Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier im Bundestag ist in den letzten Tagen viel von der Zukunft unseres Volkes und von der Wahrung seiner nationalen Rechte und Interessen die Rede gewesen. In diesem Zusammenhang sind die Vergangenheit und die Realitäten, die sich aus ihr ergeben und die es zu meistern gilt, beschworen worden. Heute liegt zur ersten Lesung das umfangreiche Vertragswerk vor Ihnen, durch das Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen Mitglieder der drei europäischen Gemeinschaften, nämlich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, werden. Dieses Vertragswerk ist ebenso Teil einer europäischen Friedensordnung wie die Verträge von Moskau und
Warschau. Es ist ebenfalls ein wichtiger Schritt unserer Politik, in Europa und in der Welt zu einer neuen Ordnung beizutragen.
Worum geht es bei den Beitrittsverhandlungen? Zunächst regeln sie zwischen den alten und neuen Mitgliedern der Gemeinschaft eine Fülle bedeutender wirtschaftlicher und rechtlicher Probleme. Es geht - kurz gesagt - darum, die vier beitretenden europäischen Staaten in eine Gemeinschaft einzufügen, deren Kernstück der vollendete Gemeinsame Markt und die sich mit der fortschreitenden Vertiefung bildende Wirtschafts- und Währungsunion darstellen, eine Gemeinschaft, die sich ein weit angelegtes und vielgestaltiges Netz von Außenbeziehungen geschaffen hat.
Was vor zwei Jahren technisch fast unmöglich schien, ist in achtzehnmonatigen Verhandlungen schließlich doch gelungen: Regeln zu finden, nach denen die vier europäischen Partner die bestehenden Verträge und das gesamte seit Gründung der Gemeinschaft geschaffene Folgerecht übernehmen, wobei das Erreichte in seinem Bestand unangetastet bleibt und die den Gemeinschaften eigene Dynamik nicht nur bewahrt, sondern durch den Beitritt verstärkt wird. Großbritannien, Irland, Dänemark und Norwegen werden, wie es im Art. 1 des Beitrittsvertrages heißt, Mitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft und Vertragsparteien der Verträge zur Gründung dieser Gemeinschaften mit den dazugehörigen Änderungen oder Ergänzungen. Ihre Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die, juristisch gesehen, wie die beiden übrigen europäischen Gemeinschaften ihre eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, findet auf der Grundlage des Ratsbeschlusses ebenfalls vom 22. Januar 1972 statt, wie es Art. 98 des EKGS-Vertrages vorsieht.
Den beitretenden Ländern wird zur Übernahme der Rechte und Pflichten der Gemeinschaft eine Übergangszeit eingeräumt, die eine schrittweise Anpassung ermöglicht. Vom ersten Tage, d. h. vom 1. Januar 1973, an werden sie jedoch als vollberechtigte Partner am Leben der Gemeinschaft teilnehmen und in den Institutionen der Gemeinschaft voll vertreten sein. Das wird sich besonders auf ihre bereits erklärte Bereitschaft auswirken, von Anfang an an der sogenannten Vertiefung, vor allem der Wirtschafts- und Währungsunion, teilzunehmen.
Wer an den an schwierigen und technischen Detailfragen sicherlich nicht armen Verhandlungen teilgenommen hat oder wer - wie die Mitglieder dieses Hohen Hauses - in der Lage ist, nunmehr das Vertragswerk im einzelnen zu prüfen und zu bewerten, wird sicher nicht verkennen, wie entscheidend für das Gelingen dieser Verhandlungen der politische Wille aller Beteiligten gewesen ist.
Das gilt einmal für den Wunsch der beitretenden Staaten an der dynamischen Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft als Kern des europäischen Einigungswerkes teilzuhaben. Das gilt gleichermaßen für die sechs Gründungsmitglieder
der Gemeinschaft, die entsprechend der Präambel der Römischen Verträge entschlossen waren, die Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen. Solange über diese politische Zielsetzung nicht auf beiden Seiten vollständige Einigkeit bestand, war auch das Werk der europäischen Einigung einer langjährigen Stagnation ausgesetzt.
Als sich jedoch die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auf der Haager Konferenz von 1969 bereit fanden, gemeinsam zu bekräftigen, daß die europäischen Gemeinschaften unbestritten der Urkern bleiben, aus dem sich die europäische Einheit entwickelt und ihren Aufschwung genommen hat, und als sie sich auf dieser Grundlage bereit fanden, die Vollendung des Gemeinsamen Marktes, die Vertiefung der Gemeinschaft und ihre Erweiterung in Angriff zu nehmen und damit der Hinwendung der vier beitrittswilligen Staaten nach Europa entgegenzukommen, war der Weg zu erfolgreichen Verhandlungen frei. Die Konferenz von Den Haag war damit auch der erste Erfolg, an dem diese Bundesregierung im europäischen Rahmen mitwirken konnte und den sie - das möchte ich betonen - auch der unermüdlichen Vorarbeit früherer Bundesregierungen verdankt.
Die in Den Haag erneuerte Solidarität der Sechs hat sich als zuverlässige Grundlage für das Fortschreiten der europäischen Einigung erwiesen. Seit Aufnahme der Beitrittsverhandlungen hat auch die politische Zusammenarbeit in Europa konkrete Formen angenommen und erste Fortschritte erzielt. Die neu beitretenden Staaten, die sich ja auch die politische Zielsetzung der Gemeinschaft ausdrücklich zu eigen gemacht haben, wirken schon heute gleichberechtigt auch in diesem Bereich der europäischen Einigung mit. Damit erweist sich, daß die Erweiterung ein eminent politisches Ereignis ist und nicht allein mit der Addition wirtschaftlicher Daten gedeutet und in ihren Konsequenzen nicht nur mit administrativen Mitteln bewältigt werden kann.
Die beitretenden Staaten sind sich dieser Tragweite ihrer Entscheidung bewußt. Das zeigt der Kampf um die erforderlichen Mehrheiten in den Bevölkerungen und Parlamenten, der immer noch andauert und dessen Ausgang keineswegs überall feststeht. Ich darf darauf hinweisen, daß der Ablauf der Ratifizierungsdebatte im Deutschen Bundestag in einigen beitrittsbereiten Ländern, vor allen Dingen in den skandinavischen, eine gewisse Rolle spielen wird. Dieser Kampf wird von den Befürwortern und Gegnern längst nicht mehr - sofern das überhaupt jemals der Fall gewesen ist - ausschließlich mit volkswirtschaftlichen Gewinn- und Verlust-Rechnungen geführt. Sicher wird damit die Entscheidung nicht immer leichter. Gerade die kleineren der künftigen Mitgliedstaaten sind besorgt, wie sie in der erweiterten Gemeinschaft ihre besonderen wirtschaftlichen und sozialen Lebensformen angemessen bewahren können. Sie fühlen sich vor die Wahl gestellt, entweder abseits zu stehen, ausgeschlossen zu sein von einer Entwicklung, die die politische Landschaft der nächsten Jahre entscheidend verändern wird, oder an ihr teilzuhaben um den befürchteten Preis einer Überfremdung oder gar eines Verlustes nationaler Eigenständigkeit.
Diese Sorgen sind auch uns aus der bisherigen Entwicklung der Gemeinschaft wohlbekannt. Nach unseren Erfahrungen bieten aber die Rechtsordnung und das institutionelle Gefüge der Gemeinschaft die beste Garantie dafür, daß gerade die Interessen der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten von den mächtigeren Partnern respektiert werden. Wir wollen uns für diese weise Politik innerhalb der Gemeinschaft auch in Zukunft einsetzen; denn wir wissen, daß die beitretenden Staaten mit ihren reichen Traditionen und Erfahrungen wirksam dazu beitragen werden, die Aufgaben zu lösen, die sich aus dem verstärkten wirtschaftlichen und politischen Gewicht der Gemeinschaft in der Welt ergeben.
Hierbei denke ich nicht nur daran, daß die Gemeinschaft in Kürze einen größeren Wirtschaftsraum von fast 260 Millionen Menschen bilden wird, in dem fortschreitend binnenmarktähnliche Verhältnisse geschaffen werden; ich habe damit nicht nur vor Augen, daß die erweiterte Gemeinschaft über 40 % des gesamten Welthandels auf sich vereinigen wird; sondern ich denke vor allem daran, daß diese Gemeinschaft eine Zone innerer und äußerer Stabilität in der Welt sein und somit ein wichtiges eigenständiges Element im friedlichen Zusammenleben der Völker bilden muß und bilden wird.
Präsident Pompidou hat auf der Haager Konferenz verlangt, ein Europa zu schaffen, das sich als Herr seines eigenen Schicksals neu beleben und gegenüber den Großmächten behaupten kann. Dieser Forderung sind wir in der Tat in den letzten beiden Jahren nähergekommen. Die über den Kreis der Sechs hinausgewachsene Gemeinschaft wird sich wirtschaftlich und technologisch behaupten und ihren weltpolitischen Verantwortungen nachkommen können. Ich wiederhole: die Gemeinschaft erhält hier eine neue große Chance. Von selbst, d. h. ohne unser tatkräftiges Zutun, werden sich die neuen Aufgaben allerdings nicht lösen lassen. Denn für die erweiterte Gemeinschaft gilt in viel stärkerem Maße, was auch früher gegolten hat, daß nämlich Stillstand, Abwarten, Nichtstun die Todfeinde der europäischen Einigung sind.
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Deshalb ist auch die Europa-Politik nicht am 22. Januar dieses Jahres stehengeblieben. Noch vor dem Inkrafttreten der Beitrittsverträge wird unter gleichberechtigter Mitwirkung der vier neuen Mitgliedstaaten am 19., 20. und möglicherweise auch 21. Oktober in Paris eine neue europäische Gipfelkonferenz stattfinden. Von dort müssen die Impulse ausgehen, die der erweiterten Gemeinschaft gerade in der schwierigen ersten Phase den Weg weisen.
Dabei geht es um drei große Aufgabengebiete, denen wir uns gegenübersehen:
Erstens: Wirtschafts- und Währungsunion und sozialer Fortschritt. Mit zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung wächst die Gefahr, daß Wachstums- und Wettbewerbsverzerrungen und ungleichgewich10812
tige Entwicklungen auftreten, die zu Spannungen und sogar zum Zerbrechen des bisher Erreichten führen können. Diese Gefahr muß durch eine stärkere Koordinierung des Einsatzes insbesondere von wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen vermindert und schließlich ganz beseitigt werden. Flankierende Maßnahmen, vor allem auf dem Gebiet der Sozial- und Regionalpolitik, der Technologie und des Umweltschutzes, müssen verhindern, daß ein sicherlich erstrebenswertes Wachstum und eine Vermehrung des Wohlstandes für jeden Bürger der zehn Staaten durch eine Verringerung der Qualität der Lebensbedingungen für ihn oder seine Kinder erkauft werden.
Zweitens: Institutionelle Stärkung der Gemeinschaft und Fortschritte im politischen Bereich. Die Beteiligung von zehn an Stelle von sechs Staaten an Willensbildung und Entscheidungen der Gemeinschaft macht die Straffung der Arbeitsweise der Gemeinschaftsorgane und die Erhöhung ihrer Effizienz noch dringender. Das wiederum kann nicht ohne Stärkung ihrer demokratischen Legitimation und nicht ohne eine erhöhte parlamentarische Kontrolle auf Gemeinschaftsebene geschehen.
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Die Gemeinschaft muß ihren Bürgern wieder lebensnah und attraktiv gegenübertreten. Die Bürger Europas müssen es wieder lernen, die Gemeinschaft und ihre Institutionen als ihre eigenen Einrichtungen anzunehmen und anzuerkennen.
Auf der Gipfelkonferenz wird nach unseren Vorstellungen ferner behandelt werden müssen, wie die politische Zusammenarbeit nach dem Luxemburger Bericht, der uns ja schon vorliegt, strukturell verbessert und außerdem näher an die Gemeinschaft herangeführt wird und damit für den europäischen Einigungsprozeß auf der Grundlage der Römischen Verträge stärker nutzbar gemacht werden kann. Die politische Zusammenarbeit, an der die neuen Mitgliedstaaten schon jetzt vollberechtigt mitwirken, hat sich trotz gewisser Anlaufschwierigkeiten als durchaus geeignetes Instrument zur Harmonisierung der Standpunkte in außenpolitischen Fragen erwiesen.
Die dritte Aufgabe der Gipfelkonferenz betrifft die Außenbeziehungen der Gemeinschaft und ihre Verantwortung in der Welt. Im Bereich der Außenbeziehungen sehen wir die zur Zeit wichtigste Aufgabe der Gemeinschaft darin, ihre Verhandlungen mit den nicht beitretenden sechs EFTA-Staaten weiterzuführen, damit die entsprechenden Abkommen am 1. Januar des nächsten Jahres gleichzeitig mit den Beitrittsabkommen in Kraft treten können.
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Die Verhandlungen sind, wie Sie wissen, schon in vielen Punkten erfolgreich gewesen und können, wie ich hoffe, im wesentlichen noch bis zur Sommerpause abgeschlossen werden. Dann haben wir die Gewißheit, daß die Kluft zwischen den beiden wirtschaftlichen Gruppierungen in Westeuropa Schritt
für Schritt geschlossen wird und durch die Erweiterung keine neuen Handelsschranken in Europa entstehen.
Die neue Dimension der Gemeinschaft und die gleichberechtigte Mitwirkung der vier neuen Mitgliedstaaten an der politischen Zusammenarbeit erlegen der erweiterten Gemeinschaft bei der Gestaltung ihrer Beziehungen zur Umwelt eine aktivere Rolle als bisher auf. Die Verantwortung der Gemeinschaft in der Welt wird größer.
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Die Gipfelkonferenz wird die Bereitschaft der Zehn
zum Ausdruck bringen müssen, dieser Verantwortung auch im politischen Bereich Rechnung zu tragen.
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Hierbei geht es um die weltoffene Politik der Gemeinschaft, die erkennbar gemacht werden muß, denn das Europa der Zehn kann keine nach innen gerichtete Politik betreiben. Es muß bereit sein, parallel mit seiner Weiterentwicklung die laufende Verständigung mit seiner Umwelt in aller Welt zu suchen.
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Dies gilt einmal im Verhältnis zu den industrialisierten Staaten. Hier müssen alle Beteiligten nach wie vor bereit sein, zur Erhaltung und Stärkung des freien internationalen Handels beizutragen. Das gilt in besonderem Maße auch gegenüber den Ländern der Dritten Welt, deren wirtschaftliche und damit in der Regel auch politische Stabilität davon abhängt, 'wie sie ihre Produkte verkaufen können. Die erhöhte Verantwortung der erweiterten Gemeinschaft gebietet ihr, zur Entwicklung dieser Länder nach Kräften beizutragen und sie an den Vorteilen, die ihr selbst aus der fortschreitenden Integration erwachsen, teilhaben zu lassen.
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Meine Damen und Herren, die Beziehungen der Gemeinschaft zu den Staatshandelsländern sind' gerade zu diesem Zeitpunkt von besonderer Bedeutung, denn noch in diesem Jahr wird möglicherweise die multilaterale Ost-West-Vorbereitung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa anlaufen, zu einem Zeitpunkt also, da durch die endgültige Entscheidung über den Beitritt auch den osteuropäischen Ländern das unaufhaltsame Fortschreiten des europäischen Einigungswerks vor Augen stehen wird. Die Bundesregierung ist daher bereit, daran mitzuwirken, daß die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft zur Herstellung engerer Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern auf allen Gebieten - einschließlich Wissenschaft, Technologie und Umweltschutz - zum Ausdruck bringen. Ich denke dabei auch an den großen Bereich der Kooperation, wo auf der Basis gegenseitiger Zugeständnisse sicher noch manche vorteilhaften Möglichkeiten erschlossen werden können. Die Gemeinschaft ist kein Block und gegen niemanden gerichtet.
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Das eigene Selbstverständnis gebietet ihr die Suche nach Annäherung und Zusammenarbeit. Durch diese Haltung wird sie es auch den Staaten, die heute noch zögern, mit ihr zusammenzuarbeiten, erleichtern, sie als feste Gegebenheit und in der Folge dann auch als Verhandlungspartner zu akzeptieren.
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Meine Damen und Herren, da ich gerade bei den Abgeordneten der Opposition in den vergangenen Tagen in einem anderen Zusammenhang ein großes Interesse für diese Fragen entdeckt habe, das heute offenbar bei großen Teilen der Abgeordneten der Opposition nicht besteht, wie ich an dem Grad der Aufmerksamkeit feststellen kann
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- an dem Grad der Möglichkeit, das, was ich sage, zu verstehen, Herr Kollege -,
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gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen zum Verhältnis der osteuropäischen Staaten und insbesondere der Sowjetunion zu den Europäischen Gemeinschaften. Hier ist durch die im Hinblick auf die Ratifizierung der Ostverträge erhobene Forderung der Opposition nach Anerkennung der Gemeinschaft durch die Sowjetunion eine Verwirrung der Begriffe und Zusammenhänge eingetreten, die eines klärenden Wortes bedarf.
Zunächst muß folgendes festgestellt werden. Die Sowjetunion hat zu keiner Zeit versucht, uns etwa die Verpflichtung aufzuerlegen, von den Zielen der Europäischen Gemeinschaft abzugehen. Zwischen Bonn und Moskau ist im Gegenteil eindeutig geklärt, daß die Fortsetzung der westeuropäischen Integration und die als Endziel erstrebte Verwirklichung einer politischen Union nicht im Gegensatz zum Moskauer Vertrag stehen.
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Die Klärung dieser Frage war wesentlich, weil sie in der Tat eine wichtige Voraussetzung für den Abschluß des Gewaltverzichtsvertrags war und auch für die Ratifizierung bleibt. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß erfolgversprechende Ostpolitik als Teil eines außenpolitischen Gesamtkonzepts für uns nur möglich und denkbar ist, wenn sie auf dem festen Fundament der fortschreitenden europäischen Integration und der atlantischen Partnerschaft ruht.
Etwas ganz anderes ist die Frage der sogenannten Anerkennung der Gemeinschaft durch die Sowjetunion und andere osteuropäische Staaten. Das hat -mit den Ostverträgen nichts zu tun.
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Dennoch will ich, da auch der Bericht des Abgeordneten Heck hier eine gewisse Verknüpfung herstellt, dazu Stellung nehmen.
Ich habe schon früher gesagt: Die Gemeinschaft besteht aus sich selbst heraus und bedarf keiner Anerkennung von außen, um weiterzubestehen.
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Die Sowjetunion und ihre Bündnispartner haben aber schon seit einiger Zeit erkannt, daß sie im eigenen Interesse gut daran tun, die Illusion von einer sich selbst zerstörenden Gemeinschaft aufzugeben und sich in ihrer praktischen Politik auf die Existenz und die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft einzustellen. Wenn bei den osteuropäischen Ländern noch Zweifel an der Realität und Solidität des europäischen Einigungswerkes bestanden, so dürften diese mit dem Erfolg der Beitrittsverhandlungen ausgeräumt worden sein.
In diesem Zusammenhang müssen auch die Äußerungen von Herrn Breschnew vor dem sowjetischen Gewerkschaftskongreß vom 20. März gesehen werden. Es bedarf keiner spitzfindigen Auslegungsbemühungen, um daraus zu entnehmen, daß die Sowjetunion die Existenz der Gemeinschaft nunmehr auch offiziell zur Kenntnis nimmt und von einer Politik der Verteufelung des Gemeinsamen Marktes, mag sie in der Vergangenheit bestanden haben oder nicht, jetzt jedenfalls abrückt.
Natürlich wünschen wir - und das haben wir auch bei allen Gelegenheiten und auf allen Ebenen deutlich gemacht -, daß die Sowjetunion bald noch einen weiteren Schritt tut und sich im Rahmen einer, wie sie selbst noch jüngst unterstrichen hat, auf Entspannung und Kooperation gerichtete Politik auch zur Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft bereit findet. Dazu bedarf es nicht notwendigerweise einer formalen Anerkennung der Gemeinschaft, sondern eines Verhaltens der Sowjetunion, mit dem zum Ausdruck kommt, daß sie die Zuständigkeit der Gemeinschaft vor allem im handelspolitischen Bereich akzeptiert. In erster Linie bedeutet dies die Bereitschaft, mit der Gemeinschaft in Gespräche und Verhandlungen mit dem Ziel vertraglicher Regelungen einzutreten.
Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die Sowjetunion nicht auch insoweit die notwendigen Folgerungen aus den bestehenden europäischen Realitäten ziehen wird. Es wäre nützlich, wenn im Rahmen der bilateralen Beziehungen zwischen den westeuropäischen Ländern und der Sowjetunion der Grad der Information über die politischen Entwicklungstendenzen der Europäischen Gemeinschaft der Sowjetunion gegenüber erhöht würde.
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Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Sowjetunion zur Zeit hierüber, nämlich über die Entwicklung der Gemeinschaft, intensiv nachdenkt. Wir sollten sie dabei weder stören noch drängen, wohl aber unmißverständlich klarmachen, daß wir bei allen Bemühungen um Entspannung zwischen Ost und West nicht bereit sind, Abstriche am gegenwärtigen und zukünftigen Bestand der Gemeinschaft zu machen.
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Als erster konkreter Prüfstein für die Einstellung der Sowjetunion und ihrer Partner zur Gemeinschaft wird sich voraussichtlich die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erweisen. Wir sind uns mit unseren Partnern in der Gemeinschaft, mit denen wir diese Fragen im Rahmen der politischen Zusammenarbeit laufend besprochen haben und auch weiter erörtern werden, einig, daß die Gemeinschaftszuständigkeiten voll beachtet werden müssen,
({16})
wenn es um das Problem der Beteiligung der Gemeinschaften selber an der Konferenz geht. Über die Modalitäten wird man sprechen, sobald präzisere Informationen über die Tagesordnung der Konferenz und die organisatorischen Vorkehrungen für ihre Arbeiten vorliegen.
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Keinesfalls werden wir aber die andere Seite darüber im Zweifel lassen, daß der Weg zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Kooperation in ganz Europa an der Gemeinschaft nicht vorbeigehen kann.
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Meine Damen und Herren, soweit der Ausblick auf die Gipfelkonferenz.
Gerade das von mir zuletzt erwähnte Thema, die Beziehungen der Europäischen Gemeinschaften zu den osteuropäischen Staaten, zeigt, wie eng Europapolitik und Ostpolitik miteinander verflochten sind und sich ergänzen. Ostpolitik und Westpolitik, d. h. die intensiven Bemühungen nach beiden Richtungen, sind nicht Alternativen. Vielmehr bedingen sie sich gegenseitig.
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Nur auf der Grundlage einer erfolgreichen Politik des fortschreitenden, auch engeren politischen Zusammenschlusses der Staaten der Europäischen Gemeinschaft kann unsere Politik des Ausgleichs und der Entspannung gegenüber dem Osten erfolgreich sein. Andererseits setzt ein engerer politischer Zusammenschluß der Bundesrepublik mit unseren westeuropäischen Partnern die Aussöhnung der Bundesrepublik mit dem Osten und die deutsche Bereitschaft zur Entspannung und Zusammenarbeit auch mit der Sowjetunion und Polen wie anderen osteuropäischen Partnern voraus.
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Dies wird ganz deutlich z. B. bei der Diskussion um die Beitrittsverträge in den Ländern, in denen der Ausgang der Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft auch davon beeinflußt wird, wie dieser Bundestag und wie das deutsche Volk es mit der Ostpolitik halten.
({21})
Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen ist in diesem Hohen Hause auch viel von nicht eingelösten Versprechen dieser Regierung und von Zukunftsmalerei gesprochen worden. Auch heute habe ich viel von der Zukunft gesprochen, mehr von dem, was noch zu tun ist, als von dem, was getan wurde. Ich habe das ganz bewußt getan. Zwar halte ich das Vertragswerk für einen entscheidenden Erfolg einer zielstrebigen Europapolitik, in der diese Bundesregierung - ich sagte es bereits - auf der Arbeit früherer Regierungen aufbauen konnte. Entscheidender jedoch scheint mir zu sein, wie dieser Vertrag als Einschnitt, als Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Einigung genutzt wird
({22}) und welche Zukunft für Europa er einleitet.
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Deswegen habe ich von der Zukunft gesprochen, um unser rückhaltloses Bekenntnis zu einem in Frieden und Freiheit geeinten Europa, getragen von dem Willen seiner Völker, zu unterstreichen, außerhalb dessen es gerade für unser Volk keine Möglichkeit des Überlebens gibt.
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Die Bundesregierung bittet daher den Deutschen Bundestag, noch vor der Sommerpause den Beitrittsverträgen seine Zustimmung zu geben.
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Präsident von Hassel: Nach der Einbringung des Gesetzes durch den Herrn Bundesminister des Auswärtigen eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal und sicherlich auch nicht das letzte Mal, daß wir uns hier in diesem Hohen Hause mit dem Thema der europäischen Einigung, mit dem Thema der Europäischen Gemeinschaften befassen. Und ich habe nicht die Absicht, anläßlich der ersten Beratung dieser Vorlage namens der Bundestagsfraktion der CDU/CSU heute eine große Erklärung abzugeben. Ich meine, daß es richtig und gut wäre, die Einführungsrede des Herrn Bundesaußenministers mit einigen Feststellungen zu versehen und eine Reihe von Gedanken für die Ausschußberatungen, die ja noch zu folgen haben, hinzuzufügen.
Herr Minister Scheel, ich habe auch nicht die Absicht, in diesem Augenblick auf all das einzugehen, was Sie im zweiten Teil Ihrer Darlegungen vor dem Hause ausgebreitet haben, weil ich den Eindruck habe, daß in den gestern abend durchgeführten und noch im Laufe des heutigen Tages stattfindenden Beratungen und Besprechungen, an denen Sie ja - wenn auch nicht in der Kommission, in der ich mitgearbeitet habe - teilgenommen haben, gerade diese Thematik aufgenommen und versucht worden ist, zu einer gemeinsamen Auffassung zu kommen. Trotzdem werde ich Ihnen in dem einen oder dem anderen Punkte hier im Hause etwas entgegenhalten müssen, und dies nicht nur aus der Sicht der Opposition, sondern weil etwas zurechtgerückt werden muß, was Sie in diesem Augenblick in diesem Hause
feststellen und was nicht der Auffassung entspricht, zu der wir in den gestrigen Nachtstunden gekommen sind.
Lassen Sie mich zunächst ein paar Gedanken vortragen. Die CDU/CSU - wie oft sollte oder müßte man das eigentlich wiederholen? - hat sich von Anfang an mit größtem Nachdruck für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften eingesetzt. Leider sind aber, was wir auch schon wiederholt festgestellt haben, die Initiativen hierzu in den vergangenen Jahren, im Jahrzehnt der 60er Jahre, auf Grund der damals gegebenen politischen Situationen in einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch in den in Frage kommenden Beitrittsländern gescheitert. Diese Situationen - das haben Sie festgestellt, Herr Scheel - haben sich in den letzten Jahren gewandelt. Wir begrüßen es sehr, daß dadurch der Weg für die Erweiterung der Gemeinschaft frei wurde und der Vertrag vom 22. Januar 1972, der dem Hause heute zur ersten Beratung vorliegt, zustande kommen konnte.
Auch wir verzeichnen mit großer Genugtuung, daß keiner der Verhandlungspartner den Inhalt der bestehenden Verträge und die inzwischen erlassenen Rechtsakte in Frage gestellt hat. Man hat sich vielmehr damit begnügt, Anpassungsmaßnahmen und Übergangsregelungen für eine begrenzte Frist zu vereinbaren, wobei wir hoffen, daß diese Fristen auch eingehalten, ja, nach Möglichkeit sogar verkürzt werden können. Ich denke dabei an die Agrarmarktordnungen. Im übrigen wird mein Kollege Ritz noch aus der Sicht des engagierten Agrarpolitikers ein paar grundsätzliche Worte zu dem vorliegenden Vertragswerk sagen. Ich denke also dabei unter anderem an die Agrarmarktordnungen, die Finanzvorschriften und gewisse Außenhandelsmaßnahmen.
Es muß unter allen Umständen dafür Sorge getragen werden, daß keine Hemmnisse und Verzögerungen bei der Verwirklichung der Gemeinschaftspolitik entstehen. Ja, die Zeit bis zum Inkrafttreten des Vertrages am 1. Januar 1973 darf keine Zeit des Stillstands sein. Die Beitrittsländer müssen vielmehr, wie dies erfreulicherweise in vielen Bereichen schon geschieht, an der Erarbeitung der gemeinsamen Politik voll beteiligt werden, damit der Einigungsprozeß weitergehen kann. Ich denke dabei u. a. an die Wirtschafts- und Währungspolitik, wobei sich ja die Beitrittsländer bereit erklärt haben, die jüngst vereinbarte Verengung der Bandbreiten mitzumachen. Dasselbe gilt aber auch für die volle Beteiligung der vier Länder an den außenpolitischen Konsultationen nach dem sogenannten Davignon-Verfahren.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zur Frage der politischen Einigung. Wenn ich vorhin feststellen konnte, daß die Beitrittsländer den Inhalt der Verträge angenommen haben, so gilt dies erfreulicherweise auch für die politische Finalität der Verträge, nämlich die Einigung dieses unseres Europas auch auf politischem Gebiete. Diese politische Einigung darf jedoch unseres Erachtens nicht auf irgendeinen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Vielmehr kann - dies ist unsere feste auf Erfahrung beruhende Überzeugung - die erstrebte Wirtschafts- und Währungsunion nicht ohne parallele gleichzeitige Fortschritte bei der politischen Einigung dauerhaft funktionieren.
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Meine Damen und Herren, wir haben dazu einen Stufenplan vorgelegt, der den Weg von einer Konsultation über die Kooperation bis zur Übertragung der Verantwortlichkeiten für alle relevanten politischen Entscheidungen auf die Gemeinschaft zeigt. Dies gilt insbesondere für die Außen- und Sicherheitspolitik. Keiner von uns ist der Meinung, Herr Minister, daß dieses sofort bewerkstelligt werden kann. Wir wissen sehr genau, welche Schwierigkeiten und Probleme auch im Rahmen der Sechsergemeinschaft und jetzt erst recht im Rahmen der Zehnergemeinschaft hier entstehen können.
Trotzdem müssen wir auch in diesem Augenblick auch darauf bestehen, daß dies insbesondere, wie ich gesagt habe, für die Außen- und Sicherheitspolitik dieses unseres Europas gilt. Ich betone nochmals: Wenn die Gemeinschaft kein Zollverein mit Agrarmarktordnungen bleiben soll, so sind Fortschritte auf dem politischen Gebiet parallel zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen unerläßlich.
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Das zur Zeit zur Diskussion stehende Politische Sekretariat, über das bei der bevorstehenden Gipfelkonferenz in Paris verhandelt werden soll, erscheint uns dabei durchaus nützlich, wenn es auch mit der Schaffung von neuen Institutionen allein nicht getan ist, sofern der politische Wille der Mitgliedsregierungen zur Gemeinschaft nicht vorhanden ist. Wir sind übrigens der Auffassung, Herr Minister, daß dieses Politische Sekretariat seinen Sitz in Brüssel haben sollte, um die enge Verbindung mit den dort ansässigen Gemeinschaftsorganen reibungslos zu gewährleisten.
Nun ein Wort zu den Gemeinschaftsorganen selbst.
Das Beschlußfassungs- und Rechtsetzungsverfahren in der Gemeinschaft wird, wie Sie es auch schon angedeutet haben, bei zehn Mitgliedern sicherlich nicht einfacher werden, als das bei den bisherigen Sechs der Fall war. Es muß alles darangesetzt werden, daß die quantitative Erweiterung nicht zu einer qualitativen Verschlechterung führt. Dies heißt konkret: die Gemeinschaftsinstitutionen müssen in die Lage versetzt werden, möglichst zügig und möglichst wirksam zu beschließen und zu handeln. Dies ist vor allem ein Problem des Ministerrats. Eine Funktionsreform und Beschleunigung beim Entscheidungsverfahren des Ministerrats erscheint uns unerläßlich. Dabei kann, Herr Minister, nach unserer Auffassung auf die Dauer nicht auf die vertragsgemäße Anwendung des Mehrheitsprinzips verzichtet werden.
Selbstverständlich müssen wir uns darüber im klaren sein, daß hierbei die Wahrung von wirklich
essentiellen und vitalen Interessen einzelner Mitgliedstaaten - unter Reduzierung dieses Begriffs auf Fragen, die eine solche Bezeichnung tatsächlich
verdienen - erfolgt. Ich könnte mir vorstellen - und dies ist auch ein Wunsch an die Bundesregierung für die Beratungen in den Ausschüssen-, daß man sich einmal überlegt und prüft, ob der Begriff „vitale Interessen" in Zukunft ohne weiteres von jedem Mitgliedstaat angewendet werden kann oder ob es nicht zumindest über die Anwendung des Begriffs „vitale Interessen" einer Mehrheitsentscheidung im Ministerrat bedarf. Denn sonst werden wir wie in der Vergangenheit erleben, daß der Begriff „vitale Interessen" immer wieder als Vorwand für Verzögerungen und Verhinderungen benutzt wird - bis hin zur Frage der Schweinezählung, um nur ein Beispiel zu nennen.
Die uns heute vorliegenden Beitrittsvereinbarungen sehen die Anwendung des Mehrheitsprinzips vor und sprechen nicht von dem „sogenannten Luxemburger Abkommen", mit dem die Anwendung dieses Prinzips seinerzeit ausgesetzt wurde. Ich meine, das ist ein Punkt, den wir im Ausschuß einmal prüfen sollten.
Die Europäische Kommission muß wieder in die Lage versetzt werden, mit echten Handlungs- und Vertretungsbefugnissen Motor der Gemeinschaft zu werden. Dazu erscheint es uns erforderlich, die künftig erweiterte Kommission mit Persönlichkeiten von hohem politischem Rang und Gewicht zu besetzen und hierbei die politisch relevanten Kräfte innerhalb der Gemeinschaft entsprechend zu berücksichtigen.
Herr Minister, ich spreche dabei einen Tatbestand an, den wir jedenfalls in der Vergangenheit mit einiger, wie ich glaube, berechtigten Kritik, begleitet haben. Wir halten es nicht für möglich, daß in einem sich so erweiternden und hoffentlich mit neuen Zuständigkeiten versehenen Gemeinschaftsorgan die größte Partei, die größte Fraktion dieses Hauses aus der Repräsentanz in der Kommission ausgeschlossen ist.
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Meine Damen und Herren, die Engländer haben es in ihren Überlegungen hinsichtlich der Besetzung der Organe mit ihren zukünftigen Mitgliedern beinahe als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß sie neben einem Vertreter der Regierungspartei auch einen der Opposition entsenden; und andere praktizieren das auch so. Ich würde es für außerordentlich gut halten, wenn wir unabhängig davon, wer Regierung und wer Opposition ist, in Zukunft dieses demokratische Prinzip auch in Brüssel praktizierten.
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Die Europäische Kommission wird immerhin weitgehend durch diese gewichtige Besetzung, von der ich eben gesprochen habe, in der Lage sein, das durchzusetzen und das zu vollziehen, was wir von ihr erwarten.
Schließlich muß - das ist besonders wichtig - im Zuge des Ausbaus der Europäischen Gemeinschaften zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union die parlamentarisch-demokratische Basis der Gemeinschaft durch Erweiterung der
Legislativ- und der Kontrollbefugnisse sowie durch die direkte Wahl des Europäischen Parlaments entscheidend gestärkt werden. Das ist eine alte Forderung, der wir hier im Bundestag durch die Einbringung unseres Gesetzentwurfs zur Direktwahl schon den entsprechenden Nachdruck verliehen haben. Bei diesem unserem berechtigten Anliegen erhoffen wir uns von den vier Beitrittsländern, bei denen ja sämtlich das demokratische und parlamentarische System eine gute und lange Tradition hat, eine wirkungsvolle Unterstützung.
Ohne daß wir uns in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen wollen, darf ich in diesem Zusammenhang unser aller Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Volksabstimmungen in Dänemark, Norwegen und Irland Ausdruck geben. Herr Bundesminister Scheel, Sie haben in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, wie sehr bei diesen Volksabstimmungen die Frage der Zukunft der Ost-West- und der Entspannungspolitik, wie sie sich aus den Verträgen ergibt, mit der Zustimmung insbesondere in Norwegen und Dänemark verknüpft ist. Ich meine, wir müßten diesen beitrittswilligen Ländern, ihren Regierungen und ihrer Bevölkerung auch von dieser Stelle aus sagen, daß die erweiterten Europäischen Gemeinschaften auch unabhängig von dem Schicksal der Ostverträge die Basis für die Kooperation und für die Zukunft in einem größeren Europa sind und bleiben. Wir fordern die Länder auf, beizutreten und hieran mitzuwirken.
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Meine Damen und Herren, zur Zeit laufen noch die Verhandlungen zwischen den Gemeinschaften und den nichtbeitrittswilligen oder -bereiten EFTA- Ländern über den Abschluß von Freihandelsabkommen. Wir hoffen, daß all diese Verträge zusammen mit dem Beitrittsvertrag am 1. Januar 1973 in Kraft treten können. Dabei würden wir es sehr begrüßen, wenn außer der Liberalisierung des Handelsverkehrs auch eine möglichst weitgehende Kooperation auf wirtschafts- und währungspolitischem Gebiete vereinbart werden könnte.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch folgende Gedanken ausführen. In diesem Hohen Hause ist schon häufig über die dringende Notwendigkeit der europäischen Einigung gesprochen worden. Ich möchte mir daher Wiederholungen versagen, jedoch unterstreichen, daß gerade die derzeitigen weltpolitischen Entwicklungen mit neuen Schwerpunkten in den Machtverhältnissen die politische Einigung unseres Kontinents ohne weiteren Verzug erforderlich machen.
Auch bei der angestrebten Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa muß die Europäische Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen. Denn nur dann besteht die Chance, daß wir unsere Interessen wirksam vertreten und wahren können. Herr Minister Scheel, Sie haben vorhin, wie Sie sagten, ein paar klärende Worte über den Moskauer Vertrag gesprochen und gesagt, daß das europäische Einigungswerk hierzu nicht im Gegensatz steht. Das ist von uns aus auch nicht behauptet worden. Wir, Herr Minister Scheel, haben allerdings - deswegen
am Anfang meine Eingangsworte - hinsichtlich der Deutung der „klärenden Worte" von Herrn Breschnew auf dem Gewerkschafts-Kongreß zur Frage der Europa- oder Westpolitik der Sowjetunion, die sie so oder so betreiben wird, eine andere und weniger optimistische Deutung vernommen, als Sie sie hier heute wieder vorgetragen haben.
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Sehen Sie, hier unterscheiden wir uns nicht nur in einem sehr unwesentlichen, sondern sogar in einem sehr wesentlichen Punkt, Herr Scheel. Ihre Interpretationen der sowjetischen Europa- oder Westpolitik sind eben anders als die von uns angestellten.
Wenn wir einmal in diesem Augenblick einen Blick auf die sowjetische Strategie und Politik in Vietnam, auf den Nahen Osten bis hin zu Europa werfen, und wenn Sie dann, meine Damen und Herren, dem die optimistische Deutung gegenüberstellen, die Minister Scheel sowohl im Auswärtigen Ausschuß wie auch hier im Plenum und in der Öffentlichkeit immer wieder vorträgt, müssen wir Ihnen, Herr Minister Scheel, und der Bundesregierung in aller Form sagen, daß wir diese optimistischen Interpretationen nicht teilen können und uns deswegen gegenüber Überraschungen gefeit machen wollen. Das ist unsere Intention.
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Lassen Sie mich zum Schluß nur noch eines sagen. Wir sehen die Frage der europäischen Einigung nicht nur unter außen-, sicherheits-, wirtschafts- und währungspolitischen Gesichtspunkten, sondern sind zutiefst davon überzeugt, daß bei einer entsprechenden Politik vor allem die Menschen in den europäischen Ländern aus dieser Einigung ihren Nutzen ziehen sollen und ziehen werden und daß dieses große Werk vor allem ihnen, den Menschen in Europa, dienlich sein wird. Deswegen werden wir mit gleicher positiver politischer Einstellung an die Verabschiedung dieser Vorlage in den Ausschüssen herangehen und erklären unsere Bereitschaft, hieran voll und ganz mitzuarbeiten.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sehr reizvoll, auf einige Punkte, die der Kollege Blumenfeld angeschnitten hat, einzugehen, wie z. B. die Einstimmigkeit bei vitalen Interessen im Ministerrat, die Repräsentanz in der Kommission, den Beitritt der vier Länder, die dortige Beurteilung dieser Gemeinschaft und auch die Breschnew-Äußerung. Lassen Sie mich nur zu zwei Punkten etwas sagen, weil ich mich an die Vereinbarung halten will und eine Erklärung meiner Fraktion abzugeben beabsichtige.
Wir meinen Sie das mit der Repräsentanz in der Kommission, Herr Kollege Blumenfeld? Meinen Sie, daß wir die Adenauer-Tradition fortsetzen und nur Mitglieder unserer Partei in die Kommission entsenden sollen? Sie haben damals doch noch nicht einmal Ihren Koalitionspartner bei der Besetzung der Kommission berücksichtigt. Wir haben von den zwei Sitzen, die wir zur Zeit in der Kommission haben, einen Sitz unserem Koalitionspartner abgetreten.
Was den Beitritt der vier neuen Mitglieder angeht, Herr Kollege Blumenfeld, so haben Sie wohl so wie ich viele Gespräche mit Menschen aus diesen vier Ländern, die jetzt beizutreten beabsichtigen. Wie ist ihre Position? Fragen sie Sie genauso, wie Sie mich fragen: Wie soll ihre Haltung sein bei dem Referendum in diesen Staaten, wenn hier im Deutschen Bundestag die Verträge mit Moskau und Warschau nicht ratifiziert werden?
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Ich will darauf nicht weiter eingehen, sondern nunmehr meine Erklärung für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion abgeben zu den Verträgen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands, des Königreichs Norwegen und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zur Europäischen Atomgemeinschaft und zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Ich will das in fünf Punkten zusammenfassen.
1. Das vorliegende Gesetzeswerk ist der Ausdruck eines historischen Ereignisses höchsten Ranges in der europäischen Geschichte.
2. Die Tatsache, daß dieser Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zustande gekommen ist, ist als ein großer Erfolg dieser Bundesregierung zu werten.
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3. Das vorliegende Verhandlungsergebnis sichert in vollem Umfang die bisherigen Grundsätze der Gemeinschaft und ist deshalb zu begrüßen.
4. Das Ratifikationsgesetz wird Ausgangspunkt sein für eine neue, vertiefte Gemeinschaft, für die schon jetzt Weichenstellungen vorbereitet werden müssen.
5. Nicht zuletzt muß dieses Gesetz als Grundlage für eine erhöhte Verantwortung der erweiterten Gemeinschaft in der Welt verstanden werden.
Lassen Sie mich diese fünf Punkte kurz erläutern.
Zu 1: Die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft von bisher sechs auf künftig zehn Mitglieder stellt keine reine Addition dar, sondern bedeutet einen qualitativen Sprung. Erst durch diese Erweiterung wird der fragmentarische Charakter der westeuropäischen Integration, den viele zu Beginn für einen Geburtsmakel gehalten haben, der nicht zu vermeiden gewesen ist, aufgehoben. Die europäische Integration erhält durch die Erweiterung jetzt erst ihren vollen Sinn.
Das handgreifliche Ergebnis der Erweiterung liegt selbstverständlich darin, daß die bedauerliche Spaltung Westeuropas in zwei rivalisierende Blöcke, die Europäische Gemeinschaft und die EFTA, aufgehoben wird. Die Revalität hat im vergangenen Jahrzehnt zu erheblichen Reibungsverlusten geführt. Erst wenn wir in der Lage sein werden, wozu
jetzt berechtigte Hoffnung besteht, daß alle westeuropäischen Staaten entweder Mitglied der Gemeinschaft sind oder doch auf die eine oder andere Art mit ihr zusammenarbeiten, werden wir ermessen können, welche dynamische Kraft diesem freien Teil des Kontinents noch innewohnt.
Die historische Bedeutung des Vorgangs, den wir hier zu würdigen haben, geht damit weit über die Statistiken von Einwohnerzahlen, Wirtschaftskraft und Anteil am Welthandel hinaus. Diese Zahlen, die im Zusammenhang mit der Erweiterung oft zitiert werden, stellen jedoch andererseits gleichzeitig einen gewaltigen Auftrag dar, sie sind nämlich noch zum großen Teil reine Additionen nationaler Größen, die erst zu Einheiten europäischer Größe verschmolzen werden müssen.
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Die historische Bedeutung dieser Stunde, von der ich gesprochen habe, beinhaltet also zugleich eine Verpflichtung, die man ebenfalls als historisch bezeichnen muß, nämlich das Werk zu vollenden und die Form zu gießen.
Zu 2: Dieses Vertragswerk stellt einen außerordentlichen Erfolg der Bundesregierung der letzten Jahre dar.
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Diese Regierung hat sich unablässig bemüht, die Frage der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft auf der Tagesordnung zu halten, die politische Weichenstellung für eine positive Regelung zu erreichen und schließlich die Verhandlungen selbst zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Dafür gebührt ihr der Dank dieses Hohen Hauses.
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Der Fairneß halber möchte ich hinzufügen, daß die jetzige Regierung an eine Politik ihrer Vorgänger anknüpfen konnte, die ebenfalls die Erweiterung der Gemeinschaft anstrebte. Insbesondere in den Jahren 1967/68 wurden in damals widriger Zeit Kontakte aufrechterhalten und Vorstellungen entwickelt, die zumindest den Faden zu Großbritannien nicht abreißen ließen.
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Wir alle wissen, wie sehr sich vor allem der damalige Außenminister in den genannten Jahren für diese Politik engagiert hat.
Es ist jedoch eine Tatsache, die schon fast in die europäischen Schulbücher eingegangen ist, daß der große Durchbruch erst auf der Haager Gipfelkonferenz vom Dezember 1969 erzielt werden konnte.
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Auf dieser Konferenz gelang es, die noch bestehenden Bedenken gegen die Erweiterung der Gemeinschaft, die insbesondere auf seiten eines bestimmten Mitgliedstaates bestand --- Sie wissen das, Herr Kollege Jahn -, zu zerstreuen, um mit der gleichrangigen Festlegung der Gemeinschaft auf die Ziele
der Vollendung, der Vertiefung und der Erweiterung ein ausgewogenes Aktionsmodell zu entwerfen, das sich bis heute in der Realisierung grundsätzlich bewährt hat.
Die Vollendung geschah insbesondere durch die Verträge über die Eigeneinnahmen der Gemeinschaft vom April 1970, die nicht nur den Schlußpunkt der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik setzen, sondern schon beträchtlich über diese Politik hinausführen, zumal neue Finanzquellen und zusätzliche Ausgabemöglichkeiten über den Agrarbereich hinaus geschaffen werden.
Bei dem Stichwort der Vertiefung denken wir selbstverständlich zunächst an die Wirtschafts- und Währungsunion, die, wie wir zugeben müssen, zwar einen schwierigen Start hatte, weil sie in einer Zeit krisenhafter Spannung beschlossen wurde, die jedoch nunmehr zu ersten konkreten Vereinbarungen geführt hat. Auch daß es zu diesen Vereinbarungen gekommen ist, muß als ein hervorragendes Verdienst der Bundesregierung hier festgehalten werden.
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Ohne die beharrliche Aktion dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren, hätten wir heute keinen Beschluß über die Verringerung der Bandbreiten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und hätten wir nicht die Anerkennung des Grundsatzes - was ich für ganz entscheidend halte - der Parallelität zwischen Wirtschafts- und Währungsunion, die der einzige Garant dafür ist, daß aus dieser Gemeinschaft einmal keine Inflationsgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft der Stabilität werden wird.
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Doch zurück zu der Erweiterung, die den Gegenstand der heutigen Beratung darstellt. Mit der Grundsatzentscheidung von Den Haag waren die Verhandlungen noch nicht gelaufen. Wie zu erwarten war, drohten sie an einer Reihe schwieriger Wirtschaftsfragen zu scheitern. Daß es gelungen ist, für die sich immer wieder auftürmenden Probleme in ständigem Ringen Lösungen zu finden, ist allen Beteiligten zu danken. Nicht zuletzt auch der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, die von ihrem Recht und ihrer Verpflichtung zur Vorlage von Vorschlägen für eine gemeinsame Haltung der Sechs ausgiebig Gebrauch gemacht hat. Der Kommission wird oft vorgeworfen, sie sei in einen Prozeß der Entpolitisierung und der Bürokratisierung verstrickt. Ich kann dagegen heute für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hier feststellen: Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat sich in den Verhandlungen über die Erweiterung politisch profiliert. Sie ist ihren vertraglichen Aufgaben voll und ganz gerecht geworden, und sie ist auch als Institution gestärkt aus diesen Verhandlungen hervorgegangen.
Nichtsdestoweniger haben die Regierungen die Verhandlungen geführt, und zwar erfreulicherweise im Gegensatz zu den ersten Beitrittsverhandlungen
der Jahre 1961 bis 1963 nicht im Stile einer internationalen Konferenz, sondern - durch die einheitliche Verhandlungsführung des Präsidenten des Ministerrats - als Gemeinschaft. Unter der deutschen Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1970 erfolgten die entscheidenden Weichenstellungen für die Verhandlungsmethoden, das Zeitmaß der nachfolgenden Arbeiten und die Aufteilung des Verhandlungsstoffes. Wer in der Zeit der Verhandlungen das Ohr nahe an Brüssel hatte, der spürte einfach, daß unablässig positive Impulse von Bonn in diese Verhandlungen eingeschleust wurden. Diese Tatsache ist bei unseren Partnern bekannt und anerkannt. Sie soll uns nicht zu einem Selbstlob verführen, jedoch verdient sie wenigstens solange festgehalten zu werden, bis die Behauptung, die wir schon in diesem Hohen Hause hören konnten, einfach nicht mehr aufrechterhalten werden kann, die Behauptung nämlich, daß sich diese Regierung zuwenig um die wesentlichen Fragen der Westintegration gekümmert habe.
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Allein die Vorgeschichte des Ratifikationsgesetzes und sein Inhalt lassen eine solche Zweckbehauptung in sich zusammenbrechen. Hätte die Bundesregierung in den letzten zweieinhalb Jahren nichts weiter getan, als dieses Ergebnis zu ermöglichen, so hätte sie sich schon als aktives Element der Gemeinschaft ausgewiesen. Wie sehr sie zusätzlich ihre Bilanz in der Europapolitik durch ihre Initiativen vor allem zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur Weiterführung der politischen Zusammenarbeit weiter positiv gestaltet hat, kann nicht mehr bestritten werden. Diese Bilanz ist schon fest in die europäische Geschichte eingeschrieben und kann nicht mehr ausradiert werden.
Zu 3: Bei der Beurteilung des Verhandlungsergebnisses muß man sich auf wenige Grundsätze beschränken. Das Wesentliche ist, daß es gelungen ist, den Charakter der Gemeinschaft zu wahren und zu verhindern, daß mit der Erweiterung vor allem durch zahllose dauerhafte Ausnahmeregelungen der angestrebte einheitliche Wirtschaftsraum aufgesplittert würde. Die Gemeinschaft hat dabei keine Doktrin und schon gar kein Dogma zu verteidigen. Was sie verteidigen mußte, war die Chance einer künftigen Funktionsfähigkeit. Es hätte nichts genützt und schon gar nicht den neuen Mitgliedern, wenn man auf dem Wege der Bequemlichkeit für jede sensible Frage eine bequeme Antwort gefunden hätte. Daß es dazu nicht gekommen ist, ist sowohl der geschickten Verhandlungsführung der Sechs als auch der politischen Weitsicht der beitrittswilligen Staaten - hier vor allem Großbritanniens - zuzurechnen.
Die britische Regierung stand vor der schwierigen Aufgabe, nicht nur die wirtschaftliche Integration ihres eigenen Landes in die Gemeinschaft durch Übergangsmaßnahmen zu bewerkstelligen, sondern auch die weitgestreuten Interessen ihrer Commonwealthländer zu vertreten. Besonders bei den Einzelregelungen zugunsten verschiedener Commonwealthländer, auf die ich im einzelnen hier nicht eingehen möchte, zeigen sich schon Anhaltspunkte für eine weltweite Politik der Gemeinschaft. Insofern - und dies scheint mir wichtig - ist das vor uns liegende Ratifikationsgesetz auch kein Ergebnis in sich selbst und kein Abschluß, sondern es enthält zahlreiche Vorgriffe auf eine künftige Politik der Gemeinschaft. Es ist, wenn man so will, der Versuch, den Prozeß des Übergangs in juristische Paragraphen und Artikel zu fassen.
Um diesen Punkt noch einmal zusammenzufassen, möchte ich klar herausstellen: das Verhandlungsergebnis gibt keine Grundsätze der bisherigen Gemeinschaft preis, es erlaubt die Verwirklichung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes und seine Weiterführung in die neue Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion. Durch die Anerkennung der Verträge und des gesamten Folgerechts bekennen sich die neuen Staaten zum Stand der Gemeinschaft, wie sie sich bisher entwickelt hat, und übernehmen damit auch die politische Verantwortung für eine folgerichtige Weiterentwicklung dieser Gemeinschaft. Vom Beitrittsvertrag her gesehen stellt die Erweiterung deshalb keinen Umbruch dar, wohl aber den Beginn eines neuen wichtigen Abschnittes auf dem bisher schon eingeschlagenen Weg.
Aus diesen Gründen begrüßt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion das Verhandlungsergebnis. Sie hätte keinem Ergebnis zustimmen können, das in irgendeiner Weise die Lebensfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft in Frage gestellt hätte.
Zu 4: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beurteilt den vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur in seiner inhaltlichen Aussage, wie sie sich in den einzelnen Vertragsartikeln darstellt, sondern auch - und dies mit in erster Linie - nach den politischen Perspektiven, die der Entwurf eröffnet. Die Kernfrage lautet hier: was wird durch die Erweiterungsverträge in Europa bewirkt? Werden die Europäer mehr als bisher in die Lage versetzt, die wesentlichen Fragen ihrer eigenen Zukunftsgestaltung selbst in die Hand zu nehmen? Im Zusammenhang mit der Erweiterung wird oft von der Dimension gesprochen, in die die Gemeinschaft hineinwachsen soll. In diesem Begriff deutet sich der qualitative Sprung an, den die Erweiterung mit sich bringen kann. Ich sage bewußt „kann" und nicht „muß". Denn auch hier liegen Möglichkeit und politischer Auftrag eng beisammen. Es wird die Aufgabe aller politisch Verantwortlichen sein, schon in den nächsten Monaten darauf zu achten, daß die grundlegenden Weichenstellungen für die künftige Politik der erweiterten Gemeinschaft rechtzeitig und in der rechten Weise getroffen werden. Ich denke hierbei besonders an die Vorbereitung des für Oktober vorgesehenen Gipfeltreffens. Die Fraktionen der SPD und FDP haben am 25. Februar 1972 einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu dieser Frage eingebracht, wie übrigens auch die Fraktion der CDU/ CSU am gleichen Tage. Hier liegt also schon konkretes Ausgangsmaterial für die Beratung des Deutschen Bundestages in dieser Frage vor.
Die Gipfelkonferenz muß nichts weniger als den Nachweis erbringen, daß die Erweiterung zu einer unmittelbaren Stärkung der Aktionsfähigkeit der
Gemeinschaft führt. Hierzu bedarf es einer erhöhten Effizienz der Organe der Gemeinschaft, der Weiterführung der Wirtschafts- und Währungsunion und einer Grundlegung für eine künftige gemeinsame Außenwirtschaftspolitik, die schrittweise auch die nichtwirtschaftlichen Teile der Außenpolitik erfassen muß.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion schließen die politischen Perspektiven der erweiterten Gemeinschaft jedoch noch zwei wesentliche Elemente ein, nämlich erstens die Demokratisierung der Gemeinschaft durch eine stärkere Beteiligung der europäischen Bürger an den vitalen Beschlüssen, die die Gemeinschaft in Zukunft fassen wird, und dies vor allem durch beträchtliche Verstärkung der Rechte des Europäischen Parlaments,
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und zweitens den Ausbau der jetzigen Wirtschaftsgemeinschaft zum sozial fortschrittlichsten Raum der Welt - eine Herausforderung und eine Aufgabe, der sich diese Gemeinschaft nicht entziehen kann.
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Zu 5: Das vorliegende Ratifikationsgesetz ist schließlich auch Ausgangspunkt für die verstärkte Verantwortung der Europäischen Gemeinschaft nach außen. Diese erweiterte Gemeinschaft zehn hochindustrialisierter Länder wird es sich noch weniger als die bisherige Gemeinschaft der Sechs erlauben können, sich vorrangig den eigenen Problemen zu widmen. Meine Damen und Herren, diese Gemeinschaft wird in der Geschichte einmal nicht danach beurteilt werden, was sie für sich selbst geleistet hat, sondern danach, was sie zur Lösung der brennenden Weltprobleme beigetragen hat.
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Schon jetzt, in der Vorbereitungsphase der Erweiterung, wachsen die Ansprüche vor allem der dritten Welt an die Gemeinschaft rasch an. Was gegenwärtig noch auf der UNCTAD-Konferenz in Santiago de Chile diskutiert wird, muß die Gemeinschaft vielleicht schon in den nächsten Monaten in eine eigene politische Konzeption umsetzen, um für die nächste Welthandelsrunde gerüstet zu sein, die die USA im nächsten Jahr im Rahmen von GATT beginnen wollen. Also auch hier gibt es einen unerhörten Zeitdruck, der keine Verschnaufpause gestattet, sondern vielmehr eine dynamische, vorwärtsdrängende Politik erfordert.
Im engeren europäischen Bereich sehen wir eine ähnlich gelagerte Problematik. Das vorliegende Ratifikationsgesetz verpflichtet die neuen Mitgliedstaaten unter anderem darauf, sich ab 1. Januar 1973 der gemeinsamen Osthandelspolitik anzupassen. Das wird oft übersehen. Diese Verpflichtung bedeutet nichts weniger, als daß von diesem Zeitpunkt an alle Handelsabkommen, d. h. auch solche mit Staatshandelsländern, nur noch von der Gemeinschaft und nicht mehr von den einzelnen Mitgliedstaaten abgeschlossen werden können. Schon dadurch tritt die Gemeinschaft bei der Weiterführung der gesamteuropäischen Diskussion unmittelbarer als bisher in Erscheinung. Sie wird dabei nicht als ein Faktor auftreten, der den Handelspartnern im Osten irgendwelche diskriminierenden Regelungen aufzwingt, sondern als eine Gemeinschaft, die auch den Exportgütern der Staatshandelsländer die Vorteile eines großen Marktes erschließen helfen will.
Die Realität der Gemeinschaft ist also eine Realität der Fakten. Sie ist eine Realität von Handelsverträgen, von Kreditvereinbarungen und von künftiger wirtschaftlicher Zusammenarbeit im weiteren Sinne.
In diesem Hohen Hause ist sehr oft von der Politik der Entspannung die Rede. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion geht davon aus, daß es eine abstrakte Politik der Entspannung nicht gibt. Die Entspannung muß vielmehr konkret sein. Wenn es gelingt, eine aktive Osthandelspolitik der erweiterten Gemeinschaft zu entwickeln und unseren Handelspartnern im Osten die Vorteile einer solchen Politik verständlich zu machen, dann ist das ein sehr konkreter Schritt zur Entspannung in Europa.
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Die erweiterte Gemeinschaft ist damit auch ein Instrument für eine wirtschaftliche Absicherung einer Friedenspolitik in Europa. Sie steht in dieser großen Zukunftsaufgabe keineswegs zur Disposition, um eine Wortprägung der Opposition aufzugreifen, die uns noch allen im Ohr klingt. Die Gemeinschaft wird im Gegenteil eine -der großen Handelnden sein, wenn es gilt, die Zukunft dieses Kontinents in den Griff zu bekommen.
Ich fasse meine Erklärung kurz zusammen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt ohne Einschränkung den vorgelegten Gesetzentwurf. Die Fraktion der SPD betrachtet den Beitritt der vier neuen Mitglieder zur Europäischen Gemeinschaft und die bevorstehenden Regelungen der Rest-EFTA- Staaten als einen historischen Markstein in der Entwicklung Europas.
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Diese weltweite, positive historische Entwicklung ist unter maßgeblicher Mitwirkung dieser Bundesregierung zustande gekommen. Die, sozialdemokratische Bundestagsfraktion erstattet deshalb der Bundesregierung, vor allen Dingen Bundeskanzler Brandt und Außenminister Scheel, ihren Dank.
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Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
stimmt den Vorschlägen des Ältestenrates zur Überweisung an die Ausschüsse - einschließlich des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - zu und erklärt schon heute, daß sie dem Vertragswerk ihre Zustimmung erteilen wird.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Die heutige Aussprache über den zu ratifizierenden Vertrag hat etwas Erfreuliches gezeigt. Sie hat gezeigt, daß es trotz der - ich will mich vorsichtig ausdrücken - etwas gespannten und unruhigen Verhältnisse in den letzten zwei Wochen durchaus möglich ist, hier im Bundestag auch in so wichtigen außenpolitischen Fragen zu einer weitgehenden Übereinstimmung zu kommen. Sie haben die Rede von Herrn Außenminister Scheel gehört. Ich habe aufmerksam dem zugehört, was Herr Kollege Blumenfeld gesagt hat, und selbstverständlich auch dem, was Herr Behrendt ausgeführt hat. Ich kann eigentlich keinen großen Unterschied in der Einstellung zu diesem Vertrag feststellen. Ich bin davon überzeugt, daß auch die CDU/CSU-Fraktion dem Vertrag ihre Zustimmung geben wird,
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auch wenn sie es nicht so ausdrücklich erklärt hat, wie es jetzt Herr Kollege Behrendt getan hat. Ich bin ferner der Überzeugung, daß es bei dieser Einigkeit gelingen wird, dem Wunsch der Bundesregierung Rechnung zu tragen und die Ratifizierung noch vor der Sommerpause vorzunehmen.
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Es handelt sich hier, wie Herr Kollege Behrendt gesagt hat, wirklich um ein historisches Ereignis. Wir Freien Demokraten sind jetzt einem Ziel sehr nahe gekommen, das uns ursprünglich zur Zurückhaltung gegenüber dem Vertrag von Rom bewogen hat. Die bestehende Gemeinschaft der sechs Länder war uns nämlich von Anfang an nicht groß genug.
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Wir wollten von Anfang an das größere Europa haben,
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und deswegen wurde damals beschlossen - dazu haben wir maßgeblich beigetragen -, in den Römischen Verträgen die Möglichkeit des Beitritts anderer Länder offenzuhalten. Wir bedauern allerdings, daß es so lange gedauert hat, bis dieser Schritt vollzogen werden konnte.
Wir haben es bedauert, daß zunächst eine Aufspaltung Europas zwischen EWG und EFTA erfolgt ist. Wir begrüßen es natürlich um so mehr, daß es jetzt dieser Regierung gelungen ist, die Spaltung zu überwinden, daß jetzt wenigstens diese vier Länder den Beitritt zur EWG vollziehen wollen und, wie ich hoffe, auch vollziehen werden.
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Über die Ostpolitik - ,darauf wurde schon mit Recht hingewiesen - ist übersehen worden, daß diese Bundesregierung von Anfang an maßgebliche Impulse gegeben hat, um die westliche Integration, das westliche politische Bündnis weiterzuentwickeln und für die EFTA-Staaten offenzuhalten. Es soll nicht nur bei einer wirtschaftlichen Gemeinschaft bleiben, sondern es muß auch dazu kommen, daß außer der Wirtschafts- und Handelspolitik auch die anderen politischen Entscheidungen so weit wie möglich gemeinsam getragen werden. Schon 1969 auf der Konferenz von Den Haag wurden die Weichen gestellt. Als ich gestern das Vertragswerk in die Hand bekam und es durchsah, war ich doch überrascht, daß es in dieser relativ kurzen Zeit von 18 Monaten der Bundesregierung gelungen ist, daß uns heute tatsächlich ein derartiges Ratifizierungsgesetz vorliegt.
Die Schwierigkeiten dieser Verhandlungen sind in diesem Vertragswerk ganz deutlich gezeichnet. Man muß bedenken, daß auf wichtigen wirtschaftlichen Gebieten innerhalb der EWG und in Großbritannien sehr verschieden gehandelt wurde. Ich verweise nur darauf, was es für Großbritannien bedeutet, ,daß es seine Agrarpolitik jetzt so grundlegend umstellen muß, damit sie mit der EWG- Agrarpolitik nachher übereinstimmt. Man sollte erkennen, daß an die jetzt beitretenden Länder insofern erhebliche Anforderungen gestellt worden sind und daß es bei diesen Verhandlungen doch gelungen ist, das zu erhalten, was in der EWG schon gemeinsam beschlossen wurde, und trotzdem die notwendige Rücksicht auf die beitrittswilligen Länder zu nehmen. Deswegen auch diese Übergangszeiten, die für die Umstellung für diese Länder bestimmt nicht zu lang sind.
Im letzten Augenblick ging es nicht nur uni die Agrarpolitik von Großbritannien. Sie wissen auch, wie wichtig es für Norwegen war, eine vernünftige Regelung für die für dieses Land so wichtige Fischerei zu finden. Diese Übergangsregelungen sind differenziert gegenüber den einzelnen Ländern. Sie sind aber elastisch genug, um diese Angleichung herbeiführen zu können.
Die Bedeutung der erweiterten Gemeinschaft - darauf wurde mit Recht von allen Seiten hingewiesen - geht natürlich weit über Europa hinaus. Ich erinnere daran, daß die Gemeinschaft heute auch eine große Bedeutung für die assoziierten Länder im Mittelmeerraum und in Afrika hat. Auf der anderen Seite gibt es, soweit es sich um Großbritannien handelt, die Probleme des Commonwealths. Ich erinnere mich noch an eine Tagung der Liberalen Internationale Anfang der fünfziger Jahre in Stuttgart. Damals war die Haltung der englischen Liberalen noch die: Wir sagen ja zu Europa, wir möchten schon; aber wie sollen wir die Schwierigkeiten für unsere Commonwealthländer lösen? In der Zwischenzeit sind diese Länder sehr selbständig geworden, und Großbritannien hat ihnen gegenüber ein politisch sehr kluges Verhalten bei ihrem Streben nach Selbständigkeit gezeigt.
Die Verbundenheit auch der erweiterten Gemeinschaft mit den Problemen der gesamten Welt wurde gerade auch von dem Herrn Bundesaußenminister mit Recht hervorgehoben. Es wurde von Herrn Kollegen Behrendt darauf hingewiesen, daß von 1973 Handelsverträge nur noch von der erweiterten Gemeinschaft geschlossen werden können. Dann ist
hier in Westeuropa eine wirtschaftliche Einheit vorhanden, die ihr ganz eigenes nicht nur wirtschaftliches, sondern - das muß man klar erkennen auch politisches Gewicht hat.
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Damit ist die Verantwortung dieser erweiterten Gemeinschaft nicht nur für Europa, für West- und Osteuropa, sondern auch für die ganzen Welthandelsprobleme ganz klar vorgezeichnet. Die Verantwortung muß dahin gehen, daß es nicht eine autarke erweiterte Gemeinschaft ist. Sie muß weltoffen bleiben; sie muß zu vernünftigen Regelungen innerhalb des GATT kommen; sie muß aber auch vor allen Dingen ihre Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern zeigen. Sie darf keine Isolationspolitik betreiben; und ich bin überzeugt, sie wird es auch nicht tun.
Soweit es um den inneren Aufbau und Ausbau der erweiterten Gemeinschaft geht, wurde schon auf die bevorstehende Gipfelkonferenz hingewiesen, Ihre Aufgaben wurden vom Herrn Bundesaußenminister ganz klar vorgezeichnet. Der innere Ausbau dieser erweiterten Gemeinschaft ist natürlich dringend notwendig. Es muß eine Fortentwicklung zu einer Demokratie im westlichen Sinne erfolgen. Dazu gehört, daß die Effizienz der schon bestehenden Institutionen weiter verstärkt wird und das sowohl die Kommission wie der Ministerrat die ihnen gestellten Aufgaben wirksam erfüllen können.
Und es gilt natürlich vor allen Dingen, auch die Rechte des Europaparlamentes zu verstärken. Die Finanzzuweisungen die eigenen Einnahmen, die die Gemeinschaft hat - müssen natürlich - auch das verstehen wir unter „westlicher Demokratie" - dazu führen, daß das Europäische Parlament echte Kontrollfunktionen bekommt und daß auch die Abgeordneten dieses Parlaments direkt gewählt werden. Insofern sind wir uns einig - und ich habe mich darüber gefreut -, daß wir sowohl in der Begründung der Bundesregierung wie auch in der Entschließung des Bundesrates hierzu positive Stellungnahmen finden. Und ich hoffe, daß es in absehbarer Zeit gelingt, eine direkte Wahl der europäischen Abgeordneten durchzuführen.
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Weiter möchte ich darauf hinweisen, daß diese europäischen Abgeordneten, auch wenn sie gleichzeitig den nationalen Parlamenten angehören, selbstverständlich auch im Europaparlament kein imperatives Mandat haben werden.
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Das ist der grundlegende Unterschied unserer westlichen Demokratie gegenüber anderen, autoritären Systemen,
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und an diesem Status unserer Abgeordneten müssen wir allerseits festhalten.
Im Rahmen der Behandlung des Themas „Europa" möchte ich doch noch darauf hinweisen, daß wir ja auch noch andere europäische Gremien haben, etwa den Europarat. Sein Verhältnis zur Gemeinschaft wurde heute nicht angesprochen. Ich bin der Meinung, Europarat und Gemeinschaft können und müssen sich ergänzen.
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Und ich halte es für dringend notwendig, daß der Europarat die ihm gestellten politischen Aufgaben weiter erfüllt. Das halte ich vor allen Dingen deshalb für dringend notwendig, weil von den 17 Ländern des Europarates wohl dann 10 der erweiterten Gemeinschaft angehören, aber gerade andere Länder wie z. B. Schweden und Österreich oder Finnland auf Grund ihrer Neutralität oder auch - gerade bei Finnland - auf Grund ihrer besonderen politischen Situation der erweiterten Gemeinschaft nicht beitreten können.
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Ich würde es gleichfalls begrüßen, wenn die Verträge, die aus jenen Verhandlungen hervorgehen, die mit diesen Ländern geführt werden, um ihren berechtigten Wünschen im Rahmen nicht nur der erweiterten Gemeinschaft, sondern unseres Europa Rechnung tragen zu können, auch noch im Laufe dieses Jahres abgeschlossen werden könnten.
Wir als Freie Demokraten wünschen, daß es gelingt, diese europäische wirtschaftliche Gemeinschaft festzufügen und auch zu der allerseits gewünschten politischen Gemeinschaft zu kommen, daß es aber nicht nur gelingt, derartige Gemeinschaften zu schaffen, sondern daß auch erreicht wird, die politischen Entscheidungen möglichst gemeinschaftlich zu treffen. Herr Blumenfeld hat vom Mehrheitsprinzip gesprochen. Wir sollten uns aber insofern keine Illusionen machen. Viel wichtiger, als daß gegebenenfalls eine Mehrheitsentscheidung möglich wird, wird es sein, daß allseits der Wille zu einer gemeinschaftlich getragenen Lösung vorhanden ist und in der gegenseitigen Rücksichtnahme auf, wie ich doch sagen möchte, vitale Interessen Lösungen gefunden werden, wie es jetzt mit diesen Verträgen, die uns zur Ratifizierung vorliegen, geschehen ist.
Wir als Freie Demokraten wünschen weiterhin, daß es in dieser erweiterten Gemeinschaft gelingt, den Entwicklungsländern die Hilfe zuteil werden zu lassen, die sie brauchen, um die - das wissen Sie doch - nach wie vor bestehende erschreckende Not abzubauen, damit auch diese Länder nach und nach den Anschluß an die wirtschaftlich stärker entwickelten Länder finden.
Die Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß diese erweiterte Gemeinschaft auch mit den Ländern in Osteuropa einen Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen erreichen wird. Auch diese Länder und die Sowjetunion sind sich der Realität dieser Europäischen Gemeinschaft durchaus bewußt.
Die Freien Demokraten sind weiterhin überzeugt, daß diese Europäische Gemeinschaft dem friedlichen Zusammenleben der Völker dient, und zwar nicht nur innerhalb Europas. Sie wird mit dazu
beitragen, auch in einem weiteren Rahmen friedliche Lösungen zu finden.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Verhandlungen über die Erweiterung der EWG waren stets von den schwerwiegenden Problemen der Agrarpolitik begleitet, Auch wir begrüßen - auch als Agrarpolitiker - grundsätzlich den Beitritt der vier europäischen Staaten zu den Europäischen Gemeinschaften. Insofern, verehrte Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, kann gar kein Zweifel bestehen, ,daß auch die CDU/CSU-Fraktion diesen Verträgen ihre Zustimmung geben wird.
Dennoch meine ich, meine Damen und Herren, ist es nur redlich, schon in der ersten Beratung auch einige kritische Anmerkungen zu schwierigen Problemen, die sich aus agrarpolitischer Sicht ergeben werden, vorzutragen. Die im ganzen vernünftig konzipierten gemeinsamen Marktordnungen als Kernstück der EWG-Agrarpolitik sind seit einiger Zeit in ihrer Wirkung verwässert worden. Im Bereich der Sechs haben sich dadurch starke Unterschiede in der Einkommens-, Kosten- und der allgemeinen Wettbewerbsstruktur ergeben. Eine solche Entwicklung steht ganz offensichtlich im Gegensatz zum Geist der Römischen Verträge. Nicht zuletzt durch währungspolitische Entscheidungen der letzten zweieinhalb Jahre hat sich vor allem für die deutsche Landwirtschaft eine benachteiligte Stellung in der Landwirtschaft ergeben, die auch grundsätzlich in diesem Haus unbestritten ist. Wenn auch eine aktive Preispolitik in der EWG-Agrarpolitik ihre hervorragende Bedeutung behält, so können gemeinsame Preisbeschlüsse allein schon heute nicht mehr die währungsbedingten Nachteile auffangen.
Die Beitrittsverhandlungen sind in Brüssel abgeschlossen worden, ohne daß sich ,die Verhandlungspartner über die künftigen preispolitischen Vorstellungen im Agrarbereich verständigen konnten. Dies hatte dann auch zur Folge, daß schon bald nach den jüngsten Preisbeschlüssen in Brüssel, die, wie wir wissen, für die deutsche Landwirtschaft nur eine Preisverbesserung von 2 Prozent beinhalten, namhafte Politiker im Hinblick auf die Erweiterung der EWG Beschlüsse über Preisanhebungen in naher Zukunft für wenig realistisch hielten. Meine Damen und Herren, ich möchte hier mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß ,der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft nach der Getreidepreisharmonisierung des Jahres 1967, der Abwertung ,des französischen Franc im Jahre 1969 und den Aufwertungen der Deutschen Mark von 1969 und 1971 kein auch nur vorübergehender Stillstand auf preispolitischem Gebiet im Zuge der Erweiterung zugemutet werden kann.
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- Herr Kollege Behrendt, ich spreche zu den Konsequenzen, die sich aus dem Beitritt ergeben.
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Ich meine noch einmal, Herr Kollege Behrendt: Es ist nur redlich, daß wir uns im vollen Bewußtsein der überragenden politischen Bedeutung dieser Verträge schon heute mit den Schwierigkeiten, die sich natürlich auch ergeben werden, befassen.
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Neben den hier zu beratenden vertraglichen Vereinbarungen über den Beitritt sind Großbritannien, wenn wir es richtig sehen, bereits Zugeständnisse zur Beibehaltung von Sonderprogrammen in von Natur benachteiligten Gebieten gemacht worden. Das ist sicher zu billigen. Nur gibt es, bis heute jedenfalls, noch keine vergleichbaren Programme für vergleichbare Gebiete in der Kerngemeinschaft, und wir müssen aufpassen, daß sich hieraus nicht zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen im Rahmen der erweiterten Gemeinschaft ergeben.
Meine Damen und Herren, ich darf dies ganz deutlich sagen: Die Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland hat trotz aller Erschwernisse immer ja zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und auch zum größeren Europa gesagt. Wir würden dieses Ja gefährden, wenn es durch diese Erweiterung zu einseitigen Belastungen und zusätzlichen Erschwernissen in der ohnehin kritischen Lage unserer Landwirtschaft käme.
Die durch die währungspolitischen Entscheidungen bedingten Nachteile und die durch die Erweiterung der Gemeinschaft zu erwartenden zusätzlichen Probleme sollten die für die Agrarpolitik verantwortlichen Politiker dieses Landes veranlassen, schon heute nach Wegen zu suchen, um weitere Benachteiligungen zu vermeiden. Sowohl von der Preis- und Marktseite her als auch von der Kostenseite stehen wir schon heute vor der Frage, ob nur noch gemeinschaftliche Regelungen zu einer echten Wettbewerbsgleichheit innerhalb der Gemeinschaft führen können. Wenn wir diese Frage verneinen - und ich fürchte, wir müssen dies tun -, dann gilt es, bis zur Vollendung eines echten größeren Binnenmarktes durch ergänzende nationale Maßnahmen die Herstellung der notwendigen Wettbewerbsgleichheit in der EWG, auch in der erweiterten EWG, zu sichern.
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- Bei allen zehn. Nur so wird auch die deutsche Landwirtschaft zu der notwendigen und auch zu begrüßenden Erweiterung der EWG uneingeschränkt ja sagen können.
Meine Damen und Herren, da die Agrarpolitik im Rahmen der Erweiterung der EWG eine so bedeutende Rolle einnimmt, nehmen wir den Antrag des Kollegen Behrendt auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung auf, dieses Gesetzeswerk mitberatend auch dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen von mir aus zu meinem Vorredner und auch zu meinem Vorvorredner.
Zunächst zu den „vitalen Interessen". Ich bin der Auffassung, daß es auf lange Zeit nur nützlich ist, wenn wir in der EWG zu mehrheitlichen Abstimmungen kommen. Solange es aber keine homogenisierte Wirtschafts- und Währungspolitik gibt, muß ich darauf bestehen, auch in unserem Interesse an den „vitalen Belangen" festzuhalten, ebenso wie unsere Partnerstaaten.
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Wir sollten uns hier nicht in Illusionen wiegen. Das wollte ich vorweg sagen. Ich sage das nicht als eine Bremse, sondern zur Beschleunigung für alle jene, die an der Wirtschafts- und Währungsunion zu arbeiten haben. Das ist ja nicht nur eine Frage für uns in der Bundesrepublik, sondern es ist einfach eine Frage für unsere Partner. Ich will dazu nicht noch weitere ergänzende Bemerkungen machen.
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- Es gibt vitale Gemeinschaftsinteressen, z. B. aus unserer Sicht auch die Stabilität, die aus der Sicht der Partnerstaaten nicht gleichrangig bewertet wird. Auch das muß man in dem Zusammenhang sagen; daher kommen ja große Schwierigkeiten, und zwar, Herr Kollege Ritz, nicht nur zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft.
Dazu will ich gleich eine Bemerkung machen. Ich glaube, ich habe schon vor kurzem einmal Zahlen zitiert. Aber ich bin bereit, sie noch einmal nachzuliefern. Wenn ich mich nicht täusche, sind von meinem Hause dem Ernährungsausschuß entsprechende Zahlen bekanntgegeben worden. Sie werden feststellen, daß beispielsweise die französische und die italienische Landwirtschaft einem wesentlich stärkeren Kostendruck trotz Abwertung - ausgesetzt ist als die deutsche Landwirtschaft. Das ist an den Zahlen klar nachweisbar. Selbst ein für uns sehr optimal konkurrierender Partner, die Niederlande, hat im letzten Jahr nach dem niederländischen Agrarbericht einen Einkommensrückgang von rund 17 % zu verzeichnen, und zwar nicht zuletzt wegen eines sehr starken Kostendrucks. Sicherlich haben wir bei den Kosten keine Rückgänge zu verzeichnen, aber eines hat die Aufwertung bewirkt - nur deshalb sage ich das, Herr Kollege Ritz -: eine noch größere Ausuferung des Kostenanstiegs bei uns wurde zumindest gebremst.
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- Doch, das ist an Hand der Relationen nachweisbar. Aber ich will jetzt diese Diskussion nicht fortführen.
Ein weiteres will ich zu Herrn Kollegen Blumenfell sagen. Es ist mir ein großes Bedürfnis, jetzt die Gelegenheit zu nutzen, hier vom Deutschen Bundestag aus den derzeitigen Kommissaren Haferkamp und Dahrendorf meinen besonderen Dank auszusprechen.
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Sie haben nämlich in allen die gemeinsame europäische Politik betreffenden Fragen daran gedacht - und sehr tatkräftig entsprechend gehandelt -, daß diese europäische Politik auf die Dauer nur gedeihen kann, wenn sie partnerschaftlich und nicht einseitig gestaltet wird. Ich muß hier auch ganz offen sagen: Ich hätte mir gewünscht, eine ähnliche Unterstützung im Jahre 1969 durch die damaligen Kommissare gehabt zu haben. Ich könnte ein Beispiel bringen, aber ich will es mir ersparen. Ich denke z. B. daran, wie in der Frage der Mehrwertsteuer der zuständige deutsche Kommissar mit dem zuständigen deutschen Bundesminister umgegangen ist. Aber das kann man der Dokumentation in einer späteren Zeit vorbehalten.
Es hat sich Etliches geändert, und zwar dank der deutschen Kommissare, denen ich hier meinen Dank abstatten will. Dabei wurde unsere europäische Gesinnung nicht in Zweifel gezogen.
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Man kann nämlich unsere Belange auch vertreten, ohne gleich in den Geruch zu kommen, man sei nicht für Europa. Das verdanken wir auch unseren Kommissaren. Das sollten Sie auch hier einmal hören.
Herr Kollege Ritz, ich muß noch einige weitere Bemerkungen anschließen. Sie haben mit Recht gesagt- und da haben wir gar keinen Zweifel -, daß die Währungsfragen infolge der Konstruktion der EWG-Agrarpolitik immer für das Land, in dem Aufwertungen erfolgen, Schwierigkeiten bringen. Hierzu möchte ich zweierlei feststellen: Die Bundesregierung hat sich mit großem Engagement und hohen finanziellen Leistungen bemüht, Einkommensverluste, soweit sie entstanden sind, durch vollwertige Leistungen auszugleichen, sowohl im Jahre 1969 wie jetzt im Grenzausgleich und durch die zusätzlichen Leistungen z. B. für den Kartoffelanbau, die Konservenindustrie, Geflügelwirtschaft, Obst- und Gemüseanbau und dergleichen mehr. Das geschah im Gegenteil sogar in einer Form wie die Liquiditätshilfe, in der die Kommission ein Verfahren gegen die Bundesregierung eingeleitet hat. Die Kommission hat gesagt, daß wir hier über das erträgliche Ausmaß hinausgegangen seien und sogar einen echten Wettbewerbsverstoß vollzogen hätten. Das hat die Bundesregierung gemacht. Ich muß das einfach feststellen, weil ununterbrochen der Eindruck entsteht, diese Bundesregierung hätte hier die Landwirtschaft im Stich gelassen. Diese Maßnahmen waren sicherlich keine Idealmaßnahmen, aber sie sind Maßnahmen gewesen - ich glaube, das kann ich mit gutem Grund sagen -, die von der Landwirtschaft Schaden weitgehend ferngehalten haben.
({5})
Nun zu den berühmten 2 %. Herr Kollege Ritz, es gibt einen Briefwechsel zwischen dem Parlamentarischen Staatssekretär und Ihnen. Ich muß einfach sagen: Auch Ihre jetzigen 2% sind nicht richtig, sondern sie sind bewußt herausgelöst. Dazu muß ich ein ganz offenes Wort sagen, und zwar sehr deutlich; denn ich gehöre, wie Sie wissen, zum Verein für deutliche Aussprache. Ich habe die Prozentzahlen nicht erfunden. Durch die Forderung nach 12 % mußte die Bundesregierung ebenfalls Prozente nennen. Jetzt stellt sich heraus, daß sowohl die Bauern als die Verbraucher damit verärgert werden. Aber das habe ich nicht zu verantworten. Die COPA als europäische berufsständische Organisation hat die Berechnungsmethode „Prozent mal Gewichtskoeffizient" erfunden. Das ist der europäische Berufsstand gewesen; darüber müssen Sie sich wie wir Gedanken machen.
Und nun bin ich gezwungen,
({6})
etwas ganz klar zu sagen. Denn natürlich fragen die Journalisten: Was ist aus diesen Forderungen nach 12% geworden? Hier muß die deutsche Delegation nach derselben Methode rechnen. Ich gebe zu, daß wir am Anfang falsch gerechnet haben. Das tut mir leid; ich habe das übrigens in der Pressekonferenz gesagt; das kann jedermann nachlesen. Ich habe gesagt, daß das nach der Methode des Berufsstandes - grob geschätzt - sogar um 1% differieren kann. Dieses eine Prozent wird sogar genau eingehalten, je nach dem, ob der Rinderorientierungspreis im September auf 8 oder 9 % festgesetzt wird. Komme ich auf 9%, dann komme ich nämlich genau auf 6,8 %, und dann habe ich die Differenz von 1 %, von der ich auf der Pressekonferenz sprach. Nach der Methode der COPA sind es 6,4%. Aber damit jetzt nicht die Verbraucher wild gemacht werden, was ich ja gar nicht will: 6,4 % Interventionspreis heißt nicht 6,4 % Marktpreis. Ich habe das nicht erfunden. Herr Kollege Ritz, es ist einfach falsch, wenn Sie dies hier ununterbrochen sagen. Hier haben Sie für die Landwirte gesprochen.
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- Aber hier haben Sie zu den Landwirten gesprochen! Bei den Verbrauchern spricht die andere politische Seite. Wenn Sie hier von 2 % ausgehen: das Stützungsniveau, Herr Kollege Ritz, das sich dadurch erhöht - einschließlich des augenblicklich weit über dem Interventionspreis befindlichen Marktpreises - beträgt ungefähr 2%, nämlich rund 700 Millionen DM. Das ist die effektive Rechnung.
Aber dazu möchte ich hier doch feststellen, daß diese Bundesregierung drei Dinge seit 1969 beseitigt hat. Und nur dadurch war es überhaupt möglich, eine offensive Markt- und Preispolitik zu betreiben. Sie hat daraus erstens den Butterberg beseitigt, zweitens den Schweineberg abgetragen und drittens den Getreideberg weggeschafft. Nur dadurch hat sich eine gewisse Mobilität zumindest auf dem Veredelungssektor, ergeben. Daher ergeben sich nach COPA zwangsläufig 6,4 %. Einkommenswirksam für die Landwirtschaft sind die 2 % Anhebung des Marktpreisniveaus. Das ist die genaue Zahl; damit hier ein für allemal Klarheit ist!
Nun haben Sie mit Recht gesagt, daß es Leute gibt, die bereits sagen: das war die letzte Preisrunde. Ich kann dazu nur folgendes feststellen. In den Marktordnungen sind gewisse Reglements festgelegt. Z. B. ist die Kommission verpflichtet, für das nächste Wirtschaftsjahr vom 1. August an z. B. für Getreide Vorschläge zu machen. Mir ist nicht bekannt, daß durch die Beitrittsverhandlungen irgendein Beschluß gefaßt wurde, der diesen Marktordnungsmechanismus außer Kraft setzen würde. Die Frage ist, inwieweit die Briten und möglicherweise die Iren oder auch die Dänen an Preiserhöhungen interessiert sind, und inwieweit wir dann zu einer gemeinsamen Basis kommen. Das kann ich heute nicht übersehen. Aber fest steht, daß diese Marktordnung - und damit auch der gesamte Marktmechanismus - auch für die Beitrittsländer gilt.
Nun eine letzte Bemerkung. Niemand kann im Augenblick sagen, wie sich das Marktgeschehen in dieser erweiterten Gemeinschaft vollzieht. Eines kann ich mit Sicherheit feststellen, nämlich, daß zwei wichtige Partnerländer, die auch auf unserem Markt sehr offensiv operieren, zumindest seit dem letzten Jahr ihre Marktanstrengungen nicht nur sehr stark zum Osten hin, sondern auch zum Westen hin ausrichten: das sind Frankreich und Holland. Daraus wird sich zwangsläufig eine gewisse mögliche Aufteilung ergeben. Aber wir sollten nicht verkennen, daß wir nicht wissen, wie die Produktion reagiert, wie der Konsum reagiert - wir sehen das auch zum Teil bei uns am Butterpreis; wir haben einen Konsumrückgang - und ähnliches mehr. Wir brauchen uns hier nicht auf Spekulationen einzulassen.
Nun ein letztes Wort hinsichtlich besonderer Lösungen für Höhengebiete und ähnliches mehr. Ich kann dazu folgendes feststellen. Erstens. In den neuen Strukturrichtlinien ist sogar festgelegt, daß man Sonderprogramme für Höhengebiete macht, und zwar auf EWG-Ebene, nicht zuletzt auf deutschen Antrag hin. Zweitens. Es gibt Sonderprogramme, es gibt einen Alpenplan. Ich habe nicht ohne Grund - Sie haben das in meiner Anfrage lesen können - die Hutungen und Almen in den DM-Aufwertungsausgleich einbezogen, weil ich darin einen gewissen fruchtbaren Ansatz sah, um Höhengebiete zusätzlich zu fördern. Im übrigen gibt es viele andere Zusatzförderungsmaßnahmen. Ich betone noch einmal, daß wir gerade auch im einzelbetrieblichen Förderungsprogramm für die Futterbaubetriebe und insbesondere für die Höhengebiete nochmals zusätzliche Verbesserungen geschaffen haben. Es gibt auch bei uns
- insofern muß diese Feststellung korrigiert werden - eine Vielzahl von Sonderprogrammen.
({8})
- Doch, ich habe das genau angeschaut. Das einzige, was wir nicht haben, ist eine Schafprämie. Sonst haben wir alles. Wir haben Jungviehhaltungsprämien, allerdings aus Landesmitteln, wir haben die besonderen Zinsvergünstigungen. Es gibt keinen großen Dissens zwischen dem schottischen Höhenprogramm und unseren Programmen. Insoweit kann
man mit gutem Grund sagen: Wir haben genügend Vorsorge getroffen, daß es nicht zu neuen Einseitigkeiten kommt.
Für eines danke ich der Opposition sehr. Wir sind uns einig, daß dieser Beitritt im Interesse Europas vollzogen werden muß. Das ist ein aktiver Beitrag dieser Regierung.
({9})
Die Bandbreitenverengung ist ein weiterer Beitrag zur Wirtschafts- und Währungsunion,
({10})
auch im Hinblick darauf, daß möglicherweise unter den Zehn keine neuen Währungsveränderungen mehr erfolgen. Das ist ein mutiger Einstieg, und es liegt an uns allen, diesen mutigen Einstieg weiter mit Tatkraft zu verfolgen.
({11})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache zur ersten Beratung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor die Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß als federführenden Ausschuß und an die Ausschüsse für Wirtschaft, für Bildung und Wissenschaft, den Haushaltsausschuß und, heute morgen interfraktionell vereinbart, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatende Ausschüsse. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache VI/3047 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({12})
- Drucksache VI/3217 Berichterstatter: Abgeordneter Wende ({13})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Bevor ich die Aussprache in zweiter Beratung eröffne, darf ich auf folgendes verweisen. Die Geschäftslage sieht so aus: Wir haben heute noch acht Tagesordnungspunkte, für die Erklärungen vorgesehen sind, dann noch eine Reihe von anderen Punkten. Wir müssen uns also sehr anstrengen, wenn wir heute mit der Tagesordnung fertig werden wollen. Ich habe die Bitte an die Damen und Herren des Hauses, die Erklärungen abgeben, sich jedenfalls an die Normalzeit von 15 Minuten zu halten, vielleicht auch weniger Zeit in Anspruch zu nehmen.
({14})
Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter, ob er zu Punkt 3 als Berichterstatter das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache zur zweiten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Wende.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt grundsätzlich die Initiative des Bundesrates, durch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes die Grenze für die Eintragung von Bußgeldbescheiden in das Verkehrszentralregister Flensburg anzuheben. Im wesentlichen können wir dem Bestreben ides Bundesrates folgen, durch eine Anhebung der Grenze zu einer Entkriminalisierung des Verkehrsrechts zu kommen und Gerichte und Verwaltung nach Möglichkeit zu entlasten. Der Bundesrat geht nach unserer Auffassung von der richtigen Meinung aus, daß Eintragungen im Verkehrszentralregister auf schwerere Verstöße zu beschränken sind. Wir sind daher auch der Auffassung, daß die Registrierung eines Verkehrsteilnehmers auf Grund eines verhältnismäßig geringfügigen fahrlässigen Verstoßes gegen eine Vorschrift des Straßenverkehrsrechts über einen Zeitraum von zwei Jahren nicht angemessen ist.
Dennoch können wir nicht voll dem Anliegen des Bundesrates folgen. Verschiedene Ordnungswidrigkeiten, die nach der Bußgeldreform vom 23. Februar 1971 mit einer Geldbuße von 50 DM bedroht sind, sind unfallträchtig und sollten nach unserer Meinung nicht von der Eintragung im Verkehrszentralregister ausgenommen werden. Lassen Sie mich nur einige Beispiele nennen: Führen eines Fahrzeugs mit Mängeln, die die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigen, und zwar mit mangelhaften Reifen, wenn dies auch pro Reifen mit 50 DM geahndet wird, falsches Vorbeifahren an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, falsches Heranfahren an Fußgängerüberwege, erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch Hindernisse auf Straßen, Überschreiten der Anmeldefrist zur Hauptuntersuchung um mehr als vier Jahre. Diese Ordnungswidrigkeiten sollten samt und sonders auch künftig im Flensburger Zentralregister registriert werden.
Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß der Bußgeldkatalog überprüft werden muß. Verschiedene Ordnungswidrigkeiten werden mit einer Geldbuße von 40 DM bedroht. Wenn wir lediglich die jetzige Eintragungsgrenze von 20 DM auf 40 DM anheben wollten, würden diese Ordnungswidrigkeiten nicht mehr registriert werden. Sie sollten aber im Interesse der Verkehrssicherheit auch künftig in Flensburg erfaßt werden. Hierbei handelt es sich um verbotenes Ein- oder Ausfahren auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen, verbotenes Parken auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen, Nichtbeachten des Rotlichts oder des Haltzeichens von Polizeibeamten und grobes Nichtbeachten des Stoppzeichens durch Führer anderer Fahrzeuge. Da jedoch der Bußgeldkatalog von der Bundesregierung
in Zusammenarbeit mit den Ländern erarbeitet wird, haben wir auf die genaue Festsetzung der verschiedenen Stufen der Geldbußen als Gesetzgeber keinen direkten Einfluß. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion schlägt deshalb vor, eine entsprechende Entschließung an die Bundesregierung zu richten, deren Wortlaut in der Drucksache VI/3217 vom Ausschuß beschlossen worden ist.
Im übrigen ist durch die Anhebung der Eintragungsgrenze eine Entlastung der Gerichte und der Verwaltungsbehörden zu erwarten. Insofern entspricht die von uns vorgeschlagene Anhebung von über 20 auf über 40 DM auch dem grundsätzlichen Petitum des Bundesrates, und zum zweiten wird durch die Anhebung dieser Eintragungsgrenze von vielen Verkehrsteilnehmern - das ist uns auch ein Anliegen - der Makel der Eintragung in Flensburg wegen verhältnismäßig unerheblicher Verkehrsverstöße genommen, wobei natürlich erlaubt sei zu bemerken, daß die Eintragung in Flensburg weder eine Strafe noch eine Buße darstellt und daß andererseits auch die nunmehr nicht zur Eintragung kommenden Verstöße gegen das Straßenverkehrsrecht, z. B. falsches Parken oder Übertreten der Höchstgeschwindigkeit um nicht mehr als 15 km pro Stunde, nicht eine Aufforderung darstellen sollen, sich so zu verhalten.
Wir erwarten durch die Anhebung der Eintragungsgrenze eine Straffung der Arbeit in Flensburg, und ich möchte die Gelegenheit auch benutzen, den Mitarbeitern des Verkehrszentralregisters in Flensburg für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit hier offiziell den Dank auszusprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir wollen, daß eine Erleichterung für Gerichte und Verwaltung eintritt, daß die Verkehrssünder mit geringfügigen Verkehrsverstößen nicht mehr irgendeinen Makel durch die Eintragung empfinden; aber wir können hier natürlich nur so weit gehen, wie nicht etwa Verkehrssicherheit oder Bemühungen zur Unfallverhütung in irgendeiner Art und Weise beeinträchtigt werden.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte ich namens der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion folgendes ausführen. Bei der Anhebung der Eintragungsgrenze für die Verkehrssünderkartei von 20 DM auf 50 DM, die der vom Bundesrat auf Initiative Bayerns eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vorsah, geht es um eine grundsätzliche und eine praktische Frage. Es geht nämlich u. a. um die Frage, welches der zweckmäßige Weg ist, um die große Zahl der Verkehrsunfälle einzudämmen; es geht aber auch um die Frage der Senkung des Verwaltungsaufwandes für diese Eintragungen.
Eine Eintragung in das Flensburger Register wird noch - ich betone: noch - als Makel empfunden. Nur so läßt sich die hohe Zahl von Einsprüchen gegen Bußgeldbescheide zwischen 20 und 50 DM erklären. Sie werden in vielen Fällen deswegen eingelegt, um über eine Herabsetzung der Geldbuße den Makel dieser Eintragung zu vermeiden. Mit dieser Eintragung ist natürlich - später ist ja auch eine Löschung möglich - ein beträchtlicher Verwaltungsaufwand verbunden, den zu senken ein Anliegen des Bundesrates gewesen ist.
Soweit es sich um kleine Fälle handelt, wird bei Millionen von in die Verkehrssünderkartei eingetragenen Bürgern die erzieherische Wirkung auf die Dauer nachlassen, weil man sich mit der großen Zahl der eingetragenen Bürger trösten und abfinden wird. Hier geht es eben hinsichtlich aller Maßnahmen zur Förderung der Verkehrssicherheit um ein grundsätzliches Problem. Dabei geht es darum, ob die relativ vielen Autofahrer, die nur kleine Übertretungen begehen und die schweren Unfälle im Grunde nicht verursachen, mit denjenigen in einen Topf geworfen werden sollen, die durch ihr Verhalten immer wieder den Verkehr stark gefährden, oder ob man sich auf die verhältnismäßig kleine Zahl derer konzentrieren soll, die den Straßenverkehr wirklich ernsthaft gefährden. Wir halten diesen zweiten Weg für den zweckmäßigen.
Der Bundesminister für Verkehr, Herr Leber, hat den Gesetzentwurf des Bundesrates abgelehnt. Er wollte die Zahl der Bürger, die in der Verkehrssünderkartei eingetragen werden sollen, nicht verringern. Aus der Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwurf des Bundesrates geht das eindeutig hervor. Die Vertreter der Regierungskoalition von SPD und FDP haben im Verkehrsausschuß diese Auffassung von Minister Leber nicht übernommen. Vielmehr schlugen sie vor, die Grenze anstatt auf 50 DM, wofür die CDU/CSU eintrat, nur auf 40 DM anzuheben. Über die grundsätzlichen Probleme wie auch über die empfohlene Überprüfung der Einzelsachverhalte bestand im Ausschuß Einmütigkeit. Damit wir uns ein Bild von den Auswirkungen der Heraufsetzung der Eintragungsgrenze auf 40 anstatt auf 50 DM machen könnten, baten wir um Aussetzung der Beratung. Diese unsere Bitte wurde abgelehnt. Daraufhin haben wir gegen die Anhebung auf 40 DM anstatt auf 50 DM im Verkehrsausschuß gestimmt.
Die CDU/CSU hat sich dann umgehend die entsprechenden Zahlen besorgt: 1971 wurden rund 217 000 Bescheide im Verkehrszentralregister Flensburg erfaßt. Bei einer Heraufsetzung der Eintragungsgrenze von 20 DM auf 50 DM wären 1971 nur 139 000 Bürger anstatt 217 000 Bürger eingetragen worden. Das wären 78 000 oder rund 36 ({0})/o weniger. Bei einer Heraufsetzung der Eintragungsgrenze von 20 auf 40 DM wären 1971 163 000 Fälle eingetragen worden. Gegenüber der geltenden Regelung bedeutet dies eine Verringerung von 54 000 Fällen. Das sind allerdings 24 000 Fälle mehr als bei der von uns unterstützten Obergrenze von 50 DM. Trotzdem halten wir, nachdem wir diese Zahlen gesehen und überprüft haben, die jetzige Regelung für ak10828
zeptabel. Daraufhin hat die CDU/CSU im Rechtsausschuß der Regelung, die Obergrenze auf 40 DM anzuheben, zugestimmt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird daher der Novelle zum Straßenverkehrsgesetz in der Ausschußfassung zustimmen.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten habe ich zu dem vorliegenden Änderungsgesetz zum Straßenverkehrsgesetz folgende Bemerkungen zu machen.
Ich glaube, daß dieses Änderungsgesetz kaum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen sein kann. Von daher, Herr Kollege Lemmrich, verstehe ich nicht ganz Ihre Bemerkungen in bezug auf den Bundesverkehrsminister, der in dieser Frage anderer Meinung ist oder war als beispielsweise die Koalition oder die CDU/CSU-Opposition. Sie haben ferner erwähnt, daß das Land Bayern hier initiativ geworden ist. Ich darf dazu sagen - für die Freien Demokraten und auch für mich persönlich -: wir müssen nicht nur mit Bayern leben, wir können auch von Bayern leben. Dies ist ein Beispiel dafür, daß von unseren bayerischen Kollegen durchaus auch sehr brauchbare Vorschläge auf anderen Ebenen gemacht werden.
Wir haben uns bei unseren Überlegungen dem Wunsch des Bundesrates nicht anschließen können. Sicherlich wäre die Anhebung der Grenze auf 50 DM geeignet gewesen, noch größere Zustimmung der Kraftfahrer zu diesem Änderungsgesetz zu erreichen. Aber hier stehen wir doch vor der Frage: ist der Zwang zur Verwaltungsvereinfachung und der Wille zur Verwaltungsvereinfachung, den wir ja alle haben, so stark, daß unter Umständen Gesichtspunkte der Sicherheit vernachlässigt werden können? Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß dieser Kompromißvorschlag, der im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages gefunden wurde - die 40-DM-Grenze bei der Eintragung an Stelle der vorgeschlagenen 50 DM vorzusehen -, ein guter Kompromiß ist, indem er zur Verwaltungsvereinfachung führt, ohne die Sicherheit im Straßenverkehr zu beeinträchtigen.
Allerdings sind wir der Meinung, daß der Bußgeldkatalog - und dieses Änderungsgesetz wäre ja der geeignete Anlaß dazu - einmal dahin gehend überprüft werden sollte, ob die darin aufgeführten Vergehenstatbestände hinsichtlich der Höhe der Buße richtig bewertet werden. Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat ja in seiner Entschließung einige Tatbestände angeführt, die von seiten der Bundesregierung bei den Beratungen mit den Oberbehörden der Länder noch einmal angesprochen werden sollten. Sie sind expressis verbis im Bericht des Berichterstatters aufgeführt.
Ich darf abschließend feststellen, daß die Freien Demokraten dieser Vorlage in zweiter und dritter
Lesung ihre Zustimmung geben werden. Sie sind der Auffassung, daß mit diesem Gesetz die angestrebte Verwaltungsvereinfachung erreicht wird, daß sehr viele Eintragungen entfallen können, die im Grunde genommen nur auf leichteren Parkvergehen beruhen, daß andererseits die Sicherheit nicht beeinträchtigt wird, daß für die Kraftfahrer kein Anreiz geschaffen wird, Verkehrsbestimmungen zu übertreten.
({0})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der zweiten Lesung.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich kann wohl geschlossen aufrufen: Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Gegen eine Stimme so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen eine Stimme ist der Gesetzentwurf angenommen.
Wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses auf Seite 3 der Drucksache VI/3217 abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Anpassung der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ({1})
- Drucksache VI/3155 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3339 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl ({3})
b) Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({4})
- Drucksache VI/3338 Berichterstatter:
Abgeordneter Freiherr von Fircks Abgeordneter Hofmann
({5})
Ich danke den Herren Berichterstattern und frage sie, ob sie als Berichterstatter ergänzend das Wort wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Präsident von Hassel
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Lesung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich zu dem vorliegenden Entwurf des 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes folgende Erklärung ab. Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesinnenminister, haben den Vertriebenen, Flüchtlingen und Kriegssachgeschädigten seit der Übernahme der Regierungsverantwortung mehrfach die Zusage gemacht, daß die Aufmerksamkeit für die Sorgen und Anliegen dieses Personenkreises in keiner Weise nachlassen werde. Dies wurde ausdrücklich versprochen. Diese Aussagen wurden unter Betonung der Absicht gemacht, insbesondere im Bereich der sozialen Sicherung umfassendere, bessere Leistungen zu erbringen. Vergleicht man diese Aussagen mit dem, was heute an Ergebnissen vorliegt, so läßt sich - gerade auch im Lichte der jüngsten Erfahrungen bei der Beratung dieses Entwurfs - keine auch nur annähernde Kongruenz zwischen geweckten Hoffnungen und Ergebnissen feststellen. Die CDU/CSU-Fraktion vermag jedenfalls in dem heute zur abschließenden Beratung anstehenden Entwurf eines 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes, in dem es um den weiteren Ausbau der Altersversorgung für die ehemals Selbständigen geht, keinen Beitrag zu mehr sozialer Gerichtigkeit zu erkennen. Wenn man in die Waagschale des Redens und Handelns dann gar noch das hineinlegt, was auf Grund der politischen Entwicklung an verbalen Beileidsbekundungen für die Vertriebenen und Flüchtlinge zu hören und zu lesen ist, dann fällt es schwer, nicht sehr harte Vergleiche zwischen Schein und Sein zu ziehen.
In ihrer Begründung zu dem Entwurf hatte die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, daß durch die Erhöhung der Grundversorgung nach dem Lastenausgleichsgesetz insbesondere die Rentenverbesserungen des Dreizehnten und Vierzehnten Rentenanpassungsgesetzes weitergegeben und gleichzeitig die Entwicklung der Verbraucherpreise im vergangenen und im laufenden Jahr berücksichtigt werden sollten. Tatsächlich jedoch blieb schon der Regierungsentwurf im Ausmaß der vorgeschlagenen Erhöhung der Unterhaltshilfe hinter der zwischenzeitlichen wirtschaftlichen Entwicklung und dem übrigen Sozialgefüge zurück. Die Tatsache, daß dem Kreis der ehemals Selbständigen - insbesondere den vertriebenen und geflüchteten Landwirten und sonstigen Angehörigen selbständiger mittelständischer Berufe -, die ihre Altersversorgung durch Flucht und Vertreibung verloren haben, durchschnittlich nur die Hälfte der prozentualen Erhöhung der Sozialversicherungsrenten zugebilligt und damit die Möglichkeit der Teilnahme am realen Anstieg des Sozialniveaus in der Bundesrepublik völlig entzogen wird, macht dies in aller Klarheit deutlich.
Die CDU/CSU-Fraktion bedauert, daß es auch in den Beratungen des federführenden Ausschusses nicht gelungen ist, eine Einigung über die von ihr beantragten Verbesserungen der Regierungsvorlage, vor allem eine stärkere Anhebung der Sätze der Unterhaltshilfe und eine weitere lineare Erhöhung des Selbständigenzuschlags, zu erzielen. Das beweist, daß gerade im Bereich der Eingliederung der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten - und dies im Gegensatz zu vergleichbaren Entscheidungen etwa in der Kriegsopferversorgung oder bei der Altershilfe für einheimische Landwirte - offensichtlich leider nur einseitige haushaltspolitische Erwägungen den Vorrang haben, wenn es gilt, unaufschiebbare eingliederungspolitische Regelungen zu treffen und Gerechtigkeit im Sozialbereich als verpflichtenden Maßstab anzuerkennen.
Das Ergebnis ist für die Betroffenen um so schwerwiegender und in seinen Folgen um so nachhaltiger, als mit dem Vierten Gesetz zur Anpassung der Unterhaltshilfe regierungsseitig jenes Rentenniveau festgelegt werden soll, das entsprechend den Vorschlägen der Bundesregierung für eine 25. Lastenausgleichsnovelle ab 1. Januar 1973 nach dem Vorbild der gesetzlichen Rentenversicherung und der Kriegsopferversorgung dynamisiert werden soll. Wir werden weiterhin bemüht sein, eine gerechte Ausgangsbasis zu schaffen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Einführung eines Sozialzuschlags bei der Unterhaltshilfe. Hierbei handelt es sich um die Lösung eines Problems, das ein gemeinsames Anliegen aller Fraktionen dieses Hauses war. Durch den Beschluß soll erreicht werden, daß künftig Unterhaltshilfeempfänger entgegen den Grundsätzen der Lastenausgleichsregelung nicht mehr auf zusätzliche Leistungen der allgemeinen Fürsorge angewiesen sind, was durch die Ungleichheit der Rentengesetzgebung eingetreten war. Andererseits unterstreicht gerade die Notwendigkeit, dieses Problem durch Einführung des Sonderzuschlags zu lösen, mit besonderer Deutlichkeit die Situation der Kriegsschadensrentner. Ihre Altersversorgung liegt künftig in der Regel nicht mehr unter dem Niveau der Fürsorge; sie liegt aber auch meist nur ganz geringfügig darüber, und dies, obwohl die Betroffenen auf Grund der Anrechnung der ihnen gewährten Kriegsschadensrente auf ihren Entschädigungsanspruch ihre Altersversorgung zum Teil selbst bezahlen.
Im übrigen führt die jetzt getroffene Regelung zwangsläufig zu einer nicht vertretbaren Nivellierung der Rentenleistungen nach dem Lastenausgleichsgsetz, die bisher entsprechend der früheren soziologischen Stellung der Geschädigten differenziert gestaltet waren. Dies entspricht weder dem berechtigten Anspruch der Betroffenen auf eine sozial gerechte Altersversorgung noch dem bisherigen Grundprinzip des Lastenausgleichs. Wir werden uns zum gegebenen Zeitpunkt um eine Korrektur dieser Nivellierung bemühen.
Mit dem 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz ist keine Einbeziehung der ehemals Selbständigen in die Kriegsschadensrente verbunden, die im laufenden Jahr das 65. bzw. 60. Lebensjahr vollenden oder erwerbsunfähig werden. Damit hat die Bundesregierung auch im Rahmen dieser Gesetzesnovelle der einstimmigen Entschließung dieses Hohen Hau10830
ses vom 11. November 1970 erneut nicht Rechnung getragen. Darin war die Bundesregierung nämlich aufgefordert worden, bereits im Jahre 1971 eine abschließende Regelung für das Hineinwachsen weiterer Jahrgänge ehemals Selbständiger in die Kriegsschadensrente vorzulegen.
({0})
Die endgültige Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs durch dieses Hohe Haus ist im übrigen längst überfällig,
({1})
denn hiernach soll die erhöhte Kriegsschadensrente ab 1. Januar 1972 gezahlt werden. Daß die Verabschiedung nicht früher möglich war, liegt an der verspäteten Vorlage des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung, nämlich erst am 18. Februar 1972.
Angesichts der Notwendigkeit, die Betroffenen baldmöglichst in den Genuß der wenn auch unzulänglichen und in sich ungerechten erhöhten Renten kommen zu lassen, wird die Fraktion der CDU/CSU dem Gesetzentwurf trotz seiner Mängel ihre Zustimmung geben. Sie kündigt jedoch bereits an, daß sie ihre Vorschläge zu einem weiteren Ausbau der Kriegsschadensrente im Verhältnis zu den übrigen Rentengesetzen, aber auch zu dem Gesamtkostenniveau im Rahmen der Beratungen der 25. Lastenausgleichsnovelle, erneut vertreten wird.
({2})
Präsident von Hassel: Bevor ich das Wort weitergebe, meine Damen und Herren, möchte ich Sie kurz über die Geschäftslage unterrichten.
Wir haben heute vormittag interfraktionell vereinbart, daß die beiden Zusatzpunkte zur Tagesordnung - Rücklauf aus dem Vermittlungsausschuß - heute nicht beraten werden und daß wir ohne Mittagspause durchtagen. Es soll also keine Mittagspause von 13 bis 14 Uhr sein, wie angekündigt, sondern wir wollen durchtagen, und anschließend soll die Fragestunde sein.
Der Ältestenrat wird um 16 Uhr zusammentreten. Ich mache vorsorglich darauf aufmerksam, daß wir von Sitzungen am kommenden Dienstag und Mittwoch ausgehen sollten. Sie sollten also rechtzeitig Ihre Dispositionen für diese Tage treffen. Eine endgültige Entscheidung wird der Ältestenrat um 16 Uhr treffen.
Ich werde soeben davon unterrichtet, daß um 14 Uhr eine Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stattfindet. Ich weiß nicht, ob auch andere Fraktionen tagen wollen.
({3}) - Um 17 Uhr die Fraktion der SPD.
Ich gebe das Wort dem Herrn Abgeordneten Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für meine Fraktion eine Erklärung abzugeben, bitte aber doch, vorher einiges zu dem sagen zu dürfen, was der Kollege von Fircks angeführt hat.
Herr Kollege von Fircks, Sie selbst wissen nur zu genau, wie die Haushaltslage ist und wie die Finanzlage beim Ausgleichsfonds ist. Wenn wir all Ihre Anträge angenommen hätten, die Sie jetzt wiederholt haben, dann hätten wir jährlich etwa 91 Millionen DM mehr gebraucht. Das hätte bis zum Jahre 1979 Mehrkosten von 727 Millionen DM und für die gesamte Laufzeit des LAG 1,8 Milliarden DM bedeutet. Sie selbst wissen nur zu genau, wie die tatsächliche Lage ist. Ich füge noch hinzu: Wenn wir damals Ihre Anträge, Herr von Fircks, zur 23. Novelle angenommen hätten, hätten wir zusätzlich noch einmal 2,15 Milliarden DM gebraucht. Sie sehen schon allein aus diesen Anträgen, wie schwierig es ist, hier glaubwürdig vorzutragen, wenn man ins Blaue hinein einfach Anträge stellt.
Zum anderen darf ich Sie, meine Damen und Herren, bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß es weiß Gott nicht so schlecht ausschaut, wie es hier schwarz in schwarz gemalt wurde. Ich darf mir hier erlauben zu sagen: Wer wirklich alles schwarz sieht, sieht nichts mehr.
Mit dem 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz wird die Unterhaltshilfe für alle Empfänger rückwirkend ab 1. Januar 1972 angehoben, ganz gleich, ob wir das heute beschließen oder ob wir das vor drei oder vier Wochen beschlossen hätten, und zwar um 20 DM für den Berechtigten, um 15 DM für den Ehepartner und um 7 DM für jedes Kind. Außerdem hat der Innenausschuß, wie bereits gesagt wurde, beschlossen, allen Unterhaltshilfeempfängern, die nur die reine Unterhaltshilfe erhalten, einen Sozialzuschlag zu gewähren. Damit soll erreicht werden, daß dieser Personenkreis, der keine anderweitigen Renten, keinen Selbständigenzuschlag und keine sonstigen Freibeträge erhält, nicht neben der Unterhaltshilfe noch Sozialhilfe beantragen muß.
Der Sozialzuschlag - das war mein Antrag, und ich danke hier dafür, daß der Ausschuß insgesamt ihm zugestimmt hat - führt für den genannten Personenkreis ab 1. Januar 1972 zu folgenden Verbesserungen. Nach dem Regierungsentwurf hätte ein Alleinstehender 20 DM mehr bekommen. Nach den vom Innenausschuß vorgeschlagenen weiteren Anhebungen tritt eine Anhebung um insgesamt 50 DM ein, also von 235 DM auf 285 DM. Bei einem Ehepaar tritt nach dem Regierungsentwurf eine Anhebung um 35 DM ein. Dazu kommt das, was der Ausschuß zusätzlich beschlossen hat, nämlich 75 DM; macht zusammen 110 DM mehr.
Meine Damen und Herren, es ist, glaube ich, einmalig, daß so stoßartig und so erheblich angehoben wurde. Damit ist nun erreicht, daß kein Unterhaltshilfeempfänger Sozialhilfe beantragen muß.
Um ein Beispiel zu nennen, wie es mit der Sozialhilfe und der Unterhaltshilfe aussieht, darf ich einige Zahlen nennen. Der Durchschnittsregelsatz bei der Sozialhilfe beträgt 189 DM. Es war bisher üblich, daß für die Unterhaltshilfe etwa 20 % mehr gegeben wurden; das wären 226,80 DM. Wir liegen
heute bei 285 DM. Selbst wenn in den Ländern draußen die Unterhaltshilfe für das Jahr 1972 um 10 % angehoben werden sollte und wenn wir unsere 20 % hinzurechnen, liegen wir bei einem Verhältnis von 249,60 DM zu 285 DM und sind selbst dann noch erheblich über den Regelsätzen draußen.
Die Erhöhungen, wie sie die Bundesregierung vorgeschlagen hat, können sich auch im Vergleich mit den Durchschnittsrenten sehen lassen. Ich will mir hier die erneute Aufzählung all der Fakten ersparen, die so gern übersehen werden. Denn es ist ja nicht so, daß der größte Teil der Unterhaltshilfeempfänger nur Unterhaltshilfe empfängt. Ich habe darauf in der ersten Lesung bereits hingewiesen und will heute nur zum Vergleich einige Zahlen nennen, die das widerlegen, was Herr Kollege von Fircks vorgetragen hat.
Bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres wird der überwiegende Teil der Ehepaare mit Selbständigenzuschlag eine Rente von 565 DM gehabt haben. Nach dem 4. UAG, also ab 1. Januar 1972, sind es 600 DM, und ab 1. Januar 1973 werden es 657 DM sein. Meine Damen und Herren, ich wäre sehr dankbar, wenn wir in allen Rentenbereichen bereits solche Höhen erzielt hätten.
({0})
Ich wäre dafür sehr dankbar! Und wir müssen den Mut haben, auch in diesem Bereich einmal die Relation zu den Altersrenten herzustellen.
Dann wurde die Dynamisierung genannt. Wir alle wissen, daß sie ab 1. Januar 1973 für die Unterhaltshilfe eingeführt werden soll. Da sehen die Rentensätze dann so aus: für ein Ehepaar 657 DM; ab 1. Januar 1974 sind es dann 732 DM und ab 1. Januar 1975 etwa 813 DM. Hier kann ich wiederum nur sagen, die Betroffenen, die Unterhaltshilfeempfänger sind, können dieser Regierung weiß Gott ob solcher Sätze keine Vorwürfe machen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier bei diesem 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz mit der Sozialzulage eine gezielte Hilfe gewährt, und zwar dem, der sie am dringendsten brauchte. Ich bitte Sie daher, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({2}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf Grund der interfraktionellen Vereinbarung, hier bei dieser zweiten und dritten Lesung nur Erklärungen abzugeben, will auch ich es mir versagen, näher auf einiges einzugehen, Herr Kollege Fircks, was Sie im Rahmen Ihrer Erklärung noch einmal angeführt haben; aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß wir gerade in den letzten Wochen auch von seiten der Opposition ganz besonders von Bemühungen um Einsparungen gehört haben, die diese Bundesregierung durchführen soll. Auf der anderen Seite aber haben Sie soeben wieder angedeutet, die 1,8
Milliarden, die insgesamt herauskommen, müßten noch ausgegeben werden. Ich würde vorschlagen - und der Herr Kollege Hofmann hat das auch schon eindeutig gesagt -, man sollte den Betroffenen von dieser Stelle aus nicht Dinge versprechen, die man im Endeffekt auch in der eigenen Fraktion und gegenüber deren Haushaltsfachleuten nicht mehr als gerechtfertigt vertreten kann, auch wenn man - wie Sie auch wissen - wie ich die Situation des Ausgleichsfonds und die auf ihn zukommenden Belastungen sieht. Wir wollen hier doch die Dinge offen und ehrlich ansprechen.
Namens der FDP-Fraktion darf ich aber nun folgende Erklärung abgeben. Wir Freien Demokraten begrüßen die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Erhöhung der Unterhaltshilfe, weil sie den Forderungen entspricht, die wir Freien Demokraten von jeher erhoben haben, daß Kriegsfolgeleistungen ähnlich wie die anderen Versorgungsleistungen aus den allgemeinen Sozialversicherungen an die wirtschaftlichen Entwicklungen angepaßt werden sollen und müssen. Mit dem 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz kommt die Bundesregierung ihrer Verpflichtung gegenüber den Empfängern von Unterhaltshilfe nach. Die betroffenen Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten nehmen einerseits an der Anpassung der Sozialrenten teil, zum anderen wird vermieden, daß sie gleichzeitig Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Insoweit begrüßen wir ganz besonders auch, daß dem ursprünglichen Entwurf noch der § 270 a mit dem Sozialzuschlag zugefügt wurde, weil dadurch in Zukunft vermieden werden wird, daß sich Unterhaltshilfeempfänger an die Sozialämter wenden müssen, um ihren notwendigen Lebensunterhalt zu sichern. Durch diese neue Regelung, die immerhin einen Personenkreis von etwa 50 000 bis 60 000 betreffen wird, wird dem eigentlichen Charakter der Unterhaltshilfe, d. h. des Lastenausgleichs, Rechnung getragen, denn dessen Aufgabe soll es ja mit sein, die soziale Sicherung der betroffenen Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten zu gewährleisten und die Entschädigung zu regeln.
Für uns ist es in dem Zusammenhang ganz besonders wichtig, darauf hinzuweisen, daß dieses 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetz den Charakter einer Zwischen- oder Übergangslösung trägt, weil wir bereits die 25. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz im Entwurf vorliegen haben, die in Zukunft die dynamische Anpassung der Unterhaltshilfe regeln wird und von der wir wohl schon heute annehmen können, daß das Haus dieser Dynamisierung eines Tages, wenn wir die Beratung abgeschlossen haben, geschlossen zustimmen wird. Gerade in dieser Dynamisierung, die noch vor uns liegt, die wir aber in diesem Zusammenhang mit sehen müssen, sehen wir Freie Demokraten das Ergebnis der Forderungen, die wir bereits vor vielen Jahren aufgestellt haben, daß alle Kriegsfolgeleistungen voll an die übrigen Sozialleistungen angeglichen werden sollen, soweit sie Versorgungscharakter tragen.
Wir Freie Demokraten unterstützen daher voll die Absicht, in der Zukunft, wie es die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung bereits bei der
Schmidt ({0})
Kriegsopferversorgung getan haben, eine dynamische Anpassung der Leistungen der Unterhaltshilfe vorzunehmen. Mit dem vorliegenden Gesetz wird ein Stillstand der Einkommensentwicklung heute vermieden, eine Mindestsicherung in Höhe entsprechender Sozialleistungen gewährleistet und denjenigen, die nicht ausschließlich auf die Unterhaltshilfe angewiesen sind, ein Mehreinkommen im Rahmen der allgemeinen Rentenanpassungen gesichert.
Wir Freie Demokraten stimmen dem Gesetz in zweiter und dritter Lesung zu.
({1})
({2})
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht?
- Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung: §§ 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen?
- Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir müssen noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. -Widerspruch erfolgt nicht; dann ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Sera und Impfstoffe
- Drucksache VI/1989 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3335 -
Berichterstatter: Abgeordneter Prinz zu
Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
- Drucksache VI/3334 Berichterstatter: Abgeordneter Spitzmüller ({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als Berichterstatter möchte ich darauf hinweisen, daß im federführenden Ausschuß in Art. 6 der endgültige Termin des Inkrafttretens bewußt offengelassen wurde, um nämlich in Gesprächen mit den Bundesländern und der Bundesregierung sicherzustellen, welches Datum für die praktikable Handhabung des Gesetzes sinnvoll wäre. Ich darf Sie bitten zu beschließen, daß das Gesetz am 1. November 1972 in Kraft tritt. Bis dahin kann auch die zur Durchführung des Gesetzes erforderliche Rechtsverordnung vom Bundesrat beraten werden. Es wird damit sichergestellt, daß das Gesetz und die Rechtsverordnung gleichzeitig in Kraft treten. Ein entsprechender Antrag aller Fraktionen liegt vor, ist aber noch nicht verteilt, sondern liegt noch bei der Drucksachenstelle. Er sieht vor, in Art. 6, auf der letzten Seite dieser Drucksache, das Datum „1. 11. 1972" einzusetzen. Ich wäre dankbar, wenn über diesen Antrag, der als Umdruck 281 *) verteilt werden wird, abgestimmt werden könnte.
Im übrigen bitte ich, dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung die Zustimmung zu geben.
({0})
Prinz zu SaynWittgenstein wünscht als Berichterstatter nicht das Wort? - Dann kommen wir zur Beratung.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, - 2, - 3, -4 - und 5 auf. - Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Art. 6 und zu dem Änderungsantrag aller Fraktionen des Hauses, der soeben vom Berichterstatter begründet wurde, das Datum „1. 11. 1972" einzufügen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um .das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Art. 6 in der soeben beschlossenen Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Einleitung und Überschrift! - Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
*) Siehe Anlage 1
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wir stimmen nun über den Antrag des Ausschusses ab, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 6 muß zurückgestellt werden, weil noch der Bericht eines Ausschusses fehlt.
Ich komme damit zu Punkt 7:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Stark ({0}), Dr. Eyrich, Dr. Hauser ({1}), Dr. Jenninger, Alber und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung
- Drucksache VI/3282 -
Es meldet sich niemand zur Begründung. Demgemäß wird auch in die Aussprache nicht eingetreten. Es soll an den Rechtsauschuß überwiesen werden. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht
- Drucksache VI/3091 -
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und der Verordnung über das Erbbaurecht
- Drucksache VI/3205 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht
- Drucksache VI/3386 Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Bayerl.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Ihnen von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Erbbaurechtsverordnung befaßt sich mit einem immer drängender werdenden sozialen und wohnungspolitischen Problem: der Entwicklung des Erbbauzinses bei Wohngrundstücken.
ln Erbbaurechtsverträgen ist vielfach vereinbart, daß der Erbbauzins von Zeit zu Zeit den veränderten Verhältnissen angepaßt werden kann, wobei für die Höhe der neu festzusetzenden Zinssätze die Grundstückswerte maßgebend sein sollen.
Die nahezu uneingeschränkte Möglichkeit zur Ausnutzung solcher Vereinbarungen kann in einer Zeit wachsender Bodenverknappung und zunehmender Bodenspekulation, wie sie sich derzeit insbesondere in unseren Ballungszentren zeigt, zu sozial untragbaren Ergebnissen führen. Bei einem starken Anstieg der Grundstückspreise kann der Erbbauzins ein Ausmaß erreichen, das für den Erbbauberechtigten bei Abschluß des Erbbauvertrages nicht vorauszusehen war und ihm auch wirtschaftlich oder finanziell oft nicht zugemutet werden kann. Dieses Ergebnis ist um so unbefriedigender, wenn dem gestiegenen Grundstückswert keine Wertsteigerung der Nutzungsmöglichkeit des Erbbauberechtigten entspricht oder wenn gar der Wertanstieg beim Grundstück völlig losgelöst von der derzeitigen Grundstücksnutzung eintritt.
Um solche Unzuträglichkeiten künftig zu vermeiden, schließt der Entwurf bei Anpassungsklausein, nach denen für die Neufestsetzung des Erbbauzinses die Entwicklung von Grundstückswerten von Bedeutung ist, die Erhöhung des Erbbauzinses in bestimmtem Umfang aus. Dient das auf Grund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk Wohnzwecken, so soll ungeachtet einer entsprechenden Anpassungsklausel ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses dann nicht bestehen, wenn die Erhöhung unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles nicht der Billigkeit entspricht. Diese Regelung ermöglicht es, den unterschiedlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, die bei einer gerechten Festlegung des Erbbauzinses Berücksichtigung verdienen. Die Lösung bietet damit dem Erbbauberechtigten den nötigen Schutz vor einer unangemessenen Überforderung. Sie hält andererseits die verfassungsrechtlichen Grenzen für einen Eingriff in die dem Grundstückseigentümer aus der vertraglichen Vereinbarung erwachsene Rechtsposition ein, indem sie ihm auch weiterhin einen gerechtfertigten Ertrag aus der Bestellung des Erbbaurechts gewährleistet.
Der Entwurf, der vom angestrebten Ziel her bereits die Unterstützung des Bundesrats gefunden hat und insoweit auch in diesem Hohen Hause unumstritten sein dürfte - über die Regelungen im einzelnen wird in den Ausschüssen noch zu reden sein , erscheint im Hinblick auf die Preisentwicklung auf dem Bodenmarkt besonders dringlich.
Namens der Bundesregierung darf ich Sie daher um Unterstützung dieses Gesetzesvorhabens bitten.
({2})
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Erpenbeck!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur ersten Lesung der vorliegenden Entwürfe darf ich namens der CDU/CSU-Fraktion hier folgendes vortragen.
Der Eigentums- und Vermögensbildung über konkretes Sacheigentum für breite Schichten der Bevölkerung kommt heute besondere Bedeutung zu. Soweit es um Haus- und Wohnungseigentum geht, wird dafür zunehmend das Institut des Erbbaurechts in Anspruch genommen. Bereits heute gibt es mehrere hunderttausend Haus- und Wohnungseigentümer auf Erbbaugrundstücken. Durch die tatsächliche Entwicklung ist es notwendig geworden, das Erbbaurecht vor Mißbrauch zu sichern und Zinsgleit10834
klauseln zu verhindern, die den Wohnungsbau auf Erbbaugrundstücken, insbesondere auch den Familienheimbau, in eine Krise geraten lassen würden.
Bereits in der 5. Wahlperiode hatte die CDU/ CSU auf Drucksache V/1333 einen Gruppenantrag zur Änderung der Erbbaurechtsverordnung eingebracht. Danach sollten grundsätzlich nur Zinsänderungen zulässig sein, die sich aus den veränderten Lebenshaltungskosten ergeben. Diese Zielsetzung wurde vom Bundesrat in seiner Entschließung vom 4. Oktober 1968 in der Bundesratsdrucksache 451/68 ausdrücklich bejaht. Leider wurde dieser Gruppenantrag nicht mehr verabschiedet. Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion in dieser Legislaturperiode einen neuen Entwurf erarbeitet und eingebracht. Er liegt heute dem Hohen Hause zur Beratung vor. Es ist der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über das Erbbaurecht - Drucksache VI/3091 -.
Auch mit dieser Initiative, meine sehr verehrten Damen und Herren, will die CDU/CSU-Fraktion ihre Bemühungen um eine breite Eigentumsbildung im Wohnungsbau verstärken. Sie will damit zugleich einen Beitrag zur Bekämpfung der Bodenspekulation leisten, d. h. verhindern, daß vor allem einkommensschwache Erbbauberechtigte durch ein zu starkes Ansteigen der Erbbauzinsen ihr Eigentum aufgeben müssen. Mißstände, die durch den unausgeglichenen Grundstücksmarkt entstanden sind, sollen beseitigt bzw. für die Zukunft ausgeschaltet werden. Eine Lösung, meine Damen und Herren, muß aber auch den Ausgleich der berechtigten Interessen von Erbbaugebern und Erbbaunehmern zum Ziele haben.
Zugleich mit dieser Initiative liegt uns der Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache VI/3386 vor. Beide Entwürfe, der der CDU/CSU-Fraktion und der der Bundesregierung, haben die gleiche Überschrift. Beide stimmen auch im Ziel überein, nicht mehr tragbaren Erbbauzinserhöhungen als Folge der weiter steigenden Bodenpreise entgegenzuwirken - so nach dem Entwurf der Bundesregierung - bzw. Erhöhungen von Erbbauzinsen auf das zumutbare Maß zu begrenzen, so nach dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion. Allerdings gehen bei der entscheidenden Frage, nämlich bei dem Wie, die Auffassungen noch auseinander. Während die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Bemühen um eine breite Eigentumsbildung und -erhaltung im Wohnungsbau vor allem für einkommensschwächere Bevölkerungskreise und zugleich in ihrem Bemühen um eine erfolgreiche Bekämpfung der Bodenspekulation sehr konkrete Vorschläge zur Begrenzung der in den letzten Jahren zum Teil um ein Vielfaches gestiegenen Erbbauzinsen macht, schlägt die Bundesregierung leider nur eine nach unserer Meinung unzureichende, abstrakte Billigkeitsklausel
"VOL
Der Unterschied ist deutlich, meine Damen und Herren. Die CDU/CSU-Fraktion gibt konkrete Anhaltspunkte. Die Generalklausel des § 9 a des Entwurfs der Bundesregierung gibt keine ausreichenden Maßstäbe, an die sich die Gerichte in Zweifelsfällen halten könnten. In der Stellungnahme des
Bundesrates zum Regierungsentwurf wird das sehr deutlich. Mit dem Bundesrat sind wir der Meinung - ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der Stellungnahme des Bundesrates in der Ihnen vorliegenden Drucksache diese drei Sätze zitieren -:
Die Generalklausel des neuen § 9 a ErbbaurechtsVO ist so unbestimmt und ausfüllungsbedürftig, daß sie die Partner des Erbbaurechtsvertrages vor fast unüberwindbare Schwierigkeiten stellt; in den meisten Fällen würde es ohne Hilfe der Gerichte nicht möglich sein, die im Einzelfall zulässige Erhöhung des Erbbauzinses zu ermitteln. Bei der bekannten Scheu vieler Bürger vor einer Anrufung des Gerichts würde deshalb der Entwurf das erstrebte Ziel, Erbbauzinserhöhungen zu begrenzen, kaum erreichen können. Die zu treffende Regelung muß so beschaffen sein, daß es den Vertragspartnern im Regelfall selbst möglich ist, die gerechtfertigte Erbbauzinserhöhung festzustellen. Damit würde die gesetzliche Regelung zugleich Richtschnur für den Inhalt künftiger Erbbaurechtsverträge werden können.
Dem, meine Damen und Herren, schließt sich die CDU/CSU vollinhaltlich an. Unser Entwurf trägt dieser Forderung Rechnung, da er bestimmt, daß ein Anspruch auf Erhöhung des Erbbauzinses nur besteht, soweit dies unter Berücksichtigung aller Umstände - insbesondere der allgemeinen Entwicklung des Geldwerts, der Einkommens- und Preisverhältnisse - billig ist. Hierbei ist auch die Änderung der allgemeinen Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Eine darüber hinausgehende Erhöhung des Erbbauzinses kann gerechtfertigt sein, wenn sich im Zusammenhang mit der Änderung der Grundstückswerte die Nutzung für den Erbbauberechtigten verbessert hat oder der Eigentümer die Werterhöhung des Grundstücks durch eigene Aufwendungen bewirkt hat.
Meine Damen und Herren, damit wird nach unserer Meinung ein angemessenes Äquivalenzverhältnis von Erbbauzins und Erbbaunutzung erreicht. Nur das sollte Inhalt der Interessen von Erbbaugebern und Erbbaunehmern sein, die vertraglich festgelegt werden. So gesehen erhält die Änderung der Erbbaurechtsverordnung eine beachtliche soziale, eigentumspolitische und auch wohnungswirtschaftliche Bedeutung.
Hier ist auch ein Zusammenhang mit dem uns gleichfalls vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrats zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes und der Verordnung über das Erbbaurecht zu sehen. Wir begrüßen diese Bundesratsinitiative in ihrer Zielsetzung, da sie den berechtigten Schutzinteressen der Wohnungseigentümer dient. Allerdings wird in der Ausschußberatung über Ergänzungen zu beraten sein, die uns unabdingbar erscheinen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir bei der Erbbaurechtsnovelle die Sozialverpflichtung des Bodeneigentums ernst nehmen und die Hauseigentümer auf Erbbaugrundstücken in ihrem oft unter schwersten Bedingungen
geschaffenen Eigentum sichern wollen, dann müssen wir auch im Wohnungseigentumsgesetz den Wohnungseigentümer vor unseriösen Geschäftemachern schützen und sie in ihrer Rechtsstellung wesentlich stärken. Das scheint uns ein echter Beitrag zu der uns gemeinsam obliegenden Aufgabe zu sein, die Verbesserung und Verbreiterung der Eigentumsbasis in einem sozialen und humanen Rechtsstaat zu fördern.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Grund der interfraktionellen Vereinbarungen sollen heute zu diesem Tagesordnungspunkt nur Erklärungen abgegeben werden. Deshalb ist es mir nicht möglich, auf die Ausführungen von Herrn Abgeordneten Erpenbeck einzugehen. Ich möchte nur zwei Sätze dazu sagen. Der Entwurf der CDU/CSU und die Vorschläge des Bundesrates sind nicht identisch. Ich bedaure fast, daß Initiativen aus diesem Haus nicht vorher in den Bundesrat gehen; denn dessen Kritik auch an Ihrem Vorschlag wäre interessant gewesen.
Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darf ich zu den vorliegenden Gesetzentwürfen folgende Erklärung abgeben. Dem Rechtsinstitut des Erbbaurechts kommt im sozialen Rechtsstaat eine erhebliche Bedeutung zu, da es breiteren Schichten der Bevölkerung die Schaffung eines eigenen Heims erleichtert. Seine Bedeutung wird sich in der Zukunft steigern; denn gerade das Erbbaurecht hat eine zentrale Aufgabe in einer neu zu schaffenden Bodenordnung. Schon in diesem Bundestag haben wir das Städtebauförderungsgesetz verabschiedet, und in diesem Städtebauförderungsgesetz kündigt sich die künftige Rolle des Erbbaurechts deutlich an, nämlich dort, wo wir bei Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen die Vergabe von Erbbaurechten im Rahmen von Reprivatisierung und Privatisierung besonders hervorgehoben haben.
Ohne weiterhin auf die künftige Bedeutung dieses Rechtsinstituts eingehen zu wollen, muß gesagt werden, daß es schon heute unerläßlich ist, eine Novellierung vorzunehmen, die einen gerechteren Ausgleich der Interessen von Erbbauberechtigten und Eigentümern anstrebt. Aus diesem Grunde sind wir der Bundesregierung dankbar, daß sie durch die Vorlage des Entwurfs ihre diesbezügliche Ankündigung bei der Einbringung des Artikelgesetzes verwirklicht hat.
Heute kann es sicherlich nur darum gehen, jenen Teil der Erbbaurechtsverordnung vorweg zu ändern, deren Neufassung keinen Aufschub duldet. Dem sozialen Charakter der Erbbaurechtsverordnung hat es entsprochen, eine Anhebung der Zinsen so weit wie möglich auszuschließen. Nun wissen wir - und wir beklagen dies -, daß schon seit Jahren mit Hilfe von vertraglich vereinbarten Gleitklauseln untragbare Erhöhungen durchgesetzt werden, was erhebliche Unruhe bei den Betroffenen hervorgerufen hat. Eine Vielzahl von Briefen, die wir erhalten haben, zeugt von der Unruhe in diesen Kreisen.
Der Entwurf verfolgt daher in erster Linie das Ziel, die Erhöhung der Erbbauzinsen auf ein zumutbares Maß zu begrenzen. Dabei werden wir in sachlicher Ausschußarbeit die unterschiedlichen Lösungsvorschläge, die nicht nur von der Bundesregierung und der Opposition, sondern auch vom Bundesrat gekommen sind - das betone ich ausdrücklich -, genau prüfen. Alle drei Vorschläge sind in dem Ziel der Begrenzung der Erbbauzinserhöhungen einig. Wir hoffen, bei den Erörterungen in diesem Haus unter Berücksichtigung aller Vorschläge zu einer optimalen Lösung zu kommen.
Ohne in die Einzelberatungen einsteigen zu wollen, möchte ich sagen, daß dem Entwurf der Opposition Bedenken aus Gründen der Praktikabilität entgegenstehen, während bei dem Vorschlag des Bundesrates zumindest in leiser Form verfassungsrechtliche Bedenken angekündigt werden müssen. Herr Erpenbeck hat das schon getan, und ich möchte es zum Abschluß wiederholen. Eine Gruppe von Abgeordneten der Opposition hat in der vergangenen Legislaturperiode einen Antrag zur Änderung der Erbbaurechtsverordnung eingebracht. Diese Initiative scheiterte jedoch letztlich daran, daß bei den Mitgliedern der CDU/CSU im federführenden Rechtsausschuß keinerlei Neigung bestand, das Gesetz zu verändern. Wir werden uns dafür einsetzen, daß sich dieser Vorgang in den Ausschüssen dieses Bundestages nicht wiederholt.
Wir stimmen den vorgeschlagenen AusschußüberWeisungen zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sind der Meinung, daß hier etwas getan werden muß. Wir sind erstaunt darüber, daß die CDU/CSU-Fraktion, obwohl sie ununterbrochen nach mehr Stabilitätsbewußtsein verlangt, hier einen Entwurf vorlegt, der ganz schlicht eine Inflationsklausel einbaut,
({0})
die nicht nur inflationistisch wirkt, sondern die darüber hinaus auch noch das weitere Lippenbekenntnis der CDU, nämlich das zur Marktwirtschaft, ad absurdum führt, weil sie gar nicht auf eine Wertveränderung der hier betroffenen Ware, des Grundstücks, um das es geht, sondern einfach auf die allgemeine Entwicklung der Lebenshaltungskosten abstellt, ohne auf das einzelne Grundstück in irgendeiner Form Rücksicht zu nehmen.
Wir sind wirklich erstaunt, daß Sie hier gleichzeitig zwei Ihrer so hehren Prinzipien zuck über Bord werfen, nur um wieder einmal etwas Neues zu bringen. So geht es nicht!
({1})
- Leistung und Gegenleistung in diesem Bereich sollten nicht zuletzt im Interesse der betroffenen Erbbauberechtigten in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
({2})
Herr Erpenbeck, wir sind in der Sache einig. Ich habe soeben Ihre Methode kritisiert, ich habe Ihre Methode, nicht Ihre Zielsetzung angegriffen.
({3})
- Meine Herren, Sie reden so, als verstünden Sie von der Sache auch etwas.
({4})
Ich sage Ihnen nur: Sie haben hier nichts weiter getan, als ohne jede Rücksicht auf das betroffene Gut, nämlich den Wert des Grundstücks, eine allgemeine Gleitklausel inflationärer Art vorzuschlagen, die sich nach den Lebenshaltungskosten ausrichten soll. Das ist eine völlig verfehlte Maßnahme, das ist preissteigernd, und das ist absolut gegen alles, was Sie zu diesem Punkt hier sonst zu behaupten und vorzutragen pflegen.
({5})
Wenn Sie die Güte hätten, Ihren Entwurf zu lesen! Ich muß mindestens bei zweien von Ihnen davon ausgehen, daß Sie es nicht getan haben; sonst würden Sie mir nicht unterstellen, ich hätte es nicht gelesen.
({6})
Wir sind der Meinung, daß der Regierungsentwurf versucht - die Einzelberatungen werden zeigen müssen, ob man das nicht noch etwas besser in den Griff bekommen kann -, jedenfalls an den Wert des Grundstücks und an die Frage anzuknüpfen, ob hier mit der Gleitklausel ein Mißbrauch geübt wird oder nicht.
Herr Erpenbeck, eines muß ich noch zu dem Anknüpfungspunkt Ihres Gesetzentwurfes aus der vorhergegangenen Legislaturperiode sagen. Es hat sich damals tatsächlich - es ist sehr bedauerlich, daß man das hier sagen muß, aber ich meine, man muß es einfach feststellen um einen eklatanten Mißbrauch gehandelt, der insbesondere - ich bedaure, das als Niedersachse sagen zu müssen im Bereich der niedersächsischen Klosterkammer mit diesen Gleitklauseln geübt worden ist. Es hat darüber hinaus so ausgesehen, daß der Mißbrauch mit diesen Gleitklauseln fast ausschließlich von Gesellschaften geübt worden ist, die im Besitz der öffentlichen Hand, die im Besitz sogenannter gemeinnütziger Gesellschaften oder im Besitz der Kirche gewesen sind. Ich meine, es ist sehr bedauerlich, daß sich dieses Haus aus Anlaß von Mißbräuchen, die von solchen Gesellschaften geübt worden sind, mit der Materie befassen muß. Ich glaube nicht fehlzugehen in der Annahme, Herr Erpenbeck, daß das seinerzeit Ihr Anknüpfungspunkt war. Dafür hätte dann allerdings auch der niedersächsische Landtag zuständig sein können. Dazu muß man nicht unbedingt ein Bundesgesetz machen und Dinge allgemein, noch dazu verfehlt, gegen die Marktwirtschaft und mit inflationären Tendenzen so regeln wollen, wie Sie das vorschlagen. Wir werden versuchen, auf der Basis des Regierungsentwurfs eine sachgerechtere Lösung zu finden.
({7})
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage Ihnen vor, die drei Gesetzentwürfe an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen - mitberatend - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 9 bis 13 der Tagesordnung auf:
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen
- Drucksache VI/3272 -10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof
- Drucksache VI/3294 -11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzstatistik
- Drucksache VI/ 3297 -12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes
- Drucksache VI/3344 -13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Drucksache VI/3390 -Es handelt sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe. Das Wort wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit sind überwiesen:
der Gesetzentwurf Drucksache VI/3272 an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den
Vizepräsident Dr. Jaeger
Innenausschuß und den Ausschuß für Verkehr und
für das Post- und Fernmeldewesen - mitberatend- ,
der Gesetzentwurf Drucksache VI/3294 an den Rechtsausschuß,
der Gesetzentwurf Drucksache VI/3297 an den Haushaltsausschuß - federführend - sowie zur Mitberatung an den Finanzaussschuß, den Innenausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung,
der Gesetzentwurf Drucksache VI/3344 an den Ausschuß für Wirtschaft und
der Gesetzentwurf Drucksache VI/3390 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
Wir kommen zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lenzer, Dr. Hubrig, Dr. Probst und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Förderung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet des Hochtemperaturreaktors
- Drucksache VI/3394 Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es geschieht nicht allzuoft, daß sich dieses Hohe Haus mit Themen aus der Forschung und der Technik zu beschäftigen hat. Deshalb gestatten Sie mir bitte einige kurze Worte der Begründung zu dem Antrag, der Ihnen heute mit der Drucksache VI/3394 vorliegt.
Im 3. Atomprogramm der Bundesregierung, das bis 1972 Gültigkeit besitzt, wurde dem Hochtemperaturreaktor eine besondere Bedeutung als fortschrittlicher Reaktorbaulinie beigemessen. Dies kam in verschiedenen Aktivitäten der staatlichen Förderung zum Ausdruck.
Im Laufe der Zeit tauchten jedoch Schwierigkeiten bei konkreten Projekten auf, beispielsweise bei dem Prototyp des Thorium-Hochtemperaturreaktors in Schmehausen und bei dem geplanten Kernkraftwerk Schleswig-Holstein in Geesthacht, die teilweise zu Verzögerungen und Unsicherheit bei den Beteiligten führten. Da das Zusammenwirken staatlicher Förderungsmaßnahmen, industrieller Interessen und Möglichkeiten und Wünsche der Betreiber, d. h. der Elektrizitätsversorgungsunternehmen, komplexe Probleme schafft, gilt es, die mannigfaltigen Aspekte und Tendenzen zu einem geschlossenen Konzept zusammenzufassen und zu ordnen.
Der CDU/CSU-Antrag fällt also in die Phase der Konzeption eines 4. Atomprogramms der Bundesregierung, das ab 1973 anlaufen wird. Er möchte unsere Gedanken zu diesem wichtigen Thema in die Diskussion einführen und so auch dieses Hohe Haus an der Willensbildung im Ministerium beteiligen.
Gestatten Sie mir noch einige Ausführungen zum Hintergrund und zu der Motivation unseres Antrags, zunächst einige Bemerkungen zu den allgemeinen Anforderungen, die man heute an energieerzeugende Systeme zu stellen hat. Von entscheidender Bedeutung für die industrielle Entwicklung ist die Bereitstellung von kostengünstiger Energie. Versorgungssicherheit und umweltfreundliche Erzeugung sind darüber hinaus wichtige Erfordernisse. Für die Versorgungssicherheit aber ist es entscheidend, daß einerseits das energieerzeugende System geringe Störanfälligkeit hat und andererseits das Energieträgerangebot sowohl gegenüber den Verknappungen als auch gegenüber politischen Schwierigkeiten unempfindlich wird. Die Umweltfreundlichkeit ist dabei heute eine unabdingbare Forderung, insbesondere in den Ballungsräumen der Industrie. Das energieerzeugende System darf weder im Normalbereich noch bei einem Störfall zu Belastungen oder gar zu Gefährdungen der Umgebung, vor allen Dingen aber zu Gefährdungen der Bevölkerung führen.
Um auf eine breitgestreute und störunanfällige Energieträgerversorgung zurückgreifen zu können, ist es aus Gründen des Umweltschutzes wichtig, Energieträger wie Kohle und schweres Heizöl soweit zu veredeln, daß sie ohne Umweltbelastung zur Energieerzeugung eingesetzt werden können. Diese Veredlungsprozesse aber müssen in geschlossenen Kreisläufen erfolgen.
Neben den genannten Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit, der Versorgungssicherheit und der Umweltfreundlichkeit sind aber die Standortunabhängigkeit - ich erinnere an die Debatten, die jetzt in der Öffentlichkeit über die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren und die Standortbescheide geführt werden - und Studien über das Einsatzpotential des energieerzeugenden Systems bzw. des veredelten Energieträgers erforderlich. Standortunabhängigkeit ist aber auch noch aus einem anderen Grunde wichtig: sie schafft auch gleiche Chancen für Regionen, die von der Infrastruktur her etwas benachteiligt sind.
Gestatten Sie mir nun noch einige Bemerkungen zu dem Einsatzpotential des Hochtemperaturreaktors, dessen Förderung ja unser Antrag zum Ziel hat; insbesondere geht es hier um die deutsche Version des Kugelhaufenreaktors, wie er in der Fachwelt genannt wird, des Professors Schulten aus der Kernforschungsanlage Jülich. Er wird diesen genannten Erfordernissen der Energieerzeugung in besonderer Weise gerecht und zeichnet sich dadurch aus, daß er außer zur Elektrizitätserzeugung mittels moderner Dampfturbinen auch die Möglichkeit besitzt, Prozeßdampf für die chemische Industrie und für andere industrielle Prozesse in umweltfreundlicher Weise zur Verfügung zu stellen. Dieses System ist deshalb außerordentlich gut dafür geeignet, für die in Zukunft dringend erforderliche Energiebasis Gas- und Kernenergie einen Verbund zu schaffen.
Folgende Anwendungsmöglichkeiten - unter anderem - zeichnen sich bereits heute ab: Elektrizitätserzeugung mittels moderner Dampfturbinen und Gasturbinen sowohl für die öffentliche Versorgung als auch für industrielle Großabnehmer, Dampfer10838
zeugung für die chemische Industrie, Erzeugung von methanreichem Gas durch Veredelung von Kohle und schwerem Heizöl - eine Frage, die auch aus Gründen der Strukturpolitik beispielsweise für das Land Nordrhein-Westfalen von einer außergewöhnlichen Bedeutung ist -, Spaltung von Methangas, Äthylenerzeugung, schließlich auch die Meerwasserentsalzung, die zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, und letztlich auch eine vielfältige Möglichkeit der Kombination der bereits genannten Systeme.
Noch einige Bemerkungen auch zu den besonderen Eigenschaften dieser Reaktorlinie. Sie erreicht Austrittstemperaturen des Kühlmittels, die etwa bei 850° C liegen und die noch auf etwa 1200° C gesteigert werden können. Das heißt also, es können Dampfzustände erreicht werden, wie sie für den Einsatz moderner Turbinen verlangt werden, und es kann hochwertige Prozeßwärme angeboten werden. Wegen der 'kontinuierlichen Beschickung dieses Reaktortyps und der einfachen Bauweise ergibt sich eine sehr hohe Verfügbarkeit. Das ist eine Frage, die wegen der Wirtschaftlichkeit dieser Linie von großer Bedeutung ist.
Die Sicherheit des Systems - so kann man auf Grund der vorliegenden Erfahrungen aus dem Versuchsreaktor in Jülich bereits heute sagen, der schon seit Jahren mit sehr großer Verfügbarkeit übrigens in Betrieb ist - ist hervorragend, da der Kühlkreislauf keine gefährdende radioaktive Verseuchung zeigt, da ein Coreschmelzen von der Konzeption des Reaktors her nicht möglich ist und da kein dem Neutronenfluß ausgesetztes Stahldruckgefäß existiert. Dieser Reaktor kann übrigens auch unterirdisch wirtschaftlich gebaut werden, da seine Bauhöhe begrenzt ist. Darin liegen große Vorteile in bezug auf besondere Katastrophenfälle, wie Flugzeugabstürze, Flächenbrände usw. Das sind Fragen, die man diskutieren muß, um den Gegnern der Kernenergie in breiterem Maße Rechnung zu tragen. Er ist im übrigen auch schon ab einer Leistung von 500 Megawatt thermisch interessant.
Der Kugelhaufenreaktor ist also zur Elektrizitätserzeugung Wichtig, und er benötigt erheblich weniger Kühlwasser als der Leichtwasserreaktor. Dies führt zu einer Minderung der thermischen Belastung der Umwelt. Ich darf Sie daran erinnern, daß sich dieses Hohe Haus vor nicht allzu langer Zeit ja mit einer Initiative zur Reduzierung der thermischen Belastung unserer Gewässer zu beschäftigen hatte.
Ich darf im übrigen auf unseren Antrag verweisen, der sich in drei Teile teilt. Ich glaube, da jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestages - wenn das auch in der Verfassung nicht vorgeschrieben ist - des Lesens und Schreibens kundig ist, brauche ich wegen der fortgeschrittenen Zeit diesen Antrag nicht weiter vorzulesen. Wir haben am Ende dieses Antrags einen Termin gesetzt. Ich glaube, daß dieser Termin sachlich gerechtfertigt ist. Denn wir wissen, daß auch bei der Bundesregierung schon seit längerer Zeit gewisse Überlegungen bestehen, daß Gutachten angefordert worden sind. Wir halten den Termin 1. Dezember 1972, bis zu dem die Bundesregierung diesem Hohen Hause berichten soll, für angemessen, ohne daß sie sich damit irgendwie gedrängt fühlt. Ich bitte Sie schon jetzt um Ihre Zustimmung zu der vorgeschlagenen Überweisung und würde mich sehr freuen, wenn die damit befaßten Kollegen den Antrag bei den weiteren Beratungen unterstützten.
({0})
Der Ältestenrat ging davon aus, daß zu diesem Punkt keine Aussprache vorgesehen ist. Ich sehe aber, daß sich der Herr Abgeordnete Flämig zu Wort meldet. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag wird sehr kurz sein. Die SPD-Fraktion hat den Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Er rennt in weiten Passagen offene Türen ein, und die Begründung bringt nichts Neues. Wir werden aufgefordert, 'die Arbeiten am Prototyp in Schmehausen zu unterstützen. Meine Damen und Herren, dies geschieht bereits. Im Haushalt 1970 waren 25,9 Millionen DM, 1971 über 60 Millionen DM und in diesem Jahr sind über 80 Millionen DM dafür eingesetzt. Daß eine Verzögerung eingetreten ist, liegt nicht an der Bundesregierung. Das liegt daran, daß eine Firma kalte Füße bekam und ausgestiegen ist.
Die Opposition fordert internationale Kooperation. Das ist im Gange. Mit der Gulf General Atomics sind längst Verhandlungen im Gange. Der Platz für europäische Beteiligungen ist offen. Das wird zur Zeit vorbereitet.
Die Opposition fordert eine Studie über die Nutzung ,des Potentials des Kugelhaufenreaktors. Ich bin ,der Meinung, ehe ,das Ministerium - es war gar nicht unser Ministerium, sondern dessen Vorgänger - dem Bundestag überhaupt ein 710Millionen-Projekt unterbreitet hat, muß es sich doch Gedanken über die Nutzung des Potentials gemacht haben!
Weiterhin wird eine Kosten-Nutzen-Analyse betreffend den Direktkreislauf gefordert. Darüber wird zur Zeit bereits in einem Ad-hoc-Ausschuß beraten. Das Ergebnis wird uns zugehen. Die Opposition fordert eine Analyse; sie soll Voraussetzung für die Bauentscheidung eines Hochtemperaturreaktors mit Heliumturbine sein. Genau für dieses Projekt, das hier als etwas Neues hingestellt wird, waren im Haushalt 1969/70 schon 2,23 Millionen DM und im Haushalt 1971 10 Millionen DM enthalten. In diesem Jahr sind wieder 10 Millionen DM dafür vorgesehen.
Meine Damen und Herren, um es kurz zu machen: Was soll dieser Antrag? Wenn man das Forschungs- und Entwicklungsprogramm von Jülich in die linke Hand nimmt, den Einzelplan 31 in die rechte Hand nimmt und die Begründungen durchliest sowie dann vielleicht noch ein Telefongespräch mit einem Sachbearbeiter führt, hat man all das, was hier in diesem Antrag gefordert wird.
Über die Maßnahmen, die die Regierung in dieser Sache ergreift, soll bis zum 1. Dezember 1972 berichtet werden. Wir haben nichts dagegen. Die Maßnahmen sind in vollem Gange. Praktisch kann die Regierung jeden Tag über das berichten, was sie tut. Der Antrag richtet keinen Schaden an. Es ist kein Fehler, wenn sich das Hohe Haus ab und zu auch einmal in solche Dinge einschaltet, die ja in ihren Auswirkungen nicht nur in die Millionen, sondern in die Milliarden gehen. Ich halte es für überflüssig, hier die technischen Einzelheiten zu erörtern. Deswegen sind wir dafür, darüber im Ausschuß zu beraten. Wir stimmen dem Vorschlag auf Überweisung an den Ausschuß zu.
({0})
Meine Damen und Herren, wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Nach dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates soll der Antrag dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft überwiesen werden. - Widerspruch erfolgt nicht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 15 und 16 der Tagesordnung auf:
15. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) über die von der Bundesregierung beschlossene
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({1})
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({2})
- Drucksachen VI/3083, VI/3173, VI/3279 Berichterstatter: Abgeordneter Kater
16. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs ({4})
- Drucksachen VI/3142, VI/3281 - Berichterstatter: Abgeordneter Kater
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. In der Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht verlangt.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über diese Punkte der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge in den Drucksachen VI/3279 und VI/3281. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({5}) über den Antrag des Bundesministers für Wirtschaft und
Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen aus dem ehemaligen Großen Exerzierplatz in Saarbrücken an die Stadt Saarbrücken und zwei Firmen
- Drucksachen VI/2981, VI/3283 - Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
Wünscht der Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch sonst nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 12 des Rechtsausschusses ({6}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache VI/3343 Die Drucksache liegt Ihnen vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe die Punkte 19 bis 23 auf:
19. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EG für eine Richtlinie des Rates über die Einführung einer gemeinsamen Entgeltregelung für Bürgschaften und Garantien bei aus Lieferantenkrediten finanzierten mittel- und langfristigen Ausfuhrgeschäften mit öffentlichen und privaten Käufern
- Drucksachen VI/3167, VI/3306 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs
20. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({8}) über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung ({9}) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden
- Drucksachen VI/3161, VI/3304 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer ({10})
21. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({11}) über den zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der
Vizepräsident Dr. Jaeger
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Detergentien
- Drucksachen VI/2398, VI/3315 Berichterstatter: Abgeordneter Volmer
22. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({12}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für
eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Düngemittel
eine Verordnung ({13}) des Rates über Sondermaßnahmen für die Vergabe von Aufträgen zur Verarbeitung von Tomaten, die Gegenstand von Interventionsmaßnahmen waren
- Drucksachen VI/3042, VI/3190, VI/3392 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt ({14})
23. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({15}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Aussetzung der Bestimmungen und Erstattungen auf den einzelnen Sektoren der gemeinsamen Marktorganisation
- Drucksachen VI/2062, VI/3406 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Burgbacher
Es handelt sich um Berichte der Ausschüsse über Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Von den Berichterstattern wünscht niemand das Wort; in der Aussprache wird es auch nicht verlangt. Darf ich davon ausgehen, daß wir gemeinsam abstimmen? - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen VI/3306, VI/3304, VI/3315, VI/3392 und VI/3406. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 24 der Tagesordnung:
a) Beratung der Sammelübersicht 37 des Petitionsausschusses ({16}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
- Drucksache VI/3289 -b) Beratung der Sammelübersicht 38 des Petitionsausschusses ({17}) über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 31. März 1972 eingegangenen Petitionen
- Drucksache VI/3342 Das Wort hat der Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Ihre Geduld über Gebühr beanspruchen und ohne dem nächsten mündlichen Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses vorgreifen zu wollen, möchte ich die Ihnen vorliegenden Drucksachen VI/3289 und VI/3342 mit Sammelübersichten des Petitionsausschusses zum Anlaß für folgende allgemeine Bemerkungen nehmen.
Zunächst gibt es - im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten - Erfreuliches zu berichten. Auf Grund eines Petitionsfalles hat sich der Bundestag in seiner Sitzung am 9. Dezember 1970 grundsätzlich mit der Frage der ausländerrechtlichen Behandlung der mit Deutschen verheirateten Ausländer befaßt. Die Bundesregierung wurde dabei aufgefordert, sicherzustellen, daß diesem Personenkreis prinzipiell der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet wird. Die Bundesregierung hat in diesen Tagen dem Auftrag dadurch entsprochen, daß sie dem Bundesrat eine entsprechende Vorlage mit der Bitte um Zustimmung zugeleitet hat. Es ist dies die Bundesratsdrucksache 210/72 über - jetzt zitiere ich wörtlich - „eine allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Ausländergesetzes". Ich bitte um Entschuldigung, aber es heißt so in der Sprache der Bürokratie. Danach haben Belange der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Anwesenheit von mit Deutschen verheirateten Ausländern beeinträchtigt werden - das gilt insbesondere auch für Belange der Entwicklungspolitik -, gegenüber dem grundgesetzlichen Gebot, Ehe und Familie zu schützen, grundsätzlich zurückzutreten. Das bedeutet, daß mit Deutschen verheiratete Ausländer nicht mehr ohne weiteres ausgewiesen werden können. Wir, die Mitglieder des Petitionsausschusses, freuen uns über diesen Erfolg und danken der Bundesregierung, daß das Bemühen unseres Ausschusses in diesem Fall zu einer befriedigenden Lösung eines existentiellen Problems für viele Betroffene geführt hat.
Wie Sie der statistischen Übersicht entnehmen können, beträgt die Zahl der uneingeschränkt positiv erledigten Eingaben in dieser Wahlperiode nur rund 2,5% aller eingegangenen bzw. rund 4,5 % der im Deutschen Bundestag behandelten Petitionen. Dies ist sicher weitgehend darauf zurückzuführen, daß sich viele Petenten erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmöglichkeiten an den Petitionsausschuß wenden und deshalb die Quote fehlerhafter Entscheidungen nur gering ist. In einer Reihe von Fällen haben die Mitglieder des Ausschusses gleichwohl den Eindruck, daß man für die hilfesuchenden Petenten mehr erreichen könnte, wenn dem Ausschuß endlich weitergehende Befugnisse bei der Aufklärung der zugrunde liegenden Sachverhalte gewährt würden. Wie Sie wissen, sind schon in der letzten Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag Gesetzentwürfe zur Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses vorgelegt worden. Nachdem sie damals nicht mehr abschließend behandelt werden konnten, wurden dem Deutschen Bundestag im Herbst 1970 neue Entwürfe zugeleitet. Leider sind diese Entwürfe von den zuständigen Fachausschüssen noch nicht endgültig beraten worden.
Angesichts der nicht zu unterschätzenden Bedeutung einer zufriedenstellenden Regelung des Petitionsrechts auch auf Bundesebene - einige Länder haben, wie Sie wissen, schon entsprechende Regelungen - und angesichts des Interesses, das diese Frage auch in der Öffentlichkeit findet, möchte ich an dieser Stelle nochmals einen Appell an die maßgeblichen Ausschüsse richten, insbesondere an den zur Zeit in erster Linie betroffenen Rechtsausschuß, trotz des umfassenden Katalogs anderer gewichtiger Aufgaben nach einer Möglichkeit zu suchen, die genannten Gesetzentwürfe möglichst bald zu verabschieden, zumal diese Entwürfe politisch wie rechtlich keine größeren Schwierigkeiten mehr aufweisen.
Die Mitglieder des Petitionsausschusses haben anläßlich eines Besuchs beim Herrn Bundespräsidenten mit Befriedigung vermerkt, daß sich auch dieser gegenüber den Wünschen des Ausschusses sehr interessiert gezeigt und in diesem Sinne auch bei dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses für eine vordringliche Behandlung der in Beratung befindlichen Vorlagen eingesetzt hat. Diese Legislaturperiode sollte nicht ohne eine zufriedenstellende Regelung des Problems zu Ende gehen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine zweite Anmerkung. In einer Reihe von Fällen sah sich der Petitionsausschuß nicht in der Lage, den Petenten zu helfen, obwohl es sich um außergewöhnliche Härtefälle handelte. Das Gesetz sah in diesen Fällen keine Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung vor. Bemühungen des Petitionsausschusses bzw. von einzelnen seiner Mitglieder, die Schaffung eines allgemeinen Härtefonds zu erreichen, blieben bisher leider ohne Erfolg.
Eine gewisse Möglichkeit, in krassen Fällen finanzielle Hilfe zu gewähren, besitzt der Herr Bundespräsident. Wir haben deshalb in besonders gelagerten Einzelfällen Petitionen an den Herrn Bundespräsidenten überwiesen. Auch die Möglichkeiten des Bundespräsidenten sind allerdings sehr gering, da der in den Haushaltsplänen der letzten Jahre für diesen Zweck ausgeworfene Betrag nur 400 000 DM ausmacht. Ich möchte mir hier die Anregung erlauben, ob man diesen Betrag bei passender Gelegenheit nicht fühlbar aufstocken sollte, um die Möglichkeiten zu verbessern, in unbürokratischer Weise und in gesetzlich nur schwer faßbaren Fällen Hilfe leisten zu können.
Abschließend bitte ich Sie, den in den Drucksachen VI/3289 und VI/3342 enthaltenen Einzelanträgen zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer den Anträgen auf den Drucksachen VI/3289 und VI/3342 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Nunmehr, meine Damen und Herren, ist der Bericht des Haushaltsausschusses zu Punkt 6 verteilt. Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages
- Drucksache VI/3092 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3410 Berichterstatter: Abgeordneter Franke
({1})
b) Schriftlicher Bericht des Ältestenrates - Drucksache VI/3409 Berichterstatter: Abgeordneter Dr.
Schmitt-Vockenhausen
({2})
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Franke ({3}) und dem Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen, für ihre Schriftlichen Berichte und erteile das Wort zur Ergänzung seines Berichts dem Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Franke, in dessen Namen ich auch spreche, hat Ihnen schon schriftlich die Zustimmung des Haushaltsausschusses mitgeteilt. Auf Grund der Beratungen im Haushaltsausschuß ergibt sich noch eine Änderung in Artikel I § 1 Ziffer 0. Dort muß es unter a) heißen:
Es wird folgender Absatz 2 eingefügt:
„({0}) Die Ansprüche nach den §§ 1, 4, 11 und 13 stehen ..."
Im übrigen bleibt die Vorlage bestehen; es wird also nur § 4 im Sinne der Beschlüsse des Haushaltsausschusses in die Aufzählung der Bestimmungen einbezogen. Ich bitte um die Zustimmung des Hohen Hauses.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und rufe in zweiter Beratung die Art. I, II, III, Einleitung und Überschrift auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung, wobei dem Art. I die Berichtigung zugrunde liegt, die der Herr Berichterstatter soeben vorgetragen hat. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Bei einer Enthaltung angenommen.
Ich komme nunmehr zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz-
Vizepräsident Dr. Jaeger
entwurf als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimme. Enthaltungen? - Eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist bei einer Enthaltung angenommen.
Ich komme nunmehr zu der Entschließung auf dem Ihnen vorliegenden Umdruck 280 *). Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer diesem Entschließungsantrag der drei Fraktionen des Hauses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, unterbreche ich die Sitzung bis zur Durchführung der Fragestunde um 14 Uhr.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir beginnen mit der
Fragestunde
- Drucksachen VI/3393, VI/3414 Zu Beginn werden die Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern behandelt. Die Fragen stellt der Abgeordnete Dr. Schneider ({0}). Ich rufe die erste Frage auf:
Hält die Bundesregierung die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland noch für ausreichend gewährleistet angesichts der Tatsachen, daß der spanische Kommunistenführer Santiago Carillo ohne Aufenthaltsgenehmigung und der spanische Schriftsteller Marcos Ana trotz eines Einreiseverbots angeblich heimlich in die Bundesrepublik Deutschland einreisen konnten, daß Carillo bei einer Massenkundgebung in Frankfurt auftreten und im Anschluß daran eine Pressekonferenz abhalten konnte, obwohl das Bundesinnenministerium die Frankfurter Polizei angewiesen hatte, Carillo und Ana unverzüglich abzuschieben, und daß der Frankfurter Polizeipräsident offensichtlich dieser Weisung nicht nachgekommen ist?
Zur Beantwortung, Herr Bundesinnenminister Genscher.
Der Bundesminister des Innern hat in Übereinstimmung mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesminister der Verteidigung durch Entscheidung vom 26./27. April 1972 die Zurückweisung des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Spaniens, Solarez Carillo, und des ZK-Mitglieds dieser Partei, Marcos Ana, angeordnet. Die Entscheidung erging auf Grund § 18 Abs. 2 in Verbindung mit § 10 Nr. 11 des Ausländergesetzes, weil zu besorgen war, daß die Anwesenheit der beiden kommunistischen Funktionäre und ihr Auftreten bei einer von der Kommunistischen Partei Spaniens veranlaßten und getragenen Großveranstaltung in Frankfurt am Main erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen würden. Von dieser Entscheidung des Bundesministers des Innern wurde der Hessische Innenminister am 26. und 28. April 1972 unterrichtet. Der Hessische Innenminister wurde weiter vorsorglich gebeten, sofort die Ausweisung und Abschiebung
*) Siehe Anlage 2 der beiden Spanier zu veranlassen, falls es ihnen trotz des Einreiseverbots gelingen sollte, in das Bundesgebiet zu gelangen.
Nachdem am 30. April 1972 bekanntgeworden war, daß Carillo und Ana sich in Frankfurt aufhielten, wurde der Hessische Innenminister erneut gebeten, sofort die Ausweisung und Abschiebung zu veranlassen. Diese Bitte ist vom Hessischen Innenminister an den Polizeipräsidenten in Frankfurt weitergeleitet worden. Sie erreichte diesen etwa eine Stunde vor Beginn der Kundgebung. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Carillo und Ana bereits auf dem Kundgebungsgelände. Nach Angaben des Polizeipräsidenten von Frankfurt wäre es nur unter Anwendung von Zwang möglich gewesen, an sie heranzukommen.
Der Polizeipräsident von Frankfurt hat weiter mitgeteilt, Carillo und Ana hätten vor der im Anschluß an die Kundgebung stattfindenden Pressekonferenz erklärt, sie wollten auf dem schnellsten Weg die Bundesrepublik Deutschland verlassen und beabsichtigten nicht, an weiteren öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Daraufhin sei davon abgesehen worden, ihnen die vorbereiteten Verfügungen des Verbots politischer Betätigung nach § 6 Abs. 2 des Ausländergesetzes und der Ausweisung nach den §§ 10 und 13 des Ausländergesetzes auszuhändigen. Beiden sei dabei das gegen sie bestehende Einreiseverbot eröffnet worden.
Der Polizeipräsident von Frankfurt vertritt die Auffassung, bei dem polizeilichen Vorgehen gegen die beiden Funktionäre wäre es mit Wahrscheinlichkeit zu Ausschreitungen der zahlreichen noch in der Stadt verweilenden Spanier gekommen. Der Hessische Innenminister hat dazu mitgeteilt, das Vorgehen des Polizeipräsidenten sei mit ihm abgesprochen worden.
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, ob die Bundesregierung die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nach diesem Vorfall noch für ausreichend gewährleistet halte, bejahe ich.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Bundesminister, halten Sie es mit dem geltenden Ausländerrecht für vereinbar, wenn Ausländerbehörden Ersuchen der Bundesregierung, in diesem Falle des Bundesinnenministers, zur unverzüglichen Abschiebung von mit Einreiseverboten belegten Ausländern mit dem Hinweis ablehnen, diese Ausländer würden ohnehin demnächst freiwillig abreisen?
Herr Abgeordneter, ich muß zunächst sagen, daß die Bundesregierung natürlich Wert darauf legen muß, daß sie bei der Durchsetzung von ihr erlassener Einreiseverbote von den Bundesländern unterstützt wird. Wie sich aus meiner Darstellung, die sich auf eine Mitteilung des Hessischen Innenministers gründet, ergibt, sind diese Erklärungen, die beiden genannten
Ausländer wollten ausreisen, im Anschluß an die Veranstaltung abgegeben worden und nicht vorher.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht mehr gewährleistet werden kann, wenn Exekutivorgane auf Grund eigenen Ermessens darüber befinden können, ob sie ein Ersuchen der Bundesregierung zur Ausführung des Ausländergesetzes auch tatsächlich zu erfüllen haben oder nicht?
Herr Abgeordneter, das Ersuchen, im Falle der Einreise der beiden diese wieder auszuweisen, hat, rein rechtlich gesehen, so wie es erteilt worden war, keine verpflichtende Bindung für das betreffende Bundesland. Ich betone aber noch einmal, daß die Bundesregierung bei der Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Interessen Wert darauf legen muß, daß sie bei der Durchsetzung der von ihr erlassenen Einreiseverbote von den Bundesländern unterstützt wird. Die innere Sicherheit - ich habe das bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht - ist ohnehin nach dem Aufbau der Bundesrepublik Deutschland nur in einer gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern zu garantieren.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Herr Bundesinnenminister, da ich nicht über eine so gründliche juristische Fachausbildung verfüge wie der Herr Fragesteller, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob es zutrifft, daß - wie in der Frage festgestellt wird - das Bundesministerium des Innern gegenüber dem Frankfurter Polizeipräsidenten weisungsberechtigt ist.
Nein. Eine solche Weisungsmöglichkeit ergab sich für das Bundesministerium des Innern als solches nicht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Bundesminister, halten Sie die Erwägungen des Frankfurter Polizeipräsidenten für rechtlich zulässig und für politisch vertretbar, mit denen er es abgelehnt hat, nach dem Ausländergesetz im Falle der beiden Spanier einzugreifen, und halten Sie es für zulässig und vertretbar, wenn der Frankfurter Polizeipräsident dann in einer Pressekonferenz laut „Frankfurter Rundschau" vom 2. Mai 1972 sagt - ich zitiere wörtlich -:
Es ist das Problem der Koalitionsregierung, daß
wir Kontakte und Beziehungen zu Spanien
unterhalten, obwohl die profiliertesten Vertreter dieser Regierung im Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner standen.
Der Hinweis, daß das aus der Sicht des Frankfurter Polizeipräsidenten ein Problem der Bundesregierung sei, macht schon deutlich, daß nicht er solche Erwägungen angestellt hat, sondern daß nach seiner Auffassung die Bundesregierung solche Erwägungen hätte anstellen müssen. Sie hat das indessen nicht getan, sondern allein nach den geltenden Bestimmungen gehandelt.
Was das Verhalten des Polizeipräsidenten angeht, so hat er natürlich bei der Durchsetzung von Ausweisungsverfügungen die Angemessenheit der Mittel, die möglichen Folgen usw. abzuwägen. Es ist von hier aus und in diesem Zeitpunkt nicht möglich, hier korrigierend oder auch urteilend einzugreifen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schäfer.
Herr Minister, darf ich aus Ihren Ausführungen folgendes schließen: Eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung hat der Polizeipräsident die Weisung bekommen. Der Polizeipräsident hat dann pflichtgemäß überlegt, ob die Durchführung dieser Weisung zu einer Situation führt, die er nach pflichtgemäßem Ermessen gewissenhaft daraufhin zu prüfen hat, ob sie von ihm im Hinblick auf das Verhältnis der angewandten Mittel und des eintretenden Erfolges verantwortet werden kann. Ist es richtig, daß es sich dann nicht - wie es in der Frage des Kollegen Schneider heißt - um die Frage handelt, ob hier die Sicherheit der Bundesrepublik in Gefahr ist, sondern daß es ganz konkret urn die örtliche Entscheidung im Einzelfall geht, ob die Mittel im Sinne der Polizeigesetze angemessen wären, den erstrebten Erfolg zu erreichen?
Herr Abgeordneter, erstens möchte ich feststellen - was ich schon am Schluß meiner ersten Antwort gesagt habe -, daß die Bundesregierung unverändert, auch im Hinblick auf diesen Vorfall, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland für ausreichend gewährleistet hält.
Zweitens. Es ist zu unterscheiden zwischen der Information an den Innenminister des Landes Hessen, daß ein Einreiseverbot ergangen ist, und der späteren Information, daß sich entgegen diesem Einreiseverbot die von ihm Betroffenen in Frankfurt aufhalten. Jene zweite Mitteilung ist nach den mir vorliegenden Angaben dem Polizeipräsidenten eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung zugeleitet worden. Der Tatsache, daß der Innenminister des Landes Hessen mir mitteilt, der Polizeipräsident habe insoweit in Übereinstimmung mit ihm gehandelt, entnehme ich, daß der Hessische Innenminister ebenso wie der Polizeipräsident von Frankfurt der
Meinung ist, daß die in der gegebenen Situation gefällte Entscheidung richtig sei.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Zander.
Herr Bundesminister, hätte es nach Ihrer Meinung dem vom Frankfurter Polizeipräsidenten zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel entsprochen, wenn er versucht hätte, einen Mann, der 23 Jahre in spanischen Gefängnissen gesessen hat, aus einer Gruppe von 3000 Spaniern herauszuholen und abzuschieben?
Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß das der Beurteilung des hessischen Innenministers unterliegt, nicht meiner eigenen. Ich habe dazu auch keine Feststellungen getroffen. Der hessische Innenminister hat aber in der Beurteilung mit dem Frankfurter Polizeipräsidenten übereingestimmt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Bundesminister, die Intervention des Kollegen Jahn gibt mir Veranlassung, Ihnen folgende Frage zu stellen. Können Sie bestätigen, daß auch die Deutsche Kommunistische Partei gegen die Tätigkeit ausländischer Kommunisten in der Bundesrepublik ist und unter Umständen gemeinsam mit dem Herrn Fragesteller für die Verhinderung der Einreise des wegen seiner Unabhängigkeit von Moskau bekannten Carillo wäre?
Herr Abgeordneter, die Haltung der Deutschen Kommunistischen Partei zu anderen kommunistischen Parteien ist sehr differenziert. Die Motive dafür können nur erraten werden. Trotzdem würde ich hier keine Gemeinsamkeiten mit dem Herrn Fragesteller sehen wollen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Minister, können Sie Informationen bestätigen, nach denen das hessische Landesamt für Verfasungsschutz angewiesen war, in der Frage der Einreise der beiden Spanier nichts zu unternehmen?
Eine solche Information kann ich nicht bestätigen, Herr Abgeordneter. Ich wüßte auch gar nicht, was das Landesamt für Verfassungsschutz hätte unternehmen können, es sei denn, Sie wollten sagen, es hätte den Auftrag erhalten, die Tätigkeit der Spanier nicht zu beobachten; denn exekutive Befugnisse bestehen bekanntlich aus wohlerwogenen Gründen nicht bei den Landesämtern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die zweite Dringliche Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schneider ({0}) auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um derartige Einreisen zu verhindern und Abschiebeweisungen auch durchzusetzen?
Herr Abgeordneter, verbotene Einreisen dieser Art können mit absoluter Sicherheit nie verhindert werden. Aus diesem Grunde informiert die Bundesregierung in Fällen wie dem vorliegenden die in Frage kommende Landesregierung, in deren Zuständigkeitsbereich der Betroffene voraussichtlich einreisen will, und bittet diese, den Betroffenen im Falle der illegalen Einreise sofort auszuweisen und abzuschieben, damit das Ziel des Einreiseverbots in jedem Fall erreicht werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sehen Sie sich auf Grund der Vorfälle in Frankfurt jetzt in der Lage, zu prüfen, ob unser Ausländerrecht ausreicht, d. h. ob nach unserem Ausländerrecht der Bundesinnenminister eine ausreichende Handhabe besitzt, in solchen Fällen das zu tun, was seines Amtes ist, nämlich für ein Höchstmaß an innerer Sicherheit in unserem Land zu sorgen?
Herr Abgeordneter, der Bundesinnenminister hat, wie ich schon darzulegen versuchte, keine rechtliche Möglichkeit, seine Weisung in einer verbindlichen Form an die Bundesländer zu geben. Ich betone aber noch einmal, daß die Bundesregierung - das sage ich für die gesamte Regierung - nicht darauf verzichten kann, in den Fällen, in denen sie Einreiseverbote verhängt, zu erwarten, daß die Bundesländer ihren Wünschen folgen, weil die innere Sicherheit nicht teilbar ist. Die Bundesregierung hat rechtlich die Möglichkeit, die Durchsetzung eines Einreiseverbots zu erzwingen, indem sie einen förmlichen Kabinettsbeschluß faßt. Einen solchen förmlichen Kabinettsbeschluß wird sie also immer dann zu fassen haben, wenn sie annehmen muß, daß ein Bundesland eine solche Einreise nicht verhindern bzw. den Betreffenden nicht ausweisen will. In der zur Verfügung stehenden Zeit an jenem Samstag war es begreiflicherweise nicht möglich, eine Sondersitzung des Kabinetts zur Behandlung dieser Frage anzuordnen.
Ich will nicht verschweigen, Herr Abgeordneter, daß ich in dieser Regelung einen Mangel sehe. Wenn das Gesetz vorsieht, daß der Bundesminister des Innern in eigener Verantwortung Einreiseverbote erlassen kann, dann wäre es wünschenswert,
daß seine Bitte an die Bundesländer, dieses Einreiseverbot dadurch zu unterstützen, daß illegal Eingereiste sofort ausgewiesen werden, auch verbindlich ausgesprochen werden kann und daß es dazu nicht einer förmlichen Sitzung des Bundeskabinetts bedarf. Ich sehe hier einen Mangel. Nur ist dieser Fall bisher kaum, so sage ich, praktisch geworden, weil ein solcher Wunsch des Bundesinnenministers in der Regel beachtet wird.
Ich bitte aus der Sachdarstellung, die ich gegeben habe, zu entnehmen, daß möglicherweise bei einem anderen zeitlichen Ablauf auch in Frankfurt ein anderes Ergebnis erzielt worden wäre.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich Ihren Worten entnehmen, daß Sie es selbst für etwas ungewöhnlich gehalten haben, daß Ihrer Bitte, die rechtlich, wie mir wohl bekannt ist, nicht als Weisung an die Landesregierung verstanden werden kann, die aber in anderen Fällen jeweils beachtet worden ist, nicht entsprochen wurde und daß die Bundesregierung daher nunmehr bereit ist, eine Novellierung des Ausländergesetzes einzuleiten, damit der Bundesminister in Zukunft kraft eigenen Rechts in der Lage ist, Weisungen solcher Art an Bundesländer zu erteilen?
Herr Abgeordneter, aus meiner ersten Antwort ergab sich, daß vorbereitete Verfügungen, wie mir mitgeteilt wurde, vorlagen, die ein Verbot der politischen Betätigung nach § 6 und die Ausweisung nach den §§ 10 und 13 vorsahen. Man kann also nicht davon ausgehen, daß die zuständigen Behörden sich im Prinzip geweigert hätten, das zu tun. Ich meine, daß ganz generell Anlaß besteht, diese Frage einmal mit den Herren Innenminister der Länder zu besprechen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Bundesminister, ist es eigentlich erwiesen, daß die Einreise der beiden Spanier heimlich erfolgte, oder wäre es nicht denkbar, daß die Einreise der beiden wegen der bekannten großzügigen und lockeren Abfertigungsweise an der deutsch-schweizerischen Grenze gar nicht kontrolliert wurde?
Herr Abgeordneter, es liegt mir etwas auf der Zunge, was ich nicht sagen möchte. Ich werde versuchen, neutral zu antworten, denn ich weiß nicht, ob die beiden Spanier über die deutsch-schweizerische Grenze eingereist sind.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Das hätte vielleicht durch ein Studium der Akten ergründet werden können, Herr Minister. Aber ich möchte Sie fragen, ob es zutrifft, daß Marcos Ana, der im Besitz eines gültigen internationalen Flüchtlingsausweises ist und deshalb jederzeit legal und ohne Visum in die Bundesrepublik einreisen konnte, an der Grenze jedenfalls nicht von den Behörden angehalten und auf das Einreiseverbot hingewiesen wurde, so daß er jedenfalls in seinem subjektiven Bewußtsein nichts Illegales oder sonstwie Ungewöhnliches getan hat?
Herr Abgeordneter, dazu ist zunächst zu sagen, daß ein Einreiseverbot natürlich unabhängig davon gilt und durchgesetzt werden muß, welchen Paß jemand hat - es sei denn, es ist ein deutscher Paß -, ob jemand einen Paß hat, ob eine Visumpflicht besteht oder nicht.
({0})
- Jemand, der ein Einreiseverbot nicht kennt, kann es nicht beachten. Aus diesem Grunde werden die Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes über das Einreiseverbot informiert, um es durchzusetzen.
Ob der Betroffene die Einreise illegal versucht hat oder ob er der Zurückweisung dadurch entgangen ist, daß er zu den Begünstigten gehörte, die bei schneller Abfertigung ihren Ausweis nicht vorzeigen mußten, versuche ich festzustellen. Ob man es endgültig feststellen kann, kann ich nicht sagen. Für den Tatbestand der Ausweisung und Zurückweisung kommt es nicht auf die subjektive Seite an, sondern wenn jemand illegal einreist, sollte er ausgewiesen werden.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Dringlichkeitsfragen beantwortet. Ich bedanke mich, Herr Bundesminister.
Die beiden anderen Fragen 1 und 2 aus Ihrem Geschäftsbereich sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden. Vielen Dank!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Der Fragesteller, der Herr Abgeordnete Pfeifer, bittet um schriftliche Beantwortung der Frage 34. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist der Bereich ebenfalls abgeschlossen.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch anwesend.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf. - Der Herr Fragesteller ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Spillecke auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Spillecke. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Sind die in der Zeitschrift „Der Spiegel" ({1}) auf den Seiten 23 und 25 wörtlich wiedergegebenen Zitate Teile des Originals der Wortprotokolle zum deutsch-sowjetischen Vertrag vom 12. August 1970?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat es bisher in derartigen Fällen abgelehnt, zur Authentizität von derartigen Zitaten Stellung zu nehmen. Sie geht auch in diesem Falle nicht von dieser Übung ab. Ich möchte aber hinzufügen, daß der Fragenkomplex, der hier angeschnitten ist, ja Gegenstand der parlamentarischen Ausschußberatung gewesen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Reddemann.
Ist das bereits die Antwort auf beide Fragen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, ich habe die erste Frage beantwortet, die aufgerufen war, Herr Abgeordneter.
Dann habe ich eine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, soll das heißen, daß Sie weder die Wahrheit dieses Textes bestreiten noch behaupten, es sei ein Text aus den Protokollen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es soll genau das heißen, was ich gesagt habe. Die Bundesregierung nimmt zu solchen Texten, die auf diese Weise an die Öffentlichkeit kommen, keine Stellung.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung auch Maßnahmen gegen das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" vorsehen, etwa nach § 353 c StGB, wenn es sich um einen Text handelt, der in der Tat der Geheimhaltung unterliegt?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es ist die Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, nach dem Gesetz zu handeln, auch in jenem Falle.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Haben Mitglieder der Bundesregierung oder deren Beauftragte der Redaktion des „Spiegel" Originaltexte der Protokolle weitergegeben?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet: nein.
Keine Zusatzfrage. - Dann bedanke ich mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet, was später geschieht. Die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich ebenfalls abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf zur Verfügung. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf:
Sind der Bundesregierung Vorwürfe aus Staaten der dritten Welt bekannt, daß die westlichen Industrienationen einschließlich der Bundesrepublik Deutschland den Staaten des Ostblocks Kredite zu Konditionen geben, die denen, die den Staaten der dritten Welt gegeben werden, gleichgelagert seien bzw. vorteilhatter seien, und ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag in einer Aufstellung Auskunft zu gehen, welche Kredite die Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahre 1959 unter welchen Konditionen an die Länder des Ostblocks gegeben hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Abgeordneter Jahn, der Bundesregierung sind keine derartigen Vorwürfe bekannt.
Was den Sachverhalt anlangt, möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß die Bundesregierung selbst keine Kredite gibt. Die Kredite werden vielmehr von den exportierenden Firmen oder Banken zur Verfügung gestellt.
Die Bundesregierung hat keinen Einfluß auf die Ausgestaltung des Zinssatzes. Die Höhe des Satzes ist ausschließlich Angelegenheit der Vertragspartner, auf deutscher Seite also der exportierenden Unternehmen und gegebenenfalls der beteiligten Banken. Die Mitwirkung der Bundesregierung besteht lediglich in der Übernahme von Bürgschaften für die Kredite. Hierbei kann die Bundesregierung Einfluß auf die Laufzeit der Kredite nehmen. Sie achtet dabei darauf, daß die Laufzeit der Kredite nicht länger ist, als dies angesichts der ausländischen Konkurrenz nötig ist, um unserer Industrie die gleichen Wettbewerbschancen wie der Konkurrenz einzuräumen.
Zu Ihrer Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, dem Bundestag eine Aufstellung über die Kredite zu geben, möchte ich sagen, daß es angesichts der großen Zahl der seit 1959 verbürgten Ausfuhrkredite nur schwer möglich ist, eine entsprechende Aufstellung anzufertigen. Ich glaube auch nicht, daß eine solche Aufstellung sehr aussagekräftig wäre. Außerdem könnte das Geschäftsgeheimnis der exportierenden Firmen tangiert werden. Unter diesen UmstänParlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
den wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich damit einverstanden erklären würden, daß die Bundesregierung vor dem Wirtschaftsausschuß des Bundestages die gewünschten Auskünfte über interessierende Details gibt.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Mit Ihrem Vorschlag bin ich einverstanden. Eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Ihnen ist sicherlich bekannt, daß nach einem Bericht der OECD von unseren Partnerstaaten in der EWG Frankreich 65 Kreditabkommen mit der UdSSR garantiert hat - das sind etwa 20% des Volumens der langfristigen französischen Exportkredite -, Italien 9 0/ o und Großbritannien 25 Kreditabkommen, das sind 10 %. Damit wird deutlich, daß zur Zeit ein bilateraler Wettbewerb der EWG-Partner in Richtung Ostblock stattfindet, der dem Geist des EWG-Vertrages nicht entspricht. Zum Schluß meine Frage: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu einer Harmonisierung dieser Exportbestrebungen der EWG zu kommen, die wir ab 1. Januar 1973 sowieso harmonisieren müssen?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Darüber sind bereits Besprechungen innerhalb der EWG im Gange, und wir hoffen, da wir hier zu einem vernünftigen Übereinkommen mit unseren EWG-Partnern kommen, damit die Nachteile eines solchen Wettbewerbs vermieden werden.
Noch eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Kreditbedingungen, die dem Ostblock von einigen Staaten und von einigen Firmen gewährt werden, zur Zeit den Präferenzen entsprechen, die Staaten der Dritten Welt und assoziierte Staaten der EWG von der Gemeinschaft bekommen, und daß die Zinsfüße nicht dem entsprechen, was wir in der EWG wollen, und daß Präferenzen in dieser Form nicht gegeben werden sollten?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich würde sagen, daß diese Frage in unmittelbarem Zusammenhang mit der ersten vorhergehenden Frage steht, und auch darüber müßte in der EWG gesprochen werden.
Keine Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dasch auf:
Sieht die Bundesregierung im Rückgang der Berufsanfänger in den meisten Zweigen des deutschen Handwerks eine beunruhigende Entwicklung, und welche Gründe dafür sind ihr bekannt?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen:
Herr Abgeordneter Dasch, der Bundesregierung ist bekannt, ,daß viele Bereiche des Handwerks unter empfindlichem Lehrlingsmangel leiden. In ihren Grundsätzen einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen hat die Bundesregierung festgestellt, daß dies auf längere Sicht existenzbedrohend werden kann. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Nachwuchsmangel im Handwerk relativ größer ist als in anderen Bereichen der Wirtschaft. Vielmehr bestehen Ungleichgewichte in der Verteilung des Fachkräftenachwuchses auf einzelne Handwerksberufe; besonders im Maurer- und Schlosserhandwerk ist ein bedrohlicher Rückgang der Lehrlingszahlen zu beobachten.
Für den gegenwärtigen Mangel an Berufsanfängern im Handwerk sind - abgesehen vom Sog bestimmter Berufe und den Zukunftsaussichten einzelner Handwerkszweige - insbesondere die schwachen Geburtenjahrgänge bis Mitte der 50er Jahre und der allgemeine Trend der steigenden Nachfrage nach weiterführender Bildung in den Schulen ursächlich.
So zeigen die Statistiken, daß 1950 noch 84 % der 12jährigen die Volksschule besuchten, 1968 dagegen nur noch 62,9 %.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß sowohl der Wert der handwerklichen Ausbildung als auch die Notwendigkeit vieler handwerklicher Berufe in der gesamten Meinungsbildung in der Öffentlichkeit in Zukunft mehr beachtet und höher bewertet werden müßte?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich bin Ihrer Auffassung, Herr Abgeordneter, aber ich muß Ihnen sagen, daß unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten der Bundesregierung, dem Nachwuchsmangel im Handwerk zu begegnen, sehr schwach sind. Sie sind auf Grund des im Grundgesetz verankerten Rechts der freien Wahl von Ausbildungsstätte und Beruf äußerst gering.
Wirksame Hilfen, die geeignet sind, den Nachwuchsmangel zu mildern, sind jedoch im Arbeitsförderungsgesetz von 1969 enthalten. Ich möchte auf die verbesserten Möglichkeiten der Berufsberatung und der Ausbildungsstellenvermittlung hinweisen. Der Zugang des Nachwuchses zu einzelnen Ausbildungsberufen im Handwerk hängt nicht zuletzt von der Attraktivität bezüglich der Qualität der den Jugendlichen gebotenen Ausbildung und bezüglich des wirtschaftlichen und sozialen Erfolges in einer späteren handwerklichen Erwerbstätigkeit ab.
Die Bundesregierung wird das Handwerk bei seinen Bemühungen um eine Verbesserung der Berufsausbildung weiterhin im Rahmen der Gewerbeförderung unterstützen. Das Aktionsprogramm beruflicher Ausbildung vom November 1970 und die Grundsätze einer Strukturpolitik für kleinere und mittlere Unternehmen zeigen die Schwerpunkte der Maßnahmen der Bundesregierung auf. Ich darf sie
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
Ihnen hier noch einmal aufzählen: 1. Entwicklung eines Schwerpunktes für die Errichtung und den Ausbau überbetrieblicher Berufsbildungsstätten, 2. Förderung der Teilnahme an überbetrieblichen beruflichen Bildungsveranstaltungen, 3. Verbesserung der Qualifikation von Ausbildern und Ausbildungsberatern, 4. moderne Ausbildungsordnung und Konzentrierung der Zahl der Ausbildungsberufe und 5. schließlich Abstimmung der Ausbildungsordnung des Bundes für die Betriebe und der Rahmenlehrpläne der Länder für die Berufsschulen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auf Grund Ihrer eigenen Äußerungen hinsichtlich des immer stärkeren Einsteigens in die weiterführenden Schulen mit mir der Auffassung, daß man es doch dahin bringen müßte, daß auch junge Menschen, die einige Jahre weiterführende Schulen besucht haben, stärker als bisher wieder in handwerkliche Berufe einsteigen, ohne daß sie darin in irgendeiner Form eine soziale oder persönliche Deklassierung erblicken?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Selbst wenn ich mit Ihnen dieser Auffassung wäre, Herr Abgeordneter - ich unterstelle das einmal -, so habe ich doch soeben aufgezeigt, wie gering die Möglichkeiten der Bundesregierung sind, auf diese Dinge einzuwirken. Ich habe Ihnen hier dargestellt, in welcher Weise wir den Versuch machen, Ihrer Sorge Rechnung zu tragen. Im Augenblick sehe ich keine weiteren Möglichkeiten. Aber Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir das Problem bei uns laufend beobachten und auch laufend versuchen, Möglichkeiten zu finden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Slotta.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß aus den Äußerungen des Vorredners der Schluß gezogen werden müßte, daß gerade unser dreizügiges Schulsystem ein Hinderungsgrund dafür ist, daß Schüler, die jetzt die Realschule oder das Gymnasium besuchen, eben nicht den Weg in die handwerklichen Bereiche finden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Es tut mir leid, so habe ich den Kollegen nicht verstanden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Weigl auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die
Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Werden Zuwendungen auch dann als Sonderausgaben anerkannt, wenn die bedachte Einrichtung die in § 10 b Abs. 1 EStG normierten förderungswürdigen Zwecke verfolgt, ihren Sitz aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland hat?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Ahrens, gestatten Sie mir bitte, daß ich die beiden Fragen wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantworte.
Bitte.
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Nach § 10 b des Einkommensteuergesetzes und j 11 Ziffer 5 des Körperschaftsteuergesetzes können Spenden zu den in diesen Bestimmungen im einzelnen aufgeführten Zwecken im Rahmen von Höchstbeträgen bei der Ermittlung des Einkommens abgezogen werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der zu fördernde Zweck im Ausland erfüllt wird. Ich darf in diesem Zusammenhang z. B. auf Spenden hinweisen, die an karitative Organisationen in der Bundesrepublik zur Linderung der Not bei Katastrophenfällen im Ausland gezahlt werden. Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit ist jedoch, daß die Spende an eine inländische Körperschaft des öffentlichen Rechts oder an eine inländische öffentliche Dienststelle oder eine inländische Körperschaft, die wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit ist, geleistet wird.
Die Zuwendung an eine ausländische Körperschaft, die mildtätige, kirchliche oder gemeinnützige Zwecke außerhalb der Bundesrepublik Deutschland verfolgt und auch ihren Sitz nicht in der Bundesrepublik Deutschland hat, ist steuerlich nicht begünstigt. Die Bundesregierung beabsichtigt auch nicht, die Steuerbegünstigung auf solche Fälle auszudehnen. Der Grund hierfür liegt darin, daß der deutschen Finanzverwaltung in diesen Fällen jegliche Überwachungsmöglichkeiten fehlen, ob die Zuwendungen tatsächlich für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden oder nicht.
Eine Änderung des gegenwärtigen Rechtszustandes im Rahmen der Reform des Einkommensteuerrechts ist deshalb nach Ansicht der Bundesregierung nicht möglich, und zwar auch dann nicht, wenn die förderungswürdige Einrichtung ihren Sitz in der EWG hat. Der gegenwärtige Stand der europäischen Integration auf dem Gebiet des Steuerechts erlaubt dies noch nicht.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie bei fortschreitender Integration im Bereich des Steuerrechts im Rahmen etwa der EWG zu einer Bejahung meiner Frage kommen würden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Dies ist eine sehr in die Zukunft gerichtete Frage. Es hängt tatsächlich davon ab, daß wir eine völlige Harmonisierung des Steuerrechts erreichen. Wenn diese Voraussetzung einer völligen Harmonisierung des Steuerrechts in der EWG gegeben ist, dann kann die Bundesregierung nach meiner Auffassung im Rahmen der EWG einer solchen Vorstellung nicht ausweichen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Maucher auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus ihrem Geschäftsbereich beantwortet, Herr Staatssekretär. Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Frage 12 soll schriftlich beantwortet werden; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Fragen 13 und 14 sind vorn Fragesteller zurückgezogen. Damit ist der Geschäftsbereich erledigt.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan anwesend.
Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Kreutzmann!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsident, wenn Sie gestatten und wenn der Fragesteller es gestattet, würde ich die Fragen 15 und 16 gerne zusammen beantworten.
Gut, dann rufe ich die Fragen 15 und 16 gemeinsam auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, dem Ärztemangel in der Bundeswehr durch Einstellung angestellter weiblicher Ärzte gegebenenfalls abzuhelfen?
Bestehen Bedenken, weibliche Ärzte in der Bundeswehr zu beschäftigen, besonders unter der Berücksichtigung der Tatsache, daß in vielen Streitkräften der übrigen Welt weibliche Ärzte zur gesundheitlichen Betreuung der Truppe eingesetzt sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Kreutzmann, die Bundeswehr beschäftigt seit Jahren Ärztinnen. Zur Zeit verfügt die Bundeswehr über vier Ärztinnen im Beamtenverhältnis und zehn Ärztinnen im Angestelltenverhältnis.
Ich darf jedoch darauf hinweisen, daß Ärztinnen praktisch nur bei zentralen Sanitätsdienststellen wie z. B. in Bundeswehrkrankenhäusern und anderen Instituten sowie im Wehrersatzwesen eingesetzt werden können. Die truppenärztliche Tätigkeit erfordert - und darin werden Sie sicher mit mir übereinstimmen wegen der Teilnahme an Übungen und dergleichen im allgemeinen die Verwendung von Sanitätsoffizieren.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 18 des Herrn Abgeordneten Würtz!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsident, auch da würde ich gerne die Frage 19 gleich mitbeantworten.
Gut, dann rufe ich die Fragen 18 und 19 gemeinsam auf:
Treffen die Befürchtungen des Bundesvorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, die er anläßlich der Wehrbereichsversammlung in Bremen geäußert hat, zu, wonach die bei den Olympischen Spielen eingesetzten Soldaten unterschiedliche Tagegelder und Abfindungen bekommen?
Wenn ja, was gedenkt das Bundesministerium der Verteidigung zu tun, um daraus entstehende krasse Ungerechtigkeiten zu vermeiden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Vom Bundesministerium der Verteidigung sind im Januar 1972 die Richtlinien für die Hilfeleistungen für die Olympischen Spiele 1972 herausgegeben worden. Hierin wurde unter anderem festgelegt, daß zu Hilfeleistungen eingesetzte Angehörige der Bundeswehr nach den gleichen Bestimmungen abzufinden sind wie bei einer Teilnahme am Truppendienst im Inland. Hiernach würden die Soldaten der Bundeswehr täglich 2,40 DM erhalten; die Kosten für die Verpflegung sind hiervon bereits in Abzug gebracht.
Im März 1972 wurde dem Bundesministerium der Verteidigung bekannt, daß geplant ist, den zur Hilfeleistung bei der Olympiade eingesetzten Angehörigen des Bundesgrenzschutzes und der Polizei der Länder eine höhere Abfindung zu gewähren. Eine abschließende Entscheidung darüber ist jedoch noch nicht getroffen worden. Unabhängig hiervon wird jedoch zur Zeit vom Bundesministerium der Verteidigung geprüft, ob für die bereits jetzt eingesetzten Soldaten - wobei es sich um hochqualifiziertes Personal, insbesondere im Fernmeldewesen, handelt - eine Erhöhung ihres derzeitigen Tagessatzes von 2,40 DM vorgenommen werden kann.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie Benachteiligungen einzelner Soldaten nicht vornehmen bzw. zulassen werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, Herr Kol10850
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
lege, dann habe ich Ihre Frage falsch gelesen. Die Soldaten werden alle einheitlich behandelt, unabhängig vom Dienstgrad.
Keine Zusatzfrage. Dann bedanke ich mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär von Manger-Koenig zur Verfügung.
Die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein muß schriftlich beantwortet werden, weil der Herr Abgeordnete nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Jung wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung die Pressemeldungen britischer Chemiekonzerne bestätigen, nach denen die englische Regierung die Entwicklung von Tabakerzeugnissen fördert, die beim Verbrennen wesentlich ungefährlichere Nebenprodukte zurücklassen als die bislang bei uns im Handel befindlichen Tabakwaren, und gedenkt die Bundesregierung, auch bei uns derartige Forschungen zu fördern, damit die Zahl der durch Tabakgenuß in ihrer Gesundheit Gefährdeten zurückgeht?
Herr Abgeordneter, die Pressemeldungen britischer Chemiekonzerne beruhen offenbar darauf, daß die britische Regierung im Gegensatz zur Bundesregierung erst seit einem Jahr die Möglichkeit geschaffen hat, den Tabak teilweise durch andere Stoffe - beispielsweise Zellulosearten - zu ersetzen, um sowohl den Gehalt an Nikotin als auch den an Schwelprodukten herabzusetzen. Ferner soll die britische Regierung jetzt eine Kommission aus Regierungsvertretern, Medizinern und Wissenschaftlern der Tabakindustrie gebildet haben, welche die Grundlagen für die Untersuchung und Bestimmung der beim teilweisen Ersatz des Tabaks entstehenden Stoffe erarbeiten soll.
Von der Bundesregierung wird schon seit langem der Frage nachgegangen, wie die schädliche Wirkung des Tabaks auf den menschlichen Organismus gemindert werden kann. Beim Deutschen Normenausschuß besteht eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern, die sich mit diesem Problem beschäftigt.
Auch andere Vorschläge, die in diese Richtung zielten, sind von uns jeweils eingehend geprüft worden. Leider, Herr Abgeordneter, stellte sich bisher immer heraus, daß die Antragsteller von der falschen Voraussetzung ausgingen, die Beseitigung nur eines Faktors führe zum erwünschten Ziele. Zur Zeit liegen dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zwei Forschungsprojekte vor, die möglicherweise bessere Erfolgschancen haben. Sie werden zur Zeit geprüft.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung noch andere Staaten bekannt, die ähnliche Entwicklungen fördern bzw. durchführen, und liegen bereits Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten vor?
Herr Abgeordneter, soweit sie publiziert worden sind, liegen sie vor und werden vom Bundesgesundheitsamt im Rahmen der ihm von uns gestellten Thematik in die Stellungnahmen jeweils einbezogen. Bisher hat sich aber eine probate Lösung dieses sicher sehr aktuellen, für große Bevölkerungsteile bedeutsamen Problems nicht ergeben.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen, die zuständigkeitshalber hierhin gehört, soll auf Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staaatssekretär Haar zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß mit der Landesregierung Niedersachsen eine Übereinkunft getroffen worden ist über die Finanzierung und den Baubeginn der Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke Lehrte-Braunschweig-Helmstedt?
Bitte schön!
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminster für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn hat sie mit der niedersächsischen Landesregierung noch keine Übereinkunft hinsichtlich der Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke LehrteBraunschweig-Helmstedt getroffen. Nach wie vor besteht jedoch das Interesse, zu einem Einvernehmen, insbesondere auch hinsichtlich der Finanzierung, zu gelangen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat der Wirtschaftsminister des Landes Niedersachsen die öffentlich abgegebene Erklärung, daß das Land Niedersachsen nunmehr zur Mitfinanzierung der Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke Lehrte-Braunschweig-Helmstedt bereit sei, auch dem Bundesverkehrsminister gegenüber abgegeben?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Das ist meinem Hause zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt, Herr Kollege.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 24 soll auf Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, ob zum Fahrplanwechsel Ende Mai 1972 für die Intercity-Züge ein einheitlicher Wagenpark zur Verfügung steht?
Bitte schön!
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn können zum Sommerfahrplanabschnitt 1972 noch nicht alle Intercity-Züge mit einem einheitlichen Wagenpark ausgerüstet werden. Die erfreulich hohe Inanspruchnahme des IC-Angebots durch die Reisenden hat teilweise eine Verstärkung der Züge erforderlich gemacht. Dies hat zu erhöhtem Wagenbedarf geführt, der in gemeinsamen Anstrengungen der Deutschen Bundesbahn und der liefernden Waggonindustrie schnellstmöglich abgedeckt werden soll. Die bisherige Zuschlagregelung, wonach bei Benutzung sogenannter blauer Wagen ohne Klimatisierung der halbe IC-Zuschlag zurückerstattet wird, soll beibehalten werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, läßt sich noch kein Zeitpunkt absehen, bis zu dem man mit einem einheitlichen Wagenpark rechnen kann?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Die Bundesbahn bemüht sich im Rahmen ihres Investitionsplans um eine schnellstmögliche Erneuerung. Aber ein Zeitpunkt kann heute verbindlich noch nicht genannt werden, Herr Kollege.
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf:
Mit welchem Wagenpark wird das geplante Intercity-Netz B ausgerüstet werden?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Im IC-Ergänzungsnetz sollen moderne Schnellzugwagen herkömmlicher Bauart mit 1. und 2. Klasse eingesetzt werden.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 27 ist zurückgezogen worden.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Wir kommen zum letzten Geschäftsbericht, dem des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Raffert zur Verfügung.
Die Fragen 28, 29, 30 und 31 sollen auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Stellenpläne liegen bisher für das von Staatssekretär Raffert angekündigte neue Institut für Innovationsforschung vor, und welche Mittel sollen mittelfristig für das Institut zur Verfügung gestellt werden?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Herr Kollege, es gibt bereits einen vorläufigen Stellenplan des Instituts für Innovationsforschung für 1972, der vorsieht, daß vorerst 14 Stellen ausgeworfen werden, und zwar 11 für Akademiker - davon 2 für Leiter; es ist ja eine kollegiale Leitung dieses Instituts vorgesehen - und die übrigen für Hilfskräfte. Für die nächsten vier bis fünf Jahre kann erwartet werden, daß ein stufenweiser Aufbau bis zu 25, 30 Stellen erfolgen wird und muß.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wann werden Sie dem zuständigen Ausschuß von diesem Stellenplan Kenntnis geben?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Es ist ein Stellenplan, der in den allgemeinen Haushaltsmitteln der Fraunhofer-Gesellschaft untergebracht ist. Aber wir sind selbstverständlich gern bereit, zu jeder Zeit im Ausschuß über das Institut, nicht nur über den Stellenplan, sondern auch über seine Aufgaben, im einzelnen Auskunft zu geben.
Keine Zusatzfrage? - Dann rufe ich die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Wie vereinbaren sich die Feststellungen des Staatssekretärs Raffert in Hannover vom 22. April 1972, daß das neue Institut auch dazu dienen soll, die Innovationsrate zu vergrößern, mit den ausführlichen Untersuchungen der OECD ({0}), daß der Hang der Europäer zur Gründung von Forschungsinstituten für spezielle Aufgaben gerade die Anwendung der Forschungsergebnisse im Produktionsprozeß, d. h. die Innovationsrate, verlangsamt?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was ich gesagt habe, und dem, was in der Studie, die Sie heranziehen, festgestellt wird. Diese Studie war eines der Dokumente, die mit herangezogen worden sind, bevor wir uns entschlossen, die Fraunhofer-Gesellschaft zu bitten, dieses Institut einzurichten. In der Tat sind Institute für spezielle
Parlamentarischer Staatssekretär Raffert Aufgaben nicht von vornherein auf eine Beschleunigung der Innovation ausgerichtet, sondern man erwartet von ihnen die Erarbeitung solider neuer Ergebnisse. Die Umsetzung solcher Ergebnisse in die Praxis - darum geht es ja - erfordert die Bearbeitung und Lösung interdisziplinärer Problemstellungen, denn es handelt sich hierbei nicht nur um technologische Faktoren des Innovationsprozesses, sondern auch um eine ganze Reihe anderer, etwa um den sogenannten Technologietransfer. Auf solche nichttechnologische Faktoren des Innovationsprozesses, und zwar sowohl auf hemmende als auch auf fördernde, erstreckt sich die Aufgabe dieses neuen Instituts.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist denn in Ihrem Hause, bevor Sie mit dieser Willensäußerung in Hannover an die Öffentlichkeit getreten sind, ausreichend geprüft worden, ob nicht bereits bestehende Kapazitäten die Aufgabenstellung übernehmen können?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Lenzer, Sie wissen, daß das geschehen ist. Damit beschäftigt sich auch eine der Fragen, die Herr Kollege Probst eingereicht hat. Es gibt nicht nur die Studien, die allgemein die Einrichtung eines solchen Instituts fordern, sondern wir bemühen uns auch, immer dort, wo Kapazitäten frei werden, diese zu benutzen, um neu aufgetretene Aufgaben zu erledigen. So haben wir ,das immer wieder bei den Instituten getan, über die wir bereits verfügen, etwa in Jülich oder in Karlsruhe, von denen neu entstandene Aufgaben übernommen worden sind. Inzwischen sind bereits ungefähr 1000 Mitarbeiter, über die die zehn Großforschungseinrichtungen verfügen, auf dem Gebiet der Umweltforschung tätig, wie Sie aus dem Bericht ,der Arbeitsgemeinschaft, der Ihnen vorliegt, wissen. Weitere Beispiele für die Nutzung von vorhandenen Kapazitäten für andere als die ursprünglich den Einrichtungen zugewiesenen Aufgaben finden wir bei der Datenverarbeitung und der Tieftemperaturtechnologie in Jülich und in Karlsruhe, bei der Meerwasserentsalzung und Meerestechnik in Geesthacht und bei der Mitarbeit an der Entwicklung neuer Verkehrstechnologien durch die Einrichtungen der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt. Wir müssen darauf achten, daß an den vorhandenen Instituten frei werdende Kapazitäten mit neuen Aufgaben ausgefüllt werden. Das dient auch der geistigen und personellen Mobilität der dort beschäftigten Wissenschaftler.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe Sie also richtig verstanden, daß Sie bei Ihrer Argumentation davon ausgehen, daß in den Instituten, die Sie hier angeführt haben, die Kapazitäten alle ausgelastet sind, so daß sich für diese spezielle Aufgabenstellung nur die Neugründung eines Instituts in Ihrem Sinne empfohlen hat?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich habe nicht gesagt, Herr Kollege Lenzer, daß alle Kapazitäten ausgelastet sind. Wir bemühen uns vielmehr, immer wieder neu herauszufinden, ob das der Fall ist. Wenn es nicht der Fall ist und wenn eine Aufgabe für ein Institut überhaupt ausgelaufen ist, dann gehen wir auch dazu über, das eine oder andere aufzulösen. Sie wissen, daß das im Rahmen der Max-Planck-Gesellschaft in den letzten Jahren wiederholt geschehen ist. Wir haben auch vor nicht allzu langer Zeit bei der GfK z. B. das Institut für Strahlenchemie aufgelöst. Wenn also so etwas festgestellt wird, werden auch Institute aufgelöst. Bei dem ISI geht es darum, eine Aufgabe zu erfüllen, für die anderswo in dieser Form eine Gruppe von Wissenschaftlern und insbesondere auch führenden Wissenschaftlern, wie das beim ISI mit Herrn Professor Krupp der Fall ist, nicht vorhanden ist. Deswegen mußte ein solches neues Institut gegründet werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, wenn ich sage, daß der Bereich der Innovationsforschung ein um so wichtigerer und förderungswürdigerer Bereich ist, als frühere Bundesregierungen sehr wenig für die wissenschaftliche Vorbereitung von notwendigen Innovationen besonders im Bildungsbereich getan haben?
Raffert, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, es war jahrelang so, daß es bei der Verbesserung der Innovationsrate sehr stark darum ging, einfach Wachstum zu fördern durch das, was an Innovation geleistet wurde. Jetzt geht es mehr und mehr darum, auch „die Qualität des Lebens" - um eine jetzt gebräuchliche Formel zu benutzen - zu fördern. Vor allem Innovationen in diesem Bereich müssen schneller erfolgen, als das bisher der Fall war. Wir haben aber noch keine Möglichkeit, zusammenfassend herauszufinden, wo sich so etwas anbietet. Dieses neue Institut wird insbesondere dafür tätig zu sein haben.
Meine Damen und Herren, dies war die letzte Frage. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Raffert.
Wir sind auch am Ende unserer heutigen Sitzung.
Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundestages erfolgt, nachdem die für 16 Uhr anberaumte Sitzung des Ältestenrates beendet ist.
Die Sitzung ist geschlossen.