Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 18. Dezember 1971 hat sich in Washington die Zehnergruppe zusammen mit der Schweiz und nach Konsultationen mit den Währungsfondsdirektoren der Entwicklungsländer geeinigt: erstens auf eine grundlegende Neubewertung der internationalen Wechselkurse, zweitens auf eine vorläufige Einführung größerer Schwankungsbreiten sowie drittens auf die rasche Aufnahme der Beratungen über die längerfristige Reform des internationalen Währungssystems.
Gleichzeitig haben sich alle Beteiligten bereit erklärt, das neue internationale Gleichgewicht durch handelspolitische Vereinbarungen zu erleichtern und zu festigen. Im Rahmen der Vereinbarung über das Realignment der Wechselkurse, wie die Neuordnung der Wechselkurse im allgemeinen bezeichnet wird, haben die Vereinigten Staaten der unverzüglichen Aufhebung sowohl der 10%igen Importsteuer, der Sondersteuer, als auch der damit in Ver9348
bindung stehenden steuerlichen Benachteiligung von importierten Investitionsgütern zugestimmt. Beides ist inzwischen vollzogen.
Diese in Washington getroffenen Vereinbarungen sind von den beteiligten Regierungen anschließend verwirklicht worden. Darüber hinaus haben sich bis heute rund 50 weitere Länder mit einer Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem US-Dollar dem Realignment angeschlossen. Die meisten dieser Länder haben dabei ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland den vom IWF-Direktorium geschaffenen neuen Weg der Festsetzung, nämlich von „Mittelkursen" - „central rates", wie es dort heißt - gewählt und die Notifizierung der neuen Paritäten vorerst noch zurückgestellt. Von der Möglichkeit der Erweiterung der zulässigen Bandbreiten von bisher ± 1 % auf ± 2,25 % haben bisher rund 45 Länder Gebrauch gemacht.
Die Bundesregierung hat die Washingtoner Vereinbarungen begrüßt. Sie hat in der Kabinettsitzung am 21. Dezember 1971 unverzüglich die erforderlichen Beschlüsse gefaßt und damit von deutscher Seite die Voraussetzungen für die Verwirklichung der gemeinsamen Absprachen geschaffen. Die Bundesregierung wertet die Vereinbarungen von Washington als einen entscheidenden Schritt zu einer Neuordnung der internationalen Wirtschafts- und Währungsbeziehungen und zugleich als eine erfolgreiche Bewährung der westlichen Zusammenarbeit auch in kritischen Situationen.
Mit den Washingtoner Ergebnissen ist eine gefährliche währungs- und handelspolitische Krise überwunden worden. Die nach dem 15. August 1971 entstandene Gefahr eines weltweiten Währungs- und Handelskrieges ist heute gebannt. Die den freien Zahlungs- und Handelsverkehr belastenden Maßnahmen sind weitgehend wieder abgebaut; die Wirtschaft kann wieder frei von Diskriminierungen und frei von nicht kalkulierbaren Einflüssen disponieren. Für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit und für die weitere Vertiefung der weltweiten Arbeitsteilung zwischen den Nationen haben die Vereinbarungen von Washington eine neue Basis geschaffen.
Weiter ist wichtig, daß die freie Welt in einer krisenhaften Zuspitzung ein hohes Maß an internationaler Solidarität und an kooperativem Geist bewiesen hat. Erstmals in der jüngeren Wirtschafts- und Währungsgeschichte ist es gelungen, sich in einer internationalen Konferenz auf dem Verhandlungswege multilateral über neue Wechselkurse zu einigen. Die beteiligten Länder haben damit alle pessimistischen Stimmen widerlegt, die ein solches Unternehmen und ein solches Arrangement angesichts der teilweise erheblichen Divergenzen nationaler Interessen nicht für möglich hielten. Ein multilaterales Realignment, das, wie wir alle wissen, schon seit längerer Zeit von den Währungspolitikern angestrebt wurde - die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland geht seit 1968 in Richtung auf ein solches multilaterales Realignment -, wäre in der Tat unmöglich gewesen, wenn in der Vorbereitungs- und Vorlaufzeit feste Wechselkurse geherrscht hätten. Die Wellen der Spekulation hätten dann ein solches Werk sicherlich vereitelt. Erst dadurch, daß die überwiegende Mehrheit der Länder vorher, vor dem Arrangement, zum Floating übergegangen war, wurde ein solches Unternehmen überhaupt möglich. Selbst das von vielen Ländern geübte „verschmutzte Floating" hat hier noch seine Dienste getan.
Die Bundesregierung hat in den vielfältigen multilateralen und bilateralen Gesprächen alle Möglichkeiten der Verständigung ausgeschöpft und maßgeblich an der Vorbereitung der jetzt gefundenen Lösung mitgewirkt. Neben den Beratungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und der Zehnergruppe waren vor allem auch die Gespräche des Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen Staatspräsidenten eine wesentliche Station auf dem Wege zur Einigung. Dieses starke Engagement der Bundesregierung war mehr als nur Ausfluß unserer wirtschaftlichen Interessen; es war vor allem die Konsequenz der unveränderten integrationspolitischen Zielsetzung der Bundesregierung.
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Die Bundesregierung hat damit erneut bewiesen, wie ernst sie es mit der engen Zusammenarbeit im westlichen Bündnissystem meint.
Meine Damen und Herren! Die deutsche Wirtschaft ist in der gegenwärtigen Konsolidierungsphase der binnenwirtschaftlichen Konjunktur durch das Realignment der Wechselkurse fühlbar entlastet worden. Vorher, in der Interimszeit, hatte sich durch Eingriffe und Intervention dritter Länder zeitweilig eine Überbewertung der D-Mark am freien Markt ergeben. Das hat sicherlich die konjunkturell ohnedies rückläufige Investitionsbereitschaft zusätzlich belastet. Durch die Neufestsetzung der Wechselkursrelationen haben die Erwartungen und das Vertrauen der Wirtschaft in die Zukunft eine neue und feste Grundlage erhalten.
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Dies gilt um so mehr, als die Gefahren weltweiter und weiterer willkürlicher Handelsdiskriminierungen nunmehr gebannt erscheinen. Für die Wettbewerbsfähigkeit unserer exportorientierten Industrie ist dies eine wesentliche Erleichterung.
Die neuen Wechselkursrelationen haben die Chancen für die baldige Wiedergewinnung der Stabilität im eigenen Hause ohne übermäßige Gefährdung von Wachstum und Vollbeschäftigung entscheidend verbessert. Bei dieser gesamtwirtschaftlichen Bewertung verkennt die Bundesregierung keineswegs die mit der Aufwertung der D-Mark verbundene Belastung für die deutsche Exportwirtschaft. Diese Belastung hält sich jedoch insgesamt in tragbaren Grenzen.
Wie die Deutsche Bundesbank in ihren beiden letzten Monatsberichten dargelegt hat, darf die Veränderung der außenwirtschaftlichen Wettbewerbslage bei einem multilateralen Realignment - anders als bei einer isolierten Aufwertung der D-Mark etwa im Jahre 1961 und im Jahre 1969 - nicht allein an der Wertveränderung der D-Mark gegenüber dem
Dollar gemessen werden. Ausschlaggebend ist jetzt vielmehr der gewogene durchschnittliche Aufwertungssatz der D-Mark gegenüber den Währungen der Konkurrenzländer oder gegenüber den Währungen aller anderen Länder. Diese gewogene durchschnittliche Aufwertungsrate der D-Mark beträgt, gemessen an den neuen, am 18. Dezember verabredeten „Mittelkursen", gegenüber der gesamten übrigen Welt etwa 6,3 %, gegenüber den 15 wichtigsten OECD-Ländern 4,8 % und gegenüber unseren europäischen Partnern 3,5 %. Im Vergleich zu der De-facto-Aufwertung der D-Mark um 7,5 % gegenüber allen Ländern unmittelbar vor dem Realignment bedeutet das neue Ergebnis eine Verringerung des Aufwertungseffekts der D-Mark und damit eine Erleichterung für die deutsche Exportwirtschaft um gut 1 N. Bezogen auf die Partnerländer der Europäischen Gemeinschaft liegt diese Verbesserung der Wechselkursrelation sogar bei 2,5 %.
Und ein Weiteres! Im Unterschied zu den Ländern, die längere Zeit ihre unrealistischen Währungsparitäten mit Devisenkontrollen und anderen dirigistischen Praktiken verteidigt oder das Floating ihrer Wechselkurse künstlich eingeengt hatten, war die deutsche Wirtschaft durch die rechtzeitige Freigabe des Wechselkurses am 10. Mai besser auf die neuen Wettbewerbsverhältnisse vorbereitet. Die Anpassungslast wurde dadurch zeitlich gestreckt und insgesamt vermindert. Die zusätzliche Belastung durch eine stärker fortschreitende Kosten- und Preisinflation hätte unserer Wirtschaft sicherlich mehr geschadet als die Risiken dieser Periode zeitlich begrenzter Wechselkursflexibilität. Während sich im letzten Sommer und Herbst einige Länder, wie wir alle wissen, eines kurzfristigen Abwertungsvorteils erfreuten - durch besondere Kontrollen und Interventionen -, mußten diese selben Länder nach dem Realignment die Aufwertungsanpassung nunmehr abrupt vornehmen. Die deutschen Exporteure dagegen hatten die Anpassung de facto schon hinter sich. Herbert Giersch sagt hierzu mit Recht:
Es ist für die Bundesrepublik gut, daß die unvermeidliche Anpassung
- wechselkursmäßig in eine Zeit fiel, in der es konjunkturell - noch ein Zwischenhoch gab,
und daß sie nicht in die derzeitige Konjunkturphase nach dem Jahreswechsel fiel.
Die nationalwirtschaftliche Bedeutung dieser Neuordnung der Wechselkurse besteht sicherlich auch darin, daß sie die Gefahren einer zu starken Konjunkturdämpfung zurückschraubt. Mit Recht sagt die Bundesbank wörtlich:
Es ist daher verständlich, daß die Wirtschaft sich durch die Neuordnung der Wechselkurse erleichtert fühlt und daß der Konjunkturpessimismus zu weichen beginnt.
Wir sollten auch in diesem Hohen Hause in der
Tat diese gewichtigen psychologischen Tatbestände
nicht durch nachträgliche politische Auseinandersetzungen verdunkeln.
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Sicherlich wird es in dieser oder jener Branche Mehrbelastungen oder auch Minderbelastungen geben. Die Bundesregierung wird durch eine prophylaktische, nachfragestützende oder nachfragesteigernde Konjunkturpolitik solche Belastungen zu erleichtern versuchen. Zudem hat die Deutsche Bundesbank jetzt mehr Aktionsfreiheit in ihrer eigenen Geld- und Kreditpolitik. Im übrigen wird die Bundesregierung zur gesamtwirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik demnächst im Jahreswirtschaftsbericht 1972 Stellung nehmen. Dem sollte heute nicht vorgegriffen werden.
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Die in Washington zusammen mit der Neufestsetzung der Wechselkurse vereinbarte Erweiterung der Bandbreiten auf ± 2,25 %, wie erwähnt, ist ein wichtiger Schritt zu einer neuen, elastischeren Struktur des allgemeinen Wechselkurssystems. Die Bundesregierung hält im weltweiten Rahmen eine gewisse Elastizität in den Wechselkursbeziehungen für notwendig, solange sich in den nationalen oder regionalen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen und in den faktischen Abläufen keine stärkere Parallelität oder Konvergenz abzeichnet. Besser und wirksamer auf jeden Fall als Kontrollen und Interventionen kann eine größere Bandbreite eine marktwirtschaftliche Verteidigungslinie darstellen und damit die binnenwirtschaftliche Stabilitätspolitik gegen eventuelle störende Kapitalbewegungen abschirmen. Soweit sich für die exportierende Wirtschaft aus einem auch in Zukunft flexibleren Wechselkurssystem für längerfristige Geschäfte größere Risiken ergeben, wird dies durch die von der Bundesregierung geplante Wechselkursversicherung kalkulierbar gemacht.
Nun noch ein Wort zu den Marktentwicklungen in der letzten Zeit! Dabei müssen wir feststellen: Das seit dem 18. Dezember verabredete breitere Kursband kann seine Funktionen nur erfüllen, wenn sich der Kurs faktisch innerhalb dieses Kursbandes bewegen kann. Daher sollten wir die Kursentwicklung der letzten Zeit und der letzten Tage nicht zum Anlaß nehmen, in den Chor derer einzustimmen, die schon wieder von krisenhaften Entwicklungen reden. Der Markt muß sich erst auf die neuen Gegebenheiten einstellen. Es gibt eine Reihe von Gründen, die den ursprünglich sehr schnell erwarteten Dollarabfluß zur Zeit nicht eintreten lassen. Dazu mögen erstens die noch ausstehende juristische Festschreibung der Dollarabwertung, zweitens sicher auch das Zinsgefälle zu den USA und drittens technische Faktoren beigetragen haben. Aber entscheidend für dies alles und gerade für die neuerliche Entwicklung ist folgendes: Die Terminkurse bewegen sich innerhalb des festgelegten Bandes; von einer Spekulation auf Änderung des „Mittelkurses" der D-Mark kann also überhaupt keine Rede sein. Im übrigen besteht zwischen der Bundesregierung und der Bundesbank Einvernehmen über die InterBundesminister Dr. Schiller
ventionspolitik auf den Devisenmärkten und darin, daß die neue Wechselkursstruktur auch durch geeignete geldpolitische Maßnahmen wirksam abgesichert werden kann.
Für die notwendige Neuordnung der internationalen Währungs- und Handelsbeziehungen haben, wie ich angedeutet habe, die Vereinbarungen von Washington eine neue Ausgangsbasis geschaffen. Diese Neuordnung ist nach Auffassung der Bundesregierung unerläßlich. Die wechselnden Währungskrisen der sechziger und zu Beginn der siebziger Jahre haben gezeigt, daß jedes Land in seiner eigenen wirtschaftspolitischen Zielsetzung und Aktivität weitgehend abhängig ist von den Entwicklungen in den übrigen Partnerstaaten. Die Integration der Finanzmärkte und der Finanzmarkt der Bundesrepublik Deutschland insbesondere ist weltweit integriert -, die Verflechtung des industriellen Kapitals in der Welt, die Mobilität der Güter und Leistungen, alles ist in den letzten Jahren so stark gewachsen, daß jede nationale Wirtschaftspolitik sehr bald an ihre außenwirtschaftlichen Grenzen stößt. Noch ein weiteres Faktum: Die so oft beobachteten internationalen Liquiditätsbewegungen sind einfach durch die Existenz von multinationalen Großunternehmungen viel sensibler und unruhiger geworden, wobei wir diese multinationalen Großunternehmungen selbstverständlich als etwas ansehen, das zu unserer modernen Weltwirtschaft und zur internationalen Arbeitsteilung gehört.
Alle diese Erfahrungen haben in den meisten Staaten die Einsicht wachsen lassen, daß nur in einem neuen Weltwährungssystem mit größeren Elastizitäten als bisher mehr Wohlstand und zugleich mehr Stabilität erreicht werden können. Von dem Erfolg oder Mißerfolg dieser mittelfristigen Reform wird die weltwirtschaftliche Entwicklung der nächsten .Jahrzehnte weitgehend bestimmt. Die Bundesregierung wird in den internationalen Gremien mit Nachdruck dafür eintreten, daß die Gunst der Stunde möglichst bald und möglichst intensiv für weitere Fortschritte genutzt wird.
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Meine Damen und Herren! Für die weiteren Reformen sind schon beim Realignment mit der Einführung größerer Bandbreiten, also der Anerkennung der Notwendigkeit einer größeren Flexibilität des Systems, und mit der Festlegung der wichtigsten Reformpunkte wesentliche Pflöcke eingeschlagen. In den Beschlüssen des Zehnerklubs vom 18. Dezember 1971 wurde das Direktorium des Internationalen Währungsfonds beauftragt, die Beratungen über diese Reformpunkte nunmehr unverzüglich aufzunehmen.
Neben der Sicherung einer größeren Elastizität, die ich eben erwähnt habe, wird der Schwerpunkt der kommenden mittel- und langfristigen Reformgespräche vor allem bei der besseren Beherrschung der internationalen Liquidität liegen. Zwei Aspekte gilt es hierbei zu berücksichtigen: Einerseits sollten Zahlungsbilanzdefizite nicht mehr als permanente Quelle für neue internationale Liquidität und damit als Mittel der allzu leichten Übertragung eines allgemeinen Inflationsbazillus dienen. Andererseits sollen internationale Reservemedien, die international geschaffen und kontrolliert werden und die losgelöst sind von den Zahlungsbilanzdefiziten des einen oder anderen Landes, an die Stelle der Reservehaltung in nationalen Währungen treten. In diesem Zusammenhang muß auch die Frage der Konvertibilität des US-Dollars zwischen den Notenbanken erörtert werden. Dabei geht es auch um eine Regelung der sogenannten „Dollar-Altbestände". Die USA brauchen zwar zunächst Zeit und Gelegenheit, um die geschaffenen Fundamente der Besserung ihrer Zahlungsbilanz zu festigen. Denn davon wird der weitere Erfolg des Realignments allgemein in erheblichem Maße beeinflußt. Das heißt aber nicht, daß die USA damit auf längere Frist von jeder Konversionspflicht frei bleiben könnten. Aber die USA sind offenbar nicht mehr bereit, ihre eigene Wirtschafts- und Währungspolitik den Verpflichtungen eines Leitwährungsamtes weiterhin unterzuordnen. Meine Damen und Herren, in der Tat ist es so: die Bürde jenes alten Systems, eine Bürde, welche die USA seit Kriegsende getragen haben, ist durch die weltwirtschaftliche Entwicklung inzwischen über die Kräfte eines einzigen Landes hinausgewachsen. Die Versorgung der Welt mit internationaler Liquidität kann in der Tat nicht mehr einer nationalen Währungsbehörde und nicht mehr einer Währung übertragen bleiben. Die monetäre Politik in unserer modernen Welt muß frei werden von den Zufälligkeiten des amerikanischen Zahlungsbilanzbildes oder auch von der Größe des amerikanischen Zahlungsbilanzsaldos. Um es auf eine Formel zu bringen: an die Stelle eines monostrukturierten internationalen Währungssystems muß nun schrittweise ein multinationales System treten.
Meine Damen und Herren, in dieser Entwicklung, die ich für unausweichlich halte, muß Europa eine besondere Verantwortung und eine tragende Rolle übernehmen. Europa kann in diesem Prozeß der Neuordnung den Gang der Ereignisse beschleunigen, verlangsamen oder gar verhindern, je nachdem, ob es drängend oder retardierend auftritt, und je nachdem, ob es eine gemeinsame oder eine unterschiedliche Politik vertritt.
Die Europäische Gemeinschaft steht jetzt am Vorabend der Unterzeichnung der Beitrittsvertäge. Die Bundesregierung begrüßt, wie Sie wissen, nachdrücklich diese Erweiterung, durch die im Verhältnis zu den Beitrittsländern eine für alle Beteiligten nachteilige Zollgrenze abgebaut und die wirtschaftliche und die politische Kraft Europas gestärkt wird. Zusammen mit den neuen Mitgliedern ist die Europäische Gemeinschaft in der westlichen Welt der bei weitem größte Partner in den weltwirtschaftlichen Währungs- und Handelsbeziehungen. Die erweiterte Gemeinschaft, das ist unsere Auffassung, muß gerade dieser erhöhten Verantwortung dadurch Rechnung tragen, daß sie ihre eigene Währungs- und Handelspolitik noch stärker als bisher an den Grundsätzen der internationalen Arbeitsteilung und an dem Grundsatz der weltweiten Solidarität orientiert und daß sie eigene Initiativen für währungs- und handelspolitische Fortschritte noch mehr einleitet. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Gemeinschaft gerade im Prozeß ihrer Erweiterung
und auch bei der Regelung ihres Verhältnisses zur Rest-EFTA, zu den EFTA-Ländern, die nicht unmittelbar Mitglieder der Gemeinschaft werden, mit dem nächstgrößten Welthandelspartner, den USA nämlich, im handelspolitischen Gespräch bleiben muß.
Gegenwärtig verhandelt die Gemeinschaft mit den USA über handelspolitische Fragen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und des wechselseitigen Vorteils. Damit wird einmal und erstmals angestrebt, die währungspolitischen Beschlüsse von Washington kurzfristig durch gewisse Vereinbarungen auf handelspolitischem Gebiet zu flankieren. Gleichzeitig wird aber auch ein Weg zur Lösung von mittel- und langfristigen handelspolitischen Problemen multilateralen Charakters, aber im wesentlichen zwischen den USA und der Gemeinschaft, gesucht.
Wir müssen auch folgendes erkennen. Die USA sehen in der Politik der Europäischen Gemeinschaft schon jetzt und erst recht nach ihrer Erweiterung die Gefahr einer Verdrängung der amerikanischen Wirtschaft von bisherigen Absatzmärkten. Meine Damen und Herren, eine solche Sorge ist in dem befürchteten Umfang und von der Sache her sicherlich nicht berechtigt. Der Außenzoll der Europäischen Gemeinschaft ist heute - das sollte man nicht vergessen im Durchschnitt niedriger als der Zoll der Vereinigten Staaten von Amerika.
Gleichwohl und mit gutem Grund bemüht sich die Gemeinschaft, in den Verhandlungen mit den USA das in handelspolitische Aktionen umzusetzen, wozu sie sich in ihrer „Absichtserklärung" vom 12. Dezember 1971 bekannt hat. In dieser Erklärung, auf deren liberale und weltoffene Ausrichtung die Bundesregierung besonders hingewirkt hat, ist das handelspolitische Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für die nächste Zukunft festgeschrieben. Es ist jene Absichtserklärung, die zugleich das fällige und erwünschte Mandat für handelspolitische Verhandlungen für die Kommission brachte.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß neben den kurzfristig mit den USA zu lösenden Handelsproblemen auch die Besonderheiten des internationalen Handels mit Agrarerzeugnissen und das Problem der zollfremden Handelshemmnisse - der Non-tariff-barriers - bewältigt werden müssen. Ebenso wichtig ist natürlich ein weiterer Abbau von Zöllen. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung, die den Europäischen Gemeinschaften gerade nach ihrer Erweiterung in der Welt zukommt, ist die Gemeinschaft um so mehr dazu verpflichtet, bei diesem handelspolitischen Vorhaben eine aktive Rolle zu übernehmen. Damit lassen sich auch die handels- und zahlungsbilanzpolitischen Probleme der USA leichter lösen.
Der Herr Bundeskanzler hat sich in seinen Gesprächen am 28. und 29. Dezember 1971 mit dem amerikanischen Präsidenten eingehend über das künftige Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten ausgesprochen. Präsident Nixon hat dabei die deutschen Bemühungen um einen Ausgleich zwischen Europa und den Vereinigten Staaten und die deutschen Bemühungen um eine
besser organisierte Form des Dialogs der Gemeinschaft mit den USA dankbar anerkannt.
Meine Damen und Herren! Die europäische Landwirtschaft ist durch die währungspolitischen Beschlüsse von Washington unmittelbar betroffen. Um Einkommenseinbußen für die Landwirte in der Gemeinschaft und um ein Umlenken, vor allem ein künstliches Umlenken von Handelsströmen zu vermeiden, haben sich alle Länder der Gemeinschaft für eine Verlängerung des Grenzausgleichssystems bei Agrarprodukten entschieden. Die Erfahrungen mit einem solchen System zeigen, daß dadurch der gemeinsame Agrarmarkt nicht gefährdet ist. Auf jeden Fall gilt folgendes: solange das System der „Mittelkurse" angewandt wird, solange also nicht juristisch der Übergang zu neuen Paritäten im engeren Sinne vollzogen wird, wird das gegenwärtige System des Grenzausgleichs weiterdauern. Welche Lösung im europäischen Agrarbereich künftig gefunden und was auch immer an Lösungen diskutiert wird, die Bundesregierung wird einer neuen Regelung nur dann zustimmen, wenn daraus keine Nachteile für die in der deutschen Landwirtschaft Tätigen entstehen. Der französische Staatspräsident hat für diesen Grundsatz, der von unserer Seite betont wurde, ausdrücklich sein Verständnis bekundet.
Meine Damen und Herren, eine dauerhafte Lösung der europäischen Agrarprobleme kann aber nur im Rahmen der angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion, die bekanntlich bis 1980 vollendet sein soll, erreicht werden. Die. Bundesregierung steht nach wie vor zu den Entscheidungen vom 8. und 9. Februar 1971 über den Stufenplan zur Wirtschafts- und Währungsunion. Sie erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß das gemeinsam festgelegte Ziel eine weltoffene Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums darstellt und nicht etwa eine Gemeinschaft der nach oben harmonisierten Inflationsraten sein darf.
Auf der Grundlage der neuen innergemeinschaftlichen Wechselkursstruktur besteht nunmehr eine größere Chance, den Stufenplan zur Wirtschafts- und Währungsunion zu realisieren. Die Bundesregierung hält es für notwendig, daß die unterbrochenen Arbeiten nunmehr in engem Kontakt mit den beitretenden Ländern und unter Berücksichtigung der inzwischen gewonnenen Erfahrungen wieder aufgenommen werden.
Diese Erfahrungen zeigen im übrigen, meine Damen und Herren, daß die von deutscher Seite immer wieder unterstrichene Einhaltung der vereinbarten Parallelität zwischen wirtschafts- und währungspolitischen Fortschritten notwendiger denn je ist. Die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion darf nicht ausschließlich in einer Verringerung der innergemeinschaftlichen Bandbreiten bestehen. Dies ist im übrigen nicht unser Problem von heute und morgen.
Um dabei kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: die Bundesregierung bejaht grundsätzlich engere innergemeinschaftliche Bandbreiten. Aber die Gemeinschaft sollte hier gerade unter den jetzigen Umständen - mit der gebotenen Vorsicht vorBundesminister Dr. Schiller
gehen und zunächst die wichtigsten Regeln für das notwendige neue europäische Interventionssystem festlegen und damit auch erste Erfahrungen sammeln. Die neuerlichen Beratungen über die kürzlich vorgelegten Kommissionsvorschläge haben deutlich gemacht, daß unsere Partner in der Europäischen Gemeinschaft diese Fragen ähnlich beurteilen.
Um es ganz deutlich zu sagen: wichtiger als neue übereilte oder gar voreilige monetäre Konstruktionen in der Gemeinschaft sind Maßnahmen, um die jetzt gefundene Wechselkursstruktur auch in Europa zu verteidigen.
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Das ist unsere erste Aufgabe auch in Europa. Nur durch eine abgestimmte Stabilitäts- und Wachstumspolitik kann im übrigen auf mittlere Sicht vermieden werden, daß Wechselkursänderungen innerhalb der Gemeinschaft auch in Zukunft etwa wieder notwendig werden. Darüber hinaus muß auch der im innergemeinschaftlichen Kapitalverkehr in den letzten Monaten entstandene Wildwuchs an Kontrollen und Interventionen so rasch wie möglich beseitigt werden. Ich darf darauf hinweisen, daß in den letzten Monaten und im letzten Jahr innerhalb der Gemeinschaft eine Reihe von Kapitalverkehrskontrollen entstanden sind, die mit dem Geist und dem Wortlaut der Römischen Verträge keineswegs immer voll übereinstimmen. Deutschland hat vor allem
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im letzten Jahr - trotz gegenteiliger Ratschläge
das gegen Ende der 50er Jahre erworbene hohe Gut der Konvertibilität nicht auf den Müllhaufen der Wirtschaftsgeschichte geworfen. Deutschland
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hat die Konvertibilität durch alle internationalen Währungskrisen hindurch gerettet. Die Bundesrepublik Deutschland
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hat damit sowohl in ihrem eigenen nationalen als auch im europäischen Interesse gehandelt. Um es so zu sagen: eine Region - das mag ein Land oder eine größere Gemeinschaft sein -, deren Administration ausländische Kapitalanleger durch Kontrollen verärgert, müßte damit rechnen, daß ihr Zinsniveau real künftig höher sein wird als das Zinsniveau z. B. jener Länder, die, wie die Schweiz und die Bundesrepublik, nicht einen falschen Wechselkurs, sondern die Konvertibilität verteidigt haben. So können gerade die Unternehmen in einer Wirtschaftsgemeinschaft, die eine marktkonforme Zahlungsbilanzpolitik betreibt, auf mittlere Sicht mit einer echten Wettbewerbsverbesserung bei ihren Kapitalkosten rechnen.
Wir haben festgestellt, in Washington ist eine neue Ausgangslage für die internationalen Wirtschafts- und Währungsbeziehungen und für eine neue Wirtschafts- und Währungspolitik in der Welt geschaffen worden. Aber - das sage ich auch deutlich - bei dieser in Washington geschaffenen Ausgangsbasis können und dürfen wir nicht stehenbleiben. Es wird in der internationalen Presse immer wieder, auch neuerdings, bemerkt, daß der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen das Realignment - die Neuordnung der Wechselkurse - kurz nach dem Abschluß in Washington als „ein fragiles Gebäude, als ein fragiles Kunstwerk" bezeichnet hat. Ich sage, in der Tat ist es so. Das Washingtoner Ergebnis ist nur so lange tragfähig, wie mit diesem Ansatz Konstruktionen entstehen, die keine neuen internationalen Ungleichgewichte mit sich bringen oder nach sich ziehen.
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Über die Zukunft der Washingtoner Vereinbarungen wird somit in der nächsten Zeit 1. bei den Beratungen im Internationalen Währungsfonds, 2. bei den Diskussionen in Brüssel und 3. vor allem bei den nationalen wirtschaftspolitischen Entscheidungen der wichtigsten Partner entschieden. Da entscheidet sich das weitere Schicksal. Je mehr die tonangebenden Industrieländer eine ausgewogene und konvergierende Politik der Stabilität und des Wachstums betreiben und je mehr sie zugleich bereit sind, zahlungsbilanzbedingte Anpassungsprozesse auch wirklich durchzustehen, um so größer wird die Lebenserwartung des vollzogenen Realignment sein können. Ich füge hinzu: die Entwicklung an den Devisenmärkten wird dadurch weitgehend bestimmt werden, auch durch die Erwartungen in bezug auf die Entscheidungen im nationalen Rahmen, im europäischen Rahmen und im Rahmen des Internationalen Währungsfonds. Die Bundesregierung wird deshalb ihre intensiven Bemühungen um ausgewogene und dauerhafte Lösungen fortsetzen. Sie ist überzeugt, daß eine solche Regelung der Währungs- und Handelsfragen ein Kernproblem der westlichen Integration und der westlichen Allianz ist.
Präsident Nixon hat am Schluß der Washingtoner Konferenz die historische Bedeutung dieser Übereinkunft hervorgehoben, und er hat auf die Frage, wer denn nun der Sieger ist, die gesamte freie Welt zum Gewinner erklärt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung stimmt mit dieser Wertung durch Präsident Nixon voll überein.
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Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundesminister für die Abgabe der Regierungserklärung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Strauß. Es sind 45 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute vom Herrn Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen eine Information aus erster Hand bekommen, inhaltlich gleichlautend mit dem, was wir bereits am 18. Dezember 1971 wußten.
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Falls Sie damals schon geistig im Urlaub gewesen sein sollten, ist das Ihre Angelegenheit.
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Insoweit hat es eine Regierung heute schwer, das Parlament so zu informieren, wie es den klassischen Gebräuchen und Traditionen der parlamentarischen Demokratie entspricht. Es ist überhaupt nicht mehr möglich, Vorgänge nationaler oder internationaler Art in Gestalt einer ersten Information von seiten der Regierung dem Parlament mitzuteilen, weil die Möglichkeiten der modernen Technik dafür sorgen, daß nicht nur die Mitglieder des Parlaments, sondern auch die gesamte Öffentlichkeit unverzüglich, d. h. oft innerhalb weniger Minuten nach den Ereignissen, informiert werden, soweit man überhaupt informieren will. Aber mehr haben wir heute auch nicht erfahren.
Darum stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung nicht damals, im Dezember, den Bundestag informiert hat. Das wäre nur durch eine nicht von allen Seiten gern gesehene Sondersitzung des Bundestages möglich gewesen. Allerdings hat es schon geringere Anlässe gegeben, die die SPD-Fraktion veranlaßt haben, Sondersitzungen des Bundestages zu erzwingen,
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z. B. die damalige Postgebührenerhöhung unter Bundeskanzler Erhard und Postminister Stücklen.
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Aber was damals ein weltbewegender Vorgang war, der eine Sondersitzung des Bundestages auf dem Höhepunkt der Sommerferien unvermeidlich machte, ist heute eine unbedeutende administrative Angelegenheit geworden, die wegen ihrer häufigen Wiederholung eigentlich gar keine besondere Aufmerksamkeit mehr erfordert.
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Darum haben die Sozialdemokratische Partei und die von ihr getragene, praktisch allein bestimmte Bundesregierung
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auch die Wertmaßstäbe erheblich geändert, denn eine Sondersitzung aus Anlaß der Washingtoner Beschlüsse erschien offensichtlich als nicht notwendig. Wir tadeln aber die Bundesregierung deshalb nicht, weil sie uns damals auch nicht mehr hätte sagen können, als wir ohnehin schon wußten. Aber dann erhebt sich um so mehr die Frage: warum eigentlich heute? Denn das, was wir wußten, haben wir abermals gehört, und das, was wir wissen wollen, hat Herr Schiller heute nicht gesagt, nämlich wie es weitergehen soll.
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Darüber hat er einige höchst allgemeine, unverbindliche, wie immer in die Zukunft weisende, aber mehr den Charakter von Versprechen aufweisende Erklärungen abgegeben. Gegenüber Versprechen sind wir jedoch alle zusammen sehr allergisch geworden, weil wir wissen, daß eine verbale Beteuerung dann erfolgt, wenn man entweder keine Vorstellungen oder die Absicht hat, das Gegenteil zu tun, bzw. nicht die Fähigkeit aufweist, das zu tun, was man verbal erklärt.
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Darum stellt sich wirklich die Frage: warum die Regierungserklärung jetzt? Das hat doch keinen Sinn. Und warum die Behandlung eines sicherlich sehr wichtigen Teilgebietes getrennt von den anderen Problembereichen unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik? Eine gemeinsame Behandlung wäre doch, Herr Bundesminister Schiller, ohne weiteres möglich und auch sinnvoll gewesen, wobei ich mich gar nicht beklage, daß die Debatte heute stattfindet. Aber wir fragen uns nach den Hintergründen, nach den Motiven, nach den hintergründigen Erwägungen, den subkutanen Konsiderationen,
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die zu dieser Regierungserklärung geführt haben. Denn in wenigen Tagen muß das Kabinett über den Jahreswirtschaftsbericht befinden. Das soll am 26. Januar, glaube ich, erfolgen. Einige Vorabdrucke sind schon Teilen der Presse offensichtlich zugegangen. Durch die „Wirtschaftswoche" - das ist in dem Falle das wöchentlich erscheinende Wirtschaftsmagazin, um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden - bin ich jedenfalls bereits über die zweite Fassung des Referentenentwurfs etwas unterrichtet. Vielleicht wird die Bundesregierung in Zukunft den Mitgliedern des Parlaments Freiabonnements für die „Wirtschaftswoche" zur Verfügung stellen, damit dann auf diesem Wege die Information erfolgt.
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Bei dieser Gelegenheit habe ich Herrn Dr. Bucerius dafür zu danken, daß ich das Freiexemplar seit Jahren habe. Sonst müßte ich selber zahlen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, daraus ergibt sich doch die Frage, ob der Herr Bundeswirtschaftsminister wirklich meint, daß dieser Teilbereich Währungspolitik sich im Gegensatz zu den anderen Teilbereichen unserer Wirtschaft für eine Siegesmeldung eignet und deshalb nicht im Zusammenhang mit den anderen Problembereichen behandelt werden dürfe und angesichts deren wenig erfreulicher Optik untergehen und im Hintergrund verschwinden dürfe. Es wäre doch nichts natürlicher, als daß im Zusammenhang mit der Erörterung des Jahreswirtschaftsberichtes der Bundesregierung die Währungspolitik in den Gesamtzusammenhang aller Teilbereiche, d. h. des Gesamtbereichs der Wirtschafts- und Finanzpolitik hineingestellt wird. Weil man aber weiß, daß die Gesamtbehandlung aller Probleme eine für die Regierung höchst unangenehme, hinsichtlich der Vergangenheit höchst pannenreiche Angelegenheit ist, wollte man diesen Teilbereich als eine Sondersiegesmeldung herausgreifen und ihn von den übrigen Teilbereichen trennen. Anders kann ich das nicht erklären.
Ich wäre froh, wenn das, was ich jetzt sage, falsch wäre, mindestens aus zwei Gründen. Aber ich glaube, daß die Taktik der Regierungsparteien, vielleicht von der Bundesregierung veranlaßt, vielleicht auch in einer, darf ich sagen, aus gemeinsamen Gründen bestehenden Interessengemeinschaft, es vermeiden will, den Haushalt 1972 noch vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg zu behandeln. Sonst wäre der Vorgang kaum zu erklären,
daß verschiedene Berichterstatter der Regierungsparteien im Haushaltsausschuß sich außerstande sehen, ihren Bericht zu erstatten, weil sie nicht Zeit gehabt hätten, sich darauf vorzubereiten.
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Mir scheint, daß man die Woche, die noch vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg in Betracht käme, um die Probleme des Haushalts und die damit zusammenhängenden Fragen zu behandeln, für diesen Zweck nicht verwenden will. Daraus spricht
eine ganz gewisse „Strategie" ist vielleicht etwas
zu aufwendig dafür operative Taktik, nämlich
die, den Teilbereich Währungspolitik heute herauszugreifen, um ihn als Sonderproblem mit Siegesmeldungen und Erfolgsaufzählungen zu behandeln,
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im übrigen halt die Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht, weil unvermeidbar, weil nicht durch Manipulationen auf die Zeit bis Ende April zu verschieben, in Gottes Namen zu bestreiten, aber so zu bestreiten, daß nicht der düstere Aspekt der anderen Bereiche den angeblich strahlenden Himmel der Währungspolitik verdunkelt, und im übrigen den Haushalt erst im Mai dieses Jahres zu behandeln. So scheint mir die operative Taktik zu sein.
Ich habe ausdrücklich gesagt, wenn es nicht stimmt, werde ich sehr froh sein. Ich werde dann auch bei der Haushaltsdebatte sagen, daß meine Ankündigung sich erfreulicherweise als falsch herausgestellt hat. Ich würde nicht anstehen, das hier vom gleichen Platze aus zu erklären.
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Es wird nicht notwendig sein; aber man soll ja hope for the best and be ready for the worst - um in einem verständlichen Sprachgebrauch zu reden.
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Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat vorgestern nach einer Präsidiumsitzung der CDU der Montagvormittag eignet sich ja für solche Zwecke in beiden großen Parteien immer am besten - erklärt, daß sich die deutsche Wirtschaft in einem Teufelskreis befinde und hat dafür einige Schwerpunktausführungen gemacht, die diese Behauptung gestützt und bewiesen haben. Der Sprecher der Bundesregierung hat - das ist kein Wunder, das war von ihm nicht anders zu erwarten erklärt, es gebe keinen Anlaß zur Dramatisierung. Als Sprecher der Bundesregierung kann er auch nicht sagen, daß es Anlaß zur Dramatisierung gebe. Insofern ist das völlig klar. Er sagte aber noch weiter, die Opposition biete nichts anderes als wirtschaftspolitischen Pessimismus an. Wir bieten nur das an, was in Wirklichkeit vorhanden ist.
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Wenn die Gesamtumstände aller wirtschafts- und finanzpolitischen Teilbereiche, von denen heute einer herausgegriffen wird, Anlaß geben, ein düsteres Bild an die Wand zu malen, dann nicht, weil wir es so wünschen oder so sehen, während die
Wirklichkeit anders ist, sondern weil es leider in Wirklichkeit so ist. Aber man verträgt das nicht mehr, man kann das nicht mehr hören. Deshalb hat dann auch prompt das Präsidium der SPD erklärt: Zu Pessimismus bestehe überhaupt kein Anlaß, im Gegenteil sehe man die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1972 mit großem Optimismus auf sich zukommen.
Aber wenn ich auf das engere Thema der heutigen Regierungserklärung eingehen darf, so möchte ich doch sagen: auch das Ergebnis von Washington bietet keinen Anlaß zum Siegesjubel. Bezeichnend ist, daß der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen seine Währungspolitik, die wahrlich kein Heldenstück darstellt, sondern auf weiten Strecken den krankhaften Versuch, aus der Not eine Tugend zu machen, zur Imagepflege und Reputationsverbesserung heute benutzen zu müssen geglaubt hat. Darum ist das ganze vorgezogen worden. Da muß ich fragen: Wenn auf dem Gebiet der Währungspolitik schon sehr kritische Anmerkungen berechtigt sind und wenn man trotzdem diesen Bereich als Erfolgsbereich ansieht, wie schlecht muß es dann erst auf den anderen Gebieten bestellt sein, über die man heute nicht sprechen will?
Ohne Zweifel ist es richtig, daß mit den Entscheidungen von Washington am 18. September 1971 ein vorläufiger Endpunkt einer unerfreulichen Entwicklung und die Möglichkeit eines Neubeginns, die Möglichkeit einer Sanierung des Welternährungssystems gegeben worden ist. Wir haben auch das in unserer Stellungnahme am Montag nach jenem Sonntag ganz klar zum Ausdruck gebracht und mit dem Zusatz „insoweit" das Ergebnis begrüßt. Es steht auch außer Zweifel, daß für einen solchen Neubeginn von allen Seiten Opfer gebracht werden müssen, wenn das Dollarproblem mit all seinen bekannten Hintergründen und Sorgen gelöst werden soll. Aber es ist wohl noch eine sehr vorsichtige Ausdrucksweise, wenn man in dem Zusammenhang bemerkt hat - ich wiederhole es -, daß der Hauptteil der Zeche von der Bundesrepublik Deutschland, d. h. von ihrer Wirtschaft, bezahlt worden ist. Das bezieht sich nicht so sehr allein auf die Beschlüsse von Washington als auf die vorhergehende Periode, die heute in einem eigenartigen Lichte einer pädagogischen Erziehung der deutschen Wirstchaft im Hinblick auf die Beschlüsse vom 18. Dezember 1971 erscheint und dann uns als ein brauchbares Zuchtmittel und als eine psychologische Vorbereitungsinstitution geschildert worden ist. Das ist eine höchst eigenartige Formulierung, die Sie hier gewählt haben.
In dem gleichen Wirtschaftsmagazin habe ich aus dem Munde eines nicht näher bekannten Fachmannes des Bankwesens gehört - das ist eine wesentlich schärfere Formulierung, als wir sie damals gebraucht. haben - : Wenn man Freude über die Beschlüsse von Washington zeige, dann könne das nur die Freude über eine höhere Konkursquote sein, als man sie ursprünglich erwartet hat. So steht es dort wörtlich zu lesen.
Die Währungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, verantwortlich vertreten durch diese BundesStrauß
regierung und ihren Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, hat in wesentlichen Punkten, wenn ich die Zeit von 1969 bis heute als eine zusammengehörige Periode nehme - ich bin auch gerne bereit, die Zeit vorher noch einzuschließen -, Schiffbruch erlitten. Daran können auch die publizistischen Ambulanzen dieser Bundesregierung, die nunmehr 365 Tage im Jahr Volldienst über jeweils 24 Stunden haben, nichts ändern.
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Sie können höchstens weiten Teilen der Öffentlichkeit das Bild der wirklichen Abläufe und die Realität der unvermeidbaren Konsequenzen noch für einige Zeit vorenthalten, auf die Dauer lassen sich aber Tatsachen nicht durch Informationsmanipulation unterdrücken.
({16})
Gott. sei Dank: Sie haben im Augenblick am allerwenigstens Grund, sich darüber zu freuen.
({17})
Natürlich sollte man aus der Vorgeschichte der Beschlüsse von Washington und aus diesen Beschlüssen eine Lehre ziehen, die heute in der Regierungserklärung des Herrn Bundesministers Schiller zaghaft gezogen worden ist, zaghaft deshalb, weil die Praxis der Bundesregierung, die Währungspolitik der Bundesregierung, dieser Lehre in der Vergangenheit leider nicht entsprochen hat. Währungspolitik hat nämlich nicht mehr nur eine nationale Seite, sondern vor allem eine internationale. Das heißt, Währungspolitik darf nicht, wie es mehrmals geschehen ist, aus Gründen der nationalen Konjunkturpolitik als Instrument nationaler Konjunkturpolitik mißbraucht werden.
({18})
Jede währungspolitische Entscheidung ist im Hinblick auf ihre internationale Auswirkung zu überprüfen. Auch die Freude über die Aufwertung eines Nachbarn, wie wir sie dann und wann erleben, ist eine kurzlebige und zweischneidige Angelegenheit.
Die Aufwertung 1969, die Periode des Floatings, die Beschlüsse von Washington bilden, sachlich und sinngemäß gesehen, eine Einheit. Ich möchte nicht auf die Vorgänge von damals, wie schon oft geschehen, nochmals in Einzelheiten zurückkommen. Wir haben allen Grund, und zwar nicht allein aus einer Oppositionshaltung heraus, vor der Wiederholung begangener Fehler zu warnen. Wir haben Grund, darauf hinzuweisen, daß die Aufwertung 1969 für sich allein genommen weder die Inflation verhindert noch ihr Ausmaß gedämpft noch eine Minderung des Exportüberschusses herbeigeführt hat.
({19})
Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß die
Inflation bei uns ohne diese Maßnahme noch größer
gewesen wäre. Die Aufwertung 1969 hat lediglich
unsere Wettbewerbsfähigkeit gedämpft - siehe
Chemie -, die Erträge vermindert und deshalb in
Verbindung mit den gestiegenen Kosten die Investitionsfähigkeit in weiten Teilen unserer Wirtschaft
beeinträchtigt. Aber sie hätte damals - der Sinn meiner Ausführungen ist nicht eine Polemik gegen die Aufwertung -, als noch die alte Regierung die Kurse freigegeben hatte, angesichts unserer Stärke im internationalen Währungs- und Wirtschaftsgeschehen für eine internationale Regelung oder die Einleitung derselben nutzbar gemacht werden können. Dann wären nämlich uns und anderen die folgenden oft sehr bitteren Ereignisse erspart geblieben. Wenn Sie das Ziel einer Verhinderung oder Dämpfung inflationärer Bewegungen hätte erreichen wollen, hätte die Aufwertung durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen ergänzt werden müssen.
Der Sinn meiner Ausführungen ist nicht das Nein zur Aufwertung 1969, sondern die Anmerkung, daß die damalige Situation angesichts der schon bestehenden Erfahrungen die Möglichkeit geboten hätte, die internationale Reform einzuleiten, und daß sich die Möglichkeit geboten hätte, sowohl Umfang wie Tempo der Inflation durch binnenwirtschaftliche Maßnahmen zu vermindern. Man hat damals die falsche Tür bewacht, bzw. man hat die Tür bewacht, von der die kleinere Gefahr für die Stabilität des Geldwertes kam. Die Tür, von der die größere Gefahr kam, hat man nicht nur nicht bewacht, sondern man hat sie im Herbst 1969 aufgemacht.
({20})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Junghans?
Sofort! Darum haben wir das seltsame Schauspiel, daß die Bundesregierung die importierte Inflation - eine bestehende, aber geringere Gefahr - bekämpft hat, aber die hausgemachte Inflation durch Verzicht auf binnenwirtschaftliche Maßnahmen herbeigeführt hat.
({0})
Ich nehme an, das geschah nicht mit Absicht, aber aus Unkenntnis.
Herr Kollege Junghans!
Herr Kollege Strauß, wie erklären Sie sich heute den Widerspruch, daß Sie damals - Sie sagten, um Sie wörtlich zu zitieren, daß durch die Aufwertung der Export abgewürgt worden sei - nicht binnenwirtschaftliche Dämpfungsmaßnahmen, sondern konjunkturell anheizende Maßnahmen gefordert haben?
({0})
Das erste stimmt, das zweite ist falsch, Herr Kollege Junghans. Das erste stimmt. Ich war damals der Meinung, daß der Export vermindert werden sollte. Die deutsche Wirtschaft ist den anderen Weg gegangen. Sie ist den Weg gegangen, ihre Weltmarktanteile um jeden Preis zu halten, I auch um den Preis verminderter Erträge, um den Preis des Verzichts auf Ertrag und notfalls sogar unter Inkaufnahme von roten Ziffern im Exportsektor. Dieser Weg hat zu einer Verminderung der Erträge geführt und damit auch dazu geführt, daß die
letzten Preismöglichkeiten auf den Binnenmarkt ausgenutzt worden sind,
({0})
die letzten Ecken und Nischen untersucht worden sind, daß die Investitionsfähigkeit vermindert worden ist und daß die Funktion der Exportwirtschaft als vornehmlicher Träger von Wachstum und Modernisierung damals weitgehend außer Kraft gesetzt worden ist. Mit der Antwort zu 1 ergibt sich auch die Antwort zu 2. Wäre meine Annahme zu 1 richtig gewesen, wäre dies zu 2 notwendig gewesen. Da aber der Exportüberschuß geblieben ist, ist die andere Wirkung eingetreten, die für uns um kein Haar erfreulicher ist, als es etwa die gewesen wäre, die ich in Aussicht gestellt habe. Das war die Alternative, die sich damals stellte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird doch niemand bestreiten, daß die importierte Inflation zwar einerseits eine Gefahr, aber die geringere Gefahr war und daß die hausgemachte Inflation das eigentliche Problem war. So haben sich ja auch der Bundesbankpräsident und Bundesminister Schiller
- mit Ausdrücken wie „home-made inflation" und „home-spun" - geäußert, und zwar nicht, um Selbstanklage zu üben, sondern um mäßigend im besten Stile Erhards - manchmal sind Sie, Herr Kollege Schiller, ja der beste Erhard, den es je gegeben hat, aber nur manchmal, wie ich ausdrücklich sagen möchte;
({1})
- Vorsicht, wir wollen das nicht allzusehr mit anderen teilen - auf die Träger des wirtschaftlichen Geschehens einzuwirken.
Lassen Sie mich zu den Punkten von Washington noch einige Bemerkungen machen. Die weltwirtschaftliche Verflechtung - das ist auch in der Regierungserklärung angeklungen - ist so sehr auf gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen, daß das Ausscheren eines Handelspartners, zumal eines solchen mit einem großen Anteil am Welthandel, eine Kettenreaktion auslösen kann, die die gesamte Konstruktion des Güter- und Kapitalaustausches in Frage stellt. Das muß für jede Regierung, die außenwirtschaftlich bedeutsame Entscheidungen trifft, eine unumstößliche - ich glaube, dieser Ausdruck ist von Ihnen schon gebraucht worden - economic order sein. Seit einiger Zeit war offenkundig, daß das geltende Weltwährungssystem, die sogenannte Bretton-Woods-Konvention, reformbedürftig war. Desto notwendiger wäre ein Verhalten der wichtigsten Mitglieder des internationalen Währungsfonds gewesen, das nach Möglichkeit den offenen Ausbruch der Krise verhinderte und im Geiste eben dieser notwendigen ökonomischen Ordnung mit den Partnerstaaten Kontakt aufgenommen und durch gegenseitige Beratung die Krise vor ihrem Entstehen überwunden hätte.
({2})
Daß das nicht eingetreten ist, rechtfertigt heute nicht
den Siegesjubel, daß die ganz großen Gefahren vermieden worden seien, daß kein weltweiter Handelskrieg ausgebrochen und die atlantische Allianz nicht zerbrochen sei. Hier zeichnet man ganz große Gefahren auf, die vermieden worden sind, die aber überhaupt nicht am Horizont aufgetaucht wären, wenn nicht wesentliche Partner des IWF-Systems sich gegen die internationalen Spielregeln verhalten hätten, auch die Bundesrepublik.
({3})
Hier, Herr Kollege Schiller, wäre ein Krisenmanagement, von dem man ja so viel auf anderen Gebieten hört - auch die Vorbereitung desselben -, erforderlich gewesen. Unter diesem Aspekt betrachtet, war die Handlungsweise der Bundesregierung unvereinbar mit den Geboten der internationalen ökonomischen Ordnung.
Der amerikanische Berater der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Milton Gilbert, hat hierzu die Hauptpunkte genannt. Hier zeigt sich eben, wie sehr Währungspolitik mit der gesamten Wirtschaftspolitik zusammenhängt und wiewenig es statthaft ist, einen Teilbereich heute als angebliche erfolgreiche Bestätigung der eigenen Politik herauszuheben. Hier zeigt es sich nämlich - so sagte auch Gilbert -, daß die restriktive Kreditpolitik der Notenbank, zu der sie durch die konjunkturpolitischen Fehler und Versäumnisse der Bundesregierung gezwungen worden ist, die Kapitalströme in Bewegung gesetzt hat, die man dann durch Floating und durch die Beschlüsse von Washington wieder unter Kontrolle zu bekommen versucht hat.
({4})
Die scharfe Zinspolitik wurde ohne Rücksicht auf weltwirtschaftliche Notwendigkeiten durchgeführt. Hier sind nationale Faits accomplis gesetzt worden, die die internationale Ordnung in empfindlicher Weise gestört und beeinträchtigt haben. Wenn man es auch nicht gerne hört und wenn es auch bei manchen im Augenblick nicht opportun ist, das zu sagen, so besteht doch kein Zweifel daran, daß die deutsche Währungspolitik zur Zerrüttung des internationalen Weltwährungssystems einen verhängnisvollen Beitrag geleistet hat.
({5})
Milton Gilbert geht in seinem Artikel, den Sie in der „Neuen Zürcher Zeitung" nachlesen können, so weit, zu sagen, daß die Dollarkrise hauptsächlich eine D-Mark-Krise gewesen sei.
({6})
- Wenn Sie einen Berater der BIZ, der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, zur Stützung Ihrer schwankenden Thesen heranziehen könnten, würden Sie es sicherlich tun. Ich stelle nur fest, daß man dort der Meinung ist - ich zitiere jetzt wörtlich in deutscher Übersetzung -:
Es ist für mich klar, daß die Mai-Krise im wesentlichen eine D-Mark-Krise war. Das war die Folge des extremen Gebrauchs der monetären Politik für hausgemachte Zwecke - for domestic purpose - mit einer geringen Berücksichtigung der internationalen Betrachtungen. Und es wäre völlig vermeidbar gewesen durch eine
vernünftige Koordinierung zwischen der monetären US- und der deutschen Politik.
So schreibt immerhin ein Mann, dessen Rat auf diesem Gebiet mehr Geltung hat als das Gelächter derer, die sich soeben in dieser Weise abwertend zu dieser Äußerung verhalten haben.
({7})
Die spekulativen Kapitalzuflüsse im ersten Halbjahr 1971 kamen der Bundesregierung gelegen. Sie konnte sich in Zugzwang setzen lassen. Damit konnte erreicht werden, daß man über die Variation der Wechselkurse abermals das unpopuläre Geschäft der Konjunkturdämpfung betreiben konnte. Damit hat man auf deutscher Seite - und das ist doch in Washington, London und Paris nicht verborgen geblieben - die Krise des Bretton-Woods-Systems, die nicht von uns allein ausgelöst worden ist, als willkommene Gelegenheit benutzt, um auf dem Rücken eines sanierungsreifen Weltwährungssystems nationale Konjunkturpolitik ohne Rücksicht auf Verluste zu machen. Das mußte hier einmal in dem Zusammenhang festgestellt werden. Das ist eine weltwirtschaftlich gesehen höchst bedenkliche Haltung und Maßnahme. Das ist auch von Währungsexperten der Bundesregierung - siehe Professor Hankel -, wenn auch nicht in der offenen Form, in der ich es gesagt habe, doch in unmißverständlichen Formulierungen zum Ausdruck gebracht worden.
Durch diesen währungspolitischen Alleingang ist die ökonomische Ordnung durch einen Regierungsakt außer Kraft gesetzt worden. Das hat dazu geführt, daß andere Staaten ihrerseits ebenfalls Maßnahmen getroffen haben, ohne sich mit den Handelspartnern abzustimmen. Und damit kam natürlich die Drohung einer Eskalation, eines weltweiten Handelskrieges und einer massiven Störung der atlantischen Solidarität. Sie ist zum Glück in letzter Minute noch verhindert worden. Aber diejenigen, die diese Gefahr mit herbeigeführt haben, haben keinen Grund, über ihren Beitrag zur Verhinderung in letzter Minute noch Sondermeldungen abzugeben.
({8})
Auch in der „Neuen Züricher Zeitung" finden Sie vom dortigen Wirtschaftsredakteur eine sehr bemerkenswerte Passage, in der es heißt:
Die Durchsetzung einer nur auf nationale Ziele ausgerichtete Fait-accompli-Politik birgt - das ist die Lehre des Jahres 1971 - die Gefahr einer Schädigung des weltwirtschaftlichen Systems insgesamt in isich.
Ich sage das nicht nur im Hinblick auf die Kritik des Jahres 1971, sondern auch im Hinblick darauf, daß die Bundesregierung wenigstens zum drittenmal, wenn das Problem wiederkommt, die Lehren aus ihren Fehlern und den dadurch hervorgerufenen Schäden ziehen soll
({9})
und daß sie nicht abermals in die Versuchung gerät, das vielleicht aus Gründen wahlpopulärer Erwägungen unterlassene Programm konjunkturpolitischer Notwendigkeiten durch Maßnahmen auf währungspolitischem Gebiet ersetzen zu wollen.
({10})
Das sollte wenigstens kein drittes Mal mehr in unserem Lande passieren.
Unter diesem Aspekt muß die Konferenz von Washington gesehen werden. Aber wesentlicher wäre es gewesen, sehr verehrter Herr Bundesminister Schiller, wenn Sie uns mehr über das gesagt hätten, was in Washington nicht geregelt werden konnte und welche Vorstellungen die Bundesregierung hat, wie diese offengebliebenen Fragen geregelt werden sollen, welche Pläne sie entwickelt hat, welche Vorschläge sie machen wird. Hier hüllt sie sich in Schweigen. Aber hier ist die Geheimhaltung wohl noch weniger angebracht als auf anderen Gebieten, über die heute so viel Lärm gemacht wird.
Man hat sich in Washington über Mittelkurse verständigt und die Bandbreiten auf 2,25 % erweitert. Damit hat man die Phase des Floating überwunden. Aber man hat nicht die Gefahrenherde beseitigt. In Washington sind lediglich die Scherben weggeräumt worden, die die nationalen Alleingänge im währungspolitischen Porzellanladen geschaffen hatten. Was uns fehlt, ist eine Strategie, um die anstehenden Gefahrenherde, die sich ja heute bereits wieder abzeichnen, zu entschärfen. Welche Strategie haben Sie hier, Herer Bundesminister Schiller? Es muß eine Strategie sein, die nicht zu einer Schwächung der westlichen Integration, nicht zu einer Schwächung der Pläne für die europäische Währungsunion führen darf, die schon erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das kann heute nicht am selben Punkte fortgesetzt werden, wo es eingestellt worden ist.
({11})
Denn die Erweiterung der Bandbreiten hat neue Probleme geschaffen, für deren Lösung die Europäer bis jetzt für ihre Zwecke noch kein für alle annehmbares, akzeptables Rezept gefunden haben. Die Unsicherheit an den Devisenbörsen ist nicht beseitigt. Wir haben allein in den letzten acht Tagen wiederum Bewegungen in der Größenordnung von 1 bis 2% kennengelernt. Die D-Mark bewegt sich auf den unteren Interventionspunkt zu. Bei anderen Währungen ist das gleiche. Das ist die Folge nicht einer eventuell immer noch bestehenden Unterbewertung der D-Mark, wie man schon aus diesem oder jenem Munde wieder hören kann, womit ja wieder der alte Narrentanz eingeleitet würde, sondern das ist die Folge der Unsicherheit, die durch die in Washington nicht gelösten, offengebliebenen, aber für die wirkliche Reform des Weltwährungssystems entscheidenden Fragen geschaffen worden ist und immer noch anhält. Darüber würden wir gerne etwas wissen.
({12})
Zweitens ist ein ungelöstes Problem die Kontrolle des Eurodollarmarktes. Sie haben davon gesprochen - und der Irrtum ist auch Ihnen zuzubilligen -, daß man zunächst geglaubt habe, die Dollarzuflüsse würden rasch wieder abfließen; sie seien nicht abgeflossen. Dafür sind nicht nur die Gründe des Zinsgefälles maßgebend, das heute geringer ist,
als es damals, vor eineinhalb Jahren und vor einem Jahr, gewesen ist. Dafür ist maßgebend immer noch ein hohes Maß an spekulativer Erwartung. Dafür ist auch vor allen Dingen maßgebend, daß dieses hohe Maß an spekulativer Erwartung genährt wird durch das Potential der 40 bis 60 Milliarden Eurodollar, die sich heute jederzeit nach einem gewissen Anpassungsvorgang - wieder auf jede Währung stürzen können.
Wenn Sie uns hier - wir haben ja zugestimmt
in unserer Fraktion - das Bardepotgesetz als Abwehrmaßnahme empfohlen haben, muß ich dazu sagen: dieses Bardepotgesetz ist ein Instrument, das einerseits wegen seiner Flächenwirkung verheerend wirken kann, andererseits aber auch eine stumpfe Waffe, denn es sichert nur ab gegen zinsinduzierte Zuflüsse und sichert nicht ab gegen spekulativ bedingte Zuflüsse. Welche Vorstellungen haben Sie zur Bewältigung des Eurodollar-Problems, das wesentlich mehr zu Ihrem Entschluß des Floating in seiner Auswirkung beigetragen hat als all die anderen Gründe, die man damals angeführt hat? Wollen wir doch nicht aus der Not -- aus dem Floating hier - eine Tugend machen: Das Floating war der letzte Ausweg aus einer durch die Mitwirkung der Bundesregierung ausweglos gewordenen Lage. Wer zum Floating ja sagt, bejaht einen Ausweg, der unvermeidbar war -- das habe ich auch gesagt , aber er bejaht damit nicht die Vorgeschichte, die zu dieser Ausweglosigkeit geführt hat; das ist ein großer Unterschied!
({13})
Ungeklärt ist, wie der Dollar als Reservewährung ersetzt werden soll. Daß er ersetzt werden soll, kam in der Regierungserklärung zum Ausdruck; wie er ersetzt werden soll, ist noch eine offene Frage. Aber solange die Konvertibilität des Dollar nicht wiederhergestellt ist, das Eurodollar-Problem gelöst ist und die Frage der Reservewährung geregelt ist, so lange wird die Unsicherheit und die Spekulationsstimmung an den Devisenbörsen anhalten. Nach den Washingtoner Beschlüssen war einige Zeit Ruhe, weil sich alles erst auf die neue Lage einstellen mußte, aber jetzt kommen die Dinge in Bewegung. Wenn die Bundesregierung nicht ihrerseits dazu beiträgt, daß diese offenen Fragen schnell gelöst werden, dann werden die Lösungen wiederum für Krisen und Gefahren gesucht werden müssen, die durch das lange Zögern bereits eingetreten sind. Vorgebeugt muß werden, aber es darf nicht nachträglich nach Auswegen für eingetretene Krisen und Gefahren gesucht werden. Das ist das Gebot der Stunde dabei.
({14})
Es wäre auch gut, wenn Sie uns sagen würden, wie die inflationären Gefahren bei Ihrer Vorstellung eines neuen Reservemediums unter Kontrolle gehalten werden sollen. Wir hätten auch gern etwas gehört, wie Sie sich den Anpassungsmechanismus vorstellen. Bei der Bandbreite geht es ja nicht nur um die Central-rate, sondern es geht um die Crossrate, Herr Kollege Schiller, und Sie wissen genauso gut wie ich, daß die jetzt geschaffene Lösung eine Bandbreite von insgesamt 9 % einschließt! Daher
auch die Notwendigkeit der Wechselkurssicherung für unsere exportierende Wirtschaft! Hier habe ich auch eine Bitte. Man sollte nicht die Wechselkurssicherung so bürokratisch kompliziert machen und sie in erster Linie zu Lasten der Wirtschaft regeln. Die Wirtschaft ist lange genug der Prügelknabe der Experimente der Bundesregierung gewesen.
({15})
Sie hat es wirklich verdient, daß die Exportwirtschaft jetzt endlich einmal in Ruhe gelassen, von weiteren Risiken verschont wird und nicht mit nicht von ihr verschuldeten Belastungen auch noch weiter bebürdet wird. Das wäre jetzt endlich einmal angebracht. Es gibt kein Land in der Welt, dessen Regierung mit seiner Exportwirtschaft in der Weise umgesprungen ist oder umspringt, wie es bei uns seit über zwei Jahren der Fall ist.
({16})
Ich weiß, wie schwer Ihre Aufgabe ist. Ich nehme an, daß Sie sie ernst nehmen; ich glaube es Ihnen. Aber ich wäre daran interessiert zu wissen, wie Sie es erfüllen wollen: Wie will man der jetzt getroffenen Teillösung, die nur ein Anfang ist, und einer später kommenden Gesamtlösung, die beraten wird - einige offene Fragen habe ich genannt -, Dauerhaftigkeit verleihen, d. h. mit welchem Mechanismus, welchem System an Regeln und Interventionen, welcher Stellung des IWF mit dem Ziele, alle Partner des Weltwährungssystems, vor allen Dingen die zehn wichtigsten Industrieländer, zu einer strengeren Zahlungsbilanzdisziplin und einem stabilitätskonformen Verhalten, das heißt zu einer energischen Inflationsbekämpfung, zu veranlassen? Das ist die entscheidende Frage, sonst wird jedes Weltwährungssystem binnen kurzer Zeit wiederum vor denselben Problemen stehen, mit denen wir uns herumplagen.
({17})
Nun, ich habe nicht Zeit - das wird auch bei anderer Gelegenheit noch möglich sein , über das Problem einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eingehender zu sprechen. Ich habe einen hochinteressanten Aufsatz im Europa-Archiv vom Dezember 1971 gefunden. Da schreibt ein Beamter Ihres Ministeriums, Herr Hans Tietmeyer, einen vorzüglichen Aufsatz und zitiert dort ausgerechnet die Studie eines Autorenkollektivs der Moskauer Universität. Aber der Studie ist in dem folgenden Satz zuzustimmen:
Nur eine supranationale Gewalt könnte in der EWG einem gemeinsamen Währungssystem die nötige Kraft und Autorität geben.
Daß dort als Sorge ausgedrückt wird, was wir als Hoffnung haben, ist ja wohl zwischen allen unbestritten. Es heißt am Schluß des Aufsatzes:
Auf die Dauer hat die Gemeinschaft, wenn sie sich selbst nicht in Frage stellen will, keine Alternative als den Weg in die politisch fundierte Wirtschafts- und Währungsunion. Dafür genügen keine verbalen Kompromisse, dafür sind die tatsächliche Vergemeinschaftung der
Politik und die Schaffung entsprechender Institutionen notwendig.
({18})
Das heißt, daß das von der Bundesregierung verbal betonte, mit vielen Erklärungen auch in der Öffentlichkeit begrüßte Ziel ihrer Politik - Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - eine Klärung der Haltung der Bundesregierung - man kann sich hier nicht immer auf Frankreich und andere hinausreden - erforderlich macht, eine Klärung der Frage, ob sie in dieser Generation zur Schaffung solcher Institutionen einen positiven Beitrag leisten, statt abwartend, andere kritisierend weiterhin am Wegesrand stehen will.
({19})
Es kommt zu keiner Wirtschafts- und Währungsunion, die Aussicht hat, die Voraussetzungen dieses Begriffes auch wirklich auf die Dauer zu erfüllen, wenn nicht Instanzen geschaffen werden, die das Gesamtproblem - Abtretung von Souveränitätsrechten und Schaffung einer wachsenden wirtschaftlichen und politischen Gemeinschaft - in Europa mit Ernst und Nachdruck betreiben. Und darum haben wir, CDU und CSU, in unserem gemeinsamen Papier, das von manchen hier, weil sie nicht begriffen haben, was dahinter gemeint war, etwas belächelt wurde, geschrieben, daß dieser Aufgabe der europäischen Integration der Vorrang vor allen anderen außenpolitischen Zielsetzungen gebührt. Und hier haben wir den Zweifel, ob dieser Vorrang bei der Bundesregierung innerlich wirklich anerkannt wird. Sie reiht eine Anzahl von schönen Zielen nebeneinander. Wir sagen zu all diesen Zielen ja, wenn wir uns auch über die Methoden, besonders in einer Richtung, nicht einigen können. Aber die Nebeneinanderreihung dieser Ziele sagt gar nichts aus, weil die Erfüllung des einen Zieles Probleme in der Erfüllung des anderen Zieles aufwirft. Und wenn ein Zielkonflikt besteht, sollte die Bundesregierung hier und heute bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagen: Für uns hat die Schaffung der europäischen Einheit, der Einheit der freien Staaten Europas, den absoluten Vorrang vor allen anderen außenpolitischen Zielsetzungen.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hätten gerne etwas mehr gehört, Herr Kollege Schiller, über die Neuordnung der Handelsströme. Wie soll die Last der 13 Milliarden getragen, wie sollen die Änderung der amerikanischen Zahlungsbilanz, die Beseitigung des Defizits und die Schaffung eines Aktivsaldos erreicht werden? Ich polemisiere gar nicht dagegen, daß es notwendig ist; das halte ich für richtig. Daß wir die Last nicht allein tragen können, liegt auf der Hand. Die Verteilung der Last muß zwischen allen Partnern dieses Systems zugunsten der Amerikaner geändert werden, weil sonst in den Fragen der Entwicklungshilfe, der Militärhilfe, der NATO-Solidarität unübersehbare Konsequenzen auftreten werden: Abzug der Truppen usw. usw. Darüber wollen wir hier heute gar nicht reden. Aber wie soll diese Last verteilt werden?
Wie stellt sich die Bundesregierung die Lösung der Frage vor, wie z. B. auf dem Gebiete des Agrarmarktes den bestehenden amerikanischen Bedenken, kritischen Vorbehalten und massiven Wünschen Rechnung getragen werden soll? Welchen Beitrag sollen w i r dazu leisten, und welchen Beitrag sollen die anderen dazu leisten? Wo ist die Bundesregierung bereit, und wo liegt die Grenze, bis zu der sie gehen will? Gerade der Agrarmarkt bietet hier besondere Probleme. Schon bei der ersten Aufwertung war es so; das Floating hat die Dinge noch verschärft. Die jetzige Regelung ist auch nicht befriedigend. lch habe von Ihnen gehört: Wenn die Central-rates eingehalten werden, bleibt der Grenzausgleich bestehen. Was aber dann, wenn der amerikanische Kongreß die neue Paritätsregelung auf Vorschlag der Regierung Nixon angenommen hat, wenn also damit aus den vorläufigen Leitwährungen nunmehr endgültige Paritäten fixiert werden? Wie steht es dann? Etwas wird die Bundesregierung heute einfach nicht abstreiten können: Wenn es ihr möglich war, im Zusammenhang mit dem Floating einen Grenzausgleich zu schaffen, weil die Lage für die Landwirtschaft unerträglich geworden war, warum hat sie im Jahre 1969 die hier in diesem Hause von uns erhobene und vertretene Forderung auf Grenzausgleich mit einer Hand vom Tisch gewischt? Was 1971 möglich war, wäre auch 1969 möglich gewesen.
({21})
Wir werden ja demnächst den Grünen Bericht bekommen. An dem Grünen Bericht sind einige kosmetische Korrekturen vorgenommen worden. Die unbestreitbare Tatsache der Einkommensminderung der Landwirtschaft um 5 bis 10 % - ohne deren Verschulden, ohne eine geringere Leistungsfähigkeit, trotz gesteigerter Leistungsfähigkeit - ist eine Folge der Währungspolitik dieser Bundesregierung und des mangelnden Ausgleichs für die der Landwirtschaft zugefügten Schäden.
({22})
Darum darf der Bericht die Einkommensminderung nicht so im einzelnen bringen; darum muß der Bericht hier in einer etwas allgemeineren Phraseologie gehalten werden.
Bei dieser Bemerkung, Herr Schiller, wäre es sehr gut, wenn Sie nicht nur das Ergebnis von Washington in Ihrer Deutung - mit dem hoffnungsvollen Ausblick in das gelobte Land der Verheißung eines funktionierenden Weltwährungs- und- handelssystems - darlegten, sondern wenn Sie auch etwas - und das beweist die Unteilbarkeit der Probleme - über die strukturellen Auswirkungen der währungspolitischen Maßnahmen auf wesentliche Bereiche der deutschen Wirtschaft gesagt hätten. Die Landwirtschaft habe ich erwähnt. Ich kann es nur kurz streifen: Die strukturelle Auswirkung ist doch auch im Bereich der Kohle festzustellen. Die miserable - urn nicht zu sagen: verzweifelte - Situation der Ruhrkohle hängt doch auch damit zusammen, daß 50 Millionen t deutsche Kohle im Wettbewerb mit ausländischer Kohle stehen und daß allein durch Währungsmaßnahmen ein Unter9360
schied von 15 DM je Tonne als Kosten- oder Preisproblem aufgetreten ist.
({23})
Wie ist es im Stahlbereich? Da ist dasselbe eingetreten. Wie ist es im Bereich der deutschen Werften, wo wir seit Mai nur mehr 10 % des Auftragsbestandes zu verzeichnen haben, den wir über Jahre hinweg als Normalbestand hatten. Wie steht es in der Schiffahrt, wie steht es in der Luftfahrt, von der Luftfahrtindustrie usw. gar nicht zu reden? Die deutschen Maßnahmen - binnenwirtschaftlich gedacht, außenwirtschaftlich sich auswirkend, international störend - haben auch strukturell erhebliche Verschiebungen, Schäden und Gefahrenherde hervorgerufen. Die Ruhrkohle-AG ist nicht ein spezifisches Problem für sich allein;
({24})
sie muß in den Gesamtzusammenhang der wirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesregierung einschließlich der Währungspolitik gestellt werden.
({25})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Betrachtung ist nur abzuschließen, wenn man wenigstens mit wenigen Sätzen auf die Versäumnisse auf konjunkturpolitischem Gebiet hinweist. Der Aberglaube, man könne durch einseitige Währungsmaßnahmen - durch eine Währungsmaßnahme des fait accompli, ohne Rücksicht auf internationale Scherben - das Problem der Inflationsbändigung, der Inflationsbekämpfung lösen, hat doch dazu geführt, daß wir heute als Folge dieser inflationären Entwicklung in einer Finanzkrise stecken, deren Ausmaße von der Bundesregierung zwar noch geleugnet werden, deren Konturen aber bereits nicht mehr zu verbergen sind und deren Konsequenzen sich für alle - öffentliche Hand und Bürger dieses Staates in einer Weise auswirken werden, wie es die Bundesregierung dem Bewußtsein noch möglichst lange vorenthalten will.
({26})
Woher kommt denn die Finanzmisere der Gemeinden? Woher kommt denn die verheerende Lage bei Bahn und bei Post? Allein im Bundeshaushalt, der diesem Hohen Hause vor wenigen Wochen von der Bundesregierung zur Beratung vorgelegt worden ist, stimmen doch heute schon wesentliche Ansätze nicht mehr. Wenn man nur ein paar Posten heranzieht, müssen mindestens 4 Milliarden DM ausgeglichen werden. Was hat es denn für einen Sinn, beim Bundesbahnzuschuß für 1973 in der Finanzplanung von 6 Milliarden DM auf 5 Milliarden DM zurückzugehen, wenn es die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß der Zuschußbedarf mindestens 6 Milliarden DM, wahrscheinlich 7 Milliarden DM betragen wird! Das ist doch eine Finanzpolitik der kosmetischen, optischen Korrekturen, die aber auf die Dauer die Tatsachen nicht unterdrücken kann.
({27})
Ob die Einnahmeerwartungen, die man einmal bei einem sehr günstigen Stand der Einnahmen geschätzt hat, auf dem man dann stehengeblieben ist, sich erfüllen werden, ist heute schon mit einem oder mit zwei Fragezeichen zu versehen.
({28})
Der vorliegende Haushalt muß auf der Ausgabenseite erheblich ausgedehnt werden, ohne daß der Staat dafür eine einzige Mehrleistung erbringt, und er muß auf der Einnahmeseite erheblich reduziert werden. Das ist das Gesamtbild unserer Wirtschafts- und Finanzlandschaft,
({29})
aus der die Währungspolitik nur ein Ausschnitt ist,
({30})
dessen isolierte Behandlung intellektuell unehrlich und praktisch unmöglich ist. Die Schlußfolgerungen, die daraus gezogen würden, gäben zu gefährlichen Illusionen Anlaß.
Lassen Sie mich nach diesen kritischen Worten, Herr Kollege Schiller, auch ein Wort des Dankes sagen. Vielleicht war es nur ein Lapsus linguae oder ein Lapsus der Feder, daß das Wort „Deutschland" doch in einem amtlichen Schriftsatz der Bundesregierung, bezogen auf die Bundesrepublik, vorkommt.
({31})
Angesichts dessen, was wir erfahren haben, ist dieser Vorgang bereits als ungewöhnlich zu bezeichnen.
({32})
Sollte es in Zukunft wieder zum Regelfall werden, daß die Bundesrepublik auch mit „Deutschland" bezeichnet wird, dann würde ich selbstverständlich erklären, daß unsere Befürchtungen unbegründet waren.
({33})
Auch wenn Sie den Sinnspruch eines unserer Parteitage kritisieren, so können Sie es ruhig tun. „Bayern braucht Deutschland - Deutschland braucht Bayern" haben wir einmal gesagt. Aber wir haben noch lange nicht gesagt, Herr Wehner: „Durch Wiedervereinigung zum Sozialismus" und „Durch Sozialismus zur Wiedervereinigung".
({34})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Washington ist eine Zwischenstation. Sie gibt keinen Anlaß zum Jubel. Sie gibt die Möglichkeit, wenn die Chancen, die sich daraus bieten, genutzt werden, mit gedämpftem Optimismus an die Dauerreform des Weltwährungssystems zu gehen.
({35})
Sie bietet dieser Bundesregierung das kategorische Mandat, die Währungspolitik nicht mehr als Ersatzinstrument für die Konjunkturpolitik zu gebrauchen und nicht mehr im nationalen Alleingang Wirkungen zu verfolgen, die nicht eintreten, dessen Folgen
sich aber international unerhört gefährlich und schädlich ausgewiesen haben, was nicht erst jetzt befürchtet zu werden braucht, sondern was als Tatsache nunmehr auf dem Tisch liegt.
In diesem Sinne hoffen wir, Herr Bundesminister Schiller, daß Sie die offenen Fragen, von denen ich die Wesentlichsten erwähnt habe, noch heute oder zumindest bei der Behandlung des Jahreswirtschaftsberichts klären können, damit wir im Zusammenhang mit diesem Bericht die Möglichkeit haben, ein zusammenhängendes Bild der gesamten Landschaft der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu behandeln, bei der die Bundesregierung endlich einmal wieder aus dem Höhenflug ohne Motor und Flügel, den sie gewählt hat, wieder auf dem Boden der irdischen Tatsachen zurückfindet.
Wenn Sie sagen, Herr Bundesminister Schiller, daß die lange Zeit des Floatens und ,die damit verbundene Mehrbelastung für die deutsche Wirtschaft eine heilsame Lehr- und Vorbereitungszeit gewesen sei, dann um Gottes willen spielen Sie die Rolle des Zuchtmeisters der Wirtschaft hoffentlich nicht auch bei weiteren Anlässen noch in der gleichen Form! Denn der Fortschritt, den Sie gepriesen haben, erinnert an folgendes - das sage ich einfach als politischer Redner, wie ich es draußen sagen würde -: Wenn man jemand am Tag drei Tracht Prügel verabreicht und dann die Ration auf zwei vermindert, dann ist das noch lange kein humanitäter Akt, der zu allgemeinem Jubel und zu allgemeiner Freude Anlaß gäbe!
({36})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Strauß hat mit Recht die Frage angeschnitten: Warum nicht langfristiger Grenzausgleich 1969? Da man immer versucht, rechtzeitig Positionen für mögliche weitere politische Auseinandersetzungen bei kommenden Wahlen aufzubauen, will ich dazu von mir aus einige Bemerkungen machen.
Erstens. Die Opposition - und somit auch der Kollege Strauß - wird sicherlich mit mir übereinstimmen, wenn ich hier heute feststelle: Die Aufwertung von 1969 hat ihre Ursache nicht in dem Jahr 1969, sondern bereits im Jahre 1968 gehabt. Es ware zu überlegen - die Frage ist sicherlich berechtigt -, warum man nicht die Vorgänge seit dem Herbst 1968 genutzt hat, um zu einer internationalen Lösung der Währungsfragen zu kommen, zu der man jetzt bei den Washingtoner Beschlüssen gekommen ist. Denn sicherlich gilt für alle Währungsfragen - ohne daß ich mich hier nun in die Währungsdiskussion im Detail einmischen will - der Grundsatz: Ein möglichst frühes Handeln ist das sinnvollere und das zweckmäßigere Handeln.
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Alle verantwortlichen Regierungsmitglieder, auch die der CDU/CSU, müssen sich mindestens den Vorwurf gefallen lassen, Herr Kollege Leicht, von 1968 bis 1969 dieses Versäumnis mitgetragen, möglicherweise sogar als Wahlkampfabsicht mitgetragen und mitverantwortet zu haben.
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- Nein, das hat nichts mit „billig" zu tun, sondern
das läßt sich am Zeitaublauf feststellen, verehrter Herr Kollege Bewerunge. Dieser Zeitaublauf - ich hätte das gar nicht gesagt, wenn ich hier nicht gefragt worden wäre - hat mich bei den Verhandlungen 1969 in eine mißliche Position gebracht, nämlich in die Situation nachdem der Kollege Strauß so plastisch dargestellt hat, was man normal draußen sagt, und da wir Bayern gerne eine plastische Sprache pflegen, darf ich mich auch hier einmal plastisch ausdrücken -, daß ich am Verhandlungstisch nur noch in der Unterhose saß, weil alles andere schon vorher preisgegeben war.
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Ja, ja, Kollege Strauß. Ich war im Interesse der Sache gezwungen, die Unterhose nicht auszuziehen und keinen Strip-taese zu veranstalten, was vielleicht manchem gefallen hätte.
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Herr Kollege Strauß, Sie haben sicherlich an dem Kabinettsbeschluß über die Ausgleichsmaßnahmen infolge der voreiligen Abwertung des Franc mitgewirkt. Ich frage Sie: Welchen Beitrag haben Sie geleistet, um zu verhindern, daß die Abwertung des Franc nicht mit der DM-Aufwertung zusammenfiel? Denn das hätte doch die deutsche Position erheblich gestärkt. Die deutsche Seite hätte gegenüber den Franzosen etwas zum Aushandeln gehabt. So aber haben Sie durch den Beschluß mit bewirkt, daß die Franzosen alles unter Dach und Fach brachten und ich allein am Verhandlungstisch mit meinen Forderungen saß.
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Die Wechselkursfreigabe war doch vollzogen, Herr Kollege Strauß.
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Die war doch mit Ihrer Zustimmung beschlossen. Da können Sie sich doch hier nicht so einfach herauswinden.
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Ich habe in dieser Zeit auch nicht Ihren Ratschlag gehört. Sie sind doch ein so kluger Mann, der sehr futurologisch veranlagt ist.
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Sie hätten genau wissen müssen, daß die Landwirtschaft in Zukunft überhaupt keinen Verhandlungsspielraum hat, wenn man bei den Franzosen einen Alleingang zuläßt, ihnen die agrarische Sonderlösung gewährt und dann noch die Wechselkurse freigibt.
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Das muß doch hier ganz klar festgehalten werden, damit kein neues Märchen entsteht; denn Märchen haben wir sowieso genug in diesem Raum.
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Ein Zweites, und da stimme ich mit Ihnen völlig überein. Keiner wäre glücklicher als der Landwirtschaftsminister, wenn es eine Wirtschafts- und Währungsunion gäbe; denn er muß leider aus einer unheilvollen Entwicklung ununterbrochen die Zeche bezahlen. Diese Entwicklung- das sollte auch einmal in aller Öffentlichkeit zugegeben werden sieht so aus, daß zunächst einmal der Agrarmarkt automatisch als Schrittmacher für eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik angesehen worden ist. Das war eine Illusion. Aber diese These stand am Anfang.
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- Doch, das ist eine Illusion gewesen, Herr Kollege Strauß; zumindest haben zwei Währungsveränderungen diese These zur Illusion gemacht.
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- Mindestens zu einer haben Sie wesentlich beigetragen, Herr Kollege Strauß. Darüber sollten Sie sich im klaren sein. Im übrigen ging die letzte Währungsveränderung so weit, daß sie auch die Japaner betroffen hat. Das ist hier anscheinend noch gar nicht registriert worden; aber ich will mich darauf gar nicht einlassen.
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So weit die erste These.
Es gab die zweite These, daß nur bei einem gemeinsamen Agrarmarkt Währungsveränderungen ausgeschlossen sind. Auch das war falsch.
Die dritte These lautete - und daher rühren doch die Schwierigkeiten, die sich natürlich zwangsläufig bei allen Verhandlungen im agrarischen Bereich sehr schwer auswirken -, daß eben seitens der Bundesregierung und des verantwortlichen Bundeskanzlers die Zusage gegeben werden müßte, für die Öffnung des Industriemarktes den Franzosen den Agrarmarkt zur Verfügung zu stellen.
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Auch hier muß ich Sie jetzt fragen, ob Sie eine Zusage in dieser Form mit getragen und ob Sie sie nicht wiederholt bestätigt haben.
Das sind die drei wesentlichen Thesen mit einer falschen Logik, Herr Kollege Strauß, die in Ihrem Gedächtnis offensichtlich nicht ganz hängengeblieben sind oder nur wechselseitig hängenbleiben.
Nun will ich ein Letztes dazu sagen, damit diese Geschichte aus der Welt geschafft wird. Unter diesen Aspekten war es für mich primär wichtig, auf jeden Fall Einkommensverluste für die deutsche Landwirtschaft zu verhindern, zumal ich wußte, ,daß wir bei der damaligen Lage und auch bei der schwachen Verhandlungsposition, in der sich die deutsche
Regierung damals befand, und zwar nicht durch sie verursacht, sondern von der vorhergehenden Regierung übernommen, im äußersten Fall einen degressiven, kurzfristigen Grenzausgleich würden erzielen können. Da zu demselben Zeitpunkt nicht nur diese schwerwiegende Frage, sondern auch noch Preissenkungsvorschläge bei Milch und bei Getreide auf dem Tisch lagen, habe ich mir gesagt: ich muß in der Frage des Einkommensausgleichs für die Landwirtschaft so über die Runden kommen, daß ich erstens für längere Zeit die Gewähr habe, daß sich über die Aufwertung keine zusätzliche Verschlechterung der Einkommenslage ergibt und daß ich zweitens von nun an mit freiem Rücken verhandeln und verhindern kann, daß zusätzliche Preissenkungsvorschläge realisiert werden.
Ich bin hier ganz offen und sage ein Weiteres, denn das ist doch der Kern der ganzen Problematik. Wir wissen, ,daß die EWG-Agrarpolitik auf Grund der von mir geschilderten Gegebenheiten in eine schwierige Position geraten ist und ,daß sie sich heute noch in dieser Position befindet. Wir wissen weiter, daß sich zusätzliche Verschlimmerungen durch die Forderungen der Vereinigten Staaten ergeben. Ich will hier gar keine Wertung vornehmen; es ist auch nicht der richtige Zeitpunkt. Dafür wird es eine andere Gelegenheit geben. Es kommt hinzu, daß der preispolitische Spielraum auf Grund der Marktverhältnisse innerhalb der EWG sehr begrenzt ist.
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Sicherlich kommen Kostensteigerungen, die konjunkturelle Lage usw. noch hinzu. Das wird doch gar nicht bestritten. Das habe ich nie bestritten. 'Aber die Kostensteigerungen wären noch viel schlimmer, wenn es keine Aufwertung gegeben hätte. Das müßte dann auch gesagt werden. Das können Sie sogar bei Wirtschaftlern, die keine Politiker sind, nachlesen.
Aber nun kommt als Drittes und Letztes folgendes hinzu. Wenn man schon diese Schwierigkeiten hat, dann ist doch zu überlegen, ob man nicht langfristig einen gespaltenen Weg in der Agrarpolitik gehen und sagen könnte: Dort, wo es die Marktsituation erlaubt, betreiben wir eine offensive Einkommens- und Preispolitik über den Markt, und dort, wo dies nicht möglich ist, beschreiten wir .den Weg der Einkommensübertragung, ein Gedanke, dem ich durchaus zuneige. Ich gebe zu, daß ich in dieser Frage fast gescheitert bin. Ich gebe gerne zu, daß ich mich hier getäuscht habe, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil in der öffentlichen Diskussion Einkommensübertragungen nicht anerkannt werden - in der öffentlichen Diskussion wird nur mit Prozentzahlen bezüglich der Preisentwicklung gerechnet -, und zweitens, weil das, wie ich zugebe, in Gesamteuropa möglicherweise schlecht durchführbar ist bzw. wegen der agrarstrukturellen Situation in Frankreich und in Italien zu hohe Kosten verursacht. Aber diese Frage muß man doch langfristig klären, wenn man nicht ununterbrochen diese Schizophrenie zwischen Agrarmarkt und übriger wirtschafts- und währungspolitischer Entwicklung in Europa aufrechtBundesminister Ertl
erhalten will. Insoweit, glaube ich, war das zumindest ein Weg, den ich mit ruhigem Gewissen vertreten kann und der uns übrigens sehr viel Spielraum gegeben hat. Ich denke hier nur an die Lösung mit der 3 %igen. Erhöhung der Mehrwertsteuer, Herr Kollege Strauß, die Sie vom Prinzip her mit Recht kritisiert haben. Von der Sache her gesehen ist sie heute allerdings sehr nützlich für die deutsche Landwirtschaft. Sie wollen heute mehr; damals wollten Sie gar nichts. Sehen Sie, so haben sich die Zeiten geändert. Ich freue mich darüber, daß sich die Dinge auf diesem Gebiet ändern.
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- Oh nein, Herr Kollege Strauß! Ich wollte sogar in einer gewissen Phase 5 %. Aber da der eigene Bauernverband und auch die Opposition dies nicht wollten, habe ich wiederum etwas zurückgesteckt. Ich bin ein bißchen pragmatisch; das gebe ich gerne zu. Ich versuche immer, tragbare Kompromisse auszuhandeln.
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- Herr Bewerunge, das können Sie alles nachlesen. Das sind doch die Gegebenheiten. Ich weiß natürlich, daß man das alles hier nicht sagen darf und daß ich mir bei Ihnen einen Lizenzschein zum Reden und zur Darstellung der Gegebenheiten holen muß. So weit sind wir in dieser Demokratie noch nicht. In dieser Demokratie kann jedermann etwas sagen, ohne sich von irgend jemanden, sei es auch ein Kammerpräsident aus der CDU, den Segen holen zu müssen.
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Präsident von Hassel: Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schachtschabel. Für ihn hat seine Fraktion, die Fraktion der SPD, eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Herr Kollege Strauß, zuerst einige kurze Bemerkungen zu Ihren Ausführungen zu machen, die ich aufmerksam angehört habe, bei denen ich allerdings anfänglich fürchtete, daß Sie gar nicht zum eigentlichen Thema kommen würden. Doch dann haben Sie sich das darf ich so sagen -- darauf konzentriert und einige Punkte behandelt, die mir diskussionswert erscheinen. Ich werde darauf im Laufe meiner Darlegungen zurückkommen.
Meine Damen und Herren, über die in Washington am 18. Dezember 1971 von den beteiligten Staaten getroffenen Vereinbarungen hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen ausführlich berichtet. Die SPD-Bundestagsfraktion dankt ihm und damit der Bundesregierung für die tatkräftige und erfolgreiche Mitwirkung an dieser Konferenz und ihren Ergebnissen.
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Für die SPD-Bundestagsfraktion handelt es sich bei den Washingtoner Vereinbarungen ohne jeden Zweifel um ein erfolgreiches Übereinkommen, das sowohl allgemeinpolitisch wie insbesondere währungs- und handelspolitisch von ausschlaggebender Bedeutung ist und eine neue Ausgangslage für die Entwicklung der Weltwährungsverhältnisse darstellt.
Lassen Sie mich zu diesen Vorgängen unter einigen Gesichtspunkten Stellung nehmen.
Erstens. Aus politischer Sicht kann mit Genugtuung festgestellt werden, daß sich in der Tat entgegen aller Skepsis und aller oppositionellen Unkenrufe das System der freien westlichen Welt, insbesondere die Zusammenarbeit dieser Welt, eindeutig bewährt hat. Trotz vieler pessimistischer Äußerungen und Verdächtigungen lassen die Vereinbarungen und Ergebnisse von Washington klar erkennen, daß sich die beteiligten Staaten nach wie vor ihrer politischen Verantwortung für eine enge Zusammenarbeit voll bewußt bleiben und auch schwierige Problem im Interesse der politischen Gemeinsamkeit energisch zu lösen in der Lage sind. Mit Recht hat deshalb der Herr Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen in seinen Ausführungen hervorgehoben, daß die Bundesregierung die Ergebnisse auch als eine erfolgreiche Bewährung der westlichen Allianz wertet. Dieser Auffassung schließt sich die SPD-Bundestagsfraktion voll und ganz an.
Zweitens. Währungspolitisch ist die ausschlaggebende Bedeutung der Verhandlungen von Washington darin zu sehen, daß mit den getroffenen Übereinkommen eine außenwirtschaftlich gefährliche Krise, die durch die wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten akzentuiert deutlich geworden war, erfolgreich abgewehrt werden konnte. Wohl niemand kann bezweifeln, daß der Höhepunkt dieser Krise durch die Maßnahmen, die von den Vereinigten Staaten am 15. August 1971 getroffen wurden, deutlich geworden war. Infolge ihrer permanenten Zahlungsbilanzschwierigkeiten sahen sich die Vereinigten Staaten am 15. August 1971 veranlaßt, ihre Goldeinlösungspflicht gegenüber den ausländischen Notenbanken aufzuheben, wodurch das internationale Währungssystem schwer erschüttert wurde. Zudem wurden seitens der Vereinigten Staaten handelspolitische Entscheidungen getroffen, die zur Folge hatten, daß die außenwirtschaftlichen Beziehungen erheblich belastet wurden, überdies mit der Gefahr weiterer protektionistischer und restriktiver Eingriffe.
Aus der damit aufgekommenen Unsicherheit in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen haben die Vereinbarungen von Washington herausgeführt. Daran sollte man nicht zweifeln, sondern die positive Wirkung dieses Vorganges ermessen. Durch den von allen Seiten geleisteten Beitrag ist es gelungen, sich in Washington über die Neufestsetzung der Wechselkurse zu einigen. Damit ist im Währungsbereich nicht nur das dringend erforderliche Realignment realisiert, sondern es ist auch eine Ausgangsbasis für weitere Reformen des Weltwährungssystems geschaffen worden.
Wie sehr diese Ergebnisse den sozialidemkratischen Bestrebungen entsprechen, kann besonders dadurch verdeutlicht werden, daß bereits am 18. August 1971 im SPD-Pressedienst Herr Kollege Hans Jürgen Junghans für die SPD-Bundestagsfraktion erklärt hat, daß die immer wieder betonte SPD-Forderung nach einer Reform des Weltwährungssystems durch die Maßnahmen des Präsidenten Nixon besonders aktuell geworden sei. Wörtlich schrieb er:
Man wird nicht umhin können, alle Währungen der einzelnen Staaten untereinander in ein neues Austauschverhältnis zu bringen.
Mit den Washingtoner Vereinbarungen ist diese SPD-Forderung erfüllt worden.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis von Washington ist ein Erfolg, auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen. Daran können auch die Kriteleien der Opposition nichts ändern. Nur schlagwortartig erinnere ich an die Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelstages, der von einem - ich zitiere „Sieg der Vernunft" gesprochen hat; ebenso äußerte sich der Bundesverband Deutscher Banken. Der Bundesverband der Deutschen Industrie sprach davon, daß die freien Industrienationen den politischen Willen zur Zusammenarbeit bewiesen hätten. Am Rande sei mit bemerkt: der Deutsche Sparkassen- und Giroverband begrüßte die Beschlüsse von Washington sogar als eine - wörtlich zitiert - „gute Weihnachtsbotschaft" ; von anderen positiven Äußerungen anderer und weiterer Gruppen und Verbände ganz zu schweigen.
Nur die Opposition gefiel sich in der Fortsetzung der Schwarzmalerei. Wir haben davon vorhin auch einige Kostproben in neuer Auflage erlebt. Tatsache ist aber, daß durch die Neufestsetzung der Wechselkursrelationen auch die deutsche Wirtschaft von der Währungsunsicherheit befreit worden ist; denn damit ist die von der deutschen Exportwirtschaft für ihre Dispositionen und Kalkulationen gewünschte Festsetzung der Wechselkurse gegeben, die zweckmäßigerweise mit der vorläufigen Einführung größerer Schwankungs- bzw. Bandbreiten versehen worden ist. Tatsache ist ferner, daß die Gefahr eines weltweiten Handels- und Zollkrieges, wie gesagt worden ist, gebannt ist, also auch nicht mehr mit willkürlichen Handelsdiskriminierungen gerechnet zu werden braucht und die handelspolitischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten vom 15. August 1971, die auch gerade die deutsche Exportwirtschaft merkbar getroffen hatten, wieder aufgehoben sind. Durchaus zutreffend kann der Feststellung beigepflichtet werden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen exportorientierten Investitionsgüterindustrie eine wesentliche Erleichterung erfahren hat.
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Tatsache ist schließlich, daß durch die Neufestsetzung der Wechselkursrelationen ein starkes Vertrauen in ,die wirtschaftliche Entwicklung - vielleicht nicht bei Ihnen -, speziell in die des Außenhandels aufgekommen ist. Ohne jeden Zweifel ist für die Preiskalkulation im Außenhandel eine neue Grundlage gefunden worden, die besser ist, als ursprünglich infolge der vorher aufgetretenen Situation befürchtet worden war.
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Wenn diese knappen Hinweise berücksichtigt werden, die durchaus noch um weitere ergänzt werden könnten, so ist es wirklich überraschend, daß die Opposition diese positiven Wirkungen der Washingtoner Vereinbarungen weitgehend negiert. Die ablehnenden Äußerungen der Opposition sind in keiner Weise haltbar. Abgesehen davon bin ich der Meinung, daß zu einem so ernsthaften Problem auch in seriöser Weise und eingehend Stellung genommen werden muß. Es zeigt sich, meine Damen und Herren - wir dürfen es einmal so formulieren -, daß sich diese ablehnenden Äußerungen der Opposition offenbar allein daraus erklären, daß die Ergebnisse von Washington nicht sachlich geprüft werden.
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Vielmehr scheint es -der Opposition nur darum zu gehen, auf keinen Fall und unter keinen Umständen den erreichten Erfolg, an dem die Bundesregierung einen erheblichen Anteil hat, offen zuzugeben.
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Das sage ich insbesondere Ihnen hier vorne, meine Herren Kollegen; lesen Sie doch die Rede nach, die soeben Herr Kollege Strauß gehalten hat.
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Lassen Sie uns einmal den ersten Teil dieser Rede durchgehen, dann werden Sie merken, daß in dieser Rede zwar interessante, aber durchaus nichtssagende Ausführungen stehen.
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Meine Damen und Herren, diese Regierungserklärung, das werden Sie doch zugeben,
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ist auf einer soliden, klaren und einsichtigen Basis aufgebaut worden. Wenn Sie das bestreiten, muß ich Ihnen allerdings absprechen, daß Sie es mit der Auseinandersetzung in diesem Hause ernst meinen.
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Wir können uns in der Tat nicht des Eindrucks erwehren, daß es die Opposition deutlich darauf angelegt hat - offenbar ist sie dabei auch schlecht beraten -, auf dem ausgetretenen Pfad permanenter wirtschaftlicher Verunsicherung weiterzugehen, und zwar in der Hoffnung, auf diesem Wege gläuDr. Schachtschabel
bige Anhänger zu finden und möglicherweise neue hinzuzugewinnen.
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Dabei kann man wohl nachweisen, daß diese Verunsicherung aus ganz bestimmten Kanälen und aus ganz bestimmten Ecken kommt. Man erwartet und hofft, daß man Anhänger findet, die diese Ansichten und Auffassungen, die ihnen durch ewige Wiederholungen eingetrichtert werden, weiterverbreiten.
({10})
Durch dauernde Wiederholungen sind falsche Behauptungen noch nie zu gültigen oder wahren Aussagen gemacht worden.
Drittens. Natürlich weiß jeder, der sich mit der Neuorientierung der internationalen Wirtschafts- und Währungsbeziehungen befaßt, daß abzuwarten bleibt, wie es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst ausgedrückt hat, „ob das Ausmaß der Wechselkursänderungen - selbst unter Berücksichtigung der beschlossenen Bandbreitenerweiterung und vermutlicher handelspolitischer Konzessionen wichtiger Partner der USA ausreicht, die amerikanischen Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu überwinden." Das ist in der Tat ein Problem.
Wie es hier vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung formuliert worden ist, besagt dies zugleich nichts anderes, als daß es sich bei der in Washington erfolgten Neufestsetzung der Wechselkursrelationen nicht um ein endgültiges Werk handeln kann. Die Neufestsetzung der Wechselkursrelationen ist als ein Ansatz zu werten, der allerdings bereits mit wesentlichen Merkmalen versehen ist. Doch ist dieser Ansatz, wie wir meinen, eine durchaus ausreichende Grundlage, auf der sich weitere Reformen aufbauen können und müssen, und zwar mit dem Ziel, langfristig ein funktionsgesichertes internationales Währungssystem auf- und auszubauen.
In den Ausführungen des Herrn Kollegen Strauß klang dann und wann an, er wolle nun einmal wissen - wir haben heute ja auch eine entsprechende Pressemeldung in den Zeitungen lesen können -, wie das im einzelnen aussehe. Er wollte - ich beziehe mich auf die Pressemeldung- hier wohl sogar zum Ausdruck bringen, daß es sich um eine Art festes, geplantes, programmiertes Konzept handeln müsse. Meine Damen und Herren, über dieses Konzept verfügt diese Bundesregierung ganz gewiß.
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Allerdings darf man nicht daran vorbeigehen, daß die stufenweise Entwicklung nicht nur von der Stellungnahme der Bundesregierung selbst und allein, sondern auch von echten und eingehenden Gesprächen mit den Partnern, von der Überwindung auftretender Schwierigkeiten und von der gemeinsamen Lösung von Problemen abhängig ist. Das hat sich diese Bundesregierung vorgenommen. Sie können sicher sein, daß sie diesen Weg geradlinig und konsequent verfolgt. Daran sollte man auch nicht deuteln.
Meine Damen und Herren, die entscheidenden Voraussetzungen für diesen Weg, ein funktionsgesichertes internationales Währungssystem auf- und auszubauen, sind durch die Einführung größerer Bandbreiten, ferner durch die Anerkennung der Notwendigkeit der größeren Flexibilität des Systems sowie durch einige andere wichtige Reformpunkte, auf die ich nicht näher einzugehen brauche, gegeben. Wir haben gehört, daß das IWF-Direktorium bereits am 18. Dezember 1971 beauftragt worden ist, entsprechende Reformberatungen aufzunehmen. In den Ausführungen des Herrn Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen sind die Schwerpunkte der kommenden Reformgespräche deutlich markiert worden, so daß die Grundausrichtung sichtbar geworden ist und nicht wiederholt zu werden braucht.
Doch erscheint es notwendig, gerade im Rahmen der für die Neuordnung des Währungssystems skizzierten Reformbestrebungen mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß dabei seitens der Bundesregierung keineswegs die EWG-Aspekte vernachlässigt worden sind. Sie haben darüber ja auch heute morgen in ausreichender Weise etwas gehört. Es muß doch auch der Opposition inzwischen klargeworden sein, daß das außerplanmäßige deutsch-französische Gipfelgespräch zwischen dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou und dem Bundeskanzler Willy Brandt die damals noch bestehende internationale Währungskrise mit zum Gegenstand gehabt hat. Derartige Gespräche dürfen nicht bagatellisiert werden, vor allem dann nicht, wenn es darum geht, die Vervollkommnung der wirtschaftlichen Integration Europas als ein unverrückbares Ziel im Auge zu behalten. Meine Damen und Herren, es ist merkwürdig, daß man dieses unverrückbare Ziel, das diese Bundesregierung hat, dann immer in spekulativer Art und Weise und metaphysisch verbrämt in Frage stellt oder zumindest in Frage zu stellen versucht, um daraus eigenes Kapital zu schlagen.
Die Europäische Gemeinschaft steht, wie gesagt worden ist, am Vorabend der Unterzeichnung der Beitrittsverträge. Das ist nicht nur eine weitere Tatsache, sondern zugleich ein Erfolg der europäischen Integrationsbestrebungen, der von vielen schon nach den Rom-Verträgen mit Nachdruck, damals aber leider - so muß man sagen - erfolglos angestrebt worden ist. Erinnern Sie sich der vielen Diskussionen und Erörterungen in diesem Hohen Hause, als es damals darum ging, das größere oder das kleinere Europa wirtschaftlich zu schaffen! Die Schaffung des größeren Europa ist nun, zumindest in der tendenziellen Ausrichtung der Staaten, die den Beitritt erklärt haben, gelungen. Das sollte man zugleich als einen Ausdruck des Erfolgs der europäischen Integration werten.
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Dieses erweiterte Europa wird aber nicht nur intensiver als bisher integriert, vielmehr nimmt es auch eine verstärkte Position im Rahmen seiner Währungs- und Handelsbeziehungen ein. Dabei ist klar, daß dadurch auch in währungs- und handels9366
Schachtschabel
politischer Hinsicht die Voraussetzungen für ergiebige und fruchtbare außenwirtschaftliche Verflechtungen zwischen der EWG und den USA gegeben sind und für beide Seiten erfolgreich realisiert werden können.
Auf clie Probleme, die in diesem Zusammenhang zweifellos bestehen sie sollen auch in keiner Weise geleugnet werden -, hat der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen in seinen Ausführungen hingewiesen. Klar ist dabei auch, daß diese Probleme zu einer Lösung gebracht werden müssen, die um so eher zu erwarten ist, je stärker die Einsicht wächst, auf gemeinsam erarbeiteten Grundlagen leben zu müssen und leben zu wollen.
Für die EWG kann an der Notwendigkeit der Parallelität einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik nicht vorbeigegangen werden. Nicht minder wichtig ist es aber auch, zwischen der EWG und den Vereinigten Staaten zu einem fairen Ausgleich im Interesse der europäischen Wirtschaft zu kommen. Denn schließlich geht es für beide Seiten um den Auf- und Ausbau eines funktionsfähigen Welthandels, in den auch die Entwicklungsländer verständlicher- und notwendigerweise in zweckmäßiger Form einbezogen sein wollen.
Die in Washington getroffenen währungspolitischen Vereinbarungen mit ihren handelspolitischen Wirkungen geben allen, die sachlich zu urteilen vermögen, die Gewißheit, daß eine neue Ausgangslage geschaffen worden ist, auf der mit Vertrauen und Mut die weltwirtschaftlichen Beziehungen erfolgreich für alle ausgebaut und intensiviert werden können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Rede des Kollegen Strauß heute morgen hier gehört hat, die, wie zu erwarten war, weit über das Thema hinausgegriffen hat
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- ich will Ihnen bestimmt nicht widersprechen, Herr Kollege Wehner , dann muß man doch, soweit sie sich auf das Thema bezog, den Eindruck haben, daß dem Kollegen Strauß das positive Ergebnis dieser Washingtoner Konferenz, die ja Anlaß dieser Regierungserklärung und dieser Debatte gewesen ist, zumindest unangenehm ist, weil es einfach nicht in sein von ihm selbst fabriziertes Weltbild hineinpaßt.
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Das ist der Eindruck, den ich hier gewonnen habe: daß dieses Ergebnis nicht in das Bild hineinpaßt, von dem er lebt, das Bild aus Panikmache und Krisengerede.
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Ich will, Herr Kollege Strauß, nachher noch auf einige Punkte eingehen, die Sie vorgetragen haben. Aber eines vorweg, was gar nicht zum Thema gehörte. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: Der Vorwurf, den Sie hier erhoben haben, daß es die Regierungskoalition darauf angelegt habe, die Haushaltsberatungen zu verzögern, ist durch nichts begründet. Es wird in diesem Falle von niemandem Verzögerungstaktik betrieben, auch nicht von der Opposition; das sei hinzugefügt. Hier haben Sie wieder einmal völlig unnötig neue Gespenster - in Ermangelung alter - aufgezeigt.
Die FDP begrüßt auch an dieser Stelle - nachdem
das Ereignis eingetreten war, war es ja anders nicht möglich; niemand hat wohl ernsthaft damals an eine Sondersitzung gedacht - das Ergebnis von Washington. Sie teilt die Bewertung dieses Ergebnisses, die hier heute in der Regierungserklärung ihren Niederschlag gefunden hat.
Vor allen Dingen sind zwei hauptsächliche Aspekte dieser Entscheidung noch einmal hervorzuheben. Der eine ist, daß es sich bei den Washingtoner Ergebnissen um den Abschluß einer langdauernden internationalen währungspolitischen Krise gehandelt hat, allerdings einer Krise, die nicht, wie man es heute hier darzustellen versuchte, durch die Entscheidung der Bundesrepublik vom 9. Mai ausgelöst oder verschärft wurde. Im Gegenteil: die Entscheidung vom 9. Mai hat überhaupt erst eine entscheidende Weiche gestellt, damit der Zug in Richtung einer Lösung dieser Krise in Fahrt gebracht werden konnte.
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Das darf man nicht abstreiten, das darf man nicht vernebeln.
Der zweite Aspekt ist, daß das Washingtoner Ergebnis zugleich nur und auch - ich sage bewußt: nur und auch die Basis einer langfristigen grundlegenden Reform des Weltwährungssystems ist. Ich glaube, darüber bestand hier wohl Übereinstimmung in den Ausführungen des Kollegen Strauß, des Kollegen Schachtschabel und auch in dem, was die Regierung gesagt hat.
Ich will es mit anderen Worten noch einmal sagen. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten ist besonders wichtig. Denn wir dürfen die Washingtoner Ergebnisse sicherlich nicht als ein sanftes Ruhekissen ansehen; das wäre absolut falsch. Wir dürfen die Washingtoner Ergebnisse nicht unter der bequemen Einstellung werten: wir sind noch einmal davongekommen; mit „wir" meine ich jetzt nicht nur die Bundesrepublik, sondern alle, die daran beteiligt gewesen sind. Denn wenn man nach der bequemen Methode des Ruhekissens oder des „Wir sind noch einmal davongekommen" international in den kommenden Jahren weiter verführe
„weiter wurschtelte", würde ich fast sagen -, wenn man nicht die Chance einer grundlegenden Reform des Weltwährungssystems ergriffe und nutzte, dann wäre die nächste Krise, welchen Ausmaßes auch immer, bestimmt schon terminiert. Darüber muß man sich im klaren sein.
In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß durch die Washingtoner Beschlüsse für die grundsätzliche Regelung zumindest zwei Dinge - bei allen selbstverständlich noch vorhandenen Fragezeichen - klargeworden sind. Zwei Dinge werden sozusagen aus den Washingtoner Ergebnissen heraus in diese zukünftige Regelung übernommen. Das eine ist die Tatsache - wir sollten sie nicht unterschätzen -, daß es jetzt keine einzelne Parität mehr gibt, die ein Tabu ist. Denn lange Zeit mußten wir immer sagen - wie es so gern formuliert wurde -: Weil ein Kranker sich weigert, die Konsequenzen zu ziehen, müssen mehrere Gesunde sich operieren lassen. Das war doch die Situation. Aber wir sollten auch anerkennen, wieviel Überwindung und wieviel Einsicht und vieviel Verständnis auf der amerikanischen Seite dazu erforderlich gewesen und erfreulicherweise aufgebracht worden ist, um hier den Weg dazu zu ebnen.
Das hat auch die Auffassung bestätigt, die ich immer vertreten habe, daß das Ganze eine Nervensache ist, daß wir hier nicht vorzeitig vielleicht zu weniger günstigen Ergebnissen zu kommen uns bemühen sollten. Ich glaube, diese Taktik, diese Einstellung ist richtig gewesen. Ich höre noch die schon Legionen von Zweiflern, die man einmal an ihre Zweifel erinnern sollte, die eine solche Bereitschaft dieser größten Macht des Westens, ihren eigenen Beitrag zu leisten, immer in Zweifel gezogen haben. Diese Zweifler sind belehrt worden; darüber sollten wir uns freuen. Wir sollten das aber auch feststellen, zumal wenn es dieselben sind, die uns möglicherweise in Zukunft und in der Gegenwart mit anderen Zweifeln in Schwierigkeiten zu bringen versuchen.
Das zweite sind - auch darüber ist hier schon gesprochen worden - die vereinbarten größeren Bandbreiten. Ich persönlich bin der Auffassung, daß auch eine endgültige Regelung nicht davon abgehen kann. Die Chance, zukünftig die Krisen zu vermeiden, wird nur dadurch gesichert werden, daß die größeren Bandbreiten generell und endgültig vereinbart werden. Man muß es doch einfach einmal so sehen, daß größere Bandbreiten dazu angetan sind zu vermeiden, aus einer Häufung von kleinen, nicht behobenen Ungleichgewichten schließlich wieder zu einem großen Ungleichgewicht zu kommen. Sicher: Gegen ein plötzliches größeres Ungleichgewicht würden auch größere Bandbreiten nicht helfen. Aber die Frage ist doch, ob nicht auch das, was wir jetzt bewältigt haben, eher die Folge einer Häufung aufgeschobener kleiner Probleme, kleiner Ungleichgewichte gewesen ist.
Hier scheint mir doch ein gewisser möglicher Widerspruch auch in den Äußerungen des Kollegen Strauß zu liegen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist er zwar auch der Meinung, daß auf dem Ergebnis von Washington aufbauend eine grundsätzliche Neuregelung gefunden werden muß. Aber ich habe - ich würde mich freuen, wenn ich mich getäuscht habe - in seinen Worten doch ein erhebliches Maß an Skepsis gegenüber größeren Bandbreiten festgestellt.
Niemand übersieht und niemand bagatellisiert die Auswirkungen dieser Regelung für die Wirtschaft und insbesondere für die Exportwirtschaft. Es wäre einfach kurzsichtig, diese Auswirkungen zu leugnen. Sie leugnet auch kein Mensch; auch die Regierungserklärung bringt sie zum Ausdruck und enthält Ansatzpunkte dafür, wie in bestimmten Fällen diese Auswirkungen gemindert und ausgeglichen werden können.
Bei der Beurteilung der Situation ist der Unterschied wichtig, ob man mit der Situation vor dem 18. Dezember oder mit ,der vor dem 9. Mai vergleicht. Soweit scheint ja hier wenigstens Übereinstimmung zu bestehen, daß im Vergleich zur Situation vor dem 18. Dezember auch für die Exportwirtschaft eine begrüßenswerte Erleichterung eingetreten ist.
Aber man darf die Schwierigkeiten natürlich nicht isoliert sehen. Man darf nicht auf der einen Seite immer wieder Forderungen - z. B. nach Stabilität - erheben und auf der anderen Seite dann die notwendigen Konsequenzen leugnen. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten noch häufiger z. B. beim Jahreswirtschaftsbericht und sicherlich auch bei der Haushaltsberatung - Konjunkturdebatten haben, wo wir das vertiefen und klarstellen können.
Es bleibt festzuhalten, daß Währungspolitik kein Selbstzweck ist und auch nicht gewesen ist. Aber ich frage mich, wenn ich die nun schon fast legendäre Kritik des Kollegen Strauß an der Währungspolitik dieser Bundesregierung höre: Wo sind denn glaubhafte Alternativen der Opposition dazu gewesen? - Ich habe sie bisher immer vermißt. Sie sind auch heute hier nicht vorgetragen worden.
Noch einmal ganz klar in diesem Zusammenhang zu einem der Hauptgegenstände dieser Kritik, zum Floating! Ich möchte das ganz klar und deutlich sagen: Es ist meine feste Überzeugung - ich habe es vorhin schon angedeutet -: Ohne den 9. Mai, Herr Strauß, hätte es keinen 18. Dezember gegeben! Über diesen Zusammenhang muß man sich im klaren sein.
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Man muß auch sehen, daß auf jeden Fall für die Zwischenzeit und überhaupt diese Lösung für unsere Interessen ich sage bewußt: für unsere Interessen! - das richtige gewesen ist. Sie war jedenfalls besser und richtiger, als zu einem zu frühen Zeitpunkt - weil die anderen noch nicht bereit waren eine einseitige endgültige Währungsentscheidung der Bundesrepublik zu treffen, die zu viel mehr Schwierigkeiten geführt hätte. Wenn man sich einmal die Mühe gemacht hat die Bundesbank hat das ja täglich veröffentlicht -, die Wirkungen des Floatings zu analysieren, dann war doch z. B. sehr wichtig das wäre durch eine andere Politik nicht zu erreichen gewesen -, daß während der ganzen Periode im Verhältnis zur Währung eines unserer wichtigen Konkurrenten auf den internationalen Märkten, nämlich zum Yen, immer nur ein sehr geringer Aufwertungseffekt - wenn überhaupt - vorhanden war. Es hat Tage gegeben, an denen sogar ein Abwertungseffekt der D-Mark gegenüber dem Yen durch das gegenseitige Floaten bestanden hat, und das Endergebnis ist entsprechend
ausgefallen. Ich glaube, das muß man bei einer nüchternen Betrachtung einmal sehr deutlich sehen. Wie gesagt - ich wiederhole es noch einmal , die Entscheidung der Bundesregierung vom 9. Mai hat nicht Krisen ausgelöst, wie uns hier vorgemacht wird oder anderen vorzumachen versucht wird, sondern sie hat entscheidend die Weichen zur Lösung der vorher entstandenen Krisen gestellt.
Für uns Freie Demokraten ist bei alledem entscheidend gewesen, daß in diesen ganzen schwierigen Fragen kein Schritt vom Wege marktwirtschaftlicher Lösungen abgewichen worden ist trotz der verführerischen Rufe, anderes zu tun, gerade aus dem Munde derer, die eigentlich prädestiniert sein müßten, dieses Wirtschaftssystem zu verteidigen.
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Ich muß noch einmal feststellen - zum Kollegen
Strauß -, und das muß man hier einmal sehr deutlich sagen: Weite Teile seiner heutigen Rede, soweit sie sich auf das Thema bezogen, sind ein Plädoyer für einen ungehemmten und widerstandslosen Import von Inflation gewesen. Nichts anderes hat er hier gesagt. Das muß man doch einmal sehr deutlich feststellen.
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Insoweit wird sein Stabilitätsgerede unglaubwürdig und ist es unglaubwürdig.
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Ganz abgesehen davon, verleugnen Sie alle binnenwirtschaftlichen Konjunkturmaßnahmen der Bundesrepublik doppelt. Erstens behaupten Sie, es habe sie nicht gegeben, und zweitens haben Sie, als sie getroffen wurden, gepaßt und nicht mitgemacht.
Sicherlich kann man die Auswirkungen von Aufwertung und Floating auf die Preisentwicklung statistisch nicht beweisen, weil nun einmal statistisch nur eingetretene Preiserhöhungen festgestellt werden. Aber ich möchte wirklich einmal den ernstzunehmenden Nationalökonomen auf dieser Erde sehen oder hören, der es abstreitet, daß durch Aufwertung und Floating eine höhere Preissteigerung, als sie eingetreten ist, verhindert worden ist.
Nun noch einige wenige zusätzliche Bemerkungen. Die FDP begrüßt insbesondere die Erklärung der Bundesregierung, wie sie heute im Zusammenhang mit den Agrarproblemen gegeben worden ist. Kollege Ertl hat aus seinem Amt heraus schon einiges dazu gesagt. Lassen Sie mich trotzdem, auch für die Fraktion, noch einmal den Satz aus der Regierungserklärung zitieren:
Welche Lösung im europäischen Agrarbereich künftig auch gefunden wird, die Bundesregierung wird einer neuen Regelung nur dann zustimmen, wenn daraus keine Nachteile für die in der deutschen Landwirtschaft Tätigen entstehen.
Diesen Satz dürfen wir zu Recht nicht als ein Lippenbekenntnis, sondern um es einmal so zu formulieren,
als einen gedeckten Wechsel einer ersten Adresse werten. Ich glaube, das sollte auch bei der allfälligen Debatte über diese Probleme landauf, landab entsprechend honoriert werden.
Zu Recht ist von allen Sprechern und auch in der Regierungserklärung auf den Zusammenhang mit den Fragen der europäischen Währungsunion hingewiesen worden. Sicherlich ist es richtig und begrüßenswert und wird von niemandem nicht begrüßt, daß auch durch die Lösung der Währungsprobleme, soweit sie bisher erreicht wurde, der Weg für diese europäische Währungsunion wieder freier geworden ist. Das ist aber - das ist hier auch zu Recht gesagt worden - nicht das alleinige Hindernis gewesen.
Aber bei aller Bejahung der Zielsetzung, wie sie hier von Minister Schiller in seiner Regierungserklärung in diesem Zusammenhang dargestellt worden ist, und gerade im Hinblick auf das, was auch der Kollege Strauß dazu ausgeführt hat, möchte ich doch den Appell wiederholen, den ich bei anderer Gelegenheit ausgesprochen habe, nämlich den Appell an die gemeinsame Ehrlichkeit uns allen selbst gegenüber und gegenüber der Öffentlichkeit. Die Euphorie über die wiedereröffneten Möglichkeiten, auf diesem Wege fortzuschreiten, sollte uns doch bitte nicht in die Versuchung führen, eben den Zielkonflikt, auf den wir hier zwangsläufig stoßen werden, zu übersehen und ihn nicht darzustellen. Dieser Zielkonflikt besteht darin, daß wir in der Bundesrepublik ein geschichtlich geprägtes höheres Stabilitätsbewußtsein haben, als unsere Partner es auch aus strukturellen Problemen heraus wahrscheinlich haben.
Das heißt also, wir müssen uns schon am Anfang darüber im klaren sein, daß eine europäische Währung - so leid es uns tut und so schwierig das im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Preissteigerungen klingen mag - uns nicht die gleiche Stabilität wie die Deutsche Mark bieten wird. Darüber müssen wir uns im klaren sein, damit es nicht ein bitteres Erwachen gibt, wenn es eines Tages soweit ist. In diesem Zielkonflikt - ich habe das schon wiederholt gesagt - fehlt mir die Äußerung der Opposition. Sicherlich, dieser Zielkonflikt ist gegeben; aber der andere Zielkonflikt, der hier wieder einmal als Popanz aufgebaut worden ist, nämlich der Zielkonflikt zwischen europäischer Integration und Außenpolitik, Ostpolitik besteht weiß Gott nicht.
Nun, meine Damen und Herren, eine allerletzte Bemerkung. Den Zusammenhang zwischen der Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den währungspolitischen Entwicklungen haben wir gesehen und berührt. Auch hier scheint es mir nötig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß Unkenrufe, die wir im vergangenen Frühjahr gehört haben, widerlegt worden sind. Die am 9. Mai getroffene Entscheidung der Bundesregierung - die im nationalen Interesse, wie sofort sichtbar, aber auch im internationalen Interesse, wie sich nach Washington gezeigt hat, nötig war - hat die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zumindest nicht beeinträchtigt oder irgendwie gestört; sie hat
die Verhandlungen vielleicht sogar positiv beeinflußt.
Ohne späteren Debatten - Ratifizierung u. ä. -vorgreifen zu wollen, möchte ich zum Abschluß - da es hier heute mit in den Zusammenhang gestellt worden ist - sagen, daß wir der Bundesregierung für den entscheidenden Anteil danken sollten, den sie an den Verhandlungen genommen hat, die dazu geführt haben, daß diese Verträge in drei Tagen unterzeichnet werden können.
({8})
Ich sage das ganz bewußt, weil sich keine Bundesregierung vorher so vorbehaltlos und wirkungsvoll für eine Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die gerade wir Freien Demokraten von Anfang an gewollt haben, eingesetzt hat.
({9})
Die Ergebnisse vom 18. Dezember und die bevorstehenden Ereignisse vom 22. Januar lassen uns - ohne andere Probleme und Sorgen, über die wir in den kommenden Wochen und Monaten noch genügend debattieren werden, zu vergessen - zuversichtlich und optimistisch unsere Arbeit im neuen Jahr beginnen.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Ertl hat es für richtig gehalten, auf sachliche Feststellungen und kritische Fragen des Kollegen Strauß mit, wie ich meine, polemischen und emotionalen Aussagen zu reagieren. Gestatten Sie, daß ich unabhängig von der Debatte, die wir am Freitag noch zu einigen dieser Fragen führen werden, ein paar Bemerkungen dazu mache.
Herr Minister Ertl, wir sind gern bereit, auch über das Jahr 1969 zu reden, aber dann mit all seinen Details, auch über die Tatsache, daß Sie damals als agrarpolitischer Sprecher Ihrer Partei landauf, landab die Aufwertung gefordert haben, ohne konkret zu sagen, mit welchen Instrumentarien und Maßnahmen man die dadurch entstehenden Ungleichgewichte und Nachteile ausräumen könnte.
Mehr als Ihre recht interessanten Offenbarungen über Ihre damalige Brüsseler Kleiderordnung hätte uns aber die Antwort auf die Frage von Herrn Strauß interessiert - und das ist der Punkt, auf den ich abzielen will -, was jetzt im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen über die Neufestsetzung der Rechnungseinheit geschehen wird. Eines ist doch unbestritten, nämlich daß die D-Mark, wie immer die Verhandlungen laufen werden, über dem Wert der Rechnungseinheit liegen wird, d. h., daß die anderen EWG-Partner hier mit Sicherheit wieder Vorteile haben werden. Tatsache ist, meine Damen und Herren, daß seit 1969 gegenüber Frankreich für uns ein Aufwertungseffekt von rund 26 % entstanden ist. Niemand wird bestreiten wollen, daß der bisher gefundene globale Ausgleich im nationalen Bereich, aber auch der jetzt sich vollziehende Grenzausgleich diese 26 % total abdecken und insofern wiederum das erfüllen, was Herr Kirst hier eben andeutete, nämlich daß der Landwirtschaft keinerlei Verluste entstehen.
Meine Damen und Herren, hier soll gar nicht guter Wille bestritten werden. Nur ist Tatsache, daß Sie mit diesen nationalen Zahlungen, mit dem Teilgrenzausgleich, der bei uns zur Zeit praktiziert wird, langfristig nicht verhindern können, daß wir im Marktgeschehen in einer Weise bedrängt und daraus verdrängt werden, die langfristig für die deutsche Landwirtschaft tödlich wirken muß. Das ist der Kern der Problematik und der Auseinandersetzung, mit der wir es zu tun haben.
({0})
Darum, verehrter Herr Minister Ertl, hätten wir hier von Ihnen heute gern gehört, daß auch Sie mit Ihrer Regierung und der Koalition der Meinung sind, daß letztlich nur ein umfassender, den vollen Warenwert erfassender Grenzausgleich in der Lage ist, die mit der Paritätsveränderung verbundenen Nachteile für die deutsche Landwirtschaft überall ausräumen. Das werden wir am Freitag zu vertiefen haben.
Diese Antwort auf die konkrete Frage von Herrn Strauß haben Sie nicht gegeben. Aber genau sie wäre es gewesen, die uns an dieser Stelle heute interessiert hätte, weil von daher der Landwirtschaft langfristig ganz schwerwiegende Bedrohungen - ich sage es noch einmal, und zwar mit Bedacht: tödliche Bedrohungen für Ihre marktmäßige Expansion innerhalb der EWG ins Haus stehen.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, mit ein paar Worten muß ich hier auf die Darlegungen des Herrn Kollegen Strauß antworten.
Herr Kollege Strauß, ich verstehe nicht ganz, weshalb Sie der Tatsache der heutigen Berichterstattung durch die Bundesregierung so viele kritische Bemerkungen zuwenden. Es ist doch die Aufgabe einer Regierung nach einem größeren internationalen Ereignis, das Parlament beim nächstmöglichen Termin zu informieren und sich seiner Kritik zu stellen.
({0})
Wir sind nach Beendigung der Arbeit in Washington alle miteinander, Herr Strauß, am 20. Dezember heimgekehrt. Dann kam es für uns alle darauf an, in den kommenden Tagen und Wochen zu sehen: Wie wird die Absprache unter den Zehn bzw. den Elf - zusammen mit der Schweiz als elftem Partner - Elf von den übrigen Ländern, auch von denen der Dritten Welt, aufgefaßt? Und werden alle jene Länder unseren Empfehlungen folgen? Dies mußte
abgewartet werden. Es ergab sich durch den parlamentarischen Arbeitsrhythmus, daß wir nun nach Wiederaufnahme der Arbeiten des Parlaments Ihnen in dem Bericht auch sagen konnten, daß 45 bzw. 50 weitere Länder dem Abkommen von Washington, an dem sie nicht unmittelbar beteiligt waren, Folge geleistet haben.
Dann ein Weiteres; das müßten Sie eigentlich politisch würdigen. In den ersten Tagen nach Washington, Herr Strauß, gab es hier im Land wie überall in der Welt eine sehr große Begeisterung, fast eine Euphorie über das, was erreicht wurde. Sie sollten es eigentlich gerade von der Opposition aus als angenehm empfinden, daß die Bundesregierung nicht die Euphorie der ersten Tage ausgenutzt hat und den Wind dieser Euphorie in ihre Segel hat gehen lassen, sondern daß sie einen Bericht in Kühle und Distanz und nach Abwarten bestimmter Erfahrungen hier sehr sachlich dargelegt hat. Genau so sollten Sie es sehen. Hier ist keine Propagandamaschine und sind keine OKW-Siegesmeldungen fabriziert worden, wie Herr Strauß es meint. Herr Strauß, Ihr Vorwurf wäre zu Recht erhoben worden, wenn ich hier behauptet hätte, das Abkommen von Washington sei sozusagen die Lösung für alle unsere nationalen und internationalen Probleme. Davon kann keine Rede sein. Ich habe die Begrenztheit der Lösung dargelegt. Sie haben Ihrerseits von Siegesmeldungen und ähnlichem gesprochen. Ich glaube, da haben Sie - wie in anderen Fragen - heute in besonderer Weise am Thema vorbeigeredet.
({1})
Dann haben Sie etwas über die alte Geschichte gesagt, wann man währungspolitisch aktiv werden soll oder nicht. Ich will nicht wieder auf den Streit eingehen, ob konjunkturpolitisches Instrument oder nicht, sondern ich sage Ihnen nur eines: am 10. Mai ging es einfach darum, daß wir uns auf Grund der defizitären Zahlungsbilanzentwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika, die nicht durch die Bundesregierung, auch nicht durch die Bundesbank veranlaßt war, gegen die Überschwemmung von Liquidität in der Bundesrepublik Deutschland wehren mußten.
({2})
Ich darf etwas hinzufügen: Wir haben das auf marktwirtschaftliche Weise getan, nämlich durch Freigabe des Wechselkurses. Ich hatte inzwischen den Eindruck gewonnen, daß die CDU/CSU ich hätte beinahe gesagt: die größere Hälfte von dieser Union -ihren Frieden mit der Entscheidung vom 10. Mai zum Übergang auf flexible Wechselkurse gemacht hätte. Inzwischen hat also Herr Strauß wieder sein Verdammungsurteil ausgesprochen
({3})
und uns sogar noch in eine besondere Kausalität hineingebracht.
({4})
Herr Strauß, seien wir doch ehrlich! Das große Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft, am schärfsten in der Zahlungsbilanzlage der USA zum Ausdruck kommend, ist durch die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark natürlich offenbar geworden. Jawohl, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat mit ihrer Entscheidung vom 10. Mai im Interesse aller den Finger auf eine internationale Wunde gelegt.
({5})
Natürlich haben wir, wie andere uns bescheinigt haben, der Katze die Schelle umgehängt. Jetzt wollen Sie denjenigen, der auf eine Krankheit hingewiesen hat, der auf ein Syndrom hingewiesen hat, nur deshalb, weil er die Wahrheit über unsere Lage in der Weltwirtschaft an den Tag gebracht hat, zum Verursacher der Sache machen.
({6})
Dagegen muß ich mich wehren, Herr Strauß.
Sie haben weiter davon gesprochen, wir hätten uns nicht an die Spielregeln von Bretton Woods gehalten. Herr Strauß, weshalb ist denn Bretton Woods zuschanden gegangen? Weil viele Staaten und vielerlei Regierungen - auch ich habe einmal einer solchen Regierung angehört - Paritätsfragen zu Prestigefragen hochstilisiert und damit die rechtzeitige Paritätsanpassung, die Bretton Woods vorsah, verhindert haben!
({7})
Sie wissen doch ganz genau - Sie sind daran ja nicht ganz unbeteiligt, Herr Strauß -, daß es in der Vergangenheit bis zur Gegenwart Regierungen in der Welt gegeben hat, die, wie neulich ein britischer Journalist mit Recht gesagt hat, das Erhalten einer bestimmten Wechselkursparität als Symbol nationaler Manneskraft ansehen.
({8})
Herr Strauß, ich erinnere nur daran, daß Sie sich 1968 auf den Hof des Bundeswirtschaftsministeriums gestellt und gesagt haben, eine andere Währung müßte abgewertet werden. Sie haben sie sogar beim Namen genannt und natürlich nicht die D-Mark aufgewertet. Das war so eine Verhaltensweise, die genau zu dem Bild gehört, das wir alle kennen.
({9})
Das gemeinsame Urteil in der Welt geht doch jetzt eigentlich dahin, daß wir wegkommen müssen von dem Prestigedenken, von der Anschauung, bestimmte nationale Wechselkursparitäten seien sozusagen nationale Symbole. Diese Einstellung hat das System von Bretton Woods kaputtgemacht, sie hat das System von Bretton Woods erneuerungsbedürftig gemacht.
Nun haben Sie noch einiges über das gesagt, was wir in der Zukunft im Sinne der Reform des Weltwährungssystems vorhaben. Sie haben erklärt, es habe Ihnen nicht genügt, was ich Ihnen gesagt habe.
Herr Strauß, ich will hier nur folgende fünf Punkte andeuten, die die Haltung der Bundesregierung zu den mittelfristigen Reformplänen deutlich wiedergeben.
Erstens. Wir brauchen in einem neuen Währungssystem neue Regeln des internationalen währungspolitischen Wohlverhaltens. Dafür müssen die Aufgaben des Internationalen Währungsfonds ausgeweitet und seine Autorität muß gestärkt werden.
Zweitens. Wir müssen bei der Schaffung von Sonderziehungsrechten als einem neuen, international zu kontrollierenden Reservemedium darauf achten, daß diese Schaffung unabhängiger von nationalen Zahlungsbilanzentwicklungen erfolgt. Das ist der zweite Grundsatz.
Drittens. Wir müssen bei der zukünftigen Reform unserer Reservehaltung in der Welt den Anteil der nationalen Devisenkomponente der Reservemedien verringern und die internationale Liquidität unter wirksamere Kontrolle als bisher bringen.
Viertens. Wir müssen mittelfristig eine Konsolidierung der in nationaler Währung gehaltenen Reserven, insbesondere der Dollarguthaben außerhalb der USA, im wesentlichen in Europa, erreichen.
Fünftens. Wir müssen im Weltwährungssystem insgesamt größere Elastizität und größere Flexibilität haben.
Diese fünf Punkte, Herr Strauß, habe ich hier in aller Kürze und skizzenhaft wiedergegeben. Sie entsprechen den Darlegungen des Sprechers der deutschen Delegation, des Bundeswirtschatts- und Finanzministers, auf der Jahresversammlung des Weltwährungsfonds am 30. September 1971. Diese Darlegungen gerade zu den mittelfristigen Reformplänen sind in aller Ausführlichkeit auch Ihnen bekanntgemacht worden. Sie sind in allen zuständigen Publikationsorganen veröffentlicht worden. Sie wissen also darüber Bescheid, was wir mittelfristig von seiten der Bundesregierung auf dem Gebiet der Reform des Weltwährungssystems wollen.
Ich komme zum vorletzten Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich, wie sich denn das Defizit der Vereinigten Staaten von Amerika, wenn es beseitigt würde, in den Zahlungsbilanzen der anderen Länder sozusagen als Last aufteilen würde. Dazu will ich eine Schätzung wiedergeben. Es gibt eine ganze Reihe von Schätzungen dieser Art. Dies ist die Schätzung der OECD, die ich als bekannt vorausgesetzt hatte. Diese Schätzung der OECD, Herr Strauß, nimmt an, daß sich der Swing, d. h. die Veränderung der US-Zahlungsbilanz aus dem Minus in ein Plus, auf etwa 8 Milliarden Dollar beläuft. Nach den Berechnungen der OECD sollen die Beiträge folgendermaßen aussehen: Verringerung des Aktivsaldos der gesamten Europäischen Gemeinschaft um 31/4 Milliarden Dollar, Verringerung des Aktivsaldos Japans um ebenfalls 31/4 Milliarden Dollar -- das macht zusammen 61/2 Milliarden Dollar --, Verringerung des Aktivsaldos Kanadas um 1/2 Milliarde Dollar und dann Verringerung der Aktivsalden der übrigen OECD-Länder um eine weitere Milliarde. Dies macht zusammen 8 Milliarden Dollar. Im Rahmen des Beitrages, den die Europäische Gemeinschaft leistet, ist der Anteil der Bundesrepublik Deutschland selber mit 11/4 Milliarden Dollar im Sinne einer zukünftigen Anpassung in dieser Richtung darin enthalten. Ich glaube, damit ist Ihre Frage beantwortet. Ich habe diese Zahlen als bekannt vorausgesetzt, habe sie aber gerne noch einmal wiedergegeben, damit sie als ein Versuch der Schätzung bekanntwerden.
Herr Strauß, Sie haben furchtbar viel von anderen Dingen gesprochen. Natürlich ist die Währungspolitik in die gesamten weltwirtschaftlichen und nationalwirtschaftlichen Zusammenhänge vollkommen eingewoben. Nur ist das nach einem kühlen, korrekten und gemäßigten Bericht über eine bestimmtes Ergebnis doch kein Anlaß, nun sozusagen eine Walze über alle möglichen innen- und außenpolitischen Probleme der Bundesrepublik ablaufen zu lassen.
({10})
Sie haben es sich dann auch sehr locht gemacht. Sie sprachen von Finanzkrise, Sie sprachen von der Bahn und von der Post.
({11}) - Dazu können Sie gern sprechen.
Nur eines tun Sie niemals, Herr Strauß. Sie bringen irgendwelche Vorstellungen von furchtbar kritischen und drohenden Situationen, aber Sie bringen neben Ihrer höchst subjektiven Ursachenanalyse nicht einen eigenen Beitrag zur Lösung.
({12})
Wir stehen z. B. vor einem dicken Risiko, nämlich den Forderungen der Länder nach höherer Beteiligung an der Umsatzsteuer der Bundesrepublik. Herr Strauß, wir hätten furchtbar gern einmal von Ihnen gehört, ob Sie in Übereinstimmung mit einigen Ihrer Ministerpräsidenten bereit sind, entsprechend diesem höheren Anteil der Länder nun in diesem Hause etwas für Steuererhöhungen auf anderen Gebieten zu tun.
({13})
- Sie haben doch das Finanzthema angeschnitten. Ich wollte Ihnen hier nur sagen, daß Sie wie immer eine höchst negative Ursachenanalyse vornehmen, aber nicht ein Wort sagen, wie man nun von der Wurzel her diese Probleme für die Zukunft löst. Dieses Wort habe ich bei Ihnen erneut vermißt.
Im ganzen möchte ich nur folgendes sagen, Herr Strauß. Sie haben natürlich das Ergebnis von Washington nicht so erwartet. Seien wir ganz ehrlich! Sie haben doch zu denen gehört, die vorher gesagt haben: Verständigung im europäischen Rahmen in Währungsfragen, koste es, was es wolle! Zu denen haben Sie gehört, Herr Strauß.
({14})
Das hätte bedeutet, daß wir bei einer fixierten
Relation von 11,5 % bei der D-Mark gegenüber Null
bei anderen europäischen Währungen gelandet
wären. Das wäre das Ergebnis gewesen, Herr Strauß.
({15})
Ich kann Ihnen nur eines sagen: in dieser Lage hat diese Bundesregierung die Nerven behalten.
({16})
Sie hat bis zu einem multilateralen Einvernehmen durchgehalten und ist dann zu einem Ergebnis gekommen, das den Abstand zwischen der D-Mark der Bundesrepublik Deutschland und den wesentlichen Währungen in der EWG auf 3,5 % reduziert. Das ist ein Erfolg, der Ihnen nicht so furchtbar Spaß macht, Herr Strauß, von Ihrer alten Position aus gesehen. Deshalb haben Sie - das ist meine Schlußfolgerung - so weitschweifig von allen möglichen anderen Dingen gesprochen und zum Thema selbst und seiner Komplikation sehr wenig beigetragen. Das ist der Grund dafür, daß ich sagen kann: der Kollege Strauß hat wieder einmal in seinem Beitrag das Thema nicht erkannt.
({17})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. - Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Krankenversicherung für Landwirte
- Drucksache VI/2937 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung ({0})
- Drucksache VI/3012 Zur Begründung des erstgenannten Gesetzentwurfs hat das Wort der Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion erfreut, daß nun nach der langen Phase der Ankündigungen über die Einführung einer Krankenversicherung für Landwirte heute in diesem Hohen Hause auch die Beratung in die längst fällige Entscheidungsphase eintritt; denn wir wissen, daß auf dem Gebiet der Sozialpolitik für die Landwirtschaft in letzter Zeit zwar einiges erreicht wurde, daß aber auf dem Gebiet des Versicherungsschutzes für Krankheit besonders für die landwirtschaftlichen Altenteiler und für die älteren Menschen aus der Landwirtschaft mehr soziale Sicherheit geschaffen werden muß, weil die Sicherung durch den Betrieb, die lange Jahre ausreichend war und die auch heute noch in den Übergabeverträgen von den Betriebsübernehmern gewährt werden muß, von den landwirtschaftlichen
Betrieben auf die Dauer nicht mehr getragen werden kann.
({0})
Wir freuen uns, daß es im Jahre 1957 unter einer CDU/CSU-Regierung möglich war, einen ersten Einstieg in die soziale Absicherung der Landwirtschaft zu ermöglichen. Nachdem die Frage der Unfallversicherung schon reichsgesetzlich geregelt war, gab es für uns zunächst einmal die Frage: wie kann im Gefüge des Sozialschutzes für die bäuerliche Bevölkerung auch noch ein letztes Glied, nämlich die Absicherung oder ein Schutz gegen das Risiko Krankheit besonders für die älteren Menschen erreicht werden?
Wir haben als CDU/CSU-Fraktion schon im Juni des Jahres 1970 einen Entwurf vorgelegt, in dem wir zunächst einmal die Beseitigung der satzungsmäßigen Beschränkungen für die Versicherungsberechtigung nach § 176 RVO und die Einbeziehung der Altenteiler in diese Versicherung bei Übernahme der Kosten durch den Bund vorgesehen hatten. Kollege Horstmeier hat in der Bundestagssitzung am 16. September 1970 diesen Entwurf begründet. Er wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. In der Zwischenzeit hat man leider Gottes nichts mehr davon gehört, obwohl nach unserem Terminplan von damals die beitragsfreie Krankenversicherung für Altersgeldempfänger und für Bezieher von Landabgaberente schon ab 1. Januar 1971 ermöglicht worden wäre,
({1})
wenn die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen durch zügige Beratung und durch die Zurverfügungstellung der notwendigen Haushaltsmittel die Voraussetzungen dafür geschaffen hätten.
Meine Damen und Herren, wenn wir hier über die Krankenversicherung für Landwirte reden, so sind wir doch sicherlich alle gleicher Meinung, daß das Hauptproblem die Einbeziehung der landwirtschaftlichen Altenteiler und die Einbeziehung all derer ist, die keine Möglichkeit haben, in ein Versicherungsverhältnis zu kommen. Wir wären sicherlich auch schon im Jahre 1970 bereit gewesen, Verbesserungsvorschläge, die man uns eventuell aus dem Arbeitsministerium oder aus dem Ernährungsministerium hätte zukommen lassen können, anzunehmen. Wenn man gewollt hätte, wäre es, wie schon ausgeführt, möglich gewesen, den Termin des 1. Januar 1971 einzuhalten.
In der Zwischenzeit hat eine ausgiebige Diskussion stattgefunden. Unser neuer Entwurf liegt in der Bundestagsdrucksache VI/2937 vor. Darin wird eindeutig geregelt, daß im Gegensatz zu unserem früheren Vorschlag in der Zukunft für alle in der Landwirtschaft Tätigen wie für die Unternehmer und für die mithelfenden Familienarbeitskräfte grundsätzlich die Verpflichtung bestehen soll, sich gegen Krankheit zu versichern. Wir haben Befreiungsmöglichkeiten eingeräumt, die etwas weitergehend als die im Regierungsentwurf vorgesehenen Möglichkeiten sind. Auch in unserem Entwurf ist vorgesehen, daß die Bezieher von Altersgeld, die Bezieher von vorzeitigem Altersgeld oder von LandSusset
abgaberente die Krankenkassenbeiträge vom Bund erstattet bekommen. Das gilt auch für alle -- so sieht es auch der Regierungsentwurf vor -, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und während der letzten 15 Jahre vor Vollendung des 65. Lebensjahres 60 Kalendermonate als landwirtschaftliche Unternehmer oder als mitarbeitende Familienangehörige tätig waren. Hier unterscheidet sich unser Entwurf nicht wesentlich vom Regierungsentwurf.
Das Hauptproblem stellt sich für uns mit der Frage: Wie steht es um die Trägerschaft? Da wir wissen, daß immerhin 90 % der aktiv in der Landwirtschaft Tätigen heute schon ausreichenden Versicherungsschutz haben - das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; in Baden-Württemberg sind es beispielsweise 97 %, in Schleswig-Holstein, wo Landkrankenkassen bestehen, sind es ähnlich hohe Prozentsätze -, ist zu fragen, wie es am besten möglich ist, diese restliche Gruppe von Landwirten, die noch keinen Versicherungsschutz hat, in ein Versicherungsverhältnis einzubeziehen. Wir glauben, daß hier die schon bestehenden Kassen, nämlich die Landkrankenkassen und die AOKs, ohne weiteres in der Lage wären, für jene den notwendigen Versicherungsschutz zu schaffen. Genauso ist es mit den landwirtschaftlichen Altenteilern, die ja die Beiträge vom Bund erstattet bekommen.
Wenn wir über die Trägerschaft reden, so sollten wir uns einige Zahlen zu Gemüte führen. Es gibt auch Zahlen aus dem Ausland, wo es berufsständisch gegliederte Krankenversicherungen gibt. Durch den Rückgang der in der Landwirtschaft Beschäftigten entstehen natürlich Beitragssätze, die mit den Beitragssätzen, wie sie heute die freiwillig Versicherten in den RVO-Kassen gewährt bekommen, nicht mehr vergleichbar sind. Ich glaube, wenn der Deutsche Bauernverband in seiner Entschließung fordert, auch im Regierungsentwurf sicherzustellen, daß die Beitragssätze nicht über die Beitragssätze bei den RVO-Kassen hinausgehen, so ist doch schon einige Sorge daraus zu entnehmen.
({2})
- Herr Kollege Peters, Sie haben diese Erklärung des Präsidiums ebenso zur Hand wie ich. Sie sind zwar der Meinung, daß der erste Satz allein genügt: „Wir befürworten die berufsständische Trägerschaft." Jawohl, das steht in dieser Erklärung. Aber bitte überlesen Sie die anderen Passagen nicht, denn auf sie kommt es entscheidend an, damit dieser obere Satz, in dem man sich für die berufsständische Lösung ausspricht, auf Dauer gehalten werden kann.
({3})
Herr Abgeordneter Peters, wir sind hier noch bei der Begründung. Solange wir bei der Begründung sind, kann keine Zwischenfrage zugelassen werden.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist schon sehr weit fortgeschritten.
Aus diesem Grunde möchte ich hier nur noch einige Zahlen nennen. Die Abwanderungsquote in der Landwirtschaft - das weist die neueste Statistik über die Arbeitsleistungen in AK-Einheiten aus beträgt von 1969 auf 1970 immerhin 12,7 %. Im Regierungsentwurf ist noch eine verhältnismäßig hohe Zahl von in der Landwirtschaft tätigen Vollarbeitskräften angegeben. Zu dieser hohen Zahl ist man wohl gekommen, weil man sehr viele, die meinetwegen zu 20 % oder 30 % in der Landwirtschaft beschäftigt sind, in die AK-Berechnung mit einbezogen hat. Daß aber jeder, der - im Nebenberuf oder sonstwo - eine außerlandwirtschaftliche Beschäftigung hat, heute die Möglichkeit der Pflichtversicherung hat und folglich für die Versicherung, um die es hier geht, nicht in Frage kommt, wird hier geflissentlich übersehen.
In einem öffentlichen Hearing haben wir - auch die Herren der Regierungskoalition - von verschiedenen Wissenschaftlern Zahlen zur Verfügung gestellt bekommen, die wir sicherlich auch überdenken müssen. Was wollen wir? - Erstens die beitragsfreie Versicherung der alten Menschen, der Unternehmer und der Familienangehörigen - die Kosten übernimmt der Bund, das ist sichergestellt -,
({0})
zweitens die Verpflichtung für alle, die noch keinen Krankenversicherungsschutz haben, sich zu versichern. Da die Zahl der nichtversicherten aktiven Landwirte gering ist, schlagen wir drittens vor, keine eigenständische Krankenversicherung einzuführen. Eine solche Versicherung würde auch der Integration der Landwirtschaft zuwiderlaufen. Viertens. Wir haben in unserem Entwurf auch die Finanzierung der Gestellung von Betriebs- und Haushaltshilfen sichergestellt.
Ich glaube, damit ist klar, daß es der CDU/CSU darauf ankommt, eine Pflichtkrankenversicherung zu schaffen, die bei nicht zu hohen Beiträgen auf der Grundlage einer soliden Finanzierungsbasis und folglich in einem größeren Solidarverband errichtet wird.
({1})
- Darüber können wir uns nachher unterhalten, Herr Kollege Gallus.
Meine Damen und Herren, unser Entwurf ist nicht, wie von Koalitionsseite immer wieder behauptet wird, ein Entwurf gegen den Deutschen Bauernverband oder auch ein Anrennen gegen das, was von dort gefordert wird. Sonst würde ich diesen Entwurf sicherlich auch nicht begründen, weil ich diesen Berufsverband als Beitragszahler schon lange Jahre unterstützt habe. Es ist aber auch nicht so, wie die Regierung tut, daß der Deutsche Bauernverband den Regierungsentwurf nun einfach unbesehen übernimmt. Ich glaube, wir müssen ab heute im Interesse aller alten Menschen in der Landwirtschaft dafür sorgen, daß durch zügige Beratung in den Ausschüssen hier im Hause die rechtlichen Voraussetzungen für ein Inkrafttreten des Gesetzes über ,die Krankenversicherung bis spätestens zum 1. Juli 1972 geschaffen werden. Das ist unser aller Aufgabe. Die soziale
Not dieser Menschen läßt es nicht zu, hier aus parteitaktischen Erwägungen einmal nach der einen und dann wieder nach der anderen Seite zu argumentieren. Wir werden, glaube ich, in den Ausschüssen Gelegenheit haben, die beste Lösung im Interesse des betroffenen Personenkreises zu erreichen.
({2})
Das Wort zur Begründung des Regierungsentwurfs hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute dem Hohen Hause ihren Gesetzentwurf über die Krankenversicherung der Landwirte vor. Mit dem vorgeschlagenen Gesetz soll die soziale Sicherung von weit über 2 Millionen Menschen nachhaltig verbessert werden. Die Vorlage ist ein weiterer Beweis, daß die Bundesregierung ihre sozialpolitischen und auch ihre agrarpolitischen Zielvorstellungen Schritt für Schritt in die Tat umsetzt.
({0})
Wir haben in dieser Legislaturperiode schon wiederholt sichtbar gemacht, daß die Sozialpolitik einen beachtlichen Anteil an der inneren Reformpolitik dieser Regierung hat, indem wir in der sozialen Sicherung auf allen Gebieten längst veraltete Grenzen durchbrechen und die soziale Sicherung zu einem Angebot an alle Bürger weiterentwickeln. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Öffnung der Krankenversicherung für alle Angestellten, an die Unfallversicherung für Schüler und Studenten und Kinder in Kindergärten und an das Rentenreformprogramm der Bundesregierung. In dieser Politik, die den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht wird, gehört auch die Krankenversicherung der Landwirte.
Es wird niemand bestreiten, daß in der Landwirtschaft ein Gesundheitsdefizit und ein erheblicher Nachholbedarf an sozialer Sicherung besteht. Das sind Tatbestände, an denen eine Gesellschaft nicht länger vorbeigehen kann, wenn sie ihre soziale Verantwortung für alle ihre Mitglieder ernst nimmt.
Meine Damen und Herren, es gibt keine Alternative. Nur durch die soziale Krankenversicherung lassen sich für die gesamte landwirtschaftliche Bevölkerung gleiche Gesundheitssicherung und gleicher Versicherungsschutz erreichen.
Das bedeutet aber auch, daß jeder Versicherte nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf solidarischer Basis dazu beizutragen hat. Mit der Versicherungspflicht wird eine wichtige Grundlage für eine funktionsfähige und sozial gerechte Krankenversicherung der Landwirte geschaffen. Das haben die Landwirte erkannt. Sie haben sich wiederholt für eine umfassende Versicherungspflicht ausgesprochen. In Zukunft wird es keine Landwirte oder Altenteiler mehr geben, die sich eine erforderliche ärztliche Behandlung finanziell nicht leisten können.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf über die Krankenversicherung der Landwirte ist ein
wichtiger Bestandteil der Agrarpolitik der Bundesregierung. Uns kommt es darauf an, die Landwirtschaft nicht nur an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung anzukoppeln, sondern auch voll und ganz an die großen Entwicklungen in der Sozial- und Gesundheitspolitik. Das ist nach unserer Auffassung eine entscheidende Voraussetzung für die Bewältigung der schwierigen Strukturprobleme in der Landwirtschaft, die auch in der Zukunft sicherlich nicht leichter werden.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Landwirtschaft voll in das System der sozialen Krankenversicherung integriert werden. Die vorgesehenen Leistungen entsprechen voll und ganz der Gesundheitssicherung und Krankenhilfe, einschließlich der Familienhilfe, in den anderen Bereichen der sozialen Krankenversicherung. Das allgemeine Leistungsrecht ist jedoch den besonderen Bedürfnissen der Landwirtschaft angepaßt. So ist berücksichtigt, daß eine längere Krankheit des Betriebsinhabers oder seiner Ehefrau häufig eine ernste Existenzgefährdung des landwirtschaftlichen Betriebes bedeutet. Der Regierungsentwurf sieht daher in diesen Fallen an Stelle von Bargeld die Gestellung einer Betriebs- oder Haushaltshilfe vor. Damit ist sichergestellt, daß der Betrieb oder Haushalt bei schweren und langandauernden Krankheitsfällen fach- und sachgerecht weitergeführt werden kann.
Zweifelsohne müssen Leistungen auch finanziert werden können. Schwierigkeiten bereitet hier die Finanzierung der Leistungen für die Altenteiler. Deshalb wird der Bund die Kosten der Krankenversicherung der Altenteiler voll übernehmen. Das sind im Jahre 1972 176 Millionen DM, im Jahre 1973 390 Millionen DM und 1974 439 Millionen DM und im Jahre 1975 fast 1/2 Milliarde DM. Mit diesen Beträgen wird nicht nur die wirtschaftliche Situation der Altenteiler erheblich verbessert, sondern auch die Lage der landwirtschaftlichen Unternehmer. Sie müssen heute vielfach noch die Krankheitskosten und die Krankenversicherungsbeiträge der Altenteiler tragen. Mit der Übernahme der Beiträge für die Altenteiler leistet der Bund einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Einkommensdisparitäten in der Landwirtschaft.
Die dargelegten sozialen Fortschritte kommen rund 580 000 selbständigen Landwirten zugute, und zwar besonders auch den Klein- und Kleinstlandwirten. Ferner werden rund 220 000 mitarbeitende Familienangehörige und rund 430 000 Altenteiler versicherungspflichtig werden. Im Rahmen der Familienhilfe werden außerdem rund 1,2 Millionen Ehefrauen, Kinder und andere Unterhaltsberechtigte gegen Krankheit geschützt werden. Insgesamt werden also rund 2,4 Millionen Personen von der landwirtschaftlichen Krankenversicherung betreut werden. Heute - und das sollten wir uns merken sind rund 23 %, also fast ein Viertel dieses Personenkreises überhaupt nicht gegen Krankheit versichert. An diesen Zahlen wird deutlich, daß die Krankenversicherung der Landwirte in der Tat einen Meilenstein in der Weiterentwicklung der sozialen Sicherung darstellt. Ein weißer Flecken in der sozialpolitischen Landschaft wird damit beseitigt.
In der Diskussion um die Krankenversicherung der Landwirte finden zwei Punkte ein ganz besonderes Interesse. Ich meine einmal die Frage der optimalen Organisation der Krankenversicherungsträger und zum anderen die Frage der Versicherungspflicht. Hier bei dem letzteren hat sich der Standpunkt der Bundesregierung inzwischen durchgesetzt.
({1})
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zur Organisationsform. Die Vorlage der Bundesregierung sieht die Schaffung selbständiger Krankenversicherungsträger bei den bestehenden 19 landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften vor. Nach unserer Auffassung kann die Krankenversicherung auf diese Weise am besten auf die besonderen Bedürfnisse und Bedingungen zugeschnitten werden, die heute in der Landwirtschaft gegeben sind und auf die ich bereits hingewiesen habe. Aber meine Damen und Herren
ich sage mit vollem Nachdruck -, wir hätten diese Lösung nicht vorgeschlagen, wenn wir nicht auf Grund gründlicher Analysen zu der Überzeugung gekommen wären, daß diese Lösung auch auf längere Sicht finanziell und strukturell abgesichert ist. Schließlich hat es gar keinen Sinn, nach der Praxis früherer Jahre vor dem Strukturwandel in der Landwirtschaft einfach die Augen zu verschließen.
Lassen Sie mich die wichtigsten Überlegungen nennen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß sich der landwirtschaftliche Strukturwandel zumindest in der näheren Zukunft in unveränderter Stärke fortsetzen wird. Ein solcher sektoraler Schrumpfungsprozeß führt aber - im Gegensatz zur Alterssicherung nicht zwangsläufig zu einem strukturellen Finanzierungsungleichgewicht in der Krankenversicherung,
({2})
denn es wird kein langfristiges, sondern ein kurzfristiges Risiko abgesichert. Außerdem soll die Krankenversicherung der Altenteiler vom Bund getragen werden. Die eigenen Beiträge der Landwirte hängen daher ausschließlich von der Risikostruktur der jeweiligen erwerbstätigen Mitglieder ab. Wissenschaftliche Analysen sagen, daß sich diese Risikostruktur der Aktiven längerfristig eher bessern als verschlechtern wird. Insbesondere wird die Altersstruktur der aktiven Landwirte gegenüber heute günstiger werden. Bis 1980 wird die besonders starke Gruppe der über 55jährigen aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sein. Das durchschnittliche Hofabgabealter wird weiter sinken. Darüber hinaus wird die heute noch relativ hohe Zahl der mitversicherten Familienangehörigen allmählich auf den allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt zurückgehen. Insgesamt sind also keine Faktoren erkennbar, die zu einem stärkeren Beitragsanstieg führen könnten als in der übrigen Krankenversicherung.
Meine Damen und Herren, die Beiträge, die im Jahre 1972 erforderlich werden, liegen ungefähr in der Höhe, die auch die Arbeitnehmer aufbringen müssen. Ein landwirtschaftlicher Unternehmer wird für sich, für seine Ehefrau und seine unterhaltsberechtigten Kinder einen Beitrag zu leisten haben,
der etwa zwischen 50 DM und 130 DM liegen wird. Das hängt von der Größe des Unternehmens ab. Für Hofnachfolger und andere versicherungspflichtige Angehörige sind sogar nur 2/3 des Unternehmerbeitrages aufzubringen. Ich halte die sich daraus ergebende Finanzbasis der landwirtschaftlichen Kassen für solide und die Beiträge für durchaus tragbar.
Nun weiß ich auch, daß heute von einigen Krankenkassen noch niedrigere Beiträge angeboten werden; ich kann aber nur vor der Illusion warnen, daß die Arbeitnehmer es auf die Dauer hinnehmen können, die Krankheitskosten für andere Versichertengruppen zu verbilligen. Schließlich kann keine Krankenkasse mit niedrigeren Beiträgen auskommen, wenn die Leistungen mit den von uns vorgeschlagenen gleich sind, es sei denn, sie zieht andere Versicherte zur Finanzierung heran.
Meine Damen und Herren, neben einem tragfähigen finanziellen Fundament haben wir den zweiten Schwerpunkt auf die Schaffung großer, leistungsfähiger Träger gelegt. Gemessen an den längerfristigen Anforderungen des Strukturwandels können die bestehenden 100 Landkrankenkassen keine gesicherte Basis für eine Krankenversicherung der Landwirte bieten. Im Durchschnitt haben sie heute kaum noch 3000 Mitglieder. Wir schlagen daher eine Eingliederung der Landkrankenkassen in die 19 Krankenversicherungsträger für Landwirte vor. Diese Konzentration der Krankenversicherungsträger von 100 auf 19 führt dazu, daß die neuen Träger im Schnitt doppelt so groß sind wie die Ortskrankenkassen; sie sind damit auf Dauer rationell, leistungsfähig und wirtschaftlich.
Meine Damen und Herren, die Vorschläge der Bundesregierung entsprechen den Ergebnissen der Beratungen der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung und des Arbeitskreises „Krankenversicherung der Landwirte", den noch mein Vorgänger, Herr Kollege Katzer, eingesetzt hat. Beide Kommissionen haben sich mit diesen finanziellen und strukturellen Fragen intensiv befaßt.
Wir haben in der Tat eine solide Basis, auf der eine leistungsfähige Selbstverwaltung der Landwirte aufbauen kann. Hier wird für über zwei Millionen Menschen ein neuer Gestaltungsraum angeboten, den sie in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse ausfüllen können und ausfüllen werden.
Nach dem Vorschlag der Bundesregierung werden die Krankenversicherungsträger eng mit den landwirtschaftlichen Alterskassen und Berufsgenossenschaften zusammenarbeiten, und zwar insbesondere bei der Betreuung und Beratung der Versicherten. Die Selbstverwaltungsorgane und die Geschäftsführer dieser drei Säulen der sozialen Sicherung der Landwirte werden in Personalunion vereinigt. Wir bieten damit den Landwirten eine umfassende und nahtlose „soziale Sicherung aus einer Hand". Ich halte das gerade angesichts des großen sozialen Nachholbedarfs in der Landwirtschaft für einen wichtigen Pluspunkt.
Meine Damen und Herren, bei der Entwicklung dieser modernen Konzeption haben wir daran anknüpfen können, daß es bereits eigenständige Alters-und Unfallversicherungsträger in der Landwirtschaft gibt; wir ergänzen daher mit der landwirtschaftlichen Krankenversicherung dieses umfassende Schutzsystem.
Ich glaube, daß in diesem Hohen Hause trotz aller Unterschiede in Teilfragen doch darin Übereinstimmung besteht, daß die Krankenversicherung der Landwirte ein notwendiges und dringliches sozialpolitisches Vorhaben ist. Der Deutsche Bauernverband hat sich in einem Schreiben an mich im Grundsatz für die berufsständische Lösung ausgesprochen. Auch von seiten der Gewerkschaften wird diese Lösung bevorzugt.
Die Finanzierung für die Altenteiler ist vom 1. Juli 1972 an gesichert. Sie wissen ganz genau, daß wir den Gesetzentwurf erst vorgelegt haben, als diese Frage der Finanzierung geklärt war. Eine Gesetzgebung mit ungewisser finanzieller Zukunft nützt keinem etwas.
Abschließend möchte ich dieses Hohe Haus bitten, die Vorlage möglichst zügig zu beraten, damit die vorgeschlagenen sozialen und finanziellen Verbesserungen so bald wie möglich allen in der Landwirtschaft zugute kommen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich verbinde die Aussprache über die beiden Gesetzentwürfe und erteile Herrn Abgeordneten Horstmeier das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich darf hier feststellen, daß über die Bedeutung und die Dringlichkeit der Krankenversicherung der Landwirte bisher in diesem Hause Einmütigkeit bestand; denn zum erstenmal wurde über die Einführung einer Krankenversicherung für Landwirte im Höcherl-Plan gesprochen. Es hat also - wenn hier immer von Reformen gesprochen wird - auch schon vor 1969 Reformvorhaben gegeben.
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Das sollten wir uns einmal in die Erinnerung zurückrufen.
Es hat dann mehrmalige Ankündigungen dieser Regierung gegeben, sogar mit einer gewissen Terminvorausschau. Diese Termine sind bereits verstrichen. Dann wurde im Sozialbericht 1970 von einer Krankenversicherung für Landwirte gesprochen und im Sozialbericht von 1971 wiederum. Aber geschehen ist bisher nichts. Weil das so war, hat die Opposition, um diese Dinge in Gang zu bringen, Mitte 1970 einen ersten Entwurf eingebracht, der aber unbearbeitet liegenblieb, weil die Regierung eben nicht nachzog.
Hauptproblem war immer, und das ist von allen anerkannt worden, das Altenteilerproblem, das gelöst werden mußte; denn 40 % der Altenteiler sind nicht krankenversichert. Man kann hier nicht von
einem Durchschnitt von 24 % ausgehen, Herr Minister, sondern muß differenzieren. Dieses Problem hätte man nach unserer Meinung vorziehen können. Diese 40 % verfügen nicht über eine Altersversorgung, sondern nur über eine Altershilfe. Wenn ein Krankheitsfall eintritt, müssen diese Lasten vom Hofe getragen werden. Bei der anerkannt schlechten Rentabilitätslage in den letzten Jahren hätte man sich bemühen sollen, diese Lösung vorzuziehen.
Wir haben daneben, um die Höfe von den Altenteilerlasten zu befreien, mehrere Male die Anhebung des Altersgeldes vorgeschlagen, und wir haben für diese Erhöhung auch einen finanziellen Dekkungsvorschlag. Aber das ist aus systematischen Gründen immer abgelehnt worden.
Ich muß in diesem Zusammenhang auf den Umstand hinweisen, daß sozialpolitische Zuwendungen für die Landwirtschaft zum Einkommensfaktor geworden sind und daß man deshalb die Dinge auch international, supranational, europäisch sehen muß. Man muß feststellen, daß es bei diesen Zuwendungen zu einer gewissen Disparität gekommen ist. Wenn in Frankreich das Gesamteinkommen zu 15 % aus Sozialzuwendungen besteht, während sich die Sozialzuwendungen bei uns im Augenblick auf nur 6,4 % belaufen,
({1})
dann bedeutet das einen großen Wettbewerbsunterschied. Dies hätte man doch wohl durch die Billigung unserer Anträge oder das Vorziehen der Krankenversicherung für die Altenteiler ausgleichen können.
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- Sie sind ja gleich dran und können dann Ihre Meinung hier vortragen. Dies ist meine Meinung; und ich lasse es mir nicht nehmen, sie hier vorzutragen.
Wenn ich die Dinge insgesamt beurteile, muß ich feststellen, daß diese Regierung - und das gestehe ich gern zu - zwar für den externen Strukturwandel, für das Herausgehen aus der Landwirtschaft, einige Verbesserungen geschaffen hat, daß aber für den internen Strukturwandel, für die Stützung der in der Landwirtschaft Beschäftigten auf Grund der schwächeren Rentabilitätslage in den letzten zwei Jahren nichts getan worden ist.
({3})
Herr Horstmeier, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gleich! Ich darf feststellen, daß die Vorlage der Regierung keinen Tag zu früh kommt. - Bitte!
Herr Kollege Horstmeier, Sie haben festgestellt, daß 40 % der Alten überhaupt nicht versichert sind. Hat dieser Prozentsatz nicht schon vor zehn Jahren bestanden, und war diese Notwendigkeit vor zehn Jahren nicht genauso gegeben wie heute?
Sie wissen genau, Herr Gallus, daß wir die Priorität auf die Altershilfe gelegt, die Altershilfe laufend erhöht und damit die gleichen Wirkungen erzielt haben.
({0})
- Wir haben doch einen Gesetzentwurf eingebracht; deshalb erübrigt sich dieser Zwischenruf.
({1})
Welche Grundsatzüberlegungen müßten nach unserer Meinung jetzt für eine Krankenversicherung der Landwirte aufgestellt werden? Ich stelle den ersten Grundsatz auf: es müßte sich um eine Versicherungspflicht mit entsprechenden Befreiungsmöglichkeiten handeln. Das ist unsere Intention. Ebenso wie im Bereich der Altershilfe und der Unfallversicherung müssen wir auch hier eine Pflicht bekommen, weil Besitz und Selbständigkeit allein heute nicht mehr eine Gewähr für die soziale Sicherung bieten.
({2})
Man darf sich nicht am Status der Selbständigkeit orientieren, sondern am Einkommen.
Zweiter Grundsatz. Ich glaube, daß es darum geht, die Altenteilerfinanzierung vom Bund tragen zu lassen, weil aus strukturellen Gründen ein Generationsausgleich innerhalb der Landwirtschaft nicht mehr möglich ist, da auf Grund der Abwanderung der Jungen die Alterspyramide ein negatives Bild aufweist.
Dritter Grundsatz. Man muß sich bei der Festlegung der Versicherungspflicht am Strukturwandel orientieren, weil diese Versicherung ja auch finanziert und getragen werden muß. Man muß sich ferner am gegenwärtigen Versichertenstand orientieren, um eine gewisse Fortentwicklung zu gewährleisten.
Ich muß feststellen - und ich stelle das gern fest -, daß hier hinsichtlich der ersten beiden Gesichtspunkte Einmütigkeit besteht, daß die beiden Entwürfe Parallelen aufweisen und auch von den Leistungen her deckungsgleich sind.
Aber bezüglich des dritten Grundsatzes darf ich mit der Kritik nicht sparen. Der Strukturwandel und der Versichertenstand sind, so wie sich das Bild heute darstellt, bei der Konzipierung des Regierungsentwurfs nach meiner Meinung nicht genügend beachtet worden. Die strukturelle Entwicklung in der Landwirtschaft, wie sie im Grünen Bericht weiterhin vorausgesagt wird, hat, glaube ich, bei diesem Gesetzentwurf nicht Pate gestanden. Infolge der jährlichen Abwanderungsquoten wird das Risiko der Krankheit im Gegensatz zu den Entwicklungen in anderen Kassen auf immer weniger Personen verlagert werden müssen; die Zahl der Versicherten nimmt nämlich ab, und die Belastung wird deshalb höher. Es kommt also zu einer steigenden Beitragslast. Der Grüne Bericht weist diese Tendenz ganz deutlich nach. Denn gerade im letzten Jahr sind über 80 000 Betriebe aus der Landwirtschaft ausgeschieden. Damit scheiden ja auch die
Menschen aus und müssen in andere Berufe überwechseln, so daß sie in diese Kasse nicht mehr aufgenommen werden können.
Durch den Grünen Bericht hat sich gezeigt - das ist besonders in der Prognose herausgestellt worden -, daß die Altersstruktur ein negatives Bild aufweist. Die Zahl der Betriebsleiter und der in der Landwirtschaft Beschäftigten zwischen 14 und 25 Jahren ist vergleichsweise sehr niedrig. Ich glaube, das ist ein Faktum für die weitere Beurteilung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Killat?
Herr Kollege, unterliegen Sie nicht einem Irrtum, wenn Sie behaupten, daß durch den Strukturwandel und den Abgang von Versicherten eine finanzielle Schwierigkeit in der Krankenversicherung auftritt? Das trifft doch nur beispielsweise in der Alterskasse zu, wenn die Rentner - hier die Altersruhegeldempfänger - verbleiben, aber die Beitragszahler weggehen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß in der Krankenversicherung Beiträge und Leistungen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und daß Beschäftigte, wenn sie durch den Strukturwandel ausscheiden, nicht nur als Beitragszahler, sondern auch als Anspruchsberechtigte der Krankenversicherung ausscheiden? Rücklagen für diesen Zweck werden nicht gebildet.
Herr Kollege Killat, Sie werden nicht bestreiten können, daß die Altersstruktur in einer Krankenkasse ein sehr deutliches Merkmal für die Leistungsfähigkeit ist.
({0})
- Ich komme gleich noch darauf, Herr Killat, wenn Sie vielleicht zuhören wollen. - Wenn Sie im Jahre 1980 den Zustand haben, daß Sie in dieser Kasse mehr Altenteiler als Aktive haben, dann muß sich das, wie ich glaube, negativ auf die Beitragshöhe auswirken, wenn diese Kasse existenzfähig gehalten werden will.
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- Ich komme noch darauf. Eines nach dem anderen!
Ich darf fortfahren in der Betrachtung der strukturellen Entwicklung. - Demgegenüber ist im Grünen Bericht - ich beziehe mich auf Zahlen daraus - festgestellt worden, daß der Anteil der über 55jährigen Betriebsleiter 25 % beträgt und somit in 10 Jahren ausscheidet. Der Anteil der Nachrückenden 25jährigen beträgt aber nur 5 % Herr Professor Heißhus geht davon aus, daß bis 1980 immerhin 700 000 vollbeschäftigte Arbeitskräfte aus Altersgründen aus der Landwirtschaft ausscheiden müssen und sich darüber hinaus 250 000 Aktive einer Umschulung unterziehen müssen. Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß sich das strukturelle Risiko vergrößert.
9378 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Horstmeier
Die Bundesregierung gibt in ihrer Vorlage selbst zu, daß der Gesundheitszustand in der Landwirtschaft schlecht ist und von daher eine höhere Inanspruchnahme in Frage kommen könnte.
Im Gegensatz zu dieser Modellrechnung hat die Bundesregierung in ihrer Vorschau in der Vorlage zur Krankenversicherung mehr Optimismus gezeigt. Sie geht davon aus, daß 1980 noch 540 000 beitragspflichtige Mitglieder vorhanden sein werden. Selbst wenn das Bild so stimmt, muß ich noch einmal auf meine vorherige Aussage zurückkommen, daß wir, wenn wir im Jahre 1980 nur 540 000 beitragspflichtige Mitglieder haben, bestimmt so viele Altenteiler haben werden, wenn nicht noch mehr, weil sich das vorzeitige Ausscheiden ja verstärkt.
({2})
- Zu dem, was der Staat zahlt, komme ich noch.
Ich komme jetzt zu den Beiträgen. Sie spielen eine große Rolle. Sie sind bei der Modellrechnung heute schon - ich darf das hier feststellen, weil ich die Unterlagen habe - höher, als sie bei den AOKs erhoben werden.
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- Das kann ich beweisen. Ich habe die Unterlagen da.
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- Sie können es ja beweisen, wir können uns im Ausschuß noch darüber unterhalten.
Wie sieht es nun mit der Kostenübernahme für die Altenteilung aus, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist? Dort wird z. B. ausgewiesen, daß für den Altenteiler im Jahr 825 DM gezahlt werden sollen, also diese 176 Millionen DM in diesem Jahr. Das bedeutet für einen Altenteiler 69 DM im Monat. Der Durchschnittsbeitrag beträgt aber nach der Modellrechnung heute schon 76 DM, er liegt also höher als die Zuwendungen, die für die Altenteiler vorgesehen sind. Ich glaube, daß man das feststellen muß. Diese Differenz müßte sowieso noch zusätzlich übernommen werden.
Darüber hinaus fehlt in der Regierungsvorlage eine Beitragsbemessungsgrenze, wie sie nach den Krankenversicherungsgesetzen für die RVO-Kassen üblich ist. Es ist lediglich das Gebot einer Rücklage von drei Monatsausgaben vorgesehen, die nicht unterschritten werden dürfen.
Weiterhin hat im Entwurf trotz der unsicheren Entwicklung der Bund keine Gewährsträgerschaft übernommen. Auf den Punkt hat ja auch der Deutsche Bauernverband hingewiesen.
Jetzt komme ich zu dem nächsten Gesichtspunkt, den ich anfangs herauszustellen versuchte, zum Versichertenstand. Wie sieht überhaupt das Bild des Versichertenstandes in der Landwirtschaft heute aus? 10 % der aktiven sind bisher nicht versichert, 40 % der Altenteiler, 57 % der Selbständigen sind heute schon in RVO-Kassen versichert, 32 % der Selbständigen sind privat versichert, 39 % der
Altersgeldempfänger sind in RVO-Kassen, 29 % der Altersgeldempfänger sind heute privat versichert. Das heißt, daß 500 000 Landwirte heute schon in RVO-Kassen versichert sind. Wenn dieser Gesetzentwurf zum Zuge kommt, heißt das, daß sie ihre Leistungsansprüche aufgeben müssen und qua Gesetz, wenn man so will, umgesiedelt werden in eine andere Kasse, aber nicht etwa - und das ist das Merkmal -, um bessere Leistungen zu erhalten, wenn man von der Betriebshilfe, die ich sehr befürworte, absieht, die aber auch von den vorhandenen Trägern übernommen werden kann.
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- Ich habe gesagt, daß ich sie befürworte, daß aber die anderen Träger diese Betriebshilfe auch übernehmen können. Bestenfalls werden von dieser eigenständigen Kasse die gleichen Leistungen erbracht, aber keine Mehrleistungen. Das ist meine Feststellung: keine besseren Leistungen, dafür aber eine schlechtere, ungewissere Zukunftsaussicht. Ich glaube, daß man es so zusammenfassen kann: das ist eine Zumutung, die die Landwirte nicht hinnehmen können. Wenn ich in einer längerfristigen Prognose, die selbst im Regierungsentwurf angestellt worden ist, feststelle, daß wir bis 1980 für diese Kasse 540 000 Beitragspflichtige haben, und demgegenüber weiß, daß wir heute schon bei den RVO-Kassen einen Versichertenstand von 500 000 haben, dann weiß ich bei dieser Entwicklung überhaupt nicht, wofür wir denn jetzt noch eine besondere Kasse neu gründen sollen.
Dann wird oft mit dem Argument gearbeitet, daß es sich bei dieser zu errichtenden Kasse, die in eine Verwaltungsgemeinschaft mit den Berufsgenossenschaften und der Altershilfe eingegliedert werden soll, um eine Versicherung und eine Sozialpolitik aus einer Hand handle. Meine Damen und Herren, jetzt gebe ich zu bedenken: Wir haben einmal die Selbständigen, die dort versichert werden, und die Mithelfenden. Bei den Mithelfenden wird davon ausgegangen, daß es zur Zeit 220 000 sind. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich diese Zahl bestreite. Denn diejenigen, die auf dem Hof mit einem Arbeitsvertrag arbeiten, werden ja nicht mit übernommen. Ich nehme an, daß das 50 bis 60 % sind. Wenn es weniger wären, wäre das für die Landwirtschaft nicht gut; denn diesen Arbeitsvertrag sollten wir alle anstreben. Diese würden dann schon einmal nicht aufgenommen werden können.
Weiter gibt es Familienmithelfende mit Arbeitsvertrag, Familienfremde und Altenteiler mit Rente. Und dann sagt man so leicht hin, das sei eine Sozialpolitik aus einer Hand. Das heißt also, daß für den selbständigen Landwirt die Krankenversicherung für Landwirte, für die Mithelfenden ohne Arbeitsvertrag die Krankenversicherung der Landwirte und für die Altersgeldbezieher, die keinen Rentenanspruch aus der Rentenversicherung haben, ebenfalls die Krankenversicherung für Landwirte zuständig ist. Für die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, die Mithelfenden mit Arbeitsvertrag und die Altersgeldempfänger mit Rente dagegen ist die Ortskrankenkasse zuständig. Es ist also keine Sozialpolitik aus
einem Guß, wie es oft dargestellt wird. Hinzu kommt bei einem Funktionswechsel auf einem Hof, also wenn jemand, der bisher als in der Landwirtschaft Mithelfender versichert war, Betriebsleiter wird, daß der Betreffende damit auch die Kasse wechseln muß. Ich weiß nicht, ob das nur mit Vorteilen verbunden ist.
Ich komme nun zu einer kurzen Schlußbetrachtung. Meine Damen und Herren, meine Fraktion das möchte ich hier feststellen - hält an der Auffassung fest, daß die im Regierungsentwurf vorgesehene Lösung bezüglich der Krankenversicherung für Landwirte mit dem eigenständigen Träger den Interessen der Landwirte, der bisher Versicherten und darüber hinaus der vorhandenen Versichertengemeinschaft nicht entspricht. Wir treten nach wie vor für einen Pflichtanschluß an die bestehenden RVO-Kassen mit einer entsprechenden Befreiungsmöglichkeit ein.
Der Regierungsentwurf paßt auch nicht, so meine ich, zu den Überlegungen hinsichtlich einer systemgerechten Weiterentwicklung der sozialen Sicherung in Deutschland. In allen Bereichen, vor allem in der Alterssicherung, soll der Versicherungsschutz auf weitere Personenkreise ausgedehnt werden. Ich halte das für richtig. Z. B. soll der Bereich der Selbständigen und der Hausfrauen erfaßt werden, was auch von der Bundesregierung vorgesehen ist. Niemand spricht aber - das ist jetzt meine Feststellung - bei allen diesen Überlegungen von eigenständigen Trägern, sondern man spricht nur von Öffnung der vorhandenen, weil diese leistungsstark genug seien.
Ein weiterer Punkt muß in unserer Betrachtung eine Rolle spielen. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung eine eigenständige Studentenkrankenversicherung, die von den Studenten gefordert wurde, mit dem Hinweis darauf abgelehnt, daß man sich den RVO-Kassen anschließen solle. Ich halte diese Entscheidung für richtig.
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Das gleiche müßte aber auch für die Sozialgruppe Landwirtschaft möglich sein, die ihr Krankheitsrisiko aus den soeben geschilderten Gründen der Altersstruktur nicht allein tragen kann und die deshalb in das Gesamtrisiko eingegliedert werden muß. Dafür wird sich die CDU/CSU-Fraktion in der weiteren Beratung einsetzen, da der Landwirtschaft nicht zuzumuten ist, die Mehrkosten der sozialen Sicherung, die durch den unverschuldeten, wenn auch - das sage ich dazu - unvermeidbaren Strukturwandel entstehen, selber zu tragen.
Meine Damen und Herren, wer etwas anderes beschließt, muß - das sei diesem Hohen Hause gesagt - auch die Folgen tragen. Wenn die Decke dabei zu kurz wird, muß eine größere Decke nachgeliefert werden.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Schonhofen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das sachlich-politische Gewicht der zur Debatte stehenden Gesetzentwürfe wird nach meiner Überzeugung bestimmt von den agrarpolitischen und agrarsozialen Wirkungen, die sie von der Gesamtkonzeption her auszulösen imstande sind. Von daher ergeben sich die Maßstäbe, die wir heute und insbesondere bei den Ausschußberatungen anzulegen haben. Diese Maßstäbe bestimmen die Fragen, auf die wir in sachbezogenen Erörterungen Antworten anzubieten haben, Lösungen anzubieten haben, die den Problemen gerecht werden. Ich möchte unter diesen Aspekten einige Bemerkungen machen, vorweg zu dem Oppositionsentwurf und zu den Ausführungen der Kollegen Susset und Horstmeier.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie lehnen die Konzentration der Träger der sozialen Sicherheit für den Landwirt ab. Sie wollen den Krankenversicherungsschutz abseits von Alterskasse und Berufsgenossenschaft geregelt wissen. Herr Kollege Susset, unser Erinnerungsvermögen sollte sich nicht nur auf zwei Jahre beziehen. Sie wissen genau, daß diese Bundesregierung und diese Koalition nicht zuletzt auch auf diesem Gebiet klare und präzise Aussagen gemacht haben. Für uns stand von vornherein fest, daß das Jahr 1972 das Jahr sein sollte, in dem diese Frage geregelt werden muß. Sie wissen auch, daß dabei nicht zuletzt haushaltspolitische und Finanzierungsfragen aufgetaucht sind. Diese Koalition hat von vornherein die sachlichen Notwendigkeiten in ein vernünftiges Verhältnis zu den Möglichkeiten, die sich ihr boten, zu setzen versucht. Das ist eine Fähigkeit, deren Fehlen wir schon des öfteren hier im Hause beklagen mußten, soweit es Ihre Oppositionstätigkeit angeht. Sie haben insoweit sicherlich noch ein bißchen Nachholbedarf.
({0})
Im übrigen werden Sie mir sicher zustimmen, wenn ich sage, daß es gut gewesen ist, daß wir mit der ersten Lesung Ihres ersten Entwurfs am 16. September 1970 bei Ihnen den Denkprozeß noch nicht abgebrochen haben. Das beweist Ihr zweiter Gesetzentwurf zu diesem Fragenkomplex, den wir jetzt seit einigen Wochen vorliegen haben. Dadurch hatten Sie Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken und insbesondere auch mit den Landwirten draußen im Lande dieses Problem ausführlich zu debattieren.
({1})
- Herr Dr. Ritz, ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Ab und zu beweisen Sie ein größeres Stehvermögen. Ich begreife Ihre Aufregung nicht.
({2}) - Dann habe ich mich getäuscht.
Es ist jedenfalls sehr gut, daß dieser Denkprozeß weitergegangen ist. Das läßt bei uns die Hoffnung aufkommen, daß dieser Denkprozeß auch in den kommenden Ausschußberatungen weiter fortgesetzt wird und daß wir in den Fragen zu einer Überein9380
stimmung kommen, in denen wir offensichtlich heute noch weit auseinander sind.
Sie haben das Schwergewicht Ihrer Argumentation auf den Strukturwandel gelegt. Signalisiert dieser starke Rückgang tatsächlich besondere Gefahren für eine Krankenversicherung für die Landwirte, in eigener Trägerschaft organisiert? Sie könnten auf den Rückgang der Zahl der Betriebe hinweisen. Der beachtliche Rückgang, der Strukturwandel, hat sich 1971 offensichtlich beschleunigt. Dieser Rückgang um rund 82 000 Betriebe macht 6,6 % aus.
In diesem Sachzusammenhang ist noch die Frage wichtig, inwieweit es sich bei diesem Rückgang der Zahl der Betriebe um solche Betriebe handelt, die für den Fragenkomplex Krankenversicherung im Zusammenhang mit der berufsständischen Lösung relevant sind. Da muß man doch sagen, daß das knapp 4 % sind. Aber es sind jene Betriebe, die im Grunde als Mitglieder für die landwirtschaftliche Krankenversicherung vorgesehen wären. Sie können es nachlesen. Der Regierungsentwurf geht davon aus, daß sich die Zahl der beitragszahlenden Betriebe jährlich um 5 % verringern würde. Von daher verändert sich die Position, soweit es den gegenwärtigen Stand des Strukturwandels angeht, zugunsten der Berechnungen, die die Regierung angestellt hat.
({3})
Sie argumentieren also, der Strukturwandel verringere die Zahl der Mitglieder, es gebe eine ungünstige Altersstruktur, die junge Generation wandere ab und schlußfolgern daraus, die Krankenversicherung, so organisiert, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, sei auf die Dauer nicht lebensfähig, und darüber hinaus führten dieser Strukturwandel und diese ungünstige Altersstruktur zu einer unerträglich hohen Belastung für die verbleibenden Mitglieder.
Meine Damen und Herren, Sie müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen, daß das objektiv falsch ist; denn - das ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden - für eine Krankenversicherung im Zusammenhang mit einem sektoralen Schrumpfungsprozeß gelten nicht jene Kriterien, die für die Alterssicherung zweifellos Gültigkeit haben. Die Krankenversicherung hat lediglich Leistungen für den jeweils beitragzahlenden Landwirt aufzubringen. Deswegen verstehe ich auch nicht die Ausführungen des Kollegen Horstmeier; ich weiß nicht, was die Altenteiler damit zu tun haben sollen. Die Lasten, die dieser Krankenkasse entstehen könnten, werden ihr bis auf den letzten Pfennig abgenommen, und zwar nicht nur soweit es die alte Last angeht, sondern auch soweit es die zukünftig zuwachsenden Altenteiler angeht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Susset?
Herr Kollege Schonhofen, Sie sagen zwar, daß es auf die Beitragshöhe keinen Einfluß hat, wie sich die Zahl der Versicherten in der Zukunft entwickelt. Ich glaube aber, es hat sicherlich einen Einfluß, ob in einer Versicherung die Gruppe der Fünfzigjährigen oder die Gruppe der Zwanzigjährigen die Überhand hat; denn Herzinfarkt und solche Dinge sind ab dem 40. oder 50. Lebensjahr leichter möglich als zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr.
Herr Kollege Susset, ich bin Ihnen durchaus dankbar, daß Sie insoweit Ihren Kollegen Horstmeier korrigiert haben. Natürlich spielt die Altersstruktur eine Rolle. Aber wir wollen doch hier einmal mit aller Klarheit sagen, daß bei der Frage der Altersstruktur das Problem der Altenteiler nichts zu suchen hat.
({0})
- Darin sind wir uns einig? Gut, dann ist der Punkt geklärt. Es wäre gut gewesen, wenn Herr Kollege Horstmeier das von vornherein gesagt hätte.
({1})
Nun einige Bemerkungen zur Altersstruktur. Wenn Sie die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers aufmerksam verfolgt hätten, hätten Sie auch dort festgestellt, daß wir keineswegs die Behauptung aufstellen, die Altersstruktur in der Landwirtschaft sei ebenso günstig wie in der übrigen Wirtschaft. Das ist zweifellos nicht zu behaupten. Aber es steht doch fest, daß die Altersstruktur heute schon wesentlich günstiger ist als noch vor wenigen Jahren; denn durch die sozialpolitischen Anreize hat sich, soweit es die Altersstruktur der Betriebsleiter angeht, mancherlei verändert. Es ist auch nicht zu übersehen, daß sich diese Altersstruktur im Verlauf der nächsten Jahre noch einmal verbessern wird, soweit es die heute noch relativ starke Gruppe der Betriebsleiter über 55 Lebensjahre angeht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritz?
Herr Kollege Schonhofen, würden Sie mir zustimmen, daß sich in der Praxis der Strukturwandel derart vollzieht, daß etwa der Betriebsinhaber mit 50 bis 55 Jahren den Betrieb weiterführt, während sein Sohn, der zunächst noch Landwirtschaft erlernt hat, etwa in einem Alter von 25 bis 35 Jahren ausscheidet und daß genau durch diese Art des Strukturwandels das eintritt, was der Herr Kollege Susset sagte, nämlich auch künftighin, solange der Strukturwandel anhält, eine Verstärkung des Anteils der älteren Versicherten bis 65 Jahren gegenüber dem der jüngeren Versicherten.
Herr Kollege Dr. Ritz, zwei Argumente möchte ich dem entgegenhalten. Das Ergebnis des Strukturwandels beispielsweise im Jahre 1971 zeigt uns, daß die Zahl der Betriebe bis zu 10 ha sehr stark zurückgegangen ist - relativ, im Verhältnis zur Gesamtzahl gesehen -, die Zahl der Betriebe zwischen 10 und 20 ha ebenso sehr
stark zurückgegangen ist und daß im Gegensatz dazu allerdings die Zahl der größeren Betriebe zunimmt.
Zweites Argument. Wir bewegen uns im Augenblick, soweit es das Alter angeht, in dem die Betriebe übernommen werden, durchaus schon auf das 30. Lebensjahr zu. Es gibt doch keinen Zweifel, daß das agrarsoziale Ergänzungsprogramm der Bundesregierung hier weitere Impulse ausgelöst hat -nicht nur auslösen wird, sondern ausgelöst hat. Von daher gesehen ist es berechtigt zu sagen, wir werden keine zehn Jahre mehr zu warten brauchen, bis die heute noch vorhandene relativ starke Gruppe der 55jährigen Betriebsleiter aus der Betriebsleiterfunktion herausgewachsen ist und in den Vorzug des Altenteilers - im Zusammenhang mit dem Krankenversicherungsgesetz - gekommen ist, keine Beiträge mehr zahlen zu müssen.
({0})
- Herr Kollege Müller, Entschuldigung, ich möchte nicht mehr so lange reden, daß ich es zulassen könnte, jetzt noch weitere Fragen entgegenzunehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Struve?
Bei Herrn Struve selbstverständlich.
Herr Kollege Schonhofen, das hier angesprochene Problem berührt natürlich den Grundsatz der Trägerschaft, der auch vom Herrn Minister angesprochen worden ist. Können Sie auf Grund des Frage- und Antwortspiels nicht auch zustimmen, wenn ich sage, jeder junge Mensch -denken Sie an die Zahlen der Berufsschüler und der Landwirtschaftsschüler - wird heute das Bestreben haben, etwa bis zum 30. Lebensjahr einen geordneten Lehr- und Arbeitsvertrag zu erfüllen und wird auf diese Art und Weise in irgendeiner gesetzlichen Versicherung pflichtversichert sein? Infolgedessen -- das sind ja unsere grundsätzlichen Bedenken, und wir sollten diese diskutieren - möchte ich angesichts der von Ihnen jetzt vertretenen Konzeption fragen: Werden das nicht Mitglieder sein, die zwischen 30 und 65 Jahre alt sind und die von unten herauf, von der Jugend infolge des Strukturwandels ganz wenig Nachschub bekommen? Die Alterspyramide wird also sehr ungünstig sein.
({0})
Stimmen Sie nicht dieser Überlegung zu?
Herr Kollege Struve, das ist zweifellos ein Thema der Ausschußberatungen. Ich möchte Ihre Frage aber auch konkret beantworten. Ich bin durchaus bereit, in den Ausschußberatungen darüber nachzudenken, laut und deutlich, auch für Sie hörbar, ob es nicht möglich ist, den Hofnachfolger aus dieser Systematik herauszulösen und ihn trotz Arbeitsvertrag in die KVdL, wie ich sie einmal bezeichnen möchte, hineinzubringen. Darüber kann man im Ausschuß durchaus reden.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus muß man aber doch feststellen, daß Ihr Entwurf schon auf den ersten Blick sichtbar eine Reihe von Mängeln aufweist, von denen ich einige nennen möchte. Da ist zunächst einmal der große Spielraum für die Befreiungsmöglichkeit. Das ist eine Befreiungsmöglichkeit für jedermann zu jeder Zeit. Im Zusammenhang damit muß man doch sagen, damit werten Sie Ihren Entwurf zu einer Kombination zwischen Versicherungspflicht und Pflichtversicherung ab. Das wiederum hat drittens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Folge, daß, soweit es den Zustrom zu den RVO-Kassen betrifft ({0})
ich sage das noch einmal, damit deutlich wird, was ich meine -, eine Negativauslese zu Lasten der Arbeitnehmerkrankenkassen eintritt. Ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß dies ein desintegrierender Faktor ist, der in Ihrem Entwurf steckt. Damit wird keineswegs unterstrichen, daß auch für den Landwirt von heute in seinem sozialpolitischen Bereich die Solidargemeinschaft erstrebenswert wäre.
Schließlich, meine Damen und Herren, viertens: Sie schweigen sich über die Fragen aus, die im Zusammenhang mit der Lösung der Selbstverwaltungsprobleme stehen. Dazu ist in Ihrem Entwurf nichts gesagt. Es mag sein, daß Sie ein bißchen Scheu vor den Realitäten haben, nämlich davor, Ihrem Arbeitnehmerflügel sagen zu müssen: Unser Modell beseitigt die paritätische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane der RVO-Kassen. Ich hätte sogar dafür Verständnis, wenn eine Scheu besteht, das so offen auszusprechen. Oder aber es ist eine Scheu vor der Realität, die so aussieht, daß der Landwirt - lassen Sie mich es einmal so sagen - als Pflichtmitglied der RVO-Kasse seine eigene Krankenversicherung nicht mehr bestimmt.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Frau Präsidentin, ich bin einverstanden, wäre dann aber dankbar, wenn Sie beim Ablauf meiner Redezeit ein bißchen großzügig wären. Es waren 30 Minuten für mich beantragt.
Ja, das wird abgezogen. - Bitte!
Herr Kollege Schonhofen, wie stellen Sie sich die Selbstverwaltung in der Krankenversicherung für Landwirte vor, die in eine vorhandene Verwaltungsgemeinschaft eingegliedert werden soll und dann ja auch dort die Kräfteverhältnisse verändert?
Gucken Sie sich einmal den Gesetzentwurf der Bundesregierung an. Da ist diese Frage eindeutig beantwortet. Sie haben jedenfalls
bis zur Stunde zu dieser Frage kein Wort gesagt. Ich habe Verständnis dafür, wenn Sie davor zurückscheuen, sich hier laut und deutlich und vor aller Öffentlichkeit dazu zu äußern. Fest steht jedenfalls folgendes: Wenn Ihr Gesetzentwurf Gesetz würde, würde er die paritätische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane in den RVO-Kassen beseitigen
({0})
und darüber hinaus garantieren, daß die Landwirte nicht imstande sind mitreden können sie im Zweifelsfall -, ihre Fragen in eigener Selbstverantwortung zu regeln.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt keine Zwischenfragen mehr zu. Ich möchte meine Rede so halten, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Kollegen von der CDU/CSU haben die Möglichkeit, sich im Ausschuß mit uns auseinanderzusetzen.
Fünftens. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf auch keine Maßstäbe für das Beitragssystem, wie Sie es sich vorstellen, gesetzt, ganz zu schweigen von der Beitragshöhe.
Summa summarum: keine ausreichende Vertretung der Interessen der bäuerlichen Bevölkerung. Die Interessenvertretung ist im Regierungsentwurf geradezu hervorragend garantiert. Meine Damen und Herren, auch von daher gesehen muß ich bekennen, daß wir Ihren Entwurf nicht als eine Alternative betrachten können.
Ihrem Entwurf steht der Regierungsentwurf gegenüber, dessen besondere politische Bedeutung darin begründet liegt, daß in ihm ein wesentliches Stück der Reformpolitik dieser Regierung seinen Ausdruck findet. Die sozial-liberale Koalition setzt mit diesem Gesetzentwurf ihre Reformen fort. Sie unterstreicht damit erneut, daß für uns die Agrarsozialpolitik ein unverzichtbarer Bestandteil sowohl dieser Reformpolitik als auch der Agrarpolitik ist. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt den Regierungsentwurf. Sie betrachtet ihn als einen wesentlichen Beitrag zur Komplettierung der agrarsozialen Gesetzgebung, der wir, wie gesagt, große Bedeutung beimessen, damit den Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, ein umfassender Schutz gewährt werden kann.
Wir begrüßen die Regierungsvorlage auch deshalb mit Genugtuung, weil hiermit bereits jetzt das wichtigste Stück der agrarsozialen und strukturpolitischen Vorstellungen der Koalition in die Tat umgesetzt werden kann, mit dem wir Sozialdemokraten in die Bundestagswahl von 1969 erneut hineingegangen sind und das im übrigen in dem Kabinettsbeschluß vom September 1970 seinen konkreten Ausdruck fand. Meine Damen und Herren, insoweit werden Sie nicht bestreiten können, daß diese Regierung auch auf diesem Gebiet ihr Wort gehalten hat.
Es sollte bei dieser Gelegenheit auch noch einmal gesagt werden, daß wir zu bedauern haben, daß dieser so wichtigen Komponente der Agrarpolitik in den früheren Jahren leider zuviel Widerstand entgegengesetzt worden ist. Das wird doch besonders deutlich, wenn wir uns noch einmal an jene Debatten, die in den fünfziger und sechziger Jahren in diesem Hohen Hause geführt wurden, erinnern und sie vielleicht noch einmal nachlesen. So wurden beispielsweise die Bemühungen meiner Freunde geradezu mit Hohn und beißendem Spott bedacht, als es darum ging, die Agrarsozialpolitik im Landwirtschaftsgesetz zu verankern. Ähnlich erging es meinen Freunden Martin Schmidt, Heinz Frehsee und Ernst Schellenberg im Jahre 1957, als man hier im Hause über die Altershilfe zu befinden hatte und als sie damals den sozialdemokratischen Standpunkt darlegten.
({2})
- Nein, Herr Kollege Müller, ich will jetzt nur folgendes sagen.
({3})
Wir stellen durchaus befriedigt fest, daß dieser Widerstand vom Grundsatz her - allerdings nur sehr allmählich - nachgelassen hat.
- Sie dürfen sich nicht immer auf die Füße gelatscht fühlen.
In diesem Zusammenhang sehe ich auch noch einmal die Ausführungen nicht nur der verehrten Frau Kollegin Kalinke, sondern auch des Kollegen Susset, die er hier zu Beginn gemacht hat. Es kann eben keinem Zweifel unterliegen: Mit diesem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, mit der für den Spätsommer vorgesehenen Erhöhung des Altersgeldes und der Landabgaberente, mit der von dieser Bundesregierung anvisierten Ausgestaltung der Alterssicherung, mit dem Bemühen, für die landwirtschaftliche Unfallversicherung möglichst noch in diesem Jahre gesicherte finanzielle Positionen festzulegen,
({4})
mit allen diesen Dingen wird das Jahr 1972 - Sie können das auch mit Ihrem Grinsen nicht beseitigen, Herr Kollege Dr. Ritz - zweifellos ein Höhepunkt in der Geschichte der Agrarsozialpolitik sein und eine Bedeutung erlangen, die über die vieler vergangener Jahre weit hinausgeht.
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Dieses Gesetz erlangt seine besondere Bedeutung nicht nur durch die allgemeinen agrarsozialen und agrarpolitischen Wirkungen, sondern nicht zuletzt auch durch seine Wirkungen auf die zu schützenden Menschen. Hierzu möchte ich nur drei ganz kurze Bemerkungen machen.
Alle Fachleute sind sich darin einig, daß ein umfassender Krankenversicherungsschutz notwendig kt, nicht zuletzt auch unter dem gesundheitspolitischen Aspekt, aber auch im Zusammenhang mit der Frage des bisher vorhandenen unzureichenden VerSchonhofen
sicherungsschutzes. Alle Sachkundigen und auch die Betroffenen wissen, daß dieser Schutz bislang unzureichend gewesen ist, insbesondere für die Altenteiler. Daß man diesen Tatbestand nicht mehr ernsthaft bestreiten kann, mag u. a. auch das Ergebnis Ihres Nachdenkens vom Sommer 1970 bis zum Dezember 1971 beweisen. Denn nachdem Sie Ihren ersten Entwurf mehr oder weniger klanglos im Papierkorb verschwinden ließen, kann ich wohl davon ausgehen, daß wir uns zumindest in diesem Punkt einig sind: daß es so nicht weitergehen kann, daß wir bis zur Stunde einen unzureichenden Schutz für die bäuerliche Bevölkerung, soweit es die Krankenversicherung angeht, feststellen und deshalb dieses Problem lösen müssen.
Das war noch bis vor wenigen Monaten sehr umstritten. Wir brauchen gar nicht so zu tun, als ob wir uns auch in diesem Punkte schon immer einig gewesen wären. Ich brauche nur an die Ausführungen zu erinnern, die verschiedenen Kollegen Ihrer Fraktion im Verlauf der letzten Zeit zu dieser Frage gemacht haben, oder an die für jeden auch heute noch nachlesbaren Ausführungen Ihres Mitarbeiters, Herrn Dr. Schmidt, in der Zeitschrift „Land aktuell", wo Ihr gegenteiliger Standpunkt, den Sie bis vor kurzem noch verteten haben, sehr prononciert vorgetragen wurde. Und soweit es die Regierungskonzeption betraf, wurde sehr abwertend von Zwangsversicherung gesprochen. Daran darf ich doch wohl in diesem Zusammenhang erinnern.
Das besondere Gewicht des Regierungsentwurfs ist aus seiner doppelten Zielsetzung zu erkennen, aus der Zielsetzung nämlich neben den sozialen und gesundheitspolitischen Absichten -, die landwirtschaftlichen Betriebe von möglicherweise existenzgefährdendem Krankheitsrisiko zu befreien und sie darüber hinaus durch die Übernahme der Lasten für die Altenteiler von Kosten zu entlasten.
In der Diskussion - auch jetzt in der Ausschußberatung wird die organisatorische Lösung, die im Regierungsentwurf vorgesehene eigenständige Trägerschaft, eine sehr breiten Raum einnehmen. Dazu möchte ich noch ein paar Bemerkungen über das hinaus machen, was ich soeben schon gesagt habe.
Wer die eigenständige Trägerschaft ablehnt, wird auf einige Fragen sehr konkrete Antworten geben müssen. Wie sollen z. B. die berechtigten Interessen der pflichtversicherten Arbeitnehmer - ich sprach vorhin schon davon, daß Ihre Lösung die Beseitigung der paritätischen Besetzung der Selbstverwaltungsorgane vorsieht - in den Selbstverwaltungsorganen der RVO-Kassen gewahrt werden? Oder wollen Sie tatsächlich die Gestaltung der KVdL innerhalb der RVO-Kassen, wie Beitragsstaffel, Beitragshöhe, Leistungskatalog im Zusammenhang mit dem Betriebshilfsdienst, den in den meisten Fällen personell kaum veränderten bisherigen Selbstverwaltungsorganen der RVO-Kassen überlassen? Das bedeutet, die Landwirte mehr oder weniger auszuschließen.
Drittens. Wie soll das Nebeneinander von Altenteilern und Rentnern in einer RVO-Kasse geregelt
werden, ohne Gefahren für die beabsichtigte Kostenentlastung der Landwirtschaft heraufzubeschwören?
Viertens. Meinen Sie nicht auch, daß die teilweise geradezu fundamentalen Unterschiede, die im Leistungskatalog und vor allem im Beitragssystem vorgesehen werden müssen, nicht ebenfalls für einen eigenständigen Träger sprechen, mindestens aber doch für eine besondere Sektion innerhalb der RVO-Kassen? Wenn das das Ergebnis Ihres Überlegens ist, dann prüfen Sie noch einmal im Lichte dieser Erkenntnis Ihre übrigen Argumente. Dann kommen auch Sie zu dem Ergebnis, daß nur ein eigenständiger Träger die beste organisatorische Lösung sein kann. Denn wir sollten nicht ohne zwingenden Grund das ist ein weiterer Gesichtspunkt - auf die sich geradezu anbietende Zusammenarbeit und Konzentration der Träger der sozialen Sicherheit für den Landwirt verzichten; und das sind Krankenkasse, Unfallversicherung und Alterssicherung.
All dies spricht nach meiner Überzeugung für eine eigenständige Trägerschaft, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht. Damit ist eine Verwaltungsgemeinschaft aller für den Landwirt wichtigen Sozialeinrichtungen hergestellt. Nicht unbeachtliche Verwaltungskosten werden überflüssig. Es kann ein sinnvolles Gesamtsystem der Leistungen zwischen Krankenkasse, Berufsgenossenschaft und Alterskasse entwickelt werden, und dem Versicherten ist zudem eine optimale und vor allem ortsnahe Betreuung durch eine gemeinsame Außenstelle für alle drei Träger garantiert.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch besonders die Stellungnahme des Deutschen Bauernverbandes, wo noch einmal der berufsständischen Lösung, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, der Vorzug gegeben worden ist.
({6})
Die erste Lesung kann beileibe nicht der Platz sein, wo man sich mit weiteren Einzelfragen, soweit sie nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind, auseinandersetzt. Dafür sind die Ausschußberatungen da. Aber andeutungsweise darf ich vielleicht doch auf einige Punkte hinweisen, die nach unseren Überlegungen noch einmal erörtert werden sollten.
Da ist die Frage, inwieweit die für diesen eigenständigen Träger vorgesehene Übergangsregelung, soweit es die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane angeht, praktikabel genug und für die Dauer befriedigend sein kann. Da sind die Überlegungen, die mit den vorgesehenen Fristen in Zusammenhang stehen, die für die Entscheidungen des einzelnen Betroffenen einzuhalten sind; ob sie ausreichend sind, ist zu prüfen. Ferner sollten wir auch noch einmal gründlich darüber nachdenken, ob die Einheitswertgrenze von 45 000 DM ausreichend ist. Schließlich sollte erörtert werden, ob die den Selbstverwaltungsorganen angebotenen Alternativen für das Beitragssystem, für die Beitragsbemessung - nämlich Einheitswert oder Arbeitsbedarf - ausreichend sind und für die Praxis eine den tatsächlichen Gegebenheiten angemessene Gestaltung dieses
Systems zulassen. Diese Fragen beispielsweise werden sicherlich im Ausschuß erörtert werden müssen.
Für die sozialdemokratische Fraktion kann ich schon heute sagen, daß wir entsprechend der im Regierungsentwurf enthaltenen Konzeption größten Wert darauf legen werden, die Gesamtkonzeption der KVdL so anzulegen, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung einen umfassenden Schutz genießen kann, soweit es die soziale Sicherheit angeht, die hier abgerundet wird, und die landwirtschaftlichen Betriebe von unangemessenen Risiken befreit werden. Weiter sollte den Selbstverwaltungsorganen - das ist unsere Auffassung - ein möglichst großer Spielraum eingeräumt werden, damit sie die KVdL den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Landwirte entsprechend ausgestalten können. Dieser und einige andere sind einige der Gesichtspunkte, von denen wir bei der Beratung der Materie in den Ausschüssen ausgehen werden.
Wir sind der Überzeugung - das darf ich abschließend für unsere Fraktion feststellen -, daß ein umfassender Krankenversicherungsschutz für die bäuerliche Bevölkerung erforderlich ist, daß der Regierungsentwurf alle wesentlichen Voraussetzungen erfüllt, diesen erforderlichen Schutz zu gewähren, und daß die vorgesehene organisatorische Lösung ebenfalls zweckentsprechend ist. Wir begrüßen daher die Vorlage der Bundesregierung, weil mit ihr ein unzulänglicher und die Betroffenen bedrückender Zustand beendet wird, und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu.
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Meine Damen und Herren, ein Wort zur Geschäftslage! Der Ältestenrat war davon ausgegangen, daß wir gegen Mittag mit den heute vorgesehenen Tagesordnungspunkten fertig sein würden und nun die Fragestunde beginnen könnte. Dies ist nicht der Fall. Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Fragestunde am Ende unserer heutigen Sitzung stattfinden soll. Nach der derzeitigen Übersicht ist nicht damit zu rechnen, daß allein die Sachberatungen bis 15 Uhr beendet sein können. Ich bitte daher die Ausschußvorsitzenden, dafür Sorge zu tragen, daß die Anfangszeiten der Ausschußsitzungen verschoben werden. Ich rechne mindestens mit einer Gesamtsitzungsdauer bis 17 Uhr; das aber ohne Gewähr.
Das Wort hat Herr Kollege Peters ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Krankenversicherung der Landwirte und damit die gesetzliche Regelung der Pflichtkrankenversicherung. Heute muß im nachhinein festgestellt werden, daß die landwirtschaftliche Berufsvertretung und die politisch Verantwortlichen die Notwendigkeiten zu spät erkannt haben. Es gibt keinen anderen Bevölkerungsteil, in dem die Krankenversorgung so unterschiedlich und in Teilen so mangelhaft geregelt ist. Von großer Bedeutung ist deshalb, daß dem
Gesetzentwurf das Vorhaben und der Wille zugrunde liegen, alle bisher nicht Krankenversicherten in den Versicherungsschutz einzubeziehen. Bundesregierung und Koalition haben sich für die berufsständische Regelung entschieden. Der Bauernverband ist ebenfalls mehrheitlich dieser Auffassung. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß 19 landwirtschaftliche Krankenversicherungen analog den Bereichen der Berufsgenossenschaften und in personeller und sachlicher Zusammenarbeit mit diesen und den landwirtschaftlichen Alterskassen gebildet werden. Wir begrüßen diese Konstruktion eines landwirtschaftlichen Sozialwerks, das der Agrarpolitik in Zukunft in mancher Hinsicht ein hilfreiches Instrumentarium sein wird.
Die berufsständische Lösung erscheint uns aus mehrerer Hinsicht zwingend notwendig, entgegen den Vorstellungen der CDU und deren Gesetzentwurf.
Erstens: Selbständige Landwirte lassen sich schwerlich bei einer bestehenden gesetzlichen Arbeitnehmerkrankenkasse eingliedern, weil die Beitragserhebung nicht nach gleichen oder vergleichbaren Prinzipien zu gestalten ist.
Zweitens. Im Leistungsbereich werden die Landwirte nicht auf Verdienstausfall, sondern auf Gestellung von Ersatzkräften angewiesen sein.
Drittens. Die Pflichteingliederung nur einer Gruppe Selbständiger in eine bestehende Pflichtversicherung ist vom grundgesetzlichen Gleichheitsprinzip her weder vertretbar noch haltbar.
Viertens. Die gesetzliche Regelung der vollen Kostenübernahme für die landwirtschaftlichen Altershilfeempfänger durch den Bund ist nur in einer berufsständischen Krankenkasse, nicht aber in Arbeitnehmerkrankenkassen zu lösen, in denen die Kosten für die Rentner anteilig von der Rentenversicherung und den Aktiven in der Krankenversicherung getragen werden. Der Bundesrat hat darum gebeten zu prüfen, ob eine Pflichtversicherung der Landwirte in einer bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung eine bessere Lösung sei. Nach unserer Auffassung ist das eindeutig nicht der Fall, wie hier nicht nur von mir, sondern auch vom Herrn Minister wie von Herrn Schonhofen nachgewiesen worden ist. Der Bundesrat hat diese Frage gestellt, aber keine gegenteilige Entscheidung zum Regierungsentwurf getroffen. Wollte man die Gruppe der selbständigen Landwirte in die gesetzlichen Krankenkassen, in die Allgemeinen Ortskrankenkassen eingliedern, müßte man für sie ein Gruppenstatut mit einer besonderen Selbstverwaltung schaffen. Schon diese Überlegung sollte zu dem Schluß führen, daß eine berufsständische Krankenkasse die günstigste Regelung ist.
Nun ist oft eingewandt worden, die Krankenversicherungen der Landwirte seien nicht lebensfähig. Im gleichen Atemzug sind dann jedoch die kleinen Landkrankenkassen, hundert an der Zahl, dafür gehalten worden. In der Regierungsvorlage ist nachgewiesen, daß die 19 zu bildenden Krankenkassen der Landwirte im Durchschnitt 40 000 aktive Mitglieder haben werden, fast doppelt soviel als die OrtsPeters ({0})
krankenkassen heute im Durchschnitt. Unterstellt man, daß noch einige dieser 19 Kassen mit weniger Mitgliedern, z. B. die aus d en Hansestädten oder aus dem Saarland, größeren Einheiten angegliedert werden, dann wird die Durchschnittszahl sich noch wesentlich über 40 000 erhöhen. Geht man von einem Fortschreiten des Strukturwandels in der Landwirtschaft aus, von einem Zurückgehen des landwirtschaftlichen Anteils an der Erwerbsbevölkerung von heute 8 % auf 4 bis 5 %, wie er in einigen Industriestaaten erreicht ist, dann sind die Krankenversicherungen der Landwirte im Durchschnitt noch so mitgliederstark wie heute die Ortskrankenkassen und damit lebensfähig.
Entscheidend für die Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Krankenversicherung ist, daß die Kosten für die relativ wie absolut zunehmende Zahl der Altershilfeempfänger vom Bund übernommen werden. Diese Regelung ist noch günstiger als bei der knappschaftlichen Krankenversicherung. Der Bund wird in einigen Jahren Zuschüsse von 480 Millionen DM im Jahr leisten. Eine zusätzliche Garantieerklärung für die Höhe der Beiträge der Aktiven über diese Defizithaftung für die Altershilfeempfänger hinaus ist zur Zeit weder notwendig noch angebracht. Der Gesetzentwurf sieht die Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht bei nachgewiesener entsprechender privater Krankenversicherung beim Inkrafttreten des Gesetzes und später oberhalb der Einheitswertgrenze von 45 000 DM vor.
Der Bauernverband möchte die absolute Versicherungspflicht und geht dabei wohl von den negativen Beispielen früherer Befreiung an Pflichtversicherungen aus. Die uneingeschränkte Pflicht zur Versicherung dürfte im Hinblick auf die Regelung für Angestellte vom Gleichheitsprinzip her nicht durchzuhalten sein. Nach unserer Ansicht könnte über die Versicherungspflichtgrenze im Ausschuß gesprochen und entschieden werden.
Die selbständigen Landwirte werden die Kosten für sich, für mithelfende über 18 Jahre alte Familienmitglieder und die Verwaltungskosten tragen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Stellt man Vergleiche zu anderen Versicherungen an, muß man allerdings berücksichtigen, daß der Beitrag für den selbständigen Landwirt einen Familienbeitrag - einschließlich der Kinder bis 18 Jahre - darstellt. Das scheint mir bei manchen Vergleichen nicht berücksichtigt zu sein. Die Solidargemeinschaft gebietet eine Staffelung im Beitragssystem wie bei allen gesetzlichen Krankenversicherungen. Das Zweineinhalbfache des Mindestbeitrags als Höchstbeitrag stellt die gerechteste Lösung dar, und dieser Satz sollte nicht überschritten werden.
Die Krankenversicherung der Landwirte wird die Leistungen der RVO-Kassen bieten - abzüglich Krankengeld, dafür jedoch die Gestellung des Betriebshelfers und der Haushaltshelferin. Über Einzelheiten dieser Regelung werden wir in den Ausschüssen sprechen und entscheiden.
Einige Verbesserungen des Regierungsentwurfs erscheinen angebracht. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist ein gut durchdachtes Konzept zur Pflichtkrankenversicherung der Landwirte mit ihren Familien und mithelfenden Angehörigen. Die verwaltungsmäßige Zusammenfassung von landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, landwirtschaftlicher Altershilfe, deren Ausbau wir in naher Zukunft ebenfalls hier behandeln und beschließen werden, und der Krankenversicherung der Landwirte wird von uns begrüßt.
Dieses agrarsoziale Institut wird in Zukunft von großer Bedeutung in der Agrarsozialpolitik und in der Agrarpolitik generell sein. Die Landwirtschaft wird ihre Sozialeinrichtungen in eigenverantwortlicher Selbstverwaltung führen. Die bestehenden Landkrankenkassen werden eingegliedert. Der Bund übernimmt durch hohe Finanzbeiträge seine sozialpolitische Verantwortung für einen um die Existenz ringenden und im Strukturumbruch befindlichen Berufsstand. Die Bundesmittel für die Agrarsozialpolitik steigen jährlich von 950 Millionen DM - einschließlich der Hilfen für die Berufsgenossenschaften - im Jahre 1971 kontinuierlich bis 1972 auf 2,2 Milliarden DM.
Die sozialliberale Koalition holt in dieser Legislaturperiode auf, was frühere Regierungen versäumten.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzungen um die bestmögliche Form der Krankenversicherung der Landwirte scheinen allmählich emotionellen Charakter zu bekommen.
Es handelt sich hier a) um einen Berufsstand, dem wir alle helfen wollen, und b) insbesondere um die Altenteiler, die vor allem der Hilfe bedürfen. Ich möchte daher an das Hohe Haus appellieren, hier nicht Weltanschauungen und Emotionen in den Vordergrund zu stellen, sondern die beste Lösung zu suchen.
Ich gebe zu, daß im Regierungsentwurf gute Gedanken enthalten sind. Bitte, erkennen Sie ebenso an, daß wir mit unserem Entwurf die bestmögliche Lösung suchen. Ich bitte insbesondere die Kollegen von der SPD und von der FDP, sich auch durch Argumente von uns überzeugen zu lassen, hier nicht die Abstimmungsmaschine, diese furchtbare Abstimmungsmaschine, in Gang zu setzen und die Landwirtschaft nicht in etwas hineinzupressen, wo 90°10 der Bauern nicht hinein wollen.
Es ist die Struktur der Versicherten herausgestellt worden. Ich erkenne an, daß es sich um eine Umlage handelt und daß ein Unterschied zur Altersversicherung besteht. Vorhin ist schon darauf hingewiesen worden - aber nicht mit der entsprechenden Deutlichkeit - daß der Strukturwandel in der Landwirtschaft, das Umsteigen vom Vollerwerbsbetrieb zum Nebenerwerbsbetrieb, sehr schnell vor sich gehen wird und daß insbesondere diejenigen auf
den Nebenerwerbsbetrieb umsteigen, die jünger und aktiver sind, also Personen im Alter bis zu 40 Jahren. Wenn Sie bei den Arbeitsämtern nachfragen, stellen Sie fest, daß selten Umschulungsannträge für Personen über 40 Jahre eingehen, demgegenüber aber viele aus der jüngeren Generation. Die jüngere Generation ist nicht so krankheitsanfällig und hat keine so hohe Morbidität, wie die Krankenversicherer sagen. Aber von den 40- bis 65jährigen müssen viele zum Arzt und ins Krankenhaus gehen; in dieser Altersgruppe treten vor allem die größeren Krankheiten auf. Diese kosten dann Geld. Das ist eine ganz logische Betrachtungsweise.
Wenn ich diese Struktur berücksichtige und daneben die Modellrechnung der Bundesregierung sehe, komme ich zu der Überzeugung - das ist auch das, was die Bauern draußen sehen -, daß die Beiträge noch höher ausfallen als in der Modellberechnung. Maßgebend ist nicht allein der jetzige absolute Vergleich zwischen AOK-Beiträgen und Landkrankenkassenbeiträgen einerseits und den Modellbeiträgen des Herrn Bundesarbeitsministers andererseits, sondern die Furcht, daß es so geht wie bei der Altersversicherung der Landwirtschaft. Dort haben wir nämlich mit 10 DM Beitrag angefangen. In dem Regierungsentwurf stand das seinerzeit drin. Ich kann mich ganz gut daran erinnern. Da hieß es in der Begründung: Auf Grund solider Berechnungen wurde der Beitrag festgesetzt, und es ist nicht zu erwarten, daß er langfristig steigen wird. Und was haben wir erlebt? Wir haben heute den dreieinhalbfachen Beitrag und sind noch nicht am Ende, und der Staat muß sehr viel dazugeben.
Ähnlich wird es auch bei dieser Versicherung sein. Der Beitrag, der jetzt berechnet wurde, wird nicht ausreichen. Ich denke z. B. an die Gruppe 0 bis 5000 DM oder 5000 bis 8000 DM Einheitswert. Das sind 13,7 und 14,8, also zusammen rund 28 %. Diese 28 °% scheiden bei der Beitragskalkulation überhaupt aus und erhöhen dadurch natürlich den Durchschnittsbeitrag von 83,50 DM auf mindestens 100 DM. Die genannten Beitragsgruppen sind in der Praxis nicht mehr vorhanden, weil diese Landwirte keine selbständigen Vollerwerbslandwirte mehr sind, sondern längst in die Nebenerwerbslandwirtschaft abgewandert und sozialversichert sind. Soweit diese Situation.
Nun kommt ein sehr wichtiger Einwand, den man entkräften muß. Herr Bundesarbeitsminister Arendt hat, wenn auch nicht in aller Deutlichkeit, dargelegt, daß die AOK niedrigere Beiträge habe und damit indirekt praktisch Kampfpreise für die Landwirtschaft mache. Herr Peters ({0}) hat vorgebracht, ,daß hier eine eigene Sektion innerhalb der AOK geschaffen würde, wenn wir unseren Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause durchbrächten. Sowohl die eigene Sektion wie die Kampfpreise sind Pappkameraden, auf die von Ihnen drauflosgedonnert wird.
Herr Bundesminister Ertl hat auch in einem Brief an einen Bauernverbandspräsidenten auf die zu schaffende eigene Sektion Landwirtschaft in der AOK hingewiesen. Deswegen sei er, Ertl, vor allem für die berufsständische Lösung. Gut, wenn das so
wäre, könnte man darüber reden. Aber, Herr Bundesminister, Herr Peters und Herr Schonhofen, die Sache sieht doch ganz anders aus.
Ich habe auf Grund der Vorwürfe sowohl hinsichtlich der Kampfpreise der AOK als auch hinsichtlich des Vorwurfs der eigenen Sektion eine Anfrage beim Bundesverband der Ortskrankenkassen veranlaßt. Der Bundesverband der Ortskrankenkassen hat mir nun vorgestern folgendes geschrieben:
Sehr geehrter Herr Niegel, die Behauptungen,
1. die Ortskrankenkassen erhöhen bis jetzt nur „Kampfpreise" und würden nach der beabsichtigten Neuregelung der Krankenversicherung für Landwirte wesentlich höhere Beiträge erheben,
2. der Bundesverband der Ortskrankenkassen stelle bereits Überlegungen an, daß für den Fall der Annahme der CDU/CSU-Lösung die Ortskrankenkassen eine eigene Beitragsabrechnung für Landwirte ({1}) vornehmen bzw. die derzeit zugrunde gelegten Einkommen 'bei der freiwilligen Versicherung erheblich erhöht würden,
entbehren jeglicher Grundlage. Richtig ist vielmehr folgendes:
- Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin weiter zitieren . Die Ortskrankenkassen und ebenso die übrigen gesetzlichen Krankenkassen sind durch Gesetz gehalten, die Beiträge für ihre pflichtversicherten und freiwillig versicherten Mitglieder so zu bemessen, daß sie für die zulässigen Ausgaben ausreichen. Das bedeutet, daß die Ortskrankenkassen nicht nur keine höheren, sondern auch keine niedrigeren Beiträge erheben dürfen, als zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Aus Gründen des Wettbewerbs zu niedrige Beitragssätze, sogenannte Kampfpreise, festzusetzen, ist daher rechtlich unzulässig, entspricht aber auch nicht der Praxis der Ortskrankenkasse. Oberster Grundsatz für ihre Finanzgebarung ist vielmehr Solidität und Sicherheit. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, daß nicht wenige Ortskrankenkassen Beitragsherabsetzungen erst nach Ablauf des Zeitraums, in dem die gesetzliche Krankenversicherung für die sogenannten höherverdienenden Angestellten geöffnet war ({2}), vorgenommen haben, weil vorher die Kalkulationsgrundlagen für diese Maßnahmen nicht ausreichen.
Hätten sie sich bei der Beitragsgestaltung lediglich von Wettbewerbsüberlegungen leiten lassen, dann hätten sie die Beiträge schon vorher ermäßigt und Kampfbeiträge festgesetzt.
Wir haben keineswegs die Absicht, die Krankenversicherung der Landwirte für den Fall, daß sie bei den bestehenden Krankenkassen ({3}) durchgeführt werden soll, von der übrigen KrankenversicheNiegel
rung isolieren. Wenn von uns bei den vorparlamentarischen Beratungen über die Einführung der Krankenversicherung für Landwirte diesbezügliche Regelungen, z. B. die Bildung von Sektionen, vorgeschlagen wurden, so geschah dies lediglich, um bestimmten Forderungen ({4}) zu genügen. Wir stehen jedoch nach wie vor auf dem Standpunkt, daß nur die vollständige Integration der Krankenversicherung für Landwirte in die bestehende gesetzliche Krankenversicherung eine sachgerechte Lösung darstellt. Hinsichtlich der Beitragsgestaltung würde das bedeuten, daß die Krankenversicherung für Landwirte in das Gesamtrisiko der Krankenversicherung einzubetten wäre. ...
So weit das Fernschreiben des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen. Ich darf also darauf hinweisen, daß nach unserem Vorschlag die Landwirte mit ihrer Einkommensgruppe in der Beitragsstaffel geführt und daraus die Beiträge errechnet werden, wie sie für alle anderen Versicherten gelten. Nun die andere Frage: Wie ist die Vertretung? Sie hat Herr Schonhofen angesprochen; er meinte, er könne uns den schwarzen Peter zuschieben, daß wir uns nun mit den Arbeitnehmern oder auch mit den Gewerkschatten auseinandersetzen sollten. Hierzu muß ich eines sagen. Nach dem Selbstverwaltungsgesetz, das dafür einschlägig ist, handelt es sich nicht um eine Vertreterversammlung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber schlechthin, sondern es handelt sich nach § 1 Abs. 1 um eine Vertreterversammlung, die sich je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammensetzt. Das bedeutet, daß bereits bei der jetzigen Lösung auch Landwirte in dem Kreis der Versicherten sein können. Wir haben in der Praxis diese Fälle. Ich kann Ihnen das sogar beweisen. Es sind z. B. dort, wo man nicht bereit war, die Forderungen der Landwirte zu berücksichtigen, örtliche Bauernverbände hergegangen und haben gesagt: Wir machen eine eigene Liste und stellen sie zur Wahl.
({5})
Dann hätte in allen diesen Ortskrankenkassen eine Wahl durchgeführt werden müssen. Daraufhin sind die Vertreter des DGB zu den Kreisbauernobmännern gegangen und haben gesagt: „Was ist euer Begehren, was ist eure Forderung? Wir berücksichtigen eure Forderung, wir berücksichtigen auch Vertreter der Landwirtschaft in den Gremien und sind auch bereit, die Satzung der AOK, die aus früheren Jahren stammt, so zu ändern, daß sich Landwirte freiwillig zu den entsprechenden Bedingungen versichern können." Soweit die Situation. Also der Schwarze Peter liegt nicht bei uns. Das Gesetz bestimmt weiter eindeutig in Abs. 4:
In den Organen sollen die einzelnen Wirtschafts- und Verwaltungszweige und Berufsgruppen angemessen vertreten sein.
Hiernach hat praktisch auch die Landwirtschaft genauso einen Anspruch, mitzusprechen und mitzuberaten.
Eine weitere Frage wäre hier zu berücksichtigen, nämlich daß die Ortskrankenkassen und die Landkrankenkassen auf Grund der Entwicklung in der Praxis sehr hohe freiwillige Kannleistungen bei Hilfs- und Heilmitteln haben. Sie ist bei der Regelung nach dem Regierungsvorschlag völlig offen, wenn man z. B. die jetzige Praxis der Berufsgenossenschaften und der Alterskassen damit vergleicht. Wenn man knapp bei Kasse ist, kann man die freiwilligen Leistungen eben nicht so erbringen. Das heißt also, daß bei der Versicherung, die die Regierung vorschlägt, geringere Leistungen für die Landwirte die Folge sein werden.
({6})
Noch ein Argument: Die Kosten der berufsständischen Krankenversicherung nach dem Regierungsentwurf werden zwangsläufig höher sein, nicht nur wegen des Strukturwandels. Die Orts- und Landkrankenkassen haben ihre Verträge mit den Ärzten. Man kann diese Verträge als gut oder schlecht bezeichnen: diese Verträge bestehen, und sie erlauben den RVO-Versicherungen, gut zu wirtschaften. Kommt nun eine eigene Versicherung für die Landwirtschaft, dann muß diese mit den Ärzten neu verhandeln. Wenn dabei nur die Basis des bisherigen Trägers, nämlich der Berufsgenossenschaften und der Alterskassen, herauskommt, so muß berücksichtigt werden, daß diese jetzt schon um ein Drittel höhere Arzthonorare als die AOKs und die Landkrankenkassen zahlen. Aus diesem Grund werden die Beiträge zwangsläufig immer höher sein müssen als die der AOKs und der Landkrankenkassen. Das ist eine Tatsache, meine Damen und Herren von der Regierung, die Sie auf jeden Fall mitberücksichtigen müssen. Ich weiß nicht, Herr Bundesarbeitsminister, ob Sie das bei Ihrer Kalkulation überhaupt mitberücksichtigt haben. Ich bin der Meinung, Sie sind von den Kosten der AOK ausgegangen und haben das übersehen.
Nun darf ich vielleicht noch eines sagen. Wenn der Deutsche Bauernverband - -({7})
- Ich bin kein Viehhändler, Herr Kollege Wehner.
({8})
Der Deutsche Bauernverband hat in seiner Entschließung ein deutliches Limit gesetzt. Er hat die Einbeziehung aller in der Landwirtschaft tätigen Mitarbeiter verlangt. Das ist immerhin eine beachtliche Forderung, die in dem Entwurf nicht enthalten ist. Er hat ferner verlangt: Wegfall der Befreiungsmöglichkeiten nach der Übergangszeit sowie Begrenzung und Gestaltung des Höchstbeitrags für Unternehmer entsprechend dem Beitrag für freiwillig Versicherte in den gesetzlichen Krankenkassen. Lesen Sie einmal genau, was das heißt! Das ist ein eindeutiges Ja zu der Praxis; wie wir sie bisher durchführen und gesetzlich anstreben. Er befürchtet nämlich, daß die Beiträge für die Landwirte ins Unendliche steigen werden.
({9})
Ferner ist bei einer Änderung der Beiträge die relative Entwicklung der Einkommenslage der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Was heißt das? Das ist in unserem Vorschlag bereits enthalten. Die Entwicklung der Einkommenslage der Landwirtschaft ist von uns berücksichtigt worden, weil hier von den Orts- und Landkrankenkassen die Beiträge genau nach Einkommen und nach nichts anderem berechnet werden. Auch die satzungsmäßige Fixierung eines festen Beitrags für versicherungspflichtige Familienangehörige ist in unserer Regelung vorgesehen. Danach zahlt man z. B. an eine AOK 28, 80 bis 40 DM für Familienangehörige. Nach dem Regierungsentwurf zahlt man für Familienangehörige zwei Drittel des nach dem Einheitswert berechneten Beitrags, also einen ziemlich hohen Betrag.
({10})
Vor allem geht es auch um die Sicherstellung der ärtzlichen Versorgung nach den Grundsätzen der Reichsversicherungsordnung. Das heißt, praktisch befürchtet auch der Deutsche Bauernverband, daß Sie mit Ihrem Gesetzesvorschslag nicht die volle Versorgung nach der Reichsversicherungsordnung gewährleisten. Darum geht es auch draußen. Wenn man nämlich Bauernversammlungen abhält und mit den Bauern diskutiert, kann man sich davon überzeugen, daß sie die Forderung stellen: Wir wollen dort versichert bleiben, wo wir bisher versichert sind; wir sind freiwillig in der AOK oder in der Landkrankenkasse, wir sind damit zufrieden, und wir haben uns Rechte erworben. Wie wird es denn, so fragen sie, wenn wir im Winter zur Arbeit gehen? Dann sind wir zwangsläufig in der AOK, und im Sommer müssen wir wieder heraus und in die andere Kasse gehen. Wo ist dann die Anwartschaft auf freiwillige Leistungen usw.? Dann werden Sachen konstruiert, um auch im Sommer pflichtversichert in der AOK bleiben zu können. Das geht wiederum von den Beiträgen ab, die in der landwirtschaftlichen Versicherung gezahlt werden. Das sind meines Erachtens Argumente, von denen wir uns überzeugen lassen sollten.
Ich bin der Meinung, Ihre Regelung wäre dann die beste, wenn der Bund bereit wäre, die Defizithaftung zu übernehmen, wie es einmal bei der Alterskasse der Fall war.
({11})
Aber das haben Sie nicht vorgesehen. Die Defizithaftung bei der Alterskasse besteht nicht mehr; diese hat man seinerzeit auch gestrichen. Für die Landwirtschaft bleibt also praktisch als beste Lösung diejenige, die wir vorgeschlagen haben. Ich bitte Sie, sich die Sache im Ausschuß genau zu überlegen, auch Versicherte sowie Vertreter von AOKs zu fragen, damit wir ohne Emotionen nach Prüfung aller Fragen zur besten Lösung kommen, wie es auch der Bundesrat vorgeschlagen hat, den Träger nochmals zu prüfen. Ich bitte Sie, auch diesen Gedanken mitzuberücksichtigen.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Frehsee.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will angesichts der vorgeschrittenen Zeit versuchen, mich sehr kurz zu fassen. Auf alle Argumente einzugehen, die hier vorgetragen worden sind, ist natürlich jetzt nicht möglich. Wir werden das im Ausschuß tun.
Herr Kollege Horstmeier, Sie irren sich, wenn Sie hier sagen, daß von einer landwirtschaftlichen Krankenversicherung zum erstenmal im HöcherlPlan die Rede gewesen sei. Lassen Sie sich bitte von den Kollegen Ihrer Fraktion sagen, die länger diesem Hohen Hause angehören als Sie, beispielsweise von dem Kollegen Struve oder auch von der Frau Kollegin Kalinke, daß wir die Forderung nach der Einführung eines Krankheitsschutzes auch für die Selbständigen in der Landwirtschaft Anfang der 60er Jahre in den Grünen Debatten Jahr um Jahr regelmäßig wiederholt haben, ohne damit bei den damaligen Regierungsparteien Erfolg gehabt zu haben und ohne irgendeinen Vorschlag der Regierung bekommen zu haben, wie er jetzt auf dem Tisch liegt.
Übrigens haben Sie Fortschritte gemacht, Herr Kollege Horstmeier. Die CDU/CSU hat es im Jahre 1955, als wir das Landwirtschaftsgesetz machten, abgelehnt, den Begriff Sozialpolitik in den Katalog der Mittel des § 1 dieses Gesetzes aufzunehmen. Sie hat es mit ihrer damaligen Mehrheit abgelehnt. 1970 haben Sie nun die Öffnung des § 176 der RVO gefordert. Das war ein Fortschritt, das gebe ich gerne zu. Ich habe mich darüber gefreut. Jetzt im Jahre 1971 fordern Sie in Ihrem neuesten Gesetzentwurf wenigstens die Krankenversicherungspflicht. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie werden sich genauso davon überzeugen lassen, daß die jetzt von der Regierung vorgeschlagene Regelung richtig ist, wie Sie sich von dem § 176 bis zur Krankenversicherungspflicht entwickelt haben. Das zum Kollegen Horstmeier. Ich will es ganz kurz machen.
Herr Kollege Niegel, es nimmt Ihnen auch von Ihrer Seite wirklich niemand ab, daß die Regierung und die Koalition sich von weltanschaulichen Überlegungen leiten ließen, wenn sie dieses Konzept mit der eigenständigen Lösung unterbreiten. Das ist weit hergeholt und spricht für sich. Ich will mich damit nicht befassen.
Aber wenn Sie sagen, daß 90 % der Bauern diese Regelung nicht wollten, dann schlagen Sie den Deutschen Bauernverband ins Gesicht. Er hat meines Wissens mehr als eine Million Mitglieder in der Landwirtschaft und spricht also für einen sehr großen, den überwiegenden Teil der deutschen Landwirtschaft. Der Deutsche Bauernverband hat, wie Sie in anderem Zusammenhang bestätigen mußten, dieses Konzept bejaht. Er unterstützt es, er steht ganz dahinter. Man kann nicht sagen, 90 % der Bauern seien dagegen.
Nun zu den Bemerkungen, die ich mir vorgenommen habe. Meine Damen und Herren, es ist notwendig, den einkommenspolitischen Aspekt zu unterstreichen, auf den der Herr Bundesminister Arendt schon hingewiesen hat; den einkommenspolitischen Aspekt, der doch angesichts der EinkomFrehsee
mensentwicklung in der Landwirtschaft, die ja mindestens bis zum vergangenen Spätsommer uns allen miteinander große Sorgen bereitet hat, besonders wichtig ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Ich wollte mich so kurz fassen wie irgend möglich. Dazu gehört auch, daß ich keine Zwischenfragen zulasse. Herr Niegel, ich stehe Ihnen im Ausschuß gern zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, die aktiven Landwirte werden von den Krankheitskosten der Altenteiler voll entlastet, und sie selber werden von den möglicherweise doch sehr hohen und ruinösen Kosten einer eigenen Erkrankung befreit. Das ist der einkommenspolitische Aspekt.
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Im übrigen wird immer sehr viel über die Wettbewerbsverzerrungen auch auf sozialem Gebiet gesprochen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Nettosozialleistungen bei den französischen Landwirten etwa 15 % der Einkommen ausmachen, bei uns nur etwa 6,4 %. Dieser Prozentsatz wird durch diese Maßnahme ganz erheblich erhöht. Ich rechne damit, daß wir mit der Einführung der landwirtschaftlichen Krankenversicherung und mit der Erhöhung des landwirtschaftlichen Altersgeldes auf das Vierfache ab 1. September dieses Jahres, wie es von der Bundesregierung vorgesehen ist und wie es in der mittelfristigen Finanzplanung und im Haushaltsplanentwurf für 1972 bereits enthalten ist, auf 9 bis 10 % der Einkommen kommen.
Nun ein Wort zu den Kosten, die hier in der Debatte eine ganz erhebliche Rolle gespielt haben. Meine Damen und Herren, wir übernehmen mit diesem Konzept doch nicht die 102 Landkrankenkassen, weil wir nicht 102 so kleine Kassen haben wollen, sondern wir schaffen 19 große landwirtschaftliche und gärtnerische Krankenkassen, die im Durchschnitt 34 000 Mitglieder haben. Wenn es, Herr Kollege Dr. Früh, demnächst doch einmal zu der Verringerung der Zahl der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften kommen sollte, wird die Zahl der landwirtschaftlichen Krankenkassen entsprechend verringert werden; denn diese landwirtschaftlichen Krankenkassen sollen bei den Berufsgenossenschaften und Alterskassen gebildet werden, um Personal- und sonstige Verwaltungskosten zu sparen. Von daher, meine Damen und Herren, können Sie nicht mit diesem Argument kommen und sagen, solche eigenständigen Träger der landwirtschaftlichen Krankenversicherung könnten kostensteigernd wirken. Wir haben diese Lösung auch vorgeschlagen, weil wir meinen, daß sie der Rationalisierung des gesamten Systems der sozialen Sicherheit dient und verwaltungskostensenkend wirkt. Von den 19 Krankenkassen werden nur vier weniger als 20 000 Mitglieder haben. Von den allgemeinen Ortskrankenkassen - um das nur am Rande zu sagen - haben 61,4 % weniger Mitglieder als 20 000. Das ist ein Grund
mehr, davon auszugehen, daß die Kosten wegen dieser Zusammenlegung gering sein werden. Im übrigen haben wir die geringe Höhe der Verwaltungskosten der Berufsgenossenschaften und der Alterskassen hier an diesem Platz wiederholt aus gegebenem Anlaß rühmend erwähnt. Die Alterskassen und die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften werden doch wohl sehr straff und sehr gut und mit relativ niedrigen Verwaltungskosten geführt.
Meine Damen und Herren, es gibt noch ein anderes Argument - ich will es nicht verschweigen -, das uns nicht die Entscheidung für die RVO-Kassen ermöglicht. Das ist der Widerstand der Gewerkschaften, der zu erwarten wäre, den sie bereits angekündigt haben und den man auch verstehen muß. Die Gewerkschaften haben - ich will das nicht zitieren, aber ich gebe es jedem von Ihnen gern -, als das Konzept bekanntgemacht wurde, was nun schon ein Jahr her ist, ausdrücklich erklärt, daß sie einer solchen Lösung entschiedenen Widerstand entgegensetzen würden. Dafür muß man Verständnis haben. Da wird jetzt vom Gemeinlastverfahren in der Unfallversicherung, von einer Subventionierung der landwirtschaftlichen durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften gesprochen. Was liegt denn näher als die Vermutung, die bei den Gewerkschaften besteht, daß hier auf diese kalte Tour - darf ich das einmal sagen - die Gefahr einer Subventionierung der Landwirte durch die versicherten Arbeitnehmer befürchtet wird. Das wollte ich in aller Kürze dazu sagen, ohne das genau erläutern zu können.
Eine Bemerkung zum Schluß. Wir freuen uns sehr über diese neue soziale Maßnahme, die das landwirtschaftliche Sozialwerk, das meine Fraktion seit zwölf Jahren fordert, der Verwirklichung sehr nahe-bringt. Obwohl wir auch die einkommenspolitischen Aspekte unterstreichen, möchte ich in aller Form sagen, daß die Sozialpolitik bei uns die Agrarpolitik nicht ersetzt und daß es neben dieser sozialpolitischen Maßnahme, die das ganze System abrundet, auch in Zukunft Agrarpolitik und Einkommenspolitik bei meiner Fraktion geben wird.
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Das Wort hat Frau Kollegin Kalinke.
Frau Präsident! Meine Herren und Damen! Der Kollege Frehsee hat mit Recht gesagt, man kann hier in dieser Debatte und schon gar nicht in dieser Stunde auf all die Fälle, Punkte und Fragen eingehen, die hier angesprochen sind. Das will ich auch nicht tun; das wollen wir der Ausschußberatung überlassen. Ich hoffe nur, daß wir vor der Ausschußberatung eine Sachverständigenanhörung haben werden, die Gelegenheit gibt, auch die Meinungen all derjenigen zu hören, die hier selbst nicht zu Wort kommen können.
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- Das gibt es, Herr Wehner! - Die Debatte hat doch gezeigt, daß einige Dinge klargestellt werden sollten und nicht unwidersprochen hingenommen werden können.
Es ist nicht wahr, daß die gesamte bäuerliche Bevölkerung, wie es immer wieder gesagt wird, unzulänglich gegen Krankheit versichert oder versorgt ist. Es ist wahr, daß es sozialpolitisch nur ein wirklich großes Problem gibt, nämlich die soziale Sicherheit der Altenteiler, und da muß ich wiederholen, was meine Kollegen der SPD vorgeworfen haben: Wir hätten dieses Problem längst lösen können, wenn Sie schon beim ersten Antrag der CDU/ CSU-Fraktion dieses Problem herausgenommen und, wie es nach alter Praxis dieses Hauses möglich war, als Vorschalt-Gesetz vorgezogen hätten, wenn Sie sich über die anderen Fragen in der Koalition noch nicht einig waren.
Ich habe die Absicht, der Regierung am Ende dieser Debatte und nur auf der Grundlage dieser Debatte einige Fragen zu stellen: Es ist hier so viel vorn Strukturwandel und von Strukturproblemen gesprochen worden. Ich stimme all dem, was meine Kollegen von der CDU/CSU zu diesem Thema gesagt haben, absolut zu. Ich frage nun die Regierung: Wie will sie eine mögliche Illiquidität dieser neuen Einrichtung, die ja in Liquiditätsschwierigkeiten kommen muß, weil die Entwicklung des Strukturwandels, der Altersschichtung und all dessen, worauf auch mein Kollege Struve hingewiesen hat, das doch zur Folge haben wird, abfangen, durch Beitragserhöhungen oder durch entsprechende Sicherstellung von Zuschüssen, die dann die Leistungen für die Zukunft garantieren? Diese Frage muß die Regierung beantworten.
Ich frage angesichts der Erfahrungen mit der österreichischen Bauernkasse die Regierung: Ist Ihnen bekannt, daß, vergleichbar mit der strukturpolitischen Entwicklung bei uns, der Gesamtversichertenbestand in den knapp fünf Jahren seit Gründung der österreichischen Bauernkrankenkasse im Jahre 1966 - das geht aus dem Jahresbericht von 1970, der jetzt vorliegt und den Sie sicher zur Verfügung haben, eindeutig hervor, auf Grund des Strukturwandels in Österreich insgesamt 10 %, also 40 000 Versicherte ausgeschieden sind und daß die Beitragseinnahmen trotz Beitragserhöhungen und trotz Beitragszuschüssen entsprechend abgesunken sind? Sie werden das als Sachverständige in der Regierung natürlich wissen und hoffentlich auch zur Kenntnis genommen haben. In der gleichen Zeit haben sich in Österreich die Versicherungsleistungen von 253 Millionen Schilling vom 1. 4. bis 31. 12. 1966 auf 568 Millionen Schilling im Jahre 1970 mehr als verdoppelt. Sie werden mir das ebenfalls abnehmen, wenn ich Ihnen sage, daß auch diese Entwicklung genau dem inflationären Trend der Kostenentwicklung bei allen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung in. der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Sie müssen natürlich antworten, wie Sie diesen Kostentrend abfangen wollen, und den Bauern ehrlich sagen, was sie für dieses Sozialwerk, das Sie planen, bezahlen müssen.
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Ich frage die Regierung: Befürchten Sie nicht, daß diese bäuerliche Pflichtversicherung nach Ihrem Konzept auch die Lage der Ärzte auf dem Lande, besonders das Problem des Arztmangels entscheidend weiter verschlechtern wird? Ich frage die Regierung: Befürchten Sie nicht, daß die Bereitschaft junger Menschen, Arzt zu werden und auf das Land zu gehen - ein Problem, das uns alle sehr besorgt macht -, weiter absinkt? Sie können doch nach all den Bemühungen, die auch gerade CDU-Landwirtschaftsminister zusammen mit unseren Arbeitsministern angestellt haben, um sich ein wirkliches, ein ungeschminktes Bild von der sozialen Sicherheit der Landwirtschaft und ihren Familienangehörigen zu verschaffen, nicht bestreiten, daß 96 %, ja, ich meine, heute 97 % versichert sind und daß doch, wenn Sie von den Altenteilen unter den Landwirten absehen, richtig ist, was meine Kollegen gesagt haben: daß sich der größte Teil in den gesetzlichen Krankenversicherungen, in den RVO-Kassen freiwillig und selbstverantwortlich versichert hat und damit zufrieden ist. Sonst wären sie doch ausgetreten und in die privaten Krankenversicherungen gegangen, was ihnen ja auch freistand. Ein Großteil von denen, die sich privat krankenversichert haben, haben sich befreien lassen. Daß Sie immer davon reden, daß nicht alle ausreichend versichert seien, ist eine Sache, die alle Selbständigen und Beamte gleichermaßen betrifft. Sie tragen Selbstverantwortung, auch für den Umfang des Versicherungsschutzes. Ich meine, ,daß es auch bei Sozialdemokraten allmählich dämmern muß, daß ohne Selbstverantwortung und ohne Willen zur Selbsthilfe die Demokratie und das großartige System der sozialen Sicherheit in unserem Lande nicht zu erhalten sein werden.
Der Herr Arbeitsminister sprach von Solidarität. Er stellte hier die provozierende Frage in den Raum: Können es die Arbeitnehmer auf die Dauer hinnehmen, daß sie für andere eintreten und bezahlen müssen? Ich habe Verständnis für eine solche Frage und spreche sie nur weniger provozierend an. Meine Herren von der Regierung und von der Koalition links und drüben, Sie hätten diese Frage, wie ich meine, dann aber bei einer ganzen Reihe von anderen Entscheidungen längst stellen müssen. Wie wollen Sie es denn den versicherten Frauen, den Witwen, den Geschiedenen, den Versicherten mit kleinem Einkommen, den Teilzeitbeschäftigten weiter zumuten, in den RVO-Kassen und in den Ersatzkassen einkommensgerechte Beiträge, also einen bestimmten Prozentsatz ihres Bruttoeinkommens zu zahlen, während Sie den Versuch machen, andere Gruppen, die Sie - jetzt spreche ich in der Sprache derjenigen, die das in ihre Flugblätter schreiben - einfangen wollen, also Studenten, leitende Angestellte, Selbständige und solche, die es werden, mit wirklichen - ich wage es kaum auszusprechen, weil ich das Wort so schrecklich finde, aber ich finde kein besseres - Dumpingpreisen in die Volksversicherung hineinzuzwingen versuchen?
Herr Kollege Frehsee, ich wundere mich - bei aller Wertschätzung - auch, daß Sie und die vom DGB weitgehend mit geführte Regierung den DGB hier fürchten. Ich glaube, daß die Vertreter des sozialdemokratisch geführten Deutschen Gewerkschaftsbundes und der unter gleicher Führung stehenden DAG in den Selbstverwaltungsorganen aller Träger der Krankenversicherung - nicht nur der
RVO-Kassen, sondern auch der Ersatzkassen - wegen der Überstrapazierung der Solidarität schon längst Anlaß gehabt hätten zu protestieren! Was haben sie aber getan? Sie beschließen doch dauernd Beiträge: 11 DM für Studenten, 13 DM, 16 DM Beitragssatz! Sie können ja nicht sagen, daß das alles arme Menschen sind. Sie müßten zumindest auch von einigen anderen Gesichtspunkten ausgehen. Darüber will ich heute nicht im einzelnen sprechen. Ich will nur sagen: Wenn Sie in Fragen der Solidarität so allergisch sind, warum heben Sie diesen Gesichtspunkt dann gerade nur bei der Landwirtschaft so hervor?
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Ich frage die Regierung weiter: Sollen feste Beiträge, die dann ja in den Selbstverwaltungsorganen, um die Sie heute auch so erstaunlich besorgt sind, irgendwann und irgendwo von den Bauern selbst festgesetzt werden müssen, dann, wenn sie nicht ausreichen, von Ihnen - wenn ja, in welcher Höhe, zu welchem Prozentsatz - bezuschußt, d. h. subventioniert werden? Das müßten die Landwirte wissen, wenn Sie sie befragen, ob sie diesen Sozialplan wollen oder nicht. Wir Christlichen Demokraten sind sehr allergisch, wenn einer sagt: Wollt ihr das, oder wollt ihr das nicht? Wir haben diese Frage in der Geschichte der Sozialpolitik schon oft gehört. Darum, so meine ich, ist die Frage - auch an diejenigen, die sie nicht gerne hören - berechtigt zu stellen: Ist die Bundesregierung bereit, klar, möglichst deutlich und verständlich auszusagen, wie hoch der Preis dieses ihres Systems sein wird?
Was die Solidarität angeht, noch eine weitere Frage an die Herren vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Leider ist der Herr Minister nicht mehr da, aber diese Frage wird ihn sicherlich interessieren. Ist denn die Öffnung der Rentenversicherung, also eines Trägers unseres sozialen Versicherungssystem, für Selbständige gut und empfehlenswert und ein sozialer Fortschritt, wenn die Öffnung der Krankenversicherung, wie sie in den CDU/CSU-Anträgen vorgesehen ist, ein Nachteil, ein Fehler und ein Verstoß gegen die Solidarität sein soll?
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Gibt es denn nicht Gruppen-Probleme genug in den Solidargemeinschaften anderer Art in der Sozialversicherung? Ich brauche hier nicht zu wiederholen, wie lange wir über das Thema Knappschaft und die hohen Staatszuschüsse dort gesprochen haben. Was dort als sozial gerecht angesehen oder strukturell begründet wird, muß auch anderswo vertretbar sein. Wir sollten hier weder mit gespaltenen Zungen sprechen noch mit zwei Augen immer nur nach der einen Seite blicken. Sie sollten hier vielmehr ehrlich meine Fragen beantworten.
Der Herr Landwirtschaftsminister hat hier sehr schnell gesprochen. Ich habe ihn nicht immer ganz verstanden. Das lag wohl an seinem bayerischen Temperament. Was ich aber verstanden habe, ist dies: Er hat behauptet, 2 Millionen Menschen würden in der Krankenversicherung mehr bekommen. - Ich kann nur das unterstreichen, was mein Kollege von der CSU gesagt hat: Nach der Vorlage der Regierung bekommt keiner mehr als das, was er nach unserer Vorlage etwa in den RVO-Kassen bekäme. Und Vertreter von Ortskrankenkassen haben mir in einem Gespräch versichert - und ich glaube das, weil ich mich informiert habe -, daß sogar die wirtschaftliche Leistung da, wo sie verlangt wird und wo Hilfskräfte vorhanden sind - was ja eine sehr wichtige Frage ist -, heute schon gegeben wird, daß es dafür Wege und Möglichkeiten gibt.
Sie haben einerseits gesagt, „nur durch die soziale Krankenversicherung" - so habe ich es wörtlich aufgeschrieben - sei die Verbesserung der Leistungen möglich. Andererseits sagen Sie genau das Gegenteil: „In der sozialen Krankenversicherung geht das nicht, sondern nur in einer besonderen Institution", die Sie schaffen wollen als einen besonderen Teil - vermutlich Ihres sozialistischen Sozialplans. Wir werden darüber ja noch einiges hören. Kollege Horstmeier hat hier zu Recht gesagt, dieser Plan paßt nicht in Ihr sonstiges System und nicht zu dem, was Sie sonst als Erfolg Ihrer Regierungspolitik herausgestellt haben, angefangen bei der Öffnung der Krankenversicherung für Höherverdienende, wobei Sie übrigens gar nicht nach der Solidarität und nach den Preisen fragten, bis hin zu dem, was Sie noch in den Schubladen haben. - Herr Wehner findet das alles natürlich furchtbar lächerlich,
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aber er sollte wissen, daß auch seine Fraktion nicht an dem gemessen wird, was sie verspricht, sondern an dem, was sie wirklich hält. Sie müssen sagen, was die Bevölkerung dafür zu bezahlen hat - nicht nur der Beitragszahler, sondern auch die Steuerzahler, die Sie hier ja wieder ganz kräftig zur Kasse bitten werden.
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Herr Frehsee, ich möchte Sie beruhigen: Ich glaube, daß gerade eine Regierung, deren Minister fast alle -- ich glaube, mit einer Ausnahme - dem Deutschen Gewerkschaftsbund angehören, in der Lage sein sollte, den Vertretern der Gewerkschaften klarzumachen, wie wichtig Solidarität ist. Ich werde Sie dabei unterstützen.
Der Kollege Killat - er scheint nicht mehr hier zu sein - meinte, meine Kollegen belehren zu müssen über Strukturprobleme bei Krankenversicherungsträgern und über einen Risikoausgleich. Dazu kann ich nur sagen: In den Kassen, in denen Herr Killat beheimatet ist, für die er spricht, kann man es anders hören und lesen. Dort verändert sich der Risikoausgleich nämlich dauernd, und dort macht man große Aufwendungen, um junge Menschen zu werben, da bemüht man sich, Besonderes zu tun, um diese jungen Menschen zu bekommen. Es ist auch gar kein Zweifel, daß bei allen Trägern der Sozialversicherung die Alterszusammensetzung das Risiko entscheidend bestimmt, und es ist doch auch gar kein Zweifel, daß das Strukturproblem der Landwirtschaft hiermit zusammenhängt und Einflüsse auf die Risiken hat. Ich will nicht wiederholen, was meine Kollegen hierzu gesagt haben. Man sollte aber die Probleme des Risikoausgleichs oder des
Solidarausgleichs nicht einmal so und einmal so ansprechen, je nachdem, wie es gerade in die Landschaft paßt.
Ich frage die Regierung, ob sie nicht meint, daß die traditionsreichen und bewährten Träger der gesetzlichen Krankenversicherung - ich meine die Landkrankenkassen, die Ortskrankenkassen und die Gemeinschaftsträger dort, wo sie zusammenarbeiten - und die traditionsreichen und bewährten Einrichtungen der bäuerlichen, der berufsständischen privaten Krankenkassen wert sind, erhalten zu werden. Sie sind alle Selbstverwaltungsorgane, und sie sind alle entstanden aus der Verantwortung des Berufsstandes, aus dem Bestreben, allen ein optimales Maß sozialer Sicherung zu geben. Darum sollten die Kriterien, die hier angesprochen sind, für alle gleichermaßen gelten.
Zur Notwendigkeit der Zusammenlegung von Kassen und zur Frage der optimalen Größe möchte ich dem Kollegen Frehsee nur einen Satz sagen. Wir werden das sicher im Ausschuß vertiefen, wenn er uns dort die Ehre seiner Anwesenheit geben wird. Dieser eine Satz lautet: Je größer der Sozialversicherungsträger ist, desto höher sind die Verwaltungskosten. Dafür gibt es sehr viele Beweise. Das ist von der Versicherungsanstalt Berlin bis hin zu großen Trägern der Krankenversicherung leicht nachzuweisen, weil Wirtschaften aus dem großen Topf nie billig ist!
Würden Sie es, meine Herren von der Regierung und von der Koalition, nicht für gerechter halten, den Landwirten und ihren Familienangehörigen - weil Sie doch mehr Freiheit und mehr Demokratie versprochen haben - auch mehr Wahlfreiheit zu geben? Es ist hier schon gesagt worden: Alle diejenigen, die sich für eine selbstverantwortliche Lösung entschieden haben - und das sind bis zu 97 % der Landwirte und ihrer Familien -, sollen sich nun den 3 Prozent beugen, die das nicht getan haben. Ich halte das für eine komische Auffassung von Selbstverantwortung in der Demokratie. Diese Regierung, die so viel mehr Freiheit versprochen hat, muß auf die Fragen antworten, die ich ihr gestellt habe.
Ich will nicht wiederholen, was mein Kollege schon gesagt hat. Aber es ist einfach nicht wahr, daß der Bauernverband bedingungslos „ja" gesagt hat. Sie alle haben die Stellungnahme des Bauernverbandes vom 22. Dezember bekommen. Darin steht genau: er gibt dieser Lösung den Vorzug, wenn ... Und wenn Sie uns bestätigen können, daß alle diese Wünsche - nämlich alles das, was der Bauernverband aufführt, was hier schon zitiert worden ist - von der Regierung erfüllt werden wird, dann bin ich die letzte, die nicht mit Ihnen über die Konsequenzen genauso sachlich wie eben weiter diskutieren will.
Zum Schluß lassen Sie mich noch folgendes sagen. Ein Wort eines Staatssekretärs und eines hohen Beamten gilt. Ich habe dem Minister gerade hier im Hause gesagt: ich glaube so lange an das Wort eines Ministers und eines hohen Beamten, bis ich eines anderen belehrt werde. In der Debatte hier
am 11. November 1970 hat der Staatssekretär gesagt, „daß Altenteiler und Landwirte, die sich selbst versichert haben, die privatversichert sind, die eine freiheitliche Entscheidung getroffen haben, die Befreiungsmöglichkeit selbstverständlich erhalten werden". Ich hoffe, daß es bei diesem Wort der Regierung bleibt und nicht bei dem, was wir heute hier von der anderen Seite gehört haben.
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Lassen Sie mich mit einer Frage an Sie und zugleich mit einer Feststellung schließen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Reformen immer nur wirkliche Reformen sind, wenn sie das Gute bewahren und das Bessere anstreben? Ich kann nicht viel Verbessertes in Ihrem Entwurf erkennen. Aber ich sehe etwas, meine Herren von der Regierung und von den Regierungsparteien: ich sehe, daß Sie eine gemeinsame Außenstelle „im Haus der Landwirtschaft" schaffen wollen. Ich sehe diesen Ihren Traum, auch wenn Herr Frehsee ihn nicht als „politisch" bezeichnet haben möchte, ich sehe ihn als ein sozialdemokratisches Ideal: den Traum eines großen Hauses, in dem - aus einem Topf - die soziale Sicherung der Landwirtschaft verwirklicht wird, eines Hauses, in dem die Bauern aus- und eingehen und in dem die Türen weit offen sind für alle Funktionäre, natürlich nur für solche, die sich zum gleichen Prinzip und zum gleichen Parteibuch bekennen. Und ich sehe dieses Haus mit Fenstern, von denen ich hoffe, daß sie nicht nur nach links zu öffnen sind.
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Ich hoffe, daß, wenn Sie diesen Entwurf mit uns beraten werden, wir auch dann offen, ganz offen, Herr Wehner, wegen Ihres sozialistischen Herzens und der Verantwortung, die wir tragen, ganz offen über das Schicksal der Familien der Mitarbeiter sprechen werden.
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- Haben Sie keins mehr? Ist es noch weiter nach links gerutscht?
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- Wie schön! - Dann werden Sie auch dafür sorgen, daß die Mitarbeiter der Unternehmen - der Landkrankenkassen, der privaten Krankenversicherungen, all der Einrichtungen, die heute für die Landwirtschaft und ihre soziale Sicherung arbeiten - und ihre Familien nicht irgendwohin versetzt werden, sondern, dem Strukturwandel und dem so harten sozialen Schicksal, das sie bedroht, entsprechend, einen gut dotierten Platz auch dann bekommen, wenn sie das richtige Parteibuch nicht in der Tasche haben.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinen Kollegen Arendt entschuldigen. Er mußte wegen eines dringenden sozialpolitischen Anliegens, das er dort zu vertreten hat, ins Kabinett. Ich meine, daß Sie das billigen.
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- Sehr verehrte gnädige Frau, Sie habe ich heute schon im Geiste reden hören. Ich hatte doch noch gar nicht gesprochen. Da marschiert offensichtlich bei Ihnen in den Schlußausführungen auch der Geist mit. Das muß ich wirklich sagen. Das war alles geisterhaft, was Sie am Schluß gesagt haben. Das war geister- und gespensterhaft, mit Unterstellungen, verehrte gnädige Frau, die ihresgleichen suchen. Aber daran kann man sich gewöhnen, insbesondere dann, wenn sie von einer charmanten Dame kommen,
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dann ganz besonders; dann sind sie auch sehr glaubhaft. Denn, sehr verehrte gnädige Frau, ich will bei Ihrem Beispiel, bei Ihrem Durchzugshaus bleiben. Sie können versichert sein, soweit ich an der Regierung mitwirke, werde ich auch die rechten Fenster öffnen, damit anständiger Durchzug drin ist, damit es auch, wenn Sie einmal drin sind, richtig durchzieht. Dafür werde ich sorgen. Aber nun will ich Ihnen etwas sagen. Zu diesem Haus haben Sie und Ihre Fraktion einen wesentlichen Baustein geliefert in Form der berufsständischen Alterskasse,
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denn das war der erklärte Wille - auch von uns
damals mitgetragen -Ihrer Gruppe, daß Sie - ({3})
- O nein, Herr Kollege Müller! Sehen Sie, das ist eben Ihr Problem, daß Sie so gerne das, was Sie zu verantworten haben, nicht verantworten.
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Das ist Ihr Problem. Sie haben sie schon geschaffen. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft gibt es auch schon. Es liegt an und für sich doch etliches dran zu sagen, daß man dann den Gedanken ergreift, den Sie und unser Kollege Frehsee schon in sehr früher Zeit aufgegriffen haben. Ich glaube, das ist ja letzten Endes erlaubt. Aber fast ist es ja anrüchig, wenn so etwas geschieht, daß man dann sagt: Jetzt legen wir die drei zusammen und machen daraus in der Tat ein sozialpolitisches Gebäude.
Das über das Parteibuch, verehrte gnädige Frau, will ich vergessen haben. Lassen wir uns darüber nicht erregen!
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Wissen Sie, ich bin jetzt auch zwei Jahre in der Regierungstätigkeit, und ein klein wenig hat man Einblicke. Wollen wir dieses Kapitel nicht bewegen! Wollen wir nicht darüber reden! Aber nicht immer unterstellen! Das will ich gleich dabei sagen.
Ich kann mich, glaube ich, in dieser Frage sehr ruhig vor dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit verantworten. Mögen es andere auch so können. Aber diese Versuchung liegt doch nahe, verehrte gnädige Frau! Ich kann gar nicht alle Fragen - ich müßte sonst noch einmal das ganze Hohe Haus über eine Stunde strapazieren - beantworten. Aber lassen Sie mich nur einige generelle Bemerkungen machen.
Ärztemangel auf dem Lande! Klingt wunderschön, sehr pathetisch. Da ist gleich wieder eine Unterstellung: diese Lösung fördert den Ärztemangel. Und das charmant vorgetragen, so daß es alle glauben! Wenn ich doch die Kosten der Alten übernehme und sie damit zum erstenmal überhaupt einer ärztlichen Behandlung zuführe, dann kann ich doch zumindest sagen - ({6})
- Verehrter Herr Kollege Ritz! Wenn wir darüber auch noch diskutieren müssen,
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dann muß ich fragen: Warum mache ich denn dies, warum mache ich denn die Altenlösung? Ist es denn nicht in der Tat so, daß es Höfe gibt, wo die Alten nicht ins Krankenhaus gehen können, weil kein Geld da ist? Deshalb machen wir doch diese Lösung! Wenn ich das hier sage, dann höre ich Oh-Rufe, als ob das alles nicht stimmen würde. Ich weiß manchmal nicht, ob man überhaupt noch mit Ihnen reden kann, weil einem ununterbrochen unterstellt wird, man würde Märchen erzählen. Das muß ich wirklich sagen.
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Das ist doch eine Tatsache. Wenn wir dann dafür sorgen, daß die Alten jetzt vom Staat zum erstenmal übernommen werden, daß sie rechtzeitig zum Zahnarzt gehen können, daß sie sich einer ärztlichen Behandlung unterziehen können, dann muß man doch ehrlicherweise sagen, daß der Kundenkreis der Ärzte auf dem Land eher gestärkt als geschwächt wird. Ich sehe in Ihrer Argumentation keine Logik mehr.
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- Nein, eben nicht! Das ist eben das Problem, verehrter Herr Kollege Niegel, daß es in der Tat alte Leute auf dem Lande gibt, die aus Geldmangel nicht zum Arzt gehen, und zwar insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben speziell aus der Gegend, aus der Sie kommen, nämlich unter anderem in Oberfranken und Mittelfranken. Das wollen wir hier einmal sagen. Darum machen wir auch diese Lösung, daß die Altenkosten übernommen werden.
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- Aber Ihre Frau Kalinke nicht! Da müssen Sie sich in Ihrer Fraktion endlich einmal über etwas einigen! Bei der Frau Kalinke spielt ja ein ganz anderer Gesichtspunkt mit. Ich wäre doch dankbar, wenn man das sagen würde. Man kann sagen, mir paßt die ganze Lösung nicht! Das ist ein offener und fairer Gesichtspunkt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Bundesminister, wollen Sie dem Gesetzentwurf der CDU/CSU unterstellen, daß danach die Altenteiler nicht zum Arzt gehen können?
Ich habe doch gar nicht von der CDU/CSU gesprochen! Ich hatte auf den Vorwurf der Frau Kalinke geantwortet. Ich rede doch nicht chinesisch in diesem Saal!
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Das muß ich also wirklich sagen. Oder rede ich afrikanisch? Das muß ich jetzt wirklich fragen. Ich habe auf den Vorwurf der Frau Kalinke in bezug auf den Arztmangel auf dem Lande geantwortet. In dem Falle habe ich sie sogar mit verteidigt, Herr Kollege. Sie haben selber noch gar nicht gemerkt, daß die Frau Kollegin Kalinke in weiten Teilen Ihren Gesetzentwurf noch mehr kritisiert hat als unseren;
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nur hat sie halt immer von unserem gesprochen und Ihren gemeint. Das müssen Sie doch einmal zugeben. Ich war sogar vornehm, ich wollte Sie schonen. Aber das müssen Sie doch wissen: Frau Kalinke paßt die ganze Marschrichtung nicht. Sie soll das hier offen sagen, sie sollte sagen, sie will es so haben, wie es ist. Frau Kalinke, ich gebe Ihnen sogar zu, ich habe lange Zeit auch die Meinung gehabt, wir kommen mit einer kleinen Rahmengesetzgebung mit der Pflicht zur Versicherung aus. Ich habe mich durch die Sachverständigen davon überzeugen lassen, daß es nur diese zwei Alternativen gibt, die hier vorgeschlagen worden sind. Es gibt nur die Pflichtversicherung, wenn ich die Versicherung wirksam machen will. Aber dann sollten Sie nicht so unfair sein und uns immer kritisieren, obwohl Sie eigentlich Ihren eigenen Gesetzentwurf noch mehr ablehnen. Dann sollten Sie auch diesen Mut haben. Auch das gehört zur Demokratie.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Ja, bitte!
Herr Minister, würden Sie zugeben, daß ich von dem, was Sie soeben behauptet haben, kein einziges Wort gesagt habe? Und würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich mit meinen Freunden gemeinsam den Antrag zur Schaffung einer Altersversicherung für die Altenteiler in der von uns vorgelegten Form mit konzipiert habe?
Wollen Sie das zu Ihrer Beruhigung zur Kenntnis nehmen? Ich bedanke mich.
Ich lasse mich natürlich von Ihnen außerordentlich gern beruhigen, verehrte gnädige Frau.
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Das ist mehr als beruhigend. Aber ich möchte sagen, als Kriterium für eine Betrachtung Ihrer letzten Feststellungen wollen wir diese letzten Feststellungen Ihres Beitrags einmal gemeinsam untersuchen.
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Ich habe nämlich sehr genau und sehr aufmerksam zugehört.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nur noch einige, wie ich meine, wirklich notwendige Bemerkungen machen. Uns liegt sehr daran, daß im Ausschuß dieses Problem mit aller Gründlichkeit beraten wird. Dafür wird Zeit sein, und dafür wird man sich auch die nötigen Experten holen können.
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Aber, verehrte gnädige Frau, wir haben es doch nicht aus der hohlen Hand gemacht, und sogar Ihr Kollege Katzer und mein Amtsvorgänger Höcherl waren mit beteiligt. Wir haben doch ein Sachverständigengremium eingesetzt, das über zwei Jahre lang in dieser Frage beraten hat.
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- Ja, aber ich muß doch sagen, ich habe mich von dem Sachverstand überzeugen lassen, und ich würde mich freuen, wenn Sie sich auch einmal vom Sachverstand überzeugen lassen würden. Diesen Sachverstand haben wir uns zu eigen gemacht, und er hat sich in dieser Regierungsvorlage niedergeschlagen.
Sie haben in Ihren Schlußausführungen einige Bemerkungen gemacht und haben gesagt, Sie sind dabei, wenn - - Alles: „wenn"! Einen Ihrer Punkte, die Sie genannt haben, kann ich bei dem Wenn schon gar nicht mehr erfüllen, wenn ich das mache. Sicherlich, ich gebe zu, die Befreiungsmöglichkeit ist eine Sache, die man von zwei Seiten sehen kann. Ich habe am Anfang sehr für die Befreiungsmöglichkeit plädiert. Ich habe deshalb für 45 000 DM plädiert, weil ich gesagt habe, man sollte einen gewissen Spielraum nach oben lassen. Ich habe mich auch in dieser Frage inzwischen schon überzeugen lassen, daß es dann wiederum für die Funktionsfähigkeit der Kasse schwieriger wird. Und wenn ich eben in diesem Punkt das Gesamtwohl aller, insbesondere auch der Schwächeren in der Landwirtschaft berücksichtige, komme ich möglicherweise zu einer Schlußfolgerung, die fast auf der Ebene des Bauernverbandes liegt, der entweder überhaupt keine Befreiungsmöglichkeit oder zumindest eine Befreiungsmöglichkeit erst bei einem höheren Einheitswert vorsieht. Das sind alles zwangsläufige Folgen und Überlegungen, zu denen
man eben kommt, wenn man sich mit der Frage an Hand von Gesprächen mit Experten sachkundig befaßt.
Noch ein Wort zu der Gestaltung und zum zeitlichen Ablauf als solchem. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will hier gar nicht sehr viel Eigenlob und Lorbeeren auf diese Regierung streuen. Aber eines muß doch einmal gesagt werden. Wir haben nun einmal in dieser Frage gehandelt, und zwar nicht so, wie es uns unterstellt worden ist, kurz vor den Wahlen, sondern mitten in der Legislaturperiode. Daß es nicht ganz leicht war - und da bin ich Ihnen sehr dankbar; in dem Punkt sind wir einig, Frau Kalinke -, im mittelfristigen Finanzplan ein Problem zu lösen, das im Jahre 1975 500 Millionen DM an Steuergeldern kostet, brauche ich nicht zu betonen. Daß das eines hohen Maßes an Verständnis in der Gesamtregierung bedurfte, brauche ich Ihnen auch nicht zu sagen. Wenn es so einfach gewesen wäre, meine sehr verehrten Damen und Herren - ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn dieses Problem schon früher gelöst worden wäre. Ich hätte auch dieses Problem als nicht mehr zu lösendes gerne mit übernommen. Fest steht: es mögen viele auf diesem Gebiet etwas versprochen haben, aber eingelöst wird die Zusage durch diese Regierung.
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Das muß hier einmal ganz klar und deutlich gesagt werden. Und das geschieht nicht vor der Wahl, sondern ein Jahr vor der Wahl. Ich kann mich sehr wohl erinnern, verehrte Frau Kollegin Kalinke - ich hätte es nicht gesagt, wenn Sie nicht den Zusammenhang mit Wahlen angeschnitten hätten -, daß es immer so war - ich bin ja auch eine Weile nun in diesem Hohen Hause -, daß man immer so kurz vor den Wahlen beispielsweise das Altersgeld der Landwirte erhöht hat. Immer ganz kurz vorher!
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Das war immer ein bewußter Trick, geschickt gemacht, für die Wahlreden bestens präpariert. Diese Regierung regelt die Frage der Krankenkasse und der Erhöhung des Altersgeldes ein Jahr vor der Wahl, um nicht in den Geruch zu kommen, sie handele aus wahltaktischen Gründen.
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Ich gebe zu, daß es die Möglichkeit gegeben hätte, beispielsweise anstelle der Liquiditätshilfe die Frage der Krankenkasse zu lösen.
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- Frau Kalinke, machen Sie es nicht so billig.
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Ich muß wirklich sagen: das ist zu einfach. Aber ich gebe zu, daß ich der Liquiditätshilfe in Gesprächen mit Freunden angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage, in der sich die Landwirtschaft im letzten Jahr befand, den Vorrang gegeben habe. Insoweit muß man eben - auch diese Regierung Prioritäten einhalten. Die erste finanzielle Priorität hat der Einkommensausgleich für die Landwirtschaft gehabt. Die zweite Priorität betraf die Liquiditätshilfe, und nun kommt der große Katalog der sozialen Maßnahmen für die Landwirtschaft.
Lassen Sie mich jetzt etwas zu dem Problem des Strukturwandels sagen. Hierbei handelt es sich um eine Frage, die man sehr kritisch und sehr aufmerksam betrachten und gar nicht oft genug überdenken kann, um keine negativen Schlußfolgerungen zu ziehen. Wir haben die neuesten Zahlen durchgesehen. Einer Abnahme von 8,5 v. H. bei Betrieben von 0,5 bis 10 ha und von 5,6 v. H. bei Betrieben von 10 bis 20 ha steht eine Zunahme von 5,8 v. H. bei Betrieben von 20 bis 50 ha und von 9,4 v. H. bei Betrieben von über 50 ha gegenüber. Das bedeutet doch, daß der Stock, der in die Krankenkasse eingeführt wird, infolge des Strukturwandels größer wird. Das ist ja ein Problem. Ich meine, daß man das als Faktum mitwerten muß.
In diesem Zusammenhang spreche ich auch die Sparsamkeit an; auch das ist ja eine Frage. Sicherlich spielt die Leistung ebenso aber auch die Sparsamkeit eine große Rolle. Meine sehr verehrten Kollegen, Sie haben mich gefragt, ob ich um jeden Preis die Defizithaftung einführen wolle. Das kann ich gar nicht. Ich muß aber hinzufügen: selbst wenn ich gar nichts machte, wenn ich es beim bisherigen Zustand beließe, würde dann nicht auch die Gefahr bestehen, daß die Beitragsleistungen steigen? Jetzt werden wenigstens diejenigen, die aktiv solidarisch ihre Versicherung tragen müssen, aus allen Leistungen für die Alten entlassen werden. Ich halte das für einen entscheidenden Beitrag zur sozialen Sicherung der Landwirtschaft.
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- Ich sage das ja nur deshalb noch einmal, weil die Frage der Leistung aufgekommen ist. Die Frage der Leistungshöhe mit Steigerungen auf Grund von Verpflichtungen, z. B. Krankenhauskosten, stellt sich doch für jede Krankenkasse. Das ist nicht eine Frage, die diese Krankenkasse allein zu lösen hat. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt betrifft die Sparsamkeit. Verehrte Frau Kollegin Kalinke, zum einen ist vorgesehen, daß alle Landkrankenkassen eingegliedert werden. Zum anderen wollen wir Landkrankenkassen schaffen, die auf Grund ihrer ganzen Verwaltungsstruktur überschaubar und auch so mitgliederstark sind, daß sie ihre ärztlichen und anderen heilfürsorgerischen Leistungen optimal vollziehen können. In diesem Zusammenhang - gerade bei der Heilfürsorge, beim Sanatoriumsaufenthalt - bietet sich doch der Gleichklang zwischen Berufsgenossenschaft, Alterskasse und Krankenkasse an.
Ich habe „Heilfürsorge" gesagt. Ich wollte „Heilvorsorge" sagen. Ich bitte um Entschuldigung. Das war eine Freudsche Fehlleistung.
({10})
Eine solche freie Institution ist doch bei Abmachungen mit Sanatorien und Fachärzten viel leistungsfähiger als eine möglicherweise sehr schwache, sich auf Grund des Strukturwandels selbst reduzierende, einzeln stehende Krankenkasse. Das muß man doch sehen. Ich wollte hier nur noch einmal unsere Beweggründe erläutern. 19 Verwaltungen, die bereits den ganzen Apparat und die ganze Kartei an der Hand haben, die keine neue Verwaltungsarbeit leisten, 19 Krankenkassen in dieser Form sind sicherlich optimal strukturiert und daher auch relativ kostensparend. Das wollte ich im Zusammenhang mit dieser Diskussion doch noch einmal sagen.
Sicherlich werden die einen oder anderen Dinge noch zu behandeln sein. Ich habe gar nichts dagegen, wenn noch so viele Experten zusätzlich bei der Ausschußberatung zu Wort kommen. Eines dürfen Sie uns glauben: Uns geht es hier nicht um eine Ideologie. Uns geht es in diesem Sinne nicht einmal um eine einseitige politische Entscheidung, sondern darum, ein soziales Problem in diesem Staat befriedigend zu lösen. Das ist die Aufgabe, die bisher der Lösung harrte und von keiner vorhergehenden Regierung gelöst wurde.
In diesem Zusammenhang muß ich zum Schluß noch etwas sagen. Wir hören so oft von der Selbstverantwortung in der Landwirtschaft. Diese Regierung macht nun den Versuch, eine so wichtige Sache in die Selbstverantwortung der Landwirtschaft zu geben. Das geschieht im übrigen in Übereinstimmung mit dem Bauernverband, auch trotz der „Wenns". Der Bauernverband - ich muß es noch einmal sagen - hat sich in der Mehrheit dafür ausgesprochen. Es gibt im Bauernverband regional große Unterschiede. Es gibt ganze Landesverbände, die dafür sind, und es gibt ganze Landesverbände, die dagegen sind. Aber jetzt gibt es hier eine Regierung, die bereit ist, die Landwirtschaft voll einzuschalten, sie in allen Fragen verantwortlich zu beteiligen, auch im Zusammenhang mit bestehenden großen sozialen Einrichtungen, die ebenfalls in der Selbstverwaltung der Landwirtschaft sind.
Nun muß ich mir sagen lassen, das sei ein ideologischer Schachzug mit möglichen linken Fenstern. Da muß ich nun wirklich sagen: Das ist weiß Gott ein Wintermärchen, Frau Kalinke.
({11})
Das muß ich Ihnen wirklich sagen. Wenn ich das Gegenteil getan hätte, wenn ich beispielsweise den CDU-Antrag übernommen und den Versuch gemacht hätte, das alles in die Zuständigkeit der AOK zu geben, dann hätten Sie gesagt: Er will sie total gleichschalten; jetzt muß er die von den Gewerkschaften beherrschten - natürlich roten und linken - Ortskrankenkassen die Bauern auch noch hineinführen! - Nein, meine Damen und Herren, so können Sie nicht argumentieren, wenn Sie auf die Dauer überhaupt noch glaubhaft bleiben wollen.
({12})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Herr Minister, nur damit es bei Ihnen keine Fehleinschätzung gibt, frage ich: Ist Ihnen bekannt, daß bei den Ortskrankenkassen die paritätische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane - 50 % Arbeitgeber, 50 % Arbeitnehmer - wahrlich nicht dafür spricht, daß dort eine absolute Mehrheit der Sozialisten oder des DGB besteht? Wir sollten hier ganz sachlich bleiben, und Sie sollten es auch lernen.
Ich bin heute in einem ununterbrochenen Lernprozeß, verehrte gnädige Frau. Ich nehme das gern zur Kenntnis. Ich habe nur gesagt, ich könnte mir vorstellen, daß man auch so argumentiert. Sie haben mit Ihrer Argumentation am Schluß leider sehr viel Stoff zu meiner Annahme geliefert. Das muß ich Ihnen auch in aller Freundschaft sagen. Sonst wäre ich auf diese Idee gar nicht gekommen; denn diese Idee erschien mir zu kurios. Das dürfen Sie mir glauben: Mit Ideologie hat diese Lösung nichts zu tun. Es geht vielmehr darum, eine praktikable Lösung für eine sicherlich nicht sehr einfache Materie zu finden.
({0})
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung beider Vorlagen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung, an den letzteren außerdem gemäß § 96 GO. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz ({0})
- Drucksache VI/2886 Das Wort zur Begründung hat Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 21. März 1951 ist das Bundesgrenzschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem haben die Beamten des BGS ihre Pflicht vorbildlich erfüllt. Sie haben in zahlreichen nicht voraussehbaren, häufig schwierigsten Situationen ohne die Möglichkeit einer Rückfrage bei vorgesetzten Dienststellen in eigener Verantwortung handeln müssen und auch gehandelt. Sie sind dabei, ohne sich provozieren zu lassen, mit Umsicht und Festigkeit für die Einhaltung unserer Rechtsordnung eingetreten. Dafür gebührt den Beamten des BGS, und zwar sowohl denen der Truppe
wie denen des Einzeldienstes, Dank und Anerkennung.
Der erfolgreiche Einsatz des Bundesgrenzschutzes ist sowohl das Ergebnis der Haltung seiner Beamten wie auch der gründlichen Ausbildung im Bundesgrenzschutz. Es besteht kein Zweifel, daß gerade hinsichtlich der Ausbildung aus dem Gesetzentwurf eine Reihe neuer Konsequenzen gezogen werden muß.
Seit seiner Gründung hat der Bundesgrenzschutz eine Reihe zusätzlicher Aufgaben übernommen, die über die eigentliche und unverändert vorrangige polizeiliche Grenzsicherungsaufgabe hinausgehen. Hierher gehören nicht nur die Wachaufgaben im Raum Bonn, die zum Schutz der Verfassungsorgane des Bundes übernommen wurden, sondern auch zahlreiche Einsätze des Bundesgrenzschutzes auf Anforderung der Länder. Neben der Abstellung einzelner Beamter und auch technischer Mittel sind aus jüngster Zeit die Wahrnehmung von Sicherungsaufgaben auf den Flughäfen Bremen, Hamburg, Hannover und Frankfurt zu nennen, ferner die erfolgreiche Unterstützung der Fahndung nach den Kölner Bankräubern. Diese Einsätze haben bewiesen, daß der Bundesgrenzschutz ein jederzeit abrufbares und einsetzbares zusätzliches Sicherheitspotential darstellt, das den Ländern auf deren Anforderung und zum Einsatz unter ihrer Verantwortung zur Verfügung gestellt werden kann, um zu vermeiden, daß vor allem bei Spitzenbelastungen der Sicherheitslage Polizeibeamte der Länder aus anderen Bereichen, etwa der unmittelbaren und laufenden Verbrechensbekämpfung, abgezogen werden müssen.
Der Verfassungsgesetzgeber hatte schon mit dem 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes durch die Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie 91 und 115f. vorgesehen, daß der Bundesgrenzschutz in Katastrophenfällen und zur Lösung von Sicherheitsproblemen größerer Bedeutung eingesetzt werden kann. Insbesondere im Falle des Art. 115 f. des Grundgesetzes hat sich der Verfassungsgesetzgeber von der Erwägung leiten lassen, daß durch die Möglichkeit des Einsatzes des Bundesgrenzschutzes die Schwelle für den Einsatz der Bundeswehr so hoch wie möglich angelegt werden kann. Den drei genannten Verfassungsbestimmungen ist gemeinsam, daß sie entweder ganz allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen eine echte Kompetenzverlagerung von den Ländern auf den Bund bedeuten, was sich auch daraus ergibt, daß unter den gegebenen Voraussetzungen der Bund von sich aus über den Einsatz entscheiden kann. Für diese vom Gesetzgeber für notwendig erachteten Regelungen bedurfte es im Hinblick auf die unter bestimmten Voraussetzungen notwendige Kompetenzverlagerung der Regelung durch Änderung des Grundgesetzes.
Der vorliegende Gesetzentwurf dagegen berührt die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht. Er ist vielmehr die Antwort eines föderalistischen Staatswesens auf Fragen, die die innere Sicherheit unseres Landes mit zwingender Notwendigkeit stellt. Die Polizeigesetze der Länder - zur Zeit noch mit Ausnahme Niedersachsens - sehen schon jetzt vor, daß Polizeivollzugsbeamte des Bundes - und das sind die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes - auf Ersuchen oder mit Zustimmung des Landes für polizeiliche Aufgaben herangezogen werden können. Eine entsprechende gesetzliche Regelung für diesen Einsatz auf Anforderung der Länder fehlt im geltenden Bundesrecht.
Die Bundesregierung zieht daher mit dem Gesetzentwurf die Konsequenzen erstens aus den Mängeln des geltenden Rechts und zweitens aus den Erfordernissen der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Die Polizeihoheit der Länder wird durch das Gesetz nicht angetastet. Sie wird vielmehr durch § 8 Abs. 1 in Verbindung mit der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich bestätigt. § 9 legt außerdem fest, daß außer den im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fällen der Bundesgrenzschutz nur unter bestimmten Voraussetzungen und auch nur dann eingesetzt werden kann, wenn die zuständige Landesbehörde den Einsatz anfordert und soweit das Landesrecht dies vorsieht. Der Bundesgrenzschutz unterliegt dabei den fachlichen Weisungen des Landes. Es ist auch klargestellt, daß der Bundesgrenzschutz in solchen Fällen nach dem Recht des jeweiligen Landes handeln muß.
Der Gesetzentwurf soll also die korrespondierende Regelung im Bundesrecht für die schon genannten, jetzt schon geltenden landesrechtlichen Regelungen schaffen. Diese Organleihe des Bundes läßt die Behördenhierarchie und die Verwaltungsträgerschaft der entleihenden Länder ebenso unberührt wie deren Kompetenz. Die Organleihe liegt vielmehr unterhalb der Schwelle der von der Verfassung vorgenommenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Eine Umgehung der Polizeihoheit der Länder ist schon deshalb ausgeschlossen, weil der Einsatz des Bundesgrenzschutzes nur auf Initiative des jeweiligen Landes zustande kommt. Keinem Land kann also die Unterstützung durch den Bundesgrenzschutz aufgezwungen werden, und sie soll es auch nicht.
Schon die vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehene Einsatzmöglichkeit des Bundesgrenzschutzes ging vom polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes aus. Übrigens sagte bereits der damalige Bundesminister am 25. Januar 1951 im Bundestag wörtlich:
Im Grundgesetz ist der Ausdruck Bundesgrenzschutzbehörden damals bewußt geprägt worden. Man war sich bei der Verabschiedung des Grundgesetzes durchaus im klaren, daß es sich hierbei um reine Polizeibehörden und um nichts anderes handeln sollte.
Wenn ich davon gesprochen habe, daß rechtliche Mängel im geltenden Recht die Vorlage dieses Gesetzentwurfs erforderlich machen, so gilt das vor allem auch für den zweiten Abschnitt des Entwurfs, der die Überschrift „Befugnisse des Bundesgrenzschutzes" trägt. Dieses Befugnisrecht orientiert sich an dem geltenden Länderrecht. Eine gesetzliche Verankerung ist ein dringendes rechtsstaatliches Gehot, weil das Handeln des Grenzschutzes allein auf der Grundlage einer Dienstanweisung auf die Dauer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar ist.
Die Bundesregierung hat in einer langen Diskussion über diesen Gesetzentwurf, dessen Grundzüge in einem sehr frühen Stadium mit den Innenministern der Länder, den beteiligten Gewerkschaften und dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages erörtert wurde, mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die im Bundesgrenzschutz allein vertretenen Gewerkschaften, nämlich die ÖTV und der BGS-Verband, den Gesetzentwurf grundsätzlich begrüßen. Das gleiche gilt für die Fraktionen des Deutschen Bundestages und, wie der erste Durchgang im Bundesrat gezeigt hat, mit zwei Ausnahmen auch für die Bundesländer.
Die Bundesregierung sieht in dem vorliegenden Gesetzentwurf einen der notwendigen Beiträge zur Verbesserung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Sie erbittet daher die Unterstützung des Hohen Hauses für eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hanz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz - Drucksache VI/2886 -will den Aufgabenbereich verändern und den Verhältnissen anpassen, wie sie im wesentlichen bereits heute gegeben sind. Da die CDU/CSU-Fraktion den Bundesgrenzschutz immer als ein wichtiges Instrument zur Aufrechterhaltung der Sicherheit unseres Landes angesehen hat, begrüßt sie grundsätzlich die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, im Rahmen des föderalen Aufbaues unseres Staates die Einsatzmöglichkeiten aufgabenmäßig neu zu ordnen.
In diesen Wochen waren es 20 Jahre her, seit der Bundesgrenzschutz durch Bundesgesetz begründet wurde. Es ist hier nicht der Ort und wohl auch nicht die Zeit, die Gründe zur Aufstellung aufzuzeigen und noch einmal die Schwierigkeiten darzulegen, die bei der Aufstellung überwunden werden mußten. Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich bei dieser Gelegenheit aber feststellen, daß der Bundesgrenzschutz in seinem zwanzigjährigen Bestehen die ihm eigenen Aufgaben, wenn auch oft unter widrigsten Bedingungen, bis in die letzten Tage voll erfüllt hat.
({0})
Dafür sei den Beamten des Bundesgrenzschutzes hier und heute ein besonders herzliches Wort des Dankes gesagt.
Wir freuen uns auch darüber, daß die grundsätzliche Existenz des Bundesgrenzschutzes von keiner Seite dieses Hohen Hauses mehr in Frage gestellt wird. Dies war - ich möchte fast sagen: leider - nicht immer so.
({1})
Mehrmals sind hier Anträge gestellt worden, getragen von beachtenswerten Minderheiten, die nichts ,
weniger zum Ziel hatten, als die Existenzberechtigung des Bundesgrenzschutzes anzuzweifeln.
({2})
Meine Fraktion, meine Damen und Herren, hat in dieser Hinsicht ihre prinzipielle Auffassung bis heute nicht geändert und auch nicht zu ändern brauchen.
In der Sache bringt auch dieser Gesetzentwurf prinzipiell nichts Neues. Der Einsatz des Bundesgrenzschutzes an der Demarkationslinie wird auch weiterhin eine wichtige Aufgabe sein. Daneben aber hat bereits in der Vergangenheit der Bundesgrenzschutz polizeiliche Aufgaben vielfältigster Art in der Bundesrepublik Deutschland gehabt und wahrgenommen. Ich nenne hier nur einige: die Erfüllung überregionaler Hilfsaufgaben bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unfällen, die Mitwirkung bei der Abwehr von Gefahren für den Bestand und die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Staates sowie die Aufgaben im Verteidigungsfall, die Verwendung des Bundesgrenzschutzes für Sicherheitsaufgaben im Raume Bonn - ich meine die Sicherung der Amtssitze des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und einiger Bundesministerien -, den Schutz eigener Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes, die Abwehr von Angriffen, die mit militärischen Mitteln gegen das Bundesgebiet geführt werden, ohne daß dabei dem Bundesgrenzschutz eine militärische Verteidigungsaufgabe zugewiesen wurde, - die Unterstützung - das scheint mir das Wichtigste zu sein, was dieses neue Gesetz bringt oder auf neue Grundlagen stellt - der Länderpolizeien auf Anforderung des betreffenden Landes. Diese hier aufgezeigten Aufgaben des Bundesgrenzschutzes finden in dem jetzt 20 Jahre lang geltenden Gesetz eine nur unzureichende und wenig detaillierte Grundlage. Dem soll durch dieses neue Gesetz abgeholfen werden.
Die vorgesehene gesetzliche Regelung verdeutlicht also --- das ist der Hauptzweck dieses Gesetzes - nach unserer Meinung auch den Polizeicharakter des Bundesgrenzschutzes.
Der Gesetzentwurf birgt zweifellos auch einige ernste verfassungsrechtliche Fragen in sich. Wir gehen im Grundsatz von der Meinung aus, daß die Polizeihoheit der Länder, wie sie unsere bundesstaatliche Verfassung vorsieht, nicht angetastet werden darf. Gegenüber kritischen Stimmen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes wollen wir nicht schweigen. In den Ausschußberatungen werden wir sie eingehender Prüfung unterziehen. Im Grundsatz hat auch der Bundesrat, der zweifellos über seine Rechte im Rahmen der föderalen Struktur unseres Landes wachen wird, zugestimmt und den Entwurf sogar begrüßt. Auch wir wollen wie die Länder den Entwurf einmal unter dem Gesichtspunkt ihrer Polizeihoheit und zum anderen im Hinblick auf die Möglichkeit der Verwendung des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung der Länderpolizeien prüfen.
Wir begrüßen es deshalb, daß im vorliegenden Gesetzentwurf folgende Punkte sichergestellt sind. Erstens. Eine Unterstützung der Länderpolizeien
durch den Bundesgrenzschutz für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist nur auf Anforderung der zuständigen Landesbehörden möglich. Zweitens. Die Befugnisse des Bundesgrenzschutzes bei der Unterstützung der Länderpolizeien haben sich nach dem jeweiligen Landesrecht zu richten. Drittens. Der Bundesgrenzschutz unterliegt bei der Unterstützung der Länderpolizeien den fachlichen Weisungen des Landes, in dem er verwendet wird.
Einige der hier skizzierten Einsatzmöglichkeiten sind in der Praxis bereits in hervorragender Weise verwirklicht worden. Ich denke hier insbesondere an die Sicherung unserer Flughäfen und an den Einsatz des Bundesgrenzschutzes bei der Großfahndung nach den Kölner Bankräubern. Es mutet aber etwas eigenartig an, meine Damen und Herren, wenn der Vertreter der hessischen Landesregierung im Bundesrat den unterstützenden Einfluß des Bundesgrenzschutzes für die Länder ablehnt und gleichzeitig in der jüngsten Vergangenheit die Unterstützung des Bundesgrenzschutzes zur Sicherung des Rhein-MainFlughafens erbeten, und, wie ich glaube, zu Recht auch erhalten hat.
({3})
Es dürfte in diesem Zusammenhang interessant sein, was Innenminister Ruhnau als Berichterstatter in der Sitzung des Bundesrates vorn 22. Oktober 1971 ausgeführt hat. Mit Genehmigung der Frau Präsidentin darf ich es vielleicht zitieren. Er sagte:
Wir haben in den letzten Monaten - jetzt kann man schon sagen, in mehr als einem Jahr - bei der Sicherung des Flugverkehrs auf den Flughäfen in der Zusammenarbeit von Bundesgrenzschutz und Länderpolizeien dort, wo sie praktiziert wurde, gute Erfahrungen gemacht. Wir wären in dem kleinen Land, das ich hier repräsentiere, überhaupt nicht in der Lage gewesen, mit unseren Polizeikräften die Sicherheit auf dem Flugplatz sicherzustellen, oder aber wir hätten anderes vernachlässigen müssen.
Die CDU/CSU-Fraktion hofft, daß im Laufe der Beratungen die Innenminister der Länder entsprechend der Ankündigung von Senator Ruhnau in der genannten Bundesratssitzung ihre Auffassung zum Gesetzentwurf im Beratungsprozeß des Bundestages vortragen.
Damit der Bundesgrenzschutz den im Gesetz vorgesehenen Aufgaben entsprechen kann, muß überprüft werden, wie seine Ausbildung erweitert und verbreitert werden kann, damit er die Grenzsicherungs- und polizeilichen Aufgaben voll wahrnehmen kann. Der Bundesminister des Innern hat dies zwar angekündigt. Wir würden aber wünschen, daß dies gleichzeitig mit der Beratung des Gesetzes erfolgt.
Unsere bundesstaatliche Ordnung sieht den Einsatz von Polizeien der Länder über deren Grenzen hinweg vor. Von da aus wäre es wünschenswert, wenn das Polizeirecht der Länder vereinheitlicht würde. Der föderale Aufbau unseres Staates würde darunter sicher nicht leiden. Die Hilfe des Bundesgrenzschutzes in besonderen Risikosituationen würde aber schneller und damit, wie ich meine, auch wirkungsvoller möglich.
Es ist immerhin denkbar, daß in Zeiten einer größeren Gefährdung unserer Sicherheit an unseren Grenzen eine besondere Anspannung der Streitkräfte und im Innern eine Anspannung der Polizeikräfte erforderlich ist. Deshalb wird der vorliegende Entwurf von uns nicht so verstanden, daß nunmehr die Länder in ihren Anstrengungen nachlassen dürften, mit denen sie die innere Sicherheit in ihrem Bereich zu gewährleisten haben. Es soll hier keine Aufgabe von den Ländern auf den Bund verlagert, sondern es soll lediglich ein besonderes Instrument zur Meisterung besonderer Notlagen von längerer Dauer und übergreifenden Umfangs geschaffen werden.
Nach unseren Vorstellungen erweist sich der Kombattantenstatus auch bei der neuen gesetzlich normierten Aufgabenstellung als notwendig; er ist kein Beweis für den Auftragscharakter des Bundesgrenzschutzes. Er ergibt sich, so meinen wir, allein aus dem Gesetz. Wir sehen den Kombattantenstatus vor allem als Fürsorge für die Grenzschutzbeamten an der Demarkationslinie an, die nie klar erkennen können, ob es sich um eine Situation handelt, die nur einen Übergriff darstellt, oder um die Spitze eines militärischen Vorstoßes.
Ich sagte schon, die Sicherung der Demarkationslinie und die Grenzsicherung sollen nach unseren Vorstellungen auch weiterhin die Hauptaufgabe des Bundesgrenzschutzes sein, denn die polizeiliche Grenzsicherung ist wesentliche Voraussetzung für die innere Sicherheit unseres Staates. Wir legen aber Wert auf die Feststellung, daß die Ausbildung des Bundesgrenzschutzes grundsätzlich nach polizeilichen Prinzipien zu erfolgen hat. Sie trägt nur notwendigerweise dem derzeitigen Schwerpunkt des Einsatzes an der Demarkationslinie und der Grenze zur Tschechoslowakei Rechnung. Ebenso muß die Bewaffnung und Ausstattung einer für den verbandsmäßigen Einsatz vorgesehenen Polizeitruppe anders sein als im polizeilichen Einzeldienst. Hier mag uns vielleicht das Beispiel von Berlin ein gewisser Anhalt sein.
Mit der Verdeutlichung des Bundesgrenzschutzes als Polizei des Bundes, mit der notwendigerweise auch Ausbildung, Personalfragen und Laufbahnrecht anders gehandhabt werden müssen, wird der Bundesgrenzschutz auch von der äußeren Verzerrung des Berufsbildes und der inneren Verunsicherung - das eine als Folge des anderen - sicher wegkommen. Der Bundesgrenzschutz hat aber zunehmend Aufgaben zugewiesen erhalten, die über die Grenzsicherung hinausgehen. Wir sehen dies als richtig an, weil neben der Veränderung und dem Wachsen sicherheitspolitischer Probleme auch die größere Beweglichkeit der Gesetzesbrecher in Rechnung gestellt werden muß. So erscheint die Folgerung zwingend, dem Staat ein jederzeit abrufbares Sicherheitsinstrument zur Verfügung zu stellen. Diese Aufgabe kann nach unserer Meinung der Bundesgrenzschutz erfüllen. Wir sind aber auch der Meinung und demgemäß werden wir unsere Auffassung zur Gesetzesvorlage dartun -, daß sich dieser Entwurf in die Gesamtkonzeption des Sicherheitssystems unseres Staates einordnen muß. Hier fehlt uns allerdings von der Regierung noch einiges.
Dieses Gesetz wird aber, so glauben wir, ein nicht unwesentlicher Schritt auf dem Wege zur Verbesserung der inneren Sicherheit sein, und die CDU' CSU wird an diesem Gesetz aktiv und positiv mitarbeiten.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Initiative der Bundesregierung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eines neuen Bundesgrenzschutzgesetzes; denn schließlich wird damit der Versuch unternommen, Klarheit auf einem Gebiet zu schaffen, auf dem es in einem Rechtsstaat am ehesten notwendig ist, nämlich dort, wo es um Macht geht.
Der jetzige Zustand ist unbefriedigend. Ich glaube, das wird jeder erkennen, der sich mit den Fragen des Bundesgrenzschutzes befaßt hat. Ich möchte dafür nur einige Fakten nennen:
1. Das geltende Bundesgrenzschutzgesetz umschreibt in seinen sechs Paragraphen nur sehr ungenau die Grenzschutzaufgaben und gibt damit zu erheblichen Auslegungszweifeln Anlaß.
2. Das BGS-Gesetz ist bisher noch nicht an die im Jahre 1968 geänderten Art. 35, 91 und 115 f. des Grundgesetzes angeglichen worden.
3. Zwischenzeitlich sind dem Bundesgrenzschutz auf Grund ministerieller Anordnungen eine Reihe von Aufgaben zugewiesen worden, die durch das Bundesgrenzschutzgesetz expressis verbis nicht abgedeckt sind.
4. Die Befugnisse der Beamten des Bundesgrenzschutzes sind lediglich in Dienstanweisungen, also in administrativen Regelungen niedergelegt, die keinen Rechtssatzcharakter haben.
Allein diese Beispiele zeigen, daß es schon aus rechtsstaatlichen Gründen notwendig ist, eine gesetzliche Klärung auf diesen Gebieten vorzunehmen.
Nun meine ich aber auch, daß wir es den Beamten des Bundesgrenzschutzes schuldig sind, ihnen sichere Rechtsgrundlagen sowohl für ihr Tätigwerden als auch für ein eindeutiges Berufsbild zu geben. Hier wissen wir, diejenigen, die sich mit den Beamten unterhalten haben, daß sie gelegentlich doch den Eindruck gehabt haben, daß sie nicht wissen, ob sie Fisch oder Fleisch sind.
Meine Damen und Herren, ich nehme von dieser Stelle aus gerne Gelegenheit, namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion allen Beamten des Bundesgrenzschutzes dafür zu danken, daß sie trotz widriger Umstände in der Vergangenheit die ihnen übertragenen Aufgaben pflichtbewußt erfüllt und damit einen bedeutsamen Beitrag zur inneren Sicherheit unserer Bundesrepublik geleistet haben.
Es erscheint uns aber auch geboten, wie der Gesetzentwurf es anstrebt, den Bundesgrenzschutz in eine Gesamtkonzeption für die innere Sicherheit einzubeziehen und den polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes stärker als bisher zu betonen, d. h. - um es konkret zu sagen - der Bundesgrenzschutz soll als Sonderpolizei des Bundes mit begrenzten polizeilichen Aufgaben dargestellt werden. Dabei geht meine Fraktion jedoch davon aus - der Herr Innenminister hat das bestätigt -, daß die Polizeihoheit der Länder unangetastet bleibt und die Aufgabenabgrenzung verfassungsrechtlich eindeutig geklärt wird.
Indem ich das sage, spreche ich gleichzeitig die von den Ländern Bayern und Hessen im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf geltend gemachten Bedenken an.
({0})
Die Bayern können gelegentlich unterschiedliche Motive haben. Das wissen Sie, Herr Kollege Vogel, doch auch. Wir werden uns im Verlaufe des Beratungsverfahrens mit großem Ernst mit allen Fragen befassen und dabei auch all die Kritik und die Bedenken, die vorgebracht worden sind, prüfen. Das bezieht sich sowohl auf die verfassungsrechtlichen Bedenken als auch auf den sicherlich beachtenswerten Hinweis des hessischen Innenministers Hemfler auf einen Beschluß eines Vorprüfungsausschusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1966, nach dem der Bundesgrenzschutz nach seiner Aufgabenstellung, Organisation und Bewaffnung keine spezifische Polizeieinheit, sondern ein paramilitärischer Truppenverband ist. Ich habe hier nur zitiert. Ich glaube, daß es gerade an dieser Stelle richtig ist, an das zu erinnern, was Herr Minister Genscher sowohl im Bundesrat als auch hier soeben noch einmal gesagt hat oder zu verstehen gegeben hat, nämlich daß wir die Debatte nicht auf dem Hintergrund der früheren, sondern der neuen Konzeption des Bundesgrenzschutzes führen müssen, der auch - das füge ich hinzu - Ausrüstung und Ausbildung zu folgen haben. Letzteres möchte ich besonders unterstrichen wissen.
Wir begrüßen deshalb auch den Beschluß des Bundesrates, die Auffassung der Länder durch eigene Vertreter im Bundestag und seinen Ausschüssen vertreten zu lassen. Leider finden wir heute unter den anwesenden Herren keinen solchen Vertreter. Ich bin aber sicher, daß dieses Verfahren dazu beitragen wird, eine Lösung zu finden, die sowohl dem sicherheitspolitischen Anliegen als auch der verfassungsmäßigen Ordnung in unserem föderativen Staat gerecht wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf einige Gesichtspunkte im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf im einzelnen eingehen. Ich möchte zunächst auf die Frage zu sprechen kommen, aus welchen Gründen es richtig erscheint, einen klaren polizeilichen Charakter für den Bundesgrenzschutz zu entwickeln.
Erstens. Bereits beim Aufbau des Bundesgrenzschutzes -- hier ergänze ich das, was der Herr Innenminister gesagt hat - hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß der Bundesgrenzschutz als
polizeiliche Einrichtung gedacht war. Hierzu verweise ich auch auf das Bundespolizeibeamtengesetz, in dem die Rechtsverhältnisse der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz gemeinsam mit den Rechtsverhältnissen anderer Polizeivollzugsbeamten des Bundes, die hier nicht im Streit stehen, geregelt worden sind. Diese Rechtsverhältnisse sind also nicht etwa in einem Soldatengesetz oder in einem sonstigen gesonderten Rechtsstellungsgesetz geregelt. Es lag deshalb wohl auch nicht im Sinne des Gesetzgebers von damals, den Bundesgrenzschutz vom inneren Gefüge her eine andere denn eine polizeiliche Ausrichtung zu geben. Darauf ist von meiner Fraktion auch schon in früheren Debatten hingewiesen worden. Zu diesem Punkt bleibt noch zu erwähnen, daß Grenzschutz auch in anderen Staaten grundsätzlich als eine polizeiliche Aufgabe angesehen wird.
Ein zweiter Gesichtspunkt. Den Grenzschutzdienst entlang der Grenzen zur DDR wie auch zur CSSR stärker als bisher als eine polizeiliche Aufgabe herauszustellen, halte ich nicht zuletzt auch auf dem Hintergrund der Entspannungspolitik dieser Bundesregierung gegenüber den Ostblockstaaten für eine politische Notwendigkeit.
({1})
Ich meine jedoch, meine Damen und Herren - ich antworte jetzt schon darauf -, daß selbstverständlich auch die andere Seite daran interessiert sein muß, an den genannten Grenzen zu einer normalen grenzpolizeilichen Lage zu kommen. Dabei übersehe ich keinesfalls die traurigen Realitäten, die durch Minengürtel, Schießbefehl und Stacheldraht gekennzeichnet sind. Wir können das beklagen. Diese Situation kann jedoch nur politisch überwunden werden. Darauf ist auch, wie dem Hohen Hause wiederholt verdeutlicht worden ist, die Politik dieser Bundesregierung gerichtet.
Ein dritter Gesichtspunkt, der für den polizeilichen Charakter des Bundesgrenzschutzes spricht: Mit der Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1968 sind dem Bundesgrenzschutz unter den in Art. 91 und 115 f genannten Voraussetzungen auch Aufgaben im Innern des Landes zugewiesen worden. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt klar, daß es sich hierbei um polizeiliche Schutz- und Sicherungsaufgaben handelt. Es erscheint mir also in Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf notwendig, daß auch in den genannten Fällen die Aufgaben nach polizeilichen Grundsätzen und mit polizeilichen Mitteln wahrgenommen werden. Schließlich richtet sich eine polizeiliche Schutz- und Sicherungsaufgabe gegen zivile Ordnungsstörer.
Ich darf zusammenfassen: In den vorgenannten Fällen gibt es keine Meinungsverschiedenheiten über eine verfassungsrechtlich abgesicherte örtliche und sachliche Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes. Die Verwendung des Bundesgrenzschutzes sollte deshalb aus den vorgenannten Gründen eine rein polizeiliche sein. Das muß jedoch konsequenterweise die Aufgabe nach sich ziehen, Ausrüstung und Ausbildung des Bundesgrenzschutzes dieser gesetzgeberischen Konzeption anzupassen. Dazu merke ich
noch einmal an, dies hat Herr Minister Genscher zugesagt, und wir unterstützen ihn dabei.
Aber auch folgendes möchte ich hinzufügen. Ich meine, daß die Entwicklung des Bundesgrenzschutzes zu einer Einrichtung, die ausschließlich polizeiliche Aufgaben wahrnehmen soll, es notwendig erscheinen läßt, auch über andere Fragen zu sprechen, die mit einem polizeilichen Berufsbild untrennbar zusammenhängen. Dabei denke ich z. B. an Probleme, die sich aus der Bundesgrenzschutz-Dienstpflicht und dem Kombattanten-Status ergeben, auf den Sie, Herr Kollege Hanz, ja soeben sehr akzentuiert hingewiesen haben. Hierzu darf ich anmerken, daß es zwar früher schon einmal einen CDU-Bundesinnenminister gegeben hat, der die gesamte Polizei, also auch die der Länder, mit dem KombattantenStatus „ausstatten" wollte, daß dies aber seinerzeit die SPD-Bundestagsfraktion mit Erfolg hat abwehren können. Statt dessen wird inzwischen mit guten Erfolgsaussichten - das muß ich in dem Zusammenhang sagen - durch die Institution des Europarates über den von der SPD-Bundestagsfraktion initiierten Antrag für eine internationale Polizeikonvention verhandelt, die den völkerrechtlichen Schutz der Polizeibeamten als Nichtkombattanten im Falle eines bewaffneten Konfliktes sicherstellen soll.
Bei der weiteren Diskussion über den vorliegenden Entwurf eines Bundesgrenzschutzgesetzes werden wir uns sicherlich auch noch mit dieser Problematik zu befassen haben. Dafür gibt es, wie ich festgestellt habe, eine Reihe bedeutsamer Rechtsgutachten und wissenschaftlicher Abhandlungen, die uns dabei eine nützliche Hilfe sein können.
Bisher habe ich über die Verwendung des Bundesgrenzschutzes in seiner Funktion als Grenzschutz und als polizeiliches Schutz- und Sicherheitsorgan im Innern in den Fällen der Art. 91 und 115 f des Grundgesetzes gesprochen, in denen die Zuständigkeiten verfassungsmäßig eindeutig festliegen und heute auch nicht mehr umstritten sind. Einzubeziehen in diesen Komplex sind auch noch die Fälle des Art. 35 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes - Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall -; denn auch hier liegt eine klare grundgesetzliche Regelung zugrunde. Von der Sache her werden Sie mir, meine Damen und Herren, sicherlich bestätigen, daß in solchen Fällen der Bundesgrenzschutz in der Vergangenheit sehr nützliche Dienste geleistet hat, auf die wir auch in der Zukunft nicht verzichten möchten.
Die eigentliche Kritik an der Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes setzt erst dort ein, wo unterhalb der Schwelle der eben genannten grundgesetzlichen Bestimmungen der Bundesgrenzschutz für polizeiliche Aufgaben innerhalb des Landes eingesetzt werden soll. Hierzu einige Bemerkungen. Der Schutz von Bundesorganen - ich erinnere nur an die Wache beim Bundespräsidialamt, beim Bundeskanzleramt und beim Innenministerium - wird seit Jahren vom Bundesgrenzschutz wahrgenommen, ebenso die Sicherung eigener Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes. Das sind zweifelsfrei ständige polizeiliche Aufgaben im Innern, die über den bisher gesetzlich geregelten Zuständigkeitsrahmen des
Bundesgrenzschutzes hinausgeben. Wenn sich die Notwendigkeit der Wahrnehmung solcher Aufgaben durch den Bundesgrenzschutz doch herausgestellt hat das ist wohl unumstritten , dann ist es auch erforderlich, diesen Tatbestand zu legalisieren. Das stößt offenbar auch nicht auf Kritik; jedenfalls habe ich sie nicht wahrnehmen können.
Herr Kollege, ich muß Sie an den Ablauf der Redezeit erinnern.
Ja, ich werde mich kurz fassen, Herr Präsident.
Nun hat es in der Vergangenheit aber auch zahlreiche Fälle gegeben, in denen der Bundesgrenzschutz auf Anforderung von verschiedenen Ländern für polizeiliche Aufgaben zur Verstärkung der Länderpolizei herangezogen wurde. Das gilt beispielsweise bei der Sicherung von Flugplätzen und auch für sonstige Fälle wie zuletzt aus Anlaß des Kölner Banküberfalles. Die bekanntgewordenen Berichte bringen übereinstimmend zum Ausdruck, daß dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bzw. zur Verbrechensbekämpfung notwendig gewesen sei. Ebenso ist, wenn ich richtig informiert bin, von der überwiegenden Zahl der Länder der Wunsch geäußert worden, künftig für solche oder ähnliche polizeiliche Schwerpunktmaßnahmen auf den Bundesgrenzschutz und seine Einrichtungen für zeitlich begrenzte polizeiliche Maßnahmen zurückgreifen zu können, wohlgemerkt: nur auf Anforderung der Länder.
Einem solchen sicherheitspolitischen Bedürfnis möchte die Bundesregierung mit einer gesetzlichen Regelung gerecht werden. Ich verweise hier auf § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. Doch dagegen ist wiederum von anderer Seite, aber auch von denen, die von dieser Möglichkeit schon Gebrauch gemacht haben, erhebliche Kritik vorgebracht worden. Nun ist zu vermuten, daß ein Teil der geäußerten Bedenken zunächst einmal dadurch abgebaut werden könnte, daß, wie ich vorher ausgeführt habe und wie es auch Bundesinnenminister Genscher in Aussicht gestellt hat, Ausrüstung und Ausbildung des Bundesgrenzschutzes nach rein polizeilichen Maßstäben erfolgen würde.
Andere Bedenken gegen eine solche gesetzliche Regelung werden jedoch verfassungsrechtlich begründet.
Herr Kollege, ich muß Sie leider noch einmal an den Ablauf Ihrer Redezeit erinnern.
Ich weiß, ich will auch in den nächsten zwei Minuten zu Ende kommen.
Herr Kollege, ich bitte darum.
Einerseits wird die Auffassung vertreten, es sei verfassungsrechtlich nicht abgesichert, den Bundesgrenzschutz außerhalb des vorher genannten grundgesetzlich gezogenen Rahmens für polizeiliche Aufgaben im Innern des Landes heranzuziehen, und zwar auch dann nicht, wenn ein einfaches Landesgesetz eine solche Möglichkeit vorsieht, während andererseits die bisherige Begründung der Bundesregierung davon ausgeht, daß dies über den Weg der sogenannten Organleihe möglich sei. Das sind sicherlich schwierige verfassungsrechtliche Fragen, die wir heute nicht ausdiskutieren können, die wir aber eingehend in den Ausschußberatungen vertiefen werden. Der Herr Innenminister wird sicherlich Verständnis dafür haben, wenn ich sage, daß ich dabei sehr kritisch sein werde, trotz meiner positiven Einstellung zu diesem Entwurf.
Alles das, was wir aus sicherheitspolitischen Gründen für notwendig halten, muß verfassungsrechtlich eindeutig, unzweifelhaft abgesichert sein. Ich darf deshalb noch einmal abschließend sagen: worauf es ankommt, ist, ohne die Polizeihoheit der Länder einzuschränken, den Bundesgrenzschutz als Sonderpolizei des Bundes mit begrenzten polizeilichen Aufgaben in ein Gesamtsicherheitssystem mit dem Ziele einzubeziehen, ein Höchstmaß an innerer Sicherheit zu erreichen. Ich darf wohl davon ausgehen, auch nach den Erklärungen des heutigen Tages, daß dies ein Anliegen des gesamten Hohen Hauses sein wird.
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Meine Damen und Herren! Nach dem jetzigen Stand der Beratungen wird zu Punkt 4 noch der Herr Kollege Krall von der Fraktion der FDP sprechen. Ich werde ihm sofort das Wort geben. Ich wollte nur noch darauf hinweisen, daß ich dann Punkt 5 der Tagesordnung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, aufrufen werde und daß anschließend noch eine Reihe von Punkten ohne weitere Debatten behandelt wird, so daß die Fragestunde etwa gegen 16 Uhr beginnt und das Plenum voraussichtlich gegen 17 Uhr schließen wird. Ich wollte das dem Hause und den auf die Ausschußberatungen wartenden Kolleginnen und Kollegen mitteilen, zumal da ein Teil der Ausschüsse bereits die Beratungen in der Hoffnung aufgenommen hatte, daß das Plenum früher zu Ende sein würde.
Das Wort hat der Herr Kollege Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der FDP begrüße ich den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Wir sind der Meinung, daß ein neues Bundesgrenzschutzgesetz dringend erforderlich ist, um die seit längerer Zeit bestehende Unsicherheit über Aufgaben und Standort des Bundesgrenzschutzes im Sicherheitssystem der Bundesrepublik zu beseitigen. Welches Ausmaß diese Unsicherheit angenommen hat, zeigt allein die TatKrall
sache, daß vor nicht allzu langer Zeit sogar von einer nicht zuständigen Gewerkschaft die Forderung nach einer Auflösung des Bundesgrenzschutzes erhoben werden konnte.
({0})
- Eingeweihte wissen es. Zweifel über den Standort und die Notwendigkeit einer Organisation können sich nur dann ergeben, wenn deren Aufgaben nicht oder nicht klar genug geregelt sind. Genau das ist zur Zeit beim Bundesgrenzschutz der Fall. Der Bundesgrenzschutz ist 1951 als eine Grenzpolizei des Bundes errichtet worden. Erste Zweifel über seinen Standort ergaben sich aber schon daraus, daß man damals versäumte, ihn im Gesetz klar als „Polizei" zu bezeichnen. Hier, Herr Kollege Pensky, gehe ich mit Ihnen nicht ganz einig. Das mag man verstehen können aus der Situation, daß es damals eine Bundeswehr nicht gab. Aber bereits seit dem Zeitpunkt der Aufstellung der Bundeswehr wäre es unerläßlich gewesen, das Gesetz zu ändern. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung; als ehemaliger Bundesgrenzschutzbeamter habe ich diese Zweifel am eigenen Leibe erfahren. Deshalb freue ich mich ganz besonders, daß der Gesetzentwurf eine klare Aufgabenregelung enthält und den Bundesgrenzschutz als eine Polizei des Bundes bezeichnet.
Die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Neufassung des Bundesgrenzschutzgesetzes ergibt sich auch daraus, daß der Bundesgrenzschutz im Laufe der Zeit Aufgaben übernehmen mußte, die im geltenden Bundesgrenzschutzgesetz nicht ausdrücklich erwähnt sind. Sie wurden hier von allen Sprechern der Fraktionen angesprochen; der Bundesinnenminister hat es im einzelnen erklärt; ich möchte darauf verzichten.
Ein besonders aktueller Anlaß für eine Novellierung des Bundesgrenzschutzsgesetzes ist aber die Notwendigkeit, die Sicherheitslage in diesem Lande zu verbessern und die Verbrechensbekämpfung zu intensivieren. Bundesminister Genscher hat bereits mit Recht darauf hingewiesen, daß die Polizeien der Länder durch die Entwicklung der Sicherheitslage, insbesondere das Auftreten von politisch-extremistischen Terrorgruppen, steigende Kriminalität, aber auch durch die Zunahme der Aufgaben der Polizei im Straßenverkehr stark belastet, teilweise sogar überfordert sind. Die Entwicklung hat dazu geführt, daß die Bereitschaftspolizeien der Länder, die für etwaige Aufgaben bereitstehen sollen, die einen geschlossenen Polizeieinsatz erfordern, heute weitgehend zu Ausbildungsstätten für den polizeilichen Einzeldienst geworden sind und für ihre eigentliche Aufgabe nur noch in beschränktem Umfange zur Verfügung stehen. Niemand kann eine Garantie übernehmen, daß die Anforderungen an die Polizei nicht noch steigen. Bei dieser Sachlage ist es unumgänglich, die Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung der Polizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes zu schaffen, ohne die Verantwortung und die Zuständigkeit der Länder im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beeinträchtigen. Das ist
erfreulicherweise hier von allen Sprechern gesagt worden.
Niemand hätte aber Verständnis dafür, wenn ein Verbrecher nur deshalb nicht gefaßt werden könnte, weil der BGS und seine besonderen technischen Mittel - ich denke hier insbesondere an Hubschrauber - aus formalen Zuständigkeitsgründen nicht eingesetzt werden könnten. Wie sehr die Länder selbst eine solche Unterstützung wünschen, zeigen die Regelungen in ihren Polizeigesetzen, wonach Polizeivollzugsbeamte des Bundes unter bestimmten Voraussetzungen auch jetzt schon Aufgaben der Länderpolizeien wahrnehmen können. Wir Freien Demokraten halten es deshalb für gut, daß der Gesetzentwurf in § 9 Abs. 1 Nr. 3 eine Regelung bringt, die auch vom Bundesrecht her eine Unterstützung der Länderpolizeien durch den Bundesgrenzschutz ermöglicht. Ich verhehle allerdings nicht, daß ich Zweifel habe, ob die Regelungen, die der Entwurf vorsieht, voll ausreichen. Wir möchten jedenfalls sichergestellt wissen, daß die vorhandenen Sicherheitskräfte von Bund und Ländern im Bedarfsfall schnell und unbürokratisch und ohne Rücksicht auf formale Zuständigkeiten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verwendet werden können.
Der Gesetzentwurf läßt keine Zweifel mehr zu, daß der Bundesgrenzschutz eine Polizei des Bundes ist. Die für ihn vorgesehenen Aufgaben und Verwendungsmöglichkeiten erfordern gründlich ausgebildete Polizeibeamte. Deshalb erscheint es mir unumgänglich - und hier stimme ich Ihnen, Herr Kollege, voll zu -, daß die Ausbildung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz noch weiter vertieft werden muß. Als Ergebnis sollte angestrebt werden, daß die Ausbildung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz der Länderpolizeien gleichwertig ist. Die im Bundesgrenzschutz abgelegten Laufbahnprüfungen müssen so gestaltet werden, daß sie auch von den Ländern für ihre Polizeien anerkannt werden. Das wird dazu beitragen, die noch vorhandenen Strukturprobleme des Bundesgrenzschutzes und das Nachwuchsproblem der Polizeien der Länder besser zu lösen.
Aufgaben und Verwendungsmöglichkeiten des Bundesgrenzschutzes erfordern Polizeivollzugsbeamte, die entsprechend ihrer Verantwortung und Ausbildung besoldet werden. Auf diesem Gebiet ist, wie ich meine, noch einiges zu tun. ich darf nur darauf hinweisen, daß eine besoldungsmäßige Einstufung von Polizeivollzugsbeamten in Ämter des einfachen Dienstes, wie sie zur Zeit beim Bundesgrenzschutz noch vorhanden ist, in Zukunft einfach nicht mehr vertreten werden kann. Ebensowenig ist ein Grund dafür zu erkennen, warum die Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes auch sonst teilweise in niedrigere Besoldungsgruppen eingestuft sind als vergleichbare Polizeibeamte in den Ländern. Schließlich muß man zumindest die Frage stellen, welche Gründe es rechtfertigen sollen, zwar den Polizeivollzugsbeamten der Länder eine Polizeizulage zu zahlen, den Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz aber nicht. - Ich sehe da Schmunzeln hier im Hause. Ich muß es aber der Gerechtigkeit halber erwähnen.
Diese von mir dargestellten Ungereimtheiten können sicher nicht in einem Zuge beseitigt werden. Ich erwarte aber, daß die Bundesregierung einen Stufenplan aufstellt, der vorsieht, die derzeit noch vorhandene dienst- und besoldungsrechtliche Schlechterstellung der Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes zu beseitigen. Nur wenn wir bereit sind, auch diese Folgerungen zu ziehen, wird der Bundesgrenzschutz in der Lage sein, die Aufgaben zu bewältigen, für die er nach dem Entwurf im Interesse unserer Sicherheit verwendet werden soll.
Ich möchte nicht schließen, ohne den Beamten des Bundesgrenzschutzes, gleich ob im Einzeldienst oder in Form des Truppendienstes eingesetzt, namens meiner Fraktion Dank zu sagen für die stets gezeigte Einsatzbereitschaft und Einsatzfreude.
({1})
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesgrenzschutz. Ich schließe die Beratung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Innenausschuß - federführend -, dem Haushaltsausschuß, dem Rechtsausschuß und dem Finanzausschuß - mitberatend - zu überweisen. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes
- Drucksache VI/2869 Das Wort hat Herr Abgeordneter Hammans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese vierte Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes darf nicht in die erste Lesung gehen, ohne daß hierzu ein paar Bemerkungen gemacht werden. Der von der Regierung eingebrachte Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes soll ein Beitrag dazu sein, die Gefährdung einer defekten Umwelt unserer Menschheit zu stoppen. Bereits in den letzten Plenarsitzungen, in denen über dieses Thema gesprochen wurde, war davon, wenn auch unter anderen Aspekten, die Rede. Ich bin sehr froh darüber, daß man in allen politischen Lagern auf breiter Ebene einzusehen beginnt, daß der Schutz unserer Umwelt ein elementares Problem ist. Ich möchte als Biologe in diesem Hohen Hause darauf hinweisen, daß die Aufgaben auf diesem Gebiet und ihre Lösungen gar nicht ernst genug genommen werden können.
Unsere Gewässer und Flüsse gehören zu unserem engen Lebensraum. Das ökologische System dieses Lebensraumes muß in Zukunft etwa die gleiche Bedeutung und den gleichen Vorrang haben, den man auch dem Wirtschaftssystem zuspricht. Wenn als Maßstab des Erfolgs im Wirtschaftssystem z. B.
die Wachstumsrate gilt, so muß bei der Erhaltung der Umwelt unbedingt der notwendige Gleichgewichtszustand der Natur erhalten bleiben. Vernachlässigt man dieses Ziel weiter sträflich oder schlägt man die ernst zu nehmenden Warnungen der Fachleute in den Wind, so wird in nicht allzu ferner Zukunft das Gleichgewicht der Natur gefährdet sein und die Entwicklung an einen kritischen Punkt ankommen, an dem die wirtschaftliche Nutzen-Zuwachsrate durch die Schadens-Zuwachsrate überkompensiert wird; es wird also zu einer überproportionalen Kostensteigerung für den Genesungsprozeß der Umwelt kommen. Letztlich ist also nicht nur unser Lebensraum in biologischer Hinsicht gefährdet, sondern zusätzlich auch unser wirtschaftlicher Wohlstand.
Durch die in der Drucksache VI/2869 genannten Lösungsmöglichkeiten sollen die sich abzeichnenden Gefahrenherde lokalisiert und beseitigt werden. Dieses Vorhaben sollte durch eine dynamische Auslegung der Intentionen erreicht werden können. Auf der anderen Seite besteht zumindest heute noch die Gefahr, daß die zur Lösung der Misere von der Bundesregierung apostrophierten Möglichkeiten nichts anderes sind als Leerformen.
({0})
So will die Bundesregierung durch den vorliegenden Gesetzentwurf erreichen, daß die erforderlichen wasserwirtschaftlichen Vorschriften, z. B. für den Bau von Talsperren, Wasserspeichern oder Rückhaltebecken, sogenannte Veränderungssperren enthalten. Das ist ein guter und begrüßenswerter Schritt, zumal das Planungs- und Realisierungsstadium sehr lange dauert.
Meiner Meinung nach fehlt es hier jedoch an einer deutlich abzusehenden und richtigen Schrittfolge. Schließlich ist der Rhein für die Deutschen, mehr noch für die Zentraleuropäer, eine ungeheuer wichtige Lebensader, an der sie ihre echten Ambitionen im Hinblick auf Sauberkeit und Wasserbrauchbarkeit ausprobieren können. Solange man diesen stark verschmutzten und stark gefährdeten Fluß noch weiterhin verschmutzt und - wie die Arbeitsgemeinschaft der Länder feststellte - sein Wasser als Kühlwasser für zu bauende Kraftwerke einsetzt, so lange sollte man sich nicht über den zweiten Schritt unterhalten, sondern lieber den ersten, den wichtigsten tun. Nach dem vorliegenden Wärmelastplan ist nämlich die Kapazitätsgrenze des Rheins hinsichtlich thermischer Belastung bis 1975 erreicht und, wenn er verwirklicht würde, bis 1985 hoffnungslos überschritten.
Mit mir teilen viele ernst zu nehmende Naturwissenschaftler die Meinung, daß der von der Länderarbeitsgemeinschaft vorgelegte Wärmelastplan des Rheins viel zu hoch angesetzt ist und überhaupt keinem Kraftwerk die Bauerlaubnis erteilt werden dürfte, ohne ein Kühlsystem vorzusehen, das bei Niedrigwasser oder bei extrem hohen Wassertemperaturen eingesetzt werden könnte. Wir begrüßen außerordentlich, daß das zuständige Ministerium in Nordrhein-Westfalen bereits die Vorschrift vorgelegt hat, daß in diesem Bundesland am Rhein kein
Kernkraftwerk ohne entsprechendes Kühlsystem gebaut werden darf.
Ein Großteil unserer Bevölkerung und ein noch größerer Prozentsatz unserer holländischen Nachbarn bezieht das Trinkwasser direkt oder durch Uferfiltrate aus dem Rhein. Es ist eine ungeheuer wichtige Aufgabe, hier den Hebel für das Wasserhaushaltsgesetz anzusetzen. Ich bin der Meinung, daß es nicht primär einer Flußverlegung oder dergleichen bedarf, um unseren Wasserhaushalt zu sichern. Es bedarf vielmehr einer wirksamen Bekämpfung der Verunreinigung des Wassers in seinem jetzt vorhandenen Zustand.
Dazu gehört zunächst eine kostenmäßige Heranziehung der Verschmutzer nach dem Verursacherprinzip. Ein praktischer Vorschlag, den Umweltverschmutzern schneller auf die Schliche zu kommen, wäre z. B. das Gebot, Abfallwasser nur oberirdisch in den Rhein einzuleiten. Man könnte so mit geringen Mitteln eine bessere und sicherere Kontrolle erreichen. Ich darf Sie nur zu einem Spaziergang am Rhein entlang einladen, z. B. von hier nach Bonn-Bad Godesberg, und Sie werden bei diesem Niedrigwasserstand sehen, was -- in normalen Wasserstandszeiten unsichtbar - eingeleitet wird.
Allerdings würde dieser Vorschlag beinhalten, daß entgegen der Meinung des Bundesrates bundeseinheitliche Regelungen getroffen werden müssen und daß das im Gesetz erwähnte Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe zentral überwacht, zum mindesten aber nach zentralen Richtlinien durchgeführt wird. Wir hoffen zuversichtlich, daß die Fragen des Wasserhaushalts bald in die volle Kompetenz des Bundes übergeführt werden kann.
Ich darf hier meine Ausführungen kurz zusammenfassen.
Erstens. Die Frage der Wasserverschmutzung sollte im Umweltschutzprogramm einen bedeutenden Rang einnehmen. Umweltschutzmaßnahmen sollten insgesamt in der Präferenzenskala ganz oben stehen.
Zweitens. Bei allen Überlegungen sollte man vorhandenen natürlichen Gegebenheiten den Vorzug geben und ihren Schutz vorrangig betreiben.
Drittens. Der Ausbau einer zentralen Überwachungsinstitution, die auch international gelten muß, ist zwingend notwendig und schnellstens zu verwirklichen. Warum aus dieser Erkenntnis, die wir doch alle haben, nicht gleich die notwendigen Schritte einleiten!
Viertens. In der Kostenfrage werden per Saldo Einsparungen zu erwarten sein. Die Verwaltungskosten werden vorübergehend ansteigen; aber die strukturellen Umwandlungsausgaben - im Sinne der Veränderungssperre und der Folgekosten - werden wegen der Umstrukturierung der vorrangigen Aufgaben gemindert werden. Außerdem fällt als Kuppelprodukt der Überwachung potentieller Verschmutzung durch die Institution, die ich vorhin zwingend forderte, deren Regreßpflicht nach dem Verursacherprinzip an.
Fünftens. Es müßte unbedingt noch überdacht werden, wie man mangelnde Koordination verschiedener Pläne und deren Kollision - ich meine z. B. das Problem der Kernkraftwerke und ihrer Kühlung - verhindern kann.
Ich bin mir im klaren - damit lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren -, daß diese meine Ausführungen zur vierten Novelle kursorischen Charakter haben, da diese Diskussion leider noch in den Kinderschuhen steckt und noch nicht alle Probleme erkannt und richtig eingruppiert worden sind.
Ich möchte schließlich beantragen, daß der Entwurf dieser vierten Novelle nicht nur im Innenausschuß, sondern auch im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - behandelt wird.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wittmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage der vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz. Sie ist ein weiterer wichtiger Schritt zum Schutze der Gewässer gegen die Verunreinigung. Gerade die vom Innenausschuß des Deutschen Bundestages abgehaltene öffentliche Anhörung zum Thema Wasserhaushalt hat sehr deutlich gezeigt, daß die Bestimmungen des Wasserhaushaltsgesetzes nicht mehr ausreichen, um mit dem vielfältigen Problem fertig zu werden. Die vierte Novelle ist nur ein erster kleiner Schritt für einen Teilbereich des Gewässerschutzes; er wird in der bereits angekündigten fünften Novelle eine wesentliche Ergänzung finden.
Ich möchte nicht auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen. Die Probleme sind in der Umweltdebatte hier schon wiederholt angesprochen worden. Aber die Diskussion im Bundesrat hat deutlich gemacht, daß selbst kleine Schritte des Bundes an der fehlenden Gesetzgebungskompetenz scheitern könnten. Ich freue mich außerordentlich, daß Herr Dr. Hammans als Vertreter der CDU/CSU-Fraktion die Notwendigkeit der Bundeskompetenz für das Wasserrecht und damit einer Änderung des Grundgesetzes bejaht hat.
({0})
Das Wasser hat die Eigenheit, nicht vor den Landesgrenzen haltzumachen. Es sucht sich den von der Natur vorgeschriebenen Weg. Der Gewässerschutz muß daher in allen Ländern nach gleichen gesetzlichen Regeln, nach gleicher Verwaltungspraxis ausgeübt werden. Wenn das nicht geschieht, werden die gewerblichen Betriebe, die immer noch zu einem erheblichen Teil für die Verschmutzung unserer Gewässer verantwortlich sind, in die Länder gehen, in denen ihnen die geringsten Auflagen gemacht werden. Die Industrie wird die ihr eingeräumten Vor9406
Wittmann ({1})
teile dort wahrnehmen. Man kann und darf derartigen Betrieben gegenüber ihrer Konkurrenz keinen Kostenvorsprung einräumen. Das sind wir den Betrieben schuldig, die unter großem finanziellen Aufwand ihren Anteil zum Umweltschutz leisten.
({2})
Diese Bemerkungen gelten nicht nur für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland, sondern haben auch eine große Bedeutung im europäischen Raum. Wenn wir in Europa zu einheitlichen Maßstäben kommen wollen, dürfen wir im eigenen Land nicht von Landesgrenze zu Landesgrenze unterschiedliche Bestimmungen haben.
({3}) : Sehr richtig!)
Meine Damen und Herren, dem Gesetzentwurf ist ein ausführlicher Katalog wassergefährdender Stoffe beigefügt, der uns deutlich machen sollte, von welcher Unzahl von Stoffen unser Wasser und damit unsere Gesundheit bedroht ist. Ich glaube, daß gerade die Vorarbeiten, die der Innenausschuß geleistet hat, uns helfen werden, bei der Gesetzgebungsarbeit schnell zum Abschluß zu kommen.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Herr Kollege Hammans, ist Ihr Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung ein zusätzlicher Antrag? - Dann muß darüber entschieden werden.
({0})
- Ja, ja, Frau Kollegin, das werde ich dann schon feststellen. Ich muß nur zunächst über den Antrag formell abstimmen lassen.
Meine Damen und Herren, die Überweisung an den Innenausschuß ist unbestritten. Das ist so beschlossen. Wer ist für Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit? - Gegenprobe! - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe nunmehr die Punkte 6 bis 11, 14 sowie den Zusatzpunkt auf. Es handelt sich dabei um von Mitgliedern des Hauses und von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe.
Punkt 6:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge ({1})
- Drucksache VI/2868 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß federführend, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen, Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mitberatend. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Punkt 7:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Februar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die deutsche Gerichtsbarkeit für die Verfolgung bestimmter Verbrechen
- Drucksache VI/2434 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß federführend, Auswärtiger Ausschuß mitberatend. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Punkt 8:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Erhard ({2}), Dr. Lenz ({3}), Vogel und der Fraktion der CDU /CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesgesetzes zur Einführung einer Altersgrenze für Notare
- Drucksache VI/2936 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Punkt 9:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. März 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit
- Drucksache VI/2977 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Punkt 10:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Juni 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Gewährung von Abgabenfreiheit für Fernmeldeanlagen im Grenzgebiet
- Drucksache VI/2982 Entgegen dem in der Tagesordnung abgedruckten Überweisungsvorschlag des Ältestenrates soll hier der Finanzausschuß federführend werden. Der Wirtschaftsausschuß verzichtet, wie mir mitgeteilt worden ist, auf eine Mitberatung. Das Haus ist mit der vorgeschlagenen Überweisung einverstanden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Punkt 11:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzprotokoll für die Übergangsphase der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei
Finanzprotokoll
Internen Abkommen über das Finanzprotokoll
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Abkommen über die EGKS-Erzeugnisse vom 23. November 1970
- Drucksache V1/2978 überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft federführend, Auswärtiger Ausschuß mitberatend, Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Punkt 14:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes
- Drucksache VI/3017 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten federführend, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mitberatend. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Zusatzpunkt:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verplombung im Durchgangsverkehr von zivilen Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin ({4})
- Drucksache V1/3010 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß federführend, Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen, Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mitberatend, Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({5}) über den Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten einer Verstärkung der zivilen Verteidigung
- Drucksachen V1/386, VI/2949 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner
Abgeordneter Müller ({6})
Die beiden Herren Abgeordneten haben auf eine Ergänzung ihres Schriftlichen Berichts verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! Stimmenthaltungen?
({7})
- Bei einer Gegenstimme so beschlossen. Ich rufe Punkt 16 auf:
Beratung des Weißbuchs 1971/1972 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr - Drucksache VI/2920 Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Verteidigungsausschuß zu überweisen. Keine weiteren Anträge! Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Übersicht 10 des Rechtsausschusses ({8}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache VI/2953 -Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe Punkt 18 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) über die von der Bundesregierung erlassene Einundvierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste
-- Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz Drucksachen VI/2648, V1/2988 Berichterstatter: Abgeordneter Kater
Der Herr Berichterstatter hat auf eine Ergänzung seines Mündlichen Berichts verzichtet. Wenn kein anderslautender Antrag aus dem Hause vorgelegt wird, findet keine Beschlußfassung, sondern nur Kenntnisnahme statt. Ein solcher Antrag wird nicht gestellt. Das Haus nimmt Kenntnis.
Ich rufe Punkt 19 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen aus dem ehemaligen Großen Exerzierplatz in Saarbrücken an die Stadt Saarbrücken und zwei Firmen
Drucksache VI/2981 Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ich sehe und höre keine Änderungswünsche. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({10}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates zur Änderung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften in bezug auf die Tagegelder für Dienstreisen
- Drucksachen V1/2532, V1/2965 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer ({11})
Der Herr Berichterstatter hat keine Ergänzung seines Berichts gewünscht. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Ich danke. Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Fernmeldewesen ({12}) über den von den Abgeordneten Strauß, Lemmrich, Dr. Probst, Dr. Althammer, Dr. Müller-Hermann, Dr. Pohle, Gerlach ({13}), Niegel, Schedl, Mursch ({14}) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Antrag betr. Fortführung der Entwicklungsarbeiten für ein landgebundenes Hochleistungsschnellverkehrssystem
- Drucksachen VI/2494, VI/3006 -Berichterstatter: Abgeordneter Wendt
Der Herr Berichterstatter hat auf eine mündliche Ergänzung des Berichts verzichtet. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag des Ausschusses zu stimmt, den bitte ich um das Zeichen. Danke! Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 22 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Dr. Martin, Berger, Dr. Hubrig, Dr. Hermesdorf ({15}) und Genossen und der der Fraktion der CDU/CSU
betr. deutsche Mitarbeiter bei internationalen Organisationen auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung
- Drucksache VI/2954 Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft - federführend - sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Innenausschuß, den Auswärtigen Ausschuß und den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Ich sehe und höre keine weiteren Überweisungsvorschläge. Es sind, was Quantität und Qualität betrifft, auch schon eine ganze Menge von Ausschüssen für den Antrag. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Danke. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind die Punkte, die für die heutige Beratung des Hohen Hauses vorgesehen waren, behandelt worden.
Wir treten nunmehr ein in die Fragestunde
- Drucksache VI/3016 Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Der Herr Abgeordnete Würtz hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 1 und 2 gebeten. - Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Der Herr Abgeordnete Riedel ({16}) hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 3 gebeten. - Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Bundesminister Genscher zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Text der Weisung mitzuteilen, wie der Bundesgrenzschutz und die bayerische Landespolizei bei der Einreise einer SED-Delegation zum DKP-Parteitag ({17}) in Düsseldorf zu verfahren hatte?
Herr Kollege, der zuständige Unterabteilungsleiter des Bundesministeriums des Innern hat der Grenzschutzdirektion in Koblenz eine Weisung etwa folgenden Inhalts gegeben: Die SED-Delegation solle bei der Abfertigung zur Einreise keinerlei Sonderbehandlung erfahren. Die Mitglieder der Delegation seien vielmehr in gleicher Weise abzufertigen wie jeder andere Reisende aus der DDR. Ich bin gerne bereit, Ihnen in den diese Angelegenheit betreffenden Vorgang Einsicht zu geben. Dieser Vorgang, der mit dem Vermerk „VS-Vertraulich, amtlich geheimhalten" gekennzeichnet ist, ist übrigens schon am 17. Januar 1972 dem Vorsitzenden des zuständigen Arbeitskreises Ihrer Fraktion, dem Kollegen Vogel, aus anderem Anlaß zur Kenntnis gebracht worden.
Um aber in der Öffentlichkeit jeden Zweifel auszuschließen, darf ich hinzufügen, daß die Angehörigen der SED-Delegation in der üblichen Weise durch Vorweisen von Reisepässen identifiziert worden sind. Alle aus den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit der Einreise der Delegation und ihrer Teilnahme an dem DKP-Parteitag gebotenen Vorkehrungen waren nach Auskunft der zuständigen Stellen getroffen.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, lagen Gründen bzw. Erkenntnisse vor, deretwegen man von einer üblichen Weisung, die ja bestand, abgewichen ist und eine neue Weisung gegeben hat?
Herr Kollege, die von mir dem Sinne nach zitierte, telefonisch gegebene Weisung des zuständigen Unterabteilungsleiters hatte nach den mir gegebenen Erklärungen das Ziel, hier nicht etwa eine Sonderbehandlung im Sinne der Bevorzugung durchzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie ist es dann zu erklären, daß diese Weisung auch an die bayerische Grenzpolizei gegangen ist, obwohl dort der Übergang für diese Delegation nicht vorgesehen war.
Herr Kollege, Weisungen dieser Art bei zu erwartenden Grenzüberschreitungen gehen generell an alle mit grenzpolizeilichen Aufgaben betrauten Stellen. Da in Bayern zusätzlich zum Bundesgrenzschutz noch eine Grenzpolizei des Landes besteht, ging sie auch
dorthin, weil es ja sehr wohl denkbar gewesen wäre, daß die Delegation im ganzen oder einzelne ihrer Mitglieder einen anderen als den vorgesehenen Einreiseweg gewählt hätten. Sie wollen aus dieser Mitteilung an alle für die Grenzüberwachung zuständigen Dienststellen entnehmen, wie sorgfältig sich die zuständigen Stellen auch dieser Frage gewidmet haben.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
ist der Bundesregierung bekannt, daß neben Albert Norden, Mitglied des SED-Politbüros, auch Heinz Gegel, Abteilungsleiter im SED-Zentralkomitee, in dem Sonderwagen zum DKP-Parteitag miteingereist ist und daß beide in den genannten Gremien die Hauptverantwortlichen sind fur die subversive Arbeit gegen die Bundesrepublik Deutschland?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß am 24. November 1971 u. a. Albert Norden, Mitglied des Politbüros und des Sekretariats des Zentralkomitees der SED, und Heinz Gegel, Leiter der Westabteilung des Zentralkomitees der SED, zur Teilnahme am DKP-Parteitag in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Der Bundesregierung ist auch bekannt, daß beide seit langem in der gegen die Bundesrepublik gerichteten sogenannten Westarbeit der SED eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Was Inhalt dieser Westarbeit ist, hat die Bundesregierung zuletzt in den von ihr veröffentlichten Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz im einzelnen dargelegt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, können Sie mir mitteilen, wieviel Personen dieser Delegation angehört haben?
Herr Kollege, wenn Sie mir die Möglichkeit geben, in der Akte nachzuschauen, werde ich es vielleicht finden. - Aber Sie werden es nachher aus der Akte, wenn ich sie Ihnen zeige, auch ersehen. Ich glaube, es waren 17 Personen. Aber bitte, legen Sie mich jetzt auf die Zahl nicht fest.
({0})
Der Herr Abgeordnete Büchner hat um schriftliche Beantwortung der von ihm gestellten Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Schirmer auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die vom Deutschen Sportbund angestrebten strukturellen Änderungen zu fördern und fachliche wie finanzielle Hilfen für den Aufbau einer „Führungs- und Verwaltungsschule des Sports" zu gewähren?
Die Förderung des Deutschen Sportbundes, dessen Arbeit. in ganz erheblichem Maße im öffentlichen Interesse liegt, stellt im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes im Bereich des Sports einen wesentlichen Gesichtspunkt der Sportpolitik der Bundesregierung dar. In meinem Bericht an den Deutschen Bundestag vom 28. August 1970 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Förderung des deutschen Sports die Bestrebungen des Deutschen Sportbundes besonders unterstützt, die der Verbesserung der Führungs- und Verwaltungsstruktur sowie der Organisations- und Planungsmethoden im sportfachlichen Bereich dienen. Das vom Deutschen Sportbund in Frankfurt erbaute „Haus des Sports" dient diesem Zweck. Es wurde daher zum größten Teil mit Förderungsmitteln des Bundes errichtet.
Die Bundesregierung wird die Frage der fachlichen und finanziellen Förderung einer „Führungs-
und Verwaltungsschule des Sports" selbstverständlich eingehend prüfen. Die Bundesregierung hat sich mit diesem Projekt bislang nicht näher befaßt, da ihr weder ein Förderungsantrag vorliegt, noch das Konzept des DSB oder Einzelheiten über das Bauvorhaben bekannt sind. Zu der Frage nach der finanziellen Förderung dieses Vorhabens des DSB kann ich daher im Augenblick nur sagen, daß entsprechende Mittel nicht in die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung eingestellt wurden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schirmer.
Herr Bundesminister, es sind Beschlüsse des Deutschen Sportbundes bekanntgeworden und auch in der Presse veröffentlicht worden, aus denen erkennbar wird, daß offenbar nicht daran gedacht ist, eine solche Institution mit den von der Bundesregierung geförderten Bundesleistungszentren zu verbinden, die erkennbar - auch nach Ihren Berichten - nicht überall voll ausgelastet sind. Sie teilen wahrscheinlich meine Auffassung, Herr Minister, daß hier eine Verbindung angestrebt werden sollte, um zu vermeiden, daß Bundesmittel nicht voll genutzt werden.
Ich teile Ihre Meinung in vollem Umfang.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Schirmer auf:
Wird die Bundesregierung bemüht sein, Einvernehmen mit dein Deutschen Sportbund herzustellen, um die neu zu schaffende Schule räumlich möglichst mit bestehenden Einrichtungen fur die Sportförderung zu verbinden ({0}) und Berlin als Standort für die mehrmonatigen Ausbildungslehrgänge zu berücksichtigen?
Herr Kollege Schirmer, wir haben die Absicht, über dieses Problem bei dem nächsten Zusammentreffen mit dem DSB zu sprechen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 10 und 11 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Cramer auf:
Gedenkt die Bundesregierung, dem Deutschen Bundestag eine Erhöhung der Sätze der Kriegsschadensrente ({0}) vorzuschlagen, damit Linterhaltshilfeempfänger nicht mehr auf Leistungen aus der Sozialhilfe angewiesen sind?
Die Bundesregierung hat bereits in dem Entwurf eines Vierten Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes eine Erhöhung der Sätze der Unterhaltshilfe vorgeschlagen. Der Bundesrat, der sich mit diesem Entwurf im ersten Durchgang befaßt hat, hat in einer hierzu gefaßten Entschließung die Meinung vertreten, die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Erhöhungen reichten nicht aus, um sicherzustellen, daß die Unterhaltshilfeempfänger nicht zusätzlich auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen blieben. Ich darf in diesem Zusammenhang, statt hier auf Einzelheiten einzugehen und umfangreiche Berechnungen anzustellen, auf die Bundesratsdrucksachen 564/71 und 564/71 ({0}) verweisen. Die Bundesregierung wird sich in ihrer Gegenäußerung mit dem grundsätzlichen Problem der vom Bundesrat angestellten Vergleichsberechnungen und auch mit der Frage befassen, ob etwa eine zusätzliche Anhebung der Unterhaltshilfesätze für Geschädigte, die über keine sonstigen Einkünfte verfügen, angezeigt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Cramer.
Herr Bundesminister, denken Sie auch daran, daß unter Umständen die allgemeinen Sozialhilfesätze - meinetwegen am 1. Juni 1972 - erhöht werden und daß dann die Unterhaltshilfesätze wieder überholt sind?
Die Bundesregierung sieht dieses Problem und wird das in ihre Betrachtungen einbeziehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Evers auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Trifft es zu, daß eine neue Abgasreinigungsvorrichtung, die den staatlichen Vorschriften in aller Welt entsprechen soll, von der Technischen Universität in Kopenhagen vorgestellt worden ist?
Die Technische Universität Kopenhagen hat in Zusammenarbeit mit der Firma Kosangas International Untersuchungen mit einer Abgasreinigungseinrichtung durchgeführt, deren Ergebnis vor einigen Tagen veröffentlicht worden ist. Die Bundesregierung wird auch dieser Abgaseinrichtung besondere Beachtung schenken. Die Ergebnisse der bisher in der Bundesrepublik durchgeführten Untersuchungen von Abgasreinigungsgeräten in- und ausländischer Produktion lassen es jedoch geraten erscheinen, die an solche Vorrichtungen geknüpften hohen Erwartungen, den staatlichen Vorschriften in aller Welt zu entsprechen, mit Zurückhaltung aufzunehmen.
Eine Zusatzfrage? - - Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Bundesminister, besteht die Möglichkeit, bei Gelegenheit nähere Informationen zu bekommen, wenn die Bundesregierung diese eingeholt haben wird?
Jawohl, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Trifft es außerdem zu, daß diese neue Vorrichtung unter anderem 50 % der Bleizusätze unwirksam machen und sich nicht auf den Benzinverbrauch auswirken soll?
Diese neue Vorrichtung soll angeblich unter anderem etwa 50 % der Zusätze eines mit 0,75 g je Liter verbleiten Kraftstoffes beseitigen und den Kraftstoffverbrauch nicht erhöhen. Ob diese Daten als zutreffend anzusehen sind, bedarf sorgfältiger weiterer Prüfung.
Die Untersuchung der Emissionsverminderung von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen ist nach einem amerikanischen Prüfverfahren nur bei gleichbleibender Geschwindigkeit mit nur einem Motor durchgeführt worden. Sie läßt deshalb noch keine Schlußfolgerung darauf zu, ob und gegebenenfalls in welchem Maße die Emission von Kraftfahrzeugen im praktischen Fahrbetrieb mit dieser Vorrichtung herabgesetzt werden kann.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, darf ich auch hier darum bitten, daß dann, wenn Ihnen Einzelheiten vorliegen, diese mitgeteilt werden?
Ich sage das zu, Herr Kollege.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 17 des Abgeordneten Höcherl wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Fragen 18 und 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Streichung der Grundunterstützung für den Deutschen Schriftstellerverband im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den deutschen Schriftstellern?
Ist die Bundesregierung bereit, die Entscheidung zu revidieren, oder will sie mit der ersatzweise geplanten Einzelbewilligung eine verstärkte Kontrolle im Hinblick auf von der Bundesregierung nicht gewünschte Kontakte ausüben?
Von der Streichung von Subventionen für den Verband deutscher Schriftsteller kann keine Rede sein. Die 40 000 DM, die der VS im vergangenen Jahr erhalten hat, sind für solche Ausgabengruppen des Wirtschaftsplans des VS bewilligt worden, die seine kulturelle Aufgabenstellung betrafen. Dabei ist im Hinblick auf die notwendigen Formalitäten großzügig verfahren worden, um den Arbeitsbeginn des neu konstituierten Verbandes zu erleichtern. Für 1972 hat der Bundesminister des Innern für den VS eine Zuwendung in gleicher Höhe und für den gleichen Zweck vorgesehen. An den Beziehungen zwischen Bundesregierung und VS braucht sich also nichts zu ändern.
Damit, Herr Minister, sind im Grunde beide Fragen beantwortet. - Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Versteht die Bundesregierung unter denn Begriff der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" eines anderen Staates nicht nur den Verzicht auf offizielle staatliche Maßnahmen, sondern auch den Verzicht auf illegale Aktivitäten wie Infiltration, Zersetzung, Subversion und „Agentenaufklärung" ({0}), die von kommunistischen Parteien und ihren Hilfsorganisationen ({1}) zum Zweck der „friedlichen" Bekämpfung der Gesellschafts- und Staatsordnung des Vertragspartners im Sinne des revolutionären Klassenkampfes betrieben werden?
Die Verpflichtung zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ergibt sich aus dem Völkerrecht. Das Verbot der Einmischung oder Intervention beschränkt sich nicht darauf, die Anwendung staatlicher Machtmittel gegen einen anderen Staat zu untersagen. Es wird auch dann verletzt, wenn ein Staat Aktionen in einem anderen Staat, die auf einen Umsturz der staatlichen Ordnung oder den verfassungswidrigen Sturz der Regierung gerichtet sind, unterstützt. Bekundungen von Sympathie für Bestrebungen und Kräfte, die auf die Veränderung der Staats- und Gesellschaftsordnung eines Staates ausgehen, stellen nach der Völkerrechtslehre und den in der Staatenpraxis herrschenden Anschauungen noch keine Intervention dar. Die Beschaffung von Nachrichten in einem fremden Staat, auch wenn sie im geheimen betrieben wird, wird vom Interventionsverbot nicht erfaßt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, ist der Regierung das Strukturschema jeder kommunistischen Partei bekannt, daß sie nämlich einen legalen Apparat als Oberbau hat, der für die Öffentlichkeit sichtbar arbeitet, und andererseits einen illegalen Untergrundapparat für Infiltration, Ausspähung und Zersetzung?
Herr Abgeordneter, das ist ein Problem, mit dem sich nicht nur die Bundesregierung auseinanderzusetzen hat, sondern alle Regierungen nichtkommunistischer Staaten.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Artikel in der „Prawda" vom 13. Januar 1972, in dem ausgeführt ist, daß es an der ideologischen Front keine Ruhepause geben könne, daß der Kampf der Ideen, der Kampf der beiden Systeme weitergehe und dieser auf allen Gebieten, dem militärischen, dem wirtschaftlichen, dem politischen und dem ideologischen Gebiet, weiter fortgeführt werden würde?
Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Frage nicht in dem geforderten Sachzusammenhang mit der ursprünglich von Ihnen eingereichten Frage steht. Ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu. Weitere Zusatzfragen werden aus dem Hause nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen über die Ostverträge dafür Sorge getragen, daß auch ihre Vertragspartner auf die Praxis einer „Politik des doppelten Bodens", d. h. auch auf die nicht-staatliche Einmischung in die inneren Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland, verbindlich verzichten?
Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung tritt überall einer Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten entgegen, wo sie es für geboten hält. Das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten ist allerdings nicht Gegenstand der Ostverträge. Es handelt sich jedoch um einen allgemein akzeptierten Grundsatz des Völkerrechts, der sich aus der Souveränität der Staaten ergibt. Für die Bundesregierung - ich betone das noch einmal - ist es selbstverständlich, daß sie sich gegen alle unzulässigen Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland verwahren wird - wie jede andere Regierung und jeder andere Staat auch, die auf Souveränität Wert legen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, würden Sie mir zustimmen, daß im Hinblick auf
die ideologische Zielsetzung des Kommunismus, die Sie in Ihren ersten Ausführungen auch unterstrichen haben, eine solche Regelung wünschenswert gewesen wäre?
Herr Kollege, Sie werden mir zugeben, daß Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion sicher nicht die ideologischen Zielsetzungen des anderen Staates sind und sein können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Jobst.
Herr Bundesminister, ist eine solche Regelung deshalb unterblieben, weil der Begriff „Nichteinmischung" im Text der Ostverträge interessanterweise überhaupt fehlt?
Nein, Herr Kollege, eine solche Schlußfolgerung ist nicht zulässig. Es ist mir allerdings auch nicht bekannt, daß frühere Regierungen Verhandlungen mit der Sowjetunion über diese Frage geführt hätten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dr. Gatzen auf:
Wann wird die Bundesregierung das im Carl-Heymanns-Verlag erschienene Buch „Das Informationsbankensystem der Bundesregierung" zur Auslieferung freigeben?
Der Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Datenbanksystem" mit dem Titel „Das Informationsbankensystem" ist am 11. Januar 1972 vom Kabinettausschuß für die Reform der Struktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung zur Veröffentlichung freigegeben worden. Es wird in einigen Tagen veröffentlicht werden. Es ist dafür Sorge getragen, daß auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein Exemplar erhalten.
Es handelt sich übrigens nicht um ein Informationsbankensystem der Bundesregierung, sondern um den Vorschlag für ein allgemeines, also auch nichtstaatlichen Stellen zur Verfügung stehendes Informationsverbundsystem. Der Bericht soll als Diskussionsanstoß für die beteiligten Fachkreise dienen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gatzen.
Herr Minister, welche Gründe waren dafür maßgebend, daß diese Schrift, die ja schon seit Juni 1971 fertiggestellt war, so lange zurückgehalten worden ist?
Vor der Veröffentlichung sind darüber noch einige Abstimmungsgespräche geführt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, können Sie jetzt einen Termin nennen, zu dem die Abgeordneten des Deutschen Bundestages möglicherweise in den Besitz dieser Schrift kommen können?
Ich sprach davon, daß der Bericht in einigen Tagen veröffentlicht wird. Ich gehe davon aus, daß eine ausreichende Zahl von Exemplaren vorliegt, so daß - gedeckt durch den Begriff „in einigen Tagen" - auch die Unterrichtung des Deutschen Bundestages erfolgen kann.
Meine Damen und Herren, die nächste Frage wird von Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ({0}) gestellt. Er hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
({1})
- Entschuldigen Sie, es handelt sich um die Fragen 87 und 98, die aus anderen Ressorts übernommen worden sind. Ich bitte um Nachsicht, daß ich es nicht ausdrücklich gesagt habe.
({2})
- Herr Kollege Wehner, ich freue mich über dieses große Interesse. Sie dürfen sicher sein, daß ich das hier natürlich gern entsprechend erläutere. Es handelte sich zuletzt um die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann, die im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts untergebracht war.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern abgeschlossen. Herr Minister, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Wir kommen zunächst zur Frage 43 der Frau Abgeordneten Lauterbach:
Sind der Bundesregierung Meldungen bekannt, und inwieweit treffen sie zu, daß private Versicherungsverbände Eltern schulpflichtiger Kinder zu einer freiwilligen Zusatzversicherung auf dem Weg über die Schulleitung auffordern, weil das am 1. April 1971 in Kraft getretene Gesetz zur Unfallversicherung für Kinder in Kindergarten, Schüler und Studenten den Unfallschutz dieses Personenkreises nicht ausreichend gewährleiste?
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Rohde zur Verfügung. Herr Staatssekretär!
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, ich würde gern die Fragen 43 und 44 gemeinsam beantworten.
Die Frau Kollegin ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 44 der Frau Abgeordneten Lauterbach auf:
Treffen Meldungen der gleichen privaten Versicherungsverbände zu, daß z. B. Schüler nicht unter diesem gesetzlichen Unfallschutz stehen, wenn sie auf dem Schulweg zum Erwerb von Schulmaterialien einen dafür notwendigen Umweg machen müssen ({0})?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soizalordnung: Die von Ihnen, Frau Kollegin, angesprochene Werbeaktion privater Versicherungsgesellschaften ist uns bekannt. Dabei wird in der Regel eine Versicherung für Bereiche angeboten, die von der gesetzlichen Unfallversicherung nicht erfaßt werden. Ohne hier darauf eingehen zu können, ob und inwieweit sich für Schüler der Abschluß einer privaten Zusatzversicherung gegen Wagnisfälle im außerschulischen Freizeitbereich als nützlich oder wünschenswert erweist, möchte ich aus Anlaß Ihrer Frage doch folgendes klarstellen. Durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom März 1971 sind die Schüler allgemeinbildender Schulen voll in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen worden. Dieser Schutz erstreckt sich auf die Teilnahme am Unterricht - einschließlich der Pausen - und an Schulveranstaltungen sowie auf den Hin- und Rückweg. Insoweit besteht er analog der Unfallversicherung aller Arbeitnehmer gegen Arbeitsunfall lückenlos. Dies gilt auch für die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, die erheblich über die früher in diesem Bereich von privaten Versicherungseinrichtungen erbrachten Leistungen hinausgehen, und zwar sowohl in bezug auf die Barleistungen als auch im Hinblick auf die Heilbehandlung und berufliche Rehabilitation der gesetzlichen Unfallversicherung.
Auf Ihre zweite Frage kann ich Ihnen, da die rechtsverbindliche Entscheidung von Einzelfällen den Gerichten obliegt, nur allgemein antworten. Die gesetzliche Unfallversicherung deckt bei Schulkindern alle Unfallrisiken ab, die mit dem Besuch der Bildungseinrichtung in ursächlichem Zusammenhang stehen. Umwege, die im Verhältnis zur gesamten Wegstrecke als geringfügig bezeichnet werden können oder die aus verkehrstechnischen Gründen gemacht werden, schließen den Versicherungsschutz auf dem Wege nicht aus. Dagegen wird der Versicherungsschutz auch auf Wegen für die Dauer der Verrichtung eigenwirtschaftlicher Tätigkeiten unterbrochen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete?
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig dahin gehend verstanden, daß Sie damit den Versicherungsschutz für den von mir geschilderten Wegeunfall bejahen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, Frau Kollegin, und zwar für den Unfall auf dem Wege zur Schule unter der Voraussetzung, daß es sich nicht um einen unverhältnismäßig großen Umweg handelt. Für das Betreten eines Geschäftshauses zum Einkauf von Schulmaterial kommt es jedoch auf den Einzelfall an. Eine generelle Beurteilung der von Ihnen aufgeworfenen Frage ist daher nicht möglich und bleibt, wie ich unterstrichen habe, im Einzelfall den Gerichten überlassen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie abschließend fragen: Billigt die Bundesregierung solche Werbeaktionen der privaten Versicherungsträger?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Grundsätzlich können Bedenken gegen solche Werbung nicht erhoben werden, Frau Kollegin. Es wäre nun Sache der Schulaufsicht, zu prüfen, inwieweit an den Schulen für eine private Versicherung geworben werden darf und die Schulen das Inkasso für solche Versicherungen übernehmen können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Heyen auf:
Findet in der Bundesrepublik Deutschland - wenn ja, in welcher Form - eine regelmäßige Überprüfung von Wohnungen und Unterkünften von Gastarbeitern auf die Einhaltung von Minimalanforderungen an menschenwürdiges Wohnen statt?
Herr Staatssekretär!
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, Sie wissen, daß eine regelmäßige Überprüfung von Wohnungen und Unterkünften in der Bundesrepublik weder bei Deutschen noch bei Ausländern stattfindet. Kontrolliert wird jedoch im Einzelfall, ob aus gesundheits-, ordnungs- oder polizeirechtlichen Gründen Wohnungen beanstandet werden müssen.
Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Arbeit Einwirkungsmöglichkeiten bei Unterkünften für ausländische Arbeitnehmer. Sie beziehen sich auf jene Arbeitnehmer, die von ihren Dienststellen angeworben werden. Die Bundesanstalt prüft bereits vor der Vermittlung die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Unterkünfte, die in der Folgezeit auch weiterhin, in der Regel zweimal jährlich, kontrolliert werden. Die Beurteilung richtet sich dabei nach den neuen Richtlinien für die Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 1. April 1971.
Die Bundesregierung ist außerdem bemüht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit durch gezielte gesetzliche Maßnahmen, die auch den ausländischen Ar9414
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
beitnehmern zugute kommen sollen, Wohnungsmißständen entgegenzutreten. So ist als Ergänzung des Städtebauförderungsgesetzes eine bundeseinheitliche Regelung für die Erhaltung des Wohnungsbestandes vorgesehen, mit der zugleich Wohnungsmißständen infolge mangelhafter Instandhaltung oder Überlegung von Wohnräumen begegnet werden soll.
Darüber hinaus wird im Bundesarbeitsministerium im Rahmen des Arbeitsschutzes eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von solchen Unterkünften vorbereitet, die vom Arbeitgeber seinen Beschäftigten zur Verfügung gestellt werden.
Um der besonderen Situation der ausländischen Arbeitnehmer im übrigen besser gerecht zu werden, ist auf Initiative der Bundesregierung und mit Unterstützung der Bundesanstalt die Arbeit auf Ortsebene intensiviert worden. Über hundert Koordinierungskreise haben sich inzwischen in Städten und Gemeinden gebildet. Sie sollen sich insbesondere auch des Wohnungsproblems im lokalen Bereich annehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyen.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung einen Überblick darüber, in welchem Ausmaß nach den Feststellungen der zuständigen Behörden gegen die am 1. April 1971 in Kraft getretenen Richtlinien für Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik verstoßen wurde und in welchem Ausmaß gegen solche Verstöße der Weg des Verwaltungszwangs beschritten werden mußte?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ein Überblick über etwaige Verstöße gegen die Richtlinien vom April 1971 besteht zur Zeit noch nicht, Herr Kollege, da die Richtlinien eine Übergangsvorschrift von einem Jahr enthalten, um den Arbeitgebern Gelegenheit zu geben, die bestehenden Unterkünfte den neuen Anforderungen anzupassen. Diese Frist endet am 1. April 1972. Damit ist an sich auch Ihre Frage nach dem Verwaltungszwang beantwortet.
Ich übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die Richtlinien mit rechtlichem Zwang nicht durchsetzbar sind. Wie ich Ihnen jedoch eingangs schon in meiner Hauptantwort mitteilte, wird die rechtliche Grundlage für die Überwachung der Unterkünfte im Rahmen des Arbeitsschutzes zur Zeit in unserem Hause vorbereitet. Die Dienststellen der Bundesanstalt sind angewiesen, Vermittlungsaufträge nur durchzuführen, wenn die Unterkünfte den Richtlinien entsprechen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyen.
Herr Staatssekretär, sind die für die Kontrolle der Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer zuständigen Behörden auf Grund ihrer Personalsituation überhaupt in der Lage, die Einhaltung
der von Ihrem Ministerium erlassenen Richtlinien zu überprüfen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Sie haben in der Tat eine wichtige Frage aufgeworfen. Erfahrungen in einzelnen Ländern haben jedenfalls gezeigt, daß auch personelle Engpässe der zuständigen Behörden eine regelmäßige Kontrolle erschweren können. Wir verbinden mit den in Aussicht genommenen neuen, auch gesetzlichen Regelungen, die ich genannt habe, die Erwartung, daß davon auch entsprechende personelle Überlegungen bei den betreffenden Behörden ausgehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß sich die Überprüfung von Unterkünften ausländischer Arbeitnehmer besonders dann schwierig gestaltet, wenn die Arbeitnehmer nach ihrer Erstbeschäftigung in der Bundesrepublik den Arbeitsplatz wechseln?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, Herr Kollege, das ist in einer Reihe von Fällen so gewesen. Das ist auch einer der Anlässe dafür, im Rahmen des Arbeitsschutzes jetzt eine neue gesetzliche Regelung für die Überwachung von Unterkünften vorzulegen.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Weigl auf.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Weigl, ich würde gern die beiden Fragen gemeinsam beantworten, weil sie im Sachzusammenhang stehen.
Herr Abgeordneter Weigl, Sie sind einverstanden. - Dann rufe ich die Fragen 46 und 47 gemeinsam auf:
Wie viele Spätheimkehrer und Schwerbeschädigte gehen heute im Alter von über 60 Lebensjahren und im Alter von über 63 Lebensjahren einer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit nach?
Wie würde sich die vorzeitige Gewährung von Altersruhegeld an alle Spätheimkehrer und Schwerbeschädigten bei Erreichung des 60. bzw. 63. Lebensjahrs unter Zugrundelegung der jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen für die Erfüllung einer Anwartschaft auf Altersruhegeld auf die Finanzsituation der Rentenversicherungsträger in den kommenden 15 Jahren auswirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Die Zahl der Schwerbeschädigten und Spätheimkehrer, die im Alter von über 60 bzw. 63 Lebensjahren einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, kann zur Zeit nicht genau angegeben werden. Die Ermittlung dieser Zahlen macht Erhebungen
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
notwendig, die frühestens im nächsten Mikrozensus durchgeführt werden können.
Die finanzielle Mehrbelastung der gesetzlichen Rentenversicherung durch eine Herabsetzung der Altersgrenze allein für Schwerbeschädigte und Spätheimkehrer konnte in der Kürze der für die Beantwortung der Frage zur Verfügung stehenden Zeit nicht festgestellt werden. Von der Bundesregierung sind jedoch bereits bei den Vorarbeiten zum Entwurf des Rentenreformgesetzes die Kosten einer Herabsetzung der Altersgrenze für Schwerbeschädigte, Spätheimkehrer und politisch Verfolgte einschließlich der Zonenhäftlinge auf das 60. Lebensjahr geschätzt worden. Sie wurden bis 1985 auf rund 50 Milliarden DM geschätzt.
Schätzungen über die Mehraufwendungen bei einer Herabsetzung der Altersgrenze auf das 63. Lebensjahr sind für diesen Personenkreis nicht gesondert angestellt worden. Sie sind bereits insgesamt in den Kosten der Einführung einer flexiblen Altersgrenze insoweit enthalten, als dieser Personenkreis die im Rentenreformgesetz enthaltenen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze erfüllt.
Wenn man berücksichtigt, daß eine Herabsetzung der Altersgrenze allein für Schwerbeschädigte und Spätheimkehrer in der öffentlichen Diskussion das Verlangen nach sich ziehen wird, eine solche Regelung auf weitere Personengruppen wie etwa alle Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrentner zu erstrekken, würden die genannten finanziellen Mehraufwendungen noch um erhebliche Beträge ansteigen.
Im Laufe der kommenden Ausschußberatungen des Rentenreformgesetzes wird Gelegenheit sein, die finanziellen Auswirkungen, die sich aus Ihren Fragen ergeben, und die damit zusammenhängenden weiteren Probleme im einzelnen zu erörtern.
Zusatzfrage!
Würden Sie, Herr Staatssekretär, bei Ihren Ermittlungen auch feststellen lassen, wie viele Spätheimkehrer und Schwerbeschädigte keine 35 Versicherungsjahre erreichen werden, also möglicherweise in Zukunft auch kein Altersruhegeld nach Erreichung des 63. Lebensjahres erhalten können?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich werde veranlassen, Herr Kollege, daß von unserem Hause in den Gesprächen mit den zuständigen Stellen dieser Frage nachgegangen wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weigl.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die von mir genannten Personenkreise eine ungewöhnlich schwere Benachteiligung in ihrem Leben erlitten haben, so daß andere
Personengruppen sich kaum auf eine Bevorzugung dieses Personenkreises berufen könnten?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege! Diese Frage ist bereits Gegenstand der Sachverständigenanhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages gewesen und wird diesen Ausschuß auch in den weiteren Beratungen mit allen damit zusammenhängenden Problemen beschäftigen. Aber auch diese Sachverständigenanhörungen haben schon gewisse Abgrenzungsschwierigkeiten deutlich gemacht. Ich kann sicherlich in Übereinstimmung mit Ihnen davon ausgehen, daß es sich hier um einen Problemkreis handelt, der im Rahmen der Fragestunde nicht mit einigen Sätzen abgehandelt werden kann, sondern der der Vertiefung in den Ausschußberatungen bedarf.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weigl.
Herr Staatssekretär! Ich habe eine letzte Zusatzfrage. Wenn Sie schon die Unterlagen zusammenstellen lassen: dürfte ich dann noch die Bitte äußern, daß auch die Frage der Lebenserwartung von Spätheimkehrern und Schwerbeschädigten näher untersucht wird?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Diese Frage werden wir in die Prüfung mit einbeziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung beziehungsweise Ihr Ministerium vor Einbringung des Gesetzentwurfes über die Reform der Rentenversicherung überhaupt mit diesem Personenkreis und mit dem damit verbundenen Problem befaßt? Mit welchem Ergebnis?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, aus vielerlei Anlässen haben wir uns damit befaßt. Sie wissen, daß diese Frage seinerzeit in den Beratungen des Ausschusses für Sozialpolitik eine Rolle gespielt hat, als wir die Leistungen der politisch Verfolgten in der Rentenversicherung weiterentwickelt haben. Aus den Beratungen sind Ihnen ja auch im einzelnen alle Gründe, die dafür und dagegen vorgebracht worden sind, eine Sonderregelung zu treffen, bekannt.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Geisenhofer auf.
Trifft es zu, daß die meisten Rentenversicherungsträger die Ausschlußfrist des Artikels 2 § 44 ({0}) des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes auch dann einwenden, wenn der Versicherte 15 und mehr Versicherungsjahre nachweist und nach § 1249 RVO ah 1. Juli 1965 den Anspruch auf Rente gehabt hatte?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich würde auch in diesem Fall gern beide Fragen zusammen beantworten.
Der Herr Kollege Geisenhofer ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 49 des Abgeordneten Geisenhofer auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zur Beseitigung dieser, für viele rechtsunkundige Versicherte bestehenden Härte zu tun, und trifft es zu, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in solchen Fällen stillschweigend auf die Rechtskraft der früher ergangenen Bescheide verzichtet und den Versicherten einen Anspruch auf Rente einräumt?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Die Praxis der Landesversicherungsanstalten in der Anwendung des Artikels 2 § 44 ARVNG ist uns im einzelnen nicht bekannt. Eine Umfrage konnte in der Kürze der zur Beantwortung der Frage zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchgeführt werden. Ihre Annahme hinsichtlich der Verfahrensweise der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte trifft zu. Auch der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vertritt, wie mir mitgeteilt wurde, im Ergebnis die gleiche Auffassung. Es muß daher angenommen werden, daß dem von Ihnen angesprochenen Problem eine größere praktische Bedeutung heute nicht mehr beizumessen ist. Gleichwohl wird unser Haus aber prüfen, wie diese Frage bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit ein für allemal klargestellt werden kann.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer.
Herr Staatssekretär! Darf ich bitten, daß diese Umfrage, die Sie noch nicht vornehmen konnten, doch noch vorgenommen wird?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, das werde ich noch nachholen lassen bei den Landesversicherungsanstalten, bei denen das in dieser kurzen Zeit noch nicht möglich war.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf. - Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird im Sitzungsbericht als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Bayerl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx ({0}) auf:
Welche Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen hält die Bundesregierung für angebracht, um dem sich ausbreitenden Verbrecherunwesen und der steigenden Zahl von räuberischen Erpressungen entgegenzuwirken?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Zur Bekämpfung der Schwerkriminalität stehen ausreichende Strafvorschriften zur Verfügung. Das gilt gerade für die von Ihnen besonders angesprochenen Straftaten der räuberischen Erpressung. Nach § 255 des Strafgesetzbuches wird die räuberische Erpressung, d. h. die durch Gewalt oder die unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangene Erpressung, wie der Raub bestraft. Die für den Raub vorgesehene Regelstrafdrohung ist Freiheitsstrafe zwischen einem und fünfzehn Jahren. Beim schweren Raub, beispielsweise beim Raub mit Waffen oder beim Bandenraub, erhöht sich die für den Regelfall angedrohte Mindeststrafe auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Beim besonders schweren Raub ({1}) ist Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe angedroht. Dieser Strafrahmen reicht aus. Dies gilt um so mehr, als nach der am 19. Dezember 1971 in Kraft getretenen Neufassung des § 239 a des Strafgesetzbuches auch für den von Ihnen angesprochenen speziellen Bereich der Kriminalität lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen ist. Verursacht der Täter durch einen erpresserischen Menschenraub, dessen Voraussetzungen in § 239 a Abs. 1 StBG neu und umfassend geregelt sind, leichtfertig den Tod des Opfers, so ist nach § 239 a Abs. 2 StBG auf lebenslange Freiheitsstrafe oder auf Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren zu erkennen. Gleiches gilt für den neu geschaffenen, ebenfalls am 19. Dezember 1971 in Kraft getretenen Tatbestand der Geiselnahme - § 239 b StGB. Die abschreckende Wirkung der Strafgesetze darf jedoch nicht überschätzt werden. Deshalb beschränkt sich die Bundesregierung bei der Verbrechensbekämpfung auch nicht auf Maßnahmen der Reform des materiellen Rechts. Ein wesentliches Ziel der Bemühungen der Bundesregierung um eine wirkungsvolle Verbrechensbekämpfung liegt vielmehr in der Beschleunigung des Strafverfahrens. Voraussichtlich noch Ende März dieses Jahres wird die Bundesregierung den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vorlegen, der eine Straffung und Beschleunigung der Strafverfahren vorsieht.
Darüber hinaus sind Bund und Länder gleichermaßen bemüht, daß die Strafverfolgungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Polizei in ihrer Leistungsfähigkeit gefördert werden. Der Bundesminister des Innern hat mir hierzu mitgeteilt, daß im Bereich der Polizei, namentlich der Kriminalpolizei, im engen Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern Maßnahmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit durchgeführt und eingeleitet werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Marx.
Herr Staatssekretär, indem ich ausdrücklich für diese Antwort danke, frage ich, ob Sie in ihre Überlegungen auch strafprozessuale Maßnahmen einschließen, z. B. Maßnahmen der Änderung des Haftrechts.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Ganz selbstverständlich, Herr Kollege Marx. Ich habe bereits gesagt, daß wir die Beschleunigungsnovelle zur StPO bereits im März dieses Jahres vorlegen werden mit der Maßgabe, die Strafverfahren zu beschleunigen. Sie wissen, daß der Bundesrat am 17. Dezember 1971 eine Haltrechtsnovelle verabschiedet hat; sie liegt dem Hohen Hause zur Beratung vor. Wir werden uns in diese Beratung selbstverständlich einschalten und die von uns erhobenen Daten in die Beratung einführen, aber auch unsere Vorstellungen hierzu, wohl wissend, daß das Haftrecht nur bedingt tauglich ist, zur Verbrechensbekämpfung wirksam beizutragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich würde gerne noch fragen, ob Sie auch Vorschläge in Ihrem Hause erarbeiten, um das Problem des sogenannten Mengenrabattes zu beseitigen.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Ja, Herr Kollege Marx, wir sind auch dabei, uns zu überlegen, wieweit wir die Regelungen im Bereich der Strafzumessung im Hinblick auf eine Gesamtstrafenbildung reformieren, um den Serienstraftätern noch wirkungsvoller begegnen zu können.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage Nr. 23 des Herrn Abgeordneten Barche auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in Zukunft zu verhindern, daß Femegerichte südkoreanischer Gastarbeiter -gleichgültig aus welchen Gründen oder wegen welcher Vergehen - Todesurteile über ihre Landsleute aussprechen und sie direkt oder indirekt vollstrecken?
Herr Staatssekretär!
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Barche, die Bundesregierung mißbilligt das Ende Dezember 1971 von südkoreanischen Gastarbeitern abgehaltene Femegericht auf das schärfste. Die Teilnehmer an diesem Femegericht haben das ihnen in der Bundesrepublik Deutschland gewährte Gastrecht grob mißbraucht; sie haben sich strafbar gemacht und müssen soweit ihnen eine Beteiligung an dem Femegericht nachgewiesen werden kann - mit ihrer Ausweisung rechnen.
Die Bundesregierung wertet das Femegericht der südkoreanischen Gastarbeiter jedoch als Einzelfall, dem keine symptomatische Bedeutung beigemessen werden sollte. Die Gastarbeiter in der Bundesrepublik wissen, daß sie mit ihrer Ausweisung rechnen müssen, wenn sie sich strafbar machen. Hierauf werden sie insbesondere durch die Ausländerbehörden eindringlich hingewiesen. Es kann davon ausgegangen werden, daß die empfindlichen Strafandrohungen des Strafgesetzbuches, die Ausweisungsandrohungen des Ausländergesetzes und der vorbeugende Einsatz der Polizei in aller Regel ausreichen, Femegerichten nachhaltig entgegenzuwirken.
Der Bundesminister der Justiz ist deshalb in Übereinstimmung mit dem Bundesminister des Innern der Auffassung, daß der diese Anfrage auslösende Vorfall ein Einzelfall ist, der weitere Maßnahmen, durch die sich auch die große Mehrheit der gesetzestreuen Gastarbeiter in der Bundesrepublik diskriminiert sehen könnte, nicht erforderlich macht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß der übereilte Richterbeschluß über sofortigen Abschub des vom Femegericht zum Tode verurteilten Bergmanns in sein Heimatland unter Umständen bewirkt, daß er dort ebenfalls von einem Femegericht zu einem Harakiri oder einem anderen Selbstmord gezwungen wird und dadurch die Bundesrepublik moralisch insgesamt belastet werden könnte?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Ohne mich konkret zu einem Einzelfall äußern zu wollen -
Einen Augenblick, Herr Staatssekretär! Herr Kollege Barche, diese Frage steht nicht in dem in den Regeln der Fragestunde geforderten unmittelbaren Zusammenhang. Aber wenn der Herr Staatssekretär meint, etwas sagen zu sollen, weil ein weiterer Sachzusammenhang gegeben ist, dann überlasse ich ihm das.
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Ich fühle mich dabei selbstverständlich in einer sehr schwierigen Position, da ich in ein schwebendes Verfahren -
Ich schlage vor, Herr Kollege, daß Sie die Frage gegebenenfalls erneut einbringen. Die Angelegenheit ist nämlich nicht so einfach.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob Vorkommnisse der Art, wie in der vorliegenden Frage behandelt, schon des öfteren zu verzeichnen waren?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Der Bundesregierung ist kein Bleichgelagerter Fall bekannt.
Meine Damen und Herren, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet, nachdem Herr Abgeordneter Dr. Arndt ({0}) seine Fragen zurückgezogen hat. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Herr Abgeordneter Kleinert hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Es handelt sich um die Fragen 37 und 38. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Herr Abgeordneter Rollmann hat seine Fragen 39 und 40 zurückgezogen.
Herr Abgeordneter Dr. Beermann hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 41 und 42 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Wittrock zur Verfügung. Herr Staatssekretär Börner hat mich hinsichtlich des Bereichs Post wissen lassen, daß er abgerufen worden ist. Herr Staatssekretär Wittrock hat diesen Bereich freundlicherweise mit übernommen. Das Haus ist damit gerne einverstanden.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 58 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Schmidt ({1}) auf:
Kann die Bundesregierung genaue Angaben über Höhe und Art der Zahl der Eintragungen in das Verkehrszentralregister heim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg für die Jahre 1970 und 1971 machen?
Im Jahre 1970 wurden insgesamt 1,649 Millionen Eintragungen vorgenommen, von denen etwa 1,123 Millionen Bußgeldentscheidungen betrafen. Für das erste Halbjahr 1971 lauten die entsprechenden Zahlen 823 000 bzw. 556 000. Für das zweite Halbjahr liegen noch keine Zahlen vor.
Zusatzfragen werden nicht gestellt. Dann rufe ich die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}) - es ist die Frage 60 - auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Zahl der Eintragungen, die meines Wissens für 1970 über 3 Millionen liegt, dadurch zu reduzieren, daß die Höhe der eintragungspflichtigen Bußgelder von derzeit 20 DM auf etwa 100 DM angehoben wird?
Die Bundesregierung ist nicht bereit, die Grenze der eintragungsfähigen Bußgelder anzuheben. Die gegenwärtige Eintragungsgrenze ist wohlabgewogen; sie ist nach unserer Überzeugung im Hinblick auf
die Verkehrsdisziplin und die Verkehrssicherheit erforderlich. Bei einer Heraufsetzung auf den von Ihnen genannten Betrag von 100 DM würden rund 90 % der bisherigen Bußgeldeintragungen für nach Auffassung der Bundesregierung weitgehend gefährliche und unfallträchtige Verkehrsverstöße entfallen, und zwar für solche Verstöße, die bei wiederholter Begehung Schlüsse auf eine - ich möchte sagen - gefährliche Lässigkeit des betreffenden Verkehrsteilnehmers im Straßenverkehr zulassen und entsprechende behördliche Maßnahmen zum Schutze der übrigen Verkehrsteilnehmer erforderlich machen.
Ich darf noch folgendes erwähnen. Die Bundesregierung hat sich jetzt in ihrer Stellungnahme zu einem Initiativantrag des Bundesrates, der eine Anhebung auf 50 DM für sachdienlich hält, im negativen Sinne geäußert. Es kommt darauf an, einen möglichst umfassenden Überblick zu haben, um auf diese Weise in Fällen beharrlicher Lässigkeit und damit doch einer nicht zu bestreitenden Gefährlichkeit auch durch verkehrserzieherische Maßnahmen einschreiten zu können. Dieser Möglichkeit würde man sich begeben, wenn man das Verkehrszentralregister in Flensburg praktisch liquidierte, was ja der Fall wäre, wenn man Ihrem Vorschlag folgte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Bestrebungen des Bundesrates, die Summe auf 50 DM anzuheben, und bezugnehmend auf Ihre Stellungnahme dazu frage ich Sie: Sind Sie nicht auch der Meinung, daß gerade auf seiten des Bundesrates - also bei den Ländern, die die Polizeihoheit und auch die Bußgeldstellen in ihren Gemeinden haben - bereits ein solches Maß an Erfahrung besteht, daß hier eine positive Diskussion mit dem Bund, in diesem Fall mit der Bundesregierung, möglich ist?
Herr Abgeordneter, ich kann im Moment nicht sagen, wie einheitlich das Urteil seitens der Exekutivbehörden zu diesem Sachverhalt ist. Aber zu dem Sachverhalt - Sie können das aus der Stellungnahme der Bundesregierung entnehmen - ist doch darauf hinzuweisen, daß, wenn man der Bundesratsinitiative folgt, z. B. folgende Tatbestände in Zukunft nicht mehr eintragungspflichtig wären: die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um mehr als 15 km/h und der ungenügende Abstand vom vorausfahrenden Kraftfahrzeug. Gerade bei der Häufigkeit und der Gefährlichkeit von Auffahrunfällen erscheint es sachdienlich, insbesondere die Häufigkeit von Verstößen eines Verkehrsteilnehmers gegen derartige Vorschriften festzustellen. Mir liegt hier noch eine Aufstellung einer ganzen Reihe anderer, vergleichbarer Ordnungswidrigkeiten vor. Es sind ja alles Ordnungswidrigkeiten; das muß man dabei bedenken.
Weiter muß darauf hingewiesen werden - auch diesen Gesichtspunkt möchte ich nicht usntergehen lassen -, daß, wenn man die Eintragungpflichtigkeit in einem so starken Maße streicht, wie Sie, Herr Abgeordneter, es vorsehen, die Tendenz nicht auszuschließen ist, daß einzelne Polizeibehörden -vielleicht auch viele - eigene Register anlegen. Der Sinn des ganzen Unternehmens damals, vor einer ganzen Reihe von Jahren, bestand ja darin, durch dieses zentrale Register Transparenz und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten, wobei zu beachten ist, daß die Häufigkeit der Tilgungen und die Tilgungszeiträume dazu führen, daß es laufend zu einer Bereinigung und zu einer gewissen Entrümpelung - nennen wir es ruhig so - des Registers kommt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 61 des Abgeordneten Seefeld wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. - Herr Abgeordneter Ollesch, ich hatte Sie zu spät gesehen. Ich weiß, daß in diesen Fragen die Bewußtseinslage der Betreffenden immer ein sehr interessanter Beitrag zu dieser Frage der Eintragungen ist.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Besteht eine Weisung des Bundesministers für Verkehr an die nachgeordneten Behörden, bei Autobahnbauvorhaben auch in der Nähe von Wohngebieten Larmschutzmaßnahmen aus Kostengründen regelmäßig nicht vorzusehen?
Herr Abgeordneter, es besteht keine Weisung des Bundesministers für Verkehr, Lärmschutzvorrichtungen bei Autobahnvorhaben aus Kostengründen nicht anzubringen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Dann frage ich, Herr Staatssekretär: Bestehen also auch von seiten des Bundesministeriums für Verkehr keine Einwendungen dagegen, daß solche Maßnahmen getroffen werden, weil sie die Anwohner von erheblichen Belästigungen entlasten, obwohl sie aus Gesundheitsgründen nicht zwingend erforderlich sind?
Herr Abgeordneter, ich möchte in einem so undifferenzierten Sinn mit meiner Antwort nicht verstanden werden. Ich muß darauf hinweisen, daß die Frage der Lärmschutzvorrichtungen und insbesondere auch die Frage, welche Verpflichtungen der Bund als Baulastträger in Zukunft auf sich nehmen soll, noch nicht abschließend entschieden worden sind. Zur Zeit ist es nach der Gesetzesvorlage und auch nach der höchstrichterlich festgestellten Rechtslage so, daß eine Rechtspflicht seitens des Bundes nicht besteht.
Das hat den Bundesminister für Verkehr nicht davon abgehalten, in einer Reihe von Fällen Versuche durchzuführen, um Erkenntnisse über die Tauglichkeit von Einrichtungen zu gewinnen. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß wir der Auffassung sind, daß im Rahmen der planerischen Maßnahmen auf den Lärmschutz zu achten ist, indem z. B. Straßen in Einschnitten geführt werden. In diesem Sinne sollte gewirkt werden. Das liegt im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wenn man eine umfassende Verpflichtung, Lärmschutzvorkehrungen zu treffen, ohne weiteres anerkennen würde, Herr Abgeordneter, kämen wir nach unseren Schätzungen auf eine Kostenlast für Bund, Länder und Gemeinden, die wir auf eine Größenordnung bis zu 130 Milliarden DM beziffern.
({0})
Natürlich ist das keine wissenschaftlich bis zum letzten festgestellte Zahl. Aber ich möchte immerhin die Größenordnung nennen, wobei das größte Maß an Belastungen auf den Bund entfallen würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Verstehe ich Sie richtig, Herr Staatssekretär, daß also die Entscheidung im Einzelfall zu treffen ist und nicht generell die Übung eingehalten werden soll, dort, wo keine Rechtspflicht besteht, auch nichts zu unternehmen?
Es ist so, daß wir keine Rechtspflicht anerkennen, daß wir aber im Rahmen der Planung - und das ist vor allen Dingen Sache der Auftragsverwaltungen - darauf achten, daß ein Maximum an Lärmschutz gewährleistet wird. Das gilt übrigens auch für die Maßnahmen bei der Gestaltung der Randzonen der Straßen, also etwa durch Begrünung und dergleichen. In diesem Sinne bemühen wir uns, aber wir können als Baulastträger keine Rechtspflicht anerkennen, entsprechende Maßnahmen zu unternehmen.
Die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme wird schriftlich beantwortet; der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Der Abgeordnete Dr. Schwörer hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 64 und 65 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Riedel ({0}) wird schriftlich beantwortet; der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Wagner ({1}) auf:
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bisher mit der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km/h für Kraftfahrzeuge mit Spikes-Reifen gemacht, und können insbesondere Angaben darüber erfolgen, wie in den europäischen Nachbarländern die Benützung von Spikes-Reifen hinsichtlich der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit gehandhabt wird?
Der Herr Staatssekretär hat das Wort.
Herr Abgeordneter, abschließende Erfahrungen mit der seit 15. November 1971 praktizierten Regelung über die Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge mit Spikesreifen konnten noch nicht festgestellt werden. Ich möchte jedoch sagen, nach ersten Beobachtungen wird die Geschwindigkeitsvorschrift im allgemeinen eingehalten. Berichte über Erfahrungen aus europäischen Nachbarländern, und zwar Berichte Tiber die Einhaltung von Geschwindigkeitsbestimmungen bei der Verwendung von Spikes, liegen bislang nicht vor. Es ist aber beabsichtigt, in einen Erfahrungsaustausch einzutreten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, nach Abschluß des Winters und nachdem entsprechende Erfahrungen gesammelt wurden, dem Verkehrsausschuß über diese Erfahrungen zu berichten?
Selbstverständlich.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Wagner ({0}) auf:
Trifft die Behauptung von Automobilverbänden zu, wonach die Bundesregierung durch die 100-km/h-Beschränkung für SpikesReifen die Autofahrer auf die voraussichtlich am 1. Juni 1572 in Kraft tretende generelle Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 km h psychologisch vorbereiten wollte?
Diese Behauptung der Automobilverbände trifft nicht zu. Die 100-km-Beschränkung für Fahrzeuge mit Spikesreifen wurde lediglich eingeführt, um die Zerstörung der Straßen zu reduzieren, übrigens nicht etwa bloß aus rein fiskalischen Gründen, sondern weil wir auch der Überzeugung sind, daß die stärkere Zerstörung der Straßendecke dazu führt, daß der Verkehrsablauf unsicherer wird. Es sind also auch Gründe der Verkehrssicherheit, die uns dazu bewogen haben, diese Regelung zu treffen.
Im übrigen, Herr Abgeordneter, schon allein die Tatsache, daß das Thema der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit auf den Straßen mit Gegenverkehr im internationalen Bereich schon seit vielen Jahren diskutiert wird - bereits 1968 hat es im Bereich der europäischen Verkehrsministerkonferenz entsprechende Diskussionen und auch schon Beschlüsse gegeben -, zeigt, daß es keinen inneren Zusammenhang zwischen der, übrigens heute im Verkehrsausschuß des Bundesrates gebilligten, vorgesehenen Verordnung über allgemeine Höchstgeschwindigkeit und dieser Spikes-Regelung gibt.
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Schlee auf. - Der Herr Kollege ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die nächste Frage hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller gestellt:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß ein bestimmtes Übergewicht ein ausreichender Grund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ist, wenn bis zum Zeitpunkt der Entlassung die übliche Arbeitsleistung erbracht wird?
Meine Damen und Herren, wenn ich das noch sagen darf: Es sind nur noch wenige Fragen. Ich darf vielleicht im Hinblick auf die Zusatzfragen bitten, daß Sie allen Fragestellern, die hier noch ausharren, die Beantwortung ermöglichen.
Herr Abgeordneter, Übergewicht für sich allein gesehen, und zwar in dem Rahmen, den Sie in der Frage formuliert haben,
({0})
indem Sie gefragt haben, wie es damit stehe, wenn die übliche Arbeitsleistung erbracht werde, kann selbstverständlich kein ausreichender Kündigungsgrund sein.
({1})
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Oberpostdirektion München eine 31jährige Frau nach fast zwölfmonatiger Tätigkeit trotz erfolgter Eignungsfeststellung entlassen hat, weil sie bei einer Größe von 1,68 m und einem Gewicht von über 80 kg wegen Übergewichts nicht den Tauglichkeitsrichtlinien der Bundespost entsprach und deshalb Untauglichkeit wegen Übergewichts gegeben war, was zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führte?
({0})
Herr Abgeordneter, nach den mir vorliegenden Unterlagen wird darüber ein Bericht der Oberpostdirektion München erwartet. Ich kann also zum SachverStaatssekretär Wittrock
halt im einzelnen erst dann etwas sagen, wenn dieser Bericht vorliegt. Dann wird dazu gewiß noch Stellung genommen werden.
Darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es Tauglichkeitsrichtlinien bei der Bundespost gibt, die so etwas ermöglichen, und wären Sie bereit, diese Tauglichkeitsrichtlinien einmal zu überprüfen?
Es gibt in der Tat Tauglichkeitsrichtlinien; sie stammen aus dem Jahre 1968. Es ist beabsichtigt, in diesem Jahr die Tauglichkeitsrichtlinien erneut zu überarbeiten. Eine Überprüfung hat begonnen. Sicherlich wird Ihre Frage mit dazu beitragen, gerade dem von Ihnen angeschnittenen Punkt in diesen Richtlinien besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Meine Damen und Herren, ein Grund zur Aufregung für das Hohe Haus besteht noch nicht. Im Bereich der Politik ist im Augenblick die Einführung solcher Richtlinien noch nicht vorgesehen.
({0})
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche Postgebühren beabsichtigt die Bundesregierung bzw. die Deutsche Bundespost in welcher Höhe ({1}) anzuheben, und wie ist dies sachlich mich der Einzelkalkulation unter Ausschöpfung aller Rationalisierungsmöglichkeiten zu vertreten?
Herr Abgeordneter, es ist beabsichtigt, dem Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost, der nach dem Gesetz über die Gebührenbemessung zu beschließen hat, zu seiner Sitzung am 28. Januar 1972 eine entsprechende Vorlage zuzuleiten. Eckwerte dieser Vorlage sollen sein: die Anhebung der Gebühr für den Standardbrief von 30 Pf auf 40 Pf das ist auch bereits in der Presse mitgeteilt worden - sowie die Erhöhung der monatlichen Grundgebühr für einen Fernsprechhauptanschluß in Ortsnetzen mit über 1000 Hauptanschlüssen von 18 DM auf 26 DM. Ich bitte jedoch um Ihr Verständnis, Herr Abgeordneter, daß ich mich zu Einzelheiten über die geplanten Gebührenmaßnahmen erst dann äußern kann, wenn das in diesen Fragen zuständige Beschlußgremium, nämlich der Verwaltungsrat der Bundespost, im Detail informiert worden ist. Auch wenn der Minister hier wäre, könnte er nur darauf hinweisen, daß es geboten ist, zunächst den Verwaltungsrat im Rahmen des gesetzlichen Verfahrens zu Wort kommen zu lassen.
Herr Abgeordneter Niegel, sind Sie damit einverstanden, daß der Herr Staatssekretär jetzt gleich Ihre zweite Frage beantwortet?
({0})
- Ja. Aber wenn Sie sie ausschöpfen, fürchte ich, daß ich die Fragen des Kollegen Müller nicht mehr aufrufen kann.
Ich rufe also noch die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie wirkt sich die beabsichtigte Postgebührenerhöhung im Paketdienst auf die beteiligte Wirtschaft, insbesondere im Zonenrandgebiet, aus?
Herr Abgeordneter, Sie fragen in Ihrer zweiten Frage nach den Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft.
({0})
Die Maßnahmen wirken sich auf die gewerbliche Wirtschaft je nach der Struktur unterschiedlich aus. Ganz allgemein sind aber die Auswirkungen wegen des geringen Anteils der Post- und Fernmeldegebühren, bezogen auf den Umsatz der gewerblichen Wirtschaft, ganz gewiß vertretbar. Die Auswirkungen liegen in der Regel weit unter 1 %, und nur in ganz speziellen Fällen, wie z. B. beim Versandhandel, erreichen sie einen Anteil von rund 3 %. Die im innerdeutschen Grenzbereich liegenden Gebiete werden durch die geplanten Gebührenmaßnahmen nicht stärker betroffen als das übrige Bundesgebiet.
Eine Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Niegel.
Herr Staatssekretär, wie wirken sich die Paketgebühren aus - die haben Sie vorhin nicht genannt -, sowohl die Versandgebühren wie die Zustellgebühren, und in welchem Maße werden sie erhöht?
Herr Abgeordneter, ich habe darauf hingewiesen, daß die Auswirkungen beim Versandhandel 3 % ausmachen. Wenn Sie eine differenziertere Auskunft haben möchten, werde ich veranlassen, daß Ihnen das schriftlich mitgeteilt wird, wenn Sie einverstanden sind.
({0})
- 3 % der Kosten. Ich kann jetzt nur die Eckwerte für den Standardbrief und für die Telefongebühr angeben. Das Gesamtbild in seiner Vielfalt kann erst mitgeteilt werden, wenn sich der Verwaltungsrat der Bundespost zu der Angelegenheit geäußert hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Sie haben mir nur zwei Eckwerte genannt. Trifft meine Information zu, daß
auch die Paketgebühren um 40 Pfennig pro Sendung
bis zu einem Gewicht von 5 kg und um 15 % für
Gewichte von mehr als 15 kg erhöht werden sollen?
Herr Abgeordneter, ich kann das im Moment weder bestätigen noch bestreiten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, paßt diese ziemlich beträchtliche Gebührenerhöhung der Bundespost angesichts der Bemühungen um eine Stabilitätspolitik in die Landschaft?
Herr Abgeordneter, ich habe zu Beginn meiner Antworten bereits auf die Relation, in der wir uns bewegen, hinweisen dürfen. Sie ist ja verhältnismäßig gering. Im übrigen kann nicht bestritten werden, daß sich die Notwendigkeit von Gebührenmaßnahmen aus der ganz erheblichen Kostenunterdeckung einzelner Dienstleistungsbereiche des Postdienstes, auch z. B. des Postpaketdienstes, ergibt und daß der enorme Investitionsbedarf allein durch Kreditaufnahmen nicht finanziert werden kann. Es gibt also im Grunde genommen nur die Alternative, entweder die Investitionstätigkeit einzustellen, was sicherlich auch für die Gesamtwirtschaft und für das Publikum unerträglich wäre, oder in einem noch stärkeren Maße den Bürger nicht in seiner Eigenschaft als Postkunden, sondern in seiner Eigenschaft als Steuerzahler in Anspruch zu nehmen. Ich glaube, daß dieser Weg sich nicht empfiehlt und auch gesamtwirtschaftlich in einem viel höheren Maße bedenklich wäre als der durchaus legitime Weg der Gebührenkorrektur.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Nur noch eine Frage. Befürchten Sie nicht, wenn Sie gerade die Gebühren im Paketdienst so gewaltig erhöhen und auch die Zustellgebühr im Paketdienst von 80 Pf auf 1,20 DM erhöhen, daß dann z. B. der Versandhandel hergeht und selbst eine Organisation aufbaut, die die Pakete nicht mehr über die Post laufen läßt, sondern selbst zustellt?
Herr Abgeordneter, die Bewertung „gewaltig erhöhen" möchte ich doch bitten etwas relativiert zu sehen. Denn so enorm ist diese Erhöhung ja nicht, auch vor dem Hintergrund, daß es sich hier weitgehend um Bereiche handelt, in denen seit Jahren im Grunde genommen eine Korrektur überfällig ist. Im übrigen ist das, was Sie als Alternativmöglichkeit in Aussicht stellen, auch eine Frage der Kalkulation der Wirtschaft. Im ganzen hat die öffentliche Hand ihre Dienstleistungen auf diesem Gebiet, um das es hier geht, immer noch viel preisgünstiger zur Verfügung gestellt, als es einzelne Teile der Wirtschaft oder einzelne Großunternehmen jemals tun können.
Danke schön, Herr Staatssekretär!
Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 20. Januar 1972, 13 Uhr, mit der Tagesordnung „Fragestunde" ein.
Die Sitzung ist geschlossen.