine gewisse Unsicherheit bestand und daß es Gerichte gab, die das Gesetz strenger auslegten. Aber schon daß es möglich war, daß viele Gerichte das Vorliegen eines Wohnsitzes offensichtlich dazu benutzt haben, den Haftgrund der Fluchtgefahr zu verneinen, zeigt doch, daß wir hier etwas ändern müssen.
Für einen wesentlichen Fortschritt halten wir auch die Tatsache, daß es uns auf Grund unseres Zusatzantrages gelungen ist, den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr zu verbessern. Nach der alten Fassung wurde der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr praktisch außer Kraft gesetzt, weil der Richter dem Täter die erkennbare Absicht, zu verdunkeln, nachweisen mußte, was er gerade bei den intelligenten Schwer- und Serienverbrechern nicht konnte. Ich freue mich, daß gemeinsam mit den Kollegen aus der SPD- und der FDP-Fraktion eine bessere Lösung gefunden worden ist.
Einen ganz wesentlichen Fortschritt sehen wir darin, daß in Anbetracht der schrecklichen Erfahrungen der letzten Monate mit Sprengstoffanschlägen, deren Täter bewußt die Gefährdung von Leib und Leben von Menschen in Kauf nehmen oder sie vorsätzlich wollen, die entsprechende Strafvorschrift, nun als ein absoluter Haftgrund, in das Strafprozeßrecht aufgenommen worden ist.
({0})
Die Aufnahme dieses Delikts soll sowohl eine spezialpräventive Funktion wie auch eine generalpräventive Funktion haben und soll ermöglichen, daß diese Gewalttäter, die, aus welchen Motiven auch immer, Menschenleben ohne Rücksicht und zum Teil in einer schrecklichen Weise gefährden, in Untersuchungshaft genommen werden können, um sie da11418
Dr. Stark ({1})
von abzuhalten, solche Verbrechen weiter zu begehen.
Mit dem Katalog der Wiederholungsstraftaten sind wir nicht völlig einverstanden. Wir haben den Versuch gemacht, einige von uns aus gesehen notwendige Tatbestände noch in diesen Katalog hineinzubringen. Aber diese Tatbestände sind für uns nicht so schwerwiegend, daß wir bei einem Scheitern unseres Versuchs dem Gesetz nicht zustimmen könnten. In diesem Zusammenhang haben wir davon abgesehen, die ursprünglich in unserem Entwurf vorgesehenen sogenannten politischen Straftaten -§ § 88, 125, 129 StGB - aufzunehmen. Lassen Sie mich aber in aller Deutlichkeit sagen, daß wir das nicht deshalb getan haben, weil wir etwa meinen, politisch motivierte Straftaten seien milder oder anders zu beurteilen als kriminelle Straftaten anderer Art. Wir haben es allein deshalb getan, weil wir erwarten, daß bei der schwerwiegenden Bedeutung dieser Delikte und bei ihrem zum großen Teil konspirativen Charakter entweder der Haftgrund der Fluchtgefahr oder der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr schon vorliegt.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes feststellen: Bei unseren Beratungen haben wir uns an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Jahre 1965 bezüglich der Zulässigkeit und den Voraussetzungen der Einführung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr orientiert. Ganz klar muß gesagt werden: das, was wir hier erarbeitet haben, ist verfassungsgemäß. Es ist - das muß auch gesagt werden - trotz einer gewissen Verschärfung noch das liberalste Haftrecht in allen westeuropäischen Demokratien. Dieses neue Haftrecht widerspricht in keiner Weise der Menschenrechtskonvention, sondern diese Lösung entspricht durchaus ihrem Art. 5.
Wir sind uns bewußt, daß allein mit diesem neuen Haftrecht die Zahl der Wiederholungstäter nicht wesentlich verringert wird; wir werden diese Zahl verringern, aber damit allein nicht. Was sich an diese Reform des Haftrechts anschließen muß, ist eine Reform des Strafvollzugs. Wir müssen erreichen, daß zumindest die resozialisierungsfähigen Täter nach Strafverbüßung weniger geneigt sind, in Zukunft Straftaten zu begehen, als es vorher der Fall gewesen ist. Sonst - das gebe ich Ihnen zu, Herr de With - hätte diese Lösung allein nicht den Effekt, den wir mit ihr erreichen wollen.
Wir erwarten, daß mit dieser Neuordnung des Haftrechts die Polizei in unserem Lande, die Staatsanwaltschaften, die Richter wieder mehr das Gefühl bekommen, daß sie bei der Durchführung ihrer schweren Aufgabe in einer pluralistischen Gesellschaft - in der viele Werte sich wandeln und zusammenbrechen, ohne daß schon neue Wertvorstellungen gefunden werden - von diesem Hohen Haus, vom Gesetzgeber nicht allein gelassen werden. Das ist eine unserer Erwartungen, die wir mit diesem Gesetz verbinden.
Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck bringen, daß wir dem Gesetzentwurf zustimmen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger. Es sind 25 Minuten beantragt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst drei Vorbemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Stark, die er soeben hier gemacht hat.
Erste Vorbemerkung. Nicht ein schmerzlicher Umdenkungsprozeß oder das Patt in diesem Hause haben die SPD-Fraktion und die Koalition veranlaßt, diese Haftrechtsnovelle heute hier im Bundestag zu verabschieden, sondern wir sind auf Grund einer sorgsamen Prüfung des uns vorliegenden Tatsachenmaterials und einer sorgsamen Prüfung der rechtsstaatlichen Grundsätze zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Verschärfung des Haftrechts notwendig ist.
Zweite Vorbemerkung. Herr Kollege Stark, ich habe den Eindruck, daß Sie unter einem gewissen Trauma leiden oder, besser gesagt - die modernen Psychologen und Soziologen sprechen von einem Frustrationskomplex - unter einem Frustrationskomplex, quasi unter einer Zwangsvorstellung, wenn Sie hier immer wieder den Versuch unternehmen, für den einen oder anderen Gesetzentwurf die Urheberschaft der CDU/CSU zu begründen. Sie haben das in der letzten Woche bereits bei der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters getan. Sie haben es heute wieder getan. Ich will aber jetzt nicht darauf eingehen, wie mangelhaft und unvollständig Ihre Gesetzentwürfe vielfach sind, auch nicht darauf, daß Sie diese Gesetzentwürfe zu einem Teil einfach von Vorlagen der Bundesregierung abgeschrieben haben, wie das z. B. bei dem Gesetz zum Lebensmittelrecht der Fall war.
({0})
Dritte Vorbemerkung. Sie haben sich große Mühe gegeben, die Entwicklungsgeschichte der Haftrechtsnovelle darzustellen.
({1})
Einen Teil dieser Entwicklung haben Sie, Herr Kollege Stark, wie das bei Ihnen üblich ist, falsch dargestellt. Bei einem anderen Teil haben Sie wichtige Fakten einfach weggelassen. Ech bin der Meinung, dach beides unlauter und unredlich ist. Es wäre reizvoll, hier noch einmal im einzelnen auf diese Entwicklungsgeschichte einzugehen.
({2})
Es ist doch z. B. von Interesse, daß auch Ihre Fraktion im Jahre 1964 der Haftrechtsnovelle, wenn ich richtig unterrichtet bin, fast einstimmig zugestimmt hat. Sie haben zwar von einem Änderungsantrag gesprochen, Herr Kollege Stark, wir wissen aber inzwischen, daß dieser Änderungsantrag, wenn er angenommen worden wäre, der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts nicht standgehalten hätte.
({3})
- Herr Kollege Vogel, ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, daß Sie mich hier in der Weise angreifen, daß Sie erklären, das sei Unsinn. Ich will nicht untersuchen, ob das, was von Ihnen in den letzten Monaten hier vorgetragen worden ist, speziell in der Debatte vom 7. Juni, unsinnig war.
({4})
Es soll hier noch einmal klar und deutlich gesagt werden, daß diese Bundesregierung schon kurz nach Übernahme ihres Amtes unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat, daß sie nicht nur willens ist, sondern es für notwendig erachtet, zu einer intensiveren Verbrechensbekämpfung zu kommen, und zwar auch deshalb, weil in den zwanzig Jahren, in denen Sie an der Regierung waren, entweder nichts oder nicht genug getan worden ist.
Herr Kollege Stark, Sie stellen hier die Behauptung auf, Herr Genscher sei lediglich verbal zu einem harten Verbrechensbekämpfer geworden und habe seine Auffassung zur Haftrechtsnovelle nicht dargelegt. Ich möchte Sie, Herr Kollege Stark - Sie haben jetzt gerade ein Protokoll in der Hand - auf das Protokoll der Sitzung des Bundestages vom 7. Juni 1972 verweisen. Da hat der Bundesinnenminister in der Form der Regierungserklärung nicht nur überzeugend dargelegt, was diese Bundesregierung in den letzten drei Jahren an Einzelmaßnahmen zur Verbrechensbekämpfung , zur inneren Sicherheit durchgeführt hat, sondern hier hat sich Herr Bundesinnenminister Genscher auch vorbehaltlos hinter diese Haftrechtsnovelle gestellt.
({5})
Ich will jetzt nicht näher auf diese Entwicklungsgeschichte eingehen. Es kommt auch entscheidend auf das Ergebnis an; es kommt darauf an, wie wir den Menschen draußen im Lande helfen können und wie wir der Bevölkerung mehr Sicherheit geben können.
Dieses Gesetzesvorlage zur Änderung des Haftrechts ist das Ergebnis sehr intensiver und - auch das möchte ich sagen - sachlich geführter Beratungen im Rechts- und Innenausschuß. Diese Beratungen haben sich wohltuend von dem abgehoben, was wir in den letzten Wochen und Monaten an Auseinandersetzungen, aber auch an Hysterie und an Panikmache in der Öffentlichkeit, aber auch in diesem Hause, erlebt haben. Wir waren uns im Rechtsausschuß darüber einig, daß die Fragen der Verbrechensbekämpfung und der inneren Sicherheit nicht mit Schlagworten und auch nicht mit einer Schwarzweißmalerei beantwortet werden können.
({6})
Hierzu - jetzt hören Sie genau zu, Herr Kollege Stark - bedarf es vielmehr der Entschlossenheit aller demokratischen Kräfte in diesem Hause
({7})
- Sei haben zu früh geklatscht -, die aber in
Frage gestellt ist, wenn der Versuch unternommen wird, wie es hier geschehen ist, aus den Ereignissen der letzten Wochen und aus dem Ansteigen der Kriminalität parteipolitisches Kapital zu schlagen.
({8})
Jeder von uns weiß, daß die Entwicklung und das Ansteigen bestimmter Verbrechensformen keine Einzelerscheinung in der Bundesrepublik ist. Diese Entwicklung ist eine gemeinsame Sorge aller Industrienationen, und zwar nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Wir stehen hier vor einem internationalen Problem, und wir wissen auch, daß es hier kein Patentrezept zur Lösung dieser Probleme gibt. Wir wissen auch - darüber waren wir uns im Rechtsausschuß einig, und Herr Kollege Stark, Sie haben dankenswerterweise in Ihrer Rede darauf hingewiesen -, daß es in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat ungleich schwerer ist, Verstöße gegen Recht und Ordnung zu bekämpfen; zweifellos haben es Diktaturen hier wesentlich einfacher, wesentlich leichter, die ohne Rücksichtnahme auf irgendwelche Grundrechte und mit allen Mitteln eines Polizeistaates gegen Rechtsbrecher und auch gegen politisch unbequeme Staatsbürger vorgehen können. Ich glaube, daß viele unserer Landsleute in der Zeit von 1933 bis 1945, aber auch nach 1945, z. B. in der Zone, am eigenen Leib verspüren mußten, was es bedeutet, wenn Freiheit und Menschenwürde mit Füßen getreten werden.
Ein demokratischer Rechtsstaat muß diese Unbequemlichkeiten, diese Schwierigkeiten und auch dieses Risiko bewußt in Kauf nehmen. Wenn wir das nicht wollen, müßten wir uns eine andere Staatsoder Gesellschaftsform aussuchen.
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Aber ich bin überzeugt davon, niemand von uns will das, und wir stehen zu diesem Staat und zu dieser Gesellschaftsordnung ohne Wenn und Aber.
Aus diesem Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit - auch hierauf möchte ich noch einmal mit Nachdruck hinweisen - sollte aber niemand die Folgerung ziehen, daß wir nicht enschlossen und nicht willens sind, die Bürger unseres Landes vor Straf- und Gewalttaten zu schützen und den Terror einer kleinen Gruppe von Fanatikern mit den Mitteln des Rechtsstaates, aber ohne irgendwelche Kompromisse zu bekämpfen. Es ist deshalb absurd, wenn hier in der Diskussion bisweilen behauptet wird, in der Bundesrepublik werde jetzt eine Hexenjagd veranstaltet. Herr Bundesinnenminister Genscher hat in der Debatte am 7. Juni mit Recht darauf hingewiesen, daß wir bei der Bekämpfung der Kriminalität und auch bei der Bekämpfung des Terrors keinen Millimeter vom Wege des Rechts abweichen, das Recht aber mit Entschlossenheit anwenden.
Bei allen Fragen, die wir im Rechtsausschuß im Zusammenhang mit der Verschärfung des Haftrechtes erörterten, ging es um zwei entscheidende Grundprobleme.
Erstens. Wie können wir dieses Spannungsverhältnis --- Sie haben auch davon gesprochen, Herr Kollege Stark - zwischen dem Recht des einzelnen
auf persönliche Freiheit auf der einen Seite und dem unabweisbaren Bedürfnis einer wirksamen Strafverfolgung und damit auch dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern auf der anderen Seite lösen?
Zweitens. Wie können ein freiheitlicher Staat und eine freiheitliche Gesellschaft mit dem Problem fertig werden, sich vor Verbrechen zu schützen und gleichzeitig zu garantieren, daß der Beschuldigte, dessen Schuld noch nicht nachgewiesen ist, gegen Willkür gesichert und vor Unrecht geschützt wird?
Die Beantwortung dieser beiden grundlegenden Fragen konnte nur im Rahmen unseres Grundgesetzes und auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse und Erfahrungen unserer Strafverfolgungsbehörden und Gerichte erfolgen. Es war ja so, Herr Kollege Stark, daß wir diese Erkenntnisse zunächst zusammentragen mußten. Die im Jahre 1968 vorgelegten Unterlagen reichten nicht aus. Sonst hätten wir im Rechtsausschuß im Jahre 1970 ja nicht einstimmig beschlossen, zunächst zu warten, bis das von uns angeforderte Material vorliegt, und erst dann die Beratungen wiederaufzunehmen und zu einem Abschluß dieser Beratungen zu kommen.
Diese Beratungen und das Ergebnis des Materials, das uns vorgelegt wurde, führten auch zu den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1965 gezogen hat. Danach muß die Haft, die gegen einen noch nicht rechtskräftig Verurteilten verhängt wird, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen und die
Ausnahme bilden. Das ist das Entscheidende. Sie dient vornehmlich dem Zweck, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen. Die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr müssen deshalb auch den Vorrang haben. Eine Ausdehnung der Haft auf sogenannte Wiederholungs- oder Serientäter kann nur damit gerechtfertigt werden, „daß es hier um die Bewahrung eines besonders schutzbedürftigen Kreises der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten geht", wie es das Bundesverfassungsgericht wörtlich formuliert hat. Der Rechtsausschuß war deshalb einmütig der Auffassung, daß der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nur auf die schwere Wiederholungs- und Serienkriminalität ausgedehnt werden kann.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Auffassung, daß die vorliegende Lösung notwendig ist, sich an die Verfassungsnormen und die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichtes hält und den Bedürfnissen der Praxis entspricht.
Diese Lösung enthält folgende vier Änderungen bzw. Ergänzungen:
Erstens: Klarstellung des Haftgrundes der Fluchtgefahr. Damit soll deutlich gemacht werden, daß ein fester Wohnsitz oder Aufenthalt eine Fluchtgefahr nicht ausschließt. Wir wissen, daß ein Teil der gerichtlichen Praxis bisher schon bei Vorliegen eines festen Wohnsitzes grundsätzlich eine Fluchtgefahr ausschloß. Diese Praxis entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers aus dem Jahre 1964.
Zweitens: Klarstellung der Verdunkelungsgefahr. Nicht die Absicht des Beschuldigten, die - das wissen wir - fast nie nachzuweisen ist, sondern sein Verhalten soll für die Annahme einer Verdunkelungsgefahr maßgebend sein.
Drittens: Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf Tatbestände, die in Serientäterschaft begangen werden und eine schwere Bedrohung unseres Rechtsfriedens darstellen. Nach der übereinstimmenden Auffassung und den übereinstimmenden Berichten der Praxis liegen diese Voraussetzungen bei drei Deliktgruppen vor: zum einen bei den Eigentums- und Vermögensdelikten, zum anderen bei der schweren und gefährlichen Körperverletzung - dazu würde ich auch das Sprengstoffdelikt rechnen - und drittens bei den Rauschgiftdelikten.
Wir haben uns im Rechtsausschuß auch sehr eingehend mit der Frage beschäftigt, ob es sinnvoll und notwendig ist, diesen Katalog auf gewisse schwere Straftatbestände des Waffengesetzes auszudehnen. Wir sind aber nach sehr eingehender Prüfung, und zwar auch einstimmig, zu der Auffassung gekommen, daß uns das bisher vorgelegte Material - wie auch bei den Delikten nach §§ 239 a und 239 b - nicht ausreicht, um zum jetzigen Zeitpunkt den Katalog auf schwere Straftatbestände des Waffengesetzes auszudehnen. Das heißt nicht, daß nicht jederzeit eine Ergänzung möglich ist. Wenn uns das Bundesinnenministerium oder das Bundesjustizministerium in absehbarer Zeit neues Material vorlegt, werden wir selbstverständlich prüfen, ob es notwendig ist, diesen Katalog z. B. auf die schweren Straftatbestände des Waffengesetzes auszudehnen.
Viertens. Sehr eingehend wurden die Voraussetzungen geprüft und auch in das Gesetz aufgenommen, die nach den Verfassungsgrundsätzen und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhängung der Haft erforderlich sind.
Natürlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat es bei den Ausschußberatungen bei der einen oder anderen Detailfrage auch unterschiedliche Auffassungen gegeben, übrigens nicht nur zwischen den Regierungsparteien und der Opposition, sondern auch bei den Regierungsparteien selbst, auch in der eigenen Fraktion, in der SPD-Fraktion. Und, Herr Erhard, Sie wissen genau, auch in Ihrer Fraktion hat es bei der einen oder anderen Detailfrage durchaus unterschiedliche Auffassungen gegeben. Das ist auch nur natürlich, wenn es sich um so schwerwiegende Fragen handelt. Natürlich kann man den einen oder anderen Sachverhalt, wie es auch heute morgen bei dem Änderungsantrag von Ihnen geschehen ist, unterschiedlich bewerten oder die eine oder andere Formulierung unterschiedlich auslegen. Wer die Juristen kennt - und das haben wir Juristen heute morgen in der Diskussion wieder bewiesen -, weiß, daß es bei jedem Rechtsproblem mindestens drei Auffassungen gibt. Das war und ist auch bei der Frage des Haftrechts nicht anders. Gleichwohl kann dieser Gesetzentwurf, über den wir zu entscheiden haben, als rechtlich ausgewogen und den Notwendigkeiten
der Praxis angemessen bezeichnet werden. Die SPD-Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keiner von uns kommt auf die Idee, hier irgendeiner Fraktion des Hauses zu unterstellen, sie habe nicht das ganz korrekte Verhältnis zum Rechtsstaat, das Demokraten nun einmal haben sollen, besonders in diesem Land, das gegenteilige Erfahrungen schwerster Art hinter sich hat. Deshalb können wir das gleich herauslassen.
Herr Stark, Sie gehen dann aber eine Etage darunter und sagen, aus emotionalen und ideologischen Gründen hätten wir uns gesperrt. Was ist das? Welche Ideologie?
({0})
- Das können Sie im Protokoll nachlesen, das haben Sie vorhin hier gesagt.
({1})
- Ein andermal! Sie haben es ja auch gar nicht so gemeint, daß man der Sache nachgehen müßte, Sie haben von Emotionen und dergleichen gesprochen. Statt dessen haben Sie eine Fülle von Emotionen durchblicken lassen, und zwar nicht nur Sie heute in Ihrer abschließenden Rede zu diesem Thema, sondern bei den früheren Debatten auch Ihre ganze Fraktion. Um nur noch einmal ganz kurz auf die Genesis zu kommen: wenn Sie hergegangen sind und gesagt haben, 1969 wären wir noch nicht so weit gewesen, und wenn Sie den Bundesinnenminister in diesem Zusammenhang zitiert haben, dann muß ich Ihnen sagen, Sie haben zwar dem Herrn Bundesinnenminister liebenswürdigerweise das Protokoll übergeben, Sie haben es doch aber offenbar vorher nicht gelesen,
({2})
sonst hätten Sie das nicht sagen können; denn er hat damals im Januar 1969 gesagt: Wir sind in dieser Frage durchaus offen, wir sind da in keiner Weise irgendwie dogmatisch,
({3})
sondern wir brauchen mehr Unterlagen. Das war der erste Ruf nach den Unterlagen, Herr Lenz. Der Stapel, von dem Sie eben sprechen, ist nach und nach zusammengekommen. Der Rechtsausschuß hat 1970 darum gebeten, Herr Genscher hat darum im Januar 1969 gebeten, und die Länderinnenminister haben sich dann zunächst einmal des Problems angenommen, um etwas zu treiben, was man neuerdings so schön Rechtstatsachenforschung nennt. Damit sind die Unterlagen so nach und nach geschaffen worden, die es uns ermöglichen, heute dem Gesetz
in dieser Form zuzustimmen. Und wenn Sie schon von Lernprozessen sprechen, Herr Stark, dann muß man feststellen, daß sich Ihr 69er Entwurf sehr stark nicht nur von dem unterscheidet, was heute hier beschlossen wird, sondern erst recht von dem, was Sie im Frühjahr dieses Jahres als Ihren Entwurf zu diesem Thema hier eingebracht haben. Auch da hat es Lernprozesse gegeben.
Wenn wir nun in der glücklichen Lage sind, hier einhellig durch alle Fraktionen hindurch eine Klarstellung - und für mehr halte ich es nicht - im Bereich des Haftrechts zu schaffen, dann sollten wir uns doch nicht mit der Genesis erstens überhaupt so lange und zweitens in so oder so herum verfälschender Absicht aufhalten. So ist es einfach nicht.
Ich für meine Person bin zusammen mit etlichen Kollegen meiner Fraktion heute noch nicht der Meinung, daß all das notwendig ist, was wir hier in dieses Gesetz hineingeschrieben haben. Ich bin aber der Meinung, daß eine sich aus der Praxis heraus als notwendig erweisende Klarstellung vollzogen werden muß, ohne daß man an irgendwelchen dogmatischen, auch rechtsdogmatischen Positionen festhält. Das gilt um so mehr, als wir es nicht nur mit der Novelle zu tun haben, über die wir bislang diskutiert haben, sondern als wir alle wissen, daß hier ein Paket geschnürt worden ist, ein Bündel von Gesetzen, darunter einige Grundgesetzänderungen, die insgesamt dazu dienen sollen, dieses Land sicherer zu machen, und die uns alle vor dem Vorwurf bewahren sollen, wir hätten nicht das Äußerste versucht, um dieses Ziel zu erreichen. Nur im Zusammenhang mit diesem Bündel von Gesetzen kann man die eine oder andere Entscheidung verstehen, die wir in diesem Bereich gefällt haben oder noch zu fällen haben werden. Deshalb haben wir einiges mitgemacht, was wir im Frühjahr des Jahres verurteilt haben oder was wir zumindest für überflüssig erklärt haben. Wir haben in der Sache meist keine andere Auffassung. Wir glauben aber es ist um des Ganzen willen richtig, hier zu dieser Gemeinsamkeit zu kommen, die wir jetzt erreicht haben. Das ist uns das Wesentliche, das steht im Vordergrund.
Es ist so viel von den Unterlagen gesprochen worden, die in der Vergangenheit gefehlt haben oder nicht rechtzeitig beigebracht worden sind oder jetzt noch fehlen sollen. Ich möchte deshalb anläßlich der Verabschiedung dieser Novelle an die Bundesregierung, insbesondere an den Herrn Bundesjustizminister, die herzliche Bitte richten, auf die Zukunft gesehen, für die Fortschreibung der gewonnenen Unterlagen, vielleicht auch für die Vervollständigung dieser Unterlagen zu sorgen, damit wir im einen oder im anderen Sinn in der Lage sind, bei etwa notwendig werdenden weiteren Überlegungen früher über das Material zu verfügen, das uns die in diesem Bereich ungemein wünschenswerte sachliche Diskussion von Anfang an und mit der wünschenswerten Schnelligkeit ermöglicht.
Für die Sachlichkeit dieser Diskussion möchte ich mich auch an dieser Stelle noch einmal bedanken. Ich hoffe, daß wir auch in den kommenden Monaten diese Sachlichkeit bis in die kleineren Gemeinden
hinein untereinander aufrechterhalten werden, auch in diesem Bereich, der gewiß einige Verlockungen in sich birgt, draußen im Lande etwas anders zu verfahren als hier im Hause oder gar im Ausschuß.
Wir werden dem Gesetz zustimmen.
({4})
Das Wort hat Herr Bundesminister Jahn.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Namens der Bundesregierung begrüße ich den Abschluß der Beratungen über die Neuordnung oder Überarbeitung des geltenden Haftrechts als eines Teilgebiets zu dem großen Thema der inneren Sicherheit, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben. Ich begrüße auch die Form, in der diese Beratungen - das war in den vergangenen Debatten nicht immer so - nun zu einem Ende gebracht werden.
Die Ausschußberatungen haben zur Verbesserung und zur Abrundung des geltenden Haftrechts wesentlich beigetragen. Die mit dem Haftrecht verbundenen Probleme sind in ihrer Gesamtheit deutlicher geworden. Sie sind in einer den Vorstellungen der Bundesregierung entsprechenden Weise neu geregelt worden.
({0})
Die Bundesregierung hat bei der Behandlung der Materie des Haftrechts stets ein dreifaches Anliegen verfolgt. Sie hat zunächst in Übereinstimmung mit der bereits 1970 geäußerten Ansicht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages Wert darauf gelegt, die Überprüfung und Reform des geltenden Haftrechts auf möglichst exakt belegbare Erfahrungen der gerichtlichen, staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis zu gründen. Es hat zu keinem Zeitpunkt dieser Debatte, die der Vorbereitung der jetzigen Gesetzgebungsarbeit diente, einen Zweifel daran gegeben - und es ist von niemandem ein Zweifel daran gelassen worden -, daß notwendige Änderungen des Haftrechts seitens der Bundesregierung betrieben würden, falls die Erfahrungen in der Praxis dies ergäben. Dies ist gelungen. Die Erfahrungsberichte und Wünsche der Praxis sind dem Rechtsausschuß zugeleitet worden und waren eine wesentliche Hilfe für die Beratungen im Ausschuß selbst.
Hier muß ich an die Adresse derjenigen, die früher versucht haben, aus dieser ruhigen und überlegten Form des Vorgehens etwas anderes herzuleiten, noch einmal sagen: in der Sache hat es sich gelohnt, daß die Bundesregierung sich nicht hat beirren lassen, darauf zu bestehen, daß auf einem so schwierigen Gebiet Änderungen nur nach der Maßgabe vorgenommen werden können, die auf einigermaßen zuverlässigem Erfahrungs- und Tatsachenmaterial beruhen. Diese Methode hat sich bewährt. Sie war richtig, und sie wäre noch leichter und noch überzeugender - auch für dieses Haus - gewesen, wenn nicht gelegentlich der eineoder andere der Versuchung erlegen wäre, hier in einen wenig nützlichen Wettlauf einzutreten.
Die Bundesregierung hat zweitens darauf hingewiesen, daß sich die Reform des Haftrechts im Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht der Freiheit des einzelnen und den Erfordernissen der Strafrechtspflege bewegt, daß der Gesetzgeber seine Schritte bei dieser Reform sorgsam wägen und die vom Bundesverfassungsgericht gesteckten Wegmarkierungen genau beachten muß. Dies ist in der Debatte nicht immer mit der wünschenswerten Deutlichkeit klargeworden.
Ich muß an dieser Stelle auch den Hintergrund der Überlegungen der Bundesregierung, die schließlich und endlich auch den Hintergrund für die Überlegungen und Entscheidungen des Rechtsausschusses des Bundestages gebildet haben, hier noch einmal deutlich werden lassen. Ich möchte in dieser Debatte ganz bewußt noch einige Sätze aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitieren, um noch einmal die Basis deutlich werden zu lassen, auf der wir uns zu bewegen haben:
In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Für das Grundrecht der persönlichen Freiheit folgt dies auch aus der besonderen Bedeutung, die gerade diesem Grundrecht als der Basis der allgemeinen Rechtsstellung und Entfaltungsmöglichkeit des Bürgers zukommt und die das Grundgesetz dadurch anerkennt, daß es in Art. 2 Abs. 2 die Freiheit der Person als „unverletzlich" bezeichnet.
Weiter heißt es:
Bei der ihm hiernach obliegenden Abwägung hat der Richter stets im Auge zu behalten, daß es der vornehmliche Zweck und der eigentliche Rechtfertigungsgrund der Untersuchungshaft ist, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen; ist sie zu einem dieser Zwecke nicht mehr nötig, so ist es unverhältnismäßig und daher grundsätzlich unzulässig, sie anzuordnen, aufrechtzuerhalten oder zu vollziehen. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Verdunkelungsgefahr ... dienen ersichtlich diesem Zweck. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ... geht zwar darüber hinaus, indem er den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten, also einen präventiv-polizeilichen Gesichtspunkt, für die Verhängung der Untersuchungshaft genügen läßt. Er kann jedoch damit gerechtfertigt werden, daß es hier um die Bewahrung eines besonders schutzbedürftigen Kreises der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten geht;...
Das Bundesverfassungsgericht hat damit deutlich gemacht, daß sich jeder, der sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen und sich um eine Lösung zu bemühen hat, in einem im Einzelfall schwer richtig zu beantwortenden Spannungsverhältnis bewegt.
Ich glaube, die Erfahrung dieser Debatte hat auf allen Seiten klargemacht - dabei will ich hier jetzt niemanden besonders deutlich ansehen , daß die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses im Einzelfall besser in der Form geschieht, wie es zuletzt auch heute morgen hier sichtbar geworden ist, als in anderen Formen, die früher bevorzugt worden sind.
Die Vorlage geht jetzt den auf dieser Grundlage erarbeiteten richtigen Weg, dem die Bundesregierung ohne jeden Vorbehalt zustimmen kann. Ich möchte gerade auch aus diesem Grunde hier der Versuchung widerstehen, Herr Kollege Stark, Ihnen nun vorzurechnen, an welchen Punkten Sie mit Ihrer ursprünglichen Vorlage weit über das Ziel hinausgeschossen sind. Das mag jetzt aus der Debatte herausbleiben. Ich glaube, die Ausschußberatungen und das vorliegende Ergebnis dieser Beratungen können auf allen Seiten akzeptiert werden.
Wir haben mit der Klarstellung in den Fragen der Fluchtgefahr, mit weiteren Klarstellungen für den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr und mit einer trotz des großen Katalogs immer noch maßvollen Erweiterung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr den notwendigen Beitrag geleistet, die Mängel im Haftrecht zu bereinigen und für die Zukunft den Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Polizei die Gewähr dafür zu geben, daß ihren Bedürfnissen in angemessener Form Rechnung getragen werden kann. Dieser Beitrag des Haftrechts zur Sicherheit in unserem Land kann ohne Einschränkungen geleistet werden.
Ich muß aber noch einmal wie in früheren Debatten darauf hinweisen: Mit der Beseitigung von Mängeln und Lücken in dem noch geltenden Haftrecht ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem notwendigen Bereich zur Bekämpfung der Kriminalität zu treffen.
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- Es ist ein kleiner, aber wichtiger Ausschnitt; da sind wir sicherlich nicht im Streit. Nur müssen wir uns darüber im klaren sein, daß dies nicht bedeuten kann, dabei stehenzubleiben, sondern daß es eine Vielzahl weiterer Maßnahmen zu treffen gilt. Wir haben in der vergangenen Woche hier miteinander über die umfassende und notwendige Reform des Strafverfahrensrechts gesprochen. Wir werden den Beitrag eines modernen Strafvollzugsrechts dabei zu würdigen haben. Ich weise deshalb darauf hin, weil ich sehr nachdrücklich darum bitten möchte, daß niemand diese Debatte sozusagen in der Richtung resümiert, nun zu sagen, jetzt sei das Notwendige getan. Wir haben angefangen, das Notwendige zu tun. Die weiteren Vorschläge der Bundesregierung zur weiteren wirksamen Bekämpfung der Kriminalität, auch zur vorbeugenden Bekämpfung der Kriminalität, werden für uns alle noch ein gutes Stück Arbeit bringen.
Mit dieser Perspektive und der Bitte, diese Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren, verbinde ich meinen Dank insbesondere an die Herren Berichterstatter und die Mitglieder des Rechtsausschusses, die dazu geholfen haben, daß wir heute zu diesem Ergebnis kommen konnten.
({2})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht; ich schließe die Aussprache.
Nach § 33 Abs. 3 der Geschäftsordnung hat nach Schluß der Debatte der Antragsteller, Herr Abgeordneter Vogel, das Wort erbeten. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte meinerseits den Herren Berichterstattern, den Mitgliedern der beteiligten Ausschüsse und den Ministern der Justiz und des Innern der Bundesländer herzlich für ihre Mitwirkung am Zustandekommen dieses Entwurfs danken. Dennoch, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: das, was hier heute verabschiedet ist, ist ein Erfolg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
({0})
die unbeirrbar in ihrem Bemühen war, in dieser wichtigen Frage das gesetzgeberisch Notwendige zu tun.
({1})
Wir haben über Jahre hinweg in der Frage des Haftrechts eine klare, gerade Linie gehalten,
({2})
und das, was wir heute sagen können, ist, meine Damen und Herren, daß offenbar steter Tropfen den Stein höhlt
({3})
und daß sich offenbar das, was richtig ist, am Ende auch bei denen durchsetzt, die Vorbehalte haben und bei denen der Prozeß des Erkennens des Richtigen und Notwendigen eben ein etwas längerer ist.
Wenn man hier heute die Reden auf allen Seiten des Hauses gehört hat, kann man den Eindruck gewinnen, daß die Erfinder dieser Haftrechtsnovelle gar nicht in der CDU/CSU-Fraktion sitzen, sondern daß es sich dabei um Herrn Jahn oder Herrn de With oder Herrn Genscher oder auch Frau Kollegin Diemer-Nicolaus oder andere handelt,
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um jene also, meine Damen und Herren, von denen wir doch über zwei Jahre hinweg Vokabeln wie „Vorbeugehaft", Assoziationen in Richtung Schutzhaft und ähnliches gehört haben.
Ich bin froh darüber, daß dieser Unfug - und nichts anderes als Unfug ist es - aus der Diskussion heraus ist. Und das Ergebnis, das wir heute vorliegen haben, zeigt doch im Grunde genommen, meine Damen und Herren, wie wenig diese Vokabeln und die damit verbundenen Einwände von der
Sache her gekommen sind und wie sehr sie eine Spekulation auf Stimmungen gewesen sind, die nun allerdings anders waren.
({5})
Diese Stimmungen und die Rücksicht auf sie haben
offensichtlich die Einsicht gefördert, daß dieser Gesetzentwurf hier heute verabschiedet werden mußte.
Herr Kollege Jahn, Sie haben heute erneut auf den Katalog hingewiesen, der in unserem Entwurf enthalten ist. Sie haben erneut darauf hingewiesen, daß wir damals weit über das Ziel hinausgeschossen seien. Herr Bundesjustizminister, ich hätte es gerne gesehen, wenn Sie sich dann im einzelnen mit den Bestimmungen, bei denen wir über das Ziel hinausgeschossen sein sollen, auseinandergesetzt hätten. Das ist nicht geschehen. Sie haben das etwas charmanter als am 2. Februar gemacht. Damals haben Sie noch gesagt, wir hätten einfach auf Teufel komm raus hineingeschrieben, was uns eben so eingefallen sei.
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Eine genaue Durchsicht dieses Katalogs zeigt, daß das einfach falsch ist. Ich will Ihnen einige dieser Bestimmungen vorlesen, die jetzt nicht darinstehen. Ich glaube, das ist ganz gut, weil es die Bestimmungen sind, wo ich sagen möchte: Da ist nicht von der Sache her bei Ihnen eine Schranke, sondern da gibt es vielleicht einfach, ich würde sagen: ideologisch motivierte Schranken.
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- Herr Kollege Wehner, an Charme kann ich Sie überhaupt nicht übertreffen.
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Ich möchte jetzt, Herr Kollege Sieglerschmidt, diese drei Bestimmungen zitieren, weil sie auch bei der Agitation gegen unseren Entwurf offenbar eine besondere Rolle gespielt haben. Wie lautet der Straftatbestand der verfassungsfeindlichen Sabotage?
Wer als Rädelsführer oder Hintermann einer Gruppe oder, ohne mit einer Gruppe oder für eine solche zu handeln, als einzelner absichtlich bewirkt, daß im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch Störhandlungen
1. die Post oder dem öffentlichen Verkehr dienende Unternehmen oder Anlagen,
2. Fernmeldeanlagen, die öffentlichen Zwecken dienen,
3. Unternehmen oder Anlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Wasser, Licht, Wärme oder Kraft dienen oder sonst für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig sind, oder
4. Dienststellen, Anlagen, Einrichtungen oder Gegenstände, die ganz oder überwiegend der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dienen,
ganz oder zum Teil außer Tätigkeit gesetzt oder dem bestimmungsmäßigen Zweck entzogen werden, und sich dadurch absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft.
Wir haben gehört, daß die Sicherungsgruppe einen Bericht erstattet hat, in dem insbesondere auf die Zunahme der Verfassungsschutzdelikte hingewiesen wird, vor allem der Sabotagedelikte. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dieses Thema wird uns in absehbarer Zeit hier erneut beschäftigen, erneut beschäftigen müssen, weil in diesem Bereich Entwicklungen im Gange sind, die heute nicht berücksichtigt worden sind.
Ich möchte, ohne es jetzt noch einmal im einzelnen vorzulesen, auf den Tatbestand des Landfriedensbruchs hinweisen. Wir haben diesen Tatbestand durch die dritte Strafrechtsreformnovelle sehr eingeengt erhalten. Aber gerade weil er so eingeengt ist, wäre das, was als Landfriedensbruch strafbar bleibt, von sehr schwerem kriminellem Gehalt.
Herr Kollege Vogel, es wird für den amtierenden Präsidenten immer schwerer, die Zwischenfragen abzuwehren, die Sie hervorrufen.
({0})
Der § 33 Abs. 3 kann nicht den Sinn haben, eine neue Debatte heraufzubeschwören. Deswegen möchte ich Sie bitten, als Antragsteller eine kurze Erklärung abzugeben.
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Frau Präsidentin, ich kann in der Geschäftsordnung von einer „k u r z e n" Erklärung nichts sehen. Was ich mache, ist eine Schlußbewertung des Beratungsergebnisses.
({0})
- Herr Kollege Matthöfer, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Ich rede hier ganz ruhig.
Meine Damen und Herren, ich nehme eine Schlußbewertung vor. Nachdem ein Antrag von uns eingebracht gewesen ist, nehmen wir nun auch noch bewertend Stellung und müssen auch klarmachen, wo wir nicht zufrieden sind.
({1})
Wir erleben ja, daß die geschäftsordnungsmäßige
Mehrheit dieses Hauses mehr und mehr versucht ist,
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die Geschäftsordnung des Hauses einseitig zu ihren politischen Gunsten zu interpretieren.
({3})
- Herr Kollege Wehner, es gibt mehrere, die hier letzte Instanz sein möchten.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier ganz generell zu den von mir zitierten Vorschriften sagen - dazu gehören die Vorschriften über Menschenraub, über erpresserischen Menschenraub, über Geiselnahme -, daß wir uns vorbehalten müssen, auf diese Vorschriften zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen.
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Ich bin außerordentlich dankbar für das, was der Herr Bundesjustizminster heute hier ausgeführt hat, auch für das, was er zur Form der Beratung, die heute vormittag stattgefunden hat, erklärt hat. Sie werden mir nachfühlen können, Herr Bundesjustizminister, daß mir dabei Ihre unvergeßliche Rede vom 2. Februar 1972 in die Erinnerung gekommen ist. Ich will darauf nicht eingehen, sondern möchte Ihnen eigentlich nur sagen:
Spät kommt ihr - doch ihr kommt! Der weite Weg, Graf Isolan,
Entschuldigt euer Säumen.
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Noch etwas zu dem, was Herr Kollege Metzger aus der Regierungserklärung des Herrn Bundesministers des Innern vom 7. Juni dieses Jahres zitiert hat. Es ist richtig, daß sich der Bundesinnenminister am 7. Juni 1972 voll und ganz hinter die Bemühungen um eine Verschärfung des Haftrechts gestellt hat. Meine Damen und Herren, das war - das möchte ich hier doch sehr deutlich sagen -ein Akt tätiger Reue dieser Bundesregierung. Dem kann man nur hinzufügen: Im Himmel wird mehr Freude sein über einen Ungerechten, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die meinen, sie kämen so hinein.
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Meine Damen und Herren, ich darf zum Abschluß folgendes sagen. Wir haben uns in der Diskussion und in unserem Bemühen um dieses Haftrecht von zwei Dingen leiten lassen. Erstens wollten wir das tun, was kriminalpolitisch notwendig ist. Zweitens haben wir uns darum bemüht, uns strikt in den durch die Verfassung gezogenen Grenzen zu halten. Beides haben wir versucht, beides ist möglich gewesen, und ich freue mich darüber, daß wir - seit dem Jahre 1968 wird über diese Frage geredet, und bei der Polizei ist auch psychologisch inzwischen sehr vieles „den Bach hinuntergegangen" ({7})
heute endlich zu einer einmütigen Verabschiedung in diesem Hause kommen können.
({8})
Das Wort nach§ 33 Abs. 3 der Geschäftsordnung hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann hier nicht als Fraktionssprecher, sondern nur als Berichterstatter eine Erklärung abgeben, und wenn ich das tue, so bin ich mir über die Tragweite meiner Erklärung durchaus im klaren. Das, was Herr Kollege Vogel soeben getan hat, war ein glatter Mißbrauch der Geschäftsordnung zu parteipolitischen Zwecken
({0})
und damit auch eine Mißachtung der parlamentari- schen Spielregeln.
({1})
Eine Schlußbewertung der Debatte, Herr Kollege Vogel, gehört i n die Debatte.
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Sie darf nicht erfolgen, wenn die Debatte bereits abgeschlossen ist. Ich bedauere den Vorgang und kann nur hoffen, daß es sich dabei um eine einmalige Entgleisung eines einzelnen Abgeordneten gehandelt hat.
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Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetz in dritter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme angenommen.
Wir stimmen dann noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Drucksache V1/3561 ab, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache VI/1479 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({1})
-Drucksache VI/3192 Berichterstatter: Abgeordneter von Thadden Abgeordneter Sieglerschmidt
({2})
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3})
- Drucksache VI/2653 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache VI/3539 Berichterstatter: Abgeordneter Sieglerschmidt
Abgeordneter von Thadden
({5})
Vizepräsident Frau Funcke
Dazu liegt ein interfraktioneller Änderungsantrag auf Umdruck 303 *) vor. Dieser Änderungsantrag faßt die in den beiden Ausschußberichten vorgeschlagenen Gesetze zur Änderung des Grundgesetzes mit einer Ergänzung und einigen Änderungen zu einem Gesetz zusammen. Wir legen deshalb diesen Änderungsantrag unserer Beratung zugrunde.
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde als Berichterstatter zu den Grundgesetzänderungen, die das Waffenrecht und den Verfassungsschutz betreffen, Stellung nehmen. Zu der Grundgesetzänderung, die den Bundesgrenzschutz betrifft, wird sich mein Kollege Dr. Arndt äußern.
Bei der Ihnen vorliegenden Grundgesetzänderung zum Waffenrecht handelt es sich um den bemerkenswerten Vorgang, daß der Bundesrat beantragt, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung auf diesem Gebiet zu übertragen. Fast könnte man schon diese Tatsache als ausreichende Begründung für die Grundgesetzänderung ansehen. Den Überlegungen, von denen sich der Bundesrat bei seinem Gesetzentwurf leiten ließ, wird indessen das ganze Haus auch von der Sache her zustimmen können.
Die bisherige Bundeskompetenz allein für den wirtschaftlichen Bereich des Waffenrechts reicht nicht aus, wenn man sich vergegenwärtigt, daß im Sicherheitsbereich des Waffenrechts unterschiedliches Landesrecht die Eindämmung der Gewaltverbrechen, die mittels den Schußwaffen begangen werden, nach dem Urteil aller Fachleute außerordentlich erschwert. Diese Delikte haben in den letzten zehn Jahren in erschreckendem Maße zugenommen. Ein einheitliches Waffenrecht für die Bundesrepublik, wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschaffen werden soll, macht aber eine entsprechende Grundgesetzänderung erforderlich.
Hinzu kommt, daß es die Harmonisierung des Waffenrechts innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats, an der im Auftrage des Ministerkomitees des Europarats bereits gearbeitet wird, notwendig macht, daß die Bundesrepublik als Partner einer entsprechenden europäischen Konvention handlungsfähig wird.
Damit möchte ich mich der Änderung der Art. 73 und 87 des Grundgesetzes zuwenden. Mit ihrem Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom September 1970 beabsichtigte die Bundesregierung, insbesondere die Sammlung und Auswertung von Nachrichten durch die Verfassungsschutzbehörden über Bestrebungen von Ausländern zu ermöglichen, die auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden. Dabei konnte die Nachrichtensammlung über sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern, gemessen an dem im Grundgesetz verwendeten Begriff „Verfassungsschutz", zwar noch als verfas-
*) Siehe Anlage 3 sungskonform betrachtet werden, die Einbeziehung der auswärtigen Belange als Schutzobjekt machte jedoch eine Grundgesetzänderung erforderlich.
Da aber aus dem genannten Grunde eine Grundgesetzänderung ohnehin geboten war, erschien es ten durch die Verfassungsschutzbehörden über Beangebracht, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes so zu fassen, daß damit die bisher von den Verfassungsschutzbehörden durchgeführten Aufgaben, die in § 3 des Verfassungsschutzgesetzes nicht ausdrücklich genannt waren, zweifelsfrei gedeckt sind. Es handelt sich dabei um die Spionagebekämpfung sowie um die Mitwirkung bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen in Behörden und in der Wirtschaft, die dort mit geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten zu tun haben oder an sicherheitsempfindlichen Stellen von Lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind. Ferner geht es dabei um die Mitwirkung bei technischen Sicherheitsmaßnahmen des Geheimschutzes. Last not least ist gerade in den letzten Wochen und Monaten deutlich geworden, daß die Nachrichtensammlung durch die Verfassungsschutzbehörden im Vorfeld politisch motivierter Gewaltverbrechen von besonderer Bedeutung ist. Strafrechtlich relevante Handlungen, die ein Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden ermöglichen würden, liegen im ersten Stadium der konspirativen Planung solcher Straftaten noch nicht vor. Sie würden in der Regel für die Kriminalpolizei auch gar nicht erkennbar sein, weil diese auf Grund der von uns allen gewollten strengen Trennung zwischen Exekutive und Nachrichtendienst nicht über den entsprechenden Apparat verfügt. Um alle diese Aufgaben in der Gesetzgebungskompetenz zu erfassen, erschien die Übernahme der in Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes gefundenen Definition des zu schützenden Bereiches besonders geeignet.
Bei den Beratungen im Rechtsausschuß erhoben sich von zwei Seiten Einwendungen gegen den Entwurf der Bundesregierung. Einmal wurden Bedenken dagegen vorgebracht, das Kriterium „auswärtige Belange" uneingeschränkt und undifferenziert zum Anknüpfungspunkt für die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden zu machen. Zum anderen wurde die Frage aufgeworfen, warum nur Ausländer dieser Beobachtung unterliegen sollten, nicht aber Deutsche, die in gleicher Weise auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden. In dem vorliegenden interfraktionellen Änderungsantrag, der die einstimmige Billigung des Rechtsausschusses gefunden hat, ist beiden Bedenken dadurch Rechnung getragen worden, daß einerseits die Nachrichtensammlung über Bestrebungen, die auswärtige Belange gefährden, nur dann zulässig sein soll, wenn diese Bestrebungen sich der Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteter Vorbereitungshandlungen bedienen. Andererseits sollen in diesem verhältnismäßig eng begrenzten Rahmen auch die Bestrebungen von Deutschen beobachtet werden können.
Der Bundestag hat bei jeder Erweiterung des Aufgabenkatalogs der Verfassungsschutzbehörden beSieglerschmidt
sonders sorgfältig zu prüfen, ob ein solches Hineinwirken in die persönliche Sphäre von Mitbürgern, seien es Deutsche oder Ausländer, unabweisbar notwendig ist. Diese Frage ist im Rechtsausschuß nach sorgfältigen Beratungen bejaht worden. Politisch motivierte Gewaltanwendung gefährdet in aller Regel mindestens die Beziehungen zu dem Staat, auf den sie sich bezieht. Die Bundesregierung muß über derartige Bestrebungen so weit und so früh wie möglich unterrichtet sein, um die von ihr danach für erforderlich gehaltenen Maßnahmen treffen zu können.
Überdies ist darauf hinzuweisen, daß die Sammlung von Nachrichten über solche Bestrebungen, an denen sich eine Person beteiligt, nicht deren Grundrechte einschränkt bzw. verletzt. Dagegen sieht das in diesem Zusammenhang in Betracht zu ziehende Ausländergesetz z. B. die Möglichkeit der Ausweisung eines Ausländers schon dann vor, wenn seine Anwesenheit erhebliche Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt. Unter der annähernd gleichen Voraussetzung ist das Verbot eines Ausländervereins nach dem Vereinsgesetz möglich. Wenn so weitgehende Eingriffe gegenüber der politischen Betätigung von Ausländern nach geltendem Recht für möglich und erforderlich gehalten werden, sollte die weniger schwerwiegende Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden unter den vorgesehenen Bedingungen nicht auf Bedenken stoßen. Andererseits wird man die insoweit unterschiedliche Rechtsstellung von Deutschen und Ausländern zu berücksichtigen haben.
Die schwierige Frage, die sich jedoch hier stellt, ist nach allem, welche Erkenntnisse einer Verfassungsschutzbehörde vorliegen müssen, damit sie die Nachrichtensammlung wegen auf Anwendung von Gewalt gerichteter Vorbereitungshandlungen beginnen kann. Bei der Prüfung dieser Frage können wir nicht unsere eigenen geschichtlichen Erfahrungen außer acht lassen, nach denen Gewaltanwendung gegen ein Unrechts- und Gewaltregime unter Umständen legitimes Bürgerrecht sein kann, ohne daß damit etwas über die in diesem Zusammenhang mögliche Gefährdung auswärtiger Belange gesagt ist. Aus dieser Sicht kann und darf die Unterstützung von Parteien oder Vereinigungen in diktatorisch regierten Ländern nicht allein deswegen zur Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden führen, weil diese Parteien oder Vereinigungen in ihrer Auseinandersetzung mit dem herrschenden Regime Gewalt als Mittel nicht ausschließen.
Und es noch weiter zu verdeutlichen: Art. 73 Nr. 10 GG in der vorgesehenen Fassung läßt nicht die Ansicht zu, die derartigen Parteien und Vereinigungen gegebene politische Unterstützung z. B. auch finanzieller Art wäre ein Grund, die Beteiligten in die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden einzubeziehen. Vielmehr kann diese Beobachtung erst dann einsetzen, wenn vorliegende Erkenntnisse den Verdacht begründen, daß durch die in Frage kommenden Bestrebungen Gewaltanwendung wissentlich und willentlich konkret unterstützt werden soll.
Wie so oft auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes wird auch in dieser Hinsicht die Abgrenzung nach den vorstehend genannten Kriterien im Einzelfall häufig nicht einfach sein. Der politisch verantwortliche Minister wird einerseits die schwierige Aufgabe haben, dafür Sorge zu tragen, daß das Erforderliche geschieht, damit die Bundesregierung über die drohende Gefährdung auswärtiger Belange rechtzeitig und ausreichend unterrichtet wird. Andererseits wird er aber genau darauf zu achten haben, Herr Minister Genscher, daß es keine extensive Auslegung des Begriffs „darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen" durch die Verfassungsschutzbehörden gibt, die die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik in die Gefahr bringen könnte, zum Büttel der Diktatur welcher Prägung auch immer zu werden.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. In der zweiten Lesung hat der Abgeordnete von Thadden das Wort.
von Thadden ({0}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal hat sich dieses Hohe Haus mit Grundgesetzänderungen zu beschäftigen, und wieder einmal wird den einen oder anderen unter uns die Frage und die Sorge bedrücken, ob wir das nicht zu häufig tun. In dem vorliegenden Fall, zu dem namens meiner Fraktion zu sprechen ich die Ehre habe, muß diese Sorge jedoch als unbegründet zurückgewiesen werden. Sie kann allenfalls als Antrieb gelten, daß die Enquete-Kommission, die von uns eingesetzt worden ist, auch in einem neuen Bundestag - und dann hoffentlich mit abschließendem Erfolg - ihre Arbeit fortsetzen möge. Namens meiner Freunde kündige ich an, daß wir diese Absicht haben und nach der Neuwahl des Bundestages nicht zögern werden, auf einen Abschluß der Arbeiten der Enquete-Kommission hinzuwirken.
Was die Frage angeht, ob wir das Waffenrecht vereinheitlichen sollten und ob wir dazu eine Grundgesetzänderung brauchen, möchte ich sagen, daß das, was die Mitte dieses Hauses angetrieben hat, an dieser Grundgesetzänderung von Anfang an voll mitzuarbeiten, der Wunsch ist, gegen die Gewaltanbeter in unserem Volk und gegen die internationalen Waffenschieber einen kräftigen Schlag zu führen. Denn es kann nicht übersehen werden, daß sich drei Jahrzehnte nach dem Ende eines Krieges, der die ganze Welt ins Unglück stürzte, unter uns die Zahl derer mehrt, die schon wieder beginnen, hier und dort mit der Gewalt zu liebäugeln. Nach unserer Meinung muß diese Liebäugelei dort eine Grenze finden, wo ihr die Verfassung entgegensteht. Darum sagen wir ja dazu, daß diejenigen Organe unseres Staates, die als Waffenträger Verantwortung tragen, die notwendigen gesetzlichen Befugnisse bekommen, diese Waffen zu führen. Aber wir erteilen gleichzeitig eine klare Absage dem Bestreben, eine Art unberufenen Volkssturm zur Rettung der Demokratie ins Leben zu rufen.
Es mag sein, daß die Mitte dieses Hauses von außen her gelegentlich mißverstanden worden ist
von Thadden
als eine Gemeinschaft von Männern, die glaubt, daß man, um als gestandener Mann zu gelten, nachweisen muß, besonders viele Waffen zu Hause zu haben. Wir vertrauen in erster Linie darauf, daß dieser Staat sich verteidigungsfähig erhält, daß er die Mittel hat, um seine Bürger und sich selbst zu schützen, d. h., wir lassen nicht von dem Vertrauen darauf ab, daß die Demokratie genügend politisch Einsichtige um sich schart, Menschen, die die Freiheit lieben und die zur Erhaltung dieser Freiheit auch Opfer zu bringen bereit sind.
({1})
Damit wenden wir uns gegen eine gewisse Hysterie, die in unserem Lande umzugehen droht, als seien wir jetzt schon dort angekommen, wo im Grunde genommen sich jeder möglichst schnell eine Panzerfaust auf dem nächsten Wochenmarkt anschaffen muß. Wir glauben, diese Situation ist nicht da. Wenn in gewissen Schriftstellerkreisen in der letzten Zeit die Sorge geäußert worden ist, als säßen hier in der Mitte dieses Hauses Menschen, die nichts anderes herzubeten wissen als die Worte: Gewalt, Ordnung und Macht, so täuschen sie sich.
({2})
Gerade wir haben das Vertrauen darauf, daß dieser Staat sich selbst verteidigen kann.
Wir werden allerdings auch den Kräften bei der Auslegung des Waffengesetzes, zu dem nachher andere Freunde sprechen werden, deutlich in die Arme fallen, die, wie z. B. ein Artikelschreiber in der linksradikalen Zeitschrift „Konkret", 200 000 unbescholtene Jäger und Schützenbrüder als eine Gefahr für diesen Staat ansehen.
({3})
Wollte Gott, jeder, der privat darum bittet, eine Waffe zu bekommen, würde seine Bitte vorher selbst so streng überprüfen, wie in den Jägerprüfungen die Anforderungen an den Menschen gestellt werden. Von unserer Seite her werden daher diese linksradikalen Hysterien keine Unterstützung bekommen. Wer auf der einen Seite eine wichtige Aufgabe - wir denken hier insbesondere auch an Landschaftspflege, Umweltschutz - in Forst und Flur erfüllt, wer auf der anderen Seite seine Freizeit damit verbringt, daß er die Fertigkeit im Zielen und Schießen übt, wer dabei ist, aus Spaß zu Hause Zinnfiguren anzumalen, der ist nicht durch das getroffen, was hier kommt, sondern der kann seine Freizeit so gestalten, wie er will. Wir sagen also ja zum einheitlichen Waffenrecht, wir sagen nein zum alleinigen Vertrauen auf Waffengewalt.
Zweitens zur Frage der inneren Sicherheit unseres Staates, zu dieser Grundgesetzänderung. Wir wollen einen Staat, der seinen Bürgern den Eindruck ruhiger Festigkeit und Gelassenheit vermittelt. Wir wollen auch hier die Zustimmung der Bürger zum freiheitlichen Rechtsstaat, die aus eigener Ansicht gewonnen wird. Gerade darum reagieren wir allerdings so empfindlich, wenn dieser Staat von einigen Wirrköpfen mit einem fluchwürdigen Gestapo-Regime gleichgesetzt wird. Hier werden die Mitglieder der Mitte unseres Hauses die ersten sein, die zu einer solchen Verteufelung unseres demokratischen Staates nicht nur nein sagen, sondern ihr klar entgegentreten. Wir wissen, daß sich unter uns nicht nur eine Fülle von Bürgern mit vernünftiger Einsicht, mit dem Willen zu freiheitlichem Denken befinden, sondern daß es unter uns auch eine Minderheit solcher gibt, die diesen Staat ablehnen. Unter dieser kleinen Minderheit befinden sich Inländer und Menschen, die als Nichtdeutsche bei uns Gastrecht genießen.
Die von uns gemeinsam geplante Verfassungsänderung soll unserem Staat erlauben, schon bevor der Botschafter einer fremden Macht auf unseren Außenminister zukommt, um ihm mitzuteilen, daß, von deutschem Boden her gesteuert, sein Staatsoberhaupt gerade ermordet worden ist, vorzubeugen, die Augen aufzumachen. Niemand unter unseren Bürgern, der mit wachem Interesse, mit moralischem Engagement die Bedrohungen einer freiheitlichen Ordnung in anderen Ländern verfolgt, sei es, daß sie sich unter Hammer und Sichel oder unter faschistischem Vorzeichen befinden, braucht sich durch diese vorbeugenden Überlegungen geängstigt oder in seiner Meinungsfreiheit behindert zu fühlen. Die Grenze wird genau dort überschritten, wo die betreffenden, ob Inländer oder Ausländer, an Bomben herangehen. Sie wird genau dort überschritten, wo man selber neben die Unterstützung durch Worterklärungen, moralische Aktionen etwas anderes setzt, was die Revolution anderswo auslösen soll.
Ich möchte hier zwei Typen von Gruppen einander gegenüberstellen. Zunächst möchte ich eine Gruppe nennen, die, wie ich hoffe, eine breite Unterstützung in diesem Bundestag hat. Ich meine die Organisation Amnesty International, die denen zu Hilfe kommt, die, ohne selber Gewalt angewandt zu haben, Opfer staatlicher Verfolgung um ihrer politischen Überzeugung oder um ihrer Rasse oder Religion willen geworden sind. Diese Organisation erfüllt also einen moralischen, einen humanitären Auftrag. Ich meine, an dieser Linie, die diese Organisation vertritt, sollte sich das ganze deutsche Volk orientieren. Auf der anderen Seite sind jene Gruppen zu nennen, die - geschützt durch eine freiheitlich-demokratische Ordnung, die sie sich selbst gewählt haben - ihren Plänen von hier aus durch Sprengstoffanschläge in Kinos mit Besuchern aus Balkanländern, durch Bombenpakete, die man an Schuldlose versendet, nachgehen zu können meinen. Ihnen gilt unser Nein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich wissen auch meine Freunde und ich darum, daß es im Einzelfall nicht immer leicht ist, festzulegen, ob nicht doch jener übergesetzliche Notstand eingetreten ist, bei dem dem einzelnen im Sinne Schillers keine andere Wahl mehr bleibt, als auch mit den Mitteln des persönlichen Einsatzes, sprechen wir es offen aus: auch einmal mit Gewalt gegen ein fluchbeladenes verbrecherisches Regime zu kämpfen. Hier unter uns sind noch Männer und Frauen, die sich an die Situation erinnern, vor der Deutsche und andere gestanden haben, als der Nationalsozialismus unser Volk und dann einen ganzen Kontivon Thadden
nent ins Unglück stürzte. Unter uns sind Männer und Frauen, die sich an jene Diskussionen erinnern, in denen sich die einen, denen heute noch unsere Achtung und unser Respekt gebühren, zu dem Entschluß durchrangen, in dieser Situation wäre der Fall gegeben, den Tyrannen zu töten, wohingegen die anderen - wie beispielsweise Graf Moltke, einer der führenden Männer des Kreisauer Kreises - meinten, dies auch in einer solchen Ausnahmesituation nicht tun zu dürfen, sondern den Tyrannen allenfalls in Haft nehmen zu können, bis er vor ein ordentliches Gericht gestellt werden könnte.
Solche Situationen liegen für die jüngere Generation weit zurück, doch weiß natürlich niemand, ob nicht auch bei uns, vor allem aber in anderen Ländern hier und da einmal eine solche Ausnahmesituation entstehen könnte. Es wird dann der Kaltblütigkeit und der reifen Einsicht bedürfen, um festzustellen, ob das Letzte gefordert werden muß. Diejenigen, die daran denken, seien aber daran erinnert, daß General von Tresckow, ein Mann des 20. Juli, davon gesprochen hat, daß derjenige, der an. die Aufgabe herangehe, den Tyrannen zu stürzen, ein „Nessushemd" übergestreift habe, das ihn auch besonderen Verantwortungen und selbstverständlich auch der Gefahr aussetze.
Wir müssen jedoch entschieden nein sagen, wenn in unserem Staate schon solche Tatsachen wie eine nicht rechtzeitig erfolgte Beförderung oder ein nicht ganz glücklich ausgefallener Kompromiß bei Tarifverhandlungen - oder was wir uns auch immer ausdenken mögen - dazu herhalten soll, die Situation so darzustellen, als sei der eigene Staat abschaffungswürdig.
An dieser Stelle sage ich ein ernstes Wort in Richtung auf eine in der jüngsten Ausgabe der Illustrierten „stern" abgedruckte Äußerung von Herrn Herold. Er hat sich sinngemäß so geäußert, daß man, wenn in unserem Staate die Revolution nicht bald von oben her komme, Gefahr laufe, daß sie von unten her komme. Ich meine, daß das nicht sehr glücklich gewählte Ausdrücke sind. Von oben her, besser gesagt: aus den Reihen des Parlaments heraus kann doch nichts anderes kommen als das Bestreben, diesen Staat immer verteidigungwürdiger zu machen und unsere Gesellschaft zum relativ Besseren hinzuführen. Wir glauben ja nicht daran, daß es je ein Paradies geben wird.
Im übrigen, wenn man an die denkt, die vielleicht wirklich einmal Anlaß hätten, aus ihrer persönlichen Verzweiflung heraus mit Gewalt auf die Straßen zu gehen und die dann vorher hätten überwacht werden müssen, so sehe ich ein sehr seltsames Bild von solchen Revolutionären vor mir. Das wären dann vielleicht beispielsweise Kinder, die jahrelang zu Hause von verantwortungslosen Eltern geschlagen und gequält worden sind, weil die Öffentlichkeit nicht aufgepaßt hat, das sind vielleicht Menschen, die aus Asozialenwohnungen herauskommen wollen und keine Chance dazu bekommen, das sind vielleicht jene alten Angestellten, von denen niemand mehr etwas wissen will, das ist vielleicht dieser und jener Behinderte, der arbeiten will und den keiner haben
will. Solche Menschen allenfalls könnte ich mir in der Bundesrepublik Deutschland als diejenigen vorstellen, an die ernsthaft und glaubwürdig eine Versuchung herankommen könnte, die Bahnen des Gesetzes zu verlassen. Wir wissen es, und wir danken es diesen Menschen, daß gerade dort solche Versuchungen zurückgewiesen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich nähere mich dem Ende.
({4})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich an der Stelle einmal etwas sagen. Sie lachen: Verstehen Sie denn nicht, daß Sie sich in diesem Parlament selbst entehren, wenn Sie einem Kollegen, der versucht, frei zu sprechen, und der dabei von dem Vertrauen seiner Fraktion getragen wird, mit Lachen entgegenzutreten?
({5})
Mich irritieren Sie an dieser Stelle doch nicht, aber sich selbst entehren Sie in diesem Augenblick.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir danken denen, die in diesem Volke die schwere Verantwortung tragen, Waffen führen zu müssen, wir danken denen, die die schwere Aufgabe im Verfassungsschutz haben, abzuwägen, was zum Ausdruck der freien Persönlichkeit gehört, deren Entfaltung nicht beschnitten werden darf, und was in kriminelle Aktivitäten im Inland und im Ausland abgleitet. Ihnen gehört Anerkennung, ob sie Angehörige des Bundesgrenzschutzes, der Polizei, der Bundeswehr, ob sie im Forstdienst tätig sind oder wo auch immer. Ich fordere Sie auf mitzuhelfen, daß gerade in den kommenden Monaten unsere Grundgesetzänderungen den wohltätigen Einfluß haben, daß der Frieden, das Vertrauen untereinander, der Respekt im Umgang unter Demokraten bewahrt bleiben.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es hier mit einem gemeinsamen Änderungsantrag zu zwei Ausschußberichten zu tun, nämlich einmal über die Kompetenz des Bundes, die Arbeit der Verfassungsschutzämter der Länder auf einem bestimmten Gebiet zu koordinieren - die Kompetenz selbst ist und bleibt bei den Ländern, der Bund soll also nur koordinieren -, und zweitens über die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung des Waffenrechts. Diese beiden Ausschußberichte werden durch den Änderungsantrag Umdruck 303, der Ihnen vorliegt, zu einer Grundgesetzänderung, der 31. insgesamt, zusammengezogen und um die Regelung ergänzt, nach der der Einsatz des Bundesgrenzschutzes auch außerhalb der Grenzzone zugelassen werden soll.
Dr. Arndt ({0})
Wie Sie wissen, sind die Innenminister des Bundes und der Länder und die politischen Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, einig darüber, daß der Bundesgrenzschutz neben seinen bisherigen Aufgaben in Zukunft auch die erfüllen soll, Reserve des Bundes an Mannschaften und Material für die Polizeien der Länder zu sein. Um dieses von allen politischen Kräften dieses Landes, die demokratisch und relevant sind, angestrebte Ziel zu erreichen, ist nach unserer, der sozialdemokratischen Meinung rechtlich eine Grundgesetzänderung erforderlich. Das Grundgesetz spricht nämlich von Grenzschutz. Es spricht nicht von einer Bundespolizei oder auch nur von einer Bundespolizeireserve. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, ist aber ein Jedermannsgesetz. Es ist keine Rechtsnorm etwa nur für Juristen. Der Bürger, auch gerade der juristisch nicht geschulte Bürger, muß dieses Gesetz als die Grundordnung seines Staates ohne einen juristischen Kommentar lesen und verstehen können.
({1})
Daher ist es verfassungsrechtlich unzulässig, nur Juristen verständliche Konstruktionen zugrunde zu legen, wenn in diesem Lande etwas auf Grund dieser Verfassung geschehen soll.
Auf Grund dieser Überlegungen haben wir Sozialdemokraten uns der Methode verschlossen, das juristische Institut der Organleihe hier als geeignet anzusehen, um die von allen gemeinsam angestrebte neue, zusätzliche Rolle des Bundesgrenzschutzes verfassungsrechtlich zu decken. Uns erscheint der Begriff der Organleihe überhaupt rechtlich noch nicht voll gesichert. Jedenfalls aber wollen wir bei der Verfassung aus den oben zitierten Gründen nicht mit diesem Begriff arbeiten.
Außerdem, meine Damen und Herren, hat dieses Hohe Haus in diesem Punkt seine gesetzgeberische Unschuld verloren, nämlich als wir den Art. 35 Abs. 2 des Grundgesetzes bei der Einführung der Notstandsverfassung im 5. Bundestag so änderten, wie er heute geltendes Recht ist. Damals war das ganze Haus der Meinung, daß selbst bei der doch politisch so irrelevanten Naturkatastrophe das Institut der Organleihe nicht ausreicht, um für die Länder, die für die Bekämpfung von Naturkatastrophen zuständig sind, die verfassungsrechtliche Grundlage dafür abzugeben, daß auch Behörden und Kräfte des Bundes, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr, aber auch andere wie Post, Zoll und ähnliche, von Landesbehörden eingesetzt werden. Wir haben uns damals in diesem Hause einstimmig dafür entschieden, daß der Art. 35 so geändert werden muß, wie er heute gilt, und haben uns damit dahin entschieden, daß das Institut der Organanleihe jedenfalls im Bereich des Verfassungsrechts kein geeignetes Mittel ist, um solche außergewöhnlichen Maßnahmen von. der Verfassung her abzudecken.
Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß eine Änderung des Grundgesetzes von Rechts wegen hierzu erforderlich ist.
Gestatten Sie mir außerdem einige rechtliche Ergänzungsbemerkungen, meine Damen und Herren.
Erstens. Nach der Ihnen jetzt auf dem Umdruck 303 vorgeschlagenen Regelung bleiben auch in Zukunft die Länder allein und ausschließlich zuständig für alle polizeilich zu lösenden Aufgaben. Sie behalten die Verantwortung auch für den Einsatz von Bundesgrenzschutzeinheiten.
Zweitens. Wenn auch in der neuen Fassung des Art. 35 Abs. 2 der Begriff des Anforderns in bezug auf den Bundesgrenzschutz verwendet wird, so bedeutet dies, daß der Bund die Pflicht hat, den Bundesgrenzschutz immer dann zur Verfügung zu stellen, wenn die Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 2 neuer Fassung gegeben sind. Er verstieße gegen den Grundsatz der Bundestreue, wenn er im Einzelfall die Zurverfügungstellung von Kräften - d. h. Menschen und Material - des Bundesgrenzschutzes verweigerte, sind die Voraussetzungen nur gegeben. Lediglich dann, wenn er zwischen verschiedenen Bereichen abwägen muß, wenn also im Norden und im Süden gleichermaßen der Bundesgrenzschutz angefordert wird und die vorhandenen Menschen und das vorhandene Material des BGS nicht ausreichen, um beide Bedarfe zu decken, darf er abwägen. Nur diese Abwägung ist ihm erlaubt; sonst muß er immer den Bundesgrenzschutz zur Verfügung stellen, will er nicht den Grundsatz der Bundestreue verletzen.
Drittens. Der Rechtsausschuß hielt einstimmig eine sogenannte Länderklausel nicht für erforderlich, die es dem Bund und den Ländern erlaubt, gemeinsam auch den umgekehrten Weg zu gehen, d. h., daß der Bund den Ländern Aufgaben des Bundesgrenzschutzes zur eigenen Ausübung überträgt oder überläßt. Wir waren im Rechtsausschuß einmütig der Meinung, daß die Polizeihoheit der Länder als eine originäre Zuständigkeit erhalten bleiben müsse und infolgedessen alle Polizeiaufgaben abdeckt. Es bleibt daher nach unserer einmütigen Auffassung im Rechtsausschuß auch in Zukunft zulässig, daß Grenzpolizeiaufgaben im Wege des Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern oder durch Staatsvertrag Ländern einzeln überlassen werden. Das, was bisher z. B. an Grenzpolizeiaufgaben der hamburgischen Wasserschutzpolizei oder der bayerischen Grenzpolizei übertragen worden ist - etwa von der Paßnachschau bis hin zu anderen Grenzschutzaufgaben -, bleibt auch in Zukunft zulässig, ohne daß es einer besonderen Erwähnung im Grundgesetz bedarf. Der Rechtsausschuß war ausdrücklich der Meinung, daß so etwas auch in Zukunft weiter zulässig bleiben soll und muß und daß eine besondere Absicherung - auch bei der Neufassung des Art. 35 im vorgeschlagenen Umfang - im Grundgesetz nicht besonders erwähnt zu werden braucht. Ursache für diese rechtliche Auffassung des Rechtsausschusses war die Anerkennung der Tatsache, daß die Polizeihoheit der Länder gegebenenfalls auch derartige Zuständigkeiten mit umfaßt.
Viertens. Besonders wichtig für uns Sozialdemokraten war die Einordnung der Neufassung dieser Aufgaben des Bundesgrenzschutzes in den Abs. 2 des Art. 35 GG, und zwar deswegen, weil der Art. 35 auch in seiner neuen Gestalt vom Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG mit umfaßt wird. Es muß sichergestellt
Dr. Arndt ({2})
sein, daß auch der jetzt zulässige Einsatz des Bundesgrenzschutzes niemals dazu mißbraucht werden darf, Maßnahmen durchzuführen, die sich gegen Arbeitskämpfe richten. Wie Sie wissen, ist in Art. 9 Abs. 3 Satz 2 ausdrücklich festgelegt, daß die Ausübung bestimmter Kompetenzen niemals in einem Sinne erfolgen darf, durch den in Arbeitskämpfe eingegriffen wird. Durch die Einfügung des neuen Satzes in Art. 35 Abs. 2 ist sichergestellt, daß auch die neuen Kompetenzen des Bundesgrenzschutzes niemals in einer Weise ausgenutzt werden dürfen, daß dadurch in Arbeitskämpfe eingegriffen wird. Gerade wir Sozialdemokraten und diejenigen Kollegen unter uns, die gewerkschaftlich organisiert sind, legen auf diese Einordnung im Grundgesetz sehr großen Wert.
Abschließend darf ich sagen, daß wir Sozialdemokraten diese Grundgesetzänderung auch politisch für notwendig halten, weil wir die Absicht haben, der hier in Bonn erst gestern erneut unterstrichenen gemeinsamen Sicherheitskonzeption der Innenminister der Länder zu folgen, der Innenminister, die bekanntlich allen vier Parteien, die in diesem Hause vertreten sind, angehören. Wir wollen damit - ich will das hier in aller Offenheit sagen - alle politischen Kräfte in diesem Lande auf die Ausgestaltung des Bundesgrenzschutzes als eines Sicherheitspotentials festlegen, das allen zur Verstärkung der Polizei zur Verfügung steht. Wir wollen damit die Diskrepanz überwinden, die bei gewissen Leuten in diesem Lande darin besteht, daß sie in Versammlungen und in öffentlichen Erklärungen sehr häufig die Begriffe „Recht und Ordnung" im Munde führen, daß sie aber bei internen Beratungen - nicht nur dieses Hauses, sondern auch an anderer Stelle - immer diejenigen sind, die dann die meisten Bedenken vorzubringen haben, wenn es konkret wird, die dann als Jäger, als Waffensammler, als Föderalisten und was es sonst noch für Begründungen gibt, plötzlich ein gewaltiges Arsenal von Bedenken gegen die Zusammenfassung aller polizeilichen Kräfte in diesem Lande, die dem Schutze der Bürger dienen soll, entdecken. Hier wollen wir beobachten, wer dieser Grundgesetzänderung zustimmt, und wünschen, alle Abgeordneten auch dieses Hauses auf diese politische Notwendigkeit festgelegt zu sehen.
Aus allen diesen Gründen werden wir Sozialdemokraten der vorgeschlagenen Fassung des Einunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes auf Umdruck 303 zustimmen und würden es sehr begrüßen, wenn dieses ein einstimmiger Beschluß dieses Hauses würde.
({3})
In der zweiten Beratung wird das Wort nicht mehr gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Bezüglich der Abstimmung ist der Vorgang etwas ungewöhnlich, weil wir zwei Berichte des Rechtsausschusses über zwei verschiedene Grundgesetzänderungen sowie einen interfraktionellen Änderungsantrag haben, der diese beiden und eine dritte
Grundgesetzänderung zusammenfaßt. Um keine Diskussionen über die zweckmäßigste Art der Abstimmung hier zu führen, schlage ich Ihnen vor, daß wir uns, da das Haus im Rahmen des § 127 der Geschäftsordnung Herr des Verfahrens ist, darüber einigen, daß nur über diesen Änderungsantrag abgestimmt wird. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist das so einstimmig beschlossen.
Ich lasse nun in der zweiten Beratung über den Änderungsantrag Umdruck 303 der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP abstimmen, und zwar über Art. I, Art. II sowie Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Lenz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion möchte ich zu der vorgeschlagenen Änderung des Grundgesetzes folgendes erklären.
Erstens. Die vorgeschlagene Änderung des Art. 35 Abs. 2 GG ist von der Bundesregierung nicht für erforderlich gehalten worden. Sie sollte jedoch jetzt jeden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Ausdehnung des Aufgabenbereichs des Bundesgrenzschutzes beseitigen.
Zweitens. Die vorgeschlagene Änderung der Art. '73 und 87 GG über die Erweiterung der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes weicht erheblich von der Vorlage der Bundesregierung ab. Herr Kollege Sieglerschmidt hat das schon dargestellt. Der Entwurf der Bundesregierung hatte zum Ziel, die Sicherheit und die auswärtigen Belange unseres Staates gegen gefährliche Bestrebungen von Ausländern zu schützen. Wir waren der Auffassung, daß die Vorlage in dieser Fassung unannehmbar war, weil der Schutz der Sicherheit unseres Staates von der Sache her keine Differenzierung zwischen In- und Ausländern zuläßt. Er muß In- und Ausländern gegenüber in der gleichen Weise gewährleistet sein.
({0})
Eine sachfremde Differenzierung zum Nachteil der Ausländer hätte eine Diskriminierung von Millionen Ausländern bedeutet, die in unserem Land leben.
({1})
Die CDU/CSU-Fraktion hat deshalb die Gleichbehandlung von In- und Ausländern in diesem Bereich durchgesetzt. Das ergibt sich bereits aus dem Ihnen vorliegenden Bericht des Rechtsausschusses zur Regierungsvorlage.
Wir haben dagegen lange gezögert, die auswärtigen Belange überhaupt als Rechtfertigung für eine
Dr. Lenz ({2})
Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu akzeptieren, und zwar deshalb, weil eine Regierung die auswärtigen Belange auch durch Handlungen gefährdet sehen könnte, die absolut legal sind, z. B. durch Meinungsäußerungen, die nach Art. 5 GG für jedermann, d. h. für In- und Ausländer, gleichermaßen frei sind. Wir waren der Auffassung, daß niemand, der von seinen Grundrechten Gebrauch macht, einer behördlichen Überwachung unterworfen werden sollte. Dies ist Teil eines freiheitlichen demokratischen Staates, meine Damen und Herren, für den wir stehen.
({3})
Außerdem waren wir der Auffassung, daß der Maßstab der auswärtigen Belange so unbestimmt ist, daß letztlich niemand voraussehen kann, wie er sich verhalten muß, um eine Gefährdung der auswärtigen Belange zu vermeiden, und deshalb nicht sicher sein kann, ob er nicht etwas tut, was ihn zum Gegenstand der Beobachtung durch den Verfassungsschutz macht. Wir waren der Auffassung, daß jedermann das Recht hat, zu wissen, ob er Anlaß zu Beobachtungen gibt oder nicht.
Wenn wir der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung nunmehr unsere Zustimmung geben, so deshalb, weil die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen zum Maßstab für das Eingreifen des Verfassungsschutzes bestimmt worden sind. Das Kriterium der Gewaltanwendung ist für jedermann erkennbar. Wer nicht beobachtet werden möchte, muß dieses Mittel von
vornherein aus dem Kreis seiner Betrachtungen ausschließen. Meine Damen und Herren, wir halten es für nützlich, daß das so ist!
({4})
Wir lehnen Gewaltanwendung als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob Inländer oder Ausländer Gewalt anwenden wollen.
Die Gefährdung der auswärtigen Belange, die nach der jetzigen Fassung durch Gewaltanwendung hervorgerufen werden muß, bedeutet praktisch eine Beschränkung der Beobachtungsmöglichkeiten des Verfassungsschutzes auf diesen Bereich, was sich dann auch mit den wirklichen Möglichkeiten des Verfassungsschutzes mehr deckt als die Regelungen der vorhergehenden Fassung.
In dieser Fassung können wir der Grundgesetzänderung unsere Zustimmung geben. Das heißt, es wird in Zukunft möglich sein, daß z. B. diejenigen, die Sprengstoffattentate im Ausland vorbereiten wollen - und zwar auch, wenn dies durch Sammlung der dazu erforderlichen finanziellen Mittel geschieht -,
({5})
durch den Verfassungsschutz beobachtet werden können, jedenfalls von der Verfassung her.
({6}) Meine Damen und Herren, die Unterscheidung zwischen der materiellen Förderung durch Lieferung der Sache und der materiellen Förderung durch Bereitstellung des dafür erforderlichen Geldes scheint uns zu haarspalterisch zu sein, als daß wir sie in der Wirklichkeit bestehen lassen könnten.
({7})
Wir möchten an dieser Stelle auch dem Bundesinnenminister und seinen Beamten für die Mitarbeit an der Ihnen jetzt vorliegenden Fassung danken. Unser Dank gilt ferner dem Bundesrat, der mit seiner Initiative zur Änderung des Grundgesetzes die Voraussetzung für die notwendige Vereinheitlichung des Waffenrechts in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hat. Auch diese Grundgesetzänderung findet unsere Zustimmung.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktionen der SPD und der FDP habe ich die Ehre zu erklären, daß wir aus den bereits - nicht zuletzt soeben von meinem Herrn Vorredner - ausgeführten Gründen dieser Grundgesetzänderung zustimmen werden. Wir sind dankbar dafür, daß in diesem schwierigen Bereich durch die Verhandlungen der letzten Wochen Lösungen gefunden werden konnten, die zweifellos konkreter sind als das, was am Anfang der Diskussion gestanden hat. Wir haben deshalb keine Veranlassung, hier darüber zu rechten, wer welchen Anteil am schließlichen Zustandekommen dieses von allen Fraktionen des Hauses getragenen Antrags hat.
({0})
Es geht uns ausschließlich um die Sache, und deshalb stellen wir auch - das möchte ich nur am Rande der Vollständigkeit halber erwähnen - die Bedenken zurück, die Kollegen aller Fraktionen bei Grundgesetzänderungen immer wieder - im Grundsatz sehr zu Recht - erhoben haben.
({1})
Diese Äußerungen gingen dahin, daß es bedenklich sei, immer wieder und wieder das Grundgesetz ändern zu müssen.
({2})
Ich persönlich glaube allerdings in den letzten zweieinhalb Jahren hier einen Lernprozeß durchgemacht zu haben; wir tun da des Guten etwas zuviel. Die Ursache liegt in den Verhältnissen des Jahres 1949, angesichts derer der Parlamentarische Rat geglaubt hat, die Dinge so im Detail regeln zu müssen, wie das in unserem Grundgesetz geschehen ist und wie das nur in wenigen Verfassungen der Welt der Fall ist. Die Regelungen sind aus der damaligen Situation und aus der seinerzeit unmittelbar hinter den Grundgesetzgebern liegenden Vergangenheit dieses Landes heraus sehr verständlich. Deshalb werden
wir uns immer wieder der Notwendigkeit stellen müssen, diese ins Detail gehenden Regelungen unter veränderten Verhältnissen auch wieder ändern zu müssen. Darum kommen wir nun einmal nicht herum. Deshalb haben wir uns auch diesmal wieder dieser Aufgabe unterzogen.
Eine ganz andere Frage ist die, ob die EnqueteKommission, die sich mit grundsätzlichen Erwägungen zur Neugestaltung in diesem Bereich zu befassen hat, vielleicht Wege aufzeigen kann,
({3})
wie für die Zukunft die Dinge etwas überschaubarer und etwas grundsätzlicher dargestellt werden können, so daß wir dann zu dem Zustand kommen könnten, dessen Fehlen wir, glaube ich, heute vergebens beklagen, denn die Ursache für die bestehende Lage war eine sehr vernünftige.
Wir haben uns wieder einmal der Notwendigkeit einer solchen Grundgesetzänderung - in Wirklichkeit sind es drei - gestellt. Wir tun das, weil wir glauben, daß alle drei Grundgesetzänderungen notwendig sind im Zusammenhang mit den Gesetzen, von denen die in Frage kommenden drei aus dem Gesamtpaket, das heute mehrfach zitiert worden ist, jetzt noch zu beraten sein werden.
Die Fraktionen der SPD und der FDP werden der Grundgesetzänderung aus diesen Gründen zustimmen.
({4})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abneigung gegen regelmäßig wiederkehrende Änderungen des Grundgesetzes teilt die Bundesregierung mit den Fraktionen des Hohen Hauses. Aber wir müssen wissen, daß die Anpassungsfähigkeit der Gesetzgebung an die Notwendigkeiten auch der Erhaltung des demokratischen Rechtsstaates uns zwingt, den Entwicklungen Rechnung zu tragen, die Anlaß waren für die drei Grundgesetzänderungen, über die wir hier sprechen. Die Bundesregierung hat ihren Anteil daran, daß sich daraus kein Gegensatz zwischen Bund und Ländern entwickelt. Sie hat diese drei Materien frühzeitig und vertrauensvoll mit den Innenministern der Länder und den Landesregierungen besprochen.
Ich habe mich zum Wort gemeldet, meine Damen und Herren, um einen Punkt besonders hervorzuheben. Wir haben mit der Grundgesetzänderung, die den Verfassungsschutz betrifft, die Kompetenz des Bundesamtes erweitert. Wir halten diese Änderung für notwendig. Aber wir wollen auch mit aller Klarheit sagen, daß gerade die Anwendung dieser Bestimmungen dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein hohes Maß an Aufmerksamkeit bei der strengen Einhaltung des Willens des Gesetzgebers auferlegen wird. Die Bundesregierung wird ihren Anteil dazu leisten, daß niemand seine Sorge
bestätigt sieht, es könnte mißbräuchlich von einer vom Gesetzgeber erteilten Vollmacht Gebrauch gemacht werden.
({0})
Wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung. Da wir die Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl feststellen müssen, kann die Abstimmung nur durch Auszählung erfolgen, wenn kein Antrag auf namentliche Abstimmung gestellt wird; das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir stimmen durch Auszählen ab über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP auf Umdruck 303 mit dem Ziel, eine Änderung des Grundgesetzes herbeizuführen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung durch Auszählung über den Änderungsantrag Umdruck 303 bekannt: abgegebene Stimmen 438, davon Ja-Stimmen 432, 1 Nein-Stimme, 5 Enthaltungen. Das Quorum von 331 voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses ist weit überschritten; die Grundgesetzänderung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, man hat sich darüber geeinigt, daß nunmehr zuerst die zweite Beratung der Tagesordnungspunkte 21, 22 und 23 und anschließend in einer gemeinsamen Diskussion die dritte Beratung der drei Gesetzentwürfe stattfindet.
Ich rufe also zuerst auf:
21. Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Waffengesetzes ({0})
-Drucksache VI/2678 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksachen VI/3566, zu VI/3566 und Nachtrag zu VI/3566 Berichterstatter: Abgeordneter
Dr. Schneider ({2}) Abgeordneter Pensky
({3})
Ich danke den Berichterstattern für ihren schriftlichen Bericht. Eine Ergänzung ist nicht veranlaßt.
Wir treten in die allgemeine Aussprache der zweiten Lesung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider ({4}). Für ihn sind 35 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich Sie zunächst als Berichterstatter bitte, von folgenden redaktionellen Änderungen Kenntnis zu nehmen. Ich tue dies im Einvernehmen mit dem Mitberichterstatter, Herrn Kollegen Pensky.
In § 12 des Gesetzentwurfs muß die Überschrift lauten: „Waffen- und Munitionsbücher".
Dr. Schneider ({0})
In § 22 Abs. 2 Nr. 1 werden die Worte „oder zugelassene Patronenmunition" gestrichen.
Ich spreche nunmehr für die Fraktion der CDU/ CSU.
Ich darf einen Augenblick unterbrechen. - Mein Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß wir die vorgetragenen Änderungen zur Grundlage unserer Beratung machen? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich darf Sie bitten fortzufahren, Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Als Berichterstatter für das Waffengesetz verweise ich auf den Schriftlichen Bericht des Innenausschusses, den ich ausdrücklich in meine Ausführungen einbeziehen möchte. Ich will dabei nicht verschweigen, daß ich es begrüßt hätte, wenn zur Beratung des Gesetzes und zur Abfassung des Berichts mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte.
Das Bundeswaffengesetz stellt in der Ausschußfassung den Versuch dar, durch Erschwerung des Waffenerwerbs und Verschärfung der Erlaubnis, Waffen zu führen, einen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu leisten. Ob dies gelingen wird, scheint mir wesentlich davon abzuhängen, wie das Gesetz durch die Ordnungsbehörde vollzogen wird. Ohne Zweifel wäre ein ängstlicher und bürokratischer Kleinmut fehl am Platze.
Das Bundeswaffengesetz, als Initiativantrag in den Bundestag eingebracht, verfolgt im wesentlichen folgende Ziele.
Erstens. Das Waffenrecht in der Bundesrepublik Deutschland wird einheitlich kodifiziert und in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes übertragen. Waffenrecht wird also in Zukunft Bundesrecht sein.
Zweitens. Handel, Herstellung, Erwerb und Besitz sowie das Führen von Waffen werden durchweg an eine behördliche Erlaubnis gebunden.
Drittens. Die persönliche Zuverlässigkeit und Sachkunde des Antragstellers gehen allen Bedürfnisprüfungen voraus. Nur der zuverlässige Bürger soll gewerblich und privat Waffen in die Hand bekommen.
Der Versuch, den Begriff „Bedürfnis" kodifikatorisch präzise zu fassen, muß meines Erachtens als gescheitert betrachtet werden. Er konnte wohl auch nicht gelingen, jedenfalls nicht in der Zeit, die zur Verfügung stand. Nach der vorliegenden Fassung des Gesetzes soll ein Bedürfnis dann nachgewiesen sein, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet zu sein, und der Erwerb von Schußwaffen oder Munition geeignet ist, diese Gefährdung zu mindern. Die Begriffe „Leib" und „Leben" schließen hier auch den Schutz hochwertigen Eigentums und hoher Sachgüter ein. Als Beispiel sei ein Juwelier genannt. Die unterschiedlichen Lebenstatbestände und Sachbezogenheiten aller Einzelfälle konnten in die Legaldefinition nicht konkret genug einbezogen werden. Verwaltungspraxis und Verwaltungsrechtsprechung bleiben damit aufgerufen, dem Geist und der sicherheitspolitischen Motivation des Waffengesetzes beim Gesetzesvollzug gerecht zu werden.
Das neue Waffengesetz würde seinen Sinn und Zweck in einem wesentlichen Punkt verfehlen, wenn es nicht dazu beitrüge, die gegenwärtig zu beklagende widersprüchliche und uneinheitliche Verwaltungspraxis bei der Bedürfnisprüfung für den Waffenerwerb zu beseitigen. Diese Rechts- und Sachlage war für mich maßgeblich, als ich im Innenausschuß beantragte, den Bedürfnisnachweis nur dann zu verlangen, wenn der Antragsteller bereits eine Schußwaffe besitzt. Meine Auffassung stützt sich auf die Erfahrungen, die in der Schweiz und in unserem Nachbarland Österreich mit dem dort gültigen Waffengesetz vom 1. März 1967 gemacht wurden. Noch in diesen Wochen haben der Polizeipräsident in Wien und der österreichische Innenminister bestätigen können, daß man in Österreich keinen Schwarzmarkt von Waffen und auch kein Ansteigen der Waffenkriminalität feststellen könne. Es könne beobachtet werden, daß die Waffendelikte als Folge der im Gesetz vorgesehenen intensiven Zuverlässigkeitsprüfungen, die auch unser neues Waffengesetz beinhaltet, nachgelassen hätten.
Meine Damen und Herren, das neue Waffengesetz definiert das Führen einer Waffe neu. Im Sinne dieses Gesetzes führt eine Waffe, wer die tatsächliche Gewalt über sie außerhalb seiner Wohnung, Geschäftsräume oder seines befriedeten Besitztums ausübt. Diese Legaldefinition soll gewährleisten, daß jemand auch dann wegen Führens einer Waffe belangt werden kann, wenn er sie nicht unmittelbar bei sich hat, jedoch jederzeit in der Lage ist, die tatsächliche Gewalt über sie zu erlangen. Die Gesetzesfassung ist insbesondere für die Polizei von praktischer Hilfe.
Das Gesetz beschränkt den Geltungsbereich des Waffenscheins ausdrücklich auf bestimmte Anlässe und Gebiete. Die Führungsbefugnis wird bei der Ausstellung des Waffenscheins funktionsbezogen erteilt, d. h., in jedem Fall ist nachzuweisen, in welchem Umfang ein Bedürfnis zum Führen der Waffe besteht. Die Ordnungsbehörden werden schwerwiegende Ermessensentscheidungen zu treffen haben. Fehlentscheidungen werden nur dann zu vermeiden sein, wenn Lebenserfahrung, Sachkunde, Augenmaß und praktischer Sinn für den konkreten Einzelfall vor abstrakten Allgemeinerwägungen den Ausschlag geben werden.
Die Anmeldepflicht für Schußwaffen wird beträchtlich erweitert und verschärft. Die Erhebungen des Innenausschusses haben ergeben, daß sich im Augenblick über 20 Millionen Waffen in privater Hand befinden. Die Zahl der einzelnen Waffenbesitzer konnte nicht genau ermittelt werden. Die Schätzungen gehen auch weit über die Zahl von 20 Millionen Waffen in privater Hand hinaus. Bei der Anmeldepflicht kommt es nicht so sehr darauf an, die zentrale Erfassung waffentechnischer Daten in einer Waffenzentralkartei für das gesamte BunDr. Schneider ({0})
desgebiet beim BKA zu bewerkstelligen. Im polizeilichen Interesse liegt es aber, daß die fahndungsrelevanten Daten möglichst schnell abgerufen und kriminalistisch ausgewertet werden können. Durch die Anmeldepflicht für Schußwaffen sollte den Behörden die Möglichkeit verschafft werden, eine annähernde Ubersicht über die Zahl der Schußwaffen zu bekommen, die bisher amtlich nicht erfaßt sind.
Der reine Waffenbesitz war bisher nicht strafbar, weil unser derzeitiges Recht ein allgemeines Besitzverbot nicht kennt. Es kennt auch nicht den illegalen Waffenbesitz. Dieser Rechtszustand hat oft dazu geführt, daß jemand, der im Besitz einer Kurzwaffe angetroffen worden ist, nicht bestraft werden konnte, weil ihm ein illegaler Erwerb oder eine gesetzwidrige Einfuhr nicht nachgewiesen werden konnte. In vielen Fällen waren die Straftaten auch schon verjährt. Der illegale Waffenbesitz wird nunmehr zu einem Dauerdelikt. Wer eine Schußwaffe neu erwirbt, bedarf einer Waffenbesitzkarte. Wer Waffen innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes bei der zuständigen Behörde anmeldet, erhält eine Waffenbesitzkarte ausgestellt. Nur mit einer Waffenbesitzkarte kann sich künftig der Besitzer einer Waffe als rechtmäßiger Besitzer legitimieren. Diese Bestimmung stellt eine der wesentlichen Neuerungen und Verschärfungen unseres Waffenrechts dar. Sie war im Bundesratsentwurf ursprünglich nicht enthalten. Sie wurde erst auf Betreiben der Arbeitsgruppe „Waffenrecht" in den Entwurf aufgenommen und durch den Innenausschuß
in ihrer jetzigen Fassung beschlossen.
Die Einführung der Waffenbesitzkarte bedeutet eine wirkungsvolle Unterstützung der Polizei. Durch sie wird die Beweislast zugunsten der Strafverfolgungsbehörden umgekehrt. Der Anmeldung und Registrierung der Schußwaffen kommt zunächst keine kriminalistische, sondern eine ordnungsrechtliche Bedeutung zu. Es liegt im Interesse der staatlichen Ordnung und der inneren Sicherheit, daß allgemein offengelegt wird, wie viele Schußwaffen sich in privater Hand befinden, wem sie gehören und wo sie gelagert sind. Aus dieser ordnungsrechtlichen Betratungsweise heraus sieht das Gesetz auch keine Strafverfolgung wegen unerlaubten Schußwaffenerwerbs oder unerlaubter Schußwaffeneinfuhr vor, sofern der Besitzer innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes seinen Waffenbesitz bei der zuständigen Behörde anmeldet. Das Gesetz stellt somit den Rechtsfrieden zwischen dem Staat und dem illegalen Waffenerwerber her. Wer seine Waffe anmeldet, braucht also keinerlei rechtliche oder tatsächliche Nachteile zu befürchten. Wer sie jedoch nicht anmeldet, begeht ein Dauerdelikt und nimmt sowohl eine Freiheitsstrafe als auch die Einziehung der Waffe in Kauf.
Erstmalig wird in. das deutsche Waffenrecht ein Munitionserwerbsschein eingeführt, dessen derjenige bedarf, der Patronenmunition oder Raketenmunition erwerben will. Ich persönlich halte wenig von dem praktischen Nutzen dieser Bestimmung. Auch die Bundesregierung äußert sich in ihrer Stellungnahme bemerkenswert skeptisch. Munition kann im
Gegensatz zu Schußwaffen nicht numeriert werden. Die einzige realistische Erwartung könnte allenfalls daran geknüpft werden, daß der Nichtberechtigte sich scheuen wird, in das Munitionshandelsbuch eingetragen zu werden.
Meine Damen und Herren, das neue Waffenrecht privilegiert niemanden, d. h. Erleichterungen beim Erwerb von Schußwaffen müssen in jedem Fall durch Prüfungs- und Tätigkeitsnachweise begründet werden. Dies gilt sowohl für diejenigen, die sich als Schützensportler oder Waffensammler betätigen, als auch für die Jäger.
Der zuverlässige und sachkundige Antragsteller kann sein Bedürfnis auf Erteilung einer Waffenbesitzkarte nachweisen, sofern er glaubhaft macht, daß er die Schußwaffe oder die Munition für den regelrechten Schießsport auf genehmigten Schießstätten, zur Teilnahme an ordentlichen Schießwettbewerben oder zur Pflege des Brauchtums in Schützenvereinigungen benötigt. Es wird also auch in Zukunft möglich sein, in den traditionellen Schützenvereinen jene Freizeitgestaltung, die man Schützensport nennt, zu betreiben. Unsere Bauern und Handwerker sowie unsere Jugend werden auch in Zukunft nach den herkömmlichen Regeln auf eine gestiftete Schützenscheibe schießen können. Bei der Schußwaffe muß es sich freilich um einen Einzellader mit einer Länge von mehr als 60 cm und einem Patronenlager mit einem Durchmesser bis 6 mm und einer Länge bis 20 mm handeln. Mit dieser Bestimmung will der Gesetzgeber den Schießsport im bisherigen Umfang und nach den üblichen Gepflogenheiten in vollem Umfang aufrechterhalten. Insbesondere soll auch die Pflege des Brauchtums in Schützenvereinigungen durch das neue Waffengesetz nicht behindert werden. Ein Bedürfnis braucht nicht nachzuweisen, wer als Mitglied eines Schützenvereins die Waffe zur Teilnahme an ordentlichen Schießwettbewerben benötigt, sofern es sich um eine Waffe mit einer Länge von mehr als 60 cm und einem Laufdurchmesser von nicht mehr als 5,6 Millimeter handelt. Der Antragsteller muß freilich nachweisen, und zwar in Gestalt einer Bescheinigung eines Vereins, daß er an den Übungsschießen des Vereins mindestens sechs Monate lang regelmäßig und erfolgreich teilgenommen hat. Sofern jemand den Schießsport mit anderen Waffen und in anderen Disziplinen betreibt, also z. B. das Pistolenschießen, ist das Bedürfnis als nachgewiesen zu betrachten, sofern er die entsprechenden vereinsamtlichen Bestätigungen dafür vorzulegen imstande ist.
Durch das Gesetz soll auch das Sammeln von Waffen nach wissenschaftlichen oder technischen Grundsätzen erlaubt bleiben wie das Anlegen und Erweitern kulturhistorisch bedeutsamer Sammlungen. In der Praxis sind dabei strenge, aber keine schikanösen Maßstäbe anzulegen. Der Antragsteller hat den Nachweis zu erbringen, daß er seine Waffensammlung gegen unbefugten Zugriff genügend gesichert hat.
Ich lege ausdrücklich Wert auf folgende Feststellungen. Der Begriff einer kulturhistorisch bedeutsamen Sammlung soll nicht das Waffensammeln allein zum Privileg öffentlicher Einrichtungen oder
Dr. Schneider ({1})
solcher privater Sammler machen, die es sich aus finanziellen Gründen leisten können, eine quantitativ größere Sammlung anzulegen. Jede Waffensammlung hat einmal klein und mit wenigen Stükken begonnen. Man kann daher einem Privatsammler, der sich zunächst nur einen Grundstock weniger kulturhistorisch wertvoller Sammlerstücke leisten kann, nicht auf das Sammeln von vom Sammelstandpunkt aus wertlosen Waffen verweisen, die unbrauchbar gemacht sind und etwa nur Zier- und Dekorationszwecken dienen können.
Daß im Zusammenhang mit der Kodifizierung eines bundeseinheitlichen Waffenrechts auch die berechtigten Interessen der Jäger angemessen berücksichtigt werden mußten, bedarf keiner näheren Begründung. Alle Beteiligten waren sich darüber einig, daß auch die Jäger nicht privilegiert, bevorzugt oder durch Ausnahmegenhmigungen begünstigt werden dürfen. An die befugte Jagdausübung hat der Gesetzgeber schon von je her strenge, ich sage: sehr strenge Anforderungen gestellt. Zum letztenmal geschah dies durch das Bundesjagdgesetz vom 30. März 1961.
Die Erteilung eines Jagdscheins, der jährlich erneuert werden muß, war schon immer an strenge Zuverlässigkeitsvoraussetzungen geknüpft, wie sie nunmehr im neuen Waffengesetz für den Waffenerwerb vorgesehen sind. Der Inhaber eines Jahres-, Tages- oder Jugendjagdscheins bedarf daher logischerweise keiner Waffenbesitzkarte, wenn es sich um eine Schußwaffe mit einer Länge von mehr als 60 cm handelt, die keine Selbstladewaffe mit gezogenem Lauf ist. Der Jäger kann also nach wie vor jede Jagdwaffe unter Vorlage des Jagdscheins erwerben. Für den Erwerb einer Selbstladewaffe mit gezogenem Lauf muß ein Bedürfnis nachgewiesen werden, das dann zu bejahen sein wird, wenn eine solche Waffe zur weidgerechten Jagdausübung im konkreten Einzelfall notwendig sein wird. Solche Fälle wird es durchaus geben, sie werden aber nicht die Regel sein. Deswegen wurde diese Bestimmung so gefaßt.
Nach bisherigem Recht war es den Jägern in einigen Bundesländern, z. B. in Bayern, gestattet, Faustfeuerwaffen in unbegrenzter Zahl zu erwerben. Nach dem neuen Waffengesetz wird diese Befugnis auf den Erwerb von zwei Faustfeuerwaffen eingeschränkt. Mit dieser Bestimmung wird einerseits den sicherheitspolitischen Absichten dieses Gesetzes voll Rechnung getragen. Andererseits soll auch in Zukunft jeder Jäger die Waffe erwerben können, die er zu einer weidgerechten Jagdausübung und zum Jagd- oder Forstschutz benötigt.
Umstritten war die Frage, ob der Jäger zur Jagdausübung neuerdings eines Waffenscheins bedarf oder ob er sich dafür wie bisher mit einem Jagdschein ausreichend legitimieren kann. Das Gesetz sieht nunmehr vor, daß eines Waffenscheins nicht bedarf, wer Schußwaffen zur befugten Jagdausübung, zum Jagdschutz oder Forstschutz oder in Zusammenhang damit führt. Mit dieser Bestimmung will der Gesetzgeber zweifelsfrei sicherstellen, daß das neue Waffengesetz die bisher üblichen und vom
Sicherheitsstandpunkt unbedenklichen Jagdgewohnheiten nicht berührt. Dies gilt insbesondere für die allgemein anerkannten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit gemäß § 1 Abs. 3 des Bundesjagdgesetzes von 1961.
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- Verehrter Herr Kollege Arndt, es dürfte Ihrem juristischen Scharfsinn entgangen sein, daß das Jagdrecht und die Befugnis, die Jagd auszuüben, in Deutschland traditionsgemäß wesentlich schärfer geregelt ist als in Frankreich. Denn wir kennen das Reviersystem, während in Frankreich wie in anderen Ländern das Lizenzsystem zu Hause ist. - Den Jägern ist es also auch unter dem neuen Jagdgesetz gestattet, dem Weidwerk nach den herkömmlichen und bewährten Regeln und Gepflogenheiten nachzugehen. Dazu gehört auch das jagdliche Brauchtum, der traditionelle Umtrunk nach Treibjagden - für Nichtjäger sei es näher erläutert: Schüsseltreiben genannt - oder die Einkehr in die Dorfgaststätten, wo der Jagdpächter mit den Bauern des Dorfes zusammentreffen oder auch den eben erlegten Bock „tottrinken" möchte.
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- Das ist eben nicht genehmigungspflichtig. Das gehört zu den Grundsätzen deutscher Weidgerechtigkeit, verehrter Herr Kollege Arndt. - Daß dabei natürlich die gebotenen Sicherheitsvorschriften über den Umgang mit Schußwaffen nicht außer acht gelassen werden dürfen, bedarf keiner besonderen Betonung.
Die Verwaltungsvorschriften zum Waffengesetz liegen dem Bundestag verständlicherweise noch nicht vor. Ich halte es aber für zweckmäßig, auch darüber einige Worte zu verlieren. Die Verwaltungsvorschriften müssen nach meinem Ermessen so gefaßt werden, daß der Vollzug zu angemessenen Kosten bewerkstelltig werden kann. Die Bürger und Steuerzahler in unsere Land sollen keinen berechtigten Anlaß haben, über einen perfektionierten, superbürokratischen Vollzug des Waffengesetzes zu klagen. Dieser Hinweis erscheint mir speziell angezeigt im Hinblick auf die Prüfung der Zuverlässigkeit, der Sachkunde, der körperlichen Eignung, des Bedürfnisses und - und das gerade - im Zusammenhang mit Registrierungsmaßnahmen.
Das Waffengesetz richtet sich nicht gegen den gesetzestreuen und zuverlässigen Bürger. Es wird verschärft gegen die Feinde und Störer der inneren Sicherheit. Dieses Grundsatzes sollten sich alle bewußt sein, die entweder als Verwaltungsbeamte oder als Verwaltungsrichter mit diesem Gesetz zu tun haben werden. Das Gesetz dient der Erhöhung der inneren Sicherheit und darf nicht zu kleinlicher, bürokratischer Handhabung mißbraucht oder auch nur fehlgebraucht werden.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen zum neuen Waffengesetz, auf die Fülle von Zuschriften, Anregungen, Vorschlägen und Bedenken, die mir perDr. Schneider ({4})
sönlich und, wie ich weiß, allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses zugegangen sind. Viele dieser Interventionen konnten bei den Beratungen berücksichtigt werden, weil sie sachdienlich gewesen sind. Sie verdienen bei der Abfassung der Verwaltungsvorschriften und beim Vollzug dieses Gesetzes eine gewissenhafte Prüfung.
Die größte Gefahr für die innere Sicherheit in unserem Lande wäre dann heraufbeschworen, wenn dem zuverlässigen, gesetzestreuen Bürger durch allzu kleinliche Bedürfnisprüfungen der Erwerb einer Schußwaffe unangemessen erschwert würde, der Staat sich aber seinerseits außerstande sähe, den illegalen Waffenbesitz unter Kontrolle zu bringen. Einen solchen Zustand könnte und wollte, wie ich fest überzeugt bin, in diesem Hause niemand verantworten.
Das neue Waffengesetz wird dann seinen Sinn erfüllen und seinen Zweck erreichen, wenn es die innere Sicherheit in unserem Lande insgesamt verstärkt und dem einzelnen Staatsbürger dann zum Besitz einer Kurzwaffe verhilft, wenn das persönliche Sicherheitsinteresse dies rechtfertigt.
Lassen Sie mich zum Schluß meiner Ausführungen einige Anmerkungen zum Entschließungsantrag machen, der dem Hause zur Verabschiedung des Waffengesetzes vorliegt. Ich bitte alle Mitglieder dieses Hauses, ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf diesen Entschließungsantrag zu lenken. Denn eine Reihe flankierender Maßnahmen müssen dem neuen Waffengesetz zu seiner vollen Wirkung
verhelfen. Dies gilt insbesondere für die Harmonisierung des Waffenrechts der europäischen Staaten - eine europäische Waffenkonvention wäre zumindest innerhalb der EWG-Staaten angebracht -, die Bekämpfung des Waffenschmuggels an unseren Grenzen und die Diebstähle von Waffen, Munition und Sprengstoffen bei der Bundeswehr und bei den übrigen Verteidigungsstreitkräften auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland.
Sie alle wissen, daß die Bundeswehr auch heute noch Waffentransporte für die Bundeswehr durch die Bundesbahn ohne militärische Begleitung durchführen läßt. Diese Tatsache hat in einigen Fällen zu aufsehenerregenden Waffendiebstählen geführt, und die Erklärungen, die uns seitens des Verteidigungsministeriums Anfang dieses Jahres im Innenausschuß dazu gegeben worden sind, scheinen mir nicht zufriedenstellend gewesen zu sein. Ich bitte also den Herrn Bundesverteidigungsminister ausdrücklich darum, sich dieses Problems anzunehmen und eine Regelung zu treffen, die den Waffendiebstahl aus Beständen der Bundeswehr praktisch unmöglich machen wird.
Es wäre verhängnisvoll und müßte zu einem totalen Fehlschlag des Waffengesetzes führen, gelänge es nicht, die im Entschließungsantrag angestrebten ergänzenden Maßnahmen in nahen Fristen zu verwirklichen. Dabei mitzuhelfen sind Regierung und Parlament gleichermachen aufgerufen.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt im Sinne meiner Ausführungen dem Waffengesetz zu, und sie wird immer bereit sein, gegen jede Form von Waffenmißbrauch mit der gebotenen Energie anzukämpfen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Entschluß des Bundesrates zur Vorlage dieses Bundeswaffengesetzes. Wir sehen in der Gesetzesvorlage einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit. Auch paßt sich - das muß ich hinzufügen - das Bundeswaffengesetz sachgerecht in die Reihe von Maßnahmen ein, die die Bundesregierung bereits zu einer verbesserten präventiven Verbrechensbekämpfung veranlaßt hat. Erstmals nach dem Krieg wird damit ein bundeseinheitliches Waffenrecht geschaffen. Wie notwendig das ist, möchte ich nur an einigen Beispielen darstellen.
Schreckschuß-, Gas-, Betäubungs-, Scheintodwaffen können in Bayern und im Saarland frei erworben werden. In den übrigen Bundesländern benötigt man dafür einen Waffenschein. Wer im Saarland eine solche Waffe außerhalb des befriedeten Besitztums führt, benötigt keinen Waffenschein, während er in den übrigen Bundesländern wiederum vorgeschrieben ist.
Diese unübersichtliche Regelung bringt Waffenhändler und -bezieher immer wieder in Schwierigkeiten. Besonders für den Bezieher ist die Gefahr, sich strafbar zu machen, sehr groß. Einschlägige Firmen betonen in illustrierten Katalogen, die Waffe könne ohne Erwerbsschein bezogen werden, verschweigen aber, daß zum Führen der Waffe außerhalb des befriedeten Besitztums ein Waffenschein erforderlich ist. Abgesehen davon ist es dem Bürger meist unverständlich, daß der gleiche Sachverhalt in Bayern z. B. keinen Anlaß zu einem Strafverfahren gibt, während er in Baden-Württemberg strafbar ist.
Meine Damen und Herren, es ist mit den Interessen der öffentlichen Sicherheit insbesondere nicht zu vereinbaren, daß nach dem geltenden Waffenrecht jedermann nicht gewerbsmäßig Schußwaffen in andere, z. B. Schreckschußwaffen in scharfe Waffen umarbeiten darf, jeder, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, scharfe Langwaffen und auch halbautomatische Langwaffen und scharfe Munition frei erwerben kann und schließlich die Inhaber von Waffenscheinen und Jahresjagdscheinen scharfe Kurzwaffen in unbeschränkter Zahl erwerben dürfen.
Herr Kollege Schneider hat schon darauf hingewiesen, daß sich nach Schätzungen des Bundeskriminalamts in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit etwa 10 bis 20 Millionen gebrauchsfähige Schußwaffen in der Hand von Zivilpersonen befinden. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stellen wir fest, daß die Zahl der Waffendelikte seit Jahren steigt.
1971 beispielsweise wurde bei 6106 Straftaten der Waffengebrauch angedroht und bei 13 446 Straftaten mit Schußwaffen geschossen.
Aus Statistiken einzelner Bundesländer für zurückliegende Jahre ergibt sich, daß 48 % der bei Straftaten verwandten Schußwaffen nachgewiesenermaßen legal erworben worden waren - einschließlich der frei erwerbbaren Langwaffen -, bei 36 % der Fälle die Art des Erwerbs ungeklärt war und nur bei 16 % der Fälle der Erwerb nachgewiesenermaßen illegal war.
Meine Damen und Herren, auch auf diesem Hintergrund muß der Entwurf des Waffengesetzes gesehen werden. Er zielt darauf ab, die Voraussetzungen für den Erwerb und für das Überlassen von Waffen und Munition zu verschärfen und eine lückenlose behördliche Registrierung zu verwirklichen.
Daraus ergibt sich ebenso die Notwendigkeit, bisher erwerbsscheinfreie Langwaffen in die behördliche Erlaubnispflicht mit einzubeziehen. Alleiniges Kriterium für die Erwerbsscheinpflicht kann nur - der Meinung waren wir - die Gefährlichkeit der Waffe sein. Darauf stellt schließlich auch der Gesetzentwurf ab.
Als Waffenerwerbsvoraussetzungen werden zwingend vorgeschrieben die Zuverlässigkeit, die Sachkunde und das Bedürfnis; auch darauf ist Herr Kollege Dr. Schneider schon eingegangen. Während die verschärften Voraussetzungen für die Zuverlässigkeit und die Sachkunde allenthalben Zustimmung gefunden haben, gab es einen energischen Widerstand insbesondere von seiten des Waffenhandels und der Waffenproduzenten gegen die Bedürfnisprüfung. Auch die CDU/CSU hat mit Unterstützung eines Teils ihrer Mitglieder im Innenausschuß beantragt, von der Bedürfnisprüfung abzusehen, soweit es sich um den Erwerb nur einer Schußwaffe handelt. Herr Kollege Schneider beklagte damals und auch heute, daß die Mehrheit des Ausschusses dieser Auffassung nicht beigetreten ist, wie ich meine, zu Recht deshalb nicht beigetreten ist, weil ein solches Verlangen der Zielsetzung des Gesetzentwurfes völlig zuwiderliefe. - Herr Kollege Sieglerschmidt?
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Kollege Pensky, der Kollege von Thadden hat im Zusammenhang damit, daß man auf die Vorstellungen der Opposition in dieser Richtung nicht eingegangen ist, vorhin von „linksradikalen Hysterien" gesprochen. Müßte man, nachdem der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Herr Schwarz, der jetzt leider nicht mehr da ist, im Innenausschuß diese Vorstellungen ja auch sehr nachdrücklich zurückgewiesen hat, sagen, daß auch der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Herr Schwarz, linksradikalen Hysterien erlegen ist?
({0})
Wenn er das damit gesagt haben will - ich weiß es nicht -, schließt er ihn ja in den
Kreis derer ein, die mit uns dagegen waren. Ich weiß nicht, wie er ihn dann anders behandeln will als uns.
Der Herr Abgeordneter Dr. Schneider möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie einverstanden?
Bitte, Herr Kollege Dr. Schneider!
Herr Kollege Pensky, sind Sie in der Lage, mir zuzustimmen, wenn ich meine, daß der Einlassung des Innenministers von Rheinland-Pfalz, des Herrn Schwarz, ausschließlich kriminalistische Erwägungen zugrunde gelegen hatten und daß seine Einlassung mit linksradikalen oder ähnlichen Motivationen nicht das Geringste zu tun hatte?
Ja, ich weiß nicht, es ist immer wieder dieser Eintopf, der hier gebraut wird. Das wird bei jedem Gesetz so gemacht. Demnächst werden wahrscheinlich noch bei einem Gesetz über eine neue Katasterregelung auch wieder Linke in den Topf geschmissen, und dann wird herumgerührt. Ich weiß gar nicht, was das immer soll.
({0})
- Nein, er hat doch nur auf den Kollegen von Thadden, der das hier gesagt hat, Bezug genommen.
({1})
- So ist es gesagt worden, und darauf hat der Kollege Sieglerschmidt Bezug genommen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal unterstreichen, daß ein solcher Antrag auch dem Gesetzentwurf völlig zuwiderliefe. Soweit es sich nämlich um Faustfeuerwaffen handelt, würde damit der jetzige unbefriedigende Zustand nicht nur beibehalten, sondern noch erheblich verschlechtert. Nun, wir meinen, daß es gerechtfertigt ist, ein Bedürfnis für den allgemeinen Waffenerwerb nur in solchen Fällen anzuerkennen, in denen, wie das Gesetz es sagt, die betreffende Person wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet ist und der Erwerb von Schußwaffen und Munition geeignet ist, diese Gefährdung zu verhindern. Wir können also nicht, meine Damen und Herren, nach dem Motto handeln: jedem Deutschen seine Waffe - die dann schließlich noch zum Statussymbol hochstilisiert werden könnte. Das würde der öffentlichen Sicherheit, um die es uns bei diesem Gesetz vorrangig geht, nicht gerecht.
Selbstverständlich müssen wir für eine einheitliche Anwendung des Begriffs „Bedürfnis" Sorge tragen. Darüber haben wir in den Ausschüssen gesprochen, und es ist von der Bundesregierung zugesagt worden, daß dies bundeseinheitlich in einer Verwaltungsvorschrift geregelt werde.
Es hat jedoch auch Besorgnisse von seiten der Jäger, Sportschützen und Waffensammler gegeben.
Hierzu darf ich einige Bemerkungen machen. Bei den Inhabern von Jagd- und Waffenscheinen wird nach dem Gesetzentwurf das Bedürfnis auf Erwerb von Jagdwaffen grundsätzlich anerkannt. Diese Personen brauchen also, was die Ausübung der Jagd angeht, auf nichts zu verzichten. Ich möchte das besonders deutlich klarstellen, weil auch in Zuschriften, die ich heute noch bekommen habe, etwas anderes dargestellt worden ist. Die Jäger werden also daneben auch künftig ohne weiteren Bedürfnisnachweis zwei Faustfeuerwaffen besitzen dürfen. Eingeschränkt wird lediglich die Privilegierung dieses Personenkreises für den Erwerb einer beliebigen Anzahl von Faustfeuerwaffen. Das erscheint auch gerechtfertigt und notwendig. Aus einer Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen, die uns amtlich zugeleitet worden ist, ergibt sich, daß in den Jahren von 1962 bis 1967 einzelne Jagdscheininhaber mehr als 100, in einem Falle sogar 265 Faustfeuerwaffen erworben haben. Es wird niemand behaupten können, daß hierfür ein Bedürfnis vorgelegen habe.
Auch für Sportschützen und Waffensammler sind Regelungen getroffen worden, die ihrer schießsportlichen und Sammlertätigkeit gerecht werden. Auch in diesem Zusammenhang muß ich dem widersprechen, was jemand geschrieben hat, der es an sich wissen müßte, nachdem ich es ihm erläutert hatte. Er behauptet, daß Sportschützen nur noch im Rahmen von Vereinsmitgliedschaften ihren Sportschützenleidenschaften nachgehen können. Das ist nicht der Fall. Wir waren uns selbstverständlich dessen bewußt, daß wir über ein Gesetz nicht einen Vereinszwang ausüben können. Es kommt nur darauf an, daß der Schießsport auf öffentlich zugelassenen Schießständen ausgeübt wird.
Meine Damen und Herren, ein besonderes Problem stellen die Erfassung und Registrierung der im Besitz der Bevölkerung befindlichen, legal oder illegal erworbenen erwerbscheinpflichtigen Waffen dar. In diesem Zusammenhang halte ich es für geboten, auf die Bestimmung des § 59 in der Neufassung des Gesetzentwurfs hinzuweisen. Danach kann jedermann, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen, seinen Waffenbesitz anmelden und dafür ohne weitere Prüfung eine Waffenbesitzkarte erhalten. Hierfür hat er sogar ein halbes Jahr lang Zeit. Für ein halbes Jahr wird diesem Personenkreis also Straffreiheit gewährt. Wird er nach diesem Zeitpunkt, ohne eine besagte Waffenbesitzkarte zu haben, mit einer erwerbscheinpflichtigen Waffe angetroffen, so unterliegt er natürlich der ganzen Schärfe des Gesetzes.
Mit dem Waffengesetz allein werden wir den illegalen Waffenmarkt nicht unter Kontrolle bringen. Das müssen wir wissen und dürfen uns insoweit keinen Illusionen hingeben. Es ist deshalb eine ganze Reihe von flankierenden Maßnahmen notwendig. Die Entschließung, die dem Hohen Haus vorliegt, zeigt hierfür die Richtung auf. Herr Kollege Schneider ist in einzelnen Punkten darauf eingegangen.
Ich darf in diesem Zusammenhang besonders auf die Notwendigkeit der Harmonisierung des Waffenrechts im europäischen Raum verweisen. Wir begrüßen es, daß die Beratende Versammlung des Europarates bereits Anfang dieses Jahres auf Initiative unseres Kollegen Sieglerschmidt einstimmig eine Empfehlung angenommen hat, die auf eine Harmonisierung des europäischen Waffenrechts abzielt. Wir haben auch mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß der Herr Bundesminister des Innern inzwischen bereits bilaterale Gespräche zu dieser Frage mit Nachbarstaaten aufgenommen hat. Es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn auch über die Grenzen Europas hinaus, eventuell über eine internationale Konvention, eine bessere Kontrolle des Waffenmarktes erreicht werden könnte. Ich bin sicher, daß die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder verstärkt Anstrengungen unternehmen werden, um insbesondere gewissenlosen Waffenschwarzhändlern das Handwerk zu legen, die um des eigenen Profits willen zur Unsicherheit in unserem Staate bisher schon beigetragen haben.
Alles in allem sind nicht nur ein einzelnes Gesetz, sondern eine Summe von Maßnahmen erforderlich, um die innere Sicherheit weiter zu verbessern. Dieser Gesetzentwurf zu einem neuen Bundeswaffengesetz ist ein weiterer, bedeutsamer Baustein dazu. Wir Sozialdemokraten stimmen deshalb diesem Gesetzentwurf zu.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nachdem die für ein bundeseinheitliches Waffenrecht notwendige Grundgesetzänderung soeben von diesem Hohen Hause verabschiedet worden ist, darf ich zum materiellen Teil des Gesetzes nachstehende Erklärung für die Fraktion der Freien Demokraten abgeben.
Das Gesetz faßt alle waffenrechtlichen Vorschriften zusammen. Soweit es sich nicht um Kriegswaffenrecht handelt, löst es also das Bundeswaffengesetz von 1968 und die noch fortgeltenden Teile des Reichswaffengesetzes ab, Zugleich ergänzt es in einzelnen Fällen das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen.
Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu den wesentlichen Vorschriften des Entwurfs eines Waffengesetzes in der vom Innenausschuß des Bundestages am 14. und 15. Juni 1972 beschlossenen Fassung machen.
Der Entwurf bestimmt die Waffenbegriffe neu, wodurch alle Waffen und waffenartigen gefährlichen Gegenstände von dem Gesetz erfaßt werden. Die Herstellung und Instandsetzung von Waffen durch Private wird genehmigungspflichtig, damit ein Aufbohren beispielsweise von Schreckschußwaffen nicht mehr zulässig sein kann. Auch der Erwerb von Langwaffen wird genehmigungspflichtig. Nach dem Reichswaffengesetz bedurfte es nur zum Erwerb von Faustfeuerwaffen, wie Pistolen und Revolver, eines Waffenerwerbsscheins. Alle anderen Waffen, soweit sie nicht Kriegswaffen oder verKrall
botene Waffen sind, waren frei erwerbbar. Diese Regelung konnte im Interesse der inneren Sicherheit nicht mehr aufrechterhalten werden.
In steigendem Umfange wurden Langwaffen aller Art zu strafbaren Handlungen, insbesondere bei Mord und Totschlag, benutzt. Darüber hinaus sind heute jedermann Werkzeuge zugänglich, mit denen Teile des Laufs oder des Schaftes abgesägt werden können, wodurch eine Kurzwaffe hergestellt werden kann. Da die nichtgewerbliche Herstellung oder Bearbeitung von Schußwaffen erlaubnispflichtig war, war das Absägen von Langwaffen oder das Aufbohren von Schreckschußwaffen nicht einmal illegal. Allein im Jahre 1970 sind in der Bundesrepublik ca. 370 Straftaten mit abgesägten Langwaffen begangen worden.
Dementsprechend ist durch den Entwurf die Erlaubnispflicht beim Erwerb aller Schußwaffen, unabhängig von ihrer Größe oder der Antriebsart der Geschosse, ausgedehnt worden. Ausgenommen sind lediglich Schußwaffen, aus denen nur Geschosse mit geringer Bewegungsenergie verschossen werden können, also Schreckschuß-, Reizstoff- und Signalwaffen sowie die meisten Druckluft- und CO2-Waffen. Unter die Erlaubnispflicht fallen demnach auch die meisten Kleinkalibergewehre, mit denen in der Vergangenheit auch in abgesägtem Zustand in steigendem Maße Straftaten begangen worden sind und bei denen die Bewegungsenergie der Geschosse oft der einer Polizeipatrone entspricht.
Statistische Erhebungen in den Ländern haben gezeigt, daß ein sehr hoher Prozentsatz der bei Straftaten verwandten Waffen legal erworben worden ist, während nur ein ganz geringer Prozentsatz - ca. 17 % - illegal erworben worden ist. Demnach ist es durchaus sinnvoll und notwendig, den legalen Schußwaffenerwerb einzuschränken, wie dies im Entwurf des Gesetzes vorgesehen ist. Ein großer Teil der Straftäter wird erst durch den Besitz von Schußwaffen zur Begehung von Straftaten verführt.
Die Erlaubnis zum Erwerb und zum Besitz - erstmalig ist eine Besitzerlaubnis vorgesehen - wird durch eine Waffenbesitzkarte erteilt. Voraussetzung für die Erteilung dieser Erlaubnis sind die Zuverlässigkeit und die Sachkunde des Antragstellers und in der Regel der Nachweis eines Bedürfnisses zum Besitz.
Der Begriff der Zuverlässigkeit ist im Gesetz positiv und negativ definiert. Die Festlegung des Begriffs der Zuverlässigkeit gilt für das gesamte Gesetz, also auch für gewerbeberechtigte Erlaubnisse, soweit die Zuverlässigkeit des Antragstellers Voraussetzung für deren Erteilung ist. Der Nachweis der Sachkunde wird durch die Prüfung vor einem fachkundigen Ausschuß erbracht, es sei denn, daß sich das Vorliegen der Sachkunde aus anderen Umständen, z. B. aus einer früheren beruflichen Tätigkeit, ergibt. Die Einzelheiten werden durch Rechtsverordnung bestimmt. Auf diese Weise wird gewährleistet, daß künftig nur Personen in Besitz von Schußwaffen gelangen, die damit umzugehen
verstehen, wodurch zwar nicht der kriminelle Mißbrauch, jedoch die Gefahr von Unfällen eingeschränkt wird.
Im Gegensatz zum bisherigen Recht ist auch der Begriff des Bedürfnisses im Gesetz definiert. Herr Schneider glaubt zwar, daß das nicht in dem erforderlichen Maß der Fall ist
({0})
- gelungen ist -, aber wir glauben, daß, um eine unterschiedliche Auslegung durch die Vollzugsbehörden zu vermeiden, auf programmatische Weise diejenigen Voraussetzungen genannt worden sind, unter denen ein Bedürfnis zu bejahen ist. Jäger und Sportschützen - das ist hier von meinen beiden Herren Vorrednern angesprochen worden - sind unter bestimmten Voraussetzungen ganz von der Bedürfnisprüfung freigestellt, Jäger bei dem Erwerb von Langwaffen, die nicht Selbstladewaffen mit gezogenem Lauf sind, und bei dem Erwerb von zwei Kurzwaffen, sofern sie noch keine Waffen dieser Art im Besitz haben. Sportschützen, die aktiv' in Vereinen tätig sind und an anerkannten Sportwettkämpfen teilnehmen, sind bei dem Erwerb von Kleinkalibereinzelladern von der Bedürfnisprüfung freigestellt.
Bei diesen Regelungen kommt deutlich der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, Jägern die Wahrnehmung der befugten Jagdausübung und Sportschützen die Vorbereitung auf sportliche Wettkämpfe und die Teilnahme daran weiter zu ermöglichen. Soweit dabei eine Freistellung von der Bedürfnisprüfung vorgesehen ist, ist jedoch bei jedem einzelnen Erwerb eine Erlaubnis notwendig, bei deren Erteilung erneut die Zuverlässigkeit des Antragstellers überprüft wird.
Die Waffenbesitzkarte als Erwerbs- und Besitzerlaubnis stellt ein Novum dar. Die Karte wird auf den Inhaber ausgestellt. Zugleich enthält sie detailliert die Angaben der Waffen - z. B. auch die Herstellungsnummern -, über die der Inhaber zu Recht die tatsächliche Gewalt ausübt. Erwirbt oder veräußert der Inhaber eine Waffe, so werden die Angaben auf den Waffenbesitzkarten des Veräußerers und des Erwerbers umgeschrieben. Die Waffenbesitzkarte ist somit Waffenerlaubnis und zugleich Legitimationspapier, auf Grund dessen von den Vollzugsbehörden sofort die Berechtigung zum Besitz der Waffen kontrolliert werden kann, die bei einer Person angetroffen werden. Ebenso kann sofort festgestellt werden, ob der Inhaber noch alle Waffen im Besitz hat, die er ausweislich seiner Waffenbesitzkarte erworben hat. Die Waffenbesitzkarte berechtigt nur zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt innerhalb des eigenen befriedeten Besitztums oder innerhalb eines fremden Besitztums, soweit der Hausrechtsinhaber dem zustimmt.
Zum Führen außerhalb des befriedeten Besitztums bedarf es eines Waffenscheins. Für seine Erteilung ist der Nachweis des Bedürfnisses zum Führen von Waffen notwendig.
Der Erwerb von Munition wird grundsätzlich erlaubnispflichtig. Um die Weitergabe von Munition
verfolgen zu können, darf künftig Munition nur in gekennzeichneten verschlossenen Packungen gewerbsmäßig weitergegeben werden. Auch wird dem Handel die Pflicht zum Führen eines Munitionshandbuches auferlegt.
Der Kreis der verbotenen Gegenstände wird erweitert. Dazu zählen nunmehr auch vollautomatische Selbstladewaffen, Molotow-Cocktails sowie Geschosse mit Betäubungsstoffen. Auch die Anleitung zur Herstellung von Molotow-Cocktails ist verboten.
Alle in der Bevölkerung vorhandenen Waffen, für deren Erwerb es nach dem Waffengesetz einer Erlaubnis bedarf - auch tragbare Kriegswaffen -, sind innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes anzumelden. Für mögliche Straftaten ist eine Amnestie vorgesehen. Die Waffen sollen in aller Regel dem Besitzer verbleiben. Bei der Anmeldung wird eine Waffenbesitzkarte ausgestellt, mit der die Berechtigung zum weiteren Besitz nachgewiesen werden kann. Nach Ablauf der Meldefrist ist der Besitz nicht angemeldeter Waffen verboten und strafbar. Damit ist der illegale Waffenbesitz zum Dauerdelikt gemacht worden; die Illegalität des Erwerbs braucht nun nicht mehr nachgewiesen zu werden.
Die Strafen für Verstöße gegen waffenrechtliche Vorschriften sind beträchtlich erhöht worden. Auch wird durch Änderung des § 100 a der Strafprozeßordnung unter bestimmten Voraussetzungen die Telefonüberwachung zur Verfolgung schwerer waffenrechtlicher Verstöße zulässig.
Das Inkrafttreten des Gesetzes soll zum Anlaß genommen werden, alle nach bisherigem Recht erteilten Erlaubnisse für den gewerbsmäßigen Waffenhandel oder für die gewerbsmäßige Waffenherstellung zu überprüfen. Diese Erlaubnise erlöschen daher nach Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes und müssen neu beantragt werden.
Um den Waffenschmuggel an den Grenzen intensiver als bisher bekämpfen zu können, ist im Gesetz klargestellt, daß die Fahndung nach Waffen und Sprengstoff auch zu den Aufgaben des Bundesgrenzschutzes gehört. Zur Wahrnehmung dieser Aufgaben hat der Bundesgrenzschutz nunmehr auch die Befugnisse der Zollverwaltung.
Im Rahmen des Europarates werden gegenwärtig Maßnahmen zur Vereinheitlichung des europäischen Waffenrechts erwogen, wie das hier vorhin schon angeklungen ist. Erster Schritt in dieser Richtung sind und können zwischenstaatliche Vereinbarungen sein, wonach der Export von Waffen in einen anderen europäischen Staat von der Zustimmungserklärung des Bestimmungsstaates abhängig gemacht wird. Im Gesetz ist daher die Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß einer Rechtsverordnung vorgesehen, durch die der Export unmittelbar in das Ausland von einer Genehmigung abhängig gemacht und als Voraussetzung dieser Genehmigung eine Zustimmungserklärung des Bestimmungslandes vorgesehen werden kann.
Die freie demokratische Fraktion stimmt daher dem Gesetzentwurf und dem Entschließungsentwurf
zu, weil sie glaubt, daß dieses Gesetz die innere Sicherheit in unserem Lande wesentlich erhöht.
({1})
Wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen in zweiter Beratung zur Abstimmung über die §§ 1 bis 62, Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({0})
Präsident von Hassel: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache VI/3546
Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Frage 57 des Abgeordneten Dr. Arnold:
Werden für Kliniken, die eine gezielte und wissenschaftlich untermauerte Nachbehandlung operabler und bestrahlbarer Krebspatienten durchführen, öffentliche Mittel bereitgestellt?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Arnold, die Krankenhausplanung und die Bereitstellung öffentlicher Mittel gehören bisher noch fast ausschließlich zur Zuständigkeit der Länder. Von ihnen ist in den letzten Jahren eine Reihe von Einrichtungen zur Krebsnachbehandlung geschaffen worden. Genaue Zahlen und Daten darüber liegen allerdings auf Bundesebene nicht vor. Sie wären ohnedies nur durch Erhebungen bei den Ländern zu ermitteln. Diese Ermittlungen nähmen eine gewisse Zeit in Anspruch.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arnold.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei den Ländern Nachforschungen über die Anzahl der bestehenden Spezialkliniken dieser Art anzustellen und auch zu sagen, wo sich diese im einzelnen befinden?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Arnold, wir würden Ihrem Vorschlag gern folgen. Ich würde aber bitten, diese Frage noch einmal zu prüfen, nachdem ich Ihre zweite Frage beantwortet habe.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Welche Möglichkeiten der Unterstützung derartiger Kliniken in der Zukunft sieht die Bundesregierung angesichts der unzureichenden Nachbehandlung von Krebskranken?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Der Bundesregierung liegen bisher keine zuverlässigen Unterlagen darüber vor, daß Ihre Auffassung, Herr Kollege, bestätigt werden könnte, daß die derzeitige Nachbehandlung von Krebskranken wegen fehlender Nachsorgekliniken unzureichend sei. Es könnte durchaus sein, daß vorhandene Nachsorgekliniken nicht in dem gebotenen Umfang von den Patienten aufgesucht werden, obwohl die nötigen Kapazitäten vorhanden sind. Die Bundesregierung mißt der Behandlung und Nachbehandlung von Krebspatienten eine große Bedeutung bei. Sie wird alles tun, um die Unterrichtung der Patienten über Bedeutung und Chancen der Nachsorgemöglichkeiten zu verbessern. Nach Inkrafttreten des Krankenhausfinanzierungsgesetzes wird die Bundesregierung im übrigen gemeinsam mit den Ländern alle Fragen erörtern, die mit der Durchführung des Gesetzes zusammenhängen, und dabei auch der Frage einer ausreichenden Anzahl von Nachbehandlungseinrichtungen für Krebskranke besonderes Gewicht beimessen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arnold.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in diese Überprüfung auch bestehende Privatkliniken dieser Art einbeziehen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: In die Überprüfung können sie einbezogen werden; in die Förderung durch die Länder über das Krankenhausfinanzierungsgesetz können sie nicht einbezogen werden.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arnold.
Sehen Sie Möglichkeiten, daß dies in absehbarer Zukunft doch geschehen kann, soweit es sich um anerkannte Privatkliniken spezieller Art handelt?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Arnold, das Krankenhausfinanzierungsgesetz bezieht Privatkliniken im engeren Sinne nicht ein. Sie werden auch aus den Mitteln, die für überregionale Einrichtung zur Verfügung stehen werden, nicht bedacht werden können. Wir sind aber bereit, die von Ihnen aufgeworfene Frage im Beirat jetzt zu erörtern.
Präsident von Hassel: Sie haben nur zwei Zusatzfragen, Herr Kollege. Sie haben sie konsumiert.
Ich hatte zwei Fragen und habe dazu insgesamt drei Zusatzfragen gestellt, Herr Präsident. Eine wäre vielleicht noch drin.
Präsident von Hassel: Herr Kollege, Sie haben zu Ihrer ersten Frage nur eine Zusatzfrage gestellt. Sie hätten zwei stellen können. Hängen Ihre beiden Fragen so eng miteinander zusammen? - Dann würde ich auch noch eine letzte Zusatzfrage gestatten. Bitte schön!
Ich bedanke mich sehr, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal auf meine erste Zusatzfrage zurückkommen; ich wäre doch sehr daran interessiert, die Anzahl der in der Bundesrepublik bestehenden Spezialkliniken zu erfahren. Ich frage also: Ist es der Bundesregierung möglich, in absehbarer Zeit eine Übersicht darüber schriftlich zu geben?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Arnold, wir werden uns darum bemühen. Ich bitte Sie nur, Verständnis dafür zu haben, daß damit Nachfragen bei den Ländern verbunden sind; wir brauchen dafür Zeit. Nach Eingang der Antworten werden wir uns gern mit Ihnen in Verbindung setzen.
Präsident von Hassel: Die Fragen 59 und 60 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in Zeitungen, Illustrierten und anderen Massenmedien offen oder verdeckt in Anzeigen für Drogen, Rauschmittel sowie Rausch- und Abhängigkeitszustände geworben wurde und wird?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Fuchs, Anzeigen, in denen für Drogen und Rauschmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder für Rausch- und Abhängigkeitszustände geworben wird, sind uns nicht bekannt. Wohl sind in jüngster Zeit Anzeigen erschienen, in denen mit dem Versprechen von Rauschzuständen für bestimmte Limonaden geworben oder ein 6 °/°iger Alkoholgehalt eines neuen Getränks als absolut ungefährlich ausgegeben wurde.
Die Bundesregierung steht derartigen Werbeansprachen ablehnend gegenüber. Sie sind geeignet, das Mißbrauchsverhalten Jugendlicher - genauso aber sicher auch Erwachsener - gegen Rausch-, Drogen- und Genußmittel zu verharmlosen. Auch die kommerzielle Benutzung von Begriffen aus der Drogenszene muß als bedenklich angesehen werden.
Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
Im Hinblick auf die Gesamtsituation der Drogenund Rauschmittelgefährdung der Jugend sind derartige Werbeansprachen letztlich unverantwortlich.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß im X-Magazin für Technik und Naturwissenschaft vom Februar dieses Jahres eine Reihe von Fällen aufgeführt sind, in denen für Drogen und Rauschzustände geworben wird, und daß z. B. dort behauptet wird, 50 von etwa 160 Anzeigen im Nachrichtenmagazin „Spiegel" hätten solcher Werbung gegolten?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Das, Herr Kollege Dr. Fuchs, ist mir nicht bekannt. Ich habe das X-Magazin nicht gelesen; wir werden uns informieren. Die Richtigkeit der Beurteilung der Anzeigen im „Spiegel" möchte ich verneinen; denn da gehöre ich - wie sicher auch Sie - zu den fleißigen Lesern und habe diesen Eindruck von den Anzeigen dort nicht gewonnen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dieser Frage, also der Werbung für Drogen, für Rausch- und Abhängigkeitszustände erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, und auch eine Untersuchung darüber anzustellen, wie solche Werbung auf die Jugend wirkt, die in ihrer Entwicklung noch nicht gefestigt ist?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Fuchs, die Bundesregierung wird sich weiterhin verstärkt darum kümmern. Ich glaube, daß ich den anderen Teil Ihrer Zusatzfrage mit meiner Stellungnahme zu Ihrer zweiten Frage beantworten werde.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dagegen wirksame Schritte zu unternehmen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Die Bundesregierung ist in den schon genannten Einzelfällen bemüht zu prüfen, ob sich auf Grund gesetzlicher Bestimmungen Möglichkeiten ergeben, dagegen einzuschreiten. Dies ist in der Regel zur Zeit nicht möglich. Durch die Gesamtreform des Lebensmittelrechts werden sich jedoch strengere Maßstäbe durchsetzen lassen. Derzeit wird im Einzelfall mit dem Auftraggeber solcher Werbeverlautbarungen versucht, eine regulierende Vereinbarung zu treffen. Die Bundesregierung ist in Absprache mit dem Deutschen Presserat bemüht, eine Regelung für die redaktionelle Berichterstattung zum Drogenproblem
zu erreichen, und sie wird bestrebt sein, diese Absprachen auf eine Selbstbeschränkung der Massenmedien für den Anzeigensektor auszuweiten.
Es wird darüber hinaus geprüft, welche rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden können, um verführende Werbung, aus der eine Aufforderung zum Mißbrauch hergeleitet werden könnte, zu unterbinden.
Noch ergänzend zu Ihrer Frage möchte ich sagen, daß innerhalb unserer Bund-Länder-Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Drogen- und Rauschmittelbekämpfung sich eine Reihe von Arbeitskreisen gebildet haben. Einer davon beschäftigt sich unter Forschungsgesichtspunkten mit Suchtgefahren. Ich könnte mir denken, daß gerade in diesem Arbeitskreis die von Ihnen aufgeworfene Frage beraten werden kann, um daraus Maßnahmen zu folgern.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie meine Auffassung teilen, daß eine Werbung für Drogen zumindest in die Nähe von strafbaren Handlungen führt, weil sie eine Art von Aufforderung zu strafbaren Handlungen darstellt?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Wir finden jedenfalls, daß sie mit Entschiedenheit abzulehnen ist, und wir glauben, durch das neue Lebensmittelrecht eine Grundlage zu schaffen, um auch rechtlich dagegen vorgehen zu können. Ich glaube, daß wir mit Ihrer Auffassung, daß diese Werbung in die Nähe strafbarer Tatbestände kommt, inhaltlich einverstanden sein können.
Präsident von Hassel: Die Frage 63 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf:
Wie verträgt sich die Behauptung in der Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache VI/3469 „Die im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit getroffenen Personalmaßnahmen bildeten den Abschluß einer seit längerer Zeit . . geplanten Umstrukturierung" mit der Tatsache, daß sich der Leiter der Abteilung Humanmedizin veranlaßt sah, mangels vorheriger Unterrichtung über diese Maßnahme den Dienst zu quittieren?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege von Sayn-Wittgenstein, der Leiter der Abteilung Humanmedizin wird zwei Monate vor Erreichen der Altersgrenze auf eigenen Wunsch in den Ruhestand treten. Er hat seit längerer Zeit darum gebeten, die offene Stelle des Leiters einer Unterabteilung, die er mit wahrzunehmen hatte, zu besetzen. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Verordnung zum Krankenhausfinanzierungsgesetz jetzt vorzubereiten und umgehend vorzulegen, ist es dringend notwendig geworden, den dafür federführenden Mitarbeiter von seiner bisherigen Doppelaufgabe der Leitung von zwei Re11444
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
feraten zu entlasten. Da ein anderer als Referent vorgesehener Mitarbeiter durch die Umstrukturierungen frei geworden war und für die Übernahme eines der beiden Referate in der Unterabteilung H I des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit geeignet war, konnte die entsprechende Umbesetzung vorgenommen werden. Der Abteilungsleiter war zu dieser Zeit auf einer Dienstreise. Derjenige Unterabteilungsleiter in der Abteilung H, der den Abteilungsleiter gewöhnlich bei Abwesenheit vertritt, wurde über die Durchführung der Entscheidung unterrichtet.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, in der Antwort auf die Kleine Anfrage - Drucksache VI/3469 - haben Sie von einer seit längerer Zeit geplanten und konzeptionell erörterten Umstrukturierung in Ihrem Hause gesprochen. Ist es nicht sehr ungewöhnlich, daß solche langfristigen Umstrukturierungen nicht mit dem zuständigen Abteilungsleiter, dem Leiter der Abteilung Humanmedizin, besprochen werden? So lange kann die Dienstreise des Abteilungsleiters schließlich nicht gedauert haben.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, diese Umstrukturierung in ihrer Gesamtheit ist selbstverständlich vielfach Gegenstand von Beratungen gewesen, an denen auch der Abteilungsleiter der Abteilung Humanmedizin teilgenommen hat.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann man von einer länger geplanten und schließlich auch erfolgreichen Umstrukturierung sprechen, wenn sich ausgerechnet in der Abteilung Humanmedizin kein Arzt mehr auf einer Abteilungsleiterbzw. Unterabteilungsleiterstelle befindet?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege, das trifft nicht zu. Der derzeitige Leiter der Abteilung ist ein Arzt. Ich sagte bereits, daß er zwei Monate vor Erreichen der Altersgrenze auf eigenen Wunsch ausscheiden will. Wir haben das selbstverständlich respektiert. Die Stelle wird nach einer möglichst kurzen Übergangsfrist neu besetzt werden. Ich hoffe, daß das bereits zum 1. September sein wird, und zwar - auch das glaube ich - mit einem Arzt.
Was die Unterabteilungsleiter betrifft, so kann ich Ihnen hierzu folgendes sagen: Der jetzige Leiter der Unterabteilung, die Sie meinen, hat neben seinem juristischem Studium auch eine ganze Reihe Semester Medizin studiert. Das hatte der Vorgänger nicht. Er ist ein hochgeschätzter Jurist, der jetzt eine andere Unterabteilung leitet.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({0}).
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann Ihren Antworten auf die verschiedenen Fragen zusammenfassend entnommen werden, daß diese Maßnahmen im Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in der denkbar korrektesten und normalsten Form durchgeführt wurden und daß folglich die Entscheidung des Abteilungsleiters, den Dienst vorzeitig zu quittieren, auf verständlichen Gründen, jedenfalls nicht auf Gründen beruht, die mit diesen Maßnahmen zusammenhängen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Frau Bundesminister Strobel hat in einer Diskussion dem Leiter der Abteilung Humanmedizin ihr Bedauern darüber ausgesprochen - das ist ein nicht unbekannter Vorgang -, daß es wegen der Stellenbesetzung in seiner Abteilung Mißverständnisse gegeben hat. Ich kann hinzufügen - ich glaube, das kann ich auch im Namen des betroffenen Abteilungsleiters, eines von uns hochgeschätzten Beamten, sagen -, daß es ihm nicht recht ist, daß dieser ganze Vorgang benutzt wird, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Das hat er laut und deutlich auf einer Personalversammlung erklärt.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walkhoff.
Herr Staatssekretär, an welche Beamte, die um der fachgerechten Besetzung willen von außen her in Ihr Haus hineingenommen werden mußten, haben Sie Ministerialratsstellen vergeben? Handelt es sich hierbei um SPD-Mitglieder?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Walkhoff, wir haben im Zusammenhang mit der Umstrukturierung von außen her keine Besetzung vorgenommen. Im übrigen sind die zuletzt vergebenen Ministerialratsstellen in Übereinstimmung mit dem Personalrat an Mitarbeiter des Hauses vergeben worden. SPD-Mitglieder waren nicht darunter. Das kann ich beurteilen, weil ich selbst dieser Partei angehöre. Es handelt sich um eine Reihe hochqualifizierter Beamter aus unserem Hause, die früher Tätigkeiten als persönliche Referenten, z. B. bei Herrn Minister a. D. Heck, wahrgenommen haben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordnete Ott.
Herr Staatsserketär, da Sie mit einer solchen Überzeugung bestätigen können, daß
SPD-Mitglieder nicht dabei waren, darf ich fragen: Wie kommt es in Ihrem Hause dazu, daß Sie die parteipolitische Mitgliedschaft Ihrer Mitarbeiter so genau wissen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich habe das eben nur unter dem Gesichtspunkt der Beförderung in der letzten Zeit zu Ministerialräten gesagt. Das kann ich wissen, weil ich dieser Partei selbst angehöre. Sonst weiß ich es natürlich nicht so genau. Die Zeitungen und die Pressemeldungen, die die CDU/CSU-Fraktion herausgegeben hat, wußten offenbar besser Bescheid, obwohl ich bezweifle, daß das den Tatsachen entspricht, was dort gestanden hat.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf:
Hält es die Bundesregierung für eine zutreffende Beantwortung der in der Kleinen Anfrage Drucksache VI/3469 gestellten Frage nach „Umbesetzungen", wenn sie die Übertragung des Grundsatzreferats in der Abteilung Familie des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit an den bisher nie im Bereich Familienpolitik tätig gewesenen, der SPD angehörenden Kabinettsreferenten verschweigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege von Wittgenstein, die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage nur solche Umbesetzungen angeführt, die mit einem Funktionswechsel verbunden waren. Das steht auch in der Antwort drin. Der von Ihnen angeführte Beamte war bereits seit fast vier Jahren als Referent tätig. Da war also kein Funktionswechsel vorhanden. Das Referat „Allgemeine und Grundsatzfragen der Familienpolitik" ist hausintern ausgeschrieben worden. Unter den Bewerbern befanden sich nur wenige, die bereits in der Familienpolitik gearbeitet hatten, und niemand sonst, der bereits Referent war. Der Personalrat hat einige dienstjüngere Juristen favorisiert. Die juristische Vorbildung ist jedoch für die Besetzung dieses Referats nicht ausschlaggebend. Die von mir auch erwogene Berufung eines Fachmannes aus Bereichen außerhalb des Ministeriums mußte unterbleiben, weil ich eben im Einvernehmen mit dem Personalrat dazu entschlossen war, die dafür erforderlichen Ministerialratsstellen an Beamte im Hause zu vergeben.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, steht hinter der Besetzung des Grundsatzreferats mit einem Nichtfachmann etwa die Absicht, die Familienpolitik gar nicht von ihm, sondern etwa von der Planungsgruppe machen zu lassen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Nein, Herr Kollege von Wittgenstein, die Planungsgruppe ist ein Teil der Abteilung, die für zentrale Verwaltung und Planung zuständig ist. Sie soll die Aufgaben des ganzen Hauses mit seinen vielfältigen gesellschaftspolitischen Fragen in der Jugend-, Familien- und Gesundheitspolitik sowie der Sozialhilfe koordinierend bearbeiten. Innerhalb der Fachabteilung ist das Grundsatzreferat für die fachlichen Grundsatzfragen zuständig, im Familienbereich das Grundsatzreferat der Familienpolitik.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist Ihnen in Ihrer immerhin schon recht langen parlamentarischen Praxis je einmal ein ähnlicher Fall bekanntgeworden, daß ein Personalrat eines Ministeriums in so einhelliger und zum Teil einmütiger und einstimmiger Form Entscheidungen des Ministeriums hinsichtlich der Umstrukturierung, Personalplanung und Personalbesetzung ablehnt?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Erfahrungen mit einem Personalrat in einem Ministerium habe ich erst in den letzten nicht ganz drei Jahren meiner Tätigkeit im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gesammelt. Ich hatte natürlich vorher Kontakte zu Personalräten von Ministerien, mit denen ich im Haushaltsausschuß zu tun hatte, aber dabei spielten Fragen von Umstrukturierungen keine Rolle.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, hat der Personalrat in einzelnen der hier zur Debatte stehenden Fällen eine Klage entweder bereits eingereicht oder angekündigt?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: Ja, Herr Kollege Dr. Fuchs, der Personalrat hat solche Schritte eingeleitet. Ich muß Ihnen aber auch sagen, daß es Mitarbeiter des Hauses gibt, die gegen den Personalrat Klagen eingereicht haben, weil er in einer Personalversammlung mit Äußerungen, die er dort getan hat, weit über das hinausgegangen ist, was er im Hinblick auf den Schutz der Persönlichkeit von Mitarbeitern eigentlich nur hätte sagen dürfen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage der Abgeordnete Anbuhl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß sich unter den kürzlich in Ihrem Hause zu Ministerialräten und Ministerialdirektoren beförderten Beamten nicht nur die genannten persönlichen Referenten, sondern auch der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bonner Stadtrat befanden, daß sich kein Sozialdemokrat darunter befand und daß schließlich
dadurch der Vorwurf der Parteilichkeit ad absurdum geführt worden ist.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Da der von Ihnen genannte Beamte, der jetzt als Unterabteilungsleiter Ministerialdirigent geworden ist, ein in der Stadt Bonn bekannter CDU-Kommunalpolitiker ist, kann ich Ihnen das bestätigen. Er ist vor kurzem bei uns befördert worden. Ich kann Ihnen auch bestätigen, daß Beförderungen von Sozialdemokraten in letzter Zeit nicht ausgesprochen worden sind.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Einwendungen, die der Personalrat hier erhoben hat, in der Sache für völlig unbegründet und übertrieben?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Althammer, ich bin mir nicht ganz im klaren darüber, welche Einwände Sie meinen. Denn alles das, was zu dieser Frage vielleicht umfassender hätte gesagt werden können, ist durch die Bundesregierung in Beantwortung der Kleinen Anfrage gesagt worden. Wenn Sie jetzt unseren Sektor in besonderer Weise betreffende Einzelheiten wissen wollen, müßten Sie die Frage konkreter stellen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fiebig.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß infolge der einseitigen Personalpolik im früheren Familienministerium, vor allem unter Minister Heck, das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit auch heute noch einen parteipolitischen Schwerpunkt der CDU in den Bonner Ministerien bildet, daß in manchen Referaten vom Referenten bis zum Sachbearbeiter alle Mitarbeiter eingeschriebene Mitglieder der CDU sind und daß im übrigen auch zwei Schwäger des früheren Ministers Heck in Ihrem Hause tätig sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Wir führen keine Liste, Herr Kollege Fiebig, und kontrollieren nicht die parteipolitische Zugehörigkeit, sondern es wird uns von außen durch öffentliche Diskussionen ein wenig aufgedrängt, daß man sich um solche Fragen kümmern muß. Die Verlagerung eines parteipolitischen Schwergewichtes im Personalkörper ließe sich in einer so kurzen Zeit auch nicht vollziehen. Aber das wollen wir auch gar nicht.
Was die Schwager betrifft, - das irritiert mich etwas. Ich weiß von einem Schwager des Herrn Ministers Heck, der bei uns im Hause ist, ein geschätzter Beamter, den ich nicht missen möchte.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich zu der Feststellung komme, daß Ihre Erfahrungen wie unsere Erfahrungen ausreichen, um zu sagen, daß auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gute Beamte sein können?
({0})
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Mattick, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, weil ich das voll bestätigen möchte. Der Gedanke des Bundesbeamtengesetzes, daß niemand wegen seiner parteipolitischen Zugehörigkeit diskriminiert werden darf, gilt selbstverständlich auch für Sozialdemokraten.
Präsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Walkhoff.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der langjährige persönliche Referent von Frau Schwarzhaupt und jetzige Vorsitzende der Betriebsgruppe der CDU in Ihrem Hause einen Tag vor dem Amtsantritt von Frau Strobel Haushaltsreferent geworden ist und noch heute, nach über fünf Jahren, dieses Schlüsselreferat leitet?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Walkhoff, ich weiß nicht, ob es zutrifft, daß der Herr, von dem Sie sprechen, diese Funktion bei der CDU innehat. Das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber der Leiter des entsprechenden Referats ist tatsächlich sehr kurze Zeit - vielleicht genau einen Tag vorher; das kann ich nicht sagen - befördert worden, bevor Frau Schwarzhaupt ihr Amt niederlegte.
Ich bin nicht sicher, ob ich den letzten Teil Ihrer Frage schon mitbeantwortet habe.
Er leitet noch heute diese Abteilung?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ja, das ist richtig. Auch er ist ein Mitarbeiter, auf den wir uns zu stützen haben und stützen und dies in guter Weise tun.
Präsident von Hassel: Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, da Sie vorher - sicherlich mit Recht - bestätigt haben, daß auch Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei gute Beamte sind, wollen Sie das in gleicher Weise auch für die Mitglieder der CDU bestätigen? Denn Sie scheinen über die Mitgliedschaft in Ihrem Hause sehr gut informiert zu sein.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Ott, ich hatte dazu vorhin schon Ausführungen gemacht. Ich bin bereit, allen, bei denen nichts Nachteiliges in den Personalakten steht, ausdrücklich hier zu bestätigen, daß sie gute Beamte sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß 7 der 9 Mitglieder Ihres Personalrats eingeschriebene Mitglieder der CDU sind?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Jetzt bin ich schon wieder an einer solchen Frage, die die Mitgliedschaft zu einer Partei betrifft. Ich kann Ihnen das nicht bestätigen, sondern ich kann Ihnen nur sagen, daß ich gehört habe, es seien nicht 7, sondern 6.
Präsident von Hassel: Die Fragen 66 und 67 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß der Regierungschef nach der Ablehnung seines Haushalts durch das Parlament in anderen Staaten mit entwickeltem demokratisch-parlamentarischen Bewußtsein unverzüglich zurückzutreten hat und sofortige Neuwahlen fällig sind, und wann gedenkt der Bundeskanzler entsprechend zu verfahren?
Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Professor Ehmke zur Verfügung.
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, auf welcher Grundlage Sie Ihre Fragen stellen. Der Bundesregierung ist aus der neueren Geschichte der parlamentarischen Demokratie kein Fall bekannt, in dem ein Regierungschef mit der Ablehnung seines Haushalts durch das Parlament in der zweiten Lesung die von Ihnen erwähnten Konsequenzen gezogen hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik kennt die von Ihnen unterstellte Konstruktion nicht. Auch in Art. 63 des Grundgesetzes ist von sofortigen Neuwahlen, wie Sie in Ihrer Frage suggerieren, nicht die Rede.
Zum Thema Neuwahlen hat sich der Herr Bundeskanzler im übrigen sehr deutlich geäußert. Die Bundesregierung hätte es begrüßt, wenn sich die Opposition ebenso eindeutig verhalten hätte.
({0})
Eine Behandlung des Themas, wie sie auch in Ihrer
Frage sehr vordergründig zum Ausdruck kommt,
dient nach Meinung der Bundesregierung nicht der Sache, sondern nur dem Versuch, der Öffentlichkeit gegenüber die Unentschlossenheit der Opposition zu vernebeln.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Da Sie hier der Opposition Unentschlossenheit vorwerfen und das, nachdem dem Bundeskanzler vom Parlament der Haushalt abgelehnt worden ist - hierin kommt das äußerste Mittel der Mißbilligung des Parlaments zum Ausdruck -, möchte ich Sie fragen, ob Sie der Meinung sind, daß nicht der Bundeskanzler, sondern der Oppositionsführer zurücktreten müßte, wenn der Haushalt abgelehnt ist?
Herr Schulze-Vorberg, ich sagte gerade, daß es sich um die zweite Lesung gehandelt hat; das ist offenbar Ihrer Erinnerung entgangen. Ich ließe mit mir darüber diskutieren, wenn es die dritte gewesen wäre.
Aber wenn Sie schon von Rücktritt sprechen, so bin ich in der Tat der Meinung, daß der einzige, der einen Grund zum Rücktritt gehabt hätte, der Oppositionsführer gewesen wäre, der das konstruktive Mißtrauensvotum verloren hat.
({0})
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Diese Regierung, die unter dem Vorzeichen „Mehr Demokratie!" angetreten ist, möchte ich fragen, ob sie es sich vorstellen kann, daß in einem Land mit parlamentarischem Bewußtsein ein Regierungschef es dann, wenn ihm in der zweiten Lesung der Haushalt abgelehnt worden ist, versteht, die dritte Lesung zu verhindern?
Wir sind nicht dabei, die dritte Lesung zu verhindern, sondern wir sind im Haushaltsausschuß in eingehenden Erörterungen über den Haushalt, und wir wären sehr dankbar, wenn Sie Ihrer Ankündigung gemäß die Beratungen beschleunigten und auch einige eigene Vorschläge machten! Aber das Stadium ist offenbar noch nicht erreicht, Herr Kollege.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Baier.
Herr Bundesminister, würden Sie mir nach Ihrer ersten Antwort in der Auffassung zustimmen, daß nach unserer Verfassung nur der Bundeskanzler und nicht die Opposition den Weg für Neuwahlen frei machen kann?
Ich glaube nicht, daß es Zweck hat, dieses nun so ausführlich behandelte Thema noch einmal zu erörtern. Nach dem Grundgesetz ist es schwierig, die Tür zu Neuwahlen aufzumachen; das kann der Bundeskanzler tun. Die Opposition müßte sich dann nun einmal wirklich verbindlich erklären, die Tür dann nicht wieder zuzumachen; aber sie will es ja wohl nicht.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Ott.
Herr Bundesminister, ich möchte Sie, da Sie vorhin den Rücktritt des Oppositionsführers forderten, fragen: Seit wann ist es üblich, daß jemand, der bei diesem fraglichen Vorgang eine Stimme mehr als der Herr Bundeskanzler hatte, zurücktritt?
Herr Kollege Ott, ich habe nicht den Rücktritt des Oppositionsführers gefordert. Die Bundesregierung hätte gar keinen Grund dazu, das zu wünschen.
({0})
Nur auf Grund des Beispiels, das Herr Kollege Schulze-Vorberg gebracht hat, habe ich - wenn man hier schon davon redet -- gesagt, daß das dann näher läge, als an eine zweite Lesung des Haushalts, die noch nicht abgeschlossen ist, derartig weitreichende Folgerungen zu knüpfen, die, wie Sie selbst wissen, im Grundgesetz keinerlei Stütze finden.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Minister, warum hat denn eigentlich der Herr Bundeskanzler die Tür für Neuwahlen, wie Sie so schön sagen, nicht schon längst aufgemacht?
Herr Kollege Müller-Hermann, ich möchte doch darum bitten, Geduld zu haben. Sie können sicher sein, daß wir Ihnen das rechtzeitig mitteilen werden.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Stücklen.
Herr Bundesminister, kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie hier, wenn der Haushalt auch in dritter Lesung abgelehnt wird, ankündigen, daß der Bundeskanzler zurücktritt?
Herr Kollege Stücklen, das kann ich schon deshalb nicht ankündigen, weil ich sicher bin, daß der Haushalt in dritter Lesung eine Mehrheit finden
wird. Herr Kollege Stücklen, das sind hypothetische Fragen, die ich nicht beurteilen möchte, auch wenn das Ihrer Öffentlichkeitsarbeit diente.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Minister, wären Sie, nachdem diese Frage soeben eine Rolle gespielt hat, bereit, sich bei Ihren Kollegen im Haushaltsausschuß darüber zu vergewissern, daß es keineswegs die CDU/CSU war, die Veranlassung dazu gegeben hat, daß die Beratung des zurückverwiesenen Haushalts im Haushaltsausschuß bisher noch nicht erfolgen konnte?
Da will ich mich gern vergewissern. Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es richtig ist, was ich gesagt habe: daß die Opposition bis jetzt ihre weitergehenden Kürzungsvorschläge nicht vorgelegt hat.
({0})
Im übrigen stimme ich mit Ihrem Kollegen Leicht, der Vorsitzender des Ausschusses ist, natürlich darin überein, daß man diese Dinge sehr gründlich behandeln muß.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wagner ({1}).
Herr Bundesminister, nachdem Sie soeben angekündigt haben, daß der Bundeskanzler zu gegebener Zeit und unter rechtzeitiger vorheriger Mitteilung an die Opposition zurücktreten werde, und Sie dabei offenbar unterstellen, daß er dies ohne eine vorherige Vereinbarung mit der Opposition tun wird, frage ich: Was hat denn den Herrn Bundeskanzler bisher gehindert, seinen Rücktritt zu erklären oder die Vertrauensfrage zu stellen, wenn ihn in Zukunft das Fehlen der Vereinbarung offenbar nicht hindern wird?
Herr Kollege, es müssen falsche Hoffnungen gewesen sein, die Sie dazu geführt haben, mich mißzuverstehen. Von einem Rücktritt war überhaupt nicht die Rede.
({0})
- Ich verstehe, daß die Opposition enttäuscht ist. Aber den Gefallen können wir Ihnen nicht tun. Angesichts dessen, daß die Bundesregierung - zum Teil mit Ihrer freundlichen Mithilfe - in dieser letzten Woche im Bundestag Ihr gesetzgeberisches Programm Schritt für Schritt verwirklicht, würde man es in der Bevölkerung gar nicht verstehen, wenn diese Regierung zurücktreten würde. Die Frage kann doch nur sein, ob man auf andere Weise zu Neuwahlen kommt. Herr Kollege Wagner, ich sage es noch einmal: Wir werden es Sie rechtzeitig wissen lassen, nachdem Sie sich zu unserem Bedauern einer Abmachung darüber entzogen haben.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Bundesminister, würden Sie bitte mit dafür Sorge tragen, daß der an den Haushaltsausschuß zurückverwiesene Haushalt dadurch zügig beraten werden kann, daß der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen dem Haushaltsausschuß die entsprechenden Unterlagen zuleitet, d. h. nicht nur die Kürzungsvorschläge, sondern auch die zusätzlichen Risiken für den Bundeshaushalt 1972 mitteilt?
Ich bin ganz sicher, daß Herr Kollege Schiller das machen wird.
({0})
Im übrigen wundere ich mich, daß Sie nach Informationen fragen, die Sie sonst in der Öffentlichkeit immer schon als die des Kollegen Schiller verbreiten. Aber ich will es ihm gern noch einmal sagen.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Fuchs,
Herr Bundesminister, wann wird nach Ihrer Schätzung Herr Bundesminister Dr. Schiller diese zusätzlichen Unterlagen liefern?
Rechtzeitig zu den Beratungen des Ausschusses.
({0})
Präsident von Hassel: Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich rufe die Fragen 116 und 117 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Ist der Bundeskanzler bereit, den Satz seiner Rede vor dein Bundesverband der deutschen Industrie am 14. Juni 1972 näher zu erläutern, „es gebe wohl keinen Bereich unserer Wirtschaft und Gesellschaft, in dem noch derartige Produktionsreserven schlummern wie im öffentlichen Dienst"?
Ist der Bundeskanzler der Auffassung, daß die Beamten ihre Pflicht nicht ausreichend erfüllen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, der von Ihnen zitierte Satz des Herrn Bundeskanzlers in seiner Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie ist in der Rede selbst ausführlich erläutert worden. Sie ist heute in der FAZ abgedruckt worden, so daß man es dort nachlesen kann.
Im Zusammenhang mit der Frage der Personalkosten im öffentlichen Dienst hat der Bundeskanzler dargelegt, daß es nach seiner Auffassung falsch wäre, den öffentlichen Dienst von der Entwicklung der Löhne und Gehälter in der Wirtschaft abzuhängen. Vielmehr sei es dringend erforderlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Leistungen der öffentlichen Hand so rationell wie möglich zu erbringen.
Produktivitätsreserven im öffentlichen Dienst sind aber im allgemeinen schwerer meßbar als in der privaten Wirtschaft. Deshalb ist es auch schwierig, die Produktivitätsreserven, die im öffentlichen Dienst schlummern, exakt zu quantifizieren. Ihre bisher mangelnde Mobilisierung hat nichts mit einer mangelnden Pflichterfüllung der Beamten im öffentlichen Dienst zu tun, sondern z. B. mit Traditionen und rechtlichen Gegebenheiten des öffentlichen Dienstes, die die Rationalisierung häufig erschweren.
Die Einführung und Durchsetzung moderner Planungs- und Kommunikationstechniken, die Nutzbarmachung neuer Techniken wie der elektronischen Datenverarbeitung und die Praktizierung eines modernen leistungsfördernden Führungsstils sind im öffentlichen Dienst schwerer durchsetzbar als in der Privatwirtschaft.
Ein rationaler Personaleinsatz bedarf darüber hinaus einer sorgfältigen Planung der Aufgaben, die Regierung und Verwaltung mit ihrem Personal wahrnehmen sollen und können. Erst eine derartige Aufgabenplanung, wie sie sich gegenwärtig im Aufbau befindet, ermöglicht das Setzen von Prioritäten und Posterioritäten im Personaleinsatz und eine abgestimmte Rationalisierung im öffentlichen Dienst.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Minister, würden Sie uns mitteilen, was diese Regierung sonst noch alles versäumt hat, um diese größere Effektivität zu erreichen?
Herr Dr. Althammer, dies ist doch eine sehr polemische Frage. Wenn Sie einmal die Jahresberichte dieser Bundesregierung durchlesen, werden Sie feststellen, daß nach zaghaften Ansätzen während der Zeit der Großen Koalition - die ich sehr gut kenne, weil ich an ihnen beteiligt war - diese Regierung die erste Bundesregierung gewesen ist, die wirklich ernst gemacht hat mit dem Versuch, den überalterten Apparat, den wir übernommen haben, zu modernisieren.
Präsident von Hassel: Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Minister, können Sie uns irgendeine Auskunft darüber geben, wann auf Grund dieser Äußerung des Herrn Bundeskanzlers mit konkreten Vorschlägen zur Mobilisierung dieser vorhandenen Reserven zu rechnen ist?
Ich bin ganz erstaunt, daß Ihnen entgangen ist, daß z. B. die Jahresberichte der Bundesregie11450
rung sehr eingehend über das Auskunft geben, was in diesem Bereich getan worden ist. Aber Sie wissen selbst, daß sich natürlich langfristige Strukturänderungen auch erst langfristig auswirken und daß sie, wie gesagt, dann ja auch etwa im Personaleinsatz quantifiziert werden müssen.
({0})
Ich kann Einzelbeispiele geben. Aber insgesamt ist die Berechnung so kompliziert, daß wir heute gar nicht in der Lage wären, eine Quantifizierung vorzunehmen. Das ist auch in der Sache sehr schwierig. Einzelne Beispiele kann man nennen; der Kollege Genscher ruft mir eben mit Recht das Beispiel des EDV-Einsatzes im Bundeskriminalamt zu.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Herr Minister, hat der Bundeskanzler bei den Produktivitätsund Funktionsreserven im öffentlichen Dienst auch an den Wasserkopf gedacht, der unter Ihrer Amtsführung im Bundeskanzleramt entstanden ist?
({0})
Ich weiß nicht, ob Sie mich selbst damit meinen.
({0})
Ich würde sagen, insoweit sind in meiner Amtszeit keine Veränderungen eingetreten.
({1})
Im übrigen darf ich Ihnen aber sagen, daß der Bundeskanzler das um so weniger sagen konnte oder sagen wollte, als das Gutachten des Bundesrechnungshofs ergeben hat, daß die Änderungen, die wir vorgenommen haben, nach Meinung des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung notwendig waren,
({2})
um die Funktionsfähigkeit des Amtes wiederherzustellen.
({3})
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Trifft es zu, daß Ihr Amt im Laufe der letzten Jahre seinen Personalbestand um über 50% ausgeweitet hat?
Ausgewechselt hat?
({0}) - Nein, das waren nicht ganz 50 %.
({1})
Ich glaube, insgesamt liegen wir im Schnitt der Personalausweitung
({2})
nicht wesentlich über den anderen Bundesministerien.
({3})
Wenn Sie das mit Ihren Ländern und Ihren Gemeinden vergleichen, liegen wir vermutlich noch darunter.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Bundesminister, sind Sie, da Sie vorhin so mit Stolz auf die Arbeit im Bundeskanzleramt hingewiesen haben, in der Lage, mir zu erklären, aus welchen Gründen das zu Ihrem Geschäftsbereich gehörende Bundespresse-und -propagandaamt die Stellen nach Art der Kaninchen vermehrt hat?
Herr Kollege Ott, ich bin erstaunt, daß Sie die Bemühungen der Bundesregierung offenbar so wenig verfolgen, daß Sie gar nicht wissen, daß das Presseamt nicht zum Amtsbereich des Bundeskanzleramtes gehört.
({0})
- Das Bundespresseamt untersteht dem Bundeskanzler direkt, wie das Kanzleramt. Es untersteht nicht dem Kanzleramt. Das ist noch nie anders gewesen. Herr Kollege Ahlers würde es sicher mit mir begrüßen, wenn Sie das bei dieser Gelegenheit nun vielleicht doch einmal zur Kenntnis nähmen.
({1})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Bundesminister, da Sie offensichtlich selbst über den stark ausgeweiteten Personalhaushalt Ihres Hauses nicht im Bilde sind, darf ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen, daß Sie als Rekordinhaber in der Stellenausweitung innerhalb der Bundesregierung die Stellen in Ihrer Amtszeit um 61 % vermehrt haben.
({0})
Wenn Sie das im Schnitt nehmen, Herr Kollege Baier - wir haben diese Rechnung zusammen mit dem Bundesrechnungshof gerade aufgemacht -, dann ist dieses Amt im. Laufe der Jahre nicht stärker
als andere gewachsen. Aber leider war es so vernachlässigt worden,
({0})
daß wir, wie gesagt, dringend Maßnahmen ergreifen mußten, damit dieses Amt wieder die Aufgaben erfüllen konnte, die Recht und Gesetz ihm stellen.
({1})
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Baier.
Herr Bundesminister, ist Ihnen ein Brief des früheren Staatssekretärs Carstens, Ihres Vorgängers, bekannt, der sich energisch gegen Ihre Begründung der Stellenausweitungen mit der angeblichen früheren Funktionsuntüchtigkeit dieses Amtes verwahrt?
Der Brief ist mir nicht bekannt. Aber ich würde einen solchen Brief dem Herrn Kollegen Carstens natürlich nicht nachsehen. Ich habe mich ja hier nicht auf meine eigene Meinung, sondern auf die des Bundesrechnungshofes berufen. Dessen Gutachten kennen Sie auch, Herr Kollege Baier.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Wittmann.
Herr Minister, verstehen Sie unter Vernachlässigung des Bundeskanzleramtes etwa die Tatsache, daß nicht genügend Anhänger Ihrer Partei oder Ihrer politischen Richtung im Bundeskanzleramt gewesen sind?
({0})
Herr Wittmann, die Frage ist eigentlich nicht so, daß ich mir die Mühe machen sollte, sie zu beantworten. Aber ich will Ihnen gerne sagen, daß sicher auch eine etwas wenig flexible Personalpolitik und der Versuch, dort Leute aus anderen Gründen als denen ihrer Funktionstüchtigkeit, hineinzubringen, die Arbeit des Amtes beeinträchtigt haben. Das ist meine Meinung.
Präsident von Hassel: Ich gebe erst dann noch eine Zusatzfrage frei, wenn klar ist, daß sie mit der Grundfrage in Übereinstimmung steht und nicht eine spezielle Frage des Bundeskanzleramtes betrifft. Die Grundfrage betraf den Satz des Herrn Bundeskanzlers „es gebe wohl keinen Bereich unserer Wirtschaft und Gesellschaft, in dem noch derartige Produktionsreserven schlummern wie im öffentlichen Dienst", Wollen Sie dazu eine Zusatzfrage stellen? - Bitte schön, Herr Professor Schäfer!
Herr Minister, ist es nicht so, daß die Ansätze, die unter Bundeskanzler Kiesinger bei der Errichtung einer Planungsabteilung geschaffen wurden, erst unter dieser Regierung sinnvoll ausgestaltet wurden und daß es sogar sehr mühsam ist, die notwendigen Kräfte dafür zu bekommen?
({0})
Ja, das ist richtig.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage 118 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
In welcher Auflage, mit welchen Kosten und aus welchem Titel des Bundespresseamts oder einer anderen Stelle der Bundesregierung wurde die Broschüre Alfons Bayerl, Der Bürger und sein Recht" hergestellt, und wird die Bundesregierung in diesem Jahr noch weitere Sonderdrucke dieser Art über Minister und Parlamentarische Staatssekretäre herausbringen?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Ahlers.
Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, teile ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz folgendes mit, Die Broschüre „Alfons Bayerl, Der Bürger und sein Recht" ist der Sonderdruck einer Rede, die der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers der Justiz, Dr. Bayerl, auf Einladung des Richterbundes und des Anwaltvereins in Bamberg am 27. März 1972 zum Thema „Der Bürger und sein Recht - Zum rechtspolitischen Reformprogramm der Bundesregierung" gehalten und in der Dr. Bayerl das rechtspolitische Reformprogramm der Bundesregierung erläutert hat.
Die Broschüre ist durch das Bundesministerium der Justiz in einer Auflage von 28 000 Exemplaren hergestellt worden. Die Kosten hierfür betrugen 11 040 DM. Sie wurden aus Kap. 07 01 Tit. 531 01 - Unterrichtung der Öffentlichkeit über Maßnahmen auf dem Gebiet des Rechts - finanziert, der für solche Zwecke dem Bundesministerium der Justiz zur Verfügung steht.
Die Broschüre dient wie andere Publikationen zuvor dem Zweck, der Rechtsfremdheit in der Bevölkerung entgegenzuwirken.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, habe ich mich bei den Ressorts erkundigt. Es bestehen keine Planungen, Schriften ii b e r Minister und Parlamentarische Staatssekretäre herauszubringen. Es bleibt jedoch natürlich offen, daß das eine oder andere Ressort und auch das Bundespresseamt im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit die Bevölkerung über Grundsatzreden des Bundeskanzlers, der Minister oder Parlamentarischen Staatssekretäre informiert.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, sind in dem Betrag, den Sie genannt haben, auch irgendwelche Honorare enthalten.
Herr Abgeordneter, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich will keine falsche Auskunft geben, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Es würde keinen Sinn geben, daß dort Honorare hätten ausgeworfen werden können.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, wenn ich es aus dem Impressum richtig entnehme, ist die Broschüre unter Ihrer Verantwortung erschienen, nämlich als Sonderdruck des Bundespresseamtes. Darf ich daran die Frage knüpfen: Läuft die Finanzierung noch im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung, zu der Sie veranlaßt sind, da der Haushalt noch nicht verabschiedet ist, und ist dieses Limit eingehalten?
Herr Abgeordneter, zu dem ersten Punkt: Ich habe die Broschüre nicht hier. Selbst wenn unser Impressum darin ist, bezahlt wurde sie aus diesem Titel des Bundesministerium der Justiz.
Zu dem zweiten Punkt: Herr Abgeordneter, es ist selbstverständlich, daß sich alle Ministerien, auch das Bundespresseamt, an die Regeln der vorläufigen Haushaltsführung halten. Entsprechend knapp sind wir zur Zeit mit unseren Mitteln gestellt.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie soeben richtig verstanden habe, gebrauchten Sie den Begriff der Rechtsfremdheit der Bevölkerung. Was versteht die Bundesregierung darunter?
Herr Abgeordneter, dies ist ein Begriff des Bundesministeriums der Justiz.
({0})
Ich verstehe darunter, daß naturgemäß in weiten Kreisen der Bevölkerung keine klare Vorstellung über Details unserer Rechtsverhältnisse herrscht und daß es deshalb erforderlich ist, auch zum Verständnis der Rechtspolitik der Bundesregierung und dieses Hauses, möglichst viel Klarheit auch über die kniffligen Einzelfragen zu schaffen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Mattick auf:
Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, Behörden und Schulen Bayerns über ihren Standpunkt zu den Ostverträgen zu informieren, insbesondere angesichts der Tatsache, daß die bayerische Staatsregierung - wie aus ihren eigenen Veröffentlichungen zu ersehen ist - in Form einer dienstlichen Mitteilung an Behörden und Schulen diesen ihre Bedenken gegen die Ostverträge zur Kenntnis gebracht hat?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Ahlers.
Herr Abgeordneter, ich möchte vorausschicken, daß die Bundesregierung sich sehr bemüht hat, das zum Thema „Ostverträge" sehr starke Informationsbedürfnis der Bevölkerung mit sehr hohen Auflagen an Broschüren zu befriedigen.
({0})
Außerdem hat das Bundespresseamt, um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, wie Sie wissen, sechs Informationsanzeigen mit Coupons in der Presse veröffentlicht,
({1})
auf die wir mehr als 80 000 Antworten mit dem Wunsch nach Übersendung von Informationsmaterial bekommen haben. Ich bin sicher, daß auch Behörden und Schulen in Bayern an diesem über das ganze Bundesgebiet gestreuten Informationsmaterial partizipiert haben. Dies schließt natürlich nicht aus, daß hier und da, vor allem auch in Bayern, noch weiterhin ein Informationsbedürfnis besteht. Wir sind daher gern bereit,
({2})
mit der Bayerischen Staatsregierung die Möglichkeit zu erörtern, Behörden und Schulen in Bayern zur Zeit noch vorhandenes Informationsmaterial zu den Ostverträgen zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind wegen der großen Nachfrage nur noch wenige tausend Exemplare dieser Broschüren greifbar, und auch diese Restbestände sind weitgehend verplant. Neuauflagen oder zusätzliche Aktionen sind zur Zeit aus den schon erwähnten finanziellen Gründen nicht möglich.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Ist Ihnen bekannt, daß die Bayerische Staatsregierung auf eine Schriftliche Anfrage aus dem Bayerischen Landtag ausdrücklich erklärt hat, daß sie nicht bereit ist, auch die Argumentation anderer Seiten - damit ist nach der Anfrage auch die Bundesregierung gemeint - in dienstliche Informationen aufzunehmen? Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, ihre dienstliche Information auf anderem Wege an die staatlichen Stellen heranzubringen, denen die bayerische Landesregierung ihre Gegeninformation erteilt hat, zumal die bayerische Landesregierung auch nicht ausschließt, - ({0})
Präsident von Hassel: Verzeihung, Herr Kollege, Sie haben nachher noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter, zu Punkt a Ihrer Frage kann ich nur sagen, daß auch ich davon gehört habe.
Zu Punkt b muß ich sagen, daß es für das Bundespresseamt unmöglich ist, etwa unter Umgehung der zuständigen Stellen der Bayerischen Staatsregierung dort tätig zu werden.
({0})
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Sehen Sie eine andere Möglichkeit, Herr Staatssekretär, die Schulen in Bayern wenigstens mit Material zu versorgen, nachdem die Bayerische Staatsregierung auf Anfrage geantwortet hat,
({0})
daß es nicht ausgeschlossen ist, daß Lehrkräfte eine dienstliche Information wie anderes ihnen zugängliches Informationsmaterial im Unterricht verwenden? Sehen Sie eine Möglichkeit, den bayerischen Lehrern auch Ihr Material auf irgendeinem amtlichen Wege zur Verfügung zu stellen?
({1})
Herr Abgeordneter, ich sehe keine Möglichkeit auf einem sozusagen amtlichen Dienstweg. Aber was geschehen ist - und das betrifft auch Bayern -, ist, daß eine große Zahl von Lehrern sich an das Bundespresseamt gewandt und um Übersendung von Informationsmaterial gebeten hat, auch Lehrer aus Bayern. Sie haben es genauso bekommen wie alle anderen Lehrer in der Bundesrepublik auch.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
({0})
Herr Staatssekretär, ich stimme mit Ihnen darin überein, daß Sie in ausreichendem Maße für die Propagierung der Ostpolitik der Bundesregierung gesorgt haben. Meine Frage: Wie hoch ist der Betrag, den Sie für die gesamte Propaganda und Information über die Ostpolitik ausgegeben haben?
Herr Abgeordneter, es ist für mich jetzt schwer, den Betrag über die letzten zweieinhalb Jahre hinweg, seitdem die Ostpolitik begonnen wurde, festzustellen. In diesem Jahr liegt der Betrag bei etwa 1,8 Millionen DM.
({0})
Präsident von Hassel: Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, Herr Kollege Baier, daß Sie bereits die Grundfrage sehr stark gesprengt haben, und bitte die anderen Fragesteller, zur Grundfrage zurückzukommen, Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, würden Sie angesichts der Tatsache, daß Sie bei der in Frage kommenden Information nur einseitig den Standpunkt der Bundesregierung vertreten haben, dafür Verständnis haben, daß die Bayerische Staatsregierung auch ihren Standpunkt vertreten kann, ohne daß sie den Standpunkt der Bundesregierung ver- treten muß?
Herr Abgeordneter, was den zweiten Punkt Ihrer Frage angeht, nehme ich es selbstverständlich hin, daß die Bayerische Staatsregierung ihren Standpunkt zu den Ostverträgen publiziert und offensichtlich propagiert. Was die Aktionen des Bundespresseamtes angeht, Herr Abgeordneter, so können Sie, glaube ich, nicht den Vorwurf erheben, daß wir etwa nur einseitig den Standpunkt der Bundesregierung dargestellt hätten.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt ({1}).
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß es als ein Verstoß gegen die Bundesfreundlichkeit und Bundestreue anzusehen ist, wenn eine Landesregierung in amtlicher Eigenschaft zu einer Schicksalsfrage der Nation nur eine einseitige Stellungnahme zu publizieren bereit ist?
({0})
Herr Abgeordneter, ich würde diesen Standpunkt politisch teilen. Was die amtliche Eigenschaft sozusagen des bayerischen Kultusministeriums in dieser Sache angeht, kann ich mich nicht äußern, weil ich damit meine Kompetenzen überschreiten würde.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da Herr Abgeordneter Mattick dankenswerterweise die Problematik aufgegriffen hat, die darin liegt, daß in diesem Hohen Hause, das über die Verträge zu entscheiden hatte, die Meinungen, wie wir alle wissen, weit auseinandergingen, und etwa die Hälfte der Abgeordneten, nämlich die der Opposition, deutlich von der Regierung abweichende Meinungen vertrat,
({0})
- deutlich von der Regierung abweichende Meinungen vertrat, wenn wir damit auch in der Tat die Unterschrift des Bundeskanzlers nicht wegwischen konnten,
({1})
darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, wie Sie aus Ihrer Erfahrung mit bisher zwei Bundesregierungen mit diesem Tatbestand in ihrer Arbeit fertig werden, da die Informationen doch so sein sollten, daß sie sowohl die Meinung der Regierung wie die der gleich starken Opposition erkennen lassen?
({2})
Herr Abgeordneter, genau das ist das, was wir zu tun versuchen. Und wenn ich hier auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt von soeben noch einmal zurückkommen darf; in Bayern ist dies offensichtlich nicht der Fall, sondern in Bayern ist ganz einseitig die Haltung der Bayerischen Staatsregierung propagiert worden.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({1}).
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß die Objektivität der Information an allen Schulen der Bundesrepublik am besten dadurch gewahrt ist, daß die Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung in allen Teilen der Bundesrepublik, in Schleswig-Holstein und in Bayern, verteilt werden und daß in Bayern ein besonders reges Interesse an diesen Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung besteht?
Ich stimme Ihnen darin zu, Herr Abgeordneter, und zwar auch hinsichtlich der Qualifizierung der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir haben es aber zusätzlich noch mit einem anderen Vorgang zu tun, den man auch zu respektieren hat, nämlich mit der freien Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrer. Und bei dieser freien Gestaltung des Unterrichts leistet das Bundespresseamt gern Hilfestellung.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir eine Mitteilung machen, inwieweit die Dienststellen der Hessischen Landesregierung die Behandlung der Notstandsgesetze im Sozialkundeunterricht in den Schulen verlangt haben?
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe keine Ahnung, wie die Notstandsgesetze - wenn ich Sie richtig verstanden habe - im hessischen Unterricht behandelt worden sind. Ich bin schon längere Zeit aus Frankfurt verzogen.
({0})
Präsident von Hassel: Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte ({1}).
Herr Staatssekretär, könnten Sie mit mir darin übereinstimmen, daß Ihre Informationsarbeit auf dem Gebiet der Verträge vielleicht doch nicht ausgereicht hat, weil doch immerhin eine sehr beträchtliche politische Gruppe nicht in der Lage war, zu einem politischen Urteil zu finden?
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe einen zu großen Respekt vor dem Willen der Abgeordneten auf dieser Seite, als daß ich mir zutrauen könnte, mit noch so guten Argumenten einen großen Teil dieser Herren zu überzeugen.
({0})
Präsident von Hassel: Wir sind am Ende des Geschäftsbereiches des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes angekommen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die Fragen 2 und 3 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dies Frage 4 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wann ist mit dem Bericht der Bundesregierung über die von ihr in den Rechnungsjahren 1970 und 1971 gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes ({1}) getroffenen Maßnahmen zu rechnen, der nach dem Gesetz jährlich zu erstatten ist?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Bundesinnenminister Genscher.
Herr Abgeordneter, seit Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes im Jahre 1957 hat die Bundesregierung schriftlich zusammengefaßt in fünf Berichten über das von ihr gemäß § 96 des Gesetzes Veranlaßte berichtet. So erstattete sie einen Bericht für die Jahre 1957 bis 1959, sodann einen solchen für 1960, dann wiederum für 1961 und 1962, dann für die Jahre 1963, 1964, 1965 und 1966 zusammen, dann wieder einen Bericht für die Jahre 1967, 1968 und 1969. Dieser Übung der zusammenfassenden Berichterstattung für mehrere Jahre folgend, beabsichtigt die Bundesregierung, den Bericht für die Jahre 1970 bis 1972 zusammengefaßt im Jahre 1973 schriftlich vorzulegen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Minister, hätten Sie nicht doch Verständnis dafür - da es kein Bundesvertriebenenministerium und damit keinen entsprechenden Ausschuß mehr gibt, sondern nur noch den Innenausschuß, der eine so umfangreiche Materie zu bewältigen hat, daß für eine Beratung dieser Berichte und für die Arbeit daran keine Möglichkeit mehr besteht -, wenn gebeten wird, die Jahresberichte jetzt auch jährlich zu geben?
Herr Abgeordneter, ich vermag keinen Zusammenhang zwischen der periodischen Veröffentlichung der Berichte und der Frage zu erkennen, ob ein Vertriebenenministerium besteht oder ob die Aufgaben dieses Ministeriums, wie ich meine, in unveränderter Qualität und Güte vom Bundesministerium des Innern wahrgenommen werden. Gleichermaßen gilt das für die Behandlung der Fragen der Vertriebenen und Flüchtlinge im Innenausschuß des Deutschen Bundestages.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Bundesminister, können Sie mir zusagen, daß in dem nächsten Bericht - der, wie ich höre, leider nur wieder für drei Jahre zusammenfassend gegeben werden soll - bei den einzelnen Förderobjekten die Zahlen und die Zuwendungen, die eine Kontinuität der Arbeit ermöglichen, und nicht nur die von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr getätigten Bewilligungen genannt werden?
Herr Abgeordneter, der zusammenfassend gegebene Bericht, der, wie gesagt, an frühere Übung anknüpft, wird in seiner Qualität den vorangegangenen Berichten nicht nachstehen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Klepsch.
Herr Minister, in Ihrem letzten Bericht hatten Sie die Prüfung bezüglich der Errichtung einer bundesunmittelbaren Stiftung des öffentlichen Rechtes wohlbegründet in die Erwägungen einbezogen. Da nun drei Jahre - wie Sie durchaus verständlich begründet haben - eine doch sehr lange Frist sind, darf ich Sie noch fragen, ob die Prüfung in ein Endstadium eingetreten ist oder ob wir vielleicht über diesen Sachverhalt schon vorab etwas erfahren können?
Herr Abgeordneter, wenn ich auch nicht den geringsten Zusammenhang Ihrer Frage mit der Grundfrage erkennen kann, will ich sie gern beantworten: die Prüfung dauert mit der für mein Haus bezeichnenden Gründlichkeit noch an.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Herr Minister, da ich nicht erwarten kann, daß Sie den Inhalt des letzten Berichtes im Kopf haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, dafür Sorge zu tragen, daß in Zukunft der Bericht wieder in der Ausführlichkeit wie in den vergangenen Zeiten gegeben wird.
Herr Abgeordneter, Sie können zunächst einmal unterstellen, daß ich mich so gründlich auf Fragen vorbereite, daß ich Fragen, die sich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausgangsfrage ergeben, sehr wohl beantworten kann. Zurückhaltung ist also in keiner Weise geboten.
Was nun die Qualität und Ausführlichkeit des von mir zu erstattenden Berichtes angeht, darf ich wiederholen, was ich schon auf die Frage des Kollegen von Fircks erklärt habe: der von mir zu erstattende Bericht wird in keiner Weise an Qualität früher erstatteter Berichten nachstehen.
Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 5 des Abgeordneten Hösl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende der 60 Minuten für die Fragestunde angelangt. Ich schließe die Fragestunde.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich mache zunächst auf folgendes aufmerksam und rufe in Erinnerung: der Punkt 21 der Tagesordnung, das Waffengesetz, ist in zweiter Lesung abgeschlossen. Die dritte Lesung wird zunächst ausgesetzt, bis wir die Punkte 22 und 23 - Bundesgrenzschutzgesetz und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes - in zweiter Lesung erledigt haben.
Ich rufe daher Punkt 22 auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz ({0})
- Drucksache VI/2886 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksachen VI/3569 und zu VI/3569 - Berichterstatter: Abgeordneter Hanz
Abgeordneter Pensky
Abgeordneter Krall
({2})
Ich danke den Berichterstattern für ihren Bericht und frage, ob sie das Wort zur mündlichen Ergänzung wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Wir treten in zweiter Lesung in die Aussprache ein. Bevor ich Herrn Abgeordneten Hanz das Wort gebe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß
i 1456
Präsident von Hassel
wir bisher bereits neun Wortmeldungen haben. Ich bitte daher, sich in der Redezeit etwas darauf einzustellen, daß wir heute gegen 17.30 Uhr abschließen wollen, damit sich alle auf den gemeinsamen Empfang des Deutschen Bundestages um 18 Uhr vorbereiten können.
Ich gebe das Wort Herrn Abgeordneten Hanz. Angemeldet sind zwanzig Minuten Redezeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt die Verabschiedung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz in der vorliegenden Fassung. Dieses Gesetz ist nach unserer Auffassung ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der inneren Sicherheit unseres Staates.
Seit seiner Aufstellung im März 1951 ist der BGS zu einem bedeutenden und, wie wir meinen, unentbehrlichen Sicherheitspotential unseres Staates geworden, das über die Grenzsicherung hinaus eine Reihe wesentlicher zusätzlicher Aufgaben zu erfüllen hat. In den vergangenen zwanzig Jahren hatte die CDU/CSU oft Mühe, die Notwendigkeit des Bundesgrenzschutzes für unsere innere Sicherheit im Parlament wie auch gegenüber einem Teil der Öffentlichkeit deutlich zu machen und die sich aus dieser Notwendigkeit ergebenden Schritte politisch durchzusetzen. Die CDU/CSU stellt heute mit Genugtuung fest, daß Bestand und Auftrag des Bundesgrenzschutzes nunmehr von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses bejaht werden. Auftrag, Einsatzmöglichkeiten und die entsprechende Ausbildung sind seit der Aufstellung den jeweiligen Erfordernissen angepaßt worden, wobei die polizeiliche Grenzsicherungsaufgabe vorrangig gewesen ist und auch bleiben wird.
Die betonte Einbeziehung des Bundesgrenzschutzes in das Gesamtkonzept innere Sicherheit fordert zwingend eine rasche wenn auch nicht weniger gründliche Novellierung.
Die Vorarbeiten für dieses Gesetz reichen zurück in die Amtszeit des früheren Innenministers Ernst Benda, der sich mit den Problemen des Bundesgrenzschutzes in besonderer Weise befaßt hat. Minister Genscher konnte sich hier - wie im übrigen auch beim Ausbau des Bundeskriminalamts - auf diese solide und zukunftweisende Vorarbeit stützen.
Die Verabschiedung des Gesetzes am heutigen Tage ist - das sollte man, glaube ich, auch deutlich sagen - bestimmt kein Beweis für die politische Handlungsfähigkeit der Koalition und der von ihr gestellten Regierung. Wohl aber, so meine ich, ist sie ein Zeugnis für die staatspolitische Verantwortung der Union; denn sie stellt taktische und parteipolitische Überlegungen den Sicherheitserfordernissen unseres Staates hintan.
Mich hat an diesem Interview, das der Bundeskanzler am vergangenen Sonntag dem ZDF gab, doch etwas gestört: Bei der Erörterung der vier Gesetze zur inneren Sicherheit meinte er, hier würden Gesetze verabschiedet, die schon lange - es klang so wie „zu lange" - im Parlament lägen. Ob eine Kritik am Parlament im allgemeinen berechtigt ist,
möchte ich an dieser Stelle nicht prüfen; jedenfalls trifft sie für die Beratung des Bundesgrenzschutzgesetzes bestimmt nicht zu. Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat die erforderlichen Beratungen nicht nur sachlich und zügig geführt, sondern darüber hinaus der Bundesregierung, wie ich meine, manche Arbeit abgenommen, insbesondere in der Abstimmung einer gemeinsamen Linie mit den Ländern. Zudem sei mir die Bemerkung erlaubt, daß das Waffengesetz, das wir heute beraten, auf einer Initiative des Bundesrates beruht, in dem die CDU/CSU-Länder bekanntlich eine Mehrheit haben.
({0})
Minister Genscher wird sicher zu würdigen wissen, in welchem Maße die CDU/CSU-Fraktion zur Zusammenarbeit bereit war, wenn es darum ging, schwierige Fragen gemeinsam zu lösen, und zwar nicht nur bei diesem Gesetz.
Das BGS-Gesetz konnte also nicht früher verabschiedet werden. Grund hierfür war nicht in erster Linie eine Überlastung des Innenausschusses oder gar ein mangelndes Interesse der Opposition oder ihres Vorsitzenden, wie es der Herr Bundeskanzler vor 14 Tagen hier an dieser Stelle meinte sagen zu müssen. Das Gesetz konnte schlicht deshalb nicht früher beraten werden, weil der Innenausschuß auf die Beantwortung von Fragen warten mußte, die bei der ersten Lesung vom Parlament, vom Bundesrat und vom Innenausschuß der Bundesregierung gestellt worden waren.
({1})
- Die Antworten, Herr Kollege Schäfer, gingen erst Ende Mai beim Bundestag, beim Innenausschuß, ein. Dadurch gerieten wir bei unseren Beratungen zwar in einen gewissen Zeitdruck, ich glaube aber, daß trotz allem, die kurzfristig notwendig gewordene Grundgesetzänderung eingeschlossen, die Gründlichkeit unserer Arbeit im Innenausschuß nicht beeinträchtigt worden ist.
Die CDU/CSU sieht in diesem Gesetz einen bedeutenden Fortschritt. Nach unserer Auffassung, die sich mit dem Konzept der Innenministerkonferenz für das Sicherheitsprogramm deckt, sind dem BGS folgende wesentliche Aufgaben zugedacht. Erstens: Nach wie vor liegt die vorrangige Aufgabe des Bundesgrenzschutzes in der polizeilichen Sicherung der Grenzen und der Demarkationslinie. Zweitens, Unterstützung der Länderpolizeien in den besonderen Fällen, die im § 9 niedergelegt sind und durch Art. 35 GG verfassungsrechtlich gedeckt werden. Drittens, Einsatz bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG. Viertens, Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes oder die eines Landes, wie sie im Art. 91 des Grundgesetzes geregelt ist. Fünftens, Einsatz im Verteidigungsfall nach Art. 115 f Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes.
Nach der vorliegenden Novellierung wird der BGS nicht als Bundespolizei tätig werden. Seine Aufgabe erfüllt er vielmehr auf Anforderung des jeweiligen Bundeslandes, und zwar als dessen Or-
gan und in dessen Verantwortung. Die Polizeihoheit der Länder wird also nicht angetastet. Eine ständige Bundespolizei zur allgemeinen Gefahrenabwehr sieht das Gesetz nicht vor, und sie wird von uns auch nicht gewünscht. Aber die Unterstützung der Länderpolizeien durch den Bundesgrenzschutz muß ständig - ich betone: ständig - gewährleistet sein. Dies macht es notwendig, daß ständig Einheiten des Bundesgrenzschutzes bereitgehalten werden, die vom möglichen Einsatzbereich nicht allzu weit entfernt untergebracht sein dürfen. Deshalb, so glauben wir, müssen zusätzliche Standorte geschaffen werden. Zwangsläufig ergeben sich aus diesem Auftrag weitere Folgerungen, die in personeller, ausbildungsmäßiger, materieller und auch organisatorischer Hinsicht zu ziehen sind. Während die polizeiliche Grenzsicherungsaufgabe durch den BGS in zufriedenstellender, ja ich möchte meinen, in vorbildlicher Weise, erfüllt wird, stellt seine Funktion als Polizeireserve der Länder im Rahmen der gemeinsamen Sicherheitskonzeption erhöhte Forderungen an Ausbildung, Ausstattung und Organisation. Insoweit wird der Bundesgrenzschutz seinen Aufgaben derzeit noch nicht im wünschenswerten Maße gerecht werden können.
In der vorgelegten gemeinsamen Entschließung soll deshalb besonders deutlich gemacht werden, was wir im einzelnen zur Ausfüllung dieses Gesetzes von der Bundesregierung erwarten. Bildung und Ausbildung müssen die Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes in die Lage versetzen, selbständig Polizeiaufgaben, besonders bei Unterstützung der Länderpolizeien, wahrzunehmen. Die Planung der zukünftigen Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen muß dies in sehr starkem Maße berücksichtigen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, bei derartigen Planungen eng mit den Ländern zusammenzuarbeiten. Ihre Bemühungen müßten sich auf folgende wesentliche Punkte konzentrieren.
a) Ausbildung und Prüfung sollten die Befähigung der Beamten gewährleisten, auch allgemeine polizeiliche Aufgaben zu übernehmen ({2}).
b) Mit den Länderpolizeien sollten möglichst einheitliche Regelungen über Einstellungsvoraussetzungen und Ausbildungsdauer getroffen werden.
c) Für die Übergangszeit, in der kürzerdienende Beamte eingesetzt werden müssen, ist es notwendig, ihnen eine vereinfachte polizeiliche Ausbildung zu vermitteln. Sie soll diese Beamten in die Lage versetzen, Aufgaben im Rahmen des Grenzschutzes und andere polizeiliche Aufgaben im geschlossenen Verband zu erfüllen.
d) Das Polizeiinstitut in Hiltrup sollte auch den Stabsoffizieren des Bundesgrenzschutzes offenstehen; ihre Ausbildung sollte mindestens teilweise dort erfolgen.
e) Das Dienst- und Besoldungsrecht der Beamten im Bundesgrenzschutz sollte dem der Länderpolizeien angepaßt werden, damit ein nahtloser Übergang vom Bundesgrenzschutz zur Landespolizei jederzeit möglich ist.
Bei der Beratung über die Erfüllung der neuen polizeilichen Aufgaben spielte auch die Verwendung der Dienstpflichtigen - jetzt gibt es etwa 3000 - eine große Rolle. Meine Damen und Herren, ohne Dienstpflichtige hätte der Bundesgrenzschutz seine Aufgaben nicht in dem Maße erfüllen können, wie er es getan hat. Immerhin haben sich über 20 % der Dienstpflichtigen als längerdienende Beamte verpflichtet. Auch hat die Dienstpflicht im BGS zweifellos zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit in unserem Land beigetragen. Es sei jedoch nicht verschwiegen, daß der polizeiliche Einsatz Dienstpflichtiger große Probleme aufwirft.
Wir glauben, daß der BGS im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf Dienstpflichtige verzichten kann, wenn er seinen Aufgaben nachkommen will. Den- noch möchte ich hervorheben, daß dieser Einsatz nur als vorübergehende Notmaßnahme betrachtet werden kann. Es muß deshalb alles getan werden, den Personalbedarf des Bundesgrenzschutzes durch längerdienende Beamte zu decken. Solange dies nicht möglich ist, sollte dafür Sorge getragen werden, daß Dienstpflichtige nur zu solchen Aufgaben. herangezogen werden, die sie nach ihrem Ausbildungsstand zu erfüllen vermögen. Eine Verwendung von Dienstpflichtigen zur Wahrnehmung von Aufgaben zur Unterstützung der Länderpolizeien wird in der Regel nicht in Betracht kommen können.
Es würde heute bei der zweiten Lesung wohl zu weit führen, alle Aspekte dieses Gesetzes nochmals zu beleuchten.
Wir teilen nicht die oft geäußerte Meinung - die übrigens nach einer Pressemeldung vom 15. Juni 1972 in der „Stuttgarter Zeitung" auch von den politischen Freunden des Innenministers, den Judos in Baden-Württemberg, in einer Entschließung zum Ausdruck gebracht wird -, der BGS sei eine paramilitärische Einrichtung, besonders wegen seiner Organisation und Ausrüstung. Wir wissen, daß Herr Minister Genscher diese Meinung nicht teilt. Organisation und Ausrüstung des Bundesgrenzschutzes richten sich eindeutig nach seiner Sicherungsaufgabe an der Demarkationslinie, den Grenzen und seinem Einsatz als Polizei im Inneren. Zur Bewältigung dieser Aufgaben ist auch ein schlagkräftiger Verband notwendig. Unter schlagkräftiger Polizei insgesamt verstehen wir nicht nur Kräfte zur Verkehrsregelung und zur Verhinderung oder Untersuchung strafbarer Handlungen in ruhigen Zeiten. Wir verstehen darunter auch Verbände, die bereit und in der Lage sind, in Spannungszeiten den Bestand des Staates und die Wahrung seiner demokratischen Grundordnung zu sichern. Dazu brauchen wir den Bundesgrenzschutz.
Die Schaffung eines Sicherheitspotentials des Bundes, das für die Länder auf Abruf zur Verfügung steht, darf allerdings nicht dazu führen, daß die Länder beim Ausbau ihrer Polizei nachlassen. Hier wird keine Aufgabe von den Ländern auf den Bund verlagert. Was wir mit diesem Gesetz wollen, ist die Schaffung eines besonderen Instruments zur Meisterung besonderer Notlagen. Wir verstehen den BGS also als zusätzliches Potential in besonderen Situationen.
Es ist die Meinung meiner Fraktion: Auch im Zeichen des parlamentarischen Patts und der dadurch nur bedingten Handlungsfähigkeit der Regierung muß alles Notwendige für unsere innere Sicherheit getan werden. Die Bürger unseres Staates dürfen unter dieser parlamentarischen Situation nicht leiden. Deshalb läßt sich die CDU/CSU bei dem Bemühen, unsere innere Ordnung zu festigen, auch als Opposition von niemandem übertreffen. Viele unserer Mitbürger messen ihr Vertrauen in die parlamentarische Demokratie daran, wieviel Schutz und Sicherheit sie für den Bürger zu gewährleisten in der Lage ist. Das heute zu verabschiedende Gesetz über den BGS soll seinen Teil dazu beitragen, diesen Schutz und diese Ordnung zu gewährleisten. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes sind in der Vergangenheit den ihnen zugewiesenen Aufgaben vorbildlich gerecht geworden.
({3})
Dafür danken wir ihnen und hoffen, daß das auch im Rahmen der neuen gesetzlichen Aufgaben so sein wird.
Die CDU/CSU stimmt diesem Gesetz und der gemeinsamen Entschließung zu.
({4})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hanz dafür, daß er vier Minuten weniger als angekündigt gesprochen hat. Das hilft uns heute etwas weiter.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei stimmt dem Bundesgrenzschutzgesetz zu. Dieses Gesetz stellt einen praktischen Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit dar, dessen Wert gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann; denn mit ihm werden in den geeigneten Fällen die für die Verhütung von strafbaren Handlungen oder für die unverzügliche Verfolgung von Straftätern bestimmten Kräfte vermehrt. Es ist seit einiger Zeit außerhalb jedes Streites, daß die Personalstärke bei den Ländern nicht immer ausreicht. Hier steht dann der Bundesgrenzschutz als eine Reserve, als ein ständig abrufbereites zusätzliches Sicherheitspotential den Ländern auf ihre Anforderung zur Verfügung.
Die in der Ausschußberatung neu gefaßte Vorschrift des § 9 des Gesetzes, nunmehr auch abgesichert durch eine Grundgesetzänderung, bietet die zweifelsfreie rechtliche Grundlage. Bewußt habe ich diese Gesetzesänderung an den Anfang meiner kurzen Ausführungen gesetzt, um die enge Beziehung des neuen Bundesgrenzschutzgesetzes zu den Maßnahmen, die der Erhöhung der inneren Sicherheit dienen, deutlich zu machen.
Die ständige und als hauptsächliche eigene zu bezeichnende Aufgabe des Bundesgrenzschutzes
bleibt aber der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes. Hierfür ist aus verschiedenen Gründen, die sorgfältig mit allen Gegenmeinungen beraten worden sind, die Vorschrift des § 64 des Gesetzes noch unerläßlich. Die Verbände und Einheiten des Bundesgrenzschutzes sowie die Grenzschutzschule dürfen im Falle eines bewaffneten Konfliktes nicht schutzlos sein, wenn sie bei der Wahrung ihrer eigenen, im Ersten Abschnitt des Gesetzes näher umschriebenen Aufgaben zur Abwehr eingesetzt werden. Es wäre aber eine einseitige und durch nichts gerechtfertigte Betrachtung, das neue Bundesgrenzschutzgesetz nur unter dem Gesichtspunkt, daß der Kombattantenstatus des Bundesgrenzschutzes beibehalten werden mußte, zu betrachten. Denn auch in diesem Punkt wächst die Erkenntnis, daß er, insbesondere dann, wenn eine internationale Polizeikonvention zustande kommt, für eine Bundespolizei nicht unentbehrlich ist.
Die Bundesregierung - und das sollte auch in der zweiten Lesung noch einmal betont werden - hat es von Anfang an nicht daran fehlen lassen, den polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes zu verdeutlichen und zu entwickeln. Hier liegt der begrüßenswerte Fortschritt gegenüber dem nicht immer klaren bisherigen Rechtszustand. Bei den gemeinsamen Bemühungen im Innenausschuß ist deshalb auch nicht unberücksichtigt geblieben, daß zwei Bundesländer mit unterschiedlich geprägten Regierungen im Bundesrat vom Bundesgrenzschutz als „aufgeblähtem Hans-Dampf-in-allen-Gassen", dem im entscheidenden Moment die Luft ausgehen wird, und einem „paramilitärischen Verband" gesprochen haben. Besorgnisse, die in diesen Wendungen zusammengefaßt wurden, sind teilweise durch die Grundgesetzänderung und teilweise durch das Eingehen auf die Wünsche der Länder, die sich in den Veränderungen im Ersten und im Sechsten Abschnitt des Gesetzes niederschlagen, ausgeräumt. Das haben wir der Mitarbeit des bayerischen Staatsministers Merk und einer Äußerung, die der hessische Ministerpräsident in diesen Tagen nach Presseberichten gemacht hat, entnehmen können. Wir möchten nur die Hoffnung anknüpfen, daß nunmehr auch diese beiden Länder im Bundesrat zustimmen können.
Es wird sehr entscheidend für die innere Entwicklung im Bundesgrenzschutz darauf ankommen, daß seine verbesserte polizeiliche Entwicklung in einer wohlüberlegten Abstimmung mit den Ländern erfolgt. Der Austausch der Erfahrungen muß von einem Austausch von Führungs- und Ausbildungskräften begleitet sein.
In diesem Zusammenhang bedarf allerdings auch der Erwähnung, daß eine Polizei des Bundes bei der Polizeizulage nicht anders gestellt sein darf als die Polizei der Länder. Mit Recht wird der bisherige Zustand im Bundesgrenzschutz als unbefriedigend und nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend empfunden.
Nur für eine Übergangszeit wird die in § 71 des Gesetzes enthaltene Änderung des Gesetzes über Personalvertretungen im Bundesgrenzschutz Bestand haben können. Das dem Bundesrat bereits
zugeleitete neue Personalvertretungsgesetz muß dahin überprüft werden, ob die dort aufgenommene Bestimmung über die Personalvertretung des Bundesgrenzschutzes stehenbleiben darf. Denn bei Aufstellung des Entwurfes war noch nicht bekannt oder jedenfalls noch nicht so bekannt wie heute, in welcher Weise der Bundesgrenzschutz Polizei des Bundes ist.
Der Umfang und die Schwierigkeit polizeilicher Aufgaben erfordern es auch, daß dem Grenzschutz grundsätzlich längerdienendes Personal zur Verfügung steht. Der Verzicht auf die Grenzschutzdienstpflicht ist deshalb ein sehr ernstes Anliegen der SPD-Fraktion. Daß er vorläufig noch nicht verwirklicht werden kann, darf die Bundesregierung und die Führung des Bundesgrenzschutzes nicht davon entbinden, mit einer verstärkten Berufswerbung und einem in jeder Hinsicht zu verbessernden Laufbahn- und Besoldungsrecht den Dienst im Bundesgrenzschutz so anziehend zu machen, daß möglichst bald auf Dienstpflichtige verzichtet werden kann. Solange sie aber benötigt werden, war es geboten, ihre Rechtsstellung, wie das im Fünften Abschnitt des Gesetzes geschehen ist, umfassender und damit klarer, als es bisher der Fall war, zu regeln.
Ich möchte abschließend noch einmal betonen, daß mit dem neuen Bundesgrenzschutzgesetz vieles nur so gesetzlich geregelt wird, wie die Praxis längst, und zwar weitgehend zur Zufriedenheit von Bund und Ländern, verfährt. Das ergibt sich beispielsweise aus dem veröffentlichten Rückblick auf die
Tätigkeit des Bundesgrenzschutzes im Jahre 1971 oder aus dem Bericht der Bundesregierung über die notwendigen gesetzlichen und organisatorischen Maßnahmen zur Verstärkung der Gefahrenabwehr im Luftverkehr.
Mit dem neuen Bundesgrenzschutzgesetz ist auch die Grundlage für die Maßnahmen geschaffen worden, die das Schwerpunktprogramm „Innere Sicherheit" der Bundesregierung vorsieht. Gesetz und Schwerpunktprogramm stecken damit den Weg des Bundesgrenzschutzes in seine rechtlich und hoffentlich auch finanziell gesicherte Zukunft ab.
Indem ich den bereits in der ersten Lesung von meinem Kollegen Pensky ausgesprochenen Dank der SPD-Bundestagsfraktion an alle Angehörigen des Bundesgrenzschutzes für die pflichtbewußte Erfüllung ihrer Dienstobliegenheiten wiederhole,
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wünsche ich dem Grenzschutz, allen Beamten und allen, die in ihm tätig sind - auch das gleichzeitig namens der Fraktion -, auf ihrem weiteren Berufsweg viel Erfolg und dazu auch die Anerkennung der Öffentlichkeit für eine vielfältige und oft schwierige Tätigkeit im Dienst und zum Nutzen der Bevölkerung der Bundesrepublik.
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Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicher kein Zufall, daß das von den Innenministern der Länder gemeinsam mit dem Bundesinnenminister konzipierte „Programm für die ,Innere Sicherheit' in der Bundesrepublik" am Vorabend des Tages der Presse übergeben wurde, an dem das für die „Innere Sicherheit" dieses Landes so bedeutende Gesetzespaket in diesem Hohen Hause heute verabschiedet werden soll.
Es ist mir ein ganz besonderes Bedürfnis, an dieser Stelle dem für das Verfassungsschutzgesetz sowie für das Waffen- und BGS-Gesetz zuständigen Bundesinnenminister, seinen Beamten und den Mitarbeitern im Sekretariat des Innenausschusses für ihren persönlichen Einsatz während der zügigen Beratungen der Gesetze im Innenausschuß Dank und Anerkennung meiner Fraktion auszusprechen.
Namens meiner Fraktion darf ich zum Bundesgrenzschutzgesetz folgende Erklärung abgeben.
Der Entwurf des Bundesgrenzschutzgesetzes hat in den Ausschußberatungen nur geringe Änderungen erfahren. Schon daraus folgt, daß sich die zustimmende Haltung der Fraktion der Freien Demokraten zu dem Entwurf, die ich bereits in der ersten Lesung zum Ausdruck gebracht habe, nicht geändert hat. Das bedeutet nicht, daß jede einzelne Vorschrift des Gesetzentwurfes unseren Vorstellungen voll entspricht. Wir hätten es z. B. gern gesehen, wenn die Regelung über die gegenseitige Unterstützung von Bundesgrenzschutz und Länderpolizeien etwas großzügiger und beweglicher ausgefallen wäre. Da aber gerade in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten bestanden, betrachten wir den Entwurf des BGS-Gesetzes gleichwohl als einen bedeutenden Fortschritt, der um so höher zu bewerten ist, als ihm auch die Vertreter der Länder im Zuge der Ausschußberatungen zugestimmt haben.
Als wesentlichen Fortschritt des neuen BGS-Gesetzes werte ich es, daß nunmehr eine klare gesetzliche Umschreibung der Aufgaben und Verwendungsmöglichkeiten des Bundesgrenzschutzes vorliegt. Der BGS erhält damit eine sichere Stellung in einem einheitlichen Sicherheitskonzept der Bundesrepublik. Die bisher bestehende Unsicherheit hinsichtlich seiner Aufgaben und seines Standorts wird beseitigt.
Der Gesetzentwurf stellt auch einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der inneren Sicherheit dar. Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate haben gezeigt, welch wertvolles Instrument der Bundesgrenzschutz sein kann. Wie wir alle wissen, hat er insbesondere die Polizei der Länder bei Großfahndungen und auf den Verkehrsflughäfen mit internationalem Verkehr unterstützt, und das mit großen Erfolg.
Das neue Gesetz macht es in Verbindung mit der heute vormittag beschlossenen Verfassungsänderung unmöglich, dem verantwortlichen Minister sowie den Beamten des Bundesministeriums des Innern und des Bundesgrenzschutzes vorzuwerfen, sie handelten bei der im Interesse der Sicherheit dringend erforderlichen Unterstützung der Länderpolizeien
11460 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode 195. Sitzung. Bonn, Donnerstag, cien 22. Juni 1972
durch den BGS außerhalb der Legalität oder gar verfassungswidrig.
Es wäre uns Freien Demokraten lieber gewesen, wenn der Gesetzentwurf von der Kann-Regelung über die Heranziehung von Grenzschutzdienstpflichtigen zum Grenzschutzgrunddienst hätte absehen können. Leider haben wir uns davon überzeugen müssen, daß dies gegenwärtig zu einer erheblichen Reduzierung des Personalbestandes des BGS und damit zu einer Gefährdung seiner Einsatzbereitschaft geführt hätte. Wir unterstützen aber nachdrücklich die in der vom Innenausschuß vorgeschlagenen Entschließung zum Ausdruck kommende Forderung, alles zu tun, um zu erreichen, daß die Heranziehung von Grenzschutzdienstpflichtigen zum Grenzschutzgrunddienst zum frühestmöglichen Zeitpunkt entbehrlich wird.
Besondere Bedeutung messen wir Freien Demokraten der weiteren Entwicklung des BGS bei. Der Gesetzentwurf bezeichnet den BGS klar als eine Polizei des Bundes. Daraus müssen nun die notwendigen Konsequenzen auch für das Laufbahnrecht und die Besoldung der Beamten des BGS gezogen werden. Das wird gesetzgeberische Maßnahmen erfordern.
Wir hätten es begrüßt, wenn diese notwendigen Gesetzesänderungen gleichzeitig mit dem BGS-Gesetz hätten verabschiedet werden können. Das war schon aus Zeitgründen nicht möglich. Es wäre aber gut, wenn die notwendigen Änderungen des Dienst-und Besoldungsrechts wenigstens zum Zeitpunkt des
Inkraftretens des BGS-Gesetzes, also voraussichtlich zu Beginn des nächsten Jahres, wirksam werden könnten.
Meine Freunde und ich sind überzeugt, daß der BGS die ihm zugedachten neuen polizeilichen Aufgaben im Sicherheitssystem der Bundesrepublik erst dann voll wahrnehmen kann, wenn die vom Ausschuß für erforderlich gehaltenen flankierenden Maßnahmen nach Nr. 1 der Entschließung durchgeführt sind. Hierzu gehört in erster Linie auch eine Anpassung von Ausbildung und Ausrüstung im Hinblick auf die im Gesetz neu umschriebenen polizeilichen Aufgaben und Verwendungen des Bundesgrenzschutzes, wie sie § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes vorsieht. Insbesondere auf dem Gebiet der Ausbildung bieten sich in Kooperation mit den Ländern vielfältige Möglichkeiten, die vorhandenen Ausbildungseinrichtungen und Schulen gegenseitig zum Besten zu nutzen. Das ist auch vom Kollegen Konrad hier im einzelnen angesprochen worden.
Ich darf mir abschließend folgende Bemerkung erlauben: Meine Fraktion begrüßt es besonders, daß nunmehr auch die Gewerkschaft der Polizei keine grundsätzlichen Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhebt. Dieser Eindruck entstand in einem sehr sachlichen Gespräch zwischen Kollegen meiner Fraktion und den Herren des Vorstands der Gewerkschaft der Polizei am Dienstag dieser Woche. Es kann und darf, meine Damen und Herren, kein Zweifel darüber bestehen, daß alle für die innere Sicherheit zuständigen Institutionen in diesem Staat die feste Eingliederung des BGS in das Sicherheitssystem der Bundesrepublik als eine notwendige Ergänzung unserer Sicherheitsorgane ansehen müssen.
Indem ich für die Fraktion der Freien Demokraten erkläre, daß wir dem Gesetzentwurf und der Entschließung zustimmen, spreche ich von dieser Stelle aus, wie ich es bereits bei der ersten Lesung getan habe, allen im Grenzschutz und für den Grenzschutz Diensttuenden unseren Dank und unsere Anerkennung für die jahrelang gezeigte Einsatzbereitschaft aus. Ich freue mich, daß ich das meinen ehemaligen Kollegen von dieser Stelle aus sagen darf.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Staatsminister Schwarz aus Mainz.
Schwarz, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Welch große Bedeutung der Bundesrat diesem Gesetz beimißt, mögen Sie aus der Tatsache ersehen, daß er ausdrücklich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Beauftragte für die Beratung im Deutschen Bundestag zu bestellen. Der Innensenator Ruhnau, der Kollege Dr. Merk und ich haben die Gelegenheit genutzt, in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages unsere Vorstellungen zu diesem Gesetz vorzutragen. Insbesondere der Bundestagsinnenausschuß und auch der Rechtsausschuß sind unseren Anregungen erfreulicherweise weitgehend gefolgt.
Gestatten Sie mir nur, vor diesem Hohen Hause einige kurze Ausführungen zu dem Gesetz, wie sie aus der Sicht der Länder geboten erscheinen, zu machen. Der Bundesrat hat sich mit der Regierungsvorlage _sehr eingehend befaßt und begrüßt die Grundtendenz dieses Entwurfs. Er sieht in ihm einen wichtigen Beitrag zu einer den Erfordernissen unserer Zeit entsprechenden Sicherheitskonzeption.
Jedes System der inneren Sicherheit, meine Damen und Herren, muß, wenn es diese Bezeichnung verdienen soll, seinen Ausgangspunkt darin haben, daß der Bürger ein legitimes Sicherheitsbedürfnis hat. Der Bürger macht sein Verhältnis zum Staat nicht zuletzt davon abhängig, ob dieser in der Lage ist, die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung unseres Gemeinwesens zu sichern und die Einhaltung der demokratischen Spielregeln bei den gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zu gewährleisten sowie der steigenden Kriminalität - einschließlich der Gewalttaten durch Terrorakte - Herr zu werden. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß unser Staat hier eine Bewährungsprobe zu bestehen hat.
Unter diesem Aspekt kommt den erfolgreichen und gut koordinierten Aktionen der Sicherheitskräfte von Ländern und Bund in der jüngsten Vergangenheit eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Die Entwicklung der Kriminalität und die Eskalation von Gewalt und Terror haben die Länder gezwungen, ihre Polizeikräfte auf den Schutz der inneren Sicherheit zu konzentrieren. Was das bei der gegebenen personellen Situation und der Vielzahl
Staatsminister Schwarz
der zu erfüllenden Aufgaben bedeutet, brauche ich in diesem Hohen Hause nicht näher darzulegen.
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Leider gibt es auch nach den Erfolgen in der Baader-Meinhof-Fahndung keine Anhaltspunkte dafür, daß diesem Punkt in absehbarer Zeit weniger Aufmerksamkeit gewidmet zu werden braucht. Mehr denn je ist es notwendig, die zur Gewährleistung der inneren Sicherheit erforderlichen Aktionen zu koordinieren und zu einer wirkungsvollen Kooperation der Sicherungskräfte des Bundes und der Länder zu kommen. Daß dies auch bei Beachtung der grundgesetzlich festgelegten Kompetenzverteilung möglich ist, haben gerade die Fahndungsmaßnahmen der letzten Wochen und Monate sehr eindrucksvoll bewiesen.
In dieser Sicherheitskonzeption hat der Bundesgrenzschutz seinen festen Platz. Die Länder haben in der Vergangenheit die Existenzberechtigung und die Notwendigkeit des Bundesgrenzschutzes für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wiederholt anerkannt. Der Bundesrat stimmt daher der Zielsetzung des Entwurfs eines Bundesgrenzschutzgesetzes zu, der dem Bundesgrenzschutz entsprechend den heutigen sachlichen Erfordernissen über die ihm im Gesetz aus dem Jahre 1951 eingeräumten Befugnisse hinaus weitere Aufgaben zuweist. Er begrüßt insbesondere das Angebot, auf Anforderung der Länder die Länderpolizeien personell und sachlich zu unterstützen. Die Erfahrungen, die wir bei der Flughafensicherung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes gewonnen haben, sind positiv und bestätigen, daß wir uns hier auf dem richtigen Wege befinden.
Freilich - das möchte ich auch deutlich sagen - können dem Bundesgrenzschutz nur insoweit Aufgaben übertragen werden, als das Grundgesetz es zuläßt. Die heute vormittag beschlossene Änderung des Grundgesetzes stellt sicher, daß hier so verfahren wird. Wir können also davon ausgehen, daß die Bedenken, die bei verschiedenen Ländern bestanden haben, ausgeräumt sind.
Es muß aber dabei ebenso deutlich gemacht werden, daß die den Ländern verfassungsrechtlich übertragene Polizeihoheit unangetastet bleibt. Eine etwaige Schwergewichtsverlagerung zugunsten einer Bundespolizei müßte auf den entschiedenen Widerstand der Länder stoßen.
Hinzu kommt, daß mit einer solchen Regelung sachlich nichts gewonnen wäre. Sie würde nicht nur das vom Grundgesetz aus guten Gründen festgelegte ausgewogene Machtverhältnis zwischen Bund und Ländern empfindlich stören, sie könnte darüber hinaus auch keinen besseren Schutz der Bevölkerung sicherstellen. Ich verhehle nicht, daß der Entwurf nach Auffassung der Länder vor allem in der Anfangsphase des Gesetzgebungsverfahrens diesen Gesichtspunkten nicht überall in ausreichendem Maße Rechnung getragen hat. Die Länder können heute jedoch mit Befriedigung feststellen, daß sich namentlich der Innenausschuß des Deutschen Bundestages den Einwendungen und Empfehlungen des Bundesrates nicht verschlossen hat.
Der Entwurf hat durch den Innenausschuß eine Fassung erhalten, die sich, von einigen geringfügigen Einschränkungen, über die noch gesprochen werden kann, abgesehen, nahtlos in unser Verfassungssystem einordnen läßt und gleichzeitig einen sinnvollen Einbau des Bundesgrenzschutzes in das System der inneren Sicherheit ermöglicht. Ich bin daher sicher, daß der Bundesrat auf dieser Grundlage nunmehr dem Gesetzeswerk vorbehaltlos seine Zustimmung geben wird.
Lassen Sie mich, meine verehrten Damen und Herren, noch kurz auf zwei Problemkreise eingehen, die sich mit dem Inkrafttreten des neuen Bundesgrenzschutzgesetzes ergeben werden. Ich meine damit das materielle Polizeirecht und die Ausbildung des Bundesgrenzschutzes.
Wenn der Bundesgrenzschutz in den Fällen des § 9 des Entwurfs auf Anforderung zur Unterstützung der Länderpolizeien eingesetzt werden soll, bedeutet das, daß er nach verschiedenen Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder handeln muß. Daß dies höchst unbefriedigend ist und einen reibungslosen Einsatz des Bundesgrenzschutzes in Frage stellen kann, läßt sich kaum bestreiten.
Ich glaube, daß wir hier in zweifacher Richtung zu einer Änderung kommen müssen. Einmal werden wir die Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder weitgehend vereinheitlichen müssen. Die Ständige Konferenz der Innenminister der Länder hat in dem vor einigen Tagen beschlossenen Sicherheitskonzept in dieser Hinsicht einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Wir haben damit der Erkenntnis Rechnung getragen, daß ein richtig verstandener Föderalismus einer einheitlichen Regelung über die Grundlagen polizeilichen Handelns, insbesondere des Schußwaffengebrauchs, der bereits weitgehend einheitlich geregelt ist, nicht entgegensteht.
Gleichzeitig muß aber sichergestellt werden, daß das materielle Recht, nach dem der Beamte des Bundesgrenzschutzes zu handeln hat, diesen polizeilichen Grundsätzen entspricht. Mit Rücksicht auf die unter Umständen notwendig werdenden Eingriffe in die Freiheitssphäre des Bürgers muß die Ausübung polizeilicher Funktionen an die gesetzlichen Ermächtigungen und Einschränkungen gebunden sein, die die Polizei zu beachten hat.
In engem Zusammenhang hiermit ist auch die zweite Frage zu sehen, die ich hier heute behandeln will. Es geht darum, daß die Ausbildung des Bundesgrenzschutzes entsprechend der Konzeption des neuen Bundesgrenzschutzgesetzes umgestellt werden muß. Die derzeitige Ausbildung im Bundesgrenzschutz ist vorwiegend auf den verbandsmäßigen Einsatz ausgerichtet. Rund 90% aller Beamten des Bundesgrenzschutzes sind in Verbänden organisiert. Der geschlossene Einsatz im Truppenverband ist zur Zeit typisch für den Bundesgrenzschutz. Dem entspricht es auch, daß überwiegend Kurzdienende beim Bundesgrenzschutz sind. Bei der heutigen Ausbildungskonzeption - das möchte ich deutlich herausstellen - kann ein Einsatz des Bundesgrenzschutzes nach § 9 des Entwurfs auf Schwierigkeiten stoßen, die sich sowohl auf die Effektivi11462
Staatsminister Schwarz
tät des Einsatzes als auch auf die Durchsetzung der polizeilichen Führungsgrundsätze nachteilig auswirken können. Die im Bericht hierzu vorgelegten Grundsätze finden die volle Unterstützung und Billigung.
Die Länder halten es deshalb für notwendig, daß der Bundesgrenzschutzbeamte eine Ausbildung erhält, die auch auf den Einsatz im Einzeldienst ausgerichtet ist. Denn nur dann wird der Bundesgrenzschutz in der Lage sein, bei der Ausübung polizeilicher Funktionen eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, die im nichttruppenmäßigen Einsatz eine sorgfältige Abwägung nach dem Opportunitätsprinzip und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nötig machen.
Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit der Umstellung der Ausbildung im Bundesgrenzschutz anerkannt und auch bereits entsprechende Schritte angekündigt. Für die Länder bleibt zu hoffen, daß dieses Vorhaben möglichst bald verwirklicht wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß meiner Ausführungen nochmals feststellen, daß der Bundesrat und die Länder das Bundesgrenzschutzgesetz in der vom Innenausschuß des Bundestages beschlossenen Fassung als eine gute Grundlage für eine reibungslose und wirksame Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern insbesondere auf dem Gebiet der inneren Sicherheit betrachten. Ich darf Sie daher auch als Beauftragter des Bundesrates bitten, dieser Fassung des Gesetzentwurfs Ihre Zustimmung zu geben.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister des Innern, Herr Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Vertreter des Bundesrates sich in so positiver Form über das Bundesgrenzschutzgesetz, über die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes und über den Bundesgrenzschutz selbst geäußert haben. Das war dringend notwendig; denn als wir die Arbeit an dem Ausbau der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1969 aufnahmen, bestand gerade im Bereich des Bundesgrenzschutzes ein hohes Maß an Unsicherheit und Ungewißheit über die Zukunft dieser Polizeitruppe des Bundes.
Die Entscheidung der Bundesregierung für einen Ausbau des BGS über die lange Zeit geltende Obergrenze von 20 000 Beamten hat gezeigt, daß der BGS in der Sicht der Bundesregierung als ein wesentlicher Faktor der inneren Sicherheit nicht nur seinen Platz hat, sondern daß er eine zusätzliche größere Aufgabenstellung zu erwarten hat.
Wir können heute feststellen, daß bei den Vereinbarungen des Bundes mit den Bundesländern über ein Programm für die innere Sicherheit diese Vorstellungen der Bundesregierung über den Ausbau und den Einbau des BGS in ein Gesamtkonzept für
die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung der Bundesländer gefunden haben.
Damit ist akzeptiert worden, daß der BGS als ein jederzeit abrufbereites Sicherheitspotential zusätzlich zu seiner unverändert vorrangigen Grenzsicherungsaufgabe den Ländern in Respektierung ihrer Polizeihoheit, ihrer Anforderungen und ihrer Einsatzregeln zur Verfügung steht. Dies Angebot des Bundes hat sich bereits in den letzten Jahren bewährt. Eine Reihe von Bundesländern haben davon Gebrauch gemacht. Ich nenne die Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und auch den Freistaat Bayern. Das zeigt, daß die Bundesländer erkannt haben, daß der BGS ihnen bei ihren schweren Bemühungen um die innere Sicherheit hilfreich zur Seite stehen kann. Für den Bundesgrenzschutz ist es eine Anerkennung seines Leistungsstandes und seiner Ausbildung.
Der Bundesgrenzschutz ist schon heute für den Einsatz nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgebildet. Wer den Einsatz des BGS im Grenzgebiet kennt, der weiß, wie oft ein einzelner Beamter - meist sind es die unteren Dienstgrade - sehr genau abwägen muß, welche Maßnahme verhältnismäßig ist. Nur die Tatsache, daß immer wieder das richtige Maß getroffen wird, hat uns in der Vergangenheit eine Reihe von schwierigen, möglicherweise hochpolitischen Konflikten erspart. Mir liegt daran, den Beamten des BGS für die Besonnenheit im Einsatz im Grenzgebiet den Dank der Bundesregierung auszusprechen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz gibt dem BGS eine klare Aufgabenstellung; seine Funktion in einer einheitlichen Sicherheitskonzeption von Bund und Ländern ist deutlich umschrieben. Insbesondere ist durch die - wie die Bundesregierung unverändert der Meinung ist - klarstellende Ergänzung des Grundgesetzes sichergestellt, daß der BGS in allen Fällen von besonderer Bedeutung auf Anforderung der Länder eingesetzt werden kann. Den Ländern wird ein Rechtsanspruch auf Unterstützung durch den BGS eingeräumt.
Dabei bringt das Gesetz eindeutig zum Ausdruck, daß die Unterstützung der Polizei eines Landes durch den BGS weder die politische Verantwortung noch die Kompetenz des Landes berührt oder das anzuwendende Recht ändert. Diese Regelung zeigt beispielhaft die Gestaltungskraft eines richtig verstandenen kooperativen und konstruktiven Föderalismus. Man kann sagen, daß mit der Zustimmung der Länder zum Programm für die innere Sicherheit und auch mit der positiven Bewertung dieses Gesetzentwurfs der Föderalismus in unserem Land wirklich seine Bewährungsprobe bestanden hat.
Und zweitens ist wichtig: Die Aufgaben des BGS sind eindeutig polizeilicher Natur. Dies ist manchmal in der Vergangenheit in Zweifel gezogen worden. Das Gesetz verdeutlicht unmißverständlich: Der Bundesgrenzschutz ist eine Polizei des Bundes,
und niemand wird künftig seinen polizeilichen Charakter noch in Frage stellen können.
Mit dem Bundesgrenzschutzgesetz erhält der BGS zum erstenmal eine klare und umfassende gesetzliche Regelung seiner Befugnisse. Das, meine Damen und Herren, ist ein in der Beratung gelegentlich übersehener, aber um so bedeutsamerer rechtsstaatlicher Fortschritt, weil bisher die Befugnisse des BGS im wesentlichen in einer Dienstanweisung geregelt waren. Dieser Teil des Entwurfs ist für das tägliche Handeln der Beamten des BGS von wesentlicher Bedeutung. Dieses Gesetz dient damit auch der Sicherheit und Sicherung unseres Rechtsstaates mit rechtsstaatlichen Mitteln und damit auch der Wahrung der Rechte unserer Bürger.
Die Verabschiedung des neuen BGS-Gesetzes bedeutet einerseits die folgerichtige Fortentwicklung schon in der Vergangenheit eingeleiteter Maßnahmen, andererseits stellt sie aber auch einen neuen Anfang dar. Mit dem BGS-Gesetz ist die Reformarbeit auf diesem Teilgebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung keineswegs abgeschlossen. Sie muß weitergehen. Dabei muß deutlich gemacht werden, daß der BGS, den das neue Gesetz als eine Polizei des Bundes ausdrücklich bezeichnet, die Aufgaben, die das Gesetz und die gemeinsame Sicherheitskonzeption von Bund und Ländern ihm zuweisen, auch tatsächlich erfüllen kann.
Das bedeutet - und hier stimme ich voll mit meinen Vorrednern überein -, daß das Dienstrecht für diese Polizei des Bundes umgestellt werden muß. Das Dienstrecht der Polizeivollzugsbeamten des Bundes wird dem Dienstrecht der Polizeivollzugsbeamten der Länder angeglichen und damit das Recht der Polizeivollzugsbeamten allgemein vereinheitlicht werden. Dazu gehört auch, daß die BGS-Beamten in dieselben Besoldungsgruppen eingeordnet werden wie die Polizeibeamten der Länder. Dazu gehört ebenso, daß sie unter denselben Voraussetzungen wie vergleichbare Beamte der Länder die allgemeine Polizeizulage erhalten müssen. Dieser Auffassung hat die Bundesregierung bereits im Grundsatz zugestimmt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in der Berichterstattung über das Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern ist gelegentlich die Frage aufgeworfen worden, wie denn die in diesem Sicherheitsprogramm vorgesehenen Maßnahmen von Bund und Ländern finanziell abgesichert werden sollen. Ich kann für die Bundesregierung erklären, daß schon in den vergangenen Haushaltsjahren durch eine Überschreitung der ursprünglichen Planstellenzahl von 20 000 - und mit der Zielrichtung, bis 1973 22 600 Planstellen beim BGS zu schaffen - die Voraussetzung dafür gegeben worden ist, daß allein im Bereich des Bundes innerhalb dieser Legislaturperiode zusätzlich 2600 Stellen nur beim BGS geschaffen werden. Dazu kommen noch über 1000 Stellen mehr beim Bundeskriminalamt; das heißt über 3600 Stellen.
Wenn man bedenkt, daß bei Amtsantritt der Bundesregierung die Besetzung der Planstellen vor allem beim BGS weit hinter dem Stellenplan zurückhing und daß wir in der Lage waren, diese Zahl um fast 2000 zu erhöhen, dann zeigt das, daß auf einer gesicherten finanziellen Grundlage im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, korrigiert durch das Schwerpunktprogramm vom Februar dieses Jahres, die Voraussetzungen dafür geschaffen sind, daß mittelfristig der Bundesgrenzschutz seine Aufgaben erfüllen kann, ohne in Sorge darüber sein zu müssen, ob denn tatsächlich die personellen oder materiellen Voraussetzungen geschaffen werden können.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hanz?
Herr Minister, darf ich fragen, wie viele der 2000 zusätzlichen Leute im Bundesgrenzschutz Dienstpflichtige sind?
Herr Abgeordneter, ich habe mich zu der Frage, ob es sich um Dienstpflichtige handelt oder nicht, nicht geäußert. Fest steht, daß diese Dienstpflichtigen in der gegenwärtigen Situation unentbehrlich sind. Ich teile aber die Auffassung der Redner, die hier gesprochen haben, daß es unser Ziel sein muß, und zwar möglichst schnell, Dienstpflichtige durch BGS-Beamte zu ersetzen, weil auch das durch den verstärkt polizeilichen Charakter des BGS gefordert wird.
Mit dem Dank der Bundesregierung für die positive Beurteilung der Aufgaben des BGS und dieses Gesetzentwurfes verbinde ich die Hoffnung, daß es möglich sein wird, die Aufgaben, die das Gesetz dem BGS stellt, auch durch die Werbung der ausreichenden Zahl von Beamten effektiv erfüllen zu können. Die Bundesregierung wird das in ihrer Kraft Stehende tun, um durch eine auch tatsächliche Ausführung der Zielvorstellungen dieses Gesetzentwurfs ihren Beitrag zu leisten zu einer Verstärkung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache in der zweiten Lesung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe den ersten bis achten Abschnitt mit den §§ 1 bis 74, Einleitung und Überschrift auf. Wir können wohl zusammen abstimmen. - Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Die dritte Lesung wird bis zur Erledigung der zweiten Lesung des Punktes 23 der Tagesordnung ausgesetzt.
Ich rufe Punkt 23 auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes
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- Drucksache VI/1179 11464
Präsident von Hassel
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksachen VI/3533, zu VI/3533 Berichterstatter: Abgeordneter Vogel
Abgeordneter Sieglerschmidt ({3})
Ich darf den Berichterstattern für ihre Berichte danken. - Wünschen Sie als Berichterstatter das Wort? - Das Wort zur Ergänzung des Berichts hat der Berichterstatter Abgeordneter Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die umfangreichen Änderungen, die sich als Ausfluß der Verfassungsänderung und der inhaltlichen Umgestaltung der Verfassungsänderung ergeben haben, haben leider ein redaktionelles Versehen in den Gesetzentwurf einfließen lassen. Ich glaube, daß wir dieses redaktionelle Versehen hier dadurch berichtigen können, daß wir in der Vorlage des Ausschusses in Art. 1 zu § 3 Abs. 1 Ziffer 3 die Worte „im Bundesgebiet" ersetzen durch „im Geltungsbereich dieses Gesetzes". Das ist notwendig wegen der besonderen Problematik der Übernahme dieses Gesetzes in Berlin.
({0})
In Ziffer 2 des gleichen Absatzes haben wir es richtig gemacht. Bei der Übernahme des geänderten Textes der Verfassungsänderung sind die Worte „im Bundesgebiet" in die Ziffer 3 mit hineingeraten.
Das zur Ergänzung der Berichterstattung!
Herr Präsident, eine Erklärung für die Fraktion zu diesem Gesetz soll nicht mehr abgegeben werden; ich darf das gleich an dieser Stelle sagen. Die dazu notwendigen Ausführungen sind heute morgen im Zusammenhang mit der Verfassungsänderung gemacht worden.
({1})
Es liegt noch die Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt vor; ich sehe, daß er auf diese Wortmeldung verzichtet.
Dann kommen wir zur Abstimmung über das Verfassungsschutzänderungsgesetz in zweiter Lesung. Ich rufe die Artikel 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen bei den Tagesordnungspunkten 21, 22 und 23 zur dritten Beratung:
des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Waffengesetzes
des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz
des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den drei hier heute zu verabschiedenden Gesetzen namens der Fraktion der CDU/CSU eine Erklärung abgeben und mit Rücksicht auf die Länge der bisherigen Beratung versuchen, die Ausführungen dazu kurz zu halten.
Wir betrachten diese drei Gesetze im Zusammenhang mit dem heute verabschiedeten Gesetz zur Änderung des Haftrechts als einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit. Wir haben vor einigen Wochen unsere Bereitschaft bekundet, diese Gesetze noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Wir haben diese Bereitschaft an die Bedingung geknüpft, daß unsere Vorstellungen zu diesen Gesetzen in ihnen gebührend Beachtung finden. Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß wir uns in den wichtigsten Fragen mit unseren Vorstellungen haben durchsetzen können. Das hat es uns möglich gemacht, sowohl die Änderung der Verfassungsbestimmungen mitzumachen als auch den hier vorliegenden Gesetzen zuzustimmen.
Ich betone, daß es sich um einen Teilbeitrag zum Bereich der inneren Sicherheit handelt. Das bedeutet, daß wir es hierbei nicht bewenden lassen können, sondern daß weitere gesetzgeberische und auch sonstige Maßnahmen zur Förderung der inneren Sicherheit in unserem Lande notwendig sind, um das Vertrauen der Bevölkerung in die innere Sicherheit herzustellen, das notwendig ist, damit die Demokratie in unserem Lande und auch im Bewußtsein der Bevölkerung fest verankert ist, damit sich die Bevölkerung darauf verlassen kann, daß sie in diesem Lande in geschützter Sicherheit leben kann. Das ist das Anliegen gewesen, das wir bei unserer Mitwirkung an diesen Gesetzen verfolgt haben. Das Ergebnis hat uns die Zustimmung zu diesen Gesetzen möglich gemacht. Wir werden diesen Gesetzen zustimmen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Liedtke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die Koalitionsfraktionen einige Schlußbemerkungen machen.
Ich denke, daß wir mit diesen vier Gesetzen und dem Konzept, das zwischen Bund und Ländern vereinbart worden ist, in durchdachter und solider Weise die innere Sicherheit in diesem Lande auch für die überschaubare Zukunft gefestigt haben.
Ich nehme es Herrn Kollegen Vogel nicht übel, wenn er auch beim Schlußwort in der dritten Lesung noch in altgewohnter Manier verzweifelt Erstgeburtsrechte hier anmelden will. Herr Vogel, in einigen Punkten haben Sie genau Ihre Ansicht nicht
durchgesetzt, und das ist gut so. Ich will mich hier nicht mehr in langen Ausführungen ergehen, möchte aber ganz klar sagen, daß für die Koalition der Ausgangspunkt aller Überlegungen zu weiteren Gesetzen im Bereich der inneren Sicherheit der ist, den Raum der persönlichen Freiheit und der politischen Auseinandersetzung vor jeder Einengung zu bewahren, und dazu gehört auch die praktisch angewendete Gewalt. Alles, was darüber hinweggeht, ist von Übel. Wer sich freihalten will von dem Vorwurf, in der Manier eines politischen Giftkochers unbequeme politische Ausdrucksformen in eine ausgefranste Definition der Kriminalität hineinzuschmuggeln, muß sich gerade in diesem Bereich jeder Polemik enthalten.
({0})
Wir haben, besonders im Bereich des Haftrechts, nicht immer den Eindruck, daß von allen Seiten des Hauses diese saubere Grenze ganz klar gesehen wurde.
({1})
Ich will zu Einzelheiten dieser Gesetze nichts mehr sagen. Lassen Sie mich nur noch einmal im Grunde den gleichen Gedanken in anderer Form zusammenfassen. Sicherheitspolitik - ich glaube, das haben die Debatten nicht nur heute, sondern auch in der vorigen Woche gezeigt - ist ein dynamischer Prozeß. Sie ist nicht abhängig von Gesetzen in Richtung von law und order, sondern sie ist verschiedenen Faktoren unterworfen. Sie ist ebenso vom Verhalten des Parlaments und von der Form der demokratischen Auseinandersetzung, die wir hier pflegen, abhängig.
Meine Damen und Herren, wenn hier in diesem Hause ein Kollege fehlt, der sich zu den Fragen der Sicherheitspolitik folglich auch nicht zu Wort melden kann, auch nicht hoch interessiert zu sein scheint, aber es vorzieht, in die geistige Urlaubsemigration zu gehen, dort ein schmutziges Pamphlet zu verfassen, das in Form eines Briefes an den Bundeskanzler zu leiten, in einem Stil und Ausdruck, die stark nach geistiger Fäulnis riechen - so will ich das einmal sagen -, geben wir kein gutes Beispiel.
({2})
- Soll ich auch den Namen hier nennen? Ich sage noch einmal: auch die Form der politischen Auseinandersetzung des Parlaments ist ein Teil der inneren Sicherheit, ebenso wie der Erfolg der Reformpolitik der Regierung, ebenso wie die Integrationsfähigkeit dieser Gesellschaft, der Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsorgane und der Gesetze, die wir in sauberer Grenzscheidung, verständlich für jeden Bürger, daß sie ausschließlich seinem Schutz dienen, schaffen.
Wer diesen dynamischen Prozeß einer Sicherheitspolitik statisch und an einer Falldemonstration diskutieren will, gerät leicht, gewollt oder ungewollt, in die Versuchung, durch überzogene Maßnahmen dem Ganzen zu schaden.
({3})
- Ja, das schmeckt Ihnen nicht alles so! Ich darf noch einmal sagen: Ziel unserer Sicherheitspolitik
ich wiederhole mich bewußt - ist die Erhaltung der persönlichen Freiheit, der politischen Handlungsfreiheit, damit sind wir gegen Gewalt, aber auch gegen unangemessene Eingriffe des Staates.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Liedtke machen es notwendig, einige Ergänzungen zu dem anzubringen, was ich versucht habe hier in der abschließenden dritten Lesung auszuführen. Herr Kollege Liedtke, zunächst einmal, glaube ich, ist eine Politik, die sich an der Zielvorstellung Recht und Ordnung orientiert, eine legitime Politik. Wir haben darüber in der Sicherheitsdebatte gesprochen. Ganz sicher ist das eine in der Demokratie legitime Politik, und Sie sollten aufhören, Bemühungen für den Bereich der inneren Sicherheit mit der abwertenden Parole Law-and-order-Denken zu bedenken.
({0})
Ich glaube, daß das die Auseinandersetzung in diesem Bereich nicht erleichtert, sondern die Auseinandersetzung in diesem Bereich weiterhin belasten und erschweren kann.
Das Zweite. Sie haben einen Kollegen dieses Hauses genannt und haben unqualifizierte Bemerkungen dazu gemacht. Das ist ein Kollege, der im Augenblik nicht anwesend ist und der sich dazu im Augenblick nicht erklären kann. Ich darf nur sagen, daß das, was dieser Kollege geschrieben hat, seine ihm zustehende freie Meinungsäußerung ist. Lesen Sie bitte das, was Herr Professor Steinbuch an den Bundeskanzler geschrieben hat, nach! Sie werden die gleichen Gedankengänge wiederfinden wie dort.
({1})
Wir werden uns noch sehr viel mit der Frage zu beschäftigen haben, die auch in der Debatte über die innere Sicherheit eine Rolle gespielt, wie es denn mit den intellektuellen, mit den geistigen Ursachen für das, was an politischer Gewaltkriminalität sich in diesem Land entwickelt hat, aussieht. Ich habe es vorhin vermieden, diesen Fragenkomplex hier heute noch einmal anzusprechen. Nachdem der Herr Kollege Liedtke es für erforderlich gehalten hat, das zu tun, scheint es mir notwendig zu sein, dazu doch noch einige Bemerkungen zu machen. Zunächst einmal glaube ich, daß die Öffentlichkeit ein sich von Tag zu Tag steigerndes Interesse daran hat, die Namen derer kennenzulernen, die in strafrechtlich relevantem Sinne in cien letzten Monaten und Jahren Gehilfen der Baader-Meinhof-Bande gewesen sind. Das ist der eine Punkt.
({2})
Meine Damen und Herren, wir erwarten, daß die Öffentlichkeit hier wirklich volle Aufklärung erhält, cl. h. daß wirklich jeder Name auf den Tisch kommt.
Das zweite ist die Auseinandersetzung mit manchen Kräften im Bereich der Intellektuellen. In diesen Wochen hat sich ein Streit entzündet. Wir haben feststellen können, daß diejenigen, clie mit Namen genannt sind, nicht die sachliche Auseinandersetzung suchen, sondern beleidigt Äußerungen von sich geben und sich sozusagen in Selbstidentifikation mit sämtlichen Intellektuellen dieses Landes einer sogenannten Intellektuellenhetze ausgesetzt sehen.
Meine Damen und Herren, wer sich in die aktuellen Auseinandersetzungen begibt, muß es sich gefallen lassen, daß er auch kritisiert wird. Auch ein Schriftsteller, auch ein Dichter in diesem Lande kann sich dann einer solchen kritischen Auseinandersetzung nicht entziehen, sondern sollte sich vielleicht das zu Gemüte führen, was einer der führenden Intellektuellen der französischen Revolution, Saint Just, gesagt hat - ich zitiere wörtlich -:
Ich habe mich nie zu erhaben gefühlt, die Sensibilität meines Denkens den Fragen des Tages zu leihen. Aber ich würde mich dieser Sensibilität schämen, wenn sie mich heulen ließe, weil mir der Tag hart antwortet.
Meine Damen und Herren, wir sind bereit, genau in diesem Sinne mit jedem eine geistige, eine intellektuelle Auseinandersetzung zu führen.
({3})
- Herr Kollege Wehner, immer wenn Sie unruhig werden, wird man nachdenklich.
({4})
Herr Kollege Wehner, hier ist eine Reihe von Namen genannt worden. Diese Namen sind unter Bezugnahme auf Zitate genannt worden. Über die Äußerungen kann man sich auseinandersetzen. Keiner von denen, die hier genannt worden sind, wird - bei uns jedenfalls - verschlossene Ohren finden, wenn er sich um eine solche Auseinandersetzung bemüht. Das ist aber offenbar nicht gefragt. Nach den Ausführungen, die hier gemacht worden sind, schien es mir doch notwendig zu sein, in dieser Richtung noch einiges zu sagen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte diesen Teil der Auseinandersetzung nicht vertiefen. Nachdem aber der Herr Vorredner hier gesagt hat, daß derjenige, der sich in die politische Auseinandersetzung begebe, es sich gefallen lassen müsse, daß er auch kritisiert wird,
({0})
was ich durchaus für richtig halte, will ich meine Ansicht dazu vortragen. Manche, die Sie damit meinen, sagen zunächst einmal etwas, das in Rede und Widerrede durchaus auch noch auf eine Mitte zugeführt werden kann, von der man dann nicht sagen könnte, das eine sei unwiderruflich und das andere sei unwiderruflich. Nur eines möchte ich nicht. Am meisten beklage ich, daß manche unter Ihnen in dieser wahrscheinlich noch langen und bitteren Diskussion, wie ich es Ihnen eben gesagt habe, Namen brauchen, damit sich um sie Emotionen entzünden. Das bedaure ich nicht nur, dagegen stelle ich mich. Ich möchte das aufgreifen, was Herr Vogel eben gesagt hat, daß
({1})
- lassen Sie mich doch einmal ausreden, ich habe nur noch zwei Sätze - diejenigen, die sich in die Auseinandersetzung begeben, sich gefallen lassen müßten, daß sie auch kritisiert würden. Einverstanden, Herr Vogel, nur darf das nicht - das möchte ich hinzufügen - schließlich in eine Formel münden oder ausarten, die man auch schon kennt: Wo gehobelt wird, dort fallen eben Späne.
({2})
- Sehen Sie, das wollte ich gerne gehört haben, d. h. ungern, denn das ist eine schreckliche Art der Entartung der Auseinandersetzung,
({3})
wenn man sagt: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das war die Art totalitärer Regime.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
({0})
- Herr Abgeordneter Ott, ich habe das Gefühl, daß Sie eben die Grenzen des parlamentarischen Zurufs überschritten haben.
({1})
Herr Bundesinnenminister, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte gedacht, daß die Debatte über die innere Sicherheit, die wir heute zu führen haben, frei bleiben würde von dem
Versuch, durch Hervorziehen von Zitaten der letzten oder vorletzten Legislaturperiode zu versuchen, den ehrlichen Willen dieses oder jenes Kollegen des Hohen Hauses in Zweifel zu ziehen. Was der Abgeordnete Dr. Stark sich heute morgen auf diesem Gebiet geleistet hat, ist kaum zu überbieten.
({0})
Er hat bei der Beratung der Novelle zur Strafprozeßordnung den Versuch unternommen, die Zuhörer darüber zu täuschen, daß in dieser Legislaturperiode ein anderer Gesetzentwurf zur Debatte steht als in der letzten Legislaturperiode. Herr Kollege Stark, wenn der Entwurf, den wir heute hier verabschiedet haben, in der letzten Legislaturperiode zur Debatte gestanden hätte, hätten meine Fraktion und ich ihm genauso die Zustimmung gegeben wie jetzt. Sie haben ja selbst nicht den Mut gehabt, den damaligen Entwurf heute noch einmal zu präsentieren. Tun Sie doch nicht so, als ob wir unsere Meinung geändert hätten. Sie haben Ihre Meinung geändert, weil Sie nicht die Kraft haben, diesen Entwurf noch einmal vorzutragen. Was jetzt zur Frage der Serientäter beraten worden ist, ist das Ergbnis sehr gründlicher Untersuchungen und Erhebungen, es ist auch das Ergebnis gründlicher Untersuchungen und Erhebungen, es ist auch das Ergebnis gründlicher Beratungen in der Innenministerkonferenz der Länder, von der aus ja der Vorschlag im letzten Jahr gekommen ist - übrigens unter Mitwirkung des Bundes -, an dieser Stelle unseres Rechts die notwendigen Änderungen einzuleiten.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung
kann mit dem, was sie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit getan hat, vor die Bürger dieses Landes treten. Um nur zwei Zahlen zu nennen, die unbestreitbar sind: In der letzten Legislaturperiode sind die Ausgaben des Bundes für die innere Sicherheit um ganze 22 Millionen DM pro Jahr erhöht worden. In dieser Legislaturperiode werden sie um 400 Millionen DM pro Jahr erhöht.
({1})
- Herr Kollege, ich bin manchmal erstaunt, mit welcher Unbefangenheit Mitglieder dieses Hauses das Wort Inflation verwenden.
({2})
Man hat das Gefühl, Sie wissen gar nicht, was der Begriff Inflation in der Erfahrung einer ganzen Generation unseres Volkes ausdrückt.
({3})
Ich würde wirklich meinen, daß gerade Mitglieder des Hohen Hauses - das sage ich jetzt nicht als Mitglied der Bundesregierung -- sehr differenzieren sollten zwischen der Sorge um die Erhaltung der Stabilität unserer Währung, einer Sorge, die wir genauso haben wie alle unsere Nachbarvölker auch - nur manche dort wesentlich stärker -, und der Verwendung des Begriffes Inflation. Man kann
eine Inflation, meine Damen und Herren, durch leichtfertigen Gebrauch des Begriffs auch herbeireden. Das muß jeder wissen, der diesen Begriff verwendet.
({4}) In der Regierungserklärung hieß es:
Um die Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten, wird die Bundesregierung die Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung energisch vorantreiben. Sie wird unverzüglich die Arbeit an einem Sofortprogramm aufnehmen und dieses dem Deutschen Bundestag im Jahre 1970 zuleiten.
Wir haben im Jahre 1970 das Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung vorgelegt, das vor allem einen intensiven Ausbau, und zwar in personeller und technischer Hinsicht, des Bundeskriminalamts vorsah. Wir haben dieses Programm durch das Schwerpunktprogramm im Februar dieses Jahres ergänzt. Das Gesetz über den Bundesgrenzschutz, die Novelle zum Verfassungsschutzgesetz, das Waffenrecht und auch die Änderung des Untersuchungshaftrechts passen sich ein in diese Sicherheitskonzeption, die die Bundesregierung vorgelegt hat und die ihrerseits wiederum Teil der Gesamtsicherheitskonzeption von Bund und Ländern geworden ist.
Meine Damen und Herren, ich habe Anlaß zu der Feststellung, daß diese Gesamtkonzeption von Bund und Ländern nicht etwa, wie man heute gelegentlich in Zeitungen lesen konnte, das Ergebnis der Besorgnis aus den Terrorakten der letzten Monate ist, sondern das Ergebnis langwieriger, sehr gründlicher, objektiver und leidenschaftsloser Beratungen von Innenministern aller demokratischen Parteien, die sich hier ihrer Gesamtverantwortung für die innere Sicherheit unseres Staates gestellt haben.
({5})
Ich möchte wünschen, daß es uns möglich ist, auch in den Debatten dieses Hauses dieser Gesamtverantwortung gerecht zu werden, so wie das im Innenausschuß des Deutschen Bundestages, dessen Vorsitzenden ich hier für seine zügige Verhandlungsführung gerade bei diesen Gesetzen ausdrücklich danken möchte, der Fall ist, wo wir alle zusammengewirkt haben, um dieses Programm für die innere Sicherheit für diesen Teilbereich zum Abschluß zu bringen.
Der demokratische Rechtsstaat bewährt sich in seiner Stärke, auch mit Belastungen für die innere Sicherheit fertig zu werden. Der demokratische Rechtsstaat bewährt sich darin, daß er auch schärfste und stärkste Belastungen der inneren Sicherheit nur mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft und ihnen mit den Mitteln des Rechtsstaates entgegentritt. Die demokratischen Kräfte in diesem Staat müssen sich bewähren, indem sie die Diskussion über die innere Sicherheit leidenschaftslos und ohne Verdächtigung des politischen Gegners führen.
({6})
Meine Damen und Herren, inzwischen hat sich noch der Abgeordnete Dr. Stark zu Wort gemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich würde Ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen, wenn der von mir heute früh noch sehr verehrte, inzwischen nicht mehr so sehr verehrte Minister Genscher
({0})
nicht, wie ich jetzt festgestellt habe, mit einer Retourkutsche versucht hätte, dieses Parlament über seine Einstellung zu jeglicher Haftrechtsnovelle im Jahre 1969 zu täuschen. Noch heute morgen habe ich dem Herrn Minister das Protokoll vorgelegt, und er konnte es selbst nachlesen - wie er und seine ganze Fraktion -, voran Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, die heute konsequenterweise auch gegen dieses Gesetz gestimmt hat,
({1})
wie vor allem der Herr Staatssekretär Dorn durch Zwischenrufe unter Bezugnahme auf den Professor Klug - den inzwischen sehr bekannten Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen ({2})
jegliche Haftrechtsänderung abgelehnt haben.
Herr Minister, ich weise es mit aller Entschiedenheit zurück, wenn Sie hier den Versuch machen, mich
einer Täuschung zu bezichtigen. Nicht ich, sondern Sie haben eben den Versuch gemacht, dieses Parlament über Ihre Haltung im Jahre 1969 zu täuschen,
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ungern zitiere ich aus dicken Büchern; der Abgeordnete Stark zwingt mich dazu. Ich habe ausweislich des Protokolls der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. Januar 1969 erklärt:
Hier geht es darum, daß wir nicht ohne ausreichende Unterlagen, ohne eine Ubersicht über diese Fälle unter Verletzung wirklich tragender Prinzipien unserer Rechtsordnung, auch ... unter Außerachtlassung der schwerwiegenden Argumente des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei Sittlichkeitsdelikten voreilig eine Entscheidung treffen.
Wer angesichts dieser Feststellung sagt, ich hätte zu dieser Frage ein absolutes Nein gesagt, behauptet etwas Falsches. Wir sind nicht voreilig, nicht ohne ausreichende Unterlagen vorgegangen! Diese Unterlagen sind da; diese Unterlagen ermöglichen es uns heute, eine rechtsstaatlich einwandfreie und für die innere Sicherheit notwendige Regelung zu treffen.
({0})
Wir stehen am Ende der Aussprache über die Punkte 21, 22 und 23 der heutigen Tagesordnung. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über das Waffengesetz ab. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist bei einer Gegenstimme und keiner Stimmenthaltung angenommen.
Wir haben noch über einen Entschließungsantrag abzustimmen. Ich gehen davon aus, daß wir gleichzeitig mit dem Punkt 2 des Ausschußberichtes die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklären und darüber abstimmen können. Herr Professor Schäfer, sind Sie einverstanden? - Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zur Abstimmung über den Punkt 22 der Tagesordnung - Bundesgrenzschutzgesetz. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? -- Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir haben nun noch über den Entschließungsantrag unter gleichzeitiger Erledigung der zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen abzustimmen. Auch das kann, Herr Professor Schäfer, zusammen geschehen. Wer dem zustimmt, bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Wer diesem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig gebilligt.
Wir haben hier noch die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erldigt zu erklären; es ist so beschlossen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Ich rufe den Punkt 28 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hauser ({0}), Erhard ({1}), Dr. Lenz ({2}), von Thadden, Vogel und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
- Drucksache VI/3441
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache VI/3501 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Beermann Abgeordneter
Dr. Hauser ({4})
({5})
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich danke den Herren Berichterstattern Dr. Beermann und Dr. Hauser ({6}) für ihren Bericht. Das Wort zur Ergänzung des Berichts wird von den Berichterstattern nicht erbeten.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauser ({7}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrag meiner Fraktion empfehle ich die Annahme des Initiativantrags, den meine Freunde zusammen mit mir eingebracht haben, um die notwendige Entlastung des Bundesgerichtshofs auch weiterhin zu sichern. Würde nämlich das mit dem 15. September dieses Jahres auslaufende Gesetz nicht verlängert, käme auf den Bundesgerichtshof eine neuerliche Flut von Revisionen zu, die er nicht in angemessener Frist bewältigen könnte. Alte Klagen, die 1969 das Entlastungsgesetz notwendig gemacht haben, würden wieder laut, daß Revisionsverfahren oft zwei Jahre und länger dauerten, eine derartige Verzögerung für den rechtsuchenden Bürger nicht zumutbar sei und sich am Ende wie eine Rechtsverweigerung aus-
I) wirke. Gerade dies, meine Damen und Herren, muß aber verhütet werden.
Zwar hat auch der Herr Justizminister eine Vorlage zum Revisionsrecht in den Gesetzgebungsgang eingeführt, sie aber trotz mehrfacher Ankündigung unverständlicherweise so spät zur Beratung gestellt und zudem mit einer solchen Fülle von Problemen beladen, daß sie im Rechtsausschuß bis heute nicht einmal andiskutiert, geschweige denn sachgerecht beraten werden konnte.
Herr Abgeordneter Hauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt?
Herr Kollege Hauser, würden Sie zugestehen, daß die Bundesregierung bei der Einbringung von Gesetzesvorlagen an die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesregierung gebunden ist, die es ihr auferlegt, vorher eine Unzahl von Verbänden und vor allen Dingen die Länder zu hören, was notwendigerweise ohne Verschulden der Bundesregierung zu einem relativ langwierigen Gang der Vorlage eines Gesetzentwurfs führt?
Herr Arndt, ich darf Sie daran erinnern, daß schon im ersten Jahresbericht, den die Regierung vorlegte, der Herr Justizminister für das Justizressort die sehr baldige Einbringung dieser Vorlage zugesagt und sich dann
mindestens fünf-, sechsmal in langen Reden darüber ausgelassen hat. Es bleibt aber jetzt kein anderer Weg als eben die Verlängerung des Gesetzes aus dem Jahre 1969.
Dies erscheint um so mehr vertretbar, als wir mit dem Entlastungsgesetz des Jahres 1969 entgegen den damaligen Unkenrufen recht gute Erfahrungen gemacht haben und der Überhang von Revisionssachen inzwischen, wie allgemein anerkannt wird, entscheidend abgebaut werden konnte. Die früheren Klagen, die Prozesse dauerten zu lange, sind verstummt.
So ist es auch durchaus zweckmäßig, dieses System des Entlastungsgesetzes noch weiter zu erproben, statt die Erprobung ohne zwingenden Grund vorzeitig abzubrechen, kann sich doch hier eine neue Form der Revision entwickeln, die durchaus zu einem annehmbaren Kompromiß in dem alten Prinzipienstreit führt, ob Rechtseinheit und Rechtsfortbildung allein die Aufgabe der Revision sein soll oder ob nicht gerade auch die Einzelfallgerechtigkeit hierbei sehr wohl mit beachtet werden muß! Trotz der jahrzehntelangen Diskussion ist ja bis heute ein allgemeiner Konsens, der zur Klärung einer solchen Grundsatzfrage notwendig wäre, noch nicht gefunden worden. Auch der Entwurf des Herrn Bundesjustizministers hat uns keineswegs den Weg gezeigt, auf dem wir zu einer tragbaren Lösung kommen könnten, die alle hier betroffenen Kreise einigermaßen befriedigen würde. Ganz im Gegenteil, der Regierungsentwurf hat schon erhebliche Kritik ausgelöst, und mit seinen offenen Fragen, ja, mit seinen Unzulänglichkeiten, wird er bestimmt erneut eine breite Diskussion entfachen.
Noch ein weiterer Grund rechtfertigt den Vorschlag des Rechtsausschusses, das geltende Entlastungsgesetz zu verlängern. Eine recht weitgreifende Justizreform ist ja geplant, die z. B. eine beträchtliche Vermehrung der Zahl der Oberlandesgerichte mit sich bringen soll. Daß dann das Revisionsrecht ebenfalls neu überdacht werden muß, ist offenkundig. Es ist daher nicht vertretbar, jetzt eine grundsätzliche Änderung des Revisionsverfahrens zu verabschieden und dann womöglich binnen weniger Jahre das Verfahrensrecht für die Revisionsinstanzen nochmals völlig umzubauen. Vielmehr muß auch eine Neufassung des Revisionsrechts mit der Justizreform Hand in Hand gehen und auf sie abgestimmt sein.
Auf Grund dieser Erwägungen erscheint es nachhaltigst geboten, das Gesetz zur Entlastung des Bundesgerichtshofes zu verlängern - in der festen Erwartung, daß die Zwischenzeit wirklich eine allseits akzeptable Lösung reifen läßt.
Noch eines darf ich anmerken. Leider war es bei der Kürze der Zeit nicht möglich, gleichzeitig für den Bundesfinanzhof ein Entlastungsgesetz zu konzipieren. Sicherlich muß nicht zwangsläufig mit diesem Gesetz auch ein Entlastungsgesetz für den Bundesfinanzhof verabschiedet werden. Daß aber der Gesetzgeber gerade für die Finanzgerichtsbarkeit ebenfalls möglichst bald eine Entlastung vorsehen muß, steht außer allem Zweifel. Es gilt
Dr. Hauser ({0})
darum, gerade diese Aufgabe anzupacken und bei aller Problematik, die dabei klarzustellen ist, auch zu lösen. Vordringlich aber muß die hier in Rede stehende Vorlage verabschiedet werden, der meine Fraktion voll zustimmt.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Passage in der Erklärung des Kollegen Dr. Hauser kann nicht unwidersprochen bleiben. Er hat hier dem Bundesjustizminister vorgeworfen, dieser habe seinen Gesetzentwurf zur Reform des Revisionsrechts spät eingereicht. Zugunsten der Wahrheit und zur Bekämpfung der heute etwas übertriebenen Kritikbereitschaft des verehrten Kollegen Dr. Hauser nur folgendes: Das Gesetz zur Entlastung des Bundesgerichtshofes ist am 15. September 1969 in Kraft getreten. Es war notwendig, die Auswirkungen dieses Gesetzes ein Jahr lang zu beobachten. Man kann nämlich nicht sagen: wenn das Bundesjustizministerium Rechtstatsachenforschung betreibt, um Reformen voranzutreiben, ist es Verzögerung; wenn andere nach Rechtstatsachenforschung schreien - um Reformen zu verhindern -, ist es am Platze. Dieses Recht und diese Pflicht haben alle.
Nach einem Jahr der Beobachtung, die schon wegen der Änderungen im Entlastungsgesetz - Möglichkeit der Verwerfung von Revisionen durch Beschluß; Verzicht auf Begründung für die Verwerfung von Verfahrensrügen - nötig war, ist dann nach dem Verfahren, das die Geschäftsordnung der Bundesregierung vorschreibt, der Entwurf der Regierung zum Revisionsrecht erarbeitet worden. Er war am 15. Dezember 1971 im Kabinett, und die Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrates im ersten Durchgang kam von der Bundesregierung bereits binnen zwölf Tagen, obwohl sie sechs Wochen Zeit dazu hat. Daß dieser Entwurf dann im Bundestag und seinem Rechtsausschuß nicht zügig beraten werden konnte, lag einfach daran, daß wir vom 1. Februar dieses Jahres bis zur Verabschiedung der Ostverträge in zweiter und dritter Lesung in 66 Stunden und 15 Minuten diese völkerrechtlichen Probleme der Ostverträge bis zu den Einzelheiten des Kaschubenproblems so behandelt haben, daß auf den übrigen Gebieten „Stillstand der Rechtspflege" im Rechtsausschuß vorlag. Das hat zwar auch nicht geholfen, Ihnen ein Ja oder ein Nein zu den Ostverträgen zu ermöglichen, aber an diesem Zeitverzug ist der Bundesjustizminister bestimmt nicht schuld, und das ist das Entscheidende. Hier packe sich die Mitte des Hauses an der eigenen wohlgeformten Nase.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wer dem Gesetz in der Schlußberatung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 29 der verbundenen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften
- Drucksachen VI/3282, aus VI/2644 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache VI/3538
Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
Abgeordneter Dr. Hauser ({1})
({2})
Der Berichterstatter Herr Abgeordneter Dürr hat zuerst um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen auf Drucksache VI/3538 vorliegende Schriftliche Bericht bedarf in einem Punkt einer Klarstellung. Es heißt dort zu Art. 1 Nr. 1, daß die ({0}) Simultanzulassung für Rechtsanwälte in Baden-Württemberg und Bayern eingeführt werde. Das Wort „({1})" soll heißen, daß nicht jeder Rechtsanwalt sofort mit seiner Zulassung gleichzeitig am Landgericht und am Oberlandesgericht zugelassen werden kann, sondern daß er fünf Jahre beim Landgericht tätig gewesen sein muß, ehe er die gleichzeitige Zulassung beim Oberlandesgericht beantragen darf. Daß nach fünf Jahren Landgerichtstätigkeit ein beim Landgericht zugelassener Anwalt die Zulassung beim Oberlandesgericht beantragen darf, heißt nicht - um Mißverständnissen vorzubeugen -, daß es umgekehrt einem nur beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwalt verboten sein soll, nach Inkrafttreten dieses Gesetzes auch die Landgerichtszulassung zu erstreben. Dieses Bedenken, das in den letzten Tagen vorgebracht wurde, ist unbegründet. § 226 Abs. 2 durchbricht den Grundsatz des § 25 der Bundesrechtsanwaltsordnung. Nach dem Inkrafttreten können auch die allein beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwälte die Zulassung beim Landgericht beantragen, so wie dies auch in Hamburg der Fall war, als dort die Simultanzulassung nachträglich eingeführt wurde.
Der Rechtsausschuß hat Wert darauf gelegt, Ihnen diesen Schriftlichen Bericht rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen. Deshalb hat der Rechtsausschuß ein Vorhaben, das er erst in seiner letzten Sitzung behandeln konnte, Ihnen als Änderungsantrag auf Umdruck 301 *) vorgelegt. Dies ist nur deshalb ein Änderungsantrag, weil sonst die rechtzeitige Drucklegung des Ausschußberichts nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Ich darf diesen Änderungsantrag in aller Kürze erläutern.
*) Siehe Anlage 4
Hier wird eine Übergangsregelung für diejenigen Rechtsanwälte geschaffen, die von der Änderung von Gerichts- und Verwaltungsbezirken betroffen sind. Der Rechtsausschuß hat Wert darauf gelegt, erst zu beschließen, nachdem er die Meinung der Länder und der Berufsverbände kennengelernt hat. Diese stimmen dem Vorschlag zu, den das Bundesjustizministerium bereits den Ländern als Referentenentwurf unterbreitet hatte. Alles weitere bitte ich der schriftlichen Begründung zu entnehmen, die dem Änderungsantrag beigegeben ist.
({2})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache in der zweiten Beratung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir nur eine kurze Bemerkung erlauben, die ich nicht unterdrücken kann.
Zu Beginn der 3. Legislaturperiode im Jahre 1957 haben wir die Bundesrechtsanwaltsordnung reformiert. Berichterstatter waren damals der Herr Justizrat Weber - noch manchen bekannt - und der Herr Justizrat Wagner, später Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Wir haben mit großer Begeisterung die Singularzulassung eingeführt und uns bei
den Überlegungen, wie wir bei der Einführung etwaige Härten beseitigen könnten, sehr viel Mühe gegeben. Das war vor über 14 Jahren. Jetzt streichen wir wieder alles aus und machen genau das Gegenteil. So wechselhaft sind die Grundlagen unserer Gesetzgebung!
({0})
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 301 Ziffer 1 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Angenommen.
Wer dem Art. 1 in der nunmehr geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig gebilligt.
Ich rufe Art. 2 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Umdruck 301 Ziffer 2 vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig gebilligt.
Ich rufe nunmehr Art. 2 - in der geänderten Fassung -, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Zunächst hat sich der Herr Abgeordnete Dr. Hauser zu Wort gemeldet. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben:
Der Rechtsausschuß hat mit der Vorlage Drucksache VI/3538 die ganz besonders drängenden Probleme im Bereich des Anwaltsrechts vorab behandelt und gleichzeitig zwei weitere Fragen, die ebenfalls beschleunigt eine Lösung erforderten - Herr Kollege Dürr hat das gerade begründet -, zusätzlich aufgegriffen und sie in dem Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf zusammengefaßt.
Meine Freunde begrüßen mit mir diese Vorlage und stimmen ihr voll zu.
Mit Einführung der Bundesrechtsanwaltsordnung im Jahre 1959 ergab sich für Bayern und Baden-Württemberg - hier gerade der Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart die Situation, daß die vorausgehend schon zugelassenen Anwälte weiterhin sowohl heim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht Prozeßsachen vertreten und ohne jegliche zeitliche Begrenzung bei beiden Gerichten auch weiterhin tätig sein konnten, während ihre jüngeren Kollegen dann nur noch eine Singularzulassung bei einem der beiden Gerichte erhielten. Dies mußte auf die Dauer zu Unzufriedenheit und Spannungen unter den Anwälten führen und ließ immer deutlicher die Forderung nach Wiedereinführung der Simultanzulassung bei beiden Gerichten laut werden.
Schon im Frühjahr des vergangenen Jahres hatte sich der Deutsche Juristenverband zum Sprecher dieses Anliegens gemacht mit dem Hinweis darauf, daß ihm bereits damals schon an die 1000 Unterschriften von Rechtsanwälten vorlägen, die voll und ganz die Initiative zur Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung in diesem Punkte unterstützten. Als dann der Referentenentwurf eines Ersten Justizreformgesetzes vom Bundesjustizministerium diese Forderung übernahm und die gleichzeitige Zulassung bei beiden Instanzen mit dem 1. Januar 1974 vorsah, wurde um so nachdrücklicher die Beseitigung der Beschränkung verlangt. So kam es zu dem Initiativantrag aus der Mitte des Hohen Hauses, wie er Ihnen in der Drucksache VI/3282 vorliegt.
Im Laufe der letzten Jahre wurden auch Klagen immer lauter, daß insbesondere die Pflichtverteidigergebühren, die letztmals 1961 festgelegt worden waren, keineswegs mehr kostendeckend sind und daß die Arbeit eines Anwalts etwa bei einer langwierigen Ehescheidung mit 75 DM Armenanwaltsgebühren nicht mehr abgegolten werden kann. Es erschienen auch Zeitungsberichte etwa mit der Überschrift „Verteidiger sein für ein Butterbrot?", die die Forderung nach einer Angleichung an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung mit Nachdruck unterstützten.
Dr. Hauser ({0})
Ja, da und dort wurden auch unter den Anwälten sogar Streikaktionen erwogen, um dieses Verlangen nach sachgerechten Gebühren nachdrücklichst zu unterstreichen.
In der Tat kann den Anwälten angesichts der ganzen Kostenentwicklung und der ständig steigenden Preise kein Sonderopfer aufgebürdet werden, indem man gerade diese Gebühren weiterhin an der unteren Grenze des gesetzlichen Rahmens gebunden hält. Aus diesem Grund galt es, hier eine notwendige Korrektur vorzunehmen, die um so dringlicher geworden ist, als ja der Anwalt seine ebenfalls ständig steigenden Kosten für die Kanzlei, seinen Lebensunterhalt und auch die Vorsorge für sein Alter voll aus den Anwaltsgebühren bestreiten muß.
Dies ist nun mit der neuen Vorlage geschehen, und ich darf das Hohe Haus bitten, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz werden die Gebühren der Rechtsanwälte für Pflichtverteidigungen dein Vorschlag der Bundesregierung entsprechend erheblich angehoben. Es war früher der Fall - und es wird auch in Zukunft so sein -, daß die Rechtsanwälte bei Pflichtverteidigungen Leistungen im Interesse der Rechtspflege erbringen, für die sie auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes keine Entschädigung erhalten, die man als kostendeckend bezeichnen kann. Für Pflichtverteidigungen im Auftrag der staatlichen Rechtspflege erhielt und erhalten die Anwälte nur einen Bruchteil der Gebühren, die sie verlangen könnten, wenn sie dieselbe Verteidigung im privaten Auftrag unternehmen würden. Daß dies von den Anwälten geschehen ist und auch in Zukunft geschehen wird, verdient, glaube ich, ein kleines Wort der Anerkennung.
Begrüßenswert ist auch eine gewisse gebührenrechtliche Verbesserung für die beim Bundesgerichtshof tätigen Anwälte. Sie zeigt das Interesse des Bundestages daran, daß beim Bundesgerichtshof auch in Zukunft besonders qualifizierte Anwälte tätig sein sollen.
Das Gesetz nimmt ferner einen Vorschlag der Bundesregierung aus dem Referentenentwurf zum Ersten Justizreformgesetz vorweg und führt für Rechtsanwälte der Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern die gleichzeitige Zulassung bei Landgericht und Oberlandesgericht ein.
Es wäre nun reizvoll, Herr Kollege Schlee, in eine große Debatte über die Vorteile der Simultan- und der Singularzulassung einzutreten. Aber da die Juristen in diesem Hohen Hause einen gewissen Wert darauf legen, sich das Wohlwollen der nichtjuristischen Kolleginnen und Kollegen zu erhalten, würde ich sagen, man sollte diese Debatte in den Fachzeitschriften und nicht unbedingt zu später Stunde im Plenum dieses Hohen Hauses führen.
({0})
Im übrigen ist ja die Simultanzulassung mit besonderer Dringlichkeit auch in einem Initiativantrag Ihrer Fraktion gefordert worden. Der Bundestag sollte zu der Übung in früheren Legislaturperioden zurückkehren, daß Anwaltssachen interfraktionell initiativ eingebracht werden. Wir haben auf anderen Gebieten so viel Streit um das Urheberrecht und Erstgeburtsrecht. Wir könnten ihn uns da in Zukunft ersparen, wie wir ihn uns in früheren Legislaturperioden erspart haben.
({1})
Die Reform der Verwaltungs- und Gerichtsbezirke hat Übergangsvorschriften für die davon betroffenen Rechtsanwälte nötig gemacht. Es erschien dringend geboten, diese Vorschriften bereits in dieses Gesetz aufzunehmen.
Bei dieser Gelegenheit ist es angebracht, darauf hinzuweisen, daß die deutsche Anwaltschaft die Gesetzgebungstätigkeit des Bundestages nicht nur dann mit Vorschlägen und kritischen Äußerungen begleitet, wenn materielle Belange des Berufs betroffen werden. Die meisten Stellungnahmen des Deutschen Anwaltsvereins und seiner Ausschüsse erfolgen zu Gesetzen, die finanzielle Belange der Anwälte überhaupt nicht betreffen, sondern bei denen die Anwaltschaft das gleiche Interesse hat wie die Parlamentarier, nämlich: sachgerechte und verständliche, kurz gesagt, gute Gesetze zu bekommen. Der Rechtsausschuß ist solchen Anregungen oft gefolgt. Wir halten es für angebracht, dies auch vor dem Plenum des Bundestages lobend hervorzuheben.
Wir Sozialdemokraten stimmen diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einige wenige Anmerkungen noch, einmal zur Simultanzulassung! Der Kern dieses „Glaubensstreits" sollte sicher in der Fachpresse ausgetragen werden, gewiß. Ich kann nur aus der Erfahrung in Norddeutschland, sowohl im Oberlandesgerichtsbezirk Celle wie auch im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm, sagen, daß die Großstadtanwälte sich gar nicht nach der Simultanzulassung drängen, sondern mit der Singularzulassung aus der Erfahrung heraus zufrieden sind. Das sagt aber nichts darüber, daß wir nicht dem Wunsch der Kollegen insbesondere aus Baden-Württemberg entsprochen hätten, weil erstens dort eine Ungleichheit bestanden hat und weil zweitens die ganz überwiegende Zahl der Rechtsanwälte die jetzt hier zu beschließende Regelung verlangt hat. Ich meine, dem kann man sich zumindest so lange nicht verschließen, wie eben jene Ungleichheiten bestanden haben und solange nicht erwiesen ist, ob die eine oder andere Lösung meßbare Vor- oder Nachteile hat. Darum wollen wir insoweit diesen Gesetzentwurf mit tragen.
Das zweite zur Frage der Pflichtverteidigergebühren! Zu Beginn dieser Diskussion habe ich mich in
weiten Kreisen der Gerichte mit Äußerungen unbeliebt gemacht, die dann in der Presse teilweise etwas verkürzt, wiedergegeben worden sind. Ich hatte nämlich gesagt: wenn man schon an eine Gebührenveränderung in diesem Bereich denkt, sollte man sich auch einmal sehr genau den § 141 StPO, nämlich das Auswahlprinzip für die Pflichtverteidiger, anschauen. Ich habe in der nachfolgenden Korrespondenz festgestellt, daß dieses Problem regional offenbar außerordentlich unterschiedlich gesehen wird und auf Grund der praktischen Handhabung in den einzelnen Landgerichtsbezirken unterschiedlich gesehen werden muß. Fest steht aber auch, daß in etlichen Landgerichtsbezirken Mißstände dergestalt bestehen, daß sich einige wenige Kollegen auf diese Pflichtverteidigungen spezialisiert haben, was interessanterweise gar nicht dafür spricht, daß bisher die Gebühr zu niedrig gewesen wäre; so sollte man meinen. So sollte man meinen. In Wirklichkeit haben diese Kollegen meiner Meinung nach schon immer einen viel zu niedrigen Lebensstandard und insbesondere Bürostandard gehabt, was auch prompt zu sehr nachteiligen Auswirkungen - in Hannover z. B. mehrfach zum Ausschluß aus der Anwaltschaft - geführt hat, und zwar gerade bei den hier genannten Kollegen. Wir sollten dies deshalb nicht aus dem Auge lassen.
Ich habe in dieser Frage auch die Unterstützung des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, der sich allerdings interessanterweise auf eine entsprechende, schon sehr alte Entschließung der Anwaltskammer beim Oberlandesgericht in Celle stützt, die ich vorher gar nicht kannte und die
damals schon, 1964, auf diesen Mangel hingewiesen hat. Sie wurde damals zur Prüfung an die Bundesanwaltskammer gegeben.
Gehen wir den Dingen bei nächster Gelegenheit weiter nach, und fördern wir nicht etwa durch die heute beschlossene Erhöhung die bisherige Praxis der Spezialisierung auf Pflichtverteidigungen mit den erwähnten nachteiligen Folgen! Hoffen wir vielmehr, daß für das Gros der Kollegen, die bisher aus Prinzip Pflichtverteidigungen nicht übernommen haben, hierdurch wenigstens ein kleiner Anreiz, eine gewisse Erleichterung gegeben ist, dem Gedanken der Übernahme einer Pflichtverteidigung doch in dem einen oder anderen Fall näherzutreten, womit eine nachhaltige Verbesserung für die betroffenen Angeklagten herbeigeführt werden könnte! Diesen Appell muß ich in diesem Zusammenhang an alle Rechtsanwälte richten.
Schließlich möchte ich betonen: Wir haben hier - auf das noch speziellere Problem der Gebühren beim Revisionsgericht will ich nicht mehr eingehen - zwei winzige Punkte aus dem Kreis der Gebühren herausgegriffen, weil es so ungeheuer schwierig ist, zu einer wirklich befriedigenden umfassenderen Lösung zu kommen. Daß eine solche weiterhin angestrebt werden muß, möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal mit allem Nachdruck betonen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimmenthaltungen ist das Gesetz in der dritten Beratung ohne Gegenstimmen angenommen.
Wird der Antrag des Ausschusses zu Ziffer 2 ebenfalls angenommen? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 42 der Tagesordnung auf:
Zweite und Dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Becker ({0}), Dr. Burgbacher, Gewandt und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Spar-Prämiengesetzes
- Drucksache VI/2135 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache VI/3542
Berichterstatter: Abgeordneter Opitz
({2})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Er hat auf eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts verzichtet.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache in der zweiten Beratung. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe zur Abstimmung Art. 1 - Art. 2 entfällt -, Art. 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Initiatoren und die CDU/CSU-Fraktion möchte ich zu der Novelle zum Spar-Prämiengesetz folgendes bemerken.
Die Anregung zu der Novelle ging ursprünglich von Mittelstandskreisen aus, die auf Grund von Tarifverträgen verpflichtet sind, bestimmte Beträge regelmäßig nach dem Vermögensbildungsgesetz an ihre Belegschaften zur langfristigen Anlage auszubezahlen. Nach dem Spar-Prämiengesetz in der Fassung vom 5. August 1970 werden vermögenswirksame Leistungen nur dann mit Prämien begünstigt, wenn die Gelder an Kreditinstitute gegeben oder zum Kauf von Aktien, festverzinslichen Schuldverschreibungen und ähnlichen Papieren benutzt werden. Der Anlagenkatalog des Prämiengesetzes ist damit enger gefaßt als der im Vermögensbildungsgesetz.
Nach dem sogenannten 624-Mark-Gesetz in seiner letzten Fassung sind auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers zur Begründung einer Darlehens11474
Dr. Becker ({0})
forderung gegen den Arbeitgeber mit einer Sparzulage von 30 bis 40 % begünstigt. Man hat damals bei der Verabschiedung dieses Gesetzes offensichtlich nicht beachtet, daß die Darlehenshergabe an das Unternehmen, in welchem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, nicht prämienbegünstigt ist. Damit war es für den Arbeitnehmer praktisch uninteressant, in einer Personengesellschaft ein solches Darlehen zu gewähren. Nach der bisherigen Regel kann z. B, ein Arbeitnehmer mit einem Kind, der sein Geld als langfristiges Darlehen außerhalb des Unternehmens, bei dem er beschäftigt ist, anlegt, insgesamt 52% öffentliche Zuschüsse erhalten. Bei Anlage in diesem Unternehmen bekommt er nur 30%. Hat er drei Kinder, so ergibt sich folgender Unterschied: 65% zur Anlage draußen und 40% zur Anlage im Unternehmen. Es ist offensichtlich, daß damit eine Anlage im Personalunternehmen diskriminiert ist.
In diesem Zusammenhang muß bemerkt werden, daß die Entwicklung der Eigenkapitalbildung in den Unternehmungen der Bundesrepublik, vor allem in der mittleren Wirtschaft, in den letzten Jahren trotz guter Konjunktur sehr unbefriedigend war. Im Jahre 1971 hatten die Unternehmen an der gesamten volkswirtschaftlichen Ersparnisbildung nur noch einen Anteil von rund 14 %, die privaten Haushalte 50% und die öffentliche Hand 36 %. Im Jahre 1968 waren die Unternehmungen noch mit über 31% an der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisbildung beteiligt. Die Leistungen der Wirtschaft im Rahmen des sogenannten 624-Mark-Gesetzes schätzt
man für das Vorjahr auf 3,4 Milliarden DM. Es wird von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sicher sehr begrüßt werden, wenn die Darlehenshergabe im Unternehmen in Zukunft sowohl nach dem Vermögensbildungsgesetz wie auch nach dem Prämiengesetz begünstigt wird.
Im Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses wird mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Anlageform nun eine echte Alternative zu anderen Anlagen bildet und daß insoweit die Liquidität der Unternehmen erhalten bleiben wird. Das dient letztlich und endlich der Sicherung der Arbeitsplätze. Der Wirtschafts- und Finanzausschuß des Deutschen Bundestages haben sich mit dem Entwurf eingehend beschäftigt und diesem einstimmig zugestimmt. Ich bitte das Hohe Haus, dem Gesetz ebenfalls seine Zustimmung zu geben.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Um der Zeitökonomie willen darf ich ein paar Worte im Namen der SPD- und FDP-Fraktion sagen. Die Koalitionsfraktionen haben der geänderten Ausschußfassung gerne ihre Zustimmung gegeben. Es zeigt sich in dieser alle Parteien umfassenden Kooperation, daß die Meinungen im Bereich der Steuern häufig gar nicht so weit auseinandergehen, wie auch die ersten sparsamen Mitteilungen aus der Steuerreformküche der CDU/CSU gerade heute bewiesen haben.
Die FDP hat sich bereits in der letzten Legislaturperiode bei der Sparförderung für eine Ausweitung des Anlagekatalogs eingesetzt, z. B. in Hinblick auf das Versicherungssparen, was dann auch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden konnte. Denn es sollen nicht seitens des Gesetzgebers, so meinen wir, nur bestimmte Spar- und Vermögensformen begünstigt und damit andere benachteiligt werden. Zur persönlichen Freiheit des Menschen gehört auch die Entscheidung über Art und Weise, wie er seine Ersparnisse anlegen will, wie er es nach seinen persönlichen Bedürfnissen - das heißt dann maßgeschneidert - tun will.
Das vorliegende Gesetz schafft zugleich die Möglichkeit, Darlehensforderungen und Sparbeträge für Arbeitnehmer entstehen zu lassen, ohne daß die Liquidität der Betriebe kurzfristig beeinträchtigt wird. Dabei wird durch das Gesetz gesichert - das ist notwendig -, daß der Darlehensgeber eine verbürgte Mindestverzinsung erhält, so daß das Arbeitnehmerdarlehen nicht etwa als ein Instrument zur Erlangung billigen Geldes seitens der Betriebe mißbraucht werden kann. Außerdem muß das Darlehen durch Bankbürgschaft abgesichert sein, damit sich wirtschaftsschwache Darlehensnehmer auf diese Weise nicht etwa Kredit ohne hinreichende Sicherheit beschaffen können.
Das vorliegende Gesetz stellt bezüglich der Anlageformen das Spar-Prämiengesetz mit dem Vermögensbildungsgesetz gleich. Es fördert damit die Vermögensbildung der Arbeitnehmer und verbessert zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der lohnintensiven Betriebe bezüglich ihrer Liquidität gegenüber den Großbetrieben, denen der Kapitalmarkt bekanntlich leichter zur Verfügung steht.
Die Fraktionen der SPD und FDP stimmen dem Gesetzentwurf zu.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
Ich rufe Punkt 43 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen
- Drucksache VI/2883 -´
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksachen VI/3537, zu VI/3537
Abgeordneter Dr. Kreile
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Das Wort wird zur Ergänzung nicht gewünscht.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einer Woche hat dieses Hohe Haus das deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen in zweiter und dritter Lesung einstimmig verabschiedet. Heute steht nun das Außensteuergesetz - sein voller Titel lautet „Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen" - zur Verabschiedung an. Beide Gesetze prägen unser Außensteuerrecht. Es er- füllt wohl alle, die sich in dem Streben nach einer gerechten und sachgerechten Besteuerung einig sind, mit Befriedigung, daß auch dieses Gesetz nach einer fruchtbaren Diskussion im Finanzausschuß und einer, um in der Terminologie des Außensteuerrechts zu bleiben, gleichsam grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einstimmig verabschiedet werden wird.
Ich nehme die Gelegenheit wahr, dieses Gesetz mit einigen allgemeinen, Ziel und Inhalt verdeutlichenden Bemerkungen zu begleiten. Von Steuern - insbesondere von solchen mit hoher Belastungsintensität - geht ein deutlicher Einfluß auf das Verhalten der betroffenen Bürger, also der Steuerpflichtigen aus. Genauer gesagt: Der Steuerpflichtige wird dazu neigen, sich so zu verhalten, daß möglichst wenig Steuern anfallen. Dies ist ein steuerliches Grundrecht, das der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung immer wieder bestätigt hat. Dies ist auch dem Gesetzgeber nur allzugut bekannt. Sonst würden wir nicht versuchen, beispielsweise durch Steuervorteile die Tätigung von Investitionen im Rahmen des Berlinhilfe-Investitionsgesetzes anzuregen. Aus diesem Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung kann und soll dem Steuerpflichtigen kein Vorwurf gemacht werden. Wo die Einflüsse, die von Steuergesetzen ausgehen, aber unerwünscht werden, ist vielmehr der Gesetzgeber dazu aufgerufen, dies durch eine Änderung der Steuergesetze zu korrigieren. Darum geht es uns beim vorliegenden Entwurf eines Außensteuergesetzes.
Das geltende Steuerrecht verleitete insbesondere vor dem Hintergrund des nunmehr abgelösten Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz in immer stärkerem Maße dazu, vor einer drohenden Steuerbelastung unmittelbar oder mittelbar ins Ausland auszuweichen. Steuerliche Einflüsse gaben hin und wieder zu Entscheidungen Anlaß, die ohne solche Einflüsse anders, betriebs- und volkswirtschaftlich wohl zweckmäßiger getroffen worden wären. Nachdem der Weg dazu durch eine Ablösung des erwähnten. Doppelbesteuerungsabkommens freigegeben worden ist, mußte nun der Gesetzgeber Abhilfe schaffen. Das Steuerrecht war so umzugestalten, daß verzerrende Einflüsse insbesondere in Hinblick auf internationale Dispositionen beseitigt wurden. Dies und nur dies ist die Aufgabe des uns heute vorliegenden Gesetzentwurfs. Er stellt, wenn ich das einmal so ausdrücken darf, die Freiheit der Steuerpflichtigen wieder her, sich bei ihren Dispositionen allein von sachlichen Gesichtspunkten leiten zu lassen. Das betrifft einmal die Wohnsitzverlegung ins Ausland, die zukünftig nur frei von steuerlichen Erwägungen erfolgen kann. Es betrifft zum anderen die Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten ins Ausland. Auch hier ist sichergestellt, daß in Zukunft nur sachlich begründete, also betriebs- und volkswirtschaftlich motivierte Maßnahmen getroffen werden.
So leicht sich diese Zielsetzungen des Entwurfs definieren lassen, so außerordentlich schwer war es und ist es, diese Gesetzesabsicht juristisch-technisch zu verwirklichen. An der Konzeption hat es nicht gefehlt. Sie war bereits durch den sogenannten Steueroasenbericht der Bundesregierung des Jahres 1964 erarbeitet worden, der immerhin die Handschrift des gleichen Verfassers trägt wie das kommende Außensteuergesetz. Diese Konzeption mußte, solange die schwierigen Verhandlungen mit der Schweiz - die von den Bundesfinanzministern Dahlgrün, Strauß, Möller und Schiller geführt wurden -, andauerten, theoretisch bleiben. Auch nachdem sich dort ein Verhandlungsergebnis abzeichnete, waren noch fast eineinhalb Jahre erforderlich, um die Entwurfsformulierungen fertigzustellen und immer wieder aufs neue an den Stand der internen Beratungen anzupassen. Die Feinabstimmung zog sich hin bis in die Beratungen des Finanzausschusses, der sich mit insgesamt mehr als 40 Änderungswünschen der Bundesregierung selbst zu befassen hatte. Die Feinabstimmung, so hoffen wir, ist in der Zwischenzeit geglückt. Nunmehr beschränkt sich die Wirkungsbreite der neuen Gesetzestatbestände streng darauf, wirtschaftliche und persönliche Dispositionen der Steuerpflichtigen von verzerrenden steuerlichen Einflüssen freizuhalten.
Im Laufe der Beratungen haben sich alle Seiten bemüht, weiterreichende Wirkungen zu vermeiden, insbesondere einen Eingriff in die persönliche Freizügigkeit und in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit, vor allem aber die Auslösung von Wettbewerbsnachteilen zum Schaden der deutschen Volkswirtschaft. Ich gehe für die CDU/CSU-Fraktion davon aus, daß es der persönlichen Freizügigkeit, der unternehmerischen Gestaltung und der Wettbe11476
werbskraft der deutschen. Volkswirtschaft und Wirtschaft im ganzen eher sogar zuträglich ist, wenn künstliche und nicht in erster Linie von sachlichen Gesichtspunkten getragene steuerliche Konstruktionen unterbleiben müssen und werden.
Große Schwierigkeiten macht auch die Feinabstimmung, die das Verhältnis der neuen Regelung zu unseren internationalen Verpflichtungen, insbesondere zum Doppelbesteuerungsabkommen betrifft. Das revidierte Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz hatte Dank des schweizerischen Verständnisses die bekannten Hindernisse ausgeräumt. Im übrigen versucht der Gesetzentwurf, die dem deutschen Gesetzgeber durch das Netz der verbleibenden Doppelbesteuerungsabkommen belassene Gestaltungsfreiheit auszuschöpfen, ohne damit die Rechte unserer Abkommenspartner zu verletzen. Wir haben uns davon überzeugt, daß dieser Versuch gelungen zu sein scheint.
Noch eine dritte und nicht weniger problematische Aufgabe mußte bei der Konzeption und bei den Beratungen des Entwurfs bewältigt werden. Es wäre niemandem damit gedient gewesen, wenn wir hier ein Gesetzeswerk verabschiedeten, das in optisch wirkungsvoller Weise die sachlich unbegründete Ausnutzung des internationalen Steuergefälles bekämpft, ohne wirklich alle Schlupflöcher zu beseitigen. Während der langen Diskussion in der juristischen Fachwelt schien es eine Zeitlang tatsächlich so, als werde das Problem der Steuerflucht nur auf die Ebene der besseren Planung verlagert. Dann hätten wir es mit der höchst eigenartigen und unerwünschten Folge zu tun gehabt, daß es lediglich einer besonders sorgfältigen Beratung und eines besonders gut zusammengesetzten Beratungsstabes bedürfte, um das internationale Steuergefälle nachher wie vorher auszunutzen. Das verteilungspolitische Problem, um welches es uns allen hier geht, wäre verschärft, nicht aber gelöst worden.
Über diese drei Gesichtspunkte wurde lange diskutiert, namentlich nach den Kabinettsbeschlüssen vom Dezember des Jahres 1970. Die Diskussion, an der sich breite Kreise beteiligt haben und die der Finanzausschuß fortgesetzt hat, hat - so möchte ich meinen - alle Seiten zu neuen Einsichten geführt. Der Gesetzentwurf ist immer wieder neuen Verfeinerungen unterzogen worden, nicht zuletzt im Finanzausschuß selbst. Am Ende dieser Entwicklung steht ein Ergebnis, das uns zu der Hoffnung berechtigt, eine in sich ausgewogene Lösung gefunden zu haben.
Diese innere Ausgewogenheit hat einen wichtigen Aspekt, der seinen Ausdruck in dem zweiten Teil des Gesetzesentwurfs findet, nämlich in den Art. 2 bis 4. Ein Gesetz, dem es darum geht, die persönlichen und insbesondere wirtschaftlichen Dispositionen der Steuerpflichtigen von verzerrenden steuerlichen Einflüssen freizumachen, muß konsequent sein. Solche verzerrenden steuerlichen Einflüsse brauchen nämlich nicht nur Verführungen zu sein. Sie können auch als Hemmnisse auftreten, die zweckmäßige wirtschaftliche Dispositionen von vornherein einfach unterbinden oder unzumutbar erschweren. Probleme dieser Art stellten sich im Bereich von Auslandsinvestitionen durch Beteiligungen an aktiv tätigen ausländischen Tochtergesellschaften, deren Erträge nach einer Rückführung ins Inland als Folge der gewählten Rechtsform durch ausländische und inländische Steuern häufig doppelt belastet waren. Dies konnte, übrigens namentlich im Verhältnis zu Entwicklungsländern, vielfach geradezu prohibitive Wirkungen auslösen.
Der Gesetzesentwurf mußte sich auf dem Boden seiner eigenen übergreifenden Zielsetzung auch dieser Aufgabe annehmen. Er hat sie durch die sehr subtile Lösung der indirekten Steueranrechnung und durch eine Sonderregelung für Investitionen in Entwicklungsländern gefunden. In diesem Zusammenhang war unter Beweis zu stellen, wie ernst es uns mit dem Anliegen ist, verfälschende Auswirkungen des internationalen Steuergefüges bei wirtschaftlichen Dispositionen im Ausland auszuschalten. Das Prinzip bedingte Konsequenz, auch dort, wo der Fiskus, der den guten Tropfen genießen wird, einen schlechten Tropfen hinzunehmen hat.
Den schlechtesten Tropfen - darüber müssen wir uns im klaren sein - wird die Finanzverwaltung schlucken müssen. Das Gesetz stellt zusammen mit dem neuen deutsch-schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen Anforderungen, die wir gar nicht hoch genug einschätzen können. Ich habe bereits aus Anlaß der Beratungen zum Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz gesagt, daß wir bei der Verabschiedung der Außensteuerreform auf die technische Sorgfalt und die nüchterne Sachkunde der Finanzverwaltung vertrauen und vertrauen müssen. Dieses Vertrauen ist um so größer, als der vorliegende Entwurf in einigen Teilen zum Nachteil der Steuerpflichtigen bestimmte Vermutungen enthält, auf deren Grundlage - etwa bei oberflächlicher Arbeit - kurzerhand schwerwiegendste Besteuerungsmaßnahmen getroffen werden könnten. Im Finanzausschuß und in dem dazu berufenen Unterausschuß ist klargestellt worden, daß solche unterstellenden Schätzungen nur als äußerster Notbehelf gedacht sind, daß vorher alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, um ein wirklichkeitsnahes Ergebnis zu finden. Wir müssen uns bewußt sein, daß wir mit diesem Gesetz wieder einmal Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung zu übernehmen haben, der wir neue und schwierige Belastungen zumuten.
Übrigens wird die Bürde dieses Gesetzes nicht allein von der Finanzverwaltung zu tragen sein; auch die deutsche Wirtschaft sieht sich durch das Gesetz zu Aufzeichnungen und Bilanzierungen gezwungen, die erhebliche Mehrarbeit mit sich bringen dürften.
Dies alles entspricht der wachsenden Überzeugung, daß steuerliche Gerechtigkeit mehr wiegt als steuerliche Vereinfachung. Diese Überzeugung bürdet dem Gesetzgeber aber eine hohe Verantwortung und hohe Sorgfalt auf. Gesetze nämlich, die nicht praktiziert werden können, wirken demoralisierend, schlagen also in ihr Gegenteil um.
Wir dürfen - und damit komme ich zum Schluß -, nachdem die Finanzverwaltung in ihrer fachlichen Spitze den uns vorliegenden Gesetzentwurf maßgeblich gefördert und seine Praktikabilität als gegeben bezeichnet hat, davon ausgehen, daß die Grenze der Praktikabilität hier noch nicht überschritten ist.
Unter diesen Umständen begrüße ich namens der CDU/CSU-Fraktion einen Gesetzentwurf, der unseren eigenen, schon früher bekundeten Zielvorstellungen entspricht und an dem wir maßgeblich mitgearbeitet haben. Ich wiederhole heute das, was ich an dieser Stelle auch bereits in der vergangenen Woche ausführen konnte. Steuerpolitik muß sich, wenn sie erfolgreich sein will, als Element der Kontinuität begreifen. Sie muß gemeinsam von den Fraktionen dieses Hauses in zentralen Fragen getragen werden, wenn sie ihren vornehmsten Zweck erfüllen soll, der darin besteht, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat in der vergangenen Woche das deutsch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen verabschiedet und damit ein wichtiges Instrument gegen die Steuerflucht in dieses Land, also gegen die mißbräuchliche Ausnutzung des Steuergefälles gegenüber der Schweiz geschaffen.
Heute beschließen wir das Außensteuergesetz, mit dem wir die Möglichkeiten der Steuerflucht in andere Länder ebenfalls einschränken. Es wird gegenüber allen anderen Ländern, mit denen wir keine Doppelbesteuerungsabkommen haben, die Möglichkeit der Steuerflucht eingeschränkt und weitestgehend verhindert.
Die Bundesregierung hat das Verdienst, daß sie damit die Schlupflöcher verstopft, die von einem kleinen Teil der Steuerzahler ausgenützt wurden, um der Besteuerung in der Bundesrepublik zu entgehen oder sie weitgehend zu reduzieren. Die häufigsten und am meisten praktizierten Formen, die dabei benutzt wurden, wie die Verlagerung des Wohnsitzes in das Ausland, die Gründung von Basisgesellschaften und auch die Gewinnverlagerungen in ausländische Tochterunternehmungen zu Geschäftsbedingungen, die unter unabhängigen Unternehmungen nicht zustande kämen, werden nun nicht mehr oder - um es vorsichtiger zu sagen - kaum mehr ausgenützt werden können.
Eine wachsende Zahl von Bürgern der Bundesrepublik hat die Möglichkeiten, die die geltenden Gesetze gegeben haben, ausgenützt. Schon im Jahre 1964 hatte die Bundesregierung im Steueroasenbericht diesen Zustand als besorgniserregend bezeichnet. Inzwischen sind in der Schweiz 2500 solche von Deutschen beherrschte Basisgesellschaften gegründet. In anderen Staaten - Bermudas, Panama, Luxemburg -, in denen Statistiken nicht so sorgfältig geführt werden, ist die Dunkelziffer sehr groß, so daß man Zahlen gar nicht nennen kann. Dieser Personenkreis, der das Steuergefälle ausnützt, der sich hier Vorteile verschafft, nimmt in der Bundesrepublik alle öffentlichen Leistungen in Anspruch, alle Leistungen der Kommunen und des Staates, alle Dienstleistungen der öffentlichen Hand und auch die Leistungen der Arbeitskräfte, erzielt hier große Einkommen, hortet, um es vielleicht so auszudrücken, große Vermögen und entzieht sich dann der Steuerlast, indem er entsprechende Wege beschreitet.
Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen und Wettbewerbsvorteilen, zu Nachteilen aber für all die, die solche dubiosen Wege nicht beschreiten. Dies alles verstößt gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die Steuerflucht verschafft übrigens nicht nur denjenigen, die ins Ausland ausweichen, finanzielle Vorteile, sondern sie geht vor allem zu Lasten derer, die hier im Land arbeiten und ihre Steuern zahlen. Denn der Steuerausfall, der durch die Steuerflucht entsteht, muß ja durch Steuerleistungen der Bürger ausgeglichen werden, die im Land bleiben. Die Vorschläge der Bundesregierung verschaffen also auch denen, die Steuerflucht nicht praktiziert haben, Vorteile in dem Sinn, daß alle nun mit mehr Berechtigung behaupten können, daß unser Steuersystem dadurch gerechter geworden ist.
Der zweite Schwerpunkt dieses Außensteuergesetzes ist, daß durch die Vorschläge der Bundesregierung, die der Finanzausschuß allesamt übernommen hat, deutsche Unternehmungen, die im Ausland investieren, also tatsächlich wirtschaftlich tätig werden, von doppelten Belastungen mit ausländischen und deutschen Steuern befreit werden, wie das bei der Körperschaft-, der Gewerbe- und der Vermögensteuer der Fall ist. Es werden also die Investition im Ausland und wirtschaftliche Tätigkeit im Ausland erleichtert, d. h. die Wettbewerbsverhältnisse gegenüber anderen im Ausland tätigen Unternehmungen werden für die deutschen Unternehmungen verbessert.
Leicht war das alles nicht zu machen. Das darf am Schluß der Debatte über dieses Gesetzgebungswerk im Bundestag wohl gesagt werden. Der Deutsche Bundestag hatte schon 1962 in einer Entschließung die Regierung aufgefordert, einen Bericht über Wettbewerbsverfälschungen durch Ausnutzung des internationalen Steuergefälles vorzulegen. Der Bericht ist 1964 veröffentlicht worden. Darin sind alle wichtigen Formen der Steuerflucht bezeichnet worden, bzw. es ist auf diese Praktiken hingewiesen worden. Die Bundesregierung hatte damals, 1964, auch die Möglichkeiten genannt und die Wege gezeigt, mit denen man diese Praktiken und, wie es in dem Bericht hieß, Manipulationen verhindern kann. Sie hatte gefordert, daß die Auswirkungen des internationalen Steuergefälles ausgeschaltet werden.
Aber es ist - das muß man leider sagen - bei dem verbalen Protest geblieben. Außer der Einleitung einer Revision des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz ist nichts vorbereitet worden. Als der frühere Finanzminister Alex Möller seine Arbeit am Außensteuergesetz begann, mußte er von vorn anfangen; es war nichts vorbereitet. Möller hat
dann die Leitsätze dem Bundeskabinett vorgelegt.
Die Bundesregierung hat die Leitsätze beschlossen.
Die Proteste der Unternehmerverbände und verschiedener Zeitungen waren an Gehässigkeit kaum mehr zu überbieten.
({0})
Da war von „Schaugesetzgebung" die Rede, die sich die Bundesregierung leiste; da war davon die Rede, daß man eine Steuertreibjagd auf die deutschen Unternehmungen vorhabe;
({1})
da ist geschrieben worden, die Bundesregierung bereite eine Art Reichsfluchtsteuer - in Erinnerung an das „Dritte Reich" - vor;
({2})
und da ist behauptet worden, daß hier gesetzlich verankerte Wirtschaftsspionage betrieben werden solle, obwohl sich die Verwaltung in der Bundesrepublik tatsächlich nur die Möglichkeit verschafft, Auskünfte zu erlangen und Licht in die dunklen Wege der internationalen Steuerhinterziehung zu bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({0})?
Herr Kollege Porzner, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Spitzenverbände der Wirtschaft bei dieser Gesetzgebung konstruktiv mitgearbeitet haben und daß wir in der letzten Zeit von dieser Seite keine Proteste gehört haben - was natürlich nicht sagen soll, daß sich nicht einzelne Unternehmer gegen eine solche Gesetzgebung wehren?
Herr Dr. Becker, es stimmt, daß die Proteste dann in letzter Zeit aufgehört hatten. Dies war der Hartnäckigkeit der Bundesregierung und, wie sich ja auch zeigt, des Parlaments zu verdanken, der Tatsache also, daß man solchen Angriffen nicht nachgab. Und es stimmt, Herr Dr. Becker, daß es einzelne Unternehmer gegeben hat, die sich gegen diese Form des Angriffs verwahrt und die hier sachlich argumentiert haben. Aber schon eine nur kurze Lektüre dessen, was wir damals über uns ergehen lassen mußten, zeigt, wie massiv die Interessenvertretung war, wie massiv man versucht hat, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Der CSU-Abgeordnete Kreile hatte die „Leitsätze der Bundesregierung zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen" - so hießen sie - als einen schlimmen Anfang der Steuerreform bezeichnet. Er hat von einem „schlimmen Omen" geredet.
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Er hat geschrieben, daß dies ein Zeichen an der Wand für das sei, worauf sich die deutsche Wirtschaft gefaßt machen müsse.
Es ist nur gut, daß weder die Bundesregierung noch die Koalitionsfraktionen dem nachgegeben haben. Der Finanzausschuß hat diesen Gesetzentwurf nach Vorbereitung in einem Unterausschuß sachlich und sorgfältig beraten. Der Finanzausschuß hat einstimmig zugestimmt -
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kreile?
Wenn ich den Satz zu Ende gesprochen habe, gerne. - Der Finanzausschuß hat zugestimmt, und zwar dem Inhalt nach so, daß die in den Leitsätzen verankerten Grundsätze der Bundesregierung, die so heftig kritisiert wurden, nun Gesetz werden können.
Herr Kollege Porzner - ich gehe immer noch davon aus, daß wir, auch wenn wir verschiedenen Parteien angehören, Kollegen sind -
Sie müssen eine Frage stellen!
Ja, ich komme auf die Frage. Ich sagte das, weil Sie, Herr Kollege Porzner, mich eben als CSU-Abgeordneten angesprochen haben.
Ich darf also jetzt meine Frage stellen: Ist Ihnen, als Sie mich zitiert haben, auch klargeworden, daß meine juristisch-methodische Kritik, die ich in der Fachzeitschrift „Der Betriebsberater" gegen die Leitsätze gerichtet habe, damit zusammenhing, daß in den Leitsätzen nur Art. 1 des Außensteuergesetzes angesprochen war, die jetzt im Gesetz enthaltenen Art. 2 bis 4 aber erst das gesamte Außensteuergesetz ausmachen, über das wir heute sprechen und das wir heute verabschieden, und daß dies der Kern meines seinerzeitigen Vorwurfs war?
Die Bundesregierung, Herr Kreile, hat schon in den Leitsätzen gesagt, daß sie die Wettbewerbsverhältnisse für deutsche Unternehmungen, die im Ausland investieren, verbessern will. Sie hat nicht alle Einzelheiten genannt, in welcher Form sie das tun will; es waren ja auch Leitsätze und Grundsätze.
Die Tatsache, daß wir im Finanzausschuß diesen Gesetzentwurf einstimmig beschlossen haben, ist ein Beweis dafür, wie unbegründet die Angriffe gegen die Regierung damals waren, und ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, welchen Zielen sie gedient haben und mit welchem Zweck man sie geführt hat, mit dem nämlich, ein Gesetzesvorhaben, das mit dem Ziel erarbeitet wurde, dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit in unseren Steuergesetzen Geltung zu verschaffen - wovon auch, wie Sie, Herr Kreile, richtig sagten, Glaubwürdigkeit abhängt -, ein Gesetzesvorhaben also, das einem Ziel dient, das von niemandem mehr bestritten wird, und die
Regierung unglaubwürdig zu machen, indem man von Gefahren für die deutsche Wirtschaft gesprochen hat.
Ich schließe daraus nur, daß sich die Angriffe gegen die Steuerreformvorhaben der Bundesregierung insgesamt, die ja großenteils mit dem gleichen Wortschatz geführt werden, am Schluß sachlich als genauso unbegründet erweisen.
({0})
Auf die Dauer werden wir mit nationaler Gesetzgebung nicht mehr in der Lage sein, den Erfordernissen einer weltweit agierenden Wirtschaft gerecht zu werden. Wir werden nicht in der Lage sein, mit Gesetzen, die die einzelnen Staaten beschließen und die nicht aufeinander abgestimmt sind, den freien Verkehr der Waren, den Kapitalverkehr, den Wettbewerb unter den Unternehmungen aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Deswegen muß es bei der Entwicklung der Steuersysteme in den europäischen Staaten und in der wachsenden Europäischen Gemeinschaft mehr internationale Zusammenarbeit und bessere internationale Abstimmung geben. Was wir in den Zollgesetzen und in den internationalen Gremien längst erreicht haben, wo es um den Warenverkehr geht, das muß, auch wenn es schwieriger sein wird, beim Thema der Steuerpolitik, die mindestens genauso wichtig ist für die Wettbewerbsverhältnisse in der Welt, ebenfalls gelingen. Ich hoffe, daß es der Bundesregierung und allen, auf die es da ankommt, möglich sein wird, diesen Weg zu beschreiten.
Wir beschließen heute ein gutes Gesetz. Ich danke all denen, die es in der Bundesregierung und im Parlament mit vorbereitet haben, für die mühsame Arbeit.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bin in der sympathischen Lage, meinen beiden Vorrednern im Ergebnis zustimmen zu können - die kleinen Intermezzi weggelassen - und Ihnen damit eine neuerliche Rede ersparen zu können. Die FDP stimmt dem Gesetz zu in Hochachtung vor all denen, die in dem schwierigen Gewirr dieser Materie die umfangreichen Vorarbeiten geleistet und uns in den Beratungen mit immer neuen Einfällen begleitet haben.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Offergeld.
Offergeld, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Dr. Kreile diesen Gesetzentwurf so vorzüglich begründet hat, wie wenn er sein eigener wäre, obwohl wir im vergangenen Jahr - Herr
Porzner hat darauf hingewiesen - andere Töne von ihm gehört bzw. gelesen haben, kann ich mich auf einige grundsätzliche politische Anmerkungen beschränken.
Es war am 23. Juni 1964, also morgen vor genau acht Jahren, als die Bundesregierung diesem Hohen Haus den sogenannten Steueroasenbericht erstattete. Der Bericht stellte schon für den damaligen Zeitpunkt fest, daß die Auslagerung von Einkommen und Vermögen aus der deutschen Besteuerung, namentlich durch die Gründung von Basisgesellschaften, zu ernsten Besorgnissen Anlaß gebe. Mit der Schlußfolgerung, daß das geltende Recht keine hinreichenden Gegenmaßnahmen biete, wurde die Notwendigkeit gesetzlicher Lösungen herausgestellt. Obwohl sich in der Folgezeit das Ausmaß der Einkommens- und Vermögensverlagerungen zur Ausnutzung des internationalen Steuergefälles erheblich verstärkte, blieben konkrete Ansätze zu gesetzlichen Maßnahmen über viele Jahre hinweg aus. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Die Forderung nach der Bekämpfung der sogenannten Steuerflucht ist leicht auszusprechen. Welche Schwierigkeiten und Widerstände sich jedoch bei hierauf gerichteten gesetzgeberischen Maßnahmen ergeben, haben die heftigen, zum Teil polemischen Angriffe gegen dieses Gesetzgebungsvorhaben in der Vergangenheit gezeigt.
Diese Bundesregierung hat im Zuge ihrer Reformpolitik eine wichtige Aufgabe darin gesehen, Gleichmäßigkeit und Wettbewerbsneutralität der Besteuerung auch dort durchzusetzen, wo bisher unangemessene Steuervorteile aus der Ausnutzung des internationalen Steuergefälles erzielt werden konnten. Ich darf hier Alex Möller zitieren, der hierzu vor diesem Hohen Hause 1971 erklärt hat:
Eine Steuerreform wird unglaubwürdig, wenn sie keine Abwehr dagegen schafft, daß der Anspruch auf eine gleichmäßige Besteuerung durch Verlagerung von Einkünften und Vermögen in das steuerbegünstigte Ausland ausgehöhlt wird.
Die Bundesregierung hat dementsprechend gehandelt. Im Dezember 1970 verabschiedete sie die Leitsätze für konkrete gesetzgeberische Maßnahmen. Das Echo, das dieser Schritt vielerorts, auch in die Publizistik, auslöste, beweist, mit welcher Entschlossenheit die Bundesregierung für ihr Reformziel auf dem Gebiet des Außensteuerrechts eingetreten ist. Es ist einfach unverständlich, daß sich der Sprecher der Opposition heute wieder, wie er dies auch bei der Debatte in der vergangenen Woche um das deutsch-schweizerische Besteuerungsabkommen getan hat, auf eine „Kontinuität der Steuerpolitik" glaubt berufen zu können. Die Verhandlungen mit der Schweiz, die über fünf Jahre hinweg bis zum Amtsantritt dieser Regierung ohne Erfolg geblieben sind, können meines Erachtens nicht als Beweis für die Kontinuität herangezogen werden. Den Verhandlungserfolg hat diese Bundesregierung erzielt.
Beim Außensteuergesetz schließlich liegen die Dinge zu klar, als daß sie auch nur im äußeren Anschein in Zweifel gezogen werden könnten. Vom Steueroasenbericht des Jahres 1964 an bis zum
Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld
Ende der 5. Legislaturperiode ist es zu keiner Gesetzesinitiative gekommen. Erst diese Bundesregierung hat mit der Verabschiedung der Leitsätze im Dezember 1970 den Schritt zu gesetzgeberischem Handeln getan. Sie hat auf dieser Grundlage im Sommer des vergangenen Jahres das Außensteuergesetz eingebracht, über das dieses Hohe Haus heute abschließend berät.
Vergessen ist offenbar, daß der Herr Kollege Dr. Kreile die Leitsätze im Jahre 1971 als „schlimmes Omen" für die erwartete Steuerreformgesetzgebung bezeichnet hat. Auch Ihr Einwand, Herr Dr. Kreile, daß die Artikel 2 bis 4 in diesen Leitsätzen nicht angesprochen worden seien, ist nicht zutreffend. Es gibt einen ganzen Absatz unter VI, wo eben dieser Themenkreis auch in den Leitsätzen angesprochen ist. Ich hoffe nur, ebenso wie Herr Porzner, daß sich die heutige Polemik der Opposition gegen die Steuerreform ähnlich wie ihre Einwände gegen den vorliegenden Gesetzentwurf in blauen Dunst auflösen wird.
Das Außensteuergesetz wahrt die internationale Freizügigkeit, stärkt die steuerliche Wettbewerbsposition unserer Außenwirtschaft und respektiert die internationalen Rechtsgrundsätze. Alles, was eine oft lautstarke Kritik an Zweifeln hieran zu verbreiten suchte, hat sich besserer Einsicht beugen müssen.
Das Außensteuergesetz zielt auf die Störungsbereiche ab, in denen ungerechtfertigte Steuervorteile aus internationalen Interessenverknüpfungen gezogen wurden. Unter Übernahme der Grundsätze moderner Rechtsordnungen und des internationalen Steuerrechts werden Gewinnabspaltungen ins Ausland ausgeschlossen. Deutsche Staatsangehörige, die nach ihrem Wegzug ins steuerbegünstigte Ausland wesentliche Wirtschaftsinteressen im Inland beibehalten, sollen mit ihrem daraus bezogenen deutschen Einkommen und damit verbundenen deutschen Vermögen weiterhin nach ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Ferner regelt das Gesetz die Erfassung stiller Reserven auf wesentliche Beteiligungen an deutschen Kapitalgesellschaften beim Wegzug ins Ausland.
Die zentrale Stoßrichtung des Außensteuergesetzes liegt indessen in der Erstreckung der deutschen Steuerpflicht auf Einkommen aus sogenannten Briefkastenfirmen, während Gewinne aus aktiver Geschäftstätigkeit, z. B. Produktion und Handel, von vornherein außerhalb des Steuerzugriffs bleiben. Damit wird die steuerliche Chancengleichheit bei aktiver Unternehmenstätigkeit auf ausländischen Märkten gewahrt.
Mit der Verabschiedung des Außensteuergesetzes ist ein erster entscheidender Schritt in der Reform unseres Steuerrechts getan. Die Bundesregierung belegt damit erneut ihre Politik, auf dem Weg der inneren Reformen über alle Widerstände hinweg dem sozialen Fortschritt und der sozialen Gerechtigkeit zu dienen.
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Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich sehe und höre keinen Widerspruch, wenn ich feststelle, daß die zu dem Gesetz eingegangenen Petitionen gemäß dem Antrag des Ausschusses als erledigt erklärt werden.
Wir kommen zu den zwei Zusatzpunkten:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Löbbert gemäß Schreiben des Bundesminister der Justiz
- Drucksache VI/3580 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Pinger
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
betr. Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Dittrich gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz
- Drucksache VI/3579
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch
Der Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung geht dahin, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Löbbert nicht zu erteilen. Gleiches gilt für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Dittrich.
Wird von den beiden Berichterstattern das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall.
Ich stelle zunächst den Antrag des Ausschusses, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Löbbert nicht zu erteilen, zur Abstimmung. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen; die Genehmigung wird damit nicht erteilt.
Ich stelle nunmehr den Antrag des Ausschusses, daß die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Dr. Dittrich nicht erteilt wird, zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor ich schließe, lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Dem amtierenden Präsidenten geht es oft- manchmal möchte man fast sagen: Gott sei Dank - so, daß Zwischenrufe nicht bemerkt werden, die sich dann
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
aus dem Protokoll ergeben. Ich bin dann immer froh, wenn das die Kollegen nach der Hitze des Gefechts durch ein persönliches Gespräch bereinigen, wie der Kollege Schulte das mit dem Kollegen Müller ({2}) getan hat.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich schließe die Sitzung des Deutschen Bundestages und berufe die nächste Plenarsitzung auf Freitag, den 23. Juni 1972, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.