Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vorn 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EG-Vorlagen
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über verstärkte Kunststofftanks für die Beförderung gefährlicher Stoffe auf der Straße
- Drucksache VI/3036 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({0}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Gestaltung des Innenraums von Kraftfahrzeugen betreffend die im Fahrgastraum befindlichen inneren Teile außer dem ({1}) Innenrückspiegel({2}), die Anordnung der Betätigungsteile, das Dach oder das Schiebedach, die Sitzteile und den rückseitigen Teil des Sitzes
Drucksache VI/3037 überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates ({3}) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Gewichte von 1 mg bis 50 kg von höheren Genauigkeitsklassen als der mittleren Genauigkeit
- Drucksache VI/3038 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe
- Drucksache VI/3039 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Zubereitungen gefährlicher Stoffe ({5})
- Drucksache VI/3040 überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}), Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates ({7}) zur Ergänzung der Verordnung Nr. 1009/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker
über den Absatz von Zucker aus Beständen der Interventionsstellen für Nahrungsmittelhilfsmaßnahmen durch Internationale Organisationen und für Eilmaßnahmen
zur Ergänzung der Verordnung ({8}) Nr. 2334/69 über die Finanzierung der Interventionskosten auf dem Binnenmarkt für Zucker
- Drucksache VI/3041 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}), Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Düngemittel
- Drucksache VI/3042 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Mitteilung der Kommission an den Rat und Entwurf einer Entschließung des Rates für die Gestaltung der Währungs-und Finanzbeziehungen in der Gemeinschaft
- Drucksache VI/3045 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({10}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 213/67/EWG zur Festsetzung des Verzeichnisses der repräsentativen Märkte für den Schweinefleischsektor in der Gemeinschaft
- Drucksache Vl/3046 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Bereich des Verkehrs- und Wettbewerbsrechts der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Drucksache VI/3050 -überwiesen an den Rechtsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung
- Drucksache VI/2979 -Wünscht ein Mitglied der CDU/CSU-Fraktion das Wort zur Begründung? - Bitte schön, Herr Martin!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU legt Ihnen heute in Form eines Antrags ein Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung vor, das erstens die Förderung überbetrieblicher Betriebseinrichtungen, zweitens die Weiterentwicklung des Berufsbildungsgesetzes sowie drittens die Förderung schulisch Benachteiligter und Leistungsschwacher als die zur Zeit in diesem Bereich dringendsten Probleme einer Lösung zuführen will. Wir haben uns bewußt große Beschränkungen auferlegt, um nicht ein Programm vorlegen zu müssen, das in absehbarer Zeit doch nicht verwirklicht werden kann. Die von uns vorgesehenen Maßnahmen müs9558
sen bis 1975 verwirklicht werden, wenn wir nicht wollen, daß, wie es der Zentralverband des Deutschen Handwerks ausgedrückt hat, die Berufsbildung bei der Reform des Bildungswesens wie bisher benachteiligt bleibt.
Die CDU/CSU ist zwar mit der Bundesregierung der Ansicht, daß eine grundlegende Neuordnung der beruflichen Bildung erst dann erfolgen kann, wenn die vom Deutschen Bundestag 1969 eingesetzte Kommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung festgestellt sowie ihre Ergebnisse und Empfehlungen vorgelegt hat. Wir wissen aber, daß diese Ergebnisse erst 1973 vorliegen werden und daß die Umsetzung in gesetzliche Maßnahmen noch Jahre beanspruchen wird, so daß kaum vor 1975/76 mit der Realisierung einer solchen Neuordnung gerechnet werden kann. Für dieses Haus darf dieser Umstand aber nicht bedeuten, daß dieser wichtige Bereich - für die Mehrheit der Bevölkerung ist es der wichtigste - bis dahin auf Eis gelegt wird.
Der Deutsche Bundestag hat sich in den letzten Jahren intensiv mit bildungspolitischen Problemen beschäftigt. Wir können aber nicht umhin einzugestehen, daß wir die 1,3 Millionen Lehrlinge gegenüber den 400 000 Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen zu sehr vernachlässigt haben. Der Deutsche Bundestag sollte heute unmißverständlich klarstellen, daß es uns bei den in der Berufsausbildung befindlichen Jugendlichen ernst ist mit der Forderung nach Chancengleichheit, Selbstverwirklichung der Person und Anrecht auf eine qualifizierte Ausbildung.
Wenn wir uns einigen Fakten in der beruflichen Bildung zuwenden, dann wird klar, daß es an der Zeit ist, unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet zu vervielfachen. Die Hälfte aller Ausbildungsvorschriften, nach denen die Lehrlinge ausgebildet werden, ist über 30 Jahre alt. Über die Hälfte der Auszubildenden absolviert ihre Lehre in Klein- und Mittelbetrieben. Ein Drittel der Jugendlichen wechselt kurz nach Abschluß ihrer Lehre den Beruf. 50 % der Auszubildenden sind unzufrieden mit dem Beruf, den sie erlernen wollen. Die Zahl derjenigen, die bei den Jahresabschlußprüfungen durchfallen, beträgt in einigen Berufen bis zu 40 %.
Ähnlich alarmierend ist auch die Situation im schulischen Bereich. 40 % der Stellen für Berufsschullehrer sind nicht besetzt. Insgesamt fehlen in der Bundesrepublik 15 000 Berufsschullehrer.
({0})
- Wir sind nicht 30 Jahre lang an der Regierung gewesen. Das sollten Sie einmal bedenken. - Wir stehen hier vor der Tatsache, daß oft nicht einmal die Mindestzahl von acht wöchentlichen Unterrichtsstunden erteilt werden kann. Hinzu kommt, daß die Lehrpläne der Berufsschulen und die Ausbildungspläne der Betriebe nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Die Folge dieser Mängel ist: die Auszubildenden erhalten viel zu oft keine zeitgemäße und fundierte Ausbildung. Bei vielen von ihnen ist schon bei Beginn der Lehre klar, daß sie einen Beruf erlernen, den sie in absehbarer Zeit
nicht mehr ausüben können. Wir sind uns alle darüber im klaren, daß insbesondere die Berufsbildung über Aufstieg, Erfolg, Verdienst und Ansehen des einzelnen entscheidet, und wir wissen auch, daß die Qualität der beruflichen Bildung langfristig auch die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft bestimmt. Dieser Leistungsstand kann jedoch nicht bei sinkendem Niveau der Berufsausbildung garantiert werden.
In den vergangenen Jahren, meine Damen und Herren, haben wir alle erlebt, in welche Krise eine Radikalisierung auch nur eines kleinen Teiles der Studentenschaft die deutschen Hochschulen geführt hat. Wir wollen nicht etwas Ähnliches bei einem anderen Teil unserer Jugend erleben. Das heißt aber, wir dürfen die Probleme der beruflichen Bildung nicht vor uns herschieben, sondern müssen schrittweise versuchen, die größten Mißstände zu beseitigen. Die Verbesserung der beruflichen Bildung wird für uns ein wichtiger Prüfstein für die Reformwilligkeit und die Anpassungsfähigkeit unseres demokratischen Staates. Unserer Ansicht nach sollten die ersten Schritte für eine Verbesserung des beruflichen Bildungswesens dazu führen, den Lehrlingen durch Bereitstellung von überbetrieblichen Einrichtungen eine bessere Möglichkeit zur Ausbildung zu schaffen, die Ausbildung durch eine Weiterentwicklung des Berufsbildungsgesetzes zu intensivieren sowie die schulisch Benachteiligten und Leistungsschwachen sinnvoll in den Arbeitsprozeß einzugliedern.
Zur Förderung überbetrieblicher Bildungseinrichtungen schlagen wir vor, daß die Bundesregierung die Bundesanstalt für Arbeit auffordert und in den Stand setzt, zusammen mit den interessierten und betroffenen Organisationen einen Bedarfsplan für den Zeitraum bis 1975/76 zu erstellen, wobei insbesondere auf eine ausgewogene regionale und berufsfachliche Struktur geachtet werden muß. Dabei muß sichergestellt werden, daß alle Auszubildenden im Durchschnitt mindestens drei Monate ihrer Ausbildung in einer überbetrieblichen Bildungseinrichtung oder in einer gleichwertigen betrieblichen Einrichtung geschult werden. Diese Forderung erscheint uns unerläßlich, da von den rund 1,3 Millionen Lehrlingen lediglich 0,4 Millionen in betrieblichen Lehrwerkstätten ausgebildet werden. Es muß aber dafür gesorgt werden, daß auch für die bleibenden 900 000 Lehrlinge eine angemessene Ausbildung gesichert wird. Wir haben errechnet, daß hierfür etwa 75 000 überbetriebliche Ausbildungsplätze errichtet werden müssen. Dieses Programm erfordert Investitionen in Höhe von 2,25 Milliarden DM bis 1975. Bei einem gedachten Eigenanteil der Träger von beispielsweise 20 % wären mithin 1,8 Milliarden DM an Förderungsmitteln in einem Zeitraum von fünf Jahren bereitzustellen, also 360 Millionen DM pro Jahr.
Eine vernünftigere Ausbildung unserer Lehrlinge sollte die Bundesregierung und das Parlament veranlassen, mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt als bisher für die berufliche Bildung bereitzustellen, zumal wichtige Ziele für die weitere Reform der Berufsbildung dadurch erleichtert werden: Erstens. Die
institutionellen Voraussetzungen für die Einführung des Berufsgrundbildungsjahres werden verbessert. Zweitens. Durch ein engeres Zusammenwirken zwischen Schulen und Beruf wird das Ausbildungsniveau insgesamt angehoben. Drittens. Die regionale und berufsfachliche Struktur wird verbessert, und Modellversuche zur Mehrzwecknutzung überbetrieblicher Bildungseinrichtungen, die neben der Ausbildung auch der Fortbildung dienen, können ausreichend gefördert werden. Bisher werden überbetriebliche Lehrwerkstätten aus den verschiedensten Etats gefördert: Bundesanstalt für Arbeit, Gewerbeförderung des Bundes, Ländermittel usw. Alles in allem dürften im vergangenen Jahr aber noch nicht einmal 100 Millionen DM für diesen wichtigen Zweck eingesetzt worden sein.
Die CDU/CSU sieht jedoch auch die Gefahr, daß angesichts der beengten Finanzmasse der öffentlichen Hand eine solche umfassende Förderung überbetrieblicher Einrichtungen scheitert oder nur bruchstückhaft verwirklicht wird. Deshalb fordert sie, daß die Haushaltsmittel von der Bundesanstalt für Arbeit eingesetzt und bis zur Höhe der benötigten Förderungsmittel ergänzt werden. Auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse ist die Bundesanstalt für Arbeit die geeignete Einrichtung zur Durchführung des Bedarfsplanes. Sie fördert schon heute überbetriebliche Bildungseinrichtungen in zunehmendem Maße, mit etwa 200 Millionen DM im Jahre 1972, davon etwa ein Drittel für Einrichtungen, die der Ausbildung dienen. Sofern die Bundesregierung nicht in der Lage ist, die verbleibenden Mittel zur Realisierung des Bedarfsplanes zur Verfügung zu stellen, muß nach Ansicht der CDU/CSU die Finanzkraft der Nürnberger Anstalt so weit gestärkt werden, daß die Verwirklichung des Bedarfsplans nicht gefährdet wird. Ob dies durch eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Bundesanstalt für Arbeit oder besser durch Kreditfinanzierung geschehen soll, muß unter Berücksichtigung der konjunkturellen Situation und der Haushaltslage der Bundesanstalt für Arbeit in dem Zeitpunkt entschieden werden, in dem die zügige Durchführung des Bedarfsplans das erfordert. Die Finanzierungsfrage sollte nicht überschätzt werden. Eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Nürnberger Anstalt um lediglich 0,1 Prozentpunkte hätte für 1971 bereits Mehreinnahmen von rund 300 Millionen DM erbracht.
Aber die Ausbildungsqualität, meine Damen und Herren, ist nicht nur durch die Unterrichtung in Lehrwerkstätten zu erhöhen. Ebenso wichtig erscheinen uns die Verbesserung des geltenden Rechts zugunsten der Lehrlinge sowie eine verbesserte Abstimmung von schulischer und praktischer Ausbildung. Darum liegt ein zweiter Schwerpunkt unseres Sofortprogramms auf der Weiterentwicklung des Berufsbildungsgesetzes.
Vordringlich sind in diesem Bereich nach unserer Ansicht folgende Maßnahmen:
1. Über eine Bund-Länder-Vereinbarung muß sichergestellt werden, daß zusammen mit den Ausbildungsordnungen Rahmenpläne für den Berufsschulunterricht erlassen werden. Auch sollten die
in der Berufsschule erbrachten Leistungen bei der Abschlußprüfung mit berücksichtigt werden.
2. Die Zahl der Ausbildungsberater muß gesetzlich erhöht werden.
3. Auszubildende sollten in bestimmtem Umfang für fördernde Bildungsmaßnahmen freigestellt werden.
4. Jeder Auszubildende soll in die Lage versetzt werden, allgemeinbildende Abschlüsse, insbesondere im Rahmen des zweiten Bildungsweges zu erwerben.
5. Die Berufsbildungsforschung muß als Grundlage einer modernen beruflichen Bildungspolitik verstärkt werden.
Die dritte Intention unseres Antrags ist ein Förderungsprogramm zugunsten schulisch Benachteiligter und Leistungsschwacher. Zu dieser Anregung sind wir durch die Tatsache veranlaßt worden, daß es in der Bundesrepublik heute über 240 000 Jugendliche im Ausbildungsalter gibt, die ohne Ausbildungsverhältnis leben. Es sollte selbstverständlich sein, auch diesen Jugendlichen durch eine ihren Fähigkeiten angemessene Ausbildung ein Höchstmaß an beruflichen Bildungschancen zukommen zu lassen. Bestimmte, auf die Bedürfnisse dieser Jugendlichen zugeschnittene Förderkurse und Ausbildungsprogramme müssen verstärkt werden, um ihnen die Chance zu geben, nicht zwangsläufig ungelernte Arbeiter zu werden.
Das Förderungsprogramm der CDU/CSU setzt sich daher zum Ziel, die leistungsschwachen und schulisch benachteiligten Jugendlichen über Förderkurse entweder in ein normales Ausbildungsverhältnis zu vermitteln oder zumindest durch eine berufliche Grundbildung zu schulen. Hierbei sollte an die Erfahrungen, die die Bundesanstalt für Arbeit bereits gesammelt hat, angeknüpft werden.
Die CDU/CSU-Fraktion legt dieses Sofortprogramm vor, da uns das seit November 1970 vorliegende Aktionsprogramm „Berufliche Bildung" enttäuscht hat. Es kündigt zwar alle Maßnahmen an, die lang-, mittel- oder kurzfristig auf diesem Gebiet möglich sind. Das Ergebnis ist bisher aber wenig ermutigend. Bis jetzt ist es leider nur bei diesen Ankündigungen geblieben, und nicht einmal die Ausbildungsordnungen und Rechtsverordnungen, die das in der Großen Koalition verabschiedete Berufsbildungsgesetz erst voll wirksam machen würden, kommen zügig voran.
Zu der schleppenden Behandlung dieses Aktionsprogramms durch die Bundesregierung nur ein Beispiel. Sie versprach in dem Programm eine besondere Förderung überbetrieblicher Lehrwerkstätten. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat diese Förderung erst kürzlich erneut als Reformschwerpunkt bezeichnet und erklärt, daß sein Haus 1972 für diesen Zweck 5 Millionen DM eingeplant habe. Aber mit 5 Millionen DM können bestenfalls 340 Ausbildungsplätze geschaffen werden. Verglichen mit den dringend benötigten Plätzen können diese Ankündigungen der Bundesregierung nur als Augenwischerei bezeichnet werden. Bevor wir allen
alles versprechen, sollten wir konkret die gröbsten Mängel auf das Unumgängliche beschränken und das heute bereits Mögliche tun.
({1})
Unser Sofortprogramm basiert auf dem dualen System, das sich in der Vergangenheit nicht nur bewährt hat, sondern in zunehmendem Maß auch im Ausland übernommen wird. Ein enges Zusammenwirken von Betrieb, Berufsschule und überbetrieblichen Ausbildungsstätten garantiert eine optimale Nutzung der beruflichen Chancen.
Ich möchte an dieser Stelle eindringlich vor dem Glauben warnen, eine weitgehende Verschulung der beruflichen Bildung würde gleichfalls auch die heute noch bestehenden Mängel im Berufsbildungswesen lösen. Die Probleme würden nicht weniger, sondern mehr. Wie sollte allein die öffentliche Hand die notwendigen riesigen Investitionen aufbringen, wenn sie den Stand der Ausbildung garantieren wollte, wie sie schon heute in den Betrieben geleistet wird! Auch kann eine Vernachlässigung der praktischen Ausbildung im Betrieb nur zu einer Praxisferne führen, die im Interesse einer leistungsfähigen Wirtschaft nicht zu verantworten ist. Hinzu kommt, daß eine Verschulung der beruflichen Bildung allein ein Investitionsvolumen von rund 15 bis 20 Milliarden erfordern würde, eine Summe, die bei der gegenwärtigen Finanzlage mit Sicherheit nicht aufgebracht werden kann.
Hier sei auch davor gewarnt, von der totalen Verschulung Wunderdinge zu erwarten. Sie würde vielmehr dem internationalen Trend entgegenlaufen und die negativen Erfahrungen anderer Länder wiederholen. Seit 1968 werden in Amerika immer wieder Vorschläge und Experimente diskutiert, die eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen und Betrieben zum Ziele haben. Dies ist im Grunde ein Vorgriff auf die Wiedereinführung einer betrieblichen Lehre, ergänzt vor allem durch überbetriebliche Zentren, also ein Schritt auf das duale System. In der Sowjetunion sind ähnliche Bestrebungen festzustellen.
Ein kochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik benötigt optimal ausgebildete Kräfte, und jeder einzelne hat das Recht auf eine optimale Ausbildung, um sich in dieser Industriegesellschaft zurechtzufinden. Das Ihnen vorgelegte Sofortprogramm soll ein erster Schritt in dieser Richtung sein. Wir können es uns nicht leisten, die Mängel der beruflichen Bildung länger zu übersehen oder sie durch Pläne beseitigen zu wollen, die nicht realisierbar und auch nicht finanzierbar sind.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte findet in einer besonderen Situation statt.
({2})
Der bisherige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, zu dessen Aufgaben auch die Berufsbildung gehörte, ist zurückgetreten, und zwar in einer Phase, in der es darum geht, die Bildungsreform
durch konkrete Schritte, wozu dieser Antrag ein Beitrag ist, voranzutreiben.
({3})
Gestatten Sie mir, aus diesem Anlaß namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu einiges zu sagen. Die CDU/CSU wertet den Rücktritt des parteilosen Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Professor Dr. Leussink, als einen schweren Schlag nicht nur für die Bildungspolitik, sondern für die Reformpolitik dieser Bundesregierung überhaupt.
({4})
Die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 maßt der Bildungspolitik und der Bildungsreform einen hohen Stellenwert bei, was auch äußerlich dazu führte, daß das Ministerium in ein Bildungs-und Wissenschaftsministerium umbenannt wurde. Nach den bereits zurückgetretenen sozial-liberalen Kulturpolitikern Evers, Holthoff, Hamm-Brücher muß auch Leussink erkennen, daß es mit dem Aufstellen von Plänen allein nicht getan ist.
({5})
Dazu gehört vielmehr auch die Bereitschaft, diese Pläne nicht zuletzt auch durch die Bereitstellung entsprechender finanzieller Mittel zu realisieren. Diese Bundesregierung war aber nicht bereit und nicht fähig, ihren großen Worten auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen.
({6})
Der Rücktritt Professor Leussinks ist keine persönliche Angelegenheit, wie dies die Bundesregierung und die SPD-Fraktion hinstellen wollen, sondern ein eindeutiges Symptom für die Krise, in der sich die Reformpolitik dieser Bundesregierung befindet.
({7})
Diese Krise ist einmal darauf zurückzuführen, daß diese Bundesregierung nicht die finanziellen Möglichkeiten zur Durchführung der Bildungsreform geschaffen hat, zum anderen ist dieser Rücktritt ein Zeichen für den Machtkampf zwischen pragmatisch denkenden und ideologisch fixierten Politikern innerhalb dieser Koalition.
({8})
Die CDU-Bundestagsfraktion erkennt an dieser Stelle einen bestimmten Teil der Bemühungen des zurückgetretenen Ministers ausdrücklich an.
({9})
- Eben darum! - Der Minister hatte klar erkannt, - -({10})
- Herr Wehner, ich weiß, daß das Salz in der Wunde ist.
({11})
- Ich verstehe auch, daß Sie sich erregen. Der Minister hatte klar erkannt, daß für ein einheitliches Bildungswesen in der Bundesrepublik eine Verständigungsplattform zwischen den großen Parteien unerläßlich ist.
({12})
Daher bedauern wir, daß es den Kräften innerhalb der sozial-liberalen Koalition, die ihren utopischen Vorstellungen den Vorrang geben, gelungen ist, eine realistische und auf Ausgleich bedachte Politik vorerst zu verhindern.
({13})
Der Rücktritt Professor Leussinks offenbart gleichzeitig in eindeutiger Weise die Führungsschwäche des Bundeskanzlers dieser Bundesregierung.
({14})
- Herr Wehner, ich würde Ihnen empfehlen, die Presse von heute zu lesen;
({15})
da steht überall drin, daß es die Schwäche dieses Kanzlers war, die diese Krise herbeigeführt hat.
({16})
Dieser Kanzler war weder imstande, der Bildungspolitik die Priorität einzuräumen, die er in seiner Regierungserklärung versprochen hat, noch dem Minister innerhalb der Koalitionsfraktionen den notwendigen Rückhalt zu verschaffen.
({17})
Nach Ansicht meiner Fraktion ist es an der Zeit, daß der Bundeskanzler diesem Hause klar und offen die Gründe darlegt, die zum Rücktritt des Ministers geführt haben, sowie eine Erklärung über den zukünftigen Kurs dieser Bundesregierung in der Bildungspolitik abgibt.
({18})
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU erwartet nach diesem Rücktritt, der einer Bankrotterklärung in der Bildungspolitik gleichkommt, einen neuen Anfang.
({19})
Dieser neue Anfang kann nur gelingen, wenn die Bundesregierung ihre Bildungspolitik an folgenden Leitlinien orientiert.
({20})
Erstens. Eine Reform des Bildungswesens kann nur schrittweise
({21})
auf Grund eines nach klaren Prioritäten aufgebauten Maßnahmenkatalogs verwirklicht werden, der gleichzeitig finanziell abgesichert sein muß.
({22})
Zweitens. Die Einheitlichkeit des Bildungswesens in der Bundesrepublik und eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern müssen gewahrt werden. Drittens. Die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens muß gewahrt und die Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Hochschulbereich, wiederhergestellt werden.
({23})
Wir erwarten, meine Damen und Herren, daß der Bundeskanzler dem neuen Minister auf Grund dieser Leitlinien die Unterstützung zukommen läßt, die er dem zurückgetretenen Minister versagt hat. Er ist es, der für die Krise und das Scheitern der Bildungs- und Reformpolitik allein verantwortlich ist.
({24})
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihr Antrag lautet: Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung.
({0})
Davon wissen Sie doch gar nichts, Herr Luda!
({1})
Die Frage nach dem Stand der beruflichen Bildung schließt für die große Mehrheit der Bevölkerung die Frage ein, wie in unserer Gesellschaft die sozialen Chancen verteilt sind. Dieser Teil der Gesellschaftsordnung stand jahrelang überhaupt nicht zur Debatte,
({2})
sicher nicht, weil auf diesem Feld alles in Ordnung gewesen wäre. Als vor mehr als einem Jahrzehnt in der Bundesrepublik die Bildungsdiskussion einsetzte, blieb die berufliche Bildung wiederum nahezu unbeachtet hinter den Auseinandersetzungen um Hochschulen, Akademien und Studenten zurück.
({3})
- Darüber sollten Sie einmal nachdenken, Herr Schulze-Vorberg.
({4})
Erst in den letzten Jahren ist ins öffentliche Bewußtsein eingegangen, daß auch die Berufsbildung verbesserungsbedürftig ist, und erst in jüngster Zeit ist es gelungen, die Gleichrangigkeit der beruflichen mit der allgemeinen Bildung zu einem politischen Grundsatz zu erheben, den niemand mehr übersehen kann. Jetzt steht die Berufsbildung auf der Stufe, auf die sie gehört. Ich halte das für einen beträchtlichen Fortschritt.
({5})
Deshalb sollten wir jede Gelegenheit nutzen, die sich zur Diskussion über die berufliche Bildung bietet. Denn in ähnlichen Debatten der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß die Opposition und die Regierung auf diese Fragen gleich großes Gewicht legen. Dies wird sich, wie ich hoffe, trotz aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen und der Blickrichtungen auch heute wieder bestätigen.
Aber Diskussionen allein genügen nicht. Wir wollen und wir müssen die Wirklichkeit der beruflichen Bildung verändern. Dazu ist in vielerlei Hinsicht Umdenken notwendig. Die Reform der beruflichen Bildung wird nicht gelingen ohne die Aufgeschlossenheit und die Unvoreingenommenheit aller Beteiligten.
Die Bundesregierung hat ihre Stellung zum Komplex Bildung und Ausbildung schon in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 klar umrissen. In dieser Regierungserklärung Ist ausdrücklich von „Bildung und Ausbildung" die Rede, von den vier Hauptbereichen unseres Bildungswesens „Schule, Hochschule, Berufsausbildung und Erwachsenenbildung".
Bildung, Ausbildung und Forschung - so heißt es an dieser Stelle weiter müssen als ein Gesamtsystem begriffen werden, das gleichzeitig das Bürgerrecht auf Bildung und den Bedarf der Gesellschaft an möglichst hochqualifizierten Fachkräften und an Forschungsergebnissen berücksichtigt.
Auf dieser Linie hat der „Bildungsbericht 70" der Bundesregierung die Zielvorstellungen konkret bestimmt. Auch im Zwischenbericht der Bund-LänderKommission für Bildungsplanung an die Regierungschefs steht die berufliche Bildung im gleichen Rang neben den anderen Bildungsbereichen als unentbehrlicher Teil einer umfassenden Bildungskonzeption.
Die Bundesregierung hat sich jedoch nicht damit begnügt, den Zusammenhang zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung theoretisch herzustellen und eine Anzahl von Forderungen und Erwartungen an die Zukunft aufzustellen. Die Bundesregierung hat gehandelt, soweit ihr die Kompetenz der Länder und das System der Berufsbildung Handlungsfreiheit geben. Sie hat gehandelt in zweierlei Richtungen: einmal entsprechend den Aufträgen aus dem Berufsbildungsgesetz und zum anderen in der Richtung, die sie selbst in ihrem Aktionsprogramm „Berufliche Bildung" festgelegt hat. Alle Aktivitäten kennzeichnen, wie die Bundesregierung ihre Verantwortung für die berufliche Bildung wahrnehmen will.
Nach dem Berufsbildungsgesetz hatte ich den Bundesausschuß für Berufsbildung zu berufen. Das ist wenige Monate nach Amtsübernahme geschehen. Der Ausschuß hat seine Beratungsfunktion aufgenommen und der Bundesregierung wichtige Empfehlungen vorgelegt.
Weiterhin habe ich mich mit Nachdruck um den organisatorischen und personellen Aufbau des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung in Berlin bemüht. Ich wünschte, das Institut wäre schon in einer früheren Legislaturperiode geschaffen worden.
({6})
Dann. könnten wir uns schon heute in so bedeutenden Frage wie nach den Inhalten und Zielen der Berufsbildung oder nach ihrer Anpassung an die technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung auf Ergebnisse der Forschung stützen.
({7})
Wir werden aber versuchen, die Versäumnisse aufzuholen.
Das Aktionsprogramm „Berufliche Bildung" macht gründlich und systematisch Vorschläge für konkrete Maßnahmen auf allen Stufen der beruflichen Bildung, angefangen bei der vorberuflichen Bildung über die berufliche Ausbildung, die Fortbildung und Umschulung bis schließlich zur Berufsbildungsförderung.
Ich will hier, meine Damen und Herren, gar nicht im einzelnen wiederholen, was inzwischen geschehen ist.
Aber der Gegenstand dieser Debatte, der Antrag der Oppositionsfraktion, veranlaßt mich, einige Punkte zu erwähnen.
Eines unter anderen Mitteln, der Berufsausbildung eine der Zeit und der Zukunft angemessene Form zu geben, ist die Neufassung der Ausbildungsordnungen. Schon im vergangenen Jahr haben wir, selbstverständlich im Einvernehmen mit den beteiligten Verbänden der Arbeitgeber und den Gewerkschaften, im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie vier Ausbildungsordnungen erlassen. Dabei sind 29 technisch veraltete durch 11 neue Ausbildungsberufe ersetzt worden. Außerdem ist die Ausbildung zum Schriftsetzer, zum Glaswerker, zum Sozialversicherungsfachangestellten, zum Notars-, Rechts- und Patentanwaltschaftsgehilfen neu geordnet worden. Bis zum Ende dieses Jahres hoffen wir neue Ausbildungsordnungen für 250 000 Auszubildende erlassen zu können; das ist knapp ein Fünftel aller Auszubildenden. Darunter sind die Berufe Chemielaborant, Fernmeldehandwerker und Berufskraftfahrer und die wichtigen Stufenausbildungen in den elektrotechnischen und feinschlosserischen Berufen.
Gleichzeitig haben wir Planungsdaten erarbeitet und in einer mehr als 550 Ausbildungsberufe umfassenden Dokumentation niedergelegt. Diese Daten werden uns die Neuordnung der noch zu zahlreichen und überständigen Ausbildungsberufe erleichtern helfen.
Ich möchte betonen, daß neben die neuen Ausbildungsordnungen auch eine Überprüfung der Lehrinhalte der beruflichen Schulen treten muß. Dazu ist die Abstimmung der Ausbildungsordungen mit den Rahmenlehrplänen der Länder notwendig. Diese wichtige Aufgabe ist Gegenstand von Gesprächen mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Ich habe die Hoffnung, daß die Einsicht aller Beteiligten schnelle Fortschritte auf dem Gebiet der theoretischen Fundierung der beruflichen Bildung möglich machen wird.
In diesen Teilbereich gehört auch das Berufsgrundbildungsjahr, das für die künftige Berufsausbildung wichtig werden wird. In Abstimmung mit den Ländern bereiten wir Rechtsverordnungen vor, die sicherstellen, daß das Grundbildungsjahr, wenn es in den Schulen vermittelt wird, ebenso wie der Berufsfachschulbesuch auf die Ausbildungszeit anzurechnen ist.
({8})
Eine bundeseinheitliche Regelung soll verhindern, daß neues Ungleichgewicht der Bildungschancen entsteht. Diese Linie verlängern wir in vorbereitenden Überlegungen auf der einen Seite zum vorberuflichen Unterricht, auf der anderen Seite zur Berufsberatung. Auf beiden Seiten besteht Nachholbedarf.
Meine Damen und Herren, in der Reform der beruflichen Bildung spielt eine zentrale, ja, ich möchte sagen, eine entscheidende Rolle die Ausbildung der Ausbilder. Über die berufs- und arbeitspädagogische Einigung der Ausbilder in der gewerblichen Wirtschaft haben wir eine Rechtsverordnung vorbereitet, von der ich hoffe, daß sie bald in Kraft treten kann. Danach werden Ausbilder einschlägige Kenntnisse entsprechend den Prüfungsanforderungen nachzuweisen haben.
Zusammen mit der Bundesregierung, den Gewerkschaften und den Wirtschaftsverbänden erarbeiten gegenwärtig die Fernsehanstalten einen Lehrgang im Medienverbund, der auf diese Ausbilderprüfung vorbereiten soll.
Schließlich gibt auch das neue Betriebsverfassungsgesetz im § 98 dem Bertiebsrat die Möglichkeit, der Bestellung ungeeigneter Ausbilder zu widersprechen oder ihre Ablösung zu verlangen.
Dieses Mitbestimungs- und andere Mitwirkungsrechte werden mit dazu beitragen, Mängel der Berufsausbildung an Ort und Stelle zu beheben,
Ein dritter bedeutender Punkt ist, im Antrag der Opposition ebenso wie im Aktionsprogramm der Bundesregierung, die Förderung der überbetrieblichen Bildungseinrichtungen. Das Aktionsprogramm der Bundesregierung hat die Errichtung und den Ausbau solcher Ausbildungsstätten angekündigt.
Auf diese Ankündigung, Herr Martin, sind inzwischen Taten gefolgt. Im vergangenen Jahr hat die Bundesanstalt für Arbeit einschließlich von Verpflichtungsermächtigungen 85 Millionen DM zur Förderung von Einrichtungen der beruflichen Bildung bereitgestellt. In diesem Jahr wird sich diese Summe voraussichtlich auf 200 Millionen DM erhöhen.
Diesen Beträgen muß natürlich das Geld hinzugerechnet werden, das die Bundesregierung der Bundesanstalt zur Förderung von Berufsbildungszentren für Datenverarbeitung übergeben wird, wie sie im 2. Datenverarbeitungsprogramm beschlossen hat. Vorgesehen sind dafür in den Jahren 1972 bis 1975 162 Millionen DM.
Speziell zur Förderung von Einrichtungen der beruflichen Bildung im sogenannten Zonenrandgebiet hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr erstmals 15 Millionen DM bereitgestellt. Sie will diese Förderung fortsetzen. Auch diese Absicht muß in die Übersicht aufgenommen werden.
Selbstverständlich haben wir uns bei der Vorbereitung dieser Teilpläne die Erfahrungen zunutze gemacht, die die Bundesanstalt für Arbeit und andere, die überbetriebliche Bildungseinrichtungen schon fördern, gesammelt haben.
Aber, meine Damen und Herren, es geht nicht um Finanzierungen allein. Notwendig ist auch Klarheit darüber, nach welchen Kriterien solche Einrichtungen künftig gefördert werden sollen. Notwendig ist Klarheit darüber, in welchen Beziehungen überbetriebliche, betriebliche und schulische Einrichtungen der beruflichen Bildung zueinander stehen sollen. Die Bundesregierung geht von der Überzeugung aus, daß Entscheidungen am grünen Tisch allein nicht genügen. Sie konsultiert die Beteiligten und erwartet z. B. einen Beitrag des Bundesausschusses für Berufsbildung, der diese Fragen zur Zeit berät.
Meine Damen und Herren, schon aus diesen wenigen Hinweisen geht hervor, wie komplex die Finanzierung der beruflichen Bildung ist. Dazu brauchen wir eine Konzeption, die wir gegenwärtig vorbereiten. Zu ihrer Unterstützung hat die Bundesregierung im vergangenen J an eine Sachverständigenkommission berufen. Diese Kommission untersucht die Kosten und die Finanzierung der beruflichen Bildung in den Berufs- und Wirtschaftszweigen und schafft damit unentbehrliche Entscheidungsgrundlagen.
Und damit komme ich ein zweites Mal auf die bedauerliche Tatsache zu sprechen, daß wir wesentliche Voraussetzungen für die Modernisierung der Berufsbildung erst noch schaffen müssen. Im Aktionsprogramm „Berufliche Bildung" hat die Bundesregierung einige Vorhaben angemeldet, mit denen ein zuverlässiger Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse in der Berufsausbildung gewonnen werden kann. Eine wissenschaftlich abgesicherte Befragung von Auszubildenden ist inzwischen eingeleitet.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, der Sprecher der Opposition, Herr Dr. Martin, hat scharfe Angriffe gegen die Bundesregie9564
rung, vor allen Dingen gegen den Bundeskanzler wegen seiner Führungslosigkeit in diesen entscheidenden Fragen der Bildungspolitik im Zusammenhang mit dem Rücktritt Ihres Kollegen Leussink, gerichtet. Kann man die Tatsache, daß Sie nicht mit einem einzigen Wort darauf eingehen, so werten, daß Sie im Grunde die Auffassungen der Opposition teilen?
({0})
Herr Schulze-Vorberg, auf der Tagesordnung dieser Sitzung und damit heute zur Debatte steht der Antrag der Oppositionsfraktion zum Sofortprogramm für die berufliche Bildung.
({0})
Und wenn Herr Martin, der Sprecher der Opposition, den Rücktritt des Kollegen Leussink zum Anlaß genommen hat, im Rahmen dieser Debatte längere Ausführungen zu machen, und wenn er außerdem eine Dringlichkeitsfrage eingebracht hat, dann zeigt das nur, daß zu diesem Antrag, den Sie vorgelegt haben, in der Sache recht wenig zu sagen war.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg?
({0})
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Auffassung, daß durch einen so gravierenden Vorgang wie den, daß unmittelbar vor einer Debatte, die sich mit Bildungs-und Ausbildungsfragen Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Mit beruflicher Bildung!
- mit beruflicher Bildung befaßt, der Minister, der für Wissenschaft, Bildung und Ausbildung in diesem Bundeskabinett zuständig ist,
({0})
zurückgetreten ist, Sie mit keinem Wort auf diesen Rücktritt einzugehen in der Lage sind, und die Krise unserer Bildungspolitik in diesem Augenblick vor der ganzen Weltöffentlichkeit klar wird?
({1})
Herr Schulze-Vorberg, ich glaube, wir
sind nicht verpflichtet, Ihren Wünschen nachzukommen.
({0})
Sie können persönlich sicher den Versuch unternehmen, von diesem mageren Inhalt Ihres Antrags - das muß ich noch einmal sagen - abzulenken. Von seiten der Bundesregierung wird aber sicher bei der Beantwortung der Dringlichkeitsfrage gleich noch einiges dazu gesagt werden.
({1})
Meine Damen und Herren, zusammen mit dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung bereiten wir eine Erhebung vor, die uns helfen soll, die Überwachung der Berufsausbildung durch die zuständigen Stellen zu verbessern. Ich möchte hier wiederholen, was ich andernorts schon gesagt habe: Wenn wir nach dem Willen des Gesetzgebers verfahren und den Geist des Berufsbildungsgesetzes verwirklichen wollen, kommt es darauf an, die positiven Ansätze, die von diesem Hohen Haus gemeinsam geschaffen worden sind, auch tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Und das wird nicht ohne Kontrolle gehen. Ich verweise noch einmal auf das neue Betriebsverfassungsgesetz und auf die Kontrollfunktion, die es dein Betriebsrat in der betrieblichen Berufsausbildung einräumt.
Berufliche Ausbildung und berufliche Weiterbildung wachsen zum „lebenslangen Lernen", sowohl tatsächlich als auch im Bewußtsein der Menschen, allmählich zusammen. Zur Weiterbildung hat die Bundesregierung den Vorschlag gemacht, sie zu einem eigenständigen Bildungsbereich auszubauen. Diesen Gedanken hat die Bund-Länder-Kommission in den Zwischenbericht aufgenommen.
Im Bereich der beruflichen Weiterbildung bemüht sich die Bundesregierung um ein Mindestmaß an Ordnung. Dazu möchte ich den Erlaß von Rechtsverordnungen nennen, durch die Bildungsgänge und Abschlüsse geregelt werden sollen. Zum Thema der beruflichen Fortbildung und Umschulung arbeitet auch der Bundesausschuß für „Berufliche Bildung" an Empfehlungen.
Welche Bedeutung die berufliche Weiterbildung jetzt schon einnimmt, läßt sich an der wachsenden Bildungsbereitschaft und am wachsenden finanziellen Volumen ablesen, mit dem die Bundesanstalt die Weiterbildung nach dem Arbeitsförderungsgesetz unterstützt. Darauf möchte ich jetzt nicht eingehen. Wir werden ohnehin bei der Vorlage des Berichtes nach § 239 des Arbeitsförderungsgesetzes darüber sprechen müssen.
({2})
Der letzte Teil des Antrages der Opposition befaßt sich mit der beruflichen Förderung von schulisch behinderten und leistungsschwachen Jugendlichen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, Ihnen berichten zu können, daß wir für lernbehinderte, körperlich, geistig oder seelisch benachteiligte JuBundesminister Arendt
gendliche vielerlei Hilfen teils eingerichtet, teils eingeleitet haben. Die Bundesanstalt für Arbeit hat Förderkurse zur Erreichung der fehlenden Berufsreife und Lehrgänge zur Verbesserung der Vermittlungsmöglichkeiten gebildet. An beiden Kursen haben in den Jahren 1969/70 2600 Jugendliche teilgenommen. Diese Zahl hat sich im laufenden Jahr verdoppelt. Viele Jugendliche werden aber nur dann eine berufliche Ausbildung durchlaufen können, wenn sie während dieser Zeit ständig psychologische, pädagogische und ärztliche Hilfe zur Seite haben.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Bitte sehr!
Herr Kollege Arendt, Sie haben vorhin so großen Wert darauf gelegt, daß zur Tagesordnung gesprochen wird. Der Tagesordnungspunkt heißt: Antrag der CDU/CSU-Fraktion betr. Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung. Ich würde es dankbar begrüßen, wenn Sie sich auf diesen Antrag, den wir hier eingebracht haben, und nicht auf ein Aktionsprogramm der Bundesregierung von vorgestern bezögen.
({0})
Herr Kollege Katzer, das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur beruflichen Bildung stammt aus dem Jahre 1970.
({0})
Darin steht genau das, was Sie jetzt in Ihrem Antrag ({1}) vorbringen.
({2})
Wenn Sie sagen: das sind nur Ankündigungen, kann ich Ihnen nur antworten: Dann hätten Sie zuhören müssen; Sie hätten dann gehört, was wir auf diesem Felde schon in Ordnung gebracht haben.
({3})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Frage? Ich würde aber bitten, es auch wirklich eine Frage sein zu lassen.
Herr Kollege Arendt, darf ich Sie fragen, ob Sie dann unseren Antrag vollinhaltlich billigen?
Nein, ich würde anders sagen, Herr Kollege Katzer. Wenn Sie in Ihren Antrag hineingeschrieben hätten: wir unterstützen damit das Aktionsprogramm der Bundesregierung zur beruflichen Bildung, dann wäre das ein positiver Beitrag gewesen.
({0})
Im Aktionsprogramm Rehabilitation hat die Bundesregierung den Bau eines ganzes Netzes von überbetrieblichen Berufsbildungswerken beschlossen, in denen Jugendliche in gestuften Abschlüssen bis zur vollen Berufsausbildung gelangen können. Wir planen derzeit den Bau von zunächst 6000 solcher überbetrieblicher Ausbildungsplätze. Das erste Berufsbildungswerk in Husum wird noch in diesem Jahr eröffnet werden.
Die Bundesregierung wird einen maßgeblichen Teil der Baukosten für Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation finanzieren. Im vergangenen Jahr sind diese Ausgaben auf 39 Millionen DM erhöht worden. Das sind nur 5 Millionen DM weniger als in den vorhergegangenen neun Jahren zusammen.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Herr Bundesminister, sind Sie auch bereit, den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung zu erhöhen?
Das haben wir durch Verordnung schon gemacht.
({0})
- Das ist ein sehr komplexes Gebiet.
({1})
- Herr Katzer, so leicht können Sie sich das doch
nicht machen.
({2})
- Nicht weil Sie das verlangen. Sie wissen ganz genau, daß wir einen Bericht vorlegen müssen, und da werden wir Gelegenheit haben, über diesen Bericht zu sprechen.
({3})
- Aber doch nicht, weil Sie das wollen.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der Antrag der Opposition „zur Verbesserung der beruflichen Bildung", den wir heute hier behandeln, enthält überwiegend Anregungen, die sich auf die berufliche Aus Bildung beziehen.
({5})
Innerhalb dieser selbstgewählten Beschränkungen aber spannt der Antrag einen weiten Bogen. Dennoch fühle ich mich berechtigt zu der Bemerkung, daß der Bogen, den die Aktivitäten der Bundesregierung spannen, noch weiter reicht.
({6})
Ob es sich um Berufsausbildung und die Neufassung von Ausbildungsordnungen handelt, ob um die Ausbildung der Ausbilder, um überbetriebliche Bildungseinrichtungen, um die Weiterbildung oder um die Förderung benachteiligter Menschen - das Sofortprogramm, das die Opposition beantragt, ist überall schon in Arbeit und an nicht wenigen Punkten schon weit vorangekommen. Diese Tatsache sollte auch für die CDU/CSU-Fraktion eine erfreuliche Tatsache sein.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten stimmen durchaus der in der Begründung zum Antrag der Opposition vertretenen Ansicht zu, daß eine moderne berufliche Bildungspolitik den gestiegenen Anforderungen an eine zeitgerechte Ausbildung Rechnung tragen muß. Unsere Auffassung zu diesem Problem ist von dieser Stelle von meinen Fraktionskollegen verschiedentlich vorgetragen worden, zuletzt in der Mittelstandsdebatte vom 8. Dezember 1971.
Die CDU/CSU-Fraktion hat in ihrem vorliegenden Antrag eine Fülle von Forderungen erhoben, die einer eingehenden Betrachtung und Wertung bedürfen, vor allem was die finanzielle Seite anlangt.
Im übrigen sind nicht alle Vorschläge, die in dem Forderungskatalog enthalten sind, neu. Neu ist höchstens, daß Vorstellungen, die seit Jahren andernorts praktiziert werden, Eingang in Ihren Antrag gefunden haben.
({0})
Es erscheint daher erforderlich, eine Reihe von Fragen zu stellen, um festzustellen, was Sie konkret mit Ihrem Antrag meinen.
Ihre Forderungen stellen zum einen Teil auf Übergangslösungen ab. Wenn aber Übergangslösungen eine spätere Zielsetzung nicht verbauen sollen, müssen für diese Zielsetzung entsprechende Mehrheiten im Bund und in den Ländern vorhanden sein. Um nur ein Beispiel zu nennen: Man kann nicht fordern, den Auszubildenden die Chance einer bestmöglichen Ausbildung zu geben und die Durchlässigkeit des Bildungswesens zu erhöhen, und gleichzeitig am Prinzip überkommener Schulsysteme festhalten wollen. Man kann nicht zusätzliche Einrichtungen für schulisch Benachteiligte und Leistungsschwache fordern, 75 000 überbetriebliche Ausbildungsplätze als nötig bezeichnen, das Thema „Erwachsenenbildung" ansprechen, ohne konkret zu
sagen, wie die Finanzierung institutionell gesichert und wie das personelle Problem gelöst werden sollen.
Sie glauben doch selber nicht, daß irgendwo
beim Bund, bei den Ländern, bei den Kammern, bei der Bundesanstalt für Arbeit, bei den karitativen Einrichtungen oder wer sonst noch in Ihrem Antrag genannt worden ist - in stiller Reserve Milliardenbeträge herumliegen. Nach Ihren eigenen Angaben würden allein die überbetrieblichen Maßnahmen und Bildungseinrichtungen bis 1975/76 2,25 Milliarden DM erfordern, und dies wäre ja nur ein Teil der gesamten Kosten.
Wenn Sie den Bund und die Länder mit entsprechenden zusätzlichen Kasten belasten wollen, milssen Sie hier konkret sagen, durch welche haushaltsmäßigen Einsparungen oder welche Steuererhöhungen Sie diese Vorhaben finanzieren wollen. Wenn Sie der Bundesanstalt für Arbeit neue, zusätzliche Aufgaben zuweisen wollen, müssen Sie darlegen, um wieviel der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung angehoben werden soll. Wenn die Kammern und andere Institutionen einen Teil dieser Kosten tragen sollen, dann hätten wir gern gewußt, in welcher Form und in welcher Höhe dies geschehen soll. Wenn Sie zu all dem wirklich bereit sind -
Herr Abgeordneter Wurbs, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön!
Herr Kollege Wurbs, ist Ihnen entgangen, daß der Herr Bundesminister eben gesagt hat, daß sich ,der Antrag der CDU/CSU-Fraktion weitgehend mit dem Aktionsprogramm 1970 der Bundesregierung deckt, und stimmen Sie mir zu, daß dann offensichtlich auch eine Deckung vorhanden sein muß?
({0})
Wenn Sie genau wissen, wie die Deckungsmöglichkeiten sind, hätten Sie doch den Antrag nicht in dieser Form einzubringen brauchen.
({0})
Dann ist es doch nur eine Farce, mit solchen Anträgen zu operieren, wenn bekannt ist, was im einzelnen finanziert werden soll. Also: wir hätten das auch gerne mal von Ihnen gehört. Denn es geht nicht an, draußen in der Öffentlichkeit, wo Sie erwarten, daß Sie Beifall bekommen, mit diesen Dingen hausieren zu gehen und auf der anderen Seite uns dann, wenn Steuerbelastungen oder -erhöhungen kommen, vorzuwerfen, wir verfolgten sozialistische Tendenzen und wir huldigten der Staatsallmacht. So geht es nicht. Da muß mit gleicher Zunge gesprochen werden.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Fuchs?
Herr Kollege, haben Sie den Eindruck, daß Sie meine Frage beantwortet haben?
Durchaus.
({0})
- Dann stellen Sie doch eine Zwischenfrage; es ist doch hier schlecht, zwischendurch zu sprechen.
Ich darf noch auf die Bemerkungen des Herrn Kollegen Martin eingehen. Herr Kollege Martin, Sie haben die allgemeinen Aussagen nicht allzusehr durch konkrete Darstellungen aufhellen können. Sie sind über Allgemeinplätze nicht hinausgegangen, wie beispielsweise „Zusammenarbeit aller Beteiligten", „angemessene Eigenleistung" - Sie haben da von 20 % gesprochen -,
({1})
„alle Möglichkeiten ausschöpfen". Das hört sich alles sehr gut an. Aber sagen Sie doch einmal, was Sie sich hier im einzelnen vorstellen.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie die Tatsache angesprochen haben, daß das Wissenschaftsministerium bloß 5 Millionen DM für gewerbefördernde Einrichtungen eingestellt habe. Ich glaube, man darf diese im Bildungsministerium eingesetzten Mittel nicht isoliert von Mitteln betrachten, die in anderen Ressorts eingesetzt worden sind.
An dieser Stelle möchte ich etwas klarstellen. Im „Bayernkurier" war zu lesen, daß die FDP-Fraktion in der Sitzung des Haushaltsausschusses die Erhöhung der Gewerbeförderungsmittel abgelehnt habe. Das entspricht nicht den Tatsachen. Ich möchte hier richtigstellen, daß in den interfraktionellen Gesprächen, auch mit Kollegen Ihrer Fraktion, ausdrücklich Einigkeit darüber erzielt wurde, daß die Gewerbeförderungsmittel erheblich aufzustocken seien. Mein Kollege Gallus hat im Haushaltsausschuß einen Antrag gestellt. Der Haushaltsausschuß hat beschlossen, 3 Millionen DM in den ordentlichen Haushalt einzustellen, darüber hinaus 2 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen zu geben und 6 Millionen DM in den Eventualhaushalt einzustellen. Dabei sind sich die Koalitionsfraktionen darüber klar, daß diese 6 Millionen DM, wenn der Eventualhaushalt nicht oder nur zum Teil gefahren wird, in jedem Fall im ordentlichen Haushalt zur Verfügung stehen. Mit dieser Mittelbereitstellung in Höhe von 11 Millionen DM sind wir noch über die Forderung des deutschen Handwerks, das 10 Millionen DM beantragt hat, hinausgegangen. Diese Klarstellung scheint mir notwendig zu sein, um die Diskussion zu versachlichen.
Für uns Freie Demokraten hat es nie einen Zweifel darüber gegeben, daß die unterschiedlichen Formen schulischer und beruflicher Ausbildung keine Aussage über die menschlichen Qualitäten beinhalten können, genausowenig wie die Ausübung der jeweiligen Berufe. In diesem Zusammenhang muß gesehen werden, daß in vielen Fällen Prestigegesichtspunkte, nicht aber Neigungen und Fähigkeiten für den Ausbildungsgang bzw. das Berufsziel maßgebend geworden sind. Man sollte etwas mehr Verständnis für die Sorge in vielen Wirtschaftsbereichen, speziell auch im Handwerk, aus dem ich komme, aufbringen, daß eine mißverstandene Bildungspolitik und eine Konzentration auf bestimmte Ausbildungsgänge nicht nur unerfüllbare berufliche und einkommensmäßige Erwartungen nähren, sondern gleichzeitig in anderen Bereichen Engpässe schaffen, weil es dort dann an einem qualifizierten Nachwuchs fehlt. Der zweite Bildungsweg und gewisse sonstige Möglichkeiten sind jedoch meistens nur mit einem enormen zeitlichen Verlust verbunden, der viele einfach abschreckt.
Wir Freien Demokraten gehören nicht zu denen, die glauben Fehlentwicklungen durch Konservierung bestehender Zustände meistern zu können. Wir setzen uns daher für ein System schulischer und beruflicher Ausbildung ein, bei dem nicht bereits mit dem 10. oder 15. Lebensjahr die beruflichen Möglichkeiten mehr oder weniger endgültig entschieden sind. Die berufliche Bildung und Ausbildung gewinnt nicht dadurch an Attraktivität, daß andere Ausbildungsgänge zahlenmäßig beschränkt sind, sondern nur dadurch, daß sie keine Endstation, sondern Durchgangsstation auch für diejenigen darstellen, die ein weiteres Berufsziel erreichen wollen.
Die gegenwärtige Diskussion ist einseitig von Mangelerscheinungen bestimmt, die es in der Praxis überall gibt. Manchmal hat man den Verdacht, daß der zwangsweise nicht vollkommenen Welt der Praxis die heile Welt der Theorie oder theoretischer Modelle entgegengesetzt wird. Teilweise scheint man auch zu glauben, alle Brücken, selbst die des Altbewährten, abbrechen zu können. Keiner von denen, die in der Praxis stehen, behauptet ernsthaft, daß alle Dinge, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, sich zwangsläufig auch in der Zukunft bewähren müßten. Wer heute auf einem bestimmten Stand fachlichen und theoretischen Könnens und Wissens stehenbleibt, bleibt auf der Strecke. Gerade der Bereich der beruflichen Bildung, der hier speziell angesprochen ist, befindet sich nicht in dem Zustand und auf dem Niveau, wie es an Hand extremer und atypischer Fälle oft dargestellt wird, sondern in einer ständigen Weiterentwicklung.
Die CDU erklärt, die Bundesregierung müsse in stärkerem Maße als bisher darauf hinwirken, „daß die Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes voll wirksam werden". Hier ist die Frage zu stellen, was die CDU unter einer nicht sinngemäßen oder ausreichenden Anwendung oder Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen versteht. Kritik um der Kritik willen hilft uns hier nicht weiter. Wir richten an die Opposition die Frage, was sie unter „voll wirksam werden" des Gesetzes versteht. Wenn sie der Auffassung ist, daß die Institutionen und die für die
Berufsausbildung Verantwortlichen ihre Verpflichtungen und Aufgaben nicht voll nachkommen, dann muß das hier gesagt werden. Wenn dies nicht gemeint ist, müssen Sie uns sagen, was sonst damit gemeint ist.
Die CDU fordert, das jeweilige Verhältnis von Ausbildungsberatern zu den Auszubildenden festzulegen. Der Berufsausschuß auf Bundesebene hat dazu gewisse Vorschläge gemacht, die aber meines Erachtens, wenn man die Dinge in der Praxis sieht, nicht zu realisieren sind. Ich gaube, praxisnah wird sein, daß künftig auf etwa 2000 bis 3000 Auszubildende ein Ausbildungsberater kommen muß. Eine Forderung, wie Sie sie gestellt haben, bleibt wie bei anderen Stellen und Plänen, die nur teilweise ,besetzt bzw. verwirklicht werden können, im wesentlichen Theorie, weil es an geeigneten Personen und an den erforderlichen Mitteln fehlt.
In dem Antrag wird ein Bedarfsplan für überbetriebliche Bildungseinrichtungen für den Zeitraum von 1975 bis 1976 gefordert. Niemand wird sich bei der Forderung nach Zusammenarbeit der Beteiligten einer vernünftigen Vorschau und ähnlichem widersetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur vor einer Verwischung einer klaren Verantwortlichkeit in dem jeweiligen Bereich warnen.
Wir haben heute die gesetzliche Zuständigkeit für die Berufsbildung und die praktische Entwicklung. Wer sie in dieser Form prinzipiell oder partiell für unzureichend hält, sollte entsprechende andere Vorschläge machen. Überbetriebliche Berufsbildungseinrichtungen sind nichts Neues. Es gibt genügend Beispiele für vorbildliche Leistungen auf diesem Gebiet. Ich wäre der Opposition dankbar, wenn sie hier auch einiges dazu sagen würde, wie die Verantwortlichkeiten in Zukunft aussehen sollen. Die Ausführungen zu der Trägerschaft sind nach meiner Auffassung so unbestimmt, daß daraus ein konkretes Bild nicht abgeleitet werden kann.
Wir wären auch für ein klares Wort dankbar, wie die Mitbestimmungsrechte, die indirekt angesprochen sind, aussehen sollen. Meinen Sie damit ein Anhörungsrecht, ein Beratungsrecht oder ein Vetorecht?
Ich darf feststellen, daß es nach unserer Meinung kein theoretisches Modell und auch keine praktischen Versuche gibt, die es rechtfertigen würden, die betriebliche Ausbildung zu beseitigen und prinzipiell durch ein anderes System oder mehrere Systeme zu ersetzen. Wir sehen die betriebliche und schulische Ausbildung nach wie vor als gleichwertige Faktoren beruflicher Ausbildung an.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine kurze Bemerkung zum Nachwuchs machen. Ohne Nachwuchs im gewerblichen Bereich, speziell im handwerklichen und Dienstleistungsbereich, wird unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung Schaden erleiden, weil sonst eine qualitativ hochstehende und quantitativ ausreichende Versorgung mit Gütern und Leistungen nicht in dem erforderlichen Umfang gewährleistet ist. Den Schaden hätten nur die Verbraucher, d. h. wir alle. Für die Wirtschaft
ist es nicht nur entscheidend, daß die Berufsausübung einen weiteren beruflichen Durchstieg ermöglicht, sondern auch, daß die Chance zur Gründung und Erhaltung einer lohnenden selbständigen Existenz gewahrt bleibt. Auch dies muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Berufe, die keine dieser beiden Chancen, Durchstieg und Selbständigkeit, mehr bieten, verlieren ihre Anziehungskraft, auch dann, wenn an entsprechenden Leistungen noch ein großer Bedarf vorhanden ist. Es gibt gesellsch aftspolitische Zusammenhänge, die nicht immer mit der nötigen Konsequenz gesehen werden, weil Großunternehmen einen starken Sog ausüben und auch die wirtschaftliche Konzentration in manchen Branchen eine gewisse Resignation verbreitet. Eine qualifizierte schulische und fachliche Ausbildung ist aber auch für die Zukunft das beste Marschgepäck, das dem jungen Menschen für seine berufliche Entwicklung und bei entsprechender Qualität der Erziehung auch für seine menschliche Entwicklung mit auf den Weg gegeben werden kann.
Wir Freien Demokraten werden bei der Beratung im Ausschuß die aufgeworfenen Fragen prüfen, insbesondere dort, wo sie uns noch zu unbestimmt und zu wenig konkret gestellt sind.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Lampersbach.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bereits am 5. November 1970 ihr sogenanntes Aktionsprogramm für die berufliche Bildung vorgelegt. Herr Minister Arendt, ich bedauere außerordentlich, daß Sie hier stellvertretend und sehr alleingelassen sowohl von Ihrem Kanzler als auch von dem nicht mehr vorhandenen Wissenschaftsminister diese Debatte durchstehen müssen.
({0})
Herr Raffert, daß Ihnen das weh tut, ist mir klar. Aber hier dreht es sich ja nicht darum, daß wir vor einem nur mäßig besetzten Haus eine Debatte führen, um die Zeit auszufüllen, sondern darum, daß wir hier mit der Regierung über ihr Aktionsprogramm und über unsere Vorstellungen, die Herr Dr. Martin heute für die Fraktion der CDU/CSU vorgetragen hat, diskutieren wollen. Das ist doch der Sinn dieser Beratung.
({1})
Wir könnten es uns alle erleichtern, indem jeder von uns kluge Artikel schreibt, die dann vielleicht abgeschrieben werden - oder auch nicht - und gelesen werden können. Hier geht es doch darum, daß der Bundesminister Arendt ganz allein im Saal sitzt, während seine Ministerkollegen nicht anwesend sind, während sein Bundeskanzler, der für die verfehlte Politik verantwortlich ist, nicht da ist und ihn deckt.
({2})
- Herr Kollege Wehner, Sie können sich ja melden und können hier oben sprechen. Es würde sicher sehr interessant sein, zu hören, was Sie hier sagen.
({3})
- Dabei sind wir. ({4})
- Ihre Zwischenrufe hindern doch, Herr Wehner, daß wir schneller vorankommen.
({5})
- Versuchen Sie mal, schön ruhig zuzuhören, Herr Wehner!
({6})
- Ja natürlich, das tut weh. Das ist ein alter Hut, das ist schon gelaufen.
Meine Damen und Herren, es bleibt auf diesem Gebiet wie auf vielen anderen bei ständigen Deklamationen und Ankündigungen der Regierung. Die Realisierung der in die Ankündigung gesetzten Erwartungen bleibt jedoch fragwürdig. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat diesen Eindruck soeben leider nicht entkräften können. Durch Ihre Rede, Herr Minister Arendt, ist der negative Eindruck, den wir haben, noch verstärkt worden.
Dagegen haben wir Ihnen heute ein Programm vorgelegt, das nach unserer Auffassung realisierbar ist, das die Chancengleichheit, die so oft gefordert wird, herstellt und bei den bewährten Grundsätzen und Notwendigkeiten bleibt. Wir treten deshalb, meine Damen und Herren, für die Erhaltung und die Entwicklung des dualen Systems in der beruflichen Bildung ein, die auf zwei Säulen ruht, dem Betrieb auf der einen und der Berufsschule auf der anderen Seite. Diese beiden Bereiche müssen zur Erzielung eines höchstmöglichen Erfolges in der Ausbildung eng zusammenarbeiten. Dem Auszubildenden werden so einerseits die berufliche Praxis und das tatsächliche Betriebsgeschehen, andererseits aber auch das theoretische Grundwissen, das zum Verständnis der betrieblichen Vorgänge unerläßlich ist, nahegebracht. Die ständig mit verschiedener Motivation gegen das bisherige Ausbildungssystem vorgetragenen Angriffe nehmen einzelne Mängel
- die nicht bestritten werden zum Anlaß, sie zu
verallgemeinern, um das jetzige Ausbildungssystem abzuschaffen.
Hierzu muß jedoch mit aller Klarheit folgendes festgestellt werden: Das duale System, um das uns viele Länder beneiden, ist sehr, sehr viel besser als sein Ruf. Ich frage Sie daher: Warum überlegen es sich andere Länder z. B. Frankreich oder die USA -, Ausbildungsmodelle der in der Bundesrepublik praktizierten Ausbildung zu übernehmen? Für eine vernünftige, berufsbezogene Ausbildung ist es geradezu unerläßlich, daß die Auszubildenden zumindest einen überwiegenden Teil der gesamten Ausbildung im betrieblichen Bereich absolvieren,
nämlich in dem Bereich, in dem sie später auch ihrem Beruf nachkommen müssen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wurbs?
Herr Kollege Lampersbach, wenn Sie unser Berufsbildungssystem hier so loben und als Vorbild für andere Staaten hinstellen, dann verstehe ich Ihre Kritik nicht.
Herr Wurbs, ich habe Ihre Frage wirklich nicht verstanden, und zwar nicht etwa akustisch nicht, sondern dem Inhalt nach nicht. Eigentlich schade! Wir beide verstehen uns sonst so ausgezeichnet.
({0}) Ja, Herr Raffert, das tut Ihnen richtig leid.
Bleiben wir bei der Sache! Nur in den Betrieben ist die Gewähr gegeben, daß die jungen Menschen ihren zukünftigen Arbeitsplatz richtig erlernen und begreifen können. Auf Grund dieser Erfahrungen erscheint es unabdingbar notwendig, daß Fachleute der Wirtschaft auch in Zukunft an allen bildungspolitischen Entscheidungen beteiligt werden.
Ich frage Sie, Herr Minister Arendt: Was wäre denn in der Vergangenheit geschehen, wenn sich die Wirtschaft nicht selber so stark engagiert und Milliardenbeträge für die Ausbildung junger Menschen bereitgestellt und ausgegeben hätte?
({1})
In der Vergangenheit sind auf dem Gebiet der Ausbildung allein für die Ausgestaltung von Plätzen in Lehrwerkstätten 6,4 Milliarden DM aufgebracht worden. Die laufenden Kosten der Lehrlingsausbildung belaufen sich zur Zeit auf jährlich schätzungsweise 600 bis 700 Millionen DM. Die Zahlen beweisen doch, meine Damen und Herren, welche enormen Anstrengungen die Wirtschaft unternimmt und welche große Bedeutung sie der beruflichen Ausbildung und Bildung zumißt.
Herr Raffert, Sie fragten: Warum macht die Wirtschaft das? Das ist doch völlig klar. Aber die gleiche Frage kann ich zurückgeben: Warum machen wir Gesetze? Nicht um uns hier selbst zu befriedigen, sondern um bessere Voraussetzungen für die Menschen draußen zu schaffen. Das ist die Frage, die uns bei diesem Punkt der beruflichen Bildung und Ausbildung interessieren muß. Die Wirtschaft ist selbstverständlich verpflichtet, für den Nachwuchs die Mittel bereitzustellen, die erforderlich sind, damit diese Wirtschaft auch nachher laufen kann.
ich frage Sie aber, meine Damen und Herren von der Koalition: Wenn man schon das duale System durch ein Vollzeitschulsystem ablösen will, wie soll es dann aussehen? Wie soll die Praxis, soll der Betriebsablauf dem jungen Menschen klargemacht werden, der aus dem Betrieb herausgelöst in einer total verschulten Berufsausbildung zwar eine Fülle theoretischen Grundwissens lernt, aber hinterher, wenn er in das Berufsleben eintritt, die in
der Praxis nicht erfolgte Ausbildung im Prinzip nachvollziehen muß?
Es ist auch interessant, wenn man sich einmal den Bereich der Hochschulausbildung vor Augen führt, wo gerade der umgekehrte Weg der Ausbildung eingeschlagen wird. Dort will man in vielen Bereichen - ich denke z. B. an die juristische Fakultät - eben eine betriebsnähere oder lebensnähere Ausbildung, praxisbezogen also, durchführen. Das System, mit dem wir jahrelang gearbeitet haben, ist also richtig und ermöglicht bei einer systemgerechten Weiterentwicklung die größtmöglichen Erfolge, um das Können und die Fähigkeiten der Auszubildenden anzuheben und zu steigern.
Darüber hinaus richte ich an die Bundesregierung die Frage: Wie soll denn eine Verschulung überhaupt durchgeführt werden? Die derzeitige Situation an den Berufsschulen zeigt doch schon heute, daß eine Verwirklichung sowohl aus personellen, sachlichen, fachlichen wie auch aus finanziellen Gründen nicht möglich ist. Das ist eine reine Illusion. Auch hier ist die Forderung der Bundesregierung eine reine Deklamation. Der Plan, von Herrn Dr. Martin vorgelegt, ist hier realistischer. Das Sofortprogramm meiner Fraktion zur Verbesserung der beruflichen Bildung geht gegenüber dem Programm der Regierung von vorhandenen Realitäten aus, indem es eine abgewogene Konzeption für die Ausbildung sowohl im Betrieb als auch in der Schule fordert und der überbetrieblichen Ausbildung den ihr gebührenden Rang einräumt. Diese überbetriebliche Ausbildung darf und soll nach dem Sofortprogramm nicht die betriebliche Ausbildung ersetzen, sondern diese ergänzen und vertiefen. Sie darf jedoch nicht in eine Vollzeitschulausbildung ausarten, da diese, wie ich bereits dargestellt habe, zuwenig oder überhaupt nicht praxisbezogen ist und zu betriebsfern durchgeführt wird. Eine solche auf rein theoretischer Grundlage aufgebaute Ausbildung hat nach meiner Auffassung die untragbare Folge, daß bei Eintritt in das Wirtschaftsleben, in den Beruf, die praktische Lehrzeit nachgeholt werden müßte.
Daher befürworten wir von unserer Fraktion als ergänzende Maßnahmen zum bisherigen Ausbildungssystem die Blockausbildung in überbetrieblichen Ausbildungsstätten. Wir wissen von dem Kollegen Schulhoff, der heute leider nicht hier sein kann, weil er erkrankt ist, ,daß vom Zentralverband des deutschen Handwerks, von der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, vom Deutschen Industrie- und Handelstag, um hier nur einige Einrichtungen aus der Wirtschaft zu nennen, welch hohe Bedeutung gerade dieser überbetrieblichen Ausbildung als Blockausbildung beigemessen wird.
Meine Damen und Herren, hiermit steht allerdings die Frage nach den Ausbildern in engem Zusammenhang. Wir wissen ganz genau und sind uns hoffentlich darüber einig: wenn wir diese Frage nach den Ausbildern nicht in jeder Beziehung vernünftig lösen können, wird die Effizienz der Ausbildung, auch der überbetrieblichen Ausbildung, in Frage gestellt sein. Es ist daher nach meiner Auffassung erforderlich, daß ein stufenweiser Aufbau dieser Einrichtungen Hand in Hand mit der Einrichtung
von Ausbildungsplätzen und der Heranbildung einer entsprechenden Anzahl Ausbilder vor sich geht.
Hinsichtlich der Ausbilder möchte ich aber doch folgendes hinzufügen. Bei den auf Grund des Berufsbildungsgesetzes aufzustellenden Ausbildungsverordnungen muß darauf geachtet werden, daß diese Verordnungen nicht an den betrieblichen Notwendigkeiten vorbei konzipiert werden. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang z. B. die Verordnungen über die Qualifikation der Ausbilder und der Ausbildungsbetriebe, die selbstverständlich zu einer Verbesserung der Ausbildung führen sollen und müssen, die aber nicht dazu führen dürfen, daß plötzlich eine Vielzahl von Betrieben nicht mehr als Ausbildungsbetriebe in Betracht kommen kann.
Bei der Erweiterung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten stellt sich allerdings auch die Frage ihrer Finanzierung. Herr Kollege Wurbs hat diese Frage vorhin hier mit angeschnitten, und das ist ganz selbstverständlich. Herr Kollege Wurbs, wenn Sie heute morgen meinem Kollegen Dr. Martin zugehört hätten: er ist auf diese Frage speziell eingegangen und hat auch in einem Stufenplan dargelegt, wie die Finanzierung mit einer 20 %igen Selbstbeteiligung sowohl der Betriebe, der Wirtschaft als auch der öffentlichen Hand durchgeführt werden kann. Wir kennen die Problematik aus der Vergangenheit und machen uns hier in keiner Weise irgendwelche Illusionen. Wir wissen um die großen Schwierigkeiten der Mittelaufbringung, die wir insgesamt haben, die insbesondere diese Regierung hat.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat auch dazu heute leider geschwiegen. Herr Minister, ich habe Ausführungen zur Finanzierung mit Bedauern vermißt; ich kann mich leider nicht des Eindrucks erwehren, daß auch bei Ihrem Aktionsprogramm für berufliche Bildung wie bei so vielen anderen Reformen Ankündigungen gemacht worden sind, die draußen gut ankommen, weil sie jeder wünscht, weil sie jeder haben möchte, bei denen aber die Realisierung von vornherein in Frage gestellt ist, weil nämlich die wichtige und wesentliche Frage, woher das Geld kommt und in welcher Größenordnung es aufgebracht werden kann, nicht beantwortet wird.
({2})
Illusionen, Illusionen, meine Damen und Herren! Wer die Chancengleichheit der beruflich Auszubildenden mit den Schülern und Studenten wieder und wieder postuliert, kann sich schwerlich der finanziellen Aussage entziehen. Der derzeitige Finanzierungsplan in der mittelfristigen Finanzplanung sieht für das Jahr 1974 für die dann 600 000 Studenten Mittel in Höhe von ca. 8,3 Milliarden DM vor; Sie haben diese Mittel ja auch schon gekürzt. Im gleichen Jahr 1974 sollen jedoch für die 1,3 Millionen Auszubildenden die Mittel des Bundes für die berufsbegleitende Bildung wie für Handwerk, Handel und sonstige mittelständische Gewerbe insgesamt 45 Millionen DM betragen. Ich würde sagen, hier ist eine ganz erhebliche Disparität. Meine DaLampersbach
men und Herren, Herr Kollege Wurbs, Sie sollten sich auch einmal im Kammerwesen mit der Regierung darüber sehr ernsthaft unterhalten. Herr Minister Arendt, ich frage Sie: Glauben Sie tatsächlich, daß diese Mittel für 1,3 Millionen Auszubildende ausreichend sind, um den Effekt, den Sie hier ankündigen, zu erreichen? Ich bezweifle das außerordentlich. Auch die Mittelstandsdebatte hat gezeigt, daß hier bei der Bundesregierung ein wunder Punkt ist. In diesem Zusammenhang kann ich nur noch einmal bedauern, daß Sie heute allein auf der Regierungsbank sitzen.
({3})
Ich möchte zusammenfassend feststellen: die kontinuierliche Anpassung der Berufsbildung an die Erfordernisse ,der Zukunft erfordert nicht nur die Entwicklung neuer Gedanken und Konzeptionen, wie sie nunmehr heute von der CDU/CSU vorgelegt worden sind, sie erfordert auch die Bereitschaft zu wesentlich höheren Förderungsmitteln. Der bisher als Stiefkind behandelten beruflichen Bildung müssen im Rahmen der staatlichen Förderung endlich gleiche Chancen wie der Schul- und Hochschulausbildung eingeräumt werden. Allerdings möchte ich nochmals betonen, daß einseitig an der gehobenen Allgemeinbildung orientierte Bildungsprogramme nicht die Probleme lösen helfen. Solche Planungen sind nicht nur kostspielige Fehlinvestitionen, sondern können eines Tages auch zu ernsten arbeitsmarkt- und wachstumspolitischen Problemen werden sowie gesellschaftspolitische Konflikte heraufbeschwören.
({4})
- Aber Herr Kollege Dr. Nölling, wir beide kennen uns doch so gut. Ich bin über Ihren Zwischenruf wirklich enttäuscht, ich hatte etwas mehr erwartet. Na ja, es ist Freitag, man wird müde, der Denkvorgang klappt nicht mehr so ganz. Ich habe dafür durchaus Verständnis.
Meine Damen und Herren, was erwarten denn .Jugendliche, wenn sie in das Arbeitsleben eintreten? Sie wollen im Arbeitsleben bestehen können.
({5})
Dieses Ziel kann man jedoch nicht mit der Weckung von Neidkomplexen erreichen. Das möchte ich sehr deutlich sagen.
({6})
- Ich würde das an Ihrer Stelle nicht so abwertend sagen. Es ist Mode geworden, auf Lehrlingskongressen und in Massenmedien der Öffentlichkeit ein Bild darzustellen, das die berufliche Ausbildung in den Zustand des finstersten Mittelalters zurückversetzt. Man mag mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, daß Ausbildung mit Lernen verbunden ist. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen: Müssen wir uns als Abgeordnete nicht auch täglich einem Lernprozeß unterziehen, wenn wir unserer Aufgabe gerecht werden wollen?
({7})
- Sie ja nicht mehr, Herr Wehner, Sie haben das ja früher schon gekonnt.
({8})
Und müssen wir uns nicht auch täglich, ob uns das paßt oder nicht, disziplinieren - mit Ausnahme des Kollegen Wehner natürlich; der hat das nicht nötig -,
({9})
wenn wir nicht in einer selbstgewählten Ordnung verharren, sondern zu Erfolgen kommen wollen?!
Das von der CDU/CSU vorgelegte Aktionsprogramm weist hier einen Weg. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, nicht länger in Deklamationen über Programme aufhalten, die nicht realisierbar sind,
({10})
sondern sollten darangehen, in ernsthafter Arbeit das Problem zu lösen, das sicherlich vom ganzen Haus als Problem anerkannt ist, nämlich das Problem einer verbesserten Ausbildung der jungen Menschen für den Beruf.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engholm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Martin hatte heute morgen den, wie ich finde, wenig ehrenvollen Auftrag der Oppositionsparteien, der Regierung wieder einmal ein bißchen Arsen in den Kaffee zu schütten.
({0})
Und ich meine, wenn man sich hier anguckt, mit welch einer Unverfrorenheit und mit welch einem Mangel an profunder Sachkenntnis und Information hier heute morgen der Regierung wieder Unterstellungen gemacht worden sind, dann entsinne ich mich, Herr Dr. Martin, eines Buches, das Sie sicherlich auch kennen, des nicht ganz unberühmten Wissenschaftlers Walter Badgehot, der einmal gesagt hat, das Parlament müsse eine „teaching function" haben, d. h. eine Lehrmeisterfunktion. Was Sie heute morgen geboten haben, hat Walter Badgehot in seinem Katalog nicht drin, nämlich die Abschrekkungsfunktion, die die Opposition in diesem Parlament ausübt.
({1})
- Herr Reddemann, das, was Sie hier sagen, sagen
Sie doch besser im „Greinischen Merkur". Zum zwei9572
ten wollte ich angesichts der Unterstellungen, die Sie der Regierung zur Bildungspolitik gemacht haben, und angesichts der Art, wie Sie sie aufbereitet haben, Ihnen doch einmal, meine Damen und Herren von der Opposition, die Frage stellen: Wo sitzen denn eigentlich die Bremser? Sie wissen doch im Ernst besser als wir, daß die in Schleswig-Holstein, in Bayern und in den Bundesländern sitzen, in denen christ-demokratische Kultusminister die Bildungspolitik bestimmen.
({2})
Sie wissen auch ganz genau, wie die Bildungspolitik der christ-demokratischen Kultusminister aussieht. Sie sieht genau so aus, daß diese Kultusminister - wie der Herr Braun in Schleswig-Holstein - drei Schritte zurück machen und dann als Alibi einen Schritt vorwärts. Ich meine, wenn man eine solche Politik als Bildungspolitik bezeichnen will und jeder genau weiß, wo die Leute sitzen, die Reformen verhindern, dann scheint mir das, was Sie heute morgen getan haben, nicht ganz vernünftig zu sein.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Martin?
Bitte schön.
Erinnern Sie sich an das Protokoll der SPD, in dem von Ihren eigenen Leuten gesagt worden ist, daß das, was Sie als Bildungspolitik in der Bundesrepublik vortragen, utopisch und nicht realisierbar ist? Haben Sie davon Kenntnis genommen, daß die Finanzminister, vorwiegend Ihre eigenen,
({0})
sagen, daß diese utopischen Pläne nicht realisierbar sind?
({1})
- Herr Wehner, eines bin ich auf alle Fälle nicht: ich bin nicht aufgeregt, sondern ich rede zur Sache, im Unterschied zu Ihnen.
({2})
Nun ist das schwierig zu ordnen, ob dies eine parlamentarische Frage an den Redner war, oder ob dies mehr ein „statement” eines CDU-Bildungspolitikers war. Ich kann das nicht genau trennen. Ich will nur sagen, daß ich aufmerksam den Zwischenbericht der Bund-Länder-Kommission und auch die Ausführungen gelesen habe, die dort mit Zustimmung von CDU-Leuten zur Reform der beruflichen Bildung - etwa im Rahmen der Sekundarstufe II - gemacht worden sind. Ich muß sagen, Herr Dr. Martin, daß Sie mit Ihrem Antrag weit hinter dem zurückbleiben, was Ihre Kollegen in den Ländern machen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Raffert?
Herr Kollege Engholm, sind Sie bereit, Herrn Kollegen Dr. Martin daran zu erinnern, daß er am Montag Gelegenheit hatte, den Sprecher der Finanzminister zu dieser Frage zu hören, der dort gesagt hat, dieses Programm sei zu finanzieren, und daß er dem bei dieser Gelegenheit nicht widersprochen hat?
Ich bin gern bereit, dieser Bitte nachzukommen, Herr Kollege.
({0})
- Ich darf bitten, dies dann die letzte Zwischenfrage sein zu lassen, weil ich gern etwas zur beruflichen Bildung sagen wollte.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Martin.
Sind Sie bereit, auf folgende Frage zu antworten? Ich habe Herrn Arndt gefragt, ob es beim Wachstum von 4,5 %, was er voraussetzt, bleibt und ob das möglich ist. Das war seine Prämisse. Die Finanzminister haben in ihrer Sitzung gesagt, daß diese Voraussetzung falsch und optimistisch ist. Damit bricht das zusammen, was Herr Raffert gesagt hat.
Dies ist doch nicht das Problem der Bildungsdebatte, die wir zu führen haben. Das Grundproblem existiert doch darin, daß wir eine geschlossene Bildungskonzeption dieser Gesellschaft vorlegen. Was Ihr Antrag deutlich macht - um damit auf Ihre Frage einzugehen -, ist doch die Tatsache, daß Sie über kein Bildungsgesamtkonzept verfügen.
({0})
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren - Herr Gölter, hören Sie gut zu -, daß Sie wieder einmal - das ist nicht das erste Mal in diesem Hause - den bildungspolitischen Berg ein bißchen haben kreißen lassen, und herausgekommen ist wider ein Mäuschen, das völlig zu Unrecht den Namen Berufsbildungsreform trägt. Das Grundproblem Ihres Papiers existiert darin, daß Sie an den Problemen, die uns hier zu beschäftigen haben, vorbeigehen. Es ist großartig, die Offenheit zu sehen, mit der Sie die Frage der Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung in dieser Gesellschaft verschweigen. Ihr Papier weist keinen Weg, wie wir die große Kluft, die diskriminierende Kluft zwischen der allgemeinen
und der beruflichen Bildung beseitigen können. Dies eben ist das Ziel.
({1})
Lassen Sie mich in wenigen Worten sagen, von welcher Situation wir heute auszugehen haben.
Zunächst einmal sind wir sicherlich darin einig, daß die Berufsbildung heute keine öffentliche und keine öffentlich kontrollierte Aufgabe ist. Sie ist de facto eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Wirtschaft, im Gegensatz zur allgemeinen Bildung, und dies muß stufenweise reformiert werden.
({2})
Das zweite, was für die Berufsbildung nicht zuträglich ist, ist die Tatsache, daß bei uns allein die Betriebe bestimmen, ob überhaupt Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, wie viele zur Verfügung gestellt werden und welcher Qualität diese Ausbildungsplätze sind.
({3})
Das heißt, rund 1,5 Millionen junger Leute sind auf das Wohlwollen der Wirtschaft angewiesen, ob sie einen Platz kriegen und wie gut dieser Platz ist. Das werden wir in dieser Form ebenfalls zu beseitigen haben.
({4})
Das dritte Markante an der Situation: Die Durchführung der Ausbildung in den Betrieben richtet sich bis zum heutigen Tage eben nicht nach pädagogischen Erfordernissen, also nach bildungspolitipolitischen Gesichtspunkten. Sie richtet sich nach den aktuellen Erfordernissen des jeweiligen Produktionsprozesses. Das heißt, die Interessen der Jugend für die Zukunft, ihre Stellung in der Gesellschaft werden von dem abhängig gemacht, was der Betrieb zur Zeit gerade von ihnen verlangt, von den Erfordernissen seiner Produktion. Auch das ist nicht in Ordnung.
Zum letzten - ich habe dies bereits gesagt -: Uns fehlt der Weg zur Verknüpfung und Verzahnung der beruflichen mit der allgemeinen Bildung, damit es ein Optimum an Chancengleichheit, an Durchlässigkeit und damit an Bildungsaufstieg auch für die bisher benachteiligten Auszubildenden gibt.
Deswegen will ich sehr kurz sagen, worüber wir bei der Beratung Ihres Antrags sehr konkret, mit Fakten und nicht nur mit Floskeln auf dem Papier, zu reden haben werden und was wir - wenn Sie wollen, gemeinsam - tun können.
({5})
Zunächst einmal sollten wir darangehen - und die Regierung hat dies bereits auf den Weg gebracht -, eine umfassende Reform der Ausbildungsordnungen in dieser Gesellschaft auf die Beine zu stellen, und das heißt: die Ausbildungsordnungen, die wir heute haben, zu konzentrieren, sie zu stufen, ihre Dauer zu überprüfen und eine ganze Reihe von anderen Reformen in sie hineinzubringen.
({6})
Wir brauchen zum zweiten die Einführung des Berufsgrundschuljahres und seine volle Anrechnung auf die Ausbildung.
Wir brauchen zum dritten - und in dieser Frage wenigstens werden wir einig sein können - eine Abstimmung der Ausbildungsordnungsreform mit den Lehrplänen der jeweiligen Länder, damit beides sich verhakt. Dies ist einer der wenigen Punkte, wo wir vielleicht gemeinsam arbeiten können.
({7})
Etwas, wozu Sie so gut wie nichts gesagt haben, ist die Frage der Berufsberatung, die Frage: wie zeigen wir jungen Menschen langfristig schon durch die Struktur ihrer ersten Ausbildungsphase, welchen Beruf sie wählen sollen, was zu ihren Neigungen und Fähigkeiten paßt? Es geht um die Frage der Einführung einer Berufskunde, einer Berufswahlkunde, und wesentlich um die Fortbildung der Berufsberater.
({8})
Der letzte Punkt, über den wir sehr arg werden streiten müssen, ist die Qualifikation der Ausbilder. Sie haben nicht gesagt, woher Sie mehr Ausbilder nehmen wollen, wie Sie sie ausbilden wollen und welche Stellung diese Ausbilder im Betrieb haben werden.
({9})
Sollen sie genauso abhängig sein wie die Lehrlinge oder nicht?
({10})
- Wir werden bei der Beratung konkrete Vorstellungen unterbreiten, wie man so etwas machen kann.
({11})
- Das ist doch nur die erste Runde! Was wollen Sie? Sie haben doch im Grunde genommen den politischen Schlagabtausch gesucht und können ihn bekommen.
({12})
Und dann will ich Ihnen sagen, daß das, was Sie in Ihrem Papier völlig verschwiegen haben, das Hauptproblem unserer Reformpolitik und der Reformpolitik dieser Regierung
({13})
sein wird. Das ist die Frage der Einrichtung überbetrieblicher Lehrwerkstätten oder überhaupt der Konzipierung einer überbetrieblichen Berufsausbildung. Wir glauben, daß die Überbetrieblichkeit der Berufsausbildung nicht etwa, wie Sie es gesagt haben, zum Wohle der Wirtschaft da ist, sondern daß sie ein Instrument zur Verbesserung der Chancen der jungen Generation ist.
({14})
Deshalb werden wir diese Überbetrieblichkeit, die Sie in Ihr Papier auch aufgenommen haben, nicht als dritte Säule in einem ohnehin schon zweisäuligen System haben wollen; wir wollen aus der Dualität keine Tripolarität machen. Wir wollen die Überbetrieblichkeit dazu benutzen, das zu koppeln, was heute getrennt ist, nämlich die allgemeine und die berufliche Bildung.
Und dann werden wir Ihnen sehr ernsthaft die Frage stellen müssen, ob der Status der Gemeinnützigkeit überbetrieblicher Lehrwerkstätten allein ausreicht. Mein Verdacht geht dahin, daß Sie diesen Gemeinnützigkeitsstatus nur deshalb gewählt haben, weil Sie den industriellen Trägern Steuervorteile verschaffen wollen.
({15})
Das reicht mir bei weitem nicht. Ich meine, wir müssen uns darüber unterhalten, daß gemeinnützige Träger mit Sicherheit nicht zugleich Gewinne machen dürfen, daß in diesen Einrichtungen eine demokratische Willensbildungsstruktur vorhanden sein muß - das heißt: Beteiligung der Lehrkräfte und der Lehrlinge - und daß wir zum dritten darauf zu achten haben, daß diese Einrichtungen eben nicht überwiegend spezifischen Unternehmenszwecken dienen sollen.
({16})
Das ist etwa das Programm, über das wir mit Ihnen bei der Beratung Ihres Antrages reden können.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen. Sie haben in Ihrem Papier, besonders in der Begründung, mehrfach gesagt, daß Ihre Vorstellungen - speziell bezüglich der überbetrieblichen Einrichtungen für die kleinen und mittleren Betriebe - der Industrie, der Wirtschaft dienen sollen.
({17})
Der Unterschied zwischen Ihnen und uns besteht eindeutig darin, daß wir sagen: wenn wir Reformpolitik auf dem Gebiete der Berufsausbildung machen, dann tun wir das für die heranwachsende, für die junge Generation, damit sie morgen ihre Chancen in dieser Gesellschaft mit aller Sicherheit wahrnehmen kann. Und ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Erst wenn das Wohl der Wirtschaft in dieser Gesellschaft mit dem Wohl der Arbeitnehmer und damit auch mit dem der Auszubildenden identisch sein wird,
({18})
haben wir das, was wir als humane Gesellschaft bezeichnen.
({19})
Daß Sie sich bis zum heutigen Tage nicht genügend daran beteiligt haben, diesen Weg zu gehen,
({20})
brauche ich nicht hervorzuheben.
({21})
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Engholm hat seine Jungfernrede gehalten. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Als nächster hat Herr Abgeordneter Müller ({1}) das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich Ihnen, Herr Kollege Engholm, zunächst sagen: wir haben - vielleicht war das ein Versprecher von Ihnen - kein umfassendes Berufsbildungsreformprogramm vorgelegt, sondern wir haben ein Sofortprogramm zur Verbesserung der beruflichen Bildung vorgelegt, wobei wir uns darüber klar sind, daß eine umfassende Verbesserung, eine umfassende Reform des gesamten Berufsbildungswesens dann notwendig sein wird, wenn die Kommission zur Frage der Finanzierung konkrete Ergebnisse vorgelegt hat.
Ich möchte Ihnen als zweites gerade zu Ihrem letzten Satz, den Sie glaubten sagen zu müssen, daß nämlich unsere Vorstellungen nur von den Bedürfnissen der Industrie und des Handwerks ausgingen, sagen: ich darf Sie vielleicht bitten, einmal unseren Antrag zur Hand zu nehmen. Dort ist nach dem einleitenden Absatz als erstes Ziel, als erste Forderung an die Bundesregierung folgendes zu lesen:
die Chancengleichheit innerhalb der beruflichen Bildung und im Verhältnis zur allgemeinen Bildung zu verbessern.
Wenn Sie das lesen, können Sie einen solchen Vorwurf meines Erachtens nicht aufrechterhalten.
Ich möchte eine dritte Vorbemerkung machen. Ich glaube, im Interesse der jungen Menschen, um die sich die Reform des beruflichen Bildungswesens dreht, sollte die Problematik möglichst breit - sowohl hier im Parlament als auch draußen - innerhalb unserer Gesellschaft diskutiert werden. Es handelt sich hier nicht um eine Problematik, bei der man unter allen Umständen auf Konfrontationskurs zu gehen hat. Es geht vielmehr darum, eine möglichst breite Übereinstimmung zu finden.
Ich möchte hier Herrn Professor Rosenthal, den Leiter des Instituts für Berufsbildungsforschung zitieren. Er hat in seiner Einführungsrede, als das Institut errichtet wurde, von dem beruflichen Bildungswesen unter dem Einfluß dreier Kraftfelder gesprochen.
Das erste Kraftfeld ist die Berufsbildungspolitik: Dort werden die Normen gesetzt, Zielsetzungen gegeben und Werturteile gebildet.
Das zweite Kraftfeld ist die Berufsbildungspraxis. Die Forschung im Rahmen dieser Berufsbildungspraxis hat die Aufgabe, Unterrichtsmittel für das betriebliche Ausbildungswesen und für das berufliche Schulwesen zu entwickeln. Er nennt als drittes Kraftfeld die Berufsbildungsforschung, die ja durch das neu errichtete Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin wahrgenommen wird.
Müller ({0})
Nun hat der Bundesarbeitsminister davon gesprochen, daß die berufliche Bildung jetzt erstmalig als Teil der Bildung ganz allgemein angesehen werde. Herr Bundesarbeitsminister, ich hatte eigentlich nicht vor, nachzukarten. Wenn Sie aber einmal das Protokoll über die Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Arbeit und des Ausschusses für Jugend und Familie in Berlin vom Juni 1967 zur Hand nehmen, werden Sie feststellen, daß ich am Schluß dieser Sachverständigenanhörung als damaliger Ausschußvorsitzender gesagt habe:
Die Berufsausbildung kann nicht aus ihrem Zusammenhang getrennt gesehen werden. Sie ist ein Teil der Bildung ganz allgemein.
Wir hatten damals auch gesagt, daß durch ein Berufsbildungsgesetz nicht ein unzureichender Zustand zementiert werden dürfe und man daher nicht den Versuch einer perfektionierten Regelung machen sollte. Man sollte den großzügigen Rahmen abstecken, damit die Entwicklung der Berufsbildung nicht gehemmt werde. Man sollte entscheidende Gremien schaffen, die in der Entwicklung und bei der Erforschung der Berufsausbildung Motor sein könnten. Das haben wir versucht, meine Damen und Herren. In der vergangenen Legislaturperiode ist am 30. August 1966 ein Gesetzentwurf der SPD vorgelegt worden, der wie folgt überschrieben war: „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik ({1})". Ein Teil dieser Vorlage sollte Berufsbildungsgesetz sein. Am 25. Oktober 1966 wurde dann der Entwurf der damaligen Kleinen Koalition von CDU/CSU und FDP vorgelegt. Diese beiden Entwürfe standen bei der von mir zitierten Sachverständigenanhörung zur Debatte. Ich sage das jetzt, damit hier nicht etwa Prioritätsansprüche geltend gemacht werden. Ich möchte objektiverweise auch sagen, daß die meisten Sachverständigen 1967 erklärt haben, daß beide Entwürfe - sowohl der Entwurf der damaligen Opposition, der SPD, als auch der Entwurf der Kleinen Koalition - im Prinzip unzureichend sind. Deshalb wurde nach vielen Gesprächen, die ich mit den Staatssekretären der zuständigen Ministerien geführt habe, dann eine Formulierungshilfe erstellt. Dafür bin ich Herrn Minister Katzer und auch - in der Zwischenzeit hatten sich die politischen Verhältnisse geändert; wir hatten die Große Koalition - Herrn Minister Schiller noch heute dankbar, weil so die Grundlage für die Arbeit des Ausschusses gelegt wurde. Der Ausschuß hat dann in monatelangen intensiven Beratungen in gemeinsamer Arbeit 1969 das Berufsbildungsgesetz geschaffen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kohlberger?
Bitte!
Herr Kollege Müller, waren Sie 1969 nicht auch der Meinung, daß es mit dem Berufsbildungsgesetz nicht so schnell zu gehen brauche, und haben Sie als Ausschußvorsitzender die
Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes, des Arbeitsmarktanpassungsgesetzes nicht um über ein Jahr verzögert?
({0})
Herr Kollege Kohlberger, ich darf Sie vieleicht daran erinnern, daß die Arbeitsmarktsituation in unserem Lande in der Zwischenzeit etwas anders geworden war und dann das Arbeitsförderungsgesetz als Mittel einer aktiven Arbeitsmarktpolitik absoluten Vorrang hatte. Ich will Ihnen aber auch noch etwas anderes sagen: Im nachhinein darf man sicher froh darüber sein, daß wir dieses Gesetz erst 1969 verabschiedet haben. Wenn wir auf der Basis der damals vorliegenden Entwürfe beraten hätten, wäre dieses Gesetz von 1969, glaube ich, nicht so zustande gekommen, wie wir es in der Großen Koalition erreicht haben. Ich meine, auf das, was wir gemeinsam erarbeitet haben, sollten wir auch heute noch gemeinsam stolz sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0})?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller, darf ich Sie in Ihrer damaligen Eigenschaft als Vorsitzender des Arbeitskreises, dem ich angehört habe, und auch der Untergruppe Berufsausbildung fragen: Trifft es zu, daß ein Großteil der Dinge, die heute in Ihrem Sofortprogramm stehen, damals am Widerstand der CDU/CSU - bis zu den Abstimmungen hier im Bundestag selbst - gescheitert ist?
Herr Kollege Schmidt, ich kann Ihnen das in dieser Form nicht bestätigen. Wir haben sehr hart gerungen um diese Frage. Ich selbst habe dem Unterausschuß, wie Sie wissen, nur sporadisch angehört, weil gleichzeitig die Beratungen des Arbeitsförderungsgesetzes liefen. Aber manches braucht eben auch in der Entwicklung seine Zeit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller, würden Sie mir bestätigen, daß die Mitglieder des Ausschusses, insbesondere aber die Mitglieder des Unterausschusses sehr glücklich waren, eine Einigung gefunden zu haben, nachdem man fünfzig Jahre lang dieses Thema diskutiert hatte?
({0})
Herr Kollege Müller, ich kann bestätigen, daß wir allesamt damals
Müller ({0})
eine enorme Arbeit geleistet haben. Aber wir konnten in dem 1969 verabschiedeten und in Kraft getretenen Gesetz zwei wesentliche Fragen nicht lösen. Das eine war die Frage der Finanzierung der Berufsausbildung. Diese Frage ist auch heute noch nicht gelöst. Sie wissen, daß die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt hat, die diese Finanzierungsfrage prüft. Die zweite Frage, die wir nicht lösen konnten, betraf die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten, die Kompetenzen von Bund und Ländern, die Geltung des Gesetzes auch für die berufsbildende Schule.
Herr Kollege Engholm, Sie haben versucht, einen Seitenhieb auf die Kultusminister der CDU, überhaupt auf die CDU-regierten Länder, zu führen. Wenn Sie es wünschen, bin ich gern dazu bereit, aus meinen damaligen Verhandlungen auch mit sozialdemokratischen Kultusministern zu berichten, in denen wir versucht haben, auch die berufsbegleitende Schule zumindest über einen Bund-LänderVertrag in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzubeziehen. Ich bin damals gemeinsam mit Herrn Liehr bei Herrn Senator Evers gewesen. Es ist uns nicht gelungen. Und später hatten wir auch noch im Bundesrat darauf zu achten, daß das Berufsbildungsgesetz nicht noch an der Haltung der Länder scheiterte. Ich glaube, wir sollten dieses Hin- und Herspielen wirklich aufgeben. Die Frage eines Abkommens zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet ist überfällig. Es ist höchste Zeit, daß das, was in der Berufsbildungsforschung, in der Frage der Ausbildungsordnungen gesagt wird, auch für die berufsbegleitende Schule gilt.
Wir hatten dann aber als wesentlichen Fortschritt das Institut für Berufsbildungsforschung. Ich glaube, wenn die Anlaufschwierigkeiten vorüber sind, wird sich immer mehr zeigen, daß dieses Forschungsinstitut gute Arbeit leistet. Es wurde konzipiert, Herr Kollege Arendt, von Ihrem Vorgänger und dem Wirtschaftsminister. Sie haben es dann auf Grund des Gesetzes errichtet. Aber der Gesetzgeber, nämlich dieses Haus, hat die Errichtung des Instituts für Berufsbildungsforschung beschlossen. Das war sicherlich eine gute Maßnahme.
Ich habe schon davon gesprochen, daß die umfassende Reform der Berufsbildung dann notwendig ist, wenn die Finanzierung klar ist. Aber unser Sofortprogramm hat zum Ziel, daß jetzt das getan wird, was aktuell notwendig ist, daß keine weiteren Planspiele getrieben werden, sondern daß möglichst praxisnah begonnen wird.
Dazu nenne ich die Berufsbildungspraxis als das zweite Kraftfeld. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß in dem Dreiklang von Betrieb, Theorie und Schule der Begriff der theoretischen Ausbildung in seiner Bedeutung zunehmen muß, wahrscheinlich auch in der zeitlichen Aufteilung der Berufsbildung zunehmen muß. Ich habe die Hoffnung, daß der Bundesausschuß für Berufsbildung uns dabei helfen wird, innerhalb der betrieblichen Ausbildung der theoretischen Ausbildung einen höheren Rang einzuräumen.
Ich wäre auch dankbar, wenn der Bundesausschuß für Berufsbildung - den wir ja in unserem Antrag mit angesprochen haben unter den Institutionen, die an der Berufsbildung beteiligt sind - uns helfen würde, den Antrag zu verwirklichen. Es scheint ja die allgemeine Auffassung zu sein, daß die Ausbildungsberaterstellen vermehrt werden sollten. Ihre Zahl reicht nicht, und meines Erachtens reicht auch noch nicht die Aufgabenstellung für den Ausbildungsberater. Das, was ich jetzt sage, ist sicherlich zum Teil umstritten. Aber ich persönlich glaube, daß der Ausbildungsberater mehr als bisher den Berufsbildungsausschüssen bei den zuständigen Stellen verantwortlich sein sollte und daß die Berufsbildungsausschüsse bei den Kammern mehr Einfluß auf die Einstellung und die Tätigkeit der Ausbildungsberater haben sollten.
Wir sind weiterhin der Meinung, daß es zu einer Verkürzung der Ausbildungszeiten kommen muß, wo der Beruf es erlaubt. Ich meine auch, daß der Bundesausschuß für Berufsbildung, gestützt durch das Institut für Berufsbildungsforschung, Kriterien für die Eignung aller Ausbildungsstätten aufstellen sollte und daß eine intensivere Überwachung von Ausbildern und Ausbildungsstätten notwendig ist.
Bezüglich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten, wo wir 75 000 Ausbildungsplätze fordern, ist vor allen Dingen hervorzuheben, daß wir sowohl fachlich als auch regional eine Streuung wünschen. Das, was bisher durch die Bundesanstalt für Arbeit gefördert worden ist, ist zu sehr vorn Zufall bedingt, nämlich von den jeweiligen Initiativen örtlicher Stellen.
Was die Frage der Finanzierung angeht, wird man darüber auch noch im Zusammenhang mit dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der Finanzsituation zu reden haben. Aber lassen Sie mich eine Zahl nennen. Wir haben 1,3 Millionen Auszubildende. Ich glaube, deren Forderungen sind genauso ernst zu nehmen wie die Forderungen - die berechtigten Forderungen - der 0,4 Millionen Studenten.
({1})
Tatsächlich aber ist das Verhältnis umgekehrt. Während die öffentliche Hand 1972 allein für den Hochschulbau 3,5 Milliarden DM ausgeben will, sind für überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen gerade 50 Millionen DM veranschlagt. Ich glaube, daß steht in keinem angemessenen Verhältnis zueinander.
({2})
Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Berufsbildungsforschung als das dritte Kraftfeld stärker als bisher an die Ausbildungsordnungen herangehen muß. Man kommt zur Zeit noch nicht nach. Das ist aber dringend notwendig. Ich sagte schon, daß diese Ausbildungsordnungen dann auch für die schulische Ausbildung gelten sollten.
Die Uhr leuchtet auf. Man hätte sicherlich zu diesem Problem noch viel zu sagen. Wir werden es im Ausschuß zweifellos weiter beraten. Insgesamt muß man hier aber die Notwendigkeit einer rechtzeitiMüller ({3})
gen Abstimmung aller Stellen betonen, die mit der Berufsbildung zu tun haben, einschließlich der Arbeitsverwaltung als der Stelle, die die Berufsberatung durchführt. Denn alle guten und verbesserten Ausbildungsstätten, wie wir sie hier - wohl insgesamt - fordern, sind nicht richtig eingesetzt, wenn der Jugendliche nicht vorher durch die Berufsberatung in einen Beruf vermittelt wurde, der seiner Eignung und seiner Neigung entspricht.
({4})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär Rohwedder.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gegen Schluß dieser Debatte einige Worte aus der Sicht des Bundesministers sagen, der für den Gegenstand der heutigen Unterhaltung in der gewerblichen Wirtschaft zuständig ist, nämlich für den Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion enthält in seinem ersten konkreten Teil die Anregung eines Bedarfsplans. Dieser Bedarfsplan ist im Ministerium für Wirtschaft und Finanzen längst erstellt worden. Es ist eine gründliche Arbeit geleistet worden. Wir wissen, wovon wir sprechen und wohin wir wollen. Wir kennen die Zahlen für jeden Regierungsbezirk und für jeden Schwerpunkt der Berufsausbildung. Es bedarf also nicht etwa der Einschaltung der Bundesanstalt für Arbeit. Die Bundesregierung hat hier die Arbeit selbst gemacht und kann die Ergebnisse vorlegen. Selbstverständlich haben wir dieses Programm in enger Fühlungnahme mit den Ländern, den Organisationen der Wirtschaft, den Gewerkschaften, der Bundesanstalt für Arbeit und mit den Vertretern der beruflichen Schulen vorbereitet.
Nun zum zweiten Punkt des Antrags der CDU! CSU-Bundestagsfraktion, der Finanzierung. Die Bundesregierung hat 1971 auf Anregung dieses Hohen Hauses eine Sachverständigenkommission zur Untersuchung der Kosten und der Finanzierung der beruflichen Bildung berufen. Vor der Festlegung langfristiger Finanzierungsformen für die weitere Ausgestaltung der beruflichen Bildung sollte das Arbeitsergebnis dieser Kommission abgewartet werden.
In diesem Zusammenhang ein zweiter Hinweis: Die Bundesregierung hat bis zum 31. Dezember dieses Jahres nach dem Arbeitsförderungsgesetz darüber zu berichten, wie sich die Förderung der beruflichen Bildung durch die Bundesanstalt für Arbeit bewährt hat. Auch dieser Bericht wird zu den Möglichkeiten der Finanzierung der Pläne, die heute hier diskutiert werden, eine, wie wir hoffen, entscheidende Aussage machen.
Als dritten Punkt behandeln Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, die Frage der Trägerschaft. Hierzu ist von unserer Seite nicht sehr viel zu sagen. Ihre Thesen oder Sätze sind so
allgemein formuliert, daß sie wohl nicht mehr recht griffig sind. Aber das ist auch nicht schädlich; denn wir wissen genau genug, was wir wollen. Zu betonen ist, daß wir eine stärkere Berücksichtigung der bildungspolitischen Ziele für erforderlich halten. Die berufliche Bildung muß nach unserer Auffassung als wesentlicher Teil des gesamten Bildungswesens gesehen werden. Deshalb darf auch die Verbindung zum Schulwesen, Herr Abgeordneter Lampersbach, durch Kooperation in der Sache und durch Auswahl der Standorte nicht vergessen werden. Das ist im übrigen auch ökonomischer; denn bei einer gegenseitigen Nutzung der vorhandenen Fazilitäten kommt es auch zu einer besseren Auslastung der Einrichtungen.
Nun zu dem Erlaß von Ausbildungsordnungen. In der Debatte ist angeklungen, daß die Bundesregierung damit doch wohl sehr im Verzuge sei. Das ist natürlich nicht der Fall. Ganz konkret: in diesem Jahr werden wir etwa 45 % der gesamten Lehrlinge in neue Ausbildungsordnungen überführt haben, darunter 87 000 junge auszubildende Menschen aus den feinschlosserischen Berufen und 43 000 Berufsanfänger aus den elektrotechnischen Berufen. Das sind konkret die Arbeiten, die bei uns im Hause gemacht werden. Sie sind deshalb so wertvoll, weil die Neuformulierung der Ausbildungsordnungen zu einer unmittelbaren Verbesserung der Ausbildung führt. Diese Ausbildungsordnungen beseitigen wesentliche Gründe für die Unruhe unter der betroffenen Jugend, und sie bewirken das, was wir alle wollen, nämlich eine höhere Qualifikation der Ausbildung auf dem Berufsbildungssektor.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine Bemerkung zu dem Kongreß der Unternehmer machen, der vor einigen Tagen in München stattgefunden hat. Ich glaube, daß die Bundesregierung auf dem Gebiet der beruflichen Bildung eine beachtliche Offerte gemacht hat. Diese Offerte scheint mir nicht von allen in München vertretenen Sprechern der Unternehmensverbände in der rechten Weise angenommen worden zu sein. Immerhin ist es verdienstvoll, daß sich die Unternehmer auf einem Grundsatzkongreß mit diesen Fragen eingehend beschäftigen, einem Fragenkomplex, der nicht unmittelbar mit Soll und Haben etwas zu tun hat. Um so wichtiger und begrüßenswerter ist es, daß sich die Unternehmerschaft nun gegenüber dieser Problematik öffnet und bereit zu sein scheint, aktiver an diese Dinge heranzugehen. So selbstverständlich, Herr Abgeordneter Lampersbach, ist die Aufgeschlossenheit der Unternehmer nicht;
({0})
denn sonst hätte es nicht des Appells der Unternehmer an die eigene Adresse bedurft, der beruflichen Bildung einen angemesseneren Platz einzuräumen. Ich zitiere nur einen Sprecher der Unternehmer in München.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, Sie werden doch sicherlich objektiv genug sein, um zuzugeben, daß die Entwicklung in der beruflichen Ausbildung nicht erst in den letzten zwei oder drei Jahren eingetreten ist, sondern schon im vergangenen Jahrhundert festzustellen war, daß sich alle Beteiligten dieser Entwicklung nicht entziehen können, aber ausreichend Zeit haben müssen, sich darauf einzustellen. Das ist die erste Frage. Dem werden Sie doch sicherlich zustimmen.
Die zweite Frage: Glauben Sie wirklich, daß die Wirtschaft so dumm ist, bei der Ausbildung von Jugendlichen nur an ihren Profit zu denken? Glauben Sie nicht, daß sie auch an die Notwendigkeit denkt, die Märkte der Zukunft zu erhalten?
Herr Lampersbach, ich stimme Ihrer generellen Aussage zu. Was jedoch die konkrete politische Arbeit betrifft, so ist es wichtig, daß sich die Bundesregierung und dieses Hohe Haus mit der Wirtschaft verbunden wissen und sich durch sie gestützt fühlen; denn wir wollen, wie Sie aus unseren Unterhaltungen wissen, am dualen System unbedingt festhalten.
({0})
Das bedeutet ein aktives Miteinander von Staat und Wirtschaft.
Die Bundesregierung hat bei verschiedenen Gelegenheiten, besonders im „Aktionsprogramm berufliche Bildung" und auch in den „Grundsätzen für die Strukturpolitik der kleinen und mittleren Unternehmen" deutlich gemacht, wie sehr es ihr auf die Zusammenarbeit mit den beteiligten Gruppen ankommt und welche Bedeutung einer Verbesserung der beruflichen Bildung auch volkswirtschaftlich zukommt. Die Interdependenz zwischen dem Ausbau des Bildungswesens und der wirtschaftlichen Entwicklung wird heute mehr und mehr gesehen. Ich hoffe, daß die heutige Debatte und die nachfolgenden Erörterungen in den Ausschüssen dazu beitragen werden, daß wir auf diesem Gebiet weiterkommen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Folger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der hier zur Debatte steht, müßte eigentlich lauten: Sofortprogramm zur
Beseitigung der Versäumnisse der CDU/CSU auf dem Gebiet der Berufsbildung.
({0}) Dann wäre er korrekt.
({1})
Ich respektiere die Vorbehalte, die z. B. mein Kollege Engholm gemacht hat. Trotzdem muß ich sagen, daß eine Reihe von Formulierungen, die der Antrag enthält, und auch eine Reihe von Bemerkungen, die Sie, Herr Dr. Martin, gemacht haben, auf mich wie frische Luft in einem vorher schlecht gelüfteten Klassenzimmer wirken. Ich denke z. B. an Worte wie „spätere umfassende Neuordnung der beruflichen Bildung", „Chancengleichheit", „bestmögliche Ausbildung und Durchlässigkeit", „schulische Ausbildung mit praxisbezogener Ausbildung" oder „überbetriebliche Bildungseinrichtungen".
({2})
Wie ich Ihren Antrag zum erstenmal angeschaut habe, ist mir die Redensart eingefallen: Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Die Redensart stammt aus dem Jahre 1800 und trifft auf Ihren Antrag im Jahre 1972 absolut zu. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, wieweit wären wir mit der rechtlichen Gestaltung der Berufsbildung, wenn Sie nicht zehn Jahre lang ständig gebremst und unsere Forderungen und Anregungen immer wieder gestützt hätten, so daß schließlich nicht mehr viel dabei herauskommen konnte!
In unserem Antrag vom 11. April 1962 - das war das Anfangsstadium der ins Rollen gekommenen Debatte und Auseinandersetzungen über die Berufsbildung - und in der Begründung dazu am 27. Juni 1962 sind unsere Grundsätze enthalten, die da lauten: Chancengleichheit, Grundausbildung, Gemeinschaftslehrwerkstätten. Sie haben diese Grundsätze mit Ihrer damaligen Mehrheit abgelehnt, und jetzt sind sie auf einmal Schwerpunkte in Ihrem sogenannten Sofortprogramm.
Es gibt aber auch ein Beispiel aus der jüngsten Zeit, wie Sie ständig bremsen, meine Damen und Herren. Das geht zwar nicht auf Ihr Konto - das muß ich ehrlicherweise zugeben -, aber Sie müssen es schlucken, weil es aus der gleichen Küche kommt. Dem bayerischen Kultusministerium sind von der Bundesregierung 200 000 Faltblätter über das „Aktionsprogramm berufliche Bildung" zur Verteilung an alle Berufsschüler angboten worden. Das bayerische Kultusministerium hat diese 200 000 Exemplare nicht abgerufen. Nachdem es im Bayerischen Landtag wiederholt bedrängt worden ist, hat es an jede Schule ein oder zwei Exemplare versandt mit der Bemerkung, daß die Schule damit vertraut gemacht werden soll und daß das am Schwarzen Brett angeschlagen werden soll.
({3})
Das ist doch direkt ein Hohn! Wie sollen sich Berufsschüler am Schwarzen Brett über eine so komplizierte Materie informieren können? Wahrscheinlich hat das das bayerische Kultusministerium deshalb getan, weil in dem Aktionsprogramm vieles enthalFolger
ten ist, was Sie jetzt in Ihrem Antrag fordern. Ich vermute, das bayerische Kultusministerium hat den Antragstellern die Schau nicht stehlen wollen.
({4})
Es hat nicht schuld daran sein wollen, daß die Berufsschüler in Bayern vielleicht auf den Gedanken kommen: Das hat ja die Bundesregierung schon lange gefordert und in die Wege geleitet, und da sind Sie zu spät dran.
In der Regierungserklärung des damaligen Herrn Bundeskanzlers Dr. Erhard vom 18. Oktober 1963 hat es geheißen:
Ich erinnere nur an unser Berufsausbildungssystem, das als mustergültig angesehen werden kann.
({5})
Mustergültig war es damals schon lange nicht mehr. Es war damals längst reformbedürftig.
Auch im CDU/CSU-Entwurf vom Oktober 1966 sind noch keine Spuren von einem modernen Berufsausbildungssystem enthalten. Dieser Entwurf enthielt nur eine Addition von Vorschriften, die in verschiedenen Gesetzen verstreut waren und nun zusammengefaßt werden sollten.
Wir haben dann im Jahre 1969 ein Berufsbildungsgesetz verabschiedet; Herr Kollege Müller ({6}) hat daran erinnert. Wir Sozialdemokraten waren und sind damit nicht zufrieden. Wenn ich mich recht erinnere, waren es 21 Sozialdemokraten, die damals dagegen gestimmt haben. Darunter waren die meisten der Kollegen, die Jahr für Jahr fleißig und konkret an diesem Entwurf mitgearbeitet haben. Aber sie konnten dann nicht mehr mitmachen, weil der Entwurf dieses Berufsausbildungsgesetzes im Laufe der Beratungen immer mehr verschlechtert wurde. Ich brauche Sie bloß an die Annahme eines Antrags in der dritten Lesung zu erinnern. Noch im letzten Augenblick ist eine Verschlechterung hineingekommen, bei der man einfach sagen mußte: Da können wir nicht mehr mitmachen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe nicht aus Rechthaberei daran erinnert - die Kollegen, die mich seit vielen Jahren kennen, werden mir das glauben und sicher bestätigen -, sondern nur deshalb, um Sie zu ermutigen, im Interesse der Sache und der Bevölkerung in Zukunft den Sozialdemokraten gleich und nicht erst viele Jahre später zu folgen.
({7})
Sie rennen mit Ihrem Antrag in Wirklichkeit offene Türen ein. Der Herr Bundesarbeitsminister Arendt hat schon darauf hingewiesen. Siehe dessen Aktionsprogramm! Von diesem haben Sie anscheinend einiges in Ihrem Antrag aufgenommen. Außerdem sind darin auch Spuren von der Denkschrift des Handwerks für eine Fortentwicklung der Berufsbildung.
Außer dem Aktionsprogramm ist das Institut für Berufsbildungsforschung mit diesen Dingen beschäftigt. Wenn Sie sich früher dazu entschlossen hätten, es zu installieren, wäre es sicher schon sehr viel weiter. Auch die Kommission der Sachverständigen, die
auf Grund eines Beschlusses des Bundestages gebildet worden ist, beschäftigt sich mit dieser Materie.
Obwohl Sie mit Ihrem Antrag also offene Türen einrennen, sind wir bereit, der vorgeschlagenen Überweisung an die Ausschüsse zuzustimmen. Vielleicht läßt sich aus Ihrem Antrag während der Beratung noch etwas machen, was uns weiterhilft.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner, Herrn Kollegen Folger, will ich mich bemühen, mich nicht nur in verbalen Kraftakten zu ergehen.
({0})
Es kommt nicht nur darauf an, Aktionsprogramme zu entwickeln, sondern vor allem darauf, die Praxis zu verbessern. Aber gerade im Umsetzen in die Pratis fehlt es hei der derzeitigen Bundesregierung.
Die Regierungskoalition muß erst noch beweisen, daß sie es besser machen kann. Ich darf nur auf ein einziges Beispiel hinweisen. Es gibt eine interessante Statistik, die ausweist, daß von den Flächenstaaten das Land Bayern die meisten Berufsschulstunden gibt, während das Land Hessen am Ende dieser Aufstellung erscheint.
({1})
Dies, meine Damen und Herren, ist die Praxis.
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- Herr Kollege, Sie erinnern an die Diskriminierung der Ostfriesen. Ich könnte Ihnen den neuesten Ostfriesenwitz gern erzählen. Wissen Sie, warum die Ostfriesen alle - ({3})
- Herr Kollege Wehner, warum denn gleich an die Decke fahren. Beinahe hätte ich gesagt: Rauchen Sie doch lieber eine Zigarre.
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Herr Kollege Folger, ich wollte Ihnen den neuesten Ostfriesenwitz erzählen. Wissen Sie, warum die Ostfriesen alle den Kopf in den Sand stecken? Weil sie keine Ostfriesenwitze mehr hören können.
Meine Damen und Herren, nun aber zur Sache. Die sich häufenden Rücktritte führender Bildungspolitiker der SPD sind nicht gerade ermutigend für die Zukunft der Bildungspolitik.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt wenige Minuten zu einem sehr ernsten Problem sprechen. Es geht um die schulisch Benachteiligten und Leistungsschwachen. Obwohl ein ausreichendes An9580
gebot an Ausbildungsverhältnissen zur Verfügung steht, bleiben gegenwärtig über 240 000 Jugendliche ohne berufliche Ausbildung. Sie sind die ungelernten Arbeiter von morgen, deren Arbeitsplatz erfahrungsgemäß bei wirtschaftlichen Rückschlägen zuerst bedroht ist.
Diese Zahl ist einfach schockierend. Es gibt Ausbildungsplätze genug. Woran fehlt es eigentlich? Hier stellt sich zunächst die Frage, die schon von Vorrednern gestellt wurde: Ist die Berufsberatung nicht effektiv genug? Ist sie nicht in der Lage, alle jungen Menschen anzusprechen und ihnen klarzumachen, daß die harten Konditionen der Leistungsgesellschaft einfach eine umfassende Ausbildung verlangen? Warum gelingt es nicht oder gelang es nicht, dieser großen Gruppe in der Leistungsgesellschaft einen besseren Platz zu verschaffen? Es werden doch so viele Menschen gebraucht. Auch diese Jugendlichen wären zufriedener - und sie haben einen Anspruch auf ein berufliches Erfolgserlebnis -, wenn man ihnen ihrer Eignung und Neigung entsprechende mögliche Ausbildungsangebote macht.
Nun stellt sich zunächst einmal die Frage: Welche Jugendlichen verbergen sich denn hinter dieser großen Zahl? Ich fürchte, es ist die große Gruppe der behinderten Jugendlichen. Hier hat Professor Dr. Bracken eine Statistik vorgelegt. Er kommt auf über 700 000 Lernbehinderte, Erziehungsschwierige und körperlich und geistig Behinderte. Die größere Zahl stellen die Lernbehinderten. Professor Bracken kommt zu dem Ergebnis, daß etwa 500 000 dieser Kinder sonderschulberechtigt sind. Wir hatten im Jahre 1970 zuletzt 319 430 Sonderschüler. Es ist also bereits eine Verbesserung zu verzeichnen, das ist aber noch nicht ausreichend. Damit diesen Jugendlichen die Grundlagen geboten werden können, muß zunächst einmal das Sonderschulwesen intensiv weiterentwickelt werden.
Dann aber kommt ein schwieriger Punkt. Wenn diese Jungen und Mädchen aus den Sonderschulen entlassen werden, sind sie alleingelassen. Nach einer Auskunft des Statistischen Bundesamtes gab es im Jahre 1970 1,593 Millionen Berufsschüler, es gab aber nur 6633 Berufssonderschüler. Diese Zahlen zeigen, daß es dringlich notwendig ist, den Ausbau der beruflichen Bildungsmaßnahmen für diesen besonderen Personenkreis voranzutreiben. Die berufliche Bildung sollte also nicht nur an der Spitze reformiert werden, sondern auch zugunsten derer, die bisher besonders benachteiligt sind. Es ist möglich, eine Lehre ohne Hauptschulabschluß einzugehen.
Die bestehenden Förderungsmaßnahmen sind meines Erachtens zur Zeit noch nicht ausreichend. Die Bundesanstalt für Arbeit führte in Zusammenarbeit mit interessierten Trägern im Berichtsjahr 1969/70 für insgesamt 3500 Jugendliche Lehrgänge zur Erreichung der fehlenden Berufsreife bzw. der Verbesserung der Vermittlungsmöglichkeiten durch. Für das Jahr 1970/71 ist mit der Schulung von etwa 5000 Jugendlichen zu rechnen.
Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, möchte ich darauf hinweisen, daß es auf der Grundlage des AFG doch möglich war, wenigstens etwas zur Lösung dieses brennenden Problems zu tun. Im übrigen gibt es einige wenige Institutionen und Firmen, die minderbegabte oder milieugeschädigte Jugendliche in ein bis zwei Jahren zu Betriebswerkern ausbilden, darunter auch einige Firmen, also Vertreter der so oft und so viel gerügten Wirtschaft.
Ein Programm für Retardierte gibt es als politische Konzeption bisher leider nicht. Selbst bei Gewerkschaften und Verbänden kann kaum Material abgefragt werden. Folgende Maßnahmen erscheinen mir jedoch sinnvoll: ein Ausbau der Förderungskurse der Bundesanstalt für Arbeit auf der Basis psychologischer Eignungsuntersuchungen. Ziel muß es sein, die behinderten Jugendlichen mit Aussicht auf Erfolg in eine normale Lehrstelle oder zumindest in eine Anlernstelle zu vermitteln. Nur diejenigen Jugendlichen, die einer solchen Ausbildung nicht gewachsen sind, sollen die Möglichkeiten zu einer weniger anspruchsvollen Ausbildung als Betriebswerker oder ähnliches erhalten. Daran kann sich eine verkürzte oder normale Ausbildung anschließen. Den bisher vorwiegend karitativen Trägern einer solchen Grundausbildung sollte die Bundesanstalt für Arbeit die benötigten Mittel zur Verfügung stellen. Dies ist unser Vorschlag.
Meine Damen und Herren, aber auch wir, Bundesregierung und Bundestag, sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Ich habe vor vielen Monaten die Bundesregierung gefragt, ob sie nicht endlich in ihren Laufbahnrichtlinien für die Beamten die Möglichkeiten geben sollte, daß auch Sonderschüler in den einfachen Dienst aufgenommen werden können. Meiner Information nach ist dies bis zum heutigen Tag nicht möglich. Das erscheint mir einfach skandalös.
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Der Bundesinnenminister hatte damals erklärt, daß es zunächst darauf ankomme, daß Maßstäbe oder typisierende Merkmale ermittelt werden, wie der Leistungsstand und die berufliche Leistungsfähigkeit von Sonderschülern bewertet und zu dem Bildungsstand von Hauptschülern in Beziehung gesetzt werden können. Ich bin der Auffassung, daß man Sonderschülern die einfachen Laufbahnen öffnen müßte.
Zum Schluß nur noch einige Sätze an Sie, Herr Minister Arendt. In einer Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung wird berichtet - Sie haben diese Zahlen heute im Plenum wiederholt -, daß für die Förderung von Einrichtungen zur Eingliederung von Behinderten in das Berufsleben durch den Bund im Jahre 1971 39 Millionen DM aufgewendet worden seien. Mit dem Hinweis, daß in den neun vorausgegangenen Jahren nur 5 Millionen DM mehr für diesen Zweck ausgegeben worden seien, wird die Förderung von Rehabilitationseinrichtungen früherer Bundesregierungen als unwesentlich hingestellt. Herr Minister, diese Kritik ist nicht fair, weil sie die Zusammenhänge nicht aufzeigt. Jedem Richtfest und jeder Übergabe einer Einrichtung, die Sie, Herr BundesBurger
arbeitsminister, vornehmen, ging eine Grundsteinlegung von Ihrem Vorgänger, Minister Katzer, voraus. Wie Sie genau wissen, bedürfen Rehabilitationseinrichtungen einer vorausgehenden Planung von etwa vier bis sechs Jahren oder noch länger. Was heute vollendet wird, wurde also bereits vor Jahren sorgsam vorbereitet. Auf diese Zusammenhänge muß man einfach hinweisen. Die gesetzlichen Grundlagen für eine moderne, sinnvolle und umfassende Eingliederung wurden von früheren Bundesregierungen geschaffen.
Die derzeitige Bundesregierung hält an diesem gegliederten System ausdrücklich fest und strebt in Übereinstimmung mit der Opposition eine gleichwertige Rehabilitationschance für alle an. Auch die institutionelle Förderung von Einrichtungen wurde in früheren Jahren intensiv in Angriff genommen. Die vorgesehenen Haushaltsmittel wurden in früheren Jahren nicht in voller Höhe abgerufen, weil die Planung durch die Träger sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Aber mit Mut zum Experiment wurden damals Modelle geschaffen, die, wie das moderne Zentrum in Heidelberg zeigt, für die ganze Bundesrepublik beispielhaft wurden. Die vorbereitenden Arbeiten der vergangenen Bundesregierungen und insbesondere des damaligen Arbeitsministers Katzer versetzen die jetzige Bundesregierung in die Lage, das weiter fortzuführen und auszubauen, was damals risikobeladen von Herrn Katzer begonnen wurde.
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Meine Damen und Herren! Liegen noch Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend -, dem Ausschuß für Wirtschaft sowie dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und dem Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum letzten Punkt der heutigen Tagesordnung, der
Fragestunde
- Drucksachen VI/3033, N/3033 Als erstes rufe ich die Dringliche Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Martin auf:
Welches sind die Gründe, die den Bundeskanzler veranlaßt haben, dem Bundespräsidenten vorzuschlagen, den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft zu entlassen?
Ich nehme an, Frau Staatssekretärin Dr. Focke wird antworten.
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege Dr. Martin, der Herr Bundeskanzler hat dem Herrn Bundespräsidenten noch nicht vorgeschlagen, den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft zu entlassen. Vielmehr hat er mitgeteilt, daß er diese Absicht für Anfang März habe. Die Gründe hierfür hat der Bundeskanzler gestern vor der sozialdemokratischen Fraktion genannt. Sie sind der Öffentlichkeit mitgeteilt
worden. Danach respektiert der Bundeskanzler die Entscheidung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Hans Leussink, der gebeten hat, ihn aus seinem Amt zu entlassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Martin.
Darf ich fragen, welche Rolle die Streichung der Planungsreserve bei der Motivation von Herrn Leussink gespielt hat, und welche Rolle die Tatsache gespielt hat, daß er das Ergebnis der Bund-Länder-Kommission als tragfähige Grundlage bezeichnete, während die SPD-Minister dem widersprachen.
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, der Bundesminister Leussink hat, wie gestern auch der Bundeskanzler mitgeteilt hat, für seinen Wunsch persönliche Erwägungen geltend gemacht und betont, daß sein Rücktritt nicht in Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Politik der Bundesregierung begründet ist.
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Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die ganze deutsche Presse sich hinsichtlich der Motive von Herrn Leussink im Irrtum befindet?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege Martin, natürlich können über diese Motive in der deutschen Presse und auch sonstwo Spekulationen angestellt werden. Aber ich muß mich hier an das halten, was der Bundesminister Leussink dem Bundeskanzler als Begründung für seinen Wunsch, zurückzutreten, mitgeteilt hat und was im Einvernehmen mit Herrn Leussink der Bundeskanzler bekanntgegeben hat. Ich kann dem daher nur - wenn Sie so wollen, aus meiner persönlichen Kenntnis von Herrn Leussink - gewisse Vermutungen hinzufügen, die in die Richtung gehen würden, Herr Kollege Martin, daß Bundesminister Leussink ein unabhängiger Mann ist, ein Mann, der nicht aus der Politik kommt, der nie die Absicht bekundet hat, lange Zeit in diesem Geschäft zu bleiben. Er ist, wie Sie wissen, ein Mann mit sehr vielen Neigungen und Fähigkeiten, ein Mann, bei dem es einen eigentlich nicht verwundern sollte, daß er auch an eine Perspektive der persönlichen Lebensgestaltung denkt, die offenbar in diesem Beschluß mit zum Ausdruck gekommen ist.
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Eine dritte Zusatzfrage steht Ihnen leider nicht zu. - Herr Abgeordneter Höcherl zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, bin ich richtig informiert, wenn ich hier mitteile, daß der Herr Bundeskanzler gesagt hat, er werde diesem Wechsel zustimmen, weil er vor allem erwarte, dadurch bessere Ergebnisse zu erzielen? Ist das so aufzufassen, daß die bisherigen Ergebnisse der Bildungspolitik der Regierung Brandt/Scheel nicht zufriedenstellend sind?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege Höcherl, mir ist eine solche Äußerung des Bundeskanzlers nicht bekannt; im Gegenteil. Der Bundeskanzler hat den Rücktritt bedauert und zum Ausdruck gebracht, daß er es gern gesehen hätte, wenn Herr Leussink länger in seinem Amt bis zum Ende dieser Legislaturperiode geblieben wäre. Er hat öffentlich und vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion sehr nachdrücklich und positiv das bisher von Bundesminister Leussink Geleistete gewürdigt. Er hat - darauf möchte ich besonders im Zusammenhang mit Ihrer Frage hinweisen - betont, daß dieses die Grundlage ist, auf der kontinuierlich weiter gearbeitet wird.
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Es steht Ihnen keine zweite Zusatzfrage zu; ich kann da nichts machen.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter von Thadden!
von Thadden ({0}) : Ist dem Herrn Bundeskanzler bekannt, daß in der SPD-Bundestagsfraktion nach übereinstimmenden Meldungen zahlreicher deutscher Presseorgane - um es gelinde auszudrücken - keinerlei Freude über seine Nachfolge-Entscheidung herrscht?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, in der SPD-Bundestagsfraktion ist gestern mit großer Mehrheit der Absicht des Bundeskanzlers, dem Wunsch von Minister Leussink Anfang März zu folgen und der von ihm vorgeschlagenen Nachfolgeregelung zugestimmt worden. Freilich ist dabei auch zum Ausdruck gekommen, daß gerade auch die Bildungspolitiker der Fraktion es gern gesehen hätten, daß Minister Leussink länger im Amte bleibt, und sie ihm dies auch mitgeteilt haben. Dies ist der Öffentlichkeit auch mitgeteilt worden.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Frau Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Bundesregierung mit den bisherigen Ergebnissen ihrer Bildungspolitik, die ja wohl in der ersten Regierungserklärung des Bundeskanzlers begründet war, zufrieden ist?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß von dem, was sie sich für diese Legislaturperiode in der Bildungspolitik vorgenommen hat, ein beachtlicher Teil, dem abgelaufenen Zeitraum von 2 1/4 Jahren entsprechend, auch hat verwirklicht oder in Angriff genommen werden können. Ich brauche Sie nur an das zu erinnern, was durch die Schaffung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und den dort inzwischen erarbeiteten Zwischenbericht mit aktivem Anteil der Bundesregierung erfolgt ist, an die überproportionalen Steigerungen in Haushalt und mittelfristiger Finanzplanung, an den Anteil des Bundes am ersten Rahmenplan für den Hochschulbau, an das vorgelegte Hochschulrahmengesetz, an das Schnellbauprogramm, an das Graduiertenförderungsgesetz. Das ist eine große Liste von Dingen, die bereits konkret abgehakt werden können, so daß die Bundesregierung durchaus mit dem zufrieden ist, was bisher vorgelegt worden ist.
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Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Frau Staatssekretär Focke, trifft es zu, daß Herr Bundesminister Leussink gesagt hat: Mit diesen Leuten der Koalition kann man keine große Politik machen?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Mir ist ein solcher Ausspruch von Herrn Bundesminister Leussink nicht bekannt. Ich weiß, daß insgesamt in der Kooperation in Bildungsfragen, sowohl was die Fraktion betrifft wie auf dem sehr wichtigen Terrain der Abstimmung zwischen Bundesregierung und Ländern, ein sehr enges Einvernehmen bestanden hat. Ja, aus meiner persönlichen Erfahrung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung z. B. habe ich gelegentlich den Eindruck gehabt, daß das sehr enge Einvernehmen zwischen Bundespolitikern und Politikern der von der SPD geführten Länder den CDU-Bildungspolitikern geradezu unheimlich geworden ist.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wagner ({0}).
Frau Staatssekretär, nachdem Sie vorhin die bildungspolitischen Maßnahmen aufgezählt haben, die bereits abgehakt werden konnten, wie Sie sagen, und nachdem auch die Planungsreserve, allerdings in einem negativen Sinn, abgehakt worden ist, möchte ich fragen, ob nicht 'dieser Verlust an finanziellen Mitteln in der mittelfristigen Finanzplanung, den, wie bekannt ist, der Bundesminister Leussink sehr beklagt hat, der Anfang für eine gewisse Resignation war, die schließlich zu seinem Rücktritt geführt hat?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege Wagner, Sie wissen genausogut wie alle, die sich um Bildungsreform bemühen, daß sie sich gegen einen Hintergrund - auch das ist gestern vor der Bundestagsfraktion betont worden - der bestehenden Kompetenzen von Bund und Ländern und finanzieller Beengtheit abspielen muß. Es ist eine objektive Tatsache, daß, wer immer in Bund oder Ländern für Bildungspolitik verantwortlich ist, ein schweres Geschäft in diesem Gesamtzusammenhang zu leisten hat, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Zeiträume so lang sind, die man braucht, um von einem Anfang her zu den Ergebnissen zu kommen. Ganz sicher sind einfach die besonderen Schwierigkeiten dieses Geschäfts im Zusammenhang zu sehen mit, ja, nennen wir es noch einmal: den persönlichen Erwägungen, die Bundesminister Leussink veranlaßt haben, früher, als er es ursprünglich vorgesehen hatte, um die Entlassung aus seinem Amt zu bitten. Aber diese Schwierigkeiten sind objektiv vorhanden, gelten für sämtliche Bildungspolitiker in Bund und Ländern und sind nicht der kausale Zusammenhang für diesen Rücktritt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rösing.
Fan Staatssekretärin, der als Nachfolger vorgesehene Parlamentarische Staatssekretär, Herr von Dohnanyi, hat gestern erklärt, er würde die Bildungspolitik seines Vorgängers fortsetzen. Ich frage Sie, welche Gründe haben den Bundeskanzler dann bewogen, Herrn Leussink zu entlassen?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Ich darf wiederholen, daß für den Bundeskanzler der Wunsch von Bundesminister Leussink ausschlaggebend gewesen ist.
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Die Tatsache, daß es kontinuierlich weitergehen wird, läßt sich durch nichts anderes besser verdeutlichen als dadurch, daß eben 'derjenige, der bisher Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft gewesen ist und der ,auf das engste mit Bundesminister Leussink zusammengearbeitet hat, als Nachfolger vorgesehen ist.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß es sich hier überhaupt nicht um die Bildungspolitik eines Mannes, sondern um die Bildungspolitik dieser Bundesregierung handelt,
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für die sich gerade auch Bundeskanzler Brandt ganz besonders nachdrücklich engagiert hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Frau Staatssekretärin, besteht das Motiv des Wunsches des Ministers, zurückzutreten, nicht darin, daß die Bildungskonzeption, die er einmal in Übereinstimmung mit der Bundesregierung vertreten hat, offensichtlich nicht mehr realisierbar ist, wenn man z. B. daran denkt, daß die Planungsreserven nicht freigegeben sind und daß die Widerstände in der eigenen Bundestagsfraktion und bei Bildungsexperten der Sozialdemokratischen Partei gegen die Realisierung der Vorstellungen von Herrn Leussink ständig wachsen?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Ich habe schon einmal zu dem Punkt. „Widerstände in der eigenen Fraktion" Stellung genommen, Herr Kollege, und kann Sie nur noch einmal auf die gestrige Mitteilung verweisen, daß gerade die Bildungspolitiker in der eigenen Fraktion Bundesminister Leussink gerne länger in seinem Amt gesehen hätten.
Die Streichung der Planungsreserve fällt in den Gesamtzusammenhang der Frage der Verteilung der Mittel zwischen Bund und Ländern. Sie wissen genau, daß nach der Absicht der Bundesregierung den Ländern im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerneuverteilung für Bildungsaufgaben ebensoviel, wenn nicht mehr Mittel zufließen sollen.
Im übrigen ist Bundesminister Leussink sicher auch Ihnen als ein nüchterner, den Realitäten aufgeschlossener Mann bekanntgeworden,
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der sich - ebenso wie die übrigen Mitglieder des Kabinetts - hinter ein Arbeitsprogramm der Bundesregierung gestellt hat, das Zielvorstellungen und Ressourcen in Einklang zu bringen versucht.
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rommerskirchen.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie wiederholt betont haben, daß der Herr Bundeskanzler die SPD-Fraktion und über diese die Öffentlichkeit informiert hat, darf ich fragen: soll das der neue Stil sein, daß durch Information seitens der SPD-Fraktion das Informationsbedürfnis dieses Hohen Hauses befriedigt wird?
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Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Rommerskirchen, durch diese Fragestunde wird ja bewiesen, daß das Informationsbedürfnis dieses Hohen Hauses auch auf andere Weise und sehr direkt befriedigt wird. - Im übrigen ist das Ganze ja erst die Vorerwägung eines Schrittes, der, wie Sie wissen, erst für Anfang März vorgesehen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Frau Staatssekretär, ist es richtig, daß sich der Rücktritt von Bundesminister Leussink in völliger persönlicher und sachlicher Loyalität gegenüber der Politik dieser Regierung vollzogen hat und sich damit vorteilhaft gegenüber den Rücktritten halber Kabinette in früheren Regierungen abhebt?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Dies kann ich nachdrücklich bestätigen.
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Dies ist ein Vorgang, der in vollem Einvernehmen, in voller Loyalität erfolgt ist.
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, glaube ich, Sie müßten sich daran gewöhnen, daß solche Bitten um Entlassung aus dem Amt oder Umbesetzungen dieser Art während einer Legislaturperiode ein höchste normaler Vorgang für eine parlamentarische Demokratie sind
({1})
und daß solche Vorgänge auch in unseren westlichen Nachbarstaaten ganz ohne die Dramatik, die Sie daran zu knüpfen versuchen, zur Kenntnis genommen werden.
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Eine Zusatzfrage, Herr Engholm.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie meine Auffassung teilen, daß es in demokratisch strukturierten Staaten zur Normalität gehört, daß ein Minister geht oder ausgewechselt wird, stimmen Sie mir dann auch zu, wenn ich sage, daß Parlamentariern, die diese Kenntnis nicht haben, ein Mangel an demokratischem Verständnis vorgeworfen werden muß?
({0})
Ich will die Frau Staatssekretärin nicht in die Situation bringen, sich auf diese Frage äußern zu müssen.
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen gern darin zu, daß hier offenbar gewisse Perzeptionen im Zusammenhang mit parlamentarischer Demokratie noch etwas besser gelernt werden müßten.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Frerichs.
Frau Staatssekretärin, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß Ihre Antworten die Dinge etwas sehr stark verniedlichen?
Es ist bereits der dritte Rücktritt: Finanzminister Möller, Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal und nun Minister Leussink. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß Ihre charmante und verehrte Kollegin, Frau Staatssekretärin Hamm-Brücher, aus dem gleichen Ministerium die Absicht hat, dieses Haus zu verlassen. Glauben Sie nicht, daß das ein Indiz dafür ist, daß es eben nicht persönliche, sondern sachliche Gründe und Schwierigkeiten in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind, die markante Persönlichkeiten, Minister Leussink und - ich wiederhole es - Ihre verehrte, charmante Kollegin Frau Hamm-Brücher, dazu bewegen, das Haus fluchtartig zu verlassen?
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Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Abgeordneter, es freut mich sehr, daß Sie mehrfach den Charme meiner Kollegin unterstrichen haben.
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Ich weise darauf hin, daß der Vorgang um Staatssekretärin Hamm-Brücher ein von diesem hier völlig getrennter ist. Die Rücktrittsabsichten von Frau Hamm-Brücher sind bereits vor einiger Zeit bekanntgegeben und begründet worden. Sie kennen den Konflikt, in dem Frau Hamm-Brücher zwischen ihren Aufgaben in Bonn und denen, die sie auf Grund eines sehr beachtlichen Wahlerfolges in Bayern übernommen hat, stand.
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Es gibt außerdem, wie ich weiß, familiäre Gründe durch heranwachsende Kinder. Ich bitte, es bei dem, was Frau Hamm-Brücher selbst zu dieser Frage geäußert hat, zu belassen. Ich kann mich in diesem Zusammenhang hierzu nicht näher äußern.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Frau Staatssekretärin, könnte die Entlassung des Herrn Bundesministers Leussink nicht auch damit zusammenhängen, daß die Bundesregierung es nicht für einen normalen Vorgang hält, daß ein aktiver Bundesminister in einer politisch sehr bedeutsamen Zeit in einer Zeit, in der sein Haushaltsplan im Haushaltsausschuß beraten und das Hochschulrahmengesetz bsprochen wird - einen überlangen Urlaub von neun Wochen antritt?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, Ihre Frage nach der Entlassung klingt wieder einmal so, als wäre der Spieß hier umgedreht worden. Es ist aber so, daß Herr Bundesminister Leussink gebeten hat, ihn aus seinem Amt zu entlassen. Der Bundeskanzler und die Bildungspolitiker der Fraktion haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß sie es
Parlamentarischer Staatssekretär Frau Dr. Focke
gerne gesehen hätten, wenn er länger im Amt geblieben wäre. Schon von daher ist Ihre Frage als in sich keineswegs stichhaltig widerlegt.
Im übrigen erinnere ich daran, daß Bundesminister Leussink eine sehr lange Zeit überhaupt keinen Urlaub gehabt hat. Er war den ganzen Sommer über damit beschäftigt, die schwierigen Verhandlungen der Bund-Länder-Kommission über den Gesamtplan zu führen. Es ist höchst normal, daß ihm nun ein längerer Urlaub zugestanden hat.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordeneten Dr. Arndt ({0}).
Frau Staatssekretärin, finden Sie es nicht aufschlußreich im Hinblick auf den Teil dieses Hauses, der die Opposition bildet, daß ein Mitglied dieser Regierung für diese Damen und Herren erst dann „markant" und unterstützungswürdig wird, wenn es aus dieser Regierung ausscheidet?
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Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, ich verstehe die Frage sehr wohl. Mir fällt hier auch auf, daß heute ein Engagement für die Person von Bundesminister Leussink sichtbar wird, das wir in anderen Sachzusammenhängen hier gern öfter erlebt hätten.
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß diejenigen Parlamentarier in diesem Hause, denen man ein unterentwickeltes, parlamentarischer Perzeptionsvermögen bescheinigen muß und die in den vergangenen Jahren daran gewöhnt waren, Regierungswechsel immer hektisch und dramatisch ablaufen zu sehen, sich offenbar nicht vorstellen können, daß Veränderungen sehr ruhig und sachlich vor sich gehen können?
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Ich bitte doch, der Frau Staatssekretärin die Möglichkeit zu einer Antwort zu geben.
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, ich glaube, daß sich auch die anwesenden Damen und Herren der Opposition wohl kaum dem Eindruck entziehen können, daß dieser Ablösungsvorgang allerdings in ganz bemerkenswerter Ruhe und Kontinuität vor sich geht.
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Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zoglmann.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie hier erklärt haben, daß die Bildungspolitik dieser Regierung genau nach den Intentionen verläuft, mit der sie angelegt wurde, und nachdem Sie weiter erklärt haben, daß die SPD-Fraktion, insbesondere die Kollegen, die sich mit Bildungsfragen befassen, die Tätigkeit des Herrn Ministers Leussink als sehr angenehm empfindet, darf ich an Sie die Frage richten, warum eigentlich Herr Leussink von seinem Posten zurücktritt.
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, ich glaube, daß wir auf diese Fragestellung im Laufe dieser Diskussion schon mehrfach eingegangen sind. Ich kann noch einmal darauf verweisen, daß Bundesminister Leussink seinen Wunsch mit persönlichen Erwägungen begründet hat und daß der Bundeskanzler im Einvernehmen mit ihm dies so der Öffentlichkeit bekanntgegeben hat.
Jeder Abgeordnete hat nur eine Zusatzfrage, Herr Kollege Zoglmann. Herr Abgeordneter Rawe!
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie gerade gesagt haben, daß die Ablösungen in dieser Regierung in so schöner Kontinuität erfolgen, werden wir ja möglicherweise noch Gelegenheit haben, Anpassungsvorgänge hier kennenzulernen, wie dies Herr Engholm gerade verbreitet hat. Ich darf Sie fragen, was Sie eigentlich auf die Frage des Kollegen Prinz zu Sayn-Wittgenstein antworten wollen, der gesagt hat, daß in einer wichtigen Situation -- nämlich Beratung des Haushaltes, Beratung entsprechender Gesetze aus diesem Ressort - der Minister einen Antrag auf Entlassung vorlegt, und dann gefragt hat, was den Bundeskanzler eigentlich bewegt, diese Entlassung dann erst im März, nachdem er also seine Entscheidungen schon getroffen hat, durchführen zu wollen.
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Frau Dr. Focke: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, ich darf darauf verweisen, daß derselbe Mann, der als der Nachfolger von Bundesminister Leussink vorgesehen ist, nämlich der Parlamentarische Staatssekretär Herr von Dohnanyi, derjenige ist, der ihn auch jetzt während seiner Abwesenheit vertritt. Das dürfte ja für die Kontinuität und für die Qualität der Vertretung von Bundesminister Leussink in seiner Abwesenheit sprechen.
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Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grüner.
Frau Staatssekretärin, darf ich Sie bitten, die Kollegen der CDU/CSU daran zu erinnern, daß die CDU/CSU es war, die im Zusammenhang mit der Berufung von Frau Staatssekretärin Hamm-Brücher in dieses Amt die Streichung dieser Stelle im Hinblick darauf beantragt hat, daß sie dieser doppelten Belastung nicht gewachsen sei, und merkwürdigerweise Frau Hamm-Brücher, nachdem sie nun dieser Doppelbelastung Rechnung getragen hat, in einem Atemzug und mit großem Bedauern in den Kreis derer einbezieht, die diese Regierung verlassen haben, was das Scheitern der Bildungspolitik anzeige.
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Frau Dr. Focke: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, ich kann dies bestätigen und hoffe, daß die Kollegen sich auf Grund Ihres Diskussionsbeitrages auch wirklich daran erinnern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bach.
Frau Staatssekretärin, glauben Sie, daß es mit der Würde dieses Hauses vereinbar ist, wenn im Zusammenhang mit diesem Vorgang Teilen dieses Hauses mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen wird?
Frau Dr. Focke: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundeskanzler: Herr Kollege, das bezog sich ganz konkret auf diesen Punkt, den wir heute hier zur Diskussion haben, nämlich die Frage: Wie normal ist eigentlich in einer parlamentarischen Demokratie ein solcher Ablösungs- oder Umbesetzungsvorgang? Ich muß allerdings sagen, daß ich die Dramatik, die Sie diesem Vorgang beimessen, sehr schwer in Einklang bringen kann mit dem, was ich in anderen parlamentarischen Demokratien an Haltung zu einem solchen Vorgang sonst kenne.
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Herr Abgeordneter Dr. Oetting!
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir in der Beurteilung recht geben, daß es auch den stärksten Mann im Amt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zermürben muß, wenn er die Politik dieser Bundesregierung gegenüber CDU/CSU-Kultusministern und gemeinsam mit ihnen zu betreiben hat?
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Frau Dr. Focke: Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt: Ich bin nicht mit Ihnen der Auffassung, Herr Kollege, daß es ihn zermürbt hat.
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Aber ich bin allerdings der Meinung, daß die Schwierigkeiten, die in dem Felde der Bildungspolitik liegen, mehr, als das notwendig ist, dadurch vergrößert werden, daß wir es im Zusammenhang mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch mit den Bildungs- und Kulturpolitikern der CDU/CSU-regierten Länder mit Auffassungen zu tun haben, die unseren Vorstellungen von dem, was für bildungspolitische Reformen notwendig ist, Schwierigkeiten in den Weg legen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kotowski.
Frau Staatssekretär, wenn Sie - wohl mit Recht - darauf hinweisen, daß Frau Staatssekretär Dr. Hamm-Brücher wegen der Unvereinbarkeit der Funktion eines beamteten Staatssekretärs in Bonn und der Wahrnehmung eines Landtagsmandats in München ihr Amt nicht mehr weiterführen kann, warum hat dann die Bundesregierung bei entsprechenden Anfragen oder Diskussionsbeiträgen der CDU/CSU stets behauptet, das sei überhaupt kein Problem?
Frau Dr. Focke: Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt: Ich kann mich nicht entsinnen, daß stets behauptet worden ist, es sei überhaupt kein Problem.
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Meiner Erinnerung nach ist gesagt worden, daß von meiner Kollegin zunächst versucht werden würde, beides miteinander zu verbinden. Dies sind Dinge, bei denen man nicht von vornherein sagen kann, ob man es zugleich schafft, und wo sich erst im Laufe der Entwicklung eine Erkenntnis herausstellen kann, wie sie sich bei meiner Kollegin herausgestellt hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hermesdorf.
Frau Staatssekretärin, sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß das Ausscheiden der Staatssekretärin und die Entlassung des Ministers in einem so wichtigen Ressort und innerhalb von zwei Jahren keinen normalen Vorgang darstellen, sondern etwas ganz Außerordentliches sind und daß dies nur begründet sein kann in zermürbenden Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungskoalition über die Bildungspolitik, in Mißerfolgen und schließlich in Resignation der Betroffenen?
Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt: Ich bin nicht mit Ihnen dieser Meinung.
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Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zunächst
Vizepräsident Dr. Jaeger
zur Frage 3 des Abgeordneten Wagner ({0}). Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dann die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Evers. Ist er im Saale? - Das ist nicht der Fall. Dann werden seine beiden Fragen schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 6 des Abgeordneten Dr. Schmude:
Erwägt die Bundesregierung angesichts des erheblichen Zeitablaufs seit der Vertreibung eine Änderung des § 7 des Bundesvertriebenengesetzes, nach dem auch jetzt und künftig geborene Kinder von Vertriebenen noch die Vertriebeneneigenschaft mit der Geburt erwerben?
Herr Staatssekretär Dorn, ich darf bitten.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Schmude, nach § 7 des Bundesvertriebenengesetzes erwerben Kinder, die nach der Vertreibung oder der Flucht ihrer Eltern geboren sind, ebenfalls die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft. Dieser Regelung liegen vor allem soziale Erwägungen zugrunde, die auch durch den erheblichen Zeitablauf seit dem Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihre Bedeutung nicht völlig eingebüßt haben. Gleichwohl wird auch diese Frage im Zusammenhang mit anderen einer abschließenden Regelung bedürfenden Fragen des Bundesvertriebenengesetzes erneut zu prüfen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, welche sinnvolle Folge kann der rechtliche Erwerb der Vertriebeneneigenschaft für z. B. jetzt geborene Kinder in Zukunft noch haben?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß es sich überwiegend - entsprechend dem damaligen Gesetzestext - um sozialpolitische Fragen handeln kann. Aber die Bundesregierung wird den gesamten Fragenkomplex - wie man auch viele Regelungen in anderen Gesetzen gleichermaßen dem heutigen Rechtszustand anpaßt - in ihre Überprüfungen einbeziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mende.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der in der Frage des Abgeordneten Dr. Schmude zum Ausdruck kommende Wunsch gleichzeitig eine Forderung des stellvertretenden polnischen Außenministers Willmanns ist, der in einer Rede erklärte, daß die Bundesregierung als eine Konsequenz des Warschauer Vertrages eine Vielzahl gesetzesmäßiger Änderungen in der Bundesrepublik Deutschland zu unternehmen habe, und teilt Bundesregierung meine Auffassung, daß sie einer solchen Einflußnahme in die innerdeutsche Gesetzgebung entschieden zu widersprechen habe?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Dr. Mende, die Bundesregierung wird die deutschen Interessen und die Interessen der Bewohner der Bundesrepublik Deutschland in jedem Falle ganz entschieden vertreten. Sie hat das bisher getan, und sie denkt nicht daran, diesen Standpunkt zu ändern.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die in der Oktoberausgabe 1971 der Zeitschrift „Der Beamte im Ruhestand" zum Ausdruck gebrachte Auffassung, daß die beamtenrechtliche Versorgung der sogenannten nachgeheirateten Witwen verbessert werden muß?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident, ich bitte mir zu gestatten, die beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam zu beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ferner die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Wagner ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, eine Verbesserung dieser Versorgung, zunächst durch eine Änderung der Richtlinien Nummer 2 zu § 125 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes, herbeizuführen?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Frage einer gesetzlichen Verbesserung der beamtenrechtlichen Versorgung der nachgeheirateten Witwen gehört zu den Problemen, die im Rahmen der beabsichtigten künftigen Vereinheitlichung des Versorgungsrechts in Bund und Ländern geprüft werden sollen. Insoweit darf ich auch auf meine Schriftliche Antwort vom 8. Juli 1971 auf ,die Fragen des Kollegen Pensky verweisen.
Um eine Verbesserung der Versorgung der nachgeheirateten Witwen durch Änderung der Richtlinie Nr. 2 zu § 125 des Bundesbeamtengesetzes ist die Bundesregierung bemüht. Dabei ist an eine angemessene Erhöhung der in dieser Richtlinie festgesetzten Freibeträge gedacht, die bei der Anrechnung anderer Einkünfte auf die Versorgung unberücksichtigt bleiben.
Herr Abgeordneter Brück zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie davon gesprochen haben, daß gemeinsam mit den Ländern eine Überprüfung stattfinden soll, darf ich Sie fragen, ob diese Überprüfung in absehbarer Zeit erfolgen wird, wann wir in diesem Hause gegebenenfalls mit einer Vorlage rechnen können und ob Sie auch daran denken, die §§ 123 bis 132 des Bundesbeamtengesetzes, wo es um den Witwen- und Waisengeldanspruch geht, in die Betrachtungen mit einzubeziehen.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Brück, dabei handelt es sich um ein sehr altes Problem, das in den letzten 20 Jahren nicht zur Zufriedenheit der betroffenen Beamten geregelt worden ist. Die Bun9588
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
desregierung bemüht sich jetzt darum, eine zufriedenstellende Regelung zu erreichen. Das kann nicht einseitig, allein auf der Bundesebene, sondern muß in Abstimmung mit den Ländern geschehen. Inwieweit die notwendige Übereinstimmung mit den Ländern zu einer vernünftigen Regelung dieser Frage führen wird, vermag ich heute noch nicht endgültig zu sagen. Deshalb ist es mir auch nicht möglich, einen Zeitpunkt zu nennen. Ich möchte Sie bitten, damit zufrieden zu sein, daß ich Ihnen sage: wir führen diese Verhandlungen und bemühen uns mit den Ländern um eine vernünftige Regelung.
Auch hinsichtlich des Punktes, den ich angesprochen habe?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ob diese Paragraphen konkret in die Verhandlungen mit einbezogen werden, kann ich im Augenblick nicht sagen. Das muß ich erst überprüfen.
Ich möchte Sie darum bitten.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die erste Frage des Abgeordneten Varelmann auf.
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Ich rufe die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Varelmann auf:
Wie hoch war der Anteil der Rentner, deren Rente im Jahr 1957 in der Rentenversicherung der Angestellten und in der Rentenversicherung der Arbeiter nach der Höchstbemessungsgrundlage von 200 berechnet wurde und wie hoch dagegen im Jahre 1970?
Ist es gerechtfertigt, daß Renten von einer Bemessungsgrundlage von 200 und darüber gezahlt werden, und auf der anderen Seite seit 1957 die Spitzenbeiträge nur Bemessungswerte zwischen 154 und 179 hatten?
Herr Abgeordneter, der Anteil der Rentner, deren Rente die Höchstbemessungsgrundlage von 200 v. H. zugrunde gelegt ist, betrug in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten zusammen beim Rentenzugang im Jahre 1957 5 v. H. und im Jahre 1970 2,1 v. H.
Der mit Ihrer zweiten Frage angesprochene Sachverhalt betrifft die Beitragsbemessungsgrenze. Die damit zusammenhängenden Fragen wurden in diesem Hohen Hause schon wiederholt, nämlich sowohl bei der Neuregelung des Rentenversicherungsrechts im Jahre 1957 als auch bei der Beratung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes im Jahre 1965 und des Finanzänderungsgesetzes im Jahre 1967, eingehend erörtert, ohne daß jedoch eine Änderung
beschlossen wurde. Wenn sich in dieser Hinsicht die Auffassung Ihrer Fraktion geändert haben sollte, wird Gelegenheit sein, diese Frage im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bei den gegenwärtigen Beratungen erneut aufzugreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.
Herr Staatssekretär, muß man da nicht davon sprechen, daß in Zukunft, aber auch schon jetzt eine relativ breite Verarmung der Rentner eintreten wird? In der Zukunft wird kein Rentner mehr eine Rente beziehen, die von einer individuellen Bemessungsgrundlage von 200 ausgeht. 1957 war man allgemein der Meinung, daß 200 die Mindestgrundlage sein müßte. Ist man, wenn man nun nachträglich feststellt, daß dies mit der derzeitigen Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht wird, nicht verpflichtet, hier eine Änderung herbeizuführen?
Herr Abgeordneter, das ist eine Frage des allgemein gestiegenen Einkommensniveaus und des allgemein gestiegenen Rentenstandards. Ich kann Ihre Frage nicht mit Ja beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.
Müssen die Bezieher kleiner Renten nicht den Eindruck haben, daß ihre minimalen Renten zum Teil dadurch zustande kommen, daß die Spitzenrenten aus den übrigen Beiträgen relativ hohe Aufwendungen erfordern?
Mit Sicherheit nicht, Herr Abgeordneter; der Sachverhalt ist vielfach anders, zum Teil sogar genau umgekehrt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung überhaupt bereit, den Beziehern guter Einkünfte auch in Zukunft eine ausreichende Rente zu sichern, die dem Ziel der Rentenreform von 1957 gerecht wird? In ihrer sogenannten Vorlage zur Rentenreform sind solche Vorstellungen nicht enthalten.
Solche Vorstellungen sind in der Vorlage des Rentenreformprogramms der Bundesregierung deshalb nicht enthalten, weil dies kein grundlegender struktureller Mangel ist. Die Vorlage der Bundesregierung wendet sich gezielt an die Bezieher von Kleinrenten; dort sollen strukturelle Verbesserungen vorgenommen werden.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.
Herr Staatssekretär, erfordern die Spitzenrenten, die von einer Bemessungsgrundlage von 200 und von 50 Versicherungsjahren ausgehen, nicht derzeitig einen monatlichen Bundeszuschuß von 450 DM, weil der überschießende Teil im Umlageverfahren nicht durch Beiträge abgedeckt ist?
Herr Abgeordneter, es gibt keinerlei Detailberechnungen für Bundeszuschüsse, die sich auf einzelne Rentenarten oder einzelne Einkommensgruppen beziehen.
Vizepräsident 'Dr. Jaeger: Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Dr. Hauff. - Er ist offenbar nicht im Saal. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 45 der Abgeordneten Frau Stommel:
Welche Ergebnisse haben die von der Bundesregierung im August 1970 ({0}) zugesagten Prüfungen der Möglichkeiten, berufstätigen Müttern im Fall der unumgänglich notwendigen häuslichen Pflege eines kranken Kindes einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitstätigkeit ohne unangemessene Minderung des Arbeitsentgelts zu ermöglichen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich bitte, auch die Fragen 45 und 46 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Bitte sehr! Dann rufe ich noch die Frage 46 der Abgeordneten Frau Stommel auf:
Innerhalb welchen Zeitraums wird die Bundesregierung konkrete Rechtsregelungen anbieten, um durch einen Einkommensausgleich im Fall der Pflege eines kranken Kindes einen überfälligen Schritt zur familiengerechten Integration der berufstätigen Frau und Mutter in das Arbeitsleben zu vollziehen?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die von Ihnen genannte Kleine Anfrage verschiedene Möglichkeiten einer Lösung der angesprochenen Frage dargelegt und Erörterungen mit den Krankenversicherungsträgern und den Tarifvertragsparteien angekündigt. Diese Erörterungen haben begonnen, sind aber noch nicht beendet. Das Problem ist vielschichtig und mit weiteren Fragen verzahnt, so daß eine Entscheidung weitergehende Auswirkungen berücksichtigen muß. Ein bestimmter Zeitpunkt, zu dem die Bundesregierung einen Lösungsvorschlag vorlegen wird, kann noch nicht genannt werden. Die Bundesregierung wird die Angelegenheit aber mit Nachdruck verfolgen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung über quantitative Anhaltspunkte, gegebenenfalls aus welchen Materialien, in welchem Umfang in unserer gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Situation für eine anderweitig nicht zu gewährleistende Pflege kranker Kinder eine Inanspruchnahme bezahlter Arbeitszeit durch die Mutter möglich wäre, und im Rahmen welcher konkreten Zielvorstellungen?
Frau Abgeordnete, exakte Unterlagen darüber gibt es nicht. Die Bundesregierung hat sich in dieser Frage mit Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung in Verbindung gesetzt. Aus Mitteln der Krankenversicherung wird sich aber das ist heute schon zu sehen - eine Lösung dieses Problems nicht finden lassen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, nach der Rede, die er am 11. November 1971 vor dem Deutschen Frauenrat gehalten hat, bejaht Herr Minister Arendt durchaus die alternative Möglichkeit, statt der berufstätigen Mutter auch den Vater zur Pflege eines kranken Kindes ohne Einkommensminderung freizustellen. Gibt es für seine Zielvorstellungen erkennbare Realisierungsmöglichkeiten?
Diese Zielvorstellung ist innerhalb der Bundesregierung unbestritten. An entsprechenden Überlegungen wird gearbeitet. Ich darf aber um Verständnis dafür bitten, daß solche Überlegungen einer sehr gründlichen Prüfung bedürfen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Sind der Bundesregierung die Vereinbarungen des Manteltarifvertrags der Berliner Metallindustrie vom 1. April 1971 bekannt, der einen Rechtsanspruch auf Weiterzahlung des Arbeitsentgelts bis zu 16 Stunden Arbeitszeitversäumnis für die Versorgung eines kranken Kindes enthält, wenn eine anderweitige Versorgung des Kindes nicht sichergestellt ist - diese Regelung gilt für Männer und Frauen , und wie beurteilt sie diese Regelung z. B. am Maßstab ihrer eigenen Zielvorstellungen?
Dieser Manteltarif und andere sind der Bundesregierung bekannt. Wir sehen hierin einen bedeutsamen Ausfluß der tarifpolitischen Erfolge und fühlen uns in unseren Zielvorstellungen dadurch bestätigt.
Eine letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Stommel.
Herr Staatssekretär, welche Pflegemöglichkeiten sehen Sie als anderweitige Möglichkeiten im Sinne eines Ausschlußgrundes für eine Freistellung der Mutter an, und sind Sie angesichts der nachgewiesenen Heilungsverzögerung, der vor allem kleine Kinder im Krankenhaus durch die Trennung von der Mutter ausgesetzt sind, mit mir der Auffassung, daß die Möglichkeit einer Krankenhauspflege im Sinne Ihrer und auch unserer Bemühungen nicht als anderweitige Versorgung gelten soll?
Ich kann Ihnen in der Beurteilung des Tatbestandes nur zustimmen. Ich darf Sie nochmals um Verständnis dafür bitten, daß diese bis 1969 nicht gelösten Probleme von uns auch nicht in zwei Jahren gelöst werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Killat.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Lösung der Fragen, die Frau Kollegin Stommel aufgeworfen hat, differenziert gesehen werden muß, je nachdem, ob es sich beispielsweise um eine berufstätige Mutter mit Kindern handelt, die allein erwerbstätig ist, oder ob es sich um Mütter in Familien handelt, in denen beide Ehegatten erwerbstätig sind, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob die Krankenkassen Lasten zu übernehmen haben, weil einer der beiden Ehegatten nicht erwerbstätig sein kann?
Ich stimme Ihnen zu. Der von Ihnen aufgezeigte Tatbestand zählt zu den von mir in der Antwort genannten „vielschichtigen Problemen", die eine zufriedenstellende Lösung so schwierig machen.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Hansen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß der „Deutsche Studentenanzeiger", über den es im Verfassungsschutzbericht 1969i1970 unter der Überschrift „Rechtsradikale Presse" u. a. heißt, daß er von einem NPD-Kreisvorsitzenden herausgegeben wird und „mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen" habe ({0}), in seiner letzten Ausgabe eine ganzseitige Anzeige der Bundesanstalt für Arbeit enthält?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, zunächst darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesanstalt für Arbeit als Selbstverwaltungskörperschaft in ihren Entscheidungen weitgehend autonom ist.
Zum Sachverhalt darf ich folgendes bemerken. Die Bundesanstalt für Arbeit bedient sich zur Aufklärung der Öffentlichkeit über ihre Dienste und Leistungen mehrerer Werbeagenturen. Diese Agenturen arbeiten auch die Pläne für die Werbekampagnen der Bundesanstalt in Zeitungen und Zeitschriften aus.
Die von Ihnen beanstandete Anzeige ist in der Ausgabe des „Deutschen Studentenanzeigers" vom November 1971 erschienen. Der Verfassungsschutzbericht ist am 11. Januar 1972 veröffentlicht worden. Bei dem Bemühen, möglichst viele Personen anzusprechen, hat die von der Bundesanstalt beauftragte Werbeagentur die rechtsradikale Tendenz der genannten Zeitung zunächst übersehen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß rechtsextreme Zeitschriften nicht dazu dienen sollen, die Bevölkerung durch Anzeigen öffentlich-rechtlicher Stellen zu informieren. Die Bundesanstalt für Arbeit teilt diese Auffassung. Sie hat deshalb dafür gesorgt, daß Anzeigen aus ihrem Bereich in Zukunft nicht mehr im „Deutschen Studentenanzeiger" oder in anderen politisch extremen Publikationsorganen erscheinen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Ich darf also davon ausgehen, daß es in Zukunft weitgehend ausgeschlossen sein wird, daß ein in finanzielle Schwierigkeiten geratenes rechtsradikales Blatt mit Steuermitteln saniert wird?
Jedenfalls werden die Bundesregierung und im Falle Ihrer Frage die angesprochene Bundesanstalt für Arbeit dafür sorgen, daß das nicht geschieht.
Herr Abgeordneter Rawe zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie Ihre Stellungnahme nur auf rechtsradikale Blätter bezogen haben, darf ich Sie bitten, mir zu folgen, wenn ich das auch für linksradikale Blätter fordere?
Wenn der Tatbestand so eindeutig ist wie in diesem Falle, ja.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Engelsberger auf. - Er ist nicht im Saal, Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Anbuhl auf:
Teilt die Bundesregierung die in schleswig-holsteinischen Zeitungen verbreitete Meinung des Konteradmirals Jung, daß etwa drei Viertel aller Wehrdienstverweigerer „Drückeberger und Opportunisten" seien?
Herr Staatssekretär Berkhan, bitte!
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Die Bundesregierung teilt die von Konteradmiral Jung im Interview des Nordschau-Magazins vom 14. Januar 1972 vertretene Auffassung, daß etwa drei Viertel aller Wehrdienstverweigerer Drückeberger und OpportuParlamentarischer Staatssekretär Berkhan
nisten seien, nicht. Der Offizier hat seine persönliche Meinung geäußert. Ob Antragsteller das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung mißbrauchen, kann - das liegt in der Natur der Sache - nicht festgestellt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird es nach der politischen Entgleisung des Konteradmirals irgendwelche personellen Konsequenzen für ihn geben?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Anbuhl.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß Ihr Haus für die Zukunft höheren Offizieren mehr Zurückhaltung bei öffentlichen Auftritten anempfehlen wird?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Anbuhl, ich weiß, daß der Vorgesetzte des Admirals, der Inspekteur des Heeres, mit ihm über seine Äußerung gesprochen und ihm gewisse Empfehlungen nahegebracht hat. Ich gehe davon aus, daß die öffentliche Diskussion, auch diese Fragestunde, dazu beiträgt, Soldaten daran zu erinnern, daß sie unter der Pflicht des Soldatengesetzes stehen und sich bei politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit Zurückhaltung aufzuerlegen haben.
Herr Staatssekretär, ist wirklich der Inspekteur des Heeres der Vorgesetzte eines Admirals?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, es handelt sich um einen Befehlshaber. In diesem Fall ist der Inspekteur des Heeres Vorgesetzter eines Admirals. Ich kann verstehen, daß das für einen Präsidenten aus Bayern ein schwieriges Problem ist.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht gut, wenn sich die Offiziere nicht nun Zurückhaltung auferlegen, sondern auch etwas besser informiert würden? Und wäre es unter diesem Gesichtspunkt nicht sinnvoll, in den „Informationen für die Truppe" einmal einen Bericht aus dem Arbeitsalltag eines Kriegsdienstverweigerers abzudrucken, der in einem Krankenhaus dient und als erstes wahrscheinlich mit Leichen zu tun hat?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Ich teile Ihre Auffassung nicht, Herr Kollege Sperling.
Herr Abgeordneter Dr. Mende!
Ist nicht auch die Bundesregierung wie die gesamte deutsche und internationale Öffentlichkeit von der großen Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Bundesrepublik Deutschland überrascht? Und glaubt die Bundesregierung, daß tatsächlich bei allen Betroffenen jene Gewissengründe vorhanden sind, die bei der Einfügung des betreffenden Artikels in das Grundgesetz damals im Parlamentarischen Rat Gegenstand der Beratung und der Feststellung waren?
({0})
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Mende, ich würde in den gleichen Fehler verfallen wie der Admiral, wenn ich hier äußerte, was ich glaube und vermute. Ich habe hier über Tatsachen zu berichten. Das Verfahren, nach dem ein junger Mann vom Wehrdienst freigestellt wird, ist gesetzlich geregelt. In den Ausschüssen arbeiten Beisitzer mit, die aus der Öffentlichkeit bestimmt werden. Es ist ein gerichtsähnliches - ich wiederhole: ein gerichtsähnliches - Verfahren. Es steht mir nicht an, Herr Kollege Dr. Mende, hier eine Schelte gegenüber diesen Ausschüssen auszusprechen.
Eine zweite Zusatzfrage steht Ihnen nicht zu, Herr Dr. Mende.
Die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zuerst rufe ich die Frage 61 des Abgeordneten Killat-von Coreth auf:
Ist die Bundesregierung bejahendenfalls bereit, den Gemeinden, die sich zur Aufrechterhaltung oder Erweiterung bestehender bzw. Einrichtung neuer Obus-Betriebe entschließen, eine Förderung zuteil werden zu lassen, die sich im besonderen auf die Kosten der stationären Anlagen für solche Betriebe erstreckt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes alle Anstrengungen zur Förderung des Oberleitungsomnibusses im Nahverkehr der Gemeinden unternommen werden müssen. Dieser Unterstützung bedarf es mindestens so lange, bis durch die technische Entwicklung elektrische, ohne Fahrleitung betriebene Fahrzeuge bei ausreichender Wirtschaftlichkeit für diese Aufgaben zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit für die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß über den Förderungskatalog nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Mittel zur Verfügung gestellt werden? Und ist das Ministerium bereit, werbend für die Erhaltung und vielleicht sogar für die Neuerrichtung solcher Obus-Linien einzutreten?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident, da diese Zusatzfrage auch den Inhalt der Frage 62 berührt, würde ich jetzt gern diese Frage beantworten.
Einverstanden. Ich rufe demnach auch die Frage 62 des Abgeordneten Killat-von Coreth auf:
Hält die Bundesregierung den Einsatz von Obus-Linien im Nahverkehr der Gemeinden wegen ihrer Abgasefreiheit und Geräuscharmut nicht für zweckmäßiger als etwa den Einsatz von diesel- oder benzingetriebenen Omnibussen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, nach Verabschiedung des Gesetzes über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus - Verkehrsfinanzgesetz 1972 - wird es möglich sein, durch Finanzhilfen des Bundes auch den Bau und den Ausbau von Betriebshöfen und zentralen Werkstätten des öffentlichen Personennahverkehrs im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes vom 18. März 1971 zu fördern. Zu diesen Einrichtungen werden angesichts der Eigenheiten des Obus-Betriebes auch dessen besondere stationäre Anlagen gezählt werden können.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich das so verstehen, Herr Staatssekretär, daß damit dann auch die Obus-Leitungen, die den teuersten Teil der Investition ausmachen, gemeint sind?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich nehme an, daß Sie einen besonderen Fall, und zwar den von Solingen, mit dieser Frage ansprechen wollen. Nach der Auffassung der Bundesregierung besteht diese Förderungsmöglichkeit auch für den Teil der Betriebsanlagen, den Sie eben angesprochen haben.
({0})
Eine Zusatzfrage, bitte sehr!
Herr Staatssekretär, haben Sie in Ihrem Hause Erfahrungen sammeln können, welche Entwicklung sich beim Betrieb von Obus-Linien angesichts des starken Verkehrs in den Städten abzeichnet?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, leider muß festgestellt werden, daß nach unseren Informationen, die sich im wesentlichen auf Berichte des Verbandes öffentlicher Verkehrsbetriebe stützen, die Zahl der Obusse in der Bundesrepublik zurückgegangen ist. Das hat verschiedenartige Gründe. Die Bundesregierung hat darauf keinen Einfluß. Sie wissen, daß Betriebe dieser Art in der Regel von den Gemeinden oder von Zweckverbänden betrieben werden. Wir halten aber aus den Gründen, die in der ersten Frage von Herrn Killat-von Coreth zum Ausdruck kamen, den Obus durchaus für förderungswürdig und würden es begrüßen, wenn sich die entsprechenden Träger zur Verwendung dieses Fahrzeuges entschließen könnten, und zwar mit Rücksicht auf die Vorteile, die es im Hinblick auf die Probleme der Umweltverschmutzung gegenüber anderen Bussen bietet.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 63 und 64 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Büchner werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Apel.
Die Fragen 68 und 69 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) und die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten Storm sollen auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dasselbe gilt für die Frage 74 des Abgeordneten Schulte ({1}).
Ich komme damit zu den Fragen 75 und 76 des Abgeordneten Schmidt ({2}). - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Bei der Frage 77 bittet der Fragesteller, der Abgeordnete Schulte ({3}), um schriftliche Antwort. Auch diese Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 78 des Abgeordneten Dr. Mende:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bezüglich des Weihnachts- und Neujahrspostverkehrs 1971/72 im innerdeutschen Postverkehr?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Austausch der Postsendungen mit der DDR im Weihnachts- und Neujahrsverkehr 1971/72 vollzog sich im allgemeinen flüssig. Nennenswerte Stauungen traten nicht ein. Obwohl noch keine genauen statistischen Angaben vorliegen, läßt sich folgendes feststellen: Im Briefverkehr wurden gegenüber dem Verkehrsumfang in dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres keine größeren Schwankungen festgestellt. Die Zahl der aus der DDR eingegangenen Pakete und Päckchen hat sich gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht; dagegen war der Verkehr in die DDR leicht rückläufig.
Eine Zusatzfrage? Dr. Mende ({0}) : Zu dieser Frage nicht.
Dann bitte die Frage 79 des Abgeordneten Dr. Mende:
Entsprechen Meldungen den Tatsachen, daß eine erhebliche Verlustquote bei Päckchen- und Paketsendungen in die DDR zu beklagen ist, und was gedenkt die Bundesregierung gegen diese Verunsicherung des innerdeutschen Postverkehrs zu unternehmen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, leider trifft es zu, daß die Verlustquote im Paket- und Päckchenverkehr in die DDR im Verhältnis zu dem Verkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland einerseits und dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Ausland andererseits unverhältnismäßig hoch ist. Diese bedauerliche Entwicklung, die auf Beschlagnahmemaßnahmen der DDR-Zollverwaltung zurückgeführt werden muß, begann mit dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 und dauert bis heute an.
Bei den Postverhandlungen mit der DDR wird seitens der Bundesregierung alles versucht, um eine Normalisierung des Postverkehrs mit der DDR herbeizuführen. Im übrigen hat der Leiter der DDR-Delegation in den Verhandlungen der beiden Postministerien laut Ziffer 5 des Protokolls vom 30. September 1971 ausdrücklich erklärt:
Die Versandbestimmungen für Geschenksendungen auf dem Postwege sind Gegenstand der inneren Gesetzgebung der Deutschen Demokratischen Republik. An der Lösung wird mit dem Ziel einer positiven Regelung gearbeitet.
Die Bundesregierung erwartet, daß die DDR sich an diese Absprache halten wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mende.
Ist die Bundesregierung bereit, die Geschädigten durch Aufforderungen über die Postämter zu bitten, Verlustanzeige zu erstatten, um durch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik Deutschland gewissermaßen eine moralische Handhabe gegenüber den
Postverwaltungen im anderen Teil Deutschlands zu haben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, diese Frage wird erwogen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß sich Regierungen wie die, die in der DDR besteht, von diesen Aspekten sicher wenig beeindrucken lassen. Wir sind der Meinung, daß es in den Verhandlungen auch andere Wege gibt, um dieses Problem zu bereinigen, und ich bin gern bereit, im zuständigen Ausschuß entsprechend über die Zusammenhänge dieser Verhandlungen zu berichten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, diese Verunsicherung des innerdeutschen Postverkehrs, insbesondere in den letzten Monaten, in einen Zusammenhang mit den großen Zahlungen zu bringen, die die Bundesrepublik Deutschland und damit die Steuerzahler an den anderen Teil Deutschlands geleistet haben, nämlich 250 Millionen DM für zurückliegende Postleistungen und jetzt pro Monat 30 Millionen - das ist im Laufe eines Jahres eine Summe von über einer halben Milliarde DM -, und kann die Bundesregierung bei Zahlung dieser Beträge nicht von der anderen Seite eine adäquate Erfüllung der Postverpflichtungen erwarten, und ist die Bundesregierung bereit, ihrer Forderung auf einen korrekten Postverkehr vielleicht unter Einschaltung des Weltpostvereins Nachdruck zu verleihen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen ja in der Antwort auf Ihre erste Frage angedeutet, daß die Bundesregierung erwartet, daß sich die andere Seite hier auf Grund gewisser Abmachungen an gewisse Versprechen hält. Ich bin gern bereit, auch die zuletzt gestellte Frage nach der Einschaltung des Weltpostvereins mit in die Erörterungen einzubeziehen, die ich Ihnen für den zuständigen Fachausschuß angeboten habe. Im übrigen sind Sie ja mit diesen Dingen und ihrer Kompliziertheit früher vertraut geweren, so daß Sie wissen, daß solche Abmachungen, um die es hier geht, in schwierigen Verhandlungen zustande kommen und eine gewisse Zeit der Eingewöhnung bei bestimmten Leuten sicher vorausgesetzt werden muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von Ihren Bemühungen um die Normalisierung des Postverkehrs. Würden Sie es als Normalisierung ansehen, wenn nach einer solchen Übereinkunft auch weiterhin nur ein beschränkter Postverkehr - und nur an eine Person im Laufe eines Monats - möglich ist wie jetzt?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe Ihnen deutlich gesagt, daß es hier nach Auffassung der anderen Seite um sogenannte zollrechtliche Bestimmungen geht und daß der gesamte Fragenkomplex sehr eng mit der Regelung aller Fragen zusammenhängt, die für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands von Interesse sind. Ich verstehe Ihre Zusatzfrage so, daß Sie die Bundesregierung in dem Bemühen, das Leben der Menschen im geteilten Land erträglicher zu machen, unterstützen wollen.
Die Fragen 80 und 81 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke Ihnen Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Die Fragen 82, 83, 84 und 85 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Für Frage 86 wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Die erste Frage ist die Frage 87 des Abgeordneten Hansen. Ist Herr Hansen nicht mehr im Saal? - Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Angebot des Präsidenten des Südafrikanischen Atomic Energy Board, Dr. A. Roux, mit europäischen Staaten auf dem Gebiet der Uran-Anreicherung zusammenzuarbeiten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär von Dohnanyi!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Lenzer, ein offizielles Angebot Südafrikas an die Bundesregierung liegt nicht vor. Der Bundesregierung ist allerdings bekannt, daß wohl inoffizielle Sondierungsgespräche - auf Industrieebene stattgefunden haben. Die Bundesregierung kann verständlicherweise ein nicht vorliegendes Angebot auch nicht beurteilen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre denn die Bundesregierung bereit, diesen Dingen einmal nachzugehen, die doch immerhin im Mitteilungsblatt des Deutschen Atomforums „Atominformation" vom .Januar 1972 veröffentlicht worden sind, um damit sicherzustellen, daß sich die Bundesrepublik unter Umständen an neuen Verfahren, die möglicherweise irgendwo entwickelt worden sind, beteiligen könnte, oder sind Sie bereit, sich auf diese drei von Ihnen einmal in anderem Zusammenhang genannten Verfahren zu beschränken und dabei in Kauf zu nehmen, doll ein Verfahren selbst bei größerer Wirtschaftlichkeit und größerer Marktnähe nicht zum Zuge käme?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, die Bundesregierung würde sich bestimmt nicht auf irgendwelche Verfahren festlegen, obwohl zu einem bestimmten Zeitpunkt die Investitionsentscheidungen fallen werden. Aber wir sind offen, und Sie wissen auch aus unseren Verhandlungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, daß wir auch für Verfahren offen sind, die nicht unmittelbar mit der Gas-Ultrazentrifuge zusammenhängen. Wir sind aber nicht über das informiert, was in Südafrika als ein neues Verfahren bezeichnet wird. Wir haben auch den Eindruck, daß die Verfahren, um die es dort offenbar geht, mit großer Geheimhaltung umgeben sind. Ich glaube nicht, daß es zweckmäßig wäre, wenn die Bundesregierung ihrerseits nun die Initiative ergriffe; man müßte da warten, bis die Dinge sich gegenüber der Bundesregierung konkretisieren.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer.
Ich darf also aus Ihrer Antwort schließen, Herr Staatssekretär, daß, wenn sich ein konkretes Angebot ergäbe, die Bundesregierung nicht zurückstehen würde, dieses Angebot auch zu prüfen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung wird jedes Angebot in aller Breite und hinsichtlich aller allgemeinen politischen Implikationen, die damit verbunden sind, prüfen.
({0})
- Ganz gleich, aus welchem Land es kommt, unter Berücksichtigung aller politischen Implikationen, die damit verbunden sind.
Herr Abgeordneter Dr. Schneider ({0}) hat seine Frage zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Schule für Kerntechnik des Kernforschungszentrums Karlsruhe im Umfang und in der Aufgabenstellung eingeschränkt werden soll und - wenn ja aus welchen Gründen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Seefeld, die Schule für Kerntechnik der „Gesellschaft für Kernforschung" in Karlsruhe ging aus radiochemischen und reaktorphysikalischen Kursen des Kernforschungszentrums hervor, die schon seit 1957 durchgeführt werden. 1960 nahm diese Schule ihren Betrieb in erweiterter Form auf. 1970 wurden 75 Kurse durchgeführt, an denen 1400 Interessenten teilnahmen. Nachdem sich die Kernforschung und die kerntechnische EntwickParlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
lung in den 12 Jahren des Bestehens der Schule in ihren Schwerpunkten erheblich verändert haben, ist es nunmehr notwendig, die zukünftige Ausrichtung der Schule zu überdenken. Diese Überprüfung von Zielsetzung und Arbeitsweise ist Teil der Erfolgskontrolle in Forschungseinrichtungen überhaupt, die erforderlich ist, um die Wirksamkeit der durchgeführten Tätigkeiten zu überprüfen. Die Geschäftsführung der „Gesellschaft für Kernforschung" hat deshalb eine Kommission aus Mitarbeitern des Kernforschungszentrums einberufen, die zur gegenwärtigen Lehrtätigkeit der Schule Stellung nehmen soll. Außerdem soll diese Kommission untersuchen, ob die Schule mehr als bisher für die Fortbildung der Mitarbeiter des Zentrums selbst eingesetzt werden könnte. Die Kommission hat ihre Arbeit erst vor wenigen Wochen aufgenommen. Erst nach Abschluß der Untersuchung und Prüfung des Ergebnisses wird zu entscheiden sein, ob die Tätigkeit der Schule in Umfang und Aufgabenstellung verändert werden muß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seefeld.
Herr Staatssekretär, sind Sie darüber informiert und halten Sie es für sinnvoll, daß im Zusammenhang mit der von Ihnen genannten beabsichtigten Maßnahme bei der Einsetzung der von Ihnen ebenfalls erwähnten Kommission die Schule für Kerntechnik selbst durch keinen einzigen ihrer Fachleute vertreten ist, und halten Sie es für richtig, daß erforderliche Maßnahmen sozusagen im Wege der Geheimniskrämerei getroffen werden, Geheimniskrämerei gegenüber denjenigen, die doch eigentlich zur Lösung mit beitragen könnten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Seefeld, ich bin ganz sicher, daß hier keine Geheimniskrämerei beabsichtigt war. Ich kann die Zusammensetzung der Kommission im Augenblick nicht beurteilen. Aber ich kann Ihnen versichern, daß all diejenigen, die hier betroffen sind, gehört werden. Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage die Kommission ihre Zusammensetzung, so, wie sie heute ist, erfahren hat. Ich werde aber auch der Frage nachgehen, ob eventuell eine Erweiterung der Kommission zweckmäßig erscheint. Hierzu will ich aber im Augenblick keine Zusagen machen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Würden Sie bei den anstehenden Überlegungen bitte mit in Erwägung ziehen, daß die Schule für Kerntechnik eine immer größer werdende Nachfrage zu verzeichnen hat und daß man daher auch eine Erweiterung der Schule, sowohl was die Mitarbeiter als auch was die Aufgaben angeht, in Erwägung zieht?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das ist, glaube ich, der Sinn dessen, was ich vorgetragen habe. Aber ich kann natürlich das Ergebnis nicht vorwegnehmen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 2. Februar 1972, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.