Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat mit sehr grundsätzlichen Erwägungen soeben die Vorlage zur Änderung des Revisionsrechts hier eingeführt. Er hat damit sein Soll an Reformvorhaben aus dem Justizbereich weiter ausgefüllt. Nur ist es so, Herr Staatssekretär, daß gerade diese Novelle längst überfällig war. Schon aus dem Vorblatt zur Drucksache VI/3252 können Sie entnehmen, daß bis zum 15. September 1972 unbedingt eine gesetzliche Neuregelung für den Zugang zur Revision beim Bundesgerichtshof geschaffen sein muß, soll dieses oberste Gericht nicht mit einer übermäßigen, nicht mehr zu bewältigenden Flut von Revisionsverfahren eingedeckt werden, wenn das noch geltende, aber bis zum September auslaufende Gesetz dann nicht mehr in Kraft ist.
Es ist darum kaum zu verstehen, daß dem Hohen Hause erst heute, praktisch zweieinhalb Monate vor der Sommerpause und fünf Monate vor dem Auslaufen des Gesetzes, diese Novelle präsentiert wird. Dabei war dem Herrn Justizminister dieses
Problem ja längst bekannt. Bereits am 28. November 1969, als er dem Rechtsausschuß sein Gesetzgebungsprogramm für die gesamte Legislaturperiode bis 1973 bekanntgab, sprach er von der Neuordnung der Revision in Zivilsachen und in Finanzgerichtsverfahren in Richtung auf eine Grundsatzoder Divergenzrevision; im übrigen eine Frage, die seit Jahren in der Debatte war, ja auch schon zu entsprechenden, sehr abgerundeten vorausgehenden Vorlagen des Justizministeriums geführt hat.
Diese Erwägungen, die der Herr Justizminister damals im Rechtsausschuß anstellte, haben ihren Niederschlag in den Jahresberichten der Bundesregierung 1969 und 1970 gefunden, in denen bereits davon gesprochen wurde, daß das Ministerium damit befaßt sei. Sodann hat er bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit dieses Problem wieder aufgegriffen, sei es nun vor den Spitzenvertretern der Richtervereinigung und Anwälten im Ministerium, sei es vor den mittelrheinischen SPD-Juristen im Mai 1971, sei es aber auch auf dem Nürnberger Anwaltstag am 11. Juni 1971. Im ersten Fall hat er davon gesprochen, daß der Entwurf Ende 1971 eingebracht werde, im anderen Fall davon, daß er bereits im November 1971 vorliege, und bei den Anwälten sprach der Herr Minister gar von den „besonderen Dringlichkeiten" bei diesen Vorlagen und kündigte an, der Entwurf werde so zeitig eingebracht, daß eine Verlängerung des jetzigen Gesetzes nicht mehr erforderlich werde.
Aber genau vor dieser Situation stehen wir nun heute. Denn selbst zwischen dem Beschluß der Bundesregierung über diesen Entwurf, der am 25. Januar 1972 bekanntgegeben wurde, und der Einführung in den Gesetzgebungsgang am 13. März dieses Jahres liegen ungenutzt weitere sechs Wochen. Herr Staatssekretär, die überlange Laufzeit dieser Vorlage muß also schon ein recht dornenreicher Weg gewesen sein, obwohl das Ministerium doch bereits im Mai vergangenen Jahres angeblich die erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen auf der Rosenburg geschaffen hatte, die - so las man im Bulletin wörtlich - eine Konzentration aller verfügbaren Kräfte und ihren möglichst rationellen Einsatz ermöglichten.
Sie muten nunmehr den vier Ausschüssen, die nach den Beschlüssen des Ältestenrates mit dieser Vorlage befaßt werden sollen, zu, praktisch in knapp vier Tagungswochen diese mit sehr entscheidenden Grundsatzproblemen beladene Novelle abschließend zu beraten. Denn nach dem Zeitplan dieses Hauses stehen bis zum Sommer in der Tat nur ganze vier Wochen für diese Beratung zur Verfügung. In der letzten Aprilwoche soll ja der Haushalt verabschiedet werden, und in der ersten Maiwoche steht die Debatte über die Ratifizierung der Ostverträge an. In diesen beiden Parlamentswochen finden bestimmt keine Ausschußsitzungen statt.
Es kann aber nicht erwartet werden, daß das Hohe Haus so in Bausch und Bogen einfach schluckt, was so lange in der Küche der Rosenburg zwar aus-, aber noch keineswegs Bargekocht worden ist.
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Dr. Hauser ({1})
Eine angemessene Beratungszeit ist um so mehr erforderlich, als mit dieser Vorlage nicht allein einer neuerlichen Überlastung des Bundesgerichtshofs und der damit verbundenen, mehrfach auch von Ihrem Hause beklagten unzumutbaren Verzögerung von Verfahren vorgebeugt werden soll; nein, hier wird - das führten Sie aus - der Versuch gemacht, auch für die Finanz-, für die Verwaltungswie für die Arbeitsgerichtsverfahren den Zugang zum Revisionsgericht möglichst zu vereinheitlichen, um damit die besondere Aufgabe dieser obersten Gerichte zu betonen, nämlich die Rechtseinheit -aber, Herr Staatssekretär, die Rechtseinheit im Einzelfall - zu wahren und gleichzeitig der Rechtsfortbildung zu dienen. Daß dies zu sehr grundsätzlichen Erörterungen weit über den engsten Kreis der Juristen hinaus führen muß, ist offenkundig, selbst wenn die Rechtszersplitterung in den Verfahrensordnungen aller streitigen Gerichtsbarkeiten immer wieder beklagt worden ist. Es kommt aber darauf an, wie dieses Ziel angesteuert wird.
Ich denke nur daran, daß etwa mit der Einführung der Grundsatzrevision in der Finanzgerichtsbarkeit bestimmt mit Vehemenz erneut die Forderung nach einem dreistufigen Instanzenzug gestellt wird. Ich darf Sie daran erinnern, daß der letzte Bundestag bei der Frage, ob die Revisionssumme dort etwa auf 6000 DM erhöht werden sollte, die Dreistufigkeit durchweg als die bessere Lösung angesehen und nur deshalb nicht ins Gesetz aufgenommen hat, um die Verabschiedung jenes Gesetzes nicht am Widerspruch des Bundesrates noch einmal scheitern zu lassen.
Aber auch hinsichtlich der Zivilgerichtsbarkeit hat die aufgeworfene Grundsatzfrage den letzten Bundestag, wie Sie als damaliger Angehöriger des Rechtsausschusses selber wissen, sehr lange Diskussionen ausgelöst, und sie werden sich auch jetzt nicht vermeiden lassen. Ich entsinne mich noch, wie damals der leider inzwischen verstorbene Kollege Busse mit allem Nachdruck mahnte, bei der Neugestaltung unseres Prozeßrechts, deren Notwendigkeit niemand bestreitet, doch nicht ausgerechnet an der Spitze zu beginnen und dort neue Grundsätze aufzustellen, ehe wir nicht wissen, wie der gesamte Unterbau aussieht und welche Funktion er hat. Daß wir auch heute, Herr Staatssekretär, noch lange nicht am Ende der allgemeinen Diskussion über den Neuaufbau unserer zivilen Gerichtsbarkeit stehen, hat Ihnen wohl die Kritik aller einschlägigen Justizkreise am überhasteten Entwurf zum ersten Teil der Justizreform doch wohl deutlich genug gezeigt. Die Frage, die vor drei Jahren Herr Kollege Busse hier stellte, wird also erneut auf dem Tisch liegen.
Die sehr eingeschränkte Möglichkeit, sich gegen eine Nichtzulassung zur Grundsatzrevision durch das Berufungsgericht zu wenden, wird nicht weniger Erörterungen bringen. Wird damit nicht der „blaue Himmel über den Berufungsgerichten" - ich habe noch deutlich dieses bei den letzten Beratungen oft gebrauchte Wort im Ohr - geöffnet und damit die Befürchtung ausgelöst, daß dann Berufungsverfahren nicht mit der erforderlichen Sorgfalt behandelt werden? Auch diese Frage wird erneut gestellt.
Und bringt die vorgeschlagene Lösung tatsächlich das bürgernähere und das durchschaubarere Recht, von dem der Herr Justizminister so gern und so oft redet? Bringt diese Lösung wirklich die notwendige Verbesserung für den einzelnen rechtsuchenden Bürger, oder liegt nicht doch die Gefahr, vor der schon vor zehn Jahren Adolf Arndt gewarnt hatte, nahe, daß mit der Beschränkung des Revisionsrechts allein auf grundsätzliche Rechtsfragen nur einem lebensfernen System die Tür geöffnet wird, daß dem Bürger in seinem konkreten Anliegen aber nicht geholfen wird? Diese Frage, Herr Staatssekretär, kann auch beim Revisionsverfahren nicht ausgeklammert werden.
Nur wenige Probleme konnte ich anschneiden, die sich aber alle zusammen in drei bis vier Beratungswochen wahrhaftig nicht erledigen lassen. Die Bundesregierung geht in der Begründung der Vorlage davon aus, daß sich das gleiche Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht bewährt habe. Aus diesem Grunde soll es nun auch auf alle anderen obersten Bundesgerichte übertragen werden. Ich glaube aber, es bedarf einer ernsthaften Erwägung, ob dieser Ausgangspunkt letztlich einer Nachprüfung standhält.
Sollte aus all diesen Gründen das Revisionsrecht nicht nur so weit neu geordnet werden, wie dies im Moment unbedingt erforderlich ist? Schon in einem der ersten Hefte der NJW zu Beginn dieses Jahres hat Schneider diesen Vorschlag gemacht. Muß dieser Gedanke angesichts der Misere, daß nun seit Veröffentlichung dieses Beitrages weitere drei Monate ungenutzt ins Land gegangen sind, nicht aufgegriffen werden? Muß also nicht einfach das Gesetz zur Entlastung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen unter Einführung möglicher Verbesserungen um drei bis fünf Jahre verlängert und gleichzeitig für den überlasteten Bundesfinanzhof eine Übergangsregelung gefunden werden - dies alles, Herr Staatssekretär, um so mehr, als .es wirklich zweckmäßig wäre, innerhalb der neuen Geltungsdauer des Gesetzes dann im Zusammenhang mit der Neugliederung der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch die Neuordnung des Revisionsrechts in Angriff zu nehmen?
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Beermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der allgemeinen Verzögerungsschelte, die hier von Herrn Hauser geäußert worden ist, möchte ich mich nun doch auch ein ganz klein wenig anschließen und möchte sagen, daß die verspätete Vorlage dieser Novelle sicherlich nicht das allergrößte Meisterstück unter den sonst vorzüglichen Leistungen des Justizministeriums gewesen ist.
Nun aber zum Inhalt selbst; mit ihm müssen wir uns dann doch etwas befassen. Wir können den zunehmenden Stau der Revisionssachen sicherlich dadurch abbauen, daß wir uns die Sache einfach machen, das Entlastungsgesetz verlängern und dann
den Streitwert ändern; ihn müssen wir dann wirklich wieder erhöhen. So könnten wir die Sache durchführen. Aber ich meine, diese Methode der Streitwerterhöhung ist ja nun schon durch Jahrzehnte hindurch exerziert worden; wir haben das vier- oder fünfmal gemacht, und jedesmal hat sich doch gezeigt, daß die Streitwerterhöhung über kurz oder lang nicht ausreichte, um hier bremsend einzuwirken.
Darüber hinaus gibt es aber noch eine andere und für mich entscheidende Komponente. Ich meine, daß die Erhöhung des Streitwerts nicht in Einklang mit den reformerischen Bestrebungen der von der Bundesregierung vertretenen Justizpolitik steht. Wie ist es denn? Durch ,die Eröffnung der dritten Instanz für Sachen mit hohem Streitwert werden doch in allererster Linie die Rechtsmaterien an die Revisionsgerichte herangetragen, die Bestandteil der Rechtsstreitigkeiten der, na, wie soll ich es sagen, wirtschaftlich Mächtigen in diesem Lande sind. Aber unterschieben Sie mir, wenn ich das sage, nicht irgendein Klassenkampfmotiv; das liegt mir völlig fern.
Der Anspruch auf Wahrung der Rechtseinheit ist ein allgemeines und nicht nur ein Anliegen weniger Privilegierter. Auch die sozial Schwachen sollten den Anspruch haben, daß die Rechtseinheitlichkeit der sie betreffenden Materien durch die Revisionsgerichte geklärt wird. Ich denke da z. B. an das Mietrecht, bei dem die kürzlichen Ergänzungen ja nicht zuletzt deshalb notwendig waren, um ,den sozial Schwächeren mehr zu schützen, wodurch das Mietrecht selber aber kompliziert worden ist.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abgeordneten Dr. Hauser?
Ist Ihnen nicht gegenwärtig, Herr Kollege Beermann, daß wir gerade beim Mietrecht an sich schon in den BGH-Bereich hineingegangen sind?
Das ist mir wohl bewußt. Aber ich glaube, daß wir diese ganze Sache weiterhin noch ausbauen müssen.
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Dasselbe gilt von den allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ja heute die Vertragsfreiheit bedrohen und von der wir wissen, daß eine Auslegung in dieser und jener Richtung für die Allgemeinheit schlecht ist und daß gerade auf diesem Gebiet das Heranführen der Rechtsmaterie an die Revisionsgerichte unbedingt erforderlich ist.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Herr Kollege Beermann, soll durch diesen Entwurf und nach Ihrer Auffassung die Obergerichtsbarkeit, sollen also unsere Bundesgerichte entlastet werden durch mehr Revisionen oder durch eine Verkürzung ,des Revisionsrechts?
Sie sollen selbstverständlich entlastet werden. Darauf wollte ich gerade eben zu sprechen kommen.
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Meine Damen und Herren, es kommt natürlich darauf an, daß wir Selektionsmechanismen finden, durch die die Revisionsgerichte wirklich entlastet werden. Die Festsetzung des erhöhten Streitwerts hat ja auch dazu geführt, daß geschickte Rechtsanwälte immer wieder Kämpfe um die Streitwertfestsetzung führen, wie sicherlich auch, wenn wir auf die Grundsatzrevision abstellen, geschickte Anwälte versuchen werden, das Grundsätzliche eines Falles in den Vordergrund zu schieben, um die Angelegenheit revisibel zu machen.
Ich möchte sagen: Beide Selektionsmechanismen haben ihre Schwächen. Aber wir werden uns zu irgendeiner Art der Selektion bekennen müssen. Wir meinen, daß die Grundsatzrevision die einzige Möglichkeit ist, das von mir vorhin erwähnte Ziel zu erreichen, nämlich die Heranführung von Rechtsmaterien, die ,den kleinen Mann beengen, an die Revisionsgerichte. So erreichen wir dieses Ziel erheblich eher als durch die Festsetzung eines erhöhten Streitwerts.
Ich möchte dazu sagen, daß der Entwurf der Bundesregierung sowohl von dem Anwaltsverein wie von den Rechtsanwälten am Bundesgerichtshof abgelehnt worden ist. Wir werden die Gründe, die dazu führten, im Rechtsausschuß sehr eingehend zu prüfen haben. Wir möchten aber zugleich klarlegen, daß sowohl die Revisionsgerichte im allgemeinen wie auch der Deutsche Richterbund diesem Gesetzgebungsvorhaben ihre volle Zustimmung gegeben haben.
Abschließend möchte ich sagen: ich meine, daß durch die Verwirklichung dieses Gesetzentwurfs ein Stück sozialer Gerechtigkeit, ein Stück, so möchte ich sagen, des sozialen Rechtsstaates in unserem Lande verwirklicht wird.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus. Für sie sind 30 Minuten beantragt worden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Vorhin wurde vom Herrn Kollegen Hauser heftig Kritik daran geübt, daß die Vorlage dieses Gesetzentwurfes erst jetzt erfolgt. Herr Kollege Hauser, ich habe an und für sich Verständnis dafür; denn in dem Augenblick, in dem man anfängt, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen, die in diesem Gesetz ist, sieht man erst, welch schwierige Probleme in ihm behandelt werden.
Dazu kommt natürlich, daß dadurch, daß die verschiedenen Gerichtszweige angesprochen werden, auch immer Abstimmungen unter den einzelnen Ministerien erfolgen müssen. Wir haben jetzt die
Situation, daß am 15. September 1972 das Entlastungsgesetz ausläuft. Ich habe genau wie die Vorredner die Befürchtung, daß es nicht möglich sein wird, in der Kürze dieser Zeit das Gesetz mit der Gründlichkeit zu beraten, die es nun einmal erfordert. Es dreht sich für mich eigentlich um eine Fortsetzung der Diskussion in der dritten Legislaturperiode. Die Probleme wurden damals sehr eingehend im Rechtsausschuß im Zusammenhang mit der Schaffung der Verwaltungsgerichtsordnung angesprochen. Damals waren die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten beide in Opposition zu der absoluten Majorität der CDU; aber in diesen Rechtsfragen stimmten wir doch nicht überein. Unsere Auffassung - die der Freien Demokraten -zeigte sich vor allen Dingen bei der immer wieder diskutierten Frage, Herr Kollege Beermann, ob die Streitwertrevision ungerecht sei und ob man nur zu einer Grundsatzrevision kommen solle.
Vorweg möchte ich aber eines sagen. Wir begrüßen es außerordentlich, daß das Bundesjustizministerium jetzt Gerichtsverfahren vereinheitlichen will. Es gibt eine ganze Menge Dinge, die bei allen Gerichtsverfahren einheitlich geregelt werden können, z. B. die formellen Bestimmungen, wie Ladungen erfolgen, wie die Fristen zu regeln sind, ob bei Einlegung eines Rechtsmittels nur der Antrag gestellt werden oder auch gleich die Begründung erfolgen muß; das nur als Beispiele. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, daß unsere verschiedenen Gerichtsverfahren natürlich auch eine ganz besondere Rechtsmaterie zu regeln haben und daß sich aus dieser besonderen Rechtsmaterie auch Unterschiede ergeben. Das ist Ihnen ganz klar, wenn ich auf das Strafverfahren hinweise. Die so notwendige Revision des Strafverfahrens ist in diesem Gesetzentwurf auch nicht enthalten; sie hätte auch gar nicht hineingepaßt.
Ich darf aber noch auf etwas anderes hinweisen. Als seinerzeit die Verwaltungsgerichtsordnung beraten wurde, hat sie der Bundestag als ein Musterverfahren für die Verwaltungsverfahren in einem weiteren Sinne angesehen. Dabei sind zu den Verwaltungsverfahren im weiteren Sinne die Sozialgerichtsordnung und die Finanzgerichtsordnung zu rechnen, und es werden wahrscheinlich auch noch im Zusammenhang mit dem Arbeitsgerichtsgesetz ziemlich einheitliche Regelungen erfolgen können. Die ordentliche Gerichtsbarkeit hat natürlich durch den Streitgegenstand bedingte andere Besonderheiten wie z. B. die Verhandlungsmaxime. Das hat natürlich auch seine Auswirkungen auf die Gestaltung des Verfahrens.
Damit komme ich zu der Bedeutung des Streitwertes in einem Verfahren. Herr Kollege Beermann hat gemeint, die Streitwertregelung sei sozial ungerecht. Ich darf darauf hinweisen, daß in der jetzt gültigen Zivilprozeßordnung zwei Revisionsmöglichkeiten nebeneinander bestehen, einmal die Streitwertrevision und zum anderen die Regelung, daß das Oberlandesgericht bei grundsätzlichen Rechtsfragen auch dann die Revision zulassen kann, wenn die sonst erforderliche Höhe des Streitwertes nicht erreicht ist. Es ist also eine Kombination vorgesehen, um in grundsätzlichen Fragen auch ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu erreichen, woran der einzelne Bürger und auch die Gerichte interessiert sind. Insofern ist also eine Doppelspurig-keit des Verfahrens gegeben. Der Bürger hat durchaus Verständnis dafür, daß er nicht einen Rechtszug bis zur höchsten Instanz für Streitsachen verlangen kann, die keine große Bedeutung haben. Die Heraufsetzung des Streitwertes - ursprünglich lag die Grenze bei 6 000 DM, wurde dann auf 15 000 DM angehoben und ist jetzt durch das Entlastungsgesetz auf 25 000 DM erhöht worden - bedeutet schon eine starke Einschränkung für den einzelnen Bürger, durch die ihm zugemutet wird, daß es in seinem Fall, der für ihn allgemein wirtschaftlich sehr bedeutsam sein kann, aber keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung hat, nicht zu einer Einzelfallgerechtigkeit kommt.
Nun zu der Frage der grundsätzlichen Bedeutung. „Grundsätzliche Bedeutung" ist ein außerordentlich schillernder Begriff, der gar nicht mit Sicherheit zu erfassen ist. Es wird gesagt, ein solcher Fall liege dann vor, wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinausreiche, so daß die Entscheidung für die Wiederholung ähnlicher Fälle erforderlich erscheine. Aber welche Prüfung und welches Tatsachenmaterial sind nötig, um diesem Frage entscheiden zu können? Wie ist es z. B. mit wirtschaftlich wichtigen Tatbeständen, die zwar vielleicht die Volkswirtschaft erschüttern können, sich aber kaum wiederholen? Im übrigen haben Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oft erhebliche Auswirkungen auf unser gesellschaftliches, auf unser wirtschaftliches Leben. So wurde von Herrn Kollegen Beermann mit Recht auf die Entscheidungen hinsichtlich der allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen, wo sich ein Wandel der Rechtsprechung bezüglich der Verbindlichkeit dieser Bedingungen zeigt. Aber es ist nicht so, daß Musterprozesse der Wirtschaft immer auch grundsätzlich rechtliche Bedeutung haben. Unsere Auffassung war es aber immer - es wurde auch von Herrn Kollegen Hauser auf den von mir so sehr geschätzten Kollegen Busse hingewiesen -, daß die Einzelfallgerechtigkeit, gerade wenn es sich um Musterprozesse der Wirtschaft handelt, doch erhalten bleiben müsse. Das liegt im Interesse auch der Allgemeinheit. Deswegen haben wir nach wie vor starke Bedenken, die Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der Rechtseinheitlichkeit und der Fortentwicklung des Rechts so sehr zurückzustellen, wie es in diesem Entwurf vorgesehen ist.
Nun zu der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie wurde seinerzeit im Zusammenhang mit der Verwaltungsgerichtsordnung sehr eingehend beraten. Ich bin der Auffassung, daß die Nichtzulassungsbeschwerde, wie sie in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelt ist, rechtspolitisch sehr gut zu vertreten ist. Ich habe es bedauert, daß es in der jetzt gültigen Zivilprozeßordnung die Nichtzulassungsbeschwerde hei Fragen grundsätzlicher Bedeutung nicht gibt. Ich begrüße es deshalb - das möchte ich hier sagen -, daß nunmehr die Nichtzulassungsbeschwerde auch in die Zivilprozeßordnung eingeführt werden soll.
Nun noch ein Wort zu der Streitwertrevision. Ich hatte das vorhin vergessen, möchte aber, daß es im Protokoll erscheint. Beim Justizministerium war ja eigens eine Kommission zur Reform der Zivilprozeßordnung gebildet worden. Diese Kommission war zuerst für die reine Grundsatzrevision. Nachdem sie aber die Probleme eingehend erörtert hatte, kam es nachher zu der umgekehrten Entscheidung, und zwar im Stimmenverhältnis 15 : 6 - einschließlich der Bundesrichter, die an der Abstimmung beteiligt waren -; man sprach sich also dafür aus, nicht nur eine reine Grundsatzrevision vorzusehen. Die Gründe, welche eine so qualifizierte Kommission zu dieser Entscheidung bewogen haben, sollten bei den Beratungen im Rechtsausschuß gründlich geprüft werden.
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- Einen Augenblick, Herr Kollege Hauser! Ich möchte noch etwas zu dem Argument sagen, die Streitwertrevision wäre unsozial. Bei den zahlreichen Verkehrsunfällen heute kann es außerordentlich leicht passieren, daß jemand aus einem schweren körperlichen Schaden Schadensersatzansprüche hat, die weit über 25 000 DM hinausgehen. Mit der Streitwertrevision wird also gegebenenfalls auch dem kleinen Mann ein weiterer Rechtsschutz gegeben.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser ({1})?
Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus, darf ich fragen, wie lange Sie mit der Beratung dieser Gesetzesvorlage rechnen. Glauben Sie, daß wir mit drei oder vier Wochen einschließlich der Verabschiedung hier im Plenum hinkommen werden? Oder scheint es Ihnen nicht auch geraten, in diesem Moment nichts anderes zu tun, als einfach die Entlastungsnovelle des Jahres 1969 nochmals zu verlängern?
Herr Kollege Hauser, meine Bedenken in dieser Hinsicht habe ich gleich am Anfang in aller Offenheit gesagt.
Ich wollte noch auf etwas weiteres hinweisen: Wenn man glaubt die Streitwertrevision vollkommen beseitigen zu können, muß vorher nach meiner Auffassung eine Rechtstatsachenforschung erfolgen. Ich weiß nicht, wieweit sie schon geschehen ist. Die rechtlichen Fragen haben ja heute entscheidende Bedeutung nicht nur auf dem Gebiet des Rechts, sondern in unserem gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. Deshalb müßte auf Grund der ergangenen Entscheidungen in den Fällen, in denen es nur eine reine Streitwertrevision ohne jegliche grundsätzliche Bedeutung war, untersucht werden, welche wirtschaftlichen und sonstigen gesellschaftlichen Auswirkungen sie außerdem hatten. Erst wenn darüber Material vorliegt, kann ich entscheiden, ob eine so wichtige, grundsätzliche Regelung wie die Streitwertrevision völlig wegfallen kann. Diese Rechtstatsachenforschung, die früher vernachlässigt wurde, wird heute mit Recht auch bei anderen Rechtsfragen immer wieder gefordert.
Nun zum Streitwert bei der Finanzgerichtsbarkeit. Bei der Beratung der Finanzgerichtsordnung wurde sehr eingehend darüber gesprochen, welcher Streitwert für die Revision angemessen sei. Damals war die Revisionssumme in der ZPO noch 6000 DM. Bei Steuern haben aber schon wesentlich geringere Summen große Bedeutung, weil die Steuern immer wieder erhoben werden. Deswegen ist man damals auf 1000 DM für die Revision zurückgegangen. Herr Kollege Hauser hat schon darauf hingewiesen, daß der Bundestag ursprünglich für den dreistufigen Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit war. Wenn man schon vereinheitlichen will, sollte man sich genau überlegen - der Auffassung bin ich nach wie vor -, ob man den Bundesfinanzhof nicht gerade durch Schaffung eines dreistufigen Aufbaues besser entlastet, als wenn man jetzt nur noch eine Tatsacheninstanz zuläßt und außerdem nur noch die eingeschränkte Revision vorsieht. Damit würden weitgehende Rechte, die dem Bürger jetzt zustehen, eingeschränkt, und zwar in für ihn wichtigen und bedeutungsvollen Fragen. Das muß sorgfältig überlegt werden. Damals hat sich der Bundestag dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses, einen zweistufigen Aufbau einzuführen, gefügt. Aber es hat sich gezeigt, daß der dreistufige Aufbau besser in unser allgemeines System paßt. Er würde nach meiner Auffassung effektiv eine starke Entlastung des Bundesfinanzhofs bringen. Einen zweistufigen Aufbau gibt es auch noch in der Verwaltungsgerichtsordnung, beim Lastenausgleichsgesetz, beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, beim Wehrpflichtgesetz und beim Ersatzdienstgesetz. Bei der Beratung der Verwaltungsgerichtsordnung wurde über dieses Problem gesprochen. Man war der Meinung, Lastenausgleichsgesetz und Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz behandelten Rechtsmaterien, die auslaufen. Aus der übrigens ausgezeichneten und sehr eingehenden Begründung dieses Gesetzentwurfes, in der das Pro und das Kontra sehr ausführlich und klar dargelegt werden - auch insofern darf ich dem Justizministerium, wenn ich auch nicht in allem seiner Auffassung bin, für diese Arbeit meinen Dank aussprechen -, geht hervor, daß der Verwaltungsgerichtshof heute noch durch die Verfahren erheblich belastet wird, in denen nur zwei Instanzen vorhanden sind. Auch in diesen Fällen sollte geprüft werden, ob durch einen dreistufigen Aufbau eine Entlastung wirksam erfolgen könnte.
Noch etwas zur Divergenzrevision. Seit Bestehen des Bundesgerichtshofs sind mehr als 26 500 Entscheidungen ergangen. Wir sind dabei, diese Entscheidungen über ein Computer-System zu erfassen. Vor welche Aufgabe wird aber hier der Anwalt gestellt, wenn er für den Fall, daß er Revision einlegen will, überprüfen soll, ob eine Divergenz zu diesen über 26 500 Entscheidungen vorliegt, auch wenn nicht alle Grundsatzentscheidungen sind?
Noch etwas anderes! Wenn ich das richtig verstanden habe, soll die Divergenzrevision nur mögFrau Dr. Diemer-Nicolaus
lieh sein, wenn es sich um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs handelt, dagegen nicht, wenn von verschiedenen Oberlandesgerichten zwei nicht übereinstimmende Entscheidungen vorliegen. Muß aber nicht gerade dann - ich denke an die Funktion des Bundesgerichtshofs, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen -, wenn divergierende Entscheidungen der Oberlandesgerichte vorhanden sind, die Divergenzrevision erst recht möglich sein - so ist es ja auch in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen -, um diese Einheitlichkeit des Rechts herbeizuführen? Der einzelne Rechtsuchende hätte wahrscheinlich kein Verständnis dafür, wenn in einer für ihn wichtigen Frage, wenn keine Streitwertrevision möglich ist und wenn es für ihn vielleicht um Millionenbeträge geht oder wenn es bei Unfallverletzten um sehr hohe Schadensersatzforderungen geht, zwei vollkommen divergierende Entscheidungen von Oberlandesgerichten zu gleichgelagerten Fällen vorliegen. Hier tritt also eine Fülle von Fragen auf.
Dazu gehört auch die Einschränkung der Möglichkeit für Verfahrensrügen. Ich erinnere mich an Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt im Rechtsausschuß, und ich erinnere mich vor allen Dingen auch an Ausführungen von Herrn Professor Eberhard Schmidt in bezug auf Strafverfahren. Das gilt aber genauso für alle anderen Verfahrensvorschriften für die Gerichtsbarkeit. Die korrekte Einhaltung der Verfahrensvorschriften durch die Gerichte hat eine große Bedeutung. Auch wenn es nicht zu vielen Revisionsrügen kommt, ist es für die Beachtung der Verfahrensvorschriften von wesentlicher Bedeutung, daß solche Rügen gegebenenfalls erfolgen können.
Zum Schluß möchte ich auch noch einige Bedenken in bezug auf Änderungen der Finanzgerichtsordnung vortragen. Ich verweise insofern auf die auf Seite 28 der Drucksache VI/3252 gegebene Begründung. Dort ist aufgeführt, daß die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs für Klagen wegen verbindlicher Zolltarifauskünfte entfallen soll. Hier ist zu prüfen, was statt dessen sein soll. Die wirtschaftliche Bedeutung einer bundeseinheitlichen Auslegung des Zolltarifs war der Grund dafür, daß dies in dieser Form höchstinstanzlich geregelt wurde.
Es ergeben sich aber besonders bezüglich folgender weiterer Fragen Bedenken: Beschlüsse der Finanzgerichte über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung sollen künftig nur anfechtbar sein, wenn das Finanzgericht die Beschwerde aus den in § 115 Abs. 2 aufgeführten Gründen zuläßt. Beschlüsse über Nichtzulassungsbeschwerden bedürfen keiner Begründung. Ich will das in Anbetracht der Zeit nicht weiter ausführen. Es soll nicht mehr bindend vorgeschrieben werden, daß der Beschwerdeführer zuvor auf die Bedenken des Gerichts gegen die Zulässigkeit oder auf die Begründetheit seiner Beschwerde hinzuweisen und daß ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Ich halte es einfach für unverzichtbar, den Beschwerdeführer zuvor auf die Bedenken des Gerichts gegen die Begründetheit seiner Beschwerde hinzuweisen. Es kommt noch hinzu, daß Beschlüsse der Finanzgerichte über die Festsetzung des Streitwerts sowie über Erinnerungen gegen den Kostenansatz künftig unanfechtbar sein sollen. Es fragt sich auch hier, ob das eigentlich rechtspolitisch zu vertreten ist.
Herr Staatssekretär, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich in Ihren Wein - ich meine Ihre Hoffnung auf eine Verbesserung des Revisionsrechts -doch einige Wermutstropfen habe gießen müssen. Aber es handelt sich ja nicht um parteipolitische Fragen, sondern um unseren gemeinsamen Wunsch, das Revisionsverfahren zu verbessern, und die Arbeitsfähigkeit der Bundesgerichte zu bewahren, allerdings auch darum, dem rechtsuchenden Bürger die Gewißheit zu geben - das ist jedenfalls unsere, der FDP, Auffassung -, daß er in seinem Wunsch nach Gerechtigkeit in seinem Einzelfall nicht gegenüber der abstrakten Rechtsvereinheitlichung und Fortentwicklung des Richterrechtes zurückstehen muß.
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Präsident von Hassel: Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der Entwurf an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Innenausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Finanzausschuß - mitberatend -überwiesen werden. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch ({1})
-Drucksache VI/3250 -
Das Wort wird nicht verlangt. Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend - sowie an den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - mitberatend - zu überweisen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Veranlagung von Brennereien zum Brennrecht im Betriebsjahr 1972/73
- Drucksache VI/3298 -
Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf an den Finanzausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - zu überweisen. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 3./4. Mai 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Erleichterungen der fiskalischen Behandlung des grenzüber-
Präsident von Hassel
schreitenden deutsch-italienischen Straßengüterverkehrs
- Drucksache VI/3305 -
Es liegen keine Wortmeldungen vor. Nach dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - mitberatend - überwiesen werden. Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 11 wird am Freitagvormittag beschlossen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsförderungsgesetzes
- Drucksache VI/2689 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache VI/3270 -
Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache VI/3261 Berichterstatter: Abgeordneter Kohlberger ({4})
Ich weise auf folgendes hin. Ich habe eingangs dem Hohen Hause bekanntgegeben, daß wir den Tagesordnungspunkt 2 - Bildungsbericht - erst ab 12.30 Uhr - nicht früher - behandeln können. Ich hoffe bei vier Wortmeldungen, die ich zu Punkt 12 habe, daß sich die Kollegen darauf einrichten und wir in den kommenden 22 Minuten in etwa fertig werden. Ich bin bereit, bis zu 15 Minuten zu überziehen. Aber mit Rücksicht auf die anderen Dispositionen müßten wir die Beratung abbrechen und am Freitag fortsetzen, wenn wir bis dahin nicht fertig werden.
ich danke den Berichterstattern. Das Wort zur Ergänzung seines Berichts hat der Berichterstatter, der Abgeordnete Kohlberger, erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Berichterstatter dem Schriftlichen Bericht auf Drucksache VI/3261 einige wenige Ergänzungen anfügen. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat sich bei der Beratung des vorliegenden. Gesetzentwurfs zur Reform der Winterbauförderung von dem Ziel leiten lassen, mit einem neu gestalteten Förderungssystem zu einer verstärkten Winterbautätigkeit zu gelangen. Er ist der Überzeugung, daß in der traditionellen Einstellung zum Winterbau sowohl des Bauunternehmers als auch des Bauauftraggebers und des Arbeitnehmers eine entscheidende Wendung eintreten muß. Bei seinen Beratungen hat der Ausschuß berücksichtigt, daß die Belastung der Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung durch die Winterbauförderung, die auch nach dem Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes weiter gestiegen ist, auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden muß. Er hält es nicht für tragbar, daß die Bundesanstalt für Arbeit einem einzigen Wirtschaftszweig, der zu ihrem Beitragsaufkommen mit 9 v. H. beiträgt, bis zu 60 v. H. ihrer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gewährt.
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der durch eine sozialpolitisch wie volkswirtschaftlich moderne Gestaltung der künftigen Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft und durch erhebliche Leistungsverbesserungen den entscheidenden Anstoß zu einer Veränderung der Einstellung zum Bauen im Winter ermöglicht. Dem Ausschuß ist es gelungen, den Regierungsentwurf auf Grund der inzwischen von den Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft getroffenen Vereinbarungen fortzuentwickeln. Die Tarifvertragsparteien haben ihre Vorstellungen dem Ausschuß bei der Anhörung dargelegt, sich auf eine gemeinsame Konzeption geeinigt und diese dem Ausschuß schriftlich vorgetragen.
Der Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung bietet allen unmittelbar am Baugeschehen Beteiligten, die sich dem Winterbau zuwenden, eine Reihe erheblicher finanzieller Vorteile. Die wichtigste Neuerung des Gesetzes ist zweifellos die Einführung eines Wintergeldes für Bauarbeiter. Mit dem Wintergeld wird gleichzeitig die Einkommenslage des Bauarbeiters entscheidend verbessert.
Der Bauarbeiter steht zwar hinsichtlich des Stundenlohns im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen in der Spitzengruppe, hinsichtlich seines Jahreslohnaufkommens liegt er dagegen weit zurück. Die neue Regelung wird so zu einem bedeutenden Abschnitt in der Entwicklung zu einem gesicherten Jahreslohn des Bauarbeiters. Der Beruf wird attraktiver werden. Die derzeit hohe Abwanderungsquote von etwa 30 000 Bauarbeitern jährlich muß sich vermindern. Die Zahl der Auszubildenden, die von über 96 000 im Jahr 1956 auf 25 000 im Jahr 1970 zurückgegangen ist, muß zunehmen. So ordnet sich das Wintergeld voll in das Programm des Arbeitsförderungsgesetzes von 1969 ein, das darauf abzielt, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen, die Beschäftigungsstruktur zu verbessern. und das Wachstum der Wirtschaft zu fördern.
Unvermeidbare Arbeitsausfälle sollen auch künftig durch Schlechtwettergeld ausgeglichen werden. Erfahrungsgemäß können die Einflüsse des Winterwetters so stark sein, daß die Fortführung der Bauarbeiten technisch unmöglich oder wirtschaftlich unvertretbar oder für den Bauarbeiter unzumutbar ist.
Die verstärkte Winterbauförderung bringt auch dem Auftraggeber Vorteile, da die Mehrkosten des Winterbaus dem Unternehmer weitgehend erstattet werden und die ihn belastende Umlage zur Mitfinanzierung der Bundesanstaltsleistungen über das ganze Jahr verteilt wird. Damit können den Auftraggebern Bauleistungen in Zukunft im Winter zu annähernd gleichen Preisen wie im Sommer angeboten werden.
Schließlich verschafft eine Belebung des Winterbaues der gesamten Volkswirtschaft ein Mehr an Wertschöpfungen, Steuern und Beiträgen für die Träger der sozialen Sicherheit sowie Ersparnisse an Ausgaben für Arbeitslosengeld und Schlechtwettergeld.
Bringt der Gesetzentwurf allseitig Vorteile, so darf erwartet werden, daß er den guten Willen aller am Baugeschehen Beteiligten verstärkt, damit eines Tages die Winterpause in der Bauwirtschaft der Vergangenheit angehören wird. Der Ausschuß erwartet darüber hinaus, daß insbesondere die öffentliche Hand als Auftraggeber mit gutem Beispiel vorangehen wird.
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Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache zur zweiten Lesung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der SPD-Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen unternehmen mit der zur Verabschiedung anstehenden Winterbaunovelle zum erstenmal den ernsthaften Versuch, auf einen der größten und wichtigsten Wirtschaftszweige der Bundesrepublik, nämlich die Bauwirtschaft, mit dem Ziel einzuwirken, den Produktionsablauf zu verstetigen, d. h. den Saisoncharakter der Bauwirtschaft zu wandeln, den Ausnutzungsgrad der Produktionskapazitäten zu erhöhen und die Attraktivität der Bauarbeit für die Arbeitnehmer zu vergrößern.
Diese Maßnahmen wurden aus zwei Gründen erforderlich. Erstens hat die deutsche Bauwirtschaft trotz beachtlicher Leistungen den Anschluß an das industrielle Zeitalter noch nicht gefunden, d. h. sie war bisher nicht in der Lage, noch vorhandene Produktivitätsreserven auszuschöpfen und den Konsumenten daran zu beteiligen. Die hohen Preissteigerungen auf dem Bausektor beruhen ja nicht zuletzt auf diesem Modernitätsrückstand und darauf, daß die langen Monate der winterlichen Pause fixe Kosten verursachen, die irgendwie während der Sommermonate, während er Bauzeit, wieder hereingeholt werden müssen. Obwohl der Winterbau technisch längst kein Problem mehr ist, findet er in der Bundesrepublik im Gegensatz zu vielen anderen Ländern praktisch nicht statt. Die Versuche des Gesetzgebers aus dem Jahre 1969 müssen als endgültig gescheitert angesehen werden. Zweifellos haben nicht nur die unzulänglichen gesetzlichen Regelungen, sondern auch die öffentlichen Hände als größte Auftraggeber des Baugewerbes durch ihre unstetige Vergabepolitik zu diesem Verhalten der Bauwirtschaft und zum Mißlingen der bisherigen Politik nicht unwesentlich beigetragen.
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Zweitens. Die sozialpolitisch motivierte Regelung der Schlechtwettergeldzahlungen seit 1959 hat zwar zur Einkommenssicherung während der Ausfalltage, zur Verringerung der Arbeitslosenzahlen und zur Erhaltung der Stammbelegschaften geführt; diese unbestreitbaren Vorteile wurden jedoch mit einem immer deutlicher werdenden Mißverhältnis zwischen den Leistungen der Allgemeinheit zur Finanzierung dieser Ausgaben einerseits und der Eigenbeteiligung der Bauwirtschaft an diesen Ausgaben andererseits erkauft. Die Bauwirtschaft gehört wie die ebenfalls saisonabhängige Landwirtschaft zu den am stärksten von der Allgemeinheit subventionierten Wirtschaftszweigen, wie die folgenden Zahlen zeigen. In den 14 Jahren von 1957 bis 1971 hat die Bundesanstalt fast 17 Milliarden DM für Arbeitslosen- und Schlechtwettergeld gezahlt, davon fast 58 % oder annähernd 10 Milliarden DM an Arbeitnehmer des Baugewerbes. An den Beitragseinnahmen hat sich die Bauwirtschaft in diesem Zeitraum aber nur mit etwa 2,5 Milliarden DM oder 9 % der Gesamteinnahmen beteiligt. Mit anderen Worten: dieser Wirtschaftszweig hat viermal soviel aus der Versicherung herausgeholt, wie er in sie eingezahlt hat. Es ist klar, daß damit das Solidaritätsprinzip in der Arbeitslosenversicherung überstrapaziert worden ist und die Belastungen der Bundesanstalt das tragbare Maß bei weitem überschritten haben.
Diese Lageschilderung und die Kritik an den Verhältnissen sollten sowohl auf die Notwendigkeit einer Reform als auch auf die Schwierigkeiten dieser Aufgabe hinweisen. Wir sind deshalb bei der Maßnahmenprogrammierung bei diesem Gesetzentwurf davon ausgegangen, daß soweit wie möglich auf die Ursachen der unbefriedigenden Verhältnisse eingegangen und ein Gesamtkonzept entwickelt werden müsse. Was gegenwärtig ohne Rückgriff auf dirigistische Methoden, d. h. unter Zuhilfenahme indirekt wirkender finanzieller Maßnahmen geschehen konnte, um wenigstens das Winterbauproblem anzugehen, ist mit diesem Gesetzentwurf getan worden.
Die entscheidende Hebelwirkung zur Beeinflussung des Verhaltens der Bauindustrie soll durch die Einführung einer neuer Sozialleistung, nämlich durch das Wintergeld, erreicht werden. Es wird 2 DM pro Arbeitsstunde betragen und in der Zeit vom 15. Dezember bis zum 15. März gezahlt. Da der Unterschied zwischen dem Arbeitseinkommen einschließlich Wintergeldzuschlag und der alternativen Einkommenssicherung in den Wintermonaten, d. h. dem Schlechtwettergeld, etwa 70 % beträgt, wird der Anreiz für die Bauarbeiter außerordentlich groß sein, auf Beschäftigung unter gesundheitspolitisch unbedenklichen Bedingungen zu drängen. Die Einkommensverbesserungen für die Bauarbeiter werden jährlich etwa 800 Millionen DM erreichen und von den Unternehmern im Umlageverfahren aufgebracht werden. Wir rechnen mit einer fühlbaren finanziellen Entlastung der Bundesanstalt, wozu auch die volle Übernahme der Krankenversicherungsbeiträge durch die Bauwirtschaft während des Bezugs von Schlechtwettergeld beitragen wird. Gleichzeitig werden Anreize für den Bauunternehmer, im Winter zu bauen, gegeben und auch hier das Umlageverfahren teilweise eingeführt. Durch das Zusammenwirken beider Maßnahmen, durch den Appell an das finanzielle
Eigeninteresse aller Beteiligten also, erhoffen wir starke Impulse für eine Ausdehnung der Winterbautätigkeit.
Wir erwarten außerdem, daß die öffentliche Hand das in ihren Kräften stehende tut, um den Vorwurf der Bauwirtschaft, der Staat sei der eigentlich Schuldige, gegenstandslos zu machen. Deshalb haben wir den Entschließungsantrag eingebracht, mit dem die Bundesregierung und die anderen Gebietskörperschaften aufgefordert werden, ihre Auftragsvergabe aus dem bisherigen unökonomischen, kurzfristigen Rhythmus zu lösen, längerfristig zu planen und darüber bis zum 30. Juni 1974 zu berichten.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß noch so großzügig ausgestaltete gesetzliche Regelungen traditionelle, gegen den Winterbau gerichtete Verhaltensweisen nicht über Nacht ändern können. Wir haben in den Ausschußberatungen und in den Gesprächen mit den Beteiligten jedoch klargemacht, daß wir als Gesetzgeber mit einem Umdenken und der Bereitschaft zur Mitarbeit rechnen und daß wir uns in absehbarer Zeit und nicht erst „langfristig" Ergebnisse erhoffen.
Wir müssen außerdem darauf hinweisen, daß die Bauwirtschaft die neuen Belastungen nicht als Vorwand dafür verwenden kann, die Preise erneut im Ausmaß dieser Belastungen anzuheben. Die Bauwirtschaft hat es nun in der Hand, den Winterbau so weit voranzutreiben, daß nicht nur die Mehrkosten auf Grund der neuen Regelungen aufgefangen, sondern noch zusätzliche Gewinne erwirtschaftet werden können.
Wir erwarten deshalb, daß die mit der Ausdehnung der Bautätigkeit einhergehenden ökonomischen Vorteile zwar in erster Linie den Bauarbeitern, aber in zweiter Linie allen von der Bauwirtschaft abhängigen Konsumenten in Form eines gebremsten Kostenanstiegs zugute kommen und daß damit auch die Erwartungen der Bundesregierung, daß es zu einer Vergrößerung des Angebotes auf dem Wohnungsmarkt und damit möglicherweise zur Begrenzung des Mietanstiegs kommt, realisiert werden.
Wir werden deshalb in den kommenden Jahren sehr darauf achten müssen, ob unsere Hoffnungen, die ich heute hier ausspreche, realistisch waren, daß nämlich unsere marktkonformen Maßnahmen tatsächlich die wünschenswerten Ziele zu erreichen vermögen. An dieser Stelle möchte ich an die Bauwirtschaft appellieren, mit dem Winterbau jetzt endlich ernst zu machen.
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Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Böhme.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt das hier vorgelegte Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsförderungsgesetzes. Der ursprüngliche - wesentlich schärfere - Referentenentwurf konnte in den Ausschußberatungen durch die erfolgreiche Mitwirkung der Sozialpartner der Bauwirtschaft so verändert werden, daß sich nunmehr Ansätze für eine erfolgreiche, produktive Winterbauförderung abzeichnen. Gerade dieser wirtschaftspolitische Aspekt war bei dem zunächst eingeführten Schlechtwettergeld nicht in dem Maße wie der sozialpolitische Aspekt der Vermeidung von Arbeitslosigkeit in der Winterzeit zum Tragen gekommen.
Auch diese Gesetzesänderung bringt noch keine wesentliche und direkte Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit. Es bleibt daher zu hoffen, daß durch das Wintergeld von 2 DM netto pro geleisteter Winterarbeitszeitstunde - diese Prämie geht ja allein zu Lasten der Arbeitgeber und wird, wie Herr Nölling bereits ausführte, jährlich 800 Millionen DM ausmachen - ein so starker Anreiz zur Arbeit während der Winterzeit geschaffen wird, daß auch bei üblichem Winterwetter gearbeitet wird. Dadurch wird die Schlechtwettergeldbelastung der Bundesanstalt für Arbeit bei gleichzeitigem Anstieg der Versicherungsbeitragsleistungen zurückgehen. Mit der Zeit wird es also zu der notwendigen Entlastung kommen, und auch dem überstrapazierten Solidaritätsprinzip wird langsam wieder Rechnung getragen.
Selbstverständlich wird auch weiterhin die Zahlung von Schlechtwettergeld vorgesehen, wenn das Winterwetter so ist, daß die Arbeit unzumutbar ist. Hier ist nunmehr - anders als im Referentenentwurf - auf Grund der tarifvertraglichen Regelung eine Beteiligungsquote der Arbeitgeber nicht mehr vorgesehen, da es erfolgversprechender erschien, diese Leistungen, wie geschehen, beim Arbeitsanreiz anzusetzen.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß dies alles letztlich nur durch das zwischen den Unternehmern vereinbarte überregionale Ausgleichssystem möglich wurde, bei dem die witterungsmäßig schwierigen Gebiete im Rahmen und durch die Leistungen der übrigen Bauwirtschaft entlastet werden. So ist es auch möglich, Preissteigerungen zu vermeiden.
Erfolg all dieser Maßnahmen wird uns aber nur beschieden sein, wenn auch Aufträge für die Winterzeit erteilt werden. Da die Hälfte aller Bauaufträge von den öffentlichen Händen aller Provenienzen kommt und diese bekanntermaßen bisher die zurückhaltendsten in der Erteilung von Winterbauaufträgen waren, so seien sie hier aufgerufen, einmal nach langer Zeit den Vorreiter zu spielen, um nicht - das möchte ich hier zum Abschluß pointiert ausdrücken - das Konzept der beruflichen Fortbildung und Weiterbildung durch eine finanzielle Schwächung, die bei den Mitteln der Bundesanstalt sonst entstehen könnte, in Gefahr zu bringen.
Dazu darf ich sagen, diese berufliche Fortbildung und Umschulung ist ein Beschluß dieses Hohen
Hauses, der von beiden Seiten gefaßt ist, und deshalb glaube ich, daß es richtig ist, die heutigen Maßnahmen so zu fassen, daß wir das gemeinsame Konzept weitertragen können. Deshalb stimmen wir diesem Gesetz zu.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geldner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der FDP-Fraktion gebe ich zum vorliegenden Gesetzentwurf folgende Erklärung ab.
Wir Freien Demokraten begrüßen die Förderung des Winterbaus, wie sie sich im vorliegenden Gesetzentwurf darstellt. Die bisherigen Maßnahmen waren zwar dazu geeignet, die frühere Massenarbeitslosigkeit im Bausektor zu beseitigen; aber es ist nicht gelungen, eine kontinuierliche Beschäftigung herbeizuführen. Die bisherige Praxis hat auch dazu geführt, daß sich zahlreiche Bauarbeiter in den Wintermonaten einer anderen Erwerbstätigkeit zugewandt haben und im Frühjahr nicht auf den Bau zurückgekehrt sind. So waren es im wesentlichen zwei Faktoren, die im Bausektor zu überdurchschnittlichen Kosten- und Preissteigerungsraten geführt haben: die beschränkte Bautätigkeit und Baumöglichkeit in den Wintermonaten und die gespannten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in den typischen Bauzeiten.
Durch das vorliegende Gesetz werden neue und zusätzliche Anreize für die Winterbautätigkeit gegeben. Erstens durch das Wintergeld von 2 DM je tarifliche Arbeitsstunde, zweitens durch Fahrtkostenzuschüsse und Trennungsbeihilfen, drittens durch Schlechtwettergeld für jede Ausfallstunde. Damit erhalten die Bauarbeitnehmer entsprechende Leistungen.
Auf der anderen Seite soll durch Zuschüsse oder Darlehen für den Winterbau und durch mehr Kostenzuschüsse bei der Winterarbeit auf seiten der Arbeitgeber das Interesse der Bauwirtschaft an der Winterarbeit gefördert werden. Ob mit diesem Gesetz die angestrebten Ziele erfüllt werden, hängt entscheidend von den öffentlichen Händen ab: dem Bund, den Ländern und den Gemeinden. Da sie allein über 50 °/o des Hochbauvolumens entscheiden, haben sie durch entsprechende Auftragsvergabe die Möglichkeit, die Bautätigkeit auf das ganze Jahr zu verteilen. In diesem Zusammenhang muß die Vergabepraxis eingehend überprüft werden. Sie ist nicht ganz unschuldig an dem bisherigen Rhythmus von überhitzter und beschränkter Bautätigkeit.
Da die geplante Maßnahme sowohl von seiten der Bauwirtschaft als auch der Gewerkschaften unterstützt und begrüßt wird, sollte es in Verbindung mit den maßgeblichen Auftraggebern keine Schwierigkeiten mehr geben, die diesem Erfolg im Wege stehen. Zumindest dieses Gesetz - was selten ist - hat in allen wesentlichen Punkten die Zustimmung der Beteiligten gefunden. Es bleibt daher zu hoffen, daß durch eine verstärkte Winterbautätigkeit nicht nur eine Auslastung des vorhandenen Potentials erreicht wird und unerwünschte Abwanderungen aus dem Baugewerbe vermieden werden, sondern daß auch eine günstige Beeinflussung der Kosten und Preise erfolgt.
Wir Freien Demokraten stimmen der Vorlage zu.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Herr Staatssekretär Rohde.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen jetzt vor der Verabschiedung des Gesetzentwurfs für eine neue Winterbauförderung. Die Bundesregierung betrachtet diese Neuregelung auch als eine wichtige Maßnahme im Rahmen der Bemühungen zur Begrenzung des Mietanstiegs.
Die heutige Debatte hat gezeigt, daß sich die Erwartungen, die 1969 mit der Einführung der Winterbauförderung in der bisherigen Form verbunden worden waren, nicht erfüllt haben. Die bisherigen Leistungen waren offenbar nicht so ausgerichtet, daß in größerem Umfange Winterbau erreicht werden konnte. Infolgedessen erreichten die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit für das an Ausfalltagen zu gewährende Schlechtwettergeld in den beiden Wintern 1969/70 und 1970/71 den bisher einmalig hohen Betrag von über 2 Milliarden DM.
Die Erfahrung hat überdies deutlich gemacht, daß es mit Änderungen einzelner Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes nicht getan ist, wenn man die Winterpause in der Bauwirtschaft mit ihren schwerwiegenden Nachteilen für die Volkswirtschaft, die Baubetriebe und die Bauarbeiter weitgehend beseitigen will. Dazu bedurfte es eines umfassenden neuen Konzepts für die Förderung. Dieses Konzept muß vor allem zwei Ziele verfolgen:
1. die soziale Stellung der Bauarbeiter in Richtung auf einen gesicherten Jahreslohn zu verbessern und
2. Leistungsvoraussetzungen für einen produktiven Winterbau zu schaffen, die die individuellen Mehrkosten des Winterbaus sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber wirkungsvoll weiter verringern.
Durch die vorliegende Winterbaunovelle wird die Produktive Winterbauförderung über einen weitgehenden Ausbau der Leistungen bei Winterarbeit zur zentralen Leistung des neuen Förderungssystems erhoben. Das Schlechtwettergeld als Lohnersatzleistung für Ausfalltage bleibt zwar erhalten. Die Bundesregierung hat jedoch die Tarifvertragsparteien ermuntert, den Weg zum gesicherten Jahreslohn zu beschreiten. Die Tarifvertragsparteien haben sich aufgeschlossen gezeigt und inzwischen einen ersten wirksamen Schritt in diese Richtung unternommen. Das will ich an dieser Stelle unterstreichen.
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
Ein Kernstück der jetzt vorgesehenen Neuordnung der Produktiven Winterbauförderung ist die Einführung eines Wintergeldes für Bauarbeiter. Diese neue Leistung soll ebenso wie das Schlechtwettergeld von den Arbeitgebern zusammen mit dem Lohn ausgezahlt und den Arbeitgebern vom Arbeitsamt erstattet werden. Damit sollen den Bauarbeitern die Mehraufwendungen pauschal ausgeglichen werden, die sie für die Arbeitsbereitschaft und die Arbeitsverrichtung im Winter haben.
Die Neuregelung soll auch zu einer Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit führen, da die Mittel für das Wintergeld und die Zuschüsse zu den laufenden Winterbaumehrkosten auf der Baustelle durch eine besondere Umlage der Bauunternehmer aufgebracht werden sollen. Ich möchte den Verbänden der Bauwirtschaft und der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden besonders dafür danken, daß sie im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen einer solchen Regelung zugestimmt haben. Es ist für diese Umlage ein Verfahren im Gesetz vorgesehen, das den Verwaltungsaufwand gering halten soll.
Die weiteren Änderungen brauche ich hier an dieser Stelle heute nicht noch näher zu erläutern. Man kann sicherlich mit Recht die Hoffnung haben, daß mit der vorgesehenen Neuregelung eine nachhaltige Förderung des Winterbaues erreicht wird. Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß erst der ganzjährig gesicherte Lohn den Bauarbeitern die wirtschaftliche und soziale Stellung verschaffen wird, die für Arbeitnehmer anderer Wirtschaftszweige bereits selbstverständlich ist. Auch hierfür sind die Weichen in dem neuen Gesetz gestellt worden. Ich habe die Hoffnung, daß die Tarifvertragsparteien von den hiermit angebotenen Möglichkeiten alsbald Gebrauch machen werden.
Auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf gilt - das darf ich zum Abschluß sagen -, daß ein Gesetz nur dann ein voller Erfolg werden kann, wenn die Beteiligten es mit Leben erfüllen. Bauherren, Architekten, Bauunternehmer und Bauarbeiter sind gleichermaßen aufgerufen, Vorurteile gegen das Bauen im Winter abzutragen. Das neue Förderungssystem der Winterbaunovelle mit seinen vielfältigen großzügigen finanziellen Hilfen wird ihnen dies wesentlich erleichtern. Insbesondere aber sollten Bund, Länder und Gemeinden als Bauherren mit hohem Anteil an dein Gesamtvolumen der Bauaufträge ihre Anstrengungen verstärken, eine kontinuierliche Bautätigkeit und damit eine ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich möchte meine Ausführungen mit einem aufrichtigen Dank an die Mitglieder des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung und der mitberatenden Ausschüsse für ihre gründlichen Beratungen eines schwierigen Gesetzes schließen.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache in
dritter Lesung.
Das Wort wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über das gesamte Gesetz. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir haben dann noch über die Ausschußanträge II und Ill unter Buchstabe B - Sie finden sie auf Seite 8 in Drucksache VI/3261 - zu befinden. Wer diesen beiden Anträgen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig, daß wir den Versuch unternehmen sollten, noch einen Punkt zu erledigen, weil wir den Rest der Tagesordnung nicht ganz auf Freitag verschieben wollen. Deshalb rufe ich jetzt noch Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Vorlage des Entwurfs eines Altenheimgesetzes
- Drucksache VI/3266 Der Beginn der Beratung des Punktes 2 wird sich dadurch um etwa 25 Minuten auf zirka 13 Uhr verschieben. Ich habe hierzu vier Wortmeldungen vorliegen. Alle vier Kollegen haben mich wissen lassen, daß sie sich äußerst knapp fassen werden. Das war für mich der Anlaß, den Punkt noch zu behandeln.
Das Wort hat zunächst der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Antrages der Koalitionsparteien auf Vorlage eines Altenheimgesetzes wenige Bemerkungen:
1. Vor fünf Jahren hat der Gesetzgeber durch Änderung der Gewerbeordnung u. a. die Länder ermächtigt, Mindestanforderungen für gewerbliche Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime festzulegen. Die seitdem gewonnenen Erfahrungen haben gezeigt, daß diese Rechtsvorschriften nicht ausreichen, um alte Menschen in Heimen in der erforderlichen Weise zu schützen.
2. Viele Heime leisten Hervorragendes in der Betreuung älterer Menschen.
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Hierfür möchte ich den Trägern und den Mitarbeitern dieser Altenheime an dieser Stelle besonders danken.
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Aber dieser Dank entbindet den Gesetzgeber nicht
von der Pflicht, alles zu tun, was im Interesse der
älteren Mitbürger, die in Heimen leben, geboten ist.
Es kann z. B. nicht hingenommen werden, daß fachlich völlig ungeeignete Personen ein AltenDr. Schellenberg
heim eröffnen. Wer - um das an einem Beispiel zu verdeutlichen - eine Gaststätte betreiben will, der benötigt dazu nicht nur eine staatliche Erlaubnis, sondern der muß auch seine persönliche Zuverlässigkeit unter Beweis stellen. Aber ein Altenheim kann nach geltendem Recht auch ein gewissenloser Geschäftemacher eröffnen. Dieser Zustand muß schleunigst beseitigt werden. Deshalb soll nach Auffassung der Koalitionsparteien durch ein Altenheimgesetz eine Erlaubnispflicht für den Betrieb von Altenheimen und ähnlichen Einrichtungen eingeführt werden.
3. Altere Menschen, die in Heimen wohnen, können sich bei etwa auftretenden Mißständen oft nicht selber helfen. Durch das von uns beantragte Altenheimgesetz soll den Behörden die Möglichkeit gegeben werden, den Bewohnern von Altenheimen Schutz zu gewähren und ihr menschenwürdiges Dasein sicherzustellen.
4. Das Schutzbedürfnis der Bewohner von Altenheimen besteht unabhängig von der Rechtsform der Träger einer solchen Einrichtung. Deshalb soll sich nach unserer Auffassung die Heimaufsicht auf alle Altenheime und ähnliche Einrichtungen erstrecken. Bei der Heimaufsicht wird jedoch - das möchte ich nachdrücklich betonen - den Besonderheiten gemeinnütziger und karitativer Einrichtungen Rechnung zu tragen sein.
5. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in enger Verbindung mit Vertretern der Länderregierungen den Entwurf eines Altenheimgesetzes erarbeitet. Wir begrüßen es, daß dieser Referentenentwurf nunmehr - mit geringfügigen Änderungen - vom Land Berlin im Bundesrat eingebracht wurde und dort in den Ausschüssen beraten wird. Die Regierungsparteien erwarten - mein Kollege Spitzmüller wird nachher im Rahmen einer Erklärung für seine Fraktion noch besonders Stellung nehmen -, daß die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat alsbald dem Haus den Entwurf eines Altenheimgesetzes vorlegt, das dem Wohlergehen der Bewohner dieser Einrichtungen dient; das sind wir unseren älteren Mitbürgern schuldig.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schroeder ({3}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Frage des Schutzes alter Menschen vor möglicher Übervorteilung in Alten- und Pflegeheimen hat sich der Bundestag wiederholt befaßt. Schon 1966 hat meine Fraktion hierzu eine Kleine Anfrage eingebracht. Aus der Antwort der damaligen Bundesregierung geht hervor, daß man zunächst der Ansicht war, mit einer Änderung der Gewerbeordnung auskommen zu können. Diese Änderung ist dann, wie eben schon gesagt wurde, 1967 erfolgt.
Ich weise noch auf den auf Grund eines einstimmigen Beschlusses des Bundestages erstatteten Bericht der Bundesregierung vom April 1969 über die gemachten Erfahrungen hin. Dieser Bericht widerlegte sehr deutlich die Besorgnis, Übervorteilung und Ausnutzung alter Menschen in privat betriebenen Altersheimen sei ein weit verbreiteter Mißstand. Vielmehr handelte es sich um Einzelfälle, die allerdings nicht hart genug verurteilt werden können, darüber hinaus um verschiedene abstellbare Mängel.
Als häufigste Beanstandung wurde seinerzeit die Überbelegung solcher Heime festgestellt, also ein aus der Not der Situation entstandener Mißstand.
Der Bericht des Herrn Bundesministers für Wirtschaft kam wiederum zu dem Ergebnis, daß weitere gesetzgeberische Maßnahmen nicht notwendig seien.
Dennoch halten wir die Frage für berechtigt, ob nicht ein umfassenderes Gesetz, das besser auf die besondere Situation unserer Altenheime zugeschnitten ist, einheitlich für das ganze Bundesgebiet, dem Zweck dienlicher sei, alte Menschen vor Ausnutzung und Übervorteilung zu schützen.
Es liegt auf der Hand, daß der große Bedarf an Heimplätzen aller Art auch die Gefahr wachsen läßt, daß sich in diese Bedarfslücke Kräfte drängen, denen es nicht um die Aufgabe der Betreuung, sondern um Profit geht. Es ist im übrigen richtig, daß Mißstände nicht an den Träger gebunden sind, sondern bei allen Trägern vorkommen können. Die Gefahr für die alten Menschen wird insofern erhöht, als für sie in den meisten Fällen eine einmal vollzogene Umsiedlung in ein Altenheim kaum wieder rückgängig zu machen ist. Die Wohnung wird aufgegeben, der Haushalt aufgelöst. Es gibt nur sehr schwer ein Zurück und nur sehr schwer einen Platz in einem anderen Heim.
Diese Situation verstärkt zweifellos die Schutzbedürftigkeit. Ein wirksamer Schutz durch gesetzliche Maßnahmen vor Mißbrauch wird auch gerade von verantwortungsbewußten Heimleitern aller Art - auch von privaten Altersheimen und auch von Verbänden privat betriebener Altenheime - gewünscht. Dies haben die Länder in dem eben bereits zitierten Bericht festgestellt, und es geht auch aus wiederholten Schriftwechseln hervor. Sie wünschen auch ihrerseits einen Schutz, damit nicht die gesamte Arbeit der Altenbetreuung in Mißkredit kommt.
Ich bedauere sehr - ich möchte das an dieser Stelle einmal sagen -, daß in der letzten Zeit sehr verzerrte Darstellungen von den Zuständen in Altenheimen durch die Öffentlichkeit gegangen sind. Man hat dies vielleicht aus der gutgemeinten Absicht getan, alte Menschen zu schützen, aber man hat zuviel des Negativen und fast nichts von dem vielen Positiven gebracht. Es ist wie in manchen anderen Dingen auch: die wenigen unerfreulichen Fälle machen Schlagzeilen, die vielen guten und positiven Bemühungen wirken in der Stille und werden wenig gesehen. Wo es klappt, nimmt man wenig Notiz davon. Ich freue mich, daß Herr Professor Schellenberg hier bereits einen Dank an die vielen Kräfte in Altersheimen ausgesprochen hat, die oft bis an die Grenze ihrer Kraft für die alten Men10462
Frau Schroeder ({0})
schen tätig sind. Auch unsere Fraktion dankt diesen Menschen.
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Ein solch allzu negatives Bild ist insofern bedauerlich, weil es die Angst und Unsicherheit alter Menschen vor dem für sie oft notwendigen Schritt, in ein Altersheim zu gehen, verstärkt. Diese Angst „Nur nicht in ein Altersheim", durch solche Dinge hervorgerufen, kann ebenfalls zu außerordentlichen Notsituationen bei alten Menschen führen. Wenn wir durch gesetzliche Maßnahmen erreichen können, daß bei unserer alten Generation Vertrauen und Sicherheit gestärkt werden - „Du kannst dich ohne Befürchtung einem Altenheim anvertrauen" -, so wäre damit viel erreicht.
Wir würden an ein solches Gesetz folgende Grundbedingungen stellen. Es muß sich auf den Schutz vor Übervorteilung und Ausnutzung beschränken. Es darf auf keinen Fall zu einer staatlichen Gängelung des Betriebes und der freien Gestaltung in den Heimen führen. Es darf vor allem nicht die private Initiative sowie die Initiative freier Verbände in unserer Gesellschaft zur Altenarbeit irgendwie einschränken, auch nicht durch zuviel bürokratische Vorschriften. Es darf auch nicht den Schatten einer Benachteiligung von Heimen freier Träger gegenüber öffentlichen Heimen bringen.
Der von dem Land Berlin im Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf entspricht nicht in allen Teilen unserer Vorstellung. Aber das sind Themen, die wir den späteren Beratungen überlassen können.
Darüber hinaus sehen wir einen sehr guten Weg, Mißbräuche abzustellen, in allen Bemühungen, für ein genügendes Angebot vielfältigster Einrichtungen zu sorgen und dies so zu fördern, daß sich unsere alten Menschen nach ihren verschiedenartigen Wünschen einen Platz in einem Heim wählen können. Wir sollten gleichzeitig mit dem Schutz vor Mißbräuchen auch überlegen, wie man zum Nutzen eines solchen vielfältigen Angebots für unsere alten Mitbürger auch einmal einwandfreie private Heime fördern kann und welche Richtlinien dafür aufgestellt werden müßten.
Meine Fraktion ist grundsätzlich bereit, positiv an der Lösung des durch diesen Antrag angesprochenen Fragenkomplexes mitzuarbeiten. Wir halten eine Zusammenarbeit mit allen Trägern der Altenarbeit bei den Beratungen für selbstverständlich.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Auf die Vorgänge und die Debatten in den Jahren 1966 und 1967 im Sozialpolitischen Ausschuß brauche ich nicht mehr einzugehen. Ich darf namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei hier die Erklärung abgeben, daß der Trend zur Kleinfamilie mehr und mehr dazu führt, daß alte Menschen ihren Lebensabend oder zumindest einen Teil ihres Lebensabends in Altenheimen, Altenwohnheimen oder gar in Altenpflegeheimen verbringen müssen. Zahlreiche Beispiele, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, zeigen, daß nicht alle diese Heime den Anforderungen für eine ausreichende Versorgung und Betreuung entsprechen. Wir sollten aber bei aller berechtigter Kritik an einzelnen Fällen nicht diejenigen vielfältigen Häuser übersehen, die ihre Aufgabe in einer vorbildlichen Weise erfüllen und oft aufopfernde Arbeit leisten und an die Grenze dessen gehen, was man von Mithelfenden überhaupt erwarten kann.
Das Gesetz muß daher für alle Häuser, unabhängig von dem jeweiligen Träger, die gleiche Gültigkeit haben. Eine Beschränkung auf eine bestimmte Gruppe läge weder im Interesse der Heimbewohner, noch würde dadurch die Aufgabe des Gesetzes erfüllt. Die Nachfrage nach Altersheimplätzen ist heute und wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit wesentlich höher als das vorhandene Angebot. Ein entsprechendes Gesetz hat die Aufgabe, die Grundlage für menschenwürdige Lebensbedingungen gerade der alten Menschen in diesen Häusern zu sichern. Aber es darf auch keinen überflüssigen Ballast an Vorschriften und Auflagen enthalten, die der Errichtung neuer Heime entgegenwirken würden. Der Gesetzgeber sollte sich auch davor hüten, Auflagen zu erteilen, deren Einhaltung wegen Mangels an Personal in den Häusern wie wegen Mangels an Personal der zuständigen Institutionen gar nicht kontrolliert werden kann. Wir erleben es heute immer wieder, daß an den Gesetzgeber die Forderung nach Maßnahmen gerichtet wird, obwohl die Gesetze selbst völlig ausreichend sind. Das Problem liegt häufig nur darin, daß sie nicht vorschriftsmäßig angewendet werden, weil es an den erforderlichen Kontrollen, Ermahnungen und Hilfestellungen fehlt.
Die Bundesregierung sollte auch überprüfen, ob die unterschiedliche steuerliche Behandlung der verschiedenen Kategorien von Altenheimen in der Zukunft sinnvoll und gerechtfertigt ist. Private Häuser, die bereit sind, entsprechend der Gemeinnützigkeitsverordnung bestimmte Gruppen in bestimmtem Umfang oder zu bestimmten Bedingungen aufzunehmen, sollten die gleichen steuerlichen Begünstigungen erhalten, wie sie anderen Altenheimen gewährt werden. Solche Maßnahmen würden zweifellos einer erwünschten Angebotsstärkung dienen und über zusätzliche neue Plätze zu einer besseren Befriedigung der Nachfrage und der Auswahl beitragen.
Schon die jahrelange, oft jahrzehntelange Anwesenheit in diesen Häusern legt aber auch die Frage nahe, ob und in welcher Form Mitspracherechte für den einzelnen Heimbewohner oder eine beauftragte Vertretung einzuräumen sind, die eine Mitwirkung am täglichen Geschehen vorsehen.
Nicht nur die Änderung der Lebensverhältnisse, sondern auch der Altersaufbau unserer Bevölkerung stellt uns in ,der Zukunft vor immer neue Fragen. Wir haben heute eine gegenüber früher zweifellos bessere materielle Versorgung unserer alten Menschen. Aber mit den besseren materiellen
Lebensbedingungen allein ist es nicht getan, auch nicht mit einer Förderung zusätzlicher Plätze in Altenheimen für diejenigen, die sich nicht oder nicht ausreichend selbst versorgen können. Das Problem der Lebensbedingungen für unsere alten Menschen stellt sich allerdings in einer viel umfassenderen Form, als es unser Antrag beinhaltet. Bei unserem Antrag handelt es sich nur um einen Teilbereich und nur um einen Teil der jeweiligen Altersgruppen. Mit dem Altenheimgesetz soll der Versuch unternommen werden, eine gewisse Grundlage zu schaffen, ,die Mängel dort zu beheben, wo sie bisher in Erscheinung getreten sind oder in Zukunft in Erscheinung treten könnten. Hier Vorsorge zu betreiben, hier Hilfestellung zu geben, sind der Sinn und der Inhalt unseres Antrages.
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Präsident von Hassel: Zum Schluß der Beratung ,dieses Punktes erteile ich der Frau Ministerin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Anliegen des von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Antrags findet die volle Unterstützung der Bundesregierung. Wir bemühen uns seit langem um die Verstärkung des gesetzlichen Schutzes zugunsten der in Heimen lebenden älteren Mitbürger. Allerdings gingen die Meinungen darüber bisher - mindestens unter den Trägern -'eben doch sehr auseinander.
Die Regelungen des geltenden Rechts, bei denen es sich um Wirtschafts- und nicht um Sozialrecht handelt, haben sich als zur Erreichung des Ziels unzureichend erwiesen. Es muß gelingen, unzuverlässige und fachunkundige Personen von vornherein von der Eröffnung und dem Betrieb eines Altenheimes, Altenwohnheimes oder Pflegeheimes fernzuhalten. Mit den geltenden rechtlichen Bestimmungen ist das leider nicht möglich.
Wir alle wissen, daß der Bestand an Heimplätzen für alte Menschen trotz gewaltiger jährlicher Investitionen der öffentlichen und der freien Träger nicht ausreicht, um alle berechtigten Wünsche zu befriedigen. Wir wissen auch, daß gewissenlose Geschäftemacher versucht haben, aus dieser Situation persönliche Vorteile zu ziehen. Die der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Fälle sprechen ihre eigene Sprache.
Der hier vorgelegte Antrag trifft sich - wie bereits der Kollege Schellenberg sagte - mit den Vorarbeiten, die im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit für ein solches Gesetz geleistet worden sind. Ein beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gebildeter Ad-hocAusschuß, dem auch Vertreter der Bundesländer angehört haben, hat den Entwurf eines solchen Heimgesetzes erarbeitet, der nach einer weiteren Überarbeitung vom Lande Berlin in der letzten Sitzung des Bundesrats eingebracht worden ist. Es kommt in erster Linie darauf an, meine Damen und Herren, rasch zu besseren Regelungen zu kommen. Dafür war die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ein der Sache dienliches und, wie 'ich meine, gutes Beispiel eines kooperativen Föderalismus.
Außerdem lag es nahe, diesen Weg zu nehmen, nachdem das Land Hessen im Bundesrat einen Antrag auf Änderung der Gewerbeordnung eingebracht hatte mit dem Ziel, durch Einführung einer personen-und raumbezogenen Konzessionspflicht sicherzustellen, daß sowohl die persönliche wie die fachliche Qualifikation der verantwortlichen Personen als auch die Eignung der vorgesehenen Räume in einem Erlaubnisverfahren kontrolliert werden könnten. Der jetzt nach den getroffenen Vereinbarungen vom Land Berlin eingebrachte und, wie ich schon sagte, unter maßgeblicher Mitwirkung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit erarbeitete Gesetzentwurf geht wesentlich weiter als der Antrag des Landes Hessen. Er beschränkt sich nicht auf den gewerblichen Bereich, sondern erfaßt unabhängig von der Trägerschaft alle Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige.
Ich bin der Meinung - dies ist aber wiederum umstritten -, es kann keine Begründung dafür geben, bei der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen je nach der Trägerschaft unterschiedlich zu verfahren, wenn es um die Frage geht, welche Mindestvoraussetzungen in personeller und räumlicher Hinsicht zu fordern sind. Die öffentlichen und die freien gemeinnützigen Träger haben bei den in der Vergangenheit geführten Diskussionen nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie auch für ihre Einrichtungen solche Mindestanforderungen, wie sie in den Heimverordnungen für gewerblich betriebene Heime vorgeschrieben sind, gelten lassen wollen. Niemand denkt daran - das muß man betonen -, die Zuverlässigkeit der Kommunen und der Verbände der freien Wohlfahrtspflege bei der Führung und dem Betrieb ihrer Einrichtungen in Zweifel zu ziehen. Wir alle wissen, welche große Anerkennung sie verdienen. Ohne ihre vorbildliche Sozialarbeit und vor allem Zusammenarbeit wäre das bisher Erreichte nicht möglich gewesen. Ich betone deshalb auch heute wiederum die Notwendigkeit eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens aller öffentlichen und freien gemeinnützigen Träger zum Wohle derer, die auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind.
Der bereits erarbeitete Gesetzentwurf entspricht den Forderungen, die in etwa hier bei den Begründungen angegeben worden sind. Auf die Bestimmungen des Gesetzentwurfs im einzelnen einzugehen, müssen wir alle zurückstellen bis zur Zuleitung des Gesetzentwurfs durch den Bundesrat. Wichtig ist, daß das Grundanliegen des Antrags und des Gesetzentwurfs bald erfüllt wird, einen besseren, umfassenden Schutz für die älteren Menschen, die in Heimen leben, zu gewährleisten.
({0})
Präsident von Hassel: Die Rednerliste ist erschöpft.
Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache VI/3266 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Wer dieser Überwei10464
Präsident von Hassel
sung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen dann, wie angekündigt, zum Tagesordnungspunkt 2:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Zwischenbericht zum Bildungsgesamtplan
- Drucksache VI/2830, VI/2992 -Ich mache darauf aufmerksam, daß der Ältestenrat bei der Gestaltung des heutigen Tages davon ausgeht, daß wir damit innerhalb von etwa drei Stunden fertig werden und daß sich dann etwa gegen 16 Uhr die Fragestunde anschließen wird. Ich darf mir den Hinweis darauf erlauben, daß die Redezeiten entsprechend eingeteilt werden sollten.
In der Aussprache zu dieser Großen Anfrage hat zunächst der Abgeordnete Dr. Hermesdorf ({1}) das Wort. Für ihn hat die Fraktion der CDU/ CSU eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung stehen an der Spitze der Reformen, die es bei uns vorzunehmen gilt." So führte der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 vor dem Deutschen Bundestag zur Bildungspolitik aus, und er fuhr fort:
({0})
Im Bewußtsein der Verantwortung für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes in den 70er Jahren werden wir uns besonders intensiv der Ausbildung und Fortbildung sowie der Forschung und der Innovation annehmen. Die finanziellen Mittel für die Bildungspolitik müssen in den nächsten Jahren entsprechend gesteigert werden.
Bei diesen Sätzen konnte der Bundeskanzler der allgemeinen Zustimmung dieses Hohen Hauses und der breiten Öffentlichkeit sicher sein. Der Sprecher der Opposition attestierte ihm in der Debatte über die Regierungserklärung ausdrücklich, daß die CDU/CSU-Fraktion die Stellenzuweisung „Priorität für Bildungs- und Wissenschaftspolitik" begrüße und in dieser Zielsetzung mit der Regierung übereinstimme und ihr Zusammenarbeit anbiete.
Was ist nun nach zweieinhalb Jahren von diesem anspruchsvollen Programm, das zusammen mit dem im Juni 1970 veröffentlichten Bildungsbericht größte Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt hat, durch die Bundesregierung verwirklicht worden? Wie sieht die bildungspolitische Bilanz dieser Regierung aus?
Die so dringliche Reform des Bildungswesens ist nicht vorangekommen. Den Ankündigungen und Versprechungen sind keine Taten gefolgt. In Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung muß man feststellen, daß sich die Bildungspolitik in einer schweren Krise befindet. Wie allgemein das Unbehagen ist, beweist ein Artikel des Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Erich Frister, im „Gewerkschaftsspiegel" vom Februar 1972, in dem er sich an den Bundeskanzler wendet und der Hoffnung Ausdruck gibt, daß es ihm möglich sein werde - ich zitiere -,
das Schiff der Bildungspolitik durch seinen persönlichen Einsatz wieder flottzumachen.
Die Lagebeurteilung in diesem Artikel stimmt, der Adressat ist richtig gewählt, denn es sind ja nicht zuletzt die Führungsschwäche und die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bundeskanzlers, die die augenblickliche Misere der Bildungspolitik verursacht haben.
({1})
Der für die Reform der Bildungspolitik in den letzten Jahren verantwortliche Minister ist heute nicht mehr Gesprächspartner des Parlaments. Sein Rücktritt vor wenigen Wochen nach glückloser Amtsführung ist ein äußeres Zeichen der Krise. Professor Leussink ist das Opfer seines Realitätssinnes geworden, mit dem er den Ideologen im Lager der Koalitionsparteien verdächtig und mißliebig geworden ist. Frau Hamm-Brücher, als Staatssekretärin vornehmlich mit den Aufgaben der Bildungspolitik betraut, scheidet am 30. April aus dem Ministerium, ohne nennenswerte Ergebnisse ihrer Arbeit vorweisen zu können - nicht verwunderlich, da sie im letzten Jahre nur noch einen Teil ihrer Arbeitskraft ihrem Amt gewidmet hat.
Der Gründe für die Krise der Bildungs- und Wissenschaftspolitik dieser Regierung gibt es viele. Zunächst hat es die Bundesregierung unterlassen, die Reformvorhaben finanziell solide abzusichern und die notwendigen finanziellen Mittel für die Realisierung der Reformversprechen bereitzustellen. Es sei nur an das Schicksal der Planungsreserve erinnert. Der parteilose Minister Leussink kämpfte hierbei wohl im Kabinett und in der SPD-Fraktion auf verlorenem Posten.
Sodann ist sich die Regierungskoalition in wichtigen Fragen der Bildungs- und Hochschulpolitik nicht einig, nachdem sich der kleinere Koalitionspartner, die FDP, in einer aus verständlicher Existenzangst geborenen Profilneurose den Bereich der Bildungspolitik als das Feld gewählt hat, auf dem er sich von dem übermächtigen Partner absetzen will und ihn inzwischen links überholt hat.
({2})
Innerhalb der SPD selbst ist der Streit der Pragmatiker und Finanzpolitiker einerseits und der ideologisch festgelegten Eiferer unter den Bildungspolitikern und den Jusos andererseits in vollem Gange und verzögert z. B. seit Monaten die abschließende Beratung des Hochschulrahmengesetzes im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, nachdem die SPD-Vertreter im Rechtsausschuß und im Innenausschuß zu wesentlichen Punkten dieses Gesetzes, u. a. zur Einführung eines Ordnungsrechts und der Fachaufsicht anders gestimmt haben als die SPD-Mitglieder im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft.
Dr. Hermesdorf ({3})
Schließlich hat sich die ideologische Fixierung der Koalition insgesamt als ein verhängnisvoller Hemmschuh für eine wirklichkeitsnahe, realistische und effiziente Bildungspolitik erwiesen.
Wir sind von Sorge für die Zukunft erfüllt. Wertvolle Zeit ist verlorengegangen, und - was das ärgerlichste ist - die Bildungspolitik hat in den Augen der Öffentlichkeit an Stellenwert verloren. Viel von der noch vor zwei Jahren in unserem Volk vorhandenen Reformbereitschaft ist inzwischen zerstört worden. Man ist des Reformgeredes und hochfliegender Planungsprogramme überdrüssig und will Taten sehen.
Der neue Minister für Bildung und Wissenschaft, Herr von Dohnanyi, und der neue Parlamentarische Staatssekretär, Herr Raffert, treten ein schweres Erbe an. Von seiner früheren Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär her trägt der neue Minister ein gut Teil der Verantwortung für die bisherige Entwicklung. Sein Parteifreund Evers hat ihm Scheitern vorausgesagt.
({4})
Im Interesse der Bildungspolitik in unserem Lande wünschen wir ihm, daß es ihm gelingen möge, in seiner Fraktion und im Kabinett Unterstützung für eine illusionslose und den Notwendigkeiten unserer Gegenwart gerecht werdende und finanziell realisierbare Reformpolitik zu gewinnen.
({5})
Eine gute Voraussetzung für seine Arbeit scheint uns zu sein, daß er die bildungspolitische Lage realistisch einschätzt.
({6})
So verstehen wir nämlich das Interview, das am 17. März in der „Zeit" erschienen ist und das der Befrager mit der die Situation deutlich kennzeichnenden Bemerkung eröffnete: „In der öffentlichen Meinung gleicht die Bildungspolitik der sozialliberalen Koalition derzeit einem Trümmerhaufen."
({7}) - „Die Zeit"!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, die den Anlaß der heutigen Debatte bildet und die nach langer Zeit einmal wieder Gelegenheit zur Diskussion über bildungspolitische Fragen im Deutschen Bundestag gibt, hat den Zwischenbericht über den Bildungsgesamtplan und ein Bildungsbudget zum Gegenstand, den die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung den Regierungschefs des Bundes und der Länder am 5. November 1971 erstattet hat. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist enttäuschend und unbefriedigend. Inhaltlich mager und dürftig, gehen die Ausführungen zum Teil gar nicht auf die gestellten Fragen ein bzw. bleiben ungenau und mehrdeutig in ihrer Aussage. Wir werden uns gestatten, hier nachzustoßen, und die Regierung auffordern, die im Zusammenhang mit dem Zwischenbericht sich stellenden Fragen eingehend zu beantworten und das Zwielicht, in das die bildungspolitische Landschaft der Bundesrepublik durch sich widersprechende Erklärungen der Verantwortlichen und durch die personellen Veränderungen an der Spitze des Ministeriums geraten ist, aufzuhellen.
Parlament und Öffentlichkeit haben ein Anrecht darauf, endlich zu erfahren, was die Bundesregierung bildungspolitisch nun wirklich konkret will, ob sie von illusionären Reformvorstellungen für die Jahre 1980 und 1985 zu einer Reformpolitik des ökonomisch und finanziell Machbaren und für die Gegenwart Notwendigen zurückfinden wird.
({8})
Wir möchten wissen, ob es dieser Regierung noch ernst ist mit der Priortät für Bildung und wie sie sich die Finanzierung der Reformmaßnahmen jetzt und in den nächsten Jahren vorstellt, - angesichts des desolaten Zustands der Bundesfinanzen die Kardinalfrage. Schließlich möchten wir gern erfahren, ob und in welchem Umfang sie den Ländern und Gemeinden bei der Durchführung der von ihr skizzierten bildungspolitischen Vorhaben zu helfen gedenkt.
Die Opposition hat schon seit langem davor gewarnt, Bildungsplanung und Bildungspolitik im luftleeren Raum zu betreiben. Mit dem Aufzeigen wünschenswerter Ziele allein ist eine Reformpolitik nicht zu machen. Sie hat es im Rahmen der selbstverständlich notwendigen und sorgfältig zu durchdenkenden langfristigen Planungsvorstellungen vornehmlich mit praktischer Realisierung zu tun. Sie hat das Machbare unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten anzusteuern. Die Eltern unserer Kinder interessiert weniger, was für 1985 geplant ist, als vielmehr, daß die sie drückenden Probleme der Gegenwart angegangen werden, etwa daß zusätzliche Kindergartenplätze geschaffen werden, daß die Zahl der Lehrer vergrößert wird usw., usw.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ebenso wie die CDU/CSU-Kultusminister die Verabschiedung des Zwischenberichtes durch die Bund-Länder-Kommission begrüßt. Die CDU/CSU-Fraktion sieht, wie auch die Ministerpräsidenten, den Zwischenbericht als eine geeignete Arbeitsgrundlage für die weiteren Arbeiten am Bildungsgesamtplan im Rahmen eines kooperativen Föderalismus an.
Dieser Bericht beweist, daß eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Ländern und dem Bund auf dem Gebiet der Bildungsplanung möglich ist. Er stellt einen Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Standpunkten der Parteien dar. Wir sind erfreut über das Maß an Übereinstimmung über Ziele und Gestaltung des künftigen Bildungswesens, das aus dem 5. Entwurf für den Bildungsgesamtplan spricht, und das, wie wir hoffen, die Einheitlichkeit des Bildungswesens in der Bundesrepublik sichern wird.
Andererseits sind wir uns natürlich bewußt, daß es nur ein Zwischenbericht, ein vorläufiger Bericht ist, daß die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind, daß das Bildungsbudget noch fehlt und daß noch viele Schwierigkeiten zu überwinden sind. Die Bundesregierung hat, wie sie in der Beantwortung unserer Großen Anfrage darlegt, durch einen formellen Ka10466
Dr. Hermesdorf ({9})
binettsbeschluß den strukturellen Zielvorstellungen des Zwischenberichtes zugestimmt und - ich zitiere - „sich damit die Zielvorstellungen des Zwischenberichts für ihr eigenes politisches Handeln zu eigen gemacht".
Wie ist es mit diesen Erklärungen vereinbar, daß sich die Bundesregierung und die Koalitionsparteien bei der Beratung des Hochschulrahmengesetzes in der Frage der Gesamthochschule nicht an die Vereinbarungen halten?
({10})
Das Verhalten von SPD und FDP in dieser Frage zeigt, wie wenig sich die Koalition anscheinend an den Kompromiß gebunden fühlt. Es stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung heute noch hinter der Unterschrift von Professor Leussink unter dem Zwischenbericht steht.
({11})
Die CDU/CSU besteht auf der Formulierung des Zwischenberichtes zur Struktur des Hochschulbereiches und erwartet, daß der einstimmig verabschiedete Kompromiß der Bund-Länder-Kommission erhalten bleibt und respektiert wird. Das bedeutet, daß bei der Neuordnung des Hochschulbereiches der integrierten Gesamthochschule keine Priorität, keine Monopolstellung zuerkannt werden darf, sondern daß die kooperative und die integrierte Gesamthochschule gleichrangig sind und beide eine mögliche Organisationsform des Hochschulbereiches darstellen.
({12})
Wir hoffen, daß die Erklärung der Bundesregierung, sie habe sich die Zielvorstellungen des Zwischenberichtes für ihr eigenes politisches Handeln zu eigen gemacht und sie sehe diesen Bericht als eine tragfähige Grundlage für die weitere Arbeit der Bund-Länder Kommission an, kein Lippenbekenntnis ist, sondern daß sie und die Fraktion der SPD auch entsprechend handeln.
({13})
Am Tage der einstimmigen Verabschiedung des Zwischenberichtes am 18. Oktober 1971 haben der Bund und die von der SPD regierten Länder eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in welcher der unredliche Versuch gemacht wird, den Zwischenbericht in polemischer Weise als einen Erfolg der sozialliberalen Koalition zu verbuchen. Der bayerische Kultusminister Professor Maier hat diesen plumpen Versuch propagandistischer Brunnenvergiftung sofort zurückgewiesen und richtiggestellt, daß diese Presseerklärung nicht den Tatsachen entspreche, daß der vorliegende Text ebenso viele konstruktive Gedanken der CDU/CSU wie der SPD enthalte und daß die weitere Arbeit gefährdet sei, wenn sie nicht in Form loyaler, gemeinsamer, pragmatischer Zusammenarbeit erfolge, wobei Parteipolitik nicht über eine sachlich ausgerichtete Politik gestellt werden dürfe. Dem neuen Minister für Bildung und Wissenschaft, Herrn von Dohnanyi, stände es gut an, wenn er sich heute von dieser Presseerklärung distanzieren würde.
({14})
Eine Bildungsreform in der Bundesrepublik hat nur dann eine Chance, wenn die Einheitlichkeit des Bildungswesens in allen Ländern erhalten bleibt. Die CDU/CSU hat stets nachdrücklich den Standpunkt vertreten, daß es ein Unglück wäre, wenn sich in unserem Lande zwei divergierende Bildungssysteme entwickelten. Unsere Frage, ob die Bundesregierung in der Weiterentwicklung eines einheitlichen Bildungswesens eine zentrale Aufgabe der Bund-Länder-Kommission sehe und ob sie mit uns der Auffassung sei, daß das bisher erreichte Maß an Einheitlichkeit im Bildungswesen auch durch die Verwirklichung unterschiedlicher Planungsvorhaben in einzelnen Ländern nicht beeinträchtigt werden dürfe, hat die Bundesregierung mit dem Bekenntnis zu einem einheitlichen Bildungswesen beantwortet. Wir haben diese Erklärung begrüßt. Sie datiert vom 28. Dezember 1971.
Um so erstaunter waren wir bei diesem Sachstand, als nach der Bekanntgabe des Rücktritts von Professor Leussink Mitte Januar führende SPD- und FDP- Politiker Erklärungen des Inhalts abgaben, daß die Bildungsreform notfalls gegen die von der CDU/CSU regierten Länder durchgesetzt werden müsse. Wir sind dem Bundeskanzler dankbar dafür, daß er die hierdurch entstandene verständliche Verwirrung schnell durch Leine entsprechende Erklärung beseitigt hat.
({15})
- Die Koalitionsparteien werden gut beraten sein, wenn sie auch in Zukunft allen Versuchen ideologisch eingeschworener Bildungspolitiker in ihren Reihen widerstehen, die sie überreden wollen, die Gemeinsamkeit der Bildungsplanung und die Einheitlichkeit des Bildungswesens preiszugeben.
({16})
Ich freue mich, Herr Professor Lohmar, daß Sie mit mir darin übereinstimmen.
Eine Zwischenfrage.
Bitte schön.
Herr Kollege, können Sie ein einziges Beispiel dafür zitieren, daß es innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion jemanden gibt, der der Meinung ist, die Bundesregierung könne auf dem Gebiet der Bildungspolitik ohne die Bundesländer einen Fortschritt erzielen?
Herr Kollege Hauff, Sie haben, glaube ich, meine Ausführungen mißverstanden. Hier geht es darum, daß der Versuch gemacht wird, innerhalb der SPD- Länder eine einheitliche Front zusammenzustellen und dann ein gesondertes Konzept durchzupauken.
Dr. Hermesdorf ({0})
So war im Januar die Erklärung verschiedener,
({1}) und zwar führender SPD-Bildungspolitiker.
Die fünf Experten der OECD-Kommission, die im Zuge des sogenannten Länder-Examens das deutsche Bildungswesen eingehend studiert haben, haben in ihrem Abschlußbericht ausdrücklich ein gemeinsames Ziel und einen gemeinsamen Rahmen als die Voraussetzung für das Gelingen einer Bildungsreform in Deutschland bezeichnet. Ihr Wort sollte allen SPD- und FDP-Bildungspolitikern zu denken geben.
Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den Fragebereichen, in denen keine Übereinstimmung innerhalb der Bund-Länder-Kommission besteht und bei denen eine Mehrheit aus dem Bund und den von der SPD regierten Ländern einer Minderheit aus den fünf von der CDU/CSU regierten Ländern gegenübersteht. Es handelt sich erstens um die Neugestaltung des Sekundarbereichs I, zweitens um die Gestaltung der Orientierungsstufe und drittens um die Lehrerbildung. Sicherlich ist es bedauerlich, daß bei den Verhandlungen nicht auch in diesen Punkten eine Einigung erzielt werden konnte. Bedenkt man aber, daß ursprünglich über zehn Punkte kein Konsens bestand und daß diese Zahl auf drei gesenkt werden konnte, sieht man die Dinge in der richtigen Relation.
Hinzu kommt, daß alle drei Punkte im übergeordneten Sinne praktisch einen einzigen Problemkreis betreffen, zumindest inhaltlich eng zusammengehören. Nach Ansicht der CDU/CSU sind die Sondervoten der von der CDU/CSU regierten Länder ein konstruktiver Beitrag zu einer realistischen Reform des Bildungswesens, da mit ihnen gewährleistet wird, daß die Einheitlichkeit des Bildungswesens nicht gefährdet sowie verhindert wird, daß Schule und Hochschule zum Experimentierfeld für Utopisten werden.
Am geringsten sind die Differenzen in der Frage der Gestaltung der Orientierungsstufe. Offengeblieben ist hier die Frage, ob die Orientierungsstufe schulformunabhängig eingerichtet werden soll, wofür sich Bundesregierung und SPD-regierte Länder ausgesprochen haben, oder ob sie auch - als zweite gleichberechtigte Möglichkeit - schulformabhängig den verschiedenen Schulformen zugeordnet werden kann, was die von der CDU/CSU regierten Länder wünschen.
Tiefgreifend sind demgegenüber die Unterschiede der Auffassungen in den beiden wesentlichen Grundfragen der Lehrerbildung und der Neugestaltung des Sekundarbereichs I. Beide Fragen hängen auf das engste miteinander zusammen und betreffen entscheidende Gestaltungsprinzipien unseres zukünftigen Bildungswesens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-Kultusminister sind der Meinung, daß ein differenziertes Schulsystem auch eine differenzierte Lehrerbildung mit unterschiedlicher Mindeststudiendauer erfordere. Wir warnen die Koalitionsparteien davor, durch ein einseitiges Vorgehen in der Frage der Lehrerbildung unabsehbare Folgewirkungen auszulösen und die strukturelle Einheit des Bildungswesens in der Bundesrepublik zu zerstören.
Bei den Differenzen im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Sekundarbereiches I geht es primär um die vom Bund und den SPD-regierten Ländern geforderte Einführung der integrierten Gesamtschule. Ich muß es mir aus Zeitmangel versagen, hierauf näher einzugehen. Im übrigen wird mein Kollege Dr. Fuchs zur integrierten Gesamtschule und ihrer Problematik noch Ausführungen machen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt noch einige Worte zur Finanzierung sagen. Bei der Bildungspolitik und bei der Bildungsreform entscheiden die Fakten. Nicht wohlklingende Parolen oder Wunschvorstellungen sind maßgebend, sondern realistische und finanziell abgesicherte Reformvorstellungen. Die CDU/CSU hat von Anfang an mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß sie keinem Bildungsgesamtplan ihre Zustimmung geben wird, der nicht finanziell abgesichert und mit einem Bildungsbudget rückgekoppelt ist.
({2})
Das Bildungsbudget soll auf der Grundlage der Bedarfsfeststellungen des Bundes und der Länder den voraussichtlichen Finanzbedarf für die Verwirklichung der Pläne und Programme ermitteln und Vorschläge für die Finanzierung und die Bereitstellung der erforderlichen Mittel durch Bund und Länder machen.
({3})
- Nicht ganz, Herr Hauff.
({4})
- Desto schlimmer, Herr Hauff, daß das bis zur Stunde nicht realisiert worden ist, und zwar wegen der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung, die die Mittel nicht zur Verfügung stellen konnte.
({5})
Erste Voraussetzung für die Erstellung des Bildungsbudgets ist, daß die zu erwartende Einnahmeentwicklung der öffentlichen Hand im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung näher bestimmt wird. Das Bildungsbudget muß ferner in das Gesamtgefüge der Haushalte und der mittel- und langfristigen Finanzplanungen eingeordnet sein. Das bedeutet, daß vorher entschieden werden muß, wie das Verhältnis der Ausgaben für den Bildungsbereich zu den gesamtstaatlichen Aufgaben festgelegt werden soll.
Die CDU/CSU hat sich konsequent allen Bestrebungen der Bundesregierung und der SPD-regierten Länder widersetzt, den Bildungsgesamtplan aus der engen Verbindung zwischen Strukturplan, Kosten- und Finanzplan zu lösen und ihn, wie beim Bildungsbericht der Bundesregierung geschehen, zu einem beliebig fixierbaren Zielprogramm umzu10468
Dr. Hermesdorf ({6})
funktionieren. Den CDU/CSU-regierten Ländern ist es gelungen das ist ausdrücklich zu begrüßen -, daß insbesondere auch in dem Anschreiben an den Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder darauf hingewiesen wurde, daß der vorgelegte Zwischenbericht wegen des Fehlens eines Bildungsbudgets noch ohne jegliche finanzielle Absicherung ist und daß im Finanzteil eine Reihe von grundlegenden Fragen noch nicht beantwortet werden können.
In der Tat ist die Finanzierbarkeit der im Zwischenbericht dargestellten Zielvorstellungen nicht nur nicht gesichert, sondern sogar äußerst zweifelhaft, wie es auch die Länderfinanzminister - und zwar quer durch alle Parteien - in ihrer Stellungnahme vom 27. Januar 1972 klar zum Ausdruck gebracht haben. So halten die Finanzminister zunächst einmal schon eine durchschnittliche Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts von jährlich plus 4,8 %, welche die Basis der Berechnungen darstellt, für die Jahre 1970 bis 1985 nicht für erreichbar. Die Annahme ferner, daß der Anteil des Bildungsbudgets - ohne Ressort- und Großforschung - am öffentlichen Gesamthaushalt von 15 % im Jahre 1970 auf 24,4 % in der oberen Variante bzw. auf 23,2% in der unteren Variante bis 1985 ansteigen könne, erscheint ihnen angesichts der finanziellen Forderungen unrealistisch, die andere Aufgabenbereiche erheben, wie z. B. Gesundheitswesen, Städtebau, Umweltschutz, Sicherheit, Verkehrswesen usw.
Die CDU/CSU-regierten Länder haben von vornherein auf eine vollständige und realistische Erfassung der Kosten gedrängt. Deshalb wurde von den CDU/CSU-regierten Ländern nicht nur eine Berechnung der Kosten in konstanten Preisen des Jahres 1970, sondern auch eine Berücksichtigung der Preissteigerungen gefordert, d. h. eine Darstellung der Kosten in jeweiligen Preisen.
Die Bundesregierung und die SPD-regierten Länder haben dies nur für die Zeit bis 1975 akzeptiert und beschlossen, die Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus ab 1975 nicht mehr zu berücksichtigen. Um einer Darstellung in jeweiligen Preisen ausweichen zu können, haben die Bundesregierung und die SPD-regierten Länder das Berechnungsverfahren der sogenannten relativen Preise eingeführt, das bei konstanter Entwicklung des Sozialprodukts-Preisniveaus nur Änderungen des Preisgefüges innerhalb des Sozialprodukts berücksichtigt.
Die CDU/CSU-regierten Länder haben sich in ihren Stellungnahmen zu den Entwürfen für einen Bildungsgesamtplan und zum Zwischenbericht auch gegen die unzureichende Berücksichtigung von Preissteigerungen in den Berechnungen der Kosten zu jeweiligen Preisen im Zeitraum von 1970 bis 1975 gewandt. Nach den Angaben im Zwischenbericht steigen die Kosten für die Realisierung des Zwischenberichts im Fünfjahreszeitraum 1970 bis 1975 von 25,1 Milliarden DM auf 54,9 Milliarden DM. Im Zwischenbericht wurde dabei ein durchschnittlicher Preisanstieg des inländischen Preisniveaus von 1971 bis 1975 auf der Basis des Jahres 1970 mit 3,4 % zugrunde gelegt, im Widerspruch zu den Angaben des Jahreswirtschaftsberichts der Regierung, der von 4,5 % spricht. Schon hierin zeigt sich die ganze Fragwürdigkeit der Kostenschätzung. Der Preisanstieg liegt derzeit, wie wir alle wissen, bei mehr als 5 % jährlich. Auch für 1972 wird kein günstigeres Ergebnis erwartet. Schon jetzt läßt sich also absehen, daß sich die Kosten für das Bildungswesen bis 1975 wesentlich stärker erhöhen müßten, als sie hier ausgewiesen sind. Langfristig steigen die Ausgaben nach den Angaben des Zwischenberichts in konstanten Preisen auf 55,1 Milliarden DM im Jahre 1980 und auf 66,9 Milliarden DM im Jahre 1985.
Diese Ausgabenschätzungen liegen über den bereits hohen Berechnungen von Bildungsrat und Wissenschaftsrat, die für 1980 in konstanten Preisen ein Ausgabevolumen von 33,6 Milliarden DM - untere Variante - bis 43,9 Milliarden DM -obere Variante - prognostiziert haben. Wenn man für 1980 und 1985 nur Preissteigerungen von 3,4 % berücksichtigen würde, wie es der Zwischenbericht bis 1975 tut, ergäbe sich für das Jahr 1985 ein effektiver Finanzbedarf von mehr als 150 Milliarden DM. Das sind die Realitäten, und daran ändern alle Augenwischerei und Schönfärberei von Ihrer Seite, meine Damen und Herren der Koalitionsparteien, und von seiten der Bundesregierung nichts.
Daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage darauf hinweist, daß bis 1975 in ihrer Finanzplanung jahresdurchschnittliche Steigerungsraten von 19,8 % berücksichtigt sind und damit die Steigerungsraten für die Ausgaben des Bundes über den durchschnittlichen Steigerungsraten für die im Zwischenbericht dargestellte jährliche Kostenentwicklung von 16,9 % liegen, kann man allenfalls nur als geschicktes Ablenkungsmanöver bezeichnen. Die hohen Steigerungsraten im Bundeshaushalt, die im übrigen bei dem niedrigen Ausgangsniveau durchaus nicht erstaunlich sind, sind sicher zu begrüßen. Es ist jedoch sachlich falsch, sie zu den im Zwischenbericht dargestellten jährlichen Steigerungsraten in Beziehung zu setzen.
Wie immer verschweigt der Bund schamhaft, daß auch heute noch Länder und Gemeinden rund 94 %, der Bund aber nur rund 6 % der Kosten im eigentlichen Bildungsbereich tragen. Entscheidend für die Finanzierung ist also nicht die Entwicklung des Bundeshaushalts, sondern die Entwicklung der Länder- und Gemeindehaushalte.
Von der von der Bundesregierung immer wieder wiederholten Priorität der Bildungspolitik ist tatsächlich nicht viel zu spüren. Die Streichung der Planungsreserve, die dazu beigetragen hätte, die Länder im Bildungsbereich konkret zu entlasten, zeigt im übrigen mehr als deutlich, daß es sich bei der Priorität der Bildungspolitik nur um verbale Lippenbekenntnisse handelt.
Es ist an der Zeit, daß auch die Bundesregierung endlich einmal Farbe bekennt, wie sie sich die Finanzierung der Bildungsreform vorstellt. Es liegt sowohl im Interesse des Bundes als auch vor allem im Interesse der Länder, möglichst bald politisch verbindlich zu entscheiden, welcher Finanzrahmen
Dr. Hermesdorf ({7})
für die Bildungsreform zur Verfügung gestellt werden kann.
({8})
Bei der Festlegung eines solchen Finanzrahmens muß entschieden werden, in welchem Umfange zusätzliche Mittel für die Bildungsreform, sei es durch Umschichtungen auf der Ausgabenseite, sei es durch Kreditfinanzierungen oder durch Steuererhöhungen, bereitgestellt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Bildungsdebatte vom 9. Juni 1971 ist von seiten der Koalition der Versuch gemacht worden, die CDU/ CSU wegen ihrer Forderung nach sachgerechter finanzieller Absicherung der Bildungsreformen der mangelnden Bereitschaft zu Reformen zu bezichtigen. Diese haltlosen Vorwürfe sind inzwischen völlig in sich zusammengefallen. Allzu deutlich hat die CDU/ CSU ihren Willen zu Reformen auf dem Gebiet der Bildungspolitik klargemacht. Die öffentliche Meinung hat erkannt, daß die Chance der Bildungsreform nicht in Plänen liegt, die finanziell nicht verwirklicht werden können, und daß derjenige, der sich für die finanzielle Realisierbarkeit der Reform einsetzt, einen hervorragenden Beitrag für ihre Durchführung erbringt.
Die CDU/CSU hat bereits mehrmals konkrete Vorschläge für realisierbare Maßnahmen unterbreitet und die Grundzüge eines Reformprogramms vorgelegt. Sie tut dies auch heute wieder durch die Vorlage ihres Antrags auf Umdruck 269, den ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion nun kurz begründen möchte.
Mit diesem Antrag ergreift die CDU/CSU aufs neue die bildungspolitische Initiative. Aus der Einsicht heraus, daß angesichts des begrenzten finanziellen Spielraums von Bund und Ländern Prioritäten gesetzt und Stufenpläne aufgestellt werden müssen, legt sie in ihrem Antrag ein Schwerpunktprogramm dar, das diesen Anforderungen entspricht und das die schwersten Mängel unseres jetzigen Bildungssystems beseitigen und grundlegende Reformen einleiten will. Es sieht folgende Maßnahmen vor, die vorrangig in Angriff genommen werden sollten, wobei die genannten Prioritäten keine Stufenfolge darstellen: 1. Ausbau des Kindergartenwesens und der vorschulischen Erziehung, 2. Ausbau und Verbesserung der beruflichen Bildung, 3. Abbau des Lehrermangels, 4. Abbau des Numerus clausus.
Die CDU/CSU-Fraktion hält den Ausbau des Elementarbereichs für besonders dringlich, da die Elementarerziehung in hervorragendem Maße geeignet ist, Benachteiligungen durch soziale Herkunft auszugleichen, dadurch Milieuschranken abzubauen und zur Herstellung der Chancengleichheit in unserer Gesellschaft einen wertvollen Beitrag zu leisten.
Im einzelnen schlagen wir zum Ausbau des Kindergartenwesens und der vorschulischen Erziehung vor, die personellen und baulichen Voraussetzungen für die dringend zusätzlich erforderlichen Kindergartenplätze zu schaffen. Daneben gilt es nach unserer Meinung einen Bedarfsplan mit einheitlichen Kriterien unter Beteiligung der freien Träger zu erstellen.
Als größtes Hemmnis für den Ausbau des Elementarbereichs hat sich der Mangel an ausgebildeten Fachkräften erwiesen. Nach unserer Ansicht ist es deshalb vordringlich, die Kapazität der Ausbildungseinrichtungen zu erweitern und zugleich die Ausbildung qualitätsmäßig zu heben und den gesteigerten Anforderungen anzupassen. Schließlich sollten Curricula für den Elementarbereich auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt werden.
Es fehlt mir die Zeit, auf die Punkte 2, 3 und 4 unseres Programms näher einzugehen. Ich glaube, daß sie in unserem Antrag ausführlich dargestellt sind; dazu ist eine Begründung beigefügt.
Ich möchte mich dem zweiten Teil unseres Antrages zuwenden. Er führt vier allgemeine Prinzipien auf, die wir bei der Durchführung der oben geschilderten Maßnahmen beachtet wissen möchten.
1. Die dringend erforderliche Reform der Lernziele, Lerninhalte und Lernmethoden muß den Erfordernissen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechen; d. h. ideologische und dogmatische Fixierungen müssen vermieden werden.
2. Das Bildungssystem muß nach Aufbau und Curricula so flexibel wie möglich auf wechselnde Arbeitserfordernisse hin angelegt sein.
3. Das Bildungswesen, das den Erfordernissen unserer industriellen Leistungsgesellschaft gerecht werden soll, muß-neben der Herstellung der
Chancengleichheit - am Prinzip der Leistung orientiert bleiben.
({9})
4. Bei der Bildungsplanung muß neben der Bildungsnachfrage des einzelnen auch der Bedarf der Wirtschaft und Gesellschaft an entsprechend ausgebildeten Kräften berücksichtigt werden.
Wir meinen, daß diese Prinzipien in hervorragender Weise geeignet sind, unser Bildungswesen so zu gestalten, daß es den Anforderungen der Leistungsgesellschaft in unserer industriellen Arbeitswelt und der Mobilität der Berufsausübung gerecht werden kann. Sie sichern nach unserer Ansicht eine zweckmäßige, ökonomische Verwendung der für Bildungszwecke bereitzustellenden Finanzmittel und gewährleisten Freiheit und Verantwortlichkeit, Leistung und Effizienz unseres Bildungswesens. Ich bitte das Hohe Haus, unseren Antrag auf Umdruck 269 den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft und für Jugend, Familie und Gesundheit zur Einzelberatung zu überweisen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß und darf zusammenfassen. Die Bundesregierung muß ihre bisherigen Vorstellungen im Bereich der Bildungspolitik, die auf unerfüllbaren Wunschprogrammen und ideologisch fixierten Planungen beruhen, einer gründlichen Revision unterziehen. Sie muß endlich klar sagen, wie sie die Krise der Bildungspolitik überwinden und welchen bildungspolitischen Kurs sie in Zukunft steuern will. Dabei muß die Einheitlichkeit des Bildungswesens in der Bundesrepublik gewahrt bleiben; sie
Dr. Hermesdorf ({10})
darf nicht durch die Verwirklichung divergierender Planungskonzepte beeinträchtigt werden.
Die Voraussetzungen für die Erstellung eines Bildungsbudgets und damit für einen Bildungsgesamtplan in der Bund-Länder-Kommission müssen beschleunigt geschaffen werden, ,d. h. die Bundesregierung sollte bald erklären, wie die bildungspolitischen Pläne des Bundes und der Länder in den nächsten Jahren finanziert werden sollen.
Für die CDU/CSU stellt die Bildungs- und Wissenschaftspolitik einen Kernpunkt der Gesellschaftspolitik dar.
({11})
Die Opposition bietet die Hand zu konstruktiver Zusammenarbeit in. diesem Bereich und hofft, daß Bundesregierung und Koalitionsparteien dieses Angebot annehmen.
({12})
Das Wort hat Herr Bundesminister von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der Opposition zum Bildungsgesamtplan gibt der Bundesregierung Gelegenheit, nach mehr als zwei Jahren sozialliberaler Koalition nüchterne Bilanz der Bildungspolitik zu ziehen.
In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969, die Sie, Herr Kollege Hermesdorf, eben wiederholt herangezogen haben, sind zwei grundsätzliche bildungspolitische Zusagen gemacht worden, die hier heute bestehen müssen und bestehen können:
1. die Zusage, den Ländern in der Bewältigung der Aufgaben in Bildung und Wissenschaft, ohne deren Zuständigkeiten anzutasten, zu helfen,
2. das Versprechen, in den Grenzen unserer Zuständigkeiten und Möglichkeiten zu einem Bildungsgesamtplan beizutragen.
Beides gehört untrennbar zusammen. Denn in unserer Bildungspolitik müssen wir heute einmal den allzulange aufgestauten Bedarf befriedigen, so gut es irgend geht. Wir wissen so gut wie Sie, daß Eltern, Lehrer und die Jugend von heute nicht mit dem Glück der achtziger Jahre vertröstet werden können.
({0})
Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wir wissen auch zum zweiten, daß darauf geachtet werden muß, daß alle Verbesserungen in Kindergarten, Vorschule, Schule, Berufsbildung, Hochschule und Weiterbildung schließlich in ein erneuertes, reformiertes Bildungswesen münden. Wir dürfen also weder nur vertrösten noch planlos und damit verschwenderisch reparieren; denn es hieß in der Regierungserklärung auch: Solange ein Gesamtplan fehlt, ist es nicht möglich, Menschen und Mittel so einzusetzen, daß ein optimaler Effekt erzielt wird.
Die Entscheidungen für vordringliche Maßnahmen und langfristige Planungen sind an allgemeinen gesellschaftspolitischen Grundsätzen orientiert, von denen ich einige hier in Erinnerung rufen will, damit nicht, Herr Kollege Hermesdorf, durch falsche Darstellungen falsche Eindrücke entstehen können.
Erstens. Unsere Gesellschaft darf nicht nur auf Wettbewerb, sie muß immer mehr auch auf Solidarität ausgerichtet sein. Deswegen müssen Inhalte und Maßstäbe des Lernens den Zielen einer sozialen und demokratischen Gesellchaft und dem Stand pädagogischer Erkenntnisse entsprechen.
({1})
Aber in diesem Sinne bleibt Leistung für uns ein entscheidender Maßstab, auch in Schule, Hochschule und Beruf.
Zweitens. Wir wollen mehr Gerechtigkeit. Chancengleichheit im Zugang zu allen Bildungseinrichtungen ist deswegen ein zentrales Ziel der Erneuerung. Das Geld des Vaters darf kein Passepartout für den Beruf der Kinder sein. Aber mit zunehmendem Alter des Menschen wächst auch seine eigene Verantwortung, Chancen, die ihm geboten werden, wahrzunehmen. Wir sagen hier ganz klar: Wer volljährig ist, kann nicht nur Leistungen von der Gesellschaft erwarten, er muß auch bereit sein, selber Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen.
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Drittens. Für bessere und humanere Lebensbedingungen brauchen wir auch mehr Geld. Auch - wohl sogar vorrangig - für die Bildung. Aber wir vergessen dabei nicht, daß jede Mark, die wir für Bildung heute ausgeben oder für morgen verplanen, von einer Generation erarbeitet wurde, die in ihrem Leben unter Bedingungen arbeiten mußte, die für die 'heutige Jugend oft unvorstellbar sind. Zu mehr Geld für die Bildung sagen wir ja, aber jeder falsche Luxus in Personalausgaben oder Gebäuden stößt ebenso auf unser hartes Nein.
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- Dazu, wie wir das machen, werden wir nachher kommen, Herr Kollege Gölter.
Viertens. Die Angst der Konservativen vor Veränderungen des Bestehenden ist die wahre Quelle revolutionärer Kräfte in der Gesellschaft.
({4})
Reformen allein sichern die Freiheit durch Veränderungen. Aber wir sagen zugleich: verändern heißt Neuland betreten, und dazu gehört nicht nur Mut, sondern auch Behutsamkeit. Wir sind bereit, entscheidende Veränderungen in der Gesellschaft auch im Bildungswesen durchzusetzen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Martin, sind wir bereit, solche entscheidenden Veränderungen durchzusetzen und nicht nur darüber zu reden.
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Aber wir sind offen für Erfahrungen und beobachten
die Ergebnisse unserer Reformentscheidungen - ich
unterstreiche das - mit der Bereitschaft, uns auch selbst zu korrigieren, wo sich dies als zweckmäßig erweist. - Bitte sehr, Herr Kollege Martin!
Herr Minister von Dohnanyi, können Sie uns sagen, wer der Konservative ist, der sich gegen die Reform sträubt, nachdem jedermann hier im Hause, der etwas davon versteht, weiß, daß sich das deutsche Schulwesen seit 10, 15 Jahren entscheidend verändert hat?
Herr Kollege Martin, ich würde sagen: z. B. diejenigen, die sich der Entwicklung in Richtung auf eine Gesamtschule entweder bewußt in den Weg stellen oder durch Scheinversuche diese Entwicklung nicht wirklich öffnen, rechne ich zu den Konservativen.
({0})
- Ich bin ja hier nicht dazu da, den Ländern Zensuren zu erteilen, sondern ich habe eine grundsätzliche Feststellung getroffen.
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- Herr Kollege Martin, Sie sagen, Grundsätze könne man behalten, weil Sie letzten Endes nichts anderes wollen als weiter dahinwursteln wie in der Vergangenheit.
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In der Berufsbildung hat die Bundesregierung begrenzte, aber unmittelbare Zuständigkeiten. Ihr Ziel ist hier die Aufhebung des traditionellen Prestigeunterschiedes von beruflicher und allgemeiner Bildung. Dabei wollen wir grundsätzlich an der Verbindung von praktischer Ausbildung in Betriebsstätten und Unterrichtung in der Schule festhalten, soweit dies zweckmäßig ist.
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Aber angesichts der zunehmenden Bedeutung von Wissenschaft und Technik in der Berufswelt muß der schulische Anteil der Ausbildung zunehmen.
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- Es ist gut, wenn Sie einverstanden sind. Sie können das ja nachher durch einen kurzen Beitrag bestätigen, indem Sie sagen, Sie unterstützen und unterschreiben, was diese Bundesregierung will; dann sind wir in diesem Hause einen ganzen Schritt weiter.
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- Er sagt es ständig zwischendurch. Das ist ja gut; dann kommen wir ein Stück weiter. Wir können das dann alles abhaken.
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Es ist ferner sinnvoll, eine Verbindung des Berufsschulunterrichts mit dem Angebot der Vollzeitschulen anzustreben. Deshalb wird das Berufsgrundschuljahr, das lange diskutiert worden ist, noch in diesem Sommer auf die Ausbildungszeit anrechenbar gemacht werden.
In dieser Zielrichtung geht es heute ferner um eine Modernisierung der Ausbildungsinhalte. Die Bundesregierung hat, wie im Aktionsprogramm im November 1970 angekündigt, die Novellierung der Ausbildungsordnungen und eine vernünftige zahlenmäßige Beschränkung der Berufsfelder endlich angepackt. Bis zum Ende der Legislaturperiode werden für etwa 500 000 von rund 1,3 Millionen Auszubildenden in der Berufsbildung neue Ausbildungsordnungen bestehen. Die Regelung bisher unzureichender Abstimmungen zwischen betrieblichen Ausbildungsordnungen und den Lehrplänen der Berufsschulen steht bevor. Die notwendige Verbesserung der Ausbildung der betrieblichen Ausbilder wiederum wird durch ein im Januar 1973 einsetzendes Lehrprogramm mit Hilfe von Fernkursen im Medienverbund für etwa 100 000 Ausbilder ermöglicht.
Schließlich müssen wir im Bereich der Berufsbildung der Tatsache ins Auge sehen, daß mancher betriebliche Ausbildungsplatz keine zukunftssichere Ausbildung mehr vermitteln kann. Dort wollen wir - und wir sind dabei froh über Ihre Unterstützung, auch aus der Opposition - überbetriebliche Ausbildungsstätten schaffen. Das Programm ist in Vorbereitung, auch in Zusammenhang mit der Arbeit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung.
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Das sind nur einige Punkte aus der praktischen Arbeit der Bundesregierung im Schwerpunktbereich Berufsbildung, der - das müssen wir, glaube ich, selbstkritisch alle sagen - angesichts der drängenden Sorgen von Schule und Hochschule allzulange als selbstverständlich funktionierend behandelt worden ist. Diese Einstellung gegenüber der Berufsbildung mußte anders werden, und sie ist unter dieser Bundesregierung anders geworden.
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Ein anderes Feld direkter Bundeszuständigkeiten ist die Ausbildungsförderung. Hier geht es entscheidend um den Ausgleich sozialer Chancen. Seit dem 1. Oktober 1971 wird mit einem Bundesanteil von 65 % endlich nicht nur der Student, sondern auch der Schüler, der Abendschüler und der Fernschüler, gefördert. Dadurch erreichen wir eine Verklammerung der bisher getrennten Ausbildungsgänge.
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- Ich sage dazu gleich etwas.
Der Bund wandte 1971 etwa 605 Millionen DM auf, 1972 695 Millionen DM. S i e wollten ja eine solche Bilanz; S i e haben ja vom Scheitern gesprochen. 1975 stehen 1,3 Milliarden DM für diesen Bereich der Ausbildungsförderung in der mittelfristigen Finanzplanung.
Die Bundesregierung weiß, daß auch dieses Gesetz noch Lücken hat. Aber niemand kann bestreiten, daß hier in Richtung auf unsere allgemeinen Ziele richtig entschieden wurde: weg von der bloßen Unterstützung der Eliten oder der karitativen Hilfe für die sozial Schwachen und hin zu einem allgemeinen Anspruch auf Förderung all derer, die fähig und bereit sind, sich nach der Pflichtschulzeit weiterzubilden.
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Ich will zwei wichtige Bereiche herausgreifen, in denen der Bund den Ländern helfen konnte, ihre Aufgaben besser zu erfüllen. Für den Hochschulbau wurden 1968 642 Millionen DM vom Bund beigetragen, 1969, im letzten Jahr der Großen Koalition, war die Entwicklung mit nur 616 Millionen DM rückläufig. In den Planungen für 1972 fanden wir in unserem Hause für den Hochschulbau 900 Millionen DM vor. Ich erinnere mich an eine Debatte hier in diesem Hause am 22. April 1970, in der es um einen Antrag der Opposition ging, für den Hochschulbau 100 Millionen DM pro Jahr mehr einzusetzen. Bundesinnenminister Leussink hat das damals mit dem Satz abgelehnt - ich zitiere -:
Ich halte die Steigerungsrate von 100 Millionen DM und auch die Steigerungsrate, die hier soeben neu in die Debatte geworfen worden ist, von 200 Millionen DM
- ich glaube, damals von Ihnen, Herr Kollege Martin
für weitaus zu gering.
Die Bundesregierung hat dann im Sinne dieses sofortigen Helfens ihre Finanzplanung vorgelegt. Im Mai 1970 haben wir den Entschluß zu einer Bildungsanleihe gefaßt und haben allein im Jahre 1970 die Bundesmittel auf etwa 940 Millionen DM erhöht, im Jahre 1971 auf etwa 1,3 Milliarden DM, und im Jahre 1972 werden wir mit etwa 1,6 Milliarden DM für den Hochschulbau zirka 700 Millionen DM mehr ausgeben, als für dieses Jahr 1972 in der Planung der früheren Bundesregierung vorgesehen war. Im Sommer 1971 wurde dann der Rahmenplan für den Ausbau der Hochschulen bis 1975 verabschiedet. Die Mittel des Bundes werden bis 1975 auf etwa 2 Milliarden DM steigen.
Ich sage hier ganz offen: Wir sind dankbar, daß die Länder trotz ihrer allgemeinen Belastung in anderen Bereichen, gerade auch des Bildungswesens, bei dieser Expansion hier mithalten. Denn der Hochschulausbau hilft den Ländern praktisch in einer zweiten Frage, die ich hier ansprechen will, nachdem Sie, Herr Kollege Hermesdorf, vom Scheitern der Bildungspolitik sprechen, nämlich in der Frage des Lehrermangels. Seit Ende der fünfziger Jahre gab es Pläne der Kultusminister, die Klassen zu verkleinern, den Stundenausfall zu begrenzen. Aber die Erfolge stellten sich nur zögernd ein. Allein im Schnellbauprogramm, das die Bundesregierung in der Regierungserklärung angekündigt hatte, wurden in den vergangenen zwei Jahren etwa 39 000 studentische Arbeitsplätze erstellt - also etwa in der Größe der Universität Köln , von denen rund ein Drittel für die Lehrerausbildung zur Verfügung stehen. Die Zahl der Lehrer, die an unseren Hochschulen ausgebildet werden können, steigt ständig, und sie wird in den nächsten Jahren beachtlich zunehmen. Wir rechnen mit einer Steigerung von etwa 24 000 Absolventen im Jahre 1971 auf fast 34 000 Absolventen im Jahre 1975. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist praktische Hilfe für die Eltern und Schulen, auch dann, wenn natürlich Bauzeiten und Ausbildungszeiten diese Hilfe erst in einigen Jahren in den überfüllten Klassen eintreffen lassen. Aber diese Bundesregierung hat nicht zu vertreten, daß frühere Bundesregierungen mit dem Beitrag zum Ausbau der Hochschulen nicht früher begonnen haben.
Die Zahl der Lehramtsabsolventen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen, wie sich aus der Befragung der Abiturienten ergibt. Ich möchte allerdings eine kritische Bemerkung zu dieser Entwicklung machen. Ungereimtheiten in den Arbeitsbedingungen und in der Besoldung führen zunehmend zu Berufsentscheidungen für Lehrämter in den weiterführenden Schulen, und die ohnehin nicht mehr zu vertretende Klassengröße in der Grundschule, besonders auf dem Lande, kann dadurch nicht entsprechend reduziert werden. Die zwischen den Ländern in diesen Monaten erörterte Reform der Lehrerbildung - ich unterstreiche hier, was der Kollege Hermesdorf in dieser Beziehung gesagt hat - ist deswegen ein Eckstein für jede erfolgreiche Bildungs- und Schulreform.
Die Bundesregierung hat neben diesen Beispielen kurzfristig und mittelfristig ihren Beitrag wirksamer Entscheidungen auch dort geleistet, wo es um die Verbesserung unseres Bildungswesens in langfristiger Planung geht. Schon in den 50er Jahren beschäftigten sich weitsichtige Politiker mit dieser Notwendigkeit. Ich möchte hier nur unseres Kollegen Waldemar von Knoeringen gedenken, der schon 1958 einen langfristigen Entwicklungsplan für das Bildungswesen vorgelegt hat. Bildungspolitisch waren dann aber die 60er Jahre charakterisiert durch Beratungen im Bildungsrat und Wissenschaftsrat und durch eine Vielfalt von Vorschlägen der Experten. Entscheidungen für eine umfassende, bundesweit koordinierte Reform fielen nicht, und es ist verständlich, daß die Bürger ungeduldig wurden. Herr Kollege Hermesdorf, das ist eines der Probleme, wenn Sie darüber sprechen, daß die Bevölkerung enttäuscht ist, weil eben viele Maßnahmen, die wir treffen, noch kurzfristig wirksam werden können. Von einer neuen Bundesregierung wurden fast Wunder erwartet.
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- Herr Kollege Pfeifer, ich bin bereit, mit Ihnen jeden Satz der Regierungserklärung, im Bereich des Bildungswesens und sonst, durchzugehen - wir haben das am Ende des letzten Jahres vorgelegt -und mit Ihnen abzuhaken. Wenn der Bildungsgesamtplan verabschiedet ist, haben wir nicht nur alles das getan, was in der Regierungserklärung steht, sondern auch einiges mehr, wie z. B. die Graduiertenförderung. Meine Damen und Herren von der
Opposition, Sie haben hier wie auch in anderen Bereichen das, was die Bundesregierung mit Augenmaß und Vorsicht versprochen hat, hochzujubeln versucht, um dann draußen Enttäuschung und Krisenstimmung zu verbreiten, wie Sie das auch in anderen Bereichen tun.
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Schon im Sommer 1970 haben wir kurzfristig ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern unterzeichnet, in dem die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung geschaffen wurde. Im Bildungsbericht 1970, von Ihnen zitiert, hat die Bundesregierung zugleich ihre eigenen Zielvorstellungen, mit denen sie in die Beratungen der Bund-Länder-Kommission zu gehen beabsichtigte, vorgelegt. Ich kann hier auch unter Bezugnahme auf die zweite Frage der Großen Anfrage der Opposition noch einmal feststellen, daß es in den Beratungen der Kommission gelungen ist, die wesentlichen Ziele in Zahlen und Daten zu übersetzen und im Zwischenbericht zum Bildungsgesamtplan zu verankern. Mehr haben wir auch in der von Ihnen zitierten Presseerklärung nicht gesagt. Ich nenne fünf entscheidende Aspekte:
-Die vorschulische Bildung. Offen blieb im Zwischenbericht, ob sie der Grundschule oder dem Kindergarten zugeordnet werden soll und ob der Besuch für die Fünfjährigen Pflicht sein soll. Aber für die Vorschule als solche ist die Entscheidung gefallen.
- Durchlässigkeit und Chancengleichheit in der Schule mit der gemeinsamen Einigung auf das Planen von Schulzentren. Die Mehrheit entschied sich für die integrierte Gesamtschule als die Schulform, die wiederum den von allen gewollten Zielen am besten entspricht.
- Verbesserung der Berufsbildung und ihre Verflechtung mit den weiterführenden Schulen.
- Zusammenfassung der Hochschulen zu Gesamthochschulen.
- Schließlich: Ausbau der Weiterbildungseinrichtungen.
Herr Kollege Hermesdorf, hier besteht in dem, was wir in den jetzt vorliegenden Fassungen im Hochschulrahmengesetz tun wollen, kein grundsätzlicher Unterschied zu dem, was im Bildungsgesamtplan steht. Ich habe das im Ausschuß gesagt, ich bin auch bereit, das hier nachher noch einmal zu belegen, wenn es die Debatte notwendig machen sollte.
Die Bundesregierung hat also durch den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Professor Leussink, als Vorsitzenden der Bund-Länder-Kommission, mit den Ländern und nicht gegen die Länder, in nicht einmal zwei Jahren eine entscheidende Aufgabe für die Entwicklung unseres Bildungswesens erfüllt, nämlich: aus einer Vielzahl von Vorschlägen die Einzahl eines Reformkonzeptes zu machen.
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Der Bildungsrat stellt deswegen mit Recht fest, daß der Zwischenbericht - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren einen bedeutenden Schritt in der bildungspolitischen Entwicklung der Bundesrepublik darstellt, auch weil zum erstenmal
- zum erstenmal! ein Gesamtkonzept des Bildungswesens in der Planung erreicht worden ist.
Meine Damen und Herren, die Bildungspolitiker, gewissermaßen die Architekten, haben ihre Planung weitgehend abgeschlossen. Die Blaupause sozusagen liegt vor, und der Bauherr muß entscheiden. Bauherren eines neuen Bildungswesens sind die Parlamente und in ihrem Auftrage die Regierungen, bei denen der Zwischenbericht jetzt zur Entscheidung liegt. Nach bald 23 Jahren Bundesrepublik ist es wahrlich spät für eine länderübergreifende und umfassende Bildungsreform in unserem Land, aber es ist nicht zu spät. Die Entscheidungen müssen nun mit einer Politik - das ist ganz unbestritten - der schmerzhaften Wahrheit und der sachlichen Konzentration fallen.
Eine Politik der Wahrheit fordert von uns in erster Linie die nüchterne Auseinandersetzung - das ist richtig - mit den finanzpolitischen Möglichkeiten und mit ihren Grenzen, denn die Länderfinanzminister - Sie haben das bereits zitiert - haben Fragezeichen hinter gewisse Annahmen der BundLänder-Kommission gesetzt. Obwohl die BundLänder-Kommission auch in Rückkopplung mit den Länderfinanzministern gearbeitet hat, waren sich aber alle Beteiligten von Anfang an darüber im klaren, daß eine Anpassung an die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten an der einen oder der anderen Stelle des Planes, daß weitere Rationalisierung und vielleicht sogar Abstriche oder Streckungen, also Terminverschiebungen notwendig sein würden. Der Unterschied bestand nur darin: die sozialdemokratisch geführten Länder und der Bund waren der Meinung, erst müßten die Bildungspolitiker in ständiger Rückkopplung mit den Finanzpolitikern formulieren, was sie für richtig halten und was sie wollen, erst dann kann man dies in die gesamtwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklung einbetten. Wir wollten nicht von vornherein fragen „Wieviel Geld ist in der Kasse?" und allein danach die bildungspolitischen Ziele ausrichten. Das war die Entscheidung vom 1. März 1971. Es war eine richtige Entscheidung, die mit der Mehrheit in der Bund-Länder-Kommission gefallen ist.
Meine Damen und Herren, so wahr es also ist, daß man die Finanzplanung nüchtern betrachten muß, so wahr ist es auch, daß politisch blinde Kritik, Herr Kollege Hermesdorf - ich muß das leider sagen -, wie Sie sie hier zu diesem Punkt wiederholt haben
({14})
- wir werden gleich sehen, Herr Gölter, wo wir stehen -, daß Kritik an dem, was geleistet worden ist, und zwar gemeinsam mit den Ländern geleistet worden ist, der Sache nicht hilft.
({15})
Das gilt besonders für die finanziellen Aspekte.
Für Bildung und Wissenschaft wurden z. B. 1965 in der Bundesrepublik 16,9 Milliarden DM ausgegeben. Das waren damals 3,7 % des Bruttosozialprodukts. 1969 waren es 24,8 Milliarden DM. Dieser Betrag entsprach 4,1 % des Bruttosozialproduktes. 1971 wurden es bereits 35,8 Milliarden DM, und das entsprach einem Anteil von über 4,7 %, fast 4,8 % am Bruttosozialprodukt.
({16})
Das Jahr 1972 enthält nach den jetzt bei uns vorliegenden Haushaltsplänen der Länder, vorsichtig geschätzt, eine weitere Steigerung auf mindestens 41 Milliarden DM. Der Anteil am - ({17})
- Ich bestreite das nicht; wir haben ja auch eine Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Wir haben auch nicht in der Regierungserklärung gesagt, daß wir das ändern wollten, Herr Kollege Gölter.
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Wir sind bei dieser Aufgabenverteilung. - Das würde 1972 etwa einen Anteil von 5 % am Bruttosozialprodukt bedeuten. Damit entsprach der Sprung der Bildungsausgaben innerhalb von zwei Jahren einer Steigerung von insgesamt rund 45 % und beim Bund allein von etwa 70 %.
Nun ein Wort zur Planungsreserve. Die Planungsreserve war als gebundene Entlastung der Länder im Bereich der Bildungspolitik gedacht. Die Länder haben sich dafür entschieden, anstatt gebundener Mittel nur Steuermittel, über die sie dann selber in den Prioritäten verfügen könnten, entgegenzunehmen. Aus den 456 Millionen DM, die für 1972 bei uns im Haushalt standen, sind 2,8 Milliarden DM geworden, wenn Sie nur den Anteil an der Umsatzsteuer nehmen. Wenn Sie die übrigen Einnahmeverbesserungen bei den Ländern einbeziehen, sind es für 1972 allein etwa 3,8 Milliarden DM. Die muß man sehen, wenn man sich hier allein auf die Planungsreserve beruft.
Meine Damen und Herren, es gibt überhaupt keinen Zweifel: in den Jahren der Regierung Brandt/ Scheel standen und stehen Bildung und Wissenschaft an der Spitze der Reformen, auch in der Finanzplanung von Bund und Ländern. Wir müssen allen Parlamenten und Kabinetten in den Ländern und beim Bund, so meine ich, für eine solche Politik Dank sagen und folgendes unterstreichen: Die Zahlen, die ich soeben genannt habe, beweisen, daß die Finanzminister und Haushaltsausschüsse nicht Gegner der Bildungspolitik sind, wie oft lamentiert wird, sondern ihre nüchternen Förderer, natürlich im Rahmen der Anforderungen auch anderer Bereiche. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist die Realität. Diese Steigerungsraten unterstreichen auch, was finanzpolitisch tatsächlich geschehen ist.
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-Inzwischen liegen auch die Antworten der Länder zur mittelfristigen Finanzplanung im Bildungsbereich bis 1975 vor. Ich kann dem Hause mitteilen, daß die Planungssummen, wenn sie addiert werden, schon heute deutlich über 50 Milliarden DM für 1975 und damit innerhalb einer Schwankungsbreite von etwa 5 %, maximal 10 %, gegenüber dem im Bildungsgesamtplan vorgeschätzten Bedarf für das Jahr 1975 liegen. Bis 1975 sind also die finanziellen Ziele des Zwischenberichts, vom finanziellen Gesamtvolumen her gesehen, als immerhin nicht unmöglich anzusehen. Über Finanzierungsfragen der Berufsbildung wird, wie Sie wissen, Ende des Jahres die Edding-Kommission eine erste Aussage machen.
Obwohl die finanzpolitische Situation nicht so negativ ist, wie sie oft dargestellt wird, bleibt es notwendig, daß wir in unseren weiteren Entscheidungen das Erfordernis äußerster Sparsamkeit nicht aus den Augen lassen. Das gilt für die Sachkosten ebenso wie für die Personalkosten. Ich sagte vorhin im Zusammenhang mit der Lehrerausbildung, daß Ungereimtheiten in der Lehrerbesoldung nach Möglichkeit schrittweise ausgeglichen werden müssen. Aber ich stelle auch fest, daß die Lehrerbesoldung in der Bundesrepublik im Vergleich zum übrigen öffentlichen Dienst heute im ganzen als ausgeglichen angesehen werden kann, daß der Nachholbedarf befriedigt worden ist und daß weitere Steigerungen in den Bandbreiten der Gesamtentwicklung des öffentlichen Dienstes liegen müssen.
Was die längerfristige Entwicklung der Bildungsplanung angeht, so rechne ich damit, daß wir nach diesem Sommer auch den Bildungsgesamtplan und das Bildungsbudget verabschieden können. Herr Kollege Hermesdorf, wenn wir von den langfristigen Entwicklungen bis 1985 sprechen, die eben gesehen werden müssen, damit kurzfristig keine falschen Entscheidungen getroffen werden, dann kann ich nicht verstehen, warum die CDU/CSU von der „Utopie" eines Konzepts spricht, das inzwischen vom Bildungsrat, von den Gutachtern der OECD, im Grundsatz von den Ministerpräsidenten, von einer Reihe von Länderkabinetten und vom Bundeskabinett als eine geeignete Grundlage langfristiger Planung angesehen wird. Entweder bekennen Sie sich zu den Zielen des Zwischenberichts - dann verfolgt auch diese Bundesregierung hier keine utopischen Ziele -, oder aber Sie müssen ganz klar von dem Abstand nehmen, was der Bund und alle Länder im Bildungsgesamtplan für 1985 als Ziel anvisiert haben.
Ich weiß, daß wir bei dem ehrgeizigen Versuch, im Finanzplanungsrat nicht nur die Kosten des Bildungswesens, sondern auch die zukünftigen Kosten aller anderen wesentlichen öffentlichen Aufgaben zuverlässig im Sinne gesellschaftlicher Prioritäten aufzuzeigen, nicht wesentlich weitergekommen sind. Es kommt jetzt darauf an, das Bildungsbudget nicht überzustrapazieren. Es sind Eckwerte zu setzen. Es geht um die Überprüfung der Ergebnisse mit sozialer und ökonomischer Vernunft. Es geht - wie man auch sagt - um die Plausibilität der langfristigen Planung. Die Bundesregierung betrachtet hierbei
den gesellschaftlichen Bedarf als einen wichtigen Maßstab der Entwicklung.
({20})
Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen nicht versuchen, alle Einzelheiten von 1980 oder 1985 etwa im Jahre 1972 zu entscheiden. Das schöne alte englische Sprichwort, man solle erst dann Anstalten machen, einen Fluß zu überschreiten, wenn man das Ufer erreicht habe, ist in manchen Punkten und manchen Fragen für die Planer gelegentlich erinnernswert. Dennoch müssen Entscheidungen dort fallen, wo dieses Handeln heute schon langfristige Auswirkungen hat und damit wichtige Entwicklungen entweder verbaut oder gefördert werden könnten.
Im Mittelpunkt steht dabei die Reform der Schule. Diese Reform steht auch im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen im langfristigen Bildungsgesamtplan mit der Opposition und zwischen CDU/CSU- und SDP-geführten Ländern. Wir brauchen eine Schule, in die die Sechsjährigen nicht mehr ohne Vorschule eintreten, mit der wir doch wenigstens versuchen, Nachteile in den Elternhäusern auszugleichen. Eine Schule, in der die Zehnjährigen nicht mehr durch vorschnelle Entscheidungen für Hauptschule, Realschule oder Gymnasium fast unwiderruflich eine Weiche für ihr Leben gestellt bekommen, denn sie stellen sie nicht selber.
Mir scheint, kein Einsichtiger kann davon ausgehen, daß wir mit derartigen Zielen, die ja nach eigenen Angaben auch von der Opposition vertreten werden, in 20 Jahren weiterhin ein dreigliedriges Schulsystem haben können. Das ist für mich so unvorstellbar, wie unsere Schulen heute unvorstellbar geworden sind ohne die erste Gesamtschulreform des Jahres 1919, in der die getrennten Vorklassen von Gymnasium und Volksschule mit einer mutigen politischen Entscheidung damals zu einer Grundschule vereinigt wurden. Das war die erste Stufe der Gesamtschulreform. Sie liegt lange zurück.
Wir dürfen heute frühere Fehler einer allzu langen Diskussion über die Schule im Dorf und die Gemeinschafts- bzw. Konfessionsschulen nicht wiederholen; denn Unklarheiten über die langfristige Entwicklung haben zu einer verschwenderischen und - ich will das unterstreichen - zu einer finanziell folgenschweren Belastung unserer Gemeinden mit Fehlinvestitionen im Schulbereich geführt. Jeder der hier anwesenden Landeskultusminister kann dafür sicherlich Beispiele nennen.
Die Schule der Zukunft wird die Gesamtschule sein, eine Schule, in der die wichtigste Weiche des Lebens eben nicht mehr mit zehn, sondern mit fünfzehn oder sechzehn Jahren gestellt werden kann. Die Opposition und die CDU/CSU-geführten Länder argumentieren - das wurde ja eben wieder deutlich -, die Gesamtschule sei noch gar nicht erprobt. Sie möchten deswegen dieses Jahrzehnt, das Jahrzehnt der 70er Jahre, noch einmal nur Schulversuchen vorbehalten und die Entscheidung auf das nächste Jahrzehnt verschieben.
({21})
Es ist richtig, daß wir uns noch schrittweise klarmachen müssen, wie die innere Gestaltung der Gesamtschule im einzelnen aussehen sollte. Aber es kann für uns überhaupt gar keinen Zweifel daran geben, daß wir auf Grund pädagogischer Einsichten, politischer Überlegungen und internationaler Erfahrungen heute in der Lage sind, eine klare Entscheidung für die langfristige Einführung der Gesamtschule zu treffen. Und nur darum geht es heute, daß keine falschen Weichen gestellt werden.
({22})
Ich habe mich immer bemüht, eine Entideologisierung - wie die Opposition das nennt - der Bildungsdebatte durch nüchterne Informationen, auch durch Statistiken, wenn notwendig, herbeizuführen und so die Debatte zu versachlichen. Ich will das für die Gesamtschule hier noch einmal versuchen. In der Bundesrepublik besteht heute eine gemeinsame Schule für die Kinder in der Regel nur für vier Jahre. Gemeinsam bemühen wir uns - der Zwischenbericht hat auch hier Weichen gestellt - um eine Verlängerung dieser Zeit auf sechs Jahre durch die Orientierungsstufe.
Vergleichen wir mit anderen Ländern die Schulpflicht in einer gemeinsamen, wenn auch in sich differenzierten Schule, so ergibt sich folgendes: Schweden neun Jahre, Italien nach dem bestehenden Gesetz acht Jahre, Japan neun Jahre, Frankreich de facto, wenn man die fünf und die zwei Jahre Orientierungsstufe, die es dort gibt, zusammenzählt, weil es eine von der Schulform unabhängige Orientierungsstufe ist, faktisch schon sieben bzw. sogar neun Jahre, Großbritannien sechs Jahre mit Tendenz auf zehn Jahre, Dänemark neun Jahre ab 1973, Norwegen neun Jahre ab 1974, USA acht bzw. zwölf Jahre, unterschiedlich nach den Bundesstaaten, DDR zehn Jahre.
Das waren nur einige ausgewählte Länder mit dieser Tendenz, die eine klare Richtung auf die Gesamtschule aufzeigt.
({23})
- Ich will Ihnen, Herr Kollege Hermesdorf, eine rückläufige Tendenz aufzeigen. In Griechenland hatte das Schulgesetz vom Jahre 1964 die Einführung der obligatorischen neunjährigen Schulpflicht mit einer für alle Schüler verbindlichen Schule vorgesehen. Dieses Gesetz wurde 1967 von der jetzigen Regierung außer Kraft gesetzt und durch ein neues Gesetz ersetzt, das nicht nur die Schulpflicht wieder auf sechs Jahre zurückschraubte, sondern das mit der Betonung des Auslese- und Elitecharakters die Trennung zwischen Gymnasium und Volksschule wieder herstellte. Das ist eine rückläufige Tendenz.
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- Sie können nachher, wenn Sie Informationen darüber haben, die rückläufige Entwicklung innerhalb der Schulpflicht - und nicht etwa im Bereich dessen, was wir im Bildungskauderwelsch „Sekundar10476
stufe II" nennen - begründen. Dann kommen Sie hier herauf und belegen Sie, daß die Entwicklung irgendwo anders im Bereich der Schulpflicht in der Tat rückläufig sei. Das würde mich interessieren.
({25})
Herr Kollege Pfeifer, bitte.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß von Ihrem Haus am 25. November 1971 ein Bericht über die Reise von Herrn Bundesminister Professor Leussink nach Großbritannien veröffentlicht wurde, in dem auf Seite 10 eindeutig zum Ausdruck kommt, daß die derzeitige Erziehungsministerin in Großbritannien von dem System der Gesamtschule weg will?
Das ist vorstellbar, Herr Kollege.
Ich sage das nur, weil Sie Griechenland genannt haben. Ich nenne hier Großbritannien. Ist Ihnen bekannt, daß Herr Minister Leussink daraufhin laut diesem Bericht folgendes gesagt hat: „Die Diskussion um die Gesamtschule in der BRD sei aber vor allem von gesellschaftspolitischen Erwägungen und weniger durch pädagogische Aspekte bestimmt"? Würden Sie dem zustimmen?
Herr Kollege Pfeifer, ich bin sicher, daß Herr Minister Leussink hier, genauso wie ich das heute tue, unterstreichen würde, daß man Schul- und Bildungspolitik nicht ohne gesellschaftspolitische Erwägungen machen kann.
({0})
Das unterscheidet uns allerdings in gewisser Weise von Ihnen.
({1})
Im übrigen, was die Entwicklung in Großbritannien angeht, so ist es richtig, daß mit der Comprehensive School bestimmte Erfahrungen gesammelt werden mußten, wie wir auch mit der Gesamtschule Erfahrungen sammeln. Ich habe das auch nicht bestritten. Niemand bestreitet auch, daß der Prozeß langwierig ist. Aber die Frage der Entscheidung, ob man auf eine Schule hin will oder ob man das dreigliedrige Schulsystem erhalten will, steht vor uns. Das war der Punkt, den ich unterstrichen habe.
({2})
Das Ziel der Gesamtschule beruht auf breiter Erfahrung in den industrialisierten Gesellschaften. Es ist gut, so scheint mir, daß sich die CDU-geführten Länder mit uns für die Planung von Schulzentren entschieden haben, um so gemeinsam sicherzustellen, daß der Weg zur Gesamtschule nicht kostspielig und verschwenderisch verbaut werden kann.
Meine Damen und Herren, die sechziger Jahre waren Jahre der großen Debatte in der Außen-und in der Innenpolitik. Diese Wochen und Monate des Jahres 1972 sind Stunden der Entscheidung in großen Fragen unseres Landes. Wenn Entscheidungen reif geworden sind, muß man auch den Mut haben, sie zu treffen. Liegenlassen, meine Damen und Herren von der Opposition, hat uns kein Städtebauförderungsgesetz, keinen Mieterschutz, kein neues Betriebsverfassungsrecht, kein zeitgemäßes Eherecht, keine dynamische Kriegsopferrente gebracht. Das waren Entscheidungen, die zu dem Zeitpunkt, als sie schließlich reif waren, auch gefällt werden mußten. Und liegenlassen kann man auch nicht die großen Entscheidungen in der Bildungsreform.
({3})
- Die Steuerreform ist nicht liegengeblieben,
({4})
wie Sie genau wissen: in zwei Teilen ist sie bereits auf dem Wege, und im dritten kommt sie - ({5})
- Sie benutzen immer das Wort „gescheitert". Wenn man Ihnen dann vorführt, was wirklich geschehen ist, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als durch weitere Zwischenrufe den Versuch zu machen, zu verschleiern, daß diese Regierung klare Entscheidungen getroffen hat.
({6})
Liegenlassen dürfen wir weder Entscheidungen für die Demokratie nach innen, wie die Weichenstellung für eine gerechtere und bessere Schule, noch Entscheidungen für den Frieden nach außen, wenn er sicherer werden soll.
({7})
Meine Damen und Herren, ich will der Debatte von Anfang Mai nicht vorgreifen, aber lassen Sie mich dies am Ende sagen, gerade weil Sie, Herr Kollege Hermesdorf, auf die langfristige Durchsetzbarkeit der Bildungsreform hingewiesen haben: Entspannungspolitik und Bildungspolitik sind nicht nur inhaltlich,
({8})
- denn nur wer versteht, kann Verständnis haben -, sondern auch materiell langfristig miteinander verbunden. Wer die Wege zur Entspannung verstellt, der verstellt langfristig auch die Chance
für eine sinnvollere Verwendung der öffentlichen Mittel, und zwar in allen Ländern dieser Welt.
({9})
Wenn Verständnis und Solidarität ersetzen sollen Unwissen und unmenschliche Konkurrenz, dann müssen Entscheidungen in der Bildungspolitik ihren Beitrag dazu leisten.
Herr Kollege Pfeifer, was ich eben gesagt habe, war ganz klar, ich hoffe, auch für Sie ganz klar. Es geht darum, langfristig in allen Ländern der Welt eine sinnvollere Verwendung der Mittel zu ermöglichen. Spannung kann das nicht herbeiführen.
({10})
Deswegen muß man den Weg zur Entspannung freigeben und darf ihn nicht verstellen. Die Kraft hierfür, die Kraft auch für eine gemeinsame Bildungsreform müssen wir in diesem Hause aufbringen.
({11})
Das Wort hat der Kultusminister des Landes Baden-Württemberg, Professor Hahn.
D. Dr. Hahn, Minister des Landes Baden-Württemberg: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich in die Debatte um die Grundfragen aktueller Bildungspolitik eingreife, so tue ich das aus einer zweifachen Sicht: als Minister eines Landes, das bereits 1964 mit der Verwirklichung eines bildungspolitischen Gesamtkonzepts begonnen hat und als Mitglied der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, in der ich von Anfang an kritisch und zugleich engagiert mitgewirkt habe. Eine doppelte Gefahr bedroht heute die Bildungsreform: die falsche Einschätzung in der Analyse unserer gegenwärtigen Lage und die Utopie der Ziele. Meine Damen und Herren, beides gehört zusammen, beides ist gleich gefährlich, weil jede Illusion den Fortschritt verhindert. Ich will es verdeutlichen. Es ist ein Grundirrtum, zu tun, als beginne die Reform erst heute,
({0})
als sei diese sozialliberale Regierung der Erfinder der Bildungsplanung und die erste auf konkrete Verbesserung drängende Kraft.
({1})
Eine solche Politik verleugnet die Tatsache und verschweigt die Geschichte. Tatsache ist demgegenüber, daß die Länder seit den 60er Jahren die Reformen im Bildungswesen nicht nur proklamierten, sondern schrittweise in die Tat umsetzen, daß Schul- und Hochschulreform nicht erst seit der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 Schwerpunkt der Gesellschaftspolitik sind, daß der Sachverstand von Wissenschaftsrat und Bildungsrat nicht erst seit diesem Zeitpunkt die praktische Politik der Länder bestimmt. Wir sind
nicht bei großen Worten stehengeblieben, sondern bis an die Grenze der finanziellen Leistungsfähigkeit gegangen,
({2})
und zwar um das soziale und regionale Bildungsgefälle abzubauen, um die Zahl der Lehrer zu steigern, um die finanzielle und personelle Ausstattung der Hochschulen zu verbessern und um das Niveau unseres Bildungswesens zu modernisieren. Wer so tut, meine Damen und Herren, als beginne die Reform erst heute, verketzert nicht nur die Leistungen der Vergangenheit, welche die Grundlagen unseres heutigen Wohlstandes sind, er verkennt vielmehr die Ausgangsposition der künftigen Reformen.
Wir können nicht daran vorbei, daß bereits seit Jahren Lehrende und Lernende in dem strapaziösen Prozeß der Veränderung stehen. Der triefgreifende Wandel von Schule und Hochschule beginnt nicht erst morgen, nein, er hat längst begonnen, und wir stehen mitten drin.
Aus der Fehleinschätzung der jetzigen Situation ergibt sich die zweite Gefahr, nämlich die Gefahr der utopischen Ziele.
({3})
Seit 1969 war die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund immer wieder dadurch belastet, daß der Bund und die SPD, Herr Kollege von Dohnanyi, Ziele proklamierten, die sich mehr am Spektakulären und weniger art der Gesamtentwicklung unserer Gesellschaft orientierten.
({4})
Ich selbst habe bereits im Herbst 1970 vor diesem Hohen Hause in einer sehr heftigen Auseinandersetzung mit meinem Freund und dem damaligen Minister für Bildung und Wissenschaft, Leussink, mit allem Nachdruck vor der Gefahr undurchdachter Pläne und utopischer Programme gewarnt. Die SPD hat versucht, mich in der Öffentlichkeit in eine konservative Ecke zu drängen, und zwar nur deshalb, weil ich nachgewiesen habe, daß es völlig unmöglich ist, bis 1980 jedem zweiten Jugendlichen das Abitur und jedem vierten ein wissenschaftliches Studium zu ermöglichen. Wie berechtigt meine Warnung vor den Potemkinschen Dörfern war, die hinter der Fassade des Bildungsberichts der Bundesregierung und dem ersten Entwurf des Bildungsgesamtplans dem deutschen Volk angeküdigt wurden, hat sich inzwischen in der Arbeit der BundLänder-Kommission vielfach bestätigt.
In einem mühsamen Ringen mußten wir Bund und SPD schrittweise von Zielvorstellungen herunterholen, die nach unserer Überzeugung entweder eine Politik der leeren Versprechungen waren oder - falls sie ernsthaft das Handeln bestimmt hätten - zu einer Inflation der Bildung durch die Preisgabe der Qualität und zu einer Einengung anderer wichtiger Aufgaben geführt hätten.
({5})
Hier waren der Bund und die SPD - Herr Kollege
von Dohnanyi, das muß ich doch mit allem Nachdruck feststellen - zunächst durchaus nicht bereit,
Landesminister D. Dr. Hahn
überhaupt die Kostenfrage, geschweige denn, die Finanzierungsfrage in Angriff zu nehmen, und erst in dem Augenblick, in dem ein geheimes Protokoll bekannt gegeben wurde, in dem SPD-Politiker dies als utopisch bezeichnet hatten, entstand die Bereitschaft, sich mit uns über die finanziellen Rückwirkungen zu unterhalten.
({6})
Ich will an fünf Beispielen der Großen Anfrage zeigen, wo die gegenwärtige Bund-Länder-Planung realistisch geworden ist, und wo auch heute noch von seiten der Bundesregierung und der SPD die Utopie als der effektvollere Weg verteidigt wird. Es bedurfte nicht erst der Bildungsgesamtplanung, um uns deutlich zu machen, daß vom Ausbau und der Verbesserung der vorschulischen Förderung die Chancengleichheit im Bildungswesen abhängt. Wir brauchen mehr Kindergartenplätze, wir brauchen mehr und besser ausgebildetes Personal, und wir brauchen vor allem ein altersgemäßes Bildungsangebot in diesem Bereich. Die Länder haben es nicht bei dem verbalen Bekenntnis zur Priorität der vorschulischen Förderung belassen, sondern sie haben gehandelt. Bis 1975 werden rund 120 000 Plätze im Elementarbereich mehr verfügbar sein, als sie überhaupt im Zwischenbericht vorgesehen sind. Dieser realistische Schritt im Ausbau der vorschulischen Förderung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir in der inhaltlichen Ausgestaltung die breiten Erfahrungen der Praxis und den Beitrag der Wissenschaft brauchen. Wir wenden uns dabei allerdings gegen jede Verschulung des frühkindlichen Bereichs, solange keine gesicherten Aussagen über die Grenzen der Belastbarkeit möglich sind. Wir wollen die freie Konkurrenz der Kindergärten in dieser Experimentalphase. Im gesamten Bereich der vorschulischen Förderung muß auch künftig die Verantwortlichkeit der Familie und der freien Träger gesichert bleiben.
({7})
Mit besonderer Genugtuung, meine Damen und Herren, stelle ich fest, daß die ursprüngliche Zielvorstellung der Bundesregierung schon bis 1980 alle Fünfjährigen in Vorklassen einzuschulen, inzwischen aufgegeben wurde und daß sich in der Bund-LänderKommission unsere Auffassung - unsere Auffassung! - durchgesetzt hat, daß eine Euphorie des frühkindlichen Lernens - ich betone: Lernens - noch kein Reformkonzept ist.
Ich habe schon seit langem immer wieder darauf hingewiesen, daß die Innovation des Bildungswesens entscheidend von der Innovation der beruflichen Bildung abhängt. Diese Erkenntnis setzt sich allmählich immer mehr durch und wurde jetzt auch vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft vertreten. Reform der beruflichen Bildung muß aber wie jede Reform an das Bestehende anknüpfen. Wir können nicht in einem ideologischen Wunschdenken z. B. die volle Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung als vorrangiges Ziel verkünden, wie es noch der Bildungsbericht der Bundesregierung getan hat. Eine solche volle Integration ginge eindeutig zu Lasten des Niveaus der beruflichen Bildung.
({8})
Gerade berufliche Bildung verlangt aber höchste Ansprüche.
Es ist daher ein Fortschritt, daß die Bundesregierung ihre ursprünglichen Vorstellungen über die Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung zurückgenommen hat zugunsten der von der CDU immer wieder geforderten kurrikularen Abstimmung. Wir haben in den einzelnen Ländern bereits konkrete Modelle entwickelt, die zeigen, wie berufliche Bildung für die Welt von morgen aussehen muß. Herr Kollege von Dohnanyi, wir sind jedenfalls in Baden-Württemberg als wohl dem ersten Bundesland, das so weit ist, im Schulentwicklungsplan II in ,diesem Augenblick längst in der Verwirklichung begriffen. Das ist eine Bildung in Stufen, die der Mobilität der Arbeitswelt entspricht. Es ist eine Bildung, die an das duale System anknüpft, es aber fortentwickelt, und es ist ein differenziertes Angebot von Teilzeit- und Vollzeitschulen, die nach oben führen. Nur so können wir Chancengleichheit verwirklichen, und nur so können wir eine attraktive Alternative zum Hochschulzugang bieten.
Die Diskussion um den Bildungsgesamtplan war von Anfang an auch ein Ringen um die realistischen Größenordnungen. Hier erinnere ich nochmals an meinen Appell im Oktober 1970 vor diesem Hohen Hause. Ich will nur in wenigen Beispielen noch einmal deutlich machen, in welchem Ausmaß die ursprünglichen Zielvorstellungen des Bundes reduziert werden mußten.
Der Bildungsbericht sah noch eine 50%ige Abiturientenquote vor. Inzwischen sind wir für das Jahr 1980 nicht mehr bei 50%, sondern bei einer Abschlußquote von 20 bis 23 % angelangt.
Im ersten Entwurf des Bildungsgesamtplanes war noch auf Initiative des Bundes vorgesehen, daß bis 1985 60 % der Schüler in Ganztagsschulen betreut werden. Die Erkenntnis über .das personell und finanziell Leistbare hat diese Quote von damals 60 % bis zum fünften Entwurf jetzt auf 15 % sinken lassen.
Der erste Entwurf des Bildungsgesamtplanes ging für den Ausbau der studienbezogenen Bildungsgänge bis 1985 von 25 % eines Altersjahrganges aus. Inzwischen halten wir eine Eingangsquote von 20 bis 22 % und eine Abschlußquote von 15 bis 17 % für realistisch.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung war so notwendig. Sie ist insofern erfreulich, aber nicht etwa, um meine eigenen früheren Feststellungen bestätigt zu sehen, sondern der Sache wegen. Weder den Jugendlichen noch der Gesellschaft würde es nützen, wenn wir ein Heer von Abiturienten oder Akademikern produzierten, die den Anforderungen nicht gewachsen wären oder von der Gesellschaft nicht gebraucht würden. Wir brauchen freilich auch in Zukunft eine expansive Schulpolitik. Diese Expansion muß aber auch qualitativ bewältigt werden.
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Landesminister D. Dr. Hahn
Und in diesem Zusammenhang will auch ich ein Wort zur künftigen Struktur der Schule sagen. Wir sind uns alle darüber einig, daß die Schule der Zukunft eine Schule von hoher Durchlässigkeit, individueller Anpassung und sozialer Integration sein muß. Es ist aber schlichtweg eine Vernebelungsaktion, wenn der Bevölkerung eingeredet wird, allein die integrierte Gesamtschule ermögliche die Erreichung dieser Ziele. Ich erinnere nur an den Dortmunder Gesamtschulkongreß des vergangenen Jahres, auf dem eine tiefe Ernüchterung bei den Vertretern der Gesamtschule eingetreten ist.
({10})
Hier wird immer wieder der Eindruck erweckt, man habe ein Patentrezept, dem sich nur noch einige Bremser widersetzten. Aber wenn man das behauptet, geschieht das völlig unter Absehung von der in Gang befindlichen großen pädagogischen Diskussion, und es ist einfach eine Behauptung, die so in die Welt hineingesetzt wird.
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Hier müssen der Redlichkeit halber die Tatsachen aufgedeckt werden. Tatsache ist, daß wir in den Flächenstaaten, wenn wir die integrierte Gesamtschule einführen wollten, von fünf Schulen vier auflösen müßten.
({12})
Und die Konsequenzen dessen - im Finanziellen,
aber auch im Verkehrspolitischen und im Personellen - sollten Sie sich einmal ganz genau überlegen.
({13})
Tatsache ist, daß die Versuche die Gefahr zeigen, daß sich unter dem Mantel der integrierten Gesamtschule eine neue Chancenungleichheit einschleicht
({14})
und daß anstelle der Sozialisation der Kinder eine neue Gruppenbildung oder eine ganz große Vereinzelung der Kinder eintritt und gerade nicht die soziale Integration.
({15})
Meine Damen und Herren, Tatsache ist, daß die Frage der Gesamtschule zunächst - das ist allerdings festzuhalten - kein gesellschaftspolitisches, sondern ganz zuerst einmal ein pädagogisches und auch durchaus ein organisatorisches Problem ist. Ich bedaure, daß ich jetzt nicht auf die pädagogischen Fragen eingehen kann; ich würde darüber gern eine stundenlange Debatte mit den hier Anwesenden führen; denn das, was hier vorhin über die Erfahrungen mit der Gesamtschule gesagt worden ist, stimmt in keiner Weise mit den Tatsachen und den Erfahrungen auf Grund der Versuche, die auf diesem Gebiet durchgeführt werden, überein. Der Überblick über die Entwicklung auf dem internationalen Feld gleicht etwa dem Überblick, wie er über die Störungen an den Hochschulen, die nach Prozenten gemessen wurden, gegeben worden ist.
({16})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
D. Dr. Hahn, Minister des Landes Baden-Württemberg: Bitte schön!
Haben Sie im OECD- Bericht gelesen, daß dort gesagt wird, die Entscheidung zur Gesamtschule sei eine politische, eine gesellschaftspolitische?
({0})
D. Dr. Hahn, Minister des Landes Baden-Württemberg: Ja, aber ich muß das eine sagen: dieser außerordentlich oberflächliche Bericht der OECD, der einer wissenschaftlichen Prüfung in gar keiner Weise standhält,
({1})
ist für mich keineswegs ein Maßstab für diese Dinge, ganz abgesehen davon, daß ich nicht glaube, daß das eine politische Entscheidung ist. Für mich sind schulpolitische Fragen zunächst einmal am Menschen orientiert, und das heißt, es sind pädagogische Fragen.
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Ich will damit nicht, wie manche mir voreilig unterstellen möchten, die heutigen Strukturen um jeden Preis verteidigen. Das wäre auch eine Utopie, meine Damen und Herren. Wir brauchen und da stimme ich völlig mit Ihnen überein, Herr von Dohnanyi - ein langfristiges Schulkonzept, das besser ist als das heutige. Schule ist ein Stück Leben; sie muß sich deshalb entwickeln. Aber gerade deshalb brauchen wir eine offene und nicht eine bereits durch die Ideologie festgelegte Reform,
({3})
eine Reform, die sich den pädagogischen, wissenschaftlichen, organisatorischen und finanziellen Argumenten stellt, die ihre Ernsthaftigkeit in einem pluralistischen und nicht einseitigen Experimentarprogramm nachweist, eine Reform, die nicht durch Spekulationen über die Schulform des Jahres 2000 von den Schwierigkeiten des Schulalltags von heute ablenkt. Ich habe schon wiederholt betont: wo nur mehr Lehrer, mehr Klassenräume, neue Lehr- und Bildungspläne und die Erfahrung gezielter Versuche helfen können, dürfen wir nicht mit der Gesamtschulhoffnung vertrösten. Hier hilft nur die mühsame Fortführung der längst in den Ländern eingeleiteten Reformen. Die Arbeit in der BundLänder-Kommission deutet allerdings darauf hin, daß sich der Bund und die SPD stillschweigend von ihrem ursprünglich gemeinsam mit uns in Angriff genommenen Experimentarprogramm lossagen, ohne die pädagogischen Erfahrungen abzuwarten, ohne der wissenschaftlichen Auswertung der verschiedenen Modelle eine Chance zu lassen und ohne sich
Landesminister D. Dr. Hahn
darum zu kümmern, daß sich das Versprochene nicht halten läßt.
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Lassen Sie mich ein letztes Beispiel nennen, das zeigt, wie stark die Bildungsreform gegenwärtig blockiert wird, durch den Mangel an einem realistischen Konzept der Bundesregierung in der Hochschulpolitik nämlich. Zwar hat die Grundgesetzänderung von 1969 den Weg zur gemeinsamen Hochschulplanung von Bund und Ländern eröffnet; aber was ist aus dieser Möglichkeit bisher geworden? Die Bundesregierung kam über Versprechungen nicht hinaus. Die Länder und ihre Hochschulen sind weitgehend alleingelassen worden; den Thesen sind keine Taten gefolgt.
Ich will es verdeutlichen: Monatelange Auseinandersetzungen waren nötig, um die Vertreter der SPD und des Bundes in der Bildungsgesamtplanungskommission davon zu überzeugen, daß sich die künftige Organisationsform der Gesamthochschulen nicht einseitig auf die integrierte Gesamthochschule festlegen läßt. Das Konzept der Gesamthochschule wurde, lange bevor es die Bundesregierung übernommen hat, in Baden-Württemberg entwickelt. Von Anfang an haben wir darauf hingewiesen, daß diese Gesamthochschulentwicklung pluralistisch angelegt sein muß. Im Mittelpunkt steht nicht das Organisatorische, sondern das inhaltlich Qualitative. Schließlich haben sich der Bund und die SPD einstimmig unserer Vorstellung sowohl im Planungsausschuß als auch in der Bildungsplanungskommission angeschlossen. Inzwischen müssen wir mit großer Überraschung feststellen, daß bei den Beratungen um das Hochschulrahmengesetz der SPD von diesen Kompromissen plötzlich nichts mehr wissen möchte.
Die Beratungen um das Hochschulrahmengesetz zeigen ein weiteres. Diese sozialliberale Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben zwar eine Vielzahl hochschulpolitischer Meinungen, es fehlt aber ein gemeinsames Konzept.
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Solange hier keine klare Linie ersichtlich ist, muß die Reform auf der Strecke bleiben. Verbale Kompromisse genügen eben hier nicht. Solange die Bundesregierung nicht bereit und in der Lage ist, im Rahmen ihrer Kompetenzen die Freiheit von Forschung und Lehre zu schützen, die Studienreform voranzutreiben und ein wirksames Instrumentarium der inneren Reform zu garantieren, so lange muß in diesem Bereich ihr Versagen festgestellt werden.
Nun zur Finanzierung der Planung. Trotz aller ungelösten und kontroversen Fragen in der gemeinsamen Bildungsplanung von Bund und Ländern - es muß sehr deutlich gesagt werden, daß der Zwischenbericht natürlich jetzt von Bund und Ländern erarbeitet worden ist - sehe ich in dem bisher Erreichten eine brauchbare Basis für weitere gemeinsame Arbeit. Allerdings handelt es sich noch nicht um den wirklichen Bildungsbericht, Herr Kollege von Dohnanyi, sondern um einen Zwischenbericht. Darauf haben wir uns in der Bund-Länder-Kommission sehr deutlich geeinigt. Das muß doch hier noch einmal ausgesprochen werden. Diese Kooperation sollten wir auch wirklich fortsetzen, da in Zukunft nur eine abgestimmte Bildungsreform Erfolg haben kann. Eine entscheidende Feststellung läßt sich aber bereits heute treffen. Selbst ein Minimalprogramm der Bildungsreform übersteigt die gegenwärtige Finanzausstattung der Länder. Wenn beispielsweise in Baden-Württemberg der Anteil des Kulturhaushaltes im Jahre 1972 bereits auf 32 % klettert, dann wird deutlich, daß hier keine Steigerung mehr möglich ist. Hier helfen wohlgemeinte Appelle an die Länder genausowenig wie die Drohung mit einer generellen Bundeskompetenz, die manchmal in der Öffentlichkeit ausgesprochen wird. Wir sollten doch wohl nicht vergessen, daß bisher der Bund nur 11,7 % der Bildungsausgaben aufbringt und die Länder mit den Gemeinden zusammen 88,3 %. Wir sollten vor allen Dingen nicht vergessen, daß nur 23 % die Investitionen im Hochschulwesen betreffen, an denen sich ja der Bund beteiligt, während die Folgekosten allein 77 % ausmachen und völlig auf den Ländern liegen. Hier hilft in der Tat nur eine Finanzausstattung, die der verfassungsmäßigen Aufgabenverteilung entspricht. Im Bereich der Finanzausstattung muß der Bund beweisen, daß es ihm mit dem bildungspolitischen Programm und dem Föderalismus ernst ist. Das Zugestehen von 5 % mehr bei der Umsatzsteuer Sie wissen, daß auch die SPD- Länder der gleichen Meinung sind - genügt hier in gar keiner Weise, um so weniger wenn wir gleichzeitig 6 % Preissteigerungen haben, die sich im Investitionssektor sehr stark auswirken.
({6})
Was ist bildungspolitisch notwendig? Die eingeleiteten Reformen lassen kein Zögern zu. Wir brauchen ein klares Aktionsprogramm, für das ich folgende vier Punkte nennen möchte.
Erstens. Wir brauchen eine zielstrebige, konsequente und realistische Reformpolitik.? Diese Reformpolitik muß das Ganze sehen und darf sich keine illusionären Ziele setzen
Zweitens. Wir brauchen ein klares Schwerpunktprogramm, das aus der Fülle des Wünschbaren Prioritäten setzt. Ich freue mich, daß die Bund-Länder-Kommission diese meine Anregung für ein Prioritätenprogramm inzwischen auch wirklich aufgegriffen hat. Zu diesen Prioritäten gehören - dabei sage ich das gleiche, was Herr Kollege Hermesdorf vorhin schon gesagt hat - vor allem die vorschulische Förderung, der Abbau des Lehrermangels, die Verbesserungen der beruflichen Bildung, die Einführung der Orientierungsstufe, die Orientierungsreform sowie der gezielte Abbau des Numerus clausus. Wir brauchen hier nicht neu zu beginnen, sondern können an die bereits in den Ländern eingeleiteten Maßnahmen anknüpfen.
Drittens. Die Reform kann nur gelingen, wenn wir geschlossen jede Radikalisierung im Bildungswesen abwehren.
({7})
Wir dürfen nicht zulassen, daß Schule und Hochschule zum Tummelplatz von Gesellschaftsrevolutionären werden, denen es nur um ein Ziel geht: um
Landesminister D. Dr. Hahn
die Beseitigung der demokratischen Grundordnung. Jede Bagatellisierung wäre hier unverantwortlich. Die Demokratie müßte handlungs- und reformunfähig werden, wenn sie verängstigt und tatenlos zusähe, wie sich einzelne Gruppen über die Spielregeln und Verantwortlichkeiten der parlamentarischen Grundordnung hinwegsetzen.
Viertens. Alle Reformen sind nicht nur um ihrer selbst willen da, sondern sollen der Leistungssteigerung des Bildungswesens dienen. Es wäre ein Verbrechen an der Jugend und an der Gesellschaft, wenn wir ihnen vorgaukelten, ein reformiertes Bildungswesen könne auf persönliche Anstrengungen des einzelnen und auf Höchstleistungen der Gesamtheit verzichten. Es ist unserer Generation aufgegeben, bisher unbekannte Aufgaben im Bereich des Sozialen, des Umweltschutzes und der Industrialisierung zu lösen. Das wird uns nur gelingen, wenn neue Bildungsstrukturen neue Leistungen ermöglichen. Diesem Ziel müssen Gruppeninteressen untergeordnet werden. Im Interesse des Ganzen lassen sich Bildung, Leistung und Freiheit nicht voneinander trennen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Die heutige Debatte scheint meiner Fraktion der richtige Zeitpunkt zu sein, nicht nur eine inhaltliche Würdigung des Zwischenberichts zum Bildungsgesamtplan vorzunehmen, sondern diesen Zwischenbericht auch in den Gesamtrahmen der Bildungspolitik zu stellen. Wenn ich mir allerdings den Debattenbeitrag, den hier Herr Minister Hahn geleistet hat, vor Augen führe und wenn ich vor allem die polemischen Passagen dieses Debattenbeitrages sehe, dann meine ich, er ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine bildungspolitische Diskussion eben gerade nicht geführt werden sollte. Denn da war von einem Heer von Abiturienten und Akademikern ohne Verwendungsmöglichkeit die Rede, es wurde davon gesprochen, daß etwa die integrierte Gesamtschule in den Flächenstaaten die Auflösung von vier Schulen von fünf insgesamt bedeute, und es wurde von utopischen Zielsetzungen gesprochen. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine bildungspolitische Diskussion nicht geführt werden sollte.
({0})
Es ist ein Musterbeispiel dafür, wie durch derartige Schlagworte gerade draußen im Lande der Eindruck verstärkt wird, diese Bildungspolitik befinde sich in einer hoffnungslosen Lage und es lohne sich nicht mehr, sich für diese bildungspolitischen Auseinandersetzungen zu interessieren und nach neuen Wegen zu suchen. Diese plakative Darstellung verleitet mich wirklich zu dem Wort - ich erinnere mich an das Sprichwort und möchte es mit aller Vorsicht hier anwenden -: „Kräht der Hahn auf dem
Mist, bleibt die Schule wie sie ist." Das ist ein Sprichwort.
({1})
Ich meine, es lohnt sich durchaus, sich konkret auch mit der Bildungspolitik in Baden-Württemberg auseinanderzusetzen. und etwa daran zu erinnern, daß in diesem Lande Baden-Württemberg, wo die CDU ja seit einigen Jahren versucht, Bildungspolitik zu machen,
({2})
zwei Vorschulversuche existieren, daß es das zehnte Schuljahr in diesem Lande nicht gibt und daß es keine einzige Fachoberschule gibt.
({3})
Auch das gehört, glaube ich, zu dem Bilde, das man in einer bildungspolitischen Diskussion nach diesem Diskussionbeitrag des Herrn Hahn einmal erwähnen sollte.
({4})
Ich glaube auch nicht, Herr Kollege Hermesdorf, daß es uns wesentlich weiterführt, wenn in den Debatten etwa durch Ihren Beitrag zur Haltung der FDP die Behauptung aufgestellt wird, es handle sich bei den bildungspolitischen Zielvorstellungen der FDP um eine Profilneurose, mit der sie sich gegenüber der SPD abgrenze. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie sich in Ihrer Partei einmal über die Sprachregelung verständigten,
({5})
wie Sie die FDP klassifizieren wollen. Denn noch vor wenigen Wochen haben die Kollegen Gölter und Pfeifer der FDP vorgeworfen - das wurde genüßlich in der „Welt" abgedruckt -, die FDP segle bildungspolitisch völlig im Fahrwasser der SPD und habe jedes eigene Gesicht verloren.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Augenblick noch! - Sie würden es uns wirklich erleichtern, wenn Sie von der bei Ihnen allerdings sehr ausgeprägten Praxis abgehen könnten, den gleichen Tatbestand mit einander widersprechenden Äußerungen zu charakterisieren. Ich glaube nicht, daß uns das im Endergebnis wesentlich weiterführt. - Bitte!
Herr Grüner, würden Sie die Freundlichkeit haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Feststellung, die FDP treibe eine Politik der Abgrenzung und des Profils gegenüber der SPD, von uns einem Aufsatz von Prof. Dr. Ulrich Lohmar entnommen worden ist, und würden Sie bereit sein, einmal zu erklären, warum Sie im Ministerium Frau Hamm-Brücher abberufen, ohne
sie zu ersetzen, so daß Sie also völlig verantwortungslos im ursprünglichen Sinne des Wortes hier Kulturpolitik zu machen versuchen?
({0})
Herr Dr. Martin, es ist Ihnen, glaube ich, völlig entgangen, daß ich die negative Charakterisierung der Haltung der FDP im Sinne einer Profilneurose hier angesprochen habe, daß ich mich aber nicht gegen die Feststellung zur Wehr zu setzen habe, daß die FDP als liberale Partei ihre eigenen bildungspolitischen Vorstellungen mit großem Nachdruck vertritt. Das ist der entscheidende Unterschied.
({0})
Und wenn schon in dieser Debatte Ideologien angesprochen werden, möchte ich sagen: Ich glaube, daß gerade die liberale Partei mehr als die beiden anderen Parteien in diesem Hause für sich in Anspruch nehmen kann, Bildungspolitik mit Vernunft und nicht an ideologischen Grundsätzen ausgerichtet zu betreiben.
({1})
- Die Frage des Ausscheidens vo Frau Dr. HammBrücher ist in diesem Hause öfters sehr eingehend diskutiert worden. Sie wissen, daß Frau Dr. HammBrücher von Anfang an diese Absicht gehabt hat,
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daß sie ihr Wahlversprechen in Bayern einzulösen hat. Die Frage des Ersatzes von Frau Dr. Hamm-Brücher in diesem Amt muß noch zwischen den Koalitionspartnern geklärt und entschieden werden. Ich füge gleich hinzu: Persönlich bin ich der Meinung, daß der Ersatz nicht durch ein FDP-Mitglied erfolgen sollte. Das ist meine persönliche Meinung; die endgültige Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen.
({3})
- Weil ein beamteter Staatssekretär nach meiner persönlichen Meinung in einem solchen Ministerium in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit keinesfalls das politische Profil gewinnen kann, das wir mit der Besetzung der Position eines beamteten Staatssekretärs durch Frau Dr. Hamm-Brücher, wie der hier vorliegende Bildungsgesamtplan zeigt, mit Erfolg erreicht haben.
({4})
Das ist meiner Ansicht nach in der kurzen Zeit durch einen beamteten Staatssekretär nicht zu leisten - um hier einmal ganz offen meine persönliche Meinung zu diesem Thema zu sagen.
({5})
- Das ist aus meinen Worten wohl auch hervorgegangen.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß die im Zwischenbericht formulierten gemeinsamen Grundsätze des Bundes und aller Länder einen wichtigen Schritt für die Bildungspolitik der kommenden eineinhalb Jahrzehnte darstellen. Der Zwischenbericht ist zugleich ein Zeugnis dafür, was mit der 1969 erfolgten Grundgesetzänderung in Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern erreicht werden kann. Er zeigt jedoch gleichzeitig auf, welche Grenzen der bisherigen Praxis des Art. 91 b des Grundgesetzes gesetzt sind.
Im Zwischenbericht selbst ist die Rede von Meinungsverschiedenheiten in grundlegenden Fragen. Diese Meinungsverschiedenheiten gehen vor allem darauf zurück, daß die Regierungskoalition auf der einen und die Opposition auf der anderen Seite sich zwar in vielen Punkten zu gemeinsamen Reformzielen bereitgefunden haben, aber insbesondere in der Ausgestaltung der Organisationsform und ihrer Verwirklichung sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Darüber hinaus ist im Zwischenbericht in einigen Punkten aus der Sicht der FDP eine erhebliche Verwässerung der ursprünglichen bildungspolitischen Vorstellungen festzustellen, auf die ich nur beispielhaft eingehen kann.
Der Bund-Länder-Kommission war die Aufgabe gestellt worden, einen langfristigen Rahmenplan zu entwickeln. Das ist nur unvollkommen geschehen. Hauptsächlich ist dafür der teilweise aktive und teilweise passive Widerstand der CDU/CSU-regierten Länder verantwortlich.
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Dadurch ist der jetzt vorgelegte Plan trotz einer Reihe begrüßenswerter Grundsatzentscheidungen für manche Länder in einzelnen Punkten kein langfristiger Rahmenplan mehr; denn wesentliche Einzelmaßnahmen werden dort schon verwirklicht. Lassen Sie es mich auf einen Nenner bringen: Für einen langfristigen Rahmenplan ist dieser Plan zu zaghaft, und für eine langfristige Politik gibt er zu wenig her. Ich möchte mich zwar nicht der Befürchtung anschließen, aber doch immerhin darauf hinweisen, daß es ernst zu nehmende Stimmen gibt, die es sogar für möglich halten, daß hier der Grundstein für einen Bildungsrückstand der Bundesrepublik in den kommenden Jahrzehnten gelegt wird. Also die Richtung stimmt, aber die Füllung ist zu dürftig.
Betrachten wir etwa die Frage der Chancengleichgleichheit. Dieser Grundsatz liegt uns Freien Demokraten, wie Sie wissen, ganz besonders am Herzen. Wir müssen es deshalb als einen unglücklichen Kompromiß empfinden, daß man die Frage offenließ, ob der Besuch der Eingangsstufe für Fünfjährige obligatorisch sein soll oder nicht. Wir meinen, daß man die beabsichtigte Wirkung einer Eingangsstufe geradezu auf den Kopf stellt, wenn man durch eine oberflächliche Freiwilligkeit doch nur wieder einem Teil der Eltern neue Möglichkeiten für ihre Kinder eröffnet, statt für die eigentlich betroffenen Benachteiligten entschlossen die Barrieren wegzuräumen. Wir treten also klar für den obligatorischen Besuch
der Eingangsstufe ein und sind im übrigen der Meinung, daß sie unbedingt der Primarstufe zugeordnet werden müßte, was der Zwischenbericht aus den uns allen bekannten und auch hier wieder sichtbar gewordenen Gründen ebenfalls zaghaft in der Schwebe läßt.
Wir begrüßen, daß die Regierungsseite in der Bund-Länder-Kommission auf die Forderung der CDU/CSU-Länder, die eine Dreiklassenstruktur der diversen Schultypen auch für die Orientierungsstufe erreichen wollten, nicht eingegangen ist. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß alle Schüler unbedingt in einer gemeinsamen Orientierungsstufe vereint sein müssen ohne irgendwelche Unterschiede nach etwaigen Schulformen. Im Grunde - lassen Sie mich das etwas polemisch sagen - wundert man sich, daß die Opposition nicht auch eine dreigefächerte Primarstufe verlangt.
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Was den Sekundarbereich I betrifft, so sind wir der Meinung, daß er als integrierte Gesamtschule angelegt sein muß. Die FDP hat dazu kürzlich in einem Ausformungsvorschlag in Gestalt der Offenen Schule Vorstellungen entwickelt und in ihren „Leitlinien einer liberalen Bildungspolitik" vorgelegt. Die Einführung der integrierten Gesamtschule sollte in einem Dreistufenplan schrittweise erfolgen. Bedeutsam bleibt vor allem die Sicherung einer allgemeinen wissenschaftsorientierten Grundbildung für alle Schüler und die Vermeidung einer vorzeitigen Festlegung auf ganz bestimmte weiterführende Bildungsgänge. Deshalb wollen wir ein Berufsgrundbildungsjahr nicht als 10. Schuljahr im Sekundarbereich I, sondern als 11. Schuljahr. Damit würde nämlich den Schülern bereits vor Abschluß des Sekundarabschnitts I eine Festlegung auf ganz bestimmte Bildungsgänge nahegelegt werden. Diese Einengung zu so frühem Zeitpunkt halten wir nicht für richtig. Berufliche Spezialisierung sollte vielmehr erst im Sekundarbereich II einsetzen. Im übrigen ist die FDP nicht bereit, von der grundsätzlichen Forderung nach einer zehnjährigen allgemeinen Bildung für jedermann abzugehen, ganz abgesehen davon, daß diese Forderung für manches Bundesland schon so gut wie vollständig verwirklicht ist.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Punkt herausgreifen, bei dem wir nicht glücklich sind, daß er im Verlauf der Verhandlungen in der Bund-Länder-Kommission ebenfalls von einer Verwässerungstendenz erfaßt worden ist. Wir bedauern es jedenfalls, daß im Zwischenbericht nun nicht mehr von einer Integration der beruflichen und der allgemeinen Bildung die Rede ist, sondern daß statt dessen lediglich von „curricularer Abstimmung und Verzahnung" gesprochen wird; denn wir wollen endlich einmal eine tatsächliche Gleichstellung der berufspraktischen und der schulischen Ausbildung erreichen. Wir sind der Meinung, daß hier eine ernsthafte Anstrengung im Sinne eines langfristigen Rahmenplans erforderlich ist.
Meine Damen und Herren, meine kritischen Anmerkungen zu einigen der für uns wesentlichen
Punkte - ich wiederhole es - bedeuten keineswegs, daß wir die positiven Aspekte des Zwischenberichts verkennen. So begrüßen wir ausdrücklich ,das immerhin erkennbare Ziel, die bestehenden Grenzen zwischen allgemeinem und beruflichem Bildungswesen abzubauen, die Betonung des Anspruchs des einzelnen auf Entfaltung seiner Begabung und seiner Fähigkeiten, das Recht auf Mitsprache im Bildungswesen für betroffene Gruppen sowie Schulträger und Öffentlichkeit, die Betonung von Chancengleichheit und Leistung, die in bezug auf Kreativität, Spontaneität, Mündigkeit und Selbstbestimmung gesehen wird, und manches andere mehr. In den FDP-Leitlinien einer liberalen Bildungspolitik haben wir gerade zu diesem Bereich eingehend Stellung genommen.
Zusammenfassend läßt sich aus der Sicht meiner Fraktion sagen, daß der Zwischenbericht der BundLänder-Kommission zeigt, daß Bund und Länder schon auf einem richtigen Wege sind. Ob es allerdings der einzig gangbare und beste Weg ist, das ist leider nicht mehr so gewiß nach zweijährigen Erfahrungen mit einem oft mißverstandenen Föderalismus einerseits, konservativer Unbeweglichkeit andererseits und allzu großer Kompromißbereitschaft mancherseits. Wer unter Gemeinsamkeit nichts als das Eingehen auf den kleinsten Nenner, auf die zaghaften Schrittchen der CDU/CSU versteht, wer, unfähig zur Weiterentwicklung, lieber beim Alten verharrt, kann den seit Jahrzehnten verfahrenen Karren der Bildungs- und Ausbildungsverhältnisse bei uns nicht aus dem Dreck ziehen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich habe hier Kritik am Zwischenbericht geübt, und es besteht kein Zweifel daran, daß der Hauptadressat dieser Kritik die CDU/CSU sein muß. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, machen sich bei ihrer Kritik insbesondere die schwache Kompetenz des Bundes zunutze. Ich habe schon auf einige Entwicklungen in Bundesländern hingewiesen, und ich will es mir verkneifen, noch auf die bayerischen Impressionen einzugehen, die neuerdings - ({9})
- Das Land der Professoren, in dem nun schlicht und ergreifend die alte Ordinarienuniversität wieder etabliert werden soll, indem also Augsburg zum Maß aller Dinge gemacht wird, wenn es nach den Plänen des bayerischen Kultusministers geht.
Ich möchte Ihnen auch heute Einzelheiten aus dem Wirrwarr der verschiedenen Bildungsgremien ersparen und nur kurz feststellen, daß man unserer Auffassung nach in der Bundesrepublik nicht in der Lage ist, die wirklich wichtigen Entscheidungen im Bildungsbereich verbindlich und für alle überschaubar zu treffen. Dabei geht es im Augenblick nicht um Fragen des Inhalts dieser Bildungspolitik, sondern es geht dabei gerade auch um die Frage, wie die Gremien beschaffen sind, wie die Entscheidungsmechanismen ablaufen und wie die Verbindlichkeiten solcher Entscheidungsmechanismen ausgestaltet werden.
Ich glaube, alle, die ein Bürgerrecht auf Bildung ernstzunehmen gewillt sind, sind sich darin einig, daß die gegenwärtige Lage in diesem Bereich unbefriedigend ist. Der Zwischenbericht packt wichtige Fragen an; aber diese Entscheidungen sind ja nur Empfehlungen für die Länder, und sie können darüber hinaus nichts bewirken, wenn nicht der politische Wille, diese Empfehlungen zu akzeptieren, tatsächlich Grundlage der Politik in den Ländern wird.
In der Enquete-Kommission für Verfassungsreform ist man noch zu keinem abschließenden Ergebnis im Hinblick auf Kompetenzregelungen im Bildungswesen gekommen. Trotzdem scheint mir bereits hinlänglich deutlich zu sein, daß die Kompetenzen des Bundes im Bildungswesen nach der derzeitigen Verfassungslage noch nicht voll ausgeschöpft sind und daß darüber hinaus grundlegende Änderungen notwendig sind, wie sie von der FDP seit langem gefordert werden.
Zum ersten möchte ich auf den allgemein anerkannten Verfassungsrechtler Theodor Maunz verweisen, der der Meinung ist
({10})
- ja, das ist mir bekannt; deshalb zitiere ich ihn, weil ich hoffe, damit einigen Eindruck bei Ihnen zu machen ,
({11})
daß die neuen Kompetenzen des Bundes nicht ausgeschöpft sind. Er hat zwar nicht den Wunsch, daß das geschieht; aber er stellt es immerhin als Verfassungsrechtler fest, und das hat mich in meiner Auffassung bestärkt, daß hier noch manches getan werden kann.
({12})
Andere Experten sind ebenfalls dieser Meinung und vertreten die Auffassung, daß auch bei der gegebenen Verfassungslage weitere Möglichkeiten für den Bund bestünden, seine Kompetenzen in wirkungsvollerer Weise auszuschöpfen.
({13})
So heißt es z. B. in einem Gutachten:
Die nähere rechtliche Untersuchung der neuen Verfassungsnorm des Art. 91 b ergibt, daß hiermit ein durchaus ansehnliches Wirkungsfeld für die vertragliche Bund-Länder-Zusammenarbeit in den breiten Sachbereichen der Bildungsplanung ({14}) und der überregionalen Forschungsförderung geschaffen worden ist. Art. 91 b eröffnet
- nach Meinung dieses Gutachters regelmäßig sehr flexible, den Einzelfallbedürfnissen des jeweilig beteiligten Kreises gut anpaßbare Gestaltungsmöglichkeiten, sowohl in rechtlich-organisatorischer als auch in finanzieller Hinsicht.
Das erwähnte Gutachten weist aber gleichzeitig auch auf die Crux dieser ganzen Überlegungen hin.
Der wahre Prüfstein für einen Erfolg des Zusammenwirkens von Bund und Ländern im Rahmen des Art. 91 b liegt allerdings im politischen Willen der Beteiligten.
Meine Damen und Herren, hier liegt wirklich der Kern des Problems. Gewiß hätte der Bund die theoretische Möglichkeit, beispielsweise eine andere Zusammensetzung und eine andere Stimmenverteilung in der Bund-Länder-Kommission anzustreben oder sich auch weitere Gemeinschaftsaufgaben auszudenken. Nach Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes wäre der Bund z. B. auch berechtigt, ein Forschungsförderungsgesetz zu erlassen, obwohl die Förderung der Forschung heute nur durch Vertrag mit den Ländern geregelt ist. Dies alles nützt jedoch sehr wenig, so scheint uns, insbesondere da bei Gemeinschaftsaufgaben schon das Ausscheren weniger Beteiligter jegliches Weiterkommen erschwert. Ich halte es für wichtig, diese Gedanken gerade bei einer Diskussion über das Ergebnis des Zwischenberichts einmal auszusprechen.
Die FDP ist der Ansicht, daß die Notwendigkeit, einheitliche Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik zu gewährleisten, und die enge Verzahnung der Bildungspolitik mit der Sozial-, der Wirtschafts- und der Europapolitik ({15}) zumindest eine Grundsatzkompetenz des Bundes für das gesamte Bildungswesen oder eine Bundesrahmenkompetenz erfordern. Lassen Sie mich diese These noch etwas weiter ausführen.
Angesichts der vordringlichen Notwendigkeit einer Reform und eines Ausbaus des Bildungswesens muß die Verteilung der Gesetzgebungs-, Planungs-, Verwaltungs- und Finanzierungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, aber auch bei den Kommunen, Landkreisen und Selbstverwaltungsinstitutionen, von Grund auf überdacht werden. Die Verwirklichung der bildungsbezogenen Grundrechte auf einheitliche Lebensverhältnisse in allen Teilen der Bundesrepublik macht Grundentscheidungen für das ganze Bildungswesen erforderlich, die mehr denn je gesamtstaatlich zu treffen und zu verantworten sind. Die enge Verzahnung der Bildungspolitik vor allem mit der Sozial-, Wirtschafts- und Außenpolitik kann sich nur dann zum Nutzen aller Bereiche auswirken, wenn dem Bund ein stärkerer Einfluß zugestanden wird, als ihm die vorhandenen partiellen Kompetenzen für die nichtschulische Berufsausbildung, für die berufliche Weiterbildung, für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens sowie für die Ausbildungsförderung gewähren.
Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß sich die 1969 entgegen unserem damaligem Votum im Grundgesetz verankerten Gemeinschaftsaufgaben des Hochschulbaus und der Bildungsplanung in der bisherigen Praxis nicht se bewährt haben, daß sie auf absehbare Zeit unverändert beibehalten werden sollten. Die zur umfassenden Reform notwendigen klaren politischen Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden.
Der Wirrwarr der undurchsichtigen administrativen Planung, die für die Parlamente in Bund und
Ländern unverbindlich ist, läßt es nicht zu, politische Verantwortung für bestimmtes Handeln oder Unterlassen sichtbar zu machen. Ich meine, auch diese Debatte ist ein Beispiel dafür. Das gilt insbesondere für den Beitrag des Kultusministers Hahn, wenn er etwa darüber klagt, daß die Länder vom Bund in der Hochschulpolitik im Stich gelassen würden, obgleich er doch weiß, daß für die Hochschulpolitik eben die Länder zuständig sind und all das, was hier beklagt wird, angesichts der gegebenen sehr bescheidenen Rahmenkompetenz, die wir im Hochschulbereich haben - und die wir ja erst seit 1969 haben -, Sache der Länder ist.
Der vielbeschworene kooperative Föderalismus bedeutet in seiner derzeitigen Ausprägung nicht nur ein Defizit an Demokratie, er verbaut auch die Zukunft des in eine europäische Integration hineinwachsenden Gesamtstaates.
({16})
An diesem Tatbestand würde auch eine Neugliedederung der Länder, auf die wir manche Hoffnungen setzen, nicht allzuviel ändern können.
Nach Ansicht der FDP ist es unumgänglich, aus den gesammelten Erfahrungen die Konsequenz zu ziehen und bei einigen Zuständigkeiten und Entscheidungsstrukturen ebenso sachgerecht wie dauerhaft klärende Änderungen des Grundgesetzes ins Auge zu fassen. Dazu gehört ohne übermäßige Zentralisierung, wie ich schon sagte, mindestens eine Grundsatzkompetenz des Bundes für das Bildungswesen und möglicherweise eine darüber hinausgehende Rahmenkompetenz für das gesamte Bildungswesen.
Nun noch zu einem anderen Fragenkomplex, den zu erwähnen ich für unerläßlich halte. Ich meine die Kosten und die Finanzierung des Bildungswesens. Hier gilt es, eine Fülle falscher Vorstellungen zurechtzurücken oder doch mindestens in Frage zu stellen, die oft auf einer allzu schmalen Basis entwickelt worden sind und mitunter nichts anderes als Interessenbekundungen bestimmter Gruppen im Gewande wissenschaftlicher Analysen sind.
Ich erinnere an die kürzliche Äußerung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der nach meiner persönlichen Meinung mit dankenswerter Klarheit betont hat, daß der Anteil des Bildungswesens am Bruttosozialprodukt im Jahre 1980 8 % betragen sollte. Das sind Zahlen, Überlegungen, die auch von der Freien Demokratischen Partei in der Gesamttendenz geteilt werden, ohne daß wir uns im einzelnen auf einen Prozentsatz festlegen.
Solche Zahlen verführen viele, die ihr Zustandekommen nicht kennen oder zeitweilig übersehen und die auch mit solchen Wachstumsraten zum Teil polemisch argumentieren, von der Maßlosigkeit der Bildungspolitiker zu sprechen. Lassen Sie mich gerade zu diesem Aspekt einige Bemerkungen machen, weil ich eine ungeheure Gefahr darin sehe, daß gerade mit der Kritik an der Bildungsfinanzierung die Axt an die Wurzel der Möglichkeiten für die Weiterentwicklung unseres Bildungswesens gelegt wird, weil eine Fülle von Mißverständnissen und Besorgnissen erregt wird, die nur zum Teil auf der wirklichen Kenntnis der Sachlage beruhen.
Zunächst einmal ist ganz allgemein die Frage zu erörtern, ob eigentlich der künftige Bedarf der Wirtschaft an Bildung vorhersehbar und voraussagbar ist. Ich möchte hier die grundsätzliche Frage beiseite lassen, wie sich eigentlich das Bürgerrecht auf Bildung mit einem Bedarfsansatz in Einklang bringen läßt. Diese Frage verliert außerdem an Bedeutung,' wenn man folgende Überlegungen anstellt.
Nachdem Bildung jahrhundertelang eigentlich als eine Art Luxus- und Konsumgut angesehen worden ist, hat sich diese Betrachtungsweise in letzter Zeit in ihr Gegenteil verkehrt. Besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung wird der Hauptzweck der Bildung nahezu ausschließlich in der Vorbereitung auf die berufliche Leistung gesehen, in Berechtigungsscheinen, die den Eintritt in bestimmte Berufsstellungen ermöglichen sollen.
Dazu muß jedoch gesagt werden: Auch wenn das Wachstum der Wirtschaft zu den wichtigsten Zielen der Gesellschaft gehört, bleibt es doch sehr zweifelhaft, ob eine einseitig auf den beruflichen Bedarf hin geplante Bildung diesem Zweck, nämlich der Steigerung des Wirtschaftswachstums, überhaupt entsprechen kann.
Kenner, die die Vorausberechnungen solchen Bedarfs versucht haben und noch versuchen, stimmen darin überein, daß wir keine auch nur annähernd befriedigenden Urteilsgrundlagen besitzen, um den Bildungsbedarf in den einzelnen Berufsrichtungen oder gar die in den Berufen benötigten speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten langfristig vorhersagen zu können.
({17})
Schon mittelfristig sind solche Vorausschätzungen mit großen Zweifeln belastet. Die Veränderungen in den Berufsanforderungen vollziehen sich so schnell, daß eine Bedarfsvoraussage auf der Grundlage der in der Vergangenheit beobachteten Trends nicht mehr brauchbar erscheint. Die Berufsforschung zeigt heute vielmehr, daß selbständiges Urteilen oder die Fähigkeit zur Teamarbeit wesentlich wichtiger ist als Kenntnisse, die in einem Fächerpaket erworben werden müssen. Ein Fachidiot wird in Zukunft sowohl den beruflichen Anforderungen als auch den Aufgaben in Gesellschaft und Privatleben noch weniger gewachsen sein.
Ich meine, daß sich gerade in diesen Überlegungen auch der außerordentliche politische und gesellschaftspolitische Bezug jeder Bildungspolitik deutlich nachweisen läßt. Der Bedarf der Wirtschaft an Bildung ist in Wahrheit gar nicht so verschieden von dem gesellschaftlichen und privaten Bildungsbedarf, wie dies oft behauptet wird. In der Bundesrepublik - so stellt dazu klipp und klar einer der angesehensten Bildungsökonomen, nämlich Professor Edding, fest - ist der künftige Bedarf der Wirtschaft an Bildung losgelöst vom Bedarf der Gesellschaft und des privaten Lebens nicht festzustellen.
Es braucht hier nicht noch einmal auf die wesentlich erhöhten Geburtsjahrgänge hingewiesen zu
werden, die mit der Nachkriegsentwicklung zusammenhängen, die in diesen Jahren auf unsere Schulen zurollen und sie seit einiger Zeit bereits erfaßt haben. Selbst bei Beibehaltung des überholten Schulsystems würde eine ganz erhebliche Kostensteigerung auf uns zukommen, auch wenn man gar nichts verändern wollte. Das kann nicht eindringlich genug wiederholt werden. Die steigenden Bildungsausgaben liefern dazu einen deutlichen Anschauungsunterricht.
({18})
Gerade im Zusammenhang mit der Bildungspolitik muß man allerdings auch feststellen, daß die mittelfristige Finanzplanung bisher nicht zu einem zentralen politischen Planungs- und Entscheidungsinstrument geworden ist, das zu einer Erfüllung der öffentlichen Aufgaben insgesamt dringend erforderlich wäre. Bund und Länder wenden bisher immer noch keinen einheitlichen Kontenrahmen an. Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten spielen bei der Fortschreibungsdiskussion eine große Rolle. Weniger die Gesichtspunkte langfristiger politischer Planung und der Prioritätensetzung werden wirksam, sondern die Diskussion unterliegt vor allem einer Ressort- und Länderkonkurrenz, die vorwiegend Abbild kurzfristiger Interessen ist.
Die Höhe von Zuwachsraten, die Unterversorgung ganzer Bereiche, z. B. des Bildungsbereichs, wird dabei nicht genügend deutlich. Eine hohe Zuwachsrate - und es ist von der Opposition meiner Ansicht nach in anderem Zusammenhang dieser Aspekt mit Recht betont worden - kann mitunter den Blick auf den tatsächlichen Bedarf verstellen. Langfristige Nutzenüberlegungen kommen so nicht recht zum Zuge.
Der Zwischenbericht verweist z. B. auf die noch nicht fortgeschriebenen mittelfristigen Finanzpläne von Bund und Ländern, und er begründet damit das Fehlen eines Bildungsbudgets. Ein solches Budget bis 1985 sollte aber eben nicht bloß Folge einer mittelfristigen Finanzplanung sein, die bis 1975 reicht, sondern im Gegenteil Voraussetzung für sie. Eine solche Grundlage sollte gerade die Bund-LänderKommission schaffen. Ein langfristiges Bildungsbugdet muß die notwendige Grundlage für die mittelfristige Finanzplanung sein, und nicht umgekehrt.
Damit soll das Verdienst des Zwischenberichts, die finanziellen Probleme des Bildungsbereichs erstmals umfassend dargestellt zu haben, nicht geschmälert werden. Vielmehr möchte ich dieses Verdienst uneingeschränkt unterstreichen, weil ja dieser Versuch nun wirklich zum erstenmal unternommen worden ist und damit eine wichtige Grundlage für die Versachlichung der Diskussion im Bereich der Bildungsfinanzierung abgeben kann.
Lassen Sie mich als Zwischenbemerkung hier eine Antwort auf die von der Opposition kritisierte Streichung der Planungsreserve einfügen. Herr von Dohnanyi hat darauf schon hingewiesen. Sie wissen, daß gerade die FDP diese Planungsreserve mit großem Nachdruck gefordert hat. Aber man muß auch sehen, daß die politischen Schwierigkeiten, eine solche Planungsreserve zu erhalten, maßgeblich mit davon bestimmt sind, daß eben die Länder im Prinzip nicht bereit sind, den finanziellen Einfluß des Bundes in einer solchen Weise anzunehmen, sondern daß die Länder in den sehr wichtigen Verhandlungen über die Erhöhung ihres Anteils an der Mehrwertsteuer darauf bestanden haben, selber darüber zu entscheiden, wie sie die Mehreinnahmen an Steuermitteln verwenden. Wir müssen dieses Problem sehen. Wir Freien Demokraten bekennen uns dazu, daß Bildungspolitik in diesem Staate eben auch durch finanziellen Einfluß des Bundes ermöglicht werden muß.
({19})
- Ich habe Sie leider nicht verstanden, Herr Dr. Martin.
Lassen Sie mich ein paar Überlegungen zur Frage der Kosten anstellen. Die Unterrichtsmethoden in der Bundesrepublik haben eine ehrwürdige, jahrhundertealte Tradition. Viele schöne Modellversuche können jedoch nicht die Tatsache verdecken, daß sich an diesen Methoden auch in den letzten Jahren nicht viel geändert hat. Nur eines hat sich gewandelt: Die Kosten stiegen und stiegen; denn die Beibehaltung der alten Lehrmethoden schützte keineswegs vor einer ständigen Erhöhung des Anteils der Bildungskosten am Bruttosozialprodukt. Im Gegenteil, das Beharren am Althergebrachten kommt uns immer teurer zu stehen.
Ich möchte versuchen, diese Behauptungen durch ein Beispiel etwas zu erläutern. Zwischen 1962 und 1970 wuchsen die öffentlichen Ausgaben für Wissenschaft und Unterricht in der Bundesrepublik von rund 10 auf etwa 25 Milliarden DM pro Jahr. Das bedeutet, daß der Anteil des Bruttosozialprodukts, der für Wissenschaft und Unterricht ausgegeben wurde, von 2,7 % im Jahre 1962 auf 3,7 % im Jahre 1970 anstieg, obwohl nur eine geringe Verbesserung des Bildungsangebots in diesem Zeitraum nachweisbar ist.
({20})
- Ich bin ja hier Redner der FDP und nicht Sprecher
des Ministeriums,-wenn ich Sie daran erinnern
darf.
({21})
- Die Zahlen werden wir miteinander vergleichen;
ich bin jetzt hier nicht in der Lage - dafür werden Sie Verständnis haben-, diese Zahlen aus dem Kopf zu vergleichen.
({22})
- Es ist nett, daß Sie mich darauf aufmerksam machen.
Unterstellt man eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung für die Jahre 1972 bis 1980, wie wir sie in den Jahren von 1962 bis 1970 hatten, ({23})
- Ich sage: unterstellt man; wir wissen, daß wir
hier natürlich keine sicheren Grundlagen haben;
leider gibt es auch in Ihren Reihen keine Propheten.
Unterstellt man eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung für die Jahre 1972 bis 1980, wie wir sie in den Jahren von 1962 bis 1970 hatten, so ergehen sich für die Bildungsausgaben folgende einfach zu errechnenden Zahlen: 1972 30 Milliarden DM - das entspräche rund 4% des Bruttosozialprodukts -, 1980 75 Milliarden DM, was einem Anteil von rund 5,5 % entsprechen würde. Dieser Wert läge übrigens durchaus innerhalb der Bandbreite der Perspektivprojektion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen, wenn man von den jeweiligen Preisen ausgeht. Die Kosten für Reformen wären hierin jedoch noch nicht enthalten.
Betrachtet man nun die Ansätze im Bildungsgesamtplan in konstanten Preisen, so sieht man, daß sie im Vergleich zu den eben erwähnten Zahlen nur in äußerst bescheidenem Maße höher sind, so daß für echte Innovationen im Bildungswesen ganz offensichtlich nur ein relativ kleiner finanzieller Spielraum besteht.
Zur Erläuterung möchte ich noch auf die Tatsache hinweisen, daß z. B. für den Ausbau des Elementarbereichs, der Ganztagsschulen, für Innovationen, Beratungen im Bildungswesen und für allgemeine Forschungsförderung zusammen 4,6 Milliarden DM von insgesamt 54,9 Milliarden DM der gesamten Bildungsausgaben angesetzt sind. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Bildungsförderung in den Einzelbereichen hier schon mit erfaßt ist, zeigt sich also, daß nur knapp 10 % in jeweiligen Preisen von 1975 vorgesehen werden. Wie man damit die notwendigen Reformen leisten will, muß sich noch zeigen. Wenn man wie gebannt ständig auf Zuwachsraten starrt, ohne zu bedenken, was in der Wirklichkeit draußen vorgeht - daß nämlich trotz Erhöhung des Anteils am Bruttosozialprodukt im Kern bisher nichts anderes geschieht, als die Erhaltung überholter Zustände -,
({24})
so wird man einfach nicht begreifen können, auf welche drohenden Gefahren die Bildungspolitiker seit Jahren unentwegt hinweisen. Einige wenige solcher Stimmen gibt es übrigens meiner Ansicht
nach auch in der CDU. Nur handelt es sich hier-bis
auf eine Ausnahme - nicht um einen Kultusminister.
Natürlich werden viele oder sogar die meisten der angestrebten Bildungsreformen erhebliche Mittel verbrauchen. Wer Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Erziehung zum selbständigen Bürger will, weiß, daß hieran kein Weg vorbeiführt. Viele Reformen kosten aber eigentlich gar nichts oder nur sehr wenig, und andere ermöglichen darüber hinaus erhebliche Einsparungen an Kosten.
({25})
Ja, ich behaupte, Reformen können Kosten sparen.
({26})
Zu den wichtigsten Zielen - lassen Sie mich ein Beispiel erwähnen - der Schulreform gehört für die Mehrheit dieses Hauses die Einführung des 10. Pflichtschuljahres in der Bundesrepublik. Diese Maßnahme wird zugegebenermaßen auch unter Beibehaltung der gegenwärtigen Schulstrukturen sehr hohe Anforderungen stellen. Hat man aber auf der anderen Seite eine Vorstellung davon, was uns in unserem bisherigen Bildungssystem allein die Sitzenbleiber die Schul- und Studienabbrecher kosten - eine sehr wichtige, meiner Ansicht nach oben nicht in der ganzen Bedeutung erfaßte Frage -, so erscheint die Einführung der voll ausgebildeten integrierten Gesamtschule und der integrierten Gesamthochschule wünschenswert, wie sie die sozialliberale Regierung in ihrem Bildungsbericht entworfen hat. Sie kennt kein Sitzenbleiben mehr und kann die Abbrecherquoten auf ein unbedeutendes Mindestmaß reduzieren.
({27})
Gerade weil diese Möglichkeit im gedanklichen Ansatz im Bereich der Gesamtschule und auch der Gesamthochschule gegeben ist, finden wir, ist es notwendig, diese inhaltlichen Vorstellungen mit großem Nachdruck zu verwirklichen.
Ich kann an dieser Stelle nicht in die Darlegung vieler Detailberechnungen eintreten, die wir durchgeführt haben. Es läßt sich aber rechnerisch zeigen, daß wir aus der Einsparung der Sitzenbleiber und Abbrecher soviel Kapazität freibekommen könnten, daß wir das zehnte Pflichtschuljahr unter Umständen zu zwei Dritteln finanzieren könnten.
({28})
Nur ein paar Zahlen zur Untermauerung. - Herr Dr. Gölter, ich finde, es ist wichtig, daß man diesen Gedanken nachgeht, und zwar deshalb, weil damit deutlich werden kann, was Reformen unter Umständen auch an neuen Möglichkeiten eröffnen können, auch wenn etwa der finanzielle Ansatz, den ich hier einmal unterstellt habe, sich in der Praxis nicht in diesem Umfang als richtig erweisen sollte.
Aber doch noch ein paar Zahlen zur Untermauerung. Den Planungsunterlagen des Jahres 1971 des Landes Schleswig-Holstein sind Sitzenbleiberquoten von durchschnittlich 5 % an Grund- und Hauptschulen,
({29})
7 % an Realschulen und nahezu 10 % an Gymnasien zu entnehmen. Das entspricht etwa den Annahmen von Hitpass, daß nur 14 % von Sextanern das Abitur ohne Sitzenbleiben erreichen, oder der Annahme von Burger, der 15 % für Bayern errechnet hat. Es wird bei den anderen Ländern nicht anders sein. Hier liegen mir leider keine Zahlen vor.
Herr Kollege, ich muß Sie leider auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Ich werde mich sehr kurz fassen und meine Darlegungen abkürzen.
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß der vorliegende Zwischenbericht insgesamt als ein erster Schritt auf das Ziel einer umfassenden und einheitlichen Bildungsreform hin zu würdigen ist. Mit gleicher Deutlichkeit sind wir jedoch der Auffassung, daß sowohl die Art und Weise, in der dieser Bericht zustande gekommen ist, wie auch sein Inhalt beweisen, daß sich die grundsätzlichen Bedenken der Freien Demokraten, die wir vor der Schaffung der Gemeinschaftsaufgaben gegen diese angemeldet hatten, leider bestätigt haben.
({0})
Der Bund hat die Aufgabe, dem Grundgesetzauftrag, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse herzustellen, Wirkung zu verschaffen. Die Länder sind. diesem Auftrag ebenfalls verpflichtet. Das heißt, es muß versucht werden, einen einheitlichen Bildungsgesamtplan zu entwickeln und seine Verwirklichung mit den Ländern zu vereinbaren. Das ist in der bisherigen Praxis nach unseren Vorstellungen nicht in ausreichendem Maße gelungen, so daß ich für die Freie Demokratische Partei und für meine Fraktion mit dem Appell schließen möchte, daß mehr als bisher der Wille zur politischen Gemeinsamkeit, mehr als bisher die Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln die Grundlage unserer Arbeit sein sollte.
Ich erkläre aber auch eindeutig die Bereitschaft der FDP, in dieser Regierung und in dieser Koalition darauf hinzuwirken, daß, wenn diese Bereitschaft nicht erreicht werden kann, der Weg gegangen wird, den wir auf Grund unserer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten gehen können, nämlich der Weg von Vereinbarungen zwischen dem Bund und einzelnen Ländern, die bereit sind, unsere bildungspolitischen Vorstellungen zu verwirklichen.
({1})
Das Wort hat Herr Senator Apel, Freie und Hansestadt Hamburg.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es die Aufgabe eines Landesministers ist, hier durch Rückgriff auf eine fragwürdige Historie die Einigung in Zweifel ziehen zu lassen, die der Zwischenbericht glücklicherweise erreicht hat.
({0})
Ich möchte im Gegenteil feststellen, daß, wenn man einmal von den bekannten wichtigen Divergrenzpunkten absieht, dieser Zwischenbericht ein Dokument weitgehender Übereinstimmung ist. Zwar kann keine Seite für sich verbuchen, daß sie dort alle ihre Zielvorstellungen verwirklicht hätte. Das
sei nicht nur zugestanden, auf diese Feststellung lege ich ausdrücklich Wert, schon um der eigenen politischen Klarheit willen. Dennoch bleibt der Zwischenbericht ein Dokument der Übereinstimmung, eines, in dem - wie noch nie zuvor - Kultusminister und Bundesregierung gemeinsam die Notwendigkeit einer zukunftsgerichteten Bildungsplanung und Bildungspolitik klar und eindeutig formuliert haben, eben nicht als eine allgemeine Adresse an jedermann, sondern als eine Anleitung zum Handeln oder doch als eine Vorstufe dazu.
Mir erscheint es demgegenüber - verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage - beckmesserhaft und kleinlich, mir erscheint es vor allem der Sache nicht
angemessen-ich beziehe mich hier auf die öffentliche Diskussion, aber nicht nur auf diese-, wenn
nun nach Siegern und Besiegten gesucht wird, wenn - in der Nähe von Wahlkämpfen mag das naheliegen - der „See rast und sein Opfer haben will". Ich meine, der Zwischenbericht ist gut. Aber er ist nicht so stabil, daß wir es uns leisten könnten, ihn taktisch zerreden zu lassen. Insoweit begrüße ich die klare Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 der Großen Anfrage. Ich kann mich mit dieser Antwort voll identifizieren.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was in der Frage 6 gesagt worden ist. Was mich beim Lesen dieser Frage verblüfft hat, ist die Unvollständigkeit dieses Katalogs, in dem dargestellt ist, wie die Opposition dieses Hauses die Prioritäten gern hätte. Ich meine, daß hier das Bekenntnis wenigstens zu einem breit angelegten Versuchsprogramm mit der integrierten Gesamtschule fehlt. Ich meine, daß die Bereitschaft wenigstens zu breiten Versuchen mit der gemeinsamen schulformunabhängigen Orientierungsstufe fehlt. Ich meine, daß hier ein wie immer geartetes Bekenntnis zur Lehrerbildung, dem qualitativen Teil des Lehrerproblems, das in dieser Frage angesprochen ist, fehlt. Ich räume ein, die letzte Frage ist besonders schwierig. Sie ist besoldungspolitisch verflochten und status- und damit auch prestigebezogen zu sehen. Das weiß jedermann. Sie ist also nicht nur bildungspolitisch schwierig.
Aber wenn ich diese Frage wegen der Schwierigkeiten einmal ausklammere, so meine ich doch demgegenüber feststellen zu müssen: Wenn man schon an diese Dinge in der Bund-Länder-Planungskommission kompromißbereit und pragmatisch herangeht - und dies allerdings nehme ich für viele meiner Kollegen und für mich in Anspruch , wenn man mit maximaler Toleranz auch gegenüber anderen Standpunkten und unter gelegentlicher Hintanstellung der eigenen bildungspolitischen Überzeugung eine solche Einigung herbeiführt, dann, meine Damen und Herren, gilt hinterher allerdings der Satz, daß wir nicht bereit sind, uns von diesem Zwischenbericht auch nur ein Jota abhandeln zu lassen, auch nicht durch geschickt gestellte Fragen. Es ist richtig: in Frage 6 sind Bereiche genannt, die wichtig sind und die in die Prioritätenskala hineingehören. Aber mit der gleichen Priorität und mit dem gleichen Rang gehört zumindest ein breit angelegtes Versuchsprogramm mit der integrierten GesamtSenator Apel
schule hinein, nicht zuletzt, damit der Satz aus dem besonderen Votum gegenstandslos wird, der da heute lautet - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Die bisherigen Versuche in verschiedenen Ländern der Bundesrepublik sind noch nicht abgeschlossen, so daß die Entscheidung für eine allgemeine Zielsetzung des gesamten Schulwesens
auch unter dem Gesichtspunkt der Gebietsstruktur - nicht auf die dort gewonnenen Ergebnisse aufgebaut werden kann.
Meine Damen und Herren, diese Einrede galt zum Zwischenbericht; sie mag noch zum Bildungsgesamtplan gelten. Sie gilt mit Sicherheit nicht mehr im Jahre 1975 oder 1980 oder gar 1985. Dann nämlich kehrt sich ein solcher Satz gegen jene, die ihn verwenden und die darauf besondere Voten stützen.
Und in die gleiche Priorität gehört weiter zumindest ein sehr breit angelegtes Versuchsprogramm mit der lehrplanmäßig schulformunabhängigen Orientierungsstufe. Jedermann, der an den Beratungen teilgenommen hat, erinnert sich an die heftige Kontroverse und an das heftige Ringen um den Satz: „Eine Auslese findet nicht statt". Ich will diese Debatte hier gewiß nicht wieder aufnehmen. Aber, meine Damen und Herren, wer Versuche mit der Orientierungsstufe ablehnt oder nicht bereit ist, sie in die Prioritätenskala, die er selbst setzt, aufzunehmen, wer weiterhin der Auslese das Wort redet oder die Praxis führt, der erfüllt eben die Intentionen des Zwischenberichts nicht, gleichgültig, ob das durch Unterlassen in der Landespolitik oder durch geschickte Formulierungen in Großen Anfragen geschieht. Er erfüllt die Intentionen des Zwischenberichts nicht, mag er sich im übrigen noch so lauthals zu ihnen bekennen.
({1})
Lassen Sie mich, damit auch ich meinen Beitrag zur Zeitökonomie leiste, mich nun auf einen letzten Gesichtspunkt beschränken. Sie werden vielleicht wissen, daß in Hamburg innerhalb der Priorität „Bildung" die erste Priorität der Berufsbildung zuerkannt worden ist. Erstmals ist hier der gesamte berufsbildende Bereich dem Kulturressort zugeordnet worden,
({2})
Womit wir ganz deutlich - abgesehen von organisatorischen Gesichtspunkten - auch zum Ausdruck zu bringen wünschen, daß die Frage der Berufsbildung eine Frage ist, die nicht wirtschaftlich oder kommerziell intendiert sein darf, sondern bildungspolitisch bestimmt sein muß.
({3})
Und, meine Damen und Herren, daß als ein erster Erfolg hier zu verbuchen ist, auch über die gesetzlichen Grundlagen hinaus mit den zuständigen Stellen zu einer Vereinbarung über die Durchführung der Zwischen- und Abschlußprüfungen gekommen zu sein, das werte ich als ein erstes positives Zeichen auf diesem Wege. Sicherlich wachsen auch in Hamburg auf dem so schwierigen Gebiet der Berufsbildung die Bäume nicht in den Himmel; sicher läßt sich dort nicht schlagartig alles verbessern und reformieren. Aber hier wie beim Bund ist man auf dem Wege.
Ein Wort muß ich hier noch an die Adresse der Bundesregierung sagen. Wir sehen, daß in diesem Punkte erhebliche Anstregungen unternommen werden; Schritte sind vorhin von Herrn Bundesminister von Dohnanyi genannt worden: die Verringerung der Zahl der Ausbildungsberufe, die sogenannte Anrechnungsverordnung - ich will dies aus Zeitgründen hier nicht alles wiederholen -, die Verordnung „Ausbildung der Ausbilder" - außerordentlich dringend -; all das findet unsere Unterstützung. Auch ein Förderungsprogramm für die überbetriebliche Ausbildung, das in der Absicht des Bundeswirtschaftsministers liegt, wird von uns als positives Vorhaben gewertet, allerdings nur - und diese Anmerkung muß ich mir gestatten , wenn es wirklich bildungspolitisch intendiert ist, wenn es sich also nicht etwa um herkömmliche Wirtschaftsförderung unter anderen Vorzeichen oder mit anderen Mitteln handelt.
Ich möchte feststellen - und damit komme ich zum Schluß -, daß Hamburg sehr wohl registriert, daß hier zum ersten Male nicht nur verbal, sondern tatsächlich Wesentliches für die Berufsbildung geschieht oder eingeleitet worden ist. Dies deckt sich mit den Hamburger Prioritätsvorstellungen, und Hamburg kann die Bundesregierung nur bitten, auf diesem Wege zügig weiterzufahren.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, daß der Zwischenbericht der Bund-Länder-Kommission inhaltlich nun doch eine gewisse Würdigung erfahren hat, daß eine bestimmte Übereinstimmung besteht und daß damit die Basis für gemeinsames Handeln in den nächsten Jahren ein wenig wiederhergestellt wurde. Für diejenigen Kolleginnen und Kollegen von uns, die auf diesem Gebiet nicht speziell engagiert sind und arbeiten, ist ja diese Debatte heute ein wenig verwirrend. Die Große Anfrage der CDU/CSU richtet sich an die Regierung über ein Dokument, welches den Abgeordneten des Deutschen Bundestages offiziell als Drucksache nicht zugestellt worden ist. Das macht natürlich die Möglichkeit, einer solchen Debatte zu folgen und sich vorausschauend mit diesen Dingen zu beschäftigen, für unsere Kolleginnen und Kollegen sehr schwierig.
Das mag uns heute in Anbetracht der besonderen Situation dieses Tages, in Anbetracht der etwas schwierigen Zeitplanung, damit versöhnen, daß es natürlich im Grunde genommen eine schlechte Angelegenheit ist, wenn der erste Sprecher einer Fraktion nach einer fast dreistündigen Debatte erst
zu Wort kommt, um auch die Meinung seiner Fraktion zu diesen Dingen hier vortragen zu können.
({0})
Wir sollten uns überlegen, ob wir in Zukunft vielleicht doch noch durch eine weitere Straffung der eigenen Beiträge den Dialog etwas mehr in die Debatte einführen können.
Ich werde nunmehr auf Grund der veränderten Situation - die Zeiger rücken auf 16 Uhr, und ich als Hanseate bin es gewohnt, mich an Absprachen zu halten - meine Aussagen wesentlich kürzen, und auf viele Dinge, die ich gerne gesagt hätte, muß ich verzichten. Was für die Dinge gilt, die man abspricht und über die man sich äußert, gilt auch für die Verfahrensweisen, wenn man sich gemeinsam bemüht, ein Gesetz zur Neukonstruktion unseres Hochschulwesens zu erarbeiten, wobei die Regierung auf der einen und die Opposition auf der anderen Seite zur gleichen Zeit einen Gesetzentwurf einbringen, nachdem man zunächst einmal lange Zeit gehabt hat, die ausführliche Diskussion um Thesen zur Hochschulreform in diesem Lande mit anzuhören und dann ,den Gesetzentwurf einzubringen.
Unsere in der Öffentlichkeit dargestellte - wie jetzt auch uns gegenüber als politischer Vorwurf geäußert - sogenannte Verzögerungstaktik ist eine solche nicht gewesen. Ich muß das hier schärfstens zurückweisen.
({1})
Wir haben uns bemüht, in diesem Jahr mit Ihnen so weit zusammenzukommen, gemeinsam ein Hochschulrahmengesetz zu machen, das auf der einen Seite Reformansätze nicht verlustig gehen läßt und auf der anderen Seite Sie dazu bringt, gewissen Dingen zustimmen zu können, die wir dann, nachdem das Reizwort „integrierte Gesamthochschule" von Ihnen nicht zu tragen war, dadurch ersetzt haben, daß wir in langen und ausführlichen Formulierungen einmal versucht haben klarzumachen, was das ist. Wenn dann aber auf Grund eines solchen langen Entwicklungsprozesses - Herr Kollege Martin, das muß ich Ihnen leider sagen - Ihre Pressemeldungen pausenlos auf uns einhageln, dieses Gesetz müsse zur Folge haben und die einzige Konsequenz sei, daß die modernen Stadtstaaten ihre fortschrittlichen Hochschulgesetze redressieren sollen, dann können Sie sich doch nicht wundern, daß wir im Augenblick nicht geneigt sind, unter diesen Bedingungen mit Ihnen zusammen dieses Gesetz zu formulieren.
({2})
Darum denken wir über Mittel und Wege nach, damit nicht der Vermittlungsausschuß uns vielleicht nachher noch Sachentscheidungen aufzwingt, die wir im Augenblick noch nicht verantworten können. Es mag ja sein, daß nach dem 23. April die Landschaft diesbezüglich in unserem Lande anders aussieht; ich möchte es jedenfalls hoffen.
Zum zweiten. Herr Kollege Hermesdorf, ich habe mich geradezu gewundert, mit welcher Nonchalance Sie hier den OECD-Prüfungsbericht, dieses sogenannte Länderexamen, über unser Bildungswesen in der Bundesrepublik nur mit einem einzigen Satz zitieren. Sie haben dann schon bemerkt, daß Ihr Kollege, Herr Kultusminister Hahn, große Bedenken über diesen „unqualifizierten Bericht" geäußert hat. Dieser Bericht ist doch immerhin mit sehr angesehenen Namen unterzeichnet - aus Frankreich, aus den Vereinigten Staaten, aus Großbritannien. Solche Länderexamen werden systematisch veranstaltet, weil wir uns doch seit Jahren bemühen, gemeinsam mit anderen befreundeten europäischen Ländern eine Bildungsreform durchzusetzen, deren Akzente doch vor 15 oder 20 Jahren nicht in diesem Lande, sondern im Ausland gesetzt worden sind. Das muß doch hier einmal gesagt werden.
Ich muß mich auch wundern, Herr Minister Hahn, daß Sie uns hier erzählen wollen, seit 20 Jahren liefe hier Bildungsreform. Da kann ich Sie nur auf die Einleitung des Berichtes des Deutschen Ausschusses für das Bildungswesen verweisen, der seine Arbeit resignierend abgeschlossen hat und in seinen einleitenden Worten sagt: „Wir mußten damals gegen erbitterte Widerstände in diesem Land kämpfen und waren nicht davon überzeugt, daß die westdeutsche Gesellschaft imstande ist, ihr eigenes Bildungswesen zu reformieren." Das hat wörtlich in diesem Bericht gestanden. Das war die Ursache des Scheiterns der ersten Gespräche z. B. über eine Förderstufe. Das, was wir heute hören an Argumenten gegen die Orientierungsstufe, das, was wir heute hören an Argumenten gegen die integrierte Gesamtschule, das sind im Grunde die gleichen Argumente, die damals, vor 10, 15 Jahren, gegen die ersten Integrationsstrukturen, die überhaupt einmal auf den Tisch gelegt wurden, zur Sprache kamen.
({3})
- Herr Kollege Pfeifer, da ich meinen Beitrag selber um 10 Minuten verkürze, muß ich Sie bitten, sich ebenfalls ein wenig zu beschränken.
({4})
- Ja, das ändert nichts daran, daß ich Ihnen Zitate zentnerweise servieren kann; das kann man ja nachlesen. Den gelben Schinken haben wir ja alle bekommen damals. Je dicker der Schinken, desto resignierender waren ja leider die abschließenden Gutachten über das, was dieser Ausschuß erreichen konnte.
Ich sage das heute auch deshalb, weil ich diesen Ausschuß nennen will, weil ich der Meinung bin, daß die Bund-Länder-Planungskommission ein hervorragendes Verdienst an dem hat, was sie erreicht hat, und weil wir aber auch sehen müssen, daß die Ausgangsbasis und die Grundlage dieser Arbeitsergebnisse doch der Bildungsbericht der Bundesregierung nun einmal gewesen ist, mag er auch in einigen Vorstellungen weiter gegangen sein und, Herr Minister Hahn, mag es Ihnen auch gelungen sein, die Utopisten von ihren weitschweifenden Zielen auf den Erdboden herunterzuholen; ich wage das zu bezweifeln.
Aber noch einige Worte zu dem OECD-Bericht. Ich wünschte, er würde sehr bald in diesem Lande veröffentlicht; innerhalb der nächsten acht Tage sollte er allen zugänglich gemacht werden. In diesem Bericht steht in Anbetracht der soziologischen Struktur unserer Schülerschaft in den ,weiterführenden Schulen, in Grundschulen und an den Hochschulen, eine vernichtende Kritik - natürlich ein klein wenig verklausuliert - über unser bisheriges Bildungssystem. Aus gesellschaftlichen Gründen und ,aus politischen Gründen, aus sozialen Gründen und aus wissenschaftspolitischen Gründen wird die Bundesregierung gebeten, fortzufahren in ihren Bemühungen, die in dem Bildungsbericht der Bundesregierung deklariert sind als Zielvorstellungen und von denen der größte Teil vom Zwischenbericht übernommen wurde. Hier steht drin, daß wir uns in Deutschland nicht weiter bemühen sollten, die, um dieses Schlagwort einmal zu benutzen, Chancengleichheit zu erreichen - ein etwas unklares Wort , sondern daß wir die ersten Maßnahmen ergreifen sollten, um die Chancenungleichheit zu beseitigen. Auf dieses Prinzip der Chancenungleichheit ist ja niemand in diesem Sinne hier eingegangen. Aber wo ist denn heute der Herr Schulze-Vorberg, den ich in der ganzen vorigen Legislaturperiode immer dort habe stehen sehen, wenn er auf die wenigen Arbeiterkinder an den Universitäten hingewiesen hat, auf die mangelnde Repräsentanz von katholischen Mädchen an Gymnasien und auf die geringe Repräsentanz von Kindern aus mittleren oder - wie es im internationalen Gebrauch heißt unteren Schichten an den Gymnasien und an den höheren Schulen? Durchlässigkeit und horizontale Gestaltung des gesamten Schulwesens und insbesondere Abbau von Richtlinien und von Einrichtungen, die dem jungen Menschen in seinem Lebensweg die Selbstbestimmung und die Entscheidung über die eigene „Laufbahn" und über seinen Gang durch das Schulleben abnehmen. Das ist der Grundtenor des OECD-Berichtes.
Der OECD-Bericht sagt zu einem anderen Problem auch noch etwas Wichtiges. Er sagt, daß die Bemühungen dieser Bundesregierung, die mit dem Hochschulrahmengesetz eingeleitet worden sind, neue Strukturen an unseren Hochschulen zu schaffen, weit über das hinausgehen - so wörtlich -, was in anderen Ländern an solchen Reformmaßnahmen bisher geplant oder eingeleitet worden ist; und da geht er insbesondere auf das Thema der Mitbestimmung und der Mitwirkung auch der Studenten ein.
Ich sage das ein wenig deutlicher, weil ja auch einige ehrenwerte Kollegen der CDU uns nach Weihnachten mit Vorschlägen überrascht haben, die sie selbst auf einer Auslandsreise an Erfahrungen gesammelt haben; sie waren der Meinung, es gebe eine Alternative im Hochschulbereich zwischen Leistungsfähigkeit, Leistungswillen und Leistungseffizienz der Hochschulen auf der einen Seite und Mitbestimmung auf der anderen Seite. Das ist keine echte Alternative. Wir sind vielmehr der Meinung, daß eine vernünftige, geregelte Mitbestimmung, eine disziplinierte Mitbestimmung und ein Mitspracherecht im Gegenteil dazu beitragen können, das zu beseitigen, was Herr Hahn vorhin auch hier einmal meinte kritisieren zu müssen und wovor er warnen mußte, nämlich den explosiven Charakter der derzeitigen Situation an unseren Hochschulen. Er tat so, als ob die zögernde Haltung der Koalitionsfraktionen bei der Verabschiedung des Rahmengesetzes und überhaupt die ganze Utopie in dem Bildungswesen schuld seien an den in Wirklichkeit doch wohl gesellschaftlichen wie anthropologischen und sozialen Zeiterscheinungen, die in allen großen Industrienationen heute nicht nur dem Gesetzgeber, sondern auch denjenigen, die sich verantwortlich fühlen für ihr Land, große Schwierigkeiten machen.
Ich möchte zum Schluß hier keine Unklarheiten aufkommen lassen. Wir Sozialdemokraten beurteilen die Situation an den Universitäten mit dem gleichen Ernst und der gleichen großen Sorge wie Sie. Wir verurteilen genau wie Sie Rechtsbrüche und die Umfunktionierung der Aufgaben dieser Universitäten, Störungen, Gewaltanwendungen, physischen und psychischen Terror. Allerdings müssen wir doch einmal erkennen - und das habe ich vor drei Jahren schon einmal hier gesagt , daß doch die Hochschulen auch der Ort geistiger und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sind, selbst dann, wenn diese zuweilen den Rahmen des Erträglichen sprengen. Massive staatliche Eingriffe oder die Androhung von Ordnungsmaßnahmen ohne Schlichtungsversuche beseitigen diesen Konflikt leider nicht, und sie bringen auch die inaktive Masse der unpolitischen Studierenden nicht dazu, ihre Rechte und Pflichten in der Abwehr radikaler Revolutionäre wahrzunehmen. So ist das nun einmal, und das macht dieses Hochschulrechtsrahmengesetz so schwierig.
Außerdem-das muß ich natürlich sagen
scheint uns die düstere Schilderung und damit zuweilen auch die Verfälschung der hochschulpolitischen Landschaft von der falschen Vorstellung auszugehen, daß bisher ja offenbar wohl alles in Ordnung gewesen sei, daß es Machtmißbrauch und Intoleranz, bedingt durch einen hierarchischen Aufbau, früher gar nicht gegeben habe. Das alles ist auf einmal vergessen: das war alles in Ordnung, und auf einmal ist die große Misere da, seitdem diese progressive sozialliberale Koalition die Richtung in der Bildungspolitik bestimmt.
Wir betreiben, meine Damen und Herren von der Opposition, die Bildungspolitik nicht als Selbstzweck und nicht aus ideologischer Intoleranz, und Dinge wie Gesamtschulen und Gesamthochschulen sind nicht ideologisch begründete Utopievorstellungen. Aber natürlich betreiben wir Reform unter Zugrundelegung von politisch formulierten Grundsätzen, die sich auf unsere anzustrebende Gesellschaftsordnung beziehen und auch beziehen müssen. Freiheit und Toleranz, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, soziale Gerechtigkeit, aber auch Leistungsfreude und Leistungswille um der Gesellschaft willen, das sind die Elemente dieser Ordnung. Da aber sollten wir in diesem Hause doch eigentlich nicht so weit auseinanderstehen, wie es manchmal scheint.
Die Neugestaltung des Bildungsgesamtsystems, das somit allen Bürgern zur Beteiligung offengehalten werden muß, muß sich an dem Nutzen, der für jeden
einzelnen erreichbar ist, orientieren, dem Nutzen für Kinder, für Schüler, für Studierende und für Lehrende und genausogut für die Eltern und die Erwachsenen. Diese Orientierung aber ist dann ja wohl identisch mit der Zielsetzung eines gesamtgesellschaftlichen Nutzeffekts, und unter dieser Prämisse sollten wir in Zukunft vorwärts gerichtet die bildungspolitische Diskussion führen und vielleicht auch einmal Elemente alter Zwistigkeiten endgültig begraben.
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Dem Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke danke ich sehr herzlich dafür, daß er einen Beitrag zu dem zeitlichen Ablauf der Debatte geleistet hat. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich will mich dem ehernen Gebot des Zeitablaufs beugen und vieles von dem, was ich sagen wollte, dem Rotstift anheimgeben. Trotzdem muß ich an Sie, Herr Kollege Grüner, zunächst schon eine Adresse richten. Sie haben es in bewährter Manier wieder fertiggebracht, sich etwas an der Schulpolitik, an der Hochschulpolitik Bayerns zu reiben, und haben geglaubt, dem bayerischen Kultusminister vorwerfen zu müssen, er wolle eine Ordinarien-Universität. Ich bitte Sie dringend: Lesen Sie das, was Herr Professor Maier hierzu veröffentlicht hat, und überzeugen Sie sich, daß in keiner Weise von einer Ordinarien-Universität die Rede sein kann, allerdings von einer Universität, bei der auf den Gebieten der Lehre und Forschung den Lehrenden, also den Professoren, insgesamt eine Mehrheit in den Entscheidungsgremien zukommt, und da finden wir uns ja in bester Gesellschaft mit einer Reihe von erlauchten Mitgliedern der SPD-Fraktion dieses Hohen Hauses, wenn ich recht informiert bin.
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Herr Kollege Grüner, Sie könnten übrigens einmal darüber nachdenken, wie es kommt, daß in Bayern 12 000 oder 13 000 Studenten aus anderen Bundesländern studieren, während umgekehrt 3000 bayerische Studenten in den anderen Bundesländern studieren. Vielleicht machen Sie sich einmal Gedanken darüber.
Als Letztes möchte ich Sie bitten, doch einmal die wohl für jeden Bildungspolitiker sehr interessanten Ausführungen und Darlegungen zu lesen, die der bayerische Kultusminister über die Schule und über das ganze Bildungswesen macht. Er schuf das, was wir schon längst hätten tun sollen. Er betrachtet nämlich die ganze Frage nicht unter einem einzigen Gesichtspunkt, dem soziologischen Aspekt, sondern auch unter dem pädagogischen Aspekt. Das möchte ich Ihnen gern ins Stammbuch schreiben.
Ich möchte Sie, Herr Bundesminister von Dohnanyi, auch noch ganz kurz erwähnen. Sie haben sich mit einem Prunkkleid von Zahlen umgeben, das nach außen sehr eindrucksvoll wirkt. Aber man muß dieses Prunkkleid schon etwas näher betrachten. Dann fallen wahrscheinlich eine ganze Reihe von Federn aus. Bloß eine Zahl! Sie haben sich darauf berufen, daß man in die mittelfristige Finanzplanung 700 Millionen DM mehr eingestellt hat. Das sind ungefähr 60%, wenn ich richtig rechne. Aber ich möchte auch die Gegenrechnung aufmachen. Allein in den beiden letzten Jahren ist eine Baukostensteigerung um 35 % festzustellen - das ist auch von der Bundesregierung bestätigt worden -, und die Bauwirtschaft hat für heuer erneut 11% in Aussicht gestellt. Nun rechnen Sie einmal, ob unter dem Strich noch sehr viel herauskommt, zumal wir wissen, daß es so weitergeht.
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Das mußte ich doch noch sagen.
Herr Bundesminister, noch eine grundsätzliche Anmerkung zu der Art, wie die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion beantwortet worden ist. Dürftiger geht es tatsächlich nicht mehr. Das muß jeder feststellen, der das gelesen hat. Eine andere Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten, die Anfrage zur Jugendhilfe, ist ganz anders beantwortet worden. Dort sind Ausführungen gemacht worden, zu denen man wirklich Stellung nehmen kann, und das ist eine dem parlamentarischen Stil wesentlich angemessenere Art, im Hohen Hause Große Anfragen zu beantworten.
Ich möchte mich kurz noch einmal mit dem Problem der Gesamtschule beschäftigen. In der Antwort ist ja dazu keine Antwort gegeben worden, obwohl eine Frage darauf zielt. Der Herr Bundesminister hat allerdings nun wieder in aller Deutlichkeit die alleinige Prärogative der integrierten, differenzierten Gesamtschule gegeben. Herr Kultusminister Hahn hat deutlich gezeigt, daß es dazu eine Alternative gibt. Wenn wir wirklich die drei Ziele: hohe Qualität der Ausbildung, Durchlässigkeit und soziale Integration anstreben, dann gibt es nicht nur die Antwort „Gesamtschule". Gerade was den Gesichtspunkt der sozialen Integration angeht, dürfen wir nicht immer mit Zahlen argumentieren, die längst überholt sind. Bitte überzeugen Sie sich, daß z. B. gerade in den Gymnasien in den ländlichen Räumen heute 60 bis 70 % der Schüler aus Einkommensschichten kommen, die als höchst bescheiden zu bezeichnen sind. Hier ist die soziale Integration also schon eindeutig gegeben.
Ich möchte noch auf eines hinweisen: Man kann nicht immer wieder a priori etwas für das Bessere halten. „A priori" heißt: ohne Erfahrung. Wir müssen zuerst die Erfahrung haben, urn das Bessere wählen zu können. Ich will einige ganz bescheidene Fragen der Gesamtschule aus der Sicht eines, der in der Schule praktiziert hat, ansprechen. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir mit großen Schlagworten darüber hinweggehen und die Auswirkung im Detail nicht kennen. Auch hier steckt der Teufel im Detail. Was z. B. die Frage der sozialen Integration angeht: wie ist es denn, wenn Sie die Schüler bei den Kernfächern zusammen haben, in den sogenannten Kursfächern aber von Anfang an auseinanderziehen, mit den Qualifikationen? Hernach sind
die Kursfächer entscheidend, so daß der eine praktisch schon hochgezogen hat und der andere lautlos durchgefallen ist, wobei die Eltern gar nicht wissen, daß es bereits so weit ist, infolgedessen auch gar nicht eingreifen können, was heute eindeutig der Fall ist. Irgendwie steht damit auch eine Art von kalter Enteignung des Elternrechts im Raume. Wie steht es denn mit der Sozialisationswirkung? Herr Kultusminister Hahn hat darauf hingewiesen, daß die Befürchtung besteht, daß sie geringer wird, daß z. B. gerade die Klassenkameradschaft zwischen Schülern verschiedener gesellschaftlicher Schichten aufgehoben wird. Wir alle können uns doch daran erinnern, wie positiv das gewirkt hat. Streben die hernach nicht auseinander? Wie ist das mit der Enttäuschung der Zurückgebliebenen? Wird die Bitterkeit nicht stärker werden? Wie steht es denn mit der Frage der Wahlmöglichkeit? Entweder stehenn wir zum individuellen Recht und lassen das dem Schüler frei; dann besteht die Gefahr - die Erfahrung haben wir gemacht -, daß eindeutig die leichter zugängliche Kost gewählt wird und damit Wege für die Zukunft verbaut werden. Oder wir geben der Schule ein dirigistisches Eingriffsrecht, dem Lehrerkollegium also, und dann haben wir zu befürchten, daß die Auseinandersetzung zwischen Eltern und Schule, die immer besteht - das ist doch ganz klar, so war es immer, und so wird es sein -, möglicherweise stärker wird. Was kann daraus folgen? Dann wird wiederum der Druck zur Nivellierung kommen, zur Einebnung. Wir haben das ja in Schweden sehen müssen. Ich bitte, nicht nur die positiven Nachrichten aus anderen Ländern zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch einmal die kritischen Anmerkungen zur Kenntnis zu nehmen, daß eine Nivellierung nach unten kommt und dann etwas eintritt, was wir alle zusammen nicht wollen, daß wie z. B. in England die Schüler, denen ihre Eltern über die Comprehensive School hinaus eine qualifizierte Ausbildung geben wollen, in die Privatschulen abwandern. Das wollen wir doch ganz bestimmt alle nicht. Bevor alle diese Fragen geklärt sind, wollen Sie kopfüber ans kalte Wasser springen. Sie sagen, das einzige Heilmittel sei die Gesamtschule, verkünden eine Art von Heilslehre, weil natürlich immer eine gewisse Schwierigkeit im Schulwesen besteht, eine Schwierigkeit auch im Verhältnis der Eltern zur Schule.
Meine Damen und Herren, ich darf ganz kurz noch ein Problem anschneiden, das auch schon aufgetreten ist. Die Organisationsform der integrativen Gesamtschule ist mit Sicherheit sehr viel komplizierter und sehr viel teurer. Nach seriösen Berechnungen werden die Erstinvestitionen 15 % höher sein, die laufenden Kosten 35 % und die Personalkosten ungefähr 30 %. Meine Damen und Herren, wenn wir ohnehin zu schnaufen haben, um das Geld aufzubringen, dann sollten wir doch nicht das teurere Modell nehmen, das noch gar nicht erprobt ist, sondern das, mit dem wir die Gelder sinnvoll einsetzen können.
Wenn Sie die Schulsysteme vergleichen und wenn Sie, was wir bejahen, Versuche mit der Gesamtschule durchführen, dann muß dies unter gleichen Voraussetzungen erfolgen. Man kann nicht dem
Gesamtschulversuch qualifiziertere Lehrer und mehr Lehrer zuweisen und dann am Schluß, wenn sie weitergekommen sind als die anderen, sagen: „Da, schaut her, das ist besser."
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Ich meine, wir müssen dasselbe dann auch mit dem gegliederten Schulsystem machen.
Noch ein Wort zu der Frage, wie es in ländlichen Räumen aussieht. Herr Kultusminister Hahn hat das schon gesagt. Ich stamme auch aus einem ländlichen Raum.
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Wenn Sie eine gegliederte Gesamtschule haben wollen, müssen Sie 1000 Schüler haben. - Sie können ruhig lachen. Wahrscheinlich haben Sie am Akzent gemerkt, woher ich komme. Es ist mir übrigens gleichgültig. Ich jedenfalls trage hier die Meinung vor, die ich aus meiner Erkenntnis für richtig halte.
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Hier wird die Praxis vorgetragen. Das möchte ich auch sagen. Die Praxis kann bei einer schulpädagogischen Diskusson nicht einfaach draußen vor den Toren des Parlaments bleiben.
Wenn Sie 1000 Schüler nehmen, um einigermaßen differenzieren zu können, dann kann ich Ihnen sagen, welche Schulwege zustande kommen, und frage Sie, ob nicht ein möglicher pädagogisch-didaktischer Vorteil durch diese übermäßigen, belastenden Wege von vornherein weggeschmolzen ist. Das sollten Sie sich auch noch überlegen.
Damit hängt natürlich auch die Lehrerbildung zusammen. Ich berufe mich auf das, was der Herr Kollege Hermesdorf schon gesagt hat. Wir meinen, wie es ja auch in dem Sondervotum steht, daß für eine differenzierte Schule auch ein differenziertes Lehrerangebot da sein muß und daß man bei der Besoldung nur von dem ausgehen sollte, was vorher beim Studium an Leistung verlangt wird, und von nichts anderem. Wenn ich mehr Zeit zum Studium brauche, muß ich auch verlangen können, daß ich hernach mehr bezahlt bekomme. Ich sage das ganz ausdrücklich, denn wir bekommen sonst die qualifizierten Lehrer nicht mehr. Dann sitzen wir da und haben unser schulpolitisches Schiff auf Grundeis gesetzt.
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Meine Damen und Herren, ich will nun schließen, obwohl noch vieles zu sagen wäre; aber ich beschränke mich auf das Gesagte. Man sollte es sich nicht zu einfach machen, sondern man sollte die politische Diskussion über die Schulfrage, über das System der Schulen, vor allem unter dem pädagogischen Aspekt führen. Ich habe nur einige wenige Punkte dazu beitragen können. Es gibt eine Fülle anderer. Ich empfehle den Koalitionsparteien, doch einmal den allgemeinen Vorwurf, nur unter einem soziologischen Aspekt zu handeln, zu entkräften und die Dinge unter dem pädagogischen Gesichtspunkt zu betrachten. Ich bin davon überzeugt,
daß wir dann gemeinsam einen besseren Weg finden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte über den Zwischenbericht zum Bildungsgesamtplan scheint es mir wichtig zu sein, doch noch einmal einen kurzen Blick auf die verfassungsrechtliche Lage im Bildungswesen zu werfen.
Es sei hier nochmals daran erinnert, daß die Ministerpräsidenten der Länder vor einigen Monaten insgeheim beschlossen haben, die Mitsprache des Bundes bei der Bildungsplanung wieder in Frage zu stellen. Sie beauftragten damals in Kiel eine Arbeitsgruppe damit, festzustellen, inwieweit der Bund eigentlich verfassungsrechtlich zulässig und vor allen Dingen verfassungspolitisch zweckmäßig mitwirken dürfe. Damit wurde den Staatskanzleien der Rücken gestärkt, so als wenn diese nicht schon föderalistisch, um nicht zu sagen, föderastisch genug eingestellt gewesen wären und es wohl auch noch sind. - Dies, meine Damen und Herren, sage ich sehr betont nach beiden Seiten; denn ,die Argumente der Debatte vor drei Jahren sind mir noch sehr gut im Ohr. - Insbesondere wirkte dabei alarmierend, daß die Ministerpräsidenten in Kiel ihren Kultusministern auferlegten, keinerlei Beteiligung des Bundes an neuen Bildungseinrichtungen zuzustimmen.
Wie grotesk sich eine solche Politik in der Praxis auswirken muß, hat uns das Beispiel der Zentralen Registrierstelle für Studienanfänger in Hamburg gezeigt. Diese Stelle, eine Einrichtung der Westdeutschen Rektorenkonferenz, wurde geschaffen, um angesichts des bestehenden Numerus clausus an unseren Hochschulen die Verteilung der vorhandenen Studienplätze möglichst optimal zu organisieren. Die Finanzierung dieser Koordinierungsstelle wurde jedoch dadurch in Frage gestellt, daß sich die Länder weigerten, das dafür notwendige Geld vom Bund anzunehmen, der es ohne Bedingungen bereitgestellt hatte. Der Träger dieser Einrichtung wurde dadurch gezwungen, in Vorlage zu treten und Schulden zu machen.
26 Millionen DM für Modellversuche wurden von den Ländern ebenfalls nicht abgerufen. Ähnlich verhält es sich mit dem geplanten Institut für die Entwicklung neuer und besserer Lehrpläne, dem Curriculum-Institut. Die Liste ließe sich verlängern.
Die geschilderten Beispiele zeigen die Schwierigkeiten auf, mit denen die sozialliberale Bundesregierung bei der Durchsetzung ihres Zieles zu kämpfen hat, das Bildungswesen der Bundesrepublik endlich entschieden zu modernisieren, es effektiver, demokratischer und europäischer zu gestalten.
Gewiß besteht noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen, auch nicht angesichts eines unkooperativen Föderalismus, der von manchen Staatskanzleien und Länderchefs praktiziert wird. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn die hier anwesenden Vertreter der Länder zu diesem Problem offener Stellung genommen hätten. Was ich von Herrn Minister Hahn gehört habe, hat mich nicht sehr optimistisch gestimmt, daß dies in der Zukunft sehr viel besser werden könnte.
Zusammenfassend möchte ich folgendes sagen. Die Hoffnungen, die von verschiedenen Seiten an die 1969 erfolgte Grundgesetzänderung im Bildungswesen geknüpft wurden und die die FDP schon damals als Illusionen gekennzeichnet hat, beginnen auch bei vielen dahinzuwelken, die sich politisch dem Föderalismus verpflichtet fühlen. Auch sie überlegen ernsthaft - und diese Überlegungen werden von einem wachsenden Anteil der Bevölkerung mitgetragen -, das Grundgesetz um eine Grundsatz- oder Rahmenkompetenz des Bundes im Bildungswesen zu ergänzen. Für meine Fraktion darf ich erklären, daß wir zu einer solchen Entscheidung jederzeit bereit waren und jederzeit bereit sind.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Meine Damen und Herren, ich will ganz kurz einige Punkte, die Herr Kollege Hahn hier vorgetragen hat, zurechtrücken.
Herr Kollege Hahn, ich möchte zunächst sagen, ich bedaure den Stil, und zwar einfach deswegen, weil ich versucht habe, ohne Polemik über das Verhältnis von Bund und Ländern zu argumentieren.
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Ich habe zur Sache argumentiert, aber nicht eine derartige Sprache zum Verhältnis zwischen Bund und Ländern gefunden. Ich möchte auch, Herr Kollege Hahn, die Gutachter der OECD gegen eine generelle Disqualifizierung in Schutz nehmen.
Aber lassen Sie mich, abgesehen vom Stil, sachlich schnell ein paar Punkte zurechtrücken.
Erstens: Es ist einfach falsch, wenn Sie sagen, die Bundesregierung oder die SPD-Länder hätten in der Bund-Länder-Kommission nicht von Anfang an die Absicht gehabt, auch über die Finanzierung zu sprechen; a) stand in der Regierungserklärung, daß wir Bildungsbudget u n d Gesamtplan haben wollen, b) steht es so im Verwaltungsabkommen. Darüber bestand gar kein Zweifel. Differenzen bestanden nur hinsichtlich der Reihenfolge, in der man das macht.
Zweitens. Falsch ist Ihre Behauptung, die Bundesregierung habe davon gesprochen, wir wollten 50 % „Abiturienten" haben. Wir haben im Bildungsbericht gesagt, daß nach den vorliegenden Schätzungen im Jahr 1980 etwa die Hälfte den Sekundarabschluß II erwerben würde. Ich bedaure das Bildungschinesisch. „Sekundarabschluß II" verstehen eben erst wenige Personen, weil es noch kein allgemein bekannter Begriff ist. Aber Sie, Herr Kollege Hahn, sollten eigentlich wissen, daß das nichts
mit „Abitur" zu tun hat. In demselben Bildungsbericht steht nämlich auch, daß für den tertiären Bereich - das betrifft also all diejenigen, die nach dem Abitur zur Hochschule gehen - nur etwa ein Viertel vorgesehen ist. Das entspricht in groben Zügen dem, was Sie jetzt im Bildungsgesamtplan mit unterschrieben haben, nämlich 20 bis 22 %.
Drittens. Falsch war ferner Ihre Feststellung, die Bundesregierung habe irgendwo im Bildungsbericht etwas von voller Integration von Berufsbildung und allgemeinem Schulwesen gesagt. Das muß belegt werden. Ein solcher Satz steht nicht im Bildungsbericht.
Viertens. Sachlich falsch ist nach meiner Meinung, zu sagen, Flächenstaaten und Gesamtschulen passen nicht zusammen. Gerade die großen Flächenstaaten, z. B. Schweden und Norwegen, plädieren ihrerseits für die Gesamtschule, weil es auf diese Weise die Möglichkeit einer gewissen regionalen Verdichtung der Schulen gibt. Spricht man mit den Leuten dort, so sagen sie, man laufe sonst Gefahr, eine Politik „Volksschulen für das Land, Gymnasien für die Städte" zu betreiben. Deswegen geht man in Schweden den Weg der Gesamtschule.
({1})
Ich gebe hier ja nur sachlich eine Information.
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Herr Kollege Hahn, falsch ist ferner Ihre Feststellung gewesen, die Bundesregierung habe 5 % Steueranteile abgetreten. Es waren in der Tat 6 % plus 100 Millionen DM. Die Differenz beträgt immerhin circa 600 Millionen DM. Ich meine, man sollte mit den Zahlen sauberer operieren.
Ich habe Verständnis dafür, Herr Kollege Hahn, daß Sie im Wahlkampf eine gewisse Hervorkehrung der eigenen Person betreiben wollen. Dieser Ort ist dafür zwar nicht ganz der richtige Platz, aber immerhin. Nur, es ist einfach nicht richtig, wenn Sie sagen, Ihre Anregung sei es gewesen, die Prioritäten in der Bund-Länder-Kommission einzuführen. Das steht nämlich in der Nr. 4 des Art. 2 des Verwaltungsabkommens. Da heißt es:
Die Kommission hat im Bereich der Bildungsplanung folgende Aufgaben. ...
4. Programme für die Durchführung vordringlicher Maßnahmen vorzubereiten.
Es war also nicht Ihre Idee, sondern unsere gemeinsame. Wir alle haben das dort hineingeschrieben.
Ich habe auch Verständnis, Herr Kollege Hahn, wenn Sie sich nicht nur ein bißchen hervorkehren wollen, sondern wenn Sie auch die Dinge von sich wegschieben wollen, die eigentlich auf Ihren Schultern liegen. Aber Sie können nach meiner Ansicht, nachdem Sie nun acht Jahre lang Kultusminister in Baden-Württemberg waren, nicht sagen, die Bundesregierung sei für die Studienreform verantwortlich und müsse nun endlich etwas tun. Die Verantwortung für die Studienreform ist eine zentrale Verantwortung der Landeskultusminister, und es ist
Ihr Problem, wenn Sie dort noch nicht weit genug sind.
({3})
Das gleiche gilt schließlich auch für die Ordnungsfragen. Wenn Sie Schwierigkeiten in Ihren Hochschulen haben, Herr Kollege Hahn, dann können Sie für diese Ordnungsfragen nicht diese Bundesregierung verantwortlich machen, sondern das sind Aufgaben, die ebenfalls zentrale Aufgaben der Landeskultusminister sind. Auch das Rahmengesetz kann hier bestenfalls einen Rahmen geben.
Ich möchte aber am Schluß, damit kein Mißverständnis entsteht, unterstreichen, daß mir an einer Gemeinsamkeit in der Bildungspolitik liegt, daß ich nicht glaube, daß Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern erfolgreich für die Bildungspolitik geführt werden können. Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern - du bist schuld oder ich bin schuld - bringt keinen Erfolg für die Bürger im Land. Das gilt auch für das Hochschulrahmengesetz. Wir werden das Hochschulrahmengesetz nur gemeinsam verabschieden können. Wer meint, er könne eine extreme Position aufbauen und mit dieser Position dann doch ein gemeinsam zu verabschiedendes Gesetz machen, irrt.
Schließlich: Am Ende machen wir nicht Bildungspolitik für uns, sondern für die Bürger im Land.
({4})
Das Wort hat Herr Minister Vogel, Rheinland-Pfalz.
Dr. Vogel, Minister des Landes RheinlandPfalz: Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schwer, bei seinem Vorsatz zu bleiben und jetzt nicht auf die letzte Rede einzugehen und etwa Herrn Kollegen Hahn zu verteidigen, weil er als einziger deutscher Kultusminister dieses Amt acht Jahre lang getragen und die Verantwortung nicht gescheut hat. Nicht ohne Grund hat bisher kein anderer so viel Kraft aufgebracht!
({0})
Aber ich will dieser Versuchung widerstehen und möchte ein Wort dazu sagen, daß auch nach dieser Debatte die Arbeit der Bund-Länder-Kommission weitergehen muß; denn wir haben unsere Schulaufgaben noch nicht erfüllt.
Wir haben noch keinen Bildungsgesamtplan, sondern nur einen Zwischenbericht, weil es uns bisher nicht gelungen ist, ein Bildungsbudget zu erstellen. Um diese Aufgabe kommen wir nicht herum, wenn aus diesem Plan mehr werden soll als ein neuer Band schöner Zukunftswünsche.
({1})
Wir erwarten gegenwärtig für die Bund-LänderKommission die Antwort der Herren Regierungschefs. Die Antworten der Ministerpräsidenten der Länder kennen wir, und die des Bundes war vom Herrn Bundeskanzler im Januar für den März angekündigt worden. Wir hoffen, daß sie noch im April eintrifft. Inzwischen werden wir an den Vorschlägen
Landesminister Dr. Vogel
für die Durchführung der vordringlichen Maßnahmen und, wie uns aufgetragen ist, an den Vorarbeiten für einen mittelfristigen Stufenplan weiterarbeiten. Erst dann kann daraus insgesamt ein Bildungsgesamtplan werden. Allerdings, Herr Kollege von Dohnanyi, nicht in diesem Sommer, sondern erst dann, wenn die Finanzminister, wenn die Regierungschefs uns die notwendigen Daten für das Bildungsbudget als Teil dieses Bildungsgesamtplans vorgelegt haben werden.
Wenn die Arbeit in diesem Sinne erfolgreich sein soll, meine Damen und Herren, dann muß sie weiter unter dem Zeichen gemeinsamer Anstrengungen aller in dieser Bund-Länder-Bildungsplanungskommission stehen, und dann darf es keinen kleinlichen Streit um Verdienste geben. Dem Vorgänger von Herrn von Dohnanyi ist zu bescheinigen, daß er sich darum bemüht hat, auch wenn es ihm nicht immer, auch hier nicht immer, gedankt worden ist.
Heute mittag ist von Herrn von Dohnanyi der Satz geprägt worden: Reform ist Sicherung der Freiheit durch Veränderung. Meine Damen und Herren, diesen Satz kann ich nicht unterschreiben, weil Veränderung auch Abbruch bedeuten kann und nicht weiterer Aufbau heißen muß!
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Für mich ist Reform Überprüfung des Bestehenden und Mut, es dann zu verändern, wenn es der Veränderung bedarf. Konservativ ist kein Schimpfwort, sondern ein Ehrentitel, den nicht jeder verdient. Konservativ ist nicht der Gegensatz zur Reform, sondern der Gegensatz zur Reform ist die Utopie.
Das gilt, meine Damen und Herren, auch in den finanzpolitischen Fragen, wo wir klarer sprechen müssen. Planungsreserve und Anteil der Länder am gemeinsamen Steueraufkommen sind keine Alternativen, weil die jetzt erhöhten Leistungen aus den Einkommen- und Körperschaftsteuern uns, die Länder, kaum in die Lage versetzen, damit die gestiegenen Kosten für unsere Aufwendungen abzudecken, und uns nicht die Möglichkeit geben, dadurch Neues und Zusätzliches zu tun. Ich meine, meine Damen und Herren, wir sollten uns bei einer Aufgabe, wo es um Milliarden geht, nicht jede abgerechnete Million zwischen Bund und Ländern nicht in Kleinigkeiten vorrechnen, sondern gemeinsam die Aufgabe sehen, die bewältigt werden muß.
Das gilt übrigens auch, wenn wir hier den OECD- Bericht, der ja nicht das Urteil der anderen über uns enthält, sondern einen Diskussionsbeitrag liefern will, ansprechen. Allerdings habe ich den Eindruck, daß sehr viele über diesen OECD-Bericht sprechen und daß sehr wenige diesen Bericht gelesen haben. Denn sonst könnte man nicht Belgier als Verfasser angeben, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Sonst könnte man auch nicht Politiker wie französische und englische Staatssekretäre und Abgeordnete mit Pädagogen und Wissenschaftlern hier durcheinanderwerfen. Der OECD-Bericht ist kein Steinbruch, aus dem jeder sich die gerade passenden Steine herausbrechen kann!
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Aufgreifen muß ich noch den Satz von der Entspannung, den Herr von Dohnanyi gebraucht hat. Einverstanden, Herr Kollege! Aber dann bitte nicht Griechenland zitieren, wenn Entspannung gemeint ist und wenn wir von Schulpolitik sprechen! Und dann nicht Athen mit Mainz und griechische Schulgesetzgebung mit Schulgesetzgebung in CDU-regierten Ländern verwechseln! Meine Damen und Herren, die Beispiele, die man anführt, müssen stimmen. Wenn man hier England in die Debatte wirft, muß man eben wissen, daß man dort einer Comprehensive School ausweichen kann und daß dies hier bei der fast total staatlichen Schule nicht möglich ist.
Ich bin gebeten worden, mich so kurz wie möglich zu fassen, und das möchte ich auch tun. Ich muß nur noch Herrn Grüner und Herrn Jung zurufen: Warum muß es denn an den Ländern liegen? Warum muß denn von den Kompetenzen gesprochen werden? Die Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes ist, wenn Sie wollen, mit den jetzigen Kompetenzen möglich. Deswegen sollten wir alles tun, um es tatsächlich auch zu verabschieden. Ich glaube, wir erreichen das Ziel nicht, indem wir jetzt aus der Schule der wochen-, der tage-, der nächtelangen Beratungen in der Bund-Länder-Kommission plaudern und so vorzeigen, was der eine und was der andere dort durchgesetzt hat, sondern nur dann, wenn wir erkennen, daß die Aufgabe weder heute beginnt noch heute zu Ende ist, sondern daß über den Zwischenbericht heute eine Zwischendebatte stattgefunden hat und daß es sehr gut wäre, wenn wir sie fortsetzen könnten, wenn wir mehr aus der Arbeit der Bund-Länder-Kommission vorlegen können, als das heute der Fall war.
({4})
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache.
({0})
- Das Wort hat Herr Minister Rau, NordrheinWestfalen.
Rau, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in der Tat angenommen, daß die Aussprache über den Zwischenbericht, der uns heute hier beschäftigt hat, mit der Wortmeldung des Herrn Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zu Ende gegangen sei und habe mich deshalb nicht mehr gemeldet. Nachdem aber nun gewissermaßen „im Nachschlag" versucht wird, wieder ein Bild zu zeigen, das zwischen Vaterschaftsprozessen, sowie Verklärungen und Verkleisterungen der unterschiedlichen Positionen des Bundes und der Länder dargestellt wird, glaube ich, Sie noch drei Minuten in Anspruch nehmen zu dürfen.
({1})
Ich glaube, daß es nicht gut ist, wenn die gemeinsam gefundene Basis des Zwischenberichts der
Landesminister Rau
Bund-Länder-Kommission, in der beide Seiten sich nach langen Diskussionen zu Kompromissen bereit gezeigt haben, nun dazu benutzt wird, um hier ein Bild zu zeichnen, das nicht Photographie, sondern Karikatur ist, in dem Bundesregierung und SPD-regierte Länder dargestellt werden, als seien sie ideologisch, utopisch, illusionistisch und im Demokratischen unzuverlässig, während auf der anderen Seite die CDU-regierten Länder einen Beitrag geleistet hätten, der mit den Worten „realistisch, sachgerecht, ideologiefrei" und als „Wächter des Rechtsstaates und der Demokratie" zuverlässig beschrieben werden könnte.
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- Ich habe alle Reden gehört, Herr Kollege. Wenn solche Verzerrungen Platz greifen, dann kann das nur daher rühren, daß diejenigen, die vor der Ideologie warnen, im Grunde ihre eigene Position der Sachgerechtigkeit schon so ideologisiert haben, daß ihnen das Zuhören bei den Argumenten des anderen nicht mehr möglich ist.
({3})
Es gibt aber einen Zusammenhang zwischen dem, was man das Heer von Abiturienten und Akademikern nennt, vor dem es zu warnen gelte, und auf der anderen Seite dem entstandenen Lehrermangel, der ja schließlich daher rührt, daß wir in anderen Zeiten zu wenig Abiturienten und Akademiker in diesem Lande gehabt haben.
Es kann und darf nicht darum gehen, Radikalisierung zu bagatellisieren.
({4})
- Das sagt auch der Bundeskanzler. Aber es kann auch nicht darum gehen, die Radikalisierung im Holzschnitt zu zeigen und nach den Gründen der Radikalisierung und der Unruhe nicht oder nur ungenau oder nur oberflächlich zu fragen.
Es gilt, eine Bildungspolitik zu betreiben, mit der in einer Zeit, in der die Ziele oft genug zitiert worden sind, Entschlußfreudigkeit gezeigt und nicht Utopien nachgejagt wird, sondern mit der das Machbare möglich wird und mit der von dem her, was als gemeinsam beschrieben ist, nun auch als Gemeinsames geleistet wird. Eine solche Bildungspolitik darf nicht so tun, als seien Bund und SPD-regierte Länder im Zwischenbericht keinen anderen Weg gegangen als den, auf die Minimalforderungen der CDU regierten Länder einzugehen. Eine solche Diskussion darf nicht so tun, als hätten Bund und SPD sich den CDU-Ländern angeschlossen, wie es hier wörtlich gesagt worden ist. Dann werden Kompromisse nämlich umgedeutet, dann wird das Angebot zur Kooperation, das Herr Kollege Hermesdorf ausgesprochen hat, verbal und faktisch dementiert. Solche Kooperation ist nur möglich, wenn wir miteinander bereit sind, die erreichten und im Zwischenbericht formulierten Ziele nicht im Wege der Desertion oder der Deklamation zu verlassen, sondern uns hart an der Sache des im Zwischenbericht Formulierten zu halten und uns nicht gegenseitig aus der Verantwortung herauszustehlen.
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Meine Damen und Herren! Damit sind wir endgültig am Ende der Beratung der Großen Anfrage.
Es wird vom Ältestenrat vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 269 *) an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie vor der Fragestunde noch einen Augenblick um Geduld. Während des Staatsaktes für den verstorbenen Bundespräsidenten Dr. Lübke am Donnerstag, 13. April, 10 Uhr, ist die Sitzordnung für die Mitglieder des Hauses im Plenarsaal aufgehoben. Es stehen jedoch im Saal ausreichend Plätze für die Damen und Herren des Hauses zur Verfügung.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksache VI/3313 -
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Frage 101 des Abgeordneten Dr. Jobst ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen damit bereits zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung.
Ich rufe Frage 102 des Abgeordneten Wohlrabe auf:
Worauf führt die Bundesregierung die am 6. April 1972 von den Behörden der DDR vorgenommenen Veränderungen dei hei Fahrten auf den Interzonenstrecken auszufüllenden Formulare zurück, und wie beurteilt die Bundesregierung dieses Verfahren?
Herr Staatssekretär!
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Herr Präsident! Ich darf die Frage 102 und 103 vielleicht im Einverständnis mit dem Fragesteller gemeinsam beantworten.
Derr Herr Kollege Wohlrabe ist einverstanden. Ich rufe dann zusätzlich Frage 103 des Abgeordneten Wohlrabe auf:
Hat sich die Bundesregierung in ihren Gesprächen mit der DDR z. B. durch den verhandlungsführenden Staatssekretär Egon Bahr mit Nachdruck darum bemüht, daß die von der DDR als Staatsangehörigkeitsbezeichnungen verlangten Deklarierungen WestBerlin" bzw. „BRD" nicht mehr unter dem Druck der Grenzorgane der DDR gemacht werden müssen?
Bitte!
*) Siehe Anlage 3
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich darf die Fragen wie folgt beantworten. Während der von der DDR einseitig vorgenommenen Sonderregelung des Berlin-Verkehrs vom 29. März bis 5. April 1972 benutzten insgesamt 328 874 Personen vom Bundesgebiet aus die Landwege nach Berlin ({0}) und 298 802 Personen die Durchgangsstrekken in umgekehrter Richtung. Für diese Sonderregelung hat die DDR für die Visaerteilung ein neues Verfahren eingeführt, nach dem die Sichtvermerke nicht mehr in die Reisepässe gestempelt, sondern auf Einlegeblättern erteilt werden. Westberliner erhielten auch schon vor dieser Regelung Sichtvermerke auf Einlegeblättern, da sie sich durch den Berliner Personalausweis ausweisen müssen. Die neuen Visa-Einlegeblätter wurden von DDR-Organen ausgefüllt. Die Sichtvermerke brauchten auch von den Reisenden nicht mehr auf besonderen Formularen beantragt zu werden, wie das normalerweise im Berlin-Verkehr noch erforderlich ist. Diese Regelung bedeutete eine Verbesserung und Erleichterung des bisher normalerweise üblichen Verfahrens.
Die neuen Visa-Einlegeblätter sind auch nach dem Auslaufen der Sonderregelung zu Ostern beibehalten worden. Sie müssen allerdings jetzt wieder auf besonderen Formularen beantragt werden. Dafür hat die DDR am Donnerstag, dem 6. April 1972, beginnend neue Formblätter eingeführt. Diese enthielten die Frage nach der Staatsangehörigkeit der Reisenden. Unmittelbar nach der Einführung dieser neuen Antragsformulare bestanden vielfach die Organe der DDR darauf, daß die Frage nach der Staatsangehörigkeit nicht mit dem Wort „deutsch", sondern mit der Bezeichnung „BRD" oder „Berlin ({1})" beantwortet wurde.
Am darauffolgenden Tage meldeten unsere Grenzbehörden jedoch, daß die DDR-Organe an den Übergängen Einwendungen gegen die Eintragung des Wortes „deutsch" nicht mehr erhoben. Am Abend des gleichen Tages gingen die Behörden der DDR dazu über, wieder die alten Antragsformulare, wie sie vor der Osterregelung üblich waren, zu benutzen.
Mit dem Inkrafttreten des Transit-Abkommens vom 17. Dezember 1971 nach der Unterzeichnung des Schlußprotokolls des Viermächteabkommens werden die Notwendigkeit eines Antrages auf Visaerteilung und damit alle Fragen, die jetzt Anlaß zu Befürchtungen gegeben haben, gänzlich entfallen.
Keine Zusatzfrage?
Ich bedanke mich für die gute Antwort.
Dann rufe ich die nächste Frage, Frage 104 des Herrn Abgeordneten von Fircks, auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß - wie vielen Presseberichten zu entnehmen ist - im offiziellen Atlas der DDR, herausgegeben von der Geographisch-Kartographischen Anstalt Gotha/Leipzig, die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveräner Staat gekennzeichnet ist, so als solle im Ausland der Eindruck vermittelt werden, es gäbe allein die DDR als existenten deutschen Staat, und welche Schritte gedenkt die Bundesregierung bei den laufenden Verhandlungen gegenüber der DDR bzw. welche Maßnahmen zur Klarstellung im Ausland zu diesem Kartenwerk zu unternehmen?
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Herold.
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich darf die Frage wie folgt beantworten. In Idem Atlas „Die Erde", der 1970 in 1. Auflage im „Volkseigenen Betrieb Hermann Haack - Geographisch-Kartographische Anstalt in Gotha/Leipzig" erschienen ist, wird die Bundesrepublik Deutschland nicht einwandfrei dargestellt. Dies ergibt sich weniger aus der kartographischen Wiedergabe als vielmehr aus der Tatsache, daß ,die Bundesrepublik Deutschland nicht mit „Bundesrepublik Deutschland", sondern fälschlich mit der Bezeichnung „Westdeutschland" versehen wird. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung in den zur Zeit laufenden Verhandlungen mit der Regierung der DDR auf der korrekten Bezeichnung unseres Staates, und zwar nicht nur im Hinblick ,auf den hier zugrunde liegende Vorgang, besteht.
Besondere Maßnahmen zur Klarstellung des Sachverhalts im Ausland beabsichtigt die Bundesregierung im Augenblick nicht. Sie ist der Überzeugung, daß manche überkommene Einzelheiten und Wesenszüge der innerdeutschen Auseinandersetzung wie diese durch die wirklichen Relationen, deren Bild im Ausland genau bekannt und anerkannt sind, von selbst einer Korrektur unterliegen, die der Selbstdarstellung der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Die allgemeinen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sind vollauf geeignet, die dafür erforderlichen Maßstäbe erkennbar zu machen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Grenzbehörden der Zone auch das Mitführen anderer Karten, wie wir sie hier gebrauchen, zum Anlaß nehmen, um Schikanen gegen Durchreisende nach Berlin und in die Zone bzw. in andere Ostblockstaaten auszuüben. Mir bestätigt das in einem Brief vom 10. April 1972 noch der Allgemeine Deutsche Automobilclub, in dem er schreibt -
Herr Kollege, die Zusatzfragen müssen nach der Geschäftsordnung knapp gehalten sein.
Dann muß ich es so sagen, ohne zitieren zu können. Es wird mir in einem Schreiben vom 10. April 1972 durch den ADAC noch bestätigt, daß die Durchreisenden dann besonders scharfen Kontrollen, Untersuchungen, den üblichen Schikanen und unliebsamen Begleiterscheinungen ausgesetzt sind. Ist dies der Bundesregierung bekannt?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Es ist uns natürlich bekannt, daß bei Mitführung von Publikationen und anderen Materialien öfter Schwierigkeiten entstehen. Aber, Herr Kollege von Fircks, wenn das Berlin-Abkommen ratifiziert wird, dann wird es so kommen, wie es bei der Sonderregelung war, daß nämlich keinerlei Kontrolle mehr durchgeführt wird und die persönlichen Informationsmittel auch ohne Beanstandung mitgeführt werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zu Ihrer Auskunft, daß die Bundesregierung nicht gedenkt, jetzt besondere Maßnahmen zu unternehmen: Haben Sie nicht die Sorge, daß sowohl in unserer eigenen Bevölkerung als auch in der übrigen Welt dieses Nichtreagieren auf gezielte politische Maßnahmen der Pankower Regierung dazu führt, daß die Chancen der Verwirklichung unserer Absicht, unsere Vorstellungen klarzustellen, gemindert werden?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit durch die Bundesregierung, vor allen Dingen im Auftrag der Bundesregierung bei den einzelnen deutschen Vertretungen im Ausland vollauf genügt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß dieser offizielle Atlas der „DDR" bewußt durch Aufführung „Westdeutschland" unter dem Oberbegriff „Deutsche Demokratische Republik" auf Seite 77 - ich habe den Atlas hier - die Zielsetzung der Wiedervereinigungspolitik der „DDR" aufzeigt?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Das will ich unterstellen. Aber dazu gibt es unsere klaren Aussagen, wie wir in diesem Zusammenhang denken. Durch die Verhandlungen ist zum erstenmal überhaupt die Möglichkeit gegeben, solche Dinge offiziell bei Verhandlungen auf den Tisch zu legen und sie abzustellen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die erste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Schneider ({0}) gestellt:
Wie hoch ist nach Schätzung der Bundesregierung die Zahl von Ausländern, die sich z. Z. illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, und reichen nach Ansicht der Bundesregierung die geltenden Rechtsvorschriften über die Ausweisung und Abschiebung insbesondere von illegal eingereisten Ausländern aus?
Herr Bundesminister Genscher steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Bitte sehr!
Der Bundesregierung ist die Zahl der illegal in das Bundesgebiet eingereisten Ausländer nicht bekannt, da sich diese Ausländer im allgemeinen der Erfassung durch die zuständigen Landesbehörden entziehen. Nach Schätzungen von Länderseite dürfte ihr Anteil an der Gesamtzahl der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland jedoch unter 1 % liegen, wobei anzumerken ist, daß sich das besonders auf die Großstädte konzentriert.
Zu Ihrer weiteren Frage, ob die geltenden Rechts - vorschriften über die Ausweisung und Abschiebung von illegal eingereisten Ausländern ausreichen, ist zunächst zu bemerken, daß der Vollzug dieser Rechtsvorschriften in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fällt. Kein Land hat sich bislang dahingehend geäußert, daß es die Vorschriften über die Ausweisung und Abschiebung nach den gewonnenen Erfahrungen für nicht ausreichend erachtet. Diese Auffassung teilt die Bundesregierung.
Den Ländern stehen im Einzelfall folgende ausländerrechtliche Maßnahmen zu:
Illegal eingereiste Ausländer, die nur bei den regelmäßig durchgeführten örtlichen Kontrollen einzeln ermittelt werden können, können nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 des Ausländergesetzes aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden, weil sie ohne erforderliche Legitimationskarte oder Aufenthaltserlaubnis in der Form des Sichtvermerks eingereist sind und damit gegen eine zwingende Vorschrift des Aufenthaltsrechts verstoßen haben.
Nach § 80 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung kann die zuständige Ausländerbehörde des Landes im öffentlichen Interesse den sofortigen Vollzug der Ausweisung anordnen. Sofern die freiwillige Ausreise nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint, sind illegal eingereiste Ausländer gemäß § 13 des Ausländergesetzes zwangsweise aus dem Bundesgebiet zu entfernen. Während die Abschiebung im Regelfall erst nach Androhung und Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise erfolgen soll, kann bei Vorliegen besonderer Gründe - etwa wegen der Gefahr, daß sich der Ausländer der Abschiebung entziehen wird - seine sofortige Entfernung veranlaßt werden. In Fällen, in denen über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne Inhaftnahme wesentlich erschwert würde, kann die Ausländerbehörde nach § 16 des Ausländergesetzes beim Amtsgericht Abschiebungshaft beantragen. Einem Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, darf grundsätzlich später keine Aufenthaltserlaubnis mehr erteilt werden. Bei dem Versuch erneuter Einreise in das Bundesgebiet ist er an der Grenze zurückzuweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, nachdem zwar die Länder bzw. die Gemeinden je nach Größe zuständig sind, die Bestimmungen zu vollziehen, das Ausländerrecht aber in die Kompetenz des Bundes fällt, frage ich Sie, ob die Bundesregierung ihrerseits im Zusammenhang mit ihren Überlegungen über die Erhöhung der inneren Sicherheit bereit ist, eine Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen in Erwägung zu ziehen.
Herr Abgeordneter, im allgemeinen Bereich der illegal eingereisten Ausländer besteht aus den dargelegten Gründen aus der Sicht der Länder, die die praktischen Vollzugserfahrungen haben, ein solches Bedürfnis nicht.
Dort, wo es sich um bestimmte Delikte handelt, wie etwa bei Tätern im Bereich des Rauschgifthandels oder der Waffenkriminalität, hat die Bundesregierung, wie Ihnen bekannt ist, vorgesehen, daß ihre sofortige Ausweisung, unter Umständen sogar ohne Inanspruchnahme ides staatlichen Strafanspruchs, wenn das möglich ist, erfolgt.
Eine weitere Zusatzfrage, hitte.
Herr Bundesminister, nachdem Sie nicht in der Lage sind, auch nur annähernd in absoluten Zahlen - Sie schätzen etwa 1 % - anzugeben, wieviel Ausländer sich illegal auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, frage ich Sie: erblicken Sie in diesem Umstand nicht ein besonderes Gefährdungselement unserer inneren Sicherheit?
Herr Abgeordneter, zunächst ist es nicht richtig, daß ich nicht in der Lage wäre, auch absolute Zahlen anzugeben. Denn ich habe davon gesprochen, daß es sich um etwa 1 % handele. Es ist bekannt, daß 1 % von 2 Millionen 20 000 sind. Ich kann also die Zahl mit der für diesen Bereich möglichen Präzision auf 20 000 beziffern.
({0})
Ich darf hinzufügen, daß ich schon in meiner ersten Antwort darauf hingewiesen habe, daß es hier natürlich eine erhebliche Dunkelziffer gibt. Es ist Ihnen sicher bekannt, Herr Abgeordneter, daß im Zusammenhang mit dem Schwerpunktprogramm der Bundesregierung zur Verbrechensbekämpfung ein wesentlicher Ausbau des Ausländerzentralregisters vorgesehen ist, das gerade der Verbesserung der Erfassung in diesem Bereich dienen soll. - Ich bin allerdings nicht sicher, ob der Fragesteller meine Antwort verstanden hat, da er hier noch weitere bilaterale Verhandlungen führt.
Ich rufe die Fragen 2 und 3 auf, die von Herrn Abgeordneten Ollesch gestellt worden sind:
Treffen Pressemeldungen zu, denen zufolge der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Wolfram Dorn, dem Unternehmen eines ihm befreundeten Verlegers in Altena in Westfalen den Auftrag zum Druck der Zeitschrift „ZivilschutzMagazin" zum monatlichen Herstellungspreis von 93 000 DM zugespielt hat, obwohl ein anderer Bewerber einen Herstellungspreis von nur 68 000 DM verlangt hatte, wodurch die Staatskasse bei einer dreijährigen Laufzeit des Auftrags einen Verlust von 900 000 DM erleidet?
Trifft es zu, daß der Parlamentarische Staatssekretär Wolfram Dorn oder die Beamten im Bundesverband für den Selbstschutz, die die Entscheidung über die Auftragsvergabe getroffen haben, eine, wie der Bayern-Kurier schreibt „anstößige Vermengung von Politik und Geschäft" betrieben haben?
Die Fragen 2 bis 5 stehen, soweit ich das sehe, in einem Gesamtzusammenhang. Ich frage Sie, Herr Minister, ob Sie von der Möglichkeit der Gesamtbeantwortung Gebrauch machen können. Natürlich wird das Recht der einzelnen Fragesteller nicht gekürzt.
Herr Präsident, ich bin auf diese Möglichkeit vorbereitet.
Dann können wir so verfahren. Die Fragen 4 und 5 stellt Herr Abgeordneter Krall:
Wer war für die Auftragsvergabe des „Zivilschutz-Magazins" verantwortlich, und in welchem Umfang war der Parlamentarische Staatssekretär Wolfram Dorn an dieser Auftragsvergabe direkt oder indirekt beteiligt?
Trifft es zu, daß der Bundesrechnungshof die Ausschreibung und Vergabe des Auftrags überprüft hat, und welches Ergebnis hatte diese Prüfung?
Pressemitteilungen, nach denen der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern einem Verlag den Auftrag zum Druck der Zeitschrift ZS-Magazin „zugespielt" habe, obwohl ein preislich günstigeres Angebot eines anderen Bewerbers vorlag, und daß dadurch die Staatskasse bei einer dreijährigen Laufzeit des Auftrages einen Verlust von 900 000 DM erleide, treffen nach den Feststellungen, die in meinem Auftrag getroffen worden sind, nicht zu. Der Parlamentarische Staatssekretär hat sich im Rahmen der ministeriellen Aufsicht als zuständiger Staatssekretär über das Verfahren berichten lassen, aber auf die Vergabe selbst keinen Einfluß genommen.
Der Auftrag für die Herstellung der Zeitschrift „ZS-Magazin" ist auf Grund eines ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahrens nach den Regeln der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A, vergeben worden. 12 Firmen waren zum Angebot aufgefordert worden. 5 Firmen haben fristgerecht Angebote vorgelegt. Der Bundesverband für den Selbstschutz hat sich nach sorgfältiger Prüfung der Angebote durch einen eigens einberufenen Vergabeausschuß für das wirtschaftlichste Angebot entschieden.
Der Bundesrechnungshof hat die gesamte Ausschreibung und Vergabe des Auftrags geprüft und nach den hier vorliegenden Prüfungsmitteilungen vom 13. Juli 1971 keine Einwendungen erhoben. Bei dieser Sachlage ist es nicht verständlich, wie eine „anstößige Vermengung von Politik und Geschäft" behauptet werden kann.
Keine Zusatzfragen. Damit sind die Fragen 2 bis 5 beantwortet.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Fragen 8 und 9 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) auf. Die Fragen werden, da der Herr Abgeordnete nicht im Saal ist, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:
Wann ist damit zu rechnen, daß der Bundesminister des Innern eine Ausbildungsordnung und Prüfungsordnung für Verwaltungslehrlinge erläßt, nachdem die seit Jahren anhängige Frage des Erlasses einer Ausbildungsordnung immer dringlicher wird?
Ihre Frage, Herr Abgeordneter, umfaßt zwei Teile. Ich darf zuerst zur Ausbildungsordnung und anschließend zur Prüfungsordnung Stellung nehmen.
In dem geltenden Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe sind mehrere Berufsordnungsmittel aufgeführt, nach denen die Ausbildung für den Beruf des Verwaltungsangestellten als vergleichbar geregelt gilt. Um die Zusammenfassung dieser Ausbildungsordnungen in einer Rechtsverordnung in Angriff nehmen zu können, waren zunächst einige rechtliche Probleme zu klären. Darauf hatte ich schon in meiner schriftlichen Antwort vom 30. September 1971 auf Ihre Frage ähnlichen Inhalts hingewiesen. Die Klärung ist abgeschlossen. Die Gestaltung des fachlichen Inhalts der Rechtsverordnung bedarf jedoch noch einer sorgfältigen Abstimmung mit allen Bedarfsträgern in Bund, Ländern und Gemeinden, die Verwaltungsangestellte beschäftigen. Sie wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung ist aber um einen beschleunigten Abschluß dieser Arbeiten bemüht. Der Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Rechtsverordnung kann indes noch nicht genannt werden.
Die Ausbildung für den Beruf der Verwaltungsangestellten wird durch das Fehlen dieser Rechtsverordnung nicht behindert, weil die Ausbildung weiterhin nach den vorhandenen Ausbildungsordnungen erfolgen kann.
Prüfungsordnungen für die Durchführung von Abschlußprüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen sind von den nach dem Berufsbildungsgesetz zu bestimmenden zuständigen Stellen nur zu erlassen, wenn in den jeweiligen Bereichen Verwaltungslehrlinge ausgebildet werden. Das für meinen Geschäftsbereich zuständige Bundesverwaltungsamt hat bisher deshalb eine Prüfungsordnung nicht erlassen, weil Verwaltungslehrlinge in meinem Geschäftsbereich nicht ausgebildet werden.
Zunächst können allgemein bis zum Erlaß neuer Prüfungsordnungen die Abschlußprüfungen nach den in das Verzeichnis eingetragenen bisherigen Prüfungsordnungen durchgeführt werden, wenn die Prüfungsausschüsse spätestens ab 1. Januar 1972 nach den neuen Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes besetzt sind. Neue Prüfungsordnungen wären jeweils von den Behörden zu erlassen, die von den obersten Bundesbehörden und von den Ländern als zuständige Stellen im Sinne des Berufsbildungsgesetzes bestimmt werden. Soweit in Einzelbereichen neue Prüfungsordnungen noch nicht erlassen worden sind, wird also der ordnungsmäßige Abschluß der Ausbildung nicht gehindert.
Zusatzfrage.
Herr Minister, könnten Sie angesichts der Tatsache, daß ja in diesem Sommer viele Tausende von Verwaltungslehrlingen die Schulen verlassen werden, und angesichts der Tatsache, daß zwar das, was Sie über den vorläufigen Status gesagt haben, zutreffend ist, daß aber die Lehrlinge de facto keinen Abschluß haben, der allgemein anerkannt wird, wenigstens sagen, ob es nicht noch in diesem Jahr möglich ist, dieses leidige Problem zu lösen, um so mehr, als überall auch wegen der unterschiedlichen Ordnungen, nach denen jetzt geprüft wird, darüber geklagt wird, daß das Niveau der Lehrlinge in dieser Interregnumszeit zuungunsten der Verwaltung bedenklich abgesunken ist?
Herr Abgeordneter, in der Beurteilung der Dringlichkeit der Lösung dieser Probleme stimme ich mit Ihnen überein. Das ist auch der Grund dafür, warum Weisung gegeben worden ist, diese Arbeit mit äußerster Beschleunigung durchzuführen.
Ich darf noch einmal fragen: Kann wenigstens noch in diesem Jahr damit gerechnet werden?
Wir wollen alles tun, um diesen Termin einzuhalten.
Ich rufe jetzt die noch offene Frage 6 des Herrn Abgeordneten Wurbs auf:
Stimmt die Behauptung des Bayern-Kuriers vom 11. März 1972, daß der Parlamentarische Staatssekretär Wolfram Dorn mehrere FDP-Mitglieder, deren berufliche Qualifikation umstritten ist, mit hochdotierten Posten beim Bundesverband für den Selbstschutz versorgte, so z. B. einen Briefmarkenhändler, der zum Landesstellenleiter in Bremen ernannt wurde?
Die Behauptung des „Bayern-Kuriers" ist falsch, Herr Abgeordneter.
Der Bundesverband für den Selbstschutz besitzt auf Grund der Verordnung über den Aufbau des Bundesverbandes für den Selbstschutz vom 6. April 1971 eine eigene Personalhoheit. Über die Einstellung von Mitarbeitern entscheidet der Bundesverband selbst. Nach § 11 der genannten Verordnung bedarf zwar die Einstellung von Mitarbeitern der Vergütungsgruppe II b BAT und höher der Zustimmung meines Hauses; der Bundesminister des Innern hat aber kein Recht, den Bundesverband zur Einstellung bestimmter Bewerber zu veranlassen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dorn hatte bei dieser Rechtslage daher keine Möglichkeit, bestimmte Personen „mit hochdotierten Posten beim Bundes10502
verband für den Selbstschutz" - wie es in diesem Artikel heißt - zu versorgen.
Das gilt auch für den genannten Landesstellenleiter in Bremen. Dieser Mitarbeiter war bis 1945 aktiver Marineoffizier, übte bis 1960 eine Tätigkeit als selbständiger Briefmarkenhändler aus und war dann bis 1968 Leiter einer Ortsstelle des Bundesverbandes für den Selbstschutz. Seine Berufung zum Landesstellenleiter in Bremen erfolgte auf Beschluß des Vorstandes des Bundesverbandes, der ihn unter mehreren Bewerbern ausgewählt hat. Der Berufung habe ich im Benehmen mit dem Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen zugestimmt. Der Landesstellenleiter gehört übrigens, wie ich zufällig weiß, Herr Abgeordneter, keiner der Regierungsparteien an. Die Betonung liegt in diesem Zusammenhang auf „Regierung".
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Wurbs auf:
Stimmt es, daß der Chefredakteur des „Zivilschutz-Magazins" ohne Beteiligung des BVS-Vorstands ernannt und in die Vergütungsgruppe I b eingestuft wurde?
Es stimmt nicht, daß der Chefredakteur des ,,Zivilschutz-Magazins'' ohne Beteiligung des Vorstandes des Bundesverbandes für den Selbstschutz als Angestellter der Vergütungsgruppe I b BAT eingestellt worden ist. Richtig ist vielmehr, daß der Vostand des Bundesverbandes sowohl der Einstellung als auch der Eingruppierung in die Vergütungsgruppe I b BAT, die aus tariflichen Gründen geboten war, ohne Einschränkung zugestimmt hat.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen 11 und 12 des Herrn Abgeordneten Storm auf. - Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht im Saal. Die Fragen werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 13 ist von dem Herrn Abgeordneten Wagner ({0}) eingebracht:
Ist die Bundesregierung bereit, konkrete Richtlinien zum sogenannten Extremistenbeschluß zu erlassen, um zu gewährleisten, daß die einschlägigen Personalfälle in Bund und Ländern gleichmäßig behandelt werden?
Herr Abgeordneter, die Regierungschefs der Länder haben in einer Besprechung mit dem Bundeskanzler am 28. Januar 1972 Grundsätze über die Beschäftigung von rechts- und linksradikalen Personen im öffentlichen Dienst beschlossen und darüber ein Kommuniqué herausgegeben, das auch veröffentlicht worden ist, nachzulesen im Bulletin vom 3. Februar 1972, Seite 142. Ob und gegebenenfalls welche Richtlinien darüber hinaus zur Durchführung dieses Beschlusses im einzelnen noch notwendig sind, wird zur Zeit von den Innenministern des Bundes und der Länder geprüft.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, hat sich die Bundesregierung bereits eine klare Meinung darüber gebildet, welche Organisationen verfassungsfeindliche Ziele verfolgen? Zählen z. B. DKP, NPD und Spartakus dazu?
Herr Abgeordneter, die Frage der Durchführung dieses gemeinsamen Beschlusses, den die Regierungschefs des Bundes und der Länder in ihrer gemeinsamen Verantwortung für die innere Sicherheit getroffen haben, ist, wie ich schon ausführte, Gegenstand der Erörterungen zwischen Bund und Ländern. Ich möchte dem Ergebnis dieser Erörterungen nicht vorgreifen. Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß die Vertreter Ihrer Fraktion in dem heute bei dem Herrn Bundeskanzler stattgefundenen Gespräch auch zu dieser Frage eine Antwort erhalten haben, übrigens durch den Innenminister von RheinlandPfalz.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, für welchen Zeitpunkt rechnen Sie mit dem Abschluß dieses Gesprächs zwischen Bund und Ländern?
Ich hoffe, daß es möglich sein wird, schon bei der Ende des Monats stattfindenden Konferenz der Innenminister zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Abgeordnete Dr. Schneider ({0}) hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 14 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Trifft es zu, daß Forschungsassistenten und Verwaltern einer wissenschaftlichen Assistentenstelle an Universitäten, die als Angestellte gemäß §§ 2 und 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes uni gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO von der Versicherungspflicht befreit sind, ein Arbeitgeberzuschuß zusteht, der ihnen aber nicht gewährt wird?
Ich gehe davon aus, Herr Abgeordneter, daß Ihre Frage sich auf den Zuschuß des Arbeitgebers zum Krankenversicherungsbeitrag für nicht pflichtversicherte Angestellte gemäß § 405 RVO bezieht. Nicht pflichtversicherte Angestellte haben Anspruch auf einen solchen Zuschuß, wenn sie nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO versicherungspflichtig oder nach § 173 b RVO oder nach Art. 3 § 1 Abs. 4 des Gesetzes vom 24. August 1965 von der Versicherungspflicht befreit sind und die übrigen, hier nicht interessierenden Voraussetzungen des § 405 RVO erfüllen. Angestellte, die aus anderen Gründen nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtverBundesminister Genscher
sichert sind, haben keinen Anspruch auf den Zuschuß.
Die Länder, in deren Bereich die von Ihnen genannten Angestellten ausschließlich beschäftigt sind, verneinen nach Auskunft der Tarifgemeinschaft deutscher Länder überwiegend den Anspruch auf den Arbeitgeberzuschuß nach § 405 RVO. Sie sind der Auffassung, daß diese Angestellten nicht aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen, sondern nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO versicherungsfrei sind, weil sie während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf gegen Entgelt tätig sind. Lediglich Hamburg und Hessen gehen nicht von einer solchen Annahme aus, was zur Folge hat, daß die betreffenden Angestellten dort den Zuschuß nach § 405 RVO erhalten.
Die Anwendung dieser Vorschrift auf die oben genannten Angestellten ist ausschließlich Sache des jeweiligen Arbeitgebers und fällt somit nicht in die Zuständigkeit des Bundes.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie nicht doch meine Ansicht - trotz der Nichtzuständigkeit des Bundes -, daß dies eine Ungerechtigkeit den Angestellten gegenüber ist?
In unterschiedlichen Behandlungen liegen meist Ungerechtigkeiten, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Metzger auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß bei dem kürzlich fertiggestellten Sport-Bundesleistungszentrum in Heidelberg das Schwimmbecken 23 cm zu kurz gebaut wurde und damit für internationale Sportveranstaltungen ungeeignet ist?
Das Universitätsbauamt Heidelberg, Herr Abgeordneter, hat am 30. August 1971 durch ein Ingenieurbüro feststellen lassen, daß das Schwimmbecken im Bundesleistungszentrum Heidelberg ein tatsächliches Längenmaß von 50,027 m von Fliese zu Fliese hat. Das Meßprotokoll trägt den Sichtvermerk des Deutschen Schwimm-Verbandes vom 16. September 1971. Das Schwimmbecken ist damit für internationale Sportveranstaltungen geeignet.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Metzger auf:
Wie hoch sind die zusätzlichen Kosten dieses Leistungszentrums, die durch die angebliche Korrektur von Fehlplanungen ({0}) sowie durch den Ausfluß von mehreren tausend Litern Öl ({1}) entstanden sind?
Dem bauleitenden Universitätsbauamt Heidelberg ist von etwaigen Sichtbehinderungen in der großen Sporthalle, der Volleyball- und Basketballhalle, und daraus resultierenden Forderungen auf Änderung nichts bekannt.
Bei dem ersten Einfüllen von Heizöl sind nicht genau zu ermittelnde Ölmengen in das Erdreich eingedrungen, was umfangreiche Erd- und Bauarbeiten notwendig gemacht hat, deren Gesamtkosten auf zirka 250 000 DM geschätzt werden. Auf Veranlassung der Universität Heidelberg als Betreiberin der Anlage wurde ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt. In den nächsten Tagen soll die Schuldfrage geklärt werden.
Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, von wann diese Information des zuständigen Amtes über die Beleuchtungsverhältnisse in der Halle ist?
Ich kann das in diesem Moment nicht beantworten, will das aber gern nachreichen, Herr Abgeordneter.
Eine zweite Frage?
Bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß bereits Änderungsarbeiten durchgeführt werden, um die Sichtverhältnisse in der Halle zu verbessern?
Nein, Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Die erste Frage ist die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz:
Kann die Bundesregierung angeben, um wieviel Prozent sich das deutsche Agrarpreisniveau, ausgehend von den derzeitigen Marktpreisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, durch die im Ministerrat der EWG beschlossene Agrarpreiserhöhung anhebt?
Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Ritz, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Auf Grund der Brüsseler Preisbeschlüsse vom 24. März 1972 kann - umgerechnet auf ein volles Jahr - gegenüber 1971/72 eine Anhebung des Agrarpreisniveaus - ich möchte betonen: Erzeugerpreisniveaus - in der Bundesrepublik um rund 2 % erwartet werden. Die Marktpreise der wichtigsten Marktordnungsprodukte liegen zur Zeit erheblich über dem Interventions- und Orientierungspreis10504
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
niveau. Da nicht auszuschließen ist, daß die Marktpreise unter dem Einfluß von Angebots- und Nachfrageänderungen sinkende Tendenz haben, kommt den Brüsseler Preisbeschlüssen jedoch eine erheblich höhere Bedeutung zu. Sie führen nämlich nicht nur zu einer Anhebung der Agrarpreise um rund 2 %, sondern verhindern darüber hinaus mögliche Preisrückgänge beträchtlichen Ausmaßes. Dies gilt insbesondere für Milch. Die volle Tragweite der Brüsseler Beschlüsse kommt darin zum Ausdruck, daß sich die Marktordnungspreise in der EWG gegenüber 1971/72 - umgerechnet auf ein volles Jahr - um 6,4 % erhöhen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie jetzt davon ausgehen, daß sich die Beschlüsse von Brüssel in Preiserhöhungen um 2 0/0 auswirken: Wie erklären Sie sich dann die Aussage des Bundesministers am Abend nach diesen Preisbeschlüssen, daß nunmehr mit einer Preisanhebung von 7,8 % zu rechnen sei, und glauben Sie nicht, daß eine solche Aussage sowohl bei den Erzeugern gefährliche falsche Erwartungen weckte wie auch bei den Verbrauchern falsche Befürchtungen hervorrufen mußte?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Ritz, ich kann dazu nur sagen, Herr Minister Ertl hat am Morgen, soviel ich mich erinnere, nach Abschluß der Nachtberatungen so zwischen Tür und Angel, wie ich es nennen will, einige grob geschätzte Zahlen genannt. Ich erinnere mich nicht daran, irgendwo gelesen zu haben, daß dabei von einer Erhöhung der Erzeugerpreise die Rede ist. Minister Ertl weiß ja, was in Brüssel beschlossen werden kann. Es wäre schön, Kollege Dr. Ritz, wenn wir in Brüssel Garantiepreise für die Erzeuger beschließen könnten. Sie wissen aber, daß das nicht möglich ist. Insofern stelle ich hier also in Abrede, daß eine solche Äußerung gefallen sein könnte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, halten Sie die von Ihnen angegebenen 2 % im Hinblick auf alle Aussagen der Bundesregierung vor diesen Preisbeschlüssen und im Hinblick auf die Notwendigkeiten innerhalb der Landwirtschaft für ausreichend?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Ritz, ich habe das Brüsseler Ergebnis als erfolgreich bezeichnet. Sie kennen die Schwierigkeiten bei den Brüsseler Verhandlungen. Ich meine, ich kann bei meiner Aussage bleiben, denn wenn ich an die ersten Vorschläge der Kommission denke, so war es ja so, daß doch bezüglich der zuerst vorgeschlagenen 2 bis 3 % Anhebung der Marktordnungspreise mit den jetzt beschlossenen 6,4 % ein beachtlicher Erfolg erzielt wurde.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rainer.
Herr Staatssekretär, kann die deutsche Landwirtschaft damit rechnen, daß auf Grund der Brüsseler Preisbeschlüsse im kommenden Wirtschaftsjahr Mehreinnahmen von 700 Millionen DM von der deutschen Landwirtschaft erzielt werden können?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die deutsche Landwirtschaft kann damit rechnen, daß sie gegenüber 1971/72 - auf ein volles Jahr bezogen - eine Einkommensverbesserung um rund 725 Millionen DM erzielen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Früh.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nach Ihren Ausführungen jetzt nicht meine Meinung, daß die Landwirte auf Grund der Veröffentlichungen nach den Verhandlungen in Brüssel, wo in den allermeisten Zeitungen von Preiserhöhungen um 7,8 % und von 700 Millionen DM die Rede war, ganz andere Erwartungen an das Ergebnis dieser Verhandlungen geknüpft haben und nach Ihren heutigen Zahlen nun bitter ,enttäuscht werden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das glaube ich nicht. Es ist immer wieder die Rede von einer Einkommensverbesserung um rund 700 Millionen DM gewesen. Insofern, finde ich, laufen die Aussagen bei einem Vergleich mit dem, was wir heute errechnen, nicht auseinander.
Eine letzte Frage des Herrn Abgeordneten Struve.
Herr Staatssekretär, können Sie sich, nachdem Sie eingeräumt haben, daß die 2 0/o enttäuschend sind, vorstellen, daß die Bundesregierung aus eigenem Antrieb aus nationalen Mitteln noch zusätzliche Hilfsmaßnahmen nach dem sehr miserablen Ergebnis von 1970/71 einleitet? Ich denke z. B. an eine Umgruppierung im Haushalt, was auch von Minister Ertl in der zurückliegenden Zeit zumindest nicht abgelehnt worden ist.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Struve, zunächst ein Wort zu dem, was Sie „miserables Ergebnis" nennen. Ich werte es positiver. Ich finde, wir sollten hier eine ehrliche Bilanz aufmachen. Ich werte das ErParlamentarischer Staatssekretär Logemann
gebnis deshalb positiver, Herr Kollege Struve, weil es Minister Ertl jetzt zum zweitenmal gelungen ist, von Brüssel mit Preisverbesserungen zurückzukommen. Ich gebe zu, daß auch wir lieber stärkere Preisverbesserungen gesehen hätten. Tatsache ist immerhin, daß im letzten Jahr eine Preisverbesserung im Sinne einer Einkommensverbesserung für die Landwirtschaft aus Brüssel mitgebracht wurde, die wir damals auf etwa 800 bis 900 Millionen DM beziffert haben und die auch realisiert worden ist, und jetzt eine Einkommensverbesserung um 725 Millionen DM! Ich möchte das nicht ein miserables Ergebnis nennen, sondern ich bezeichne es angesichts der Schwierigkeiten bei den Verhandlungen, bei denen doch von vornherein, Herr Kollege Struve, das Nein Frankreichs und Italiens zu Getreidepreiserhöhungen feststand - das mußte ja erst überwunden werden - als ausgezeichnetes Ergebnis.
Zu der Unterfrage, die Sie gestellt haben, möchte ich folgendes sagen: Wir rechnen im jetzigen Wirtschaftsjahr damit, daß sich die in der Vorschau des Agrarberichts genannte Zahl bezüglich einer Verbesserung der Einkommenssituation um 12 % realisieren wird. Gegenüber dem Vorjahr haben wir bei Einzelerzeugnissen - das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen - doch erhebliche Preisanhebungen auf unseren Märkten zu verzeichnen. Das wird also zu einer Realisierung dieser 12 % führen.
Was die Haushaltsmittel betrifft, Herr Kollege Struve, befinden wir uns in einer außerordentlichen Schwierigkeit. Wir haben im letzten Jahr angesichts der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, die man auch durchaus in meinem Hause gesehen hat, versucht, ausgleichend zu wirken, und zwar mit einer beachtlichen Liquiditätshilfe. Wir sind mit dieser Liquiditätshilfe bis an die Grenze des in der EWG überhaupt Vertretbaren gegangen. Sie wissen, daß die EWG gerade diese Maßnahme stark kritisiert und angegriffen hat. Ich glaube, wir würden nicht noch einmal mit einer ähnlichen Form von Unterstützung aus Haushaltsmitteln in der EWG zurechtkommen, sondern dort mit Sicherheit auf großen Widerstand stoßen. Wie Sie wissen, Herr Kollege Struve, werden zur Zeit auch noch andere Überlegungen angestellt. Ich denke z. B. an die Beratung des Umsatzsteuergesetzes, an die Erhöhung der Vorsteuerpauschale bei der Mehrwertsteuer - das würde gewisse Vorteile für ,die Landwirtschaft bringen -, und ich denke an den Kostenbereich. Sie kennen die Überlegungen, die bei der Umstellung des Dieselkraft-Verbilligungs-Verfahrens angestellt werden.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften einer Vereinbarung zugestimmt hat, nach der bei einer Fixierung der Wechselkurse der für die deutsche Landwirtschaft z. Z. gültige Grenzausgleich stufenweise abgebaut wird?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident, darf ich beide Fragen zusammen beantworten?
Ja, wenn der Herr Fragesteller damit einverstanden ist. Sein Zusatzfragerecht wird dadurch nicht verkürzt. Ich rufe also noch die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh auf:
Kann die Bundesregierung darüber Auskunft geben, ob, in welcher Höhe und in welcher Art gegebenenfalls Maßnahmen getroffen werden, die verhindern, daß den deutschen Landwirten bei einem Abbau des Grenzausgleichsystems Einkommensverluste entstehen?
Bitte!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Es trifft zu, daß der EG-Ministerrat beschlossen hat, im Falle einer Fixierung der Wechselkurse den dann festzulegenden Grenzausgleich stufenweise abzubauen. Der Rat hat aber auch bestimmt, daß „zugleich Maßnahmen getroffen werden, damit von diesem Abbau die Einkommen der Landwirte nicht betroffen werden. Die Durchführungsmodalitäten werden vom Rat auf Vorschlag der Kommission festgelegt".
Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, könnten Sie im Detail über die vorgesehenen Maßnahmen, die eine Einkommensminderung der Landwirte varhindern sollen, kurz berichten?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ja. Zum einen ist daran gedacht - auch das ist in Pressemeldungen und in Aussagen aus meinem Hause in der letzten Zeit, glaube ich, deutlich geworden -, daß der Grenzausgleich in einer Größenordnung von 2,76 v. H. weiter durchgeführt werden soll. Hier ist degressiv ein Abbau vorgesehen. Um Einkommenseinbußen für die Landwirtschaft zu vermeiden, sind zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen. Wenn wir also von einer D-Mark-Aufwertung von 4,61 v. H. ausgehen, dann würde danach ein Prozentsatz von 1,85 v. H. noch auszugleichen sein. Dieser müßte durch nationale Maßnahmen geschehen. Auch hier sind gewisse Dinge im Gespräch. Ich erinnere dabei an die Mehrwertsteuer, die auch in Brüssel ins Gespräch gebracht worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, würde sich die von Ihnen soeben angesprochene Mehrwertsteuerregelung auch schon an der Grenze auswirken?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Sie würde sich sicherlich an der Grenze auswirken.
Eine weitere Zusatzfrage.
Teilen Sie meine Ansicht, Herr Staatssekretär, daß, wenn sich die Mehrwertsteuer nicht an der Grenze auswirkte, dadurch Marktströme in der EWG zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft verschoben werden und der Marktanteil der deutschen Landwirtschaft damit zurückginge?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Frage, ob es im Zuge des D-MarkAufwertungsausgleichs zu Verschiebungen von Warenströmen gekommen ist, ist ja auch im Hohen Hause oftmals diskutiert worden. Wir haben immer wieder nachweisen können, daß das als Auswirkung des D-Mark-Aufwertungsausgleichs nicht der Fall gewesen ist. Ich befürchte daher auch künftig keine solche Entwicklung.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, könnten Sie, da ja Obst und Gemüse nicht unter die Grenzausgleichsregelung fällt und deshalb immer mehr betroffen sein wird als die anderen Nahrungsgüter, mindestens andeuten, was in dem Schreiben des Herrn Bundesernährungsministers die Passage „daß die Vorschriften für Obst und Gemüse in der Weise angepaßt werden, ,daß die Preise für diese Erzeugnisse in geeigneter Weise dazu beitragen, die Einkünfte der Erzeuger zu unterstützen" heißen soll? Was ist unter „geeigneter Weise" zu verstehen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Dazu darf ich folgendes sagen. Bei dem Grenzausgleichssystem haben wir die Erfahrung machen müssen - das war auch von vornherein vorauszusehen -, daß der Grenzausgleich nur bei den Erzeugnissen mit Marktordnungspreisen wirksam werden kann. Daraus folgt, daß eine Lücke entstand bei Ost und Gemüse, zum Teil auch bei Eiern und Geflügelfleisch, weil der Grenzausgleich nur nach der Getreideinzidenz angesetzt werden konnte.
Wir haben, wie Sie wissen, im letzten Jahr versucht, mit nationalen Mitteln hier einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen. Folgendes müssen Sie jetzt bedenken. Wenn es zu einer Mehrwertsteuerlösung plus Grenzausgleich käme, dann wäre das gegenüber dem Grenzausgleich allein - auch für die von Ihnen genannten Erzeugnisse - als ein Vorteil anzusehen. Wir würden dann also einen besseren Ausgleich schaffen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bremm.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob es bei der angespannten Finanzlage des Bundeshaushalts überhaupt noch Mittel gibt, um der deutschen Landwirtschaft irgendeinen Ausgleich zukommen zu lassen und - wenn ja - in welcher Form?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich habe davon gesprochen, daß u. a. an die Einführung einer Mehrwertsteuerlösung gedacht ist. Im übrigen bin ich Ihrer Auffassung, daß es sehr schwierig sein wird, mit Haushaltsmitteln das zu wiederholen, was im letzten Jahr bezüglich der Liquiditätshilfe geschehen ist, einmal im Hinblick auf Brüssel und zweitens, weil Mittel im Bundeshaushalt fehlen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, ich kann direkt an diese Frage anschließen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß selbst nach Einführung der Mehrwertsteuerregelung der dann ja noch praktizierte Grenzausgleich nach dem Beschluß von Brüssel stufenweise abgebaut werden soll, frage ich Sie, welche Maßnahmen vorgesehen sind, um die dann entstehenden Einkommensbeeinträchtigungen der Landwirtschaft zu verhindern.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Ritz, ich kann Ihnen heute keine Einzelmaßnahmen mitteilen. Ich kann aber darauf hinweisen, daß im Ministerrat Einigkeit darüber bestand, daß, weil durch Währungsveränderungen keine Einkommenssenkungen für die deutsche Landwirtschaft entstehen sollen, dann durch zusätzliche Maßnahmen ein Ausgleich geschaffen werden muß.
Bundeskanzler Brandt hat auch anläßlich der Agrardebatte mit Nachdruck betont, daß durch Währungsveränderungen keine Einkommenssenkungen für die Landwirtschaft eintreten werden. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir bei Einführung des D-Mark-Aufwertungsausgleichs 1969 unser Versprechen gehalten haben, Einkommenseinbußen infolge der D-Mark-Aufwertung zu verhindern. Auch bei der Einführung des Floatings haben wir Einkommensrückgänge für die Landwirtschaft verhindert.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bittelmann.
Herr Staatssekretär, wie stellt sich die Bundesregierung zu den schon jetzt aus anderen Mitgliedsstaaten zu vernehmenden Äußerungen, daß der Grenzausgleich nach Fixierung der Kurse umgehend abgebaut werden muß bzw. die Ausgleichszahlungen umgehend wieder abgebaut werden müssen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, darüber hat es in Brüssel lange Beratungen gegeben. Es ist zwar ein stufenweiser Abbau vorgesehen, aber nach langen Verhandlungen und nach Überwindung des Widerstands Frankreichs ist ein Grenzausgleich ohne Datum festgelegt worden. Dies ist - wie Sie, Herr Kollege, wissen - nur dem persönlichen Einsatz von Minister Ertl zu verdanken.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Die Frage 52 ist von Herrn Abgeordneten Werner eingebracht. Ich sehe den Kollegen nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Kater, die Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Biechele und die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Zebisch werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Härzschel auf. Ich sehe den Kollegen nicht im Saal, so daß auch seine beiden Fragen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär Rohde, Sie haben keine Fragen zu beantworten. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Berkhan zur Verfügung. - Ich sehe die Herren Kollegen Engelsberger, Hussing und van Delden nicht im Saal, so daß auch diese Fragen 61, 62 und 63 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar zur Verfügung. Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal, die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Baeuchle hat gebeten, daß seine Fragen 67 und 68 schriftlich beantwortet werden. Dem Wunsch wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Dr. Arndt ({1}) hat seine Fragen 65 und 66 zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal, die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Kollegin Frau Herklotz ist nicht im Saal, so daß auch die Frage 70 - ebenso wie die Frage 71 des Abgeordneten Seibert - schriftlich beantwortet wird. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Dr. Kempfler hat mich soeben noch um schriftliche Beantwortung der beiden von ihm eingereichten Fragen 72 und 73 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Josten auf. - Der Fragesteller ist nicht im Saal, so daß auch diese Frage schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die nächste Frage 75 ist vom Herrn Abgeordneten Dr. Hermesdorf ({2}) eingebracht worden:
Wann ist mit dem Beginn des Ausbaues und wann mit der Fertigstellung der A 111 zu rechnen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die A 111 ({3}) ist nach dem Bedarfsplan - Anlage zum Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen 1971-1985 - in die II. und III. Dringlichkeit eingereiht worden. Die Maßnahmen der I. Dringlichkeitsstufe haben einen so großen Umfang, daß allein ihre Verwirklichung den Zeitraum bis 1985 erfordert. Nähere Angaben über den Baubeginn oder die Fertigstellung der A 111 können somit zur Zeit noch nicht gemacht werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist bei der ungünstigen Terminplanung berücksichtigt worden, daß die vorgesehene A 111 eine wichtige Funktion zur Erschließung des Eifelraums hat und für den starken aus Belgien und den Niederlanden in die Bundesrepublik einfließenden Verkehr von größter Bedeutung ist?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Das ist bei unseren Überlegungen mit berücksichtigt worden. Ich darf Sie aber darauf aufmerksam machen, daß bei dem uns vorliegenden Übersichtsplan auch noch Schwierigkeiten bezüglich der Trassenführung durch Einsprüche und Bedenken seitens der Naturschutzbehörden und der Forstwirtschaft bestehen. Wir sind im Hause noch dabei, diese Schwierigkeiten auszuräumen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß eine Entscheidung über die Trassenführung, be10508
Dr. Hermesdorf ({0})
sonders im Gebiet des Truppenübungsplatzes Vogelsang, noch nicht getroffen worden ist?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Da hier noch Schwierigkeiten bestehen, kann man im Augenblick noch nicht von einer endgültigen Trassenführung sprechen.
Die Fragen 76, 77 und 78 werden wegen Nichtanwesenheit der Fragesteller, die Fragen 79 und 80 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 81 ist vom Herrn Abgeordneten Lenzer eingebracht:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der bei der Deutschen Bundespost seit Jahren beklagte Ingenieurmangel sich dadurch spürbar verringern ließe, daß analog zum gehobenen Postdienst für Verwaltungsaufgaben bei den Fernmeldeämtern Abiturienten eingestellt und fachbezogen ausgebildet werden und dann Ingenieure von reinen Verwaltungsarbeiten befreit und ausschließlich mit technischen Aufgaben betreut werden könnten?
Herr Staatssekretär, bitte!
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung, daß sich der Ingenieurmangel bei der Deutschen Bundespost durch die in Ihrer Frage genannten Maßnahmen spürbar verringern ließe. Die Expansion im Fernmeldewesen und der wachsende Fehlbestand an technisch vorgebildetem Personal zwingen die Deutsche Bundespost in besonderem Maße dazu, nur solche Tätigkeiten dem technischen Dienst zuzuordnen, die zur sachgemäßen Erledigung unabweisbar eine entsprechende technische Vorbildung der Kräfte erfordern.
Auf Grund jüngster Untersuchungsergebnisse erscheint es jedoch in folge des schnellen Funktionswandels im Fernmeldewesen möglich, einige bisher dem Ingenieurbereich zugeordnete Tätigkeiten künftig dem gehobenen nichttechnischen Dienst zu übertragen. Der Umfang dieser Verlagerungsmöglichkeiten ist aber zu gering, als daß er zu einer spürbaren Verbesserung der Personallage im gehobenen fernmeldetechnischen Dienst führen könnte.
Für die zahlenmäßig kleine Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Fernmeldedienstes - rund 3300 Arbeitsplätze - wird der Nachwuchsbedarf im Wege des innerbetrieblichen Aufstiegs gewonnen. Die Einrichtung eines Einstiegs für Abiturienten würde die relativ geringen Aufstiegsmöglichkeiten für die rund 21 000 Kräfte des mittleren nichttechnischen Fernmeldedienstes weiter einschränken. Dies ist jedoch aus personalpolitischen Gründen nicht vertretbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lenzer.
Herr Staatssekretär, da Sie die in der Fragestellung formulierte Auffassung nicht teilen, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht der Ansicht sind, daß es unzweckmäßig und unwirtschaftlich ist, wenn Spezialkräfte des technischen Dienstes für Verwaltungsaufgaben verwendet werden?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wir prüfen auch diese Frage im Hause. Ich darf Ihnen sagen, daß unsere Modellvorstellungen, soweit es sich um eine Veränderung der Laufbahnordnungen handelt, gegenwärtig noch geprüft werden. Es sollte deshalb davon abgesehen werden, in der Antwort insbesondere jetzt Lösungsmöglichkeiten schon aufzuzeigen, bevor wir die Ressortverhandlungen abgeschlossen haben.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß dann diese Prüfung doch so schnell wie möglich abgeschlossen werden sollte, da der Erfolg solcher Maßnahmen ohnehin frühestens in drei Jahren nach Beendigung der Ausbildung der Nachwuchskräfte wirksam werden kann?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Sie dürfen sicher sein, daß wir das beschleunigt tun.
Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die innerhalb der Laufbahnen des gehobenen Dienstes bei der Deutschen Bundespost durch erheblich voneinander abweichende Stellenschlüssel vorgegebenen unterschiedlichen Berufschancen anzugleichen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Die Bundesregierung hält es nicht für notwendig, im Sinne Ihrer Anregung tätig zu werden. Für alle Laufbahnen des gehobenen Dienstes der Deutschen Bundespost gilt grundsätzlich der gleiche Stellenschlüssel. Abweichende - günstigere - Stellenschlüssel sind auf Grund des Bundesbesoldungsgesetzes für die Beamten der drei zentralen Mittelbehörden und der beiden Fachhochschulen der Deutschen Bundespost sowie für Beamte in bestimmten „Funktionsgruppen" vorgesehen.
Unterschiedliche Berufs- und Beförderungschancen können sich aus diesen Sonderregelungen nur insoweit ergeben, als bei der Deutschen Bundespost im Verhältnis mehr gehobene technische als gehobene nichttechnische Beamte in die Funktionsgruppen aufgenommen werden. Bei der Auswahl der genannten Funktionsgruppen und deren Aufnahme in die Rechtsverordnung vom 23. 12. 1971 hat sich die Bundesregierung an den Vorstellungen des Deutschen Bundestages orientiert, die auf eine Besserstellung bestimmter Funktionsgruppen, darunter die Techniker, hinzielen. Ich darf Sie dabei auf die Bundestagsdrucksache VI/1885 verweisen.
Parlamentarischer Staatssekretär Haar
Dabei ist aber dem Grundsatz sachgerechter Bewertung soweit wie nur irgend möglich Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist nach Ihren Äußerungen dann die jetzt bestehende Diskrepanz zwischen den Berufschancen gleichwertiger Laufbahnen mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, und steht dazu nicht das Schreiben Ihres Herrn Ministers an die Deutsche Postgilde vom 24. 6. 1971 im Widerspruch, in dem ausdrücklich die Gleichwertigkeit zwischen den Laufbahnen des gehobenen Dienstes bei der Deutschen Bundespost betont worden ist?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bin im Augenblick nicht im Besitz des Schreibens des Herrn Ministers, das Sie hier erwähnen. Ich will das gern noch einmal überprüfen. Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Hat die Deutsche Bundespost schon einmal Überlegungen angestellt, inwieweit eine jährliche Zahlung der Rundfunkgebühren, zu der die Teilnehmer mit entsprechendem Rabatt eingeladen werden müßten, auch die Verwaltungskosten der Deutschen Bundespost reduzieren könnte?
Herr Staatssekretär!
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ja, Herr Kollege, die Deutsche Bundespost hat solche Überlegungen angestellt.
Bereits im Jahre 1967 hat sie geprüft, wie sich der Einzug der Rundfunkgebühren für einen längeren als einmonatigen Zeitraum wirtschaftlich auswirken würde. Nach dem Ergebnis der damaligen Prüfung würden sich die jährlichen Verwaltungskosten bei genereller vierteljährlicher Einziehung um 36 %, bei halbjährlicher Einziehung um 48 % und bei jährlicher Einziehung um 54 % ermäßigen. Das Ergebnis der Prüfung wurde seinerzeit der ARD mitgeteilt. Die Rundfunkanstalten als Gläubiger der Rundfunkgebühren haben bei der Neuregelung des Rundfunkgebührenwesens durch die Bundesländer eine Änderung der monatlichen Fälligkeit, die auch für die Rundfunkanstalten kostengünstiger gewesen wäre, leider nicht erreichen können.
Da die Deutsche Bundespost die Rundfunkgebühren lediglich im Auftrag und für Rechnung der Landesrundfunkanstalten einzieht, kann sie ohne eine entsprechende rechtliche Grundlage von sich aus keinen Rabatt gewähren. Die landesrechtlichen Vorschriften über das Rundfunkgebührenwesen sehen die Möglichkeit eines Gebührennachlasses bei längerfristiger Zahlungsweise der Rundfunkgebühren nicht vor.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dübber!
Herr Staatssekretär, da doch Gebühren immer teurer werden - wir sehen das ja bei den Bankgebühren -, frage ich: Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, in dieser Frage noch einmal die Beteiligten anzusprechen und sie vielleicht auch zur Änderung von vorhandenen Staatsverträgen zu veranlassen?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Ich will Ihnen gern zusagen, daß wir die Möglichkeiten eines solchen neuen Verfahrens noch einmal mit den zuständigen Ressorts und Institutionen prüfen wollen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Sie sagten: mit den zuständigen Ressorts. Auch mit den Ministerpräsidenten der Länder?
Haar, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Selbstverständlich wird das gerne mit einbezogen, Herr Kollege.
Der Herr Abgeordnete Mende ist nicht im Saal. Seine Fragen 84 und 85 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Abgeordneter Dr. Evers hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 86 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Schulte ({0}) und der Herr Abgeordnete Pieroth sind nicht im Saal, so daß auch ihre Fragen 87, 88 und 89 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 14. April 1972, 9 Uhr, ein und schließe die heutige Sitzung.