Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Der Arbeitskonflikt in Madras, Frau Kollegin, ist durch die Herabsetzung des sogenannten Kaufkraftausgleiches ausgelöst worden. Die Unzufriedenheit der Experten hat jedoch noch andere Ursachen: 1. Schwierigkeiten bei der personellen und fachlichen Betreuung, 2. Wünsche auf Verbesserung der Besoldung und der sozialen Sicherung.
Zum ersten Punkt: Mein Vorgänger und ich haben seit Jahren versucht, durch Errichtung einer Bundesstelle für Entwicklungshilfe die Durchführung der Entwicklungshilfe zu straffen. Eine entsprechende Vereinbarung ist im März 1968 zwischen meinem Vorgänger und dem Bundeswirtschaftsminister getroffen worden. Leider ist die Behandlung der entsprechenden Kabinettsvorlage durch Einwendungen der damaligen Bundesminister des Innern, für Arbeit, Finanzen und Schatz, deren Namen ich hier nicht zu nennen brauche, wiederholt verzögert worden. Erst nach mehrmaligem Absetzen von der Tagesordnung - übrigens ohne Begründung, Frau Kollegin, - hat das Kabinett am 19. Februar 1969 der Errichtung der Bundesstelle zugestimmt. Eine entsprechende Finanzvorlage konnte im Haushaltsausschuß wegen des Widerstandes der CDU/CSU-Fraktion erst nach mehrmaliger Verschiebung gegen die Stimmen Ihrer Fraktion ich weiß, daß Sie ganz anderer Meinung waren - am 18. Juni 1969 gebilligt werden. Die jahrelange Unsicherheit hat sich nicht nur im Aufgabenbereich des zukünftigen Bundesamtes nachteilig ausgewirkt, sie hat auch bei der GAWI die Arbeit erschwert.
Die neue Bundesregierung hat daher unverzüglich erstens eine fachliche Abgrenzung zwischen Bundesstelle für Entwicklungshilfe und GAWI beBundesminister Dr. Eppler
schlossen und damit eine Voraussetzung für die sachliche Arbeit der beiden Organisationen geschaffen. Den entsprechenden Erlaß habe ich am 3. November dieses Jahres, also noch keine Woche nach der Regierungserklärung, unterzeichnet.
Die neue Regierung hat zweitens vorgesehen, bei der GAWI einen Aufsichtsrat - bestehend aus zwei Vertretern meines Hauses und einem Vertreter der „Treuarbeit" - einzurichten und damit eine reibungslose Kooperation mit der GAWI sicherzustellen. Sie hat drittens vorgesehen, durch eine ausreichende personelle Ausstattung der Bundesstelle für Entwicklungshilfe die Basis für eine entsprechende Arbeit zu schaffen. Sie hat viertens das schwierige Problem der Personalvertretung für die GAWI-Mitarbeiter, die ja sehr verstreut auf dieser Erde leben, in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften neu aufgegriffen.
Zu den Fragen der Besoldung und der sozialen Sicherung der Mitarbeiter: Die Besoldung der Experten ist von den Regelungen der Auslandsbesoldung abhängig. Die dort bestehenden Schwierigkeiten sind bereits in der Reformkommission des auswärtigen Dienstes überlegt worden. Die Neuordnung in diesem Bereich ist die Voraussetzung für die Regelung bei den Experten der Entwicklungshilfe.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Herr Bundesminister, ist es durch die fachliche Abgrenzung, von der Sie soeben gesprochen haben, gesichert, daß vereinbarte Gehaltserhöhungen und -nachzahlungen für Experten über die GAWI schneller als sieben Monate nach dem vereinbarten Termin erfolgen?
Frau Kollegin, dies ist durch die Abgrenzung noch nicht gesichert. Aber dies ist einer der Gründe, warum wir den neuen Aufsichtsrat für die GAWI errichten werden.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Herr Bundesminister, ist es durch die GAWI - ich möchte an dieser Stelle nicht über die Bundesstelle für Entwicklungshilfe sprechen - und Ihre Zusammenarbeit mit dieser Stelle gesichert, daß das Dickicht der Zuständigkeiten, das offensichtlich die Beantwortung von Fragen im Rahmen der Arbeitsverträge behindert hat, nunmehr beseitigt ist?
Es scheint so. Auf Grund meines Erlasses hat inzwischen ein Gespräch zwischen den beiden Stellen - GAWI und Bundesstelle - stattgefunden, wodurch nun bis ins einzelne abgegrenzt worden ist, wer wofür verantwortlich ist.
Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Kiep.
Herr Minister, würden Sie mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, daß das ganze Jahr 1968 und der Anfang des Jahres 1969 nicht ausgefüllt waren mit Schwierigkeiten und Streitigkeiten mit dem Haushaltsausschuß und Ministern der alten Regierung, sondern mit Schwierigkeiten und Streitigkeiten zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Bundeswirtschaftsminister über die Fragen der Zuständigkeiten für die Abteilung 4 des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft?
Präsident von Hassel: Ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu. Die Frage ist auf Madras gerichtet und nicht auf die Zuständigkeitsschwierigkeiten zwischen zwei Bundesressorts, Herr Kollege.
Herr Präsident, verzeihen Sie, wenn ich hier eine Äußerung mache: der Herr Minister hat auf unsere Frage geantwortet und hat die Minister der alten Bundesregierung verantwortlich gemacht.
Präsident von Hassel: Ich halte auch diese Beantwortung nicht für ganz korrekt, weil sie von der eigentlichen Frage abweicht. Ich lasse hierzu keine abweichende Zusatzfrage zu.
Bitte schön, Herr Kollege Damm!
Herr Minister, darf ich Sie, da Sie sicher wie ich davon ausgehen können, daß in diesem Hause im Augenblick nicht nur Mitglieder des für die Entwicklungshilfe zuständigen Ausschusses anwesend sind, ganz zu schweigen von den Zuhörern, fragen: Was heißt GAWI in Langform?
Herr Kollege, der Hintergrund ist folgender: Als die Technische Hilfe eingerichtet wurde, fehlten im Apparat sämtliche Durchführungsbehörden. Deshalb hat sich die Bundesregierung damals, schon 1961, auf diejenigen Einrichtungen konzentriert, die bereits bestanden. Das war vor allem die GAWI in Frankfurt, die die Entsendung von Experten übernommen hat.
Präsident von Hassel: Ich glaube, Herr Bundesminister, die Frage nach der Bedeutung der Bezeichnung „GAWI" wurde damit nicht beantwortet.
Ich habe meine Frage wirklich so gemeint, wie ich Sie ausgesprochen habe. „GAWI" ist wahrscheinlich eine Abkürzung.
Die GAWI ist eine Tochter der Treuarbeit AG, die verschiedene Arbeiten im Auftrage des Bundes erledigt, mit Sitz in Frankfurt.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter Kiep.
Herr Minister, hält die Bundesregierung die vom Bundesminister des Innern federführend erlassene GAWI-Vergütungsordnung für geeignet, Grundlage der Verträge mit deutschen Experten in Projekten der Technischen Hilfe zu sein?
Herr Kollege, erlauben Sie mir, noch einmal auf die andere Frage zurückzukommen. Die seltsame Abkürzung GAWI ist bei uns die Bezeichnung für: Deutsche Förderungsgesellschaft für Entwicklungsländer. Wie die Abkürzung GAWI eigentlich zustande gekommen ist, hat mir in meinem Ministerium bisher auch noch niemand gesagt.
({0})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klepsch.
({1})
- Verzeihung, Herr Bundesminister: die Frage von Herrn Abgeordneten Kiep ist, glaube ich, noch nicht beantwortet.
Herr Kollege Kiep, wären Sie
) bitte so freundlich, Ihre Frage zu wiederholen?
Gern. Ich habe gefragt, ob Sie der Ansicht sind, daß die vom Bundesminister des Innern erlassene Vergütungsordnung für GAWIExperten geeignet ist, Grundlage für Verträge mit deutschen Experten in Übersee zu sein.
Herr Kollege, ich habe gestern mit dem Herrn Bundesminister des Innern kurz darüber gesprochen, und es werden in den nächsten Tagen Verhandlungen der beiden Staatssekretäre exakt über dieses Thema stattfinden.
Präsident von Hassel: Ich kann keine weitere Zusatzfrage zulassen; Sie haben schon zwei konsumiert.
Bitte schön, Herr Dr. Klepsch!
Herr Minister, sind Sie bereit, dafür Sorge zu tragen, daß in Zukunft die Antworten Ihres Hauses keine unverständlichen Abkürzungen enthalten?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Klepsch: der Begriff GAWI ist der einzige, der bisher verstanden wird, jedenfalls bei denen, die damit zu tun haben.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß wir angesichts der Tatsache, daß wir in dieser Woche 140 und einige Fragen haben, mit den Zusatzfragen äußerst sparsam umgehen müssen. Daher bitte ich auch, die Bärbeißigkeit der jeweils amtierenden Präsidenten zu verstehen, wenn wir Zusatzfragen beschränken, und vor allem darf ich darum bitten, daß die Zusatzfragen zum Thema gestellt werden und daß sie kurz gefaßt werden.
Es hat sich noch Herr Abgeordneter Dr. Gatzen gemeldet. Das ist die letze Zusatzfrage, die ich zulasse, Herr Abgeordneter. Bitte schön!
Herr Minister, wenn die Bundesregierung unsere Meinung teilt, daß die Vorgänge in Madras symptomatisch für die Stimmung in den meisten deutschen Projekten der Technischen Hilfe sind - stimmt sie dann mit uns auch darin überein, daß die tieferen Ursachen in der ungenügenden Planung, Leitung und Betreuung der Projekte von Deutschland aus liegen?
Verehrter Herr Kollege, dies ist der Grund, warum ich am Anfang die Frage der Frau Kollegin Wolf etwas umfassender beantwortet habe. Frau Kollegin Wolf hat nämlich nicht nur nach Madras gefragt, sondern sie hat auch gefragt, ob wir der Überzeugung sind, daß dies ein generelles Problem sei. Daraufhin - und nur daraufhin, Herr Kollege - habe ich erklärt, welche Geschichte die jetzt geschaffene Bundesstelle für Entwicklungshilfe hat. Die Errichtung dieser Stelle wurde im März 1968 von den Ministern für Wirtschaft und wirtschaftliche Zusammenarbeit beschlossen. Sie stand von da ab im Kabinett zur Entscheidung an. Im September wurde im Kabinett darüber entschieden. Sie wurde dann durch ein Gutachten verzögert. Im Januar 1969 sollte dieser Punkt wieder im Kabinett behandelt werden, wurde aber dreimal abgesetzt. Danach ergab sich eine Verzögerung von jeweils zwei Monaten bei der Bearbeitung im Finanzministerium und im Haushaltsausschuß.
Wenn ich dies hier dargestellt habe, so nur deshalb, um klarzumachen, daß die Verzögerung von einem Jahr eine Unsicherheit in den Durchführungsbehörden erzeugt hat, die sich ganz offenkundig auf die Arbeit dieser Behörden ausgewirkt hat.
Präsident von Hassel: Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Dr. Eppler.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Dr. Klepsch auf:
Wenn die Einführung einer Militärurlauberkarte zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus fiskalischen Gründen nicht möglich ist, wird die Bundesregierung den Grundwehrdienstleistenden dann wenigstens einmal monatlich eine kostenlose Heimfahrt ermöglichen und im übrigen etwa eine gestaffelte Fahrkostenermäßigung einführen, die zu krasse Unterschiede der finanziellen Belastung der Grundwehrdienstleistenden bei Heimfahrten ausschließt?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, wenn Sie es gestatten, beantworte ich die Fragen 83, 84 und 85 gemeinsam. Wegen des Sachzusammenhangs würde ich es auch vorziehen, mit Frage 84 zu beginnen.
Präsident von Hassel: Ich habe im Ausnahmefall keine Bedenken. Ich stelle fest, der Abgeordnete Rommerskirchen ist nicht im Saal. Nach der neuen Geschäftsordnung kann ich Fragen zur Beantwortung nur aufrufen, wenn der Fragesteller im Saal ist. Wenn es sich aber wirklich um zusammenhängende Themen handelt, habe ich keine Bedenken, auch einmal eine Ausnahme zu machen. Sonst würde ich das nicht zulassen.
Ich rufe also noch die Fragen 84 und 85 des Abgeordneten Rommerskirchen auf:
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß Grundwehrdienstleistenden infolge der unterschiedlichen Entfernungen zwischen Standort und Heimatort erheblich verschiedene finanzielle Aufwendungen für Heimfahrten entstehen?
Wann gedenkt die Bundesregierung zum Zweck einer Gleichbehandlunq und -belastung aller Grundwehrclienstleistenden kostenlose Heimfahrten hei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu bewilligen?
Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Danke sehr, Herr Präsident.
Ich beantworte die Frage 84 folgendermaßen. Die Bundesregierung hält es nicht für vertretbar, daß Grundwehrdienstleistenden unzumutbare finanzielle Aufwendungen für Familienheimfahrten entstehen. Aus diesem Grunde wurden bereits 1957 Regelungen eingeführt, die eine volle Erstattung der für derartige Reisen entstehenden Fahrtkosten vorsehen. Bis zum 30. 9. 1967 erhielten verheiratete Soldaten während ihres 18 Monate dauernden Grundwehrdienstes insgesamt 17, ledige Soldaten 4 Reisebeihilfen. Im Zuge der 1967 zur Herstellung eines ausgewogenen Bundeshaushalts notwendig gewordenen Einsparungen wurde die Zahl der Reisebeihilfen mit Wirkung vom 1. 10. 1967 an auf 15 bzw. 3 herabgesetzt.
Die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen der Maßnahmen für einen Wehrdienstausgleich, vor allem wegen der Benachteiligung der heimatfern einberufenen Wehrpflichtigen, über die alte Regelung hinaus für ledige Soldaten 8 Reisebeihilfen einzuführen und die Zahl der Reisebeihilfen für verheiratete grundwehrdienstleistende Soldaten von 15 auf 16 zu erhöhen. Es ist mein Bestreben, Herr Kollege Klepsch, diese Regelung alsbald in Kraft treten zu lassen.
Die von Ihnen gestellte Frage beantworte ich folgendermaßen. Der Entlastung der Grundwehrdienstleistenden von den Kosten für Familienbesuchsreisen dienen die seit 1957 gewährten Reisebeihilfen, wie ich bereits ausführte. Um Wiederholungen zu vermeiden, weise ich auf die Antworten auf die Fragen des Kollegen Rommerskirchen hin. Bei der Prüfung der Möglichkeiten für eine Verbesserung
dieser Reisebeihilfen wurde selbstverständlich auch eine den Bundeshaushalt entlastende Staffelung der Kostenermäßigung in Erwägung gezogen. Im Interesse der Grundwehrdienstleistenden hält es die Bundesregierung jedoch für erforderlich, an dem bisherigen Verfahren der vollen Kostenerstattung festzuhalten.
Im übrigen gibt die Deutsche Bundesbahn schon seit dem 1. Oktober 1964, wie Sie ja selbst wissen - Sie haben die Einführung mit beantragt -, eine Militärfahrkarte heraus. Sie kann von den Grundwehrdienstleistenden neben den Reisebeihilfen beliebig oft, auch für Familienheimfahrten, in Anspruch genommen werden.
Herr Dr. Klepsch, hören Sie jetzt einmal genau zu, was meine Beamten mir aufgeschrieben haben. Ich kann es kaum verstehen, und Sie werden sich auch Mühe geben müssen.
({0})
Die Soldaten haben für die Militärurlauberfahrkarte für eine einfache Fahrt die Hälfte, für eine Hin- und Rückfahrt den vollen Betrag des gewöhnlichen Preises einer einfachen Fahrt zweiter Klasse zu entrichten. Das heißt in schlichtem Deutsch: Sie zahlen halt die Hälfte und müssen den Preis der zweiten Klasse bezahlen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, da Sie mit mir davon ausgehen, daß es notwendig ist, für eine möglichst gleichmäßige Behandlung aller Wehrdienstleistenden zu sorgen, und da auch bei der gegenwärtigen Regelung natürlich, auch wenn sie weiterentwickelt wird, dessenungeachtet die Unterschiede je nach der Entfernung, die an Kosten auf den einzelnen zukommen, bestehenbleiben, darf ich Sie zunächst fragen, ob Sie auch die in den Fragen enthaltene Vorstellung des Einführens einer Militärurlauberfahrkarte geprüft haben, die faktisch darauf hinauslaufen würde, daß die Betreffenden kostenlos reisen.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ja, das ist geprüft worden, aber, Herr Dr. Klepsch, ich antworte jetzt nicht für die Bundesregierung, weil die Bundesregierung damit nicht befaßt war, sondern nur für das Haus. Sie müssen daran denken, daß wir alle gemeinsam, auch Sie, wünschen, daß die Soldaten voll in die Gesellschaft integriert sind. Auch äußere Dinge spielen dabei eine Rolle. „Militär und Kinder die Hälfte" : Das ist ein Anschlag aus unseligen Zeiten. Ich bin der Auffassung, die Soldaten sollten so versorgt werden, daß sie ordnungsgemäß wie jeder andere Reisende ihre Karten am Bundesbahnschalter kaufen können.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Rommerskirchen. - Ich mache darauf aufmerksam, daß mir soeben mitgeteilt worden ist, daß Sie durch eine Verkehrsschwierigkeit etwas zu spät gekommen sind.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß mit Ihrer Regelung das, worum es uns geht, die Ungleichbelastung, einfach nicht aufgehoben wird, daß dem Soldaten, der etwa in diesem Dienst dient, wenn er aus Bonn ist, ganz andere Belastungen entstehen als demjenigen, der im benachbarten Rheinbach dient, und daß es im Sinne der Wehrgerechtigkeit gegenüber denen, die wir in Pflicht genommen haben - das ist das entscheidende Kriterium, wie mir scheint -, angebracht wäre, endlich die Militärurlauberfahrkarte einzuführen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Rommerskirchen, ich bin gerne bereit, das auch weiterhin prüfen zu lassen. Sie werden wissen, daß das auch im Rahmen der Haushaltsberatungen im Verteidigungsausschuß wieder eine Rolle spielen wird. Nach langjähriger Erfahrung als Abgeordneter dieses Hauses komme ich aber zu dem Ergebnis, daß es kaum eine Lösung geben wird, die alle Ungerechtigkeiten ausgleicht. Wir werden uns bemühen, die materiellen Ungerechtigkeiten so weit zu mindern wie möglich, und wir rechnen auf Ihre Mithilfe. Ich bin sicher, daß Ihre Gedankengänge im Rahmen der Haushaltsberatung, wenn der entsprechende Titel heransteht, wiederum zur Diskussion stehen, und wir werden dann alle gemeinsam nach einer Lösung suchen müssen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort eingeschlossen - es war daraus zu erkennen , daß die Wehrpflichtigen zum Teil die letzten sind, die noch unter den Einsparungsmaßnahmen zu leiden haben, die wir beschließen mußten. Sie haben uns eine wesentliche Verbesserung der Situation in Aussicht gestellt, auch über den seinerzeitigen Besitzstand hinausgehend. Für mich ist nun die Frage: Wann beabsichtigen Sie, die angekündigte Regelung in Kraft treten zu lassen, und in welchem Umfang haben Sie darüber mit den beteiligten Ressorts Vereinbarungen erzielt?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Den letzten Teil Ihrer Frage kann ich leider nicht beantworten. Ich muß das prüfen lassen und werde Ihnen einen Brief schreiben, Herr Dr. Klepsch.
Zum ersten Teil Ihrer Frage habe ich die Antwort etwas geändert. Ich habe das nicht so vorgelesen, wie es hier steht. Das Haus wird sich bemühen, diese Regelung noch zum 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft zu setzen. Da wir aber im Jahre 1969 bereits sehr weit fortgeschritten sind, habe ich hier frei von mir aus gesagt: alsbald. Alsbald heißt nämlich: ohne schuldhafte Verzögerung.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Josten.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zu veranlassen, daß bei den einzelnen Kasernen auch so bald wie möglich ein kostenloser Zufahrt- bzw. Abholdienst zur Bahn sichergestellt wird, damit die Soldaten auch die Bahn benutzen und nicht ihre Privatwagen, wodurch ja an den Wochenenden leider oft so zahlreiche Unfälle zu beklagen sind?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Josten, ich bin dankbar für Ihre Bemerkung. Wir werden das prüfen lassen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß dann immer ein Interessenkonflikt aus gewerblichen Gründen vorliegt zwischen denjenigen, die den Nahverkehr gewährleisten - das sind nicht immer nur kommunale Unternehmen, sondern auch sehr häufig mittelständische Unternehmen , und dem Eigenbetrieb der Bundeswehr. Denn wir könnten es zu einem Teil nur dadurch gewährleisten, daß wir Omnibusse oder gar Pkws bereitstellen. Darüber hinaus gibt es ein berechtigtes Interesse des Steuerzahlers, daß die Kosten nicht auswuchern und ein gesundes Verhältnis zwischen Aufwand und Erfolg gewährleistet ist.
Wir werden das prüfen müssen. Sie werden verstehen, daß ich hier keine feste Zusage machen kann. Aber ich bin dankbar für Ihre Frage, weil Sie auf einen Kernpunkt hingewiesen haben. Die Fürsorge für Grundwehrdienstleistende gebietet uns, sie auch daran zu hindern, sich in abenteuerliche Wochenendfahrten zu begeben.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Damm.
Herr Staatssekretär, ich knüpfe gerade an das an, was Sie zuletzt gesagt haben. Das Ziel ist, die Zahl derer, die mit eigenen Kraftwagen, häufig durch allzuviele Personen besetzt, über das Wochenende nach Hause fahren, herabzusetzen. Würde nicht die von meinem Kollegen Dr. Klepsch angesprochene kostenlose Militärfahrkarte zu diesem Ziel führen, und gäbe es nicht Wege, die in der Praxis anders aussehen, als Sie es vorhin mit „Kinder und Militär die Hälfte" angedeutet haben? Gibt es also nicht Wege, die den Soldaten nicht in das Gefühl der Inferiorität bringen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Damm, ich habe zugesagt, das zu prüfen. Aber bei der Motorisierung und der Freude am Autofahren, am Sitzen hinter dem Lenkrad habe ich meine Zweifel, ob die Kosten dabei wirklich ein so großer Faktor sind, daß die Soldaten das Autofahren in dem Maße einschränken würden. Ich kann es also nicht endgültig beurteilen. Wir werden die Sache prüfen. Ich bin sicher, bei den Haushaltsberatungen wird das alles eine Rolle spielen.
Präsident von Hassel: Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Damm.
Herr Staatssekretär, ich denke und das möchte ich Sie gern noch einmal fragen - insbesondere an die kostenlose Fahrkarte. Meine Frage ist, ob Sie nicht glauben, daß, wenn
hier gar kein Geld ausgegeben werden muß, im Vergleich zum Autofahren eben doch ein beträchtlicher Unterschied besteht und dadurch insbesondere für die Mitfahrer ein Anreiz vorhanden ist, die Bahn zu benutzen.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich bin dankbar für Ihre freundliche Hartnäckigkeit. Selbstverständlich habe ich in dieser Diskussion mitlerweile den Unterschied zwischen halbem Preis und kostenlos begriffen. Aber warum wollen Sie mich nun dazu bringen, hier zu sagen: Ich werde mich sofort dafür einsetzen? Denn wenn etwas kostenlos zu gewährleisten ist, dann muß ich mit meinem Kollegen aus dem Verkehrsministerium in Verhandlung treten, weil die Bundesbahn berührt ist. Daher wollte ich es gern bis zur Haushaltsberatung hinausschieben. Wir werden darauf zurückkommen, und das Bundesverteidigungsministerium wird bis dahin prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, weil es ja auch im Gesamtzusammenhang des Haushalts zu sehen ist.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Buchstaller.
Herr Staatssekretär, können Sie mir Auskunft darüber geben, was die bisherigen Verteidigungsminister daran gehindert hat, die Forderungen, die hier in Fragen gekleidet sind, zu erfüllen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Buchstaller, Sie wissen genauso gut wie ich: Die Haushaltslage hat die Finanzminister, die Verteidigungsminister und die Regierungen daran gehindert. So rosig ist die Haushaltslage nicht, auch wenn sie in den verschiedenen Fraktionen des Hauses unterschiedlich beurteilt wird.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 86 des Abegordneten Säckl auf:
Ist der Bundesregierung der Fall des Ex -Bundeswehrgefreiten Hans Hubmann bekannt, der, wie die „Hessische Allgemeine" am 29. November 1969 berichtete, angeblich während seiner 18monatigen Dienstzeit in den Jahren 19671968 nicht langer als maximal vier Monate die Uniform trug, zusätzlich zu seinem Wehrsold in einem Zivilberuf monatlich 1300 DM verdiente, Privatgespräche telefonisch ans der Kaserne führte, mehr in Frankfurt und München als in der Neubiberger Garnison war und schließlich zum Gefreiten betördert wurde?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Gefreite Hubmann wurde nach der allgemeinen Grundausbildung für seine restliche Grundwehrdienstzeit von 15 Monaten seinem Zivilberuf artverwandt Hubmann ist Metzger; bei uns heißt das „Schlachter" - in der Truppenküche der technischen Akademie der Luftwaffe eingesetzt. Es mag also zutreffend sein, daß er während seines 18 monatigen Grundwehrdienstes nur für die Dauer von insgesamt 4 Monaten die graublaue Luftwaffenuniform getragen hat. Während des Küchendienstes wird nämlich von den Soldaten eine weiße Arbeitskleidung getragen.
Die Ausübung einer Nebentätigkeit ist nach § 20 Abs. 5 des Soldatengesetzes für wehrpflichtige Soldaten nicht genehmigungspflichtig. Eine Nebentätigkeit darf nur untersagt werden, wenn sie die Dienstfähigkeit des betreffenden Wehrpflichtigen gefährdet oder dienstlichen Erfordernissen zuwiderläuft. Dies war bei der Nebentätigkeit des Gefreiten Hubmann nicht der Fall. Ob er durch seine Nebentätigkeit zusätzlich zu seinem Wehrsold monatlich 1300 DM verdient hat, kann hier nicht beantwortet werden, Herr Kollege, da Wehrpflichtige keine Angaben über Einkünfte dieser Art zu machen brauchen.
In den Truppenunterkünften der Bundeswehr sind in aller Regel Münzfernsprecher der Deutschen Bundespost aufgestellt. Wie allen Soldaten war es selbstverständlich auch dem Gefreiten Hubmann möglich, aus dem Kasernenbereich private Ferngespräche unter Benutzung dieses Münzfernsprechers zu tätigen.
Wie bereits ausgeführt, hat der Gefreite Hubmann in der Küche Dienst verrichtet. Diese Tätigkeit bedingt besondere Arbeitszeiten. Er hat zudem sehr oft wesentlich länger als seine Kameraden Dienst geleistet. Hierfür, d. h. für diese zusätzlich abgeleisteten Dienststunden, hat er von seinem Einheitsführer den Bestimmungen der Soldatenurlaubsverordnung entsprechend sogenannte „Freistellungen vom Dienst" erhalten.
Während seines achtzehnmonatigen Grundwehrdienstes hat der Gefreite Hubmann den ihm nach der Soldatenurlaubsverordnung zustehenden Erholungsurlaub von 27 Tagen erhalten. Darüber hinaus wurde ihm ein vierzehntägiger Sonderurlaub wegen einer Erkrankung seiner Mutter gewährt. Während dieser vierzehn Tage hat er im elterlichen Geschäft ausgeholfen. Entsprechende ärztliche Bescheinigungen sowie eine Bestätigung der Stadt Amberg lagen bei der Urlaubsgewährung vor.
Wie alle Soldaten der Technischen Akademie der Luftwaffe hat auch Gefreiter Hubmann die für alle Schulen der Bundeswehr geltende und durch Erlasse festgesetzte Dienstbefreiung zwischen Weihnachten und Neujahr in Anspruch genommen. Nach Dienstschluß haben die Soldaten freien Ausgang. Beschränkungen des Ausgangs, z. B. auf die Standortgrenzen, sind unzulässig, sofern die Soldaten nicht zur Einsatzbereitschaft eingeteilt sind.
Es ist deshalb durchaus möglich, daß Gefreiter Hubmann sich während des freien Ausgangs in
München - Neubiberg liegt am Stadtrand von München - und während seines Erholungsurlaubes und an den freien Wochenenden oder während der ihm gewährten Freistellungen vom Dienst in Frankfurt aufgehalten hat. Ein gleiches Recht steht allen anderen Soldaten auch zu.
Wie oft er während seiner Dienstzeit tatsächlich in München oder Frankfurt gewesen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Aus allgemeinen militärischen Erfahrungen heraus scheinen jedoch die in der „Hessischen Allgemeinen" aufgestellten Behauptungen, soweit sie seinen Aufenthalt in Frankfurt betreffen, zumindest sehr stark übertrieben zu sein.
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
Gefreiter Hubmann hat seinen Dienst in Neu-biberg ohne Beanstandungen verrichtet. Wegen einer Verfehlung während der allgemeinen Grundausbildung wurde er jedoch nicht wie alle anderen Soldaten nach sechs Monaten, sondern erst nach einem Dienstjahr zum Gefreiten gefördert. Auch dieses ist nicht zu beanstanden.
Präsident von Hassel: Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Antwort war zwar ungemein spannend für das gesamte Haus,
({0})
sie hatte aber nichts mehr gemein mit unserer Aufgabe, Fragen kurz zu formulieren und auch kurz zu beantworten. Ich darf bitten, daß wir in Zukunft einen Weg finden, bei dem wir die Geschichte des Gefreiten Hubmann hier etwas kürzer dargestellt bekommen.
({1})
Zu einer Zusatzfrage zunächst Herr Abgeordneter Dr. Klepsch.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß bis auf die Feststellung über die Dauer des Aufenthaltes in Frankfurt die Sachaussagen des Artikels der „Hessischen Allgemeinen" von Ihnen bestätigt werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, Herr Kollege Dr. Klepsch. Es sieht so aus, als ob der Artikel in der „Hessischen Allgemeinen", der jetzt hier vor mir liegt, alles sehr stark übertreibt. Wir setzen große Hoffnungen auf das gesunde menschliche Urteil unserer Soldaten, die Grundwehrdienst leisten, die bei aller Unzufriedenheit dennoch feststellen können, daß solche Zustände in der Bundeswehr, wie sie hier geschildert werden, nicht herrschen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ollesch.
Herr Staatssekretär, sind Sie auch mit mir der Meinung, daß neben dem Sanitätsgefreiten Neumann nunmehr auch der Gefreite Hubmann in die Geschichte eingegangen ist?
({0})
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidgiung: Ein dreifach kräftiges Hupphupphurra!, Herr Ollesch.
({1})
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für mit der Fürsorgepflicht der Bundesregierung vereinbar, daß womöglich kleinste Vergehen eines Mannes, die während einer Dienstzeit vorkommen, hier im Plenum des Deutschen Bundestages erwähnt werden, ohne daß man
sagt, um was es sich eigentlich handelt? Ich persönlich darf sagen, daß ich mich darüber sehr verwundert habe.
Präsident von Hassel: Das „verwundert" ist bereits eine Wertung. Der letzte Satz hätte also nicht zugelassen werden dürfen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, zur Beantwortung.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, die Frage lautete:
Ist der Bundesregierung der Fall des Ex-Bundeswehrgefreiten Hans Hubmann bekannt, der, wie die „Hessische Allgemeine" am 29. November 1969 berichtete, angeblich während seiner 18monatigen Dienstzeit in den Jahren 1967/1968 nicht länger als maximal vier Monate die Uniform trug, zusätzlich zu seinem Wehrsold in einem Zivilberuf monatlich 1300 DM verdiente, Privatgespräche telefonisch aus der Kaserne führte, mehr in Frankfurt und München als in der Neubiberger Garnison war und schließlich zum Gefreiten befördert wurde?
Alle diese Punkte sind einzeln von mir beantwortet worden, ohne sie auszuweiten.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 87 des Abgeordneten Säckl auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß dieser fast unglaubliche Vorfall zur Verbitterung hei Wehrpflichtigen führen kann, die ihre Dienstzeit vorschriftsmäßig ableisten, und im Interesse der Wehrgerechtigkeit ein solcher Fall eine Einmaligkeit bleiben muß?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, die Frage ist im Zusammenhang mit der vorigen Frage beantwortet.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Dröscher auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei den privaten Wachgesellschaften, die im Raume der Truppenübungsplätze arbeiten, Familienväter einen Stundenlohn von 2,40 DM ohne Kinderzuschlag bei einem durchschnittlichen Anmarschweg von 20 bis 40 Doppelkilometern ohne jeden Fahrkostenzuschuß erhalten und dabei eine 24-Stundenschicht, also 400 Arbeitsstunden im Monat, geleistet werden muß, um ein einigermaßen erträgliches Einkommen zu erreichen, und daß dieser unerträgliche Zustand dadurch entsteht, daß die Aufträge an private Wachgesellschaften ausgeschrieben werden und der jeweils billigste ohne Oberprüfung der sozialen Stellung der Arbeitnehmer den Zuschlag erhält?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, ich beantworte die Frage folgendermaßen. Der Bundesregierung sind die in der Frage erwähnten Arbeitsbedingungen nicht in Einzelheiten bekannt. Sie hat aber auch auf ihre Gestaltung keinen Einfluß. Die Wachleistungen werden durch öffentliche Ausschreibungen an gewerbliche Bewachungsunternehmen vergeben. Dadurch werden die Ansprüche des einzelnen Wachmannes nicht geschmälert. Denn das Entgelt der Wachleute bestimmt sich nach den TarifParlamentarischer Staatssekretär Berkhan
verträgen, die zwischen der Gewerkschaft ÖTV - Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr, Herr Kollege Damm ({0})
und den einzelnen Dachverbänden des deutschen Bewachungsgewerbes als Träger des Tariflohns vereinbart werden. Ob die so vereinbarten Arbeitsbedingungen im Einzelfall als unerträglich bezeichnet werden müssen, kann nicht beurteilt werden, weil ja zwischen dem einzelnen Wachmann und dem Bund keine vertraglichen Beziehungen bestehen. 400 Arbeitsstunden im Monat lassen sich nur dann annehmen, wenn der Wachmann über die regelmäßige Arbeitszeit des Tarifvertrags hinaus - das sind 72 Stunden in der Woche -- zusätzlichen Wachdienst leistet und in die Berechnung nicht nur der reine Wachdienst - das sind regelmäßig 45 Stunden -, sondern auch der Bereitschaftsdienst mit den Ruhezeiten einbezogen wird.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, Herr Staatssekretär, daß auch die Sicherheit der militärischen Anlagen mit der persönlichen Zuverlässigkeit der Arbeitskräfte, d. h. auch mit ihrer Beschäftigung in einem sozial befriedigenden Verhältnis, zusammenhängt?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
B) Bundesminister der Verteidigung: Das ist der Bundesregierung bekannt. Aber wenn die Bundesregierung Arbeitskräfte anmieten oder für diese Bewachung einstellen wollte, würde das erstens teurer, und zweitens wäre nicht gewährleistet, daß sich andere Arbeitswillige für diesen Dienst zur Verfügung halten würden.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dröscher.
Hat die Bundesregierung in diese Überlegungen, die davon ausgehen, daß die Tariflöhne gezahlt werden, die Überlegung eingeschlossen, daß in den Gebieten, in denen sich Truppenübungsplätze befinden, das allgemeine Angebot an Arbeitsplätzen natürlich so ist, daß die Arbeitnehmer auch Plätze annehmen, die nicht tarifmäßig bezahlt werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das kann ich hier so nicht beantworten. Ich bin bereit, das prüfen zu lassen. Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung nicht gewillt, in die Tarifhoheit der tarifschließenden Parteien einzugreifen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 89 des Abgeordneten Buchstaller auf:
Ist Vorsorge getroffen, daß die Ausbildung bei der Bundeswehr für Pioniere ({0}) vom Dienstgrad Feldwebel aufwärts so gestaltet ist, daß sie dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe ({1}), hier insbesondere §§ 6 und 8 entspricht?
Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, ich beantworte die Frage folgendermaßen. Die Pionieroffiziere und Pionierfeldwebel erhalten die entsprechende Ausbildung in ihren Laufbahnlehrgängen. Die Befähigung erhalten sie in den Laufbahnprüfungen und Zeugnissen zuerkannt.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Buchstaller auf:
Falls die Frage verneint wird: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diesen Gleichklang herzustellen?
Die Frage ist durch die Beantwortung der Frage 89 wohl erledigt, Herr Abgeordneter Buchstaller. Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Zebisch auf:
Hält es die Bundesregierung angesichts der furchtbaren Ergebnisse des Napalm-Einsatzes in Vietnam für vertretbar, wenn über den Einsatz dieser schrecklichen Waffe bei der Übung ,,Hoher Baum" Verherrlichungsartikel wie in der Divisionszeitschrift „Der Grenzwald" geschrieben werden, und wird sie alle Soldaten und Ausbilder entsprechend unterrichten?
Zur Beantwortung bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, der Bundesregierung liegt es fern, die Schrecken eines Krieges zu verniedlichen oder deren Verniedlichung gar zu unterstützen. Davon unterscheiden sollte man aber die Notwendigkeit der Darstellung, welche wirksame Unterstützung der Soldat bei der Abwehr eines hochgerüsteten potentiellen Gegners, von der die Übungslage ausgegangen ist, erwarten kann. Der Verfasser des von Ihnen beanstandeten Artikels ist ein junger Gefreiter. Er hat zweifellos seine Aufgabe nicht voll gelöst und nicht voll verstanden. Seine erfahrenen und verantwortungsbewußten Kameraden werden ihn jedoch sicherlich auf den falschen Ton in seiner Berichterstattung hingewiesen haben. Da die Bundesregierung es auch in anderen Fällen ablehnen muß, in die Pressefreiheit einzugreifen, kann und will sie auch nicht in dem Fall einer Zeitschrift, die von einem Soldaten redigiert wird, eingreifen.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 92 des Abgeordneten Zebisch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf internationaler Ebene dafür einzutreten, daß Napalm in die Reihe der verbotenen Waffen nach der Genfer Konvention aufgenommen wird?
Zur Beantwortung der Prlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Die Bundesregierung unterstützt jede Aktion, die der Ächtung bestimmter Waffen und der Abrüstung dienen kann. Dieses Ziel kann sie jedoch nur unter Mitwirkung
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
und in Abstimmung mit den Bündnispartnern verfolgen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zebisch.
Herr Staatssekretär, gibt es in Europa Regierungen, die den Einsatz der Napalm-Verteidigung nicht in ihrem Programm haben?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Zebisch, solche Dinge werden von den Regierungen normalerweise nicht bekanntgegeben, aber ich bin ziemlich sicher, daß es in Europa Staaten gibt, die ein solches Programm nicht aufgenommen haben. Beispielsweise ist Luxemburg nur mit einem Kanonenbataillon ausgerüstet und hat gar keine Gelegenheit, Napalm-Bomben abzuwerfen, weil es keine Luftwaffe hat. Darüber hinaus ist Island ohne jede Bewaffnung und wird deshalb natürlich auch keine Napalm-Bomben verwenden. Mir liegt jetzt wirklich fern; die Sache zu verniedlichen. Sie müssen aber davon ausgehen, Herr Kollege Zebisch, daß der potentielle Gegner mit solchen Waffen angreifen kann, und eine wirksame Abschreckung ist nur möglich, wenn man dem möglichen Angreifer von vornherein klarmacht: Sofern du mich mit diesen Waffen angreifst., werden wir entsprechend antworten. „Wir" ist in diesem Fall nicht die Bundesregierung oder die Bundesrepublik Deutschland, sondern das gemeinsame Bündnis der NATO.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Professor Bechert..
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Zebisch, die schriftlich vorliegt, daß Sie nicht glauben, daß die Vereinigten Staaten einer solchen internationalen Vereinbarung beitreten würden, Napalm für die Kriegsführung_ international zu verbieten?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Professor Bechert, ich bin sicher, daß die Vereinigten Staaten im Rahmen eines weltweiten Abkommens eine solche Zustimmung geben werden. Ich kann aber hier für die Bundesregierung den Vereinigten Staaten nicht anraten, einseitig derartig schreckliche Waffen aus der Hand zu legen.
Präsident von Hassel: Ich rufe auf die Frage 93. Sie ist in dieser Woche nicht zulässig, da der Gegenstand als Tagesordnungspunkt 7 behandelt wird.
Ich rufe die Frage 94 des Abgeordneten Neumann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den im Widerspruch zu anderen Pressenieldungen stehenden Bericht der Herald Tribune vom 4. Dezember 1969, nach dem der Bundesminister der Verteidigung angekündigt haben soll, daß im Rahmen einer Reorgasation der Bundeswehr eine Verminderung der Truppenstärke um 39 000 Soldaten bis 1972 sowie eine Verringerung der Grundwehrdienstdauer von 18 aut 14 Monate vorgesehen seien?
Der Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister der Verteidigung: Die Bundesregierung bedauert die Meldung des „Herald Tribune" vom 4. Dezember 1969, da sie einer fairen und objektiven Berichterstattung nicht nahekommt. Nach dem amtlichen Sitzungsprotokoll des Generalsekretariats der NATO über die Sitzung des Ausschusses für Verteidigungsplanung kurz DPC genannt - am 3. Dezember 1969 hat der Bundesminister der Verteidigung, Helmut Schmidt, zur Frage des Umfangs der Bundeswehr folgendes ausgeführt:
Wir werden ferner, beginnend mit dem Jahre 1970, die Anpassung unserer Heeresstruktur an das Konzept der flexiblen Antwort Schritt für Schritt verwirklichen. Wir werden die vorgesehenen materiellen Beschaffungsvorhaben zur Modernisierung der Bundeswehr weiterführen bzw. einleiten. An dem Ziel eines festen Umfanges unserer Streitkräfte von 460 000 Mann werden wir festhalten. Es wird sich daran nichts ändern. Wir werden auch unser Programm einer verstärkten Einberufung von Reservisten zu Wehrübungen planmäßig weiterführen.
Zur Frage der Verkürzung des Grundwehrdienstes führte Veteidigungsminister Helmut Schmidt folgendes aus:
Auf jeden Fall werden wir vor einem solchen Schritt alle anderen Maßnahmen ergreifen, um ein erträgliches Maß an Gerechtigkeit bei der Heranziehung zum Grundwehrdienst herbeizuführen: zum Beispiel Überprüfung der Ausnahmeregelungen, Oberprüfung der Tauglichkeitsanforderungen, Heranziehung der anerkannten Kriegsdienstverweigerer zu anderen Diensten bzw. zum Ersatzdienst. Die Verkürzung der Wehrdienstdauer ist meines Erachtens nur dann durchführbar, wenn die dafür zusätzlich erforderlichen finanziellen Mittel sichergestellt sind, wenn insbesondere eine ausreichende Zahl längerdienender Soldaten gesichert ist, und wenn die Kampfkraft der Bundeswehr uneingeschränkt erhalten bleibt.
Ich habe den Ausführungen des Ministers nichts hinzuzufügen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie die Meinung eines bekannten Militärkorrespondenten nicht teilen, der in einem Kommentar zur NATO-Tagung in Brüssel von einer Gedankenspielerei Ihres Ministers bei seinem Start im internationalen Gespräch sprach und den Zeitpunkt für unangebracht hielt, von der Möglichkeit einer Kürzung der Wehrdienstdauer zu sprechen, da hierdurch die Gruppe um Senator Mansfield in ihrem Eindruck bestärkt werde, die Europäer und speziell wir Deutschen wollten in unserer Bereitschaft, die atlantische Verteidigung zu festigen, nachlassen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Neumann, wir sind hier nicht in einem amerikanischen Parlament. Daher gebe ich im Rahmen dieser Fragestunde keine Antworten auf Äußerungen, die Herr Senator Mansfield getan hat. Aber ich kann Ihnen versichern, die Bundesregierung und der Bundesverteidigungsminister werden alles tun, damit die Zweiseitigkeit unserer Bemühungen - Integrierung ins Bündnis und Erfüllung unserer freiwillig übernommenen Aufgaben sowie eine Politik des Abbaus der Spannungen und der Friedenssicherung - gewährleistet bleibt.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Neumann.
Können Sie mir sagen, Herr Staatssekretär, warum Ihr Minister das Thema „Überprüfung der Grundwehrdienstdauer" in Brüssel überhaupt vorgebracht hat, und sehen Sie darin wie der vorhin zitierte Militärkorrespondent auch eine Provokation der Partner, in ihren Verteidigungsanstrengungen nachzulassen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, im Gegenteil. Der Herr Verteidigungsminister hat diese Frage angeschnitten, um Vorsorge zu treffen, daß unsere Verbündeten, sofern hier solche Maßnahmen unter Mithilfe und unter Mitwirkung des Parlaments eingeleitet werden, verstehen, um was es sich handelt: nicht um eine Minderung, sondern um eine Erhöhung unserer Kampfkraft.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Damm.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort auch entnehmen, daß die Hinweise des Verteidigungsministers in Brüssel nicht, -wie ein Kommentator einer deutschen Zeitung aus Brüssel berichtet hat, mit Rücksicht auf den Koalitionspartner Ihrer Regierung gegeben worden sind und daß sie, falls das doch der Fall gewesen sein sollte, wegen der vielen Vorbehalte gegenüber einer eventuellen Verwirklichung der Verkürzung der Wehrdienstzeit insoweit mehr die Funktion eines Feigenblattes hatten?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das letzte kann ich eindeutig verneinen. Zum ersten kann ich sagen: Herr Kollege Damm, wenn Sie die Regierungserklärung dieser Bundesregierung lesen, werden Sie sehen, wie einmütig die Koalitionspartner in der Frage der Landesverteidigung sind.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Herr Staatssekretär, kann man die Ausführungen nicht auch so verstehen, daß es im Sinne der Erhöhung der Effektivität der Verteidigung läge, wenn tatsächlich im Sinne der größeren Wehrgerechtigkeit eine Verkürzung der Wehrdienstzeit zustanden käme?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dröscher, so wollte ich meine Antwort auf die Zusatzfrage des Kollegen Neumann verstanden wissen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Stahlberg auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Fahrlehrer der Bundeswehr in den Dienstgraden Stabsunteroffizier bis Stabsteldwebel eingesetzt sind, und wenn ja, kann sie mitteilen, ob sie diese mit gleichwertigen Qualifikationen ausgestattenen Dienstgrade durch eine entsprechende Fahriehrerzulage auch besoldungsmäßig gleichwertig behandeln will?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, ich beantworte die Frage folgendermaßen. Die Fahrlehrerstellen der Bundeswehr sind in den STAN, in den Stärke- und Ausrüstungsnachweisen, für Unteroffizier- bis Feldwebeldienstgrade ausgeworfen. Damit soll Fahrlehrern unabhängig von noch zu erfüllenden Laufbahnvoraussetzungen die Möglichkeit geschaffen werden, ohne Wechsel des Dienstpostens vom Unteroffizier his einschließlich zum Oberfeldwebel aufsteigen zu können. Hiermit wird auch den dienstlichen Belangen insoweit Rechnung getragen, als auf diesem wichtigen Fachgebiet eine längere (I Verwendungsmöglichkeit der Fahrlehrer gegeben ist.
Soweit Hauptfeldwebel als Fahrlehrer eingesetzt worden sind, handelt es sich um eine nur vorübergehende Tätigkeit in dienstlich besonders gelagerten Ausnahmefällen. Stabsfeldwebel kommen für eine derartige Verwendung nicht in Betracht.
Im Hinblick auf die vorstehend genannten Bewertungsgrundsätze für Fahrlehrer kann aus einer nor vorübergehenden Tätigkeit von Hauptfeldwebeln in diesem Fachbereich nicht die Gewährung von Zulagen für die in dieser Funktion überwiegend eingesetzten Unteroffiziere bis einschließlich zum Oberfeldwebel hergeleitet werden.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Stahlberg.
Herr Staatssekretär, sind Sie, wenn ich Ihnen Fälle nenne, in denen doch Hauptfeldwebel für längere Zeiträume und auch Stabsfeldwebel als Fahrlehrer eingesetzt worden sind, bereit, das zu prüfen und dafür zu sorgen, daß dies in Zukunft nicht mehr in Frage kommt?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Stahlberg, ich habe einen viel zu hohen Respekt. vor Ihren Kenntnissen der einzelnen Details, als daß ich eine solche Prüfung hier nicht zusagen würde.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Stahlberg auf:
Wann wird die Bundesregierung auch im Heer Fahrlehrerplanstellen schaffen, die sicherstellen, daß Betorderungen in diesem Fachbereich durchgeführt werden können?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Durch die Umfangszahlen für Soldaten bedingt, können im Heer Dienstposten für Fahrlehrer nicht in hauptamtlichen Fahrlehrer-Planstellen ausgeworfen werden. Diese Dienstposten sind als Zweitfunktion anderen Planstellen zugeordnet worden, die auf Grund entsprechender Dotierung jedoch Beförderungen in der Tätigkeit als Fahrlehrer bis zum Oberfeldwebel ohne Nachteile für die Betroffenen in dem notwendigen Umfang zulassen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahlberg.
Herr Staatssekretär, da die Luftwaffe und die Marine Fahrlehrer auf Planstellen haben, nur das Heer nicht, sind Sie bereit, prüfen zu lassen, ob man nach dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung so verfahren kann?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich bin bereit, das prüfen zu lassen, ich bin aber ziemlich sicher, daß diese Frage aus den Gründen verneint werden muß, die ich in der Antwort zu Ihrer ersten Frage dargelegt habe.
Präsident von Hassel: Ich rufe Frage 33 des Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Hält die Bundesregierung es mit den vom Bundesverfassungsgericht im vorigen Jahr herausgestellten Grundsätzen zum Verbot der Doppelbestrafung für vereinbar, daß Wehrdienstverweigerer, die vor ihrer Anerkennung bei Ableistung des Wehrdienstes den Dienst mit der Waffe verweigern, wiederholt mit Arreststrafen belegt werden?
Bisher war die Beantwortung durch den Bundesminister der Justiz vorgesehen. Nun beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Verteidigung.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Vereteidigung: Herr Präsident, ich beantworte die Frage folgendermaßen.
1. Ein Soldat, der seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer anstrebt, hat bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Soldat. Damit unterliegt er auch der Gehorsamspflicht. Verweigert er den Befehl, Dienst mit der Waffe zu leisten, begeht er eine Gehorsamsverweigerung, die strafrechtlich und disziplinarisch geahndet werden kann. Das ist feststehende höchstrichterliche Rechtsprechung.
2. Verweigert der Soldat wiederum den Befehl, Dienst mit der Waffe zu leisten, kann er wegen dieser Gehorsamsverweigerung erneut disziplinar zur Verantwortung gezogen werden. Eine solche mehrfache disziplinare Bestrafung verstößt nicht gegen das in Art. 103 des Grundgesetzes verankerte verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung. Das Verbot der Doppelbestrafung gilt zwar auch für das Disziplinarrecht; das heißt, kein Soldat darf wegen derselben Dienstpflichtverletzung mehrmals disziplinar bestraft werden. Bei wiederholter Befehlsverweigerung, Dienst mit der Waffe zu leisten, liegt jedoch jeweils ein neues Vergehen vor, das mit dem vorangegangenen Dienstvergehen nicht identisch ist.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß gerade die Betrachtungsweise, die Sie hier vortragen, vor dem Verfassungsgerichtsurteil vom März 1968 allgemein bei Ersatzdienstverweigerern angewendet und vom Bundesverfassungsgericht eindeutig zurückgewiesen worden ist?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden, Herr Kollege Dr. Schmude. Das war bisher eine Behauptung.
Ich fragte, Herr Staatssekretär, ob Sie nicht der Meinung sind, daß gerade diese Betrachtungsweise, es handle sich um mehrere Taten, vom Bundesverfassungsgericht mit der Bezugnahme auf die ein für allemal getroffene Gewissensentscheidung im März 1968 zurückgewiesen worden ist.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich weiß nicht, Herr Dr. Schmude, ob Sie auf das Urteil des Verfassungsgerichts im Zusammenhang mit einem Soldaten, der sich der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas verpflichtet fühlte, anspielen. Wenn das der Fall ist, kann ich Ihnen sagen, das ist geprüft worden. Hier liegt ein ganz anderer juristischer Fall vor, und Ihre Behauptung stimmt für diesen Fall, nicht jedoch für die Tatsachen, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben. Das ist eindeutig durch das Justizministerium und durch die Rechtsabteilung des Bundesverteidigungsministeriums geprüft worden.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schmude.
Sind Sie nicht der Auffassung, Herr Staatssekretär, daß die Tatsache, daß derartige Soldaten sich wiederholt bestrafen lassen und an ihrer Entscheidung festhalten, dafür spricht, daß sie auf Grund einer ein für allemal getroffenen Gewissensentscheidung bei der Verweigerung der Waffe handeln?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Es ist für mich schwer zu beantworten, weil der Bundesminister der Verteidigung gehalten ist, im Rahmen der durch dieses Haus beschlossenen Gesetze sein Amt zu führen. Meine Auffassungen sind dabei uninteressant. Der Bundesminister der Verteidigung hat die Pflicht und die Aufgabe, gesetzestreu zu sein wie die Soldaten auch.
Präsident von Hassel: Ich rufe Frage 34 des Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß solche Arreststrafen auch nach der Anerkennung eines Soldaten als Kriegsdienstverweigerer in der dann noch verbleibenden Dienstzeit vollstreckt bzw. weitervollstreckt werden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ist ein Soldat als Kriegsdienstverweigerer rechtskräftig anerkannt worden, ist es aus disziplinarischen Gründen im allgemeinen nicht erforderlich, eine vor der Anerkennung verhängte Arreststrafe noch zu vollstrekken oder weiter zu vollstrecken. Die Notwendigkeit der Vollstreckung kann sich allerdings dann ergeben, wenn sich der Soldat außer seiner Weigerung, Dienst mit der Waffe zu leisten, in hohem Maße disziplinwidrig verhalten hat. In diesen Fällen, insbesondere dann, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Soldaten die Disziplin einer ganzen Einheit gefährdet, kann es unerläßlich sein, eine bereits verhängte Arreststrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken. Es wird also immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, ob der Soldat, der nach seiner rechtskräftigen Anerkennung aus der Bundeswehr zu entlassen ist, eine Arreststrafe noch antreten muß oder nicht.
Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß diese Ihre Auffassung bei den zuständigen Offizieren nicht bekannt ist und man dort meint, wie ich es erlebt habe, auf jeden Fall vollstrecken zu müssen, auch wenn sich die Pflichtwidrigkeit allein in der Verweigerung der Waffenannahme erschöpft?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Schmude, mit der Äußerung „man meint" kann ich nichts beginnen. Wenn Sie bereit sind, mir einen Brief zu schreiben und mir mitzuteilen, wo das der Fall war, werde ich veranlassen, daß der Offizier über den Charakter der Verordnung belehrt wird.
({0})
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, und zwar die Frage 32 des Abgeordneten Dr. de With:
Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinzuwirken, daß der Richterwahlausschuß die Bundesrichter nicht mehr nur - falls bisher so verfahren wurde - nach sogenannten „Länderquoten" beruft?
ist der Abgeordnete im Saal? - Zur Beantwortung Herr Bundesminister Jahn.
Die landsmannschaftlichen Quoten - nicht Länderquoten - spielen bei der Wahl von Bundesrichtern zum BundesVerwaltungsgericht und zum Bundesfinanzhof keine nennenswerte Rolle. Mir ist bekannt, daß dies auch in bezug auf die zum Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gehörenden obersten Gerichtshöfe, Bundesarbeitsgericht und Bundessozialgericht, der Fall ist.
Bei der Wahl von Bundesrichtern für den Bundesgerichtshof wird auf die landsmannschaftliche Zugehörigkeit der Bewerber Rücksicht genommen. Es handelt sich um eine auf die Praxis des Reichsgerichts zurückgehende Tradition. Die Entschließung des ersten Richterwahlausschusses der Bundesrepublik im Jahre 1950, diese Praxis fortzuführen, beruhte offenbar auf dem Grundgedanken des Art. 36 Abs. 1 Satz i des Grundgesetzes, wonach bei obersten Bundesbehörden Beamte aus allen Ländern im angemessenen Verhältnis zu verwenden sind.
Auf Vorschlag des Bundesministers der Justiz haben die Landesjustizminister und -senatoren, die die eine Hälfte der Mitglieder des Richterwahlausschusses stellen, schon auf der 36. Justizministerkonferenz 1967 in Köln einer gewissen Auflockerung des Quotensystems zugestimmt. Auf der 38. Justizministerkonferenz 1969 in Berlin hat der Bundesminister der Justiz vorgeschlagen, eine länderfreie Quote von 10 % zu schaffen, auf die besonders qualifizierte Richter oder Richter für Spezialsenate des Bundesgerichtshofes ohne Rücksicht auf die landsmannschaftlichen Quoten gewählt werden könnten. Die Landesjustizminister und -senatoren haben diesem Vorschlag nicht zugestimmt, sich aber zu einer flexibleren Handhabung des Quotensystems bereit-erklärt. Es ist anzunehmen, daß der Richterwahlausschuß, der sich zur anderen Hälfte aus den von diesem Hohen Hause gewählten Mitgliedern zusammensetzt, sich dieser Tendenz aufgeschlossen zeigt.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. de With.
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß in Zukunft durch Gentleman's Agreement dieses Problem wahrscheinlich kein Problem mehr sein wird?
Ich hoffe, daß die Praxis der Entscheidungen des Richterwahlausschusses kritische Stimmen leichter zum Erliegen bringen wird.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister, für die Beantwortung der Frage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf.
Die Frage 35 des Abgeordneten Hirsch ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Wagner ({0}) auf:
Steht nach Auffassung der Bundesregierung die Mindestrente nach § 95 Abs. 2 des Bundesentschädigungsgesetzes, die seit dem Jahre 1956 unverändert 100 DM beträgt, noch in Finklang mit der wirtschaftlicher Entwicklung, oder ist eine Erhöhung der Mindestrente erforderlich?
Ist der Abgeordnete im Saal? - Er ist im Saal. Zur Beantwortung bitte Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Rente der im unselbständigen Beruf geschädigten Verfolgten ist weitgehend schadensbezogen. Ihre Bemessung richtet sich deshalb nach der dem Verfolgten zustehenden Kapitalentschädigung, die ihrerseits von der Länge des Schädigungszeitraumes abhängt. Abweichend hiervon hat der Gesetzgeber bei der Mindestrente das Schadensdeckungsprinzip verlassen und ohne Rücksicht auf die Höhe der vom Verfolgten zu beanspruchenden Kapitalentschädigung einen Pauschalbetrag von 100 DM festgesetzt. Dieser Mindestbetrag betrifft nur Fälle, in denen die nach dem tatsächlichen Schaden zu errechnende monatliche Rente unter 100 DM liegen würde. In einer Vielzahl von Fällen stellt dieser Pauschalbetrag das Mehrfache des Betrages dar, der sich heute als Rente errechnen ließe. Im Hinblick auf diese äußerst großzügige Regelung hielt es der Gesetzgeber auch bei der abschließenden Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes durch das BEG-Schlußgesetz nicht für gerechtfertigt, diese Mindestrente an künftigen linearen Rentenerhöhungen teilnehmen zu lassen. Ich darf insoweit auf die vom damaligen Wiedergutmachungsausschuß gebilligte Regierungsvorlage Bundestagsdrucksache IV/1550, Seite 30, zu Nummer 45 ({1}), verweisen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wagner ({2}).
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die mit der Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes befaßten Behörden zur Abwendung von Rechtsstreitigkeiten mit den Betroffenen Vergleiche auf der Basis dieser Mindestrente nach § 95 Abs. 2 des Bundesentschädigungsgesetzes abgeschlossen haben?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist mir nicht
bekannt. Ich werde der Sache aber gern nachgehen und Ihnen schriftlich Auskunft geben.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wagner.
Herr Staatssekretär, wären Sie, falls Sie meine Feststellung bestätigt finden, bereit, nochmals zu prüfen, ob nicht doch überlegt werden müßte, diese Mindestrente an die Einkommensentwicklung anzupassen?
Dr. ReisChl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wenn das so ist, wird man die ganze Frage noch einmal prüfen müssen.
Präsident von Hassel: Ich rufe die Fragen 37 und 38 des Abgeordneten Ruf auf. Der Fragesteller ist nicht im Saal? - Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wie ist die Behauptung des Parlamentarischen Staatssekretärs Prof. Dahrendorf lt. Südkurier vorn 1. Dezember 1969 auf einer Veranstaltung der EDP am 30. November 1969 in Radolfzell, der neue Bundesminister der Finanzen habe die Bundesfinanzen in einer katastrophalen Lage vorgefunden, in Einklang zu bringen mit der Feststellung des Bundesministers der Finanzen Dr. Möller in seinem Artikel in der „Welt" vein 12. November 1969: „Die Bundesfinanzen sind gesund!"?
Ist der Abgeordnete im Saal? Zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl.
Dr. ReiSchl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich wäre dankbar, Herr Präsident, wenn ich die Fragen 39 und 40 zusammen beantworten dürfte.
Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Ich rufe dann ebenfalls die Frage 40 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Was gibt dem Parlamentarischen Staatssekretär Prof. Dahrendorf die Veranlassung, öffentlich zu erklären, die Äußerungen des früheren Bundesministers der Finanzen Dr. Strauß, er habe geordnete Bundesfinanzen zurückgelassen, seien eine „Irreführung der Öffentlichkeit" gewesen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Hier handelt es sich um eine Bewertung der Aussagen, die der frühere Bundesfinanzminister Strauß in der Bundespressekonferenz vom 17. Oktober 1969 gemacht hat und die in den „Finanznachrichten" Nr. 149 veröffentlicht worden sind. Die Bewertung dieser Aussagen gehört zu dem persönlichen Verantwortungsbereich eines Abgeordneten. Die Ordnung der Bundesfinanzen muß gestört sein, wenn die mittelfristige Finanzplanung nicht auf dem laufenden ist und wenn vor allen Dingen durch eine verspätet durchgeführte Aufwertung der D-Mark Lasten auf den Bund zukommen, die man hätte vermeiden können und über die die Öffentlichkeit vom früheren Bundesfinanzminister nicht unterrichtet worden ist.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß, wenn ein Abgeordneter, der zugleich Parlamentarischer Staatssekretär ist, äußert, der vorhergehende Bundesfinanzminister habe die Finanzen in einem katastrophalen Zustand hinterlassen, das auch eine Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung ist?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich sage nach wie vor, daß es dem persönlichen Verantwortungsbereich des einzelnen überlassen sein muß. Ich kann mich hier auch nicht zum Zensor solcher Äußerungen machen, weil ich sie nicht in vollem Wortlaut vorliegen habe.
({0})
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, konnten Sie nicht Feststellen, ob diese Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs Dahrendorf tatsächlich so gefallen ist?
Dr. ReisChl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Man müßte den gesamten Wortlaut der Rede kennen. Auch Sie wissen doch, Herr Kollege, daß im Rahmen einer längeren Rede einmal eine Äußerung fallen kann, die, wenn man sie herausnimmt, wesentlich schärfer klingt, als wenn man sie im Zusammenhang der Rede sieht.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin die verspätete Aufwertung als Beweis für die nicht fortgeschriebene mittelfristige Finanzplanung genommen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie wirklich der Meinung sind, daß bei einer früher vorgenommenen Aufwertung die Verluste der deutschen Landwirtschaft und die Entschädigung aus dem Bundeshaushalt nicht vorgekommen wären.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Daß die Landwirtschaft Entschädigungen aus dem Bundeshaushalt hätte bekommen müssen, ist nicht zu bestreiten. Aber ich bestreite, daß sie damals höher oder gleich hoch gewesen wären.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Dr. Schulze-Vorberg ({1}) : Herr Staatssekretär, nach Ihrer Behauptung, daß durch eine, wie Sie sagen, verspätete Aufwertung Lasten auf die Bundeskasse zugekommen seien, möchte ich konkret fragen: welche Lasten sind durch die angeblich verspätete Aufwertung auf die Bundeskasse zugekommen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Es sind doch alle diese Lasten höher geworden. Das gibt ja der ehemalige Bundesfinanzminister Strauß in seiner letzten Pressekonferenz selbst zu, indem er dort sagt, daß jetzt eben eine Reihe von Unwägbarkeiten im Haushalt drin sind.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Präsident, darf ich feststellen, daß die Frage nicht beantwortet worden ist, die ich gestellt habe. Ich habe gefragt, weiche Lasten durch die angeblich verspätete Aufwertung auf die Bundeskasse zugekommen sind.
({0})
Diese Frage darf ich vielleicht wiederholen. - Die Frage wird leider nicht beantwortet.
({1})
Präsident von Hassel: Herr Kollege Schulze-Vorberg, Sie können beim nächstenmal eine Frage wieder stellen. Im Grunde ist Ihre Zusatzfrage nicht ganz vereinbar mit den Grundfragen. Deshalb ist die Antwort nicht so ausgefallen. Aber Sie können ja jederzeit eine neue Frage einreichen, - allerdings keine Dringlichkeitsfrage in dieser Woche, denn wir haben bereits Fragen genug.
Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl, für die Beanwortung danken.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, muß ich auf folgendes hinweisen. Vor Eintritt in die Tagesordnung haben wir sechs weitere Schriftführer gewählt. In der Zwischenzeit hat mich aber die Fraktion der SPD wissen lassen, daß sie nicht Herrn Dr. Enders, sondern den Abgeordneten Hans Batz vorgeschlagen habe; das ist mir eben mitgeteilt worden. Ich darf also feststellen, daß wir insoweit den anfänglich um 9 Uhr gefaßten Beschluß ändern.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 2 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Stoltenberg, Dr. Martin und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes
- Drucksache VI/114 -
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Stoltenberg, Dr. Martin und der Fraktion
Präsident von Hassel
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache VI/115 Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Stoltenberg und teile mit, daß die CDU/CSU-Fraktion für ihn eine Redezeit von 25 Minuten erbeten hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag, die gemeinsame Planung und Finanzierung von Bund und Ländern auf den gesamten Hochschulbereich zu erweitern, ist Anlaß zu einer kurzen Erörterung der Erfordernisse, Zielvorstellungen und Prioritäten in der Hochschulpolitik. Wir erblicken in dieser Initiative eine bedeutsame und logische Weiterentwicklung der Konzeption, die Regierung und Parlament im Frühjahr mit der Finanzreform und dem Hochschulbauförderungsgesetz verfolgt haben. Es war damals schwierig, diese Vorstellungen im bundesstaatlichen Dialog in unsere Verfassungs- und Rechtsordnung einzubringen. Aber schließlich konnte eine Verständigung über diese bedeutsame Reform erreicht werden. Die neue Form der institutionellen Zusammenarbeit von Bund und Ländern soll für die wissenschaftlichen Hochschulen eine langfristige, übergreifende gesamtstaatliche Planung und Finanzierung sichern. In einem zweiten Schritt, im Hochschulbauförderungsgesetz, wurde dann im Juni dieses Jahres erstmals das erforderliche wirkungsvolle Instrumentarium für diese Kooperation und eine angemessene Beteiligung des Bundes an der Planung geschaffen.
Bei den Verhandlungen zur Finanzreform ist in den Ausschüssen des Bundestages bereits die Frage erörtert worden, ob diese neue Gemeinschaftsaufgabe auf den gesamten Hochschulbereich ausgedehnt werden solle. Dafür sprachen damals in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages Abgeordnete aller Fraktionen. Aber es gab zwei wesentliche Gründe gegen eine solche Lösung. Einmal bestanden bei den Ländern Bedenken gegen diese Erweiterung. Die Bundesregierung und die große Mehrheit des Bundestages entschieden sich deshalb dafür, das Gesamtwerk der Finanzverfassungsreform nicht durch weitere Forderungen zu gefährden. Zum anderen fehlte es aber auch an einer Regelung für die gemeinsame Planung vor allem im Sektor der Fachhochschulen, während bei den Universitäten mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bereits eine gewisse Basis gegeben war.
Deshalb ist in dem Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages vom 6. Dezember 1968 ausdrücklich betont worden, man habe nach gründlicher Prüfung darauf verzichtet, die Formulierung „wissenschaftliche Hochschulen" in der Regierungsvorlage durch „Hochschulen" zu ersetzen, um deutlich begrenzte und gleichmäßige Verpflichtungen des Bundes gegenüber den Ländern zu schaffen.
Diese Erweiterung nun, die Regierung und Parlament damals aus verständlichen Gründen ablehnten, beantragen wir heute unter neuen, veränderten Bedingungen.
Mit der Verabschiedung des Hochschulbauförderungsgesetzes im Juni verfügen wir erstmals über ein wirkungsvolles Instrumentarium für eine gesamtstaatliche Hochschulplanung, ihre Erweiterung auf den gesamten Hochschulbereich schafft keine nennenswerten neuen Schwierigkeiten.
Vor allem aber ist bei den Ländern und in der Öffentlichkeit die Erkenntnis gewachsen, daß angesichts der weiter zunehmenden Spannungen und der sich rasch steigernden sachlichen und finanziellen Erfordernisse noch mehr Zusammenarbeit, noch mehr Initiative und die weitgehende Mobilisierung aller Kräfte von Bund und Ländern notwendig ist, um großen Schaden abzuwehren.
Hierzu soll die von uns vorgeschlagene Verfassungsänderung einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie wird schon heute von der Mehrzahl der Kultusminister der Bundesländer und einer Reihe von Kabinetten begrüßt und nachdrücklich unterstützt, und wir würden es begrüßen, wenn wir auch die Aufmerksamkeit und Unterstützung des Bundesinnenministers für diese Initiative gewinnen könnten, vor allem auch die Aufmerksamkeit in diesem Hause, Herr Kollege Genscher.
({0})
Die Mittel für den Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen sind von 1964 bis 1969 von 600 Millionen DM auf 1,4 Milliarden DM jährlich angestiegen. Allein der Bund hat von 1965 bis 1969 seine Leistung für diese Aufgabe von 280 Millionen DM auf 750 Millionen DM erhöht. Aber trotz dieser durchaus eindrucksvollen staatlichen Anstrengungen haben sich die Studienbedingungen an einer Reihe von Fakultäten verschlechtert. Der sogenannte Numerus clausus nimmt in allen Bundesländern von Semester zu Semester zu. Wir alle wissen, zu welch ernsten politischen und sozialen Spannungen, vor allem aber auch, zu welchen menschlichen Belastungen und Bedrückungen diese Lage geführt hat.
Es muß uns als Politiker sehr nachdenklich stimmen, wenn eine so beträchtliche Erhöhung der öffentlichen Mittel bisher nicht zu einer entscheidenden Verbesserung der strukturellen Bedingungen führte, sondern die Verhältnisse teilweise noch schlechter wurden, wenn also die Linien der öffentlichen Leistungen und der realen Lage an den Hochschulen nicht parallel, sondern teilweise bis jetzt gegenläufig verliefen.
Wir sehen heute deutlicher, daß eine in der Grundtendenz richtige Bildungsexpansion im Schulwesen nur in enger Abstimmung mit der Entwicklung der Hochschulen, den erkennbaren Möglichkeiten in der Berufswelt von morgen und der öffentlichen Finanzplanung erfolgreich sein kann. Hieran hat es in den bildungspolitischen Debatten und Entscheidungen des letzten Jahrzehnts gelegentlich gefehlt. Auf Grund der Orientierung an manchmal irreführenden internationalen Statistiken, an isolierten Forderungen und Parolen und punktueller Kritik sind in vielen Bundesländern Veränderungen eingeleitet worden, ohne daß ihre Konsequenzen im Gesamtsystem der Bildungs-, Gesellschafts- und Finanzpolitik übersehen wurden.
Dies ist kein Anlaß zur wechselseitigen Polemik. Die Lage ist in den elf Bundesländern fast gleich, unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung ihrer Regierungen. Solche Erfahrungen zwingen uns aber, in Zukunft unsere Planungen im Hochschul- und Bildungswesen auf ganz soliden Unterlagen aufzubauen, klare rechtliche Voraussetzungen zu schaffen und vor allem für die Übereinstimmung der Ziele einerseits und der politischen, administrativen und finanziellen Mittel andererseits zu sorgen, damit in der Verwirrung der Begriffe, der Projektionen und Zukunftsbilder die Spannungen nicht noch größer und schließlich unerträglich werden.
({1})
Bis 1975 werden sich die Absolventenzahlen der weiterführenden Schulen nochmals fast verdoppeln. Das parallel dazu verlaufende Anwachsen der Zahl. der Studienbewerber wird die Schwierigkeiten zunächst noch weiter vergrößern. Es gibt hier keine Patentrezepte, aber dieser Sachverhalt akzentuiert auf das eindringlichste die Notwendigkeit neuer weiterführender Lösungen. Wir müssen dabei von dem engen Zusammenhang zwischen den quantitativen Problemen unserer Hochschulen und den Strukturfragen ihrer inneren Reform ausgehen. Wenn wir den Zustand der ständigen Überfüllung und der unzureichenden Arbeitsbedingungen in vielen Fakultäten nicht überwinden, bleiben Strukturveränderungen weitgehend wirkungslos. Umgekehrt bringt eine erneute Erhöhung der Mittel, die notwendig ist, keinen Ausweg, wenn wir nicht durch sachgerechte innere Reformen bessere Bedingungen für ein modernes, qualifiziertes Studium und eine anspruchsvolle Forschung schaffen.
Ich sprach von sachgerechten Reformen, weil leider nicht alles, was in den letzten Jahren - und auch heute noch - als Rezept für die Neuordnung der Hochschulen angeboten und in Verbindung mit manchen Ländergesetzen diskutiert wird, zukunftsweisend und erfolgversprechend ist.
({2})
Die Fragen des Zuganges zu den Hochschulen und ihrer künftigen Struktur werden uns im neuen Jahr sehr eingehend beschäftigen, im Zusammenhang mit unserer Anfrage zum Numerus clausus und mit der Rahmengesetzgebung des Bundes für das Hochschulwesen. Letzteres ist eine der großen Aufgaben, die wir im Jahre 1970 in diesem Hause gemeinsam zu meistern haben.
Heute geht es um eilreif weiteten wichtigen konkreten Schritt zur wirkungsvolleren Planung und schnelleren Steigerung der Kapazitäten und Mittel. Wir haben bereits im Juli und August, also vor der Bundestagswahl, die Forderung nach einer solchen weiteren Verfassungsänderung mehrfach öffentlich erhoben. Wir haben das - in folgerichtiger kontinuierlicher Weiterentwicklung unserer Hochschulpolitik - damals als Regierungspartei genauso getan, wie wir es heute in der Opposition tun. Wir hoffen, daß sich auch die anderen Fraktionen dieses Hohen Hauses an dem orientieren, was sie vor der Wahl über eine erweiterte Zusammenarbeit von
Bund und Ländern und die notwendige Stärkung der Möglichkeiten des Bundes öffentlich gesagt haben.
Die von uns beantragte Erweiterung der gemeinsamen Planung und Finanzierung wird die Zusammenarbeit und gegenseitige Durchlässigkeit von Universitäten und Fachhochschulen im Hochschulbereich fördern - eine Notwendigkeit, die heute von allen Parteien in der bildungspolitischen Diskussion bejaht wird -, sie wird die Entwicklung neuer Studiengänge und Berufsbilder im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Wirtschaft voranbringen, sie wird eine Verdreifachung der jährlichen Investitionsmittel von jetzt 200 Millionen DM im Fachhochschulbereich durch das Hinzukommen eines gleichgroßen Betrages aus dem Bundeshaushalt und durch eine Steigerung um etwa 50% bis zum Jahre 1973 bewirken, und sie wird schließlich zu der Schaffung von mindestens 100 000 neuen Studienplätzen im Fachhochschulbereich bis 1975 führen können.
Wir haben bei der vorgesehenen Novellierung des Hochschulbauförderungsgesetzes zunächst vorgesehen, die Kunst- und Musikhochschulen im Hinblick auf die dort häufige Trägerschaft kommunaler und privater Stellen nicht in die Gemeinschaftsaufgaben einzubeziehen. Wir sind jedoch bereit, diese Spezialfrage im Ausschuß noch einmal sehr sorgfältig im Für und Wider zu erörtern.
Meine Damen und Herren, die ersten Reaktionen des zuständigen Bundesministers und auch einiger Kollegen der Koalitionsfraktionen auf unseren Antrag haben uns etwas überrascht. Ich habe deshalb versucht, seine rechts- und hochschulpolitische Begründung und die konkreten Ziele kurz, aber doch etwas genauer zu umreißen. Herr Minister Leussink hat gemeint, unsere Initiative könne zu einer verfassungsrechtlichen Verdeutlichung führen. Dieser Antrag will jedoch mehr. Seine Annahme soll erstmals eine Mitplanung und Mitfinanzierung des Bundes für den neuen Bereich der Fachhochschulen überhaupt ermöglichen.
({3})
Es trifft auch nicht zu, wie Minister Leussink in seiner Stellungnahme schrieb, daß Bundestag und Bundesrat in Art. 91 a des Grundgesetzes eine Unklarheit geschaffen oder hinterlassen hätten. Der von mir zitierte Bericht des Rechtsausschusses dieses Hohen Hauses mit der Unterschrift des Abgeordneten Dr. Arndt vom 6. Dezember 1968 und die anderen Materialien zur Verfassungsänderung und Gesetzgebung machen ganz deutlich, was gewollt und deshalb für den Bund jetzt möglich ist und was nicht.
Im übrigen hat uns das Urteil des Ministers verwundert, die frühere Bundesregierung habe durch die Konzentration auf Verfassungs- und Zuständigkeitsfragen zuviel Zeit verloren. Meine Damen und Herren, es war der ganz entschiedene Wille der Fraktionen dieses Hauses, durch die Finanzverfassungsreform endlich bessere und klarere Zuständigkeiten zu schaffen,
({4})
eine unsystematische und willkürliche Mischfinanzierung zu beseitigen, deren Nachteile aus den letzten acht Jahren alle kennen, und dem Bund ein wirkungsvolleres Instrumentarium für seine Wissenschalts- und Hochschulpolitik zu geben, das er dringend brauchte.
Die außerordentliche positive Wertung dieser Reform und Neuordnung durch führende Politiker der CDU/CSU und der SPD, unter ihnen auch Willy Brandt und Alex Möller, vor diesem Hause und in der Öffentlichkeit steht in einem deutlichen Gegensatz zu diesem ungünstigen und meines Erachtens sachlich falschen Urteil. Wir sollten Übereinstimmungen in den Grundfragen unserer staatlichen Organisation und Politik, die bisher bestehen, nicht ohne Notwendigkeit einschränken.
Die Wissenschafts- und Hochschulpolitik des Bundes kann nach meiner Überzeugung nur auf klaren verfassungsrechtlichen Grundlagen und mit dem angemessenen Instrumentarium für die Planung und Kooperation erfolgreich sein. Sie sollte es vermeiden, dort in eine ungeordnete Fondswirtschaft oder in ein System formeller Absprachen zurückzufallen, wo ein abgestimmtes gesamtstaatliches Sachkonzept wie im Hochschulwesen bei der Größe der Aufgaben unbedingt erforderlich ist. Wir haben deshalb auch Wert darauf gelegt, daß unsere Initiative bereits in dieser Sitzungswoche behandelt wird, und rechnen mit der Möglichkeit einer abschließenden Beratung und Beschlußfassung im März oder April des nächsten Jahres. Insofern wird sicher keine Zeit verloren.
Diese Debatte und diese Initiative sind schließlich auch geeignet, den Vorrang der Wissenschafts- und Hochschulfragen noch einmal vor aller Öffentlichkeit zu betonen. Die neue Regierung hat auf vielen Gebieten finanzwirksame Initiativen eingebracht, noch in dieser Woche, wie ich höre, einen Dringlichkeitsantrag im Haushaltsausschuß zur Steigerung der Kokskohlesubvention, oder Leistungen in Aussicht gestellt. Über ihre Pläne und Absichten zur Wissenschafts- und Hochschulfinanzierung haben wir jedoch bisher nichts gehört. Vielleicht können deshalb diese Debatte und diese Initiative den zuständigen Minister bei seinen offenbar recht schwierigen Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung über die Wissenschaftsfinanzierung über den Etat 1970 und die Finanzplanung etwas unterstützen.
({5})
Es ist ganz klar, daß zu der Initiative für die Fachhochschulen entsprechende neue und wesentlich erleichterte Planungen für die Universitäten kommen müssen. Die Bundesregierung bezieht sich nach der bisherigen Praxis und auch nach den Bestimmungen des Hochschulbauförderungsgesetzes hierbei auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. In Zukunft werden für die Regierungen verbindliche Beschlüsse im Planungsausschuß durch Bund und Länder erfolgen.
Wir hoffen sehr, daß der Wissenschaftsrat nun bald seine Vorschläge für den Aus- und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen für die Zeit von 1971 bis 1975 vorlegt und damit der Regierung eine
Präzisierung ihrer eigenen Planungen ermöglicht. Nur so können wir die erneut drohende isolierte Entwicklung in elf Ländern und 40 Universitäten vermeiden. Das war das Ziel der Finanzverfassungsreform. Nur so können wir zu der notwendigen Steigerung der Mittel, den richtigen Schwerpunkten und Neugründungen kommen.
Das, meine Damen und Herren, sind einige der Voraussetzungen für die Lösung der großen Aufgabe, zu der auch unser Antrag einen Beitrag leisten soll.
Wir hoffen, daß wir in den kommenden Ausschußberatungen doch zu einer Verständigung gelangen und uns auf eine positive Weiterentwicklung unserer Verfassung in diesem zentralen Punkt einigen können.
({6})
Präsident von Hassel: Sie haben die Begründung zu den Anträgen der Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b gehört. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der kurzen Geschichte der Oppositionszeit der CDU haben sich die Regierungsparteien bisher daran gewöhnen müssen, daß die Opposition ihre eigenen Versäumnisse hier in Form von Anträgen dem Hause vorlegt.
({0})
Die beiden Anträge heute morgen, über die wir miteinander reden wollen, machen in der Absicht davon keine Ausnahme, in ihrem Inhalt allerdings. Ich finde es besonders „taktvoll" und, parlamentarisch gesehen, besonders unvorsichtig, Herr Kollege Stoltenberg, daß Ihre Fraktion ausgerechnet Sie gebeten hat, diese beiden Anträge hier zu vertreten, wo Sie in den letzten Jahren bis vor sechs Wochen hinreichend Gelegenheit gehabt hätten, diese Initiativen als federführender Bundesminister in die Wege zu leiten,
({1})
statt hier nach sechs Wochen zu kommen und mit erhobenem Zeigefinger Ihrem Nachfolger vorzuhalten, daß er in sechs Wochen nicht das getan hat, was Sie fünf Jahre vorher nicht zu Wege gebracht haben.
({2})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Aber ja!
Herr Kollege Lohmar, ist Ihnen nicht bekannt und durch meinen Hinweis nicht deutlich geworden, daß die Bundesregierung einstimmig - auch mit Unterstützung jenes
I stellvertretende Fraktionsvorsitzenden Schäfer, der eben klatschte - im März beschlossen hat, diese Initiative, die im Bundestag diskutiert wurde, nicht zu unterstützen, weil sie nach Verabschiedung der Finanzreform durch die Haltung der Länder gefährdet sei? Und halten Sie es für taktvoll, nachdem Sie die Regierung damals nicht kritisiert haben, dies heute zu tun?
({0})
In der Tat, Herr Kollege Stoltenberg! Wenn Sie die Freundlichkeit haben, einmal in den Protokollen des Rechtsausschusses nachzublättern, werden Sie feststellen, daß beispielsweise mein Fraktionskollege Bayerl damals sehr dezidiert gesagt hat, es sei unsinnig, den Begriff „Hochschulen" in Art. 91 a des Grundgesetzes durch die Hereinnahme des Wortes „wissenschaftlich" einzuengen. Das war so innerhalb der Großen Koalition, die ja gelegentlich nicht mehr sein konnte als breit. Innerhalb der Großen Koalition gab es durchaus unterschiedliche Meinungen über diese Frage. Ich darf Ihnen vielleicht auch die Meinung des Herrn Bundesministers Stoltenberg, vertreten im Rechtsausschuß, in Erinnerung rufen. Es heißt hier - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten seien die beiden Sätze zitiert -:
Er
- der Herr Bundesminister bitte, zur Regierungsvorlage
d. h. zur einengenden Formulierung „wissenschaftliche Hochschulen" zurückzukehren. Abgesehen von der nicht zu übersehenden Zahl von Fachschulen, die in den Ländern zu Fachhochschulen angehoben worden seien und durch die beschlossene Fassung mit einbezogen würden, könnten entsprechende Regelungen in der Kürze der Zeit wegen administrativer Schwierigkeiten nicht herbeigeführt werden.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Stoltenberg?
Bitte sehr!
Da Sie, Herr Kollege Dr. Lohmar, schon beginnen, hier Ausschußprotokolle zu zitieren, frage ich Sie, ob Sie auch zitieren wurden, daß der amtierende Vorsitzende des Rechtsausschusses, der sozialdemokratische Abgeordnete Reischl, damals völlig den einstimmigen Beschluß des Kabinetts unterstützt hat, den ich pflichtgemäß vertreten habe. Halten Sie es bei dieser Ihnen bekannten Lage wirklich für sinnvoll, in einer derartige Polemik einzutreten?
({0})
Herr Stoltenberg, ich hätte darüber kein Wort gesagt, wenn Sie hier nicht mit der Manier des Oberlehrers so getan hätten, als ob
Herr Leussink in sechs Wochen alles das vom Tisch bringen könnte, was Sie vorher nicht gemacht haben!
({0})
Nun zur Sache selber. Der politische Sinn der beiden CDU/CSU-Anträge läßt sich in drei Punkten glasklar zusammenfassen. Die erste Absicht ist, Ihre politische Oppositionsfahne in den Stimmungswind derjenigen zu hängen, die glauben, daß man mit einer Kompetenzausweitung zugunsten des Bundes allein alle Probleme lösen könne.
({1}) Das ist Ihre erste Absicht.
({2})
Die zweite Absicht, die Sie haben, ist ebenso klar erkennbar.
({3})
- Herr Köppler, Sie haben doch nun auf dem Rheinischen Parteitag der CDU genügend Gelegenheit gehabt, zu reden. Lassen Sie mich doch hier wenigstens einmal ausreden!
({4})
Die zweite Absicht, die Sie haben, ist folgende. Wenn die Regierung und die Mehrheitsparteien sich darauf einließen, hier eine Verfassungsänderung zu betreiben als Voraussetzung dafür, daß der Bund ( praktisch im Fachhochschulbereich mit einsteigen kann, dann wissen Sie ganz genau, daß es mit einem Beschluß des Bundestages in dieser Sache nicht getan wäre, sondern daß wir einen langen, schwierigen Verfahrensweg mit den Ländern vor uns hätten.
({5})
Und das würden Sie dann hier dazu benutzen, um ein Jahr oder eineinhalb Jahre der Regierung das um die Ohren zu schlagen, was Sie ihr heute vorschlagen. Dazu sagen wir nein.
Der dritte Punkt - besonders amüsant - ist Ihr Antrag auf Drucksache VI/114, der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes. Die ganze ungeklärte Situation in der CDU/ CSU kommt in diesem Antrag zum Ausdruck; denn er beabsichtigt inhaltlich nichts anderes als die Zementierung der Trennung der bisherigen wissenschaftlichen Hochschulen von den Fachhochschulen. Er ist ein Umwegmanöver, um den Weg zur Gesamthochschule zu verzögern oder zu verlegen. Er verrät im Grunde Ihre Verlegenheit.
({6})
- Herr Stoltenberg, wenn Sie beim Hearing des Wissenschaftsausschusses in der vergangenen Woche dabei gewesen wären und die Zwischenfragen Ihrer Fraktionskollegen bei der Diskussion gerade dieses Themas, als die Herren Sachverständigen sich dazu geäußert haben, gehört hätten,
würden Sie nicht sagen: lächerlich. Ich entnehme das, was ich gesagt habe, eben der Interpretation Ihrer Fraktionskollegen in der letzten Woche.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz? - Er verzichtet.
Herr Abgeordneter Moersch, haben Sie eine Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Moersch verzichtet. Danke schön. - Sie brauchen nicht zu antworten, Herr Dr. Lohmar. Beide Herren haben inzwischen verzichtet.
Ich möchte zu den beiden Anträgen zweierlei sagen. Erstens verkennen die Befürworter einer Verlagerung der parlamentarischen Diskussion auf die Kompetenzebene vollkommen den politischen Ernst und die sachliche Dringlichkeit der Zustände, die wir an den Hochschulen vor uns haben.
Zweitens ist die entscheidende Frage zwischen Bund und Ländern in den nächsten Monaten und Jahren nicht die nach einer Kompetenzbereinigung oder -verschiebung, sondern die entscheidende Frage lautet: Wo kriegen wir das Geld her, um mit dem nötigen Tempo ausbauen und anderes tun zu können?
({0})
Das ist keine Frage, die Sie durch Kompetenzverschiebungen lösen können, sondern die Sie durch die Verständigung zwischen Bund und Ländern auf ein sachliches Schwerpunktprogramm, auf ein Sofortprogramm in diesem Bereich lösen müssen.
Wenn die beiden Anträge der CDU/CSU überhaupt einen politischen Sinn haben, dann den, nach Wegen zu suchen, wie man den Numerus clausus an den Hochschulen überwinden kann, wie man es zuwege bringen kann, daß jeder einen seiner Begabung und seiner Leistung entsprechenden Studienplatz an unseren Hochschulen findet.
Ich möchte deswegen dieser Kompetenzforderung der CDU/CSU-Fraktion fünf konkrete Vorschläge an die Seite stellen, die in der letzten Woche in den Gesprächen mit unseren Gästen im Wissenschaftsausschuß, dem Wissenschaftsrat, der Westdeutschen Rektorenkonferenz, den Assistenten und den Studenten, erörtert worden sind und über die sich, soweit ich sehe, auch eine weitgehende Übereinstimmung abzeichnet.
Erstens. Wir brauchen eine zentrale Zulassungsstelle; denn der Numerus clausus - darauf hat ja auch Herr Stoltenberg hingewiesen - wird nicht seltener, sondern er wird bald der Normalzustand an unseren Hochschulen sein.
Dazu gehört auch diese Überlegung, meine Damen und Herren: Wie wollen wir denn diese zentrale Zulassungsstelle handhaben? Die Assistenten und die Studenten haben uns gesagt: Man kann das Unrecht nicht gerecht verteilen. Und wenn man das nicht könne, dann sei es schon das Beste, durch Los
zu entscheiden, wer an die Hochschulen kommen könne und wer nicht, solange dieser Engpaß bestehe. Es gibt dafür und dagegen gewichtige Gründe. Wenn man die Losentscheidung aber vermeiden will, dann brauchen wir sehr bald handfeste Maßstäbe, mit deren Hilfe wir Vorstellungen entwickeln können, auf Grund welcher Kriterien wir denn den Numerus clausus handhaben wollen, solange wir ihn noch nicht abbauen können. Dies ist eine Denkaufgabe sowohl für die Bundesregierung als auch für die Fraktionen dieses Hauses, meine eigene eingeschlossen. Klarheit bestand darüber, daß jedenfalls das Abitur in seiner bisherigen Form als alleinige Eingangsvoraussetzung für die Universität wohl nicht mehr unbestritten ist, sondern daß darüber hinausgehende Überlegungen angestellt werden müssen.
Die zweite Forderung: Was wir brauchen, ist ein schneller Ausbau des Hochschulwesens in seiner Gesamtheit. Dazu gehört der Entschluß, mit Fertigbauten zu arbeiten; Herr Bundesminister Leussink hat dies wiederholt zum Ausdruck gebracht. Dazu gehört eine Interpretation des Art. 91 a, die den Begriff der wissenschaftlichen Hochschulen in Übereinstimmung mit kooperationsbereiten Ländern extensiv in Richtung der Gesamthochschule auslegt. Und es gehört dazu die Überlegung, ob man die 50 : 50-Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern eigentlich jeweils nur auf ein Jahr beziehen muß oder ob man sie nicht auch, etwa im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, auf mehrere Jahre beziehen kann, was dann eine größere Flexibilität möglich machen könnte.
({1})
Die dritte Folgerung, die ich ziehen möchte, ist die, daß wir alles, aber auch alles tun müssen, um die Ausweitung der Lehrkörper an den Hochschulen in die Wege zu leiten. Dazu gehört deren beamtenrechtliche Reform, dazu gehört die Studienreform, und dazu gehören vor allem zwei Dinge, auf die uns die Assistenten in der vergangenen Woche in dem öffentlichen Hearing hingewiesen haben, nämlich ein Graduiertenprogramm, eine Ausweitung dessen, was wir bisher mit Promotionsstipendien betrieben haben, in einem gewaltigen Ausmaß, gemessen an den bisherigen Anstrengungen; und die Einrichtung von Assistenzprofessuren im Rahmen einer Reform der Hochschulstruktur. Beides zusammen wird das Kernstück der Expansion und inhaltlichen Reform der Lehrkörperstruktur an den Hochschulen ausmachen müssen. Es spricht vieles dafür, meine Damen und Herren, daß wir die Regelung dieser Dinge noch vor der Verabschiedung des Rahmengesetzes für das Hochschulwesen in Angriff nehmen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Herr Professor Lohmar, sind Sie der Auffassung, daß Ihre derzeitigen Ausführungen mit den Ausführungen von Herrn KolleDeutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, der 10. Dezember 1969 673
gen Stoltenberg und dem eigentlichen Tagesordnungspunkt in einem engen Zusammenhang stehen?
({0})
Sie stehen in engem Zusammenhang mit der politischen Fragestellung, auf die Ihre beiden Anträge in der Begründung eigentlich hätten zielen müssen, nämlich auf die Überwindung des Numerus clausus. Was ich ablehne, ist die Verengung der politischen Diskussion auf Kompetenzerwägungen.
({0})
Die vierte Forderung in diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, ist die rasche Verwirklichung des Fernstudiums im Medienverbund. Es ist schade, daß die Kultusministerkonferenz hier eine Studiengruppe zu Fragen eingesetzt hat, über die im Zusammenhang mit den Vorarbeiten der VW-Stiftung bereits inhaltliche und methodische Klarheit bestand. Wir sollten uns hier keinen weiteren Zeitverlust leisten, sondern rasch diesen neuen und ergänzenden Weg beschreiten, um zu einer Entlastung unserer Hochschulen zu kommen.
Das fünfte schließlich wäre der Vorschlag, daß wir alle für das Projekt „Jedem ein Zugang zu einer Hochschule" oder „Überwindung des Numerus clausus" in Bund, Ländern oder in beratenden Gremien Verantwortlichen zu einer Projektgruppe zusammenfassen. Das Nebeneinander der verschiedenen staatlichen, halbstaatlichen und nichtstaatlichen Organisationen und Institutionen mit ihrem völlig unzureichenden wechselseitigen Informationsgrad war die entscheidende Barriere in den vergangenen Jahren, wenn wir mehr Tempo in die Sache bringen wollten. Dieses Nebeneinander kann man nur überwinden, wenn man alle Beteiligten mit einem sachlich und zeitlich begrenzten Projektauftrag zusammenspannt und von ihnen erwartet, daß sie, meinetwegen in einem halben Jahr, einen kooperativen Vorschlag mit einem Bündel von Maßnahmen zur Überwindung des Numerus clausus vorlegen.
Beratungsgremien, in denen Leute nur nachdenken und ihre Vorschläge machen, haben überhaupt keinen Sinn, wenn man sie nicht mit denjenigen zusammenbindet, die solche Ratschläge auch in Entscheidungen umsetzen können. Gerade darauf kommt es an, beide Gruppen zusammenzubinden.
Meine Fraktion möchte die Bundesregierung und speziell den Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft darin bestärken, bei seiner Mischung von sachbezogener Entschlußkraft und Pragmatismus und auch bei seinem Verzicht auf überflüssige Propaganda zu bleiben. Es handelt sich nicht darum, ein bildungs- oder wissenschaftspolitisches Schattenboxen zu veranstalten. Wenn die Opposition ihre Aufgabe in einer solchen Weise mißverstehen will, mag das ihre Sache sein.
({1})
Die Regierungsmehrheit, jedenfalls die Sozialdemokratische Partei, wird daran keinen Spaß finden,
sondern sie hält mehr davon, daß die Bundesregierung in den nächsten Monaten mit ruhiger und fester Entschlossenheit das in die Tat umsetzt, was notwendig ist.
({2})
Fünf der Forderungen oder Vorschläge, um die es sich dabei der Sache nach, nicht hinsichtlich der Kompetenzen, handeln wird, habe ich Ihnen genannt.
({3})
Präsident von Hassel: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Herrn Moersch. Herr Kollege Moersch, ich darf Sie auf folgendes hinweisen: Sie haben vorhin eine Zwischenfrage zu stellen versucht. Auf Grund der Geschäftsordnung kann ich Zwischenfragen erst zulassen, wenn die Aussprache eröffnet ist, und vorhin war sie noch nicht eröffnet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Lohmar hat zur Sache das dargelegt, was auch von uns dazu zu sagen ist. Nachdem wir heute morgen die Metamorphose des Kollegen Dr. Stoltenberg von einem Anhänger des Schneckentempos zur Gangart der Antilope erlebt haben,
({0})
darf ich doch vielleicht zur Unterstützung - - ({1})
- Doch, das ist so. Ich kann es Ihnen hier belegen. ({2})
Darf ich Ihnen vielleicht, nur damit die Öffentlichkeit darüber einmal Klarheit hat, berichten, daß Herr Dr. Stoltenberg als Minister damals an den Beratungen über dieses Gesetz im Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik nicht selbst teilgenommen hat.
({3})
- Wenn der Rechtsausschuß auch federführend war, Herr Dr. Stoltenberg, so sind doch die bildungspolitischen Fragen, die Ihnen jetzt plötzlich so sehr am Herzen liegen, damals im Fachausschuß behandelt worden, und da sind in Ihrem Auftrag Auskünfte gegeben worden, die es doch verdienen, der Nachwelt erhalten zu bleiben,
({4})
damit da kein Zweifel entsteht. Es haben nämlich verschiedene Kollegen z. B. genau nach dem Problem gefragt, das Ihnen heute so am Herzen liegt, darunter von der CDU - das muß man ausdrücklich sagen - eine Kollegin, die diesem Hohen Hause leider nicht mehr angehört, Frau Dr. Wex. Vielleicht ist sie wegen dieser Fragen in Schwierigkeiten gekommen.
({5})
- Natürlich, das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten! Das können Sie uns hier ja mal darlegen. Es würde uns interessieren.
({6})
- Natürlich, das hat dann anschließend den Rang eines Charaktermajors der alten preußischen Armee; das ist bekannt.
({7})
- Sie können sich diese Zwischenrufe ersparen. Vor allen Dingen würde ich Ihnen, den neuen Kollegen, einmal die Geschichtsforschung empfehlen, um dann selbst festzustellen, was eigentlich von Kollegen zu halten ist, die als Minister an den wichtigsten Beratungen in den Ausschüssen nicht teilgenommen haben, jetzt aber den neuen Minister durch andere Kollegen kritisieren lassen, weil er sich nur durch den Parlamentarischen Staatssekretär vertreten läßt. Das ist der Stil, den Sie neuerdings hier praktizieren, und den wollen wir einmal festhalten.
Dort hat ein Ministerialdirigent - ({8})
- Das ist passiert, Herr Dr. Stoltenberg!
Präsident von Hassel: Gestatten. Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg? Dr. Stoltenberg ({9}) : Können Sie mir freundlicherweise einen Fall nennen, in dem ich den neuen Minister durch andere Kollegen habe kritisieren lassen, und woher stammen Ihre Erkenntnisse über die inneren Beziehungen der CDU/CSU-Fraktion?
Der Obmann Ihrer Fraktion hat im Ausschuß Kritik daran geübt, daß sich Herr Minister Leussink beim Hearing nur durch den Parlamentarischen Staatssekretär vertreten ließ, nachdem der Minister wegen einer Kabinettssitzung vorzeitig hatte weggehen müssen. Das muß man hier einmal sagen. Ich habe daraufhin nachgeprüft, ob Sie - ({0})
- Ich habe es ja hier dargestellt und hoffentlich Ihre Neugierde befriedigt.
({1})
- Ich habe das hier nur dargelegt, weil es in einem so schönen Kontrast steht. Sie bieten nämlich ein Kontrastprogramm zu Ihrem früheren Verhalten. Das muß man hier doch einmal sagen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Moersch? - Bitte schön!
Herr Kollege Moersch, Sie haben leider die Frage des Herrn Kollegen Stoltenberg nicht beantwortet. Darf ich Sie also Tragen, woher Sie wissen, daß der Herr Kollege Stoltenberg den Obmann der CDU-Gruppe im Ausschuß beauftragt hat, diese Feststellung zu treffen?
Ich kann - ({0})
- Herr Kollege, Ihre Kollegen hier vorne haben nicht die Absicht, mich Ihre Frage beantworten zu lassen. Es tut mir sehr leid.
({1})
Wenn im Namen der CDU eine solche Frage gestellt wird, Herr Dr. Stoltenberg, nehme ich an, daß es auch in Ihrem Namen geschehen ist. Sonst müssen Sie das berichtigen.
({2})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lohmar?
Bitte schön, ja!
Herr Kollege Moersch, wollen Sie nicht die Gelegenheit benutzen, den ersten Fragesteller um Auskunft darüber zu bitten, wie sich eigentlich die Kompetenzstruktur in der CDU zwischen der fleet in being, Herrn Dr. Stoltenberg, dem Arbeitskreisvorsitzenden Martin, der Ausschußsprecherin Frau Walz und dem stellvertretenden Ausschußvorsitzenden Dr. Schober zur Zeit für den Außenstehenden darstellt?
Mit dem Hauptsprecher Dr. Mikat, wenn ich das noch hinzufügen darf.
({0})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine wei-tore Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Nein, ich möchte jetzt auf die Strukturprobleme nicht mehr eingehen. Sie können nachher noch einmal das Wort dazu nehmen. Ich möchte jetzt vielmehr zitieren, was das Bundesministerium für Wissenschaft, dem Herrn Dr. Stoltenberg als Minister vorstand, dem Ausschuß damals zu dem Problem erklärt hat, das heute ansteht. Da wurde nämlich durch einen Ministerialdirigenten
gesagt, die Beschränkung des Art. 91 a des Grundgesetzes auf wissenschaftliche Hochschulen und deren Einrichtungen müsse hingenommen werden; die Möglichkeiten zur Ergänzung der Listen durch den Gesetzgeber oder durch eine Rechtsverordnung nach § 4 der Regierungsvorlage seien aber ausreichend, um mit der Zeit unter einer gewissen Angleichung des heute noch sehr unterschiedlichen Standes der Pädagogischen Hochschulen eine einheitliche Behandlung im Bundesgebiet sicherzustellen.
({0})
Jetzt treiben Sie hier also sprachliche Spaltungsversuche. Es war im Ausschuß ganz genau nach dem Gesamtkomplex gefragt worden.
Herr Dr. Stoltenberg, es ist einfach so gewesen - und Sie haben das heute selbst bestätigt , daß Sie eine völlig andere Vorstellung von der Entwicklung des Hochschulwesens haben, als sie die Mehrheit des Ausschusses damals schon hatte und als sie die Mehrheit des Hauses heute hat. An diesem Punkt kommen Sie nicht vorbei, und nun möchten Sie uns eine Sache aufdrücken, bei der Sie Ihr Bildungskonzept hintenherum fest zementieren möchten; das ist doch der Sinn der Aktion, und da täuschen Sie doch die Öffentlichkeit über Ihre wahren Absichten. Sie möchten die beamtenrechtlichen Strukturen, die Bildungsstrukturen des 19. Jahrhunderts auf diese Weise in das 21. Jahrhundert hinüber retten. Das ist der Hintergrund der Sache.
({1})
Daß Sie plötzlich mit Ihren wahren Absichten hervortreten, ist deswegen so verwunderlich, Herr Dr. Stoltenberg, weil Sie selbst - und das werden Sie doch hoffentlich nicht bestreiten, daß Sie das gesagt haben - in der 240. Sitzung des Bundestages bei der Verabschiedung des Gesetzes, das Sie heute schon wieder ändern möchten, zu der Frage, die auch mein Kollege Ertl damals im Namen der FDP-Fraktion gestellt hat: wo ist denn Ihr Konzept, wenn Sie bauen wollen, was soll mit diesem Hause geschehen, das Sie errichten wollen doch wohl eine berechtigte Frage an Sie damals -?, folgendes ausgeführt haben ich zitiere wörtlich -:
Wenn die Bundeskompetenz für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens etwas wirklich Weiterführendes, etwas wirklich zur Lösung der Krise der Hochschulen Beitragendes bedeuten soll, sind gründliche Vorarbeiten und Analysen notwendig, die wir allerdings jetzt beginnen müssen, um dann vielleicht im nächsten Jahr mit den Vorschlägen vor die gesetzgebende Körperschaft zu treten.
Herr Dr. Stoltenberg, das haben Sie hier ausgeführt; und seit Wochen kritisieren Sie den neuen Bundesminister und die neue Koalition deswegen, daß jetzt das fertige Konzept noch nicht da sei, von dem Sie
selbst gesagt haben, daß es von Ihnen - bei Ihrem Denkvorgang und Denkprozeß - vielleicht im Jahre 1970 hätte vorgelegt werden können. Ich unterstelle, daß Herr Leussink es etwas schneller schafft. Aber ich finde es einfach unglaublich, daß Sie sich hier hinstellen und nicht einmal das Protokoll der Sitzung nachgelesen haben, in der Sie das Gegenteil gesagt haben.
({2})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg.
Herr Kollege Moersch, reichen Ihre verfassungs- und bildungspolitischen Kentnisse nicht aus, um zwischen dem Rahmengesetz des Bundes für das Hochschulwesen, das auch nach unserer Meinung erst im nächsten Jahre beraten und entschieden werden kann, und dem völlig anderen hier zu behandelnden Thema des Art. 91 a Gemeinschaftsaufgaben - zu unterscheiden? Wollen Sie sich wirklich durch eine bewußte Verwirrung der Begriffe die Polemik so billig machen?
({0})
Tun Sie doch nicht so unschuldig! Sie wollen doch mit Ihrem Antrag, in dem Sie wieder zwischen Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Wissenschaftlichen Hochschulen unterscheiden, uns im Grunde auf Ihr Bildungskonzept festnageln. Dann brauchen wir nämlich über die Rahmengesetzgebung gar nicht mehr so viel zu reden, wenn das alles schon geschehen ist. Das ist doch Ihre erklärte Absicht. Ich habe Ihre Rede vorhin gehört. Ich kann doch zuhören.
({0})
Natürlich, im Gegensatz zu vielen von ihnen kann ich das sehr wohl. Ich habe nachgelesen, was Herr Stoltenberg beim letztenmal gesagt hat. Ihre Absichten sind doch zu spüren und zu fühlen. Herr Dr. Lohmar hat richtig wiedergegeben, was im Ausschuß gewesen ist. Es wäre schön gewesen, wenn Sie im Ausschuß vielleicht durch Ihre eigene Fragestellung etwas zur Erhellung Ihrer Gegensätze in der CDU/CSU hätten beitragen können. Uns hätte das interessiert.
({1})
Aber Sie können uns doch nicht weismachen, daß jetzt das Vordringlichste von allem eine solche Verfassungsänderung sei und daß selbstverständlich das Nachdenken über den Inhalt der künftigen Hochschulpolitik noch einige Zeit brauche. Ich bin der Meinung, neue Gesetzgebung sollte mit Nachdenken beginnen und nicht mit Formulierungen, zu denen man sagt: füllen wir sie dann einmal aus, wenn wir gründlich darüber nachgedacht haben.
({2})
Das ist Ihre Methode. Ich wehre mich gegen diese Art von Beschäftigungstherapie, die Sie hier dem Parlament aufdrücken wollen.
({3})
- Ich selbst habe im Ausschuß verlangt daß diese
Begriffsklärung so erfolgt, wie wir es heute wollen.
({4})
Wo blieb denn da Ihre Unterstützung, wo waren Sie denn dort? Warum haben Sie nicht mit den Ländern verhandelt? Warum haben Sie es jahrelang versäumt, mit den Ländern Gespräche über die Probleme zu führen, die Sie heute der neuen Bundesregierung in die Schuhe schieben wollen? Was haben Sie denn als Minister dazu getan, um diese Fragen zu klären? Solche Fragen müssen Sie sich hier einmal gefallen lassen.
({5})
Es ist ganz klar: Ihr Bildungskonzept heißt: eine gewisse Vielfalt in der Einfalt herstellen. Das ist heute morgen hier ganz deutlich geworden.
({6})
- Natürlich.
Ich möchte Sie dringend warnen, den Bundestag mit solchen Methoden auf Nebengleise abzudrängen;
({7})
ich möchte Sie dringend warnen, hier diese Nebengleise zu suchen, wenn Sie in der CDU/CSU-Fraktion über die Hauptsache, nämlich über den Inhalt der künftigen deutschen Bildungspolitik und vor allem die Reform der Hochschule, keine Meinung haben. Sagen Sie doch hier, wie Sie zu dem Problem der Gesamthochschule stehen! Dann wird man auch über Finanzierungs- und Baufragen sehr viel leichter miteinander reden können. Aber solange Sie das geheimhalten, halte ich es für sinnlos, daß wir uns weiter mit derartigen Anträgen in dieser Intensität beschäftigen.
({8})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Professor Leussink.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister a. D. Stoltenberg hat von einer Bewußtseinsänderung gesprochen und hat mit Befriedigung festgestellt - und ich tue das auch -, daß die Kooperationsbereitschaft der Länder offensichtlich inzwischen gewachsen ist. Das ist ganz deutlich geworden; das erste Gespräch mit dem Plenum der Kultusministerkonferenz, zu dem ich überhaupt Gelegenheit hatte, hat das, glaube ich, mit Zustimmung aller Kultusminister deutlich zum Ausdruck gebracht. Das ist aber nur eine der notwendigen Voraussetzungen, um weiterzukommen. Über die andere ist hier inzwischen sehr deutlich etwas gesagt worden. Ich meine die Bewußtseinsänderung in der Sache, die Bewußtseinsänderung von einem Klassendenken in den Hochschulen zur integrierten Gesamthochschule.
({0})
Ich freue mich, wie sicher jeder in diesem Hause, wenn es sich erweist, daß hier jeder von uns für ein lernfähiges System ist. Sicher gibt es viele Wege, um von der doch sehr in einem Klassendenken befangenen Unterscheidung zwischen sogenannten wissenschaftlichen Hochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen und sonstigen Hochschulen zu etwas zu kommen, das man mitunter heute noch nicht allzugern als Gesamthochschule bezeichnet. Die Art und Weise, wie man es umschreibt, läßt doch erhoffen, daß man sich diesem Begriff, wenn auch sehr vorsichtig, aber doch unausweichlich nähert. Wir sollten das doch als positives Zeichen in dieser nach meiner Ansicht notwendigen Entwicklung merken.
Wir haben uns, sehr verehrter Herr Stoltenberg, über dieses Thema ja auch außerhalb des Parlaments in den vergangenen Jahren oft unterhalten. Ich will davon hier gar keinen Gebrauch machen oder nur einen sehr andeutungsweisen Gebrauch, wie ich das soeben getan habe. Beim einen dauert es etwas länger, beim anderen geht es schneller. Bei uns allen hat dieser Prozeß einmal stattfinden müssen, und wir sollten - ich sage es noch einmal - froh sein, wenn er letzten Endes auf dasselbe Ziel hinführt. Wenn ich mir das alles betrachte, so habe ich eigentlich keine Bange, daß er zu dem Ziel hinführt, weil dieses Ziel unausweichlich ist und weil es keinen vernünftigen Grund gibt, dieses Ziel der integrierten Gesamthochschule nicht anzustreben.
Sie haben gesagt, Sie hätten sich über meine Reaktion in der Pressemitteilung verwundert. Sehr verehrter Herr Amtsvorgänger, diese Verwunderung ist zweiseitig. Auch ich habe mich sehr gewundert, nämlich über etwas anderes: darüber, daß im Haushaltsreferat Ihres - jetzt meines - Hauses keinerlei konkrete Vorstellungen darüber entwikkelt worden sind, wie, in welcher Weise und mit welchen Beträgen denn die sogenannten Fachhochschulen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung bedacht werden sollen.
({1})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg? Dr. Stoltenberg ({2}) : Herr Minister, darf ich Sie bitten, sich noch einmal von Ihren beteiligten Beamten - von denen ich einige hier sitzen sehe - die Ausarbeitungen vorlegen zu lassen, die auf meine Veranlassung im August des vergangenen Jahres für eine Alternative in der Finanzplanung gemacht wurden und die vorsahen, daß unter Auflösung von Reservebeträgen in der FinanzDr. Stoltenberg
planung gegebenenfalls bis 300 Millionen DM im Jahre 1973 für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden sollen? Diese Unterlagen gibt es; das wird Ihnen eine neue Untersuchung aller Akten zeigen.
Sehr verehrter Herr Stoltenberg, Sie werden mich doch nicht für so unvorsichtig halten, daß ich mir das nicht eingehend angesehen hätte, bevor ich mir mein Urteil darüber bilde.
({0})
Es gibt in der bisherigen offiziellen mittelfristigen Finanzplanung keine Ausarbeitung in diesem Sinne. Das, was sich die Herren am 12. oder 14. August - ich weiß das Datum nicht mehr ganz genau; Sie wissen es sicher besser - im Anschluß an eine Pressekonferenz im Hause erarbeitet haben, weil sie einmal versuchen wollten, wie das wohl aussehen könnte, ist doch etwas anderes, als wenn man davon ausgehen kann, daß hier auch eine bürokratisch richtige, nämlich auf dem üblichen Weg zustande gekommene Vorstellung über die mittelfristige Finanzplanung und über die Beträge, die da für Fachhochschulen einzusetzen sind, existiert. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: ich habe mich darüber gewundert, und damit ist das Sich-gegenseitig-Bewundern wieder 1 : 1.
({1})
Nun zu den beiden Anträgen. Man muß selbstverständlich unterscheiden - und das tun wir auch in unseren Überlegungen - zwischen dem Komplex Verfassungsänderung und dem Komplex Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes.
Zum Komplex Verfassungsänderung kann man natürlich nur sagen - und wir haben versucht, das zu sagen -, daß das in erster Linie dazu dient, die Entwicklung von der sogenannten wissenschaftlichen Hochschule zur Gesamthochschule deutlicher zu machen .Wir alle, auch Sie, Herr Dr. Stoltenberg, und ich, haben uns oft genug über den Begriff „wissenschaftlich" unterhalten. Jeder weiß, wie vage dieser Begriff ist. Weil er so vage ist, kann man, wenn man will - und die Länder wollen das offensichtlich -, den Begriff sehr weitherzig auslegen. Erst unlängst sind 27 Pädagogische Hochschulen von der Westdeutschen Rektorenkonferenz aufgenommen worden. Das ist doch ein Beweis dafür, daß diese Frage in der Praxis anders verstanden wird als zu der Zeit, wo das Klassendenken in verschiedenen Hochschulen noch sehr im Schwange war. In der Praxis fängt man an umzudenken und diese Dinge möglich zu machen.
Wenn man das durch eine Verfassungsänderung verdeutlichen will, so findet sie selbstverständlich unsere volle Zustimmung. Aber dabei gleich meine Frage an Sie, meine Damen und Herren Antragsteller: Sehen Sie darin auch nur die Möglichkeit, daß uns das einen Tag, eine Woche oder einen Monat daran hindert, das zu tun, was wir jetzt tun müssen? Sind wir uns darüber klar? Mir wäre eine Antwort darauf sehr willkommen. Ich wüßte gern, wie Sie das sehen. Müssen wir, solange diese Gesetzesvorlagen hier behandelt werden, sozusagen stehenbleiben? Dürfen wir nicht weiter handeln, weil wir noch nicht wissen, was dabei herauskommt? Oder sind Sie mit uns der Meinung, daß wir uns z. B. bei einem Sofortprogramm keinen Tag behindern lassen dürfen?
Was den Ersatz der Bezeichnung „wissenschaftliche Hochschule" in Ihrem zweiten Antrag betrifft, so teile ich voll und ganz die Meinung der Herren Abgeordneten Lohmar und Moersch, nämlich daß man da sehr aufpassen muß. Auch wenn Sie das gar nicht wollen, Herr Stoltenberg, kann daraus in der Praxis die Verfestigung eines zwar etwas moderierten Klassendenkens, aber immerhin nach wie vor eines Denkens in Hochschulklassen entstehen. Sollten wir nicht bei einer Sache, die in so schneller Entwicklung begriffen ist und bei der sich die Begriffe sehr schnell wandeln können - bei uns allen zusammen -, doch noch so lange mit der Fixierung warten, bis wir nicht nur ein gemeinsames Konzept, sondern vor allem auch gemeinsame Bezeichnungen für das haben, was wir mit den bisherigen Ausdrükken offensichtlich nur sehr unvollkommen umschreiben können? Das ist meine Frage. Uund wenn man schon das Instrumentarium, auf das Sie so großen Wert legen, ändern will, so frage ich Sie: Weshalb haben Sie denn die schwierige Frage der Flexibilität, nämlich der 50 : 50-Klauseln, nicht gleichzeitig mit auf die Forke genommen? Denn das ist doch dasjenige, was uns so Schwierigkeiten macht und was uns in Zukunft noch viel mehr Schwierigkeiten machen wird. Für mich ist vordringlich, daß wir im neuen Jahre anfangen können zu arbeiten und daß wir durch juristische Überlegungen und verfassungsrechtliche Überlegungen mindestens nicht daran gehindert werden, etwas zu tun.
Jetzt noch - wenn ich das noch darf, Herr Präsident - eine Bemerkung zu Ihrer Frage nach den Finanzen. Ich nehme an, daß früher Finanzverhandlungen mit dem Finanzminister auch nicht ein reines Zuckerschlecken gewesen sind; jedenfalls nach dem, was ich immer aus Ihren Berichten gehört habe, war das so. Ich fühle mich da in gar keiner besonderen Lage gegenüber denjenigen, die bisher diese Sache vertreten haben. Aber eines kann ich Ihnen und auch Herrn Dr. Martin sagen: Sie werden mich nicht aus der Reserve herauslocken, und ich werde im Sinne des hier gemeinsam gefaßten Beschlusses die Linie einhalten, daß ich über Zahlen nicht eher rede, bis die Verhandlungen im Finanzkabinett und auch hier tatsächlich angelaufen sind. Sie können es versuchen, wie Sie wollen, ich werde auf solche Anzapfungen nicht hereinfallen.
({2})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da der Bundesinnenminister - Herr Kollege Stoltenberg, das als Erwiderung zu Ihrer Bemerkung von vorhin 678
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
heute an der Sitzung des Finanzkabinetts teilnehmen muß, habe ich seinen Auftrag hier zu erfüllen, eine bestimmte Frage, die Sie angesprochen haben, noch einmal zu verdeutlichen. Ich meine, es ist notwendig, doch noch einmal auf folgendes ganz deutlich hinzuweisen.
In der Frage der verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten, die sich aus dem ergeben, was Sie hier selber vortragen, sollten wir eines sehr klar herausstellen. Sie haben kritisiert, daß die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen von dieser Regierung nicht so schnell geschaffen worden sind. Ich muß Ihnen dazu eines sagen: Im Bundesinnenministerium, Herr Kollege Stoltenberg, hat es bis zur Amtsübernahme durch die neue Bundesregierung überhaupt keinerlei Vorbereitungen in bezug auf das gegeben, was Sie jetzt hier als verfassungsrechtliche Notwendigkeit fordern. Da die Position des Bundesinnenministers in der vergangenen Legislaturperiode auch von zwei Kollegen Ihrer Fraktion besetzt gewesen ist, wäre es ganz gut, das mit in Ihre Betrachtungen einzubeziehen, wenn Sie von dem Zeitplan sprechen, der sich uns hier nun auftürmt.
Sie haben geschlossen mit der Bemerkung, daß Sie auf eine positive Weiterentwicklung unserer Verfassung hoffen. Ich kann Ihnen nur sagen, im Bundesinnenministerium - -({0})
- Entschuldigung, Sie haben damit geschlossen - was ich gerade ausgeführt habe -, daß Sie auf eine weitere positive Entwicklung unserer Verfassung hoffen.
({1})
- Entschuldigen Sie bitte, dazu gehört doch dann auch, daß man nicht nur den Zeitraum von heute ab sieht, sondern daß man die Notwendigkeiten und die Regelungen, die man in der Sache für erforderlich hält, auch auf die Zeit bezieht, in der man selber mit in der politischen Verantwortung der Regierung gestanden hat, und mit prüft, ob man in diesem Zeitraum das getan hat, was notwendig ist, was man hier heute fordert.
({2})
Nur darum ging es mir. Und dazu kann ich Ihnen nur sagen: dazu hat es keinerlei Vorbereitungen in dem Hause gegeben, das dafür in der Vergangenheit zuständig gewesen ist. Auch das sollte um der Klarheit willen dann hier noch einmal vorgetragen werden.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stoltenberg?
Herr Kollege Dorn, darf ich Sie - nur um der Klarheit willen - darauf hinweisen, daß, wie mir eine erneute Lektüre meiner
Stichworte zeigt, von mir keine Kritik daran geübt wurde, daß die Regierung in diesem Punkte bisher keine Vorlage gemacht hat, insofern also dieser Teil Ihrer Replik von falschen Voraussetzungen ausging?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Kritik an Ihren Ausführungen geht gar nicht von einer falschen Voraussetzung aus, Herr Kollege Stoltenberg, sondern Sie haben hier mit beredten Worten dargelegt, was notwendig ist, und haben auch die verfassungsrechtlichen Probleme angesprochen.
({0})
- Entschuldigen Sie: das kritisiere ich doch gar nicht. Ich stelle nur fest, daß das, was hier gefordert wird, offenbar als völlig neue Konzeption von Ihnen vorgetragen wird. Denn in der bisherigen politischen Handhabung in den vergangenen Jahren ist von dem leider nichts spürbar gewesen. Nur darum ging es mir, das noch einmal klarzustellen.
Herr Staatssekretär, lassen Sie eine weitere Frage zu?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Bitte!
Darf ich Sie, um diese Äußerung zu korrigieren, darauf hinweisen, daß bereits am 6. August dieses Jahres von mir im Pressedienst des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung für die Bundesregierung die Forderung erhoben worden ist, nach der Verabschiedung des Hochschulbauförderungsgesetzes jetzt dieses Thema in Angriff zu nehmen, und daß dazu auch einzelne Vorstellungen niedergeschrieben wurden?
({0})
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Stoltenberg, ich glaube, daß wir uns nicht über das zu streiten brauchen, was im Wahlkampf in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl von den einzelnen dazu noch gesagt worden ist. Ich halte mich hier an die Fakten, die wir in unserem Hause vorgefunden haben. Diese Fakten haben wir mit dem verglichen, was Sie zur Begründung Ihrer Anträge hier vorgetragen haben, und daraus ergeben sich politische Beurteilungen.
({1})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenz?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Antwort der letzten Bundesregierung auf die Große Anfrage einer Reihe von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion betreffend die Weiterentwicklung des föderativen Systems bekannt, in der der gesamte Bereich der Bund-LänderBeziehungen behandelt worden ist, und ist Ihnen bekannt, daß diese Antwort aus dem Bundesministerium des Innern stammt?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Lenz, es geht doch hier gar nicht darum, ob in der Vergangenheit - -
({0})
- Entschuldigen Sie mal! Wenn Sie mir Fragen stellen, müssen Sie doch auch wenigstens die Antwort noch zur Kenntnis nehmen wollen. Wenn jemand zur Beantwortung ansetzt, gleich Kritik zu üben, ohne zu wissen, was gesagt wird, scheint mir sehr problematisch zu sein.
Es geht doch hier gar nicht darum, ob die Bundesregierung in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage in diesem Hause ihre Meinung zu einem solchen Anliegen dargetan hat, sondern darum, ob die Dinge, die heute hier vorgetragen werden - anscheinend, diesen Eindruck habe ich auf Grund der bisherigen Erfahrungen, von Ihnen mit neuen Erkenntnissen gespickt; ohne Zweifel würden wir das begrüßen-, nunmehr endlich realisiert werden können. Aber nun müssen Sie doch auch dieser Bundesregierung die Chance lassen, daß das, was Minister Leussink vorhin vorgetragen hat, in Angriff genommen. wird.
Ich kann Ihnen sagen: Bevor der Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag vorgelegen hat, ist im Rahmen der Verfassungsänderungen, die insgesamt Von der Bundesregierung geprüft werden, auch eine Änderung des Art. 91 a Abs. 1 Nr. 1 GG in unserem Hause vorbereitet worden. Das, was Sie fordern, - ({1})
- Aber Herr Kollege Stoltenberg, wenn Sie und Ihre Kollegen dauernd Zwischenfragen stellen, kommt man natürlich nicht dazu, das alles sofort vorzutragen. Ich kann auch nur alles hintereinander vortragen.
Ich meine also: das, was Sie hier vorgetragen haben, bereits bevor es von Ihnen angeregt wurde,
({2})
im Bundesinnenministerium in Angriff genommen worden.
({3})
und ist den anderen Ressorts zugestellt worden. Ich kann Ihnen nur sagen: daß das bisher nicht geschehen war, scheint mir allerdings, wenn es Ihr politisches Anliegen auch in der Vergangenheit gewesen ist, als sehr problematisch zu bewerten zu sein.
Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lenz?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich, nachdem ich eine Reihe von Zwischenfragen zugelassen habe, jetzt zum Ende meiner Ausführungen kommen möchte.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem machen, was vorhin vorgetragen worden ist, Herr Kollege Stoltenberg. Die Bundesregierung hat, das hat sich auch durch das bestätigt, was Herr Bundesminister Leussink hier vorgetragen hat, wenige Tage nachdem sie ihre Funktion übernommen hat, sich mit den zuständigen Ressorts darüber abgestimmt, und sie hat, bevor Ihre Initiative im Parlament sichtbar gewesen ist, bereits auf der Ebene der Regierung und der Ministergespräche die Schritte eingeleitet, die getan werden müssen.
({0})
Aber auf der anderen Seite muß genauso klar gesagt werden: der Herr Bundesminister - er hat das ja hier auch noch einmal deutlich vorgetragen - mu ß die Chance haben, daß das, was er vorträgt, auch realistisch und durchsetzbar ist. Dazu braucht er eben einen gewissen Zeitraum für Verhandlungen mit den Ländern. Ich möchte mich hier den kritischen Bemerkungen im Hinblick auf den vergangenen Zeitablauf, die der Kollege Lohmar und der Kollege Moersch vorgetragen haben, anschließen. Man sollte das, was man für sich selbst jahrelang in Anspruch genommen hat, auch dieser Bundesregierung zugestehen, man sollte ihr nämlich wenigstens einige Monate einräumen, um die Pläne auch realisieren zu können.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die bisherige Diskussion hat sich vornehmlich auch dadurch ausgezeichnet, daß Rückschau gehalten wurde. Ich weiß nicht, ob lediglich eine Rückschau uns dabei behilflich sein wird, die Zukunft zu meistern.
Zunächst einmal ist auf die doch sehr empfindliche Art und Weise der Reaktion der Sprecher der Koalition hinzuweisen. Mir persönlich ist nicht ganz verständlich, wieso man auf einen Vorschlag, der einen Schritt weiterführt, so empfindlich reagiert und auch mit einem gerüttelten Maß an Polemik in die Debatte tritt.
({0})
Ich denke hier z. B. an die Darlegungen von Herrn Dr. Lohmar, die Opposition trage die eigenen Versäumnisse vor.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat hier soeben festgestellt, daß sich die Bewußtseinslage und Bereitschaft der Länder geändert habe, daß die Bereitschaft
der Länder zu gemeinsamer Arbeit größer geworden sei. Wir sind auf diesem Wege eben einen Schritt weiter.
In den beiden Gesetzentwürfen ist in keiner Weise irgendein Vorwurf gegenüber der Regierung enthalten, daß sie bisher noch keine Initiativen in dieser Richtung ergriffen habe.
({1})
Die Opposition muß es sich aber vorbehalten, auch von sich aus aktiv zu sein und den nächsten Schritt, der möglich erscheint, zu gehen. Ich glaube, gerade dieser nächste Schritt ist doch in unseren Anträgen enthalten.
({2})
Man kann die Ablehnung der Verfassungsänderung hier nicht damit begründen, daß sie, was das Verfahren mit den Ländern angeht, einen schwierigen Weg darstelle. Wenn der Weg lang sein sollte, muß um so eher damit angefangen werden, diese Änderung herbeizuführen. Auch die Entwicklung in Richtung auf eine Gesamthochschule sollte nicht verbaut werden. Im übrigen ist mir überhaupt nicht klar, wie man aus diesen Gesetzesvorlagen ein Klassendenken in der zukünftigen Hochschule herauskonstruieren möchte.
({3})
Das scheint mir geradezu absurd zu sein und zeigt eine besondere Empfindlichkeit, die im emotionalen Bereich, aber nicht im Bereich der Ratio begründet zu sein scheint.
({4})
Von dem Herrn Kollegen Lohmar ist dann noch gesagt worden, es sei überhaupt nicht wichtig, daß man eine Kompetenzbereinigung durchführe; es käme einzig und allein auf das Geld an. Meine Damen und Herren, die große Schwierigkeit, die aus dem Nebeneinander der Kompetenzen erwächst, hat Minister a. D. Stoltenberg aufgezeigt. Es kommt auch darauf an, hier einen vernünftigen Weg zu finden. Es wäre doch ohne Zweifel ein großer Vorteil, wenn wir hier für den tertiären Bereich, für den Hochschulbereich einen einheitlichen Weg in Richtung Hochschulbauförderungsgesetz fänden.
Auf die Vorschläge, die Herr Lohmar in fünf Punkten vorgetragen hat, möchte ich gar nicht eingehen, weil sie gar nicht in einem engen Zusammenhang mit der hier zu behandelnden Frage stehen.
Herr Abgeordneter Moersch hat davon gesprochen, daß das Schneckentempo der Regierungspartei nun plötzlich zum Antilopentempo werde. Herr Moersch, ich habe, als ich Sie heute hier reden hörte, eher den Eindruck gehabt, daß sich das Senkrechtstartertempo der früheren Oppositionspartei zum Schneckentempo verlangsamen wird.
({5})
Und gar eine Angst zu haben, daß wir das Bildungskonzept aus dem vergangenen Jahrhundert herüberretten wollen, scheint so absurd zu sein, daß man überhaupt nicht darauf einzugehen braucht. Dann wurde gesagt, daß die Gegensätze in den bildungspolitischen Auffassungen der Unionsparteien doch größer seien, als sie sich darstellen. Ich antworte darauf: Gott sei Dank herrscht hier weitgehende Einigkeit.
({6})
- Herr Moersch, auch mit dem Minister Huber aus Bayern besteht eine wesentlich größere Einigkeit, als Sie meinen möchten, wobei wir allerdings nicht der einfachen Meinung anhaften wie Sie, daß wir eine Vielfalt in der Einfalt pflegen, denn es ist sehr einfach, von sich zu behaupten -
Herr Kollege, der Herr Kollege Professor Lohmar hätte eine Zwischenfrage.
Ich darf den Satz eben zu Ende führen.
Bitte!
Es ist doch sehr einfach zu behaupten, daß man eben nicht die Einfalt im Denken pflege und daß man deshalb auf dem wahren Wege sei. Man sollte nicht zu polemisch gegenüber Andersdenkenden sein.
Herr Kollege Probst, ich möchte mich nur gerne mit der freundlichen Bitte, wegen der Formulierungen eine verständnisvolle Nachsicht zu üben, bei Ihnen erkundigen, wie Sie denn in der Zusammenarbeit mit Herrn Huber die Einfalt und die Vielfalt verteilen wollen.
({0})
Es ist mir völlig unverständlich, daß Sie das Wort Vielfalt nur mit der Einfalt in Verbindung bringen können.
({0})
Ich meine, ein anspruchsvolles Denken ist immer ein differenziertes Denken und delshalb auch ein vielfältiges.
({1})
Die einfältigen Gemüter sind ja die, die wenig differenziert denken. Ich verstehe Ihren Gedankengang sehr, sehr schlecht.
({2})
Meine Damen und Herren, worum geht es denn? Es ist auch auf dem Fachhochschulbereich ein Ansturm, eine Lawine zu erwarten. Bis 1980, so die Kultusministerkonferenz, werden 110 000 Studienplätze mehr benötigt, ein Teil davon auch an den Pädagogischen Hochschulen. Wir meinen, daß es das oberste Ziel unseres weiteren Schrittes sein muß, weitere Studienplätze zu schaffen, und daß
dieser Weg, den wir beschritten haben, über die Möglichkeit, auch diese Schultypen in die Hochschulbauförderung mit einzubeziehen, ein Schritt nach vorwärts sein könnte.
Die Vorlage will auch nicht die Länder weiter bevormunden, sondern sie will die Länder echt entlasten, die ja auf dem Bildungsgebiet ungeheure Aufgaben vor sich haben, wenn man sich nur die einzelnen Probleme mit der vorschulischen Erziehung im schulischen Bereich vor Augen hält usw. Die CDU/CSU-Fraktion meint auch, daß es nicht allein genügt, nur diese Studienplätze zu schaffen, sondern daß damit auch weitere berufliche Chancen und auch soziale Chancen eröffnet werden sollten. Sie will deshalb in absehbarer Zeit Vorschläge für spezifische Fachhochschulen und entsprechende Laufbahnen unterbreiten. Wir dürfen diejenigen, die Bildung suchen und sich um höhere Bildung bemühen, auf gar keinen Fall enttäuschen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Föderalismus sagen. Die Diskussion in den letzten Jahren hat doch gezeigt, daß das Föderalistische System ein Plastisches System ist, das durchaus in der Lage ist, Entwicklungen in sich aufzunehmen und auch fruchtbar zu machen. Die Fortentwicklung des Föderalistischen Systems bedeutet nicht die Aufgabe von Grundsätzen, über die sich die Väter unseres Grundgesetzes sehr wohl einig waren und auf die ich nicht näher einzugehen brauche. Doch die rasante Entwicklung in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft macht den Gedanken für Gemeinschaftsaufgaben einfach zwingend. Das ist eben der Sinn des Art. 91 a, den wir - allenfalls quantitativ, nicht qualitativ - ein wenig erweitern wollen. Die Länder werden dabei in Zusammenarbeit mit dem Bund gemeinsam Aufgaben lösen, aber die Länder werden ihre Gesetze ausführen.
Die CDU/CSU ist der Meinung, daß Fachhochschulen und Pädagogische Hochschulen in das Hochschulbauförderungsgesetz einbezogen werden müssen. Hierüber herrscht völlige Übereinstimmung.
({3})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich Herrn Kollegen Dr. Probst zu der ersten Rede in diesem Hohen Hause unseren Glückwunsch sage.
({0})
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich dem Glückwunsch, den der Herr Präsident dem Kollegen Probst für seine Jungfernrede ausgesprochen hat, anschließen.
Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie hier ganz klargemacht haben, daß Ihre Fraktion nicht die Absicht hat, durch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen den Weg zu einer Gesamthochschule prinzipiell zu verbauen. Wir sind Ihnen für diese Äußerung außerordentlich dankbar und hoffen, daß von der CDU noch eine gleiche Äußerung nachher zu erhalten sein wird.
Wir wären zudem auch sehr glücklich, wenn im Verlauf der weiteren Debatte klargemacht wird, wie die Frage des Herrn Ministers Leussink zu beantworten ist und wie wir zu verfahren haben: ob nämlich durch die Beratung Ihrer beiden Gesetzesänderungsvorschläge im Ausschuß eine zeitliche Verzögerung der bereits eingeleiteten Maßnahmen auf dem Gesamtsektor und in der Anwendung des Hochschulbauförderungsgesetzes eintreten soll, oder ob Sie bereit sind, mit uns im Verfahren dahin gehend übereinzustimmen, daß die Beratung Ihrer Anträge alle weiteren Maßnahmen und Entscheidungen nicht verzögert und beeinträchtigt. Dann, so meine ich, ist hier doch schon ein gewisser Konsensus hergestellt.
Herr Kollege Probst, Sie haben etwas gesagt, was ich nicht ganz unterstreichen kann. Sie haben hier gemeint, es sei nicht mehr nützlich, Rückschau zu halten, und es sei zuviel Rückschau gehalten worden. Ich glaube, Rückschau zu halten über die Entstehung eines Gesetzes ist doch dann immer berechtigt, wenn ein Gesetz bereits geändert werden soll, bevor es in Kraft getreten ist. Dann allerdings muß man sich die Entstehungsursachen und die Argumentation noch einmal vor Augen führen, um zu prüfen, ob es jetzt wirklich angebracht ist, schon zu einer Änderung zu kommen, obwohl es erst am 1. Januar 1970 in Kraft tritt. Insofern muß ich Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, leider doch sagen, daß ich die Wandlung Ihres Denkprozesses hier heute nicht mehr ganz habe nach- und mitvollziehen können. Es mag sein, daß Sie in den vergangenen Monaten der Meinung waren, daß dieses Gesetz nicht ausreicht.
Sie haben aber im Pressedienst Ihres Ministeriums vom 20. August dieses Jahres sehr deutlich dargelegt, wie Sie selbst - da gingen Sie wohl noch davon aus, daß Sie dieses Ministerium behalten würden; ich meine jedenfalls, es ist berechtigt gewesen, davon auszugehen - dieses Instrument zu nutzen gedächten. Sie haben gesagt: Ich schlage vor, daß die Bundesregierung künftig auch für die Fachhochschulen 50 % der Investitionskosten übernimmt. Sie haben bekräftigt, daß Sie mit den Kultusministern bereits verhandelt haben, daß Sie viele andere Dinge in Angriff genommen haben, daß eine Übereinstimmung bereits hergestellt ist und daß Sie der Meinung sind, daß das bald zu einer Verwirklichung führen kann. Sie haben später die anderen Dinge mit hineingenommen, nämlich das Problem der Fachhochschulen. Herr Kollege Stoltenberg, in dieser Äußerung Ihres Pressedienstes ist nicht ein einziges Wort darüber enthalten, daß das alles erst dann möglich sein kann, wenn es vorher zu einer neuen Gesetzesänderung und nicht nur dazu, sondern auch zu einer Grundgesetzänderung gekommen ist. Ich meine, diese Freiheit hätten Sie, ohne an Kabinettsbeschlüsse gebunden gewesen zu sein, im August wohl gehabt. Ferner bin ich der Meinung, daß Sie das damals hätten erkennen müssen.
Sie müssen uns doch erlauben, daß wir uns fragen: Was könnte denn den Sinneswandel des Herrn Stoltenberg herbeigeführt haben, die derzeitigen
Instrumente nicht für genügend zu halten? Sie müssich gefallen lassen, daß hier der Verdacht geäußert wird, daß Sie mit diesen gesetzgeberischen formalen Maßnahmen eine Entwicklung verhindern wollen, die Sie - das ist ja berechtigt - für falsch halten. Sie haben genug Äußerungen dahingehend getan, daß Sie sowohl der Gesamtschule - nicht aus Prinzip, das haben Sie nicht gewagt, aber wegen der finanziellen Konsequenzen - als auch der Gesamthochschule skeptisch gegenüberstehen.
Wir erwarten liier heute eine Antwort von Ihnen und Ihren Freunden auf die Fragen, ob in diesen kardinalen Fragen unserer Bildungspolitik Übereinstimmung bei der CDU/CSU besteht, ob hier keine Übereinstimmung besteht, ob Herr Stoltenberg hier etwas anderes sagt als Herr Mikat und die CDU etwas anderes als die CSU, oder ob die deutsche Öffentlichkeit annehmen kann, daß sich auf bildungspolitischem Gebiet in der CDU/CSU noch ein Denkprozeß vollzieht, während derselbe in der deutschen Öffentlichkeit fast schon abgeschlossen ist.
({0})
Das allerdings wollen wir heute hier wissen; wenn wir das wissen, können. wir weiter verhandeln.
Meine Damen und Herren, es ist doch in diesem „Anhürverfahren", auf das ich noch einmal ganz kurz zu sprechen kommen möchte, klargeworden, daß von allen Beteiligten, von allen Vertretern der beteiligten Verbände und Institutionen - Hochschulen, Bundesassistentenkonferonz und wie sie immer heißen -, die Modelle der Gesamthochschule und indirekt damit impliziert auch das Modell einer Gesamtschule als selbstverständliche Voraussetzung eines Bildungsmodells künftiger Zeiten bereits als existent betrachtet wurden und somit in den Vorstellungen bereits Realität geworden sind. Daran war nicht zu zweifeln. Daß Ihnen das natürlich ungemütlich erschien, kann ich verstehen. Wenn Sie hier berechtigte Bedenken gegen diese Modelle vortragen, sind wir bereit, darüber zu diskutieren.
Dann hat Herr Kollege Probst gesagt, es sei hier im wesentlichen nach „hinten betrachtend" diskutiert worden. Nun, Sie haben vergessen, daß der Kollege Lohmar das einzig Richtige getan hat, nämlich neben die formale Betrachtungsweise dieser vorgeschlagenen Gesetze das zu stellen, was in allernächster Zeit und wahrscheinlich sogar in Übereinstimmung aller Fraktionen an realen Maßnahmen durchgeführt und durchgesetzt werden muß.
Herr Kollege Lohmar hat seinen Beitrag so gestaltet, daß er uns mit dem Blick auf die Zukunft gerichtet dargestellt hat, was wir schon jetzt zu tun bereit sind, und zwar gleichzeitig oder meinetwegen auch neben der Diskussion über Ihre Gesetzesvorschläge.
Wir haben heute insofern ein interessantes Erlebnis gehabt, als wir nämlich eine Debatte, die uns zu Beginn des nächsten Jahres noch bevorstehen wird, vorweggenommen haben. Wir alle haben die berechtigte Große Anfrage der CDU/CSU zum Problem der Zulassungsbeschränkungen, wie ich es einmal nennen möchte, zur Kenntnis genommen. Sie haben in dieser Anfrage auf der letzten Seite als Begründung gelesen, daß die CDU/CSU-Fraktion Klarheit darüber erwartet, wie die Bundesregierung das Instrumentarium des Hochschulbauförderungsgesetzes zu nutzen gedenkt und ob sie eine wissenschaftlich fundierte Prognose des Bedarfs an Hochschulabsolventen sowie eine Analyse der subjektiven Berufswünsche der jungen Menschen bis zum Jahre 1980 ihrer Hochschulplanung zugrunde legen will.
Sie haben die Antwort auf diese Große Anfrage noch gar nicht erhalten und schlagen schon Gesetzesänderungen vor. Nun gut, das mag in Ihrem Sinne nützlich sein. Wir haben aber die Debatte heute deshalb vorgezogen, weil wir es nach unserer Meinung für notwendig halten, die politischen Maßnahmen, die zu treffen sind, um die unerträglichen Zulassungsbeschränkungen endlich abzubauen, im Zusammenhang mit den heutigen Vorschlägen zu sehen. So sind die Vorschläge des Herrn Kollegen Lohmar zu verstehen. Ich meine, wir sollten rasch darangehen, diese Vorschläge exakt im Ausschuß zu formulieren und der Regierung als eine gemeinsame Meinungsbildung der Fraktionen an die Hand zu geben und in der gleichen Zeit Ihre beiden Gesetzesvorschläge zu diskutieren, ohne daß dabei eine weitere und zusätzliche Verzögerung der Maßnahmen, die bereits vorbereitet sind, eintreten darf.
({1})
Das Wort hat die Frau Kollegin Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Vor einem halben Jahr haben wir hier das Finanzverfassungsgesetz verabschiedet. Dort ist von der Regierungsvorlage angefangen bis zur Schlußberatung eindeutig das Wort „wissenschaftliche Hochschule" eingesetzt und verteidigt worden. Wir sind ein halbes Jahr weiter, und nun sagt uns der Herr Kollege Stoltenberg: Wir haben eine neue Lage. Meine Herren und Damen, worin besteht denn die neue Lage? Wir alle wissen von der Not des Numerus clausus. Aber diese Not ist ja nicht gestern entstanden, sondern von dieser Not wußte man, was die Abiturientenzahlen angeht, vor spätestens neun Jahren; denn da pflegen die Kinder, die das Abitur machen wollen in etwas größerer Zahl selbstverständlich, manche scheitern -, in die Sexta zu kommen. Dann kann man schon nach einer gewissen Erfahrungsquote wissen, wer da ankommt. Daß der Geburtenjahrgang 1949/50 größer ist als die Geburtenjahrgänge der Jahre vorher, das wußten wir doch seit 20 Jahren, möchte ich annehmen.
({0})
Denn seitdem steht es im Statistischen Jahrbuch Jahr um Jahr, und es ist ganz nützlich, dieses gelegentlich einmal zu lesen.
Deswegen frage ich mich, woher denn die neue Erkenntnis der CDU von einer neuen Lage kommt. Die neue Lage war ja vor einem halben Jahr genauso bekannt wie jetzt, außer daß Herr Barzel vor Beginn
des Presseballs sich von einigen Studenten einmal hat erzählen lassen, daß da etwas los sei.
({1})
Das kann aber doch nicht allein die Grundlage der Erkenntnis bei der CDU sein, daß jetzt, ein halbes Jahr später, auf einmal ein großes Dilemma da ist. Nein, meine Herren und Damen, was die Kulturpolitik angeht, so müssen Sie sich schon den Vorwurf gefallen lassen, daß die CDU immer allenfalls reagiert hat, aber niemals vorausschauend die Entwicklung erkannt hat. Dies ist einfach eine Tatsache.
({2})
Ich habe mir nun die Anträge einmal genau angesehen und möchte bestätigen, was soeben schon angedeutet wurde. Wer im kulturpolitischen Bereich und nicht erst seit gestern tätig ist, kann sich ungefähr die Debatte vorstellen, die sich in der CDU/ CSU-Fraktion, in den Arbeitskreisen und in den Vorgesprächen abgespielt hat. Es ist ja kein Zufall, daß Herr Mikat nicht hier im Raum ist, obwohl er im Haus ist und eben mal da war. - O, er ist doch dahinten. Vielleicht meldet er sich nachher noch zu Wort.
({3})
- Bitte, ja!
Ich bin a) im Haus, b) im Raum, und c) höre ich Ihnen zu. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, gnädige Frau, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen wollten.
Vielen Dank, Herr Kollege Mikat, Ich hatte mich eben umgeschaut, weil Sie einmal hier nach vorn kamen, und dann wieder zurückgingen. Ich dachte, Sie seien nicht da. Aber um so besser.
Meine Herren und Damen, es ist keine Frage, was Herr Dr. Mikat vor einigen Wochen hier ausgeführt hat, geht weiter als das, was hier steht. Dies ist offensichtlich ein Kompromiß in der CDU, von der einige - dazu zähle ich u. a. auch Herrn Kollegen Stoltenberg, Herrn Martin und Herrn Mikat - viel weitergehen möchten, weil sie erkannt haben, daß die Kompetenzen des Bundes entscheidend erweitert werden müssen.
({0})
Andere Kollegen der CDU/CSU möchten das nicht. Nach der letzten Rede möchte ich dies bei Herrn Dr. Probst annehmen. Die CSU und Teile der CDU sind einfach nicht bereit, das einzulösen, was die CDU seit Berlin in ihrem Programm stehen hat: nämlich die Schaffung eines Bundeskultusministeriums. Das möchte die CSU offensichtlich nicht. Die Metamorphose der CSU, die wir heim Wahlrecht von Jaeger zu Roser erlebt haben, hat sich - das schien mir doch hier herauszukommen - offensichtlich nicht im bildungspolitischen Bereich ereignet.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Probst?
Gnädige Frau, woraus schließen Sie aus meinen Ausführungen, daß ich nicht bereit bin, das einzulösen, was gemeinsam eingebracht worden ist?
Das habe ich nicht gesagt, Herr Kollege Probst. Vielleicht hören Sie genauer zu.
({0})
- Ich habe folgendes gesagt. In der CDU gibt es Herren und Damen, die in der Ausweitung der Bundeskompetenzen viel weitergehen wollen. Sie haben aber offensichtlich nicht die hinreichende Unterstützung anderer Kollegen in diesem Hause gefunden, und bei diesen Gegnern vermute ich u. a. die CSU.
({1})
- Die Rede war nicht übermäßig progressiv, Herr Kollege. Außerdem habe ich mich an das erinnert, was ich vor einem halben Jahr im Vermittlungsausschuß gehört habe. Wenn man sich die Mühe macht - und ich empfehle das allen Kollegen dieses Hauses-, die Diskussion im Vermittlungsausschuß vor einem halben Jahr noch einmal nachzulesen, dann muß man sich allerdings fragen, worauf die CDU/CSU den Antrag, den sie jetzt stellt, stützt und womit sie ihn begründet. Deshalb hätte ich gern die Unterschriften aller CDU/CSU-Ministerpräsidenten der Länder unter Ihrem Antrag gesehen. Sie sollten sie einmal hier hinterlegen.
({2})
Was hilft es, daß wir hier einen Beschluß über die Ausweitung der Bundeskompetenzen fassen, wenn er durch die Ministerpräsidenten der gleichen Parteien, die das beschlossen haben, in einem sehr mühsamen und langwierigen Prozeß wieder zurückentwickelt wird, wobei immer weniger herauskommt. Darum meine Frage: Wird Ihr Antrag von Ihren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein bis Bayern mitgetragen?
Frau Kollegin Funcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß der Inhalt des jetzigen Antrages bei den Beratungen zur Finanzverfassungsreform im Rechtsausschuß seinerzeit einstimmig, ich glaube bei einer Enthaltung, beschlossen worden ist? Kann man daraus nicht den Schluß ziehen, daß die Erkenntnisse, die in diesem Antrag stecken, uns nicht erst in der Oppositionszeit gekommen sind, sondern auch aus der Zeit der letzten Bundesregierung stammen?
Nein, Herr Kollege, das kann ich überhaupt nicht anerkennen; denn dieses Haus hat beschlossen, das Wort „Wissenschaftliche Hochschule" nicht nur einzusetzen bzw. aus der Regierungsvorlage zu übernehmen, sondern hat mit Mehrheit diese Formulierung verteidigt. So war es doch. Bitte lesen Sie doch die Dinge nach; Herr Kollege Stoltenberg gibt sonst Nachhilfeunterricht.
({0})
- Natürlich weiß ich warum. Entschuldigen Sie, aber deshalb stelle ich doch die Frage an die Kollegen von der CDU/CSU, ob Sie uns die Garantie geben, daß das, was sie jetzt beschließen wollen und was in der Öffentlichkeit sicher gern gehört wird, auch die Chance der Realisierung bei ihren eigenen Parteifreunden in den Ländern hat. Das ist doch wohl eine legitime Frage.
(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Dr. Martin: Die Antwort lautet Ja! ({1})
- Die Antwort lautet Ja, aber wir möchten es gern schriftlich.
({2})
Wir möchten es gern schriftlich, denn hier kann es doch nicht ernstlich darum gehen, einfach nur die Frage der Finanzierung zu diskutieren, ohne dabei in irgendeiner Weise auch darüber zu sprechen, welches Mitspracherecht der Bund bei dieser Gelegenheit hat.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir bei der Ausweitung des Art. 75, die damals hoffnungslos untergegangen ist. Die reine Mitfinanzierung, ohne daß der Bund über die Gestaltung der Prüfungsbestimmungen, die Berechtigung und alles dies in den einzubeziehenden weiteren Bildungsanstalten
- ich sage es ganz neutral - auch nur ein Wort mitzusprechen hat, kann doch nicht ernsthaft der Wille sein, es sei denn, Sie werten den Bund als eine reine Zahlstelle für das ab, was die Länder tun. Das kann doch nicht sein. Wenn es, wie ich gestern bei Gesamttextil hörte, eine Reihe von höheren Textilfachschulen gibt, die die Leute in einem Land ausbilden, und in einem anderen Land die Examen nicht anerkannt werden, dann, meine Damen und Herren, sind das doch Zustände, denen mit der Änderung des Art. 91 a in Ihrer Formulierung nicht beizukommen ist, sondern dann brauchen wir eben die entscheidende Mitwirkung des Bundes. Das sage ich doch die ganze Zeit. Bringen Sie einen kompletten Antrag und nicht einen Detailantrag, den Sie gerade eben bei sich selbst nur gerade eben durchgekriegt haben. Bringen Sie einen kompletten Antrag über eine Grundgesetzänderung, dann sind wir bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren.
({3})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Kotowski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte hat für mich als Neuling in diesem Hause eine ganze Reihe von Überraschungseffekten gezeigt. Es wird der CDU/CSU-Fraktion vorgeworfen - völlig ungeprüft übrigens und mit sonderbaren Motivforschungen versehen-, daß sie zu all diesen verschiedenen Dingen doch höchst verschiedene Meinungen habe, während die Regierungfraktionen, die ja doch eigentlich einen einheitlichen Regierungswillen bilden müßten - das steht nämlich im Grundgesetz mit so vielen Zungen sprechen, daß ich jetzt wirklich ganz verwirrt bin.
({0})
Der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat doch eigentlich mit ziemlicher Deutlichkeit den Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion - ja, ich bin aus seiner Rede nicht ganz klug geworden, besonders wenn ich sie in Zusammenhang mit Erklärungen der jüngsten Zeit stelle - für unerwünscht oder für verdächtig erklärt. Der Kollege Lohmar hat das mit aller Schärfe getan; er hat die sonderbarsten Motivforschungen angestellt, die mir im politischen öffentlichen Leben seit langem nicht vorgekommen sind.
({1})
Auf die Rede des Herrn Kollegen Moersch möchte ich hier nicht eingehen
({2})
- entschuldigen Sie, Sie sind ja in der Kritik auch nicht zimperlich! -, weil ich sie für eine Büttenrede am falschen Ort und zur falschen Zeit halte.
({3})
Auf der anderen Seite hat für den Bundesminister des Innern der Parlamentarische Staatssekretär dankenswerterweise erklärt, daß sein Haus an einer der Intention unseres Antrages entsprechenden Vorlage arbeitet.
({4})
Wir sind dafür dankbar; wir würden doch aber den Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bitten, sich, bevor er sich amtlich für die Regierung äußert, mit dem für Verfassungsfragen zuständigen Bundesminister in Verbindung zu setzen. Ich glaube, das würde die Debatte außerordentlich vereinfachen; sie würde dadurch sehr entschärft werden, und möglicherweise kommen wir dann sogar auf ein und dieselbe grundsätzliche Position.
Meine Damen und Herren! Mir ist ferner merkwürdig gewesen, daß sich die Redner der Regierungsfraktion daran gehalten haben, sich zu bemühen, von der Gesetzes- und von der Verfassungsänderung als solcher abzulenken und in die Vergangenheit zu schweifen. Dagegen habe ich nichts; ich bin Berufshistoriker und würde es an sich also für denkbar halten, daß wir den Gesamtbereich der Menschheitsgeschichte in solche Probleme einbeziehen. Dagegen ist nichts zu sagen; nur eben mit dem Thema hat es wenig zu tun.
Ich möchte dann doch gleich hinzusetzen, daß sich die Problematik - das hat Herr Kollege Stoltenberg ja sehr deutlich gemacht - in der Tat dauernd verschiebt, und zwar insofern, als sich hier allmählich deutlicher herausstellt, welche Funktionen von Ländern und Gemeinden mehr oder minder allein und welche eben nicht mehr allein wahrgenommen werden können. Nun ist es für mich die merkwürdigste Sache der Welt, wenn der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hier gleichsam eine ihm zukommende Kompetenz ablehnt, obwohl er uns doch klarmacht - und sicherlich sagt er dabei die Wahrheit -, daß er ja bereits in Verhandlungen steht oder jedenfalls Verhandlungen nicht zu verzögern gedenkt. Warum in aller Welt, Herr Minister, sollten Sie dann nicht die verstärkte Position, die Ihnen doch durch die Anträge der CDU/CSU gegeben wird, in diese Verhandlungen mitbringen?
({5})
Was soll das für eine Argumentation sein, zu sagen: Ja, ich habe in meinem Hause dafür keine detaillierten Pläne vorgefunden? Wir machen Ihnen nicht den Vorwurf. daß Sie nach sechs oder sieben Wochen kein komplettes Regierungsprogramm für Ihr Haus haben,
({6})
obwohl ich allerdings doch sagen würde, etwas mehr als die vagen Erklärungen, die wir bisher aus Ihrem Hause in dieser Sache gehört haben - ohne daß wir die jetzt auf Ziffern festlegen wollen -, sollten Sie doch schon von sich geben.
Aber mir ist überhaupt nicht begreiflich, warum sich Parteien, die sich nach außen hin den Anschein geben, für eine, sagen wir einmal, fortschrittliche Kulturpolitik einzutreten, so verhalten. Im übrigen darf ich mir hier die Bemerkung erlauben: Wenn Sie einmal die sozialdemokratische Schul- und Hochschulpolitik am jeweiligen Ort konkret untersuchen, dann fällt der Nimbus des Fortschritts aber wirklich in sich zusammen, meine Damen und Herren.
({7})
Aber wie Sie sich das auch denken, ich kann gar nicht begreifen, warum Sie solche Kompetenzausweitungen ablehnen.
Nun wird der CDU hier - ganz merkwürdig übrigens der Vorwurf gemacht, als Regierungspartei habe sie das doch nicht gemacht oder allenfalls in Andeutungen gemacht. Jetzt überschlägt sich Ihre Argumentation aber insofern: Wir geben doch Ihnen Kompetenzen, nicht uns, nachdem wir die Bundesregierung nicht mehr führen.
({8})
Entschuldigen Sie, Verfassungsänderungen können Sie ohne uns nicht machen, falls Sie das nicht wissen sollten.
({9})
Ich meine, das sind doch elementare Dinge, und ich kann nicht begreifen, warum die ersten zwei Stunden dieser Debatte auf diesem Niveau und mit solchen Argumenten gelaufen sind.
({10})
Lassen Sie mich noch folgendes sagen
({11})
Ich möchte zum Schluß noch folgendes sagen. Herr Minister Leussink sprach vom Lernprozeß und sprach von uns als Lernsystemen. Ich bin freilich bei aller Würdigung solcher Argumentation immer etwa skeptisch, wenn man Menschen mit Maschinen oder mit abstrakten - -({12})
- Ich lehne es ja nicht ab, Herr Kollege Lohmar. Ich sage nur, der Ausdruck, daß wir alle offene Lernsysteme sind oder repräsentieren, gefällt mir nicht ganz. Das ist sehr schön, und wir wissen, daß sich die Entwicklung von 1949 bis zur Gegenwart eben in Etappen und in bestimmten Sprüngen vollzogen hat.
Es kommt uns darauf an, Herr Minister, bei den Ländern nicht den Verdacht zu erregen, daß der Bund und seine Instanzen die im Grundgesetz geschaffenen Kompetenzen extensiv und möglicherweise am Rande der Verfassungsaushöhlung gebrauchen. Denn wenn bei den Ländern dieser Verdacht entsteht, daß der Bund Kompetenzen haben oder ausdehnen will, ohne den Consensus der Länder zu finden, dann allerdings werden wir auf Schritt und Tritt Schwierigkeiten bekommen, die sehr viel leichter ausgeräumt werden können, wenn alle Länderministerien - die sozialdemokratisch geführten schließe ich dabei ausdrücklich ein -davon ausgehen, daß Bundesregierung und Bundestag unausweichlich werdende Ausdehnungen ihrer Kompetenzen redlich mit den Ländern und mit dem Bundesrat abklären, dann aber auch auf keinen Fall versuchen werden, die Länder gleichsam auf kaltem Wege von der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben auszuschließen.
Genau in dieser Richtung zielt der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, von dem ich mir - ich darf das zum Schluß noch einmal sagen - überhaupt nicht vorstellen kann, wie er bei Parteien, wie es die SPD und die FDP doch sind - jedenfalls nach ihrer offiziell verkündeten Programmatik -, auf ernste Vorbehalte stoßen kann. Allenfalls könnte ich noch der Frau Kollegin Funcke zustimmen, wenn sie sagt, er gehe ihr nicht weit genug. Das ist ein Argument, über das sich reden läßt. Aber zu sagen, wir seien überhaupt gegen eine notwendige Ausweitung, das übersteigt mein Fassungsvermögen.
Vielleicht werden die Fraktionen der SPD und FDP in diesem Sinne doch noch zu lernfähigen Systemen werden in einer Zeit, in der grundsätzliche Entscheidungen gefällt werden müssen.
({13})
Meine Damen und Herren, ich beglückwünsche den Kollegen Prof. Kotowski zu seiner ersten Rede in diesem Hohen Hause. Ich habe noch den Wunsch, daß er seinen Frieden mit dem rheinischen Karneval
Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident
machen möge und von der Qualität von Büttenreden überzeugt werden möge.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesminister Leussink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Kotowski, Sie haben mir die Hälfte dessen, was ich sagen wollte, doch noch abgenommen, indem Sie zum Schluß dann das zitierten, was ich wirklich gesagt habe. Ich habe von „lernfähigen Systemen" gesprochen, und das ist nicht aus dem Maschinenbau, sondern aus der biologischen Kybernetik herausgenommen. Aber das ist nicht so wichtig. Ich glaube, es ist heute ein ganz allgemeiner Begriff, und da braucht man gar nicht erst die Maschinenbauer zu bemühen.
Aber Sie haben mir auch in der zweiten Sache, nachdem ich zunächst geglaubt habe, zu begreifen, was Sie meinen, zum Schluß wieder verdeutlicht, wie richtig wir liegen, wenn wir vorsichtig sind. Weil wir nämlich gerade mt den Ländern in einem guten Klima verhandeln, sollte man ganz in Ihrem Sinne, Herr Kotowski, alles vermeiden um mit Ihren Worten zu reden -, bei den Ländern den Verdacht zu erregen, daß wir schon jetzt, obwohl das Gesetz noch gar nicht in Kraft getreten ist, hier in diesem Hause und in der Bundesregierung der Meinung sind, daß das Instrumentarium nicht ausreicht. Genau mit der Begründung, die Sie zum Schluß gegeben haben, würde ich sagen, wir sollten da zurückhaltend sein und das gute Klima mit den Ländern jetzt nicht in Frage stellen. Im übrigen können Sie auch mir nicht unterstellen, daß ich im Prinzip gegen die Sache wäre. Ich glaube, ich habe nichts dergleichen gesagt, und ich habe auch von den Koalitionsfraktionen im Prinzip nichts gegen die Sache gehört. Wir möchten nur - das darf ich doch wiederholen - zwei Dinge klargestellt haben: Erstens dürfen wir uns alle zusammen in den Sofortmaßnahmen nicht irritieren lassen. Ich glaube, darüber sind wir einig. Zweitens habe auch ich sowohl beim Lesen des Gesetzestextes als auch beim Anhören der Begründung die Befürchtung - wenn Sie sie ausräumen können, wird es mich freuen, und Sie sind mehrfach aufgefordert worden, so gut zu sein, sie auszuräumen -, daß doch Dinge, die heute noch in einem schnellen Wandel begriffen sind, unfreiwillig und ungewollt durch den neuen Gesetzestext verfestigt werden könnten. Mein Appell ging dahin, nichts zu tun, was geeignet ist, solche Verfestigungen von Zwischenzuständen zu fördern.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Probst?
Herr Bundesminister, habe ich Sie falsch verstanden, wenn ich aus Ihren Ausführungen soeben entnommen habe, daß Sie unserem Vorschlag unterstellten, wir wollten damit das Klassensystem an den Hochschulen zementieren?
Ich halte - ich habe es gerade noch einmal gesagt das System von sogenannten wissenschaftlichen Hochschulen, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen für ein System, das man mit Recht als Klassensystem bezeichnen kann, und ich habe Ihnen gerade gesagt, ich und andere haben die Befürchtung, daß dieses System durch den neuen Gesetzestext verfestigt werden könnte.
({0})
Das Wort hat der Herr Kollege Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will in der ersten Lesung die Aufmerksamkeit des Hauses für diese gewiß wichtige Materie nicht sehr lange in Anspruch nehmen, sondern nur ein paar ganz konkrete Fragen noch einmal formulieren, damit die Antragsteller zum Schluß der Debatte darauf ihre Anworten geben können.
Erstens: Was kann, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, geschehen, bevor wir die von Ihnen beantragte Grundgesetzänderung durch den Bundestag und den Bundesrat gebracht haben? Woran sind wir nicht gehindert, was können wir tun?
({0})
- Das können Sie antworten, Herr Dr. Martin, Wenn Sie „alles" sagen, ist es in Ordnung, dann sind wir ja frei, und wir sind auch bereit, eine Menge zu machen.
Zweite Frage: Wieweit sind Sie bereit schon in konkreten Schritten in dem Programm zu gehen, das der Kollege Lohmar vorgeschlagen hat, nämlich in dem Fünf-Punkte-Programm, das sich aus den Ergebnissen des Hearings ableitet, das wir in der vergangenen Woche gehabt haben?
Ich bin nicht ganz sicher, Herr Stoltenberg, daß das richtig und schlüssig ist, was Sie auf der Pressekonferenz sagten, die Sie bei der Vorstellung Ihrer Anträge vor der Öffentlichkeit gegeben haben. Dort haben Sie gemeint, daß durch die Annahme dieser Anträge erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden könnten, daß eine Neuordnung in diesem Bereich bis 1975 führen sollte erstens zu einer Verdreifachung der jährlichen Investitionsmittel für die Fachhochschulen von 200 auf 600 Millionen DM, zweitens zur Schaffung von mindestens 100 000 Studienplätzen, drittens zur Entwicklung neuer Studiengänge und Berufsbilder. Mir ist nicht klar, wieso diese Dinge nur getan werden können, nachdem das angenommen worden ist, was Sie hier vorgeschlagen haben. Ich bin vielmehr sicher, daß man das völlig unabhängig davon leisten kann und daß Anträge wie die, die Sie hier gestellt haben, dazu nicht notwendig sind, in dem Bereich, wo es nicht um die Grundgesetzänderung geht, sondern um die Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes, möglicherweise sogar hinderlich sind.
({1})
Das Wort hat der Herr Kollege Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß im zweiten Teil der Debatte von den Sprechern der anderen Fraktionen der Wille zur Sachlichkeit und zur Klärung der Probleme deutlich wurde, den wir in den ersten Reden der Kollegen Lohmar und Moersch allerdings außerordentlich vermißt haben.
({0})
Sie haben hier in einem schon ungewöhnlichen Maß persönliche Polemik in die Diskussion hineingebracht, von falschen Tatsachenbehauptungen bis zur Entstellung von Zitaten durch den Herrn Kollegen Moersch.
({1})
Wir wollen darauf nicht mehr als notwendig eingehen und werten dies nur als den Ausdruck eines ungefestigten Selbstbewußtseins dieser schwachen Koalition.
({2})
Sie sollten sich mit aller Gelassenheit daran gewöhnen, daß die stärkste Fraktion dieses Hauses ihr Recht zur parlamentarischen Initiative voll wahrnimmt.
({3})
Sie werden in meiner Rede nicht einen einzigen Satz finden, in dem ich die auch unterstellte Behauptung gemacht habe, daß die Regierung säumig gewesen sei oder daß sie noch nichts vorgelegt habe. Solche Vorwürfe sind hier nicht erhoben worden. Ich habe nur an einem Punkt meiner Sorge Ausdruck verliehen, daß wir auf vielen anderen Gebieten, angefangen von jenen Steuersenkungen, über die wir weiter kritisch reden müssen, von Ihnen weitgehende finanzielle Festlegungen hören, während wir auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Hochschulfinanzierung noch keine Äußerung gehört haben.
({4})
Es ist völlig klar, daß der zuständige Bundesminister nicht allein dazu in der Lage ist. Es ist auch keine Kritik an ihm geübt worden, sondern es ist eine Situation beschrieben worden, die sehr viele, auch in Ihren eigenen Reihen, die Verantwortung tragen, in den Ländern, in der Wissenschaft und in der Bildung, mit großer Sorge erfüllt. Wir kennen genau die Interventionen, die aus diesem Bereich auch bei Ihnen eingehen. Deswegen sagen wir das hier, was auch in Ihren internen Diskussionen gesagt wird.
Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Funcke? - Bitte!
Herr Stoltenberg, wäre es denn der CDU möglich, einmal die Größenordnungen zu nennen, um die es sich hier handelt?
Ja, ich werde in der Tat auf diesen Punkt, den ich übrigens in meiner Begründung schon mit Zahlen genannt habe, im
Verlauf meiner weiteren Ausführungen eingehen. Erlauben Sie mir, das zu einem späteren Zeitpunkt zu tun.
Ich kann nur unterstreichen, was Herr Kollege Kotowski schon gesagt hat. Diese persönlich zugespitzte und in den bisherigen Hochschuldebatten eigentlich nicht übliche Art der Polemik ist dann abgelöst worden durch sachliche Beiträge, vor allem der Kollegin Frau Funcke, des Kollegen Meinecke und auch der Vertreter der Regierung. Allerdings müssen wir jetzt auch Sie um eine Aufklärung bitten, nachdem Sie uns in eine Art hochschulpolitisches Examen nehmen wollten. Was gilt nun eigentlich als Meinung dieser Koalition und dieser Regierung: die Erklärung von Herrn Staatssekretär Dorn für den Bundesminister des Innern, daß bereits vor unserem Antrag das Verfassungsministerium eine entsprechende Änderung vorbereitet habe, die Warnung, die Herr Minister Leussink soeben wiederholt hat, nämlich daß man an diese Dinge jetzt doch möglichst nicht herangehen sollte, um das Klima mit den Ländern nicht zu stören, die Erklärung der Abgeordneten Frau Funcke, daß dies nicht ausreiche, sondern noch eine weitergehende Initiative zur Verfassungsänderung erfolgen müsse, oder die negative Bewertung des Kollegen Lohmar, die wir zu Beginn gehört haben? Wir erwarten von Ihnen eine klare Aussage zu den Grundzügen dieses Antrags.
({0})
Ich glaube, daß das auch die interessierte deutsche Öffentlichkeit von Ihnen erwartet und daß Sie, Herr Kollege Lohmar, das nicht durch billige Polemik, ersetzen können.
Nun ein Wort zu den Vorwürfen, die Sie hier gerade an mich gerichtet haben. Im Grunde habe ich ja zu diesem Problem in der Begründung, in der einführenden Rede, schon Stellung genommen, aber wahrscheinlich war Ihr Text vorher formuliert.
({1})
Ich habe sehr genau gesagt, warum wir es im Frühjahr als Bundesregierung einstimmig mit den sozialdemokratischen Ministern und beim zweiten Durchgang im Rechtsausschuß des Bundestages mit einer Mehrheit von Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD nicht für richtig gehalten haben, diesem weitergehenden Vorschlag zu folgen, und warum wir es heute tun. Ich kann mich nur darüber wundern, daß Sie es für richtig halten, Minister der Großen Koalition, die einstimmige Kabinettsbeschlüsse, die mit den Fraktionen abgestimmt sind, in den Ausschüssen und in der Öffentlichkeit vertreten, hier
in dieser unqualifizierten Weise anzugreifen.
({2})
Herr Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmar?
Bitte sehr, Herr Kollege Lohmar.
Herr Kollege Stoltenberg, ist Ihnen klar, daß jede Koalition eine Vernunftsehe und keine Liebesheirat ist?
Aber die Abstimmungen im Kabinett und im Ausschuß sind nicht Folge eines Zwanges, sondern der freien Entscheidung der beteiligten Partner gewesen,
({0})
und die müssen Ihre Kollegen und Minister genauso vertreten, wie ich meine Äußerungen vom Frühjahr dieses Jahres vertrete, die Sie hier genußvoll zitiert haben. Die Gründe für die Ablehnung waren zweierlei, und zwar einmal die vor allem von dem Kollegen Alex Möller damals im Bundestag und im Vermittlungsausschuß geäußerte Sorge, die wir teilten, daß weitergehende Initiativen über die Vereinbarungen mit den Ländern hinaus zu einem Scheitern der gesamten Finanzreform führen konnten. Das war unsere gemeinsame Meinung, die der Herr Staatssekretär Schäfer, der bei Ihren Bemerkungen hier Beifall klatschte, damals mit mir gemeinsam im Kabinett und in den Gesprächen der Fraktionen zum Ausdruck gebracht hat.
({1})
- Ich beziehe mich hier auf unsere damaligen Gespräche und den falschen Eindruck, den Sie heute hier in der Öffentlichkeit erwecken wollten.
Zweitens geht es um den von mir in der Begründung genannten wesentlichen neuen Tatbestand, daß wir überhaupt erst seit Juni mit dem von diesem Hause verabschiedeten Hochschulbauförderungsgesetz ein Instrumentarium haben, das eine Erweiterung der Bundeskompetenz als Gemeinschaftsaufgabe auf die Fachhochschulen sinnvoll macht. Das sind die Fragen, zu denen wir hier anstelle allgemeiner Polemiken eine Äußerung von Ihnen erwartet hätten.
Nun möchte ich aber noch einmal sehr nachdrücklich unterstreichen, daß wir bereits nach der Verabschiedung des Hochschulbauförderungsgesetzes im Juli und im August öffentlich als CDU/CSU und auch ich als damals zuständiger Bundesminister diese Forderung nach einer Erweiterung der Bundeszuständigkeit erhoben und vertreten haben.
Herr Kollege Meinecke hat freundlicherweise hier schon den Pressedienst des damaligen Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung vom 20. August zitiert, in dem diese Vorstellung als Niederschlag einer Pressekonferenz und einer Diskussion entwickelt wurde. Herr Kollege Meinecke, da ist in der Tat schon - ich möchte Sie gern darauf hinweisen auch in diesen Formulierungen durchaus die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Verfassungs- und Rechtsordnung angesprochen. Denn es heißt hier - ich darf das mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren -:
Dies setzt eine gemeinsame überregionale Sach- und Bauplanung von Bund und Ländern für die Fachhochschulen voraus, wie sie für die wissenschaftlichen Hochschulen jetzt durch
die Finanzverfassungsreform verbindlich beschlossen wurde.
Ich werte diesen Satz - so ist er gemeint - als
Hinweis auf eine Weiterentwicklung der Verfassungs- und Rechtsordnung. Man kann das philologisch vielleicht noch klarer ausdrücken. Aber wir sind ja nicht dazu da, uns hier gegenseitig durch Motivforschung und philologische Kritik zu belehren, sondern wir sollten uns auf das beziehen, was vor der Wahl bereits gesagt wurde. Ich habe mich sehr gewundert, daß Herr Moersch hier sagte, das sei ja vor der Wahl gewesen. Daß Sie Ihre Versprechungen aus der Zeit vor der Wahl nicht sehr ernst nehmen, das wissen wir mittlerweile in diesem Hohen Hause, meine Damen und Herren.
({2})
Aber wenn Sie meinen, Sie können das so in einem abwertenden Satz oder in einem abwertenden Zwischenruf bemerken, das hätte man mal vor der Wahl gesagt, dann möchten wir Ihnen erklären, daß wir jeden einzelnen Punkt, den wir programmatisch vor der Wahl hier angesprochen und verkündet haben, auch in diesem Hause zur Entscheidung und Abstimmung bringen werden.
({3})
Ich will hier nicht weiter auf das „Schneckentempo der letzten Jahre" eingehen. Wir haben in den letzten vier Jahren - Bundesregierung und Bundestag - die Leistungen für die Hochschulen von 280 auf 750 Millionen gesteigert. Wir werden diesen Maßstab des Wachstums einmal als Maßstab für das Tempo nehmen, das Sie in den nächsten Jahren vorlegen werden. Dann wollen wir vom „Schneckentempo" oder vom „Antilopenschritt" erneut reden. Da müssen Sie sich noch einige Mühe geben und Ihre Steuersenkungen und Ihre Subventionen etwas kritisch überprüfen, wenn Sie ein derartiges Tempo in der Erhöhung der Hochschul- und Wissenschaftsaufgaben vom Bund erreichen wollen.
({4})
Herr Kollege Lohmar, zu Ihrer Polemik kann ich nur bemerken ich möchte das immerhin zu Protokoll geben -, es hat in den letzten drei Jahren weder im Kabinett noch in diesem Hause Anträge der SPD zur Frage des Ausbaus und der Entwicklung der Hochschulen gegeben, die über die Vorstellungen des zuständigen Ministers und der Bundesregierung hinausgegangen sind. Damit haben Sie jede Legitimation für derartige abwertende Bemerkungen verloren, wie Sie sie hier gebraucht haben.
({5})
Aber lassen Sie mich zum Abschluß noch einige Bemerkungen zum sachlichen Teil, d. h. zum letzten Teil der Diskussionsbeiträge der Koalition machen. Das ist die Frage nach der Gesamthochschule. Wir sind über Ihre Sorgen etwas überrascht, aber wir nehmen es als eine subjektiv ernste Sorge, daß durch diesen Antrag die Möglichkeit der Gesamthochschule verhindert werden solle. Ich möchte fast sagen: Im Gegenteil!
Herr Kollege Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lohmar?
Wenn Sie meine Zeit etwas großzügig bemessen, Herr Präsident.
Ich hoffe, daß die Zahl der Zwischenfragen es erlaubt, daß Sie innerhalb des Rahmens zu Ende kommen. - Herr Kollege Lohmar!
Herr Kollege Stoltenberg, es wäre ganz nett, wenn Sie in Ihre Erwiderung auch einbezögen, was in meiner Rede ansonsten noch an praktischen Vorschlägen enthalten war. Der Kollege Raffert hat Sie schon darauf angesprochen, Sie sollten das nicht überhören.
Ich beginne das; aber ich bin nicht in der Lage, in der mir zur Verfügung stehenden Redezeit alle fünf Punkte zu behandeln.
({0})
- Hier ist so viel polemisiert worden, daß wir einmal zehn Minuten auf die Richtigstellung wenigstens eines Teiles der falschen und irreführenden und persönlich kränkenden Bemerkungen verwenden müssen, die Sie durch Ihre ersten Sprecher Herrn Lohmar und Herrn Moersch eingeführt haben.
({1})
Das müssen Sie mir nun schon erlauben. Nachdem wir diese Dinge drei Jahre lang gemeinsam gemacht haben und von Ihnen keine weitergehenden Anträge vorlagen, ist es grotesk, den bis jetzt zuständigen Minister in dieser Form zu apostrophieren.
({2})
Aber ich möchte jetzt auf die Fragen eingehen, wenigstens auf einen Teil; die anderen wird sicherlich Herr Kollege Martin für unsere Fraktion noch beantworten.
Die entscheidende Frage von Ihnen war in der Tat: Wie sieht es mit der Gesamthochschule aus? Meine Damen und Herren, wenn wir den Begriff „wissenschaftliche Hochschule" umwandeln in „Hochschule", dann kann das doch nicht eine Barriere sein, sondern nur eine zusätzliche Förderung sinnvoller Verflechtungen und sinnvoller Kooperationen aller Hochschulformen im Hochschulbereich. So ist es auch in der Begründung gesagt, und nur so kann man es bei einer, ich möchte einmal sagen, unvoreingenommenen Denkweise und Phantasie verstehen.
Dabei ist es aber - das darf ich auch Herrn Minister Leussink zu seinen Bemerkungen sagen - nicht so, daß es hier heute eine abgeschlossene, von allen vernünftigen Leuten im einzelnen durchdachte und anerkannte Organisationsform „integrierte Gesamthochschule" gäbe. Das ist doch nicht die Wirklichkeit in elf Bundesländern, das ist auch nicht die Realität der Ländergesetze.
({3})
- Ich bitte wegen der Redezeit, Herr Raffert, um Verständnis; sonst komme ich in Schwierigkeit mit dem Präsidenten.
({4})
- Können Sie das gleich anschließend tun?
Sie wissen, daß sich in den elf Ländern auf diesem Gebiet ganz unterschiedliche Formen in der Gesetzgebung und Praxis ausbilden. In meinem Heimatland Schleswig-Holstein hat der Landtag vor wenigen Wochen einstimmig, mit den Stimmen aller hier vertretenen Fraktionen, ein Konzept für den Hochschulbereich verabschiedet, das von einer engen Kooperation und Verflechtung selbständiger Hochschulen ausgeht. Das ist nicht die „integrierte Gesamthochschule", die hier als „für die Zukunft natürlich allein möglich" bezeichnet wurde. Wenn das so selbstverständlich wäre, dann wären die schleswigholsteinischen Landtagsabgeordneten aller Parteien in ihrer Entwicklung noch etwas zurück, und das möchte ich eigentlich schon aus landsmannschaftlichen Gründen verneinen. In Baden-Württemberg, meine Damen und Herren, hat die dortige Regierung der Großen Koalition ein Modell vorgelegt, das kooperative Formen selbständiger Hochschulen und stärker integrierte nebeneinander erproben will. In Nordrhein-Westfalen hat Ministerpräsident Kühn jetzt ein Konzept vorgelegt, das von der Zuordnung der verschiedenen selbständigen Einrichtungen und ihrer engen Verflechtung in einem Gesamthochschulbereich ausgeht; und auch das ist noch etwas anders als die hier propagierte oder verkündete integrierte Gesamthochschule.
Das heißt, wir müssen wohl bei der jetzigen Situation eines Neuanfangs davon ausgehen, daß in den Ländern der Wille besteht, verschiedene Formen der Zuordnung und Kooperation in einem gewissen fruchtbaren Wettbewerb zu erproben.
({5})
Genau das halten wir für richtig. Wir sind gegen eine dogmatische Fixierung auf ein angeblich allein richtiges System, und wir sind auch nicht dafür, irgendwelche Entwicklungswege der Zusammenarbeit und Zuordnung durch Entscheidung des Bundestages zu verbauen. Wenn wir uns auf dieser Basis treffen könnten, würde ich es begrüßen.
Aber, Herr Kollege Lohmar, als letztes muß ich Ihnen doch sagen, daß eine sachliche Bemerkung von Ihnen mich etwas mit Sorge erfüllt hat. Was wir nicht für richtig halten, ist die von Ihnen empfohlene Zusammenarbeit - wie Sie gesagt haben - mit kooperationswilligen Ländern durch Einbeziehung in die gemeinsame Planung und Finanzierung.
({6})
Hier müssen - auch das steht im Beschluß des Rechtsausschusses und in seinem Bericht vom 8. Dezember vergangenen Jahres - gleichmäßige Förderungsgrundsätze für alle elf Bundesländer gelten, unabhängig davon, wie sie den Hochschulbereich organisieren. Es ist nicht akzeptabel, daß man durch eine ungeordnete Fondswirtschaft oder Richtlinien versucht, ganz bestimmte Typen im Fachhochschulbereich, die die gegenwärtige Koalition als beson690
ders förderungswürdig ansieht, zu finanzieren und andere nicht. Die Freiheit der Erprobung verschiedener Formen, der Zuordnung und die gleichmäßige Planung und Finanzierung müssen gesichert sein, so wie es der zuständige Ausschuß des Bundestages in seinem Bericht zur Finanzverfassungsreform gefordert hat. Wir werden den Haushalt und die weiteren Vorstellungen der Regierung auch unter diesem Gesichtspunkt prüfen.
Ich möchte also den Appell an die Kollegen der Koalitionsfraktionen richten, diesen Antrag im Sinne der Ausführungen des Staatssekretärs Dorn, des Bundesministers des Innern, im Sinne der Ausführungen von Frau Kollegin Funcke und auch von Herrn Meinecke aufgeschlossen und positiv im Ausschuß zu behandeln und dafür zu sorgen, daß wir ihn nach der vorliegenden Bereitschaftserklärung der Mehrheit der Kultusminister, ihn zu unterstützen, bald in dieser oder, wenn es sein muß, auch noch in einer verbesserten Form in die Verfassungswirklichkeit übertragen. Damit wird er uns helfen - neben den anderen Dingen, die wir im Januar und Februar behandeln -, die schwere Krise unserer Hochschulen zu überwinden.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht in die Methode der Zensurenerteilung verfallen, die hier eben wieder geübt worden ist. Das ist nicht der Stil des Hauses.
({0})
Wir sind nicht in der Schule. Auf diesen Unterschied muß ich Sie einmal hinweisen.
Herr Kollege Stoltenberg, nicht alle Zitate, die Ihnen nicht gefallen, sind deswegen auch falsch. Die Methode, die Sie hier anwenden, ist zu einfach: nämlich zu erklären, ein Zitat sei falsch, weil es Ihnen nicht paßt, daß heute hier gesagt wird, was von Ihnen und Ihrer Leitung in diesem Hause mitgeteilt worden ist. So billig können Sie sich das nicht machen.
Ich will hier, damit kein gar kein Zweifel besteht, wie die Lage war und ist, nur noch einmal folgendes feststellen. Von der Fraktion der FDP ist im Wissenschaftsausschuß beantragt worden, den Begriff „wissenschaftlich" zu streichen und allgemein von Hochschulen zu sprechen. Das ist von Vertretern des Ministers Stoltenberg im Ausschuß abgelehnt worden; sie haben auch abgelehnt, eine Definition zu geben, was wissenschaftliche Hochschulen seien. Der Vertreter des Ministers Stoltenberg hat vielmehr erklärt - ich zitiere wörtlich aus dem Protokoll des Ausschusses -:
Die Legaldefinition einer wissenschaftlichen Hochschule, die mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden sei, müsse dem in Vorbereitung befindlichen Hochschulrahmengesetz vorbehalten bleiben.
Wenn man das mit dem, was Sie, Herr Stoltenberg, heute gesagt haben, vergleicht, wird man sich ja wohl wundern dürfen.
Weiterhin möchte ich Ihnen sagen, daß die Behauptung, es sei von Ihrer Seite keine Kritik an der Bundesregierung und an Herrn Minister Leussink geübt worden, schlichtweg falsch ist. Natürlich haben Sie in Ihrer Rede heute morgen nicht das gesagt, was Herr Martin in Presseerklärungen gesagt hat. Aber gilt das, was Herr Martin erklärt, eigentlich gar nichts? Ich habe das für wichtig gehalten und habe angenommen, Herr Dr. Stoltenberg, daß das auch in Ihrem Namen gesagt worden ist. Vielleicht können wir hier einmal die Unterstellungsverhältnisse bei Ihnen klären, damit wir wissen, was wir von bestimmten Äußerungen zu halten haben.
({1})
Jedenfalls haben Sie von der CDU/CSU durch Herrn Dr. Martin in einer sehr direkten und, wie ich meine, unberechtigten Weise am Bundeswissenschaftsminister und seinen Vorhaben Kritik geübt. Sie werden es uns doch erlauben, hier festzustellen, daß Ihre Ungeduld offensichtlich sehr groß geworden ist, aber Ihre Ruhe früher im Ministerium im Hinblick auf die Lösung von Problemen leider viel zu groß gewesen ist.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Martin.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß der erste Teil dieser Debatte als Rückschlag für die Kulturpolitik in Bund und Ländern betrachtet werden kann.
({0}) - Ich werde das gleich erläutern.
({1})
- Natürlich, warten Sie doch! Sie sind so nervös, daß es mit Ihnen überhaupt nicht mehr zu schaffen ist.
({2})
Sie sind so nervös, daß Sie noch nicht einmal eine Aussage abwarten können. Meine Damen und Herren, ich kann angesichts dieser Unsicherheit nur sagen: Machen Sie das doch unter sich ab, und stärken Sie sich im Glauben, aber tun Sie es hier nicht öffentlich.
({3})
Meine Damen und Herren, Herr Moersch, Herr Lohmar und ich haben über Jahre hinweg versucht, in bildungspolitischen Fragen zu einem gesamtstaatlichen Handeln zu kommen, weil wir der Überzeugung sind, daß die Fragen in diesem Lande nicht anders zu lösen sind als unter anderem dadurch, daß dem Bund weitere Kompetenzen zuwachsen. Wenn Herr Lohmar heute sagt, darauf komme es überhaupt nicht an, sondern es sei eine Geldfrage, so kann er sich nur dazu gratulieren, daß er noch keine Memoiren geschrieben hat, sonst müßte er
sie jetzt einstampfen. Über Herrn Moersch will ich mich nicht äußern. Daß man, Herr Moersch, wenn man sich mit 0,6 % über der Notstandsgrenze politisch bewegen muß,
({4})
kulturpolitisch nichts durchsetzen kann und daß die FDP außerdem seit über 10 Jahren über keine konkreten kulturpolitischen Erfahrungen mehr verfügt, das nehme ich alles nicht so ernst.
Nachdem die Polemik jetzt abgeschlossen ist, möchte ich ein Versäumnis nachholen. Fr au D r. Hamm-Brücher ist heute zum erstenmal hier im Deutschen Bundestag, und ich möchte sie namens meiner Fraktion als neuen Gesprächspartner herzlich begrüßen.
({5})
Meine Damen und Herren, das führt mich zu einer anderen Bemerkung. Frau Hamm-Brücher zeichnet sich durch ein differenziertes Denken aus, das mir gefällt, dem ich nicht zustimme, das mir aber gefällt. Bestürzt bin ich allerdings, wenn der Minister für Bildung - Bildung! - und Wissenschaft hier die Fragen der Gesamthochschule unter „Klassendenken" rubriziert. Wer so egalitär einlinig denkt, dem wird es schwerfallen, etwas zu konzipieren, denn die Bildungspolitik hat ja zwei große Probleme, und die muß man einmal gegeneinander halten, wenn man darüber diskutieren will. Das eine ist die Durchsetzung von Demokratie, Chancengleichheit. Das ist sozusagen das demokratische, wenn Sie sogar wollen, nivellierende Element. Das andere Element, daß diese Gesellschaft hohe Leistungen braucht, ist das elitäre Element. Diese zwei Dinge, jedem seine Chance und seine Möglichkeit, ihn so lange zu bilden, bis seine Möglichkeiten erschöpft sind, und in dieser Gesellschaft die hohen wissenschaftlichen, menschlichen und demokratischen Leistungen zustande zu bringen, das pädagogisch und organisatorisch in Zusammenhang zu bringen, ist die Aufgabe der Hochschulreform und der Bildungsreform insgesamt. Wer glaubt, er könne das mit der Bemerkung „Klassendenken" erledigen, der ist, glaube ich, in dem Lernprozeß noch nicht so weit wie die CDU.
({6})
Meine Damen und Herren, einfach den Fortschritt - das ist das andere Wort -, die Progressivität für sich zu beanspruchen, wie das hier sozusagen in „schlichter Einfalt"
({7})
von der SPD seit Jahren geübt wird, das ist einfach umwerfend, dazu kann man nichts mehr sagen. Da kann man nur noch sagen: Na bitte schön, wenn Sie das Wort lieben, dann kauen Sie es durch wie einen Kaugummi, von rechts nach links, von oben nach unten!
Meine Damen und Herren, Herr Lohmar hat mich oder uns gefragt, was wir denn nun wollten. Sie hätten doch, wenn Ihre Gereiztheit Sie nicht am Nachdenken gehindert hätte, gesehen, daß hier ein kulturpolitischer Gesamtzusammenhang vorgetragen wird und daß heute hier ein konkreter Schritt erfolgt. Was wir mit dem Artikel 91 a vorhaben, verhindert nicht die Gesamthochschule oder den Hochschulbereich, sondern gibt die verfassungsmäßigen und finanziellen Vorausseztungen dafür, daß der notwendige Hochschulbereich überhaupt entsteht.
({8})
Das sollte man sehen.
Die ideologieverdächtige Bemerkung von Lohmar muß noch einmal festgenagelt werden. Meine Damen und Herren, was die Gesamthochschule sein wird, das ist hier nicht unsere Sache. Wir werden im Hochschulrahmengesetz den Weg zum Hochschulbereich und zur Gesamthochschule eröffnen, aber es wäre ein Vorgriff auf die Hoheit der Länder, das hier definitiv sagen zu wollen. In dieser Sache ist die Liberalität bei der CDU/CSU-Fraktion und der Zwang bei den anderen.
({9})
Der Satz „Wir sind bereit, mit den kooperationswilligen Ländern zusammenzuarbeiten", bedeutet doch: mit den ideologiewilligen Ländern zusammenzuarbeiten.
({10})
Wenn Sie uns hier den Vorwurf machen wollen, wir würden präjudizieren, so ist das der Sache nach falsch. Wir öffnen, und Sie haben Angst vor der freien Entscheidung der Länderparlamente.
({11})
Im übrigen, Herr Minister, haben Sie gar keine Sorge! Ich habe noch nie jemand in seiner Aktivität behindert. Da halte ich es mit der christlichen Seefahrt: mit Gott und gutem Wind! Wir wollen nur alsbald sehen, was Sie da zustande bringen. Wir haben schon Minister erlebt, die sich so viel Suggestivkraft
({12})
- ich dachte jetzt an einen von der FDP; Sie sind hier anscheinend noch neu zugetraut haben, auf dem Wege der Persuasion, der Überredung, des persönlichen Charmes oder - technisch ausgedrückt - als Bundeslokomotive aufzutreten. All das waren Dinge, die uns um Jahre zurückgeworfen haben. Wir möchten gesetzliche Grundlagen haben.
Herr Lohmar, es war nicht elegant von Ihnen - ich darf Ihnen das als altem Mitarbeiter und auch Freund sagen -, daß Sie versuchten, die CDU auseinanderzudividieren. Seit wann ist es denn ein Vorwurf, wenn eine große Fraktion über individuelle Köpfe mit profunder Erfahrung verfügt? Wir sind keine Kaderpartei. Als ich in die CDU eintrat, habe ich meinen Kopf nicht bei der Garderobe abgegeben, sondern bin erhobenen Hauptes in diese Partei gegangen!
({13})
- Bitte jetzt nicht, Herr Lohmar. Nein, ich brauche
meine Zeit ganz für mich. Wir unterhalten uns so oft.
Meine Damen und Herren, Herr Lohmar hat hier - einer sagte sogar: vor dem deutschen Volke; na! - gesagt, Sie hätten ein Konzept. Dann hat er fünf Punkte vorgetragen. Meine Damen und Herren, die Frage des Numerus clausus war die Spitze. Wir, die CDU, haben in der vorigen Woche durchgesetzt, daß dieses Thema gegen den anfänglichen Widerstand der SPD zum Hauptthema der Ausschußberatungen wurde. Heute nimmt Herr Lohmar die Ergebnisse dieses Hearings das haben nämlich all die Herren da gesagt , die fünf Punkte, her und sagt, das sei das SPD-Programm.
({14})
Ich würde, wenn ich eine Anzeige machte, sagen: „Kulturpolitik - leicht gemacht".
({15})
Meine Damen und Herren, wir haben in der Sache ein durchlaufendes Programm, Unsere Meinung ist, daß die Bildungsexpansion ihre Antwort finden muß. Wir müssen die Chancen - ({16})
- Ja, ich habe meine wahrgenommen. - Das heißt konkret - wir haben es Ihnen im Schwerpunktprogramm doch gesagt, Herr Lohmar hat es zwei Tage später dann doch -auch gesagt -: Wir brauchen 120 000 Studienplätze an den Universitäten mehr, wir brauchen 100 000 Studienplätze an den Fachoberschulen. Das sind die konkreten und echten Zahlen. Es ist eine Geldfrage. Der Herr Bundesminister hat gesagt, er wolle den Ländern dabei helfen. Darauf werden wir ihn immer wieder ansprechen, - nicht „anzapfen". Ach, Herr Minister, anzapfen! Ich weiß genau, was in Ihrem Haus besprochen wird; das brauche ich von Ihnen hier öffentlich gar nicht zu erfahren. Darum geht es ja gar nicht. Das ist die eine Seite.
Dann müssen wir die Lehrkörperstruktur ändern. Das ist eine Frage der Novellierung des Bundesrahmengesetzes. Das wird bei uns vorbereitet. Wir brauchen ein Hochschulrahmengesetz. Es ist fast fertig. Sie können davon ausgehen, daß diese Fraktion die Frage, die Sie gestellt haben, Herr Lohmar - zu dem Hearing -, fast genauso beurteilt wie Sie.
Ich habe die Präzision der Herren von der Bundesassistentenkonferenz bewundert. Es war ein intellektueller Genuß, das mitanzuhören. Aber, Herr Lohmar, wenn wir schon in der Vergangenheit sind, dann denken wir doch bitte auch an eines: Alle waren sich einig. Wir haben es mit Zurückhaltung angehört, daß einer der Gründe des Dilemmas, in dem wir uns befinden, die jahrelangen Fehlprognosen des Wissenschaftsrats gewesen sind.
({17})
Das ist dort auch gesagt worden, nicht von uns,
sondern von den Herren, die etwas davon verstehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen. Das, was wir hier vorschlagen, ist Stück eines kulturpolitischen Programms. Sie werden dem am Ende zustimmen, weil wir nicht den ideologischen Ballast des 19. Jahrhunderts an den Füßen kleben haben, sondern an konkreter, realer und durchsetzungsfähiger Kulturpolitik in diesem Lande interessiert sind. Sie werden das hier Stück für Stück auf den Tisch bekommen!
({18})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich stelle fest, daß die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ergänzt worden sind durch den Vorschlag, den unter Punkt 2 a aufgeführten Gesetzentwurf zusätzlich an den Finanzausschuß zu überweisen. Ich frage, ob hinsichtlich dieses Vorschlags Übereinstimmung im Hause besteht? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann kann ich davon ausgehen, daß das Haus die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates mit der soeben beschlossenen Ergänzung billigt. Damit sind der Entwurf auf Drucksache VI/114 an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Finanzausschuß sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß und der Entwurf auf Drucksache VI/115 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft überwiesen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gebühren der Schlachtviehmärkte, Schlachthäuser und Fleischgroßmärkte ({0})
- Drucksache VI/6 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
- Drucksache VI/144 Berichterstatter: Abgeordneter Marquardt ({2})
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung seines schriftlich vorgelegten Berichtes.
Ich rufe in der zweiten Lesung die geänderten Art. 1, 2 und 3 - im Antrag des Ausschusses steht: „1. Januar 1973", es muß heißen: „1. Januar 1971"; ferner steht im Antrag des Ausschusses: „1. Januar 1975", es muß heißen: „1. Januar 1974" - sowie die Art. 4 und 5 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Dann sind diese Bestimmungen in zweiter Lesung beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Gebühren der Schlachtviehmärkte, Schlachthäuser und Fleischgroßmärkte in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Die Gegenprobe! - Ich sehe keine
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? - Das Gesetz ist vom Haus einstimmig angenommen.
Weil, wie ich von den Herren Geschäftsführern höre, Punkt 4 der Tagesordnung zu Beginn unserer heutigen Nachmittagssitzung aufgerufen werden soll, wenn der Bericht des Haushaltsausschusses vorliegt, können wir jetzt Punkt 5 der Tagesordnung behandeln.
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsföderungsgesetzes
- Drucksachen VI/58, VI/82 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache VI/151 Berichterstatter: Abgeordneter Folger ({4})
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine mündliche Ergänzung des Berichtes. Darf ich fragen, ob anderweitig das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe in zweiter Lesung die Art. 1, 2. 3, Einleitung und Überschrift auf. Anträge liegen nicht vor. Die aufgerufenen Bestimmungen sind in zweiter Lesung beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn diejenigen Mitglieder des Hauses deutlich aufstünden, die gegen das Gesetz stimmen wollen, damit nicht versehentlich Gegenstimmen gezählt werden. Stimmt jemand gegen das Gesetz? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Stimmenthaltungen? - Auch dieses Gesetz ist damit einstimmig verabschiedet.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Frau Jacobi ({5}), Berding, Dichgans, Frau Stommel, Katzer, Dr. Jungmann und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen über Leistungen für verheiratete Kinder
-Drucksache VI/125 -
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführendem Ausschuß sowie dem Innenausschuß und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als mitberatenden Ausschüssen und dein Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Es werden keine anderen Vorschläge aus dem Hause gemacht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 7 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes
- Drucksache VI/126 -
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgesetzes
- Drucksache VI/158 Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates gehen dahin, beide Gesetzentwürfe dem Verteidigungsausschuß als federführendem Ausschuß, dem Innenausschuß zur Mitberatung und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Es werden keine anderen Vorschläge gemacht. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, weil die meisten Punkte der weiteren Tagesordnung für Freitag vorgesehen sind, stehen wir jetzt vor der Frage, ob wir das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts nach der Mittagspause behandeln wollen.
({6})
- Ich bin sehr einverstanden. Wenn Sie ebenfalls einverstanden sind, meine Damen und Herren, fahren wir noch fort. - Bitte, Herr Kollege MüllerEmmert!
Herr Präsident, ich darf darauf hinweisen, daß diese Beratung sicher etwas länger dauern wird. Es stellt sich jetzt die Frage, ob wir mit der Zeit bis 13 Uhr, die wir noch zur Verfügung haben, zurechtkommen.
Herr Kollege, damit kommen wir sicher nicht zurecht. Aber wir könnten jetzt die Zeit im Hinblick auf die Gesamtarbeitslage des Hauses ausnutzen und um 15 Uhr fortfahren.
({0})
- Meine Damen und Herren, es wäre zweckmäßig, wenn in solchen Fällen die Herren Geschäftsführer sich rechtzeitig verständigten. Wir können ebensogut um 14.30 Uhr mit dem Plenum wieder beginnen und jetzt unterbrechen. Sind die Fraktionen damit einverstanden?
({1})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr.
({2})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir waren heute morgen in einer gewissen Verlegenheit, weil der Bericht des Haushaltsausschusses zu Punkt 4 der Tagesordnung noch nicht vorlag. Ich hatte zunächst den verehrten Kollegen des Rechtsausschusses und des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform die Chance geben wollen, die von Ihnen hier zur Debatte gestellten Vorlagen zu begründen. Dann sind wir aber in die Mittagspause eingetreten. Nunmehr können wir den Punkt 4 der heutigen Tagesordnung aufrufen:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft
- Drucksache VI/56 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache VI/160 -Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf ({1})
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
Drucksache VI/150 Berichterstatter: Abgeordneter von Alten-Nordheim
({3})
Darf ich fragen, ob die Herren Berichterstatter das Wort wünschen.
({4})
Sie verweisen auf den Schriftlichen Bericht, Herr Kollege Hermsdorf. Vielen Dank! Der Herr Berichterstatter des Finanzausschusses verweist ebenfalls auf den Schriftlichen Bericht? - Bitte, Herr Kollege, wollen. Sie als Berichterstatter noch etwas sagen?
von Alten-Nordheim ({5}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Schriftlichen Bericht Drucksache VI/150 - habe ich noch eine Anmerkung hinzuzufügen. Im Gesamtverlust von 1,7 Milliarden DM sind allerdings auch landwirtschaftliche Erzeugnisse sonstiger Art, die nicht einer EWG-Regelung angehören, enthalten. Mit der Bundesregierung hielt es der Finanzausschuß für vertretbar, diese Erzeugnisse, die 7 bzw. 10 % der landwirtschaftlichen Umsätze ausmachen, da sie auch Aufwertungsverlusten unterliegen, in den Ausgleich miteinzubeziehen, da eine Produktenteilung bei fehlender Aufzeichnungspflicht für den größten Teil der landwirtschaftlichen Betriebe einen unangemessenen Verwaltungsaufwand erfordern würde. So weit die Ergänzung zu dem Bericht.
Im übrigen habe ich die Ehre, im Namen des Finanzausschusses den vorliegenden Entwurf des Aufwertungs-Ausgleichsgesetzes, Drucksache VI/56, in der Zusammenstellung in der auf Drucksache VL 150 ausgedruckten Fassung dem Hohen Hause zur Beschlußfassung zu empfehlen.
Danke schön, Herr Berichterstatter. - Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Meine Damen und Herren, mir ist heute morgen gesagt worden, daß im Hause das Klingeln während der Abstimmungen nicht gehört worden sei. Ich bedauere das sehr. Die Herren haben überzeugend nachweisen können, daß die Klingelknöpfe betätigt worden sind. Es kann sich also nur um ein technisches Versagen handeln. Wir können nur hoffen, daß das nicht noch einmal vorkommt.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Art. 2, Art. 2 a, Art. 3, Art. 4. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe Art. 5 auf. Dazu liegt eine Wortmeldung vor. Herr Abgeordneter Röhner hat das Wort zu einem Änderungsantrag zu Art. 5.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich den Änderungsantrag auf Umdruck 3 *) begründen. Wir sind der Ansicht, daß die von der Bundesregierung als teilweiser Ausgleich für die Aufwertungsschäden der Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Aufwertung vorgesehenen 920 Millionen DM nicht im Agrarhaushalt, sondern im Einzelplan 60, allgemeine Finanzverwaltung, eingesetzt werden sollten. Wir sind der Meinung, daß die Verluste, um deren Erstattung es hier geht, aufwertungsbedingt sind, und daß sie insofern auf eine allgemeine wirtschaftspolitische Entscheidung zurückzuführen sind. Eine Einstellung dieser Erstattungssumme im Einzelplan 10, im Agrarhaushalt, würde im Grund genommen eine Aufstockung des Agrarhaushaltes vortäuschen, obwohl die deutsche Landwirtschaft davon keinen zusätzlichen Vorteil hat.
({0})
Mit diesen Mitteln kann bestenfalls - das ist unsere
Ansicht - erreicht werden, daß die Landwirtschaft nicht schlechter steht als vor der Aufwertung.
Zum zweiten können und sollten unserer Meinung nach diese Mittel deshalb in den Einzelplan 60 - allgemeine Finanzverwaltung - eingestellt werden, weil dieses Hohe Haus und die Regierungen der zurückliegenden Jahre in ähnlich gelagerten Fällen ähnlich verfuhren. Ich erinnere hier an die „binnenwirtschaftlichen Strukturmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Gesetz zur außenwirtschaftlichen Absicherung", bei dem genauso verfahren worden ist. Auch die Mittel für die „Steigerung der regionalen Wirtschaftskraft" wurden seinerzeit in ähnlicher Weise behandelt. Und das gleiche gilt auch für die Sozialleistungen für Bergarbeiter nach dem MontanVertrag.
Wir sind ferner der Auffassung, daß eine Einstellung in den Einzelplan 60 auch deshalb vorgenommen werden sollte, weil damit auch der leiseste Ver-
*) Siehe Anlage 2
dacht seitens der Landwirtschaft vermieden würde, daß bei der Bewirtschaftung und bei der Vergabe dieser Mittel später vielleicht doch im Rahmen der Haushaltsbewegungen Umgruppierungen und Umschichtungen vorgenommen werden könnten.
Aus diesen Gründen darf ich Sie namens der CDU/ CSU-Fraktion bitten, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, ein paar Bemerkungen zu dem soeben von der CDU begründeten Antrag machen zu dürfen, diese Mittel von 920 Millionen DM in den Einzelplan 60 einzustellen. Ich mächte Sie darauf aufmerksam machen, daß die frühere Praxis, derartige Mittel im Einzelplan 10 auszuweisen, eigentlich von der CDU/CSU eingeführt worden ist und daß man erst jetzt versucht, wieder davon herunterzukommen.
Aber was wäre der Erfolg dieses Vorgehens? Erstens. Selbst wenn man dem Antrag der CDU/CSU nachgäbe und diese Mittel beim Einzelplan 60 veranschlüge, müßten sie nach wie vor vom Ernährungsminister verwaltet werden, weil sie zu seinem Hause gehören, und das heißt, sie gehören praktisch zu Einzelplan 10.
Zweitens ist es eine völlig neue Methode, daß wir hier, bevor überhaupt der Haushalt zur Beratung steht, schon jetzt organisationsmäßig festlegen, in welchem Einzelplan die Mittel zu erscheinen haben. Das hat es bisher noch nie gegeben. Wenn jemals ein solcher Antrag gestellt wurde, dann wurde das bei Vorlage des Haushalts geändert und nicht vorher. Ich würde dies für einen Eingriff in die Gesetzesvorlage halten, die die Regierung erst noch vorlegen muß; denn hier liegt ja das Gesetz für die 920 Millionen noch gar nicht vor.
Ich bitte aus diesen Gründen, diesen Antrag abzulehnen. Ich habe nichts dagegen, wenn er bei der Beratung des Haushalts wieder aufgebracht wird.
({0})
Herr Kollege Röhner, wollen Sie noch einmal das Wort t. ergreifen? - Bitte schön!
Ich beantrage namens der CDU/CSU-Fraktion zu diesem Punkt namentliche Abstimmung.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, die Frage, ob der Antrag hinreichend unterstützt wird, wird durch die Tatsache beantwortet, daß er für die Fraktion gestellt ist. Oder soll ich der Ordnung halber fragen, ob der Antrag unterstützt wird? - Er wird genügend unterstützt. Wir kommen zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag zu Punkt 4 der Tagesordnung auf Umdruck 3. Ich bitte die Schriftführer, mit der Arbeit zu beginnen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 3 bekannt. Mit Ja haben 171 Abgeordnete - und 6 Berliner Abgeordnete - gestimmt, mit Nein 224 Abgeordnete und 11 Berliner Kollegen.
({0})
Insgesamt sind 395 Stimmen - und 17 von Berliner Abgeordneten - abgegeben worden. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis:
Abgegebene Stimmen: 395 und 18 Berliner Abgeordnete. Ja: 171 und 6 Berliner Abgeordnete
Nein: 224 und 12 Berliner Abgeordnete
Ja CDU/CSU
Adorno Alber
von Alten-Nordheim
Dr. Althammer
Baier
Balkenhol
Dr. Becher ({1})
Dr. Becker ({2})
Becker, ({3}) Berding
Bewerunge
Biechele Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann
von Bockelberg
Dr. Böhme
Breidbach
Bremer Bremm Burger Dr. Czaja
Damm Dasch Dr. Dollinger
von Eckardt
Ehnes Engelsberger
Dr. Erhard
Erhard ({4})
Ernesti
Dr. Evers
Dr. Eyrich
Franke ({5}) Dr. Franz
Dr. Freiwald
Dr. Frerichs
Dr. Früh
Frau Geisendörfer Geisenhofer
Gerlach ({6}) Gierenstein
Dr. Giulini
Dr. Gleissner
Glüsing ({7})
Dr. Gölter Dr. Götz
Frau Griesinger
Dr. Gruhl Haase ({8})
Härzschel
Dr. Hammans
Hanz
von Hassel
Hauser ({9})
Dr. Hauser ({10})
Dr. Hermesdorf ({11}) Horten
Dr. Hubrig
Hussing Dr. Huys Frau Jacobi ({12})
Dr. Jenninger
Dr. Jobst .Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Katzer
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Dr. Kliesing ({13})
Köppler Krammig Krampe Dr. Kraske
Dr. Kreile
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht
Lensing
Dr. Lenz ({14})
Lenzer Link
Majonica Dr. Martin
Dr. Marx ({15}) Maucher
Meister Mick
Dr. Miltner
Müller ({16}) Müller ({17})
Mursch Niegel Dr. von Nordenskjöld
Orgaß Ott
Petersen
Picard
Pohlmann
Dr. Prassler
Rainer Rawe Dr. Reinhard
Dr. Riedl ({18})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rollmann
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Schlee
Dr. Schmid-Burgk
Dr. h. c. Schmücker
Dr. Schneider ({19}) Frau Schroeder ({20}) Schröder ({21})
Schröder ({22}) Schulte ({23}) Dr. Schulze-Vorberg
Dr. Schwörer
Solke Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stark ({24}) Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Stücklen
Susset
von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Unertl Varelmann
Vehar Vogel Vogt
Volmer
Wagner ({25})
Dr. Wagner ({26})
Frau Dr. Walz
Wawrzik
Weber ({27})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wörner
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Berliner Abgeordnete
Amrehn Benda
Dr. Gradl Lemmer Müller ({28})
Frau Pieser
Nein SPD
Adams
Dr. Ahrens
Dr. Apel
Arendt ({29})
Dr. Arndt ({30})
Baack Baeuchle
Bäuerle Bals
Barche
Dr. Bardens
Batz
Bay
Dr. Bechert ({31}) Becker ({32})
Dr. Beermann
Berkhan
Berlin Biermann
Böhm Börner Frau von Bothmer
Dr. Brand ({33}) Brandt
Brandt ({34})
Bredl Brünen Buchstaller
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Corterier
Cramer Dohmann
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Frau Eilers
Dr. Enders
Engholm
Esters Fiebig Dr. Fischer
Flämig
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({35})
Frehsee
Frau Freyh
Fritsch
Geiger
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger
Dr. Haack
Haage ({36})
Haar ({37})
Haase ({38}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Dr. Hein Henke
Hermsdorf ({39}) Herold
Hirsch
Höhmann ({40})
Hörmann ({41}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jacobi ({42})
Jahn ({43})
Jaschke Junghans Junker
Kaffka
Kater
Kern
Killat
Dr. Koch Koenig
Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert Lange
Langebeck Dr. Lauritzen
Frau Lauterbach
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum Marquardt
Marx ({44})
Matthes Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({45}) Meinike ({46}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({47})
Dr. Müller ({48}) Müller ({49})
Dr. Müthling
Neemann
Dr. Nölling
Offergeld
Frau Dr. Orth
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter Pensky Porzner
Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckel Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({50}) Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({51})
Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga
Schmidt ({52})
Dr. Schmidt ({53})
Dr. Schmidt ({54}) Schmidt ({55})
Schmidt ({56}) Schmidt ({57})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({58})
Schwabe
Seefeld Seibert Seidel Seifriz Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({59})
Wehner Wende Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm
Wischnewski
Wittmann
Wolf
Wolfram
Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({60})
Bartsch Bühling Heyen
Frau Krappe
Liehr
Löffler
Dr. Schellenberg
Frau Schlei
Dr. Seume Sieglerschmidt
FDP
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Frau Funcke Genscher Grüner
Helms
Jung
Kienbaum Kirst
Kleinert
Logemann Mertes
Mischnick Moersch
Peters ({61})
Dr. Rutschke
Schmidt ({62})
Schultz ({63}) Wurbs
Zoglmann
Berliner Abgeordnete Borm
({64})
Meine Damen und Herren, wird zu Art. 5 noch das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Wer dem Art. 5 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. -Gegenprobe! - Stimmenthaltung? - Art. 5 ist angenommen. Art. 6! - Das Wort wird nicht gewünscht. Art. 7! - Das Wort wird nicht gewünscht. Einleitung und Überschrift! - Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Wer wünscht das Wort? - Herr Kollege Siemer, bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
({0})
Meine Damen und Herren, es ist verständlich, daß das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch zu Debatten im Hause führt; ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie, vor allem die Herren aus der eigenen Fraktion, dem Kollegen Siemer die Chance gäben, hier zu Wort zu kommen.
Vielen Dank, Herr Präsident. Bei diesem Gesetz kann ich die Aufmerksamkeit meiner Kollegen gebrauchen. Denn diese Gesetzesvorlage, die von der SPD und FDP eingebracht worden ist, enthält nicht nur viele Ungereimtheiten - das ist schon öfter gesagt worden -, sondern auch manche Merkwürdigkeiten. Eine der Merkwürdigkeiten wurde mir vorhin von einem Journalisten gesagt mit der Frage, ob auch ich zu dem „Au-Au-Gesetz" schreite und was ich dazu sagen wolle.
Nun, dieses Aufwertungsentschädigungsgesetz hat nicht nur Mängel, sondern bringt in Art. 2 Nr. 1
Buchstabe h eine neue Formulierung für das Mehrwertsteuergesetz bezüglich landwirtschaftlicher Betriebe. Ich will diesen Passus - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten - vorlesen, wie er im Gesetz vorgeschlagen wird: „Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gilt auch ein Gewerbebetrieb kraft Rechtsform, wenn im übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes vorliegen." Dann erst ist ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb auch als Gewerbebetrieb kraft Rechtsform in die Entschädigung eingeschlossen.
Ich wiederhole: damit bringt der Gesetzgeber den aus dem Bewertungsgesetz entnommenen Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes in das Mehrwertsteuergesetz.
Als wir im Jahre 1967 das Mehrwertsteuergesetz verabschiedeten, wurde ausdrücklich davon abgesehen, die Besteuerung mit der Mehrwertsteuer Ungleich für alle Produkte der landwirtschaftlichen Erzeugung zu handhaben. Die Bundesregierung hat es unterlassen, die in dem soeben zitierten Satz liegende Problematik überhaupt zu erwähnen. Ich muß deswegen kurz darauf eingehen, denn ich weiß nicht, ob die für die Gesetzesvorlage Verantwortlichen sich darüber klar sind, daß sie mit diesem Satz große Teile der Produktionszweige landwirtschaftlicher Veredelung von der Erstattung der entstehenden Aufwertungsverluste ausschließen. Will das, so frage ich, die Bundesregierung, und wollen Sie das, meine Herren Kollegen von der SPD, die Sie doch noch vor nicht langer Zeit, nämlich im Juni 1968, mit uns gemeinsam das Agrarprogramm der Bundesregierung verabschiedet haben? In diesem Agrarprogramm haben wir damals ausdrücklich gewisse Ziele gesetzt. Unter den drei wichtigsten Zielen ist - ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren „die preisgünstigste Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln" aufgeführt. Im Arbeitsprogramm der Regierung aus dem Jahre 1968 heißt es weiter:
Alle Möglichkeiten der rechtlichen und sachlichen Kooperation sind dabei zu nutzen. Durch Anpassung an die natürlichen und wirtschaftlichen Standortbedingungen sowie durch Nutzung aller Möglichkeiten der modernen Produktionstechnik und Organisationsformen ist eine kosten- und damit preisgünstigere Erzeugung von Agrarprodukten möglich.
Ich wiederhole: „Durch die Nutzung moderner Produktionstechnik und Organisationsformen ist eine kosten- und damit preisgünstigere Erzeugung von Agrarprodukten möglich."
Meine Damen und Herren, danach haben die landwirtschaftlichen Betriebe gehandelt. Im Vertrauen auf diese Zusagen, im Vertrauen auf die von diesem Haus und von der Regierung zugesagte finanzielle Hilfe und Förderung - übrigens sowohl von seiten des Bundes als auch von seiten der Länder - sind auf den Veredelungsgebieten bahnbrechende Rationalisierungserfolge erzielt worden. Den Empfehlungen der Regierung folgend, haben sich neue Kooperationsformen entwickelt, die nicht nur zu einem höheren Rationalisierungsgrad führten, sondern die auch neue Absatzformen hervorbrachten, das Risiko
besser verteilten und so bei uns den Aufbau von Pionier- und Spitzenbetrieben in der EWG möglich machten.
Im Verfolg dieses damals von der Großen Koalition aufgestellten Arbeitsprogramms, das wir Agrarprogramm nennen, hat die damalige Regierung den Betrieben ausdrücklich versprochen - und hier möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wieder wörtlich zitieren -:
Im Rahmen der Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Betriebsstruktur wird ferner sichergestellt, daß moderne kooperative Unternehmensformen steuerlich nicht benachteiligt werden.
So können Sie es in dem Agrarprogramm im Kapital „Betriebsstruktur" auf Seite 21 nachlesen.
Die Ausklammerung gerade der Betriebe, die heute „gewerbliche Betriebe" genannt werden, von den Vergünstigungen ist nicht nur ungerecht, sondern führt darüber hinaus auch zu verfahrens- und ermessenstechnischen Problemen, die gar nicht zu lösen sind, weil es hier ja um eine Abgrenzung geht und es nicht möglich ist, eine exakte Deklarierung der Betriebe, für die der Mehrwertsteuersatz in Höhe von 3 % gelten soll, vorzunehmen, ohne die betriebswirtschaftlichen Verhältnisse genau zu durchleuchten. Das ist die Situation.
Zu der verfassungsrechtlichen Frage möchte ich eine letzte Bemerkung machen. Soweit ich es aus den Ausschußberichten ersehe, ist dieses Problem bisher überhaupt nicht erwähnt worden. Ich bin kein Verfassungsjurist, aber Sie können mir glauben, ich habe mich nicht nur eingehend erkundigt, sondern ich habe bei den besten Verfassungsjuristen Deutschlands nachgefragt, wie sie zu dieser Frage stehen. Ich wiederhole: Die Betriebe, die von Ihnen mit diesem Gesetz bewußt ausgeschaltet werden, werden es nicht versäumen, von dem Angebot der Professoren Gebrauch zu machen, und schnellstens eine Verfassungsklage auf Grund dieser Bestimmungen anstrengen.
Ich wiederhole auch noch einmal, worauf es uns ankommt. Erstens: Die Besteuerung ist verfassungsrechtlich und wertordnungsmäßig nicht vertretbar. Zweitens: Wir selber haben in der vorigen Legislaturperiode hier im Parlament Art. 91 a des Grundgesetzes ergänzt; wir haben Bund und Ländern den Verfassungsauftrag gegeben, die Agrarstruktur allgemein und die Wirtschaftsstruktur in den unterentwickelten Gebieten der Bundesrepublik zu verbessern. Dieses Hohe Haus darf keine Entscheidungen treffen, die der verfassungsrechtlichen Ordnung entgegenstehen.
Wir haben in Norddeutschland weite, besonders ländliche Gebiete, deren Sozialprodukt weit unter dem volkswirtschaftlichen Durchschnittssatz liegt. Wenn sich in den letzten Jahren nun auf genossenschaftlicher oder privater Basis oder in anderer Form sogenannte Selbsthilfeinstitutionen entwickelt haben, die bessere Lebensbedingungen für die Landwirtschaft schufen, so entspricht gerade das dem Auftrag des Verfassunggebers. Diese Betriebe werden aber in ihrer wirtschaftlichen Existenz durch das Gesetz entscheidend getroffen. Hinzu kommt, daß der Wettbewerb mit den anderen EWG-Ländern, die andere Formierungen, andere Gesetze haben, nicht mehr tragbar ist. Drittens wird durch das Gesetz auch der Grundsatz der Steuergerechtigkeit verletzt.
Nun, meine Damen und Herren, ich will Sie mit diesen verfassungsrechtlichen Fragen nicht länger aufhalten.
({0})
Na ja, Sie werden davon Kenntnis nehmen müssen, denn das ist eine sehr ernste Frage, nicht nur für mich, sondern für alle die Betriebe, die davon betroffen werden. Ich bin der Meinung, daß der Verfassungsrechtler hier durchaus ein weites Feld findet, um gegen diese eigentümliche Art der gesetzlichen Fixierung vorzugehen. Sicher liegt, das will ich zugeben, die Problematik auch in der Verletzung der Artikel 12 und 14, aber jedem wird verständlich sein, daß hier im Gegensatz zu den Entscheidungen für einen einheitlichen Gemeinsamen Markt die Tierhaltungsbetriebe der Bundesrepublik durch gesetzgeberische Maßnahmen so begrenzt werden, daß sie gegenüber den Betrieben der anderen EWG-Staaten nicht mehr konkurrenzfähig sind. Darin sehe ich eine Verletzung der allen Deutschen zustehenden Freiheit der Berufsausübung.
({1})
Wenn ich den Entschließungsantrag der SPD zur Hand nehme, der uns heute hier vorgelegt wurde, dann frage ich mich, ob das nicht doch der Ausdruck eines sehr schlechten Gewissens ist. Erst schaffen Sie dieses Gesetz mit der Bestimmung, wie ich sie so eben vorgelesen habe, und dann kommen Sie mit einer Entschließung, nach der die Regierung jetzt erst überprüfen soll, welche Auswirkungen dieses Gesetz wohl haben könnte. Ich habe Ihnen eine ganze Reihe genannt, und ich darf Sie nur bitten, meine Herren Kollegen von der SPD, daß Sie ernstlich prüfen, ob dieses Gesetz mit den Bestimmungen zur Ausklammerung vieler wertvoller Betriebe nicht gerade das herbeiführt, was wir nicht wollen: eine Lähmung in der Entwicklung einer modernen hochtechnisierten Landwirtschaft.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich frage mich, Herr Kollege Siemer: Was soll das? Sie haben unseren Entschließungsantrag frühzeitig gehabt, konnten sich also informieren, und Sie wußten ganz genau, daß wir mit dieser Entschließung die gleiche Problematik ansprechen und damit all das in Ordnung bringen werden.
Wir wissen genauso wie Sie, daß sich im Laufe der letzten Jahre auf dem Lande bestimmte Unternehmenformen entwickelt haben, die im Rahmen des gegenwärtigen Steuerrechts nicht als landwirtschaftlich zu bezeichnen sind, die aber im Grunde genomDeutscher Bundestag - 6. Wahlperiode -Dr. Schmidt ({0})
men landwirtschaftliche Existenzen sind. Infolge der Eilbedürftigkeit der Vorlage, über die wir jetzt befinden, war es jedoch nicht mehr möglich, das zu berücksichtigen. Daher bringen wir jetzt diesen Entschließungsantrag ein. Ich bin völlig sicher, daß wir das am Anfang des Jahres bei der Vorlage über die Verteilung der 920 Millionen DM in Ordnung bringen werden, damit Sie ganz beruhigt sind.
Nun noch eins. Herr Kollege Siemer, Sie haben ganz richtig das Agrarprogramm der letzten Bundesregierung zitiert. Einverstanden! Sie haben aber eines vergessen, nämlich den Beschluß des Kabinetts vom 24. und 26. Juni 1968, niedergelegt in derselben Schrift. Dort ist unter Ziffer 9 folgendes gesagt:
Der Bundesminister der Finanzen wird beauftragt, die steuerlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß neue kooperative landwirtschaftliche Unternehmensformen wie landwirtschaftliche Betriebe behandelt werden. Entsprechendes gilt für die Zusammenschlüsse forst- und fischereiwirtschaftlicher Betriebe.
Ich habe mich gestern im Finanzministerium erkundigt, was der ehemalige Finanzminister Strauß veranlaßt hat: Nichts!
({1})
Wir sind jetzt dabei. Fassen Sie doch diese Entschließung mit uns gemeinsam, damit wir auf diesem Gebiet ein Stück weiterkommen.
Nur noch eine Bemerkung. Ich verstehe nicht, wie Sie sich hier so frei hinstellen und verantwortlich für Ihre ganze Fraktion sprechen können. Ich erinnere mich noch an eine Zeit, als Gesetzentwürfe über den Schutz bäuerlicher Veredelungsbetriebe vorlagen; davon ist heute bei Ihnen keine Rede mehr. Damals haben Sie Verfassungsklagen als nicht wichtig und bedeutungslos angesehen. Heute beginnen Sie, mit Verfassungsklagen zu drohen. Das zieht nicht mehr.
Ich bitte Sie darum, sich unserem Antrag auf Umdruck 2 *) anzuschließen. Dann werden wir weiter sehen.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ab.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann dem Vorschlag des federführenden Ausschusses, die Vorlage der Regierungsfraktionen anzunehmen, nicht zustimmen. Sie bestreitet zwar nicht, daß der Versuch unternommen wird, den Schaden auszugleichen, der der deutschen Landwirtschaft durch die Aufwertung
*) Siehe Anlage 3
ab 1. Januar 197O entstehen wird, nachdem der Grenzausgleich zum 31. Dezember 1969 ausläuft. Sie ist jedoch der Meinung, daß der vorgeschlagene Weg zu viele essentielle Fragen offenläßt und sich fragwürdiger Mittel bedient, um zu einer Lösung zu kommen. Bevor hiervon im einzelnen zu sprechen ist, betont die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrücklich, daß sie einen Schadensausgleich für die deutsche Landwirtschaft nicht nur für gerechtfertigt, sondern für eine Verpflichtung hält, die erfüllt werden mud. Im Ziel stimmen wir also mit den Regierungsfraktionen überein, dem von ihr vorgeschlagenen Weg können wir aber nicht folgen.
({1}) Hören Sie erst einmal gut zu!
Der im Grundsatz mit den Stimmen der Bundesregierung gefaßte Beschluß des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft spricht von einer Beihilfe, d. h. von einer Subvention an die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft will aber keine Subvention, weil sie Anspruch auf einen Schadensausgleich hat.
({2})
Das ist etwas ganz anderes als eine Beihilfe.
Die richtige Lösung bleibt nach wie vor die Erhebung einer Grenzausgleichsabgabe.
({3})
Eine solche, meine Damen und Herren, ist unserem französischen Partner in der EWG nach der Franc-Abwertung für zwei Jahre zugestanden worden.
({4})
Um so unverständlicher bleibt es, daß die Bundesregierung unter Hinweis hierauf den Grenzausgleich für die deutsche Landwirtschaft nicht auf längere Zeit durchzusetzen vermochte.
({5})
Wenn nun der Schadensausgleich schon durch Beihilfen ersetzt wird,
({6})
so hätte um der Haushaltswahrheit und -klarheit willen der Beihilfenbetrag sichtbar in voller Höhe in den Haushalt des Bundes für 1970 und die nachfolgenden Haushalte eingestellt werden müssen, wobei - durch einen Vorgriff auf den neuen Haushalt - der Landwirtschaft kein finanzieller Ausfall bis zur Verabschiedung des Haushalts 1970 hätte zu entstehen brauchen.
Die vorgeschlagene Lösung - das ist eine weitere Kritik, die wir anzubringen haben - mißbraucht für einen Teil des Schadensausgleichs das Mehrwertsteuerrecht.
({7})
Zunächst ist festzustellen, daß dieser Teil überhaupt nur der Versuch eines Ausgleichs ist. Damit ist gemeint, daß es keineswegs sicher ist, daß die 3 % Beihilfe in allen Fällen entweder dem Landwirt zugute kommen oder bei Direktverkäufen nicht doch den Verbraucher belastet.
Wir stellen ferner eine weitere Diskrepanz zwischen dem Ratsbeschluß, der von einer Vorschußzahlung in Höhe von 3 % spricht, und der Tatsache fest, daß die Mehrwertsteuerlösung der Vorlage im wesentlichen endgültig ist. Daher ist eine nachträgliche Abrechnung des Vorschusses überhaupt nicht möglich. Insoweit steht die Vorlage sogar im Widerspruch zum Ratsbeschluß. Es mag sein, daß das hinzunehmen ist, weil dort, wo kein Kläger ist, auch kein Richter ist. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß entweder der Ratsbeschluß nicht vollziehbar ist oder die Vorlage ihm in diesem Teil des Schadensausgleichs widerspricht.
Darüber hinaus verweisen wir mit Nachdruck darauf, daß die Umsatzsteuer nicht zur Dienerin der Wirtschaftspolitik herabgewürdigt werden darf.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ({0}) ?
Nein, ich bin bei der Abgabe einer Erklärung und gebe hier keine Einzelstellungnahmen ab.
({0}).
- Sie können sich ja nachher zu Wort melden und hier sprechen.
Es ist das Recht eines jeden Abgeordneten, eine Zwischenfrage nicht zuzulassen, auch in einer Rede, erst recht in einer Erklärung.
Herr Präsident, ich möchte keine Zwischenfrage zulassen; das habe ich ja gesagt.
({0})
Ich darf an dieser Stelle darauf hinweisen, daß es besonders interessant ist, die bildungspolitische Debatte von heute morgen mit dem zu vergleichen, wie die FDP hier zu der Frage der Mehrwertsteuer steht, die sie bisher immer als eine reine Steuer angesehen hat, die nicht für andere Zwecke mißbraucht werden sollte.
({1})
Die Mehrwertsteuer sollte - das war unter anderem auch der Zweck ihrer Einführung - den Verbraucher genau wissen lassen, mit welcher Umsatzsteuer die Ware oder die Dienstleistung belastet ist, die er erwirbt bzw. in Anspruch nimmt. Dieser Durchblick wird durch jede Manipulation der Mehrwertsteuer auf dem Weg zum Verbraucher erschwert bzw. verunmöglicht. Wir warnen davor, meine Damen und Herren, die Mehrwertsteuer in Zukunft für weitere Vorhaben solcher und ähnlicher Art heranzuziehen. Das ist keine Aufgabe der Mehrwertsteuer, und das darf keine Aufgabe der Mehrwertsteuer sein.
Ebenso große Bedenken haben wir gegen den Teil des Schadensausgleichs, der über den Haushalt erfolgen soll. Die Vorlage erbittet von uns eine Blankovollmacht, die zwar nach oben auf 920 Millionen DM limitiert ist, aber gar nichts darüber aussagt, wie dieser Betrag im Einzelfall ausgekehrt werden soll. Nachdem selbst die Regierungsvertreter darüber keine Auskunft geben konnten, können Sie nicht erwarten, daß wir einer solchen bloßen Absichtserklärung unseren Segen geben.
({2})
In der Vorlage wird ferner der Versuch unternommen, eine Frage im Umsatzsteuergesetz 1967 zu regeln, die mit dem erklärten Zweck dieser Vorlage überhaupt nichts zu tun hat. Es handelt sich hierbei um das Problem der Grundstücksverkäufe von Landwirten. Diese Frage hätte gut und gern bis zur Umsatzsteuernovelle verschoben werden könnnen, die im kommenden Jahr zu erwarten sein dürfte.
Nach alledem wäre es nur logisch, aus den genannten Gründen gegen die Vorlage in Gänze zu stimmen. Wenn wir uns gleichwohl nur der Stimme enthalten werden,
({3})
so geschieht das deshalb, um der Landwirtschaft den mit dieser Vorlage möglichen unvollständigen Schadensausgleich nicht vorzuenthalten, nachdem die Bundesregierung den Grenzausgleich nur bis zum 31. Dezember 1969 durchzusetzen verstand und somit eine optimale Lösung im Hinblick auf den bevorstehenden Fristablauf gar nicht gefunden werden konnte. Sie werden verstehen, daß wir die Verantwortung für die Nichterreichung einer längeren Frist und für eine unzulängliche Lösung des Problems nicht mittragen können. Das muß Ihre Regierung verantworten, und das müssen Sie mit ihr allein verantworten.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Krammig war hier in keiner einfachen Lage; das verstehe ich gut. Herr Krammig, zu all den Dingen, die Sie kritisiert haben, hat Ihre Fraktion keinen einzigen Antrag in den Ausschüssen oder hier im Plenum gestellt.
({0})
- Keinen einzigen Antrag! Im Bundestag oder im Ausschuß wurde kein Antrag gestellt, die Bundesregierung zu beauftragen, in der EWG eine Lösung zu finden, die die Grenzausgleichsabgabe für mehrere Jahre ermöglicht. Das ist das erste.
Herr Abgeordneter Porzner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jetzt nicht, nachher.
Zweitens. Die CDU/CSU-Fraktion hat im Ausschuß kein Wort darüber gesagt und keinen Antrag dazu gestellt - ich möchte nur vorweg auf ein paar Argumente eingehen, die Herr Krammig hier gebracht hat -, daß die paar Dinge, die in diesem Gesetzentwurf mitgeregelt werden und die nicht in sachlichem Zusammenhang mit dem Aufwertungsverlust der Landwirtschaft stehen, gestrichen werden. Sie haben recht, es sind ein paar Dinge darin. Darüber haben Sie im Ausschuß kein Wort verloren, und dazu haben Sie auch keinen Antrag gestellt. Einige derartige Dinge haben wir einstimmig beschlossen, und zwar im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und im Finanzausschuß.
({0})
- Sie können die Protokolle nachlesen, wenn sie vorliegen.
Drittens. Sie sagen, dieser Gesetzentwurf stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen der EWG. In der Drucksache zu VI/79 erklärt die Bundesregierung auf der Seite 2 unten:
Damit billigte der Rat der Europäischen Gemeinschaften die Konzeption des vorliegenden Gesetzentwurfs ({1}) jedenfalls bis zum Jahre 1973.
Es ist also nicht richtig, Herr Krammig, daß zwischen dem, was wir hier beschließen, und dem EWG- Vertrag und dem EWG-Recht, wie Sie sagen, ein Widerspruch bestehe.
Viertens. Hier wird gesagt, die Mehrwertsteuer werde zu einer Dienerin der Wirtschaftspolitik gemacht. Damit wird ganz allgemein ausgedrückt, daß die CDU/CSU-Fraktion wirtschafts-, sozial-, bildungs-, struktur- und andere politische Maßnahmen über steuerliche Begünstigungen grundsätzlich für falsch hält. Unsere Steuern dienen nicht nur der Deckung des öffentlichen Bedarfs, sondern mit den Steuern werden auch sozial-, wirtschafts- und andere politischen Zwecke verfolgt.
({2})
Es bleibt eine Frage der Steuerreform, wieweit man hier zu einer klareren Trennung zwischen den Ausgaben und direkten Subventionen einerseits und einer Bereinigung und Verminderung der Steuervergünstigungen bei der Steuererhebung andererseits kommen will. Das ist eine schwierige Aufgabe, mit der sich das Parlament wird beschäftigen müssen.
Herr Krammig, Sie sagten, die Bundesregierung hätte eine Lösung anstreben sollen, wie sie Frankreich gewährt wurde. Damit hätte man der deutschen Landwirtschaft einen schlechten Gefallen getan. Die Franzosen haben abgewertet. Für die französische Volkswirtschaft wären dadurch bei Nahrungsmittelprodukten Preissteigerungen in Höhe von mehr als 12 % entstanden. Die Franzosen haben erreicht, daß man ihnen zugestand, zwei Jahre lang Grenzausgleichsabgaben zu erheben. Wollten wir genauso wie die Franzosen verfahren und z. B. zwei Jahre lang Grenzausgleichsabgaben erheben, dann würden in zwei Jahren bei uns, weil wir aufgewertet haben, die Preissenkungen für die Landwirtschaft voll durchschlagen, und zwar ohne Ausgleichsmaßnahme. In Frankreich gibt es nichts Paralleles dazu.
Meine verehrten Damen und Herren, mit dem Aufwertungsausgleichsgesetz erfüllen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen das Versprechen, der Landwirtschaft einen vollen Ausgleich für die Aufwertungsverluste im Zusammenhang mit der Paritätsänderung der D-Mark zu geben. Dieses Gesetz garantiert der Landwirtschaft jährlich 1 700 Millionen DM. Herr Dr. Ritz hat das in der vergangenen Woche eine Fiktion genannt. Herr Dr. Ritz, diese 1,7 Milliarden DM werden konkret im Bundeshaushalt stehen.
({3})
Das ist keine Fiktion, sondern ein gerechter und gerechtfertigter und notwendiger Ausgleich für die Landwirtschaft.
({4})
Wir wollen nicht zulassen, daß die Folgen unterschiedlicher Wirtschaftspolitik und unterschiedlicher Preisentwicklung in den einzelnen Staaten der EWG zu Lasten der deutschen Landwirtschaft gehen. Keine einzige Branche der Wirtschaft ist so unmittelbar durch automatische Preissenkungen betroffen wie die Landwirtschaft. Für die Landwirtschaft ist eine ganz außergewöhnliche Situation entstanden. Deswegen haben wir dieses außergewöhnliche Gesetz machen müssen.
Es ist nicht zu bestreiten, Herr Krammig, wirklich nicht zu bestreiten, und das tun wir auch nicht, daß es gewisse steuersystematische Bedenken gegen die umsatzsteuerliche Regelung gibt. Es wird auch von uns nicht bestritten, und das hat auch Landwirtschaftsminister Ertl nicht bestritten, daß es schwierig sein wird, einen richtigen Verteilungsschlüssel für 920 Millionen DM zu finden. Aber niemand - ich wiederhole das - in der CDU/CSU-Fraktion hat in den Ausschüssen andere, bessere, praktikable und in der EWG durchsetzbare und mit den EWG-Bestimmungen vereinbare Vorschläge gemacht oder dementsprechende Anträge gestellt nicht in den Ausschüssen und nicht hier im Plenum.
({5})
Die CDU/CSU-Fraktion - lassen Sie mich das hier ganz sachlich feststellen - hat keine einzige brauchbare Alternative zu diesem Gesetzentwurf vorgebracht.
({6})
Trotzdem verweigert sie die Zustimmung zu den Ausgleichszahlungen der Landwirtschaft. Wenn das Gesetz so schlecht wäre, wie Sie es hier dargestellt haben, Herr Krammig, dann hätten Sie schon die Konsequenzen ziehen und diesen Gesetzentwurf ab702
lehnen müssen. Dann wären Sie allerdings auch gezwungen gewesen, einen eigenen Gesetzentwurf
vorzulegen. Aber dazu waren Sie nicht in der Lage.
({7})
Die SPD will die Verabschiedung dieses Gesetzes, weil damit folgende Ziele erreicht werden:
Erstens. Die Landwirtschaft erhält einen Ausgleich in voller Höhe der entstandenen Verluste im Zusammenhang mit der Aufwertung.
Zweitens. Die Zahlungen im Rahmen der Mehrwertsteuer erfolgen unverzüglich, ohne Verzögerung, ohne zusätzlichen Aufwand, und sie erreichen den Hof unmittelbar, um es mal so zu sagen. Wir erwarten übrigens von der Bundesregierung, Herr Landwirtschaftsminsiter Ertl, daß sie so bald wie möglich den angekündigten Gesetzentwurf über die Verteilung der 920 Millionen DM vorlegt. Wir zweifeln nicht daran, daß sich die CDU/CSU-Fraktion daran beteiligen wird, einen gerechten Verteilungsschlüssel zu finden.
Drittens, und das bitte ich zu beachten. Dieser Gesetzentwurf ist auch für die Verbraucher der beste Weg, den wir finden konnten. Das sollte in dieser Debatte nicht ganz vergessen werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Verbraucher in den Genuß der Agrarpreissenkung kommen können.
({8})
- Das wird vom Markt abhängen. Die Erzeugerpreise jedenfalls werden am 1. Januar gesenkt werden. Damit ist Spielraum für Preissenkungen bei den Lebensmitteln gegeben. Die preisdämpfende Tendenz der Aufwertung der D-Mark wird also durch diesen Gesetzentwurf nicht beeinträchtigt.
({9})
Meine verehrten Damen und Herren, die Grenzausgleichsregelung, die die Bundesregierung angestrebt hat und von der auch Sie gesprochen haben, wäre für die Landwirtschaft die beste Möglichkeit gewesen. Sie war politisch nicht durchsetzbar. Das wissen Sie alle. ({10})
- Sie war nicht durchsetzbar! Diese Grenzausgleichsregelung wäre für den Verbraucher neutral gewesen.
Eine allgemeine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel um 3 °/o würde dagegen direkt zu Lasten der Verbraucher gehen. Im Finanzausschuß ist ein Antrag auf Erhöhung der Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel, durchlaufend bis hin zum Verbraucher, der aus den Reihen der CDU/CSU- Fraktion gestellt wurde, mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Ich sage hier der Fairneß halber, daß auch Abgeordnete der CDU/CSU diesen Antrag mit abgelehnt haben.
Bundeskanzler Brandt hat in der Regierungserklärung am 28. Oktober folgendes gesagt - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Die vorzeitige Verwirklichung des gemeinsamen Agrarmarkts hat ohne Zweifel die internen Anpassungsprobleme der deutschen Landwirtschaft wesentlich verschärft. Wir halten es deshalb für unausweichlich, der Landwirtschaft bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen.
Mit diesem Gesetzentwurf wird der Landwirtschaft geholfen. Wir bitten Sie deswegen, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({11})
Ich muß der Geschäftsordnung halber noch ein paar Sätze sagen. Das Plenum des Bundestages hat am 5. Dezember 1969 den Gesetzentwurf Drucksache VI/79, also die Regierungsvorlage zum Aufwertungsausgleichsgesetz, an den Finanzausschuß überwiesen. Da dieser Gesetzenwurf identisch ist mit dem, der heute zur Beschlußfassung vorliegt, habe ich im Auftrag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der SPD an das Plenum die Bitte, daß der Entwurf in Drucksache VI/79 und die Vorlage in Drucksache zu VI/79 nach Beschlußfassung über dieses Gesetz für erledigt erklärt werden. Wir haben wegen dieser Formalie den Finanzausschuß nicht eigens einberufen wollen.
Auf Umdruck 1 *) liegt zu diesem Tagesordnungspunkt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei und der Freien Demokratischen Partei vor. Die Begründung dieses Entschließungsantrages ergibt sich aus dem Text selbst. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die wirtschaftliche Lage in strukturschwachen Wirtschaftszweigen im Laufe des kommenden Anpassungsprozesses zu überprüfen und dem Bundestag darüber zu berichten. Wir wollen damit Wünschen entgegenkommen, die in den Ausschüssen vorgetragen wurden, Wünschen, die unserer Ansicht nach durchaus berechtigt sind. Ich bitte das Plenum, auch diesem Entschließungsantrag zuzustimmen.
({12})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zwingt mich leider, noch einmal einige Bemerkungen zu machen.
Zum ersten. Der allgemeine Preisaufstieg ist gebremst. In den mittleren ArbeitnehmerhaushaltsIndizes ist die Preissteigerungsrate von 3,0 auf 2,6 % zurückgegangen. Ich sage das deshalb, weil dazu die deutsche Landwirtschaft in Form der Hinnahme der Aufwertung ein großes Opfer bringt, und daher hat sie ein Recht auf Ausgleichszahlung. Und wenn man, verehrte Kollegen von der CDU/ CSU, diese Ausgleichszahlung schon als Subvention bezeichnen will - was ich gar nicht tue -, dann allenfalls als Verbrauchersubvention und nicht als Erzeugersubvention. Ich habe zudem das Gefühl,
*) Siehe Anlage 4
die gesamte deutsche Bevölkerung hat für diese Ausgleichszahlung in dieser Form volles Verständnis. Ich bedanke mich auch bei der deutschen Publizistik, daß sie diesen Standpunkt mit Nachdruck vertreten hat.
({0})
Zum zweiten. Ich muß leider noch einmal etwas zur Aufwertung sagen. Es tut mir furchtbar leid; ich weiß gar nicht, wann diese Debatte abgeschlossen ist. Aber ich würde sagen, und ich muß es wiederholen: Wenn man sich das so anhörte, wurde man beinahe in die Meinung versetzt, die Aufwertungsdebatte gebe es erst nach der Wahl. Ich kann mich erinnern, daß es bereits im November 1968 Diskussionen darüber gab. Ich kann mich erinnern, daß es Minister gab, die gesagt haben: einmal werten wir auf, einmal werten wir nicht auf. Ich will den Kollegen von der Landwirtschaft - ({1})
- Dazu gehört auch der Kollege Franz Josef Strauß; das muß man einmal mit aller Deutlichkeit sagen, damit Sie nicht immer den Falschen verdächtigen. ich hätte es nicht gesagt, wenn Sie es nicht so gedeutet hätten. Ich bin bereit, Ihnen die Presseberichte zu zeigen, damit wir uns da ganz klar verstehen. Immer bei der Wahrheit bleiben!
({2})
Aber den verehrten Kollegen der CDU und von der Landwirtschaft will ich etwas sagen. Haben wir nicht den ganzen Sommer über das Problem der Getreidespekulation gehabt
({3})
mit den hohen Kosten für die Intervention, mit allen nachteiligen Folgen, mit Preiszusammenbrüchen und ähnlichem mehr? Ja, meine verehrten Damen und Herren, warum haben Sie damals nicht gehandelt? Da können Sie doch nicht der Regierung, die gehandelt hat, weil sie zum Handeln gezwungen war, im Interesse der Stabilität, einen Vorwurf machen! Das verstehe ich einfach nicht.
({4})
Ein weiteres. Herr Kollege Siemer, Sie haben ein Plädoyer für die gewerbliche Veredelungswirtschaft gehalten.
({5})
- Nein? Im Gesetz heißt es: wenn sie nicht gewerbliche sind. So heißt es im Gesetz.
({6})
Ich glaube, die CDU/CSU war mit uns immer der Meinung, daß wir die bäuerliche Veredelungswirtschaft schützen sollten. Ich muß Ihnen sagen, ich habe gerade gestern in Brüssel mit meinem niederländischen Kollegen über dieses Thema verhandelt, weil er gesagt hat: Ich habe große Befürchtungen wegen des Durchschlagens der Preissenkung bei Futtermitteln bezüglich der gewerblichen Veredler im norddeutschen Raum. Darauf habe ich gesagt: Bitte sehr, Herr Kollege, machen wir doch gemeinsam ein Veredelungsschutzgesetz. Ich bin dazu bereit, denn das Problem der Überschüsse muß man
mit einkalkulieren. Und hier geht es mir darum, daß durch Überschüsse aus der gewerblichen Wirtschaft nicht die bäuerlichen Betriebe ihre Existenz verlieren.
({7})
- Die Kooperation ist eine bäuerliche Betriebsform. Ich spreche von der gewerblichen, von der flächenunabhängigen; denn auch das ist bisher immer ein klein wenig vergessen worden, und ich hätte hier nichts gesagt, wenn nicht immer solche den Tatsachen nicht entsprechende Feststellungen getroffen würden.
Die Futtermittel müssen durch die Aufwertung im Preis heruntergehen. Das bringt Kostenvorteile; das ist doch unbestreitbar. Das ist eine Tatsache, die man nicht hinwegnehmen kann.
Ich weiß nicht, ob eine Verfassungsklage kommt. Ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist, über alle Fragen eine Verfassungsklage anzustreben. Eines, glaube ich, können Sie von mir hinnehmen: ich werde mich bemühen, die Ausgleichszahlungen so gerecht und so optimal wie nur irgend möglich zu gestalten.
Es wurde wiederum gesagt, es wäre besser, die Grenzausgleichsabgabe einzuführen. Darüber läßt sich streiten. Es wäre nur besser, wenn sie nicht degressiv gestaltet würde. Das haben meine Vorredner betont. In dem Moment, wo sie degressiv ist, müssen Sie sagen, daß Sie bereit sind, der deutschen Landwirtschaft im Jahr 1971 5 % Preissenkung zuzumuten. Das muß ich Ihnen sagen.
({8})
- Die Franzosen haben sich auf eine degressive Lösung eingelassen. Da sind Sie nicht genau informiert.
({9})
- Auf eine progressive, aber im Sinne der Degressivität, Herr Kollege Ritz, - damit Sie hier nicht falschen Betrachtungen unterliegen. Sie hätten im Jahre 1971 dann die Preise für die Erzeuger um 5 % gesenkt. Gut, das nehmen wir hin. Das ist ein Vorschlag, darüber kann man reden. Sie hätten auch einen Antrag einbringen können, dann würden wir weiterkommen. Aber nach Den Haag verstehe ich das gar nicht mehr.
Selbstverständlich ist uns dieser Kompromiß nicht leichtgefallen. Aber es ist ein Kompromiß in der Hoffnung, daß die Möglichkeiten für die Fortführung der europäischen Zusammenarbeit im Sinne einer Partnerschaft, im Sinne der Erweiterung, im Sinne der Herbeiführung einer Wirtschafts- und Währungsunion von uns aus noch einmal aktiviert werden können. In dem Sinne haben wir dem Kompromiß zugestimmt, vielleicht nicht ganz leichten Herzens, aber in der Sicherheit, daß die deutsche Landwirtschaft keine Einkommensverluste zu verzeichnen hat.
Nun wurde gesagt, es seien gar keine Feststellungen über die Verteilung der 920 Millionen DM getroffen, und gleichzeitig wurde gesagt, die Mehr704
wertsteuer sei keine Lösung. Nun, hinsichtlich der Mehrwertsteuer kann ich es mir leicht machen: Diese Idee habe ich im Sinne der Kontinuität von der früheren Bundesregierung übernommen, und ich nehme doch an, daß die CDU zum mindesten zu dem steht, was ihre eigenen Minister einmal gemacht haben. Im übrigen ist die Mehrwertsteuer sofort wirksam. Eine Vielzahl von Kollegen hat mich sogar geradezu flehentlich gebeten, einen höheren Mehrwertsteuersatz durchzusetzen, weil er sofort wirksam ist. Ich könnte darüber einen Dialog führen.
({10})
- Ja, ich schließe Kompromisse, in der Regierung schließt man eben Kompromisse. Ich freue mich aber, Herr Kollege Reinhard, daß Sie einen höheren Satz wollen. Nur frage ich: Hat Herr Krammig auch für Sie gesprochen, Herr Reinhard? Denn Sie sind doch offensichtlich anderer Meinung. Da müssen Sie erst einmal klären, wer überhaupt für wen bei Ihnen spricht.
({11})
Im übrigen habe ich Ihnen, meine verehrten Kollegen, das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats meines Hauses zugeleitet, und ich habe es sogar veröffentlicht. Darin ist ein genauer Vorschlag, wie die 920 Millionen DM verteilt werden sollen, und ich habe bis heute noch niemand gehört, der gesagt hätte, das gehe so überhaupt nicht.
Ich muß weiter darauf hinweisen und Sie müssen das entschuldigen-, daß ich leider, und zwar
nicht weil ich das verursacht hätte, sondern weil ich auch hier im Sinne der Kontinuität handle, permanent in Brüssel verhandle. Auch heute nacht bin ich erst wieder um 1/22 Uhr aus Brüssel zurückgekommen, und nächste Woche soll es die ganze Woche hindurch gehen. Ich habe die Fähigkeit doppelter Anwesenheit leider nicht geerbt, dafür kann ich nichts. Sie müssen also entschuldigen, wenn ich nicht in der Lage bin, in allen Fragen sofort und persönlich alle Dinge in Angriff zu nehmen. Es wird der Praktikerausschuß gehört werden, und ich nehme an, der Kollege Dr. Schmidt als mein hoher Souverän im zuständigen Ausschuß wird mir nicht böse sein, wenn ich hier sage, daß ich mit ihm besprochen habe, im Ausschuß Mitte Januar ein Hearing zu veranstalten. Bis dahin werden Sie von mir eine große Synopse mit allen möglichen Varianten bekommen. Wir werden alle Betroffenen und auch alle Interessenten, alle Verbände in einem öffentlichen Hearing hören, wir werden die Chance haben, sehr viel Kluges aufzunehmen und zu verwerten, und dann werde ich meinen Gesetzentwurf machen, weil ich ihn ganz demokratisch unter Mitwirkung auch all jener, die bis heute keine Vorschläge gemacht haben, machen will.
({12})
Lassen Sie mich noch ein grundsätzliches Wort zu dem Zeitpunkt sagen. Ich mußte doch irgendwann zu einem Abschluß kommen; denn wenn nicht jetzt am 1. Januar einmal klare Verhältnisse auch an der Grenze geschaffen werden, dann gibt es auch auf diesem Sektor wieder Spekulationen. Ich erinnere nur an Obst, Gemüse und Geflügel. Es darf doch nicht so sein, daß der deutsche Steuerzahler permanent für Spekulationen zahlen muß. Darum müssen klare Verhältnisse geschaffen werden.
({13})
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe in den letzten Tagen wiederum gesagt ich komme mir in Brüssel beinahe wie ein Wanderprediger vor -: Wenn diese Politik nicht bald in eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik eingebettet wird, dann wird sie permanent in Krisen hineinsteuern. Es gibt ja auch ein EWG-Parlament, und es soll sogar Kollegen aus allen Fraktionen geben, die darin sitzen. Ich kann nur hoffen, daß auch von dort einmal Vorschläge auf mich zukommen, damit ich auch einmal eine hilfreiche parlamentarische Unterstützung bekomme. Es ist doch nicht so, daß immer nur dieser Minister allein sozusagen das Füllhorn ausschütten und Wunder wirken kann. So einfach ist es weiß Gott nicht.
Ich möchte dennoch am Schluß sagen: Ich betrachte die Stimmenthaltung der CDU als einen Akt des Goodwill. Das anerkenne ich, und darüber freue ich mich. Im übrigen bedanke ich mich bei all denen, die mitgeholfen haben, daß die Angelegenheit so schnell und beschleunigt in diesem Hause behandelt wurde. Ich glaube, unsere Landwirte können von der Sicherheit ausgehen, daß ihre Einkommensverluste, soweit sie am 1. Januar entstehen, voll ausgeglichen werden, und damit hat die Bundesregierung ihr Wort gehalten.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, nach den Ausführungen von Herrn Minister Ertl eine neue Gesprächsrunde zu eröffnen. Ich möchte lediglich zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP kurz Stellung nehmen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Auswirkungen der Aufwertung auch auf andere Wirtschaftsbereiche und Wirtschaftsregionen zu überprüfen und dem Bundestag darüber zu berichten.
Wir werden diesem Entschließungsantrag zustimmen. Im Grunde sehen wir in ihm allerdings nur eine Bestätigung unserer Vorwürfe an die Adresse der Bundesregierung, daß sie vor der Aufwertung die Folgewirkungen, die sich für die Volkswirtschaft ergeben, nicht genügend bedacht hat.
({0})
Insofern ist dieser Entschließungsantrag - entschuldigen Sie, daß ich das hier sage - so etwas wie der Ausdruck des schlechten Gewissens.
({1})
Man kann nicht, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister das getan hat, die Dinge so darstellen, daß
die Folgewirkungen der Aufwertung eben von jedermann hinzunehmen seien wie eine Art Diskonterhöhung. Hier hätte die Bundesregierung doch im Vorwege einiges klären müssen. Dann wäre ein solcher Entschließungsantrag vermutlich nicht nötig gewesen.
({2})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Regierungsparteien bei Stimmenthaltung der CDU/ CSU und wenigen Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag Umdruck 1 der Fraktionen der SPD und FDP. Der Antrag ist schon diskutiert worden. Wer zuzustimmen wünscht, den hitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Dann stimmen wir aber den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP Umdruck 2, über den auch schon diskutiert worden ist, ab. Wer zuzustimmen wünscht, den hitte ich um das Handzeichen.
- Gegenprobe!-Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Umdruck 4 *) der Fraktion der CDU/CSU. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn ein inhaltlich ähnlicher Änderungsantrag in zweiter Lesung von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt worden ist, sind wir dennoch der Meinung, daß wir das Problem in diesem Entschließungsantrag erneut zur Entscheidung stellen sollten, weil wir der Überzeugung sind - hier kann ich mich hei der Begründung auf die Aussagen des Kollegen Röhner beziehen -, daß die Einbringung dieser Mittel in den Einzelplan 10 nicht richtig ist. Uns erscheint die Einstellung in den Einzelplan 60 der bessere Weg zu sein, wobei natürlich die Verwaltung dieses Titels heim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten verbleiben müßte. Ich darf Sie bitten, der Überweisung dieses Antrages an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Haushaltsausschuß zuzustimmen.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich hinsichtlich der Ausführungen meines Vorredners nur gewundert, daß er nicht auch zu diesem Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat.
({0}) *) Siehe Anlage 5
Wir haben hier vorhin die Sache debattiert; wir haben Argumente und Gegenargumente abgewogen und den Antrag in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Warum Sie jetzt, wenige Minuten später, den Antrag nochmal bringen, verstehe ich überhaupt nicht. Ich bitte deshalb, den Antrag nicht zu überweisen, sondern ebenso abzulehnen, wie wir das bei Umdruck 3 praktiziert haben.
({1})
Es ist ein Überweisungsantrag zu dem Entschließungsantrag Umdruck 4 gestellt worden: an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten allein?
({0})
- Mitberatend Haushaltsausschuß. Sie haben den Überweisungsantrag gehört. Das Wort wird nicht mehr verlangt. Wer dem Überweisungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Überweisungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag Umdruck 4. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte uni die Gegenprobe. - Das ist die umgekehrte Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Als letztes ist - ich erinnere an die Worte des Abgeordneten Porzner - noch über die Drucksache VI/79, Entwurf eines Gesetzes über einen Ausgleich für Folgen der Aufwertung der Deutschen Mark auf dem Gebiet der Landwirtschaft, zu entscheiden. Der Antrag soll für erledigt erklärt werden. - Widerspruch erfolgt nicht; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({1})
Drucksache VI/139 und
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Beeinträchtigung von Grundrechten durch gewalttätige Aktionen
- Drucksache VI/157 Zur Begründung des erstgenannten Antrags hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert das Wort.
Dr. Müller-Emmert ({2}) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen der FDP und der SPD legen Ihnen einen Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vor, der zum Ziel hat, die Reformarbeit im Bereich des Strafrechts erheblich voranzutreiben und der darüber hinaus einen Schwerpunkt hat: die Reform der in letzter Zeit sehr umstrittenen Delikte wider den Gemeinschaftsfrieden. Es geht hierbei um die Vorschriften des Auflaufs, des Aufruhrs, des Landfriedensbruchs, des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der Aufforderung zum Ungehorsam. Diese Vorschriften gelten unverändert
seit dem Jahre 1871. Sie wurden in einer Zeit geschaffen - das kann man wohl heute sagen -, in der ein ganz anderes staatsrechtliches Denken vorhanden war als in der heutigen Zeit, in einer Zeit, in der das obrigkeitsstaatliche Denken überall Vorrang genoß.
Diese Vorschriften stimmen zum mindesten dem Text und der Formulierung nach mit dem Grundgesetz und seinem Geiste nicht überein. Das Grundgesetz normiert in den Art. 8 und 5 die Demonstrationsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Allein schon aus dieser Konfrontation ergibt sich, daß diese Vorschriften aus dem vorigen Jahrhundert geändert und verfassungskonform gemacht werden müssen.
Dabei kommt hinzu - Sie wissen dies alle aus den vielen Diskussionen in der Öffentlichkeit in letzter Zeit -, daß die deutschen Gerichte hier eine sehr schwere Aufgabe zu erfüllen haben: sie müssen mit einer Flut von Ermittlungs- und Strafverfahren fertigwerden, die durch die Demonstrationsdelikte ausgelöst sind, wobei sie wohl diese Vorschriften entsprechend unserem Grundgesetz, also verfassungskonform anwenden müssen, gleichwohl aber, wie die gerichtliche Praxis zeigt, mit dieser Rechtssituation leider nur unvollkommen fertigwerden. Dadurch kommt es sogar vor, daß in einem einzigen Gericht zwei verschiedene Abteilungen des Gerichts völlig konträre Urteile über einen in etwa gleichen Sachverhalt erlassen. Ich glaube, damit ist hinreichend dargetan, daß die Justiz überfordert ist und daß es dringend notwendig ist, eine Reform dieser von mir angeführten Straftatbestände durchzuführen.
Dabei muß sich allerdings jeder von uns im klaren sein, daß die Annahme, die Reform dieser Vorschriften könnte zu einer Legalisierung von Gewalttaten führen, völlig absurd ist. Das Recht eines einzelnen oder einer Gruppe endet nämlich dort, wo der einzelne oder die Gruppe unbegründet in die Rechtssphäre anderer oder unserer Gesellschaft eingreift, Rechtsgüter anderer oder unserer Gesellschaft verletzt oder sie gefährdet. Es muß hier also die ausdrückliche Feststellung getroffen werden, daß Gewalt gegen Personen oder Sachen die Grenzen überschreitet, die das Strafrecht zieht, ganz unabhängig davon, ob diese Gewalt von einem Kriminellen oder von einem Demonstranten mit politischen Motiven begangen worden ist.
Von dieser Ausgangsbasis aus sind folgende Gesichtspunkte des Gesetzesvorhabens in der gebotenen Kürze darzutun. Dieser Gesetzentwurf hat das Ziel, die Verstöße degen die Gemeinschaftsordnung so klar zu umreißen, daß sich einerseits Bürger, Polizei, Staatsanwalt und Richter eindeutig daran orientieren können, andererseits aber die für die Demokratie unentbehrliche Demonstrationsfreiheit eindeutig gewährleistet ist.
Der Schwerpunkt dieses Gesetzesvorhabens hängt mit den Delikten des Aufruhrs und des Landfriedensbruchs zusammen. Diese beiden Straftatbestände sollen nunmehr in einem einheitlichen Straftatbestand zusammengefaßt werden. Darüber hinaus soll der Anwendungsbereich dieses neuen Straftatbestandes ganz erheblich eingeschränkt werden. Bisher hat die Rechtsprechung sehr oft Gruppen, die an Demonstrationen teilgenommen haben, für strafbar erklärt, deren Teilnahme ausschließlich darin bestand, daß sie sich unter dieser Menschenmenge befanden, ohne in irgendeiner Weise etwas getan zu haben.
Der Gesetzentwurf, den wir Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, vorlegen, hat also zum Ziel, hier zu einer erheblichen Einschränkung zu kommen. Es soll erstens klargestellt werden, daß Bürger, die in Ausübung einer Dienst- oder Berufspflicht an einer Demonstration teilnehmen, die unfriedlich ist und aus der heraus Gewalttaten begangen werden, keineswegs unter Strafe gestellt oder bestraft werden können. Zweitens sollen auch Neugierige, die sich eine solche Demonstration ansehen wollen oder zufällig an einer solchen Demonstration vorbeikommen und vielleicht stehenbleiben und keine weiteren Impulse über ihre Anwesenheit hinaus dahin entwickeln, daß Gewalt oder ähnliches geschieht, nicht unter Strafe gestellt werden können und aus dem bisherigen Straftatbestand herausgenommen werden. Drittens soll auch derjenige Demonstrant nicht bestraft werden, der bewußt aus von seiner Sicht her begründeten politischen Motiven an einer Demonstration teilnimmt, allerdings nicht verhindern kann, daß eine kleinere Gruppe, die letztlich mit den ursprünglichen Zielen dieser Demonstration gar nicht übereinstimmt, Gewalttaten verübt. Es handelt sich also um einen Demonstranten, der diese Gewalttaten mißbilligt, der nur die politische Grundsatzüberzeugung zum Ausdruck bringen will, daß er die Motive für richtig hält.
Der zweite Schwerpunkt dieses Entwurfes betrifft das Problem des sogenannten Auflaufes. Viele Kritiker könnten möglicherweise zu unserem Gesetzentwurf sagen, daß das, was ich bisher angeführt habe, zwar einigermaßen gut klinge; die Lebenserfahrung lehre aber doch, daß Demonstrationen meistens von einer Vielzahl von Bürgern, manchmal von Tausenden von Bürgern, besucht werden, so daß es sehr oft unmöglich sei, letzten Endes festzustellen, wer sich aktiv an Gewalttaten beteiligt hat und wer nur als Neugieriger bei dieser Demonstration anwesend gewesen ist. Auf Grund dieser Erwägungen haben wir den folgenden Lösungsvorschlag vorgelegt. Zum einen soll der Straftatbestand des Auflaufs, der - das zeigt schon die Formulierung der einschlägigen Bestimmungen - wirklich altertümlich und uralt ist, im Strafgesetzbuch gestrichen werden. Zum anderen soll der Auflauf aber im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts erfaßt werden. Die entsprechende Vorschrift des Ordnungswidrigkeitenrechts wäre dann ein Auffangtatbestand für diejenigen Demonstrationsteilnehmer, die zwar keine Gewalttaten verübt haben oder denen, was natürlich auch vorkommen kann, eine Strafttat nicht bewiesen werden kann, die aber der Aufforderung, sich von einem Platz oder einer Straße zu entfernen, nicht nachgekommen sind.
Damit hätten wir - auch vom Kriminalpolitischen her - diese Probleme im Griff und könnten diejenigen, denen ein Landfriedensbruch oder GewaltDr. Müller-Emmert
taten nicht zu beweisen wären, gleichwohl in eine Geldbuße bis 1000 DM im Höchstfalle nehmen. In diesem Zusammenhang muß allerdings gesagt werden, daß die Umwandlung der jetzigen Strafvorschrift des Auflaufs in eine Ordnungswidrigkeit es gleichzeitig auch erfordert, daß das Versammlungsrecht und auch das Polizeirecht in Bund und Ländern so gestaltet werden, daß die Polizei in die Lage versetzt wird, ihre notwendige Ordnungsaufgabe, über die man hier gar nicht zu streiten braucht, zu erfüllen.
Der dritte Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfes bezieht sich auf den Problemkreis des sogenannten Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Es ist festzustellen, daß unser Strafrecht grundsätzlich auf dem Schuldprinzip aufbaut. Es ist daher nicht vertretbar, einen Bürger auch dann zu bestrafen, wenn er, möglicherweise unverschuldet, geglaubt hat, er dürfe sich gegen eine von ihm für rechtswidrig gehaltene Amtshandlung zur Wehr setzen.
Ich möchte hierfür ein typisches Paradebeispiel nennen. Ein Bürger wird irrtümlich und auch völlig unschuldig von einem Polizeibeamten vorläufig festgenommen, weil der Polizeibeamte möglicherweise gerade vor Beginn seines Dienstganges zum letztenmal in das Fahndungsbuch geschaut hat und darin eine Abbildung, nehmen wir an, von einem Mörder, gegen den Haftbefehl besteht, der ausgeschrieben ist, gefunden hat, die er sich genau eingeprägt hat, wobei er - der Polizeibeamte - nun der Meinung ist, daß dieser Bürger, den er auf der Straße sieht und der offenbar dem Mörder ungeheuerlich ähnlich sieht, derjenige sei, den die Justizbehörden suchen. In einem solchen Falle - machen wir uns nichts vor, auch das muß einmal offen angesprochen werden - ist ,es so, daß der Polizeibeamte im Rahmen eines Ermessensspielraums handelt und daß er, wenn er diesen Ermessensspielraum nicht überschreitet, sich rechtsgemäß, dem Rechte gemäß, verhält, wenn er diesen an sich unschuldigen Bürger, der aber eine frappierende Ähnlichkeit mit dem ausgeschriebenen Mörder hat, vorläufig festnimmt. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, daß dieser Bürger, der völlig unschuldig festgenommen worden ist, der möglicherweise auf dem Wege zu einem dringenden Geschäft war, sehr leicht in die Lage versetzt ist, sich zur Wehr zu setzen und zu erklären: „Was habe ich getan? Ich bin ein völlig unschuldiger Mann! Laßt mich frei! Bis ich bei Ihnen im Polizeirevier bin und bis diese Frage gelöst ist, vergehen sehr viele Stunden.". - Hier sehen wir die Problematik dieses Falles. Nach dem jetzigen Rechtszustand würde der Bürger rechtswidrig handeln, wenn er, obwohl er unschuldigerweise festgenommen wird, sich gegen die Festnahme des Polizeibeamten zur Wehr setzte, vorausgesetzt, daß tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Festgenommenen und dem Mörder bestünde.
Daß dieses Ergebnis absurd ist, leuchtet jedem vernünftig Nachdenkenden, wie ich glaube, ein. Deshalb muß man auch die Vorschriften, die sich mit Widerstand gegen die Staatsgewalt beschäftigen, unter das Schuldprinzip stellen. Man muß die Irrtumsregelungen anwendbar machen. Mit der folgerichtigen Durchführung des Schuldprinzips im Bereich der Delikte gegen den Gemeinschaftsfrieden wird auch der Schutz der Polizeibeamten nicht gemindert, da nämlich in meinem Beispiel auch das Verhalten des Polizeibeamten rechtmäßig wäre und sich der Polizeibeamte entsprechend zur Wehr setzen oder die notwendige Diensthandlung vornehmen könnte. Es kommt hier auf die Feststellung an, daß mit der Einführung des Schuldprinzips auch im Bereich der Delikte gegen die Staatsgewalt der Schutz der Polizeibeamten in keiner Weise gemindert wird.
Der letzte Schwerpunkt, den ich auch nur mit einigen Worten ansprechen möchte, ist die im Entwurf vorgesehene Streichung der Vorschrift der Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze gemäß § 110. Hier geht es darum, daß eigentlich kein rechtspolitischer Grund ersichtlich ist, der rechtfertigte, das öffentliche Auffordern zu einer Handlungsweise, die strafrechtlich überhaupt nicht bedeutsam ist, unter Strafe zu stellen. Soweit es sich um einen zivilrechtlichen Bezug handelt, stehen jedem in seinem Recht verletzten Bürger die vielen gefächerten Möglichkeiten des Zivil- und Klagerechtes zu. Soweit öffentlich-rechtliche Normen und Allgemeinverfügungen in Frage stehen, können die Behörden ohne Schwierigkeiten mit den ihnen gesetzlich zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln vorgehen. Soweit es sich um Aufforderungen zu strafbaren Handlungen handelt, haben wir die Vorschrift des § 111, die in ihrem Anwendungsbereich völlig ausreichend ist, wobei wir noch daran erinnern müssen, daß bekanntlich auch die Anstiftung und die vergebliche Anstiftung zu strafbaren Handlungen unter gewissen Umständen unter Strafe stehen. Deshalb sieht der Entwurf folgerichtig eine Streichung der Vorschrift des § 110 vor.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch wenige Sätze zu dem Problem der Amnestie sagen, das, wenn man über diese Fragen diskutiert, zwangsläufig auf den Tisch des Hauses gelegt werden muß. Über die Frage der Amnestie wurde nach meiner Überzeugung in den letzten Wochen ohnehin schon zuviel geredet. Es muß erst einmal die Meinung korrigiert werdn, die leider noch - ({3})
- Auch aus Ihrem Bereiche, Herr Hauser. Seien Sie nicht so kleinmütig, Herr Hauser. - Zunächst einmal muß die Meinung. die leider noch viele Bürger in unserer Bundesrepublik haben, korrigiert werden, die dahin geht, daß der Bundespräsident oder der Bundeskanzler gewissermaßen als Deus ex machina - wie die Feuerwehr, darf ich sagen - hier eine Verfügung erlassen könne, die sich Amnestie nennt. Eine Amnestie ist nach unserem Grundgesetz und nach unserer Rechtsordnung nur durch ein förmliches Gesetz möglich, das den Bundestag passieren muß. Deshalb war es irreal, davon zu reden, daß es überhaupt möglich sei, noch vor Weihnachten ein rechtskräftiges Gesetz zu schaffen, das eine Amnestie vorsehen würde.
Zum zweiten muß man einräumen, daß sich im Falle einer Behandlung der Amnestiefrage sofort die Frage der Abgrenzung der strafbaren Handlungen aufwirft. Was soll überhaupt amnestiert werden? Soll vielleicht eine politische Einzeltat aus politischen Motivierungen heraus genauso amnestiert werden wie Verstöße gegen unser Demonstrationsrecht? Sollen vielleicht die Schläger der NPD bei Demonstrationsversammlungen in Frankfurt genauso amnestiert werden wie möglicherweise die Bürger aus einem bayerischen Dorf, die vor kurzem weltweites Aufsehen dadurch erregten, daß sie gegen die Errichtung eines Heims für geistig behinderte Kinder Sturm liefen und sogar vor Brandstiftung nicht zurückschreckten?
Sie sehen also, daß diese Fragen denkbar schwierig sind, wobei zu bedenken ist, daß erwiesenermaßen viele derjenigen Fälle, um die es heute geht, letztlich gar nicht Fälle sind, die in den Bereich der Demonstrationsdelikte gehören, die vielmehr Hausfriedensbruch genauso wie Sachbeschädigung oder Diebstahl betreffen. Wo ist hier, meine Damen und Herren, die Grenze?
Schließlich muß man, auch wenn man diese Frage lösen könnte, darauf hinweisen, daß, wenn eine Amnestie erlassen würde, immer auch ein Amnestiestichtag festgelegt werden muß, wobei sich dann sofort eine zweite Ungerechtigkeit in der Weise ergibt, daß diejenigen Täter, die nach dem Amnestiestichtag strafbare Handlungen begangen haben, nicht in den Genuß dieser Amnestie kommen können, aber auch für sie das neue Reformrecht, das wir hier vorhaben, eigentlich formal nicht anwendbar ist.
Aus all diesen Problemen - man könnte sie noch vielfältig abhandeln und vortragen - ergibt sich, daß es eine gute Ausgangsbasis ist, wenn man beschleunigt und nachdrücklich und unverzüglich eine Reform der Delikte gegen den Gemeinschaftsfrieden durchführt und parallel dazu oder sofort hinterher ein Amnestiegesetz in diesem Hause berät und verabschiedet.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen ausgezeichneten Beitrag von Hans Schueler verweisen, der heute in der Zeitung „Die Welt" erschienen ist, der diese Problematik wirklich in sehr guter Präzision darlegt.
Ich fasse zusammen. Man sollte wegen der Frage der Amnestie die Gemüter nicht gegenseitig erhitzen. Vielmehr sollte man eine beschleunigte Reform der Delikte gegen den Gemeinschaftsfrieden durchsetzen und dabei gleichzeitig auch die Frage der Amnestie in vernünftiger Weise anpacken.
Aus den genannten Gründen darf ich Sie bitten, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Überweisung unseres Gesetzentwurfs an den Strafrechtsausschuß zuzustimmen.
({4})
Zur Begründung des Antrags Drucksache VI/157 hat der Abgeordnete Benda das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mich in irgendeiner Weise zu dem zu äußern, was Herr Kollege Dr. Müller-Emmert eben vorgetragen hat. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich habe vielmehr den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu begründen. Mein Kollege Erhard wird nachher zu dem, was Gegenstand der Ausführungen des Kollegen Dr. Müller-Emmert war, Stellung nehmen. Dennoch handelt es sich natürlich bei dem Antrag, der in der Tagesordnung unter dem Buchstaben b eingeordnet ist, und dem, was unter dem Buchstaben a eben begründet worden ist, um zwei Seiten desselben Problems. Deswegen ist hier mit Recht eine verbundene Debatte in Aussicht genommen worden, die jetzt geführt wird. Deswegen sitzen auf der Regierungsbank mit Recht die Vertreter des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums des Innern.
Im Grunde ist dies - sicher wäre es gut, wenn wir das bei dem weiteren Gang unserer Diskussion miteinander sähen - überhaupt keine Debatte nur unter Juristen, so sicher notwendig auch die Auseinandersetzung mit einer Reihe von strafrechtlichen und allgemeinjuristischen Fragen wohl werden wird. Dies ist vielmehr die Behandlung einer Frage von eminenter politischer Bedeutung und dazu einer Frage, die jeden Bürger in unserem Lande in diesen Tagen, Wochen und Monaten bewegt oder bewegen sollte.
({0})
Ich komme mit einer Randbemerkung auf das zurück, was eben vorgetragen worden ist, wenn ich sage, daß die Reform dessen, was man das „Demonstrationsrecht" nennt - ich komme auf diesen fragwürdigen Begriff wahrscheinlich nachher noch einmal zurück -, genauer gesagt, der Bestimmungen des Strafgesetzbuches, die sich mit den Auswirkungen von öffentlichen Versammlungen und Ausschreitungen bei dieser Gelegenheit beschäftigen, zu einem Modepostulat geworden ist. Ich sage dies ganz unpolemisch, als die Feststellung eines Sachverhalts und fälle damit noch kein Urteil über Berechtigung oder Nichtberechtigung dieser oder anderer Vorschläge, wie sie uns vorgetragen worden sind.
Aber jedermann hält es für notwendig, in der gegenwärtigen Situation davon zu reden. Wir sind bereit wir werden darauf eingehen -, hierüber heute zu reden. Dazu gehört aber - diese Diskussion in diesem Hohen Hause herbeizuführen, ist die Aufgabe des von uns gestellten Antrags - unabweislich, daß die Frage danach gestellt und beantwortet wird, wie denn in unserem Land die politische Wirklichkeit aussieht,
({1})
nämlich der tatsächliche Hintergrund, vor dem die Reformüberlegungen auf dem Gebiet des Strafrechts, um das es sich hier handelt, angestellt werden.
Wir wollen also wissen - das ist ja in unserem Antrag im einzelnen aufgeführt, und insoweit brauche ich es nicht zu wiederholen -: Was geschieht
gegenwärtig an unseren Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland?
({2})
Was geschieht in und vor unseren Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland? Was geschieht auf den Straßen und Plätzen unseres Landes, von denen wir annehmen, daß sie wohl nach wie vor in erster Linie der freien Bewegung unserer Staatsbürger zu dienen bestimmt sind? Ich brauche Ihnen aus meiner Sicht das, was uns allen bekannt ist, hier im einzelnen nicht in Erinnerung zu rufen. Es gibt Vorgänge, wie etwa die an der Freien Universität Berlin, z. B. das „Terrortribunal" der „Roten Zelle" am Romanischen Seminar gegen einen Wissenschaftler; z. B. die Sprengstoffanschläge in Berlin gegen das Haus der jüdischen Gemeinde, gegen einen Richter und gegen einen Staatsanwalt sowie vergleichbare Vorgänge; z. B. das Unterwassersetzen von Räumen der Frankfurter Universität in allerletzter Zeit - ich glaube, erst in dieser Nacht -.
Meine Damen und Herren, vielleicht nachdenklicher als diese dramatischen Ereignisse stimmen diejenigen kleineren Fälle - das sollte uns nachdenklich machen -, die auch in unserem Bewußtsein beinahe schon so alltäglich geworden sind, daß sie kaum mehr eine öffentliche Erwähnung verdienen. Ich denke z. B. an die kurze Notiz über einen Vorgang im Landgericht dieser Stadt Bonn vor einiger Zeit: „Demonstrierende" - von mir aus gesehen in Anführungsstrichen - Studenten drücken die Tür des Gerichtssaals während der Verhandlung der Strafkammer ein - eine Pression des Gerichts beinahe im buchstäblichen Sinne des Wortes. Darüber redet gar keiner mehr; das scheint vielen selbstverständlich zu sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wichert?
Wenngleich ich bei der Begründung eines Antrags das sonst nicht tue, würde ich mich gerne der Frage stellen, wenn der Herr Kollege dies wünscht.
Sie müssen nicht! - Bitte schön!
Woher wollen Sie wissen, daß die Bombenlegung vor der jüdischen Gemeinde von Studenten ausgegangen ist?
Das habe ich nicht gesagt. Sie können gern das unkorrigierte Protokoll nachlesen. Ich habe gesagt, daß ein Sprengstoffanschlag gegen das jüdische Gemeindehaus verübt worden ist. Das ist ja wohl als Tatsache unbestritten. Weil ich die Ermittlungen der Polizei nicht kenne und weil ich weiß, daß der Täter jedenfalls nach dem Stand meiner Kenntnis noch nicht gefunden ist, habe ich nicht gesagt und kann ich selbstverständlich nicht behaupten, wer es war, geschweige denn, daß er einer bestimmten Gruppe zuzuordnen ist. Ich bin insoweit dankbar für die Zwischenfrage. Das ist offensichtlich ein Mißverständnis zwischen uns oder im schlimmsten Fall ein Versprecher von mir. Ich glaube aber nicht, das gesagt zu haben.
({0})
- Gut, dieser Vorgang ist damit wohl erledigt.
Meine Freunde und ich halten es für geboten, daß vor der abschließenden Entscheidung dieses Hauses über die Reform der Strafbestimmungen - dazu wird noch geredet werden - die Bundesregierung eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Lage vorlegt, die eine unabdingbare Voraussetzung für eine gründliche Prüfung und sorgsame Urteilsbildung auch in dieser Frage sein wird. Auch in dieser Frage ist es unsere Aufgabe, die Realitäten, d. h. die Wirklichkeit, zu erkennen.
In unseren einzelnen Punkten fragen wir daher die Bundesregierung nach den Vorgängen oder bitten sie, darüber innerhalb einer Frist, die wir vorschlagen, einen Bericht vorzulegen. Das Bundesministerium des Innern ist ja nach dem Stande seiner Einrichtungen durchaus in der Lage, das entsprechende Material zusammenzubringen, und wird sicherlich auch bereit sein, es uns in der vorgeschlagenen Form zu vermitteln.
Wir fragen daneben im einzelnen, ob die Bundesregierung z. B. der Auffassung ist - ich greife jetzt nur einzelne Punkte heraus -, daß die gesetzlichen Bestimmungen ausreichen. Meine Damen und Herren, dies - ich möchte das der Klarheit halber sagen - ist wirklich eine Frage und nicht die Andeutung einer Meinung von uns. Wir alle wissen, Herr Kollege Hirsch, auch Sie, es hat in der vorigen Wahlperiode Diskussionen über diesen oder jenen Punkt gegeben. Ich nehme an, daß meine persönliche Antwort, die nicht unbedingt mit der Meinung der Fraktion übereinstimmen muß - wir haben darüber in der Fraktion nicht gesprochen -, würde ich mich selber fragen, lauten würde: sie reichen aus. Das könnte ich auch mit Einzelbeispielen belegen.
Es geht im allgemeinen nicht um die Frage, ob die gesetzlichen Bestimmungen, so wie sie heute sind, an sich ausreichen, sondern es geht darum, ob die politische Führung, die in dem betreffenden Bereich die Verantwortung trägt, wirklich bereit und in der Lage ist, diese Verantwortung mit der nötigen Energie zu erfüllen. Fehlentwicklungen - ich könnte Beispiele nennen - pflegen im allgemeinen auf ein Versagen nicht etwa der Polizei und ihrer Organe, die sich überall die allergrößte Mühe geben, sondern der jeweils zuständigen politischen Führung hinzudeuten.
({1})
Daher fragen wir in allgemeiner Form in Ziffer 4
auch dies eine Frage -, welche Vorstellungen die Bundesregierung entwickelt, um den uns allen bekannten und von mir in Stichworten angedeuteten Entwicklungen zu begegnen. Auch dies ist keine juristische Frage, die juristisch zu beantworten ist, sondern eine politische Frage, welche Vorstellungen die Regierung hat und welche Möglichkeiten sie sieht, diese ihre Vorstellungen den jeweils zuständigen Stellen nahezubringen. Natürlich kenne ich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und
Ländern etwa im Bereich der Polizeigewalt genauso gut wie jeder von uns. Es geht darum, daß die Bundesregierung diesen zuständigen Stellen ihre politischen Vorstellungen nahebringt mit dem Ziel, sie in diesen Bereichen möglichst auch zu verwirklichen.
Abschließend ein kurzes Wort zu dem letzten Punkt. Der letzte Punkt enthält für mein Empfinden, obwohl er zunächst ein beinahe abstrakter, beinahe esoterischer Punkt zu sein scheint, den Kern der Problematik. Herr Kollege Müller-Emmert hat es in einem anderen Zusammenhang und mit ganz anderen Worten, aber möglicherweise mit derselben Fragestellung, wie ich es versuchen möchte, angesprochen. Wir bitten die Bundesregierung, uns zu sagen, wie sie die Schutzwürdigkeit des durch das Grundgesetz garantierten Rechts auf Versammlungsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundrechten beurteilt. Damit wollen wir sagen, daß es auch zwischen uns und den Antragstellern oder zwischen der Regierung und uns keiner Diskussion über die selbstverständliche Feststellung bedarf, daß das Versammlungsrecht und das Recht der freien Meinungsäußerung in unserem Lande grundrechtlich garantiert sind. Jeder von uns, Parlamentarier oder Angehöriger der Bundesregierung, ist verpflichtet, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten dafür einzutreten - und wir sind bereit und entschlossen, dies wie bisher zu tun -, daß diese Grundrechte im vollen Umfang gewahrt und geschützt bleiben. Es kommt darauf an, festzuhalten und festzustellen, daß derjenige, der Steine wirft, der sich Molotow-Cocktails oder Holzlatten oder sonstiger Wurfgeschosse bedient - deswegen ist der vorhin erwähnte Begriff „Demonstrationsrecht" oder „Demonstrationsdelikt" so fragwürdig -, damit, auch wenn er es politisch motiviert oder verbrämt, nicht von einem eigenen Grundrecht Gebrauch macht, sondern im Gegenteil in die Grundrechte anderer Bürger eingreift und diese gefährdet.
({2})
Es ist die Aufgabe der staatlichen Organe, der Gesetzgebung, der Exekutive und der Rechtsprechung, ihn daran zu hindern, das zu tun. Es ist eine Verfälschung des Tatbestandes, wenn man dann meint, dies sei eine Frage, die auch nur ein Randgebiet des sogenannten Demonstrationsrechtes - also juristisch präziser gesagt: der Versammlungs- oder Meinungsfreiheit - betreffe. Dies ist es eben nicht, sondern es ist der Angriff auf Grundrechte anderer, und den gilt es abzuwehren. Da kann im Faktischen, wie ich wohl weiß, ein Spannungsverhältnis bestehen.
Natürlich hat derjenige, der von seinem Recht der Meinungsfreiheit auf der Straße - inhaltlich interessieren mich in dem Zusammenhang seine Thesen nicht - Gebrauch machen will, ein Recht, dies zu tun, und dieses Recht muß auch geschützt werden. Daher hat er auch das Recht, nach Maßgabe der Bestimmungen Demonstrationen zu veranstalten. Aber derjenige Fußgänger oder Autofahrer, der nicht Neigung hat - aus welchen Motiven immer -, sich dieser Meinungsbekundung zu unterziehen, hat das gleiche Recht, nicht daran gehindert zu werden, sich von dem Ort einer solchen Veranstaltung zu entfernen. Hier entsteht praktisch das Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundrechten, die gegeneinander oder möglicherweise in einem Spannungs- und Konfliktverhältnis zueinanderstehen. Hier gibt es die eine oder andere Frage, die Herr Müller-Emmert angeschnitten hat und mit der man sich im weiteren beschäftigen wird.
Es geht uns also darum - ich sage es zusammengefaßt noch einmal -: Demonstrationsfreiheit, d. h. die Verbreitung von Meinung und Information, ist und bleibt ohnehin selbstverständlich geschützt, übrigens auch dann, wenn das geltende einschlägige Strafrecht nicht geändert würde. Denn selbstverständlich hat dieses verfassungskonform ausgelegt zu werden. Wo dies im Einzelfall wirklich oder angeblich nicht der Fall sein sollte, steht dem Betroffenen der Weg zum Bundesverfassungsgericht zur Nachprüfung eines solchen Vorganges ohnehin frei.
Verbreitung von Information und Meinung, aber unter keinen Umständen ist nach unserer Meinung
ich zitiere Herrn Hannover - die Demonstrationsfreiheit als ein Vorgang zu verstehen, der „alle Äußerungsformen menschlicher Handlungsfreiheit umfaßt, die geeignet und dazu bestimmt sind, auf den Prozeß der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung einzuwirken". In der Konsequenz dieser juristisch absurden These geht dann Herr Hannover in der Tat soweit zu sagen, daß auch das Einwerfen von Fensterscheiben oder das Anzünden von Zeitungswagen - weil Ausdruck einer politischen Meinungsfreiheit - zulässig sein müsse.
Mit der gleichen Konsequenz, mit der er dieses sagt, muß er freilich auch den unmittelbaren psychischen oder physischen Terror gegen Personen mit dem Argument vor sich selber oder anderen rechtfertigen: die sind ja nun leider anderer politischer Meinung als derjenige, der angeblich von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch macht.
Meine Damen und Herren, an sich ist die Auseinandersetzung hierüber sicherlich für uns nicht zwingend notwendig. Aber notwendig - und deswegen fragen wir die Bundesregierung danach und bitten sie, uns ihre Meinung zu sagen - ist eine klare, hier scharf abgrenzende und scheidende Äußerung zum Schutz des Demonstrationsrechtes, der Versammlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite - dem dient unser Antrag zum Schutz der Rechte jedes einzelnen Bürgers, zu dessen Freiheitsrechten auch das Recht gehört, nicht zu demonstrieren, Demonstrationen angenehm oder nicht angenehm zu finden, sich an Demonstrationen zu beteiligen oder sich von ihnen zu entfernen. Der Schutz unserer Bürger ist eines der Anliegen, das hier mit zu erörtern ist. Es ist nicht nur eines der Anliegen, es ist das zentrale Anliegen, über das wir unter diesem Punkt der Tagesordnung zu reden haben.
({3})
Der Antrag ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard ({0}). Die Fraktion der CDU/CSU hat für ihn 30 Minuten Redezeit in Anspruch genommen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Empfindlichste im Verhältnis zwischen Staat und Bürger liegt dort, wo der Staat strafdrohend und strafend dem Bürger gegenüber in Erscheinung tritt. Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einerseits und die Zustimmung der Bürger zu diesem Staat als solchem andererseits sollen in den konkreten Straftatbeständen und Strafbestimmungen und auch im Prozeßrecht einen zeitgemäßen Ausdruck finden und finden ihn dort weitgehend. Daß dieses empfindliche Zuordnungsverhältnis eines besonderen Schutzes durch die parlamentarische Behandlung von Strafrechtsänderungen bedarf, war deshalb bisher allgemeine Vorstellung, und wir haben uns immer bemüht, im strafrechtlichen Bereich möglichst einen breiten Konsens in diesem Hause herbeizuführen. Der Versuch, diesen Konsens herbeizuführen, sollte auch jetzt weiterhin unternommen werden, auch wenn die regierungstragenden Fraktionen von sich aus einen sehr weitgehenden Vorschlag unterbreitet haben.
Ganz sicher unterliegt es keinem Zweifel, daß die Strafvorschriften zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens in verschiedener Hinsicht, nicht allgemein, als unbefriedigend angesehen werden, sei es wegen der Strafrahmen, sei es wegen gewisser widersprüchlicher Strafhöhen und Strafandrohungen oder sei es wegen gewisser Formulierungen. Vorschläge zur Reform dieser Straftatbestände sind bereits im Entwurf 1962, den wir in der vorigen Periode wieder behandelt haben und über den der Strafrechtssonderausschuß in der vorigen Periode eingehend beraten hat, vorgelegt worden. Die Beratungen im Strafrechtssonderausschuß konnten, wie bekannt ist, nicht abgeschlossen werden, weil eben auf diesem Gebiet keine Übereinstimmung zu erzielen war.
Bei dieser Sachlage und den von der CDU/CSU- Fraktion in Zusammenhang mit der Aussprache über die Regierungserklärung gemachten Aussagen über die Zweckmäßigkeit und über eine gewisse Notwendigkeit, die einschlägigen Bestimmungen zu ändern, ist es besonders verwunderlich, daß die beiden regierungstragenden Fraktionen diesen Entwurf hier ohne echten Versuch der Abstimmung mit der CDU/CSU-Fraktion eingebracht haben. Hatten Sie, meine Damen und Herren, zunächst noch durch Sie, Herr Hirsch, an uns das Ansinnen herangetragen, die sogenannten Garmischer Beschlüsse als gemeinsamen Antrag vorzulegen, so wurde, bevor wir überhaupt über dieses Ansinnen beraten konnten, bereits der jetzt vorliegende Entwurf unterbreitet und dann auch eingereicht. Wir sind trotz dieser Vorgänge und trotz dieser schnellen Behandlung der Materie durch Sie
({0})
bereit, uns ernsthaft über die neuen Lösungen zu unterhalten und mit Ihnen zu beraten. Wir wundern uns aber, daß diese schnelle Einbringung offensichtlich an der Regierung vorbei und damit auch am Bundesrat vorbei und damit ohne die Möglichkeit einer Stellungnahme durch den Bundesrat vorgenommen worden ist. Daß wir darüber unsere Gedanken haben und uns Gedanken machen, nachdem wir aus den Zeitungen und dem „Spiegel" die Stellungnahme offenbar der Mehrheit in der Regierung zur Kenntnis bekommen haben, werden Sie uns nicht verargen.
({1})
- Ich glaube nicht alles, was im „Spiegel" steht, Herr Kollege Hirsch. Aber daß die Regierung keinen Entwurf vorgelegt hat,
({2})
ist doch wohl unbestreitbar. Oder wollen Sie mir
mit Ihrem Zwischenruf sagen und klarmachen, die
Regierung habe sich mit dem Problem nicht befaßt?
({3})
- Nein, keine Motivforschung!
({4})
Obwohl die Bereitschaft, die Dinge mit Ihnen zusammen zu beraten und zu einem guten Ende zu führen, etwas strapaziert ist, erklären wir ausdrücklich, daß wir mit aller Entschlossenheit, mit aller Bereitschaft gewillt sind, an diesem Entwurf und den anstehenden Problemen auch mit großer Offenheit für alle angesprochenen Fragen mitzuarbeiten, und zwar zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens. Wir sind bereit, jeden Tatbestand zu überprüfen, bei jedem Strafrahmen die notwendige Flexibilität, d. h. den ausreichend breiten Spielraum für die Rechtsprechung zu einer gerechten Einzelstrafe, zu suchen und mitzubestimmen. Diese Bereitschaft enthält aber auch unseren ganz klaren Willen - und das soll am Anfang stehen -, daß die gebotenen Grenzen eindeutig, verständlich, praktikabel und sicher gezogen werden.
Bei dem strafrechtlichen Schutz des Gemeinschaftsfriedens ist zu einem erheblichen Teil der Staat in seiner verfassungsmäßigen inneren Gestalt in nicht geringem Umfang selbst das Schutzobjekt. Es wird nicht verkannt, daß es sich dabei im wesentlichen um die Abgrenzung der verschiedenen Grundrechte zueinander einerseits und die Gewährung dieser Grundrechte durch den Staat andererseits handelt. Auf diese Zuordnung der Grundrechte hat der Herr Kollege Benda soeben schon sehr eindeutig aufmerksam gemacht. Die CDU/CSU-Fraktion mißt der Grundrechtsregelung des Grundgesetzes eine für unsere Gesetzgebung absolut bindende Bedeutung bei. Insofern bejahen wir im Rahmen des Grundgesetzes ausdrücklich das Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, d. h. das Recht zur legalen und auch zur spontanen Versammlung und Demonstration. Das ist also gänzlich unbestritten.
Daß aber diesem Recht die anderen Grundrechte wie die Freizügigkeit jedes Bürgers, die körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Eigentum sowie das Recht, an einer Versammlung nicht teilnehmen zu müssen, entgegenstehen, ist wohl ebenfalls unver712
Erhard ({5})
kennbar. Wir finden keinerlei Anhaltspunkte in der Verfassung, daß das Recht zur friedlichen Demonstration, zur friedlichen Versammlung oder auch zur spontanen Versammlung diesen anderen Rechten irgendwie vorgehen könnte. Ist der Staat aber Garant der Grundrechte, dann muß er die Möglichkeit haben, gegen die unfriedliche Versammlung oder die unfriedliche Demonstration einzuschreiten, um die anderen Grundrechte wirksam zu schützen. Zu diesem Zweck bedarf es sicher auch der strafrechtlichen Bewehrung, also eines funktionsgerechten Strafrechts.
Unsere Beratungen im Ausschuß sollten zügig vorangehen, aber unter allen Umständen mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt werden. Ein Mangel an Gründlichkeit zugunsten der Schnelligkeit wird von uns weder gebilligt, noch werden wir uns dem anschließen können.
({6})
- Um so besser. Wenn wir uns unter diesen skizzenhaften, bildhaften Rahmenvorstellungen mit ihrem konkreten Gesetzentwurf beschäftigen, dann wollen wir das nicht in der Form von strikten Gegenpositionen tun, sondern wir wollen den Weg zueinander finden und es in der From der Fragestellung tun. Mit der Fragestellung sollen die Probleme aufgerissen werden.
Unsere Frage heißt: Die von Ihnen hier vorgelegte Antwort erscheint uns nicht als ausreichende Antwort.
({7})
- Es gibt eine ganze Reihe besserer Vorstellungen. Sie wissen ganz genau, daß auch Ihre eigene Regierung Ihnen Formulierungsvorschläge gemacht hat, die Sie zum großen Teil in den Papierkorb gesteckt haben.
({8})
- Merkwürdig, was ich alles weiß und was Sie nicht wahrhaben wollen.
({9})
- Es braucht ja nicht der Papierkorb zu sein, es kann auch eine abgelegte Akte sein. „Nicht in den Gesetzentwurf übernommen", Herr Kollege Schäfer!
Es fällt uns auf, daß in Ihrem Gesetzentwurf einiges für wenig sorgfältige Vorbereitung spricht. Das fällt uns deshalb wiederum auf, weil wir der Meinung sind, daß die regierungstragenden Fraktionen mit der Formulierungsunterstützung des Justizministeriums eigentlich etwas sorgfältiger arbeiten sollten, mindestens - das will ich einschränken - bei so weittragenden Strafbestimmungsvorschlägen.
Nehmen Sie z. B. den Art. 1 Nr. 5 Ihrer Vorlage: Dort schlagen Sie uns vor, den § 119 StGB - das ist die Bestimmung über den gemeinschaftlichen Forstwiderstand - aufzuheben. Wir haben ihn erst am 25. Juni 1969, unter diesem Datum im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, aufgehoben.
({10}) Warum wollen Sie ihn noch einmal aufheben?
({11})
Oder wenn Sie in § 113 StGB, abweichend von der Systematik des Entwurfs 1962, abweichend von der Systematik und dem Inhalt der Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform und abweichend von den Formulierungsvorstellungen des Justizministerium, den tätlichen Angriff gegen einen Beamten im Rahmen des Widerstandsrechts straffrei machen wollen und dazu in der Begründung Ihres Entwurfs sagen, der nötige Strafschutz sei ja durch den § 223 StGB, durch die Vorschrift, daß die Körperverletzung bestraft wird, gegeben, dann frage ich Sie: Seit wann sind denn Angriff und Körperverletzung dasselbe? Als ob der Beamte, der nur angegriffen wird und dem Angriff, z. B. dem Faustschlag, ausweichen kann, sich auf einmal nicht mehr unter dem strafrechtlichen Schutz befinden dürfte, als ob derjenige, der in sonstiger Weise als Beamter in seinem Vollstreckungsdienst angegriffen wird, aber der echten Körperverletzung ausweichen kann, nunmehr nicht mehr sagen könnte, daß derjenige, der ihn angegriffen hat, dafür eigentlich zur Rechenschaft gezogen werden sollte! Wer soll denn künftig noch Gerichtsvollzieher, wer soll denn nächstens noch Vollstreckungsbeamter sein, wenn Sie ihn in dieser Weise freistellen wollen!
({12})
Oder wollen Sie, daß auf diesem Gebiet das Erfolgsstrafrecht fröhliche Urständ feiert?
({13})
Nehmen Sie also bitte diese Bestimmung noch einmal unter die Lupe.
Zweiter Punkt: Auch das, was in dem Entwurf nicht steht, in früheren Vorschlägen aber zu finden ist, können wir nicht übersehen. Darf ich fragen: Warum haben Sie auf eine Strafandrohung für die Verletzung der ungestörten Rechtsprechung verzichtet? Warum haben sie keine Vorschrift über die Richternötigung?
({14})
Warum fehlt die noch vom Justizministerium für notwendig gehaltene Bestimmung über die Einrichtung und den strafrechtlichen Schutz einer Gerichtsbannmeile? Genügen die Erfahrungen der letzten zwei Jahre immer noch nicht? Und warum hat man im Strafrechtssonderausschuß schon einmal ähnliche Bestimmungen, in diesem Falle mit den Stimmen der sozialdemokratischen Mitglieder, beschlossen?
({15})
Erhard ({16})
Warum hält das Justizministerium sie nach wie vor für richtig, und warum haben Sie sie weggelassen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Emmert? Dr. Müller-Emmert ({0}) : Herr Kollege Erhard, ist Ihnen bekannt, daß die Vorschriften über die Richternötigung und über die Bannmeile, wie sie in den Garmisch-Partenkirchener Beschlüssen vorgesehen waren, von der überwiegenden Mehrheit der Richter abgelehnt worden sind und daß die Richter ausdrücklich darum gebeten haben, diese beiden Vorschriften zu streichen?
Ich bin nach wie vor der Meinung, daß zunächst einmal wir die Verantwortung für die Gestaltung des Rechts tragen und uns in keiner Weise von irgendwelchen Emotionen oder Sorgen der Justiz, die die Rechtsprechung praktisch ausübt, leiten lassen können oder dürfen, Ihnen den notwendigen Schutz nicht zu gewähren.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Wenn es mir von meiner Redezeit nachher abgerechnet wird, bin ich einverstanden.
Das wird Ihnen abgezogen oder vielmehr zugeschlagen. Jetzt also Herr Abgeordneter Müller-Emmert zu einer Zwischenfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß der § 240 StGB, der die allgemeine Nötigung zum Inhalt hat, nicht abgeschafft ist, so daß ein besonderer Tatbestand der Richternötigung eigentlich gar nicht nötig wäre, weil, wenn ein Richter genötigt wird, der Täter ohnehin nach § 240 bestraft wird?
Wenn der Richter mit Erfolg genötigt worden ist - der Versuch ist auch strafbar -, dann haben Sie recht. Der Straftatbestand, der der Sicherstellung der unabhängigen Rechtsprechung dient, setzt aber schon vorher mit dem Schutze ein.
({0}) Das ist auch Ihnen bekannt, Herr Kollege.
Eine zweite und letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. MüllerEmmert.
Herr Kollege, wissen Sie, daß Gewalt und Drohung mit Gewalt die gleichen strafrechtlichen Konsequenzen haben?
Das ist mir völlig bekannt. Ich verstehe bloß nicht, was das in diesem Zusammenhang soll; denn die Richternötigung muß ja nicht unbedingt mit dem Hammer, sie kann auch anders erfolgen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Arndt?
Herr Kollege Erhard, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß gerade diejenigen Länderparlamente, die in den letzten Jahren besonders hart von Demonstrationen bedrängt worden sind, ihre Bannmeilen in den letzten Monaten durch Gesetzesänderung in Erkenntnis der Tatsache verkleinert haben, daß sich die Bannmeile bei der Bekämpfung von Demonstrationen als polizeilich ungeheuer hinderlich erwiesen hat?
Herr Kollege, wenn es im konkreten Falle polizeiliche Erschwernisse zur Bekämpfung sein sollten, ist es richtig, darüber zu sprechen, wie sie konkret gezogen werden soll. Daß die Bannmeile aber gezogen wird, halten wir für unbedingt notwendig. Ich habe nicht gesagt, daß sie einen Kilometer vor dem Gerichtssaal sein soll; sie muß nur so weit davor festgelegt werden, daß das Gericht frei und unabhängig entscheiden kann.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus?
Darf ich Sie bitten, Ihre Frage bei der nächsten Gelegenheit zu stellen, da ich jetzt fortfahren möchte.
({0})
Gestatten Sie, daß ich noch einige Fragen zu besonderen Teilen stelle. Es wäre reizvoll, die einzelnen Bestimmungen auch in ihrer Zuordnung hier sorgfältig auszubreiten, um festzustellen, wie interessant manche Gedankenvorgänge bei Ihnen angestellt worden sind. Wie interessant - mehr will ich vorläufig gar nicht sagen. Ich muß mir das versagen, weil wir in der ersten Lesung sind, und ich will deshalb weitere Fragen stellen.
Die Aufforderung zum Verbrechen und zum Vergehen soll künftig noch unter Strafe gestellt sein. Bisher war nur die Aufforderung zu einer strafbaren Handlung unter Strafe gestellt. Wenn aber diese von Ihnen vorgelegten Entwürfe und Vorstellungen die Ordnungswidrigkeiten und die Übertretungen insofern freihalten wollen, d. h. auch die Aufforderung zur konkreten Ordnungswidrigkeit, also z. B. zum Auflauf, überhaupt nicht mehr irgendwie mit Strafe bedroht sein sollen, weiß ich nicht, wie Sie den öffentlichen Frieden, eben diesen Gemeinschaftsfrieden, im Konfliktsfalle aufrechterhalten wollen.
Warum wollen Sie unter der Bestimmung des Widerstandes den geschützten Personenkreis nicht,
Erhard ({1})
wie bei allen Beratungen seither für erforderlich gehalten, erweitern? Der § 113 StGB ist doch zu eng. Haben Sie bedacht, daß die vorgesehene Irrtumsregelung in diesem Zusammenhang und auch im Rahmen der Bestimmungen über den Landfriedensbruch die Gefahr heraufbeschwört, daß der handelnde Beamte im Konfliktsfalle in gewissem Umfang rechtlos gestellt wird? Glauben Sie nicht, es müsse den betroffenen Bürgern zugemutet werden, bei Gefahr der Bestrafung der behördlichen Anordnung zunächst nachzukommen,
({2})
weil davon auszugehen ist, daß sich unsere Beamten an Recht und Gesetz halten, und nicht umgekehrt davon auszugehen ist, daß der Konflikt zwischen dem Beamten und dem einzelnen im konkreten Fall auf der Straße ausgetragen werden könnte?
({3})
Ich knüpfe hier an Ihr Beispiel an, Herr Kollege Müller-Emmert, das Sie dazu gebracht haben. Wenn der Betreffende, der von dem Beamten als ein vermeintlicher Mörder erkannt wird, nicht festgenommen werden kann,
({4})
nicht festgenommen werden könnte, wie Sie das darzustellen versucht haben, wären wir am Ende der wirksamen Strafverfolgung.
({5})
Der Bundesgerichtshof hat jedenfalls erst am 23. Juli 1969 zu diesem Problem ausgeführt, dies - nämlich daß der Bürger zunächst folgen muß - gebiete das berechtigte Bedürfnis der staatlichen Ordnung, dem sich der einsichtige Bürger auch beugen müsse. - Wollen Sie wirklich einer solchen Änderung das Wort reden, die nach meiner Auffassung und nach unserer Auffassung zum Faustrecht auf der Straße führt?
Meinen Sie wirklich, daß die Strafvorschrift des § 114 StGB - Beamtennötigung - durch den allgemeinen Nötigungstatbestand überflüssig sei? Es kann Ihnen doch nicht entgangen sein, daß bei dem Straftatbestand der Beamtennötigung die Relation zwischen Mittel und Zweck, die die Vorschrift über die allgemeine Nötigung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit voraussetzt, unmöglich entbehrt werden kann, d. h. daß wir unmöglich diese Relation auf den Tatbestand der Beamtennötigung übertragen können und dürfen, weil dann ja der Beamte jedem Druck und jeder Nötigung ausgesetzt wäre.
({6})
Über die Streichung des § 115 StGB - Aufruhr - lassen wir mit uns reden, wenn wir zu der Systematik zurückkehren können, die in der bisherigen Beratung und im Entwurf 1962 Gegenstand der Vorstellung gewesen ist. Es müßte aber beachtet werden, daß der Aufruhrtatbestand nur dann entbehrlich ist, wenn sowohl im Rahmen der Widerstandsvorschriften wie auch der über den Landfriedensbruch systematisch wie praktisch die notwendige Effektivität erhalten bleibt. Ich wiederhole: die notwendige Effektivität. Das heißt, es muß der Rechtsfrieden gewahrt bleiben.
Die von Ihnen vorgesehene Bestimmung über den Landfriedensbruch - § 125 - hat bei mir einen ganz erheblichen Schrecken ausgelöst. Es ist kein Massendelikt mehr - nach dem Wortlaut, den Sie vorschlagen -; hier wird das Recht auf den Kopf gestellt: zwischen der Überschrift und dem, was darunter kommt. Sie halten es nur noch für eine Spezialvorschrift für sonstige Täter, die auch schon etwas anderes verbrochen haben. Wenn künftig nur noch verfolgt und bestraft werden kann, wer eigenhändig Gewalttätigkeiten verübt oder an solchen Gewalttätigkeiten in Form von Anstiftung oder Beihilfe teilnimmt, dann ist gegen diese Massendelikte nicht mehr wirksam anzugehen.
({7})
Warum eigentlich wollen Sie den Rädelsführer, der selbst nicht die konkrete Gewalt verübt hat, nicht mehr unter die Strafdrohung stellen?
({8})
- Nein, lesen Sie mal Ihre Vorschriften! Der fällt eben genau nicht darunter. Sie haben den Rädelsführer nur noch dann in der Strafe darin, wenn er gleichzeitig Täter, d. h. z. B. Steinwerfer ist.
(Zurufe von der SPD: Nein! - Irrtum! ({9})
- Herr Kollege Arndt, Sie haben den Entwurf offenbar nicht richtig gelesen.
({10})
Wie ist das eigentlich bei diesem Vorschlag mit dem Schreibtischtäter? Soll er künftig zusätzlich von jeder Strafdrohung in diesem Zusammenhang freigestellt werden? Ich will hoffen, daß es sich hier um nicht gewollte Mißverständnisse der Antragsteller und nicht um den politischen Willen handelt.
({11})
Die planenden und organisierenden Hintermänner müssen auf jeden Fall mit schärferer Strafe belegt werden als die kleinen mißbrauchten oder über das Ziel hinausspringenden Ausführenden.
({12})
- Ich habe ihn richtig gelesen.
({13})
Wir sind der Meinung, daß Sie aus der Praxis die nötigen Anhaltspunkte entnehmen können, daß Spontanversammlungen und Demonstrationen nur dann aufgelöst wurden, wenn neben erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewalttätige Ausschreitungen unmittelbar zu befürchten waren. Eine wirkungsvolle Abwehr solcher Gefahren im Vorfeld schwerer Straftaten ist aber
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode
Erhard ({14})
kaum noch gewährleistet, wenn wir Ihrem Vorschlag folgen und den Auflauf von dem Zeitpunkt an, wo er rechtswidrig wird - und das ist nach dreimaliger rechtmäßiger Aufforderung zum Auseinandergehen nur noch als Ordnungswidrigkeit bezeichnen. Ist die Vorbeugung gegen schweren Rechtsbruch zum Schutze des friedlichen Zusammenlebens der Bürger sowie deren Gesundheit und Eigentum wirklich nicht mehr zentrales Anliegen, das strafrechtlichen Schutz verdient?
({15})
Aus welchem Grunde, meinen Sie, haben die Schweden denjenigen mit abgestuften Strafdrohungen versehen, der an einer zusammengerotteten Menschenmenge teilnimmt und nicht auf Befehl der öffentlichen Gewalt die Ansammlung verläßt? Eine Aufforderung genügt in Schweden. Bei uns drei! Warum, meinen Sie, genügt auch in der Schweiz als Strafbarkeitsvoraussetzung das Sich-nicht-Entfernen nach einmaliger behördlicher Aufforderung?
({16})
- In der Schweiz, Herr Kollege Arndt, wird auch das bloße Dabeisein, allerdings erst nach Nichtbefolgen der behördlichen Aufforderung, zum kriminellen Tatbestand, nicht zum Ordnungswidrigkeitstatbestand. Ganz ähnlich sind die Regelungen in Norwegen, in Österreich, in Frankreich. Überall genügt, wenn überhaupt vorgeschrieben, das Nichtbefolgen der einmaligen Aufforderung, die Zusammenrottung zu verlassen. Ich wiederhole: bei uns mull dreimal aufgefordert werden. Und auch das soll noch abgemildert werden?
Wir wünschen und hoffen, daß ein Gesetz zustande kommt, das jeder bekannten Form von Gewalttätigkeit und den vorgestellten Aktionen von Terror gerecht wird, ganz gleich, von wem und von welcher Seite, also auch bei Terror, der z. B. gegen eine eventuelle Anerkennung der DDR oder durch Rechtsradikale entstehen könnte. In jedem Falle muß auch morgen und auch dann, wenn dieses Gesetz Wirksamkeit erhält, der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat geschützt sein.
({17})
Wir gehen von folgenden Vorstellungen aus. Aus dem Recht zur friedlichen Versammlung kann kein Recht zu unfriedlicher Demonstration hergeleitet werden.
({18})
Die Anerkennung eines Vorrechts im Rahmen von Demonstrationen gegenüber den geschützten Grundrechten anderer liefe auf die Legalisierung eines von militanten Minderheiten geübten Terrors hinaus, welche mit der auf dem Mehrheitsprinzip fußenden demokratischen Verfassung und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schlechthin unverträglich ist.
({19})
So hat es der Bundesgerichtshof entschieden, so
sollten wir es uns im Gedächtnis behalten. Wenn
wir davon ausgehen, werden wir kein Recht schaffen, das in seiner praktischen Auswirkung keine Amnestie mehr notwendig macht, weil keiner mehr bestraft werden wird.
({20})
Das Wort hat Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für mich eine nicht ganz leichte Aufgabe, zu erwidern, und zwar deshalb, weil ich die Antwort sowohl auf die Ausführungen von Herrn Benda wie auf die Ausführungen von Herrn Erhard geben möchte; und die unterscheiden sich außerordentlich.
Herr Benda hat mit Recht auf die großen Spannungen hingewiesen, die in diesen juristischen Problemen enthalten sind, Spannungen, da es um verschiedenartigste Grundrechte geht. Es geht auf der einen Seite um das Grundrecht der Versammlungsund Demonstrationsfreiheit. Dabei setzen wir uns aber - wir haben nie Anlaß gegeben, daran zu zweifeln - nur für friedliche Demonstrationen ein. In gar keiner Weise sollen Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen gedeckt werden.
({0})
Das hat Herr Müller-Emmert mit aller Deutlichkeit vorgetragen. Es geht auch aus unserem Entwurf hervor.
({1})
- Herr Hauser, es geht auch aus den Protokollen über die Garmischer Tagung hervor. Nie konnte davon die Rede sein, daß Gewalttätigkeiten gedeckt werden sollten.
({2})
Herr Kollege Benda, ich verstehe Ihre Sorgen über die Sprengstoffanschläge in Berlin. Als Berliner Bürger muß Ihnen das Sorge bereiten. Es bereitet aber auch uns allen Sorge, daß derartige Gewalttätigkeiten geschehen. Ich habe nur den einen Wunsch, daß diese Verbrechen möglichst bald aufgedeckt werden und daß die Täter, die solche Verbrechen begehen, die Leben und Gesundheit der Menschen gefährden, entsprechend zur Verantwortung gezogen werden.
({3})
Herr Kollege Benda, in dem, was Sie ausgeführt haben, sind wir uns weitgehend einig.
({4})
- Zunächst spreche ich jetzt zu dem Antrag Drucksache 157, Herr Kollege Lenz.
Sie, Herr Benda, sagen: Wie ist die politische Wirklichkeit? Wir wollen wissen, wie die Gesetze auf diese politische Wirklichkeit abzustimmen sind.
- Das ist auch die Auffassung der Regierungsparteien.
Eines wundert mich allerdings. In Ziffer 1 Ihres Antrages stellen Sie lediglich auf Aktionen seit der Bundestagswahl ab. Ich glaube, wenn man die politische Wirklichkeit sehen will, darf man den Blick nicht nur auf die kurze Zeit seit der Bundestagswahl richten. Wir müssen uns vielmehr vergegenwärtigen, daß die ersten Demonstrationen im Jahre 1966 eingesetzt haben. Wir müssen uns daran erinnern, daß dieses Thema schon einmal im Min 1968 im Zusammenhang mit der Verabschiedung des politischen Strafrechts - damals sprach Kollege Arndt zu diesen Fragen; es ging um die Amnestie auch für diese Demonstrationstäter - zur Dikussion gestanden hat. Das Problem ist älter. Wir sind der Meinung, daß wir uns, bei den Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform eingehend mit den Fragen befassen müssen: Wie viele Verfahren sind jetzt anhängig? Wie viele Verfahren sind zu erwarten? Welche Urteile wurden ausgesprochen?
Eine Zwischenfrage.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus ({0}) Bitte, Herr Kollege Benda!
Frau Kollegin DiemerNicolaus, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir natürlich über den Inhalt unseres Antrags hinaus sehr gern jede zusätzliche Information entgegennehmen, daß uns aber in erster Linie der Zeitraum interessiert, für den die gegenwärtige Bundesregierung die politische Verantwortung trägt, und das ist die Zeit seit der Bundestagswahl oder, präziser gesagt, seit dem Tage der Bildung dieser Bundesregierung?
Herr Kollege Benda, ich nehme gern zur Kenntnis, daß Sie mit einer weiteren Aufklärung einverstanden sind. Sie hatten auch angesprochen, daß von seiten der Bundesregierung alles getan werden muß, damit derartige Straftaten, die nach wie vor strafbar sind und strafbar bleiben werden, aufgedeckt und verfolgt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Ausführungen hinweisen, die in der Regierungserklärung bezüglich des Ressorts des Innenministers, Herrn Genscher, enthalten sind. Ich möchte ferner auf das hinweisen, was Herr Genscher in der Zwischenzeit getan hat, um die Möglichkeiten zu verstärken, solche Verbrechen aufzudecken. Auch von der Bundesseite her muß mehr getan werden - z. B. Verstärkung des Bundeskriminalamtes -, um Verbrechen und Vergehen nachzugehen. Eigentlich sollten Sie das doch unterstützen.
Bei diesen Demonstrationsdelikten darf man aber nicht den historischen Ablauf vollkommen übersehen. Man muß sich auch fragen: Haben diese Delikte zugenommen oder abgenommen, sind sie im Abklingen oder im Zunehmen?
Sie stellen dann mit Recht die Frage: Sind die jetzt bestehenden Gesetze verfassungskonform auszulegen? Wie sieht es denn damit aus, meine Damen und Herren? Gerade deshalb, weil der Gesetzgeber die Richter, aber auch die Polizei und die Demonstranten hinsichtlich der notwendigen Abgrenzung im Spannungsfeld der verschiedenen Grundrechte bisher im Stich gelassen hat, kommt es doch zu den so sehr unterschiedlichen Urteilen. Aus diesem Grunde ist doch der Sachverhalt zu verzeichnen - Herr Müller-Emmert hat das vorhin vorgetragen -, daß für eine etwa gleiche Handlung in dem einen Fall ein Freispruch erfolgt und im anderen Fall eine Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren ohne Bewährung ausgesprochen wird. Auch die Diskussion über die Demonstrationsdelikte in der Presse - auch in der Fachpresse - hat gezeigt, daß dies nicht so weitergehen kann und daß der Gesetzgeber hier eine Aufgabe zu erfüllen hat.
Herr Kollege Erhard, Sie haben heute zu den Einzelheiten des Entwurfs gesprochen. Ich bedauere, daß Sie in Garmisch nicht dabei waren; vielleicht hätten Sie dann manche Ausführungen nicht gemacht. Ich darf Sie aber einmal in kollegialer Offenheit auf folgendes hinweisen. Sie sind ja kein so junger Parlamentarier mehr. Ich erinnere mich, daß ich, als ich seinerzeit erst kurz im Bundestag war, für meine Fraktion zu einem Gesetz sprechen mußte. Ich ging damals, so wie Sie es eben getan haben, auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs ein. Als ich dann zu meinem Platz zurückging, kam unsere damalige Alterspräsidentin Frau Dr. Lüders zu mir und sagte: „Hören Sie mal, so geht das nicht. In einer ersten Lesung wird zu den allgemeinen Problemen gesprochen, aber nicht zu den sachlichen Einzelheiten." Die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, betreffen vielfältige Einzelheiten, die in die folgenden Ausschußberatungen gehören. Sie werden deshalb sicher verstehen, daß ich zu dieser vorgerückten Stunde nicht auf alle von Ihnen vorgebrachten Einzelheiten eingehen werde. Auf der einen Seite haben Sie es bedauert - ({0})
- Herr Kollege Hauser, könnten Sie Ihren Zwischenruf in eine Frage am Mikrophon kleiden? Dann könnte ich ihn verstehen und antworten.
({1})
Sie, Herr Erhard, haben bedauernd gefragt: „Warum ist nicht versucht worden, eine Abstimmung mit uns vorzunehmen?", und Sie haben auf die sogenannten Garmischer Beschlüsse hingewiesen. Es ist eine Tatsache, daß die CDU in der letzten Legislaturperiode - es war an und für sich fest zugesagt, daß diese so dringend notwendige Reform bei den Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden noch in der letzten Legislaturperiode erfolgen sollte -, als in Berlin die zweite Lesung im Sonderausschuß erfolgen sollte, erklären ließ, daß sie nicht bereit sei, an der zweiten Lesung dieser Garmischer Beschlüsse noch eimal mitzuarbeiten,
({2})
und daß sie damals erklärte, bevor hier überhaupt
eine Reform erfolge, müßten die Polizeigesetze der
Länder reformiert werden. Wenn wir natürlich darFrau Dr. Diemer-Nicolaus
auf warten, müssen wir diese Beratungen für sehr, sehr lange Zeit verschieben, was einfach nicht mehr erträglich ist.
({3})
Ich gebe Ihnen in einem recht, und zwar in folgendem: Wenn wir dieses Gesetz so machen, wie wir es für richtig erachten, werden einige Länder ihre Polizeigesetze so ändern müssen, daß sie ihre entsprechenden polizeilichen Aufgaben wahrnehmen können. Sie haben gesagt: Warum wurde am Bundesrat vorbeigegangen? Die Länder haben schon in der letzten Legislaturperiode eingehend zu all diesen Problemen Stellung genommen, sie hatten deshalb zentrale Tagungen, sie sind in Garmisch vertreten gewesen. Deswegen war es in diesem Falle, weil es darauf ankam, diese Reform sehr schnell durchzuführen, durchaus angebracht, daß ein Initiativentwurf aus dem Hohen Hause vorgelegt wurde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Frau Diemer-Nicolaus, w nn es in der letzten Legislaturperiode, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich war oder jedenfalls nicht geschah, daß die Garmischer Beschlüsse hier zur Abstimmung gestellt wurden, besteht dann ein Anlaß, nunmehr ganz andere, jedenfalls in wesentlichen Punkten andere Entwürfe bzw. Details im Entwurf vorzulegen? Wenn ja, welche?
Wenn ja? Ich bin der Auffassung: ja. Ich habe durchaus Verständnis dafür, daß damals innerhalb einer Großen Koalition gewisse Kompromisse unter den Koalitionspartnern geschlossen wurden, die sich in den Garmischer Beschlüssen widerspiegelten. An Hand der Abstimmungen im Ausschuß werden Sie feststellen, daß diese Kompromisse damals in vieler Hinsicht nicht meiner Auffassung entsprachen. Derartige Zugeständnisse fallen natürlich weg, wenn derartige Koalitionen nicht mehr vorhanden sind. Dadurch hat natürlich auch die SPD in vollem Umfang ihre Freiheit wiedergefunden, und zwar eine Freiheit, die dahin geht, ein echtes liberales Gesetz zu machen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Gnädige Frau, sind Sie der Auffassung, daß die Stellungnahme der Fraktionen dieses Hauses zu Fragen des Strafrechts mit der Koalition wechselt?
Herr Kollege, Sie wissen, wir haben uns bei allen Strafrechtsberatungen in der letzten Legislaturperiode Mühe gegeben - auch die FDP als Oppositionspartei - nach Möglichkeit zu für alle tragbaren Beschlüssen zu kommen. Daß es nicht immer in vollem Umfang möglich war, wissen Sie ja aus der Verabschiedung der Strafrechtsreformgesetze. Nachdem jetzt leider so viele Monate ohne Reform verstrichen sind, wird man natürlich genau überlegen, was in der Zwischenzeit von der Allgemeinheit, auch von den Fachjuristen, an Kritik an diesen Garmischer Beschlüssen gekommen ist. Natürlich steht es jedem neuen Bundestag und jeder neuen Fraktion im Bundestag frei, bessere Erkenntnisse nachher in Gesetzesform zu bringen.
Wir hoffen darauf auch jetzt, trotz den Ausführungen von Herrn Erhard. Ich habe allerdings Zweifel, ob er, wenn er sich mit dem Problem so eingehend befaßt, wie die Mitglieder des Sonderausschusses es in der letzten Legislaturperiode schon getan haben, erkennt, daß die Reihe von Fragen, die er als Einwendungen gestellt hat, in dieser Form nicht stichhaltig sind. Aber vielleicht kommt es im Ausschuß doch noch zu einer Einigung. Wir werden die Hoffnung, entsprechend zu überzeugen, nicht aufgeben.
Auf der anderen Seite sind wir in den Ausschußberatungen natürlich auch zu Verbesserungen bereit, wenn sich zeigen sollte, daß an unserem Entwurf nicht alles hundertprozentig ausgearbeitet ist. Jetzt fangen Sie an, uns vorzuwerfen, wir hätten bei § 119 übersehen, daß diese Bestimmung bei der Strafrechtsreform bereits gestrichen worden ist. Das ist kein so schweres Unglück. Das nehme ich nicht so tragisch. Dafür sind wir keine Ministerialbeamte, sondern Abgeordnete, die nicht immer alles noch einmal in allen Einzelheiten nachprüfen, wenn es sich um Nebensächlichkeiten handelt. Wir wollten ja nichts anderes als das, was schon beschlossen ist.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lenz? - Bitte!
Sehr verehrte gnädige Frau, können Sie mir Ereignisse seit Verabschiedung der Garmischer Beschlüsse nennen, die den Schluß rechtfertigen, daß eine bedeutende Senkung der Schwelle für die Strafbarkeit bei Delikten gegen den öffentlichen Frieden angezeigt ist?
Herr Kollege Lenz, wenn Sie die juristischen Fachzeitschriften verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, daß gerade die Formulierung des § 125 über Landfriedensbruch eine außerordentliche Kritik erfahren hat und daß wir uns deshalb bemüht haben, eine Fassung zu finden, die in keiner Weise Gewalttätigkeiten, Gewalt gegen Personen und Sachen, irgendwie von einer Strafbarkeit ausnimmt, sondern sie im Gegenteil strafbar läßt. Aber wir wollen den Kreis der Personen, die sobestraft werden, auf die Gewalttäter und die Teilnehmer an Gewalttaten beschränken und nicht auch diejenigen bestrafen, die dabeigewesen sind, sich aber an Gewalttätigkeiten nicht beteiligt haben. Das kam aber auch schon in
den Beratungen in Garmisch zum Ausdruck. Damals wurde nach Formulierungen gesucht, wie man diese Abgrenzung entsprechend vornehmen könnte. Nach unserer Meinung haben wir insofern jetzt die bessere Lösung gefunden.
({0})
Herr Kollege Erhard hat in dieser Hinsicht beim Landfriedensbruch auf die Rädelsführer, die Hintermänner und die Schreibtischtäter hingewiesen; sie würden nicht mehr bestraft. Herr Kollege Erhard, das ist nicht so. Natürlich wird sich jeweils die individuelle Schuld in dem Strafmaß ausdrücken, und ein entsprechendes Strafmaß für eine gegebenenfalls exemplarische Strafe ist vorhanden. Rädelsführer sind ja dann auch Anstifter, die _selbstverständlich auch über die Teilnahmebestimmungen belangt werden. Sie dürfen die allgemeinen Teilnahmebestimmungen, die nicht in § 125, sondern im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches stehen, insofern doch nicht außer acht lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage - Bitte!
Frau Kollegin, Sie haben eben zwischen der Sorgfaltspflicht der Abgeordneten und derjenigen der Beamten unterschieden. Muß ich daraus schließen, daß Sie meinen, der Gesetzgeber könne weniger sorgfältig arbeiten als der Beamte?
Frau Dr. Diemer-Nicolaus ({0}); Nein, Herr Kollege. Aber das eine wissen Sie ganz genau: daß natürlich, wenn Ministerialbeamte Gesetze ausarbeiten, sie erstens einen ganz anderen wissenschaftlichen Mitarbeiterstab zur Verfügung haben als wir Abgeordneten; daß sie dadurch zweitens in der Lage sind, die ganze Verästelung der Gesetze zu übersehen und zu überprüfen. Als Abgeordnete muß ich Ihnen sagen, daß natürlich auch die Technik der Gesetze bei den Ministerialbeamten durchschnittlich besser ist als bei uns Abgeordneten. Das haben wir ja in dieser Form nicht gelernt.
Eine weitere Zwischenfrage.
Frau Kollegin, wäre es nicht gerade bei einem so wichtigen Gesetz notwendig, daß alle diese Punkte schon bei Einbringung eines Entwurfs geklärt werden, so daß man sie nicht erst während der Debatte zu hören bekommt?
Herr Kollege, daß § 119 zufällig noch einmal aufgeführt worden ist, halte ich nicht für ein Kapitalverbrechen. Ich möchte ganz klar sagen: wo es sich um die echten Fragen handelt, ist genügend geklärt worden. Da drückt sich unsere politische Meinung klar in den Gesetzestexten aus.
({0})
Wenn von seiten des Herrn Kollegen Erhard - ich gebe jetzt nur die Quintessenz wieder - so getan wird, als wäre bei der Verwirklichung des Gesetzesvorschlages der Koalitionsparteien kein wirksamer Schutz mehr für die Bürger gegeben, so möchte ich mit aller Deutlichkeit klarstellen, daß das in gar keiner Weise zutrifft.
Es überrascht mich außerordentlich, daß Sie - obwohl Sie vorher sagten: Wir sind bereit, hier mitzuarbeiten und zu gemeinsamen Lösungen zu kommen - noch nicht einmal bereit sind, den Auflauftatbestand von einer kriminellen Handlung in eine Ordnungswidrigkeit umzuwandeln. Solange Demonstrationen oder sonstige Ansammlungen zunächst friedlich sind, aber drohen unfriedlich zu werden, genügt Art. 2, genügen die Möglichkeiten des Versammlungsgesetzes und der Polizeigesetze, um sie aufzulösen.
Wenn einer dann dieser polizeilichen Aufforderung nicht nachkommt, Herr Kollege Erhard, dann handelt er ordnungswidrig und muß mit einer entsprechenden Geldbuße rechnen, die sogar ziemlich saftig sein kann. Wir haben uns aber Mühe gegeben, zwischen einer echt kriminellen Handlung, so wie sie nach wie vor beim Landfriedensbruch gegeben ist, und dem, was nur eine typische Zuwiderhandlung gegen polizeiliche Maßnahmen, also eine Ordnungswidrigkeit ist, zu unterscheiden. Ich erinnere Sie insofern auch an die Beratungen im Zusammenhang mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz.
({1})
- Ja.
Herr Abgeordneter Erhard, bitte!
Frau Kollegin, wären Sie bereit, uns zu erläutern, wen Sie bei 100 zusammengerotteten Leuten, aus deren Mitte alle fünf Minuten ein Stein geworfen wird, nach Ihrem Entwurf als Täter ansehen?
Denjenigen, von dem festgestellt wird, daß er Steine geworfen hat, und denjenigen, der ihn gegebenenfalls in dieser Hinsicht gedeckt und ihm die Möglichkeit gegeben hat, in dieser Art und Weise eine Gewalttätigkeit zu begehen. Aber das ist ja schon wieder Landfriedensbruch; wir waren beim Auflauf, Herr Kollege.
({0})
- Ich hatte gerade über Ihre Vorstellungen in bezug auf den Auflauf gesprochen.
Sie haben noch darauf hingewiesen, daß entgegen den Garmischer Beschlüssen keine gerichtliche Bannmeile mehr vorgesehen ist und daß keine besondere Bestimmung für Beamtennötigung und für Richternötigung vorhanden ist. Das Zwiegespräch zwischen Herrn. Kollegen Müller-Emmert und Ihnen hat schon gezeigt, daß die Richter diese Sonderstellung selbst gar nicht wollen.
Die Frage, die ich Ihnen vorhin stellen wollte, bezog sich auf die Bannmeile. Wenn Sie sich schon über die Auffassung der Richter, also der davon betroffenen Personen, hinwegsetzen, muß ich Sie fragen, wollen Sie sich auch in dieser Weise bei der Schaffung einer Bannmeile darüber hinwegsetzen, daß die Länder dagegen sind, weil es nämlich vollkommen unpraktikabel ist? Sie könnten nicht alle Gerichte zu jeder Zeit mit einer Bannmeile umgeben. Dies müßte von Fall zu Fall geschehen, aber das ist praktisch überhaupt nicht durchzuführen. Insofern genügen auch die Bestimmungen im Versammlungsgesetz, und die Möglichkeiten, die die Polizei hat, gegen solche Demonstrationen im Bereich der Gerichte vorzugehen, wenn die Gefahr besteht, daß sie in Unfriedlichkeiten ausschlagen. - Meine Zeit ist jetzt fast um; ich möchte daher keine Frage mehr zulassen.
Wir Freien Demokraten bejahen den parlamentarischen Rechtsstaat. Das ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich sehen wir aber auch die Rechte des Bürgers und nicht nur die der Obrigkeit.
Angesichts dieser unserer Bejahung des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates und der Grundrechte, die dem einzelnen Bürger zustehen und die ihn auch bei Demonstrationen schützen, ist es vielleicht nicht ganz hoffnungslos, daß Sie doch noch Lösungen Ihre Zustimmung geben, die Sie im Augenblick nicht glauben mittragen zu können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vorweg eines bemerken. Nachdem sich das Haus schon ziemlich geleert hat, möchte ich mich an die Regel halten, daß in der ersten Lesung nicht ein juristisches Kolleg fabriziert werden sollte. Ich meine, es sollte genügen, wenn allgemeine Theoreme zum besten gegeben werden.
({0})
Zunächst zu den Ausführungen von Herrn Benda.
Ich darf für meine Fraktion sagen, Herr Benda, daß wir im Grunde voll Ihrer Meinung sind und nur das unterstreichen können, was Sie ausgeführt haben. Wir sind wie Sie der Auffassung, daß das Reformieren der Demonstrationsdelikte einer allgemeinen Aufhellung bedarf. Hier muß der Hintergrund klargelegt werden. Wir vertreten ebenso die Auffassung - ich bin besonders dankbar, daß Sie das geklärt haben -, daß man nicht die Bombenlegerei in Berlin mit den Demonstrationsdelikten in eine Tasse werfen kann.
Letztlich muß natürlich geklärt werden, in welchem Zusammenhang die Art. 5, 8 und 21 des Grundgesetzes mit dem Art. 2 stehen. Weil aus den derzeitigen Gesetzen, wir wir glauben, bisher nicht genügend Klarheit gelesen werden kann, haben wir ja diese Novelle eingebracht.
In einem stimmen wir mit Ihnen nicht überein. Da das, was Sie gesagt haben, und das, was wir erklärt haben, „zwei Seiten desselben Problems" sind - ich darf sie nocheinmal zitieren -, glauben wir, daß das, was Sie hier vertreten haben, dem Strafrechts-Sonderausschuß überwiesen werden sollte. Dort muß und wird das, was Sie wissen wollen, zu einem Teil geklärt werden. Außerdem können da noch bei einzelnen Punkten Verbesserungen angebracht werden. Ich verweise nur auf Punkt 1, Herr Benda, wo wir die Auffassung vertreten werden, daß es wohl kaum genügen wird, lediglich von der Zeit der Bundestagswahl bis zum Zeitpunkt des 15. Februar zu prüfen, wie die Demonstrationsdelikte sich entwickelt haben.
Ich darf deswegen nach § 99 der Geschäftsordnung den förmlichen Antrag stellen, den Antrag Drucksache VI/157 dem Strafrechts-Sonderausschuß zu überweisen.
Nun zu den Ausführungen von Herrn Erhard.
Erstens. Herr Erhard, wir freuen uns, daß Sie - wenn ich Sie recht verstehe - das Angebot einer Mitarbeit unterbreitet haben. Auf Grund Ihrer Detailausführungen habe ich bloß einzelne Zweifel, ob das möglich sein wird. Wir von der SPD- Fraktion sind in dieser Hinsicht jedenfalls völlig offen. Wir meinen, es wäre wirklich günstig, wenn das ganze Haus hinter einer Reform der Demonstrationsdelikte stünde.
Zweitens. Wir haben den Entwurf von der Fraktion her eingebracht - ich sage das ganz offen -, weil wir die Meinung vertreten, wir sollten möglichst bald eine Reform bringen. Wenn der Entwurf erst von der Regierung aus in den Bundesrat gegangen wäre, hätten wir sicher mit einer Verzögerung von zwei Monaten rechnen können. So aber, glauben wir, können wir die Angelegenheit beschleunigen.
({1})
- Übrigens darf ich nachtragend noch eines sagen, um das klarzustellen. Wir hatten Herrn Benda unseren Entwurf in einem Schreiben unterbreitet. Die Gelegenheit, ihm zuzustimmen, war an sich gegeben. Zugegebenermaßen war die Zeit sehr, sehr kurz bemessen. Aber auch wir waren in einer gewissen Zwangslage, um noch vor Weihnachten die erste Lesung durchführen zu können.
Herr Erhard hat uns ein bißchen vorgeworfen, daß wir unseren Gesetzentwurf sehr hastig und schnell und vielleicht unsorgfältig zusammengebastelt hätten. Dazu grundsätzlich eines: Die Detailarbeit wird in den Ausschüssen unter Mithilfe der Ministerien geleistet. Aber wenn ich Ihre Ausführungen repetiere, meine ich, haben Sie, Herr Erhard, vielleicht an einigen Bestimmungen etwas vorbeigelesen. Ich darf den § 113 nehmen. Natürlich wird auch nach unserem Vorschlag nach § 113 der bestraft, der nach einem Polizeibeamten mit einem Stein wirft, auch wenn der Polizeibeamte auf die Seite treten sollte. Denn das wäre ja schon Gewaltanwendung.
Wir haben dem § 113 nur eine Fassung gegeben, die es dem Bürger gestattet, wenn er sich irrt, zu einer milderen Strafe zu kommen, weil wir nicht ein720
sehen, daß das Wort Rechtmäßigkeit eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sein soll. Wenn der Polizeibeamte sich ohne Wirkung irren darf, soll sich auch - das meinen wir jedenfalls der betroffene Bürger irren können.
Darf ich eine Frage stellen?
Bitte!
Halten Sie im Rahmen des Widerstandes jeden Angriff für Widerstand? Daß das Gewalt ist, ist unbestritten. Aber die Gewalt muß zum Widerstand führen. Deswegen hat der bisherige § 113 außerdem den Angriff gegen die Person des Beamten zum Gegenstand. Das haben Sie weggelassen. Warum?
Dr. de With ({0}) Grundsätzlich würde ich Ihnen zustimmen. Aber ich meine, es würde zu weit führen, das im einzelnen zu erörtern. Wir sind immer noch in der ersten Lesung. Sie fragen, wieso wir nicht den Vorschlag unterbreitet haben, die Bannmeile für Gerichte -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus?
Bitte!
Herr Kollege, ist es nicht so, daß gerade der Wegfall der objektiven Bedingung der Strafbarkeit von der Rechtswissenschaft als eine absolute Verbesserung gegenüber dem bisherigen § 113 aufgefaßt wird, und daß die Irrtumsregelung der entspricht, die wir bereits bei der Reform des Allgemeinen Teils im Zweiten Strafrechtsänderungsgesetz vorgenommen haben?
Natürlich, ich stimme Ihnen voll zu. Welzel hat schon lange gefordert, daß hier die objektive Bedingung der Strafbarkeit wegfällt. Ich meine, daß ich das, was Sie hier fragenderweise gesagt haben, nur unterstreichen kann.
Aber noch einmal zurück zur Bannmeile. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was in der 150. Sitzung des Sonderausschusses für Strafrechtsreform der sicher nicht zu unserer Couleur zählende Ministerialrat Dr. Kießling aus Bayern ausgeführt hat. Er hat gesagt:
Eindeutig sei von den Innenministern die Auffassung vertreten worden, daß die Bannmeilenregelung nicht auf andere Gerichte ausgedehnt werden sollte. Erstens sehe sich die Polizei nicht in der Lage, Bannmeilen in einem solchen Umfang zu schützen. Und auch eine polizeilich nicht geschützte Bannmeile werde Demonstrationen und auch Demonstrationsexzesse in diesen Bereichen nicht verhindern. Zweitens sei zu befürchten, daß bei einer Erstreckung der Bannmeile auf bestimmte Gerichte auch andere staatliche Stellen Bannmeilen verlangen würden. Drittens stände ein etwaiger polizeilicher Schutz einer Bannmeile mehr oder weniger auf dem Papier, da es für Demonstranten ein Leichtes wäre, die Bannmeile einzeln oder in kleinen Gruppen zu verletzen, etwa unter dem Vorwand, an einer Verhandlung teilnehmen zu wollen, um dann nach einem vorher verabredeten Plan im Innern eine Demonstration zu beginnen.
So Herr Kießling vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz.
Zum Problem des Auflaufs. Ich glaube, ich muß hier vorbeugend eines sagen. Wir müssen uns davor hüten, zu glauben, daß eine Ordnungswidrigkeit im Vergleich zu einer strafbaren Handlung etwas Schlechteres, etwas weniger Gutes wäre. Meiner Meinung nach ist das hier im Zusammenhang mit den Demonstrationsdelikten nur ein Aliud. Wenn wir deswegen den Auflauf zur Ordnungswidrigkeit machen - und ich denke, daß im Kern das, was bisher im Auflauf geregelt ist, eigentlich nur die Ruhe und Ordnung schützt, also Polizeirecht ist -, dann hindert das nicht, wenn die Ordnung und Ruhe gestört werden, entsprechend vorzugehen. Aber wir meinen, das muß dem Charakter nach aus dem StGB herausgenommen werden.
({0})
Was den Aufruhr anlangt, so ist die Vorschrift an sich natürlich nicht entbehrlich. Wie Sie wissen, wenn Sie unseren Vorschlag gelesen haben, haben wir diesen Tatbestand in den § 125 hineingepackt. Und nun noch eines zum § 125; dann will ich die Stellungnahme zu den Ausführungen von Herrn Erhard schließen. Natürlich haben Sie recht, wenn Sie ausführen, daß nach unserem Vorschlag ein Verstoß gegen § 125 kein Massendelikt mehr ist. Aber wenn Sie beispielsweise den Aufsatz von Herrn Tiedemann lesen, dann müssen Sie doch sehen, daß der Mensch in der Masse im Grunde genommen quantitativ und nicht qualitativ angesehen werden muß und daß das alte Reichsstrafgesetzbuch von 1871 den Massenbegriff im Gegensatz zu den heutigen Vorstellungen der Demokratie falsch, nämlich generell als etwas Schlechtes aufgefaßt hat, offensichtlich unter dem Schlagwort Carlyleschen Denkens „Massen gegen Klassen". Davon müssen wir wegkommen.
Zweitens müssen wir den § 125 reformieren, weil wir die Auffassung vertreten, daß nur derjenige privilegiert angepackt werden darf, der auch tatsächlich die Gewalthandlung begeht ,nicht aber ein anderer, der dabei ist, ohne sie zu begehen.
({1})
Sie meinen, in Schweden, in der Schweiz gebe es änhliche Bestimmungen nicht. Es liegt hier offenbar eine Zusammenstellung der Max-Planck-Gesellschaft zugrunde. Sie meinen, in diesen Staaten gebe es eine ähnliche Regelung nicht. Hierauf unsere Antwort: Wenn es in diesen Staaten eine solche RegeDr. de With
lung nicht gibt, was hindert das uns, international einmal eine moderne, beispielhafte Reformierung des Demonstrationsrechts zu geben?
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie mir in den Mund gelegt haben, in den übrigen Ländern gebe es entsprechende Vorschriften nicht, oder meinen Sie nicht, daß ich gesagt hätte, in den übrigen Ländern seien diese Vorschriften schärfer als bei uns?
Ich habe versucht darzulegen, daß in den von mir angesprochenen Ländern die Ausgestaltung des Demonstrationsrechts nicht die Modernität aufweist, die wir mit unserer Novelle vorschlagen. Und deswegen kam ich zu dem Schluß:
Was hindert uns denn, international einen beispielhaften, modernen Entwurf des Demonstrationsrechts zu einem Gesetz zu machen?
({0})
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ott!
Herr Kollege, würden Sie in dieses moderne Demonstrationsrecht, das Sie schaffen wollen, einbeziehen wollen den Gebrauch von Pflastersteinen, Fahrradketten und ähnlichen Dingen oder nicht?
({0})
Herr Kollege, ich glaube, ich habe versucht, sehr sachlich zu bleiben. Diese Frage, die Sie stellen, möchte ich als Ansinnen auffassen. Ich möchte ganz klar und deutlich machen, daß uns daran liegt, klar und deutlich in einem Gesetz festzulegen, inwieweit demonstriert werden kann und inwieweit und in welchem Maß Gewalt eine strafbare Handlung ist. Denn unser derzeitiges System krankt ja daran, daß wir Schwierigkeiten haben, die Täter, die die Demonstration zum Umschlag bringen, zu packen. Ich kann Ihnen Beispiele dafür nennen, wie unsicher Gerichte sind. Nur eines: Ein und dasselbe Gericht in Bayern hat ein und denselben Fall einer Gruppe dreimal verschieden beurteilt. Es haben sich Leute aus Anlaß einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze auf eine Kreuzung gesetzt. Zunächst wurde das als Übertretung nach der StVO behandelt. Dann wurden die Strafbefehle zurückgezogen. Danach wurde Anklage erhoben wegen Landfriedensbruchs; es kam zur rechtskräftigen Verurteilung. Und ein weiterer Teil der Gruppe ist dann nach der Ihnen sicher geläufigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs freigesprochen worden. Uns geht es darum, diese Unsicherheit zu beseitigen!
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß gerade zu diesem Problem der Kollission von Grundrechten in Ihrem Entwurf überhaupt nichts enthalten ist? Sie könnten darauf verweisen, daß der BGH inzwischen gesprochen hat, aber würden Sie mir eben zustimmen, daß gerade zu dem Problem in Ihrem Entwurf überhaupt nichts enthalten ist?
Ich stimme Ihnen insoweit zu, als wir mit unserem Entwurf eine Grundgesetzänderung nicht wollen. Aber wir wollen Klarheit und Präzision schaffen in bezug auf das, was unser Grundgesetz sagt: Inwieweit vom Versammlungsrecht Gebrauch gemacht werden kann und inwieweit nicht. Uns geht es darum, die Rechtsunsicherheit zu beseitigen.
Ich darf zusammenfassend noch einmal die mir wesentlich erscheinenden Punkte ins Licht stellen.
Erstens. Wir meinen, unser Entwurf dient einmal der Klarheit; denn oberstes Prinzip aller Rechtsprechung ist Einhelligkeit, und die kann es nur geben, wenn die Bestimmungen klar und sauber gefaßt sind und den Zeichen der Zeit entsprechen. Aus diesem Grund, so meinen wir, müssen die §§ 125 und 115 zusammengepackt werden, kann der § 110 entfallen, genügt es, wenn wir den § 111 belassen. Denn Sie dürfen nicht vergessen, daß die §§ 115 und 125 seit 98 Jahren unverändert bestehen.
({0})
Zweitens. Wir meinen: Ordnungsrecht darf nicht poenalisiert werden, und deswegen sollte der § 116 eine Ordnungswidrigkeit werden. Deswegen kann auch § 23 des Versammlungsgesetzes - das ist allerdings nur einer der Gründe - entfallen.
Drittens. Wir meinen: niemand darf unnötig priviligiert werden. Es gilt, für die Herstellung gleicher Rechte zu sorgen. Deswegen sollen die Vorschriften mit dem feudalen Hauch - und ich meine die der §§ 117, 118 und 119 - entfallen. Deshalb, so glauben wir, soll es auch dem Bürger möglich sein, sich zu irren und deswegen milder bestraft zu werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage:
Bitte schön.
Aus welchem Grund haben Sie dann praktisch die gleichen Strafbestimmungen in das Jagdgesetz und das Fischereigesetz hereingenommen?
Nach unserem Vorschlag gibt es auch hier gewisse Änderungen. Im übrigen schließe es nicht aus, daß durch die „derogierende Kraft des Faktischen" auf Grund dieser Novelle weitere Änderungen vorgenommen werden können.
Viertens meine ich: Es darf niemand bestraft werden, der die Tat nicht begangen hat oder der nicht die Tatherrschaft über eine Tat hat. Damit spreche ich den § 125 StGB an; ich darf auf meine früheren Ausführungen verweisen.
Letztlich geht es uns - und damit will ich endgültig schließen - um folgendes: daß die Umwertung des Phänomens der Masse - das ist ein Wort von Radbruch - im Gesetz Gestalt findet. Wir müssen davon wegkommen, daß die Masse auch in Form der Demonstration in einer Demokratie generell als etwas Schlechtes empfunden wird. Ich rufe die Herren von den Unionsparteien dazu auf. Ich darf an das erinnern, was einer Ihrer Herren heute früh gesagt hat: Die Unionsparteien hätten den ideologischen Ballast des 19. Jahrhunderts nicht an den Sohlen. Ich hoffe, das beweist sich bei der Reform der Demonstrationsdelikte.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich Herrn Kollegen de With sehr herzlich zu der ersten Rede beglückwünschen, die er als Mitglied dieses Hauses von dieser Stelle aus gehalten hat.
({0})
Er hat mit der Sachkunde, mit der er dieses Thema behandelt hat, unter Beweis gestellt, daß er Ihnen, meine Damen und Herren, in weiteren Debatten sicherlich noch manche vergnügliche Stunde bereiten wird.
Die Bundesregierung begrüßt, daß eine Vorlage zur Reform dieses Teiles des Strafgesetzbuches aus der Mitte des Bundestages eingebracht worden ist. Das gibt uns die Möglichkeit, diese Frage sofort im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform zu erörtern, und macht damit die ursprüngliche Planung des Bundesjustizministeriums überflüssig, einen eigenen Entwurf der Bundesregierung einzubringen. Eine solche Regierungsvorlage hätte nicht nur, wie hier vermutet worden ist, noch einige Wochen, sondern mit Sicherheit noch einige Monate bis zu ihrer Vorlagereife erfordert. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß es ein wichtiger Beitrag zur Regelung und Lösung dieses Problems ist, wenn wir jetzt sehr bald zu seiner Beratung kommen.
({1})
Herr Kollege Lenz!
Herr Bundesminister, was veranlaßt Sie eigentlich zu der Annahme, daß eine Fraktion einen beratungsreifen Entwurf so viel schneller vorlegen könne als die Bundesregierung?
({0})
Sie wissen doch so gut wie ich, Herr Lenz, daß die Bundesregierung, wenn sie einen eigenen Entwurf vorlegt, sowohl nach der eigenen Geschäftsordnung wie auch nach ihrer ständigen Übung wie auch nach den Bestimmungen des Grundgesetzes an eine Vielzahl von Fristen und Anhöhrungsterminen gebunden ist und daß deshalb selbstverständlich von der Erarbeitung eines Referentenentwurfs über die Kabinettsvorlage bis hin zur Einbringung in diesem Hause eine verhältnismäßig lange Zeit vergeht.
Dies bedeutet ja nicht, daß in solchen Fällen alle diejenigen, die gehört werden sollen und müssen, kein Gehör erlangen. Zunächst einmal ist in diesem speziellen Falle ja schon in der vergangenen Wahlperiode eine breite Diskussion vorausgegangen. Zum anderen ist das, was der wesentliche Stand der Debatte im letzten Bundestag war - die Garmischer Beschlüsse , zum Gegenstand einer Zuleitung an die Länder gemacht worden, und die Länder werden ihrerseits dazu noch Stellung nehmen. Zum dritten haben wir insbesondere im Strafrechtssonderausschuß die erfreuliche Übung, daß die Länder dort die Gelegenheit zur Darlegung ihrer Standpunkte in aller Gründlichkeit wahrnehmen. Ich hoffe sehr darauf, ja, ich bin sicher, daß sie davon gerade bei diesem Abschnitt des Strafgesetzbuches ganz besonders Gebrauch machen werden, zumal gerade aus den Reihen der Länder mit großem Nachdruck betont wird, wie dringlich die Reform dieser Straftatbestände sei.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Lenz? Dr. Lenz ({0}) ({1}) : Herr Minister, die sorgfältig erarbeiteten Vorschriften der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes und andere einschlägige Bestimmungen haben ja nur den Sinn, sicherzustellen, daß wirklich alle, die sachlich etwas dazu beizutragen haben, die Gelegenheit erhalten, das zu tun. Nur auf diese Weise kommt ein ausgereifter Entwurf zustande. Fürchten Sie nicht, daß bei dem Verfahren, das hier eingeschlagen worden ist, jedenfalls die Länder, vielleicht aber auch einige andere, nicht in dem Maße gehört werden könnten, wie es das Grundgesetz eigentlich als normal und gut voraussetzt?
Herr Kollege Lenz, ich vermag, was die Normalität von Vorlagen angeht, keinen Unterschied darin zu sehen, ob die Vorlage von der Bundesregierung oder einem anderen nach der Verfassung dafür vorgesehenen Organ, also etwa von einer Fraktion dieses Hauses, eingereicht wird. Das ist im materiellen Gehalt kein Unterschied; nur hat nach der unterschiedlichen AufBundesminister Jahn
gabenstellung jeder ein anderes Verfahren zu beachten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus? Frau Dr. Diemer-Nicolaus ({0}) : Herr Minister, ist es nicht so, daß immer wieder gerade kritisiert wird, die Abgeordneten ergriffen zu wenig Gesetzesinitiativen, verglichen mit der Zahl der Regierungsvorlagen?
Verehrte Frau Kollegin, die Antwort darauf ist natürlich schwierig. Wenn ich jetzt auf diese Frage einfach mit ja antworte, sähe es so aus, als machte ich mir diese Kritik zu eigen, und das wollen Sie mir doch sicherlich nicht antun.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda? Benda ({0}): Herr Bundesminister, ohne die Diskussion über die Verfahrensfrage, die auch ich nicht für so wichtig halte, im Augenblick fortsetzen zu wollen, darf ich Sie fragen, ob mich mein Eindruck täuscht, daß Sie in den letzten fünf oder sechs Minuten mit sehr klugen und diplomatischen Worten diesem Hohen Hause haben mitteilen wollen, daß das Sachproblem wesentlich komplizierter ist, als es die Verfasser des Koalitionsentwurfs nach dem Stande der uns vorliegenden Drucksache offenbar gegenwärtig sehen.
({1})
Ihr Eindruck täuscht Sie, Herr Kollege Benda.
({0})
Ich wäre längst bei der Sache, wenn Sie nicht ein so großes Vergnügen daran hätten, sich über die formelle Seite hier mit so vielen Zwischenfragen zu verbreiten.
Ich glaube, wir können das Thema jetzt wirklich beenden; denn Sie wissen so gut wie ich: ein Streit darüber, daß eine Regelung dieser Frage dringlich ist, kann eigentlich ernsthaft nicht geführt werden. Jedenfalls ist nach Auffassung der Bundesregierung - und deshalb begrüßt sie die Vorlage dieses Entwurfs - die Reform dieser Strafvorschriften vordringlich, und zwar weil sie sieht, daß im geltenden Recht entscheidende und schwerwiegende Mängel vorliegen, und sie es für notwendig hält, daß hier Abhilfe geschaffen wird.
Der erste Umstand, auf den ich noch einmal nachdrücklich hinweisen muß, ist die Tatsache, daß die Fassung der Tatbestände in der heutigen Form unbestimmt und in wesentlichen Punkten nicht mit dem Grundgesetz abgestimmt ist.
Der zweite Umstand ist, daß für eine Reihe von Delikten die Höhe der Mindeststrafen viel zu groß bemessen ist nach dem, was wir heute nach der Anlage der Reform des Strafgesetzbuches für sinnvoll und vernünftig halten. Die Tatsache, daß die Mindeststrafe für Aufruhr in der Regel sechs Monate ist, die Tatsache, daß für Landfriedensbruch bei Personen, die selbst Gewalttätigkeit gegen Personen begehen oder Rädelsführer sind, ein Jahr Zuchthaus, im Falle mildernder Umstände sechs Monate Gefängnis angedroht werden, macht das, so meine ich, hinreichend deutlich.
Die Folge dieser Mängel, die allseitig empfunden werden, ist eine unterschiedliche Spruchpraxis der Gerichte im Hinblick auf die Auslegung der Tatbestände und auch auf die Strafzumessung.
Ich glaube nicht, daß wir auf die Dauer hinnehmen können, daß in der öffentlichen Debatte immer wieder anklingt, die Gerichte seien für diese Mißstände und für manche unverständlichen Urteile verantwortlich zu machen. Für eine verfassungskonforme Auslegung läßt die Fassung der Tatbestände in der Form, wie sie heute vorliegen, oft keinen Spielraum. Immerhin ist es dem BGH zu danken, daß er mit dem Urteil vom 8. August dieses Jahres im Falle Laepple die Auslegung des § 125 StGB in einem restriktiven, einengenden Sinne geklärt hat und verbreiteten Tendenzen zu einer extensiven Auslegung entgegengetreten ist.
Aber dies ist nur ein Punkt in der Gesamtproblematik. Soweit die Gerichte in Einzelfällen - und auch hier wird die Problematik noch einmal deutlich - besonders hoch erscheinende oder tatsächlich hohe Freiheitsstrafen verhängt haben, lag das daran, daß die Voraussetzungen der §§ 115 und 125 Abs. 2 StGB bejaht werden mußten. Hier waren eben solche hohen Strafen infolge der hoch angesetzten gesetzlichen Mindeststrafen einfach nicht zu umgehen.
Meine Damen und Herren, die Behandlung dieses Sachverhaltes ist dringlich, weil es eine Aufgabe ist, der sich der Gesetzgeber nach Lage der Dinge sehr bald annehmen muß. Nur er kann hier zu einer Lösung beitragen. Er alleine ist befugt, die politischen Aspekte der Unruhe in unserem Lande zu berücksichtigen und bei der Neugestaltung dieser Tatbestände auch in angemessener Form zur Geltung kommen zu lassen. Er alleine ist in der Lage, den notwendigen rechtspolitischen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu schaffen. Lassen Sie mich in aller gedrängter Kürze für diesen Interessensausgleich einige, wie mir scheint, wesentliche Gesichtspunkte nennen.
Für das Funktionieren des demokratischen Prozesses politischer Willensbildung ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Art. 8 des Grundgesetzes von fundamentaler, von grundsätzlicher Bedeutung. Die Belebung des Demonstrationsrechtes in den letzten Jahren muß auch richtig verstanden werden als ein Beitrag zur stärkeren Demokratisierung unserer Gesellschaft. Die Frage, der wir uns zu stellen haben, ist: daß das Strafgesetz nicht dazu führen, auch nicht dazu verführen darf, daß der fried724
liche Demonstrant entmutigt wird, sondern im Gegenteil: es muß ihm deutlichgemacht werden, welches und wo seine Rechte sind, auch wo die Grenzen dieser Rechte liegen.
({1})
Der Gesetzesvorbehalt, den Art. 8 macht und
damit komme ich auf eine der Fragen zu sprechen, die hier im Laufe der Debatte angeschnitten worden sind -, ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, wonach der Umfang der gesetzlichen Einschränkung an der Bedeutung des Grundrechtes, um das es geht, oder der Grundrechte, die miteinander in Konkurrenz treten, gemessen werden muß. Jedenfalls darf es in der gesetzlichen Regelung nicht das schien mir bei der einen oder anderen Bemerkung anzuklingen - zu einer generellen Hintansetzung des Versammlungsrechtes hinter andere Interessen der Bürger kommen.
({2})
- Ich entnehme Ihrem Nicken bzw. Kopfschütteln - je nachdem an welcher Stelle meiner Ausführungen es erfolgt ist -, daß wir in diesem Punkte erfreulicherweise übereinstimmen.
Wir dürfen uns in der Debatte auch nicht von der Vorstellung beeinflussen lassen - ich sage bewußt „beeinflussen" und nicht „leiten" -, daß die Verwirklichung des Demonstrationsrechts in der Tat für den einzelnen Bürger Unbequemlichkeiten mit sich bringen kann, die wir von der Verfassung her nicht falsch interpretieren dürfen. In bestimmtem Umfang müssen vom einzelnen Bürger Einschränkungen, Behinderungen hingenommen werden, die mit dem Gebrauch der Freiheit durch andere nun einmal verbunden sind.
Andererseits - das möchte ich gerade im Hinblick auf die Bemerkungen des Herrn Kollegen Benda hier sehr deutlich unterstreichen - muß berücksichtigt werden, daß die Versammlungsfreiheit in ihrer politischen Funktion auf die Überzeugungsund Meinungsbildung abzielt. Das heißt, Art. 8 des Grundgesetzes ist kein Freibrief für Versuche, sich gewaltsam Gehör zu verschaften; mit anderen Worten: Art. 8 schützt ausdrücklich nur friedliche Versammlungen. Das heißt schließlich, daß die Friedensfunktion, die Befriedungs- und Friedensgewährleistungsfunktion des Rechts eine unaufhebbare Schranke für das Demonstrationsrecht setzt.
({3})
Wir dürfen im übrigen die Straftatbestände nicht nur aus der Perspektive von Studentendemonstrationen sehen.
({4})
Nach den Erfahrungen der Rechtsprechung betreffen sie auch ganz unpolitische Ausschreitungen, den Bandenvandalismus, Gewalttätigkeiten gegen mißliebige Nachbarn; das eine oder andere sonstige Beispiel ist hier in der Debatte ausgeführt worden. Wir dürfen auch nicht übersehen, daß hier rechtsradikale Aktionen durchaus mit erfaßt werden können; das wird
die Abwägung nicht leichter machen. Aber dies muß gesehen werden. Immerhin darf ich und muß ich daran erinnern, daß der wichtigste Anwendungsfall - rechtshistorisch - des § 125 die Serie von Progromen des November 1938 gewesen ist.
Für die Ausgestaltung der neuen Tatbestände ergeben sich einige Konsequenzen. Wir müssen, so meine ich, zu einem Abbau der überhöhten Strafandrohungen kommen. Wir müssen Folgerungen aus dem veränderten und gewachsenen Verständnis des Verhältnisses von Staat und einzelnem kommen. Dem wird durch den Entwurf, wie wir meinen, in sinnvoller Weise Rechnung getragen, indem er den Ungehorsamstatbestand des Auflaufs nur noch als Ordnungswidrigkeit ansieht.
Wir müssen im Rahmen des § 113 des Strafgesetzbuches bei dem Widerstand den zu entschuldigenden Verbotsirrtum bei Tätern anerkennen, die über die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung irren. Damit ist nicht - das möchte ich gerade im Anschluß an die Debatte noch einmal deutlich herausstellen - eine unzuträgliche Behinderung der Polizei verbunden. Denn die Auflösung einer die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdenden Versammlung bleibt nach öffentlichem Recht zulässig, und die Entschuldigung des irrenden Täters ändert nichts daran, daß der Widerstand rechtswidrig ist und von der Polizei nach dem Polizeirecht gebrochen werden kann. Damit trägt der Entwurf dem Bedürfnis hinreichend klaren Abgrenzungen Rechnung.
Für eine nüchterne Überprüfung der Massendelikte ergeben sich zwei Fragen.
Erste Frage: Wird es der Bedeutung der Versammlungsfreiheit gerecht, daß der Teilnehmer an einer zunächst friedlichen, später aber unfriedlich werdenden Versammlung auch dann wegen Landfriedensbruch strafbar ist, wenn er die Gewalttätigkeit des anderen mißbilligt und nur die Demonstration mit friedlichen Mitteln fortsetzt? Das ist ein Problem aus der Erfahrung der letzten Zeit, auf das man eine Antwort zu finden versuchen muß.
Die zweite Frage ist: Trägt ein Massentatbestand nach Art der geltenden §§ 115 und 125 des Strafgesetzbuches zum Rechtsfrieden bei, wenn zwangsläufig nur ein kleiner Teil der Täter ermittelt werden kann, während die Mehrzahl, und oft gerade der harte Kern der unfriedlichen Menge, frei ausgeht? Auch hierauf müssen wir eine rechtspolitisch überzeugende Antwort zu finden versuchen.
Insgesamt, so meine ich, ist eine klare und der Verfassung besser entsprechende Tatbestandsfassung geeignet, bei allen Beteiligten das Gefühl der Rechtssicherheit zu stärken. Durch eine einengende Regelung dieser Straftatbestände wird keineswegs zu neuen Gewalttätigkeiten ermuntert, sondern im Gegenteil, es wird die Abwehr gewaltsamer Exzesse erleichtert. Die Polizei kann sich auf wirklich gefährliche Täter konzentrieren. Die Richter und die Strafverfolgungsorgane würden solche Vorschriften, wie sie zur Verfügung gestellt werden sollen, entschiedener anwenden, weil sie durch ihre kriminalpolitische Notwendigkeit und durch ihre verfasBundesminister Jahn sungspolitische Legitimation eindeutiger ausgewiesen sind.
Eine Bereinigung der bestehenden strafrechtlichen Rechtsunsicherheit würde - und darin liegt der eigentliche politische Sinn dieser Anträge der Koalitionsfraktionen, jedenfalls wie er von mir gesehen wird - ein wichtiges Hindernis für den Dialog mit der jungen Generation beseitigen und würde, darauf ist bei der Begründung des Entwurfs schon hingewiesen worden, die notwendigen Überlegungen zu einer Amnestie in diesem Bereich auf eine zuverlässige und, wie ich hoffe, für uns alle diskutable Grundlage stellen.
Deswegen bitte ich ungeachtet aller am Anfang meiner Ausführungen lautgewordenen formalen Einwendungen sehr darum, daß die schnelle Initiative, die hier ergriffen worden ist, auch - mit der Zustimmung des ganzen Hauses - in den Arbeiten des Ausschusses ihren Ausdruck findet. Dieses Hohe Haus sollte - darf ich dieses mahnende Wort hier sagen - Jusitz, Gerichte, Strafverfolgungsbehörden und Polizei so schnell wie möglich in den Stand versetzen, ihrer Aufgabe nach besten Kräften - und das heißt: nach besseren Kräften, als ihnen heute möglich ist - gerecht zu werden.
({5})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Nach einer Mitteilung, die mir gemacht worden ist, haben die Fraktionen vereinbart, den Gesetzentwurf dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend - und dem Innenausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten
- Drucksache VI/127 -Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
({1})
- Der Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Februar 1969 betr. Aufhebung der Immunität von Abgeordneten ({2}) gilt bis zum Ablauf der 6. Wahlperiode.
- Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will,
gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3})
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ({4})
- Drucksache VI/128 Berichterstatter: Abgeordneter Schoettle
({5})
- Der Berichterstatter verweist auf den Schriftlichen Bericht.
Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen:
§ 94 Abs. 2 der Geschäftsordnung erhält folgende Fassung:
„({6}) Die zweite Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplans darf frühestens sechs Wochen, die Schlußberatung von Nachtragshaushaltsvorlagen oder Ergänzungsvorlagen frühestens drei Wochen nach Zuleitung erfolgen, es sei denn, die Stellungnahme des Bundesrates geht vor Ablauf der in Artikel 110 Abs. 3 des Grundgesetzes vorgesehenen Frist ein."
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Die nächsten auf der Tagesordnung verzeichneten Punkte werden am Freitag behandelt. Am Donnerstag findet lediglich eine Fragestunde statt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 11. Dezember 1969, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.