Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir haben heute nur die
Fragestunde
Drucksache V1/1 04 -,
und zwar beginnen wir mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen ist Herr Bundesminister Ehmke hier. Ich rufe zunächst die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, würde ich beide Fragen zusammen beantworten.
Darf ich zunächst, Herr Minister, den Herrn Abgeordneten Riedl fragen: sind Sie damit einverstanden, daß die beiden Fragen gemeinsam beantwortet werden.
({0})
- Dann rufe ich die Fragen gemeinsam auf:
Hält die Bundesregierung norddeutsche Politiker für befähigter, Verhandlungen mit Großbritannien zu führen, als süddeutsche, nachdem Bundeskanzler Brandt gegenüber der britischen Zeitung Times zur Charakterisierung der deutsch-englischen Beziehungen das Übergewicht der Norddeutschen in der neuen Bundesregierung hervorgehoben und behauptet hat, „diese hätten mehr gemeinsam mit den Engländern als die mehr mit Frankreich liierten südlichen Christdemokraten des früheren Bundeskabinetts"?
Hält es die Bundesregierung angesichts dieser Äußerungen für richtig, die außenpolitischen Notwendigkeiten den angeblichen nachbarschaftlichen Sympathien der Norddeutschen zu den Engländern und der Süddeutschen zu den Franzosen anzupassen, oder ist sie nicht vielmehr der Meinung, daß sich die Außenpolitik nach sachlichen Erwägungen richten solle?
Der Herr Bundeskanzler hat in einem Gespräch dem „Times"-Korrespondenten lediglich eingeräumt, daß es eine gewisse Rechtfertigung für die Auffassung gibt, nach der in Norddeutschland, z. B. in den großen Hafenstädten, eine stärkere Affinität zu Großbritannien besteht als z. B. in den an Frankreich grenzenden Teilen der Bundesrepublik.
Der Herr Bundeskanzler hat aber gleichzeitig Herrn Dr. Kiesinger als Beispiel dafür genannt, daß dies kein Entweder-Oder sei. Seine von der Zeitung wiedergegebenen Bemerkungen enthalten daher für den aufmerksamen Leser kein Urteil über die Befähigung norddeutscher oder süddeutscher Politiker zur Führung von Verhandlungen mit Großbritannien.
Angesichts dessen fällt die Beantwortung der zweiten Frage fort.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Riedl.
Herr Bundesminister, darf ich im Sinne Ihrer Antwort auch die Ausführungen in dem Interview so verstehen, wonach der Bundeskanzler gesagt hat:
Die Trennungslinie geht durch Nordrhein-Westfalen. Die Ruhrgebietsbewohner betrachten Europa insgesamt als Ausgangspunkt für Handelsunternehmungen, wohingegen das Kölner Erbe, für das Dr. Adenauer das Urbild abgab, nach Rom tendiert und glaubt, Verbindungen mit Paris seien stärker als mit Berlin, geschweige denn mit nordischen Ländern.
Ich muß dazu sagen, Herr Abgeordneter, daß dies Ganze ja nicht etwa ein Interview ist, sondern die Wiedergabe eines sehr locker geführten Gespräches. Ich vermag in bezug auf die Stellungnahme, nach der Sie zunächst gefragt haben - Befähigung zu Verhandlungen mit Großbritannien mit der von Ihnen zitierten Stelle, die ich jetzt so schnell gar nicht finde, keinen Zusammenhang zu sehen.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob damit zu rechnen ist, daß der Herr Bundeskanzler vielleicht eines Tages einer italienischen Zeitung eine dementsprechende Charakterisierung seines Bundeslandwirtschaftsministers geben wird.
Das würde ich nicht glauben. Auf jeden Fall
würde er d e n für geeignet ansehen, mit jeder auswärtigen Macht zu verhandeln.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Müller ({0}).
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers lediglich die Darstellung von historischen Fakten sind, die Hunderte von Jahren in der deutschen Geschichte eine Rolle gespielt haben?
Ja, so war ja die Frage des Korrespondenten gestellt.
Bitte, Herr Kollege Dr. Schneider!
Dr. Schneider ({0}) ({1}) . Herr Bundesminister, die Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers sind also nicht dahin zu deuten, als wollte er mehr oder minder in einer bluts- oder rasseideologischen Weise
({2})
Zusammenhänge zwischen den Norddeutschen und
den Süddeutschen herausstellen in dem Sinne, daß
3) die Süddeutschen schlechthin schlechter qualifiziert seien, mit Völkern zu verhandeln, die mehr Affinität der Rasse und der Geschichte mit den Norddeutschen hätten?
Ich glaube, daß dem Herrn Bundeskanzler irgendwelche Assoziationen zum Rassebegriff sehr fern liegen, Herrn Abgeordneter. Im übrigen bin ich der Meinung, daß angesichts der großen Erfolge, die der frühere Finanzminister in England errungen hat, an der Fähigkeit von Bayern, mit England zu verhandeln, gar kein Zweifel bestehen kann.
({0})
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Kollegen Moersch.
Herr Minister, kann es nicht sein, daß die Schlußfolgerungen des „Times"-Korrespondenten unter anderem darin begründet sind, daß Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU in ihren Memoiren ähnliche Darstellungen gegeben haben, wie wir sie in der „Times" lesen konnten?
Ich würde mich in bezug auf Korrespondenten ausländischer Zeitungen nicht gerne in eine Motivforschung begeben, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Köppler auf, die bisher im Bundesministerium des Innern ressortiert war und nun dem Bundeskanzleramt zur Beantwortung überwiesen worden ist:
Hält die Bundesregierung es für zulässig und notwendig, wenn der Bundeskanzler, der die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmt, sich der Fragestunde als eines Instruments bedient, um sich durch Fragen an ein anderes Mitglied der Bundesregierung Aufklärung über die der Regierungspolitik zugrunde liegenden Tatsachen zu verschaffen und diesem Mitglied durch die Fragestellung bei der Darstellung und Interpretation der Regierungspolitik zu sekundieren?
Das Wort hat Herr Bundesminister Ehmke.
Herr Kollege, die Regierung hält es nicht nur für rechtlich, sondern unter bestimmten Umständen auch für politisch zulässig, daß der Bundeskanzler, der zugleich Mitglied dieses Hohen Hauses ist, sich in eine Diskussion einschaltet, die sich während einer Fragestunde des Bundestages entwickelt. Das gilt z. B. dann, wenn, wie etwa in der Fragestunde des Bundestages vom 27. November dieses Jahres, unter Beteiligung des früheren Bundeskanzlers die Haltung der früheren Bundesregierung diskutiert wird, der der Herr Bundeskanzler als Bundesaußenminister angehört hat.
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Bundesminister, würden Sie mir in der Beurteilung recht geben, daß nach der klaren Geschäftsordnungsbestimmung dieses Hauses Diskussionen in der Fragestunde nicht stattfinden dürfen?
Herr Kollege Köppler, Sie wissen, daß sich aus dem Frage- und Antwortspiel so etwas wie eine Diskussion entwickelt. Wenn Sie einmal aufmerksam die Fragestunde vom 27. November nachlesen, werden Sie sicher keine Bedenken haben, dies als eine Diskussion zu bezeichnen.
Würden Sie vielleicht dennoch bereit sein, Herr Bundesminister, mir darin zuzustimmen, daß die Fragestunde als ein Instrument des Parlaments zur Kontrolle der Regierung, möglichst in enger Auslegung der für diese Fragestunde geschaffenen Richtlinien, durchgeführt werden sollte?
Herr Kollege Köppler, ich bin der Meinung, wir sollten die Fragestunde so lebendig wie möglich gestalten.
({0})
Neulich ist ja von Ihrer Fraktion auch die Frage aufgeworfen worden, ob nicht ein Minister hier die Beantwortung einer an einen Kollegen gerichteten Frage übernehmen kann - ich war betroffen -, die der gefragte Kollege nicht beantworten kann. Ich hätte von meiner Seite auch gegen ein solches Verfahren nichts einzuwenden. Ziel der Fragestunde muß sein, die Frage, um die es hier ging: Was war. die frühere Stellungnahme der Bundesregierung,
wieweit steht die jetzige Bundesregierung in Übereinstimmung mit der früheren Bundesregierung?, zu klären. Ich bin der Meinung, auch eine sachdienliche Frage des früheren Außenministers kann zu einer solchen Klärung beitragen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Klepsch.
Herr Staatsminister, könnte nicht der Eindruck entstehen, daß die Fragestunde dazu benutzt wird, daß der Bundeskanzler Gebrauch von seiner Richtlinienkompetenz macht?
Nein, ich glaube, der Eindruck entsteht nicht.
({0})
Ich kann mich nicht erinnern, Kollege Wehner, daß irgendein Bundeskanzler das gemacht hat.
Ich freue mich, daß sich eine so lebhafte Diskussion aus der Fragestunde entwickelt.
({0})
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat mit den Fraktionsvorsitzenden auch diese Frage erörtert. Ich glaube, daß uns die Fragestunde in ihrer Lebendigkeit in vollem Umfange erhalten bleibt.
Bitte, Herr Kollege. Das ist die letzte Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, - ({0})
- Selbstverständlich! Herr Bundesminister, ist Ihnen ein Fall bekannt, daß ein Vorgänger des gegenwärtigen Bundeskanzlers hier in gleicher Weise gehandelt hat?
Ja. Bundeskanzler Adenauer hat verschiedentlich in die Debatten über den Haushalt des Bundeskanzleramtes eingegriffen. Der wurde eingebracht, und er hat dann als Abgeordneter gegenüber der Kritik dazu Stellung genommen,
({0})
also als Abgeordneter zu seinem Haushalt gesprochen. Die Frage ist von uns nachgeprüft worden.
({1})
Herr Kollege Klepsch, ich hatte Ihnen bereits eine zweite Zusatzfrage genehmigt.
({0})
- Ja, gern.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Für die Antworten steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Arndt zur Verfügung.
Herr Kollege Dr. Warnke hat seine Frage zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Wolfram auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die derzeitige Koksmangellage nicht auf die Energiepolitik der letzten drei Jahre oder auf die Neuordnung des Ruhrbergbaus zurückzuführen ist, sondern auf die Tatsache, daß von 1957 bis 1966 zwar Kokereien stillgelegt, aber keine neuen Kokereien gebaut worden sind?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Wolfram, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß die derzeitige Koksknappheit nicht auf die Energiepolitik der letzten drei Jahre oder gar auf die erst jetzt erfolgte Neuordnung des Ruhrbergbaus zurückzuführen ist. Sie teilt nicht ganz Ihre Auffassung, daß in den Jahren 1957 bis 1966 keine neuen Kokereien gebaut worden sind. Tatsächlich ist die Ursache der gegenwärtigen Koksknappheit differenzierter. In erster Linie müßte man eine ungewöhnlich gute internationale Stahlkonjunktur nennen. Man spricht von einem Stahlboom in aller Welt, in Ost und West, in Nord und Süd.
Zweitens sind unsere Kohlegesellschaften, unsere Koksproduzenten durch Exportlieferverträge gebunden, die in der Zeit der Überproduktion an Kohle und Koks abgeschlossen worden sind. Diese Verträge müssen selbstverständlich erfüllt werden.
Drittens ist der Bau von Kokereien in den letzten Jahren tatsächlich vernachlässigt worden, weil die Erlöse bei dem eigentlichen Verkokungsprozeß die Kosten nicht gedeckt haben und da dies keinen besonderen Investitionsanreiz gab.
stillegungen und mit der Umstellung auf Erdgas zahlreiche Kokereien und Stadtgaswerke stillgelegt worden.
Diese Faktoren kommen zusammen und haben zu der Knappheit an Koks geführt.
Herr Kollege, haben Sie eine Zusatzfrage? - Eine Zusatzfrage des Kollegen Ott.
Herr Staatssekretär, da Sie darauf hinweisen, daß in den Jahren 1957 bis 1966 zwar Kokereien stillgelegt, aber keine neuen gebaut worden sind, frage ich, wie denn damals der Koksbedarf der deutschen Stahlindustrie gedeckt worden ist.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es sind in den
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Jahren 1957 bis 1969 - da hatte ich mich vom Fragesteller distanzieren müssen ({0})
- Bitte, welche Jahre?
({1})
- Von 1957 bis 1966 sind 64 Kokereien neu gebaut oder vollständig repariert worden. Das ist immerhin eine Kapazität von reichlich 15 Millionen t. Das ist erheblich mehr als null.
Ich rufe die nächste Frage des Kollegen Wolfram auf.
({0})
- Herr Kollege, im Interesse einer zügigen Abwicklung der Fragestunde habe ich nur eine Zusatzfrage zugelassen. Ich rufe die Frage 69 des Kollegen Wolfram auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß an der Ruhr z. Z. nur zwei neue Koksbatterien geplant bzw. in Bau sind, die frühestens 1971 in Betrieb genommen werden können, wobei es mit der Bergbehörde gewisse Schwierigkeiten in der Frage gibt, ob es sich um Ersatz- oder Neubauten handelt, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, auf die Ruhrkohle AG einen wirksamen Einfluß auszuüben, möglichst bald die Investitionsentscheidung über den Bau von mindestens einer neuen Großkokerei zu treffen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: An der Ruhr sind zur Zeit drei neue Koksbatterien im Bau mit einer Gesamtkapazität von 1,2 Millionen Tonnen. Die eine Batterie wird Anfang 1970 die Produktion aufnehmen, bei den anderen beiden vermutet man, daß es bis Ende 1970 dauern wird. Der Bau einer weiteren Batterie ist fest beschlossen. Bei ihr soll die Produktion im August 1971 aufgenommen werden.
Es haben sich Schwierigkeiten mit der Bergbaubehörde in Fragen der Luftreinhaltung ergeben. Die Bergbaubehörde fordert bei Grundreparaturen Schutzvorrichtungen wie bei Neuanlagen, und das mit Recht. Es werden daher bei allen in Bau befindlichen Vorhaben derartige Vorrichtungen für die Reinhaltung der Luft eingebaut.
Die Bedeutung des Baus neuer und der Erweiterung bestehender Kokereien ist zwischen dem Bundesminister für Wirtschaft und dem Bundesbeauftragten für den Steinkohlebergbau und der Ruhrkohle AG wiederholt eingehend erörtert worden. Wir sind zuversichtlich. Die Ruhrkohle AG prüft derzeit die Planungen der bisherigen Bergbauunternehmen auf diesem Gebiet, um optimale Investitionen auch in diesem Bereich sicherzusellen.
Herr Kollege Wolfram, haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie praktisch die Notwendigkeit des Baus neuer Kokereikapazitäten anerkannt haben: teilen Sie die Auffassung, daß die Nachfrage in der Welt nach Koks und damit auch nach Kokskohle in den nächsten Jahren erheblich ansteigen wird? Wenn ja, wissen Sie, wie hoch in etwa die Bedarfslücke sein wird? Und wie stellt sich die Bundesregierung die Deckung dieser Bedarfslücken in der Bundesrepublik vor?
Herr Kollege, Sie haben das Instrument der Zusatzfrage gleich zu drei Fragen benutzt, wenn ich es richtig gehört habe. Ich habe das ausnahmsweise zugelassen und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Handhabung der Geschäftsordnung erleichterten. - Herr Staatssekretär!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, im Jahreswirtschaftsbericht wird die Bundesregierung in ihrer Energiebilanz für die nächsten vier Jahre auch für diesen Punkt quantitative Unterlagen zur Verfügung stellen.
Herr Kollege, Sie haben damit alle Zusatzfragen konsumiert. Eine weitere Zusatzfrage aus dem Hause liegt nicht vor.
Ich rufe die Fragen 70 und 71 des Kollegen Barche auf:
Welche Auswirkungen werden die zu erwartenden europäischen Auftragsvergaberichtlinien für öffentliche Aufträge auf die Bauwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland haben, zumal die untere Auftragsschwelle bei 240 000 DM liegen soll und im Gegensatz zu Belgien, Luxemburg und Italien in der Bundesrepublik Deutschland noch keine Qualifikationslisten bestehen?
Aus welchen prinzipiellen Gründen hat, wie es behauptet wird, die Bundesregierung die Aufstellung von Qualifikationslisten für die Bauwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland abgelehnt?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Ich bitte, die beiden Fragen verbinden zu dürfen.
Sind Sie einverstanden, Herr Kollege Barche, daß der Herr Staatssekretär die beiden Fragen in der Beantwortung verbindet? - Bitte schön!
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die europäischen Auftragsvergaberichtlinien für öffentliche Aufträge werden für die deutsche Bauwirtschaft günstige Auswirkungen haben; denn durch sie wird nunmehr auch deutschen Unternehmen der Markt der übrigen EWG-Staaten eröffnet, nachdem in der Bundesrepublik bereits seit 1960 ausländische Bewerber ohne Einschränkung zu öffentlichen Aufträgen des Bundes zugelassen sind.
Die Schwelle für das Wirksamwerden der Richtlinie liegt allerdings erst bei 1 Million Rechnungseinheiten; das sind reichlich 3 1/2 Millionen DM. Ebenso wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften es abgelehnt hat, eine europäische Qualifikationsliste einzurichten, hat sich auch die Bundesregierung gegen die Aufstellung einer derartigen Liste ausgesprochen. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand würde die damit erzielte Aussagekraft nicht rechtfertigen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Barche. - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung dafür sorgen, daß in den Auftragsvergaberichtlinien festgelegt wird, daß Baufirmen aus den EWG-Ländern für öffentliche Bauvorhaben in der Bundesrepublik nur dann den Zuschlag erhalten können, wenn sie gewillt sind, allen am Bauvorhaben Beschäftigten, sofern sie in der Bundesrepublik tätig werden, mindestens die in der Bundesrepublik festgesetzten Löhne bzw. Gehälter zu zahlen?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wir werden versuchen, Herr Kollege Barche, die entsprechenden deutschen Richtlinien so weit wie möglich zusammen mit den anderen Ländern der Gemeinschaft für die Gemeinschaft durchzusetzen. Die deutschen Richtlinien sehen in erster Linie den Nachweis darüber vor, daß der sich um öffentliche Aufträge bewerbende Unternehmer seine Steuern, seine Sozialversicherungsbeiträge und dergleichen gezahlt hat. Wir streben an, daß das allgemeinverbindlich wird.
Herr Kollege, wollen Sie noch eine weitere Zusatzfrage stellen? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, das gleiche zu tun, was Frankreich für seine Bauwirtschaft getan hat, nämlich für die Bauwirtschaft in der Bundesrepublik eine Synopse über alle bautechnischen und Bauordnungsfragen in den EWG-Ländern aufzustellen, um den Einstieg unserer Bauwirtschaft in die Vergabe öffentlicher Bauaufträge in den EWG-Ländern zu erleichtern?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Barche, dazu kann ich im Moment nur sagen, daß ich das sorgsam prüfen lassen werde. Ich bin nicht imstande, das ad hoc zu beantworten.
Bitte, eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Barche!
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß der Einzelnachweis, der an Stelle einer Qualifikationsliste geführt werden müßte, für die Angebotsabgabe besonders unserer Baubetriebe in den anderen EWG-Ländern erhebliche Schwierigkeiten hervorrufen würde?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Denn hier wird tatsächlich etwas verlangt, was zur Wettbewerbsgleichheit notwendig ist, nämlich daß die Steuern und die Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden sind.
Außerdem wird ein gewisser Nachweis über den vorhandenen Maschinenpark und dergleichen geführt werden müssen, damit man auch sicher ist, daß es ein ernsthaftes Angebot ist. Aber das ist im wesentlichen der Rahmen, in dem wir uns in der Bundesrepublik bewegt haben und bisher eigentlich nicht schlecht bewegt haben.
Ich rufe nun die Frage 72 des Kollegen Zander auf:
Hat die Bundesregierung in der Gesprächsrunde der „Konzertierten Aktion" vom 24. November 1969 zum Ausdruck gebracht, daß konzertiertes Verhalten der Unternehmungen in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation in Preisdisziplin bestehen müßte?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Zander, in dem Gespräch im Rahmen der Konzertierten Aktion, auf das Sie verweisen, stand die Frage der Preisentwicklung mit im Vordergrund. Der Bundesminister für Wirtschaft betonte dabei, daß die „Stabilisierung ohne Stagnation" die gemeinsame Aufgabe aller am Wirtschaftsleben Beteiligten sei. Die Bundesregierung werde sich für eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik beim Bund selbst, ferner bei den Ländern und Gemeinden, wie für neue Initiativen in der Vermögenspolitik zugunsten der Arbeitnehmer und für eine volle Ausschöpfung der wettbewerbspolitischen Möglichkeiten einsetzen. Sie werde gleichzeitig Zurückhaltung bei Anhebungen von administrierten Preisen üben. Diese Stabilisierungsaktionen müßten jedoch auch durch ein entsprechendes Verhalten der Unternehmen in ihrer Preispolitik unterstützt werden. Die totale Ausschöpfung aller kurzfristig - oder aller kurzsichtig - sich bietenden Möglichkeiten zu Preiserhöhungen steht nicht nur im Widerspruch zu den Erfordernissen der Gesamtwirtschaft, sie steht häufig auch im Widerspruch zu den eigenen, über den Tag hinausgehenden Interessen der Unternehmen.
Herr Kollege, haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, darf ich fragen: Wäre es im Sinne der Konzertierten Aktion, wenn beispielsweise von dem Bundesverband der Deutschen Industrie an die einzelnen Unternehmer öffentlich appelliert würde, Preisdisziplin zu üben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Es würde die Wirtschafts- und Finanz-, zusammengenommen: die Stabilitätspolitik der Bundesregierung wesentlich stärken. Man kann sich im Augenblick des Eindrucks nicht erwehren, daß Meldungen über Preiserhöhungen weniger mit dem Unterton des unbedingt Notwendigen, mehr mit einigen Obertönen des Genugtuerischen publiziert werden. Es wäre sicherlich nützlich, diese für die Preisentwicklung im ganzen täuschende Dramatisierung von Einzelpreiserhöhungen in der nächsten Zukunft zu beseitigen.
Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfrage mehr? - Der Herr Kollege Matthöfer hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es angesichts der besonderen Bedeutung, die Preissenkungen in Industrien mit überdurchschnittlicher Produktivitätssteigerung für die Sicherung des Preisniveaus haben, denkbar, daß die Bundesregierung in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht, wo nach ihrer Meinung in solchen Industrien Preissenkungen möglich wären, da Preisstabilität allein in diesen Industrien nicht ausreicht?
Herr Kollege Matthöfer, wenn ich das richtig sehe, hängt das sehr eng mit der zweiten Frage des Kollegen Zander zusammen. Ich würde vorschlagen, daß wir zunächst den Herrn Staatssekretär um die Antwort dazu bitten. Vielleicht läßt sich Ihre schon vorgetragene Zusatzfrage damit verbinden.
Ich rufe also die Frage 73 des Abgeordneten Zander auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Preissenkungen in solchen Wirtschaftszweigen, in denen überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen oder Kostensenkungen durch die Aufwertung zu verzeichnen sind, möglich sind?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Zander, die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß unter Kostengesichtspunkten infolge der Aufwertung der D-Mark Preissenkungen durchaus möglich sind. Anzeichen, daß Kosten tatsächlich sinken, liegen vor. Wir haben den Preisindex der Einkaufspreise für Auslandsgüter. Er ist im Oktober gegenüber dem September 1969 um mehr als 3 % zurückgegangen, wobei zu beachten ist, daß das noch nicht die volle Wirkung sein wird. Im übrigen darf eine preisstabilisierende Wirkung der Aufwertung auch nicht nur von den Kosten her gesehen werden. Wir werden auf den Inlandsmärkten eine erhebliche Zunahme des ausländischen Angebots bekommen.
Herr Kollege Zander, Sie haben keine Zusatzfrage?
Herr Kollege Matthöfer, haben Sie nun noch eine Zusatzfrage?
Darf ich dann in diesem Zusammenhang um die Beantwortung meiner ersten Frage bitten, die sich auf die Notwendigkeit der Aufklärung der Öffentlichkeit über mögliche und erforderliche Preissenkungen in Industrien mit überdurchschnittlichem Produktivitätszuwachs bezog?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Matthöfer, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, jedenfalls nicht zur Zeit, derartige Listen von Preissenkungsmöglichkeiten zusammenzustellen oder zu publizieren. Sie hat auf der anderen Seite mit Interesse die Publikation des Bundeskartellamts über die
Preiserhöhungen bei etwa 7000 preisgebundenen Erzeugnissen zur Kenntnis genommen, zum großen Teil von Erzeugnissen, von denen vor der Wahl der deutschen Bevölkerung gesagt wurde, daß die Preisbindung der zweiten Hand die Stabilität der Preise besser garantiere als jede andere Form des Wettbewerbs.
({0})
Herr Kollege Matthöfer, im Hinblick auf die Abwicklung der Fragestunde wollte ich jetzt die Frage 74 des Kollegen Pieroth aufrufen:
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, daß in strukturschwachen Gebieten angelegte öffentliche Mittel dadurch ihren Zweck verfehlen, daß von ihnen geförderte exportintensive Betriebe durch die ihnen aus der DM-Aufwertung entstehenden Einbußen nicht mehr in der Lage sind, die mit der Zuweisung dieser öffentlichen Mittel verbundenen Ziele zu erfüllen, weil für sie keine Maßnahmen zum Ausgleich der genannten Einbuße getroffen werden?
Bitte schön, das Wort hat der Herr Staatssekretär.
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Das Ziel der Förderungsmaßnahmen im Rahmen der regionalen Strukturpolitik ist es, die Standortnachteile der gesamten Wirtschaft in den strukturschwachen Gebieten auszugleichen. Die Bundesregierung unterscheidet deshalb bei der Förderung von Unternehmen in diesen Gebieten nicht nach dem Grad der Exportintensität der geförderten Unternehmen. Sie könnte es auch gar nicht tun. Selbstverständlich werden wir aber auch in Ihrem Sinne den Anpassungsprozeß in diesen geförderten Gebieten besonders aufmerksam beobachten und im Zusammenwirken mit den zuständigen Behörden des Bundeslandes bemüht sein, die Wettbewerbsfähigkeit der dort ansässigen Wirtschaft weiter zu verbessern. Sie wissen, daß regionale Strukturpolitik eine der Hauptaufgaben der Wirtschaftspolitik ist und nach wie vor bleiben wird.
Herr Kollege Pieroth, keine Zusatzfrage? - Danke.
Ich rufe nunmehr die Fragen 75 und 76 des Kollegen Dr. Gleissner auf:
Treffen Nachrichten zu, nach denen sich jetzt die angekündigten Befürchtungen bestätigen, daß die deutschen Fremdenverkehrsgebiete in der vor uns liegenden Winter- und Frühjahrssaison nun doch mit erheblichen negativen Auswirkungen und Belastungen als Folge der Aufwertung zu rechnen haben?
Ist die Bundesregierung darüber unterrichtet, daß die Fremdenverkehrsgebiete der Nachbarländer in diesem Winter bereits ausverkauft und überfragt sind, wie noch nie zuvor, während sich in den deutschen Fremdenverkehrsgebieten eine gegenteilige Entwicklung abzeichnet?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Abgeordneter Gleissner, uns sind derartige Nachrichten nicht bekannt, obwohl wir mit den Wirtschaftsministern der Länder sehr guten Kontakt in dieser Frage haben; auch diesen liegen keinerlei Anhaltspunkte für die Richtigkeit einer derartigen Nachricht vor. Im Gegenteil, wir haben aus einigen Fremdenverkehrsgebieten Informationen, daß die Auslastung der
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndt
Wintersaison außerordentlich befriedigend zu sein scheint. Selbstverständlich werden wir aber diese Sache weiterhin sorgsam beobachten und Ihnen bei Gelegenheit wieder berichten.
Herr Kollege Gleissner, Sie haben eine Zusatzfrage? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf die eventuell später drohenden Folgen der Aufwertung, aber auch im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit unseres Fremdenverkehrsgewerbes, die finanziellen Maßnahmen zur Modernisierung und zum Ausbau des Hotel- und Gaststättengewerbes im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zu verstärken?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wir haben unsere Programme; diese werden fortgeführt und gegebenenfalls verstärkt. Allein wegen der Aufwertung, ohne Informationen über ihre Wirkung, gibt es keinen Grund, bereits laufende Programme über das geplante Maß hinaus zu verstärken.
Herr Kollege Gleissner, Sie haben eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß jene, die mit den günstigen Auswirkungen der Aufwertung für Auslandsreisen Propaganda gemacht haben oder noch machen, die Situation des deutschen Fremdenverkehrs gerade angesichts seiner Ihnen wohl bekannten ungünstigen Wettbewerbslage erschwert haben?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Die Wettbewerbslage war im Jahre 1968 und auch 1969 nicht so ungünstig. Sie ist sicherlich schlechter als in diesem oder jenem anderen, als typisches Reiseland angesehenen Land mit viel Sonne; aber die Entwicklung unseres Fremdenverkehrsgewerbes war, alles in allem gesehen, zufriedenstellend. Wir können uns zu den Leistungen dieses Gewerbes nur beglückwünschen. Über die Folgen der Aufwertung wird man erst dann etwas Konkretes sagen können, wenn die Saison vorbei ist oder zumindest begonnen hat. Im Augenblick ist es wirklich noch zu früh.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, bitte schön!
Herr Staatssekretär, könnte die Bundesregierung nochmals überprüfen, ob die Leistungsfähigkeit unseres Fremdenverkehrsgewerbes auch dadurch verbessert werden könnte, daß der Mehrwertsteuersatz von 11 % auf 5,5 % herabgesetzt würde, wie dies von vielen Seiten im Hinblick auf die Situation des Fremdenverkehrsgewerbes und der starken Konkurrenz für richtig erachtet wird?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, es wäre sicherlich falsch, in diesem Zusammenhang eine solche Möglichkeit zu erwähnen. In diesen Zusammenhang gehört sie sicher nicht; aber es steht auf der Agenda der Bundesregierung, zu gegebener Zeit die Auswirkungen des Mehrwertsteuergesetzes eines, insgesamt gesehen, wichtigen Reformwerks - auf die einzelnen Branchen zu prüfen, etwa notwendige Schlüsse zu ziehen und gesetzgeberische Initiativen zu ergreifen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Pieroth.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Ansicht, daß gerade im Hinblick auf die Folgen der Aufwertung für die Fremdenverkehrsindustrie diese Untersuchung über eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes vorgezogen werden müßte?
Dr. Arndt, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für "Wirtschaft: Herr Kollege Pieroth, ich muß da ganz deutlich werden. In den Ländern um uns herum steht die Welt und stehen die Preise nicht still.
({0})
Es kann sein, daß sich das, was sich als Wettbewerbsnachteil auf Grund der Aufwertung errechnet, sehr rasch wieder in Wettbewerbsgleichheit verwandelt haben könnte. Ich würde empfehlen, daß wir ein oder zwei Monate abwarten, und hoffe im Interesse der Stabilität unserer Nachbarländer und im Hinblick auf weitere Maßnahmen für das Fremdenverkehrsgewerbe, daß man dort die Inflation besser unter Kontrolle bekommt, als das in der Vergangenheit möglich war.
Meine Damen und Herren, ich lasse keine weitere Zusatzfrage zu.
Beim Bereich des Bundesministers des Innern haben die Fragesteller Stücklen, Benda und Köppler ihre Fragen Nr. 40, 45, 46 und 47 zurückgezogen -sie bringen sie in der nächsten Woche erneut ein -, weil sie befürchten, keine Chance für eine mündliche Beantwortung zu haben. Wie Sie aus der Handhabung der Fragestunde festgestellt haben werden, sind wir bemüht, möglichst vielen Fragestellern eine unmittelbare Antwort des zuständigen Ressorts zukommen zu lassen. Haben Sie bitte Verständnis dafür.
Ich rufe nun die Frage 39 des Abgeordneten Mertes auf:
In welcher Form gedenkt die Bundesregierung entsprechend der Forderung der Deutschen .Journalistenunion die Initiative für ein Bundespresserahmengesetz zu ergreifen?
Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort des Bundesministers Genscher vom 3. Dezember 1969 lautet:
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vorn 28. Oktober 1969 die Vorlage eines Presserechtsrahmengesetzes
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
des Bundes angekündigt. Ein solches Gesetz wird in meinem Hause zur Zeit vorbereitet.
Wie Sie wissen, besitzt der Bund nach Artikel 75 Abs. 1 Nr. 2 des Grundgesetzes lediglich eine Rahmenkompetenz für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse. Schon im Hinblick auf diese eingeschränkte Gesetzgebungsbefugnis müssen die Vorbereitungsarbeiten in engem Kontakt mit den Ländern und den beteiligten Organisationen und Verbänden erfolgen. Diese Kontakte werde ich so bald als möglich aufnehmen.
Wir kommen nun zu den Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Peiter:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach der Neuregelung der Höchstgrenze nach § 53 Abs. 4 SVG durch Artikel VII des Zweiten Besoldungsneuregelungsgesetzes vom 14. Mai 1969 für die ehemaligen Berufssoldaten, die als Anwärter des gehobenen Dienstes in den öffentlichen Dienst eingetreten sind, ab 1. Januar 1970 ein Einkommensverlust bis zu 250 DM pro Monat eintritt?
Wird die Bundesregierung die Initiative ergreifen, damit diese Einkommensverluste aufgehoben bzw. gemindert werden?
Auch in diesem Falle bittet der Fragesteller um schriftliche Beantwortung. Hier lautet die Antwort des Bundesministers Genscher vom 4. Dezember 1969:
Die von Ihnen angesprochene Einkommensminderung für ehemalige Soldaten auf Zeit als Empfänger von Übergangsgebührnissen kann nur dann eintreten, wenn die Geltungsdauer des § 79 a des Soldatenversorgungsgesetzes, der als Übergangsregelung nur bis zum 31. Dezember 1969 gilt, nicht verlängert wird. Das gilt auch für § 27 a des Bundespolizeibeamtengesetzes, der dem § 79 a des Soldatenversorgungsgesetzes entspricht.
Die Bundesregierung prüft zur Zeit diesen Fragenkomplex und insbesondere auch die Frage, inwieweit Härten vermieden werden können. Es ist damit zu rechnen, daß rechtzeitig eine befriedigende Regelung getroffen wird. Im gleichen Sinne habe ich mich in der Fragestunde vom 13. November 1969 auf die Frage des Abgeordneten Dr. Enders geäußert.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Strohmayr:
Weshalb will das Bundesministerium des Innern für die Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes ({0}) die blaue Dienstkleidung durch grüne Uniformen des Bundesgrenzschutzes ersetzen, nachdem der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages möglicherweise organisatorische Veränderungen vorschlagen wird, wenn zum 1. Juni 1970 der Erfahrungsbericht über Versuche mit einer rationelleren Grenzabfertigung vorliegt?
Herr Strohmayr hat auch um schriftliche Antwort gebeten. Der Bundesminister Genscher hat am
4. Dezember 1969 folgende Antwort erteilt:
Die Grenzschutzdirektion hatte im Herbst 1968 und im Frühjahr 1969 Ersatzbeschaffungen an blauer Dienstkleidung für den Grenzschutzeinzeldienst im Wert von 121000,- DM beantragt. Eine aus diesem Anlaß durchgeführt Prüfung führte zu dem Ergebnis, daß die Ausstattung der Beamten des Grenzschutzeinzeldienstes mit der grünen Dienstkleidung des Bundesgrenzschutzes zweckmäßiger und wirtschaftlicher sei. Dies aus folgenden Gründen:
1. Eine einheitliche Dienstkleidung macht die Zugehörigkeit des Grenzschutzeinzeldienstes zum Bundesgrenzschutz äußerlich besser erkennbar und stärkt das Gefühl der Zusammengehörigkeit beider Sparten des Bundesgrenzschutzes.
2. In der grünen Uniform des BGS sind die Abfertigungsbeamten des Grenzschutzeinzeldienstes eindeutiger als Polizeivollzugsbeamte zu erkennen. Die nicht seltenen Verwechslungen mit Eisenbahn-, Schlafwagen-, Flughafen- oder Flug-linienpersonal haben ein Ende.
3. Grüne Dienstkleidung ist wirtschaftlicher als blaue. Einmal ist sie weniger verschleißanfällig, zum anderen braucht keine besondere Dienstkleidung für die in jedem Sommer zum Grenzschutzeinzeldienst abgeordneten ca. 350 Verstärkungskräfte mehr vorrätig gehalten zu werden. Die mit deren Umkleidung jeweils verbundene beträchtliche Verwaltungsarbeit entfällt. Insgesamt wird die jährliche Ersparnis bei einheitlicher Dienstkleidung auf ca. 135 000,- DM geschätzt.
Das Bundesministerium des Innern hat deshalb die eingangs erwähnten Ersatzbeschaffungen an blauer Dienstkleidung nicht mehr durchführen lassen, sondern angeordnet, daß, sobald die blaue Dienstkleidung aufgetragen ist, an ihre Stelle die grüne tritt. Die Ausstattung mit grüner Dienstkleidung verursacht keine zusätzlichen Kosten; sie wird aus den zur Verfügung stehenden Selbstbewirtschaftungsmitteln bestritten.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Jahn zur Verfügung. Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Bäuerle auf:
Wird die Bundesregierung das Wirtschaftsstrafrecht betreffend den Mietwucher ändern?
Für den Mietwucher im eigentlichen Sinne gilt § 302 e des Strafgesetzbuchs. Er muß im Zuge der Strafrechtsreform geändert werden. Zur Zeit ist er im Kampf gegen den Mietwucher eine stumpfe Waffe, denn zur Annahme des in ihm enthaltenen wesentlichen Tatbestandsmerkmals „Notlage" genügt nach herrschender Meinung nicht die bloße Zwangslage, sich einen Wohnraum beschaffen zu müssen. Die Bundesregierung wird deshalb für eine praktikablere Gestaltung dieser Wuchervorschrift eintreten.
Daneben gibt es im Wirtschaftsstrafgesetz einen § 2 a mit der Überschrift „Preisüberhöhung", mit dem wir gegen die meisten der als Mietwucher bezeichneten Fälle vorgehen müssen. Eine Änderung des § 2 a möchte die Bundesregierung nicht vorschlagen. Wir kennen zwar die Schwächen dieser Vorschrift und haben deshalb die Frage einer Änderung schon oft und eingehend geprüft. Aber etwas Besseres läßt sich gesetzestechnisch wohl nicht erreichen, wenn man marktwirtschaftliche Grundsätze nicht verletzen will.
Schon Gustav Radbruch sagte 1922 im Deutschen Reichstag, die Forderung nach einer genaueren Fassung der damals geltenden Preistreibereivorschriften stelle den Gesetzgeber vor eine schlechterdings nicht voll lösbare Aufgabe, vor eine Quadratur des Zirkels. Auch Adolf Arndt hat - in diesem Hause, 1954 - einmal gesagt, eine letzte tatbestandsmäßige Klarstellung sei nicht zu geben.
Trotzdem ist § 2 a in der Verwaltungspraxis - die Fälle sind ja meist Ordnungswidrigkeiten - von Nutzen gewesen. Mit seiner Hilfe haben die Preisbehörden in einem beachtlichen Umfange Mietherabsetzungen erreicht. Leider ist eine regional recht unterschiedliche Handhabung des § 2 a - jedenfalls in der Vergangenheit - zu beobachten. In den letzten Jahren haben aber meine Kollegen Schiller und Lauritzen durch mit den Ländern vereinbarte Richtlinien auf eine einheitlichere und nachdrückliche Anwendung des § 2 a hingewirkt.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage? - Bitte schön!
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß die Mietwucherfälle in letzter Zeit, insbesondere in den Ballungsräumen, zunehmen und daß dieses Problem dringend einer Lösung bedarf?
Teilweise, Herr Kollege, gibt es in der Tat eine besorgniserregende Entwicklung. Aber es ist sehr schwierig, eine Lösung zu finden, die in geeigneter Form ein Einschreiten auf den Wegen, von denen hier die Rede ist, also im Rahmen der Justiz, möglich macht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, könnten Sie mir sagen, zu welchem Zeitpunkt mit einer Initiative Ihres Hauses gerechnet werden kann?
Ein bestimmter Zeitpunkt für eine Reform des § 302 e des Strafgesetzbuchs ist nicht vorgesehen. Aber ich will gerne prüfen, ob diesem Tatbestand im Rahmen der Reformnovellen zum Strafgesetzbuch, die im Laufe dieser Wahlperiode von der Bundesregierung eingebracht werden, ein besonderer Vorrang eingeräumt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Müller ({0}).
Herr Minister, würden Sie bei Anerkennung der Tatsache einer marktwirtschaftlichen Ordnung in Ihre Überlegungen miteinbeziehen, daß die Boden- und Mietpreise einen Sonderfall der Marktwirtschaft darstellen und deswegen auch besondere Maßnahmen erforderlich sind?
Selbstverständlich.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 49 des Kollegen Picard auf:
Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung dafür zu sorgen, daß, wie im Falle des kürzlich in einem Wiederaufnahmeverfahren von der Anklage wegen Mordes mangels Tatverdachts freigesprochenen Hans Hetzel, Fehlurteile auf Grund von Gutachten vermieden bzw. Wiederaufnahmeverfahren erleichtert werden?
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn die Herren Kollegen -
Wenn der Fragesteller damit einverstanden ist. - Herr Kollege?
Wenn der Herr Minister erst einmal seine Frage zu Ende geführt hat, kann ich mich entscheiden, ob ich einverstanden bin.
Er hat gefragt.
Ich war mit meiner Frage noch nicht ganz zu Ende, Herr Präsident. - Ich wäre dankbar, wenn ich mit der Antwort auf die Frage des Kollegen Picard die Antwort auf die Fragen der Kollegen Hirsch und Freiherr Ostman von der Leye verbinden könnte.
Der Herr Kollege Hirsch ist einverstanden. Sie auch, Herr Kollege Picard? ({0})
- Dann rufe ich die Fragen 51 und 52 des Kollegen Hirsch sowie die Fragen 61 und 62 des Kollegen Freiherr Ostman von der Leye auf.
Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung bestimmte wiederkehrende Ursachen, auf die sich die schwerwiegenden Fehlurteile vergangener Jahre, in denen Angeklagte zu Unrecht wegen Mordes verurteilt worden sind ({1}), zurückführen lassen?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, wie man die Gefahr von Fehlurteilen, wie in den Fällen Burkert, Rohrhach, Pitz, Lettenbauer und Hetzel, einschränken könnte?
Was hält die Bundesregierung von der Ansicht des namhaften Gerichtsmediziners Professor Dr. Otto Prokop ({2}), das Risiko fehlerhafter gerichtsmedizinischer Gutachten ließe sich möglicherweise dadurch verringern, daß Gutachten nicht von einzelnen Ordinarien, sondern von einem Team gleichberechtigter Wissenschaftler oder einer ganzen Fakultät erstellt werden ({3})?
Auf welche Weise könnte erreicht werden, daß gerichtsmedizinische Gutachten in Zukunft nicht allein in der Verantwortung eines Ordinarius erstellt und abgegeben werden, sondern von einem Team, das aus mehreren gleichberechtigten, auf verschiedenen Gebieten spezialisierten Experten besteht?
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Fehlurteile können auf verschiedenen Ursachen beruhen. Fast stets handelt es sich um unzutreffende Tatsachenfeststellungen, die auf unrichtigen Zeugenaussagen, wahrheitswidrigen Einlassungen der Angeklagten, falschen Sachverständigengutachten, unrichtiger Würdigung der Beweise und anderem mehr beruhen. Hierbei spielt die Unzulänglichkeit menschlicher Erkenntnisse eine nicht unbedeutende Rolle. Diese Fehlerquelle wird durch gesetzgeberische Maßnahmen allein niemals ganz ausgeschlossen werden können. Anhaltspunkte dafür, daß einer bestimmten wiederkehrenden Ursache, etwa falschen Sachverstädigengutachten, in diesem Zusammenhang überwiegende Bedeutung zukommt, sind der Bundesregierung bisher nicht bekanntgeworden.
Die Bundesregierung und die Landesjustizverwaltungen fördern seit mehreren Jahren die Arbeit der Forschungsstelle für Strafprozeß und Strafvollzug der rechtswissenschaftlichen Fakultät Tübingen unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Peters. Dort werden im Rahmen einer Untersuchung über Fehlerquellen im Strafprozeß über 1000 abgeschlossene Wiederaufnahmeverfahren systematisch ausgewertet. Die Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluß. An Hand ihrer Ergebnisse wird untersucht werden, ob es gesetzgeberische Möglichkeiten gibt, die Gefahr von Fehlurteilen zu verringern. In diesem Zusammenhang wird auch das Recht der Wiederaufnahme eines Verfahrens sorgfältig zu prüfen sein. Ich werde hierauf noch bei der Beantwortung der Fragen des Herrn Kollegen de With zurückkommen.
Zu der Frage, ob das Risiko fehlerhafter gerichtsmedizinischer Gutachten sich möglicherweise dadurch verringern läßt, daß Gutachten nicht von einzelnen Ordinarien, sondern einem Team gleichberechtigter Wissenschaftler erstellt werden, darf ich darauf hinweisen, daß schon die geltende Strafprozeßordnung die Möglichkeit bietet, Fachbehörden als solche, z. B. auch Universitätsfakultäten, mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen. Das Gericht kann zur Klärung einer Frage auch von vornherein mehrere selbständige Gutachter beiziehen. Wird nur ein einzelner Sachverständiger beauftragt, ist dieser nicht gehindert, sich bei der Erarbeitung seines Gutachtens der sachverständigen Hilfe anderer Wissenschaftler zu bedienen. Dies
kann sich bei besonderer Gestaltung des Sachverhalts geradezu aufdrängen.
Die Erkenntnis, daß Teamwork zu besseren Ergebnissen führen kann als die Arbeit eines einzelnen, setzt sich immer mehr durch. Dieser Grundsatz gilt sicher auch für gerichtsmedizinische Gutachten. Dabei wird es jedoch stets auf die Besonderheiten des zu beurteilenden Sachverhalts ankommen. Keineswegs sind alle Fälle so gelagert, daß stets Sachverständige verschiedener Disziplinen beteiligt werden müßten. Ich denke z. B. an die Vielzahl von Blutalkoholgutachten in Verkehrsstrafsachen. Auch erscheint es zweifelhaft, ob die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des gerichtlichen Verfahrens ausreicht, um die organisatorischen Voraussetzungen der Bildung von Gutachterteams anzuordnen und zu regeln. Dieser Fragenkomplex bedarf im Zusammenhang mit der Reform des Strafverfahrensrechts noch eingehender Überprüfung.
Zur Tätigkeit der Sachverständigen vor Gericht darf ich abschließend hervorheben, daß sie im Strafverfahren nur als Gehilfen des Richters tätig werden. Aufgabe des Sachverständigen ist es, durch sein Gutachten zu einer sachgerechten Entscheidung beizutraaen, sofern das Gericht im Einzelfall die für die Feststellung bestimmter Tatsachen erforderliche besondere Sachkunde nicht besitzt. Es ist Sache des Gerichts, die erstatteten Gutachten in richterlicher Unabhängigkeit auf ihre Überzeugungskraft hin zu prüfen. Es kommt deshalb auch darauf an, die Aus-und Fortbildung der Richter, Staatsanwälte und Verteidiger so zu gestalten, daß diese in weiterem Umfange als bisher in die Lage versetzt werden, Gutachten von Sachverständigen einer kritischen Wertung zu unterziehen.
Herr Kollege Picard!
Herr Minister, ist es möglich, daß ein in der Öffentlichkeit mehrfach geäußerter Verdacht von Ihnen zumindest nicht ganz entkräftet werden kann, der dahin läuft, daß die Richter, unter Umständen auch die Schöffen in Gerichten, ganz einfach deshalb, weil sie dem Gutachter mit seiner wissenschaftlichen Fähigkeit unterlegen sind, ihm allzu bereitwillig folgen?
Ich kann mir eine solche Beurteilung nicht generell zu eigen machen, Herr Kollege Picard. Natürlich - und darauf habe ich im letzten Absatz meiner Antwort hingewiesen - besteht eine Schwierigkeit einfach darin, daß die Kritikfähigkeit mangels entsprechender ausreichender Ausbildung unterschiedlich entwickelt ist und gelegentlich durchaus die Gefahr besteht, daß Sachverständige einfach auf Grund des Namens, vielleicht auch der Überzeugungskraft ihres Vortrages und ihres Gutachtens einen größeren Einfluß auf die Meinungsbildung bekommen, als einer sehr kritischen Würdigung standhalten könnte.
Herr Kollege Freiherr Ostman von der Leye!
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung bei der Neufassung der Ausbildungsordnung für Juristen auf eine verbesserte Einführung der Juristen in die medizinischen und psychologischen Hilfswissenschaften einwirken, um der eigenen Urteilsfähigkeit der Richter eine fundiertere Basis zu verschaffen?
Herr Kollege Ostman von der Leye, das ist deshalb eine schwierige Frage, weil das eigentlich Bestandteil einer Frage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus ist, die noch folgt. Ich bitte uni Nachsicht, wenn ich das jetzt et was kursorisch beantworte und auf folgendes hinweise: Die Möglichkeiten der Bundesregierung, auf die Ausbildung der jungen Juristen im einzelnen einzuwirken, sind relativ gering. Diese Ausbildung ist bekanntlich Sache der Länder. Wir können dafür nur einen gewissen Rahmen abstecken. Aber vielleicht können wir uns dahin verständigen: Ich halte eine Ausweitung der juristischen Ausbildung gerade auf diesem Gebiet für dringend erforderlich. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es dazu zu einer Übereinstimmung mit den zuständigen Herren in den Ländern käme.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr Ostman von der Leye.
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Universität Münster gerade jetzt den umstrittenen Gerichtsmediziner Professor Dr. Ponsold, um den es sich dabei handelte, der die Altersgrenze erreicht hat, mit der Vertretung seines eigenen Lehrstuhls beauftragt hat?
Mir ist das bisher nicht bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Minister, darf ich auf den Anfang Ihrer Antwort zurückkommen, und zwar zu den Gründen, die zu Wiederaufnahmeverfahren geführt haben. Sie haben dabei Skepsis gezeigt, ob gesetzgeberische Maßnahmen hier Abhilfe schaffen könnten. Aber wäre es nicht besser, wenn gerade bei dieser Schwerkriminalität - bei diesen Wiederaufnahmeverfahren handelt es sich um Schwerkriminalität eine Überprüfung des Tatbestandes erfolgt - daß also nicht nur eine reine Revisionsinstanz vorhanden wäre -, und zwar gesetzgeberisch durch Schaffung einer zweiten Tatsacheninstanz oder durch eine Änderung des Revisionsverfahrens, so daß im Revisionsverfahren die Tatsachen noch einmal nachgeprüft werden können?
Frau Kollegin, zur Hälfte haben Sie die folgende Frage des Kollegen Picard aufgegriffen.
({0})
- Ich bitte Sie um Nachsicht, wenn ich jetzt frage, ob der Herr Bundesjustizminister - einfach aus Zeitgründen - vielleicht die Frage des Kollegen Picard beantwortet und dabei Ihre Zusatzfrage mit beantwortet. Herr Minister, würden Sie das tun?
Wenn das dem Wunsch des Hauses entspricht, ja.
Ich frage den Kollegen Picard, ob er dazu bereit ist.
Ich habe nichts dagegen, Herr Präsident. Dann laufen allerdings die Zusatzfragen wieder ein bißchen anders.
Es sind keine weiteren Zusatzfragen mehr da. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Picard auf:
Was hält die Bundesregierung in diesem Zusammenhang von einer zweiten Tatsacheninstanz für Strafkammern und Schwurgerichte?
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Weil diese Frage im sachlichen Zusammenhang mit den beiden Fragen des Kollegen Dr. Brand steht, würde ich gern die Zustimmung dazu haben, diese beiden Fragen zusammen mit der Frage des Kollegen Brand beantworten zu dürfen.
({0})
Der Fragesteller ist damit einverstanden. Dann rufe ich die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Dr. Brand ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die schon seit langem erhobene Forderung, hei Kapitalverbrechen, für die es bisher nur eine einzige Tatsacheninstanz ({1}) gibt, eine zweite Tatsacheninstanz vorzusehen?
Ist die Bundesregierung bereit, schon vor der Durchführung der großen Strafrechtsreform eine Novelle zur Strafpr ozeßordnung vorzulegen, in der für die bisher in die Zuständigkeit des Schwurgerichts fallenden Strafsachen eine zweite Tatsacheninstanz vorgeschlagen wird?
Die Frage nach der Einführung einer zweiten Tatsacheninstanz ist von Ihnen, herr Kollege Picard, für die Strafsachen gestellt, die in die erstinstanzliche Zuständigkeit der Großen Strafkammern und der Schwurgerichte gehören. Sie ist von Herrn Kollegen Dr. Brand für die Schwurgerichtssachen gestellt. Die Frage zielt in den Kernbereich der Problematik, mit der sich die Bundesregierung und mit der sich der Gesetzgeber bei der Justizreform, daß heißt hier der Reform der ordentlichen Gerichtsbarkeit, auseinandersetzen muß. Ein Hauptziel der Justizreform ist die Schaffung eines dreistufigen Gerichtsaufbaus. Damit unlösbar verknüpft ist die Frage der Ausgestaltung der Rechtsmittel in Strafsachen. Diese Frage wiederum wird nicht losgelöst von gewichtigen Fragen der Ausgestaltung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung betrachtet und beurteilt werden können.
Das Hauptziel der gesamten Reformbemühungen bei der Ausgestaltung des Strafverfahrens wird ein Höchstmaß an Garantie dafür sein müssen, daß das Gericht bereits in erster Instanz das richtige und gerechte Urteil findet. Zu einer guten und insbesondere zu einer rechtsstaatlich optimalen Rechtsfindung gehört es auch, daß der Beschuldigte ohne jahrelanges Hinschleppen durch viele Instanzen mit allen damit verbundenen psychischen Belastungen so rasch wie möglich zu seinem Recht kommt. In diesem großen Zusammenhang ist die Frage nach einer zweiten Tatsacheninstanz in erstinstanzlichen Strafkammer- und Schwurgerichtssachen zu sehen.
Die Bundesregierung beabsichtigt unter diesen Umständen jetzt noch nicht, eine Novelle zur Strafprozeßordnung vorzulegen, in der für Schwurgerichtssachen eine zweite Tatsacheninstanz vorgesehen wird. Es bleibt aber ein Gegenstand der unmittelbaren Prüfungen und insbesondere auch der bereits erwähnten in Gang befindlichen Auswertung der Fehlurteile, von denen ich vorhin gesprochen habe.
In diesem Zusammenhang darf ich auf die spezielle Frage von Frau Kollegin Diemer sagen, daß ich persönlich der Meinung bin, daß eine zumindest begrenzte weitere Nachprüfung der Tatsachenfeststellungen in einer weiteren Instanz möglich sein muß, ohne daß es eine volle Tatsachennachprüfung sein muß. Ich bitte also um Verständnis dafür, daß sein muß. Ich bitte aber um Verständnis dafür, daß die in Gang befindlichen Reformüberlegungen noch keine definitive Antwort geben kann.
Herr Kollege Picard zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich fragen, ob Sie sich in diesen Fällen mit der Möglichkeit der Appellation und der Kassation beschäftigen.
Ja.
Und in welcher Zielrichtung, Herr Minister?
Solange ich mich mit der Frage beschäftige, versuche ich, zu möglichst objektiven Ergebnissen zu kommen und nicht vorher bestimmte Ziele abzustecken.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Brand.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß es notwendig wäre, noch in dieser Legislaturperiode zu versuchen, in diesem Punkt durch die Einführung einer
Dr. Brand ({0})
zweiten Tatsacheninstanz bei Kapitalverbrechen eine Reform durchzusetzen?
Ich teile Ihre Auffassung dahin gehend, Herr Kollege Dr. Brand, daß wesentliche Reformarbeiten am Strafprozeßrecht in dieser Wahlperiode notwendig sind. Ich würde sie nicht auf diesen einen Punkt beschränken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen de With.
Gibt es bei den Überlegungen zur Einführung der zweiten Instanz auch Überlegungen bezüglich der Zahl der Laienbeisitzer, sei es dergestalt, daß sie generell bei Schwurgerichten eingeschränkt wird oder daß sie auch in der zweiten Instanz so bleibt wie in der ersten?
Es gibt solche Überlegungen; sie sind aber noch nicht zum Abschluß gekommen.
Ich rufe die nächste Frage des Kollegen Hirsch auf.
Diese Frage ist bereits beantwortet.
Sie haben schon beide Fragen beantwortet. Der Kol- lege ist damit auch einverstanden, weil er keine Zusatzfrage gestellt hat. Herr Kollege Dr. Brand, betrachten Sie Ihre zweite Frage durch die Antwort der Regierung auch als bereits erledigt?
Sie ist schon beantwortet.
Danke.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Weber ({0}) auf:
Wann wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Reform der aus dem Jahre 1898 und 1904 stammenden Gesetze über die Entschädigung für unschuldig erlittene Haft und Untersuchungshaft vorsieht?
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Ich habe der Bundesregierung vor wenigen Tagen den Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zugeleitet. Ich erwarte, daß das Bundeskabinett diese Vorlage in der nächsten Woche behandeln, verabschieden und dem Bundesrat zuleiten wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, die bayerische Landesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vor kurzem dem Bundesrat zugeleitet. In diesem Entwurf werden verschiedene Tatbestände von der Entschädigung ausgenommen. Stimmen Sie mit dieser Auffassung überein?
Ich stimme zunächst einmal mit dem in meinem Hause erarbeiteten Entwurf überein. Ich begrüße, daß die bayerische Landesregierung in wesentlichen Punkten zu gleichen Ergebnissen wie die Vorlage der Bundesregierung kommt, und hoffe, daß das die Verabschiedung und Beratung im Bundesrat wesentlich erleichtern wird.
Diese Frage des Kollegen Dr. Weber ({0}) ist damit erledigt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Weber ({1}) auf:
Aus welchen Gründen hat sich die Vorlage eines Regierungsentwurfs zur Neuordnung des geltenden Entschädigungsrechts für zu Unrecht erlittene Haft verzögert, obwohl das Bundesministerium der Justiz schon vor über einem Jahr einen Referentenentwurf fertiggestellt hat und in der Öffentlichkeit und Wissenschaft schon seit langer Zeit eine baldige Reform gefordert wird?
Vom Referentenentwurf zum Regierungsentwurf, Herr Kollege, ist ein langwieriges Verfahren zu bewältigen, wenn es sich wie hier um eine schwierige Materie handelt und über einzelne Lösungen die Meinungen der Beteiligten auseinandergehen. Zudem verlangten die Strafrechtsreformgesetze und das Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen, die das Hohe Haus am Ende der vergangenen Legislaturperiode beschlossen hat, erneute Überlegungen. Der Gesetzentwurf, der zum rechtspolitischen Sofortprogramm der neuen Bundesregierung gehört, konnte deshalb erst zu Beginn dieser Wahlperiode eingebracht werden.
Eine Zusatzfrage.
An welchen Umständen lagen diese Schwierigkeiten besonders, Herr Bundesminister? Lagen sie an der Einstellung einzelner Länder?
Nein, sie lagen an einer Reihe von neu aufgetauchten Sachfragen, die mit der Gesamtheit der Länder erörtert werden mußten und zum Teil auch neue Überlegungen in der Sache selber in meinem Haus erforderlich machten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 57 des Abgeordneten Dürr auf:
Würde es nach Ansicht der Bundesregierung zweckmäßig sein, die Strafprozeßordnung ({0}) so zu ändern, daß künftig bei Fällen, in denen jemand wegen bestimmter schwerer Kapitalverbrechen angeklagt wird, von Amts wegen zwei voneinander unabhängige Sachverständige zu bestellen sind, so
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
daß die einseitige Begünstigung vermögender Angeklagter, die gemäß § 245 Satz 1 StPO auf eigene Kosten Sachverständige zur Hauptverhandlung laden können, beseitigt wird?
Ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen zusammen beantworten dürfte.
Ist der Fragesteller einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 58 des Abgeordneten Dürr auf:
Wäre es zweckmäßig, die Auswahl und Bestellung eines zweiten oder weiteren Sachverständigen der Verteidigung des Angeklagten zu überlassen, wobei die entstehenden Kosten von der Staatskasse übernommen werden?
Es erscheint mir problematisch, die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Strafverfahren mehr als ein Sachverständiger für die gutachtliche Äußerung zu einer bestimmten Beweisfrage gehört werden soll, davon abhängig zu machen, ob es sich um eine Hauptverhandlung in einer sogenannten Kapitalsache - eine Abgrenzung unter diesem Gesichtspunkt wäre ohnehin nicht leicht zu finden - oder in einer anderen Strafsache handelt. Gutachtensfragen können im Einzelfall in Kapitalsachen von verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung, sie können in anderen für den Beschuldigten nicht minder gewichtigen Sachen von ganz ausschlaggebender Bedeutung sein.
Ob man im Rahmen einer Reform der Hauptverhandlung des Beweisaufnahmerechtes dazu kommen kann, die Voraussetzungen, unter denen nach § 244 der Strafprozeßordnung ein zweiter Gutachter für eine bestimmte Frage beigezogen werden muß, allgemein zu erweitern, wird man sorgfältig prüfen müssen.
Der für die Beweisaufnahme wichtigste Grundsatz der geltenden Strafprozeßordnung besagt, daß das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind, d. h. daß das Gericht bereits heute von sich aus prüfen muß, ob ein in der Hauptverhandlung erstattetes Gutachten ihm die Sicherheit für die Beurteilung einer Beweisfrage vermittelt, die für ein Urteil unerläßlich ist. Dabei hat es Einwände der Verteidigung gegen ein bereits erstattetes Gutachten, insbesondere Zweifel an der Sachkunde des Gutachters, an den vom Gutachter angewandten wissenschaftlichen Methoden, an der Überzeugungskraft seiner Schlußfolgerungen oder daran, ob er die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ausgewertet habe, von Amts wegen zu berücksichtigen.
Schon diese nach dem geltenden Recht bestehende gesetzliche Verpflichtung zur bestmöglichen Erforschung der Wahrheit kann das Gericht im Einzelfall dazu zwingen, einen zweiten oder mehrere Sachverständige zu bestellen und anzuhören. Nach der für Beweisanträge auf Vernehmung von Sachverständigen geltenden besonderen Bestimmung des § 244 Abs. 4 der Strafprozeßordnung darf bereits heute ein Antrag auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen nicht abgelehnt werden, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen. Damit ist also schon jetzt eine weitgehende gesetzliche Sicherung gegeben, daß das Gericht sein Urteil nicht auf unvollkommene Grundlagen stützt. Dem Beschuldigten und seinem Verteidiger ist es danach schon heute möglich, auf die Bestellung weiterer Sachverständiger hinzuwirken.
Eine Verletzung dieser gesetzlichen Vorschrift begründet die Revision und führt zur Aufhebung des Urteils. Dabei legt die höchstrichterliche Rechtsprechung zunehmend besonders strenge Maßstäbe an. Mit einer gesetzlichen Verpflichtung des Gerichts, auf Antrag des Beschuldigten bestimmte weitere Sachverständige auf Kosten der Staatskasse zu bestellen, würde ein Stück Parteiverfahren in das in seiner Grundstruktur anders angelegte deutsche Strafverfahrensrecht eingeführt werden. Nach den Grundsätzen des Parteiverfahrens steht es, allgemein gesprochen, jeder Partei frei, Beweismittel beizubringen, und zwar ohne Rücksicht auf den Aufwand, der damit verbunden ist, jedoch mit der Maßgabe, daß die Partei - jedenfalls zunächst - auch die Kosten und damit auch das Risiko dieses Aufwands zu tragen hat. Dieses Risiko - das sollte man nicht übersehen - ist durchaus geeignet, Mißbräuchen bei der Ausübung solcher Parteibefugnisse, die auch zur Verfahrensverschleppung verwendet werden können, entgegenzuwirken.
Würde man allgemein das Recht auf Bestellung eines vom Beschuldigten zu bestimmenden zweiten Sachverständigen einführen und den Beschuldigten zugleich von jedem Kostenrisiko befreien, so wäre die Gefahr einer risikofreien Prozeßverschleppung gegeben. Welche Schwierigkeiten für das Verfahren erwachsen würden, wenn es möglich wäre, einen Prozeß dadurch zu blockieren, daß etwa ein bekanntermaßen auf Monate oder länger völlig ausgelasteter Sachverständiger, der ja auch im Ausland wohnen kann, von dem Beschuldigten ausgewählt oder daß der besondere Sachverstand wissenschaftlicher oder technischer Außenseiter behauptet und das Gericht gezwungen wird, solche Personen zu Gutachtern zu bestellen, läßt sich leicht ermessen.
Ungeachtet dieser Probleme, die man sehen muß, um zu einer abgewogenen Beurteilung zu kommen, wird aber im Rahmen der Arbeiten an einer Justiz-und Prozeßrecht geprüft, ob Mängeln der Beweisaufnahme, die in einigen Verfahren - und das hat ja zu berechtigter Sorge Anlaß gegeben - aufgetreten sind, dadurch entgegengewirkt werden kann, daß dem Beschuldigten ein größerer Einfluß auf die Bestellung von Sachverständigen eingeräumt wird. Sicher ist, daß mit jeder Verstärkung solcher Einflußmöglichkeiten die Gefahr von Verfahrensverzögerungen verbunden ist.
Wenn es gelingt, im Zusammenhang mit der Schaffung eines dreistufigen Gerichtsaufbaus und mit anderen Maßnahmen der Justizreform den schon heute
oft recht schleppenden Verfahrensgang zu beschleunigen und die Justiz insgesamt zu entlasten, wird es leichter möglich sein, Verfahrensverzögerungen bei der Beweisaufnahme in Kauf zu nehmen.
Die Frage, ob die von Ihnen erwähnten Regelungen in dieser oder ähnlicher Form eingefügt werden könnten, kann ich angesichts der laufenden Überlegungen zur Strafprozeßreform im einzelnen heute noch nicht beantworten. Bei dem engen Zusammenhang aller das Strafverfahren regelnden Vorschriften erschiene es mir noch verfrüht, im Hinblick auf Einzelheiten jetzt schon bündige Antworten geben zu wollen..
Meine Damen und Herren, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Voraussetzungen der Richtlinien für die Fragestunde, nach denen die Fragen kurzgefaßt sein sollen und auch eine kurze Antwort ermöglichen sollen, hier nicht erfüllt sind. Ich will dem Herrn Minister keinen Vorwurf machen; er hat die Fragen nach besten Kräften beantwortet. Ich glaube, hier sind auch die Herren Präsidenten angesprochen, was die Zulassung von Fragen im Hinblick auf die Abwicklung der Fragestunde angeht.
Herr Kollege Dürr!
Herr Minister, wird die Bundesregierung bei der Vorbereitung der Reformgesetze auch den Gesichtspunkt besonders im Auge behalten, daß nach geltendem Recht ein wohlhabender Angeklagter auf seine Kosten heute diesen oder jenen Sachverständigen bestellen kann, während dies einem weniger wohlhabenden Angeklagten heutzutage nicht möglich ist?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es eine besonders wichtige Frage ist, die Chancengleichheit der Angkelagten vor Gericht zu sichern, und daß gerade diesem Gesichtspunkt bei den Reformarbeiten im Hinblick auf den Strafprozeß, soweit das irgend möglich ist, Rechnung getragen werden muß.
Bitte schön, Herr Kollege Dr. Brand!
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß die Gerichte dazu neigen, den Antrag der Verteidigung, einen zweiten Gutachter zu bestellen, mit der Begründung abzulehnen, die Zuverlässigkeit des ersten Gutachters reiche aus, und außerdem komme ja noch die Sachkunde des Gerichts hinzu?
Es mag durchaus Fälle dieser Art geben; einzelne sind mir selber bekannt. Nur bitte ich in dem Zusammenhang auch zu sehen, Herr Kollege Brand, daß das Hinzuziehen eines zweiten Sachverständigen ja nicht in jedem Falle ein Allheilmittel zur Findung der Wahrheit ist.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Vogel.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, in Ihre Überprüfung auch die Frage einzubeziehen, ob das, was der Herr Kollege von der Leye hier als Voraussetzung genannt hat, auch wirklich so zutrifft?
Ja, selbstverständlich werden die Voraussetzungen für eine Reform im Einzelfalle genau geprüft.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Minister, ist es aber zur Zeit nicht so, daß Angeklagte in guten Vermögensverhältnissen von sich aus Privatgutachten vorlegen können, während Angeklagte, die nicht über die entsprechenden Mittel verfügen, dies nicht können und dadurch benachteiligt sind?
Ich hatte bereits in meiner Antwort auf die eben gestellte Zusatzfrage darauf hingewiesen, daß es ein besonders dringlicher Punkt der Reformüberlegungen sein muß, die Chancengleichheit aller Angeklagten vor Gericht ohne Rücksicht auf ihre soziale Position und Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.
Ich rufe als nächste Frage die Frage des Kollegen de With auf.
Ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen zusammen beantworten dürfte.
Herr Kollege, wären Sie mit der gemeinsamen Beantwortung einverstanden? - Dann rufe ich beide Fragen auf:
Wie ist der Stand der Vorarbeiten für eine Reform des Strafverfahrensrechts, zu der die Bundesregierung durch einen einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 24. Juni 1964 aufgefordert wurde?
Hält die Bundesregierung Änderungen des Rechtes der Wiederaufnahmeverfahren für zweckmäßig?
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Der Stand der Vorarbeiten zu Reformen auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechtes im Bundesministerium der Justiz entspricht den in den letzten Jahren hierzu gegebenen Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten waren notwendig bestimmt einerseits durch die personelle Ausstattung der Strafrechtsabteilung meines Hauses und andererseits durch die von dieser Abteilung insgesamt zu bewältigenden Aufgaben. Während zunächst für alle strafverfahrensrechtlichen Aufgaben lediglich ein Referent und ein Hilfsreferent zur Verfügung standen, so daß an Vorarbeiten für eine umBundesminister Jahn
fassende Verfahrensreform überhaupt nicht zu denken war, sind für die Gebiete Strafverfahrens- und Strafgerichtsverfassungsreform erst seit etwa einem Jahr zusätzlich zwei Referenten und zwei Hilfsreferenten vorhanden.
Unter Einsatz dieser Kräfte ist es auch gelungen, die unter dem Gesichstpunkt der Rechtsstaatlichkeit vordringlichste und vorher stets ungelöst gebliebene Aufgabe, nämlich die der Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen, durch eine Novelle zum Strafverfahrensrecht und zum Gerichtsverfassungsrecht zu bewältigen. Im übrigen aber mußten diese für die Strafverfahrens- und Strafgerichtsverfassungsreform vorgesehenen Kräfte wegen der Vielfalt dringendster Aufgaben des Bundesjustizministeriums für die Arbeit an anderen Gesetzen, insbesondere für die Reform des politischen Strafrechts, für das Straffreiheitsgesetz 1968 und schließlich auch noch für die Arbeit an der materiellen Strafrechtsreform eingesetzt werden.
Die neue Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, in dieser Legislaturperiode erste entscheidende Schritte zu einer von allen Seiten erwarteten umfassenden Justizreform einzuleiten, wobei der gewichtigste Reformschritt und die entscheidende Grundlage für alle weiteren Verbesserungen die Schaffung eines dreistufigen Aufbaus der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist.
Ich muß in dem Zusammenhang aber darauf hinweisen, daß die Bewältigung dieser Probleme zu einem wesentlichen Teil davon abhängt, ob es gelingt, die zuständigen Abteilungen des Jusitzministeriums personell so auszustatten, daß sie der Vielfalt der Aufgaben tatsächlich gewachsen sind.
Herr Kollege de With zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, der damalige Bundesminister der Justiz hat in der maßgeblichen Sitzung gesagt, daß die Bundesregierung grundsätzlich bereit sei, eine Kommission hierzu einzusetzen. Wäre es jetzt nicht zweckmäßig, daranzugehen, diese Kommission für das Strafverfahrensrecht ,einzuberufen?
Diese Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen, und zwar aus folgendem Grunde. Es ist zwar gut, wenn wesentliche Vorarbeiten durch eine Kommission geleistet werden, nur müssen die Ergebnisse dieser Arbeiten ja im Ministerium selbst ausgewertet und umgearbeitet werden, d. h. zu einer entsprechenden Gesetzesvorlage formuliert werden. Ich hielte es für schwer vertretbar, unter den gegebenen Umständen und bei der geschilderten Arbeitslage in meinem Hause auf eine Kommission hinzuwirken, wobei unter Umständen nachher die Lage eintritt, daß die Ergebnisse ihrer Arbeit überhaupt nicht in angemessener Form und in angemessener Zeit ausgenutzt werden können. Ich komme nicht umhin,
darauf hinzuweisen, daß eine solche Überlegung sich aufzwingt.
Meine Damen und Herren, ich lasse die zwei Zusatzfragen noch zu; aber dann sind wir im Ende der Fragestunde.
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus!
Herr Minister, Sie haben bezüglich der Strafverfahrensreform wieder auf den dreistufigen Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit hingewiesen. Aber es geht doch bei der Strafverfahrensreform, an die wir damals auch gedacht haben, als im Jahre 1964 diese Entschließung unter Ihrer Assistenz - damals als Abgeordneter - gefaßt wurde, darum, das Strafverfahren auch in sich, in den einzelnen Instanzen anders zu gestalten - Zweiteilung des Verfahrens usw. Das läßt sich ja nicht einfach mit der Dreizügigkeit lösen. Wie steht es insoweit mit den Reformvorschlägen?
Ich kann nur wiederholen, was ich soeben gesagt habe, Frau Kollegin Diemer-Nicolaus. Die Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums war in den letzten Jahren mit anderen dringlichen Themen nicht nur aus-, sondern in einem solchen Maße überlastet, daß für die Inangriffnahme anderer, ebenfalls als vordringlich erkannter Reformarbeiten einfach kein Raum war. Ich kann in diesem Zusammenhang nur sehr herzlich darum bitten, daß das Haus die Bemühungen, die ich zur Zeit unternehme, eine entsprechende personelle Leistungsfähigkeit herzustellen, unterstützt.
Die letzte Zusatzfrage des Kollegen Dr. Weber ({0}).
Herr Bundesminister, sind Sie der Auffassung, daß bei einer Reform des Wiederaufnahmeverfahrens auch der Grundsatz eingeführt werden sollte, daß auch bei der Prüfung der Geeignetheit der Tatsachen der alte Grundsatz „Im Zweifel zugunsten des Angeklagten" anzuwenden ist?
Das ist ein allgemeiner Grundsatz, dessen Berücksichtigung im gesamten Strafrecht und Strafverfahrensrecht mir selbstverständlich zu sein scheint.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 5. Dezember, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.