Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fragestunde wird um 13 Uhr abgehalten.
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bericht betreffend die thermische Belastung von Gewässern durch Kernkraftwerke - Drucksache VI/3052 dem Innenausschuß als federführendem Ausschuß sowie dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen werden. Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? - Ich stelle fest, daß dies nicht der Fall ist.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 31. Januar 1972 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hussing, Frau Griesinger, Ruf, Pfeifer, Zink und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Politik der Bundesregierung gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache VI/2897 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/3085 verteilt.
Der Ausschuß für Wirtschaft hat gegen die nachstehenden Vorlagen keine Bedenken erhoben:
Verordnung ({0})
Nr. 2819/71 des Rates vom 20. Dezember 1971 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszollkontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe aus Seide oder Schappeseide und aus Baumwolle der Tarifnummern ex 50.09 oder 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs ({1})
Nr. 2820/71 des Rates vom 20. Dezember 1971 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte handgearbeitete Waren ({2})
Nr. 2824/71 des Rates vom 20. Dezember 1971 zur Festsetzung der mengenmäßigen Ausfuhrkontingente der Gemeinschaft für bestimmte Aschen und Rückstände von Kupfer sowie für bestimmte Bearbeitungsabfälle und bestimmten Schrott aus Kupfer, Aluminium und Blei
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
- Drucksache VI/2666 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/3065 - Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({4})
- Drucksache VI/3021 Berichterstatter: Abgeordneter Russe ({5})
Die Herren Berichterstatter legen keinen Wert darauf, ihre Berichte zu ergänzen.
Ich rufe in der zweiten Beratung Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs im ganzen ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der unter Sonderverwaltung stehenden Vermögen von Kreditinstituten, Versicherungsunternehmen und Bausparkassen
- Drucksache VI/2114 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({6})
- Drucksache VI/3063 Berichterstatter: Abgeordneter Kater ({7})
Herr Abgeordneter Kater, wollen Sie Ihren Bericht mündlich ergänzen? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich auf die §§ 1 bis 37, Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Vizepräsident Dr. Schmid Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich
von seinem Sitz erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Außerdem stimmen wir ab über Ziffer 2 des Ausschußantrags, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Sera und Impfstoffe
- Drucksache VI/ 1989 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI/... -
Berichterstatter: Abgeordneter ...
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({9})
- Drucksache VI/2987 Berichterstatter: Abgeordneter Spitzmüller ({10})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieser Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlüsse des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit rückverwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. März 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit
- Drucksache VI/2977 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({11})
- Drucksache VI/3064 Berichterstatter: Abgeordneter Büchner ({12})
Ich frage den Berichterstatter, ob er seinen Bericht mündlich ergänzen will. - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur zweiten Beratung und zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Einstimmige Annahme. Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 16. September 1968 über die Beschränkung der Verwendung bestimmter Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln
- Drucksache VI/2251 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({13})
- Drucksache VI/3068 Berichterstatter: Abgeordneter Müller ({14})
({15})
Ich frage den Berichterstatter, ob er seinen Schriftlichen Bericht mündlich ergänzen will. - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich zur zweiten Beratung mit Schlußabstimmung auf: Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Einstimmige Annahme.
Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 12. März 1971 zur Änderung des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt ({16})
- Drucksache VI/2762 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({17})
- Drucksache VI/3074 Berichterstatter:
Abgeordneter Mursch ({18})
({19})
Ich frage den Berichterstatter, ob er seinen Schriftlichen Bericht mündlich ergänzen will. - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, Art. 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Februar 1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen
- Drucksache VI/1976 Vizepräsident Dr. Schmid
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({20})
- Drucksache VI/3076 Berichterstatter: Abgeordneter Alber
Abgeordneter Dr. Schmude
({21})
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob sie ihren Schriftlichen Bericht mündlich ergänzen wollen. - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur zweiten Beratung und Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3, Art. 4, Einleitung und Überschrift auf. - Schlußabstimmung! Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Dezember 1970 über den Handelsverkehr mit den überseeischen Ländern und Gebieten betreffend die Erzeugnisse, die unter die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen
- Drucksache VI/2667 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({22})
- Drucksache VI/3079 Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram ({23})
Herr Abgeordneter Wolfram, wollen Sie Ihren Schriftlichen Bericht mündlich ergänzen? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur zweiten Beratung und anschließend Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. - Schlußabstimmung! Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogel, Benda, Dr. Lenz ({24}), Dr. Althammer, Dr. Jaeger und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung
- Drucksache VI/2558 Das Wort hat der Abgeordnete Vogel. Für ihn sind 30 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast fünf Monate sind seit der Einbringung des von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurfs vergangen, der eine Verschärfung des Rechts der Untersuchungshaft für Serien- und Hangverbrecher zum Gegenstand hat. Meine Damen und Herren, fast fünf Monate sind vergangen, ehe es in diesem Hohen Hause möglich geworden ist, die erste Lesung vorzunehmen und damit, wie wir hoffen, eine ebenso zügige wie intensive Beratung dieses Gesetzentwurfes zu beginnen. Jedes Lamento über steigende Kriminalität in unserem Lande wird unglaubwürdig, wenn der Erkenntnis, daß gegen die um sich greifende Kriminalität in diesem Lande etwas geschehen muß, nicht entsprechende Taten folgen. Eine der dringend erforderlich gewordenen Taten ist eine Änderung der Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Untersuchungshaft, die es möglich macht, diejenigen hinter Schloß und Riegel zu bringen, die mit großer verbrecherischer Energie ganze Serien von Straftaten, die teilweise in die Hunderte gehen, begehen, ohne daß das geltende Haftrecht eine ausreichende Handhabe böte, gegen sie die Untersuchungshaft anzuordnen.
Meine Damen und Herren, das hat zu einer zunehmenden Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen, in der sich das Gefühl breit macht, unser Staat sei nicht mehr in der Lage, die Bevölkerung, die Menschen in diesem Lande wirksam genug vor den Verbrechern zu schützen. Das hat ebenso zu einer zunehmenden Resignation bei den Polizeibeamten geführt, denen gerade bei den am intensivsten kriminellen Straftätern die Hände gebunden sind, deren laufender krimineller Betätigung sie mehr oder weniger hilflos gegenüberstehen.
Der von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages bereits im September des vergangenen Jahres vorgelegte Gesetzentwurf bringt eine dem Problem gerecht werdende und gleichzeitig rechtsstaatliche Lösung. Wir begrüßen es, daß der Bundesrat am 17. Dezember 1971 auf Initiative der von der CDU regierten Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ebenfalls mit großer Mehrheit einen Entwurf vorgelegt hat, der in seinen Intentionen mit dem Entwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion übereinstimmt.
Nur die Bundesregierung hat es bis zum heutigen Tage nicht geschafft, ihrer politischen Führungsaufgabe in diesem Fragenbereich gerecht zu werden.
({0})
- Herr Kollege Kleinert, Sie haben sich ja zu diesem Problem verschiedentlich geäußert, und ich habe nicht den Eindruck, daß von Ihrer Seite ein sachgerechter Beitrag zur Lösung dieses Problems zu erwarten ist.
({1})
Zwar läßt die Bundesregierung vor allem durch den Herrn Innenminister, aber auch durch den Herrn Justizminister, und durch andere Mitglieder des Kabinetts bei allen passenden Gelegenheiten verkünden, wie sehr ihr die Verbrechensbekämpfung am Herzen liegt. Wenn es aber darum geht, zu handeln, handelt diese Bundesregierung nach dem Motto: Hannemann, geh du voran!
({2})
- Ja, Herr Kollege Schäfer, der Hannemann ist z. B. der Bundesrat, der hier vorangehen muß oder die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Ihnen auf die Sprünge helfen muß, ehe Sie in Gang kommen. Das ist doch die Lage.
Meine Damen und Herren, so sind wichtige Initiativen zur Verbrechensbekämpfung, wie z. B. auch die neuen Bestimmungen gegen Luftpiraterie und Geiselnahme, nicht von ,der Bundesregierung, sondern vom Bundesrat ausgegangen.
({3}) : Sehr wahr!)
Der Herr Bundesjustizminister hat in der Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember 1971 verkündet, die Bundesregierung werde zum Haftrecht von der Vorlage eines eigenen Entwurfs absehen, um eine zügige Behandlung und Entscheidung im Bundestag zu fördern. Darin ist nur der Versuch zu sehen., sich für Nichtstun in dieser Frage ein Alibi zu verschaffen.
Das Problem der Serienkriminalität liegt nicht erst seit heute auf ,dem Tisch. Seit der Liberalisierung des Haftrechts im Jahre 1964 wird ,das Problem gesehen. Seit jener Zeit ist die Kriminalität um weit mehr als ein Drittel angestiegen, während gleichzeitig die Aufklärungsziffern zurückgegangen sind, d. h. die Zahl der nicht aufgeklärten Verbrechen erheblich zugenommen hat. Die serienmäßig begangenen Straftaten machen einen nicht unerheblichen Teil dieser Statistik aus. Unser früherer Kollege Martin Hirsch und mit ihm nicht nur zahlreiche Kollegen in diesem Hause, sondern vor allem die Vertreter der Strafverfolgungspraxis waren bereits im Jahre 1968 von der Notwendigkeit einer Verschärfung des Haftrechts für Wiederholungstäter überzeugt. Die damaligen Initiativen sind im Gestrüpp einer mehr emotionalen als sachgemäßen Diskussion hängengeblieben.
In der Debatte über eine Große Anfrage der CDU/ CSU-Fraktion am 4. November 1970 haben wir erneut eine Änderung ,des Haftrechts verlangt. Daraufhin hat der Rechtsausschuß im Frühjahr 1971 die Bundesregierung ersucht, einen umfassenden Bericht über die Erfahrungen der Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte mit den im Jahre 1964 geänderten Bestimmungen ,des Haftrechts vorzulegen. Auf diesen Bericht warten wir bis zum heutigen Tage; wir warten darauf, obwohl dem Bundesjustizminister die Stellungnahmen der Länderjustizminister seit Anfang Dezember letzten Jahres vorliegen und obwohl der Bundesjustizminister in der Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember 1971 eine Grobauswertung dieser ihm vorliegenden Berichte vorlegen konnte.
Am 10. September 1971 hat sich die Ständige Konferenz der Innenminister zusammen mit dem Bundesinnenminister auf der Grundlage des vorliegenden Erfahrungsmaterials für eine Verschärfung des Haftrechts und eine baldige entsprechende gesetzliche Regelung ausgesprochen. Aber der Bundesminister der Justiz, meine Damen und Herren, ist immer noch mit der Prüfung der Frage beschäftigt, ob das Haftrecht verschärft werden soll oder nicht und welche Folgerungen er aus dem vorliegenden Erkenntnismaterial ziehen soll.
Daran hat offenbar selbst die Feststellung des Hamburger Justizsenators Heinsen im Bundesrat am 17. Dezember 1971 nichts zu ändern vermocht, in der es heißt, aus den Erfahrungen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften ergebe sich nahezu einmütig, daß die Erweiterung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr notwendig sei. Bald sieben Wochen später ist es dem Bundesjustizminister offenbar immer noch nicht möglich gewesen, sich darüber schlüssig zu werden, welche Schlüsse er aus dem umfangreichen inzwischen vorliegenden Erfahrungsmaterial ziehen soll. Meine Damen und Herren, das erinnert an ,die mehr als ein Dutzend hausinternen Entwürfe in einer anderen wichtigen Geetzgebungsfrage.
Wir haben den Eindruck, daß zur Abwechslung einmal nicht der Herr Bundesinnenminister, soniclern der Herr Bundesjustizminister im Bremserhäuschen der Bundesregierung sitzt. Wir sind der Überzeugung, daß für eine weitere Verzögerung keine sachliche Berechtigung mehr besteht.
Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion sieht eine Ausweitung des bislang für bestimmte Sittlichkeitsdelikte bestehenden Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf andere Deliktsgruppen vor, und zwar auf solche Deliktsgruppen, die nach den Erkenntnissen der Kriminalstatistik besonders häufig serienmäßig begangen werden. Es handelt sich um die gefährlichen Straftaten gegen die körperliche Integrität, die serienmäßig begangen werden, vor allem auch durch kriminelle Schlägerbanden insbesondere in den Großstädten. Es handelt sich um Menschenraub und andere gefährliche Straftaten gegen die persönliche Freiheit, auch um den erpresserischen Kindesraub. Es handelt sich um die schweren Eigentumsdelikte, Diebstahl, Hehlerei und Betrug. Betrug wird in der letzten Zeit besonders häufig als Serientat gegenüber sozial schwachen Bevölkerungskreisen und gegenüber älteren Bürgern begangen. Es handelt sich um die gefährlichen Gewaltverbrechen des Raubes, der räuberischen Erpressung und des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer. Es handelt sich um die schweren Fälle gemeingefährlicher Delikte wie qualifizierte Fälle der Brandstiftung, Sprengstoffdelikte und Anschläge auf die Wasserversorgung, Straftaten, die nicht nur im Rahmen der allgemeinen Kriminalität begangen werden, sondern als Seriendelikte politisch radikaler Terrorgruppen eine erhebliche Gefahr für die Rechtsordnung bedeuten. Es handelt sich schließlich um die schwere Rauschgiftkriminalität, die wir nunmehr in diese Bestimmung mit übernehmen können, nachdem wir die entsprechende Vorschrift bereits geändert haben.
Wir sind der Auffassung, daß wir auch an solchen Delikten nicht vorbeigehen dürfen, die bislang im Rahmen der Serienkriminalität noch nicht in Erscheinung getreten sind, bei denen aber zu erwarten und zu befürchten ist, daß sie in Zukunft in dieser Form in Erscheinung treten werden. Das gilt vor allem für das politisch motivierte Tätigwerden radikaler und fanatisierter Terrorgruppen. Deshalb haben wir die §§ 88, 125 und 129 des Strafgesetzbuches mit in den Katalog unseres Entwurfs aufgenommen.
Unser Entwurf enthält alle rechtsstaatlichen Sicherungen, die uns erforderlich und von der Praxis her vertretbar erscheinen. Es ist kein Entwurf, bei dem wir an jedem Halbsatz und an jedem Komma hängen. Wir sind aber der Auffassung, daß er in der Richtung und im wesentlichen Inhalt der richtige Weg ist. Wir haben uns bemüht, bei der Konzipierung dieses Entwurfs die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der Untersuchungshaft zu berücksichtigen. Wir befinden uns - auch das scheint mir wichtig mit diesem Entwurf im Einklang mit den Bestimmungen der auch uns bindenden Menschenrechtskonvention. Wenn wir einen Blick über den Zaun werfen, meine Damen und Herren, dann sind wir schnell belehrt, daß fast alle demokratischen Nachbarn um uns herum ein Recht der Untersuchungshaft haben, das weitergeht als das, das wir mit unserem Entwurf vorlegen. Wir haben insbesondere in den um uns herum liegenden Ländern viele Rechte, in denen es für die Serienkriminalität einen Generaltatbestand gibt, den wir aus guten Gründen hier nicht vorgelegt haben, bei dem wir auch der Auffassung sind, daß wir dann Schwierigkeiten hätten, uns im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu befinden.
Niemand von uns ist der Auffassung, daß man mit einer Reform des Haftrechts allein dem Problem der Kriminalität in diesem Lande beikommen kann. Niemand von uns ist der Auffassung, daß damit sogar der wesentliche Beitrag geleistet werden kann; dazu ist sehr viel mehr erforderlich. Ich möchte noch einmal betonen: der Bereich derer, die serienmäßig Straftaten begehen, gehört zum harten Kern der Kriminalität, und gerade diesem harten Kern der Kriminalität gelingt es bei dem derzeit geltenden Haftrecht, an einer Untersuchungshaft vorbeizukommen, weil sie in der Lage sind, sowohl die Fluchtgefahr als auch die Verdunklungsgefahr auszuschließen und nicht genügend Handhaben bestehen, sie auf Grund dieser Haftgründe in Haft zu nehmen.
Auch die ganze Diskussion um die Frage eines festen Wohnsitzes ist ein Versuch, an der eigentlichen Problematik vorbeizukommen und sich vor der notwendigen Entscheidung zu drücken, diesen Haftgrund der Wiederholungsgefahr auf andere Deliktgruppen auszudehnen.
Wir sind uns sehr wohl darüber im klaren, daß jede Verbrechensbekämpfung, die wirksam sein soll, mit einer entsprechenden sachlichen und personellen Ausstattung sowie einer entsprechenden Ausbildung der Polizei zu beginnen hat. Wir sind der Auffassung, daß in diesem Bereich sehr viel mehr getan werden muß. Auch hier genügt es aber nicht, daß alle Welt nur immer davon redet. Wenn wir davon reden, meine Damen und Herren, müssen wir auch bereit sein, die dafür erforderlichen Mittel, die gesetzlichen Möglichkeiten wie auch die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht nur eine Aufgabe der Länder, sondern auch eine Aufgabe des Bundes.
Wir wissen sehr wohl, daß es zu einer verschärften und besseren Bekämpfung der Kriminalität auch gehört, die strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen so zu ändern, daß die Verfahren schneller, zügiger und wirkungsvoller durchgeführt werden können. Zur präventiven Verbrechensbekämpfung gehört es selbstverständlich, daß der Täter damit rechnen muß, daß die Strafe möglichst auf dem Fuße folgt.
({4})
Alles das gehört in den weiten Bereich der Verbrechensbekämpfung hinein. Wir werden uns gemeinsam zu überlegen haben, was zusätzlich zu tun ist. Wir werden uns mit dem Problem des „Mengenrabatts" zu befassen haben, d. h. mit der Erwartung der Täter, daß weitere Straftaten sich bei der Strafzumessung nicht auswirken werden, weshalb die Täter bis zu ihrer Verhaftung bzw. bis zu ihrer Aburteilung ganze Serien von weiteren Straftaten begehen. Wir werden uns mit der sehr schwierigen Problematik der fortgesetzten Handlung in diesem Bereich zu beschäftigen haben.
Ich möchte diese Fragen nur angerissen haben, um deutlich zu machen, daß wir den Blick keineswegs nur auf das Recht der Untersuchungshaft gerichtet haben. Aber hier ist ein Fragenkomplex, meine Damen und Herren, der - und das zeigt die lange Diskussion, die wir in diesem Bereich seit Jahren führen - besonders dringlich ist und der endlich eine gesetzgeberische Lösung erfordert.
({5})
- Dazu haben wir unseren Entwurf vorgelegt, Herr Kollege Schäfer!
({6})
- Seit Jahren, Herr Kollege Schäfer! Denken Sie an die leidvollen Erfahrungen Ihres Kollegen Martin Hirsch in dieser Frage. Ja, seit Jahren, und die Frage ist, Herr Kollege Schäfer - und sicherlich werden Sie bereit sein, persönlich einen wirksamen Beitrag dazu zu leisten -, ob dieses Haus bereit ist, gemeinsam eine solche Initiative zu Unterstützen und einen vernünftigen Gesetzentwurf zu verabschieden.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Begründung der Vorlage der CDU/CSU-Fraktion durch den Kollegen Vogel ist eine klare und endgültige Absage an die Gemeinsamkeit der Überlegungen und Bemühungen, mit denen wir uns noch bis vor wenigen Jahren solch schwieriger Themen angenommen haben. Herr Kollege Vogel, dessen dürfen Sie sicher sein: An Ihren Versuchen, hier ein Geschäft mit der Angst zu machen, an Ihren Versuchen, von Verunsicherung zu reden und selber Verunsicherung zu betreiben,
({0})
an Ihren Versuchen, hier oberflächlich und leichtfertig Vorlagen einzubringen, die einer kritischen
Nachprüfung nicht standhalten, wird sich weder
die Bundesregierung noch die Koalition beteiligen.
({1})
Sie haben den Versuch gemacht, so zu tun, als könne all den schwierigen Erscheinungen unserer Kriminalität in einer vernünftigen Form durch eine Änderung des Haftrechts - wie Sie es dargetan haben oder darzutun versucht haben - wirksam begegnet werden.
({2}) : Da haben Sie
nicht zugehört! - Weitere Zurufe von der
CDU/CSU.)
Und Sie müssen vor sich selber verantworten,
({3})
ob Sie eigentlich die permanente Irreführung, die in dieser Art der Darstellung des Problems liegt, rechtfertigen wollen.
({4})
Mit dem Haftrecht, meine Damen und Herren, bekommen Sie überhaupt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Gesamtproblematik in den Griff,
({5}) : Sehr richtig!)
und Sie laufen Gefahr, mit dieser Form der Diskussion - ich hatte Anlaß, das an anderer Stelle schon einmal zu sagen - den Eindruck jemandes zu machen, der sich hier zu gewaltigen Taten aufrafft und in der Bevölkerung das Gefühl erweckt, damit werde tatsächlich etwas Wirksames und Durchschlagendes erreicht werden können. Sie sollten eigentlich sachkundig genug sein, um zu wissen, daß nur eine breit angelegte Vielfalt von Maßnahmen und ein sehr intensives Bemühen von Polizei und Justiz in Ländern und Bund in der Lage sind, mit diesem Problem fertigzuwerden.
({6})
Wenn es Ihnen tatsächlich um eine Sachlösung ginge, würden Sie die Diskussion sachlicher und nicht mit diesen permanenten Appellen an das Gefühl führen.
({7})
- Es tut Ihnen weh, wenn man die Dinge beim Namen nennt;
({8})
das kann ich ganz gut verstehen. Aber seien Sie nicht so ungeduldig; Sie kommen noch auf Ihre Kosten, Herr Vogel.
Zu Ihrem Entwurf möchte ich zunächst einmal folgende Bemerkungen machen. Wir haben möglicherweise darüber keinen Streit miteinander zu führen, daß sich ein Mangel auf Grund des Haftrechtes des Jahres 1964 erkennen läßt, nämlich jene
Fehlanwendung des Begriffes des festen Wohnsitzen in § 112 Abs. 2 Nr. 2 der Strafprozeßordnung. Hier hat die Auswertung des Materials in der Tat ergeben, daß es in vielen Fällen eine Interpretation gibt, die mit den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht in Einklang zu bringen ist, daß es also insofern einer Korrektur des Gesetzes bedarf.
({9})
Meine Damen und Herren, darüber hinaus aber ist das, was in dem Entwurf der CDU/CSU zu finden ist, außerordentlich vorsichtig und kritisch zu bewerten. Das gilt insbesondere, was den Haftgrund der Wiederholungsgefahr betrifft, für den Katalog der Delikte, der nach Auffassung der Opposition in das Gesetz aufgenommen werden soll. Er ist nicht nur viel zu weit gefaßt, sondern läßt auch jede Sorgfalt bei der Bewertung der Tatbestände vermissen, die nach Auffassung der Opposition hier berücksichtigt werden sollen.
Die bisherige Auswertung des von den Ländern vorgelegten Tatsachenmaterials hat ergeben, daß ein kriminalpolitisches Bedürfnis für die Einführung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr allenfalls bei Eigentums- und Vermögensdelikten, bei Körperverletzungsdelikten und bestimmten schweren Rauschgiftdelikten bejaht werden kann. In keinem der vorgelegten Berichte ist jedoch - wie in Ihrem Entwurf - darauf hingewiesen, daß ein Bedürfnis für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr z. B. bei Straftaten nach § 88 des Strafgesetzbuches - verfassungsfeindliche Sabotage - oder bei Straftaten nach den §§ 125 bis 129 - Landfriedensbruch, Landzwang usw. - zu bejahen ist. Das gleiche gilt für die Straftaten der Personen- und Sachhehlerei und eine ganze Anzahl weiterer Delikte, die Sie einfach auf Teufel kommraus in Ihre Vorlage hineingeschrieben haben, offenbar nach dem Motto: auf ein bißchen mehr oder weniger kommt es nicht an. Genau das ist der Punkt, Herr Kollege Vogel, der uns unterscheidet und uns veranlaßt, an diese Sache behutsam heranzugehen.
Es gab einmal eine Zeit, in der die Fraktionen dieses Hauses in einer Frage eine grundsätzliche Verständigung erzielt haben. Man war sich darüber einig, daß in der Frage des Umgangs mit der Freiheit der Person, der Bürger dieses Landes höchste Vorsicht und Sorgfalt am Platze ist. Wir hatten uns darüber verständigt, daß jede Ausweitung von Haftgründen mit aller Sorgfalt und Genauigkeit abgewogen werden muß. Wir stehen unverändert dazu, weil diese Bundesregierung der Überzeugung ist, daß mit dem Rechtsgut der Freiheit der Person nicht leichtfertig umgegangen werden kann. Sie verlassen mit einem so weit ausgeuferten Entwurf diese Linie ganz eindeutig. Wie richtig es gewesen ist, in dieser Frage sorgfältig vorzugehen und nicht mit übereilten und unausgereiften Entwürfen in die Debatte einzutreten - Sie nehmen diese Debatte ja zum Vorwand, um Vorwürfe gegen die Bundesregierung zu erheben -,
({10})
beweist gerade das, was wir aus dem von den Ländern vorgelegten Material entnehmen können. Hier hilft doch nicht Hektik. Hier hilft doch nicht das Bedürfnis nach Publizität. Hier hilft doch nicht der Versuch, Augenauswischerei zu betreiben. Bei einem so schwierigen Gebiet ist es einfach von der Sache her geboten, sich sachkundig zu machen. Es ist geboten, sich von denjenigen, die näher an der Auseinandersetzung sind, nämlich von den Ländern, das Material vorlegen zu lassen und es auszuwerten.
({11})
Mit dieser Auswertung konnte erst vor sechs Wochen begonnen werden. Noch in dieser Woche - nicht wegen Ihres Entwurfes und seiner heutigen Behandlung, sondern deshalb, weil wir so lange gebraucht haben, um dieses umfangreiche Material zu sichten und für den Rechtsausschuß aufzubereiten - wird das Material dem Rechtsausschuß vorgelegt werden, damit auch er sich an der bisher von uns vorgenommenen Auswertung beteiligen und die Konsequenzen daraus ziehen kann.
Aber ich muß zu Ihrem Entwurf noch einige Bemerkungen machen.
Wie oberflächlich und ungenau Sie, Herr Kollege Vogel, und Ihre Freunde gearbeitet haben, ergibt sich z. B. daraus, daß in dem Entwurf jede Regelung der Frage fehlt, wie das Verhältnis des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr zu den normalen Haftgründen des § 112 StPO sein soll. Sie machen nicht einmal klar, daß der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nur in zweiter Linie, nur ausnahmsweise, nur im Notfall herangezogen werden darf, nämlich dann, wenn andere Haftgründe nicht gegeben sind. Das ist notwendig, um jedem Mißbrauch dieser Bestimmung, den Sie doch auch nicht ausschließen können, in jedem Fall vorzubeugen.
({12})
Es fehlt in Ihrem Entwurf weiterhin ein, wie mir scheint, eminent wichtiges verfassungsrechtliches Erfordernis: es fehlt jede zeitliche Begrenzung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr. Dieser Haftgrund der Wiederholungsgefahr unterscheidet sich ja eben von den normalen Haftgründen dadurch, daß er nicht in erster Linie das Ziel hat, die Strafverfolgung zu sichern, wie es beim Haftgrund der Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr der Fall ist, sondern eine Wiederholung von Straftaten zu verhindern, also einer Maßnahme der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung Genüge zu tun. So verständlich und richtig dieser Grundgedanke ist, so ändert dies doch nichts daran, daß wir hier besonders behutsam vorgehen müssen, wenn wir nicht eine uferlose Ausweitung des allgemeinen Haftrechtes in Kauf nehmen wollen, die uns dann wieder an jenen Punkt zurückbringen müßte, von dem wir einmal ausgegangen sind, nämlich dem Vorwurf, daß in unserem Lande zuviel und zu schnell verhaftet werde.
({13})
Vergessen Sie doch nicht, daß wir in dieser Diskussion einmal gemeinsame Überlegungen und Positionen gehabt haben, und überlegen Sie, wem es eigentlich zugute kommt, wenn Sie dies jetzt ohne weiteres über Bord werfen und hinter sich lassen wollen, um dafür in der von Ihnen für richtig gehaltenen Weise eine Stimmung zu erzeugen, die nicht nur der Sache nicht gerecht wird, sondern auch zu einer Unsicherheit unter den Beteiligten führt.
({14})
- Wissen Sie, wenn Sie ein wenig mehr Verantwortung hätten, Herr Kollege Vogel,
({15})
würden Sie hier nicht dauernd von der Stimmung reden, sondern sich einmal überlegen, was Sie draußen ständig tun, um diese Stimmung anzuheizen, statt sich mit der Sache auseinanderzusetzen,
({16})
Sie müssen sich doch darüber im klaren sein - ich nehme an, Sie wissen es auch -, zu welchen Folgerungen Ihre Entwürfe führen. Die Mehrzahl der Fälle, die in der gegenwärtigen Diskussion eine entscheidende Rolle spielen, wird doch auch nach Ihrem Entwurf überhaupt nicht erfaßt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
({0})
Die Mehrzahl der Fälle wird durch Ihre Art, hier Anträge einzubringen, überhaupt nicht berücksichtigt. Diese Einzelfälle der Schwerkriminalität sind eben keine typischen Fälle, die für den Haftgrund der Wiederholungsgefahr in Frage kommen.
Zum Schluß muß ich Ihnen noch eines sehr deutlich sagen.
({1})
I Sie haben sich zum Schluß hier zu salvieren gesucht, indem Sie sagten, auch nach Ihrer Auffassung sei es notwendig, zu einer wirksamen Verbrechensbekämpfung mit weiteren Mitteln zu kommen.
({2})
- Wer hat das bestritten? - Sie haben dabei beiläufig erwähnt, daß wir zu einer Beschleunigung des Strafverfahrens kommen müßten. Wenn Sie in dieser Frage um eine Sachauseinandersetzung bemüht wären, Herr Kollege Vogel, dann wüßten Sie, daß die Bundesregierung, wie bereits mehrfach mitgeteilt und gesagt worden ist,
({3})
seit Monaten in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder an einem Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechtes arbeitet, das in wenigen Wochen vorlagereif sein wird und das durch zwei wesentliche Elemente, die ich hier nur nennen will, nämlich die Konzentration ,des Ermittlungsverfahrens und die Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft, einen ganz wesentlichen Beitrag zur wirksameren Beschleunigung des Strafverfahrens und damit auch zur besseren Bekämpfung der Kriminalität leisten wird.
Wir nehmen dieses Thema - dies nehme ich für mich in Anspruch - ernster als Sie,
({4})
indem wir uns nicht damit begnügen, draußen in der Öffentlichkeit mit unzulänglichen Gesetzentwürfen den Eindruck zu erwecken, als gehe es darum, in diesem Staate - ausgerechnet mit Ihrer Hilfe die Ordnung zu schaffen, die Sie andererseits mit Ihrer publizitätssüchtigen Form der Darstellung draußen immer wieder verunsichern.
({5})
Wir arbeiten an der Sache, und Sie werden Gelegenheit haben, sich mit unseren Vorschlägen in der Sache auseinanderzusetzen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Über die Frage der Ausdehnung der Vorschriften über die Untersuchungshaft, insbesondere die Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, sind in letzter Zeit in steigendem Maße Diskussionen geführt worden, und nicht alle waren frei von Emotionen. Insoweit darf ich dem Bundesminister der Justiz zustimmen: bei manchen Äußerungen bestand der Eindruck des Schielens nach vordergründiger Volksgunst in dem Sinn, daß sich die Bundesregierung habe Versäumnisse zuschulden kommen lassen und daß der Opposition jeweils die Initiative gebührt habe.
({0})
Die Rede von Herrn Vogel beweist diese meine Feststellung. Was not tut, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind sachliche Erörterungen.
({1})
Denn es geht hier - das hätten Sie eingangs sehr deutlich sagen sollen, Herr Vogel - um die gemäße Abfassung von Bestimmungen, die einerseits am empfindlichsten in die Freiheitssphäre des Bürgers eingreifen - ich sage nur das Wort „Haft auf Verdacht" -, die natürlich andererseits den staatlichen Strafanspruch in der Verwirklichung sichern und gefährdete Bürger schützen sollen.
Zuvörderst sollte ein für allemal deutlich gesagt werden - und auch das, Herr Vogel, sagten Sie etwas schamhaft mehr am Ende Ihrer Ausführungen -,
daß die Veränderung des Haftrechts keineswegs das
Allheilmittel zur Verbrechensbekämpfung sein kann.
({2})
Die Veränderung des Haftrechts ist nur ein Steinchen in dem großen Mosaikbild.
({3})
Das muß den Bürgern klargemacht werden. Wenn man die Gazetten liest, besteht aber der Eindruck, daß durch eine Methode des „feste druff" und des Änderns von Haftbestimmungen die Verbrechenssteigerung mit Nachdruck bekämpft werden könnte.
({4})
Wir Sozialdemokraten meinen:
({5})
die wichtigste Bedeutung bei der Bekämpfung der steigenden Verbrechen kommt der Prophylaxe und der Resozialisierung zu. Auf diesem Gebiet können sich die Leistungen dieser Bundesregierung sehen lassen.
({6})
- Zum Beispiel? Sie wissen ganz genau, daß wir den Strafvollzug reformieren wollen.
({7})
Wir werden das in dieser Legislaturperiode auch noch durchführen! - Sie wissen ganz genau,
({8})
daß wir dabei sind, zügig die Strafrechtsreform zu einem Ende zu bringen. Und Sie wissen ganz genau, was wir im Bundeskriminalamt an Änderungen bereits herbeigeführt haben. Sie dürfen allerdings nicht vergessen, daß die Länder dabei ganz erheblich mitzuspielen haben.
({9})
Zum anderen - das sage ich auch mit aller Deutlichkeit -: wir Sozialdemokraten werden uns nicht scheuen, unter diesem Aspekt, falls es notwendig sein sollte, die Haftbestimmungen zu ändern. Bloß darf dabei auf zweierlei hingewiesen werden.
Erstens. Der Rechtsfrieden ist nicht nur gestört, wenn zu wenige verhaftet werden, weil dabei zu viele durch die Maschen schlüpfen; der Rechtsfrieden wird auch gestört, wenn zu viele verhaftet werden, weil dabei die Gefahr besteht, daß Unschuldige inhaftiert werden,
({10})
und davor muß sich ein Staat hüten, der verpflichtet ist, Rechtsgarantien einzuhalten und hier das rechte Maß zu finden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen kleinen Moment, bitte. Zweitens. Das - die Änderung der Haftbestimmungen - kann man bestimmt nicht durch einen übereilt eingebrachten Entwurf vornehmen, ohne daß das Material umfassend hätte ausgewertet werden können. - Bitte!
Herr Kollege de With, trauen Sie unseren Richtern eigentlich nicht zu, auch mit einem erweiterten Haftrecht fertigzuwerden, ohne daß es dazu kommt, daß zuviel verhaftet wird?
Nicht mit dem Entwurf, den Sie vorgelegt haben, Herr Kollege Dr. Lenz und Herr Vogel.
({0})
Ich darf fortfahren und verdeutlichen: Dieser Bundestag sollte sich davor hüten - überspitzt formuliert -, die Verbrechensbekämpfung mit einem Gesetz anzugehen, dem man den Stempel aufdrücken könnte, hier sei etwas aus Gründen, die noch nicht auf gesicherten Erkenntnissen beruhten, festgelegt worden.
({1})
Daß auf Verdacht die „Verdachtstrafe" erweitert werde, dabei sollten wir es nicht belassen.
({2})
Unter diesen Aspekten kann zum Entwurf folgendes gesagt werden:
I. Wir sind bereit, den Haftgrund der Fluchtgefahr dergestalt zu ändern, daß ein für allemal sichergestellt ist, daß das bloße Vorliegen des festen Wohnsitzes, falls jemand vordergründig gesteht, zur Haftverschonung nicht ausreicht.
({3})
- Ich komme schon noch dazu, warum wir jetzt noch nicht insgesamt dazu Stellung genommen haben.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!
Herr Kollege de With, nachdem Sie in Diskussionen draußen und auch hier zum wiederholten Male darauf hingewiesen haben, daß das über die Regelung eines „festen Wohnsitzes" zu klären sei, möchte ich Sie fragen: würden Sie mir darin zustimmen, daß auch dann, wenn eine solche Klarstellung im Gesetz erfolgte, längst nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden kann, daß Fluchtgefahr vorliegt, selbst dann nicht, wenn der feste Wohnsitz als solcher kein Hinderungsgrund für eine solche Annahme sein sollte?
Herr Vogel, Sie werden eine Antwort darauf noch im Verlauf meiner Rede finden.
Auch wir Sozialdemokraten wissen, daß es bei den Kriminellen mit forensischer Erfahrung bis zu einem gewissen Grade üblich ist, vordergründig zu gestehen und einen festen Wohnsitz vorzuschieben, um nach Vorführung weitere Straftaten begehen zu können. Deswegen plädieren wir dafür, insoweit zu einer Änderung zu kommen.
2. Auch wir vertreten die Auffassung - insoweit begrüßen wir die Ankündigung des Bundesministers der Justiz -, daß unter allen Umständen eine Beschleunigung des Strafverfahrens vonnöten ist. Eine baldige Bestrafung zeigt nicht nur größere Wirkung. Wenn eine baldige Bestrafung möglich ist, „verlaufen" sich ja auch die Beweismittel und die Straftäter weniger.
3. Mit diesen Maßnahmen dürfte sich nach unserer Meinung ein großer Teil der Fälle, die uns wehtun, erledigen. Wir müssen dann nur entscheiden, was noch an weiteren Maßnahmen zu tun übrig bleibt, um der schweren Kriminalität bei Serien- und Hangtätern begegnen zu können. Hierzu sind wir aber wegen des Fehlens von ausgewertetem Material nicht in der Lage. Deswegen hat der Bundesminister der Justiz mit Recht darauf hingewiesen, daß Ihr Entwurf als voreilig angesehen werden muß. Denn solche einschneidenden Maßnahmen kann man nur vorschlagen, wenn man wirklich weiß, was das Material hergibt.
({0})
Wenn Sie sich das zu eigen machten, was der Bundesrat an besseren Formulierungen vorgelegt hat, wäre das für Sie sicherlich nicht ungünstig. Ich verweise nur auf die Bestimmungen in dem Vorschlag des Bundesrates, wann die Voraussetzungen für eine Wiederholungsgefahr nach seiner Meinung vorliegen.
Ich darf aber jetzt fortfahren und für die SPD-Bundestagsfraktion
4. folgendes erklären. Erweist sich bei genauer Durchsicht des Materials, daß wir trotz Änderung des Haftgrunds der Fluchtgefahr und trotz Maßnahmen zur Beschleunigung des Strafverfahrens weitere Maßnahmen treffen müssen, um zu verhindern, daß gewichtige Serien- und Hangtäter nach ihrer Vorführung bis zur Hauptverhandlung weitere Straftaten begehen können,
({1})
sind auch wir bereit, den Haftgrund der Wiederholungsgefahr auszudehnen, allerdings unter vier engen, sehr scharfen Voraussetzungen:
a) Diese Maßnahme muß unter allen Umständen verfassungsgemäß sein.
({2})
Hierbei schauen wir auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - abgedruckt im 19. Band -, wo es heißt, daß solche Maßnahmen nur möglich seien, wenn es „um die Bewahrung eines besonders schutzwürdigen Kreises der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten geht". Das muß ein für allemal klar sein, und es wäre gut gewesen, Herr Vogel, wenn Sie das besonders betont hätten.
({3})
b) Wir meinen, die Ausgestaltung des Gesetzes muß dem unmißverständlich Rechnung tragen, damit kein Angehöriger der Strafverfolgungsbehörden auf die Idee kommt, daß das auch für Kriminelle unterhalb der wirklich Schwergewichtigen gelte, die nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts hier nur erfaßt werden dürfen. Wenn ich mir unter diesem Gesichtspunkt Ihren Entwurf anschaue, so entspricht er diesen Bedingungen nicht.
({4})
c) Wir meinen, es muß klargestellt werden, daß bei einer solchen Ausweitung nach sechs Monaten die Freilassung zu erfolgen hat, es sei denn, das Oberlandesgericht bestätigt die Fortdauer der Haft. Wir meinen ferner, es muß geprüft werden, ob nicht nach vier Monaten ein weiterer Haftprüfungstermin obligatorisch einzuführen ist, um sicherzustellen, daß es nicht zu unbedachten Verzögerungen kommt. Denn ich sage noch einmal: der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist der schwierigste und am ehesten geeignete, Unschuldige zu erfassen, weil kaum eindeutige Gründe zu finden sind, um wirklich sagen zu können, es drohe Wiederholungsgefahr.
d) Letztlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, vertreten wir die Auffassung, daß eine solche Änderung, wenn es dazu kommt, richtig etikettiert und zutreffend eingeordnet werden muß. Insoweit sollten wir dem Vorschlag des Landesjustizministers Dr. Dr. Neuberger folgen, der von einer Sicherungshaft spricht und meint, daß der Haftgrund der Wiederholungsgefahr in einer gesonderten Vorschrift aufzuführen sei, und zwar zusammen mit den Bestimmungen des § 112, die heute schon die Wiederholungsgefahr bei Sittlichkeitsdelikten regeln. Denn jeder, der die Strafprozeßordnung liest, soll auf den ersten Blick sehen können, daß ein deutlicher Unterschied zwischen den normalen Haftgründen des § 112 und dem der Wiederholungsgefahr besteht.
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Zum Schluß sage ich noch einmal: Uns erscheint die Einbringung Ihres Gesetzentwurfs überhastet, und wir glauben, daß Sie dabei allzusehr auf eine vordergründige Volksmeinung geschielt haben. Für den Gesetzgeber gehört sich auch, gelassen abwarten zu können und erst dann zu entscheiden, wenn wirklich ausgewertetes, begründetes Material vorliegt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Vogel, Sie gucken mich so erwartungsvoll an. Tatsächlich ist Ihnen doch wahrscheinlich nicht ganz so wohl bei der Geschichte gewesen, wie Sie es hier vorgetragen haben. Sie haben den größeren Teil Ihrer Ausführungen darauf verwandt, die Leidensgeschichte darzustellen und Vorwürfe gegen das Bundesjustizministerium zu erheben. Den mit Abstand kleineren Teil Ihrer Ausführungen haben Sie darauf verwandt, darzulegen, was Sie in der Sache machen wollen und warum Sie es machen wollen. Ich sehe ganz vordergründig eine fundamentale Diskrepanz zwischen dem, was Sie als Grund für Ihren Gesetzentwurf vorgetragen haben, und dem, was in diesem Entwurf steht.
Sie bringen vor, es handle sich darum, zu verhindern - das wollen wir ganz gewiß auch, um das vorweg zu sagen -, daß Leute, nachdem sie gerade erst eine Tat begangen haben, immer wieder - serienweise - Straftaten begehen, daß dadurch die Polizei in der Ausübung ihres Dienstes entmutigt wird, daß die Ermittlungsbehörden geradezu verzweifeln, weil jemand, den sie gerade mit Mühe festgestellt haben, sofort wieder losgeht und serienweise Verbrechen begeht. Darin stimmen wir mit Ihnen überein.
Aber was haben Sie da hineingeschrieben: Wer einmal - Frage: wann? - eine Straftat begangen hat, wegen der er rechtskräftig verurteilt worden ist und eine - in Worten: eine - weitere Straftat begeht, kann wegen der Wiederholungsgefahr in einer Unzahl von Fällen, die Sie völlig unterschiedslos und undifferenziert nebeneinander geschrieben haben, auf Verdacht eingesperrt werden. Das ist ein erheblicher Widerspruch zwischen der Begründung, die Sie hier geben und dem, was in Ihrem Entwurf steht.
Ich habe neulich den verehrungswürdigen Kollegen Berger bei einer Veranstaltung vor den Herren Polizeipräsidenten gehört, denen dieses Problem mit Recht auch sehr am Herzen liegt. Nur weil es da so schön ruhig und still zuging, habe ich mich mit Mühe zurückhalten können, als er immer noch mehr Paragraphen vorlas, die Sie alle da hineingeschrieben haben und bei denen die Wiederholungsgefahr anknüpfen soll. Warum sagte er nicht, was Sie von den Straftatbeständen aus Ihrem Entwurf herausgelassen haben? Sie haben doch einfach alles hineingeschrieben, was Sie auf den ersten Blick erwischt haben.
Es finden sich darin eine Fülle von Straftatbeständen, von denen in der Kriminalwissenschaft eindeutig bekannt ist, daß diese Delikte nicht serienweise, sondern nur aus ganz bestimmten Situationen heraus begangen werden. Allen diesen Erkenntnissen entgegen haben Sie hier etwas ganz anderes hineingeschrieben. Daraus kann man ablesen, daß es Ihnen in Wirklichkeit darum gegangen ist, das Unbehagen, das sich - an den Ergebnissen gemessen, zu Recht - in unserem Lande über die Vermehrung von Straftaten, auch über die Vermehrung von Serienstraftaten, ausgebreitet hat
- auch in der Richterschaft und insbesondere bei der Polizei -, zu benutzen, sich in einer sehr flotten Weise auf die Woge zu setzen und zu sagen: Wir sind die ersten, wir haben es richtig gemacht. Und da bringen Sie uns diesen Gesetzentwurf her. Bloß, er wird uns nicht weiterhelfen.
({0})
- Man kann es ja an der Drucksachennummer ablesen.
Aber wenn man das Problem so undifferenziert anzugehen versucht, wie Sie es tun, wird man im Endeffekt die Kriminalität nicht nur nicht eindämmen, sondern man wird neue Ursachen für Spannungen und Widersprüche schaffen. Schon heute zeichnen sich die Angriffe gegen das geltende Haftrecht durch eine erstaunliche Unkenntnis aus, die bis in die Reihen der verehrten Abgeordneten der CDU/CSU hineingeht. Unter Juristen gilt immer noch der schöne Spruch: Kenntnis des Gesetzes erleichtert seine Anwendung.
({1})
Davon fehlt einiges bei Ihnen, wenn man immer wieder hört: Jemand braucht nur einen festen Wohnsitz zu haben, und schon kann er die größten Verbrechen begangen haben, der Richter muß ihn freilassen.
({2})
- Herr Jaeger, wir haben den § 112 StPO und wir haben den § 113 StPO. Im § 113 befassen wir uns mit Delikten, für die eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten zu erwarten ist. Nur in diesem Bereich einer doch schon recht kleinen Kriminalität - wenn sie nicht gerade in großen Serien auftritt; aber dann wird die Straferwartung ja wieder höher - spielt der feste Wohnsitz überhaupt eine Rolle. In § 112, der von sämtlichen anderen Fällen handelt, spielt dieser in der Öffentlichkeit immer breitgetretene feste Wohnsitz nicht die geringste Rolle; so etwas steht gar nicht darin. Das wird aber bedenkenlos vermengt, nur um zügiger
- sprich: oberflächlicher -, dafür aber um so wirkungsvoller draußen argumentieren und polemisieren zu können.
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Wir werden uns, nachdem Sie uns es mit Ihrem Entwurf leider nicht abgenommen haben, die Mühe machen müssen, an die Sache sehr viel differenzierter, ruhiger und sachlicher heranzugehen, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. Dazu gehört, daß wir, um es ganz klar zu machen, in § 113 j den festen Wohnsitz noch etwas anders definieren werden, damit es sogar bei diesen geringeren Fällen keine Möglichkeit mehr gibt, sich dahin auszureden, eine rein formale Gegebenheit reiche aus. Ich habe dazu neulich ein sehr schönes Wort gehört, das ich aber leider hier nicht wiedergeben kann; ich werde es Ihnen, Herr Lenz, bei Gelegenheit einmal persönlich erzählen.
Also den Mangel werden wir ausräumen, und dann werden wir das tun, was Herr de With und der Bundesjustizminister schon angesprochen haben. Wir werden versuchen, einen Tatbestand zu formulieren, der, nicht nur weil wir oder weil Sie es so behaupten, wirklich auf die Serientäter abzielt, auf die Leute, die offensichtlich dazu neigen, wenn sie auch nur einen Tag auf freiem Fuß sind, serienweise ans Werk zu gehen und sich an anderer Leute Eigentum und Gesundheit zu vergreifen. Diese Leute wollen wir fassen.
Das geht aber nicht mit Ihrem Modell: Eins plus eins und dann erst einmal auf Verdacht einsperren. So geht es beim besten Willen nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Herr Kollege Kleinert, würden Sie, nachdem Sie jetzt das zweitemal zitiert haben: einmal und dann noch einmal, die Freundlichkeit besitzen, den Entwurf genau zu lesen, um dann festzustellen, daß die rechtskräftige Vorverurteilung und dann die wiederholte Begehung, d. h. mindestens zweimal - ({0})
- Nein, nein! Lesen Sie es richtig, Herr Kollege Kleinert! Sie wissen, auch das ist manchmal unter Juristen schwierig, etwas so zu lesen, wie es dasteht. Zweitens: Würden Sie die Freundlichkeit haben, sich, wenn Sie schon auf den Grundsatz hinweisen, daß die Kenntnis des Gesetzes die Rechtsfindung erleichtert, sich dann die Rechtskenntnisse nicht nur durch das Nachblättern im „Schönfelder" heute morgen hier im Plenum zu verschaffen, sondern sich dann etwas intensiver damit zu beschäftigen?
({1})
Herr Vogel, auf das letzte möchte ich wirklich nichts sagen. Sie wissen ganz genau, daß wir über die Frage schon vor heute morgen sehr oft gesprochen haben. Wenn ich aber hier den „Schönfelder" mit ins Plenum gebracht habe, dann zeigt das meinen ganz besonderen Respekt vor dem Wortlaut des Gesetzes. Ich vermisse einen Schönfelder auf Ihrem Platz.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
Herr Kollege Kleinert, in diesem Hause war einmal davon die Rede, daß man nicht immer mit dem Grundgesetz herumlaufen könne. Wollen Sie den Satz aufstellen, daß man immer mit dem dicken Schönfelder herumlaufen muß?
Wir haben ja nie gesagt, daß man nicht mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen soll; das war einer Ihrer Herren Kollegen.
({0})
Wir sind der Meinung, daß man nicht nur mit dem Grundgesetz, sondern auch mit allen anderen Gesetzen - lieber einmal zuviel als einmal zu wenig - herumlaufen sollte.
({1})
Darüber unterhalten wir uns heute morgen an Hand Ihres Gesetzentwurfs.
Viel wichtiger als alle vordergründigen Maßnahmen im Bereich des Haftrechts - auch das ist hier schon gesagt worden - sind Änderungen des materiellen Rechts. Ich denke da insbesondere an Änderungen im Bereich der Rückfallvoraussetzungen, auch hinsichtlich von Taten, die im Zeitpunkt der Begehung noch nicht die Voraussetzung der vorausgegangenen rechtskräftig abgeurteilten Vortat erfüllen, aber trotzdem verschärft bestraft werden können. Das halte ich für eine Erwägung, die gewissen Serientätern, die auf den sogenannten Mengenrabatt spekulieren, die Freude verderben könnte. Abgesehen davon haben Sie sicher der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom November entnommen, daß diese Praxis des Mengenrabatts scharf kritisiert wurde. Sie ist sicherlich nicht Rechtens. Daß sie dennoch geübt wird, ist bedauerlich. Das wird sich vielleicht nach dem entsprechenden Hinweis des Bundesgerichtshofes etwas ändern.
Im Bereich des prozessualen Rechts hat der Herr Bundesjustizminister bereits seine Absicht dargelegt. Wir teilen seine Auffassung, und wir werden alles unterstützen, was zu einem schnelleren und damit einem wirkungsvolleren Prozeß führt und was Experimente im Bereich des Haftrechts, so hoffen wir jedenfalls, weitgehend überflüssig macht.
Nur ein Hinweis: Ich kann z. B. auch beim geltenden Recht nicht verstehen, warum die Staatsanwaltschaft bei Serientätern bis hin zum 31. Diebstahl jeden einzelnen ganz genau und minuziös ermittelt, was ohne weiteres zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen kann, anstatt erst einmal in den ersten zwei oder drei Fällen, die einwandfrei feststehen, Anklage zu erheben, den Mann deshalb rechtskräftig verurteilt einzusperren und dann hinterher den anderen Dingen nachzugehen, die im übrigen in der Hauptverhandlung zum Teil ohne weiteres eingestellt werden. Das sind einfach Dinge, die man heute in der Praxis schon machen kann und die leider zu selten gemacht werden. Solange es so ist, daß diese offenbaren Fehler bei der Anwendung des geltenden Rechts draußen gemacht werden, so lange können wir nicht einsehen, daß dann ausschließlich der Gesetzgeber derjenige sein soll, der an irgendwelchen Mißständen und Versäumnissen schuld ist. Da müssen alle zusammen helfen, und wir sind bereit, auf unserem gesetzgeberischen Sektor mitzuhelfen. Wir möchten aber auch die anderen bitten, die Möglichkeiten des geltenden Rechts auszuschöpfen.
In der dritten Strophe des Deutschlandliedes, die mit gutem Grund unsere Nationalhymne ist, heißt es im übrigen - ich finde das nach unseren Erfahrungen aus zurückliegender Zeit besonders deutlich und besonders wichtig - nicht etwa „Recht und Ordnung", sondern „Recht und Freiheit". Genau dieses Begriffspaar stellt das Spannungsverhältnis dar, mit dem wir uns immer wieder, nicht nur heute, werden auseinandersetzen müssen. Für uns ist aber dieses „Recht und Freiheit" bei den weiteren Auseinandersetzungen und bei dem Versuch verpflichtend, die Freiheit des Individuums und die Schutzwürdigkeit der Gemeinschaft in äußerst sorgfältiger Weise gegeneinander abzugrenzen und nicht zum Gegenstand einer schlichten Polemik zu machen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Jaeger. Für ihn sind 25 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir im Bundestagswahlkampf 1969 die Frage der Rechtssicherheit in diesem Lande aufgegriffen und auf die steigende Kriminalität hingewiesen haben, hat der damalige Bundesjustizminister Dr. Ehmke die Angelegenheit bagatellisiert. Er hat gesagt, nur bei Eigentumsdelikten sei die Kriminalität im Steigen. Er hat nicht berücksichtigt, daß die Statistik wie üblich hinter der Entwicklung herhinkt - sie kann ja kaum anders -; er hat auch nicht berücksichtigt, was vor kurzem ein Mann wie Professor Hellmer aus Kiel gesagt hat, daß nämlich der Diebstahl ein Spiegel der Einstellung der Bevölkerung zum Gesetz und ein Schrittmacher der Kriminalität im allgemeinen ist.
({0})
Heute - und das wäre dann schon der einzige Punkt, in dem ich etwas Positives in den Äußerungen des Herrn Bundesjustizminister an diesem Tage erblicken kann - wird zugegeben, daß die Kriminalität in diesem Lande ganz allgemein im Steigen begriffen ist. Sie ist zur Landplage geworden; insonderheit die Roheitsdelikte schießendns Kraut. Ich glaube, nichts kann die Situation erschreckender zeigen als die Tatsache, daß in diesem unserem Lande, in der Bundesrepublik Deutschland, an jedem Werktag des Jahres durchschnittlich ein Banküberfall stattfindet. Wir sind wirklich auf dem Wege, aus dieser Bundesrepublik zu einem Groß-Chicago zu werden.
Meine Damen und Herren, hier scheint es mir dringend notwendig, daß der von Schlägern und Dieben, Einbrechern und Räubern verunsicherte Bürger Schutz und Sicherheit bekommt, mehr Schutz und Sicherheit, als er bisher hat. Nicht wir, Herr
Bundesjustizminister, von der CDU/CSU verunsichern den Burger, sondern diese Verbrecher und diese Verbrechen tun es.
({1})
Es ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben unseres Staates, die Kriminalität wieder in den Griff zu bekommen. Dabei sind sicherlich vorbeugende Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung nicht minder wichtig, ja vielleicht besser, für die Öffentlichkeit, für die schutzbedürftigen Bürger und sogar für den möglichen Täter selbst, als eine nachträgliche Bestrafung. Dazu bedarf es vieler Dinge, über die wir heute und hier nicht zu sprechen haben; es bedarf einer Verstärkung der Polizei in ihrer Zahl und ihrer Ausrüstung und vor allem, meine ich, eines anderen Verhältnisses der Öffentlichkeit zur Polizei, eines steigenden Prestiges der Polizei in unserem Lande.
({2})
Wir haben ja eine Presse, die nicht uns, sondern Ihnen, meine Herren von der SPD, nahesteht, wie etwa die „Frankfurter Rundschau", die grundsätzlich, wenn geschossen wird, immer nach der Schuld ,der Polizei und nicht nach der Schuld von Verbrechern fragt, die gar nicht daran denkt, daß der Staat geschützt werden muß und daß es bei der Polizei manchmal besser ist, zu früh als zu spät zu schießen, sondern die immer nur daran denkt, wie man dem, der den Frieden stört, helfen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Diemer-Nicolaus?
Bitte sehr, gnädige Frau!
Herr Kollege Jaeger, Sie weisen auf die vorbeugende Verbrechensbekämpfung hin. Geben Sie mir zu, daß sie von Innenminister Genscher sofort sehr wirksam in Angriff genommen worden ist?
({0})
Ja, verehrte gnädige Frau, der Herr Innenminister Genscher hat sich in seinen Reden, was ich nicht leugnen kann, weitaus mehr an die Realitäten gehalten, als es der Herr Justizminister tut. Nur die Taten haben wir bisher noch nicht gesehen!
({0})
Aber ich bin bei den vorbeugenden Maßnahmen, und ich glaube, die Wiederholungsgefahr als selbständiger Haftgrund ist eine solche vorbeugende Maßnahme. Lassen Sie es mich doch einmal an einem einzigen Beispiel aus der Flut von Hunderten von Beispielen - mit mehr will ich Sie nicht belästigen - sagen. Der Polizeipräsident von Wiesbaden, Herr Ender, hat das bekanntgegeben.
({1})
- Ich wußte es nicht; aber Sie sind aus Hessen, Sie müssen es wissen. Wie sollte er in Hessen auch nicht Sozialdemokrat sein?!
({2})
Meine Damen und Herren, er hat gesagt, in seinem Amtsbereich wurde ein Einbrecher achtzehnmal auf frischer Tat ertappt, von der Polizei festgenommen und achtzehnmal vom Richter auf Grund des geltenden Rechts wieder freigelassen.
({3})
Als der Einbrecher das neunzehntemal verhaftet wurde, betrug die Summe seiner Straftaten 104.
({4})
Ich könnte das so fortsetzen; ich will es nicht. Ich will Ihnen nur die Reformbedürftigkeit unseres jetzigen Rechtes zeigen.
Seitdem im Jahre 1964 die Wiederholungsgefahr als selbständiger Haftgrund aufgehoben worden ist, ist zugleich in Verbindung mit der Theorie und vielleicht noch mehr der Praxis der fortgesetzten Handlung eine Situation eingetreten, von der der Herr Innenminister Genscher, Frau Kollegin, gesagt hat, diese Situation sei eine Aufforderung zum Tanz für jeden Serientäter.
({5})
Ich glaube, aus dieser Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung sollten nun auch praktische Konsequenzen auf diesem Gebiet gezogen werden, das sicherlich nicht das Gebiet des Herrn Genscher, sondern eben seines Kollegen Jahn ist. Wir sind heute in einer Situation, in der große Teile der Verbrecherwelt den Staat nicht mehr ernst nehmen. Die Folge ist, daß die Bürger ihn nicht mehr ernst nehmen und eine allgemeine Vertrauenskrise ausbricht. Deshalb brauchen wir ein an praktischer Vernunft orientiertes Haftrecht, das sich nicht an ideologischen und theoretischen Vorurteilen festhält.
({6})
Bei Betrug, Unterschlagung, Diebstahl, zumal KfzDiebstahl, Einbruch, Raub, Rauschgifthandel - ({7})
- Herr Wehner, ich hoffe es passiert Ihnen nie, daß Sie Ihrer Brieftasche beraubt werden. Gelegentlich sollen auch Politiker davon nicht verschont sein.
Meine Damen und Herren, in all diesen Fällen ist es heute möglich - ja, es ist üblich -, daß der Verbrecher wieder freigelassen wird, ehe er ein zweites Mal verhaftet wird oder ehe er überhaupt vor seinen Richter kommt. Für ganz besonders gefährlich aber halte ich das bei einem Delikt, bei dem jeder weiß, daß es Serientäter gibt, nämlich bei dem Delikt der Brandstiftung, also bei einem Delikt, das nicht nur das Eigentum eines einzelnen gefährdet, sondern Leben und Gesundheit einer Vielheit, das somit allgemeingefährlich ist. Auch hier ist heute nicht die Möglichkeit und Sicherheit geschaffen, daß
ein Brandstifter, bei dem Wiederholungsgefahr zu befürchten ist, festgenommen wird, bevor er wieder strafbare Handlungen vornimmt.
Meine Damen und Herren, unter diesen Umständen finde ich das sehr merkwürdig, was heute hier der Herr Justizminister ausgeführt hat. Ich wundere mich eigentlich darüber, Herr Minister Jahn, da ich Sie, was wir auch immer an gegensätzlichen Auffassungen in der Justizpolitik im Lauf der Jahre vertreten haben, eigentlich für einen besonders verbindlichen Mann gehalten habe. Davon war heute nichts zu merken. Das Wort, das ich neulich in der FAZ las und das ich nicht ganz ernst nehmen wollte, weil ich Ihnen zu gut will, nämlich den Satz von der verklemmten Würde, die Sie an den Tag legen, scheint mir nun wirklich Wahrheit zu sein. Denn in der Art, wie Sie hier meinen Kollegen Vogel abgekanzelt haben, so muß ich sagen, war kein Hauch von Kollegialität zu verspüren.
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Ich muß schon sagen, Ihre Feststellung, Herr Minister Jahn, „ausgerechnet mit Ihrer Hilfe" - Sie meinten Herrn Vogel und die Opposition - solle hier Ordnung geschaffen werden, ist doch sehr verwunderlich. Denn wozu ist die Opposition da, wenn nicht dazu, der Regierung zu helfen, das zu tun, was sie selbst aus eigener Kraft und Einsicht offenbar nicht zustande bringt?
({9})
Der Satz: „Wenn Sie mehr Verantwortung hätten, würden Sie anders urteilen", meine Damen und Herren, ist doch vom Standpunkt eines Bundesjustizministers so arrogant nach unten heruntergegeben, daß ich nur sagen kann: Hier übersieht Herr Jahn, daß es sich bei Herrn Kollegen Vogel um einen Mann handelt, der in jungen Jahren bereits als Landesminister der Justiz in einem deutschen Land Verantwortung getragen hat und die Dinge aus der Praxis kennt.
({10})
Sie beklagen, daß im Strafrecht die Gemeinsamkeit der Gesetzgebung aufgegeben sei. Auch wir beklagen dies. Aber nicht wir haben hier damit begonnen, sondern Sie haben dies am Anfang dieser Wahlperiode begonnen, als Sie Demonstrationsstraftatbestände veränderten und leichtfertig eine Amnestie beschlossen. Das war der Bruch der gemeinsamen Strafrechtspolitik.
({11})
Meine Damen und Herren, wenn Sie davon sprechen, unser Gesetzentwurf sei übereilt, dann muß ich doch einmal darauf hinweisen, daß ich mit meinen Freunden von der Christlich-Sozialen Union am 10. Dezember 1968 einen Gesetzentwurf des gleichen Themas einbrachte, der sich nur durch eine Generalklausel von dem heutigen Gesetzentwurf unterscheidet. Wir haben den jetzigen Entwurf gemacht, weil wir glauben, er werde von Ihnen leichter angenommen; ich persönlich bleibe dabei, daß die Generalklausel besser ist. Außerdem haben einen Tag später auch die Kollegen der SPD mit
denen der CDU/CSU auf der Bundestagsdrucksache V/3633 einen Gesetzentwurf eingebracht, der mit „Schmidt ({12}) und Fraktion" unterschrieben ist und dessen eigentlicher Verfasser der heutige Bundesverfassungsrichter Hirsch ist. Ich muß doch einmal fragen, meine Damen und Herren: Haben denn eigentlich auch diese Herren übereilt und voreilig gehandelt? Gilt auch für die Herren Hirsch und Schmidt der Vorwurf der Oberflächlichkeit und der Leichtfertigkeit. den Sie uns machen?
({13})
Denn die Gesetzentwürfe sind im Grunde kaum voneinander verschieden. Haben vielleicht auch Herr Hirsch und Herr Schmidt ({14}) an das Gefühl appelliert, oder sind sie nicht wie wir hier der Überzeugung, daß man aus Tatsachen Konsequenzen ziehen muß?
({15})
Herr Justizminister, Sie sprechen von der Gefahr, daß zuviel und zu schnell verhaftet wird. Ich will nicht bestreiten, daß das in zwölf Jahren der Diktatur wirklich der Fall gewesen ist. Aber doch nicht in unserem demokratischen Rechtsstaat, wo nach der Meinung des Volkes zuwenig, zumindest aber zu langsam verhaftet wird! Nicht um das „Zuwenig", uni das „Zu langsam" geht es uns hier, und das soll überwunden werden. Ihr Mißtrauen gegen den Richter ist mir unverständlich. Sie sollten lieber wie wir Mißtrauen gegen die Verbrecher haben.
({16})
Sie sprechen davon, Herr Justizminister, daß der Katalog der Straftaten unzulänglich sei. Nun, das sind Einzelheiten, über die man sich im Rechtsausschuß unterhalten kann. Sie meinen, Straftaten, die wie Demonstrationsdelikte irgend etwas mit Politik zu tun haben könnten, sollte man herauslassen. Wir halten dies für falsch. Denn wir sind der Meinung: der Demonstrant, der ein Fenster einwirft, eine Fahne verbrennt oder mit Pflastersteinen wirft, ist genauso ein Verbrecher wie irgendein Verbrecher sonst.
({17})
Aber wenn Sie absolut wieder einmal wie damals, als wir uns mit der Amnestie befaßten, die sogenannten politischen Verbrecher schützen wollen, - nun, darüber können wir reden. Wir wären bereit, dem Gesetzentwurf auch dann unsere Zustimmung zu geben, wenn einige Tatbestände herauskommen, wenn man nur den Großteil der Kriminalität wieder in den Griff der Haft wegen Wiederholungsgefahr bekommt. Darüber, meine Damen und Herren, können wir uns unterhalten wie über viele andere Einzelheiten.
Nur stelle ich fest: Die Praxis hat den Idealismus des Jahres 1964 widerlegt. Die Gewerkschaft der Polizei - und Herr Kuhlmann ist, glaube ich, nicht ein Mann der CDU/CSU ({18})
hat klar und deutlich ausgedrückt, daß hier, wenn
die Arbeit der Polizei nicht sinnlos werden soll,
abgeholfen werden muß. Denn unsere Polizei ist so verunsichert, daß sie sich kaum noch traut, Verbrecher festzunehmen oder Haftbefehl zu beantragen, weil sie weiß, wie es ausgeht.
({19})
Meine Damen und Herren, wenn Sie grundsätzliche Bedenken haben, wenn Sie der Meinung sein sollten, das, was man bei Ihnen die Vorbeugungshaft nennt, sei eine Sache, die mit dem Grundgesetz in Konflikt stehe, kann ich nur sagen: wie kommen Sie zu dieser Auffassung, wo Sie diesen Haftgrund doch auch heute schon im geltenden Recht bei Tötungsdelikten und schweren Sexualdelikten haben? Wenn er mit dem Grundgesetz in Widerspruch stände, müßten Sie ihn auch hier streichen. Wenn Sie ihn aber stehenlassen, können Sie ihn auch ausdehnen. Und Sie müssen ihn ausdehnen, Herr Kollege de With! Sie haben gesagt, hier sei die Gefahr, daß Unschuldige verhaftet würden. Diese Gefahr sehe ich immer. Aber wenn Sie dieser Gefahr radikal steuern wollen, müssen Sie jede Untersuchungshaft, aus welchem Grunde auch immer, aufheben. Das können wir nicht, wenn der Staat nicht zugrunde gehen soll.
({20})
- Ja, es war ein radikaler Schluß. Ich pflege mich des logischen Denkens zu befleißigen, das Sie ja als Jurist genauso gut gelernt haben wie ich.
Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, daß bei einer Verhaftung wegen der Wiederholungsgefahr viel mehr als sonst die Gefahr gegeben sei, daß Unschuldige verhaftet würden. Ich bestreite dies. Denn nach unserem Gesetzentwurf handelt es sich immer nur um jemanden, der schon einmal rechtskräftig verurteilt worden ist. Bei allen anderen Fällen der Untersuchungshaft handelt es sich dagegen nicht unbedingt um solche, sondern es kann sich um Verdächtige handeln, die überhaupt noch nicht strafbar geworden sind, bei denen die Wahrscheinlichkeit der Unschuld also größer sein mag als bei den anderen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier sagen: Wenn Sie diese Frage nicht endlich mit uns in Angriff nehmen, tragen Sie, die Sie die Mehrheit in diesem Hause haben, die Verantwortung für die weiter wachsende Kriminalität.
({21})
Ich weiß, daß das Ganze Ihnen schwerfällt. Sie verschließen so gern die Augen vor der Wirklichkeit des Lebens. Obwohl Sie in der Außenpolitik immer von Realitäten sprechen, übersehen Sie diese Realitäten auf dem Gebiete der Justizpolitik.
({22})
- Das ist ein anderes Kapitel; darüber reden wir in 14 Tagen.
Meine Damen und Herren, Sie glauben bei Ihrer unbeschränkten Liberalisierung des Strafrechts und des Strafprozeßrechts irgendeiner Ideologie folgen zu müssen. Dabei übersehen Sie, daß es die erste Aufgabe des Strafrechts ist, den Bürger vor den Ganoven zu schützen. Sie haben schöne theoretische Grundsätze, die aber die Beziehung zum Leben verloren haben und deshalb zu lebensfernen Doktrinen werden. Der Satz: „Fiat iustitia et pereat mundus", „Es muß irgendein formelles Recht Wirklichkeit werden, ganz gleich, ob die Welt dabei zugrunde geht", könnte ausgezeichnet als Schlußfolgerung von denen gesagt werden, die das vertreten, was Herr Minister Jahn und Herr de With heute im Hause verkündet haben.
({23})
Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat hat die Aufgabe der Gewährleistung der materiellen Gerechtigkeit. Er hat auch die Aufgabe, die Rechtssicherheit für den einzelnen und für die Allgemeinheit zu garantieren. Das Recht soll dem Menschen dienen, und es soll vor allem dem Unschuldigen dienen und helfen. Wir müssen die Demokratie gegen einen möglichen Angreifer von außen, gegen Staatsfeinde im Innern und auch gegen Verbrecher verteidigen, die Grundfeinde dieses freiheitlichen Rechtsstaates sind. Wenn wir nichts tun, dann wird man in der Öffentlichkeit der Demokratie, die nur redet und nicht handelt, immer mehr die Schuld in die Schuhe schieben. Dann gerät der Rechtsstaat in Verruf.
({24})
Meine Damen und Herren, Herr Senator Ruhnau aus Hamburg, ein bekannter Sozialdemokrat, mit Vertrauensämtern seiner Partei in der Medienkommission und anderswo ausgestattet, hat davon gesprochen, daß gerade wegen dieser Unmöglichkeit, bei der Gefahr der Wiederholung einen Haftbefehl zu erwirken, der Rechtsstaat sich selbst verhöhnt. Wir wollen dem ein Ende bereiten. Herr Kollege Kleinert hat sehr feierlich von der Nationalhymne, von Einigkeit und Recht und Freiheit gesprochen. Die Christlich Demokratische und Christlich Soziale Union bekennt sich weiß Gott zu Einigkeit - auch gegenüber denjenigen, die an der Wiedervereinigung verzweifeln -, zu Recht und zu Freiheit. Aber wir glauben, daß die Freiheit - wie es in der Nationalhymne heißt - an das Recht gebunden sein muß. Und die an das Recht gebundene Freiheit ist eben die Ordnung, die wir verteidigen und die wir wiederherstellen wollen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky. Für ihn sind 25 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe natürlich nicht die Absicht, an dieser Stelle auf juristische Haarspaltereien der Opposition einzugehen. Was zu der Problematik des Haftrechts selbst zu sagen war, das hat mein Kollege Hans de With und das hat auch, glaube ich, sehr deutlich der Kollege Kleinert hier vorgetragen.
Deshalb möchte ich dazu nur, um das einmal deutlich werden zu lassen, zwei Vorbemerkungen machen, denn es wird immer wieder versucht, das unterzubuttern. Erstens. Das jetzige Haftrecht wurde während der Zeit einer CDU/CSU-Bundesregierung geschaffen. Zweitens. Vier Jahre nach Inkrafttreten dieses Haftrechts, im Januar 1969, offenbarte der damalige Bundesinnenminister Benda noch auf eine Anfrage der Sozialdemokraten in diesem Hause, daß die Erörterungen über die Auswirkungen der Strafprozeßnovelle von 1964 noch nicht zu übersehen seien. Das heißt, er hatte dazu nach vier Jahren überhaupt nichts zu sagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich daher kurz auf einige andere Aspekte dieser Debatte eingehen. Ich will der Opposition keinesfalls den guten Willen absprechen, daß sie ebenso wie wir daran interesssiert ist, nach Möglichkeiten zu einer weiteren Verbesserung der Verbrechensbekämpfung zu suchen. Nur, in den Methoden, durch die dies erreichbar sein könnte, unterscheiden wir - das heißt: diese Regierung und diese Regierungskoalition - uns von der Opposition sehr deutlich.
Die Opposition zeichnet sich immer wieder nicht nur durch Vorschläge nach der Maxime „law and order" aus,
({0})
sondern auch durch die Art und Weise, wie sie diese Diskussion in diesem Hause, viel mehr aber noch in politischen Veranstaltungen draußen im Lande führt,
({1})
nämlich dort, wo niemand dabei ist, der ihr den Spiegel einmal vors Gesicht halten könnte. Ich habe das in meinem Bereich selbst unmittelbar erlebt, und ich habe den betreffenden CDU-Politiker zur öffentlichen Diskussion aufgefordert. Er hat bis heute gekniffen.
Meine Damen und Herren, ich kann nicht umhin, an dieser Stelle einmal sehr deutlich festzustellen, daß dies alles doch offenbar in erster Linie aus zwei Gründen geschieht. Erstens nämlich glaubt die Opposition, ihr makabres Spiel mit der Angst in der Erwartung betreiben zu sollen, daß der daraus erwachsende Unmut auf dem Rücken dieser Regierung abgeladen wird, und zweitens will die Opposition offensichtlich das übertünchen, was sie in jahrelanger Regierungsverantwortung an notwendigen Maßnahmen zu einer Intensivierung der Verbrechensbekämpfung selbst versäumt hat.
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- Ich komme noch darauf! Ich gebe darauf eine Antwort, Herr Kollege Jaeger.
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- Ich komme darauf. Sie können sich ja nachher noch einmal melden. Vielleicht werden Sie in diesem Sündenkatalog noch einiges finden, was Sie reizt, auf diese Tribüne zu kommen.
Meine Damen und Herren, zu einem solchen Schluß muß ich einfach erneut angesichts der Vorlage und der Behandlung dieses Antrages der CDU/CSU-Fraktion kommen. Denn allen Fraktionen in diesem Hohen Hause ist bekannt, daß wir uns seit langer Zeit in den zuständigen Ausschüssen, d. h. im Rechtsausschuß und im Innenausschuß auf der Grundlage des Umdrucks 81 zu den Drucksachen VI/703 und VI/871, mit der Frage einer möglichen Änderung des geltenden Haftrechts befassen. Ausweislich der Protokolle waren beide Ausschüsse - und zwar einstimmig - der Auffassung, daß es vorweg notwendig ist, von den entsprechenden Verwaltungen der Länder Erfahrungsmaterial der Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften und Gerichte zu diesen Fragen anzufordern, um auf Grund der Analyse dieses Materials weitere Überlegungen anzustellen. Im Rechtsausschuß ist, wie ich dem Protokoll entnehme, von dem Kollegen Dr. Stark von der CDU/CSU-Fraktion zusätzlich noch eine Anhörung zu den Fragen des Haftrechtes angeregt worden, falls, wie es im Protokoll heißt, der Ausschuß bei Vorlage des Erfahrungsmaterials der Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften und Gerichte Zweifelsfragen zur Novellierung haben sollte.
Meine Damen und Herren, alles das ist in die Wege geleitet worden. Die Erfahrungsberichte sind, wie ich feststellen konnte, inzwischen eingegangen und die Arbeitsgruppen der einzelnen Fraktionen sind, wie ich hörte, mit der Auswertung befaßt, ohne natürlich schon zu einem abschließenden Ergebnis gekommen zu sein.
({4})
Bei diesem Sachverhalt muß man doch wirklich fragen, was die mit dem Entwurf beabsichtigte CDU/CSU-Aktion hier überhaupt bedeuten soll. Ich meine, die Antwort sollte ich geben, indem ich ganz deutlich sage, daß dies doch nichts anderes ist als ein Scheingefecht, um nach außen hin den Eindruck zu erwecken, als ob in dieser Frage in diesem Hause überhaupt noch nichts geschehen sei.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dichgans?
Bitte schön!
Herr Kollege, kann ich Ihre überraschenden Ausführungen so verstehen, daß Sie im Grunde für dieses Gesetz sind, aber glauben, das, was hier vorgeschlagen wird, bereits auf Grund dessen erreichen zu können, was in den Ausschüssen liegt? Warum stimmen Sie dann dem Gesetzentwurf nicht zu?
Herr Kollege Dichgans, darauf werde ich Ihnen gleich noch eine Antwort geben. Das hatte ich mir ohnehin vorgenommen.
({0})
- Herr Kollege Vogel, ich möchte jetzt gern erst meinen Gedanken zu Ende führen. Oder ist es eine wichtige Frage? Dann bitte!
({1})
- Was Sie sagen, Herr Vogel, ist sicherlich immer wichtig.
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Der Abgeordnete verzichtet.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier gleich die Antwort auf die Frage des Kollegen Dichgans geben. Die Zusicherung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion liegt vor, daß wir uns an der Erörterung über eine mögliche Änderung des Haftrechts ernsthaft beteiligen werden. Das dürfte diesem Hause spätestens seit dem 4. November 1970 bekannt sein, als ich dies hier für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklärte. Dazu stehen wir nach wie vor.
({0})
Wir werden jedoch nicht nach der Devise verfahren: Dann holzen wir zunächst einmal alle Wälder ab, weil sich in ihnen gelegentlich Sittenstrolche aufzuhalten pflegen.
({1})
Was ich damit sagen will, möchte ich hier verdeutlichen. Ich will damit sagen, daß in diesen Fragen Sorgfalt geboten ist. Diese wollen wir walten lassen. Es schien zumindest in den Ausschüssen so, als seien auch die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion dazu bereit.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel.
Bitte schön, Herr Kollege Vogel!
Herr Kollege Pensky, sind Sie etwa, da Sie uns Leichtfertigkeit vorwerfen, der Auffassung, daß die Länderinnenminister, die sich im September des vorigen Jahres zu dieser Frage geäußert haben, leichtfertig waren, daß die Mitglieder des Innenausschusses oder des Rechtsausschusses des Bundesrates, die sogar einstimmig beschlossen haben, leichtfertig gehandelt haben, als der Bundesrat seinen Entwurf verabschiedet hat? Wollen Sie das wirklich sagen? Auch die Mitglieder des Bundesrates hatten ja eine ganze Fülle von Erfahrungsmaterial vorliegen.
Herr Kollege Vogel, wenn ich in dieser Frage überhaupt Vorwürfe erhebe, dann können sie sich nur gegen Mitglieder dieses Hauses,
({0})
- natürlich, gegen diese Opposition richten. Diese Opposition weiß nämlich, was sich in dieser Hinsicht in den Ausschüssen in diesem Hause abgespielt hat. Davon habe ich ja eben gesprochen. Sie
stoßen doch mit der Anregung zu dieser Diskussion ( nichts anderes als offene Türen auf.
({1})
- Wir haben doch gesagt, daß wir uns an dieser Diskussion beteiligen.
({2})
Die Diskussion war ja im Gange, und sie ist sogar in eine solche Reihenfolge gebracht worden, daß man von einer systematischen Beratung sprechen konnte.
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- Ich will mich doch durch Sie hier nicht über den Leisten ziehen lassen und aus dem Konzept bringen lassen. Herr Kollege Vogel, Sie sind ja jetzt auch im Innenausschuß; über diese Dinge können wir uns doch im Ausschuß unterhalten, wenn es sein muß, auch hart.
Meine Damen und Herren, etwas Entscheidendes: Ich meine, diese Bundesregierung geht zu recht davon aus, daß die Kriminalität nicht nur mit einer Verschärfung des Haftrechts oder der Strafen zu bewältigen ist.
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Die Bundesregierung hat deshalb bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode als erste Bundesregierung überhaupt in ihrer Regierungserklärung die Notwendigkeit einer verstärkten Verbrechensbekämpfung zum Ausdruck gebracht,
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indem sie ein Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung in Aussicht stellte. Sie hat davon nicht nur gesprochen, sondern auch danach gehandelt - im Gegensatz zu der jetzigen Opposition.
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- Ja, beruhigen Sie sich! - Es bedarf aber schon erheblicher Anstrengungen, um das aufzuholen, was frühere Innenminister der CDU und CSU auf diesem Gebiet versäumt haben.
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Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben doch für das Bundeskriminalamt seit seinem Bestehen die Verantwortung getragen. Sie sind deshalb dafür verantwortlich, daß das Bundeskriminalamt zu einem schlafenden Riesen geworden ist, in dem Millionen wertvoller kriminalpolizeilicher Informationen lagern, die für die Polizei in den Ländern nahezu wertlos wurden, weil sie mangels moderner technischer Einrichtungen nicht abgerufen werden konnten. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sind schließlich auch dafür verantwortlich, daß das Bundeskriminalamt infolge mangelnder materieller und personeller Ausstattung in
seiner Funktionsfähigkeit jahrelang erheblich gelähmt wurde.
Mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung zur Verbrechensbekämpfung ist doch erst mit Nachdruck begonnen worden, die aufgezeigten Mängel zu beseitigen und das Amt zu dem auszubauen, was es vorrangig sein soll: ein modernes Informationszentrum für alle Dienststellen des Bundes und der Länder, deren Aufgabe es ist, für die Sicherheit in unserem Staate zu sorgen.
Folgendes möchte ich zum Sofortprogramm Verbrechensbekämpfung nur kurz skizzieren.
Erstens sind die finanziellen Mittel hierfür seit Bestehen dieser Bundesregierung in einem noch nie dagewesenen Maße erhöht worden. Allein im Jahre 1972 ist für das Bundeskriminalamt eine Steigerung des Haushaltsansatzes gegenüber dem Vorjahr um nahezu 50 % ausgewiesen.
Zweitens wurden personelle Maßnahmen mit bestens sich abzeichnenden Erfolgen in Angriff genommen. Allein im ersten Jahr seit Bekanntgabe des Programms wurden 268 Bedienstete zusätzlich für das Bundeskriminalamt eingestellt.
Drittens wurden die technischen Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung erheblich verbessert und wirken sich zum Teil bereits erfolgreich aus. Als Beispiel darf ich das Bildübertragungsnetz anführen, an das alle Bundesländer angeschlossen sind und das laufend weiter ausgebaut wird. Versuchssendungen - das darf ich hier auch zur Information bekanntgeben - im Bereich der Interpol wurden mit Erfolg
I durchgeführt. Seit dem 19. November 1971 ist die Schweiz bereits an das Bildübertragungsnetz fest angeschlossen, und Verhandlungen mit einer Reihe von Staaten über einen ständigen Bildaustausch sind im Gange, inzwischen mit Schweden bereits abgeschlossen.
Viertens sind erhebliche Fortschritte ferner bei der Umstellung des Polizeifernschreibnetzes zu verzeichnen, d. h. es ist insbesondere das Polizeifunk-netz auf ein Funk-Fernschreib-Netz umgestellt worden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eyrich?
Herr Kollege Pensky, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die beste vorbeugende Verbrechensbekämpfung dann keinen Sinn hat, wenn die Täter zwar gefaßt, aber nachher wieder laufen gelassen werden müssen?
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Herr Kollege Eyrich, ich bin gerade dabei, Ihnen darzutun, was getan worden ist, weil hier ,der Vorwurf erhoben worden ist, daß diese Bundesregierung nicht gehandelt habe. Deshalb lassen Sie mich das zu Ende führen.
Fünftens sind für die Installierung einer zentralen Datenverarbeitungsanlage alle Maßnahmen in die Wege geleitet. Eine Konzeption des Bundes zum
Datenverbund mit den Ländern ist ausgearbeitet. Ziel dieses EDV-Programmes ist es, alle in der polizeilichen Verbrechensbekämpfung stehenden Dienststellen in Sekundenschnelle mit aktuellen Informationen zu bedienen, die sich auf tatverdächtige Personen, Sachen, Kraftfahrzeuge, Waffen und dergleichen beziehen. Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, in absehbarer Zeit über eines der modernsten polizeilichen Informationssysteme zu verfügen. Genau das ist, was unsere Polizei draußen in der täglichen Verbrechensbekämpfung dringend benötigt neben einer weiteren Verbesserung ihrer personellen und materiellen Situation. Dafür - das wissen Sie auch, und daß muß ich in Richtung des Kollegen Jaeger sagen - sind doch im wesentlichen die Länder verantwortlich, und hier haben die CDU- oder CSU-geführten Landesregierungen eine Möglichkeit, r i ch besonders zu bewähren.
({0})
Auch denen treten wir auf die Hühneraugen.
({1})
Abzurunden ist dieses Konzept für eine Intensivierung der Verbrechensbekämpfung durch eine Gesamtsicherheitskonzeption, an der Bund und Länder zur Zeit arbeiten. Alle die Kollegen, die im Innenausschuß dabeigewesen sind, haben gerade in der letzten Woche etwas darüber gehört. Es wurde auch von ihnen als sehr fortschrittlich bezeichnet.
Ich wollte im Rahmen der Debatte nur einmal diesen Teilbereich beleuchten, und zwar aus unserer Sicht; denn das sind weitgehend unsere Vorstellungen von einer verbesserten Verbrechensbekämpfung, und sie unterscheiden sich doch sehr deutlich von der Law-and-Order-Konzeption der CDU/CSU.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich bedauere eigentlich ein wenig die Art und Weise, wie diese Debatte hier läuft. In einer Frage, in der wir auf ein Miteinander angewiesen sind, wird hier ein Gegeneinander vordemonstriert, von dem wir ganz genau wissen, daß es jedenfalls weitgehend fiktiv und scheinbar ist.
({0})
Wir wissen doch alle ganz genau - und Sie, Herr Schäfer, wissen es genausogut wie ich -,
({1})
daß die Innenminister und die Ministerpräsidenten aller Bundesländer den Zeitpunkt für eine Initiative für gekommen halten. Das wissen wir ganz genau. in einem solchen Zeitpunkt ist es dann richtig und keineswegs voreilig, wenn dieses Haus sich nicht nur in seinen Ausschüssen, sondern auch im Plenum
Dr. Lenz ({2})
mit dieser Frage beschäftigt. Das ist nicht voreilig, sondern zeitgemäß.
Im übrigen ist gesagt worden, hier würde mit mangelnder Sorgfalt gearbeitet. Das verstehe ich einfach nicht. Herr Pensky hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, daß, wenn es hier eine Novellierung des Gesetzes geben wird, sie auf dem umfassendsten Material, das wir zur Zeit auftreiben können, beruhen wird. Sie können sich darauf verlassen, daß meine Kollegen aus allen Fraktionen im Rechtsausschuß kein Gesetz machen werden, von dessen Notwendigkeit sie sich auf Grund .des vorliegenden Tatsachenmaterials nicht überzeugt haben.
({3})
Daß wir dieses Material angefordert haben, sollte eigentlich in einer objektiv geführten Diskussion Anlaß genug sein, Vorwürfe der Art, wie sie der Herr Bundesjustizminister hier leichtfertig - ich glaube, in diesem Zusammenhang ist dieses Wort am Platze - erhoben hat, zu vermeiden.
({4})
Wenn es unter uns in diesem Stadium überhaupt Meinungsverschiedenheiten gibt, handelt es sich vielleicht um solche des Akzents, aber doch wohl nicht, wie wir hoffen, um solche der Sache. Vielleicht bewerten die einen unter uns polizeiorganisatorische Maßnahmen höher als andere. Wir verkennen nicht, daß sie notwendig sind. Es war ja unser Kollege Benda, der dieses Thema im 6. Bundestag zum erstenmal zur Sprache gebracht hat. Aber polizeiorganisatorische Maßnahmen reichen doch nicht aus. Sie können doch nicht die Polizei unentwegt verstärken, nur damit sie die Leute greift, feststellt, wer sie sind, und dann wieder laufen läßt, um sie alsbald wieder auf frischer Tat festzunehmen. In dem gesammelten Material haben wir - das wissen Sie ganz genau - Fälle, wo der Mann nach 30 und 40 Straftaten ein und derselben Art festgenommen wurde, nach zwei Tagen wieder laufengelassen werden mußte, dann vier Wochen in Freiheit war und dort ein Dutzend oder mehr Straftaten beging. Sie können weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaften noch die Gerichte noch die Bevölkerung davon überzeugen, daß es zum Wesen des demokratischen Rechtsstaates gehört, daß solche Dinge unabänderlich so sein müssen. Das glauben Sie nicht, und das glauben wir nicht.
({5})
Deswegen habe ich eigentlich immer noch die Hoffnung und den dringenden Wunsch, daß uns das Material - ich höre, daß es nun allmählich kommt; wir hatten es ja schon im Mai angefordert, und seit Oktober bis heute begleiten uns wöchentliche Ankündigungen, es komme nun wirklich - die Möglichkeit gibt, gemeinsam ein gutes, den Erfordernissen der Verbrechensbekämpfung in dieser Zeit gerecht werdendes Gesetz zu schaffen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß Herr Kollege Lenz soeben die Gemeinsamkeit des Bemühens des ganzen Hauses und aller politisch Verantwortlichen unterstrichen hat. Ich glaube, daß uns das auch verbinden muß. Es führt keinen Schritt weiter, wenn wir aufrechnen, was war und was man hätte tun müssen, und wenn wir uns darüber unterhalten, wer 1964 die Novellierung durchgeführt hat. Das ganze Haus hat sie getragen.
({0}) - Das ganze nicht? gut!
({1})
- Eine Mehrheit des Hauses hat sie getragen. Meine Auffassung hat sich damals nicht durchgesetzt. Sie ist auf beruflicher Erfahrung gegründet gewesen und hat in der Zwischenzeit wesentliche Unterstützung erfahren. Ich darf dieses Haus im ganzen daran erinnern, daß wir gerade dabei sind, eine Konzeption „Innere Sicherheit" zu erarbeiten. In der letzten Woche war ich sehr froh, im Innenausschuß feststellen zu können, daß z. B. der bayerische Staatsminister des Innern seine volle positive Unterstützung zugesagt und bei der ersten Konzeption - die bezieht sich nicht in erster Linie auf die Verbrechensbekämpfung, aber sie schließt sie mit ein - nicht nur seine Bereitschaft, sondern auch seine grundsätzliche Übereinstimmung deutlich gemacht hat.
Nachdem es eine Aufgabe von Bund und Ländern ist - die Gesetzgebung ist weitgehend unsere Sache, aber die Verbrechensbekämpfung ist Sache der Länder -, müssen wir uns darüber klar sein, und wird man wohl in diesem Hause in Kürze eine Debatte darüber führen müssen: Was sind denn die Ursachen der Kriminalität? Wie kann man ihnen begegnen? Heute haben wir uns eigentlich nur mit dem nachfolgenden staatlichen Handeln beschäftigt: Wie kann man der Täter habhaft werden, und wie kann man die Fortsetzung von Straftaten verhindern?
({2})
- Zweifellos! Ich kenne die Problematik, wie Sie wissen. Wir sollten ernsthaft an die Arbeit gehen und das, was notwendig ist, tun.
Herr Kollege Pensky hat dargelegt - ich halte das für sehr dankenswert -, daß in den letzten zwei Jahren einiges geschehen ist, soweit der Bund zuständig ist und das Bundeskriminalamt überhaupt ausgebaut werden kann. Wir werden in einem Jahr ein voll funktionsfähiges Datenverarbeitungssystem, ein Nachrichtensystem haben, das eine wesentliche Hilfe sein wird.
Es werden in dieser Situation noch mehr Maßnahmen zu treffen sein, über die wir zu beraten haben. Dazu gehört aber, wie ich meine, auch, meine Herren von der Opposition, daß man die Gemeinsamkeit der Verantwortung auch nach außen hin deutlich macht und nicht so tut - Sie haben
Dr. Schäfer ({3})
das getan, Herr Vogel, und haben damit diese Note hineingebracht -, als habe der gegenwärtige Justizminister hier Versäumnisse begangen und als seien dieser Regierung Versäumnisse vorzuwerfen. Das ist, wie Sie genau wissen, nicht richtig. Es ist, wie Sie, Herr Jaeger, als ehemaliger Justizminister wissen, vollkommen unrichtig. Sie wissen ebenso wie wir, wie sorgfältig die Vorarbeiten sein müssen, und Sie wissen genauso wie wir, daß man dann aber auch die notwendigen Konsequenzen ziehen und die notwendigen Gesetze beschließen muß, daß man die Polizeien ergänzen sowie ihre Ausbildung und das Nachrichtensystem auf den neuesten Stand bringen muß.
Bitte, Herr Erhard!
Herr Kollege Schäfer, wären Sie bereit, dem Hohen Hause mitzuteilen, wieviel Zeit die Regierung oder das Justizministerium von den Beschlüssen des Rechtsausschusses über die Auskunftsersuchen bis zur Weitergabe an die Bundesländer gebraucht hat?
Herr Erhard, Sie fragen, wenn ich Sie recht verstehe, nach dem Schicksal des Umdrucks 81. Wir haben ihn im Innenausschuß behandelt. Wir haben diesen Teil abgegliedert und, was wohl richtig war, an den Rechtsausschuß überwiesen. Nachdem das Justizministerium dann den Auftrag bekommen hatte, das Material zur Verfügung zu stellen, hat es sich, soviel ich weiß, sofort
an die Länder gewandt. Diese haben verhältnismäßig viel Zeit gebraucht. Heute haben Sie von Herrn Justizminister Jahn gehört, daß das Material vorliege und noch in dieser Woche ausgewertet und aufbereitet den Ausschüssen zugehen werde.
Können Sie bestätigen, daß es von der Beschlußfassung im Ausschuß bis zur Herausgabe der Frage an die Länder über sechs Monate gedauert hat?
Aber entschuldigen Sie, ist dafür der Bundesjustizminister verantwortlich?
({0})
- Nein! Dann wollen wir einmal nachprüfen, welche CDU-Justizminister schnell gehandelt haben. Sehen Sie, so kann man die Diskussion auch führen. Jetzt zeigen Sie, Herr Erhard, daß Sie eben doch auf dem falschen Dampfer sind und daß Sie mit einer falschen polemischen Methode glauben dieses schwierige Kapitel behandeln zu können. Auch wir könnten einmal eine Bilanz aufmachen und z. B. den Herrn Jaeger fragen, was er denn für Initiativen entwickelt hat, solange er Justizminister war. Auch wir könnten einmal fragen, was denn der Herr Benda entwickelt hat, dem wir immer nur Fehlanzeigen vorzuhalten hatten.
({1})
- Sehen Sie, Herr Erhard, das hilft uns doch in der
Sache nicht weiter. Ich bin erstaunt, daß Sie glauben
darauf beharren zu müssen. Nein, das ist eine Gesamtaufgabe, eine sehr mühsame Gesamtaufgabe, der wir uns alle stellen müssen, weil wir es der Bevölkerung und diesem Staat schuldig sind, dann auch das Erforderliche zu tun. Es geht aber nicht nur um das Teilchen, das Sie jetzt vorschlagen. Das ist ein Punkt in einem großen Gesamtprogramm, von dem diese Regierung schon mehr verwirklicht hat als alle Regierungen vorher.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Lenz ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das gibt nur einen verlängerten Zwischenruf. Herr Kollege Schäfer, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß die Regierung des Landes, aus dem Sie kommen, der Auffassung ist, die Ausdehnung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr sei dringend geboten und sei die zur Zeit dringlichste und nach den gesammelten Erfahrungen wirksamste Maßnahme, um das weitere Ansteigen der Kriminalität zu verhindern.
({0})
Aus diesem Grunde haben wir die Debatte heute gewünscht.
Der zweite Punkt, damit mein Kollege Erhard richtig verstanden wird: Die Frage, die er gestellt hat, lautet, Herr Kollege Schäfer: Was ist eigentlich zwischen dem 3. Mai und dem 19. Juli in der Bundesregierung geschehen, daß die Weitergabe eines fertig formulierten Briefes so lange gedauert hat? Irgendein Grund muß das doch haben. Wir wissen ihn nicht, aber wir wären dankbar, wenn wir erfahren könnten, warum der Fragebogen des Rechtsausschusses mehr als zwei Monate bei der Bundesregierung gelegen hat, ohne an die zuständigen Landesinstanzen weitergegeben zu werden. Wenn das geschehen wäre, hätten wir heute die Antworten auf dem Tisch. Dann wären sie schon im Dezember auf dem Tisch gewesen, als der Bundesrat über dasselbe Thema diskutierte.
({1})
Herr Schäfer, ich will nicht von Versäumnissen reden, das ist nicht mein Anliegen in dieser Debatte. Ich will nur feststellen - und dem kann doch niemand widersprechen -, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiete nicht initiativ geworden ist.
({2})
Wir hoffen, daß wir damit nicht ein Vor-Urteil über dieses Gesetzgebungswerk gesprochen haben, sondern daß das, was bisher nicht geschehen ist, noch nachgeholt wird. Es ist doch legitim, Herr Kollege Schäfer, daß man die Änderung des materiellen
Dr. Lenz ({3})
Strafrechts für dringlicher hält als die Änderung der Strafprozeßordnung. Darüber kann man durchaus reden, Herr Kollege Schäfer.
({4})
- Ich meine dieses Gebiet des Strafprozeßrechts, und zwar genau den Punkt „Haftgrund der Wiederholungsgefahr". Sie können doch nicht leugnen, daß Sie auf diesem Gebiet noch keine Initiative ergriffen haben. Ich leite daraus im Augenblick noch gar keinen Vorwurf ab. Aber deswegen war es legitim von der Opposition, dieses Thema hier aufzugreifen, genau wie es vom Bundesrat legitim war, dieses Thema aufzugreifen. Wenn in der Zukunft an der Bewältigung dieser Aufgabe zügig mitgearbeitet wird, brauchen wir uns über ein Datum usw. nicht mehr zu unterhalten, Herr Kollege Schäfer. Aber wir müssen den Vorwurf zurückweisen, hier sei leichtfertig und übereilt gehandelt worden. Der Vorwurf, daß hier gesäumt worden ist, wäre leichter zu begründen.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz, Herr Bundesminister Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat sicher keinen Sinn, Herr Kollege Lenz, nun anzufangen, darüber zu diskutieren, wer wann wozu wie lange gebraucht hat. Aber eines möchte ich in aller Ruhe und Nüchternheit festzustellen, ohne irgend jemandem einen Vorwurf zu machen: Die Verabredung zwischen den beteiligten Ausschüssen des Bundestages lag, wenn ich mich recht erinnere, Ende 1970. Monate hat der Rechtsausschuß daran gearbeitet und schließlich eine Formulierung gefunden, die Grundlage für die Anfrage der Bundesregierung bei den Ländern sein konnte. Weil das Material bei den Ländern nicht schon nach unseren Fragen aufbereitet ist, brauchte die Erarbeitung natürlicherweise wiederum Monate. Wir sollten aber nicht auf diesem Nebengleis Auseinandersetzungen führen, bei denen jeder, der ein wenig Sachkunde hat - das sind die meisten derjenigen, die sich hier geäußert haben -, weiß und wissen muß, daß das Zusammenholen von Material dieser Art seine Zeit braucht.
Aber ich habe mich wegen eines anderen Punktes zum Wort gemeldet. Es ist mehrfach gesagt worden, wir müßten uns um der Sache willen dieses schwierigen Themas möglichst wenig kontrovers annehmen. Einverstanden! Nur, Herr Kollege Lenz, dann lassen Sie doch auch den Vorwurf draußen, diese Bundesregierung sei nicht initiativ geworden.
({0})
- Wenn Sie darüber Polemik haben wollen, können wir das wieder machen. Ich habe versucht, einmal nüchtern und ohne Polemik darauf hinzuweisen: Auf der einen Seite gab es als Ergebnis einer Debatte Beratungen im Ausschuß und die übereinstimmende Meinung, daß wir zur Bewältigung dieses schwierigen Problems und zum Herauffinden sachgerechter Antworten mehr als allgemeine Behauptungen wissen müßten. Das Material, das auf dieser Grundlage zur Verfügung gestellt worden ist, steht uns seit Mitte Dezember, also seit sechs Wochen, zur Verfügung.
({1})
- Das Material, das dazu notwendig ist, steht uns seit Mitte Dezember vollständig zur Verfügung.
Nun kann doch niemand im Ernst sagen wollen, daß dieses nunmehr ausgewertete Material - ich habe gesagt, daß diese Woche unser Bericht kommt - längst hätte zu Initiativen führen müssen. Wir können weder im Einvernehmen mit dem Rechtsausschuß des Bundestages noch mit diesem Hohen Haus doppelbödig argumentieren, und ich tue das auch nicht. Wenn wir uns darüber einig sind, daß wir uns um Lösungen auf Grund des angeforderten Materials bemühen, dann wird das abgewartet und dann komme ich nicht mit irgendeinem Trick, um zu sagen, daß ich meinen Antrag trotzdem vorlege, zumal gerade nach Ihren Bemerkungen, Herr Kollege Lenz, klar sein sollte, daß es außerordentlich schwierig ist, zu einem abgewogenen Urteil zu kommen.
Lassen Sie mich dazu bitte noch eines sagen. In dieser Debatte darf auch nicht übersehen werden, daß ich meine Position bereits im Bundesrat deutlich gemacht habe. Nach den Ausschußberatungen im Bundesrat sollte nicht ein Wettstreit um die besten Formulierungen dadurch enstehen, daß wir auch noch einen Antrag machen. Wir wollen in der Sache schnell zu einem Ergebnis kommen; deshalb verzichten wir auf eine eigene Vorlage und unterstützen im Prinzip die des Bundesrats. Sie wird hier vorgelegt werden und dann die von dort sachkundig vorbereitete Beratungsgrundlage sein können.
Dies alles zeigt doch eine Bereitschaft zur Kooperation und zur Förderung der Sache, die Ihnen keinen Anlaß geben sollte, in dieser Weise hier zu operieren. Nur müssen Sie sich gefallen lassen, daß dann, wenn Sie die Debatte lieber so führen wollen, wie es zu Beginn schien, darauf geantwortet wird, wie es geschehen ist. Eine sachliche Auseinandersetzung und eine sachliche Prüfung der Fakten können Ihnen keine Rechtfertigung für die Unterstellung geben, daß diese Bundesregierung in dieser Frage das Notwendige versäumt.
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir befinden uns in der ersten Lesung. Es wird Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Innenausschuß zur Mitberatung vorgeschlagen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
- Drucksache VI/3059 9642
Präsident von Hassel
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung dazu hat Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU gebe ich zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichgesetzes folgende Erklärung ab.
Die Entwicklung der deutschen und der europäischen Wirtschaft hat besonders in den letzten Jahren dazu geführt, daß die Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz, die nach der derzeitigen Regelung 50 °/o des abgabepflichtigen Vermögens beträgt, die deutsche Landwirtschaft in immer stärkerem Maße belastet. Die Preise für Agrarprodukte orientieren sich ja heute an Rechnungsgrößen außerbetrieblicher Herkunft mit der Folge, daß die Produktionskosten für landwirtschaftliche Erzeugnisse nur noch zum Teil gedeckt werden können. Da insoweit weder Preise noch Kosten von der deutschen Landwirtschaft selbst beeinflußt werden können, besteht für sie bis auf verschwindende Ausnahmen keine Möglichkeit mehr, die Vermögensabgabe aus den Erträgen der Betriebe zu zahlen.
Ihr bleibt daher nur noch der - vom Gesetzgeber gerade nicht gewollte - Weg, die Substanz anzugreifen, um diese Abgabe aufzubringen. Die zwangsläufige Substanzverminderung bedeutet eine Beeinträchtigung auch der deutschen agrarpolitischen Maßnahmen. Wenn es richtig ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß mehr als ein Viertel der Betriebe im landwirtschaftlichen Bereich im vergangenen Jahr Substanzverluste hinnehmen mußten, so wirft das ein deutliches Schlaglicht auf die Situation.
Zusätzlich hat die allgemeine Wirtschaftspolitik mit ihren starken Kostensteigerungen und der Beschluß der Bundesregierung, die Deutsche Mark im Jahre 1969 aufzuwerten, ,der deutschen Landwirtschaft eine der schwierigsten Einkommenssituationen seit Bestehen der Bundesrepublik beschert. Die Folgen der Aufwertung von 1969 sind auch heute noch nicht überwunden, obwohl auch damals die Bundesregierung zugesichert hat, daß der Landwirtschaft keine Verluste aus der Aufwertung entstehen sollten. Die deutsche Landwirtschaft muß es darüber hinaus als bitter empfinden, daß die Währungspolitik der Bundesregierung jetzt wieder gegen sie ausschlagen soll.
Aus diesen und noch anderen vielfach genannten Gründen, aber auch um einmal einen Beitrag zur steuerlichen Entlastung der deutschen Landwirtschaft im Vergleich zu der der EWG-Partnern zu leisten, haben sich die Bundesländer veranlaßt gesehen, nach Wegen zu suchen, um eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten oder sie wiederherzustellen. Ein solcher wesentlicher Beitrag zu der notwendigen Hilfe, die landwirtschaftlichen Betriebe ertrags-, funktions- und entwicklungsfähig zu erhalten, soll nach dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes dadurch geschaffen werden, daß die Land- und Forstwirtschaft mit Wirkung vom 1. Januar 1972 von den Belastungen durch die Vermögensabgabe befreit wird. Bei den Beratungen der Gesetzesänderungen soll gleichzeitig geprüft werden, ob und in welchem Umfang dem Ausgleichsfonds der Einnahmeausfall durch Erschließung neuer Einnahmequellen ersetzt werden kann.
({0})
Angesichts der nicht nur konjunkturellen, sondern auch wachsenden strukturellen Schwierigkeiten vieler Teile der deutschen Wirtschaft, noch gefördert durch die währungspolitischen Manipulationen seit 1969, zeigt sich die deutsche Volkswirtschaft tatsächlich nicht nur auf dem Agrarsektor in einer gefährlichen problematischen Situation. So hat der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Riemer im Einvernehmen mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen erst vor wenigen Tagen ein Paket von Hilfsmaßnahmen für die Sanierung der Ruhrkohle AG vorgelegt, wonach z. B. für die Ruhrkohle AG die Lastenausgleichsabgabe in Höhe von derzeit 467 Millionen DM ebenfalls gestrichen werden soll. Dieser Verzicht soll nach den Vorstellungen der nordrhein-westfälischen Regierung im übrigen ausschließlich zu Lasten des Bundes gehen. Ob die Vorschläge des Landes Nordrhein-Westfalen die letzte zusätzliche Finanzspritze bringen werden, um die Ruhrkohle AG am Leben zu erhalten, ist eine andere Frage.
({1})
Die Bewältigung der in der deutschen Wirtschaft als Folgewirkungen der Versäumnisse in der Wirtschafts-, Konjunktur- und Finanzpolitik entstandenen erheblichen Schwierigkeiten wird sicherlich nicht allein von der Beseitigung dieser Vermögensabgabe abhängig sein. Es wird vielmehr darauf ankommen, daß die Bundesregierung zu einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückkehrt.
({2})
Die Hilferufe der einzelnen Wirtschaftszweige machen jedenfalls deutlich, daß die Versäumnisse der Bundesregierung viel gravierender sind, als auch kritische Beobachter im Augenblick konstatieren. Die Ursachen, die zu dieser Entwicklung geführt haben, stellen jedenfalls Symptome für eine konzeptionslos gewordene Wirtschafts- und Finanzpolitik überhaupt dar.
({3})
Dieser Antrag des Bundesrates macht deutlich, daß die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung auf vielen Gebieten Unsicherheiten geschaffen und unsolide geworden ist. Zur Überwindung der Situation werden von den einzelnen Wirtschaftszweigen und auch den Landesregierungen verzweifelt Wege gesucht. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß im Zusammenhang mit diesem Antrag insgesamt zu beraten ist, wie den in Not geratenen Wirtschaftszweigen ohne Schmälerung des Ausgleichsfonds, der selbst nach den Aussagen der Bundesregierung nicht mehr in der Lage ist, die berechtigten Minimalansprüche der davon Betreuten zu decken, geholfen werden kann. Die
CDU/CSU-Fraktion stimmt daher dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates an die genannten Ausschüsse zu.
({4})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich kann, weil ich eine Erklärung für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates abzugeben habe, nicht im einzelnen auf den Beitrag des Sprechers der CDU/CSU-Fraktion eingehen, sonst würde in Abweichung von der Geschäftsordnung eine Diskussion eröffnet.
Die Bundesregierung - soviel möchte ich dazu sagen - wird bei der Debatte des Grünen Berichts ihre Agrarpolitik darlegen, und es wird wiederum zum Ausdruck kommen, mit welch hohen Leistungen Bund und Länder und die Volkswirtschaft der deutschen Landwirtschaft Unterstützung gewähren, damit sie mit ihren Problemen fertig werden kann. Bei der Debatte des Jahreswirtschaftsberichtes werden Sie Gelegenheit haben, Ihre konjunkturpolitischen Vorstellungen zu äußern.
Ich darf hier nur sagen, ich bin froh, daß der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen im Gegensatz zu vielen anderen in der Konjunkturpolitik die Nerven bewahrt hat und nicht zu einem Zeitpunkt, der ungeeignet gewesen wäre, über Gebühr gebremst oder zu früh angeheizt hat. Wenn der Wirtschaftsminister manchen Schwarzmalern gefolgt wäre, wäre die Stabilität mehr gefährdet, als sie es tatsächlich ist. Aber mehr will ich dazu nicht sagen.
({0})
Die völlige Freistellung eines bestimmten Wirtschaftszweiges, z. B. der Landwirtschaft, von der Lastenausgleichsabgabe wäre eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes. Wenn bei der Landwirtschaft auf die Vermögensabgabe ganz verzichtet würde, würden andere Wirtschaftszweige mit schlechter Ertragslage mit dem gleichen Recht die Forderung stellen, von der Vermögensabgabe befreit zu werden. Wir hätten dann wenig Gründe, dies abzulehnen.
Wenn wir dem Antrag folgten, den die Bundesratsmehrheit gestellt hat, wäre es äußerst kompliziert, denen gerecht zu werden, die die Lastenausgleichsabgabe schon abgelöst haben oder wo Höfe verkauft wurden. Dies alles nachträglich zu regeln und den Betreffenden gleiches Recht zu verschaffen, würde die Finanzverwaltung, die ohnehin schon überlastet ist, zusätzlich ungebührlich belasten. Auch im Bundesrat und in den Ausschüssen des Bundesrates ist über die Schwierigkeiten gesprochen worden, die dadurch entstünden.
Wie bei allen Steuern - das ist zu beachten, wenn wir dieses Gesetz im Ausschuß beraten - besteht auch bei der Lastenausgleichsabgabe die Möglichkeit des Erlasses, wenn Härtefälle vorliegen. Es
kann also im Einzelfall geholfen werden. Es widerspräche auch einem Verfassungsgrundsatz, wenn wir generell eine Abschaffung der Vermögensabgabe beschließen würden. Sie kann im Einzelfall für Härtefälle begründet sein, würde aber bei einem solchen Vorgehen auch solchen Betrieben zugute kommen, die relativ günstige Erträge erwirtschaften.
Die allgemeine Befreiung der Land- und Forstwirtschaft von der Lastenausgleichsabgabe würde den Bundeshaushalt nach der Stellungnahme der Bundesregierung in den Jahren bis 1979 mit 700 Millionen DM belasten, weil der Bund für den Einnahmeausfall aufkommen müßte. Weil aber andere Branchen - wie ich vorhin sagte - wegen dieses Präzedenzfalles nachziehen würden und wir es schwer hätten, dies zu verweigern, wären die Kosten noch viel höher. Sie sind noch gar nicht berechnet; vielleicht würden sie sich sogar vervielfachen. Die großen Einnahmeminderungen würden die Durchführung des Lastenausgleichs vor allem für mitteldeutsche Flüchtlinge gefährden, und es würde die angestrebte Dynamisierung der Unterhaltshilfe und die Verbesserung der Hauptentschädigung in Frage gestellt werden. Der Gesetzentwurf, so wie er konzipiert ist, kann als ein Verstoß gegen die Interessen der Vertriebenen verstanden werden.
({1})
- Ja, das ist so. Man muß alle Auswirkungen mit in die Betrachtungen einbeziehen und darf das nicht nur von einer Seite sehen.
({2})
Die CDU/CSU - in diesem Fall ist es die Mehrheit der von der CDU/CSU regierten Bundesländer -entwickeln sich immer mehr zu einer Partei, die auszieht - ich weiß jetzt, was ich sage -, die Staatsfinanzen zu ruinieren.
({3})
Nur drei Beispiele dazu. Das Beteiligungslohngesetz, das die CDU/CSU im Bundestag eingebracht hat, verursacht Ausgaben und Steuermindereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden in Höhe von 500 Millionen DM. Ein Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuerrechts, der vor wenigen Monaten von der CDU/CSU eingebracht wurde und der Steuervergünstigungen für bestimmte Unternehmungen vorsieht - steuerbegünstigte Rücklagen, um das Stichwort zu nennen -, hätte, wenn er in Kraft getreten wäre, allein im ersten Jahr, 1972, Steuermindereinnahmen in Höhe von 2700 Millionen DM verursacht. Das dritte Beispiel: Mit dem heutigen Antrag würde eine Mindereinnahme von 700 Millionen DM in sieben Jahren verursacht, im ersten Jahr 100 Millionen DM. Addiert würde dies Steuermindereinnahmen oder Mehrausgaben der Kassen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, von mehr als 8 Milliarden DM verursachen.
Sie haben auch nicht eine Andeutung gemacht, wie Sie diese Ausgaben finanzieren wollen. Es wäre besser, wenn wir auch darüber reden könnten.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie wecken Wünsche und Hoffnungen, die Sie nicht erfüllen können, und erzeugen damit im Zweifelsfall nur Unzufriedenheit und Verdrossenheit, wobei ich nicht ausschließen möchte, daß der Hintergedanke eine Rolle spielt, dies könnte sich gegen die Regierung und gegen die Regierungsparteien wenden.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäfer?
Bitte schön.
Herr Kollege Porzner, ist Ihnen bekannt, daß Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion bei der Beratung der 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz Mehrausgaben aus dem Lastenausgleichsfonds in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM beantragt haben?
Herr Kollege Schäfer, das ist mir bekannt. Es gibt noch eine Handvoll andere Anträge, die zusammengerechnet wiederum Milliardenbeträge überschreiten würden. Dies waren nur drei Beispiele, die ich genannt habe, weil es zuviel wäre, alle die ungedeckten Anträge, die die Opposition hier stellt, auch nur aufzuzählen. Vielleicht sollte man das mal in einer Kleinen Anfrage machen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ritz?
Bitte schön.
Herr Kollege Porzner, da es sich hierbei um einen Antrag des Bundesrates handelt, darf ich Sie fragen: Würden Sie nicht meinen, daß es fair wäre, auch die Überlegungen und die konkreten Vorstellungen des Wirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen, Herrn Riemers, zu der Frage der Sanierung des Ruhrbergbaus und der Vermögensabgabe mit einzubeziehen? Meinen Sie nicht, daß es fair wäre, das hier mit einzubeziehen?
Dies ist der große Unterschied.
({0})
- Natürlich! Die Ruhrkohle-AG ist eine Einzelfirma, und in Einzelfällen kann die Finanzverwaltung, wie das in der Abgabenordnung geregelt ist, aus Härtegründen Entscheidungen treffen und Steuern oder Abgaben stunden, zum Teil erlassen oder erlassen. Dies gilt für jeden Steuerpflichtigen, so auch für die Ruhrkohle-AG.
({1})
Die Abgabenordnung, unser Steuerrecht, gewährt jedem die Möglichkeit, Stundungen oder Erlasse aus Billigkeitsgründen zu beantragen und sie gewährt zu bekommen. Diese Möglichkeit ist auch für alle, denen hier geholfen werden soll, nach wie vor offen.
Dies ändert nichts daran, daß Sie gehalten sind oder sogar von mir gebeten werden, wenn Sie Vorschläge machen, die Geld kosten, sich auch Gedanken darüber zu machen, wie Sie das finanzieren wollen. Das muß die Regierung und das sollte auch die Opposition tun.
Beifall bei den Regierungsparteien. ({2})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Peters ({3}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag des Bundesrates auf Freistellung der Landwirtschaft von der Vermögensabgabe kommt einem alten Anliegen der Landwirtschaft entgegen. Die Landwirtschaft hat aus Gründen des Wettbewerbs in der EWG immer gefordert, von der Vermögensabgabe freigestellt zu werden. Das ist der Tatbestand.
Wir haben in den 60er Jahren - in der Zeit, als eine Koalition aus CDU und FDP bestand -, mehrmals Vorstöße gemacht, um zur Ablösung des Lastenausgleichs für die Landwirtschaft zu kommen. Wir haben damals sogar die feste Zusage des Bundeskanzlers Erhard an den Präsidenten Rehwinkel gehabt, das im Zuge der Getreidepreissenkung und des dafür vorgesehenen Ausgleichs zu machen. Was daraus geworden ist, das wissen Sie, meine Damen und Herren von der CDU ebenso wie ich. Das Vorhaben ist zunächst einmal an den Ressorts. innerhalb der Bundesregierung gescheitert, die im wesentlichen von Ihnen getragen war, und aus den gleichen Gründen wie heute, daß es nämlich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sei, einen ganzen Betriebszweig herauszunehmen, ohne dann weitere Berufszweige oder weitere Gruppen ebenfalls mit herauszunehmen, die darauf bestünden, das gleiche Recht zu bekommen. Das ist der Tatbestand.
Nebenbei - das muß auch noch gesagt werden ist unser Vorhaben damals auch noch an internen Verhältnissen in Ihrer Fraktion gescheitert, weil die Norddeutschen es wollten, aber die Süddeutschen nicht - um es einmal ganz klar zu sagen, damit Sie wissen, wie die Tatbestände waren.
({0})
Ich habe wegen dieser Probleme das weiß
Herr Klinker genau - mit führenden Herren des Bauernverbandes darüber verhandelt, welche Möglichkeiten es gebe. Es ist mir unwidersprochen geblieben, daß die Befreiung der gesamten Landwirtschaft aus den Gründen, die wir von früher her
Peters ({1})
kennen, außerordentlich schwierig wäre und daß sehr wahrscheinlich nur in Frage käme, Regionallösungen zu treffen, also im Grunde auf das abzuheben, was im Einzelfall heute bei Vermögensverfall, bei starker Verschuldung möglich ist. Dabei würden aber dann nicht einzelne Betriebe, sondern ganze Gebiete herausgenommen. Das halte ich auch heute noch für praktikabel und möglich.
Wenn allerdings die Ruhrkohle, weil sie zusammengeschlossen und e i n Betrieb ist, herausgenommen würde - das will ich hier auch ganz offen sagen - und die Landwirtschaft nicht, hätte die Landwirtschaft dafür kein Verständnis. Das steht fest; daran gibt es keinen Zweifel.
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Ich bin der Meinung, daß in den Ausschüssen im einzelnen über die Problematik beraten werden muß. Zunächst einmal muß geklärt werden, wie es mit denen werden soll, die abgelöst haben. Dem Volumen nach sind das - von der alten Zahl ausgegangen - von 150 Millionen DM Lastenausgleich 50 Millionen DM, d. h. ein Drittel ist abgelöst, zwei Drittel sind nicht abgelöst. Herr Dr. Ritz, ich glaube, Sie werden mir zustimmen, daß man darüber nicht einfach so hinweggehen kann, wie es der Bundesrat getan hat. Die Sache muß vernünftig geklärt werden, damit sie eine rechtliche Grundlage hat. Das ist der erste Punkt.
({3})
Zweitens muß noch einmal eindeutig geklärt werden, wie es mit der Verfassungslage steht, ob ein Berufsstand herausgenommen werden kann oder nicht. Wenn die Bedenken so bestehen bleiben - was ich annehme -, dann müssen wir uns darüber unterhalten, ob und wo regionale Lösungen möglich sind. Allerdings halte ich Regelungen nach dem Agrarbericht für die Landwirtschaft generell für besser, die nicht auf diesem Modus, auf diesem Prinzip des Lastenausgleichs, fußen, das rechtlich zu schwierig ist, sondern die der Landwirtschaft im Grunde dasselbe geben, aber nur auf eine andere Art und Weise. Der beste Weg dafür ist meiner Meinung nach sehr wahrscheinlich der, dies über Regelungen der Steuerkraftmeßzahlen oder bei der Gemeindesteuer zu machen.
({4})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist begehrt worden, diese Vorlage an den Finanzausschuß - federführend -, an den Innenausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - und an den Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Reddemann, Baron von Wrangel, Dr. Gölter, Pfeifer, Vogt, Breitbach, Pieroth, Dr. Schulze-Vorberg und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches
- Drucksache VI/2918 Ich rufe gleichzeitig Punkt 13 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strallenverkehrsgesetzes
- Drucksache VI/3047 Zugleich rufe ich noch Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages
- Drucksache VI/3092 Das Wort zu diesen Vorlagen wird nicht gewünscht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates, die Sie der Tagesordnung entnehmen können, sollen teilweise ergänzt werden. So soll der in Punkt 14 genannte Entwurf zur Mitberatung auch an den Innenausschuß überwiesen werden. - Gibt es Wortmeldungen zu diesem Vorschlag? ({5})
- Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diätenregelung ist bisher immer durch den Ältestenrat vorgenommen worden. Ich bin der Meinung, wir sollten bei diesem guten Brauch bleiben und diesen Gesetzentwurf nicht zur Mitberatung an den Innenausschuß überweisen. Der Innenausschuß hat sowieso sehr viel zu tun, und es könnten sich dann für den Innenausschuß Dinge ergeben, die für uns insgesamt nicht gut sind.
Ich persönlich bin der Meinung, daß das Vertrauensmännergremium dieses Bundestages, der Ältestenrat, diese Dinge bisher immer befriedigend geregelt hat, und ich möchte Ihnen vorschlagen, die Überweisung an den Innenausschuß nicht zu beschließen.
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brück, ich habe als Vorsitzender des Innenausschusses den Herrn Präsidenten gebeten, darauf hinzuwirken, daß der Innenausschuß mitberatend beteiligt wird, und zwar auf Grund des allgemeinen Gesichtspunkts, der uns immer leitet, daß nämlich bei Fragen, die auch in andere Fragenkomplexe eingreifen - und hier ist dies der Fall -, der Innenausschuß um der Einheitlichkeit der Beratungen willen beteiligt sein soll. Die Federführung liegt beim Ältestenrat.
Präsident von Hassel: Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, daß durch die eben dargelegten unterschiedlichen Auffassungen klargestellt ist, daß dieser Fall künftige Regelungen nicht präjudizieren soll, daß aber hier eine neuartige Frage angeschnitten ist und daß deshalb die Mitberatung des Innenausschusses begehrt wird. Dies gilt nur für diesen einen Fall und soll spätere Vorgänge nicht präjudizieren.
({0})
- Das habe ich extra laut und deutlich gesagt, Herr Kollege: nicht präjudizieren.
Ich gebe weiter bekannt, daß der unter Punkt 13 aufgeführte Entwurf zusätzlich an den Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden soll.
Erhebt sich Widerspruch gegen die Überweisungen bei den Punkten 12, 13 und 14? - Das ist nicht der Fall; dann ist im Falle von Punkt 12 die Überweisung an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend - und an den Innenausschuß - mitberatend -, im Falle von Punkt 13 die Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - federführend - und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung sowie im Falle von Punkt 14 die Überweisung an den Ältestenrat - federführend - und an den Haushaltsausschuß sowie an den Innenausschuß zur Mitberatung beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dichgans und Genossen
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache VI/3051 Das Wort zur Begründung hat für fünf Minuten der Herr Abgeordnete Dichgans angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Fünf Minuten zum Thema „Fünf-Minuten-Rede". Der Ausschuß ist die Domäne der Fachleute. Im Plenum sollten neben den Fachleuten auch die politisch interessierten Kollegen aus anderen Bereichen zu Wort kommen. Wie groß ist ihre Chance? Sie ist bei der gegenwärtigen Praxis sehr gering. Eine große Debatte hat etwa drei Durchgänge. Das ergibt, wenn Sie 3 mat 30 und 6 mal 15 Minuten rechnen, drei Stunden, und mehr als drei Stunden Aussprache gibt es hier nur ganz ausnahmsweise, bestensfalls für eine Landwirtschaftsdebatte.
({0})
Deshalb möchte ich vorschlagen, eine Art Prämie auf Kurzreden zu setzen.
({1})
Wer fünf Minuten reden will, soll Vorrang vor anderen Rednern erhalten.
Meine Damen und Herren, fünf Minuten sind eine ganze Menge - wir wissen das alle aus dem Fernsehen -; das sind 21/2 Maschinenseiten.
({2})
- Die es leider viel zu wenig gibt, Herr Wehner! - Man kann also in dieser Zeit eine Reihe von Argumenten vorbringen. Die übrigen Kollegen sollen keiner Einschränkung unterworfen werden; sie sollen nur ihren Platz auf der Rednerliste möglicherweise den Kurzrednern räumen müssen. Damit sie sich überlegen können, ob sie ihre Rede nicht vielleicht doch auf fünf Minuten kürzen können und dadurch ihren Platz auf der Rednerliste behalten, soll der Präsident seine Maßnahme 15 Minuten vorher ankündigen. Diese Möglichkeit wird vielleicht auch den einen oder anderen veranlassen, von vornherein diese Alternative einzuplanen, d. h. sich auf eine Fünf-Minuten-Rede einzustellen und am Ende auch nur eine Fünf-Minuten-Rede zu halten.
({3})
Mir ist die Frage vorgelegt worden, ob nicht schon nach der gegenwärtigen Geschäftsordnung so verfahren werden könne. Dazu ist mir gesagt worden, das sei nicht möglich. Ich habe bei der Umweltdebatte dem amtierenden Präsidenten einmal vorgeschlagen, so zu verfahren. Er hat mir gesagt, er habe Sympathie für diesen Antrag, sehe sich aber nicht in der Lage, ihm zu entsprechen. Deshalb erscheint es mir zweckmäßig, das in der Geschäftsordnung klarzustellen.
Es gibt - wie das immer ist - Widerstände gegen diesen Antrag, auch in meiner eigenen Fraktion. Sie laufen im Grunde darauf hinaus, daß sich die Fachleute die kostbare Redezeit sehr ungern von Außenseitern stehlen lassen wollen. Ich kann nur hoffen, daß sich in diesem Punkte eine Koalition des gesunden Menschenverstandes durch alle Fraktionen hindurch bildet und daß wir am Ende dann eine Mehrheit für diesen Antrag finden.
({4})
Präsident von Hassel: Die Rede dauerte zwei Minuten und 50 Sekunden. Ich bedanke mich für die Kürze dieser Rede.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen. - Das Wort wird nicht weiter begehrt. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses ({5}) über den
Antrag der Fraktionen der SPD, FDP betr. Änderung des Adoptionsrechts
Antrag der Abgeordneten Rollmann, Dr. Stark
({6}), Dr. Gölter, Dr. Wagner ({7}),
Präsident von Hassel
Dr. Riedl ({8}), Vogel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Neuregelung des Adoptionsrechts
- Drucksachen VI/2367, VI/2591, VI/3067 Berichterstatter: Abgeordneter Sieglerschmidt Abgeordneter Dr. Stark
({9})
Ich danke den Herren Berichterstattern. Sie wünschen nicht weiter das Wort.
In der Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Stark ({10}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich zu dem Antrag des Rechtsausschusses folgendes ausführen. Wir begrüßen diesen Antrag und unterstützen ihn voll. Wenn Sie sich die zu diesem Problem in Drucksache VI/2367 und Drucksache VI/2591 vorliegenden Anträge ansehen, so können Sie feststellen, daß im Rechtsausschuß ein Beschluß gefaßt worden ist, der über das hinausgeht, was in diesen Anträgen, vor allem im Antrag der Fraktionen der SPD und FDP, gefordert wurde. Es ist erfreulich, daß sich alle Parteien hier im Hause darüber einig sind, daß das Adoptionsrecht grundlegend und vor allem bald reformiert werden muß.
Vor allem wegen des letzten Punktes habe ich mich zu Wort gemeldet. Der Beschluß des Rechtsausschusses darf nach unserer Auffassung keineswegs
so aufgefaßt werden, daß die Regierung jetzt beruhigt sagen kann: Der Rechtsausschuß hat ja selbst beschlossen, daß dann, wenn eine umfassende Reform jetzt nicht möglich ist, nur eine kleine vorgezogene Lösung angestrebt werden soll. Wir gehen davon aus, Herr Minister, daß dieses Problem vor anderen Problemen, mit denen Sie es in Ihrem Hause zu tun haben, Priorität hat. Hier ist wirklich einmal die Frage zu stellen, was im Rechtsbereich dringlich ist und was nicht so dringlich ist.
Es gibt einen Beschluß dieses Hohen Hauses bereits aus dem Jahre 1969 im Zusammenhang mit dem Nichtehelichenrecht, daß das Kindschaftsrecht umfassend geregelt werden sollte. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, und wir sind der Meinung, es müßte durchaus möglich sein, noch in dieser Legislaturperiode eine umfassende Reform des Adoptionsrechts, des Kindschaftsrechts, vor allem des Sorgerechts zu bewerkstelligen. Es geht uns darum, daß diese Reform vor anderen Problemen, die in Ihrem Hause, Herr Minister, ebenfalls bearbeitet werden, Priorität erhält. Ich verstehe nicht, warum man diesem Problem z. B. nicht den Vorrang vor dem Problem der Pornographiefreigabe oder auch den Problemen im Zusammenhang mit dem Sexualstrafrecht gibt. Das halte ich für längst nicht so vordringlich wie diese Sache, bei der es um das Leben, das Wohl und die Entwicklung von Tausenden von Kindern geht und bei der wir den Tatbestand haben, daß Tausende von Eltern bereit sind, Kinder zu adoptieren, dies aber wegen des langwierigen bürokratischen Verfahrens nicht können. Ich möchte also an Ihr Haus, Herr Minister, den Appell richten, daß das wirklich vordringlich behandelt wird. Wir sind uns sicher darin einig, daß die Materie nicht einfach zu regeln ist und es gewisser Vorarbeiten bedarf. Sie hatten aber zwei Jahre Zeit dazu, und Sie haben ja auch bereits zum Ausdruck gebracht, daß daran bereits gearbeitet werde.
Wir stimmen dem Antrag des Rechtsausschusses in diesem Sinne zu, wobei wir davon ausgehen, daß uns aus Ihrem Hause alsbald ein Entwurf zur Neuregelung dieses gesamten Gebietes vorgelegt wird.
({0})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Sieglerschmidt.
Herr Präsident, gestatten Sie mir zunächst als Berichterstatter eine ganz kurze mehr technische Bemerkung. Das Hohe Haus ist sich wohl darin einig, daß die Anträge, die dem Antrag des Ausschusses zugrunde liegen, wenn dieser Antrag angenommen wird, als erledigt erklärt werden müssen.
Meine Damen und Herren, vor gut vier Monaten, am 22. September, haben wir den Antrag der Regierungsparteien vom 23. Juni und den Antrag der CDU/CSU vom 21. September 1971 auf Änderung des Adoptionsrechtes beraten und dem zuständigen Rechtsausschuß überwiesen. Seit dem 27. Januar liegt Ihnen nun ein einstimmig angenommener Antrag des Rechtsausschusses vor, durch den die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Adoptionsrechts, darüber hinaus aber auch des gesamten Kindschaftsrechts, alsbald vorzulegen. Sollte dies jedoch zeitlich nicht möglich sein, so wird die unverzügliche Vorlage des Entwurfs einer Vorab-Novelle verlangt. Angesichts dieser Sachlage können, meine ich, längere Ausführungen zur Sache getrost auf den Tag verschoben werden, an dem der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Adoptionsrecht hier in erster Lesung beraten wird. Den Kindern, denen durch die Neuordnung des Adoptionsrechtes geholfen werden soll, ist jedenfalls mit vielen Worten im gegenwärtigen Augenblick kaum gedient. Sie brauchen zunächst einmal den Gesetzentwurf der Bundesregierung, zu dessen Vorlage wir die Regierung heute auffordern wollen.
Lassen Sie mich deshalb nur einige Anmerkungen zu dem Antrag des Rechtsausschusses und den Anträgen der Fraktionen machen. Es besteht zwischen der Bundesregierung und allen Fraktionen des Hauses Einmütigkeit, daß das gesamte Kindschaftsrecht einschließlich des Adoptionsrechts und des elterlichen Sorgerechts umfassend neugeordnet werden sollte. Als die Regierungsparteien im Juni vergangenen Jahres ihren Antrag zum Adoptionsrecht stellten, war ihnen bekannt, daß die Bundesregierung schon seit längerem an der Vorbereitung dieses Gesetzgebungswerkes arbeitet. Ich nehme an, daß dies auch den Kollegen von der Opposition nicht verborgen geblieben ist, Herr Kollege Stark; andernfalls hätten sie sich leicht erkundigen kön9648
nen. Es war also klar, warum nämlich aus diesem
Grunde - der Antrag der Koalitionsfraktionen so kurz war und nicht die ganze Palette des Adoptionsrechtes einschloß.
Daß das große, umfassende Gesetzesvorhaben nur unter großen Schwierigkeiten von Bundesregierung und Bundestag noch in dieser Legislaturperiode zu bewältigen sein wird, liegt für jeden Sachkenner auf der Hand. Bei dieser Sachlage bedeutet es doch - dies muß einmal in aller Offenheit gesagt werden; bei der letzten Beratung war dazu von unserer Seite aus leider nicht mehr die Gelegenheit -, eine gute Sache für parteipolitischen Hickhack zu mißbrauchen, wenn Herr Kollege Rollmann in der Sitzung vom 22. September erklärte, der Antrag der Regierungskoalition zum Adoptionsrecht sei an Dürftigkeit nicht zu überbieten, obwohl er wußte, daß dieser Antrag aus gutem Grunde nur auf eine Vorab-Novelle abzielte. Ich will mich jetzt nicht damit revanchieren, daß ich mich im einzelnen über Ungereimtheiten in dem Antrag der CDU/CSU äußere. Jedenfalls ist der Rechtsausschuß einstimmig unserem Gedanken gefolgt, daß vorab ein Gesetz zur Lösung dringlicher Probleme des Adoptionsrechts verabschiedet werden sollte. Herr Kollege Stark, in der Frage der Priorität müssen Sie, wenn ich das hier nur anmerken darf, doch abwägen, was dem Hohen Hause schon zur Beratung vorliegt - Sie kennen ja die Geschäftslage im Rechtsausschuß - und was sich an wirklich großen Projekten noch einfügen ließe, selbst wenn der Bundesminister der Justiz, der ja in dieser Hinsicht nicht frei ist, der noch umfangreiche Anhörungen vornehmen muß, in der Lage wäre, uns noch rechtzeitig in dieser Legislaturperiode einen solchen umfassenden Gesetzentwurf vorzulegen.
Meine Fraktion erwartet, daß ein entsprechender Vorab-Gesetzentwurf spätestens im Frühsommer vorgelegt wird. Wir hätten den Entwurf gern noch eher gesehen. Aber auf einem für das Wohl unserer Kinder so bedeutsamen Gebiet geht es nicht ohne die Anhörung der Beteiligten, insbesondere der Landesjugendbehörden und der in Frage kommenden Wohlfahrtsverbände. Wir sollten aber alles daransetzen, daß die Novelle zum Adoptionsrecht noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Doch wie oft, so ist auch hier eine Gesetzesänderung kein Allheilmittel. Das muß in diesem Zusammenhang noch einmal unterstrichen werden. Es bleibt noch viel im Rahmen des geltenden Rechts zu tun.
Lassen Sie mich deshalb mit einem Appell an diejenigen schließen, die erwägen, ein Kind zu adoptieren. Obwohl die Zahl der Adoptionswilligen derzeit etwa doppelt so groß ist wie die der zur Adoption zur Verfügung stehenden Kinder, bleibt doch eine erhebliche Anzahl dieser Kinder von der Adoption ausgeschlossen. Wie kommt es dazu? Weil die Bereitschaft noch zu gering ist, Kindern zu helfen, die nicht allen Wunschvorstellungen entsprechen. Wer möchte nicht am liebsten ein süßes, gesundes Baby aus gutem Hause 'adoptieren? Je länger aber Kinder - etwa weil sie solchen landläufigen Vorstellungen nicht entsprechen - nicht vermittelt werden können, desto stärker stellen sich die bekannten
Störungen bei ihnen ein, desto geringer wird ihre Chance, adoptiert zu werden. Daß die Adoptionswilligen bei der Annahme eines Kindes auch an ihr Glück denken, ist nur natürlich. Vielleicht könnten sie etwas stärker daran denken, welches Glück es sein kann, nicht nur Kleinkinder vor Leid zu bewahren, sondern auch leidende Kinder zu glücklichen Kindern zu machen.
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Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Freien Demokraten haben uns schon zu dem Problem des Adoptionsrechtes geäußert. Seit Jahren haben wir eine Reform des Adoptionsrechtes befürwortet. Wir begrüßen deshalb den Antrag des Ausschusses, und wir werden ihm gerne zustimmen.
Ich möchte in Ergänzung dessen, was meine Vorredner gesagt haben, auf folgendes hinweisen. Schon als die Anträge der Koalitionsparteien und der CDU/CSU hier behandelt wurden, haben wir Freien Demokraten uns dafür ausgesprochen, daß eine umfassende Reform so bald wie möglich vorgenommen werden sollte.
Herr Kollege Stark, Sie haben von Prioritäten gesprochen. Aber Sie sind ja als Parlamentarier viel zu erfahren, um nicht zu wissen, daß sowohl in den Ministerien wie im Bundestag die Fragen der Adoption und die weitere Fortführung der Strafrechtsreform in verschiedenen Referaten und verschiedenen Ausschüssen behandelt werden. Ich kann Ihnen nur das eine sagen: wenn man sich, wie ich, im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform mit den Fragen des Sexualstrafrechtes befassen muß, weil die Reform notwendig war, dann ist man froh, wenn das Kapitel einmal abgeschlossen sein wird. Dadurch wurde aber die Behandlung des Adoptionsrechtes bestimmt nicht behindert. Leider muß bei einer Gesamtreform des Kindschaftsrechts, zu der wir so bald wie möglich kommen müssen, in eine ganze Reihe jetzt gültiger Bestimmungen des BGB und anderer Gesetze eingegriffen werden.
Wie notwendig die Reform des Kindschaftsrechts ist, zeigt sich schon bei der Reform 'des Scheidungsrechts, die jetzt auch im Bundestag behandelt wird. Im Grundsatz muß überall das Wohl des Kindes ausschlaggebend sein, und dabei stellen sich die Probleme immer wieder in den verschiedensten Richtungen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stark ({0})? Bitte!
Frau Kollegin Diemer-Nicolaus, ist Ihnen bekannt, daß wir bei der Verabschiedung des Nichtehelichenrechts hier im Hohen Hause den Beschluß gefaßt haben, daß das Kindschaftsrecht alsbald neu überarbeitet werden
Dr. Stark ({0})
soll und daß seitdem schon zwei Jahre vergangen sind, aber noch kein entsprechender Entwurf vorliegt?
Herr Kollege Stark, diesem Beschluß haben wir als Freie Demokraten mit Freude zugestimmt. Wir hatten dieses Problem immer wieder angeschnitten, schon bevor es im Zusammenhang mit der Reform des Nichtehelichenrechts aufgeworfen wurde. Zu der Frage, warum zwei Jahre notwendig waren, wird sicherlich der Herr Bundesjustizminister, der ja anwesend ist, Stellung nehmen.
Nach meiner Auffassung sollte die Möglichkeit einer Volladoption gegeben werden. Es bleibt noch die Frage: Muß diese nun als Hoheitsakt erfolgen - so wie es seinerzeit Herr Rollmann gefordert hat -, oder kann man das Ziel in einer anderen Form erreichen? Das ist eine juristische Frage, die ausdiskutiert werden muß.
Lassen Sie mich jetzt darlegen, warum ich mich für die Volladoption ausspreche und welche Regelungen nach meiner Auffassung bei einer Volladoption getroffen werden sollten:
1. Die Adoption sollte ein rechtliches Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kind und der Familie der Annehmenden begründen. Mit der wirksamen Adoption sollten die rechtlichen Beziehungen des Adoptivkindes zu den leiblichen Eltern und deren Verwandten völlig erlöschen. Das Adoptivkind soll dadurch voll und ganz in die Geborgenheit der Familie seiner Adoptiveltern hereingenommen werden.
2. Mit der Annahme an Kindes Statt würden die leiblichen Eltern die elterliche Gewalt über das Kind und die Befugnis zum persönlichen Verkehr verlieren. Das geschieht zum Wohl des Kindes; denn es liegt in seinem Interesse, daß es nicht hin und her gerissen wird.
3. Die Unterhaltsregelung sollte an die durch die Adoption begründeten verwandtschaftlichen Beziehungen des Adoptivkindes anknüpfen. Danach würden die Unterhaltsrechte und -pflichten gegenüber den leiblichen Eltern erlöschen, und es würden die vollen Unterhaltsrechte und -pflichten zwischen Adoptiveltern und dem Kind entstehen. Gerade das halte ich für dringend notwendig; sonst können sich unzumutbare Verhältnisse ergeben. Auf Einzelfälle, die bei der Begründung im September vorgetragen worden sind, will ich heute nicht eingehen.
4. Zwischen den Adoptiveltern und dem Adoptivkind sollten die gleichen erbrechtlichen Regelungen wie zwischen Eltern und leiblichen ehelichen Kindern bestehen.
({0})
Die erbrechtlichen Beziehungen zwischen dem Kind und seinen leiblichen Verwandten sollten erlöschen. - Herr Kollege Stark, ich bin mir durchaus bewußt und habe auch bei der Debatte über die Anträge zum Ausdruck gebracht, daß wir mit den Vorstellungen, die bei Herrn Kollegen Rollmann angeklungen,
aber auch bei der SPD vorhanden sind, weitgehend ( übereinstimmen. Trotz des Gegensatzes von Regierung und Opposition gibt es auch gemeinschaftliche Überlegungen, besonders wenn es sich um so nüchterne rechtliche Fragen handelt.
5. Das Vorhandensein eigener Abkömmlinge allein sollte kein Hinderungsgrund für die Adoption weiterer Kinder sein. Es sollten keine Altersgrenzen für den Annehmenden festgelegt werden. Der Altersunterschied zwischen den Adoptiveltern und dem Kind sollte jedoch ein natürliches Eltern-Kind-Verhältnis gewährleisten.
6. Die Entscheidung zur Adoption sollte erst nach einer etwa einjährigen Anpassungszeit erfolgen. Vor einer Volladoption, die nachher nicht mehr so leicht rückgängig gemacht werden kann, sollten sich Adoptiveltern und Kinder gut kennenlernen.
Die Entscheidung sollte auf Antrag des Annehmenden in einem Verfahren getroffen werden, in dem sowohl die Voraussetzungen der Adoption als auch die Frage zu prüfen sind, ob die Adoption dem Wohl des Kindes dient.
Folgendes hat mich kürzlich besonders interessiert: Ich las, daß es in anderen Staaten verschiedene Adoptionsformen nebeneinander gibt, daß man dort sowohl die Volladoption als auch eine beschränkte Adoption ähnlich unserer Vertragsadoption anbietet, um den verschiedenen Realitäten Rechnung zu tragen. Das sind Überlegungen, an denen das Bundesjustizministerium nicht vorbeigehen sollte.
Was den Antrag des Rechtsausschusses betrifft, so darf ich mit Befriedigung feststellen, daß darin als vordringliche Punkte solche aufgeführt sind, die auch wir Freien Demokraten in dieser Legislaturperiode noch unbedingt verabschiedet haben möchten, nämlich erstens die Reform des elterlichen Sorgerechts, zweitens die Ersetzung der elterlichen Einwilligung nach § 1747, drittens das Mindestalter des Annehmenden und viertens das Erfordernis der Kinderlosigkeit. Besonders die drei letzten Punkte könnten nach meiner Auffassung ohne Schwierigkeit in Kürze verabschiedet werden.
({1})
Präsident von Hassel: Nach den Erklärungen der drei Fraktionen hat der Bundesminister der Justiz, Herr Jahn, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Entschließung des Rechtsausschusses des Bundestages. Sie ist eine Hilfe, aber auch eine Bestätigung unserer Arbeit. Ich will die Gelegenheit dieser kurzen Runde nur dazu benutzen, einige Dinge klarzustellen und zu sagen, wie sich die weitere Entwicklung aus der Sicht meines Hauses ausnimmt.
Wir brauchen hier nicht über Prioritäten zu streiten. Es gibt im gesamten Bereich des Familienrechts eine Fülle von reformbedürftigen Fragen. Das weiß dieses Haus; darüber haben wir verschiedentlich miteinander gesprochen. Ich nenne nur zwei große Ge9650
biete, auf denen wir auf Grund von Aufträgen aus der Mitte dieses Hauses in dieser Wahlperiode unsere Zusagen eingelöst haben bzw. unmittelbar vor der Einlösung stehen. Das eine ist das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, das dem Hause seit Oktober des vergangenen Jahres vorliegt; das zweite ist ein Regierungsentwurf zur Neuregelung der Volljährigkeitsfrage einschließlich der Ehemündigkeit, die nach sehr gründlichen und eingehenden Auseinandersetzungen mit den sachkundigen Vertretern der Länder jetzt in ein beschlußreifes Stadium tritt.
Die Stellungnahmen zu der bis zum 1. April 1972 befristeten Umfrage zum Adoptionsrecht gehen erst allmählich ein. Die Arbeiten der von den wichtigsten Verbänden eingesetzten Kommissionen liegen uns noch nicht vor, weil sie noch nicht abgeschlossen sind. Aber wir brauchen natürlich auf einem so wichtigen Gebiet eine umfassende Unterstützung durch den sachkundigen Rat derjenigen, die in der praktischen Arbeit stehen.
Kindschafts- und Adoptionsrecht sind Prioritäten. Aber auch diese beiden Kapitel können erst nach gehöriger Vorbereitung abgeschlossen werden. Ich werde dem Bundeskabinett einen Referentenentwurf zur Neuregelung des elterlichen Sorgerechts bis spätestens zum Frühsommer und einen Referentenentwurf zu einer kleinen Reform des Adoptionsrechts ebenfalls noch vor der Sommerpause vorlegen, so daß die Beschlußfassung der Bundesregierung in jedem Fall noch in diesem Jahr möglich sein wird.
Die notwendige sorgfältige Vorbereitung der großen Reform des Adoptionsrechts beschäftigt uns so, daß die Vorarbeiten, wie ich glaube, in dieser Wahlperiode, jedenfalls von seiten der Bundesregierung, ein entscheidendes Stück vorangebracht werden können. Für die nächste Wahlperiode kann also auch hier mit einer umfassenden Vorlage gerechnet werden.
({0})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Berichterstatter hat vorgeschlagen, bei der Annahme des Ausschußantrags die beiden Anträge Drucksachen VI/2367 und VI/2591, die in dem Ausschußbericht eingearbeitet sind, für erledigt zu erklären. - Es ist so beschlossen. Der Antrag des Ausschusses ist in der Form, wie er uns vorgelegt worden ist, angenommen mit der Bemerkung, die ich hinzugefügt habe.
Ich rufe nunmehr die Punkte 17, 18, 21 und 22 der Tagesordnung auf - Sie stimmen mir sicher zu, daß wir sie gleichzeitig erledigen können -:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und- Gesundheit ({1}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für
eine Verordnung ({2}) des Rates über in der
Gemeinschaft hergestellte Schaumweine im
Sinne von Punkt 12 des Anhangs II zur Verordnung ({3}) Nr. 816/70
eine Verordnung ({4}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({5}) Nr. 817/70 hinsichtlich der Qualitätsschaumweine bestimmter Anbaugebiete
- Drucksachen VI/2236, VI/3032 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans
Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses ({6}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr
- Drucksachen VI/2660, VI/3069 -Berichterstatter: Abgeordneter Porzner
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine
Verordnung ({8}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben, der Tarifstelle 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs, in unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger
Verordnung ({9}) des Rates über die Zollbehandlung bestimmter Waren, die zur Instandhaltung oder Instandsetzung von Flugzeugen einschließlich Hubschraubern mit einem Leergewicht von mehr als 2000 kg bis 15 000 kg bestimmt sind
Verordnung ({10}) des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die im Anhang I der Verordnung ({11}) Nr. 1025/70 des Rates zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus dritten Ländern aufgeführte Liste
Verordnung ({12}) des Rates zur Änderung des Zolltarifschemas in den Verordnungen ({13}) Nr. 1052/68, ({14}) Nr. 522/70 und ({15}) Nr. 653/71 über die Getreideverarbeitungserzeugnisse
- Drucksachen VI/2838, VI/2961, VI/2873, VI/2959, VI/3062 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Beratung der Ubersicht 11 des Rechtsausschusses ({16}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache VI/3081 Präsident von Hassel
Ich darf den Berichterstattern für ihre Arbeit danken und frage, ob sie das Wort wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Sie sind sicher einverstanden, meine Damen und Herren, daß wir über 'die aufgerufenen Tagesordnungspunkte gemeinsam abstimmen. - Die Anträge der Ausschüsse sind angenommen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses ({17}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Zweite Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Abs. 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind
- Drucksachen VI/595, VI/3070 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmude Abgeordneter Alber
Ich darf den beiden Berichterstattern Dank sagen und frage, ob sie das Wort wünschen. - Das ist nicht der Fall.
Im Altestenrat wurde angekündigt, daß möglicherweise Erklärungen abgegeben werden. Darf ich zunächst fragen, ob Erklärungen für die Fraktionen abgegeben werden? Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte hiermit den Antrag nach § 82 der Geschäftsordnung stellen, die Sache an den Rechtsausschuß zur erneuten Beratung zurückzuverweisen. Die Materie ist sehr kompliziert, und ich will auch nicht die Fachdiskussion ins Plenum holen. Aber der Beschluß des Rechtsausschusses, mit Mehrheit gefaßt, enthält zwei Bestandteile, die mir vom Standpunkt der Europapolitik aus äußerst bedenklich vorkommen. Wenn es um die Europapolitik geht, sind wir uns in der verbalen Zustimmung hier im ganzen Haus immer einig. Aber wenn es um die Einzelheiten geht, wird es sehr viel schwieriger. Ich greife aus dem Beschluß die zwei Punkte heraus.
Der erste Punkt ist die Empfehlung, daß die Richtlinie, die uns vorliegt, die sogenannte Gründungsrichtlinie, die sich mit den Voraussetzungen der Gründung von Aktiengesellschaften befaßt, zwar gebilligt wird, daß sie aber nicht verabschiedet werden soll, bevor nicht zwei weitere im Geschäftsgang befindliche Richtlinien - die sogenannte Bilanzrichtlinie, die die Bilanzfragen regelt, und die Strukturrichtlinie, die weitere Rechtsfragen einer Regelung zuführt - ebenfalls verabschiedet werden können.
Das hat folgende Konsequenz. Auch wenn alle sechs Länder der Gemeinschaft sich über die Gründungsrichtlinie einig werden, soll diese Richtlinie trotzdem nicht verkündet werden, sondern sie wird zunächst gestapelt. Meine Damen und Herren, damit wird sie praktisch Altpapier. Wenn sie nämlich zunächst gestapelt wird, ist es unvermeidlich, daß die ganze Diskussion in dem Augenblick, in dem die beiden anderen Richtlinien verabschiedet werden, erneut beginnt. Sie können völlig sicher sein, daß die Wirtschaft dieser Richtlinie zunächst gar keine Beachtung schenken wird. Sie wird sich nicht darauf vorbereiten, weil sie damit rechnet, daß die Richtlinie doch nicht in dieser Form herauskommt. Deswegen halte ich es psychologisch für so wichtig, daß die Richtlinie, die nach der Meinung der Kommission verabschiedungsfähig ist und gegen die auch hier im Hause niemand in der Sache Einspruch erhebt, nun, da Einstimmigkeit erzielt ist, auch im Verordnungsblatt der Kommission abgedruckt und in Kraft gesetzt wird.
Der zweite Einwand betrifft die Heranziehung des Art. 100 zur Begründung. Ich will auch hier nicht auf die juristischen Einzelheiten eingehen. Sachlich handelt es sich um folgendes. Die Kommission hat die Richtlinie nur auf Art. 6 gestützt. Das bedeutet eine Vorschrift, die Mehrheitsentscheidungen zuläßt. Der Rechtsausschuß hat nun aus Gründen, die ich durchaus respektiere, gesagt, es müsse auch Art. 100 des EWG-Vertrages herangezogen werden, der Einstimmigkeit vorschreibt.
Nun, die Rechtslage ist ungewiß. Prominente Juristen waren sich im Ausschuß nicht einig. Ich möchte deshalb dafür plädieren: Wenn es mehrere juristische Auslegungsmöglichkeiten gibt, sollte man die europafreundlichere anwenden. Die europafreundlichere ist diejenige, die Mehrheitsentscheidungen zuläßt. Und was tun wir? Wir beschließen hiermit, das Vetorecht einzuführen.
Meine Herren, diese beiden Bedenken, das eine, daß wir eine Richtlinie zwar verabschieden, sie aber „stapeln", das andere, daß wir Deutschen diesmal die von der Kommission gar nicht vorgesehene Möglichkeit des Vetorechts einführen wollen, sollten wir in einem erneuten Durchgang im Rechtsausschuß besprechen.
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Antrag des Kollegen Dichgans auf Rückverweisung dieser Richtlinie an den Rechtsausschuß möchte ich hier kurz widersprechen. Die von ihm vorgetragenen Gründe für die Rückverweisung haben wir im Rechtsausschuß ausgiebig erörtert und uns dabei keinesfalls auf eine Regelung festgelegt, die nun besonders europaunfreundlich wäre oder das Inkrafttreten der Richtlinie besonders behinderte.
Wir halten es für erforderlich, daß, wenn mehrere Richtlinien in Arbeit sind oder sogar schon als Vorschlag vorliegen, deren Sachgebiete aufeinander abgestimmt werden. Wir halten es für erforderlich, daß diese Abstimmung tatsächlich erfolgt. Es ist
nichts damit gewonnen, wenn eine Richtlinie in Kraft tritt und man sich im nationalen Recht um die Anpassung an diese Richtlinie bemüht, aber gleich den Blick auch darauf richten muß, daß weitere Änderungen im gleichen Bereich erfolgen. Das schafft Unruhe, das beschleunigt nicht die Rechtsharmonisierung, sondern verzögert sie.
Ebenfalls bin ich der Auffassung - das war auch die Meinung der Mehrheit des Rechtsausschusses einschließlich der Kollegen von der CDU/CSU -, daß die Anführung des Art. 100 des EWG-Vertrags, der in der Tat Einstimmigkeit bei solchen Richtlinien des Rats vorschreibt, hier unangebracht ist. Herr Kollege Dichgans hat zutreffend darauf hingewiesen, daß über die Rechtsgrundlage unterschiedliche Auffassungen bestehen, auch in der Literatur. Diese Auffassungen gehen sogar so weit, daß man überhaupt die Möglichkeit bestreitet, sozialrechtliche Belange nach den Art. 54 oder 100 des EWG-Vertrags zu regeln, z. B. Fragen, die die Arbeitnehmerschaft als Ganzes in einem Unternehmen betreffen. Hier gibt es sogar die Auffassung, daß die Art. 117 ff. ausschließliches Recht seien.
So weit ist der Rechtsausschuß mit seinem Vorschlag nicht gegangen. Er hat aber gemeint, daß es, wenn rechtliche Unklarheiten bestehen, die auch bisher noch nicht definitiv abgeklärt sind, zweckmäßig ist und von vornherein klare Verhältnisse schafft, wenn man auch Art. 100 des EWG-Vertrags als Rechtsgrundlage hier erwähnt.
Zusammenfassend bitte ich darum, diesem Antrag nicht stattzugeben, sondern der Stellungnahme des Rechtsausschusses zu folgen.
({0})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, von Herrn Abgeordneten Dichgans ist ein Antrag gemäß § 82 unserer Geschäftsordnung gestellt worden, der vorsieht, daß, solange nicht die Schlußabstimmung erledigt ist, Teile der Vorlage oder die ganze Vorlage zurückverwiesen werden können. Diesem Antrag ist widersprochen worden.
Ich lasse jetzt über den Antrag Dichgans auf Rückverweisung an den Rechtsausschuß abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte war eindeutig die Mehrheit; der Antrag Dichgans ist abgelehnt.
Ich gehe davon aus, daß nunmehr die Annahme des Ausschußantrages beschlossen werden kann. - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses ({1}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Dritte Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse
der Gesellschafter sowie Dritter bei Fusionen von Aktiengesellschaften vorgeschrieben sind
Drucksachen VI/ 1027, VI/3071 Berichterstatter: Abgeordneter Alber
Abgeordneter Dr. Schmude
Auch hier danke ich den Berichterstattern für den vorgelegten Bericht.
Das Wort wird zur Abgabe von Erklärungen gewünscht. Zur Abgabe einer Erklärung Herr Abgeordneter Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn auch der Antrag des Kollegen Dichgans auf Rücküberweisung des Punktes 19 keine Mehrheit gefunden hat, so wird doch das Anliegen, das in diesem Antrag zum Ausdruck kam, nämlich den Dingen der europäischen Rechtsangleichung, insbesondere dem europäischen Gesellschaftsrecht, besondere Bedeutung zuzumessen, von sehr vielen meiner politischen Freunde geteilt.
Ich möchte hier nur drei Punkte aufzählen:
Erstens. Dieses Anliegen kann nur dann verwirklicht werden, wenn jedes Land einschließlich der Bundesrepublik Deutschland bereit ist, sein geltendes Gesellschaftsrecht zur Diskussion zu stellen und den Vorstellungen seiner Partner anzupassen. Das gilt auch für unser Gesellschaftsrecht, selbst wenn wir darauf stolz sind, weil so hervorragende Kollegen wie der verstorbene Kollege Wilhelmi und der Kollege Dr. Reischl federführend daran mitgearbeitet haben. Trotzdem müssen wir es zur Diskussion stellen. Wenn jeder auf dem ungeteilt beharrt, was er hat, können wir Europa nicht einigen.
Zweitens. Wir sind auch der Auffassung, daß man nicht darauf bestehen sollte - ich sage es jetzt einmal mit Absicht untechnisch, Herr Kollege Schmude -, daß die Angleichung einstimmig vorgenommen wird. Das gilt für die Zukunft noch mehr als für die Vergangenheit. Es war schon in der Vergangenheit schwierig, unter sechs Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Einigung über derartige Punkte zu erzielen, es wird in Zukunft bei zehn Mitgliedstaaten, dazu welchen mit einem von dem kontinentalen unterschiedlichen Rechtssystem, nur noch schwieriger werden. Ich glaube deshalb, der Kollege Dichgans hatte recht, diesen Punkt hier aufzugreifen. Wenn wir wie Shylock auf seinem Schein auf der Einstimmigkeit bestehen, wird sich auf diesem Gebiet nichts abspielen.
Drittens. Meine Damen und Herren, wir würden es begrüßen, wenn bald auch ,das Thema „europäische Aktiengesellschaft" in diesem Hause behandelt werden könnte. Die Kommission unter Präsident Rey hatte dem Rat hierzu einen Verordnungsentwurf zugeleitet - ein mutiges und weitschauendes Werk. Wir meinen, dieses Thema sei so kompliziert, daß man es nicht noch unnötig mit der Frage der Mitbestimmung befrachten sollte, deren Lösung im nationalen Rahmen, wie wir neulich anläßlich der Diskussion über die Entwürfe der Regierung und der CDU/CSU zum Betriebsverfassungsgesetz festDr. Lenz ({0})
stellen konnten, aus politisch verständlichen, von uns nicht gebilligten, aber hinzunehmenden Gründen, zurückgestellt wird. Wir meinen, wenn das so ist, sollte es keinen Anlaß geben, aus diesem Grunde die Weiterbehandlung des Projekts „europäische Aktiengesellschaft" zurückzustellen. Das halten wir nicht für gerechtfertigt. Wir meinen auch, daß die Bundesregierung die Möglichkeiten bilateraler Gespräche, z. B. mit Frankreich, ausschöpfen sollte, um auf diesem wichtigen Gebiet voranzukommen, und sie nicht etwa dazu benutzen sollte, in Frankreich Alliierte für ihre zögernde Haltung zu gewinnen.
Auch Prozedurfragen sollte man hier nicht überbewerten. Natürlich kann man darüber streiten, ob eine Verordnung des Rates der richtige Weg ist, zu einer europäischen Aktiengesellschaft zu kommen, oder ob nicht ein europäisches Übereinkommen besser wäre. Gemessen an dem Maßstab, daß es vorangehen soll und daß man nach Möglichkeit keine Vetorechte länger als unbedingt notwendig zementieren sollte, glaube ich, daß der von der Kommission eingeschlagenen Weg der richtige war, auch für die Zukunft der richtige war. Ich meine, die Bundesregierung sollte ihren Widerstand gegen diesen Weg aufgeben.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt auch diese Richtlinie als einen weiteren Schritt zur Herstellung der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EWG. In dem Bestreben, derartige Maßnahmen zur Harmonisierung des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten nach Kräften zu fördern, haben wir Fragen nach dem sachlichen Zusammenhang der in dieser Richtlinie getroffenen Regelungen mit dem in Vorbereitung befindlichen Übereinkommen über die internationale Fusion zurückgestellt. Das hier betroffene selbständige Teilgebiet des Aktienrechts bietet die erfreuliche Möglichkeit, ohne Verzögerung einen abgeschlossenen Beitrag zur Erreichung des in den Artikeln 52 ff. des EWG-Vertrags gesetzten Ziels zu leisten. Fusionen erfolgen nicht selten um der Rationalisierung willen, die sich einschneidend auf die rechtliche und tatsächliche Position der Arbeitnehmer auswirken kann. Den Interessen der in dieser Weise Betroffenen hat unsere besondere Aufmerksamkeit gegolten. In diesem Sinne begrüßen wir das Bestreben des Rechtsausschusses, zu Art. 6 der Richtlinie eine Präzisierung und Vervollständigung des Berichts zur Unterrichtung der Arbeitnehmer zu erreichen. Wir verhehlen dabei nicht, daß wir eine noch weitergehende Konkretisierung dieses Ersuchens an die Bundesregierung begrüßt hätten.
Übergeordnete Gesichtspunkte und auch der Wunsch, die Beschlußfassung des Rates zu erleichtern, haben dazu geführt, daß wir weitergehende Vorstellungen zurückgestellt haben. Dazu darf ich einschieben, daß dieses Problem bei der Verordnung für die europäische Aktiengesellschaft besondere Bedeutung bekommen wird und daß wir uns dort mit besonderer Intensität um die Frage der Mitbestimmung bemühen müssen. Bei aller Bereitschaft, eine Rechtsvereinheitlichung zu erleichtern und zu fördern, auch indem man eigene rechtliche Errungenschaften und Institute zurückstellt, halten wir es nicht für vertretbar, politische Ziele, um die wir lange gerungen und die wir mühsam erreicht haben, zum Teil auch mit Zustimmung des ganzen Hauses erreicht haben, nun allzu leicht zurückzustellen, wenn es darum geht, europäisches Recht zu vereinheitlichen.
({0})
Bei der Beratung der Stellungnahme zu dieser Richtlinie haben wir nicht nur von der Grundlage bewährter Regelungen des deutschen Aktienrechts ausgehen können, vielmehr hat uns der Richtlinienentwurf mit dem Rechtsinstitut der Spaltung einer Aktiengesellschaft auch eine Aufgabe für die Fortentwicklung unseres eigenen Rechts gebracht. An sie wird spätestens nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie mit ganzer Kraft herangegangen werden müssen. Es bleibt abschließend zu wünschen, daß es dem Ministerrat bald gelingt, die Richtlinie in Kraft zu setzen.
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten haben genauso dringendes Interesse daran, daß es in Europa vorangeht, wie das hier in allen Beiträgen bisher, besonders dringlich in dem Beitrag von Herrn Dichgans, zum Ausdruck gekommen ist. Es fügt sich gut, daß wir gleich nach dem vorausgegangenen Punkt, in dem wir über das Verfahren - insbesondere mit Ihnen, Herr Kollege Dichgans - nicht einig gewesen sind, jetzt bei der Verabschiedung dieser Richtlinie zeigen können, daß wir sehr wohl den guten Willen haben, wenn es uns irgendwie möglich erscheint, auch zu schnellen Fortschritten zu kommen und nicht unnötige Hindernisse aufzubauen.
Ich glaube aber, daß es gerade heute bei der Vorlage dieser beiden Richtlinien wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß wir in immer stärkerem Maße durch derartige Richtlinien von Brüssel aus Eingriffe erfahren, die nicht mehr so an dem Kern unserer Rechtsinstitute vorbeigehen, wie das in der Vergangenheit bei mehr technischen Abkommen und mehr technischen Abstimmungen der Fall gewesen sein mag. Das scheint mir auch der Hauptgrund für das, wie ich glaube, auf allen Seiten des Hauses spürbare Unbehagen zu sein, das sich insbesondere bei der Diskussion über den vorangegangenen Tagesordnungspunkt gezeigt hat. In dem Maße, wie hier in die Substanz unserer Rechtsverfassung, unserer Rechtsgestaltung eingegriffen werden kann durch Richtlinien, denen wir im wesentlichen eigentlich nur zustimmen können, wenn wir sie nicht ganz und gar ablehnen wollen, zu denen wir nur Anregungen geben können, in dem Maße sind wir alle
und ist auch die Bundesregierung aufgefordert, mehr und schärfer, mühsamer darüber nachzudenken, wie der Weg solcher gemeinsamen Beschlüsse in Europa verbessert werden kann, um in Zukunft dieses Unbehagen bei den vergleichbaren Gesetzen und bei den vergleichbaren Richtlinien, die gewiß folgen werden, wenigstens etwas abzubauen.
Ich glaube, daß hier noch sehr viel geschehen muß, wenn wir nicht in immer stärkerem Maße erleben wollen, daß unser guter Wille, in Europa weiterzukommen, schließlich doch wegen des angesprochenen Unbehagens z. B. zu dem, ich möchte geradezu sagen: unwillkürlichen Blick auf den zitierten Art. 100 führt, daß man nach der Einstimmigkeit als einer gewissen Notbremse sucht, um sich vor Eingriffen zu schützen, die auf der Ebene dieses Hohen Hauses überhaupt nicht mehr zu steuern sind. Da neue Wege zu finden, z. B. die Ausschüsse dieses Hauses an den Erwägungen, die zu solchen Richtlinien führen, in einem früheren Stadium zu beteiligen und über weitere Wege nachzudenken, wäre sehr wichtig. Gerade die Vorlage der beiden Richtlinien, die wir heute hier besprochen haben, erscheint uns Anlaß, darauf noch einmal nachdrücklich hinzuweisen, um in Zukunft den Schwierigkeiten, denen wir uns heute gegenübersehen und die im übrigen auch an der ungewöhnlich großen Zahl von Vorschlägen an die Regierung deutlich werden, die der Rechtsausschuß in seinem Beschluß gemacht hat, zu begegnen.
({0})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Antrag des Ausschusses ist Ihnen aus der Drucksache bekannt. Wer ihm zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende der für den heutigen Vormittag vorgesehenen Tagesordnungspunkte.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Fragestunde um 13 Uhr.
({1})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich komme zur
Fragestunde
- Drucksache VI/3075 Zunächst sind zwei Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit gestellt worden. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Schedl auf:
Werden die deutschen Entwicklungshelfer nach wie vor sicherheitsmäßig überprüft, oder beabsichtigt die Bundesregierung, dieses Verfahren zu ändern?
Frau Staatssekretärin!
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege Schedl, seit dem Jahre 1969 unterzieht das BMZ nicht mehr alle Entwicklungshelfer einer routinemäßigen Sicherheitsüberprüfung, weil sich wegen der geringen Zahl von Verdachtsmomenten diese Sicherheitsüberprüfung nicht als erforderlich erwies. Eine Sicherheitsüberprüfung wird nunmehr nur noch eingeleitet, wenn Tatsachen den Verdacht begründen, daß der Bewerber Tätigkeiten entfaltet, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Keine.
Dann komme ich zur Frage 2 des Abgeordneten Schedl:
Wie hoch war in den letzten Jahren der Anteil der Entwicklungshelfer, gegen die bei der Einstellung aus Sicherheitsgründen Bedenken erhoben wurden, und sind diese dennoch eingestellt worden?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Seit dem Jahre 1969 wurden lediglich in einem Falle Sicherheitsbedenken erhoben. Aufgrund dieser Bedenken ist die Bewerbung abgelehnt worden.
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Es sind die Fragen des Abgeordneten Dr. Gleissner.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte?
Bitte sehr. Dann rufe ich die Fragen 3 und 4 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die vor Wochen erfolgte persönliche Werbung des Bundesjustizministers in den Straßen Münchens für die erst vor kurzem erlassenen Mieterschutzgesetze im krassen Gegensatz zu den sozial-, wohnungs- und umweltpolitisch negativen Auswirkungen seines Einsatzes für München als Sitz des Europäischen Patentamts steht und daß der bekanntgewordene Standort an der Isar den Widerstand der gesamten Münchener Öffentlichkeit zur Folge hat?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß München unter allen Städten der Bundesrepublik Deutschland die am meisten überlastete Stadt ist und daß durch den vorgesehenen Stand des Europäischen Patentamts an der Isar nahe der City unlösbare Folgeprobleme entstehen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gleissner, die bessere Unterrichtung des Bürgers über seine Rechte als Mieter mit Hilfe der Mietfibel und der geplante Bau eines Europäischen Patentamtes in München haben miteinander überhaupt nichts zu tun. Die Mietfibel soll dem Bürger seine verbesserte Stellung deutlich machen, die nunmehr durch die neuen Mieterschutzgesetze nach langem Bemühen erreicht worden ist. Die Bewerbung
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl
um den Sitzort des Europäischen Patenamtes in München indessen geht zurück auf Beschlüsse des Stadtrats von München, auf Beschlüsse der Bayerischen Staatsregierung und auf einen Beschluß der Bundesregierung aus dem Jahre 1963. Ich bin sicher - und mit mir die Bundesregierung -, daß der Stadtrat von München bei seinen Beschlüssen vom 4. März 1964, vom 8. Oktober 1969 und vom 15. Dezember 1971, das Europäische Patentamt in München anzusiedeln, die Lösung aller damit auftretenden Probleme sehr wohl bedacht hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, ergeben sich nicht nach den Planungserfahrungen in München und nach unseren eigenen Erfahrungen neue Gesichtpunkte im Hinblick auf die Beschlüsse, die Sie als Begründung für die Errichtung einer solchen Mammutbehörde in der City von München angezogen haben, und befindet sich die Bundesregierung nicht im Widerspruch zu ihren eigenen Forderungen zur Raumordnungs-, Wohnungs- und Umweltpolitik, wenn sie, wie schon in anderen Fällen in München, wiederum dazu beiträgt, den Ballungsraum München zu überlasten, und ist es nicht unglaubwürdig, zu behaupten, daß sich nur an der Isar eine solche große Behörde optimal etablieren läßt, obwohl der Großteil der betroffenen Bevölkerung bereit ist, sich gegen eine solche Planung in München mit allen legalen Mitteln zur Wehr zu setzen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gleissner, das ist ein Strauß von Zusatzfragen. Die Bundesregierung weiß selbstverständlich, daß der Standort München für das Europäische Patentamt für die Stadtentwicklung in München und auch für eine Reihe von Bürgern Schwierigkeiten mit sich bringt. Ich bin davon überzeugt, daß der Stadtrat in München bei seinem letzten Beschluß im Dezember 1971 all diese Schwierigkeiten mit ins Auge gefaßt hat und Maßnahmen treffen wird, daß mindestens für die betroffenen Mieter soziale Härten nach Möglichkeit vermeiden werden können. Ich kann Ihnen versichern, daß auch die Entwürfe zum Bau des Europäischen Patentamtes, die auf eine Ausschreibung zurückgehen, die von Bund, Land und Stadt München veranlaßt wurde, eine Menge Gesichtspunkte berücksichtigen, um der notwendigen Urbanisierung der Stadt München gerade in diesem Gebiet Rechnung zu tragen. Ich darf Ihnen dann noch sagen, daß wir in dem Komplex des Europäischen Patentamtes z. B. eine Cafeteria, Restaurants und Läden sowie Fußgängerdurchgänge zur benachbarten Isar einrichten werden, um - ich wiederhole es - auch den Gesichtspunkten der Urbanisierung in diesem Bereich Rechnung zu tragen.
Herr Abgeordneter Gleissner! Ich bitte Sie aber, ganz kurz und präzis zu fragen. Sie haben mehrere Fragen, aber jede einzelne bitte kurz und präzis!
Das Thema reizt einen zu differenzierteren Fragen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß nach dem, was Sie - da Sie selbst in München wohnen - täglich in der Zeitung lesen, gewisse Grenzen der Urbanisierung und der Expansion erreicht sind und daß eine Reihe von Projekten, die Ihnen und mir als warnende Beispiele bekannt sind, längst das zulässige Maß überschritten hat, wenn Sie nur die Folgen für die Wohnungsnot, den Umweltschutz und die Verkehrssituation sehen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gleissner, die Wohnungssituation wird durch den Bau des Europäischen Patentamtes nicht in einem übergroßen Ausmaß beeinträchtigt. Sie wissen, daß durch den ersten Bauabschnitt - bis zum Jahre 1975 wird nicht mehr gebaut, und es ist fraglich, ob danach überhaupt noch mehr gebaut werden muß - nur 251 Mieter - Personen, nicht Mietwohnungen - betroffen werden. Ein großer Teil dieser Personen wohnt ohnehin in sanierungsbedürftigen Altwohnungen, wo in der nächsten Zeit sowieso Änderungen notwendig werden.
Herr Dr. Gleissner zu einer dritten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den Anträgen verschiedener Münchener Bürgeraktionen Rechnung zu tragen, die sich in diesem Fall wiederum gegen die in München seit Jahren immer stärker angeprangerte Planungsdiktatur der Behörden auf dem Rücken der Allgemeinheit und der ortsansässigen Bevölkerung und insbesondere der sozial Schwachen zu Wehr setzen werden und davon ausgehen, daß es sich wiederum um eine Planung handelt, die für die Stadt mehr Nachteile und Schäden als Vorteile bringt, um eine Planung für die die Allgemeinheit die Zeche zahlt, während vielleicht wenige daran interessiert sind oder daran verdienen?
Besonders einfach ist die Frage aber nicht!
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gleissner, Sie stellen die Frage im falschen Saal. Sie müssen diese Frage dem Stadtrat in München stellen, der sich im Dezember 1971 fast einstimmig noch einmal zu diesem Standort bekannt hat.
({0})
Zur letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Vorbereitungen getroffen und Verhandlungen geführt, um als Sitz für das Europäische Patentamt Berlin, das ja sonst für solche
Einrichtungen gern empfohlen wird, in Erinnerung zu bringen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Nicht nur diese Bundesregierung, sondern auch die vorhergehenden Bundesregierungen haben sehr sorgfältig geprüft, ob neben München ein weiterer oder anderer Standort in Frage kommt, insbesondere Berlin. Diese Prüfungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß ein anderer Standort nicht in Frage kommt.
Herr Abgeordneter Dr. Riedl zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es mir und vielen meiner Kollegen nicht darum geht, grundsätzlich den Gedanken an München als Sitz des Europäischen Patentamts anzugreifen, darf ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, einen dem Herrn Bundesjustizminister seit einigen Tagen vorliegenden Alternativvorschlag für ein etwa 39 000 qm großes Grundstück so zu prüfen und behandeln, daß bei der Vergabe von der europäischen Seite her München doch noch in Frage kommt. Dieses Grundstück liegt etwa 2 km von der Erhardstraße entfernt.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Riedl, die 20 Mitgliedstaaten des europäischen Patentübereinkommens haben es zur Conditio sine qua non gemacht, daß das Europäische Patentamt neben einem bereits bestehenden, aktiven Patenamt errichtet wird. Demzufolge hat die Bundesregierung die Pläne so erstellen lassen und sich in dieser Richtung um den Zuschlag beworben.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Riedl.
Herr Staatssekretär, kann man aus Ihrer Antwort also schließen, daß mit dem Zuschlag für München die Bereitstellung des Grundstücks an der Erhardstraße untrennbar verbunden ist, was ich persönlich für eine geradezu unglaubliche Conditio halte?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Riedl, die Grundstücke wurden bereits von der Stadt München und vom Freistaat Bayern zur Verfügung gestellt.
Ich bitte, nur Fragen zu stellen, und nicht persönliche Wertungen vorzunehmen; dazu ist die Fragestunde nun einmal nicht da. - Herr Abgeordneter Schedl!
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß unser Kollege Dr. Jobst vor etwa zehn Tagen in einem Schreiben an Ihren Minister als Alternativstandort Regensburg vorgeschlagen hat. Meine Frage an Sie: Werden die
Überlegungen in Ihrem Haus überprüft, und welche Ergebnisse gibt es in der Richtung?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege, mir ist bekannt, daß dieser Vorschlag gemacht wurde. Mir ist aber auch bekannt, daß Regensburg kein aktives deutsches Patentamt hat.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, das Thema hat schon in der vergangenen Woche eine Rolle gespielt, auch unter dem Gesichtspunkt, ob sich die Bundesregierung Gedanken hinsichtlich der Folgelasten für München gemacht hat. Könnten Sie heute vielleicht sagen, wieviel Bedienstete zu erwarten sind, wieviel Wohnungen notwendig sind - die Damen und Herren des Europäischen Patentamts werden sicher nicht in Sozialwohnungen wohnen - und wie hoch das Gehaltsniveau ist, das für die nach München kommenden Bediensteten zu veranschlagen ist?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Wittmann, das Europäische Patentamt soll seine Arbeit im Jahre 1976 aufnehmen. Es wird eine Zeit dauern, bis es voll besetzt sein wird. Das Endstadium wird so sein, daß man mit etwa 2500 Bediensteten in dieser europäischen Behörde rechnet, wobei berücksichtigt werden muß, daß ein Teil der Bediensteten des nationalen deutschen Patentamts in diese europäische Behörde integriert werden kann.
Was das Wohnungsproblem betrifft: Es ist vorgesehen, in Perlach Wohnungen für die Angehörigen dieses europäischen Patentamts zur Verfügung zu stellen. Dort soll auch eine europäische Schule errichtet werden. Es ist völlig selbstverständlich, daß der Bund aus seinen Wohnungsbaumitteln Mittel zur Verfügung stellt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, könnten Sie eventuell in Erwägung ziehen und etwa einmal prüfen lassen, wie es kommt, daß in München von Vertretern ,des deutschen Patentamts ganz andere Zahlen genannt werden, nämlich 1700 Bedienstete, während Sie eben von 2500 sprachen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Wittman, um die Errichtung des europäischen Patentamts wird auf einer emotionalen Woge so viel geredet. Wenn Sie mir keine präzise Angabe machen, wer vom Patentamt diese Äußerung gemacht hat, bin ich auch nicht in der Lage, es nachzuprüfen. Wenn Sie mir hier entgegenkommen, bin ich gern bereit, dem nachzugehen und das richtigzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, könnten Sie nicht angesichts der Tatsache, daß die von Ihnen vorgetragene Planung in dem so umstrittenen Stadtteil Lehel und in seiner Nähe stattfinde und Tausenden von Familien die Wohnmöglichkeit nimmt, wenn die Bundesregierung schon von München als Lösung ausgeht, der Tendenz nahetreten, dieses Patentamt außerhalb des Zentrums anzusiedeln und bei der gegebenen Technik dann doch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museum und mit dem Bundespatentamt zu garantieren?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Becher, erstens soll das Europäische Patentamt nicht ins Lehel kommen, und zweitens sind es doch nicht Tausende von Familien, die ihre Wohnungen verlieren, sondern 251 Personen, also noch nicht einmal 50 Familien.
Herr Abgeordneter Jobst!
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich meine, daß das Europäische Patentamt nicht unbedingt dort sein muß, wo das Bundespatentamt ist, und daß es aus strukturpolitischen Erwägungen und auch im Interesse der Entballung der Großstadtzentren besser wäre, dieses Europäische Patentamt dorthin zu geben, wo dadurch erstens strukturpolitische Impulse gegeben werden und zweitens die weitere Ballung vermieden wird? Ich denke hier an Regensburg, auch deshalb, weil dort eine große Bundesbehörde, nämlich die Bundesbahndirektion, mit 800 Beschäftigten aufgelöst wird.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Jobst, ich bin völlig Ihrer Meinung. Hätten wir nicht das Deutsche Patentamt bereits seit 1949 in München und hätten wir die Freiheit, uns heute zu überlegen, wo wir das Europäische Patentamt ansiedeln wollen, geschähe das mit Sicherheit nicht an der Isar, sondern vielleicht auf der grünen Wiese. Da aber - ich wiederhole - alle Mitgliedstaaten zur Bedingung machen, daß das Europäische Patentamt, damit es funktionsfähig gemacht wird, neben einem großen aktiven Patentamt angesiedelt wird, haben wir keine Wahlmöglichkeit.
Ich bitte, sich kurz zu fassen, Herr Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß der Bundesverkehrsminister in der Lage sein müßte, die bestehenden Verkehrsverbindungen von Regensburg nach
München in kurzer Zeit so weit auszubauen, daß, wenn das Europäische Patentamt dorthin käme, das Bundespatentamt auch von Regensburg aus schnell erreicht werden könnte?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Jobst, wir werden im Europäischen Patentamt mit Sicherheit 800 Prüfer haben. Wir haben im deutschen Patentamt und im Deutschen Museum zusammen mehr als 1 Million technischer Bücher in der Bibliothek stehen, und dort liegen 13 Millionen Patentdrucksachen, die von den Beamten des Europäischen Patentamts aufgearbeitet und bearbeitet werden müssen. Ich weiß nicht, wie Sie es sich vorstellen. Diese 800 Prüfer können doch nicht in Regensburg sitzen und in München die Bibliothek und die 13 Millionen Drucksachen benutzen. Ich sehe da keine Möglichkeit, auch wenn der Verkehrsminister noch so geschickt ist.
Als letzter Herr Abgeordneter Dr. Gradl.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß neben anderen angesehenen und sachverständigen Persönlichkeiten insbesondere auch der Regierende Bürgermeister von Berlin die Auffassung vertritt, daß es im Zuge der Wirkungen des Moskauer Vertrages und der Berlin-Regelung für Berlin notwendig ist, zusätzliche Funktionen zu gewinnen, wobei er insbesondere an europäische Einrichtungen denkt?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gradl, das ist der Bundesregierung bekannt. Wäre es uns schon früher möglich gewesen, den Moskauer Vertrag und somit eine Verbesserung der BerlinStellung zu erreichen, wären wir zu einem früheren Zeitpunkt, als es heute der Fall ist, in der Lage gewesen, zu beantragen, das Europäische Patentamt nach Berlin zu geben. Heute - ich wiederhole das -ist es für den Zuschlag fünf Minuten vor zwölf. Wir haben unsere Bewerbungsunterlagen seit Jahr und Tag in Brüssel liegen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gradl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß, unterstellt, die Verträge und die Berlin-Regelung würden Wirklichkeit, wie es die Bundesregierung erhofft, damit eine neue Situation gegeben ist, die es verständlich machen würde, wenn die Bundesregierung bei den europäischen Ländern oder Regierungen, die mit über den Sitz des Europäischen Patentamts zu entscheiden haben, unter Hinweis auf die veränderte Situation sondieren würde, ob nicht doch ein Einverständnis dafür zu gewinnen ist, das Europäische Patentamt, und zwar mit dem Bundespatentamt, nach Berlin zu verlegen?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Gradl, das halte ich leider für ausgeschlossen. Das europäische Patentübereinkommen muß 1976 in Kraft treten und wirksam sein; es muß also die nationalen Patentrechte zu diesem Zeitpunkt ersetzen. Die Entscheidung über den Sitz des Europäischen Patentamtes wird im Juli dieses Jahres fallen, damit die Bauarbeiten alsbald beginnen können. Ich sehe keine Möglichkeit, uns im Hinblick auf Berlin fünf Minuten vor zwölf mit neuen Plänen und Erwartungen noch einmal in das Wettbewerbsverfahren einzuschalten.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Welche Vorschriften sind für solche Landwirte beabsichtigt, die nach dem einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramm gefördert wurden, jedoch danach aus unvorhergesehenen Gründen ihren Betrieb veräußern oder verpachten, um z. B. die Landabgaberente oder die Zuschüsse für den nachträglichen Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung zu erhalten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär Logemann!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Horstmeier, in dem einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramm sind bewußt Maßnahmen der investiven Förderung und soziale Hilfen zur Erleichterung des Ausscheidens aus der Landwirtschaft nebeneinandergestellt, um dem Landwirt generell Alternativen anzubieten, von denen er in freier Entscheidung die richtige wählt. Ein Landwirt, der zunächst eine investive Hilfe gewählt hat und nach einigen Jahren ausscheiden möchte, kann selbstverständlich die von Ihnen genannten Maßnahmen in Anspruch nehmen, sofern er die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Diese sind eindeutig geregelt. Neue Vorschriften sind bislang nicht beabsichtigt. Bisher, Herr Kollege Horstmeier, sind auch keine Fälle bekannt, in denen neue Vorschriften vonnöten gewesen wären.
Herr Abgeordneter Horstmeier, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es Fälle, in denen Rückforderungen an die Zuschußnehmer gestellt werden mußten?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Noch nicht, soweit mir bekannt ist; aber ich müßte das genauer nachprüfen lassen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier.
Herrr Staatssekretär, werden diese möglichen Tatbestände, die sich durch die Entwicklung ergeben, auch bei der künftigen
Regelung der Gemeinschaftsaufgabe zur Agrarstrukturverbesserung berücksichtigt?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Davon würde ich ausgehen; denn hier sind ja genaue Vereinbarungen mit den Ländern getroffen worden bzw. werden die Richtlinien, die dafür erforderlich sind, mit den Ländern abgestimmt.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Horstmeier auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß die Vorschriften nicht nur nicht den reibungslosen Strukturwandel behindern, sondern auch unnötige Härten für die Betroffenen vermeiden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Bundesregierung hat durch die verschiedenen agrarpolitischen Maßnahmen deutlich gemacht, daß sie bisher dafür Sorge getragen hat, den Strukturwandel nicht nur nicht zu behindern, sondern auch unnötige Härten für die Betroffenen zu vermeiden. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung diese Politik konsequent weiterführt. Der Agrarbericht 1972 wird darüber ausführlich und gründlich Auskunft geben.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann auf:
Trifft es zu, daß dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost fur seine Sitzung am 28. Februar 1972 vom Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Erhöhungen der Post- und Fernmeldegebühren in Einzelfällen his zu 100 % vorgeschlagen werden, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß dies eine Folge ihrer Regierungspolitik ist?
Die in Vorbereitung befindliche Gebührenerhöhung beträgt im Postdienst insgesamt 14,8 %, im Fernmeldedienst insgesamt 10,6 %. Das entspricht einer Gesamtsteigerung von im Durchschnitt 11,3 %. Da es sich dabei um einen Durchschnittswert handelt, ist es zwangsläufig, daß einzelne Nebengebühren über diesem Durchschnittswert liegen, ebenso wie einzelne Gebühren unterhalb dieses Durchschnittssatzes liegen.
Die Gebührenanhebungen sind nicht die Folge der Politik der Bundesregierung. Sie sind dadurch verursacht, daß die Aufwendungen der Bundespost für Arbeitskräfte, für Dienstleistungen, Sachmittel und Kapital gestiegen sind. Die Post hat bei ihrem hohen Personalkostenanteil dabei größere Schwierigkeiten zu überwinden als beispielsweise die Industrie. Dazu kommt, daß sich seit Jahren eine regelrechte Explosion der Nachfrage nach Fernmeldeanschlüssen abzeichnet, die ohne Beispiel ist. Um mit der Nachfrage nach neuen Fernmeldeanschlüssen Schritt halten zu können, ist die Post genötigt, für den ZeitBundesminister Leber
raum von 1972 bis 1974 allein 19 Milliarden DM für Investitionen in Fernmeldeanlagen aufzubringen. Diese Mittel werden überwiegend auf dem Kapitalmarkt beschafft.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.
Herr Bundesminister, Sie weisen darauf hin, daß die Gebührenanhebung die Folge der Kostenentwicklung insbesondere im Personalkostenbereich ist. Nun unterstellen wir als gemeinsame Auffassung, daß die Bediensteten der Bundesunternehmen an der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung teilhaben müssen. Wollen Sie nicht aber doch meiner Meinung zustimmen, daß die Kostenentwicklung und insbesondere die Entwicklung der Löhne und Gehälter in einem engen Zusammenhang mit der Gesamtpolitik dieser Bundesregierung gesehen werden muß, die man, auf einen kurzen Nenner gebracht, eben als eine Inflationspolitik bezeichnen muß?
Dem würde ich nicht zustimmen, Herr Kollege Müller-Hermann. Der Anteil der Bundesregierung an dieser Entwicklung steht in einem guten Verhältnis zu dem, was beispielsweise das Parlament mit seinen Entscheidungen zu vertreten hat. Ich gestehe Ihnen zu, daß beispielsweise die Tarifabschlüsse zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und Gewerkschaften 70 % der Kosten der Deutschen Bundespost verursachen, ebenso wie die Beschlüsse über Besoldungserhöhungen, die das Parlament faßt, natürlich ihre Auswirkungen auf die Kostenstruktur eines so großen Unternehmens haben.
Herr Dr. Müller-Hermann zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, würde es der Bundesregierung nicht gut anstehen, wenn sie nicht nur positive Entwicklungen mit ihrer Regierungspolitik in Zusammenhang brächte, sondern auch die negativen Begleiterscheinungen mutig und konsequent auf ihre Kappe nähme?
Herr Kollege Müller-Hermann, so etwas steht jeder Bundesregierung gut an. Diese verhält sich mindestens so wie alle ihre Vorgängerregierungen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Jenninger.
Herr Bundesminister, wie vereinbaren Sie Ihre Antwort, die Sie dem Kollege Müller-Hermann gegeben haben, daß die Inflationspolitik nicht für die Finanzentwicklung
bei der Bundespost verantwortlich sei, mit Ihrer Aussage vor den Bezirkspersonalräten Ihres Dienstbereichs? Dort haben Sie deutlich gesagt:
Das ist die Folge der aus den Fugen geratenen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gekennzeichnet durch Überbeschäftigung, Kosteninflation und Preisauftrieb.
Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Aufzeichnungen aus einem internen Sitzungsgespräch in der Bundespost haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einmal die Quelle nennen könnten. Dann würde ich auch gerne nachprüfen, wieviel Wahrheitsgehalt darin ist, Herr Kollege.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Jobst!
Herr Bundesminister, haben Sie diese jetzt beabsichtigten Maßnahmen 1970 trotz Kenntnis der Situation bei der Bundespost deshalb nicht eingeleitet, weil damals fünf Landtagswahlen stattfanden?
Aber, Herr Kollege Dr. Jobst, ich feiere die Feste so, wie sie fallen. Ich habe unmittelbar nach der Übernahme meines Amtes im März 1970 die Notwendigkeit einer Erhöhung der Postgebühren angekündigt. Wir haben das Verfahren dann zügig eingeleitet. Wir sind dabei durch die gesetzlichen Vorschriften natürlich an bestimmte Prozeduren gebunden: Beteiligung des Verwaltungsrats, Behandlung in den Ausschüssen, übliche Gespräche mit den Kontrahenten der Post, mit der Wirtschaft usw. Ich gebe Ihnen zu, daß es richtig ist, so etwas so schnell wie möglich zu machen, und zwar schon zu dem Zeitpunkt, zu dem man erkennt, daß das nötig wird. Eigentlich wäre es schon Anfang 1969, als für jedermann klar ersichtlich war, daß die Post ab 1970, wenn sich auch nur etwas an den Personalkosten ändert, in ein Defizit steuert, nötig gewesen, die Postgebührenerhöhung einzuleiten. Dann hätten wir sie frühzeitig im Jahre 1970 durchführen können. Dies ist nicht geschehen. Ich mußte deshalb auch auf diesem Gebiet von vorn anfangen.
({0})
- Ich bin im Oktober zum erstenmal in dieses Haus gekommen und konnte erst ab Oktober Inventur machen. Sie werden mir doch zugestehen, daß es nicht das allererste ist, was ein Minister tut, eine Gebührenerhöhung nachzuholen, und das schon acht Tage nach dem Eid, den er leistet, während der Amtsvorgänger eine Gebührenerhöhung - wegen der bevorstehenden Bundestagswahlen -wohlweislich sehr sorgsam behandelt hat.
({1}).
Herr Breidbach!
Herr Bundesminister, da sich die Deutsche Bundespost 1969 noch in der Gewinnzone befand und Sie hier gerade erklärt haben, daß Sie die Feste unabhängig von Wahlen oder anderen politischen Ereignissen innerhalb der Regierung feiern, wie sie fallen, frage ich Sie, warum Sie nicht 1970, als das Defizit erkennbar wurde, eingeschritten sind, sondern diese lange Zeit - dieses Procedere hätte man sicher abkürzen können - ins Land streichen ließen, bis Sie zu den exorbitanten Gebührenerhöhungen kamen?
Es war 1969 - davon kommen Sie nicht weg, Herr Kollege - für jeden Fachmann, der die Post von innen kennt - deren sitzen auch in diesem Hohen Hause genug -, erkennbar, daß das Defizit der Post im Jahre 1970 beginnen würde und daß die Post die Gewinnzone 1969 dem Trend zufolge verlassen würde. Ich habe fast unverzüglich nach der Übernahme meiner Amtsgeschäfte gesehen, was notwendig sein wird, und habe ab März 1970 diese Gebührenerhöhung eingeleitet. Ich weiß, daß ich das nicht allein machen kann, sondern dabei von der Zustimmung vieler abhängig bin.
({0})
- Sogar vom Verwaltungsrat und von Mitgliedern Ihrer eigenen Fraktion. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Müller-Hermann: so harmonisch ist, soweit ich das übersehen kann - es gibt ja Gebrandmarkte in diesem Haus -, kaum eine große Gebührenerhöhung über die Bühne gegangen wie 1970/71.
({1})
Unter den zahlreichen Abgeordneten, die eine Zusatzfrage stellen wollen, hat jetzt der Abgeordnete Stücklen das Wort.
Herr Bundesminister, wären Sie bereit, dem Hause mitzuteilen, wie das Betriebsergebnis der Deutschen Bundespost 1969 ausgesehen hat?
Wenn ich es aus der Erinnerung sagen darf: Wir hatten noch einen Gewinn von rund 300 Millionen DM. Aber bei einem Umsatzvolumen von mehr als 10 Milliarden DM heißt das, daß wir gerade noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sind. Wenn man aber zu Beginn des Jahres 1969 weiß, daß man gerade noch einen Gewinn von 300 Millionen DM erzielt - das ist nur ein winziger Bruchteil des Umsatzes -, dann muß man schon in diesem Stadium alle Weichen so stellen, daß eine Gebührenerhöhung fällig ist; sonst rast man ins Defizit. Und das ist geschehen.
Herr Abgeordneter Engelsberger!
Herr Bundesminister, warum haben Sie die Gebührenerhöhung erst im Frühjahr 1971 eingeleitet, und warum war diese Gebührenerhöhung nicht defizitdeckend?
Wir haben manches viel schneller getan als das früher der Fall war. Aber sehr viel schneller geht es auch bei uns nicht, Herr Kollege.
({0})
Herr Abgeordneter Härzschel!
Herr Minister, ist nach Ihrer Argumentation damit zu rechnen, daß in der Zukunft jeder Lohnerhöhung eine Gebührenerhöhung folgt?
Nein, Herr Kollege. Darüber habe ich mir schon vor 20 Jahren als Gewerkschaftler Gedanken gemacht. Es geht nicht um die Lohnerhöhung an sich, sondern es steht bei einem dienstleistungs- und personalkostenorientierten Unternehmen vor allen Dingen immer die Frage im Vordergrund, wie hoch dieser Kostenanteil ist. Ein Dienstleistungsunternehmen wie der Postbereich, dessen Personalkostenanteil wie bei der Bahn etwa 30% beträgt, kann seinen Haushalt durch eigene Leistungen und sonstige Maßnahmen nicht ausgleichen, wenn dieser wichtigste Kostenposten, den es finanzieren muß, über eine bestimmte Marge hinaus angehoben wird. Ich gebe damit auch zu, daß angemessene und normale Personalkostensteigerungen durchaus verkraftet werden können, daß man sich bemühen muß, sie zu verkraften, ohne sie ganz oder teilweise im Preis weiterzugeben. Das hängt von den Umständen und von dem Ausmaß ab.
Der nächste Fragesteller ist der Abgeordnete Niegel.
Herr Bundesminister, zurück zur Ausgangsfrage: Wie hoch sind nun im einzelnen beim Post- und beim Telefonverkehr die Gebührenerhöhungen absolut und prozentual, und wie hoch sind die gesamten Mehreinnahmen der vorgeschlagenen Tariferhöhungen?
Es gibt noch keine Gebührenerhöhungen, Herr Kollege, sondern der Postminister bereitet eine Gebührenerhöhung vor. Aus Respekt vor den Organen, die noch darüber zu befinden haben, kann ich nur dies sagen: ich hoffe, daß ein entsprechender Beschluß gefaßt wird.
Die Gebührenerhöhungen betragen, rund gerechnet, im postalischen Teil 950 Millionen DM und im Fernmeldebereich 1 200 Millionen DM. - An Durchschnittssätzen macht das so viel aus, wie ich eingangs in meiner Antwort schon gesagt habe.
({0})
- Ich kann die einzelnen Gebührensätze hier unmöglich nennen, bin aber gerne bereit, Ihnen das Paket, das sich aus vielen hundert Posten zusammensetzt, schriftlich zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Minister, würden Sie mir bestätigen, daß die Kostenentwicklung bei der Bundespost durchaus unterschiedlich ist, daß es also bei der Post einzelne Gebiete gibt, die durchaus auch heute noch, verglichen mit dem vorjährigen Ergebnis, mit Überschuß arbeiten?
Das kann ich bestätigen, Herr Kollege. Ich wäre allerdings dankbar, wenn die Betriebszweige der Post und der Bahn, die kostendeckend oder sogar gewinnbringend arbeiten, ein Übergewicht gegenüber den defizitär betriebenen hätten.
Herr Dr. SchulzeVorberg!
Herr Bundesminister, wie erklären Sie, daß die von Ihnen angekündigten Gebührenerhöhungen prozentual das Doppelte bis Dreifache der durchschnittlichen Preissteigerungen ausmachen - und diese Preissteigerungen sind die höchsten, die wir in der Geschichte der Bundesrepublik jemals hatten -, und sind Sie nicht angesichts dieses Tatbestandes der Meinung, daß mit derartigen Gebührenerhöhungen inflationstreibende Wirkungen ausgelöst werden?
Sehr verehrter Herr Kollege, wenn ich es so machen würde, wie man es auch machen könnte - ich will gar nicht in die Geschichte flüchten -, gäbe es durchaus eine Möglichkeit, sogar eine, mit der ich gut vor diesem Hohen Hause bestehen könnte: jetzt keine Postgebührenerhöhung ins Auge zu fassen, sondern das bis zum Jahre 1974 zu verschieben. ich bräuchte nur das zu wiederholen, was es an Beispielen aus der Vergangenheit gibt. Ich gebe mich aber für eine solche Politik nicht her,
({0})
sondern möchte, weil es sich um ein öffentliches Unternehmen handelt und der Postminister an der Entwicklung dieser Kosten nicht mehr beteiligt ist als Sie, Herr Kollege, persönlich und auch als Mitglied dieses Hohen Hauses, auch deutlich machen, daß wir - und zwar unverzüglich - alles tun
müssen, um das, was da auf der Kostenseite ins Ungleichgewicht gekommen ist, wieder in Ordnung zu bringen. Dies ist meine Aufgabe; dafür bin ich Mitglied der Bundesreigerung. Ich hoffe, daß Sie als Mitglied dieses Hohen Hauses das nicht nur verstehen, sondern von der Regierung sogar fordern.
Herr Abgeordneter Weber ({0}) !
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die geplante Anhebung der Telefongrundgebühr besonders die sozial Schwachen, insbesondere die Rentner, sehr stark trifft?
Herr Kollege, ich weiß sehr wohl, daß mit diesem Gebührenbereich eine soziale Seite aufgeschlagen wird, die mir persönlich gar nicht gefällt, die mich sogar besorgt macht. Nur: es ist unmöglich, einen Versuch zu machen, der zu einem besseren Ausgleich der Rechnung führt. Es wird ja gar nicht alles ausgeglichen. Mit der vorgesehenen Gebührenerhöhung wird die aufgetretene Differenz nur etwa zu zwei Dritteln ausgeglichen. Der Rest bleibt wahrscheinlich, wenn ich mir ungefähr vorstelle, daß der Verwaltungsrat das beschließt, was vorgelegt worden ist, ohnedies offen, so daß noch eine Spanne bleibt.
Wir haben keine Möglichkeit - gerade auch angesichts des internationalen Akkords nicht -, die Zeiteinheiten beim Telefonverkehr zu verkürzen; wir würden dann völlig aus dem Rhythmus kommen und eine ganze Reihe von Problemen aufrollen, die besser nicht erst aufgeworfen werden. Es bleibt daher keine andere Möglichkeit als die, die Grundgebühr anzupacken.
Hier möchte ich gern zum Verständnis der Tatsache, daß wir diesen Weg gehen mußten, auch noch dies sagen: Die Gebühr für die Zeiteinheit bei der Benutzung des Telefons ist kostenausgeglichener als das Entgelt, das man für die Einrichtung und den Besitz eines Telefonanschlusses zahlt. Das Vorhalten eines Telefonanschlusses kostet die Post gegenwärtig zirka 4500 DM.
Wenn Sie rechnen, daß eine Einrichtungsgebühr von 120 DM und eine Grundgebühr von 18 DM für den Vollanschluß bezahlt wird, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß diese zu zahlenden Beträge nicht einmal die marktübliche Verzinsung des Kapitals abdecken, das die Post sich auf dem Kapitalmarkt holen muß. Es ist also auch vom Kapitalaufwand der Post her gerechtfertigt, dem Postkunden einen Preis abzuverlangen, der die Zinsen wenigstens annähernd deckt. Wie gesagt, der Preis deckt nicht einmal die Kosten, die allein der Kapitalmarkt von der Post verlangt. Ich glaube, das Verfahren ist nach allen Seiten ausgewogen.
Herr Abgeordneter Schmitt ({0}).
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, die sozial schwachen Schichten - z. B. Rentner und Sozialhilfeempfänger von der Anhebung der Telefongrundgebühren zu Lasten des Sozialhaushalts auszunehmen?
Herr Kollege, es ist juristisch und postalisch nicht möglich, Postgebühren nach Benutzerkategorien der Bevölkerung zu unterteilen. Ich weiß aber, daß es viele Gemeinden gibt - und dies entspricht einer Ermächtigung nach dem Sozialhilfegesetz -, die den Rentnern nicht nur mit der Übernahme des Mehrbetrages, sondern mit der Übernahme der Einrichtungskosten oder gar mit der laufenden Finanzierung der Grundgebühren unter die Arme greifen und eine Hilfe gewähren. Die Post ist auch juristisch nicht in der Lage, solche Leistungen zu gewähren.
({0})
Herr Abgeordneter Becher!
Herr Minister, wäre die Ermäßigung der Gebühren für sozial schwache Schichten, von denen Sie eben sprachen, nicht in dem gleichen Sinne zu rechtfertigen und juristisch zu begründen wie die Ermäßigung gewisser Bahnfahrten für ältere Personen?
({0})
Nein, das ist nicht möglich, weil die Post von völlig anderen betriebswirtschaftlichen und auch juristischen Voraussetzungen ausgeht. Es geht hier ja nicht um die Benutzung einer solchen Einrichtung, sondern um den Besitz dieser Einrichtung. Dafür wird die Grundgebühr erhoben. Bei der Eisenbahn ist der von Ihnen erwähnte Vorgang, obwohl eine soziale Variante damit verbunden ist, auch noch gewinnbringend.
Herr Abgeordneter Leicht zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen klar, daß dann, wenn sich die Grundgebührenerhöhungen so auswirken, wie hier dargetan, über die Sozialhilfe erneut hohe Lasten auf die Gemeinden zukommen?
Ich habe den Gemeinden nicht eine Belastung zugemutet, sondern habe es nur als eine Möglichkeit für die Gemeinden dargestellt, so zu verfahren. Und das ist wohl richtig, wenn ich das von diesem Hause beschlossene Sozialhilfegesetz richtig und sinngemäß auslege.
Eine Zusatzfrage, ( Herr Abgeordneter Dr. Jahn ({0}).
Herr Minister, sind Sie nicht der Auffassung, daß es möglich sein müßte, alleinstehenden Rentnern bei der Erhöhung der Grundgebühren jetzt entgegenzukommen, indem diese Rentner von der Erhöhung ausgenommen werden?
In der Regel telefonieren die Rentner ja nur sehr wenig. Viele Rentner vertelefonieren im Monat zwei oder drei DM; ihre Anschlüsse werden also minimal beansprucht. Ich könnte mir daher vorstellen, daß sich zwei Rentner, die sich vielleicht gut kennen oder befreundet sind und für die die technisch-betrieblichen Voraussetzungen gegeben sind, miteinander einen Einzelanschluß teilen, sich also auf einen Zweieranschluß einlassen. Das tun ja viele Leute, die aus anderen Gründen keinen Einzelanschluß bekommen können.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Minister, Sie werden sich mit mir daran erinnern, daß wir die Postgebühren im Jahre 1964 geringfügig anheben mußten. Die damalige Opposition, Ihre Fraktion, hatte das hier in diesem Hohen Hause als eine schlimme Preistreiberei bezeichnet. Wie würden Sie die Gebührenerhöhungen bei der Post, die unter Ihrer Stabführung vorgenommen worden sind, bezeichnen?
({0})
Herr Kollege Rawe, ich habe nicht Geschichtsforschung zu betreiben, sondern den jetzigen Verhältnissen hei der Bundespost gerecht zu werden.
({0})
Moment, weitere Bemerkungen kann ich hier nicht zulassen.
Ich rufe jetzt die Frage 100 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die geplanten Tariferhöhungen bei der Deutschen Bundespost, nachdem sie Preiserhöhungen der Autornobilwerke in der Bundesrepublik Deutschland von 3 his 5 % als „riskant" bezeichnet hat?
Herr Präsident, die Gebührenerhöhungen bei der Post sind nicht mit den Preiserhöhungen der Automobilindustrie vergleichbar. Es handelt sich hier um zwei völlig verschiedene Größen. Die Post ist ein personalintensives Dienstleistungsunternehmen - ein hoher Teil der Gesamtaufwendungen entfällt auf das Personal -,
das viel weniger als ein Industrieunternehmen in der Lage ist, gestiegene Kosten durch Rationalisierung aufzufangen. Zu Ihrer Unterrichtung möchte ich Ihnen sagen, daß der Personalkostenanteil im Postbereich rund 70 % beträgt. Der Personalkostenanteil in der Kfz-herstellenden Industrie beträgt 21 %. Ich bin ganz sicher, daß uns die Automobilindustrie, wenn der Personalkostenanteil bei ihr 70 % betrüge, andere Autopreise vorrechnen würde; denn sie arbeitet obendrein noch mit Gewinn. Es gibt in ihr auch keinen Zweig, der mit gemeinwirtschaftlichen Auflagen, die ein finanzielles Volumen von vielen Hundert Millionen DM ausmachen, belastet ist, während das, wie Sie wissen, bei der Post der Fall ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Bundesminister, was war nach Auffassung der Bundesregierung im Jahre 1964 - außer einer wesentlich geringeren Anhebung der Gebühr - so anders, daß Fritz Erler die damaligen Gebührenerhöhungen ein schlechtes Beispiel öffentlicher Preistreiberei nannte, während Sie in einem Artikel am 23. Dezember 1971 von dem Gebot der wirtschaftlichen Vernunft sprachen?
Herr Kollege, wenn ich mich recht erinnere, ist nach der Erhöhung der Postgebühren von 1972 gefragt und nicht nach der von 1964. Dafür war ich damals nicht zuständig, und dar-
,) auf gebe ich hier auch keine Antwort.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Herr Bundesminister, die im Jahre 1964 vom Parlament so heftig diskutierte Erhöhung der Postgebühren wurde damals von der Opposition als drastisch bezeichnet. Welche Beurteilung verdient nach Meinung der Bundesregierung die jetzt dem Verwaltungsrat vorgeschlagene Erhöhung der Postgebühren?
Sie verdient das Prädikat „gerechtfertigt". Ich bin davon überzeugt, daß der Verwaltungsrat mit den Mitgliedern, die Ihrer Fraktion angehören, nicht zu einem Beschluß käme, wenn er sich nicht selbst davon überzeugte, daß sie gerechtfertigt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann.
Würde es nicht die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung stärken, wenn sie den gleichen Maßstab, den z. B.
Herr Schiller gegenüber den Preisanhebungen bei anderen Dienstleistungsbereichen anlegt, auch bei sich selbst anwendete?
Der Bundeswirtschaftsminister ist ja nicht für die Post direkt zuständig, Das ist der Postminister. Der Postminister aber hat sich mit dem Wirtschaftsminister über dieses Erfordernis verständigt. Das, was ich dem Verwaltungsrat vorzuschlagen habe, geschieht im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Herr Minister, nachdem Sie gerade diese Aussage gemacht haben, möchte ich Sie noch einmal ganz konkret fragen, ob Sie es für psychologisch klug, wirtschaftspolitisch vernünftig und politisch glaubwürdig halten, wenn eine Bundesregierung anderen Preiserhöhungen unter der Überschrift „riskant" vorwirft und im gleichen Atemzuge Preiserhöhungen mit viel einschneidenderen Auswirkungen vornimmt?
({0})
Verehrter Herr Kollege, kein Unternehmen in der Wirtschaft steht vor der Frage, ob es unter solchen Prämissen, wie sie die Post hat und diesem Hohen Hause auch vorzurechnen in der Lage ist, Preiserhöhungen vornehmen soll oder nicht. Kein Unternehmen könnte damit existieren, sondern müßte Preiserhöhungen vornehmen oder seine Geschäftstätigkeit aufgeben. Ich gehe davon aus, daß sich in der gewerblichen Wirtschaft die Preise erstens an den Chancen des Marktes orientieren und zweitens an den gestiegenen Kosten. Die kann man dann plus einem Gewinn weitergeben, wenn die Marktsituation das möglich macht. Hier haben wir es aber nicht mit einer Gewinnspanne zu tun, die sichergestellt oder gewahrt werden soll, sondern mit gestiegenen Kosten, die dazu zwingen, entweder nichts zu tun und damit das Unternehmen finanziell langsam in Notsituationen kommen zu lassen, oder diese Kosten offen an den Markt weiterzugeben, der sie zum Teil ja auch mitverursacht hat.
Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Rawe.
Herr Minister, da wir noch bei den Gebühren sind: Vorhin haben Sie darauf verwiesen, daß sich die Rentner ja die Anschlüsse teilen könnten und dann nur halbe Kosten entstünden. Würden Sie bitte dieses Hohe Haus darüber aufklären, daß diese Antragsmöglichkeit nach ihren eigenen Richtlinien heute nicht mehr gegeben ist.
Die könnte man schaffen, Herr Kollege.
({0}) - Darüber kann man reden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sander. - Verzichtet. Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, wie erklären Sie, daß Sie, nachdem Sie nach Ihren eigenen Aussagen vor zwei Jahren eine Bundespost übernommen haben, die immerhin noch einen Gewinn von einigen hundert Millionen abwarf, jetzt in Milliarden-Defiziten stecken - trotz einer schon durchgeführten drastischen Gebührenerhöhung - und die nächste Gebührenerhöhung jetzt ins Haus steht, wobei die Post nach Ihren eigenen Berechnungen dennoch im Defizit bleiben wird?
Das erklärt sich daraus, daß in diesen beiden Jahren die Kosten, die der Post nachweisbar auch durch Beschlüsse dieses Parlaments über die Erhöhung der Beamtenbesoldung - davon können Sie sich doch nicht wegdiskutieren - entstanden sind, bezahlt werden müssen. Weil das zweimal in einer exorbitanten Höhe, die aus dem Rahmen aller früheren Jahre fällt, geschehen ist, muß der Postminister dem Parlament und dem Postverwaltungsrat diese Berechnungen präsentieren und fragen: was wollt ihr machen, die Gebühren erhöhen oder die Substanz des Unternehmens aufzehren?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leicht.
Wenn Sie von Kostenerhöhungen sprechen, Herr Minister, sind doch sicherlich nicht nur die laufenden Steigerungen der Personalkosten gemeint, die bei der Bundespost nach Ihren Angaben nicht heute, aber anderswo - 57 % betragen und nicht 70, sondern auch die davongelaufenen Preise zu berücksichtigen, insbesondere auch bei den Investitionen, und ist nicht die Begründung für einen Betrag von Hunderten von Millionen im Nachtrag 1971 der Deutschen Bundespost dafür ein bezeichnender Beweis, wenn dort gesagt worden ist, daß zur Erreichung der Anzahl der zu installierenden Telefone eben dreihundertsoundsoviel Millionen nachbewilligt werden müssen, weil die Preise innerhalb von neun oder zehn Monaten in diesem Umfange davongelaufen sind?
Herr Kollege Leicht, Sie als ein Sachkundiger in diesem Hause wissen gut, daß die Leitung der Post und auch ich persönlich Wert darauf gelegt haben, die Finanzsituation der Post in zwei Teilen getrennt voneinander zu halten. Für das, was die Post an Investitionen für Sachwerte verausgabt, die sie schafft - beispielsweise um
Anschlüsse herzustellen -, kann sie getrost den Kapitalmarkt in Anspruch nehmen und den Zinsendienst dafür aus den Erträgnissen des Fernmeldewesens finanzieren; dies muß aufgehen.
Zweitens. Ebenso wie wir es uns leisten können mit einem öffentlichen Unternehmen, den Kapitalmarkt für die Schaffung von Sachwerten in Anspruch zu nehmen, ebenso sicher ist es nötig, wenn man geordnet wirtschaften will, die laufenden Kosten für den Betrieb des Unternehmens dann aus laufenden Einnahmen des Unternehmens zu finanzieren. Darum geht es hier bei der Gebührenerhöhung, und nicht um Kapitalmarktfinanzierung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jenninger.
Herr Bundesminister, da Sie vorhin auf die Verantwortung des Parlaments für die Beschlüsse zur Beamtenbesoldungserhöhung hingewiesen haben, frage ich: ist Ihnen bekannt - ich weiß nicht, ob es von Ihnen persönlich kam -, daß die Bundesregierung dem Parlament hier falsche Zahlen vorgelegt hat, z. B. bei der Post etwa 1 Milliarde DM, während in Wirklichkeit die Summe 1,8 Milliarden DM ausmachte?
Nein, Herr Kollege, die Bundesregierung hat dem Parlament keine falschen Zahlen vorgelegt. Die Bundesregierung hat die Absichten des Deutschen Bundestages vor der Besoldungsveränderung im Jahr 1971 quantitativ nicht so einschätzen können, wie sie nachher vom Deutschen Bundestag beschlossen worden sind. Insoweit habe ich mich Anfang 1971 bei meinen Kalkulationen auch getäuscht. Es ist nach der gesetzlichen Verabschiedung der Besoldungsreform mehr auf die Post zugekommen, als wir im Haushaltsvoranschlag veranschlagt hatten.
({0})
- Ich kann immer nur den jeweiligen Stand der Erkenntnis mitteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Bundesminister, meinen Sie nicht, daß Sie bei dem Vorwurf an den Deutschen Bundestag, durch die Besoldungsbeschlüsse sei er entscheidend mitverantwortlich für die finanzielle Lage, Ursache mit Wirkungen insofern vertauscht haben, als es ja einfach nicht möglich ist, die Besoldung der Beamten losgelöst von dem Gesamttarifniveau zu sehen, und daß auf Grund der gestiegenen Löhne und Gehälter man selbstverständlich die Beamten von dieser Entwicklung nicht ausschließen konnte?
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Herr Kollege Lemmrich, erstens habe ich es nicht kritisch gesagt, sondern nur
klarstellend, zweitens wird das doch wohl ein wohl-bedachter Beschluß des Parlaments gewesen sein, nehme ich an, und drittens weiß ich auch, daß ein Parlament, wenn einmal tariflich Marken und Margen gesetzt sind, diese Tatsache nicht völlig ignorieren kann. Das ist mir klar.
Wogegen ich mich nur wehre - und, das werden Sie mir zugeben, mit Recht -: nachdem das geschehen ist, auch das Parlament sein Gesetz beschlossen hat, und man merkt, was das kostet, so zu tun, als sei die Regierung schuld. Da muß man sich mit bekennen. Dies haben das Parlament und die Regierung zu verantworten.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wrede.
Herr Minister, können Sie dem Herrn Kollegen Lemmrich bestätigen, daß Sie bei Ihrer Anspielung auf die Besoldungskosten nicht die lineare Erhöhung der Besoldung gemeint haben, sondern daß Sie zum Ausdruck bringen wollten, daß auch der Bundesregierung die Auswirkung der strukturellen Verbesserung in ihrer Größenordnung nicht bekannt war?
Ich habe deshalb vorhin von der Besoldungsreform gesprochen.
Herr Abgeordneter Stücklen!
Herr Bundesminister, Sie haben hier festgestellt, daß die Besoldungserhöhung auch vom Parlament beschlossen worden und im wesentlichen auslösendes Moment für die dadurch notwendigen Gebührenmaßnahmen gewesen sei. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich das gleiche für das Jahr 1964 feststelle, und könnten Sie mir erklären, warum dann Ihre Fraktion 1964 der Bundesregierung, die damals im Amt war, den Vorwurf gemacht hat, sie würde Preistreiberei betreiben, wenn sich die Bundespost lediglich darauf ausrichtete, das durch das Parlament beschlossene Gebührengebäude für den öffentlichen Dienst zu verwirklichen?
Wenn Sie, Herr Kollege Stücklen, hier in diesem Hause sagen, die damalige Situation sei so gewesen, wie sie auch jetzt ist, dann streite ich nicht mit Ihnen darüber, dann glaube ich Ihnen das. Zweitens wird sich die Kritik der Opposition von damals kaum von der Kritik unterscheiden, die heute von der Opposition an der Gebührenerhöhung geübt wird. Sie haben doch auch gesagt: Das ist Preistreiberei, das ist nicht gerechtfertigt; die Regierung steuert eine Inflationspolitik an. So viel feiner ist das nicht. Das ist fast alles dasselbe. Nur gibt es im Augenblick keine
Sommerpause, in der Sie eine Sondersitzung des Parlaments verlangen könnten. Sie haben es viel bequemer; Sie können hier die Fragestunde dazu benutzen.
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Bundesminister, kann man Ihren Worten entnehmen, daß Sie eventuell mit einer Sondersitzung des Parlaments in der nächsten oder übernächsten Woche rechnen?
Ich rechne nicht damit, Herr Kollege. Ich denke, Sie sind hochbefriedigt, wenn diese Fragestunde zu Ende ist.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schulte ({0}).
Herr Bundesminister, teilen Sie die in der bekannten Debatte von 1964 vom verstorbenen Kollegen Erler geäußerte Ansicht, daß es sich bei der Gebührenerhöhung um eine Art Poststeuer handele?
Leber, Bundesminister für Verkehr und für das (0 Post- und Fernmeldewesen: Ich habe Ihnen vorhin schon einmal gesagt: hier steht nicht die Frage der Postgebührenerhöhung von 1964, sondern die von 1972 an.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Breidbach auf:
Ist die derzeitige Wirtschafts- und Finanzsituation bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost das Ergebnis umfassender Planung, das in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 als Notwendigkeit einer modernen Verkehrspolitik bezeichnet wurde, oder hat die Bundesregierung eine derartige Planung nicht durchgeführt?
Die Bundesregierung hat ihre in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 angekündigten Planungen hinsichtlich Bahn und Post im Verkehrsbericht 1970 bzw. mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Unternehmensverfassung der Bundespost dem Hohen Hause vorgelegt. Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzlage bei der Deutschen Bundesbahn ist die Folge von Kostensteigerungen der beiden letzten Jahre. Sie sind im voraus nicht planerisch erfaßbar. In der ersten mittelfristigen Finanzplanung, die 1967 von der damaligen Großen Koalition mit Kenntnis und Zustimmung des Parlaments beschlossen wurde, waren für diese vier Jahre - das Jahr 1971 also eingeschlossen - 4,5 % Personalkostensteigerung pro Jahr eingesetzt. Wenn das so gekommen wäre,
hätte die Deutsche Bundesbahn im Jahre 1971 vermutlich einen Gewinn von mehreren hundert Millionen Mark ausgewiesen. Sie wissen selbst, daß die Praxis ab 1967 Jahr für Jahr anders gewesen ist. Gewiß ist auch Ihnen bekannt, daß Dienstleistungsunternehmen, die 85 % aller Erträge - Herr Kollege Leicht, die Zahl ist exakt - für Personalausgaben zu verwenden haben, selbst bei relativ geringfügigen allgemeinen Lohnbewegungen sofort negative Betriebsergebnisse aufweisen. Auch die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzsituation der Post ist im wesentlichen unter konjunkturellen und Wachstumsaspekten zu bewerten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Herr Bundesminister, könnten Sie mir den Widerspruch aufklären, der zwischen dieser Antwort und dem, was in der Regierungserklärung steht, sowie der Argumentation in einer vorhergehenden Antwort besteht, in der Sie sagten, daß schon 1969 hätte festgestellt werden müssen, daß das Defizit, das wir heute vorfinden, sichtbar geworden ist?
Herr Kollege, das kann ich ganz einfach. Ich habe als Verkehrsminister, als der ich auch der vorigen Bundesregierung angehört habe, im Frühjahr 1969 den Versuch gemacht, die Eisenbahntarife zu erhöhen. Damals habe ich die Zustimmung des Finanzministers erbeten, die ich ja nötig habe. Ich kann Ihnen nur sagen: schon 1969 habe ich mich im damaligen Bundeskabinett für die Anhebung der Bahntarife eingesetzt, aber keine Mehrheit für eine Zustimmung bekommen.
Sie können sich mühelos bei den Kollegen, die neben Ihnen sitzen, erkundigen, daß dann im Jahre 1970 sehr zügig eine Erhöhung vorgenommen worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Herr Bundesminister, es war die Regierung, der Sie angehören, die in der Regierungserklärung von 1969 - ich darf sie frei interpretieren - festgestellt hat, daß die Probleme bei Bahn und Post durch eine vernünftige Planung hätten beseitigt werden können. Darum frage ich Sie nun: Was war falsch, das, was in der Regierungserklärung steht, oder die Pläne, die Sie als Ausfluß der Regierungserklärung machen müssen? Denn irgend etwas muß ja schließlich zu diesen Gebührenerhöhungen geführt haben.
Nein, die Regierungserklärung war nicht falsch. Die Pläne, die sich auf die Eisenbahnpolitik, auf die Verkehrspolitik im eigentlichen Sinne bezogen, sind nachweisbar richtig angelegt und auch erfolgreich gewesen. Das, was die Bundesregierung planerisch nicht voraussehen konnte, waren Lohn- und Gehaltserhöhungen, wie es sie beispielsweise in den Jahren 1969, 1970, 1971 und 1972 de facto gegeben hat. Das kann man nicht auf drei oder vier Jahre exakt vorausberechnen und voraussagen und deshalb auch nicht in eine Wirtschaftsplanung einsetzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sander.
Herr Bundesminister, ist mein Eindruck richtig, daß es sich bei den Fragen des Kollegen Breidbach um den ersten Fall handelt, in dem ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion auf umfassende Planung drängt?
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Das ist mir auch schon aufgefallen, Herr Kollege. Nur handelt es sich hier um ein Gebiet, das planerisch nicht richtig zu erfassen ist, weil man verschiedene Komponenten und Prämissen nicht kennt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Leicht.
Ich kann leider nichts zur Planung sagen. Ich stelle aber die Frage, Herr Minister: Ist die Aussage, die Sie auf die Frage von Herrn Kollegen Breidbach gemacht haben, richtig, daß die Kostensteigerungen der letzten zwei Jahre sowohl, wie ich annehme, für die Bahn als auch für die Post - letztere ist ja in derselben Frage mit angesprochen - ausschlaggebend waren, und geben Sie damit nicht gleichzeitig zu, daß die Wirtschaftspolitik dieser zwei Jahre verfehlt war?
Nein, das letztere gebe ich nicht zu. Das erstere ist eine Entwicklung, die sich weltweit im gleichen Trend vollzogen hat und mit der wir auf nationaler Ebene fertig werden müssen, Herr Kollege Leicht. Ich nehme an, es ist Ihnen nicht unbekannt, daß die Deutsche Bundesbahn trotz der Probleme und Sorgen, die wir mit ihr haben, und trotz der Milliarden, die hier in Frage stehen, immer noch zu den besten Eisenbahnen in der Welt zählt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß es für die Deutsche Bundespost spätestens seit 1957 Fünfjahrespläne gibt?
Ja, das kann ich bestätigen.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Bundesminister, Sie haben soeben ausgeführt, die Bundesregierung habe nicht voraussehen können, daß in den Jahren 1970/71 eine so horrende Preis-, Kosten- und Lohnsteigerung eintreten würde. Ich frage Sie: wollen Sie bestreiten, daß die Bundesregierung die Verantwortung für diese Preis- und Lohnsteigerung trägt und daß Sie als Mitglied der Regierung diese Verantwortung mitzutragen haben?
Es kommt immer auf den Standpunkt an, Herr Kollege. Wenn ich diese Frage als Gewerkschafter beantworten müßte, würde ich sagen: auf dem Lohn- und Gehaltssektor ist ein beachtlicher Nachholbedarf befriedigt worden, der früher nicht befriedigt worden ist. Als Mitglied der Bundesregierung, das dies rechnerisch zu vertreten hat, muß ich sagen: es fällt einem schwer, zwei Jahre hintereinander so große Posten zu verkraften, die besser auf viele Jahre verteilt worden wären.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann!
Herr Minister Leber, würden Sie mir wenigstens darin recht geben, daß die ewige Politisierung der Preise der Bahn im Güterverkehr letztlich immer zu Lasten der Bahn, zu Lasten der öffentlichen Haushalte, vor allem des Bundes, und damit schließlich auch zu Lasten der Zukunftsinvestitionen der Bahn selbst geht?
Es fällt mir nicht schwer, Herr Kollege Müller-Hermann, zu dieser Ihrer Frage ja zu sagen. Das ist ein Punkt, vor dem die Verkehrspolitik allgemein steht, nämlich daß solche Wirtschaftsunternehmen politisch zu fest gebunden sind. Aber weil das eine beklagenswerte Sache ist, sollte sich auch das Parlament - fassen Sie das bitte nicht falsch auf - überlegen, ob es sich selbst nicht vielleicht zu stark in die Preis- und Tarifpolitik dieser Unternehmen einschaltet. Wenn das richtig ist, muß man dies auch konsequent durchhalten.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wende.
Herr Minister, ist mein Eindruck richtig, daß Sie vorhin andeuten wollten, daß das, was die Opposition mit ihren Fragen heute hinsichtlich der gegenwärtigen Kostenentwicklung der Deutschen Bundespost beklagt, im Grunde auf Versäumnisse der Regierung zurückzuführen ist, der zuletzt ein CDU-Bundeskanzler vorgestanden hat,
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was seinen Ausdruck darin gefunden hat, daß damals die längst nötige Aufwertung im Blick auf die Wahl im Jahre 1969 nicht erfolgte, und daß Sie heute praktisch in einer Situation sind, von der man sagen muß, daß jede andere Regierung, gleichgültig, welche Partei sie führt, ähnlich reagieren müßte, wie Sie das heute tun?
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Ich kann das wohl bestätigen, Herr Kollege. Erstens hat die Regierung der Großen Koalition noch im August oder Anfang September 1967 einen Beschluß gefaßt, Akontozahlungen von dreimal 100 DM für die nächste Lohn- und Gehaltserhöhung zu gewähren. Darauf bauten sich dann die zusätzlichen Erhöhungen auf. Es kam also durch den Beschluß der Großen Koalition zu dieser Bewegung, die aus den eingefahrenen Gleisen sprang.
Zweitens Jeder, der auch nur den Beschluß der Großen Koalition im August 1967 auf die Post umgerechnet hätte, wäre zwingend zu dem Ergebnis gekommen, daß die Post als Folge davon 1970 in ein beachtliches Defizit fahren mußte. Man hätte in derselben Sitzung auch eine Gebührenerhöhung beschließen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 3. Februar 1972, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.