Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Folgende amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung hat am 14. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ott, Dr. Althammer, Kiechle, Dr. Schneider ({0}) und Genossen betr. Presse- und Informationspolitik der Bundesregierung - Drucksache VI /2638 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2723 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 18. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Verkehr und Umwelt - Drucksache VI /2622 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2731 verteilt.
Der Staatssekretär des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung hat am 20. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Broschüre „Bundesrepublik Deutschland" - Drucksache VI /2695 -- beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI /2744 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 15. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß und Genossen betr. Information der westlichen Verbündeten über die Krim-Reise des Bundeskanzlers - Drucksache VI /2659 - beantwortet. Sein Schreiben wird als
Drucksache VI /2745 verteilt.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat gegen die nachfolgenden, zwischenzeitlich verkündeten Verordnungen keine Bedenken erhoben:
Verordnung ({1}) des Rates zur Festsetzung der Getreidepreise für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({2}) des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge der Preise für Getreide und Mehl, Grütze und Grieß von Weizen oder Roggen für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({3}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 120 /67 /EWG hinsichtlich der Aufkaufverpflichtung der Interventionsstellen
Verordnung ({4}) des Rates zur Festsetzung des Richtpreises für geschälten Reis für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({5}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 359 /67/ EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Reis
Verordnung ({6}) des Rates zur Festsetzung des Zeitraumes, während dessen Rohreis von der Interventionsstelle angekauft werden muß, und der monatlichen Zuschläge zu den Preisen für Rohreis und geschälten Reis im Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({7}) des Rates zur Festsetzung der Richtpreise und der Interventionsgrundpreise für Ölsaaten für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({8}) des Rates zur Festsetzung der Hauptinterventionsorte für Ölsaaten und der dort geltenden abgeleiteten Interventionspreise für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({9}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 1009 /67/ EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker
Verordnung ({10}) des Rates zur Festsetzung der Preise im Sektor Zucker, der Standardqualität für Weißzucker und für Zuckerrüben sowie des im Artikel 24 der Verordnung Nr. 1009 /67 /EWG genannten Koeffizienten für das Zuckerwirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({11}) des Rates zur Festsetzung der abgeleiteten Interventionspreise, der Interventionspreise für Rübenrohrzucker, der Zuckerrübenmindestpreise, der Schwellenpreise, der Garantiemenge und des Höchstbetrags der Produktionsabgabe für das Zuckerwirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({12}) des Rates zur Festsetzung des Richtpreises für Milch sowie der Interventionspreise für Butter, Magermilchpulver, Grana Padano und Parmigiano Beggiano für das Milchwirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({13}) des Rates zur Festsetzung der Schwellenpreise für bestimmte Milcherzeugnisse für das Milchwirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({14}) des Rates zur Festsetzung der im Milchwirtschaftsjahr 1971/72 gültigen Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver, die für Futterzwecke verwendet werden
Verordnung ({15}) des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für Kälber und ausgewachsene Rinder für die Wirtschaftsjahre 1971/72 und 1972/73
Verordnung ({16}) des Rates zur Festsetzung der Ziel- und Interventionspreise und der Bezugsqualitäten für Tabakblätter für die Ernte des Jahres 1971
Verordnung ({17}) des Rates zur Festsetzung der Beihilfe für Flachs und Hanf für das Wirtschaftsjahr 1971/72
- Drucksache VI /1876 Verordnung des Rates ({18}) mit Rahmenbestimmungen für Kaufverträge über Flachs- und Hanfstroh
- Drucksache VI /1886 Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Tafeltrauben
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Pfirsiche
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Tomaten
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Zitronen
- Drucksache VI /2235 Verordnung des Rates ({19}) zur Festsetzung der Beihilfe für die Erzeugung von Hartweizen für das Wirtschaftsjahr 1971/72
- Drucksache VI /2241 Verordnung ({20}) Nr. ../71 des Rates zur Einstellung der Prämiengewährung für die Schlachtung von Kühen und die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen
- Drucksache V I/2371 Verordnung des Rates ({21}) zur Änderung der Verordnungen ({22}) Nr. 816/70 und 817/70 bezüglich einiger Übergangsbestimmungen
- Drucksache VI /2388 Verordnung des Rates ({23}) zur Festsetzung des Schwellenpreises für geschälten Reis und Bruchreis und des in den Schwellenpreis für vollständig geschliffenen Reis einzubeziehenden Schutzbetrags für das Wirtschaftsjahr 1971/72
Verordnung ({24}) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 362 /67 /EWG hinsichtlich der Ausbeute bei der Verarbeitung von Rohreis zu vollständig geschliffenem Reis
- Drucksache VI/ 2232 8312
Vizepräsident Dr. Schmid
Verordnung des Rates ({25}) über die Einfuhr von Fischereierzeugnissen mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschaft
Verordnung ({26}) des Rates über die Einfuhr von Fischereierzeugnissen mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschaft
- Drucksache VI /2243 Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({27}) Nr. 727/70 hinsichtlich der Festsetzung der Prämien für Rohtabak
zur Festsetzung der abgeleiteten Interventionspreise und Bezugsqualitäten für Tabakballen der Ernte 1971
zur Festsetzung der den Käufern von Tabakblättern der Ernte 1971 gewährten Prämien
- Drucksache VI /2360 Verordnung des Rates ({28}) zur Änderung der Verordnung Nr. 143 /67 /EWG über die Ausgleichsabgabe bei der Einfuhr bestimmter pflanzlicher Ole
- Drucksache VI /2462 Verordnung des Rates ({29}) zur Änderung der Verordnung ({30}) Nr. 1060/69 zur Festlegung der Grunderzeugnismengen, bei denen davon ausgegangen wird, daß sie zur Herstellung der unter die Verordnung ({31}) Nr. 1059/69 fallenden Waren verwendet worden sind
Verordnung ({32}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({33}) Nr. 204/69 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und der Kriterien zur Festlegung des Erstattungsbetrags für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die in Form von nicht unter Anhang II des Vertrages fallenden Waren ausgeführt werden
- Drucksache VI /2485 Verordnung des Rates ({34}) über die Beihilfe für Ölsaaten
- Drucksache VI /2488 -
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Beihilfe für Baumwollsaat für das Wirtschaftsjahr 1971/72
- Drucksache VI /2497 -
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf;
a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972 ({35})
- Drucksache VI /2650 -
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1971 bis 1975
- Drucksache VI /2651 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1972 ({36})
- Drucksache VI /2439 -
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des mittelfristigen finanziellen Beistands in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
- Drucksache VI /2431 -
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache VI /2668 -
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes
- Drucksache VI /2665 - Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({37}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
hier: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 141, Drucksache VI /2304 -
Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
g) Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({38}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
hier: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 143, Drucksache VI /2305 -
Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
h) Beratung des Schriftlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({39}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
hier: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 142, Drucksache VI /2306 - Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Es liegen mir bisher sechs Wortmeldungen vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Abschluß der Aussprache über den Haushaltsplan 1972 möchte ich einige Argumente, die gestern abend gewissermaßen noch im Schlußgalopp von den Vertretern der Koalitionsregierung uns entgegengehalten worden sind, aufgreifen, insbesondere den globalen Vorwurf, der uns gemacht worden ist, wir hätten für die Reformpolitik, die die Regierung betreibe, kein Verständnis und würden sie sabotieren. Diesen Vorwurf muß ich zurückweisen!
Wer zwischen den Zeilen zu hören verstand, auch in der Rede des Bundeswirtschafts- und -finanzministers, der mußte eben leider feststellen, daß in einigen Passagen weitgehend, um mich ironisch auszudrücken, in der Tat auch eine Leichenrede versteckt war für einige einstmals mit großen Worten angekündigte inzwischen fast zum Skelett ausgehungerte wichtige innere Reformen. Es ist nicht meine Aufgabe, hier die einzelnen Stationen des Leidensweges der Reformpolitik dieser Regierung darzulegen, angefangen von dem Plakat über das moderne Deutschland, über die 455 Reformen, die
laut Ehmke-Planung in dieser Legislaturperiode geleistet werden sollten, bis hin zu diesen nüchternen und ernüchternden Zahlen und den Aussagen der neuen mittelfristigen Finanzplanung.
Hierzu kann ich nur dem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 24. September zustimmen, der im übrigen den Tenor wiedergibt, wie er in allen Zeitungen zu lesen war:
Diese Regierung hat zwar Kleinarbeit geleistet, - das wird auch von der Opposition nicht bestritten aber ein großer Wurf auf irgend einem Gebiet, der das Wort „Reform" verdient hätte, ist ihr nicht gelungen und wird ihr offensichtlich nach diesem Finanzplan auch nicht mehr gelingen.
Die Aussagen des Bundesfinanzministers und auch die der Vertreter der Koalition haben sich darin erschöpft, uns mit Steigerungsraten in bestimmten Haushalten die Reformfrundigkeit der Bundesregierung darzustellen. Mit Steigerungsraten - da gebe ich dem Kollegen Kirst recht - wird Reformfetischismus betrieben. Aber dann verstehe ich nicht, Herr Kollege Kirst, warum Sie den Bundeswirtschafts- und -finanzminister verteidigen, daß er nicht den Mut hat, uns die klaren und richtigen Daten vorzulegen. Schließlich haben wir in unserem Haushaltsrecht die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit und nicht die der Haushaltskosmetik und der Haushaltsfrisur nach Gutdünken.
Die Steigerungsraten geben, bei näherem Licht besehen, zu allem anderen als zum Jubeln Anlaß. Erstens: Es wird gesagt, der Verkehrshaushalt weise die stolze Steigerung von 24,3 % auf. Die Wirklichkeit ist die, daß diese Steigerung weitgehend durch eine Abdeckung in Höhe von 1,7 Milliarden DM des Milliardendefizits der Bundesbahn plus höhere Sachausgaben plus höhere Personalausgaben verursacht ist. Wenn man das abzieht, bleibt eine Steigerungsrate von höchstens 10 % für Investitionen übrig, die, da man die Preissteigerungen leider Gottes in Rechnung stellen muß, nicht einmal die Garantie für eine Erhöhung der realen Leistungen geben.
Der Bundesfinanzminister hat kein Wort gefunden zu der prekären Finanzlage der Bundespost und der Bundesbahn.
Der Ausbauplan für das Bundesfernstraßennetz in den Jahren 1971 bis 1975 auch so ein Reformprojekt - muß ungeachtet der bevorstehenden Mineralölsteuererhöhung als gescheitert betrachtet werden das ist die Wirklichkeit -, weil trotz etwaiger Mehreinnahmen allenfalls eine Finanzierung zur Hälfte sichergestellt ist; von einem Finanzierungskonzept für den berühmten Straßenbaubedarfsplan bis zum Jahr 1985 ganz zu schweigen. Hier schweigt sich die Regierung total aus.
Zweitens. Der Einzelplan 31 - Bildung, Wissenschaft und Forschung - steigt absolut um rund 1 Milliarde DM auf rund 5,2 Milliarden DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einem linearen Zuwachs des Haushalts von rund 8 Milliarden DM ist für diese Priorität Nr. 1 nur 1 Milliarde DM übriggeblieben. Das straft doch alle Erklärungen über Bildungspolitik als erste Priorität „Lügen".
Drittens. Die höchste Steigerungsrate - das ist nicht zu bezweifeln - hat in der Tat der Verteidigungshaushalt. Er nimmt um 3,3 Milliarden DM zu, wenn man die Ableger, die in den Einzelplan 60 verschoben worden sind, um, wie es der Bundesminister für Verkehr neulich so schön sagte, den Jusos zu gefallen es ist der berühmte Jusohaushalt -, mit einbezieht. Wir wissen auch, warum diese Steigerungsrate so hoch sein muß. Der Grund, Herr Bundesfinanzminister, ist nicht, daß sie die Wehrgerechtigkeit verbessern wollen, sondern der Bundesverteidigungsminister hat es neulich in einem Interview deutlich gesagt, daß er einen großen Nachholbedarf habe. Ich verstehe auch, warum er den Nachholbedarf hat, warum er nämlich mittlerweile in der Abwicklung des Haushalts 1971 laufend mit überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben kommt. Der Grund ist schlicht der, daß er seine Haushaltsansätze auch für das Jahr 1971 nach dem Preisstand vom 31. Dezember 1969 festgesetzt hat.
({0}) So wird bei uns Finanzpolitik gemacht!
Ein weiterer Gesichtspunkt ist der, den der Kollege Röhner gestern angesprochen hat. Der Herr Bundesfinanzminister hat es nicht für nötig befunden, auch nur mit ein paar Sätzen auf die prekäre Finanzlage der Länder und vor allem auf die der Gemeinden einzugehen. Kein Wort in dieser Situation dazu, daß die Gesamtschulden der Gemeinden aus Kreditmarktmitteln Ende 1970 die Größenordnung von rund 40 Milliarden DM erreicht haben. Kein Satz dazu, daß nach den Berechnungen der Finanzminister der Länder für die Haushaltsjahre 1972 und 1973 im Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden Deckungslücken in Höhe von 19 Milliarden DM - 1972 und von 26 Milliarden DM - 1973 - drohen, davon bei den Haushalten der Gemeinden und Länder 1972 allein 16,5 Milliarden DM und 1973 21,4 Milliarden DM. Keine Bemerkung auch darüber, daß das vom Bund angegebene Ziel einer 8,4 %igen Zuwachsrate bei der durch Personalausgaben und Investitionen geprägten Struktur der Länderhaushalte von den Ländern bei weitem nicht eingehalten werden kann, daß bei den Ländern trotz Zuwachsraten von 11 bis 12 % die Sachausgaben einschließlich der Investitionen nur um durchschnittlich 5 % wachsen können; das bedeutet, daß das reale Investitionsvolumen der Länder, die bekanntlich den Großteil der Investitionen in unserem Land tragen, im Jahre 1972 unter dem Volumen des Jahres 1971 liegen wird. Das alles interessiert offensichtlich nicht.
Nun fragen Sie immer nach unserer Alternative, nach unserem Vorschlag, um die Dinge in den Griff zu bekommen. Die Bundesregierung hat meiner Meinung nach einen großen Mangel aufzuweisen; Herr Kollege Röhner hat gestern abend darauf hingewiesen: Es geht uns nicht nur um die formale Erfüllung der Pflicht, daß der Finanzplanungsrat zu8314
sammentritt, sondern es geht uns darum, daß diese Regierung - und wir brauchen das heute - auch ein mit den Ländern abgestimmtes großes Finanzierungskonzept der gesamten öffentlichen Haushalte schafft.
Seit über zwei Jahren bemühen sich die Länder fast zum Überdruß, Klarheit über eine längerfristige Finanzierung zu bekommen. Da wird nichts getan. Wir schlagen daher vor: Wir brauchen dringend eine Art Nationalbudget, das den Rahmen für eine an festen Prioritäten ausgerichtete Aufteilung der Finanzmittel auf den Bund, die Länder und die Gemeinden vorsieht.
({1})
Was Sie und diese Regierung betreiben, ist doch nichts anderes als eine Politik des von-der-Handin-den-Mund-leben Wie anders ist es sonst zu erklären - damit komme ich zu einem sehr wichtigen Punkt , daß das Glanzstück und die Nummer 1 liberal-sozialistischer Reformpolitik, nämlich die Bildungsreform, durch die Streichung der Bildungsplanungsreserve in der Größenordnung bis 1975 von sage und schreibe 7 1/2 Milliarden DM lautlos in der Versenkung verschwunden ist?
({2})
Ab sofort scheint nicht mehr gültig zu sein, was wir seit Monaten immer wieder aus dem Munde des Wissenschaftsministers, der Bildungspolitiker hören und was im Bildungsbericht geschrieben steht. Ich will nur ein paar Sätze anführen: Da gehe es dar- um, das große Ziel der Bundesregierung, den öffentlichen Ausgaben für Bildung und Wissenschaft bis zum Anfang der 80er Jahre einen Anteil am öffentlichen Gesamthaushalt zu sichern, der die Durchführung der Bildungsreform ermöglicht. Da wird gesagt: Im Jahre 1968 hätten die Länder und Gemeinden insgesamt 8% des Gesamtbildungsaufwandes getragen. Es werde ihnen kaum möglich sein, auch von den auf ein Mehrfaches zu steigernden Bildungsausgaben einen derart hohen Anteil aufzubringen. Die Bundesregierung beabsichtige daher, die Länder künftig durch eine verstärkte Beteiligung des Bundes, z. B. durch eine verstärkte Förderung der Forschung auch an den Hochschulen, finanziell zu entlasten. Da wird ausgeführt, daß es darum gehe, eben mit dieser Planungsreserve den ersten Schritt zu tun.
Nach der Streichung der Planungsreserve müssen wir doch die Frage stellen: Ist jetzt alles Makulatur, was gesagt worden ist und was uns vorgelegt worden ist? Wie will denn die von der Bund-LänderKommission eingesetzte Ad-hoc-Gruppe aus den Zielvorstellungen des Bildungsgesamtplanes ein konkretes Programm für die Jahre bis 1975 verwirklichen? Wie können wir diese 51 Milliarden DM, die man sich zum Ziel gesetzt hat, bis 1975 aufbringen, Maßnahmen entwickeln, wenn von seiten des Bundes kein Pfennig Geld zur Verfügung gestellt wird?
Da kann man jetzt nur den Vorsitzenden der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Herrn Frister, zitieren, der sagte:
Mit dieser Haushaltspolitik können die Arbeiten am Bildungsgesamtplan eingestellt werden, wenn es bei den Aufwendungen für den Bildungsbereich bleibt, die im Haushaltsentwurf 1972 und die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen sind.
Immer wieder wurde gesagt - und wir stimmen dem ja zu -, eine gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern setzt eine gemeinsame Finanzplanung voraus und diese wiederum einen substantiellen Beitrag des Bundes zu den Bildungsausgaben, oder es steht schlecht um ein Mitspracherecht des Bundes. All das wurde und wird lautlos vom Tisch geschoben. Darüber spricht man in diesem Parlament offensichtlich nicht mehr.
Nun ein gewichtiges Argument, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Regierung sagt: wir werden dafür den Ländern einen Ausgleich in Form der Erhöhung des Mehrwertsteueranteils geben! - Sie werden doch nicht im Ernst daran glauben oder uns vormachen wollen, daß die Länder in Anbetracht ihrer Finanzlage - in Anbetracht ihrer Finanzmisere auf allen Gebieten -, einen Großteil dieser Mittel aus dem Einnahmeverzicht des Bundes bei der Umsatzsteuer für Bildungszwecke verwenden werden. Die Wirklichkeit ist doch die - das können Sie bei allen Ländern verfolgen , daß diese von den Ländern erwarteten Beträge aus dem Umsatzsteueranteil längst schon in den Haushaltungen - wenn auch gesperrt -, eingeplant sind, und zwar für alle möglichen Investitionsbereiche. In Baden-Württemberg z. B. sind diese Mittel eingeplant für den Straßenbau, für den Krankenhausbau, für die Abwasserbeseitigung, für den Schulneubau, den Sportstättenbau, für das Strukturförderungsprogramm und für den staatlichen Hochbau. Das ist also die Wirklichkeit: Diese große Reform, Bildungsreform, ist zumindest bis 1975 im Eimer!
Das Problem der Bildungsfinanzierung scheint in der Tat ein Trauma dieser Bundesregierung zu sein. Ich denke hier nur - um einen grotesken Fall herauszugreifen - an das Schicksal der Bildungsanleihe. Manchmal muß man sich da die Frage stellen, ob dieser Regierung überhaupt noch zu helfen ist.
({3})
Wir sind Zeugen der Groteske, daß diese Regierung im Jahre 1971 im Bereich der Bildungspolitik 60 Millionen DM opfert, um 260 Millionen DM für die Bildungsfinanzierung auf dem deutschen Kapitalmarkt nicht ausgeben zu müssen.
({4})
Was ist geschehen? - Mit einem publizistischen Aufwand sondergleichen wurde vom Bundeskabinett bereits im Mai 1970 eine Bildungsanleihe in Höhe von 1 Milliarde DM beschlossen. Nachdem die Bundesregierung schon von ihrer Nebenabsicht, die Bildungsanleihe auch als ein Mittel der Kaufkraftabschöpfung einzusetzen, Abstand genommen hatte - dafür erfolgte dann ja im Juli der Konjunkturzuschlag -, brachte man im Dezember 1970 die erste Tranche der Anleihe in Höhe von 260 Millionen DM
auf den Kapitalmarkt. Die verfügbaren Mittel wurden jedoch nicht etwa für Schnellbaumaßnahmen zur Beseitigung des Numerus clausus eingesetzt, sondern aus konjunkturpolitischen Gründen bei der Bundesbank stillgelegt. Und hier liegen sie noch heute. Daß sie dort liegen - und das ist das Skandalöse daran -, sollte freilich den deutschen Steuerzahler teuer zu stehen kommen.
({5})
Denn auch ohne bildungspolitischen Nutzeffekt muß die 260 Millionen-DM-Anleihe mit einem Zinssatz von 8,5 % verzinst werden. Kosten für den deutschen Sparzahler laut Aussage des Bundeswissenschaftsministers: 21,25 Millionen DM im Jahre 1971.
Doch damit nicht genug! Wenn man davon ausgeht, daß die Anleihe im Jahre 1972 für Bildungsinvestitionen freigegeben wird, werden in dem Jahre ihres „Ruhens" die Baupreise ja mindestens um 15 % gestiegen sein. Das bedeutet nach Adam Riese, daß man im Januar 1972 mit den 260 Millionen DM genauso viel wird bauen können, wie man im Januar 1971 mit 221 Millionen DM hätte bauen können. 39 Millionen DM der Inflation geopfert, 21 Millionen für den Zins; das geht, wie man im Volksmund so schön sagt, alles in den Kamin, weil diese Regierung nicht weiß, was sie auf diesem Gebiet tun soll.
({6})
Das ist an diesem Beispiel verdeutlicht worden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu der Kritik sagen, die der Kollege Kirst geübt hat, was die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition anbetrifft. Herr Kollege Kirst, Sie sind genauso lange wie ich im Haushaltsausschuß und wissen genau, daß wir von beiden Seiten her immer wieder versuchen, aus den Problemen des Haushalts das Bestmögliche zu machen. Ihre gestrige Polemik gegen uns, wir wären überhaupt nicht bereit zur Zusammenarbeit, wir gingen auf eine Konfrontation aus, ist wirklich nicht angebracht. Es liegt sicherlich nicht im Sinne unserer gemeinsamen Arbeit, wenn Sie uns unterstellen, wir wären nicht bereit, mitzuarbeiten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Jenninger, ist Ihnen nicht klar geworden, daß ich primär das Verhalten Ihrer Partei und Fraktion im Plenum und draußen im Lande, am allerwenigsten aber Ihre Arbeit im Haushaltsausschuß gemeint habe? Das war doch klar.
Herr Kollege Kirst, dann seien Sie doch bitte so freundlich und differenzieren Sie künftig bei solchen Reden. Machen Sie dann bitte nicht länger uns das zum Vorwurf, was
Sie selbst tun, nämlich undifferenzierte Vorwürfe erheben.
({0})
Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß.
Ich möchte noch einen Vorschlag unterbreiten, der mir wichtig erscheint. Der Kollege Seidel hat gestern die große Erwartung ausgedrückt, daß der Subventionsbericht der Bundesregierung, der demnächst vorgelegt werden soll, uns die Möglichkeit gibt, uns auch über die Steuervergünstigungen, über die indirekten Subventionen hinaus mit der Frage des Abbaus der direkten Subventionen zu befassen. Herr Kollege Seidel, ich begrüße das sehr. Aber die Voraussetzung dafür ist natürlich, daß die Regierung - und das vermißten wir beim letzten Subventionsbericht - ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommt und uns endlich einmal eine umfassende Abbauliste vorlegt, eine Wirkungsanalyse und auch eine Wirkungskontrolle der Subventionen vornimmt.
Kommen Sie zum Schluß.
Legen Sie die Daten auf den Tisch. Legen Sie uns die richtigen Fakten auf den Tisch. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann sind wir auch bereit, mit Ihnen zusammen diese schwierigen Fragen des Haushalts zu prüfen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete von Bülow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz einiges zu dem ausführen, was der Abgeordnete Jenninger hier über die Fragen der Finanzierung des Bildungsetats gesagt hat. Er hat so getan, als würde diese Regierung den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit und ihres Engagements nicht auf die Bildung legen. Ich möchte nur einige Fakten aus dem Etat des Einzelplans 31 hier vortragen. Es muß auf jeden Fall beachtet werden, daß im Wissenschaftsetat für 1972 alle zukunftsgerichteten Positionen überproportional gesteigert werden. Die Ausgaben im Rahmen dieses Haushalts steigen um 30 %. Das ist deutlich mehr als in fast allen anderen Haushalten. Die Ausgaben in Kap. 31 02 steigen um 67,3 %, die für die Hochschulen um 43,5 % und die für die technologische Forschung und Entwicklung um etwa 75 %. Es muß hinzugefügt werden, daß im Bereich der Bildung und Wissenschaft auch bis 1975 überproportionale Steigerungsraten zu verzeichnen sind.
Zu der von Ihnen kritisierten Nichtveranschlagung der Bildungsanleihe in Höhe von 260 Millionen DM gilt es zu sagen, daß diese 260 Millionen DM
wie alle öffentlichen Anleihen weiß Gott unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten beurteilt werden müssen. Sie wissen ganz genau, daß seinerzeit in der Debatte, wie die Konjunktur und der Preisanstieg gebremst werden könnten, darüber diskutiert wurde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Althammer?
- einen Augenblick, ich würde gern erst noch diesen Gedanken zu Ende führen -, ob man nicht über öffentliche Anleihen Kaufkraft stillegen sollte, um den Preisauftrieb zu bremsen. Genau das ist hier geschehen. Ähnliches gilt ja auch für die Mittel der Konjunkturausgleichsrücklage, die nicht gewinnbringend eingesetzt werden kann. Auch das könnte als Minus verzeichnet werden, wenn öffentliche Steuereinnahmen stillgelegt werden müssen und nicht die sonst üblichen Zinserträge bringen.
({0})
- Gut, aber es entgeht eine entsprechende Zinseinnahme.
Herr Althammer, bitte!
Herr Kollege von Bülow, ist Ihnen nicht bekannt, daß in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen die Frage diskutiert worden ist, daß in der Finanzplanung für die nächsten fünf Jahre gegenüber dem Finanzplan des vorigen Jahres 7,5 Milliarden DM, die ursprünglich eingeplant und vorgesehen waren, gekürzt worden sind und daß allein für 1972 200 Millionen DM gegenüber dem, was im vorigen Jahr geplant war, gekürzt worden sind?
Herr Althammer, Sie wissen aber auf der anderen Seite ganz genau, daß das mit der Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern über einen um 3 % höheren Anteil der Länder an der Umsatzsteuer zusammenhängt. Diese 3 % entsprechen fast genau der von Ihnen genannten Summe. Sie können natürlich sagen: Die Länder werden diese 3 % anderweitig verplanen. Aber wir haben im Haushaltsausschuß ja nun lange genug Diskussionen über die Gemeinschaftsaufgaben, über diese Form der Mischfinanzierung der Gemeinschaftsaufgaben geführt. Wir haben darüber gesprochen, daß es unter Umständen eben nicht sinnvoll wäre, auch für die laufenden Kosten der Hochschulen eine Bundesbeteiligung vorzusehen, und daß es dementsprechend besser wäre, wenn die Länder finanziell so ausgestattet würden, daß sie diese laufenden Kosten selbst tragen können. Und genau dies soll mit diesen 3 °/o, die der von Ihnen genannten Summe entsprechen, geschehen.
Lassen Sie mich noch einiges zur mittelfristigen Finanzplanung sagen. Nach der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 1971 bis 1975, die in den vergangenen Wochen vorgelegt worden ist, haben wir eine Steigerung der Ausgaben für die Bildung von 700 Millionen DM im Jahre 1969 auf 3,1 Milliarden DM im Jahre 1975 und eine Steigerung der Ausgaben für die Forschung von 1,4 Milliarden DM auf 5,1 Milliarden DM. Wer diese Steigerungsraten ansieht, muß zugestehen, daß sowohl im Bereich der Bildung als auch im Bereich der Forschung ein Schwerpunkt der Politik dieser Regierung liegt. Ich glaube, dem Hohen Hause steht es gut an, diese Politik zu unterstützen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Jenninger hat kritisiert, daß diese Bundesregierung bisher zu wenig Reformen habe sichtbar machen können und daß man eigentlich zwischen den Zeilen der CDU- Redner hier hätte hören müssen, daß auch die CDU für Reformen sei. Nun, Herr Kollege Jenninger, für einen Teilbereich will ich das gern zugestehen. Denn das Interessante bei der ganzen Konfrontation, die Sie in den letzten Monaten aufgebaut haben, ist doch - ({0})
- Sie haben die doch aufgebaut. Jetzt wollen Sie das nicht mehr wahrhaben, nachdem Sie merken, wie das draußen ankommt. Das kann ich durchaus verstehen.
({1})
Wer hat hier denn von der Konfrontation gesprochen? Ihre Parteivorsitzenden Barzel und Strauß! Sonst doch niemand.
({2}) Sie haben die hier aufgebaut.
({3})
Aber haben Sie keine Sorge, Herr Kollege Jenninger, diese Bundesregierung -({4})
- - Ich weiß, Herr Ott. Wissen Sie, das kommt mir immer so vor, wie folgende Geschichte über die CSU, die mir ein Kollege der CDU erzählt hat. Er sagte zu mir: Kennen Sie den Unterschied zwischen dem lieben Gott und der CSU? Ich habe gesagt: Den Sie meinen kenne ich nicht. Darauf sagte er: Der liebe Gott weiß alles, die CSU weiß alles besser.
({5})
-- Vielleicht waren Sie sogar dabei, Herr Kollege, als mir ein CDU-Kollege das erzählte. Ich möchte auf das Gespräch gar nicht eingehen. Nur, Herr Kollege Ott, so einfach, wie Sie es sich machen, daß Sie permanent erklären: Diese Regierung ist unfähig -
({6})
- Herr Kollege Ott, dann müßte es doch für Sie so
hervoragend einfach sein, bessere Alternativen hier im Parlament vorzutragen, wen diese Regierung so schlecht wäre.
({7})
--- Es ist nur leider von dem, was Sie mit großen Worten sagen, hier konkret nichts zu realisieren.
({8})
- Sehen Sie, meine verehrten Damen und Herren, ich habe ja Verständnis dafür, daß Ihnen das alles gar nicht gefällt.
({9})
- Zu den Dingen stehe ich heute genauso wie damals, Herr Kollege Maucher, im Unterschied zu, dem, was viele von Ihnen hier praktizieren.
({10})
- Auch dazu, Herr Kollege Leicht, damit da gar kein Mißverständnis entsteht.
Ich möchte noch folgendes vortragen. Der Herr Kollege Jenninger hat gesagt: Die Belastung der Gemeinden ist so groß, die Länderhaushalte können das auch nicht finanzieren, und im Endergebnis. erwartet man hier die Hilfestellung des Bundes. Nun gut, diese Bundesregierung ist ja dazu bereit durch das, was sie an zusätzlichen Maßnahmen auf, diesem Gebiet bereits beschlossen hat. Nur, Herr Kollege Jenninger, in diesem Zusammenhang ist es doch nicht uninteressant, daran zu erinnern, daß es bei den Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr gerade die Kollegen der CDU/CSU gewesen sind, die die Steigerungsraten des Bundeshaushalts immer wieder kritisiert und gesagt haben: Das geht zu hoch, und der Anteil ist im Verhältnis zu den Ländern schlecht geworden. Wenn Sie sich aber die Steigerungsraten der Länderhaushalte des vergangenen, dieses und des kommenden Jahres vor Augen führen, stellen Sie fest, daß sie vor allen Dingen in den Ländern, deren Regierungen von den CDU-Regierungschefs geführt werden, mit die höchsten überhaupt sind.
({11})
- Natürlich, über die Finanzierung der Reformen werde ich nachher noch ein paar Worte sagen; die werden Ihnen genauso wenig passen wie das, was ich Ihnen jetzt sage. Davon können Sie ausgehen.
({12})
- Wissen Sie, Herr Kollege Jenninger, ich verstehe die ganze Aufregung bei Ihnen. Aber es nützt Ihnen doch nichts. Wir haben Sie in aller Ruhe angehört. Nun hören Sie doch auch einmal die Meinung der anderen Seite in Ruhe an, ohne daß Sie gleich meinen sich hier permanent aufregen zu müssen!
Sie haben gesagt, die CDU wolle ein nationales Finanzbudget. Dafür haben Sie sich den Beifall
Ihrer Fraktion eingehandelt. Ich frage Sie: Seit wann will die CDU das? Seit 1971 oder seit 1969 oder seit 1965? Sie verlangen, daß alles in kürzester Zeit realisiert auf den Tisch des Hauses gelegt wird, ohne jemals auch nur einen einzigen konkreten Vorschlag hier im Parlament eingebracht zu haben, wie das verwirklicht werden soll.
({13})
- Natürlich, 20 Jahre haben Sie Zeit gehabt, Herr Leicht.
({14})
In den nächsten 20 Jahren werden Sie vielleicht weniger Gelegenheit dazu haben.
({15})
Sie sagen, Herr Kollege Jenninger - und damit wollen Sie einen völlig falschen Eindruck erwekken , diese Bundesregierung habe für ein konkretes Programm des Bundes im Bundeshaushalt keinen Pfennig zur Verfügung. Sie wissen ganz genau, daß das alles nicht stimmt, was Sie hier vorgetragen haben,
({16})
sondern daß mehr als 4 Milliarden DM allein an Erhöhungen für die Haushaltsplanung 1972 und für die mittelfristige Finanzplanung gerade für den Bereich, den Sie kritisiert haben, vorgesehen sind.
({17})
Sie sagen, das Mehraufkommen auf Grund der Mehrwertsteuererhöhung, das nunmehr auf die Länder zukomme, werde von den Länderparlamenten nicht für die Bildungspolitik eingesetzt werden,
({18})
es werde in den Straßenbau und andere Maßnahmen gehen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß das eine Entscheidung der Länderparlamente ist. Natürlich gibt es eine Reihe von Länderregierungen, die eine Bildungspolitik nicht nur heute treiben, sondern auch in den vergangenen Jahren getrieben haben, die nach unserer Auffassung mehr als rückständig ist.
({19})
- Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Nur können Sie, Herr Kollege Jenninger, diese Länder nicht von ihrer bildungspolitischen Rückständigkeit dadurch abbringen, daß Sie ihnen mehr Geld zur Verfügung stellen; denn die wollen vielleicht etwas anderes.
({20})
Das ist ein Problem der Länder.
({21})
8318 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Dorn
Nun möchte ich doch einmal fragen: Wer hat sich denn eigentlich, Herr Kollege Jenninger, wenn das alles so schlimm und so schlecht ist, wie Sie es darstellen, und wenn diese Regierung so unfähig ist, wie es Herr Ott meint, in den letzten Jahrzehnten für eine Weiterentwicklung einer fortschrittlichen Bildungspolitik in Bund und Ländern eingesetzt?! Die CDU/CSU wurde doch mit weitem Abstand überhaupt nur zur Jagd getragen.
({22}) Darüber gibt es doch wohl gar keinen Zweifel.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?
Bitte sehr!
Herr Kollege Dorn, würden Sie uns sagen, ob die FDP mit der Streichung der Bildungsplanungsreserve sehr zufrieden ist oder ob das, was hier geschehen ist, nicht gerade gegen Ihr bildungspolitisches Programm läuft?
Herr Kollege Jenninger, Sie wissen genau, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen im Rahmen einer Finanzplanung nach Möglichkeiten gesucht haben, für die Zukunft mehr Geld für Forschung und Bildungspolitik zur Verfügung zu stellen. In vollem Umfange sind wir mit den Vorstellungen nicht zum Zuge gekommen. Auch Herr Leussink hat hier einiges in seinem Haushalt abstreichen müssen wie alle anderen Minister auch; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Aber Sie können doch nicht bestreiten, daß die Steigerungsrate für diesen Bereich in den letzten 23 Jahren noch nie so hoch gewesen ist wie zu der Zeit, seit die sozial-liberale Koalition die Bundesregierung übernommen hat.
({0})
-- Das sagt immerhin aus, Herr Kollege Leicht, daß diese Bundesregierung den von Ihnen jetzt in der Opposition vorgetragenen Forderungen erheblich näher gekommen ist als Sie, solange Sie in der Regierung waren.
({1})
Damals waren Sie nicht bereit, die für diesen Zweck erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das sagt das immerhin aus, und das ist eine gesellschaftspolitische Wertung dieser Frage, die man akzeptieren muß.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wird darüber gesprochen, daß die Finanzierung der Anleihen praktisch dazu beitrüge, daß allein 50 Millionen DM, wie Herr Kollege Jenninger gesagt hat, in den Kamin geschrieben werden müßten. Nun, Herr Kollege Jenninger, lassen Sie mich dazu ein sehr praktisches Gegenbeispiel vortragen. Sie wissen ganz genau, daß gerade im Bereich der Bildungspolitik nicht in einer Generation all das an Bereitstellung von Mitteln zur Erfüllung von Ausgabenotwendigkeiten nachgeholt werden kann, was in vielen Generationen versäumt worden ist. Darüber sind wir uns hoffentlich in der Ausgangsposition noch mit Ihnen einig. Nur, wenn Sie heute sagen, bei dieser Art der Finanzierung würden 50 Millionen DM in den Schornstein geschrieben
({3})
- 60 Millionen DM; ich streite mich mit Ihnen nicht über 10 Millionen in diesem Bereich , dann muß ich Ihnen sagen, Herr Jenninger, Hunderte von Millionen hat die CDU/CSU-Fraktion in den Jahren 1966 bis 1969 mit dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß als Finanzminister der damaligen Regierung durch ihre Zustimmung ebenfalls in den Schornstein gejagt.
({4})
- Aber Herr Kollege Leicht, das ist doch sehr leicht nachzurechnen. Lassen Sie mich nur ein ganz kleines Beispiel nennen. Sie haben in den vergangenen Jahren der zahlenmäßig Großen Koalition in diesem Hause entscheidend mit dafür gesorgt - Sie und der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß ({5})
- Entschuldigen Sie, die SPD weiß ganz genau, daß sie einen Teil der Verantwortung genauso zu tragen hat, wie wir einen Teil der Verantwortung heute zusammen mit der SPD für das tragen, was wir alle gemeinsam nicht realisieren können. Das ist das Schicksal jeder Koalitionsfraktion, egal wie die Koalition aussieht.
Sie, Herr Kollege Leicht, haben mit Ihrem Finanzminister Franz Josef Strauß z. B. dafür gesorgt, daß im Rahmen des Leasing-Verfahrens Bundesbauten für zig Millionen gebaut worden sind, und haben dieser Regierung allein für ein Hochhaus des Bundesministeriums des Innern eine jährliche Mietlast von über 770 000 DM aufgebürdet. Wir, diese Koalition, müssen heute mit den Entscheidungen, die Sie damals getroffen haben, in der Belastung
({6})
- Das Projekt, Herr Leicht, hätte damals 7,2 Millionen DM gekostet. Sie waren nicht bereit, diese 7,2 Millionen DM zu zahlen. Wir müssen jetzt über diesen Weg, da es ja länger als zehn Jahre stehen soll - das nehmen wir doch beide an -, jährlich einige hunderttausend DM nur für dieses eine Projekt, wie Herr Kollege Jenninger sagt, in den Schornstein schreiben. - Bitte schön!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Dorn, weil Sie eben diesen letzten Punkt angeschnitten haben: Ist Ihnen nicht bekannt, wer sich in den vergangenen Jahren leidenschaftlich dagegen gewehrt
hat, daß Bonn zur Bundeshauptstadt ausgebaut wird, und zwar immer mit dem Hinweis auf die ehemalige Reichshauptstadt?
Herr Kollege Althammer, die Frage, in welchem Umfang Bonn funktionsfähig gemacht werden sollte oder nicht, ist in diesem Hause über viele Jahre kontrovers behandelt worden, weil die politischen Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft Bonns als endgültige oder vorläufige Bundeshauptstadt diskutiert worden sind. Nur, wenn man eine solche Entscheidung trifft und wenn man die Bundesbauten in Bonn finanzieren will und über die Notwendigkeit hat es zu dein Zeitpunkt keine Differenzen gegeben -,
({0})
dann muß man den Mut haben, Entscheidungen zu treffen, die man auch finanzieren kann. Wenn man sie nicht so trifft, darf man gegenüber der nächsten Regierung, die in einem ganz anderen Verfahren arbeitet, das kapitalwirksamer ist als das, was Herr Strauß angewandt hat, nicht solche unqualifizierten Vorwürfe erheben.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Alex Möller hat gestern in seiner Rede gesagt, wir hätten in der Rentenversicherung Anträge gestellt, die systemverändernde Wirkung hätten. Herr Kollege Möller, hierzu kann ich nur sagen: das ist schlicht falsch. Ich will einem so alten und auch von mir aus verdienten Parlamentarier nicht unterstellen, daß er über unsere Anträge die Unwahrheit sagen wollte. Aber ich glaube ihm doch sagen zu müssen, daß er die Anträge der CDU/CSU zur Rentenversicherung nicht richtig gelesen oder nicht richtig verstanden hat.
Ich nehme hier z. B. nur einmal das Fünfzehnte Rentenanpassungsgesetz, das im Grunde eine Fortsetzung unserer Anträge zum Vierzehnten Rentenanpassungsgesetz ist. Worum geht es beim Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetz? Ich muß hier einmal ins Detail gehen, um Ihnen das deutlich zu machen. Während wir 1969 unter dem Arbeitsminister Katzer etwa 49 bis 50 % Rentnereinkommen, gemessen an den Einkommen der aktiv Beschäftigten, hatten, haben wir heute ein Rentenniveau von 40,5 %. Die Zielsetzung des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes, damals gemeinsam in der Großen Koalition getragen, ging davon aus, in den Jahren etwa ab 1975 ein Rentenniveau von 50 % zu erreichen. Die Annahmen der Lohnentwicklung lagen damals, langfristig von 1969 bis 1985 gesehen, bei 5 %. Infolge der starken Preissteigerung ist die Lohnentwicklung jedoch überproportional und stärker gestiegen, und langfristig geht die Bundesregierung nach dem Rentenanpassungsbericht 1971 -das können Sie hier nachlesen -von einer Lohnsteigerung von 6 % aus. Demnach verbessert sich das Rentenniveau -- allerdings nur, weil die Löhne überproportional gestiegen sind - am Ende dieses Jahrzehnts statt auf 50 % nach dem Dritten Rentenanpassungsgesetz auf etwa 47 %.
Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, setzen wir mit unseren Anträgen ein. Nachdem die SPD und FDP unsere Anträge zum Vierzehnten Rentenanpassungsgesetz, die 1958 unterlassene Rentenanpassung zur Hälfte nachzuholen, abgelehnt haben, stellen wir einen neuen Antrag, der morgen in diesem Hause beraten wird. Unser Antrag zum Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetz sieht wiederum vcr, die 1958 unterlassene Anpassung insoweit nachzuholen, als wir die Renten hiernach ein halbes. Jahr früher anpassen werden. Die Renten sollen statt am 1. .Januar 1973 am 1. Juli 1972 um 9,5 % erhöht werden.
Herr Kollege Möller, ein paar Worte zu den Kosten. Die Arbeiter- und Angestelltenversicherungen haben diese Rentenerhöhung in Höhe von 2816 Millionen DM, falls Sie ihr zustimmen - und wir hoffen das sehr , selbst zu tragen. Sie haben sie
aus den Überschüssen laut Rentenanpassungsbericht der Bundesregierung im nächsten Jahr etwa 6 Milliarden DM - zu bezahlen. Auf den Bundeshaushalt - das ist klar kommen 223 Millionen DM in der Knappschaftsversicherung und etwa 280 Millionen DM in der Kriegsopferversorgung zu; das ist einfach die Automatik, die mit der Dynamisierung der Kriegsopferrenten verbunden ist.
Diese Frage hat in unserer Fraktion selbstverständlich auch unter haushaltspolitischen und konjunkturpolitischen Gesichtspunkten eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Aber alle unsere Kollegen haben nach langer Diskussion einfach auch ihre Bedenken, die sie aus konjunkturpolitischen Gründen vorgebracht haben, zurückgestellt, weil - ich bringe das auf eine ganz einfache Formel - wir eine Stabilisierung auf Kosten derjenigen, die an den Einkommensteigerungen aus einem Arbeitsleben nicht teilhaben können, also auf Kosten der Rentner und der Kriegsopfer, nicht betreiben dürfen. Das ist unsere Entscheidung.
({0})
in der Rentensystematik und in der Automatik verändern wir nichts. Wir bleiben im System. Wir verändern nur die Termine.
Nun lassen Sie mich noch eine ganz kurze Bemerkung zu dem machen, was der Herr Bundeskanzler gestern hier zur Frage der Sicherung der Arbeitsplätze gesagt hat. Er hat wiederum eine Garantie der Vollbeschäftigung gegeben. Der Herr Bundeskanzler ist jetzt nicht da. Ich habe Verständnis dafür, daß er heute morgen etwas später hier erscheinen wird; ich nehme ihm das persönlich gar nicht übel.
({1})
lch muß jetzt an den leeren Stuhl meine Formulierungen richten; ich habe den Kanzler gestern noch auf diese Dinge angesprochen.
Franke ({2})
Morgen demonstrieren in Osnabrück etwa 5000 bis 6000 Arbeiter eines großen Unternehmens, von denen etwa 1000 bis 1500 in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Ich sage das nur stellvertretend für viele Diskussionen. Das, was in Osnabrück passiert, passiert in Nordrhein-Westfalen bei Hagen-Haspe; Sie wissen ganz genau, von welchem Unternehmen ich spreche. Wem nutzt jetzt diese Vollbeschäftigungsgarantie dieses Bundeskanzlers, wenn den 1000 bis 1500 Arbeitern in Osnabrück im Umkreis von mehreren hundert Kilometern kein Arbeitsplatz angeboten werden kann? Nun werden Sie natürlich sagen: Wir müssen dafür sorgen und hätten in der Vergangenheit dafür sorgen müssen, daß hier andere Industrien, die nicht so konjunktur- und krisenanfällig sind, angesiedelt werden. Ja, das habe ich zum Beispiel seit 1959 als Landtagsabgeordneter betrieben. Sie wissen ja, daß die Regionalpolitik eine Aufgabe der Landesregierungen ist. Die Monostruktur dieses Raumes - das gilt auch für andere Räume - hat es verhindert und wird es künftig verhindern, daß diese 1000 bis 1500 Kollegen ich darf das einmal als Gewerkschaftler sagen - einen Arbeitsplatz finden werden. Ich habe häufig mit dem Bundeswirtschaftsminister über die Frage der Ausdehnung der Aktionsprogramme auch auf solche monostrukturierten Räume korrespondiert. Wir haben immer eine Ablehnung bekommen. Die Arbeitsverwaltung die Bundesanstalt für Arbeit, an der Spitze der Präsident Stingl - und der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Dr. Böhme, unser Kollege, haben sich das in Osnabrück - stellvertretend auch für andere monostrukturierten Räume - angesehen und uns Hilfen gegeben. In das Aktionsprogramm sind wir nicht hineingekommen. Die Folgen werden die Kollegen, die morgen demonstrieren, leider Gottes auszutragen haben, weil wir hier eine aktive Hilfe unterlassen haben. Die Vollbeschäftigungsgarantie dieses Bundeskanzlers hilft uns gar nichts.
({3})
- Herr Kollege Hansing, ich sehe Sie den Kopf schütteln; das hat sicherlich nichts mit mir zu tun. Aber es ist das gleiche Unternehmen, welches auch in Bremen einen großen, hervorragenden Platz hat. Ich weiß, daß die im Augenblick noch keine Sorgen haben, weil innerhalb des Unternehmens gewisse Produktionszweige nach Bremen verlagert werden. Aber lassen Sie mich doch bitte einmal folgendes sagen. Ich appelliere einfach an die Solidarität derjenigen, die nicht nur für einen kleinen Raum zu sorgen haben, sondern auch ein Verantwortungsgefühl für das Größere besitzen. Ich bitte Sie, die monostrukturierten Räume auf die Dauer insoweit zu unterstützen, als die Aktionsprogramme auch auf sie ausgedehnt werden. Ich sage noch einmal: Die Vollbeschäftigungsgarantie des Bundeskanzlers nützt denjenigen, die in Hagen und in Osnabrück ihre Arbeitsplätze verlieren, überhaupt nichts mehr.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Franke, soweit ich unterrichtet bin, steht die Rentendebatte auf der morgigen Tagesordnung. Dann wird all das, was Sie angeführt haben, sicherlich eine Rolle spielen, und es wird ausführlich darüber diskutiert werden. Insofern haben Sie sich heute, wie ich feststellen möchte, völlig vergriffen.
({0})
Darüber hinaus haben Sie im Zusammenhang mit sozialpolitischen Überlegungen zur Rentenversicherung auch Fragen der Wirtschaftspolitik, der Anpassungsprozesse und der einseitig strukturierten Wirtschaftsräume angesprochen. Ich kann dazu nur sagen, daß es in jeder Phase der Vollbeschäftigung Schwierigkeiten struktureller Art gegeben hat. Damit mußte man fertigwerden. Wir kennen die langfristigen Dispositionen der Bundesregierung, gerade in diesen Räumen Arbeitsplätze zu schaffen und die einseitigen Strukturen wesentlich zu verändern. Für den Hagener Raum haben Bundesregierung und Landesregierung, vor allem Ministerpräsident Kühn, ihr besonderes Engagement zum Ausdruck gebracht. Die Regierung nimmt die Vollbeschäftigung sehr, sehr ernst. Soweit ich Ihre Politik aus der Vergangenheit kenne, haben Sie damals ganz bewußt eine Rezession mit einer großen Belastung der Rentner und der Arbeitnehmer überhaupt herbeigeführt. Das war das Ergebnis Ihrer politischen Maßnahmen.
({1})
Die Bundesanstalt für Arbeit hat sich mit den Tatbeständen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt, und auch sie setzt sich für die Vollbeschäftigung, die die Bundesregierung, wie gesagt, sehr ernst nimmt, ein. Sicherlich werden hier eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um mit den Dingen draußen im Lande besser fertig zu werden, als Sie in den Jahren 1966 und 1967 damit fertig geworden sind.
({2})
Ich komme nun zur Frage der Renten, die Sie angesprochen haben. Sie wissen genau - und darum geht es hier -, daß im Haushalt eine große Lücke klafft, wenn Ihre Vorstellungen realisiert werden würden. Sie haben einen Deckungsvorschlag dafür nicht machen können. Wir sind der Meinung, daß wichtige strukturelle Verbesserungen in der Rentenversicherung notwendig sind und daß man denjenigen, die schon eine hohe Rente beziehen, nicht mit der Gießkanne noch mehr geben kann, während die Bezieher kleiner Renten nur wenig mehr bekommen. Das wäre nämlich das Ergebnis, wenn man Ihr Prinzip verwirklichte.
Kollege Franke, ich nehme an, Sie haben den Sozial- und den Rentenbericht genau gelesen und kennen das entscheidende Kriterium dafür, ob unsere Rentenformel revisionsbedürftig ist oder nicht. Vergleicht man das Rentenniveau mit dem Nettoeinkommen eines Versicherten nach einem vollen Versicherungsleben von 50 Jahren
({3})
- das Jahr 1971 ist wegen der zurückliegenden gewollten Rezession ein Jahr mit niedrigen Rentenanpassungen -, so beträgt das Altersruhegeld eines Versicherten mit einem Durchschnittseinkommen rund 67 % Wenn man das- weiterverfolgt, wird man feststellen, daß der Prozentsatz in den kommenden Jahren erheblich ansteigen wird, und zwar bis zu 79 %. Ich will damit sagen, daß die entscheidenden sozialpolitischen Schwerpunkte in diesem Haushalt, der überdurchschnittlich steigt, vorgezeichnet werden. Dagegen muß man Ihre Vorschläge mit Vorsicht betrachten, weil Sie die Dinge auch unter konjunkturellen, jedenfalls populären Gesichtspunkten sehen. Wenn die CDU Anträge stellt, jetzt etwas dazuzulegen, dann muß man auch davon ausgehen, daß sie zu anderen Zeiten wieder etwas abziehen will. Das möchten wir nicht. Wir wünschen, daß die Rentner Vertrauen haben können, vor allem, was die Rentenformel angeht.
({4})
Die Rentenformel muß in jeder Phase der wirtschaftlichen Entwicklung gesichert sein. Sie haben den Rentner-Krankenbeitrag erfunden und zu Lasten der Rentner durchgesetzt,
({5})
Sie wollten das Netto-Prinzip in der Rentenversicherung, um die Arbeitnehmer dadurch insgesamt zu schädigen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Beratung des Tagesordnungspunktes 4, in die das Hohe Haus gestern morgen eingetreten ist, gehört unter Buchstabe d auch die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des mittelfristigen finanziellen Beistands in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Dieser Entwurf wirkt vor dem Hintergrund der Diskussion, die über die nationale, die europäische und die Weltwährungspolitik hier in diesem Hause und draußen in der Öffentlichkeit geführt wurde und geführt wird, wie ein Anachronismus; ist doch das Problem des Tages ganz gewißt nicht, einen Mechanismus zu schaffen, der es den EWG-Staaten erlaubt, sich bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten gegenseitig mit Devisenkrediten mittlerer Laufzeit auszuhelfen, was sie schon immer getan haben, sondern das genaue Gegenteil.
({0})
Seit Monaten, meine Damen und Herren, haben alle EWG-Staaten alle Hände voll zu tun, den Zustrom von Devisen von sich ab- und nicht auf sich zuzulenken; und daran scheint sich vorläufig noch nichts Grundlegendes zu ändern.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind bekannt und stehen hier nicht zur Diskussion. Dazu hat Herr Strauß gestern das Nötige gesagt. Was hier jedoch zur Diskussion steht, und zwar in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, ist die Art und Weise, wie die Bundesregierung die gegenwärtigen Zahlungsbilanzschwierigkeiten, die nicht ihre Schwierigkeiten allein sind und die nicht Schwierigkeiten eines Zahlungsbilanzdefizits sind, in der EWG behandelt hat.
Als der Ministerrat der EWG am 22. März 1971 seine Entscheidung über die Einführung eines Mechanismus für den mittelfristigen finanziellen Beistand, der die Basis des vorliegenden Gesetzentwurfes ist, verabschiedete, mußte eigentlich, so sollte man meinen doch schon klar gewesen sein, daß die Währungsprobleme der EWG-Staaten in kurz- und mittelfristiger Sicht mit Devisenüberschüssen und nicht mit Devisendefiziten zusammenhängen würden. Die Bestandszahlen und die Zuwachszahlen der Devisenreserven der nationalen Notenbanken lagen doch auf dem Tisch. Wie ist es, so muß man sich heute fragen, angesichts dieser Sachlage möglich gewesen, daß man sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion im März dieses Jahres noch mit dem Problem des gegenseitigen Beistandes in der Form der Gewährung von mittelfristigen Devisenkrediten befaßte und mit der weitaus aktuelleren Frage der Abwehr von Devisenzuflüssen,
({1})
und zwar auf einer gemeinschaftlichen Basis, auf der Basis einer konzertierten europäischen Aktion?
({2})
So kam es, meine Damen und Herren, wie es kommen mußte. Als die Bundesregierung der Devisenzuflüsse, insbesondere der Dollarzuflüsse, Anfang Mai nicht mehr Herr wurde, als man in einer Dollarflut zu ertrinken drohte, versuchte die Bundesregierung, im Alleingang mit dem Problem fertig zu werden. Sie floatete und leitete damit eine verhängnisvolle Entwicklung ein.
Es geht bei dieser Feststellung nicht darum, darüber zu streiten, ob der Übergang zum Floaten Anfang Mai eine richtige Maßnahme war oder nicht. Es geht darum, daß die Entwicklung, die zum Entschluß der Bundesregierung, zu floaten, führte, lange vorher erkennbar war.
({3})
Es geht darum, daß man sich über diese Entwicklung in der EWG hätte konsultieren müssen; man hätte rechtzeitig Vorkehrungen treffen müssen, hätte einen Mechanismus - so, wie er mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine ganz andere, im Augenblick gar nicht aktuelle Situation geschaffen wird -- schaffen müssen, um den erkennbar werdenden Schwierigkeiten zu begegnen, und zwar, meine Damen und Herren, europäisch, d. h. gemeinsam mit den übrigen EWG-Staaten zu begegnen.
Die Bundesregierung hatte hierzu eine ganz besondere Verpflichtung, denn sie wies die größten Devisenzuflüsse auf. Für sie war das Problem von
besonderer Schwere. Sie hat nicht entsprechend gehandelt und hat damit die in der Folgezeit aufgetretenen Schwierigkeiten heraufbeschworen.
({4})
Die Bundesregierung erklärt immer wieder, daß sie ihren Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag bezüglich Information und Konsultation mit der Ratssitzung vom 8. Mai 1971 nachgekommen sei. Meine Damen und Herren, diese Erklärung der Bundesregierung ist nichts weiter als eine Schutzbehauptung. Die Bundesregierung weiß doch, wie lange es dauert, zu einem Akkord zu kommen; und sie wußte doch, daß in einer so schwierigen Frage eine Ratssitzung niemals ausreichen würde. Ist sie nicht in die Ratssitzung mit der vorher hier in Bonn getroffenen Entscheidung hineingegangen, den Wechselkurs der D-Mark mit oder ohne Zustimmung der EWG-Staaten freizugeben?
Heute zahlen wir schwer dafür, daß vor dem 8. Mai 1971 das Problem der Devisenzuflüsse nicht rechtzeitig auf Gemeinschaftsebene in Angriff genommen wurde und Gemeinschaftslösungen nicht vorbereitet wurden. Heute haben wir durch den Alleingang der Bundesregierung nicht mehr Integration als vor dem 8. Mai, sondern weniger Integration.
({5})
Heute sind wir auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion, obgleich wir uns bereits seit dem 15. Juni in der ersten Stufe befinden, weiter von ihr entfernt als vor zwei Jahren und hinter Den Haag zurückgeblieben. Was noch schlimmer und trauriger ist, heute scheinen wir auch weiter davon entfernt zu sein, in der EWG wieder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen als in den ersten Wochen nach dem 8. Mai 1971. Die Fronten haben sich inzwischen verhärtet. Die Erwartungen, die die Bundesregierung hegte, daß ihrem Vorgehen sich schließlich alle anderen EWG-Staaten anschließen würden, ja anschließen müßten, erwiesen sich als fundamentaler Irrtum.
Aber nicht nur hierin irrte die Bundesregierung, sie irrte auch noch in einem anderen Punkt, nämlich als sie glaubte, über das weitgehend freie Floaten einen marktgerechten Wechselkurs für die D-Mark zu erreichen. Heute stehen wir bei einem Aufwertungssatz von rund 10 % gegenüber dem Dollar und von rund 7 % gegenüber der gesamten übrigen Welt. Diesen Aufwertungssatz bezeichnet auch die Bundesregierung als weit überhöht. Wie glaubt sie, von diesem Satz wieder herunterkommen zu können? Wie will sie mit den Schwierigkeiten fertig werden, die sich aus einem überhöhten Aufwertungssatz für unsere Exportwirtschaft ergeben? Hat die Bundesregierung diese Entwicklung wirklich nicht kemmen sehen? Hat sie nicht, bevor sie zum Floaten überging, Überlegungen angestellt, wo man enden würde, wenn andere Länder sich dem Vorgehen der Bundesrepublik nicht anschließen würden?
Heute exkulpiert sich die Bundesregierung damit, daß die anderen Länder die Spielregeln nicht eingehalten hätten, ohne die über das Floaten neue marktgerechte Wechselkurse nicht gefunden werden könnten. Die Welt, in der wir leben, ist keine Welt nach dem theoretischen Lehrbuch. Wir haben kein Recht, anderen Ländern Vorwürfe zu machen, wenn sie sich nicht der Theorie gerecht verhalten.
({6})
Es gibt auch noch andere Ziele, für deren Erreichung sich der ganze Einsatz lohnt. Das gilt insbesondere für die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der EWG. Daß diese Zusammenarbeit durch die Währungspolitik der Bundesregierung in den letzten Monaten gelitten hat, ist tief zu bedauern, eine Entwicklung, deren Bedeutung weit über das rein Wirtschaftliche hinausreicht, eine Entwicklung, für die die entschlossene Rückkehr so schnell wie möglich das Gebot der Stunde ist.
Gestern hat der Herr Bundeskanzler erklärt, daß dies das Ziel der Bundesregierung sei, daß die Bundesregierung bereit sei, jeden Beitrag zu leisten, um aus der Währungskrise wieder herauszukommen, und daß sie die besondere Bedeutung sehe, die dabei der Zusammenarbeit in der EWG zukomme und hierbei wieder besonders dem deutsch-französischen Dialog. Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem voll und ganz zu. Herr Dr. Barzel hat für die Opposition die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nachdrücklich begrüßt und die Priorität der europäischen Integration und atlantischen Zusammenarbeit unterstrichen. Eine Überwindung der bestehenden Schwierigkeiten kann aber nicht so erfolgen, wie man das in der Vergangenheit offensichtlich versucht hat, daß man zwar seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, im übrigen aber erwartet, daß die anderen EWG-Staaten sich den deutschen Vorstellungen und dem deutschen Vorgehen fügen. Dies wäre ein denkbar schlechtes Verfahren und würde nicht anders enden als frühere Versuche, zu einem Akkord zu kommen, nämlich mit einem Mißerfolg.
Die EWG konnte sich entwickeln und hat sich entwickelt, weil alle EWG-Staaten immer wieder bereit waren, in Sachfragen Kompromisse zu schließen. Dabei sind letztlich alle Staaten gut gefahren. Kompromisse zu schließen wird auch im Bereich der Währungspolitik nötig sein. Nur dann besteht die Chance, die derzeitige Währungskrise in der EWG zu überwinden. Und wir müssen sie überwinden, wenn wir Schlimmeres verhindern wollen.
Erst wenn wir in der EWG wieder Boden unter den Füßen haben, zu festen Wechselkursen zurückgekehrt sind und in gleicher oder ähnlicher Weise den Problemen künftiger Devisenzuflüsse begegnen, sollten wir an die Lösung der Weltwährungsprobleme herangehen, wobei um jeden Preis zu vermeiden ist, in den Verhandlungen einen europäisch-amerikanischen Gegensatz aufkommen zu lassen. Ebenso ist allerdings darauf zu achten, daß diese Verhandlungen nicht den Zusammenhalt der EWG- Staaten beeinträchtigen.
Wir wären heute glücklich, Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister er ist im Augenblick nicht da -, wenn wir mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des mittelfristigen finanziellen Beistands in der EWG über den Beitrag
der Bundesrepublik zu einem Mechanismus sprechen könnten, dem vordringliche aktuelle Bedeutung zukommt. Dann würde nämlich die währungspolitische Zusammenarbeit innerhalb der EWG auf einer gemeinsamen Grundlage funktionieren bzw. wieder funktionieren. Bis dahin allerdings - darum möchte ich den Herrn Bundeswirtschafts- und -finanzminister bitten - können wir nur nachdrücklich und eindringlich fordern, alles, aber auch alles zu tun, sobald wie möglich innerhalb der EWG wieder zu einer gemeinsamen Grundlage, zu einer gemeinsamen Währungspolitik, zu einer gemeinsamen Haltung in währungspolitischen Fragen, zu einem gemeinsamen Vorgehen, zu mehr Europapolitik und nicht weniger zurückzufinden.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu den Ausführungen meines Kollegen Sprung vier Bemerkungen machen.
Erstens. Wenn Sie, Herr Kollege Sprung, Floaten als verhängnisvoll bezeichnen,
({0})
dann machen Sie damit deutlich, daß in der Wirtschaftspolitik der CDU/CSU einmal mehr der gesiegt hat, der der geheime Kanzlermacher ist, nämlich Herr Strauß. Ich habe noch sehr wohl die Resolution des Präsidiums der CDU von vor einigen Monaten im Ohr, in der in sehr deutlicher und angenehmer Form dargestellt wird, daß diese Politik des Floatens in der gegenwärtigen wirtschafts- und währungspolitischen Situation die richtige ist.
({1})
Und ich habe noch sehr wohl im Ohr, wie der Kollege Strauß reagiert hat, nämlich negativ und massiv. Ich nehme heute zur Kenntnis, daß Sie seine Position wider eigene wirtschaftliche Vernunft übernommen haben.
({2})
Zweite Bemerkung. Wenn Sie, Herr Kollege Sprung, meinen, daß der vorliegende Gesetzentwurf überflüssig ist, dann muß ich Sie leider korrigieren. Ich glaube, ich muß einmal in sehr kurzer Form darlegen, wie der Ablauf der währungspolitischen Debatten in den europäischen Gremien gewesen ist. Am 23. November 1970 hat der Ministerrat über diese Themen verhandelt. Dabei hat sich ergeben, daß alle Mitglieder mit Ausnahme Frankreichs den Eintritt in den Stufenplan für die Wirtschafts- und Währungsunion wollten, wie ihn die Werner-Kommission vorgeschlagen hat. Für die Bundesregierung hat damals Herr Schöllhorn gesagt, daß nur die Annahme der Grundsätze dieser Währungs- und Wirtschaftspolitik, dieser gleichmäßigen Fortentwicklung der Gemeinschaft für uns akzeptabel wäre. Es hat keinen Zweck, hier über die Position eines Partners in der Gemeinschaft zu richten oder sich zu beklagen. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Wir wollen in der Europapolitik nicht das produzieren, was Sie einmal 1965 produziert haben, nämlich eine monatelange EWG-Krise. Wir müssen die Haltung unserer Partner zur Kenntnis nehmen.
({3})
- Jawohl. Wenn Sie damals diese EWG-Krise mit Ihrer Sturheit nicht produziert hätten, wären wir in der europäischen Integration heute ein ganzes Stück weiter.
({4})
- Jawohl!
Es hat dann im Januar dieses Jahres eine gemeinsame Plattform gegeben, indem die Bundesregierung und die französische Regierung in einer Reihe von Punkten Übereinstimmung gefunden haben. Nur auf diese Art und Weise war es möglich, diesen ersten Schritt in die Währungs- und Wirtschaftsunion zu tun. Dieser erste Schritt beinhaltet z. B. den Währungsbeistand. Dieser erste Schritt beinhaltet eine Annäherung der Wirtschaftspolitik. Dieser erste Schritt beinhaltet eine Annäherung der Steuerpolitik. Dieser erste Schritt beinhaltet eine bessere Angleichung der Regionalpolitik. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß gerade in diesen Tagen hier ein großer Schritt voran getan worden ist, was die Subventionierung in der Regionalpolitik anbelangt.
Natürlich sind dann die US-Ereignisse gekommen und im Vorfeld dieser US-Ereignisse schwierige Probleme. Nur damit bin ich beim dritten Punkt - zu meinen, daß der Gesetzentwurf damit überflüssig ist und die Währungspolitik in der Gemeinschaft endgültig gescheitert ist, Herr Sprung, ist falsch.
({5})
Herr Sprung, wenn Sie fordern, die Bundesregierung solle heute klar sagen, wie sie die nächsten Schritte tun wolle, dann kann ich davor nur sehr dringend warnen. Jede Aussage der Bundesregierung vor den Verhandlungen in der EWG über eine gemeinsame Währungspolitik erschwert nicht nur die deutsche Verhandlungsposition, sondern kostet Milliarden. Das muß man sehr genau wissen. Hier muß sehr vorsichtig verhandelt werden. Hier dürfen keinerlei Festlegungen und Aussagen getroffen werden.
({6})
Allerdings hat die Position der Bundesregierung sehr deutlich gemacht, daß sie bereit ist, sehr schnell zu einer EWG-Regelung zu kommen, die dann wiederum auch die Beistandsregelungen notwendig macht. Ich glaube allerdings, dieses Haus sollte die Bundesregierung in der Feststellung unterstützen, daß wir mit einer gemeinsamen EWG- Regelung keinen ökonomischen Unsinn beschließen
wollen und auch nichts, was uns schließlich in den direkten Konflikt mit den USA bringen muß.
({7})
Damit bin ich bei der letzten Bemerkung. Die Rede von Herrn Kollegen Sprung war wieder ein Zeichen dafür, wie argumentiert wird. Sie heben immer abwechselnd drei warnende Finger: einmal den Exportfinder - paßt auf! , dann den Preissteigerungsfinger und zum Schluß den Bündnisfinger. Sie haben noch nicht begriffen, daß alle drei Probleme zusammengehören.
({8})
Sie spielen mit falschen Karten, und die Rede von Herrn Dr. Sprung war ein weiteres Beispiel dafür.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich für meine Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zum Tagesordnungspunkt 4 g eine kurze Erklärung abgeben. Dieses Haus wird aufgefordert, einem Antrag des Haushaltsausschusses zu einem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zuzustimmen. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, können diesem Antrag unsere Zustimmung nicht geben.
3) Dieser Entschließungsantrag der Union, der Grundlage des Haushaltsausschußbeschlusses ist, ist mit der schon fast bekannten Koalitionsguillotine niedergestimmt worden. Der Antrag des Ausschusses sieht vor, den Entschließungsantrag der CDU/CSU abzulehnen.
Was beinhaltet dieser Antrag? Ich will mich auf einen Punkt konzentrieren. In Ziffer 2 des Antrages wird die Bundesregierung ersucht - ich zitiere -, „bei den EWG-Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß, solange die europäische Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht geschaffen ist, die starre Bindung der Agrarpreise an die EWG-Rechnungseinheit aufgehoben oder gelockert wird".
Dieses Ersuchen an die Bundesregierung wurde bereits am 9. Februar 1971, d. h. zwei Monate vor der Entscheidung über die Wechselkursfreigabe, vorgelegt, und zwar auf Grund der schlechten Erfahrungen, die sich aus den Folgen der Aufwertung aus dem Jahr 1969 ergeben haben. Niemand wird länger bestreiten können, daß die im Jahr 1969 gefundene Aufwertungsausgleichsregelung weder eine marktkonforme Maßnahme gewesen ist noch langfristig den Belangen der Landwirtschaft gerecht wird.
Wenn heute auch gar nicht darüber gestritten werden soll, ob mit dem Aufwertungsausgleich in den Jahren 1970 und 1971 der Landwirtschaft zusätzliche Einkommensminderungen entstanden sind, so ist aber doch unabweisbar, daß durch die degressive Gestaltung des Aufwertungsausgleichs, der ja 1974 ganz entfällt, langfristig schwerwiegende Nachteile der Landwirtschaft im gemeinsamen Agrarmarkt unserer Landwirtschaft entstehen. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir bereits 1969 eine Grenzausgleichsregelung gefordert.
Noch bei der Diskussion über den Entschließungsantrag in den Ausschüssen sowohl im Ernährungsausschuß als auch im Haushaltsausschuß - wurde uns der Vorwurf gemacht, daß wir mit der Forderung nach Lockerung der Bindung der Agrarpreise an die europäische Rechnungseinheit den gemeinsamen Markt in Gefahr bringen. Wenn ich heute in der Erklärung, die Herr Kollege Peters gleich abgeben wird, lese, daß er uns heute noch unterstellt, wir wollten mit diesem Antrag den EWG-Agrarmarkt beseitigen, dann kann ich nur fragen, ob Herr Kollege Peters und andere denn immer noch nicht begriffen haben oder nicht begreifen wollen, daß ein Grenzausgleichssystem doch gar nichts anderes beinhaltet als die Lockerung der festen Bindung der Agrarpreise an die Rechnungseinheit. Um nichts anderes geht es doch dabei.
Wir haben früher bereits darauf hingewiesen, daß der sogenannte „Grüne Dollar" zwar über viele Jahre die entscheidende Klammer für die Agrarpolitik in der Gemeinschaft gewesen ist, aber eben durch die Paritätsänderung des Jahres 1969 sich immer mehr zum Sprengsatz der gemeinsamen Agrarpolitik entwickelt hat, um damit auch ein Wort des Bundeslandwirtschaftsministers zu zitieren. Ein Verrechnungsinstrument, das bei Paritätsänderung dem einen Land höhere, dem anderen Land niedrigere Erzeugerpreise ohne Rücksicht auf Markt- und Wettbewerbslage beschert, hat seine integrale Funktion verloren.
Wir bekannten und bekennen uns zur gemeinsamen Verantwortung für die Preisfestsetzung und auch für die gemeinsame Finanzierung in der EWG. Wir sind sogar davon überzeugt, daß realistische Lösungen bei Paritätsänderungen einen heilsamen Druck in Richtung auf Fortschritte im Bereich der Währungs- und Wirtschaftsunion ausüben können. Hier befinden wir uns in guter Gesellschaft. Sowohl der Herr Bundeslandwirtschaftsminister wie der Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister als auch der Herr Bundeskanzler gestern hier haben ja von sich aus deutlich gemacht - der Bundeslandwirtschaftsminister in vielen Reden draußen , daß auch sie bei einer Paritätsfestsetzung nach dem Floaten ein Grenzausgleichssystem für die einzige vernünftige Regelung für den gemeinsamen Agrarmarkt und damit für die Landwirtschaft halten.
Nun frage ich die Koalitionsfraktionen, ob sie tatsächlich einem Antrag zustimmen wollen, der nichts anderes beinhaltet, als in diesem Punkt die Haltung der Bundesregierung zu untergraben. Genau das würden Sie mit Ihrem Ja zu diesem Antrag des Haushaltsausschusses tun. Ich darf Sie nur sehr herzlich bitten, selber zu prüfen, ob Sie diesem Antrag so Ihre Zustimmung geben können. Wir werden ja die Abstimmung über den Antrag wegen der Reise einiger Kollegen zur Beerdigung des Kollegen Lotze bis morgen zurückstellen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, herzlich, zu prüfen, ob Sie es verantworten können, mit einer Ablehnung dieses unseres Begehrens auf Lockerung der Rechnungseinheit der
öffentlich ausgesprochenen Intention der Bundesregierung in dieser Frage in den Rücken zu fallen. Wir sind dazu nicht bereit, weil wir unabhängig voll Opposition oder Regierung der Meinung sind, daß nur eine Grenzausgleichsregelung, Herr Kollege Peters, und damit eine Lockerung der Bindung an die Rechnungseinheit in der Lage sein werden, die Probleme zu lösen, die sich nach einer Festsetzung der Parität für die D-Mark im gemeinsamen Agrarmarkt ergeben.
Aus diesem Grunde sagen wir jetzt schon, daß wir nicht bereit sind, diesem Ausschußantrag, wenn er nicht zur erneuten Beratung an die Ausschüsse zurückverwiesen wird, zuzustimmen. Wir werden ihn vielmehr aus den genannten Gründen ablehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Peters ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktionen der SPD und FDP gebe ich zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU vom 9. Februar 1971 folgende Erklärung ab.
Die Bundesregierung hat energisch darauf hingewirkt, die Vorschläge der EG-Kommission über Agrarpreise 1971/72 zu verbessern. Nach unabhängigem Urteil ist in den Verhandlungen mehr erreicht worden, als Kenner der Brüsseler Verhältnisse angenommen hatten. Zu den Preisverbesserungen um 800 bis 900 Millionen DM für die deutsche Landwirtschaft ist eine zusätzliche Hilfe in Höhe von 480 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt über die Liquiditätshilfe und zusätzliche Zinsverbilligungen gewährt worden.
Es ist schon in früheren Agrardebatten von seiten der Koalition darauf hingewiesen worden, daß es kaum möglich sein wird, im gemeinsamen Agrarmarkt von der Rechnungseinheit abzukommen, sie aufzuheben oder zu lockern.
({0})
Die CDU/CSU war entscheidend an dieser Konstruktion beteiligt obgleich sie 1961 eine Aufwertung der D-Mark durchführte und nicht vom Tatbestand unveränderlicher Wechselkurse ausgehen konnte.
In einer gemeinsamen Agrarpolitik wird man auf einen gemeinsamen Bezugspunkt der Agrarpreise nicht verzichten. Zu einer Renationalisierung der Agrarpolitik wird es nicht kommen. Deshalb wurden die Interessen der deutschen Landwirtschaft von der Bundesregierung durch die DM-Aufwertung von 1969 und die Freigabe des DM-Wechselkurses 1971 besser vertreten, als es bei einer Erfüllung der oppositionellen Forderung auf Beseitigung der Rechnungseinheit geschehen wäre.
Wir stellen heute, zwei Jahre nach der Aufwertung von 1969, fest, daß die deutsche Landwirtschaft auf Grund der Ausgleichsmaßnahmen - 3 °/o Mehrwertsteuer und Flächenausgleich keinen Schaden erlitten hat. Wir stellen fest, daß es keine Umleitung der Warenströme gab. Wir stellen fest, daß die großen Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft 1970'71 ihre Ursache nicht in der Aufwertung der D-Mark, sondern in einer schlechten Ernte und im übersättigten Fleischmarkt hatten.
({1})
Es ist angebracht, darauf hinzuweisen, daß seit der Freigabe der Wechselkurse im Mai dieses Jahres an der EWG-Rechnungseinheit nichts geändert wurde. Sie besteht nach wie vor. Trotzdem wird der Grenzausgleich erhoben, der sich für unsere Landwirtschaft, aber auch für den Gemeinsamen Markt voll bewährt hat. Bei Rückkehr zu festen Wechselkursen in der EWG werden Bundesregierung und Koalition die Interessen der deutschen Landwirtschaft wie bisher voll zu wahren wissen.
Die agrarsozialen Leistungen für die in der Landwirtschaft Verbliebenen wie für die Ausscheidenden sind in den vergangenen zwei Jahren wesentlich verbessert worden. In den nächsten Jahren wird der Abstand zu Frankreich auf dem Gebiet der agrarsozialen Leistungen im wesentlichen aufgeholt werden. Ab 1. Juli 1972 wird die Pflichtkrankenversicherung mit der Gratisversicherung der landwirtschaftlichen Altershilfeempfänger eingeführt, und ab 1. September 1972 wird die Altershilfe von heute 175 DM auf 240 DM monatlich für das Ehepaar erhöht. Die Unfallrenten sind ebenfalls wesentlich verbessert worden, ohne die Beiträge zu erhöhen. An diesem Tatbestand wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Mit diesen Vorhaben der sozial-liberalen Koalition werden die Versäumnisse früherer Regierungen beseitigt.
({2})
ich bitte, wie der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Haushaltsausschuß zu votieren und die Ziffern 1 bis 6 des Entschließungsantrages der CDU/CSU für erledigt zu erklären und die Ziffern 2 bis 5 abzulehnen.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist in diesem Augenblick meine Aufgabe, ein paar zusammenfassende Bemerkungen darüber zu machen, wie wir die Dinge sehen. Es ist aber auch eine Bemerkung des Dankes für die Kritik, die Vorschläge und die Ergänzungen, die zum Haushalt 1972 und zur mittelfristigen Finanzplanung bis 1975 hier vorgebracht wurden, an alle in diesem Hohen Hause zu machen. Ich glaube, es ist auch meine Aufgabe, neben dieser Bemerkung des Dankes hier ein paar Zusammenfassungen darüber zu geben, welche Schlüsse wir vorerst aus den hier vorgetragenen Meinungen bei der weiteren Behandlung des Haushalts von Regierungsseite aus ziehen.
Als erstes kann ich, glaube ich, in diesem Sinne als allgemeine Meinung dieses Hauses feststellen:
Wir haben alle erfahren und gemeinsam konstatiert, daß wir uns in der deutschen Wirtschaft insgesamt an einer entscheidenden Schwelle, an einem Wendepunkt in unseren binnenwirtschaftlichen und außenwirtschaftlichen Entwicklungen befinden. Wir haben dabei, wie ich glaube, alle zugleich den Eindruck, daß die außenwirtschaftlichen, weltwirtschaftlichen und im weiteren Sinne außenpolitischen Implikationen und Belastungen in dieser Zeit der Wende schwieriger sind als die rein binnenwirtschaftlichen.
Zu den binnenwirtschaftlichen Belastungen nur ein paar Bemerkungen.
Ich glaube, auch hier in diesem Hause wurde nicht abgestritten, daß wir feststellen müssen, daß die konjunkturelle Normalisierung in breiter Front stattfindet und daß die Aufgabe der Haushaltspolitik, der Finanzpolitik und der Wirtschaftspolitik darin besteht, diesen Prozeß der Normalisierung zu fördern, aber unter allen Umständen ein Abgleiten dieser Normalisierung in eine Unterbeschäftigung zu vermeiden. Gewollte Rezession ist nicht das Rezept dieser Regierung und dieser Haushaltspolitik, wie sie hier dargestellt wird.
In dieser Zeit des Übergangs, meine Damen und Herren - daran muß ich noch einmal erinnern -, ist es notwendig, daß wir die Situation nüchtern analysieren und daß wir eine nüchterne Haltung gegenüber den Dingen bewahren. Es hat keinen Sinn, wie das gestern hin und wieder von Sprechern der Opposition geschah, zu beklagen, daß Unruhe und Unsicherheit in der deutschen Wirtschaft bestünden, und gleichzeitig von der Opposition durch Generalverdikte diese Unruhe erst recht anzufachen. Das ist keine adäquate Politik in diesem Augenblick.
({0})
Meine Damen und Herren, wir müssen die Dinge real sehen, so wie sie sind. Wir haben hier nichts beschönigt. Wenn hier von Kurzarbeit und punktuellen Einbrüchen in bestimmten Bereichen in bezug auf die Beschäftigung gesprochen wurde, so kann ich nur sagen: Unsere Arbeitslosenquote liegt noch in diesem Augenblick bei 0,7 %. In unserer gesamtwirtschaftlichen über mehrere Jahre hingehenden Zielprojektion liegt unsere strukturelle Arbeitslosenquote bei 0,7 bis 1,2 %. Wir bewegen uns also heute selbst in diesem kritischen Zeitpunkt des Übergangs in eine kühlere Konjunktur immer noch am unteren Rand der mit Vollbeschäftigung durchaus vereinbaren Arbeitslosenquote von 0,7 bis 1,2 %.
Hin und wieder wurde hier auch auf Einzelfälle von Schwierigkeiten der Unterbeschäftigung bei einigen Firmen hingewiesen. Ich darf hinzufügen, daß wir gleichzeitig noch im letzten Monat eine Zunahme der Zahl der Gastarbeiter in unserem Land von 70 000 zu verzeichnen hatten und daß die Zahl der Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften von 2,24 Millionen die höchste Zahl ist, die wir bisher erreicht haben.
Aber, meine Damen und Herren, ich habe die Konjunkturlage in ihrer Zwiespältigkeit deutlich gekennzeichnet und bin nun der Meinung, daß der Haushalt selber genau in diese Lage paßt, aber auch unsere derzeitige Haushaltsführung. Es nutzt nichts, daß wir den Haushalt 1972, der zu Beginn des kommenden Jahres endgültig beschlossen werden wird, allein betrachten. Wir müssen auch die Haushaltsführung bis dahin ins Auge fassen und unter diesen gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen. Da kann ich nur sagen: Wir versuchen, wie es auch schon angedeutet wurde, in einigen besonders neuralgischen Bereichen, besonders im Tiefbau, durch Freigabe bisher gesperrter Verpflichtungsermächtigungen oder Baransätze für Kontinuität der Beschäftigung in diesen Bereichen zu sorgen. Das bedeutet nicht, daß wir generell das Steuer der Finanzpolitik auf Expansion umschalten. Aber es bedeutet doch, daß wir sehr behutsam und sehr vorsichtig durch gezielte Freigabe dafür sorgen, daß keine plakativen Beschäftigungseinbrüche etwa im Tiefbau eintreten.
Nun zum Haushalt 1972 selber. Mit einer maßvollen Zuwachsrate und kombiniert mit einem Konjunkturhaushalt - denn das ist der Eventualhaushalt scheint mir dieser Haushalt der neuen konjunkturellen Lage angemessen zu sein. Der Haushalt ist nicht extrem bemessen, weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Es ist ein Haushalt von Maß und Mitte. Es ist ein Haushalt, der, ich möchte sagen, auf die kommende Situation maßgeschneidert ist. Er ist eben nicht salopp und extrem. Gerade weil er so solide und maßvoll konstruiert ist, habe ich den Eindruck, daß er für die Opposition kein Gegenstand, sagen wir einmal, einer strukturellen Kritik ist. Die Opposition ist etwas in Verlegenheit.
({1})
- Natürlich!
({2})
Der Haushalt ist so maßvoll und solide konstruiert
und finanziert, daß Sie eigentlich nur an einigen
Einzelheiten herumknabbern können. So ist es doch!
({3})
Herr Barzel selber hat uns gestern - so habe ich ihn verstanden - für die Bereiche der Konjunktur- und der Finanzpolitik konkrete Alternativen versprochen. Wir sind darauf sehr gespannt. Dr. Arndt hat gestern schon auf die Tatsache hingewiesen, daß die Einigkeit in der Ablehnung von Preis- und Lohnstopps für eine Gemeinsamkeit in diesen Fragen natürlich noch nicht genügt. Wir hoffen also, daß mehr kommt.
Wir haben in der bisherigen Debatte konkrete Alternativen, die darüber hinausgingen, noch nicht erfahren. Aber vielleicht kommt das im Laufe der weiteren Beratung.
Ich selber begrüße es, wenn Herr Barzel zum Ausdruck bringt, daß ihm die Opposition als Chor Bundesminister Dr. Schiller
l nach dem Vorbild des griechischen Schauspiels - eigentlich nicht genügt. Man darf nicht nur durch emotionale Wehklagen . diesem oder jenem Gefühl Ausdruck geben, sondern für die Opposition ist es notwendiger, durch das Hervortreten der einen oder anderen Akteure auch eigenes zu sagen, wie man es besser machen möchte. Dazu kann ich nur eines sagen: Nach dem, was Herr Strauß so global als Verdikt über unsere Haushalts- und unsere Steuerpolitik sagte, bleiben nun große konkrete Fragen an die Opposition offen. Es bleibt die Frage an die Opposition offen: Soll nun der Haushalt 1972 größer oder kleiner sein? Soll er anders strukturiert sein? Das ist völlig offen.
({4})
Bisher habe ich nicht gehört, ob Sie in Etatvolumen nach oben oder unten gehen wollen. Es bleibt die weitere Frage an die Opposition offen: Sollen nun Länder und Gemeinden aus dem Bundeshaushalt mehr Mittel bekommen oder weniger? Es bleibt schließlich die Frage an die Opposition offen: Sollen dafür die Steuern mehr erhöht werden oder gar nicht? Nach den Ausführungen von Herrn Strauß habe ich den Eindruck, daß er gegen die drei Verbrauchsteuererhöhungen ist, die doch eigentlich, wie Sie alle wissen, im Schwergewicht der Hilfe an die Länder und Gemeinden dienen.
({5})
- Herr Leicht, was heißt „warum"? Wir wissen ganz genau, daß es außen- und binnenwirtschaftliche Faktoren gibt. Eine Opposition, die hier mitwirken will und nicht nur Wehklagen formulieren will, sollte dann auch unabhängig von den Kausalitäten sagen, wie sie zu diesen und jenen haushaltspolitischen Maßnahmen steht.
({6})
Ich fürchte, daß es bei Ihnen wieder so wird wie im vorigen Jahr bei den Dämpfungsmaßnahmen: Nach einem großen Lamento über die Lage geht die Opposition, wenn es zum Schwur kommt, still ins Abseits.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, sind Sie mit mir einer Meinung, daß Sie, wenn Sie den Versuch machen, nun den Ländern die Schuld an Steuererhöhungen zuzuschieben, wenigstens so ehrlich sein müßten, auch zu sagen, warum die Länder nach mehr Geld rufen müssen?
({0})
Herr Leicht, ich kann Ihnen sehr schnell darauf antworten. Es kann gar keine Rede davon sein, daß wir den Ländern die Schuld für bestimmte
Steuererhöhungen geben. Nicht ein einziges Mal werden Sie das Wort von mir hören.
({0})
- Wir sind doch allesamt so geschult, daß wir wissen, daß das keine Schuldfrage, sondern eine rechnerische Frage ist.
({1})
Ich kann nur sagen, es ist eine rein buchhalterische Angelegenheit.
({2})
- Aber ja, Herr Leicht! Wir könnten einen Bundeshaushalt in Apartheid gegenüber den Ländern ohne Steuererhöhungen für 1972 aufstellen. Das sehen Sie in den Zahlen.
({3})
- Das ist nach den Zahlen durchaus möglich, denn die Steuererhöhungen bringen im ersten Jahr weniger, als was wir als Einnahmeverzicht für Länder und Gemeinden vorsehen. Daraus sehen Sie, daß wir den Bundeshaushalt für sich allein finanzieren könnten. Wir sehen es aber als unsere gesamtstaatliche Verpflichtung an, Einnahmequellen neu zu erschließen, um den Ländern und Gemeinden auch in ihren gesamtstaatlichen Verpflichtungen zu helfen. Das ist unsere Position; mit Schuld hat das überhaupt nichts zu tun.
({4})
Eine Zwischenfrage.
Herr Wirtschaftsminister, kann ich Ihre Interpretation so werten, daß Sie damit dem Hohen Hause bestätigen, daß die Steuererhöhungen notwendig sind wegen der Finanznot der Gemeinden, die letztlich ihre Ursache in den enormen Preissteigerungen auf Grund Ihrer Wirtschaftspolitik hat?
({0})
Diese Konsequenz können Sie natürlich nicht ziehen.
({0})
Das ist ganz klar. Ich darf Ihnen nur eines sagen:
Lassen wir einmal die Kausalitäten außen vor.
({1})
- Ja, natürlich, Ich weiß, Sie hängen immer noch im Innern zu 95 °/o an der Vergangenheitsbewältigung. Nun lassen Sie das doch einmal!
({2})
Machen Sie doch auch einmal Halbzeit. Gehen Sie mit dem Vorsatz in die zweite Halbzeit hinein, nicht nur aktiv zu sagen, was man selbst tun will, sondern auch mit dem Vorsatz, nun Ihre Vergangenheit
wirtschaftspolitisch und währungspolitisch als bewältigt anzusehen. Das wäre doch ein Fortschritt.
({3})
Meine Damen und Herren, es hilft alles nichts, die drei Fragen, die ich hier in bezug auf den Haushalt, in bezug auf die Länder und Gemeinden und in bezug auf die Steuern gestellt habe, bleiben im Raume stehen. Wenn sie heute nicht von der Opposition beantwortet werden, dann sage ich nur: Ich hoffe, daß diese Fragen im Laufe der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß von der Opposition so klar und deutlich beantwortet werden, daß wir am Ende bei der dritten Lesung vielleicht sogar zu gemeinsamen Ergebnissen kommen.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Nein, ich möchte jetzt meinen Gedankengang fortsetzen, denn ich habe den Eindruck, daß ich sonst zuviel Zeit brauche.
Meine Damen und Herren, das zweite, was hier gestern und vorgestern besonders hervorgehoben wurde, ist die außenwirtschaftlich neue Situation. Ich stehe nicht an zu sagen, die währungspolitische und die handelspolitische Situation, wie sie sich mit dem 15. August gezeigt hat, ist die schwerste Belastung unserer freien Weltwirtschaft seit Ende des zweiten Weltkrieges. Ich bin in diesem Punkte
allerdings gerade der Meinung, daß Deutschland in dieser Lage und bei dieser schweren Belastung unserer Weltwirtschaft wegen seiner Stellung im Welthandel und auch wegen seiner Außenhandelsinteressen eine besondere Aufgabe hat. Ich möchte zum Thema Bereinigung der Währungsfragen noch folgendes sagen. Unser Standpunkt ist da ganz klar:
Erstens. Die gegenwärtige Phase ist eine unvermeidliche Zwischenphase. Wir haben durch das Floaten die undichten Stellen im eigenen Hause gedichtet, und wir haben damit Zeit gewonnen, bis wir eine neue internationale Ordnung gefunden haben. Gleichzeitig zweitens - stellt dieses Floaten zur Zeit einen bewußten Schritt zu einer Ordnung mit richtigeren Paritäten dar. Und - drittens
Floaten ist kein Ziel in sich, sondern nur ein Mittel zu einem Zweck.
Nun noch ein Wort in einigen kurz gefaßten Formulierungen: Auf welches Weltwährungssystem steuern wir zu? Ich glaube, wir sind uns international und auch in diesem Kreise über folgendes einig:
Erstens. Das neue Weltwährungssystem darf nicht mehr allein auf dem Fundament einer nationalen Reservewährung beruhen. Die Ausstattung der Welt mit Liquidität muß in Zukunft von dem Zahlungsbilanzdefizit eines Landes unabhängig sein. Daher überall die Auffassung: neue international kontrollierte Reservemedien.
Zweitens. Die neuen Paritäten, die die Währungen konvertibel machen, müssen beweglicher und anpassungsfähiger gemacht werden als bisher.
Drittens. Wir brauchen einen neuen allgemeinen internationalen Kodex des Wohlverhaltens in einer solchen Welt von neuen, aber flexibleren Paritäten.
Viertens - auch das nur als Stichwort -: Wir brauchen eine gemeinsam mit den Amerikanern ausgehandelte Konsolidierung der 50 bis 60 Milliarden Dollarverbindlichkeiten, die in Europa und in anderen Teilen der Welt ambulieren, die als nicht benötigte Liquidität Störungen hervorgerufen haben. Diese Konsolidierungsaufgabe ist von großer Tragweite und kann nicht im Handumdrehen gelöst werden.
In der Lösung dieser Probleme kann kein Land isoliert handeln.
({0})
- Genau das! Das gilt auch für die EWG als Ganzes. Ich darf gerade den Damen und Herren von der Opposition sagen: Die europäische Lösung ist notwendig; aber die europäische Lösung allein ist nicht zureichend. Wir brauchen eine europäische Lösung und zugleich eine multilaterale transatlantische Lösung, die ihrerseits die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft nicht beeinträchtigt.
({1})
- Ich werde nachher noch ein Wort über die Gleichzeitigkeit oder über das Nacheinander sagen. Ich will nur bei dieser Gelegenheit einen Irrtum bei Herrn Barzel ausräumen.
Herr Barzel, es ist einfach nicht richtig, wenn Sie sagen, wir hätten durch unsere Maßnahmen vom 9. oder 10. Mai den europäischen Zug angehalten. Davon kann keine Rede sein.
({2})
Das ist einfach nicht richtig, lieber Herr Barzel.
({3})
- In der Welt der Realität der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Ich kann Ihnen nur sagen, ein wesentlicher Bestandteil des Abkommens vom 9. Februar über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist die Einrichtung der Konsultation über die Abstimmung der nationalen Budgetpolitik, der nationalen Konjunkturpolitik usw. Diese neuartigen Konsultationen, Herr Strauß und Herr Barzel, haben termingemäß im Sommer dieses Jahres stattgefunden, und diese Konsultation wird in der nächsten Woche wieder sein. Ich darf nur ein Beispiel sagen
({4})
- Sie wollen das nicht entgegennehmen! -: Das neue europäische Orientierungsdatum für den deutschen Gesamthaushalt, etwa 8 0/0, ist auf der Basis dieser neuen Konsultation entstanden. Das heißt, die erste Phase der Wirtschafts- und Währungsunion wird in diesen elementaren Punkten durchgeführt. Übrigens sind Frankreich und Deutschland in der Auffassung, daß solche gemeinschaftlichen Orientierungsdaten nunmehr in der ersten Phase mit Nachdruck beschlossen werden müßten; beide
sind da einer Meinung. Wir sind also weitergekommen und werden da weiterkommen. Es hat überhaupt keinen Sinn, davon zu sprechen, daß der europäische Zug angehalten sei. Es gibt einen einzigen Punkt, Herr Barzel, der aufgeschoben ist, nämlich der Punkt der Annäherung der internen Bandbreiten von 1,5 auf 1,2 usw.
({5})
- Ich bitte Sie, Herr Barzel, Sie wissen ganz genau, daß ein Vorschlag der Bundesregierung existiert, auch dieses wieder einzuführen
({6})
in Verbindung mit neuen innergemeinschaftlichen Leitkursen. Sie wissen es ganz genau.
({7})
- Davon kann ja gar keine Rede sein. Genau an dem Punkt sitzen wir jetzt.
Nun will ich Ihnen noch ein Wort zu unserer Strategie sagen, gerade in bezug auf die Frage von Herrn Luda: was kommt zuerst, was kommt als Zweites, was als Drittes? Eines ist klar: die Fragen der Ausgestaltung des Weltwährungssystems in bezug auf Reservemedien, in bezug auf die Position der Dollarverbindlichkeiten in der Zukunft, diese Fragen sind mittelfristiger Natur und gehören nicht in die erste Phase der Verhandlungen. Ich spreche jetzt über die erste Phase. Die Verhandlungen laufen multilateral und werden ihre nächste besonders konzentrierte Periode Mitte November im Zehnerklub erhalten. Daneben laufen parallel unsere gemeinschaftlichen Versuche, eine europäische Lösung zu finden, und als Drittes fällt in diese selbe Zeit, Herr Luda, unsere nationale Aktivität, durch drei Dinge während dieser Interimszeit die Lage für die deutsche Exportwirtschaft erträglicher zu machen -das ist unsere nationale Position in diesem Augenblick : nämlich durch eine neue Diskontpolitik die Lage erträglicher zu machen, durch das Bardepot einen Druck auszuüben auf die überbewertete D-Mark und drittens Erleichterung zu bieten durch eine Wechselkursversicherung, die wir zur Zeit vorbereiten. Das gehört alles zu dieser Interimsphase der Verhandlungen.
Die europäische Position selber ist dadurch gekennzeichnet, daß ein deutscher Vorschlag - nämlich vorläufige Leitkurse in der Gemeinschaft nach innen, aber Flexibilität nach außen - mit gewissen Abwandlungen von den drei Beneluxstaaten realisiert worden ist. Das ist sozusagen eine Ausgangsposition. Wir würden es begrüßen, wenn dieses Modell in der gesamten Gemeinschaft befolgt würde. Aber erst einmal haben wir dazwischen die multilateralen Verhandlungen im Zehnerklub. Sollten wir multilateral, Herr Barzel, nicht zu einer baldigen Lösung kommen, dann allerdings wird nach meinem Dafürhalten die Ausgangsposition, die ich geschildert habe, mit dem internen Aneinanderbinden und mit der flexiblen Gestaltung der europäischen Kurse nach außen, möglicherweise eine Rückfallposition, eine Auffangposition für Europa sein.
Ich sage noch einmal ganz deutlich: eine alleineuropäische Lösung - auch mit flexiblen Wechselkursen nach außen - wird sicherlich keine Dauerlösung sein. Denn Europa alleine bestimmt nicht den Welthandel. Die europäischen Mitgliedstaaten wickeln innerhalb der Gemeinschaft etwa die Hälfte ihres Außenhandels ab. Die andere Hälfte entfällt auf die übrige Weltwirtschaft. Wir können nicht die übrige Weltwirtschaft allein durch eine europäische Verständigung unter uns regeln. In dieser Situation ist es nach meinem Dafürhalten die Aufgabe - gerade die deutsche Aufgabe aus den deutschen Interessen heraus, aus der deutschen Bündnisverpflichtung heraus -, die europäische Linie mit zu erarbeiten und zu vertreten, aber zu verhindern, daß zwischen unseren beiden Säulen im Bündnis, nämlich zwischen Europa und Amerika, ein tiefer Bruch eintritt.
({8})
Ich sage mit allem Ernst: dies ist unsere doppelte deutsche Aufgabe. Wir sind hier nicht der großartige Vermittler, sondern ich würde eher sagen: es ist unsere unauffällige und bescheidene Aufgabe als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, zugleich Brücken zu dem amerikanischen Partner zu bauen oder Brücken zu halten. So unauffällig wie möglich, aber auch so effizient wie möglich
({9})
- so möchte ich sagen --, sollte unsere deutsche Strategie hier sein.
In diesem Punkt, Herr Barzel, brauchen wir Ihre Unterstützung; wir wollen sie doch haben. Wir dürfen nicht nur in eine Richtung blicken - europäische Lösungen allein sind gut, aber nicht ausreichend -, sondern wir brauchen die zweite, transatlantische Verständigung in dieser wichtigen Währungsfrage.
({10})
Ich möchte hier noch etwas hinzufügen, das unser Kollege, mein Freund Klaus Dieter Arndt gestern nach meinem Dafürhalten deutlich gesagt hat. Wir Deutsche können Europa und Amerika gegenüber sagen: mit Pokern auf Zeitgewinn ist für uns alle nichts gewonnen. Auch ich sage das sehr deutlich. Denn die Gesamtkonjunkturentwicklung in Europa, aber auch in Teilen von Übersee, ist nach unten
gerichtet, und die USA - hier folge ich Klaus Dieter
Arndt vollkommen - sollten einsehen: je mehr sich
das Realignment hinauszögert, je mehr eine multilaterale Verständigung auf sich warten läßt, desto eher besteht die Gefahr für Amerika, daß das Realignment, sprich: die Aufwertung der übrigen Währungen, kümmerlicher ausfällt, weil eben die abflachende Konjunktur einer deutlichen und mutigen Lösung auf diesem Gebiet entgegenwirken würde.
In bezug auf Europa müssen wir sagen: wenn Europa bei dieser multilateralen Verständigung zögerte, würde die Gefahr wachsen - und das wäre
für Europa besonders gefährlich -, daß sich neue Handelshemmnisse, -praktiken und -kontrollen in der ganzen Welt ausbreiten. Kurz und gut: vor allem Europa müßte ein Interesse daran haben, durch eine schnelle Verständigung einem weltweiten Handelskrieg zuvorzukommen.
({11})
So sagen wir in beiden Richtungen, deren Positionen wir möglichst nahe aneinanderbringen wollen: es ist nicht viel Zeit zu verlieren. Die Zeit des Pokerns sollte zu Ende gehen; man sollte in den Verhandlungen zu den Zahlen übergehen. Das ist unser Anliegen, und das haben wir sowohl in den Gremien der Gemeinschaft als auch im Zehnerklub angekündigt und vertreten.
Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren; bei diesen beiden Anstrengungen, der europäischen und der transatlantischen Anstrengungen, sollte es weder für uns noch für die Opposition ein EntwederOder geben; sondern für uns heißt es: sowohl-als auch.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Rede des Kollegen Schiller wird der Kollege Strauß im Laufe der Aussprache noch das sagen, was wir zu sagen für richtig halten.
Ich möchte ein anderes Thema, das nach unserer Auffassung in diese Debatte gehört, aufgreifen. In dieser Debatte darf eine Frage, eine staatspolitische Frage nicht unbehandelt und auch nicht unbeantwortet bleiben, denn diese Frage bewegt quer durch die Fraktion viele hier im Hause, viele im Lande, viele Journalisten und auch viele in der Bonner Beamtenschaft.
Ich hatte ohnehin vor, in dieser Aussprache jetzt diese Frage zu stellen. Nach dem gestrigen Ereignis ist sie, wie ich meine, noch dringlicher geworden. Es ist die Frage nach dem inneren Frieden ({0})
wobei ich jetzt nicht, so dringend das wäre, von Kriminalität, Gewalttätigkeit und dergleichen, sondern ausschließlich von dem sprechen möchte, was uns alle hier angeht und was wir in der Hand haben.
Die Frage, deren Beantwortung wir alle nicht ausweichen dürfen - und am allerwenigsten Sie, Herr Bundeskanzler, oder der Führer der Opposition -, läßt sich etwa so formulieren: Kann oder soll aus dem notwendigen sachlichen Gegeneinander von Regierung und Opposition Unversöhnlichkeit und Feindschaft werden? Soll, so fragen viele hier und draußen,
({1})
- meine Damen und Herren, soll, so fragt - - ({2})
- Es ist sehr interessant für uns hier im Hause und für viele Mitbürger, wie Sie auf diese besorgte Frage reagieren, meine Damen und Herren!
({3})
Und so frage ich Sie und uns alle:
({4})
soll etwa der Wahlkampf zwei Jahre andauern? ({5})
Und ich muß fragen - ({6})
- Meine Damen und Herren, jede Äußerung dieser Art unterstreicht nur, wie richtig es ist, diese Frage jetzt zu stellen!
({7})
Die Frage heißt weiter: Was ist mit dem, was andere - und nicht wir - „totale Konfrontation" nennen?
({8})
So etwa lautet die Frage.
Bevor ich dazu unsere Antwort gebe - und ich hoffe, sie wird nicht ohne Echo bleiben -, möchte ich einige Anmerkungen zur Sache - fast würde ich sagen: zum Tatbestand - machen. Die Formel „totale Konfrontation" stammt nicht von uns; sie drückt nicht aus, was ist; und sie drückt schon gar nicht aus, was wir wollen. Von Anfang an haben wir von dieser Stelle aus bei aller Notwendigkeit von Kontroversen für bestimmte Bereiche Zusammenarbeit angeboten.
({9})
Ich erinnere auch an das Angebot vom 10. August 1970. Ich will den langen Katalog hier nicht im einzelnen vortragen, aber Sie alle wissen, daß diese Angebote nicht nur den Bereich der Deutschland-und der Europapolitik betrafen, daß sie in der ersten Stunde dieses Hauses darauf hinausliefen, nicht Steuern zu senken, sondern das Geld z. B. zur Beseitigung des Numerus clausus zu verwenden;
({10})
wir haben angeboten, sich über alle ausgabewirksamen Anträge, die unseren eingeschlossen, zu verständigen; wir haben angeboten, in der Währungspolitik, bei der Steuerreform und all diesen Fragen zusammenzuwirken.
({11})
Ich muß aus gegebenem Anlaß hier daran erinnern, daß es doch, bevor Außenminister Walter Scheel nach Moskau fuhr, eine - wie die, die es angeht, sehr gut wissen -- ernsthafte Bemühung um Gemeinsamkeit gab. Wir waren doch - das weiß man schließlich - aufgeschlossen, uns an Reise und Verhandlung zu beteiligen, - freilich nicht auf der Basis des damals noch geleugneten Bahr-Papiers. Als man uns gleichwohl einlud, als Beobachter, nicht als Teilnehmer
({12})
zu den Verhandlungen auf eben dieser Basis mitzureisen, nahmen wir das so, wie es offenbar gemeint war: als Ausladung und als Abfuhr für mögliche Gemeinsamkeit.
Bevor der Außenminister Walter Scheel nach Warschau fuhr, gab es doch - wie die, die es angeht, sehr wohl wissen - einen intensiven mündlichen und schriftlichen Gedankenaustausch. Als wir dann nur noch in zwei Punkten auseinander waren und der Koalition deshalb rieten, doch vielleicht den Dialog fortzusetzen, beendet diese diesen Dialog schroff und schloß einen Vertrag, ohne die Mehrheit hinter sich zu wissen.
Bevor der Bundeskanzler grünes Licht für den Abschluß der Berlin-Verhandlungen gab, wußte er, daß jede Regelung des Verhältnisses Bonn-Berlin, die anders als die des Grundgesetzes und der einseitigen, partiellen Auflagen der drei Westmächte sei sowie die Vermehrung der Präsenz der Sowjetunion bei Verminderung der Präsenz des Bundes bringen würde, von uns nicht als befriedigend betrachtet werde.
Diese Fakten -- wenn gewünscht, kann man stundenlang über diese Fakten, innen- und außenpolitisch, debattieren - widerlegen die Behauptung, w i r suchten lediglich die Kontroverse. Nun, Herr Bundeskanzler, meine Damen und Herren, wie soll dies alles hier weitergehen?
({13})
Das ist eine wichtige Frage. Aber ich freue mich immerhin, daß Sie links wenigstens für geraume Zeit die Liebenswürdigkeit hatten, hier zuzuhören. Ich denke, das, was jetzt kommt, wird Sie erneut interessieren.
Aus unserer Sicht ist die demokratische Kontroverse so notwendig wie die gemeinsame Basis in der Verfassung und darüber hinaus die gemeinsame Basis in noch viel mehr, gerade hier in Deutschland, nämlich die Solidarität der Demokraten. Nichts braucht der innere Friede mehr.
({14})
({15})
Dazu möchte ich nun drei Punkte sagen, die uns beschweren.
Erstens: Wir lesen in den letzten Wochen immer häufiger vom Druck auf politische Entscheidungen. Bald heißt es, die Bundesregierung, bald, die Opposition, bald, der Berliner Senat solle von außen in dieser oder jener Frage unter Druck gesetzt werden. Diese Gespenster würden doch auf einen Schlag verfliegen, wenn wir alle hier, Regierung wie Opposition, ebenso sachlich wie bündig und bestimmt erklärten: Unter Druck wird keiner von uns etwas beschließen.
({16})
Dieses solidarische Wort würde denen, die Druck ausüben wollen, die Waffe aus der Hand nehmen. Durch diese Solidarität würde doch zugleich hier unter uns ein anderes Klima entstehen.
({17})
Dieses gemeinsame Wort, Herr Bundeskanzler, ist nötig und möglich: denn das Wichtigste, für das alle Demokraten stehen müssen, ist doch nicht dieser oder jener Paragraph, dieser oder jener Vertragsartikel, nicht einmal diese oder jene Opposition oder Regierung, das Wichtigste, für das alle Demokraten stehen müssen, ist doch die Freiheit der Entscheidung.
({18})
Jeder muß frei - ohne Druck, ohne Drohung - nach seinem Gewissen entscheiden können, jeder Wähler, jeder Abgeordnete. Das ist das Wichtigste. In dem Ausmaß, in dem hier Solidarität entsteht, ist in diesem Hause nicht nur ein anderes Klima, sondern auch draußen im Lande. Das ist nötig und möglich, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, dazu ein Wort finden.
({19})
- Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß für die Verantwortlichen der Koalition das Gelächter, das hier aus den hinteren Reihen der SPD kommt, die sachliche Antwort auf diese ernsthafte Frage ist, die viele draußen im Volk bewegt. Ich nehme das nicht als die Antwort.
({20})
Das Zweite. Wir alle hier haben solidarisch und erfolgreich gegen den Radikalismus von rechts außen gekämpft. Das hat uns verbunden und verbindet uns und nahm manch anderer Kontroverse einige Schärfe. Wir bieten an, in gleicher Solidarität den Radikalismus von links außen zu bekämpfen.
({21})
Auch das würde, über das Thema hinaus, nicht nur hier im Hause das Klima verändern. Warum sind wir denn auch gegen den Linksradikalismus? Doch wohl auch deshalb, weil - und das verbindet, so glaube ich, alle Demokraten - in unserer Geschichte der freiheitliche und demokratische Rechtsstaat das Ende früherer Feudalherrschaften über den Menschen bedeutet, Kommunismus aber die erneute, also die reaktionäre Feudalherrschaft durch eine übermächtige Funktionärsclique bedeutet.
({22})
Das Dritte. Der Vorgang und das Verfahren der Gesetzgebung der letzten Wochen hier im Hause stört mögliche Gemeinsamkeiten. Man läßt von draußen behaupten, wir wollten „totale Konfrontation".
({23})
Hier in den Ausschüssen des Bundestags und im Plenum wird alles vorher durch Koalitionsabreden so zementiert, daß Argumente und Anträge der Opposition, wenn überhaupt, überwiegend von vornherein, also vor Nachdenken über unsere Argumente, keine Chance haben.
({24})
Ich frage hier: Will man etwa erreichen, daß wir hier
aus diesen Gründen möglichst oft nein sagen? Um
dies dann draußen zum Beweis unseres angeblichen Konfrontationswillens anzuführen? Sollten Sie dies wirklich wollen, dann wollen Sie „totale Konfrontation".
({25})
Wenn Sie das nicht wollen, dann schaffen wir doch miteinander Luft und Raum und Zeit für das, was Parlament und Gesetzgebung am dringendsten brauchen, nämlich Kompromisse. Dies ist nicht in unserem Interesse, sondern im Interesse der Bürger. Denn es ist doch so, daß jedes Gesetz, das in harter Kontroverse hier verabschiedet wird, den gerade Unterlegenen geradezu zwingt, es wieder zu ändern, wenn sich die Verhältnisse verändern. Und die Bürger, die Verwaltung und die Unternehmen müssen sich doch darauf einrichten können, daß Bundesgesetze über geraume Zeit gelten. Sie müssen sich einrichten können.
({26})
Herr Bundeskanzler, diese grundsätzlichen Erwägungen und diese drei Punkte gehörten in diese Debatte, schon damit jeder weiß, woran er ist. Am Schluß dieser Debatte wird jeder, hier wie draußen, noch mehr davon wissen. Ich sage dies alles auch in der Erwartung, daß der Bundeskanzler zu diesen Fragen, die dieses Haus und alle draußen wirklich bewegen, nicht schweigen wird. Denn die Antwort darauf ist ein von Ihnen, Herr Bundeskanzler, notwendig zu leistender Beitrag für den inneren Frieden.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Barzel, das war eine sehr interessante Rede, weil sie ja genau vorüber-legt gewesen ist, also nicht aus der Stimmung hier entstanden ist. Ich will damit die Rede nicht abwerten, sondern einfach werten.
Als Sie begannen, haben Sie gesagt, daß Ihr Kollege Strauß auf das antworten werde, was der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hier eben gesagt hat. Das ist Ihre Sache. Ich weiß, daß in diesem Haus das, was man die wirkliche Debatte nennt, gar nicht so einfach ist, weil natürlich auch - das ist ganz in der Ordnung -, wenn auch manchmal vorwiegend, vorbereitet gesprochen wird. Immerhin, nun kann man also gespannt darauf sein, wie die Debatte um Haushalt und Wirtschaft weitergehen wird.
Sie haben hier eine neue Nuance, ein neues Bauelement hineingebracht, ein Leitthema sozusagen, das Leitthema um den inneren Frieden - eine ganz wichtige Sache - mit einer Unterfrage: Ob denn zwei Jahre lang Wahlkampf sein sollte? Ich habe nie zu denen gehört, die die dumme Vorstellung unwidersprochen gelassen haben, daß der jeweilige Wahlkampf am Abend einer jeweils vorangegangenen Wahl begönne. Ich halte das für übermenschlich, um nicht zu sagen unmenschlich, weil das Vorsätze sind, die, selbst wenn sie recht gut gemeint wären, keiner durchhielte. Aber sie sind ja nicht gut.
Mir tut es leid, sagen zu müssen: Ich werde Ihre Rede Wort für Wort studieren, ich finde aber schon nach dem ersten Abwägen: Es war zunächst ein Zwischenspiel. Sie kommen, verehrter Herr Kollege Dr. Barzel und alle Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, nicht umhin, als Opposition Ihr Verhältnis zu der Bundesregierung zu finden, gegen deren Politik Sie opponieren, eine Bundesregierung, die mit den Ostverträgen die Konsequenz aus den Westverträgen zieht.
Ich halte das, was Sie heute zu gewissen außenpolitischen Dingen gesagt haben, z. B. auch dazu, daß man unter Druck nicht verhandeln soll, für ganz wesentlich und für einen Punkt, über den weiter gesprochen werden muß: Was Druck ist, wer wann was sagen soll und wie hier sogar die Möglichkeit des Operierens besteht.
Ich habe auch Erfahrungen aus der Opposition. Wir haben als Opposition in den 50er Jahren im Kampf gegen eine Bundesregierung gestanden, die damals die Westverträge schloß und in einer von mir heute nicht in Erinnerung zu bringenden Weise auch über die dringlichsten Vorschläge hinwegwalzte, weil sie es als zu ihrem Ermessensspielraum gehörig betrachtete und natürlich auch behauptete, daß, wenn jetzt auch nur im Teil auf das eingegangen würde, was die damalige Opposition wollte, auch nur eine gewisse Zeit gelassen würde, um bestimmte ihrer Forderungen sachlich zu prüfen, das „dem Feind" nützen oder „die Alliierten" an der Festigkeit irritieren werde. Ich möchte das alles jetzt nicht wiederholen.
Sie sind um den inneren Frieden besorgt, und ich nehme Ihnen das ab, wenn auch die Motive unterschiedlich sind. Aber es ist völlig in Ordnung, daß die Motive nicht übereinstimmen. Nur, Herr Dr. Barzel, das war schwer für die SPD. Das können Sie nicht beurteilen - ich nehme Ihnen das gar nicht übel -, weil Sie es ja für selbstverständlich halten, daß Sozialdemokraten müssen.
Ich habe es einmal dem früheren Bundeskanzler Adenauer gesagt, worin hier der Grundunterschied unserer Positionen bestand: daß der eine - wir waren das - wußte, daß bei aller Schärfe der Opposition gegen seine Politik wir eine Grenze nicht überschreiten durften - bei Strafe, die uns träfe und das Ganze träfe -, nämlich die Grenze: Kollaboration mit den politischen Parteien auf der anderen Seite. Und ich habe gesagt: das ist unsere Loyalitätserklärung und hinzugefügt: Ich wäre schlecht informiert, wenn ich annähme, daß Sie uns eine entsprechende Erklärung geben würden. Sie kennen unsere Lage, und deswegen dreschen Sie auf uns herum.
Heute ist das nicht mehr dieselbe Situation, heute gar nicht mehr. Nur, Sie haben -- wir verlangen ja nicht von Ihnen, daß Sie irgendwo in irgendwelche Knie gehen diese innere Ausgeglichenheit für Ihr Verhältnis zu einer Regierung, die aus den Westverträgen nun die Konsequenz der Ostverträge zieht, wobei die Westverträge qualitativ etwas anderes sind als die Ostverträge. Die Ostverträge sind keine Bündnisverträge, sie sind keine InteWehner
grationsverträge, aber sie sind lebenswichtig, weil man auf einem Bein - den Westverträgen - höchstens stehen, aber nie gehen kann.
({0})
Wir brauchen auch die Ostverträge. Sie aber sind noch nicht in der Verfassung - ich werfe Ihnen das gar nicht vor, ich konstatiere es -, in die wir dann kommen. Man zielt oft auf eine Rede von mir vom 30. Juni 1960. Was glauben Sie, was die mich und was die die gekostet hat, die dann damit fertig werden mußten! Das steht Ihnen alles noch bevor, Herr Dr. Barzel.
({1})
- Ich meine das nicht zum Lachen - das sage ich jetzt nach der linken Seite -: das ist schrecklich schwer. Demokratie, parlamentarische Demokratie, Herr von Weizsäcker, ist schrecklich schwer.
({2})
- Ich darf ja wohl wenigstens eine Nuance einer Debatte in dieses Haus hineinbringen. Das darf ich doch wohl.
Nun noch einmal zurück, meine Damen und Herren: nicht unter Druck verhandeln! Ich nehme dies so, Herr Dr. Barzel, daß Sie damit ob das genügt
oder nicht genügt, ist eine andere Frage das böse Wort von der Bundesregierung und ihrem Bundeskanzler, dem die Menschenrechte weniger bedeuten als anderes, allmählich zu den Akten gelegt wissen wollen. Das nehme ich an. Ich kann mich ja irren.
Oder: gemeinsam gegen Linksaußen! Das wird sich ja bald herausstellen. Sie wollen vielleicht aufhören mit dem „Sozialistenschreck", damit, den inneren Frieden zu einem bloßen schönen Wort zu machen. Mal sehen! Darüber können wir reden. Aber nicht mit Vorgaben und nicht nur mit vorstenzilierten Sätzen und Absätzen.
Meine Damen und Herren, ich habe niemanden, von dem ich sagen kann: auf die Rede meines verehrten Vorredners wird der und der noch eingehen. Sie hatten jemanden, und wir werden noch die Freude und den Genuß haben, Herrn Dr. Strauß zu hören.
({3})
Aber diese Haushaltsdebatte wird als solche erst abgeschlossen sein, wenn sie von der Debatte über den Bundeshaushalt 1973 abgelöst wird. Das ist so. Die hier bei der Einbringung des Bundeshaushalts 1972 gegeneinander gestanden und argumentiert haben und noch stehen und argumentieren, die werden gut daran tun, wenn sie, und zwar auf jeder Seite, meine Damen und Herren, das, was hier für und wider gesagt worden ist, in Ruhe bedenken. Dabei werden manche finden, daß keine Seite die perfekte, die absolute oder die reine Wahrheit gepachtet hat. Aber leider meint Ihre, die CDU/CSU-Seite nämlich, sie habe so etwas Ähnliches jedenfalls gepachtet.
Ich habe mit Interesse gehört, wie einer der Kollegen heute, Herr Dr. Jenninger, gesagt hat, wir operierten bloß dauernd mit dem Vorwurf, daß Sie für die Reformpolitik der Bundesregierung kein Verständnis hätten. Das ist ein Irrtum. Hätten wir heute und in diesen Tagen mit über die Antwort der Bundesregierung auf diese eine von Ihren verschiedenen Großen Anfragen debattiert, wäre es noch deutlicher herausgekommen, daß es ein Irrtum ist. Darum geht es nicht. Das muß Herrn Jenninger und allen gesagt werden, die dieselbe Meinung über unser Verhältnis in dieser Frage hegten. Das kommt ja faktisch nahe an das heran, was Herr Dr. Barzel hier zur Diskussion gestellt hat. Nein, es geht nicht darum, daß wir Ihnen vorwerfen, Sie hätten kein Verständnis für unsere Reformpolitik und für die Reformpolitik dieser Regierung. Es handelt sich nicht um einen Vorwurf im moralischen Sinn, sondern um eine Gegenposition, die wir gegen Sie haben, so wie Sie eine gegen uns haben, die niemand besser postuliert hat als Ihr Ex-Generalsekretär Dr. Heck. Er hat eine der geistreichsten Auseinandersetzungen mit unserem Godesberger Programm geführt. Ich habe sie damals mit Interesse und mit Genuß gelesen, auch weil er sich gegen seinen damaligen Parteivorsitzenden - ich werfe ihm das weder vor noch soll er nachträglich eine Anerkennung dafür haben; das geschähe ja von der falschen Stelle - abgegrenzt hat. Der Parteivorsitzende hat damals gesagt: Wenn die über das Godesberger Programm reden, dann sagt immer bloß: Das ist Blech! Herr Heck wußte, daß das für die lange, breite, tiefe und gefächerte Diskussion nicht reicht. So kam er zu einer Konklusion: Auch dieses Programm trenne die Ordnungsvorstellungen der Partei, für die er schreibt, von denen der SPD wie ein Graben - bei Ihnen muß es ja immer ein Graben sein -, und der könne auch nicht ausgefüllt werden.
Welche Ordnungsvorstellungen meint er bei uns zu erkennen bzw. welche Ordnungsvorstellungen schiebt er uns unter? Es hieß, wir wollten die Demokratisierung bis in die Wurzeln der Gesellschaft. Ich will ihm seine Formulierung selbst überlassen. Aber darum geht es in diesem Streit wirklich: inwieweit Demokratie, tatsächlich lediglich als eine Staatsordnung oder auch, wie wir in unserem Programm sagen, als allgemeine Lebensordnung?
({4})
Darum wird gestritten, und wir können in diesem Staat ja wohl darüber streiten. Wenn wir darüber nicht streiten könnten, wären wir alle zusammen, Sie und wir, verurteilt unterzugehen. Es ist unser gemeinsames Privileg, darüber zu streiten.
({5})
Unsere Meinung ist, Sie haben keine konstruktiven Alternativen. Sie sind natürlich der Meinung, Sie hätten welche. Falls Sie sie haben, Herr Strauß, halten Sie sie offenbar bis zu einem Tag X unter Verschluß, vielleicht bis zu dem Tag, an dem man Sie ruft. Diese Formulierung hört und liest man ja von Ihnen so oft.
({6})
Wenn er gerufen werde, könne ein Mann, wie er sagt, seiner Geschichte, seines Gewichts, seiner Proportion nicht nein sagen. Aber dazu gehöre eine bestimmte Phase, sozusagen eine geschichtliche Phase. Ich verstehe Ihre persönliche Arbeitshypothese durchaus. Aber wenn Sie Ihre konstruktiven
Alternativen bis zu diesem Tag zurückhalten, wird das für Ihre übrigen Freunde oder auch Mitkämpfer sehr schwierig sein, weniger für uns; ich glaube, das merken auch schon einige in Ihren Reihen.
Ich komme noch einmal auf das zurück, was Sie in Ihrer Rede zu Beginn dieser Debatte sehr intensiv zu zerstreuen versucht haben. Da ist dieser Artikel mit der Balkenüberschrift „Ich sage nein!" Da steht auch noch - journalistisch schlecht, aber effektiv - das große Ausrufungszeichen dahinter. Wissen Sie, woran mich das erinnert hat?
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- Ihre Argumentation, die ich jetzt nicht darstellen kann, weil ich dann die Redezeit überschreiten würde, erinnert mich an einen alten Satz aus einer Zeit, mit der ich Sie gar nicht in Verbindung bringen will: Diesem System keinen Groschen! - Denken Sie bitte einmal darüber nach. Diejenigen, die das damals gesagt haben, sind zwar als eine Macht in einem Staat respektabel geworden, aber den Regierungswechsel in einer Demokratie, die es damals leider noch nicht gab - damals gab es einen einfachen preußischen Klassenstaat, und dieser war nur stückweise abzubauen - haben sie damit nicht erreicht. Das ist eine Faustregel - Herr Dr. Strauß, ich verhelfe Ihnen gern zur Literatur und auch zum Autor - die heißt: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen! Genau das sagen Sie hier Satz für Satz. Ihre Pointe ist: Mit wem mobilisieren wir die meisten Wählerprozente, und wer kann die gemeinsame Politik der Unionsparteien, wenn er an diese Stelle kommt, am konsequentesten und überzeugendsten, am schlagkräftigsten vertreten? Das ist alles völlig legitim. Nur ist das nicht Politik, sondern ist PR und Werbung. Das ist das, was Sie z. B. - ich sage hier: mit Recht - jenem SPD-Dienst vorwerfen, der einen dummen Unfug über Herrn Barzel geschrieben hat.
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Das ist genau dasselbe, was Sie machen, Herr Strauß, und das ist eine schlechte Politik. Ich sage das auf jedes Risiko hin. Das habe ich mir nicht vorformuliert. Ich bitte die Sozialdemokraten um milde Behandlung hinterher.
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Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf Herrn Jenninger zurück, weil es da bestimmte interessante Elemente gibt, die in eine Berührung gehören mit Herrn Barzels Rede gestern als Replik auf des Bundeskanzlers Rede. Da wird bemängelt, daß kein Wort von der Finanzlage der Bundespost und der Bundesbahn gesagt worden sei. Ich bedaure, was da ist. Ich erinnere mich, daß es sogar in einem Wahljahr es war ein heißes Wahljahr, 1965 - Gespräche gegeben hat, in denen ein hochachtbares Mitglied dieses Parlaments - er gehört der CSU an - mir sagte, von welcher politischen Größenordnung das damalige Bundesbahndefizit sei und was man eigentlich daraus insgesamt und nicht nur rechnerisch, buchhalterisch für Schlußfolgerungen zu ziehen hätte. Vielleicht finde ich das noch in den Fußnoten. Aber das sind Dinge wirklich staatspolitischer Größenordnungen, über die zu sprechen nicht nur notwendig ist. Ich finde es schlimm, daß die Dinge untergehen sollten im taktischen Geplänkel, wobei ich es beidseitig meine und auch verstehe.
Dann haben Sie aufgenommen, daß wir Ihnen sagten, Sie hätten keine Alternativen; das sei ein Vorwurf. Sie kommen dann mit einer Forderung oder mit einer Alternative, wie Sie es meinen, nämlich - ich habe es mir mitgeschrieben, wie Sie es heute sagten : Wir brauchten dringend eine Art Nationalbudget; die Bundesregierung aber führe eine Politik des Von-der-Hand-in-den-Mund-Lebens. Wenn Sie wüßten, was für Gefühle da bei einem solchen alten Fuhrmann noch aufkommen! Wie intensiv haben wir doch in den fünfziger Jahren allein um den Begriff des Nationalbudgets gerungen! Ich kenne doch alle; die sind schon alle weg, tot, begraben. Was ist ihnen damals gesagt worden von der Automatik, von der völligen Automatik der sozialen Marktwirtschaft usw.! Was ist ihnen damals alles gesagt worden! Die sind alle weg. Es hat gar nichts geholfen, daß sie achtbare Männer waren, daß sie große Verdienste hatten im Kampf gegen die Demontage, im Kampf um die Erhaltung von Arbeitsplätzen, im Wiederaufbau völlig zerstörter Hütten und was es alles war; alles weg. Aber nun greifen Sie das auf mit dem Nationalbudget. Vielen Dank! Das ist also eine andere Generation. Das hat überhaupt lange gedauert, meine Damen und Herren.
Gestern hat Herr Barzel eine Erinnerung aufgebracht - ich habe sie in meinen Notizen; ich habe mir auch in der Nacht seine ganze Rede noch einmal genau angesehen -, eine interessante Erinnerung, daß manches, das jetzt sei, in der Großen Koalition gemacht worden sei, auch in Zahlen usw. Darüber ist durchaus zu reden. Zahlen werden ja nicht dadurch anders, daß man fragt, wer sie wann unter welchen Umständen schließlich möglich gemacht hat. Aber lassen Sie uns weiter darüber reden und weiter darüber streiten.
Aber generell: Wie lange hat das gedauert, bis z. B. der Begriff von der mittelfristigen Finanzplannung und Finanzvorschau nicht nur gehört, sondern sozusagen institutionalisiert wurde und Platz fand! Ich habe auch einmal einer Regierung angehört, und in der Regierungserklärung von damals stehen sehr harte Worte über das, was vorher war und was man damit eigentlich gesündigt hatte, daß man das nie wollte. Sie können das selber nachlesen.
Aber denken Sie an den Konjunkturrat, den Finanzplanungsrat, die große Finanzverfassungsreform, die der Fortscheibung harrt, die Gemeindefinanzreform, die dringend entwicklungsbedürftig ist! Sie haben sich ja jetzt glücklicherweise nicht mehr so dazu geäußert, wie es früher der Fall war, als von hier aus über „Schwimmopern" und über all diese Sachen - lesen Sie das nach - bezüglich der Fragen der Gemeindefinanzen vorwiegend von den Rednern Ihrer Fraktion geredet wurde. Das scheint sich alles zu drehen wie ein Karussell. All diese Dinge, die ich hier nenne - mittelfristige FinanzvorWehner
schau, Konjunkturrat, Finanzplanungsrat, Finanzverfassungsreform, Gemeindefinanzreform -, kamen immer erst viel später, meist sogar, so sagen manche Skeptiker, schon zu spät, als sie dann, notwendigerweise nur verdünnt, abgeschwächt, nur bruchstückhaft eingeführt wurden, weil es der Kompromiß so erforderte. So kann niemand mit den Begriffen allein völlig glücklich leben.
Das, was wir gar nicht haben, wissen Sie doch auch, wenn Sie wollen: Wir haben keine gültige Übersicht, keinen wirklichen Einblick in die Bedürfnisse, in den Finanzbedarf und überhaupt in den Gesamtbedarf des ganzen Gemeinwesens, das ja aus Gemeinden, Ländern und Bund besteht. Da wird ja immer noch mit Schätzungen gearbeitet. Erst wenn wir haben, was wir noch nicht haben auch Sie nicht haben -, kann man wirklich über Prioritäten entscheiden, wie das oft gesagt wird, über den Rang und die Reihenfolge der Reformen, die Sie in anderer Weise wollen als wir, über die wir immer streiten werden; denn wir werden hier keine Einheitspartei haben.
Aber Sie haben die Gelegenheit benutzt, z. B. mit Hilfe des Mediums, das hier auch mit da ist, von und mit den Männern und Frauen zu sprechen, die von der Kurzarbeit bedroht sind, den Hausfrauen, die mit der 6% igen Preissteigerung fertigzuwerden haben, den Rentnern. Wem erzählen Sie das? Das mag volksnah gemeint und verfaßt sein; vielleicht hat es auch so klingen sollen. Aber ich habe die Erinnerung an 1967. In der Zeit hieß es - und das war so ungerecht wie nur irgend etwas -: Schiller Zechen-Killer. Ich habe mich damals hingestellt, und es wurde gesagt: Den Kerl - gemeint war ich - werden wir auseinandernehmen. Die haben das auch getan. Das mußte man durchstehen. Es waren schreckliche Zeiten. Da wurden sogar die Sonntagskleider von Geistlichen für Demonstrationen gebraucht. Ich habe das alles nicht nur erlebt oder gesehen, ich mußte stehen und mich „auseinandernehmen" lassen. Schillers klare Aussagen z. B. die vom Tag vorher -, daß die Betreffenden keine Prämien für die Stillegung bekommen würden, wurden von den Betriebsräten zwar aufgenommen und auch von den anderen dort, aber am nächsten Tag wurde in der großen Kundgebung, der Demonstration, wieder behauptet: Die kriegen das doch! So ist das. Nun, machen Sie bitte diese Erfahrung, Herr Dr. Barzel, mit der Volksnähe und mit diesen Sachen!
Seien Sie versichert: auch wir prüfen, wie dieser Haushalt in die konjunkturpolitische Landschaft paßt. Wenn Sie aber generalisierend sagen und Sie haben es gesagt -, all das enthalte zwar Zusagen, aber kein Geld, dann, wissen Sie, stimmt es da bei Ihnen nicht. Ich will hier gar nicht die Zuflucht zu billigen Retourkutschen nehmen.
Heute hat hier Ihr Kollege Franke - er hatte schon gestern einige solche Bemerkungen gemacht und Fragen gestellt über Kurzarbeit geredet. Ich bin dafür, daß man ernsthaft über Stahlwerke und Arbeitsplätze redet. Nur, meine Damen und Herren, das ist ein Problempaket, das nicht dadurch weniger kompliziert wird, daß Betriebe solcher Größenordnung, Werke solcher Verflechtungen und mit dem
Wirtschaftsablauf, in dem auch sie drinstecken, nicht unmittelbar von Bundesregierung oder Bundesparlament dirigiert werden. Daß es da Probleme gibt, ist natürlich unzweifelhaft. Nur - entschuldigen Sie -: Sie wechseln je nach Schauplatz und je nach momentaner Situation von der Marktwirtschaft zum Sozialen. Sie haben ja die Hypothese von der sozialen Marktwirtschaft, aber einmal betonen Sie das eine und einmal das andere, je nachdem, mit wem Sie es zu tun haben. Wir werden noch lange mit dem geplagt sein, was da anklingt, und auch mit der Kurzweil des Damit-spielen-Wollens, verehrte Damen und Herren, daß man plötzlich für den Kumpel oder für den Hüttenmann zu reden scheint. Ich nehme an, daß alle nicht wollen, daß Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit über diese kommen.
Wie allergisch Sie auf diesen Ausdruck von der gewollten Rezession reagieren! Sie haben sich sogar die Mühe gemacht, das Wort „Rezession" zu einem anderen, das angeblich Wissen Sie, ich kenne manches, auch solche Schwierigkeiten. Ich gebe Ihnen eine Adresse. Fragen Sie einmal bei Ihrem Parteifreund, dem jetzigen Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen nach, was ihm das für Arger gemacht hat und wie er in einem Briefwechsel mit Herrn Schmücker versucht hat, den zu einer wirklich anständigen Rücknahme seines falschen, unbedachten Wortes zu bewegen. Vielleicht war das auch seine Überzeugung. Es heißt ja nicht: Schmücker hat sie gewollt. Aber es gibt solche Dinge. Wir leben in einem mehrschichtigen Gefüge.
Ich muß versuchen zusammenzufassen. Die „Stuttgarter Zeitung" hat in ihrem Wirtschaftsteil am 2. Oktober unter dem Titel „Brenners Programm" nach dem Kongreß dieser großen Gewerkschaft und nach Brenners Referat und seinen mehrfachen Interventionen eine hochinteressante Darlegung der Situation zwischen Kapital und Arbeit in Fragen der Mitbestimmung und schließlich auch mit einer direkten Hinwendung an die Unternehmer gebracht, von denen erwartet wird, sie müßten erkennen, daß die Forderungen nach erweiterter Mitbestimmung der Arbeitnehmer z. B. und gleichmäßigerer Vermögensverteilung, die Kern des gewerkschaftlichen Reformprogramms sind, nicht von einer Gruppe kommen, die die bestehende freiheitliche Gesellschaftsordnung zu zerstören trachtet, sondern daß es sich bei den Forderungen um mögliche Bestandteile einer reformierten bundesrepublikanischen Gesellschaft handelt, die der sachlichen Diskussion bedürfen und fähig sind. Lesen Sie das bitte, Sie werden finden, daß da manches steckt, über das gesprochen und über das gestritten werden muß.
Ich möchte nur noch folgendes sagen: Herr Schiller hat in seiner Einbringungsrede den Versuch gemacht, sowohl auf den Platz einzugehen, den dieser Haushalt einnimmt, als auch das Spannungsfeld aufzuzeigen, in das er gestellt ist und das ja nicht nur ein Spannungsfeld hier ist, sondern faktisch, wie dargelegt wurde, auch ein internationales Spannungsfeld, über das sich der erste Redner der Opposition lustig gemacht hat. Das ist aber sein gutes Recht, wenn es auch nicht von tiefer Einsicht in die Wirklichkeit zeugt. Oder aber - falls sie bei ihm
vorhanden ist, was ich gar nicht einmal bezweifeln will - es zeugt von der Unbedenklichkeit, mit der das eine und das andere in derselben Brust oder in demselben Körperteil miteinander auskommen.
Ich habe mit großer Spannung und großem Interesse Herrn Schillers Interview mit dem so kritischen Journalisten Slotosch am 5. Oktober 1971 in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen. Da finden Sie analytisch und, was diese schreckliche Kristensituation des Weltwährungssystems betrifft, diagnostisch vieles. Und wenn Sie - der Herr Bundeskanzler hat es hier in die Diskussion eingeführt, und Herr Barzel hat dazu seine eigene Einschätzung gegeben -die Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten Pompidou nehmen und einmal diese Passagen und Schillers Wertungen und Analysen nebeneinanderstellen, dann erst werden Sie sehen, wie kompliziert das alles ist. In der Analyse kann das durchaus übereinstimmen. Aber da melde ich mich dann eben, Herr Barzel. Hier ist schon von Herrn Schiller versucht worden, deutlich zu machen, daß es unberechtigt ist, der Regierung vorzuwerfen und anzuhängen, sie habe den Europazug gestoppt. Ich will hier gar nicht auf das zurückkommen, was sie alles getan hat. Das ist doch so nehme ich an - leider nur um eines Effektes willen so gesagt;
({10})denn Sie wissen das ganz genau, Herr Barzel, weil Sie sich auf bestimmte Stellen von Herrn Pompidous Ausführungen berufen. Nehmen Sie mal die eine Stelle, auf die Sie sich berufen haben, indem Sie ein Stück davon hier zitiert haben. Pompidou sagte - es ging dabei um den Teil, der mit Ost-West, mit Sicherheitskonferenz, Entspannung usw. zusammenhängt -:
Ich sehe in dieser Angelegenheit nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen der deutschen Regierung und uns, und zwar in bezug auf das Problem dessen, was man die sogenannte ausgeglichene Truppenreduzierung nennt. Dies hängt meiner Meinung nach damit zusammen, daß wir der Auffassung sind, daß die Bemühungen in Richtung auf die Entspannung und der Wille zur Entspannung keinesfalls zur Verminderung der Sorgfalt und Kapazität der Verteidigung führen dürfen.
Das haben Sie genommen und haben den Finger gehoben. Aber, Herr Dr. Barzel, dann kommt ja noch ein Teil. Ich zitiere ihn nicht. Sie werden ihn selbst noch einmal lesen oder von denen lesen lassen, die mit Ihnen zusammenarbeiten.
Ich will Ihnen nur folgendes sagen. Sie wissen genau, wie wir es wissen, wie schrecklich das war, was Frankreich unter dem bedeutenden Vorgänger, dem persönlich auch von mir wegen seiner Haltung gegen Hitler und im Krieg nach wie vor, trotz allem, was später war, verehrten Präsidenten de Gaulle, mit der Desintegration der NATO gemacht hat. Das wissen wir alle. Das können Sie nun nicht beliebig einmal der Regierung vorwerfen und dann mal anderen. Das geht nicht. Da muß man wählen. Das ist eine Sache, die hätten wir als zweite damals auch nicht machen können. Wir haben uns dagegen gestellt; denn wenn einer das macht, -- zweie konnten es nicht in Europa, dann war nämlich Europa verloren. Ich habe Ihnen das damals lapidar so gesagt: Was dem Jupiter erlaubt ist, das ist dem, worauf er reitet - Sie wissen, was das war , noch lange nicht erlaubt. In diesem Falle sind wir der . . . So ist das. Und das ist jetzt wieder so. Das ist in Paris noch eine Linie, womit ich niemandem etwas unterstelle. In diesem Punkt ist der Konnex noch nicht da. Sie können nicht sagen, daß Sie einer Regierung auf diesem schweren Weg den Rücken steifen, sei es auch nur kritisch, indem Sie ihr sozusagen die Verhaltensregel nicht nur mitgeben, sondern die Verhaltensregel schon in Paris auf dem Tisch liegt: Diese Regierung muß ja kleine Brötchen backen. Die muß eigentlich alles, was man dort von ihr will, machen. Das können Sie doch gar nicht so sagen; denn so darf man es nicht sagen. Aber das ist die Wirkung dessen, was Sie sagen, je nachdem, wie stark man Sie dort einschätzt.
Wir haben hier 1966 Debatten gehabt; lesen Sie sie bitte nach. Damals war es möglich, sogar vor schwierigsten Konferenzen, ob es Luxemburg oder was war, hier zu debattieren. Da hat die Opposition
ich war damals deren amtierender Vorsitzender - gesagt: „Bitte, wir werden nichts Unzumutbares von der Regierung verlangen und erwarten. Wir werden unsere Haltung nicht selbst verstümmeln, aber wir wollen nicht, daß Sie sozusagen ohne Kleider losgehen. Und wenn Sie zurückkommen, lassen Sie uns wieder reden." Das haben wir damals während dieses Jahres in der schwierigen Situation, die durch die Desintegration der NATO und durch die Politik des leeren Stuhles in der EWG hervorgerufen worden war, praktiziert, nicht postuliert. Lesen Sie das doch bitte nach. Ich verlange nicht, daß Sie etwas kopieren. Aber ich bitte Sie darum, Ihre eigene Art des Ausdruckes für Ihre Opposition doch zu finden. Das ist Ihre Sache. Wir haben Ihnen keine vorzuschreiben; wir haben Ihnen auch keine zu liefern.
Die gestrige Rede des Bundeskanzlers enthielt für den, der Ohren hat zu hören, deutlich genug, daß der Kontakt mit Paris ernst und wichtig genommen wird; genauso wie der Bundeskanzler hier offen gesagt hat, welche Sorge ihm die Entscheidung Jens Otto Krags, der sein Freund ist - meiner übrigens auch, aber das bedeutet nicht so viel -, bereitet. Das ist ja eine Sorge. Das ist doch die Sorge, daß in diesem Weltwährungssystemkrisenzustand die Flucht in den Protektionismus, die Flucht in egoistische Haltung oder das „Laß andere voran" oder „Mal sehen, wie wir uns gerade über Wasser halten" noch lange nicht verbannt ist. Wir sind noch lange nicht an dem Punkt, wo wir das ruhiger nehmen können. Da ist eben mein Vorwurf. Sie wissen doch, Herr Dr. Barzel, wir sind nicht frei, zwischen Washington oder Paris oder zwischen Paris und Washington zu wählen. Das ist hier von Herrn Schiller noch einmal in aller Sachlichkeit gesagt worden.
Da meine ich am Schluß: Sicher ist das drohende Gewölk der Krise des Weltwährungssystems bis jetzt durch unsere Regierung nicht zerstreut, aber
daß sie sich bemüht, ist offensichtlich und darf doch nicht in Abrede gestellt werden, wenn man nicht selber sich die Hände binden will. Unzweifelhaft ist, meine ich: die Regierung jedenfalls hat diese Krise des Weltwährungssystems weder hervorgerufen noch gefördert, als sie schließlich offen ausgebrochen war, und das ist auch schon etwas, meine Damen und Herren.
({11})
Seien Sie doch in diesem Punkte wenigstens
nicht der Regierung wegen, sondern Ihrer eigenen Ausgangsplattform, Ihrer Position wegen gerechter, als Sie es bisher haben sein können. Ich finde, daß der Teil der Schillerschen Einbringungsrede, der sich etwa im letzten Viertel oder Fünftel mit Fragen der Landschaft, der Verflechtung, der Kommunikation, der Interdependenzen - das ist international, das kann man ja nicht leugnen -, befaßte, draußen sehr sorgfältig beachtet und gelesen werden wird. Jeder Satz wird dort Gegenstand der Erörterung, der regen Diskussion werden. Schade, daß das hier nicht der Fall gewesen ist. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Barzel, gerade wir Freien Demokraten nehmen Ihre Aufforderung, von der Konfrontation zur Solidarität zu kommen, sehr ernst, besonders ernst aus unserer eigenen Erfahrung. Ich denke an das Jahr 1957, als unser damaliger Kollege Max Becker an die damalige Regierung die Aufforderung richtete, in den Fragen der Außenpolitik, der Deutschlandpolitik Solidarität zu üben, Gemeinsamkeit zu suchen. Diese Solidarität, diese Gemeinsamkeit ist leider nicht zustande gebracht worden; die Folgen davon haben wir heute mit zu tragen.
Aber, Herr Kollege Barzel, Sie müssen natürlich auch uns zugestehen, daß wir Ihren Appell, den wir ernst nehmen, daran zu messen haben, ob er formal und verbal gemeint war oder ob dahinter der ernste Wille steht, nun nicht mehr im Parlament und draußen im Lande unterschiedlich zu sprechen. Wenn man in den Schicksalsfragen der Nation diese Solidarität haben will, gehört dazu, daß man eben nicht im Lande draußen die Thesen unterstützt, die dieser Regierung den Ausverkauf der deutschen Interessen unterstellen,
({0})
sondern sich mit vor diese Regierung stellt. Wir sind bereit zu dieser Solidarität, aber sie muß auch durch alle Vertreter dieses Parlaments gewahrt werden, ganz gleich ob sie zur Regierung oder zur Opposition gehören, wenn sie draußen im Lande zur deutschen Politik Stellung nehmen.
({1})
Es gehört zur Solidarität, daß man bei Besuchen im Ausland, insbesondere bei unseren westlichen Partnern nicht dieser Koalition und dieser Regierung unterstellt, daß sie gegenüber dem Bündnis, gegenüber der Nato schwach wird und Positionen zu räumen versucht. Es gehört dazu, dann gemeinsam diese Politik zu verteidigen, wie das für jedes andere Parlament im Ausland eine Selbstverständlichkeit ist.
({2})
Ich sage das nicht, Herr Kollege Barzel, um hier eine Art Retourkutsche zu fahren, sondern ich hoffe, daß der Kollege Strauß, der ja im Anschluß noch sprechen wird, auch zu seinem Artikel vom 25. September im „Bayernkurier" mit dem totalen Nein - Kollege Wehner hat das schon angesprochen - Stellung nimmt und hier erklärt, daß das nicht mehr die Grundlage seiner Politik im Bundestag und draußen im Lande ist.
({3})
Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um glaubhaft zu machen, worum es hier geht.
Ich weiß, Herr Kollege Barzel wird entgegnen: Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung. Das ist völlig richtig. Nur wissen wir doch zu genau, Kollege Barzel, daß alle Fragen, die Ihre Fraktion im Bundestag zur künftigen Entwicklung anspricht, aufs engste von dem abhängen, was der Kollege Strauß dazu sagt. Ich will hier nur ein einziges Beispiel im Zusammenhang mit unserer Haushaltspolitik nennen. Der Kollege Strauß hat gestern in der Debatte sehr deutlich gesagt, daß er gegen Steuererhöhungen sei. Der CDU-Parteitag hat im vergangenen Jahr beschlossen, daß Steuererhöhungen nicht auszuschließen seien.
({4})
Wir fragen uns, wenn Sie von der Konfrontation weg wollen, wenn Sie Zusammenarbeit wollen, wenn Sie die Interessen der Länder mitvertreten wissen wollen: was gilt denn nun? Ein Teil der Konfrontation besteht doch darin, daß in Ihren Reihen im Bundestag und draußen immer mit verschiedenen Zungen geredet wird. Hier zu einer Klarheit zu kommen und damit die Basis für mehr Solidarität in vielen Fragen der Nation zu schaffen, ist in erster Linie Ihre Aufgabe. Wir Freien Demokraten werden uns immer darum bemühen, die Gemeinsamkeit in diesem Hause nicht nur dort wiederherzustellen, wo sie verlorengegangen ist, sondern darüber hinaus weitere Berührungspunkte zu schaffen. Voraussetzung dafür bleibt aber, daß von dieser Solidarität formal und verbal nicht nur Gebrauch gemacht wird, wenn es ins eigene Konzept paßt, sondern auch dann, wenn es darum geht, Schweres für unser Volk gemeinsam zu tragen.
({5})
Es wäre an und für sich in dieser Haushaltsdebatte noch vieles über die unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Opposition zu sagen. Es ist sehr oft schon darauf hingewiesen worden, daß in bestimmten Punkten Alternativen fehlen. Gut, es ist Ihre
Sache, sich darüber zu einigen oder nicht zu einigen. Nur, eines hat auch diese Debatte wieder deutlich gemacht: es zeigt sich, daß Sie über das, was Sie in der Sache eigentlich wollen, mit sich selbst noch nicht völlig einig geworden sind. Wir können nur hoffen, daß das bald im gemeinsamen Interesse geschieht und Sie die Fakten zu dem auf den Tisch legen, was Sie geändert wissen wollen. Allerdings habe ich auch oft das Gefühl, daß das Ganze bei vielen Ihrer Kollegen ein Problem der Information ist. Denn es zeigt sich immer wieder, daß das, was von dieser Koalition, dieser Regierung und diesem Parlament an Positivem tatsächlich erreicht worden ist, Kollegen aus Ihren eigenen Reihen entweder noch nicht zu Ohren gekommen oder von ihnen noch nicht begriffen worden ist.
({6})
Ich sage das auch im Hinblick auf die Debatte, die wir in Kürze über Ihre Anfrage zu den Reformen führen werden. Es wäre gut, wenn die interne Information in den Reihen der CDU/CSU so verstärkt würde, daß wir dann, wenn wir über die Dinge sprechen, von einem gemeinsamen Sachkenntnisstand ausgehen können. Auch dadurch würde manches an unnötiger Konfrontation überwunden werden können.
Wir nehmen Sie gern beim Wort, Herr Kollege Barzel, wenn Sie sagen, Sie wollten mehr Gemeinsamkeit und mehr Solidarität in diesem Hause erreichen. Wir sind dazu bereit. Vorbedingung ist allerdings, daß Ihre Aussage vorbehaltlos gilt und daß man gemeinsam bereit ist, nicht nur da, wo es sich gut anhört, sondern auch dort, wo es verdammt schwer ist, die Folgen zu tragen, diese Solidarität zu üben.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in meiner Regierungserklärung im Oktober 1969 davon gesprochen, daß es meiner Meinung nach darum geht, sich immer wieder um das richtige Verhältnis zwischen sachlichem Gegeneinander und nationalem Miteinander zu bemühen, wohl wissend, daß wir - so, wie wir Menschen sind - auch in der Politik häufig nur Annäherungswerte erreichen.
Weil ich dies so gesehen habe und so sehe, habe ich natürlich bei der bemerkenswerten Rede, die der Kollege Barzel hier heute vormittag gehalten hat, besonders genau hingehört; ich hoffe, ich habe nichts überhört. Ich werde wie andere die Rede noch einmal sehr genau lesen. Die Rede erschien mir auch deshalb bemerkenswert, weil sie, wenn ich sie richtig verstanden habe, manches von dem relativiert, was mir vor und in Saarbrücken und vor und in
München auf Grund der dort gemachten politischen Erklärungen durch den Kopf gegangen war.
Aber heute will ich mich zu den drei Punkten äußern, die den eigentlichen Inhalt der Rede von Herrn Barzel ausmachten, zuerst zu dem, was der Kollege Barzel die Solidarität der Demokraten nennt. Wir können es auch so sagen: Wir müssen bei allem, was sonst umstritten ist und immer wieder umstritten sein wird, bereit sein - und dazu war und bin ich bereit ebenso, davon bin ich überzeugt, wie alle, die mir ihre Stimme gegeben haben , für diesen Staat, seine freiheitliche Ordnung, seine europäische Verantwortung, bei der wir die deutsche Verantwortung nicht vernachlässigen, und sein Grundgesetz einzustehen. Ja, ich gehe noch weiter: Ob wir in der Regierung oder in der Opposition sind, es muß uns miteinander - jedenfalls, denke ich, viele von uns - beschäftigen, was wir tun können, um, ohne es zu überziehen - manches ist vorbelastet, manches kann, wie gesagt, als überzogen gelten -, zu einem gesunden Staatsbewußtsein oder zu dessen Entwicklung beizutragen, was wie gesagt, meiner Meinung nach nicht im Widerspruch zu stehen hat zur europäischen Einordnung und Verantwortung und zu den über den Staat Bundesrepublik Deutschland hinausreichenden deutschen Verantwortlichkeiten im europäischen Prozeß, in den wir eingebettet sind und auf den wir einwirken.
Ich meine nur, daß wir dann, wenn wir das so sehen, wenn dies zur Solidarität der Demokraten gehört, natürlich versuchen müssen - ich sage das jetzt nicht nur an die Adresse von Herrn Dr. Barzel und seinen Freunden, sondern ich beziehe es auf uns alle -, dies - bei aller Gefahr, es nie ganz zu erreichen - nicht nur an solchen Stellen wie hier, sondern auch draußen zu praktizieren;
({0}) sonst entsteht ein Widerspruch.
({1})
- Das habe ich ja gleich gesagt, Herr Kollege Katzer. - Sonst entsteht ein Widerspruch, mit dem wir es dann auch alle zu tun haben. Das hat allerdings gar nichts mit dem selbstverständlichen harten Ringen zu tun - natürlich wollen wir hier in Sachen Politik keine Süßsuppen miteinander kochen und verteilen -, auch nichts mit dem Ringen darum, wie wir den Staat - so, wie ihn das Grundgesetz beschrieben hat -- ausbauen und ausgestalten wollen und was wir -- der eine und der zweite und der dritte - eigentlich mit dem Ausbau dieser Bundesrepublik als eines demokratischen und sozialen Bundesstaates meinen. Da gibt es Fragen, wo natürlich auch die beiden Parteien der jetzigen Koalition miteinander ringen - jede für sich und beide miteinander -, und trotzdem stellen wir fest, daß wir das, was wir uns vorgenommen haben, miteinander in unserer gemeinsamen Verantwortung lösen können. Nur, Herr Kollege Barzel, greife ich in Verbindung mit der Solidarität der Demokraten auch das Wort auf, das Sie darüber gesprochen haben, daß wir miteinander dafür sorgen müßten, daß niemand, der Verantwortung trägt, z. B. hier in diesem BunBundeskanzler Brandt
destag, unter Druck gesetzt wird oder sich unter Druck gesetzt fühlt. Das ist für mich selbstverständlich. Es wäre gut, damit diese Klarstellung nicht an diesem Punkt abbricht, wenn ich es so verstanden hätte, daß hiermit nicht die Unterstellung verbunden ist, es gäbe welche in diesem Hause, die sich Druck zu beugen oder andere, die sich Druck auszusetzen bereit wären; denn dann würde aus der versuchten Rekonziliation eine Insinuation, und das ist sicher nicht gemeint gewesen. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt bezieht sich auf den Radikalismus oder - was ja wohl dasselbe ist - die Feinde der Demokratie. Ich freue mich, das war ja alles nicht so selbstverständlich - auch für viele, die uns in diesen letzten zwei oder etwas mehr Jahrzehnten von draußen beobachtet haben, war das alles gar nicht so selbstverständlich , daß uns dies bei allem, worüber wir gestritten haben, miteinander gelingen sollte, nämlich eine doch recht stabile demokratische Ordnung sich entwickeln zu sehen, und daß wir auch - das kann man doch wohl sagen, ohne daß ich anderes ausschließen kann - überwiegend fähig gewesen sind, die Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie mit geistigpolitischen Mitteln zu führen. Ich hoffe, daß wir die Kraft dazu weiter haben werden.
({2})
Was die eine Seite angeht, Herr Kollege Barzel, das, was Sie Rechtsradikalismus nennen, wozu natürlich ganz allgemein auch das Gift des Nationalismus gehört, vor dem wir immer wieder auf der Hut sein müssen, bin ich nicht sicher, daß die Auseinandersetzungen auf diesem Gebiet und nach dieser Seite hin schon abgeschlossen sind. Ich gebe zu, es gibt erfreulicherweise organisiert nur Randerscheinungen, aber die Auseinandersetzung liegt nicht hinter uns, die Aufgabe geht weiter. Der Kampf muß des Bestandes dieses Staates und seiner Stellung in der Welt wegen gegen den Nationalismus und jede Anlehnung an oder Anleihe bei einer bösen Vergangenheit immer wieder neu geführt werden. Das ist sicher richtig.
Was die andere Seite angeht, das, was Sie Linksradikalismus nennen, so bitte ich doch, Verständnis für folgende Erwägung zu haben. Ich sage dies, glaube ich, zugleich im Namen meiner engeren politischen Freunde in diesem Hause. Die deutschen Sozialdemokraten brauchen keine Aufforderung zur Auseinandersetzung mit dem Kommunismus.
({3})
Wir haben in den ersten Nachkriegsjahren die Last der Auseinandersetzung in den Industriegebieten, auch in Berlin, nicht allein, aber zu einem großen Teil führen müssen. Da gab es vieles, was uns gar kein anderer abnehmen konnte. Es geht also nicht darum, daß man uns zum Jagen tragen müßte, Herr Kollege Barzel, sondern wir stehen auf Grund unserer eigenen Überzeugung und dessen, was wir gelernt haben - manche von uns in einem harten Leben, auch der Irrungen und Wirrungen, aber mit den Ergebnissen, zu denen wir gekommen sind -, aus eigener Sicht und Verantwortung in dieser Auseinandersetzung. Es ist natürlich kein Beitrag zu
der erwünschten Auseinandersetzung mit dem, was man Linksradikalismus nennt, wenn man mehr außerhalb dieses Hauses als hier - bei dem Publikum, an das man sich wendet, Identifikationen erzeugen möchte zwischen dem, der hier steht, und seinen Freunden und denen, die in diesem Zusammenhang linksradikal genannt werden.
({4})
Ich wäre also froh, wenn ich auch diesen Passus aus Ihrer Münchener Rede heute mit als erledigt betrachten könnte, Herr Kollege Barzel.
Es ist erst wenige Tage her es war am 17. Oktober - daß Sie gesagt haben: Wenn Sie ihr Programm durchsetzen, dann würde - jetzt zitiere ich wörtlich - „nicht eintreten, was und ich wäge mein Wort - droht. Es droht, daß wir im Innern sozialistisch und nach außen abhängig von der Sowjetunion werden."
({5})
Das, Herr Kollege Barzel, ist kein Beitrag zu der Versachlichung der Debatte, von der hier die Rede war.
({6})
Das Dritte. Herr Kollege Barzel möchte, wenn ich es richtig begriffen habe, so verstanden werden, daß wir oder mancher von uns geirrt hat, als er auf Grund mancher Äußerungen der letzten Wochen meinte, die Position der Union oder einiger ihrer führenden Herren liefen auf das hinaus, was man totale Konfrontation genannt hat. Wenn das so ist oder wenn hier manches zurechtgerückt werden soll, nachdem man es sich noch einmal überlegt hat, dann kann ich mich darüber nur freuen; denn es wird der Arbeit in diesem Hause und dem Wirken für diesen Staat zugute kommen.
Herr Kollege Barzel, ich weiß selbst - ich bin nicht der einzige, der das weiß , was Entstellungen und Verleumdungen und Verteufelungen bedeuten. Ich bin schon deshalb dagegen, daß sich, in welchem Zusammenhang auch immer, Verzerrungen, Verleumdungen oder gar Verteufelungen in unserem politischen Leben festsetzen und einnisten. Dabei will ich gleich hinzufügen: Wenn ich dies sage, dann beziehe ich mich selbst voll ein. Ich habe schon eingangs anklingen lassen: wir sind alle nur Menschen Man muß sich selbst zwischendurch immer einmal dabei prüfen, und ich empfinde es gar nicht als eine Schwäche, dies auch ganz offen zu sagen.
Aber, verehrter Herr Dr. Barzel, es hängt auch von Ihnen und Ihren Freunden ab, ob das weiterhin so verstanden wird, wie ich glaubte, es heute vormittag verstanden zu haben. Denn ich sage es noch einmal - bei aller notwendigen Auseinandersetzung, nicht nur um den Inhalt des demokratischen und sozialen Bundesstaates, sondern auch der Rolle, die dieses Deutschland in Europa und in der Welt spielen kann - das bleibt hart umstritten, und warum nicht -, bei aller harten Auseinandersetzungen um diese Fragen ist es natürlich sehr schwer, miteinander so sachlich, wie man es möchte, zu sprechen, wenn nicht das vom Tisch ist ich möchte gern, es wäre heute vom Tisch -, Herr Kollege
Strauß, was mit dem „Ausverkauf Deutschlands" zusammenhängt, und das, Herr Kollege Barzel, was mit der angeblichen Vernachlässigung der Menschenrechte zusammenhängt. Das müßte vorn Tisch.
({7})
Der Friede im Innern, von dem die Rede war, bedeutet, nicht, ein Freund-Feind-Verhältnis sich festsetzen zu lassen, bedeutet, Vorurteile abzubauen, wo das geht. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang darf ich noch einmal an meine Regierungserklärung erinnern; das habe ich so gemeint, wie ich es dort gesagt hatte - in der Tat fortlaufend miteinander bemühen, daß wir uns als ein Volk der guten Nachbarn bewähren im Innern und nach außen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider oder erfreulicherweise meine Aufgabe, auf drei Redner eine Erwiderung zu geben; einmal auf den Bundeswirtschafts- und -finanzminister, auf den Kollegen Wehner und den Herrn Bundeskanzler.
Ich darf vorweg sagen, daß sich alle Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU mit Inhalt und Gehalt der Rede ihres Fraktionsvorsitzenden in vollem Umfange identifizieren und solidarisch erklären.
({0})
Wir werden die Rede des Kollegen Wehner und die soeben gehaltene Rede des Herrn Bundeskanzlers genauso sorgfältig studieren wie der Kollege Wehner laut seiner Ankündigung bei seiner nächsten nächtlichen Pflichtlektüre bei der Rede Barzels.
({1})
Gerade deshalb besteht Anlaß, zu einigen Problemen in der erwähnten sachlichen Auseinandersetzung, die ja auch nach wie vor noch gefordert und mit Recht als unentbehrlich betrachtet wird, einiges zu sagen.
Heute morgen hat ein Sprecher der Opposition zweimal an die Adresse der Fraktion der CDU/CSU das Wort gerichtet und erklärt: die von Ihnen gewollte Rezession.
({2})
- Ein Sprecher der Koalition, ein SPD-Abgeordneter. Vielleicht bin ich den Ereignissen schon um zwei Jahre voraus.
({3})
Das gehört genau zu den Themen als würdige Perle der Fehlleistungen oder absichtlichen Verunglimpfungen, von denen der Herr Bundeskanzler soeben gesprochen hat.
({4})
Ich bin bei der damaligen Rede des Bundesschatzministers auf dem Mittelstandskongreß der CDU/ CSU dabei gewesen. Ich sage das, damit uns der Unfug weder hier noch draußen jemals mehr begegnet. Sonst ist alles, was an guten Absichtserklärungen gesagt worden ist, Larifari und das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt werden wird.
({5})
Herr Schmücker hat damals in dieser Rede erklärt
({6})
- Ich darf die betreffende Passage laut Tonbandaufnahme zitieren -:
Die gewollte Rezession - ich wiederhole: die gewollte Abkühlung - unserer Wirtschaft hat eben dieser deutschen Wirtschaft den Wert der Rentabilität und Rationalität eindringlich wieder klargemacht. Wir hatten damals in dieser gewollten Abkühlung den Aufwand beschneiden können und die übertriebene Repräsentation abwracken können.
So heißt der Text wörtlich. Aus diesem Text
({7})
- Sie werden Ihrer Maxime untreu, aber ich gebe Ihnen gern Antwort, Herr Kollege Wehner - und aus dem Sinnzusammenhang sowie aus der späteren Erklärung des damaligen Bundesministers Schmücker geht eindeutig hervor - ich weiß, daß jetzt ein Gelächter kommt, aber man sollte hier nicht lachen , daß hier bei der Übertragung, wie es auch mir schon öfters passiert ist, von dem ursprünglich diktierten Text in das vorbereitete Konzept aus dem Wort „Restriktion" das Wort „Rezession" gemacht und leider abgelesen worden ist.
({8})
- Nein, die beiden folgenden Male, Herr Kollege Schäfer, wurde das Wort „Abkühlung" gebraucht, und das Wort „Abkühlung" ist sachlich genau das gleiche, was gestern Bundesminister Schiller als Ziel seiner Politik zur Dämpfung der hausgemachten Inflation als notwendig bezeichnet hat.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde dem trotz allem keine große Bedeutung beimessen, wenn es damals nur Gegenstand einer leider in den Wahlkampf hineingetragenen Infamie wäre. Aber das hat sich ja wiederholt. Ich muß leider sagen, Herr Bundeskanzler: Das war die Methode, mit der Ihre Partei in Bremen Herrn Barzel und mich vor der Arbeitnehmerschaft zu diffamieren nicht nur versucht, sondern unternommen hat, und die Methode, die Sie gestern mit den bei Ihnen so bekannten zweideutigen Formulierungen nachgeahmt haben.
({10})
- Ich werde es Ihnen beweisen, auf Heller und Pfennig: Das Landgericht Bremen hat in einer einstweiligen Verfügung die zuerst schriftlich erlassen wurde und dann auf Widerspruch nach einer mündStrauß
lichen Verhandlung bestätigt wurde, vor der Wahl in Bremen folgendes erklärt:
Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Antragsgegnerin
- SPD und ihren Untergliederungen bei Meidung einer vom Gericht festzusetzenden Geld- oder Haftstrafe untersagt, zu behaupten, erstens, das Geheimrezept des Antragstellers
- in dem Inserat der SPD stand „Barzel und Strauß"; ich bin diesen Weg gegangen und wollte Herrn Barzel damit nicht belasten bestünde darin, 450 000 Arbeitslose in Kauf zu nehmen, zweitens, der Antragsteller habe erklärt, die Arbeitslosigkeit infolge der Rezession von 1967 sei gewollt gewesen, drittens, der Antragsteller wolle 450 000 Arbeiter auf die Straße setzen, um sie zu zähmen und ihre Löhne zu drosseln. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten dieses Verfahrens.
({11})
So ist vom Landgericht Bremen entschieden worden. Gestern sagte der Herr Bundeskanzler:
Herr Kollege Strauß, Sie haben heute früh etwas vorgelesen. Danach hätte ich gesagt, bei mir gebe es keine Rezession. Sie haben das Wort „gewollte" weggelassen.
Ich darf den Sachverhalt klarstellen. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 4. Oktober 1971 heißt es: „Brandt: Bei mir gibt es keine Rezession" . Das war der von der „Süddeutschen" sogar in Unterstützung der Regierung gewählte Kurztext, die Versicherung, die die Öffentlichkeit, der oberflächliche Leser, in der Überschrift lesen sollte: „Bei mir gibt es keine Rezession". Er hat wörtlich gesagt:
Bei einem Kanzler Brandt gibt es keine gewollte Rezession etwa der Art, wie sie uns vor fünf Jahren beschert worden ist.
So steht es dann im Text.
Ich darf nur nebenbei vielleicht etwas ironisch sagen: Sie gehen immerhin so weit zu sagen: Bei uns gibt es keine gewollte Rezession. Ich darf Ihnen erklären: Bei uns hat es nie eine gewollte Rezession oder Arbeitslosigkeit gegeben. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich mich, als wir beide im gleichen Kabinett waren, hier von dieseer Stelle aus als Finanzminister gegen das Phantom einer totalen Geldwertstabilität als absoluten Wert ausgesprochen habe, der es auch erzwinge, Arbeitslosigkeit als Preis in Kauf zu nehmen. Gerade meine Generation hat die Verelendung durch die Arbeitslosigkeit am Ende der Weimarer Republik erlebt.
({12})
Sie hat erlebt, wie aus der sozialen Verelendung der politische Radikalismus gewachsen ist. Linke und Rechte haben in jener Zeit bei der Zerstörung der Weimarer Republik kooperiert.
({13})
Aus der Brüningschen Deflationspolitik heraus ist zu einer Zeit, als ich von den Dingen mehr verstand als damals als Schüler und Student, meine Überzeugung gewachsen - und dieser Überzeugung habe ich hier mehrfach unter dem Beifall der SPD-Fraktion Ausdruck verliehen -, daß es, wenn ich auf die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik jemals Einfluß haben sollte, zu meinen unerschütterlichen Maximen gehören würde, die Vollbeschäftigung - ich sage nicht: die Übervollbeschäftigung, ich sage nicht: das totale Ungleichgewicht, gleichgültig, nach welcher Seite hin - als ein hochrangiges Ziel anzustreben, ein Ziel, das mehr wert ist als gefüllte Kassen mit totalem Geldwert, die dann einer diktatorischen Regierung, die das Geld ausgibt und die Währung ruiniert, überliefert werden würden.
({14})
Das war immer meine Einstellung - sie ist geprägt durch persönliche Erlebnisse -, das ist meine Einstellung, und das wird meine Einstellung bleiben. Darum dann aber bitte, - ich will jetzt nicht länger über die Vergangenheit reden - Schluß mit dieser Infamie von der gewollten Arbeitslosigkeit als Mittel der Konjunkturpolitik der CDU/CSU.
({15})
Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern gesagt: Ich kann mich ja an Zeiten erinnern, in denen sich der eine oder andere darauf - nämlich auf die gewollte Rezession - berief. An meine Adresse gerichtet haben Sie dann gesagt: Sie waren auch nicht so ganz weit von dieser Argumentation entfernt.
({16})
Daraufhin habe ich gesagt: Wenn Sie das bewußt gesagt haben, sind Sie ein Lügner. - Daraufhin habe ich einen Ordnungsruf bekommen. Aber ich wiederhole hier: Wer mir in Kenntnis der Tatsachen unterstellt, daß für mich eine geplante Arbeitslosigkeit ein Geheimrezept, eine gewollte Rezession ein Mittel meines wirtschaftspolitischen Instrumentariums sei, ist ein Lügner.
({17})
Wenn Sie es ohne Kenntnis der Tatsachen gesagt haben, Herr Bundeskanzler, haben Sie Ihr Gedächtnis verloren und erinnern sich nicht mehr an die gemeinsamen Unterhaltungen im Kabinett und an die Auseinandersetzungen in diesem Hohen Hause, wo ich diese Einstellung vertreten habe. Aber ein schlecht informierter Bundeskanzler ist auch eine Gefahr, weil seine Aussagen in der Öffentlichkeit eine Eigengesetzlichkeit erlangen, Füße kriegen, wie man sagt, und die Lüge dann mit der Autorität des Bundeskanzlers durchs Land getragen wird.
({18})
- Sie mögen ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich das sage,
({19})
aber Sie können nicht bestreiten, daß Ihre Partei
in Bremen mit diesem Inserat in Großformat Propaganda gemacht hat und das der Bundeskanzler 8342
hier ist das Protokoll der gestrigen Bundestagssitzung gestern im Zusammenhang mit der „gewollten Rezession" mir gegenüber erklärt hat: Sie waren ja auch nicht weit davon entfernt. - Das ist, wenn man die Tatsachen nicht kennt, eine Unwahrheit. Wenn man die Tatsachen kennt, ist es eine Lüge.
({20})
-- Lieber Herr von Dohnanyi, habe ich damit einer gewollten Rezession das Wort gesprochen?
({21})
- Aber Herr Ehmke, ich würde an Ihrer Stelle nicht so viel über meine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse reden. Wer operiert denn mit der Angst in diesem Hause?
({22})
- Wir hatten damals alle Angst, -
({23})
Wir hatten damals alle Angst, daß die Übertreibungen auf dem Gebiet der privaten Wirtschaft, ihre Überlastung mit Kosten und die Übertreibungen in Überbürdung der öffentlichen Haushalte zu einem Rückschlag führen würden, der mit dem Übel bezahlt werden müßte, vor dem ich damals, später und auch heute immer wieder gewarnt habe.
({24})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler brauchte hier nur zu erklären, daß er mich nicht in die Nähe dieser Argumentation rückt, weil ich diese Argumentation von der gewollten Rezession, d. h. gewollter Arbeitslosigkeit, nie gebraucht habe, und ich komme auch auf diese Entgleisung Herr Bundeskanzler, nach Ihrer Klarstellung nie mehr zurück. Es wäre gut, wenn Sie auch bei Ihren abgegebenen Versprechungen blieben. Denn ich erinnere mich, daß Sie im September 1970 das Wort „Volksverhetzung" gebraucht haben, im Bundestag selbst dann, genauso wie heute, dieses Wort bedauert haben und es als scheußlich bezeichnet haben mit der Versicherung, Sie würden es nie mehr anwenden. Ein Jahr später kam das Wort von den „Schreibtischtätern". Darum hoffen wir, daß nicht immer wieder in Jahresfrist vergessen wird, was hier an guten Absichten bekundet wird.
Sie beanstanden „das böse Wort vom Ausverkauf Deutschlands". Und damit kommen wir zu der Frage der Grenze, wo Sachdiskussion aufhört und wo politische Verunglimpfung beginnt. Ich muß Ihnen aber leider sagen, Herr Bundeskanzler, daß die von uns in der Auseinandersetzung um die ostpolitischen Verträge gewählten Bezeichnungen aus dem Sprachschatz der SPD stammen, die ihrerseits die Politik, die Sie heute treiben - „Verzicht ist Verrat", von Ollenhauer, Brandt und Wehner unterschrieben -, seinerzeit so gekennzeichnet hat.
({25})
Ich kann Ihnen nicht ersparen, zu hören, daß wir tief erschüttert sind - und was ich hier sage, ist nicht die Pose eines Schauspielers, der Erschütterung mimt, um sie dramatisch zu verkaufen
({26})
das sollten Sie mir nicht unterstellen, Herr Kollege Schäfer - über die Tatsache, daß die Plattform einer gemeinsamen Ost- und Deutschlandpolitik, die von allen Kräften dieses Hauses mit Ausnahme der Kommunisten in der ersten Legislaturperiode trotz gewaltigster Meinungsverschiedenheit auf allen Gebieten vertreten worden ist, im Herbst 1969 beginnend, Schritt für Schritt aufgegeben worden ist. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Das ist eine Umwandlung, das ist eine Umstellung - um noch ein gelindes Wort zu gebrauchen -, das ist eine Umorientierung, für die wir bisher nur leere Erklärungen, Absichtsbekundungen, Hoffnungen und Erwartungen gehört haben, aber nichts an konkreten Ergebnissen zur Erreichung der Ziele, die Sie damals als Sinn dieser Politik hier genannt haben, nämlich eine Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens zwischen den Menschen in beiden Teilen Deutschlands.
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Ich möchte im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte nicht weiter darauf eingehen. Aber es ist eine eigenartige Sitte, daß Sie sich entrüsten, wenn ich mich gegen die Unterstellung wende, ich hätte eine gewollte Rezession als Mittel der Konjunkturdämpfung betrieben oder in Planung. Man hat hier natürlich die Zeitschrift „Capital" gelesen. „Capital" hat sich hernach, als ich verlangte, daß der Text aus dem Tonband zugrunde gelegt wird, förmlich bei mir entschuldigt und hat geschrieben: Strauß hat recht. -- Ich habe mich niemals mit irgendeiner Art Arbeitslosenquote identifiziert, schon weil das Spiel mit der Arbeitslosenquote ein dummes Zeug ist. Früher waren es einmal 4 % für die Vollbeschäftigung, dann waren es 3 %, jetzt sind es 2%. Wir bezeichnen 2 % schon - mit Recht - als bedenklich, vor allen Dingen wenn sie sich in bestimmten Gebieten ballen, wie wir es heute leider befürchten müssen. Außerdem, was heißt Arbeitslosenquote bei 2,1 oder 2,2 Millionen Gastarbeitern? Dieses Problem der Arbeitslosenquote kann doch nur im Sinne einer nationalen Arbeitslosigkeit verstanden werden, und darum stellt sich die Frage einer Arbeitslosenquote für uns - und das können Sie mir glauben und für mich überhaupt nicht. Eine Politik der Vollbeschäftigung, ich möchte sogar sagen, eine Politik, in der nicht Angebot und Nachfrage das ideale Gleichgewicht halten, sondern eine Politik, in der die Nachfrage ruhig ein bißchen größer sein kann als das Angebot - auch das würde ich einbeziehen, damit der wirtschaftlich Schwächere in der Vertretung seiner Rechte und Interessen auf dem Arbeitsmarkt durch die Gegebenheiten und BedinStrauß
gungen einen kleinen Vorteil erhält -, das ist unsere Aussage.
({28})
Wohin die Übertreibung allerdings führt - das ist doch Ihr eigener Kummer, Herr Kollege Schiller, ist doch Ihre Sorge -, das haben wir doch erlebt. Ich scheue mich nicht, zu sagen, daß ich gegen eine Übertreibung eines scharfen, schwerwiegenden Ungleichgewichts bin, daß ich ein Überwiegen der Nachfrage bei dem Angebot „Null" für eine wirtschaftlich gefährliche Erscheinung halte. Ich glaube, darin sollten sich alle, die ein bißchen von Wirtschaft verstehen - das sollten wir uns doch gegenseitig zubilligen --, einig sein.
Immerhin, Herr Kollege Schiller, Sie sagten, gewollte Rezession sei nicht das Ziel der Regierung. Das glaube ich Ihnen auf Heller und Pfennig, von A bis Z. Die Frage ist aber nicht, ob Sie die Rezession wollen; hier würde ich Sie jederzeit verteidigen. Nur befürchten wir, daß diese Politik in eine Situation geführt hat, wo man entweder die Inflation als Institution und Dauererscheinung hinnehmen oder zu ihrer Bekämpfung eine Rezession in Kauf nehmen muß. Das ist genau die falsche Alternative.
Herr Bundeskanzler, Sie haben damals in Ihren Reden im Jahre 1970 den Eindruck erweckt, als ob die Forderung nach Stabilitätspolitik das Spiel mit der Arbeitslosigkeit wäre, und haben gemeint, das bißchen Preisauftrieb müsse man in Kauf nehmen, um die Vollbeschäftigung zu erhalten. Ich habe
Ihnen schon damals in einer dieser Auseinandersetzungen gesagt: Das Wort ist erstens falsch und zweitens gefährlich. Es ist durch die internationale Erfahrung widerlegt. Man kann eine Zeitlang durch Hinnahme und Verlängerung inflationärer Erscheinungen die Vollbeschäftigung künstlich erhalten. Aber einmal reißt die Strömung ab. Die Strömung ist in den USA, England und anderen Ländern abgerissen, - um bei diesem Bild zu bleiben. Dann mußte man zur Kenntnis nehmen und die bittere Erfahrung einstecken, daß länger anhaltende inflationäre Erscheinungen zur Rezession führen und daß beides eine Zeitlang nebeneinander marschiert, und zwar sowohl die Stagnation wie die Rezession, ausgedrückt in Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit; trotzdem gibt es noch ein weiteres Anhalten der Preissteigerung. Das ist die wirtschaftliche Erfahrung, die in anderen Ländern gesammelt worden ist. Vor der haben wir gewarnt, und in dieser Warnung fühlen wir uns heute leider bestätigt.
({29})
Zweitens. Darum, Herr Kollege Schiller, sollten Sie wirklich nicht behaupten, daß wir Unruhe und Unsicherheit im Lande erzeugen. Dafür genügt die Regierungspolitik in vollem Umfang.
({30})
Wären diese Erscheinungen der Unruhe und Unsicherheit in weiten Bereichen der kleinen und mittleren Unternehmer - bei den großen liegen die Dinge wieder etwas anders -, aber heute auch übergreifend auf den Arbeitnehmer, nicht durch Tatsachen herbeigeführt, die Opposition könnte wie der billige Jakob durchs Land ziehen; sie würde hohnlachend abgewiesen werden, wenn sie Unruhe und Unsicherheit zu verbreiten versuchte.
Wir messen Sie, Herr Kollege Schiller, ja nicht einmal in vollem Umfang an den von Ihnen früher selbst gesetzten Maßstäben.
({31})
Sie haben ja noch einen Rabatt von uns bekommen, einen Rabatt, den Sie in der Zwischenzeit schon um mehr als 100 % überschritten haben. Sie haben doch damals den Rücktritt Erhards verlangt, weil die Preisentwicklung 2,5 % überschritten habe. Heute sind wir bei 6 % Darum habe ich gestern vom Doppelminister und von doppeltem Rücktritt gesprochen. Aber das war keine persönliche gehässige Bemerkung, sondern es gehört zur politischen Auseinandersetzung in einer Etatdebatte, daß man darauf wieder zurückkommt. Was glauben Sie, wenn ich so etwas gesagt hätte und ich Ihnen das Vergnügen böte, früher von 1 %, 3 %, 2 %, 1 % geredet und dann gesagt zu haben: Bei 2,5 % Kopf ab für die Regierung! Wenn ich das gesagt hätte und heute an Ihrer Stelle säße, - ich möchte nicht hören, mit welchem geradezu wollüstigen Vergnügen Sie als Oppositionsredner hier mich zerlegen, wieder zusammensetzen und nochmals zerlegen würden.
({32})
Ich mag zwei Dinge nicht leiden, Herr Kollege Schiller. Aber damit meine ich nicht einmal Sie
erstens, wenn man mich für dumm hält und zweitens, wenn man heuchelt. Beides mag ich nicht. Dann müssen Sie sich schon hinstellen und sagen: Was ich damals gesagt habe, war Unsinn. Sie müssen weiter sagen: Ich habe die von mir selbst gesetzten Maßstäbe nicht einhalten können. Kein Mensch spricht Ihnen den guten Willen ab, sie einhalten zu wollen, aber die Umstände, die diese Regierung geschaffen hat und die nicht nur vom bösen Ausland importiert worden sind, waren stärker a) als Ihre Erkenntnis, b) als Ihr guter Wille und c) als die Fähigkeit des Bundeskanzlers, einer echten Stabilitätspolitik durch ein klärendes Wort rechtzeitig Geltung zu verschaff en.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Schiller hat einige Fragen gestellt. Das ist sein gutes Recht. Die Opposition hat das Recht, die Regierung zu fragen, und ich habe mir als Minister auch erlaubt, die Opposition in außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Debatten zu fragen. Ich möchte auf diese Fragen eingehen. Sie sind zum Teil von Herrn Mischnick, der leider gerade nicht da ist, wiederholt worden. Sie haben von der Zuwachsquote von 8,5 % gesprochen. Gestern hat Ihnen Herr Leicht im einzelnen auseinandergesetzt, daß diese Zuwachsquote einfach nicht stimmt. Ich habe diesen Vergleich hier schon einmal erwähnt und entschuldige mich dafür: das ist genauso, als ob man ein Streichholz unter ein Thermometer hält, nach drei Minuten die Zimmertemperatur am Thermometer
abliest und sagt: Was wollt ihr denn, es ist doch warm genug in diesem Zimmer?
({34})
Die Quote liegt wesentlich höher. Ich habe einen guten Zeugen, denn der Wirtschaftsminister des wirtschaftlich und finanziell gewichtigsten Bundeslandes, Herr Wertz, hat zur „Wirtschaftswoche", der bekannten volkswirtschaftlichen Wochenzeitung, folgendes gesagt - es ist dort in Anführungszeichen gesetzt -:
„Schillers Begründung, die Länder müßten aus konjunkturellen Gründen zusammenstreichen, zieht nicht."
In indirekter Rede geht es weiter:
Genaugenommen steige der Bundeshaushalt um mindestens so viel wie die Länderhaushalte im Durchschnitt.
Warum? Herr Kollege Schiller, auch Ihr Vorgänger hat hier schon zu sündigen begonnen. Die Zuwachsquoten, die die Regierungen seit 1969 ausweisen, haben fast keinen Aussagewert mehr. Die Ausgaben des Jahres 1969 sind durch Vorziehungen und nachträgliche Buchungen künstlich hochgeschraubt worden, um die Vergleichsebene anzuheben, die Projektionsbasis anzuheben, um nachzuweisen - glauben Sie nicht, daß ich hier Archäologie betreibe; es ist der Haushaltsstil, über den ich hier rede; mich interessiert und ärgert das überhaupt nicht mehr --, daß schon die alte Regierung die Ausgaben erheblich erhöht habe. Unter der alten Regierung waren es für die ersten sechs Monate des Jahres 1969 etwas über 4 %, und am Jahresende waren es wunderbarerweise auf einmal über 8 % geworden. Da hat man vorgezogen und nachträglich gebucht.
Im Jahre 1970 hat man sich nach der massiven Kritik der Opposition: „Ihr habt im ersten Halbjahr zuviel ausgegeben, die von Herrn Möller versprochene Zuwachsrate von 4 °/o stimmt ja nicht" im zweiten Halbjahr 1970 bemüht zu dämpfen - das stimmt -, weniger auszugeben, hat aber eine ganze Reihe von Ausgaben auch aus Gründen der Optik und der Kosmetik in das Jahr 1971 verschoben, wo sie Ihnen heuer zu Buche schlagen. Darum sind Sie 1970 mit einer so guten Scheinbilanz herausgekommen. Aber das können Sie nicht ewig so weitermachen. Gegenüber dem Jahre 1970 haben Sie für die ersten neun Monate des Jahres 1971 einen Zuwachs von 16 %. Darum ist das ganze Spiel mit Prozenten, in denen die Zuwachsraten ausgedrückt werden, eine Angelegenheit von Propagandisten und nicht mehr von Haushaltspolitikern.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann wird nach den Alternativen der Opposition gefragt. Mit dieser Frage werden wir auch von der in Ihren Diensten stehenden bzw. in Ihrem Interesse arbeitenden Presse immer wieder konfrontiert. Wenn ich es hier schon gesagt habe, bitte ich um Entschuldigung; aber das Bild ist gut, darum gebrauche ich es noch einmal: Wenn jemand einen langen Mantel mit vielen Knöpfen und Knopflöchern zuzuknöpfen hat und oben falsch anfängt und die Opposition sagt: „Halt, hier liegt der Fehler, unten geht die Rechnung nicht mehr auf", und er sie ärgerlich zurechtweist und sich höhnisch über sie hinwegsetzt, dann kann er nicht beim vorletzten Knopf sagen: Was muß ich jetzt tun, welches ist die Alternative, damit der letzte Knopf ins Knopfloch geht?"
({36})
Natürlich ist auch in unseren eigenen Reihen, Herr Kollege Schiller - weil wir schon mal beim Aufräumen sind - gesündigt worden. Nachdem unsere grundsätzlichen Vorschläge zur Begrenzung und zur Verkürzung des Haushalts von der Regierung nicht beachtet worden sind - und die liegen ja vor; Herr Kollege Leicht hat sie mehrmals in diesem Hause im einzelnen aufgeführt, schriftlich dargelegt -, haben natürlich auch bei uns oppositionsgewandte Politiker gesagt: „Wenn schon ausgegeben wird, dann wollen wir wenigstens in der Gestaltung der Prioritäten bei diesen Ausgaben unsere da und dort abweichende politische Auffassung zur Geltung bringen." Aber wir haben Ihnen das Angebot gemacht: Wir arbeiten mit Ihnen zusammen, um den Rahmen so eng zu ziehen, daß Ihre Stabilitätspolitik auch in der Haushaltspolitik gerechtfertigt und bestätigt wird.
Was war das für eine Alternative? Die Alternative war im Herbst 1969, die Schleusen zu schließen statt die Schleusen zu öffnen. Sie wissen doch, wie die Zuwachsraten waren. Selbst im Jahr der großen Konjunkturhaushalte, im Jahre 1967 waren die Zuwachsraten geringer als im Jahre 1970 und im Jahre 1971. Aber wir haben in den bereits inflationierenden Jahren höhere Haushaltsausgaben gehabt als in den Jahren, in denen der Haushalt aus Gründen der Konjunkturankurbelung künstlich erhöht werden mußte: unsere gemeinsame Politik der Konjunkturhaushalte der Jahre 1967 und 1968. Ich weiß auch, warum Sie es nicht getan haben. Sie haben es gemacht wie der Skifahrer: Rechter Ski rechts vom Baum, linker Ski links vom Baum - und dann hoffen, daß der Baum verschwindet.
({37})
Und die Rechnung ist nicht aufgegangen. Sie mußten einmal an den Punkt kommen, wo Sie einfach den Offenbarungseid der Unvereinbarkeit Ihrer Versprechungen, der dadurch erweckten Hoffnungen und Erwartungen mit der Stabilitätspolitik, die Sie ebenfalls bekundet haben, öffentlich kundgeben und zugeben müssen.
({38})
Sie sagten, Herr Kollege Schiller: Die Opposition geht still ins Abseits, wenn es darum geht, Stabilitätspolitik zu betreiben. Wir gehen gar nicht still ins Abseits. Sie können das schwarz auf weiß nachlesen. In meiner letzten Pressekonferenz am 19. Oktober, zwei Tage, bevor das Glück der Reformen in Deutschland ausbrach, wie manche Leute heute sagen, habe ich, was kein angenehmer Auftakt für einen Oppositionsredner war, gesagt: Konjunkturzuschlag jetzt sofort einführen! Sie können mich fragen: Warum nicht am 1. Juli? Ich bin auch so viel Politiker, daß ein Finanzminister, der am 1. Juli den Konjunkturzuschlag in einer Großen Koalition
einführen will, sich voll auf die Solidarität und Loyalität des Koalitionspartners SPD in der bedingungslosen Unterstützung hätte verlassen können. Ich sage das Ganze natürlich als Ironie,
({39})
weil Ironie in unserem Lande, wenn man es nicht eigens dazusagt, oft nicht mehr verstanden wird.
({40})
Ich hätte es gern früher getan, Herr Schiller, im Jahre 1969. Aber das Stabilitätsgesetz ist für diesen Zweck unbrauchbar. Das wissen wir doch beide. Nur hätten Sie längst die Änderung vornehmen können. Angeregt habe ich es mehrmals. Warum haben Sie denn nicht im Jahre 1970 den Konjunkturzuschlag eingeführt, sondern sind den Weg der Änderung des Einkommensteuergesetzes gegangen? Weil der Konjunkturzuschlag nach dem Stabilitätsgesetz nicht zurückgezahlt werden kann. Und darin liegt der Fehler. Denn wann kommt der Konjunkturzuschlag? Der Konjunkturzuschlag kommt bei heißem oder bei wärmer werdendem Klima in der Wirtschaft. Wenn aber der Boom kommt, nimmt der Staat ohnehin mehr Geld ein, weil die nominale Zuwachsrate steigt. Und wenn der Staat mehr Geld einnimmt, haben die Politiker Angst, dem Bürger zu sagen: „Du mußt jetzt noch mehr Geld dem Staat geben, der ohnehin schon mehr hat, als er geplant hat, und du bekommst das Geld nicht mehr zurück." Das war der Grund, warum Sie ausgewichen sind und das Instrumentarium des Stabilitätsgesetzes nicht angewandt haben. Aber ich habe damals gesagt: Stabilitätsgesetz sofort ändern und einen Konjunkturzuschlag von 10 % im Herbst 1969 einführen!
Sie haben doch im Herbst 1969 Steuersenkungen versprochen. Sollen wir denn als Opposition jeden Unsinn mitmachen, um damit unsere Funktion zu beweisen? Im Herbst 1969 haben Sie eine Senkung der Steuern in Höhe von 2 Milliarden DM versprochen. Sie haben genauso viel Steuersenkung versprochen, wie Sie jetzt mit der Erhöhung der drei wesentlichen Verbrauchsteuern hereinholen wollen. Damals haben wir zu den Steuersenkungen nein gesagt, was auch kein angenehmer Auftrag für die Opposition war. Sie haben die Steuersenkungen auch nicht durchgeführt, aber Sie haben bis zu den Landtagswahlen im Juni 1970 die Hoffnung aufrechterhalten, daß die Steuersenkung kommt. Sie haben unsere gegenteiligen Behauptungen als politische Brunnenvergiftung - ich meine nicht Sie persönlich - bezeichnet. Kaum war der 14. Juni vorbei, haben Sie auf einmal aus konjunkturpolitischen Gründen - „wegen der jetzt geänderten Verhältnisse" - die Steuersenkung fallenlassen und den Konjunkturzuschlag, dessen Einführung Sie ebenfalls bestritten haben, dann in Form einer Änderung des Einkommensteuerrechtes eingeführt.
Bei all dieser Politik hätten wir immer mitgehen sollen?! Wir haben doch die Alternative im Herbst 1969 gezeigt: sparsamer Haushalt, rechtzeitige Steuererhöhung und damit ein gutes Beispiel geben gegen die zehn- und noch mehrprozentigen Zuwachsraten auch auf anderen Gebieten. Heute kämpft doch die Regierung darum, diese Zuwachsraten mit allerlei Beschwörungskünsten nach unten zu bewegen. Der direkte Appell, die direkte Einwirkung wird entweder gefürchtet oder wegen Wirkungslosigkeit unterlassen. Darum doch das Spiel: man muß den Spielraum bei den Unternehmern so einschränken, damit sie als Vorhut, als Avantgarde der Regierung im Kampf gegen hohe Tarifforderungen mehr Härte beweisen, als sie bewiesen haben.
({41}) Das ist doch das Spiel gewesen.
Das war doch auch der Sinn Ihrer Wechselkursfreigabe, in die jetzt nachträglich große Weisheiten internationaler Währungsgeheimnisse hineingelegt werden. Die drei wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten haben doch eine Beschränkung des Spielraums durch eine Verminderung der Auslandsnachfrage befürwortet.
({42})
Nur daß dann aus diesem intellektuellen und hintergründigen Spiel, aus der Dollarflut eine Dollarlawine geworden ist, die die Dämme gerissen hat. Ich streite gar nicht darüber, ob es im Mai richtig war, die Wechselkurse freizugeben. Nehmen Sie den Vergleich jetzt nicht wörtlich, Herr Kollege Schiller, aber im Parlament soll ja nach Meinung des Herrn Wehner mal farbig geredet werden. Sie tun es mehr laut als farbig, aber ich rede auch farbig und laut. Wenn jemand - ({43}) -- Wie haben'S g'meint?
({44})
Wenn jemand nicht verhindert - ich sage es noch sehr höflich -, daß ein Haus in Brand gerät, und auf einmal merkt, daß die Einwohner bloß noch die Wahl haben, in den Flammen umzukommen oder rauszuspringen, dann wird er kaum für den Rat, rauszuspringen, die Lebensrettungsmedaille bekommen.
({45})
- Ach, halten Sie mich doch nicht für so primitiv, wie Sie vielleicht denken in Ihrer Umgebung.
({46})
- Was heißt das „das Haus in Brand gesteckt"? Wie oft soll ich es denn noch sagen? Man soll doch einmal eingehen auf das Argument! Die Hochzinspolitik der Bundesbank war doch nur eine Ersatzlösung für die konjunkturpolitischen Versäumnisse der Bundesregierung.
({47})
Die Warnungen von fachkundiger Seite! Ich sagte gestern: Währungspolitik muß von Praktikern und Politikern und nicht von Ideologen, von Modellkonstrukteuren gemacht werden. Die Warnungen der Praktiker vor dem Inflationspotential des EuroMarktes wurden in den Wind geschlagen. Im Inland ging der Zins auf sagenhafte Höhen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Kredit wurde verknappt. Der kleine Mann konnte sich
den Kredit nur in verkürzter Form und zu abenteuerlich hohen Kosten erwerben. Der andere hat sich im Auslande finanziert. Darum war doch die ganze Dämpfungspolitik ein Schlag ins Wasser. Denn durch die Dämpfungspolitik ist ja die Geldliquidität erst gestiegen. Dabei rede ich nicht von der Spekulation, Herr Kollege Schiller. Im Wort „Spekulation" steckt doch etwas zuviel pseudomoralischer Gehalt darin. Nein, weil man im Ausland sich besser finanzieren konnte als im Inland, haben halt diejenigen, die das konnten, davon Gebrauch gemacht. Und weil Ihnen das jetzt bewußt geworden ist, legen Sie wesentlich verspätet ein wahrscheinlich gar nicht zulängliches Instrument, das Bardepotgesetz, vor und spalten hierbei die Zuständigkeit für Kreditpolitik. Denn die Gestaltung des Inlandkredites ist Sache der Notenbank. Die Gestaltung des Auslandskredits soll Sache der Bundesregierung werden, mit der Möglichkeit, sie dann der Notenbank zu übertragen. Ich würde an Ihrer Stelle beides der Notenbank überlassen: die Gestaltung sowohl des Inlands- als auch des Auslandskredits.
({48})
So stieg nach Abfluß von nicht allzuviel Geldern im Herbst 1969 bis Januar 1970 die Flut aus dem Euro-Markt vom Januar 1970 bis Mai 1971 um etwa 46 Milliarden DM. Die Dämpfungsmaßnahmen zuerst der Bundesbank und später der Regierung haben nur etwa 31 Milliarden DM stillgelegt. Das Ergebnis der Dämpfung ist nicht ein Minus, sondern ein Plus an Geldliquidität, weil man dem „Patienten" zur Dämpfung Mittel verabreicht hat, die ihn auf einem anderen Gebiet noch kranker gemacht haben, als er vorher war.
({49})
Dann kam die große Erleuchtung mit der Wechselkursfreigabe. Über entsprechende Pläne wurde öffentlich diskutiert. Herr Schiller, Sie sollten nicht nur auf Banketten mit Leuten der Wirtschaft reden. Wenn Sie auch woanders mit ihnen redeten, würden Sie hören, wie diese Ankündigung ausgenutzt worden ist. Ich könnte Ihnen Roß und Reiter nennen; aber ich darf sie nicht nennen.
({50})
Jeder, der von den Dingen etwas verstand, wußte: jetzt kommt etwas. Er ist auf den Euro-Markt gegangen, hat sich dort Geld in einer Höhe von einer halben Million bis hinauf zu einer Vielzahl von Millionen besorgt, hat es auf die Bank getragen, hat von der Bank als Einleger mehr Zinsen bekommen, als er im Ausland hat zahlen müssen, und hatte damit sein Polster. Jetzt hat er dank Ihrer Währungspolitik einen Gewinn von 10 %, mit dem er nach Hause gehen kann. Das war doch die Wirklichkeit. Sie hat aber die Großen im Lande und nicht die Kleinen begünstigt. Die Kleinen verstehen davon nichts, aber die anderen haben dafür ihre Abteilungen.
({51})
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, was man tun müsse. Aber den „Europazug" haben Sie tatsächlich gestoppt. Alle Beschwörungen ändern doch nichts an der Tatsache, daß das Klima zwischen
Bonn und Paris, das früher eine angenehme Frühjahrstemperatur milder Wärme hatte, wiederum eiskalt geworden ist. Aber daran sind Sie als „Heizungsmonteur" nur zur Hälfte beteiligt. Daran ist auch noch ein anderer beteiligt, und manches von dem, was heute geschieht, ist „Rache für Sadowa", wie man früher sagte.
({52})
- Ich erkläre es Ihnen unter vier Augen, wenn Sie es nicht wissen.
({53})
Ein letztes Wort zur Steuererhöhung, Herr Kollege Mischnick. Sie haben ein schlechtes Beispiel gegeben, weil Ihr moralischer Appell und Ihre Aussage im Widerspruch zueinander standen. Ich habe gestern ausdrücklich erklärt, und zwar auf Grund meiner früheren Erfahrungen und meiner zukünftigen möglichen Aufgaben - man ist ja vor Überraschungen nie sicher , daß ich mich nie bereit finden würde zu sagen, auch wenn es noch so populär klänge und wenn es noch so viele Wählerstimmen werben könnte: die CDU/CSU garantiert euch, daß es niemals mehr Steuererhöhungen gibt.
({54})
Ich habe mich damit ausdrücklich auch zu dem bekannt, was Sie heute als angeblichen Widerspruch im Parteiprogramm der CDU angeführt haben. Ich habe das gestern sehr genau deduziert. Man darf hier nicht einfach die Dinge aus dem Zusammenhang reißen; denn sonst könnte man auch beweisen, daß die Bibel der beste Zeuge für die Atheisten ist. In der Bibel steht nämlich: „Es gibt keinen Gott"
Komma -, „spricht der Narr."
({55})
Wenn man nur den ersten Halbsatz zitiert, wird der Sinn genau ins Gegenteil verfälscht.
Ich habe gesagt: mit uns kann man über Steuererhöhungen deshalb nicht reden - das ist der Sinn der Formulierungen zu Steuererhöhungen im CDU-Programm -, weil Steuererhöhungen nur die Schlaglöcher auf der Straße der Inflation stopfen sollen, im übrigen aber der inflationäre Weg munter fortgesetzt und durch diese Steuererhöhungen überbrückt und erleichtert wird.
({56})
Wir machen uns doch nicht zum Komplizen einer Inflationspolitik.
({57})
Damit müssen Sie, diese Koalition und diese Regierung, zurechtkommen. Wir werden uns doch nicht noch beim vorletzten „Knopf" an der Unpopularität dessen beteiligen, was Sie seinerzeit mit unserer Hilfe hätten verhindern können.
({58})
Wenn Steuererhöhungen dazu dienen, das Leistungsangebot der öffentlichen Hand auf der Basis stabiler Preise zu erhöhen und damit auf den GebieStrauß
ten Verkehr, Bildung, Umweltschutz und Gesundheit eine Verbesserung herbeizuführen, dann sieht es anders aus. Rechnen Sie doch einmal nach: wir hatten in den 20 Jahren CDU/CSU-Regierung Schwankungen, aber im Durchschnitt hatten wir 1,9 % Preissteigerung; es mögen nach der anderen Rechnung 2,5 % gewesen sein, denn es bieten sich ja unterschiedliche Statistiken an. Und rechnen Sie einmal aus, was bei Fortsetzung dieser Preisentwicklung ohne Steuererhöhungen hätte finanziert werden können: doch wesentlich mehr als das, was Sie heute mit diesen Steuererhöhungen jemals finanzieren können!
({59})
Wenn Sie wieder auf den Boden der Stabilität zurückgekehrt sind, was in diesen zwei Jahren in dem notwendigen Umfange leider nicht mehr möglich ist, weil bekanntlich die Periode der Ernüchterung immer länger dauert als die Periode des Sündigens
({60})
- Das gilt überall!
({61})
Ja, ich könnte dafür auch einige Beispiele bieten, wenn ich hier zu Ihnen blicke. Erfahrung und Anschauungsunterricht, beides gehört immer zusammen. Aber Sie werden das in diesen zwei Jahren nicht mehr erreichen. Und darum sagen Sie uns doch einmal: Was können Sie mehr an Straßen, Schulen, anderen Bildungsstätten,
({62})
an Krankenhäusern und Umweltschutzeinrichtungen finanzieren,
({63})
was können Sie mehr finanzieren, als Sie ohne Steuererhöhungen bei stabiler Wirtschaftspolitik und Finanzpolitik hätten finanzieren können?
({64})
Dann müssen Sie doch zugeben, daß es zunächst nur darum geht, die Folgen der Inflation etwas weniger schmerzhaft zu gestalten. Eine Morphiumspritze sind diese Steuererhöhungen, aber keine Heilung des Problems, das Sie „öffentliche Armut und privater Reichtum" nennen.
({65})
Sie können doch beim besten Willen von einer Opposition nicht verlangen, daß Sie Ihnen auf diesem Wege noch Hilfe und Vorschub leistet, und Sie können unser Nein hier nicht etwa als ein Beispiel der totalen Konfrontation bezeichnen.
({66})
Wir sagen aus diesen Gründen nein zur Steuererhöhung, und niemand soll uns, wenn das Wort noch eine Wahrheit enthalten soll, entgegenhalten können, daß wir Steuererhöhungen in jedem Falle ablehnen, etwa auch dann, wenn sie der Erfüllung des unabweisbaren Staatsbedarfs und der Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen im Interesse des Bürgers dienen. Aber dem dienen sie ja heute nicht mehr! Sie sind ja nur eine Teilkompensation für die Folgen der inflationären Entwicklung.
({67})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich
({68})
den Schlußsatz sagen.
({69})
- Haben Sie ein bißchen Geduld! Mit Ihnen habe ich immer so viel Geduld gehabt.
({70})
Wir operieren nicht mit dem Sozialistenschreck im Lande.
({71})
Wir operieren nicht mit Gespenstern. Oder sind es etwa Gespensterzeitungen, die von den Auseinandersetzungen zwischen Hans-Jochen Vogel und seinen Jungsozialisten berichten?
({72})
Sein innerparteilicher Sturz ist doch mit 117 gegen 115 Stimmen gerade noch aufgefangen worden!
({73})
-- Ja, darf denn die Opposition über den Zustand, der in Ihren Reihen herrscht, nicht mehr das sagen, was einer Ihrer führenden Politiker anläßlich der Auseinandersetzung in München öffentlich im Fernsehen erklärt hat? Ist das etwa der „Sozialistenschreck"? Wir sagen ja nur genau das, was die echten Sozialdemokraten in München, in Berlin und anderswo sagen. Und Sie können nicht einfach mit einer Maske des Lächelns oder mit einer Maske der Ironie, des Grinsens und des Auslachens über den Zustand hinwegtäuschen, daß Ihnen das Problem der Koalition zwischen echten Sozialdemokraten und Linksradikalen in Ihrer eigenen Partei zunehmend Sorge bereitet.
({74})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Strauß sechs Bemerkungen machen.
Erstens. Herr Kollege Dr. Strauß, uns liegt die Rede des damaligen Bundesschatzministers Dr. Schmücker vor, und in dieser Rede wird von der „gewollten Rezession" gesprochen, d. h. von der
politisch beabsichtigten Verelendung eines Teils der arbeitenden Bevölkerung.
({0})
Sie haben damals, Herr Kollege Dr. Strauß, von der „Gnade der Stunde der Angst" gesprochen, nicht von der Stunde der Angst, sondern von der Gnade. Eine Gnade war es für Sie, daß Arbeitnehmer um ihren Arbeitsplatz bangen mußten. Sehen Sie, das unterscheidet Sie und diese Koalition, wir wissen in der Tat, daß wir auf der Hut sein müssen, aber wir sprechen weder von gewollter Rezession noch empfinden wir die Schwierigkeiten, die wir haben, als eine Gnade. Sie können sich heute nicht herausreden, was Sie damals gesagt haben und was Sie heute mit Sicherheit auch noch politisch denken.
({1})
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu dem Thema -- damit bin ich bei dem zweiten Punkt meiner Antwort - „politische Verunglimpfung" machen. Ich frage Sie, Herr Kollege Dr. Strauß, ob die Tatsache, daß wir die Politik der Großen Koalition fortentwickeln, Ihnen das Recht gibt, auf dem Parteitag der CSU vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit unserer Ostpolitik zu sagen - ich zitiere wörtlich
Ich ({2}) erinnere an Hitlers Ermächtigung durch wohlmeinende Demokraten im Jahre 1933 und an Grotewohls und Nuschkes Verhalten gegenüber Ulbricht.
Hier setzen Sie die Politik der Diffamierung fort. Das, was Sie hier gesagt haben, in dem Sie nichts von Ihrer bisherigen Einstellung zurückgenomen haben, zeigt uns, daß das, was Herr Kollege Dr. Barzel in diese Haushaltsdebatte eingeführt hat, zur Zeit noch nicht viel mehr als leere Versprechungen sind, Phrasen, die er meint anbringen zu müssen, weil er merkt, daß ihm der Weg mit seiner politischen Konfrontation ins Gesicht weht.
({3})
Herr Abgeordneter Dr. Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?
Nein.
({0})
Damit bin ich bei den Fragen aus dem Bereich der Ökonomie und meiner dritten Anmerkung. Mein Kollege Klaus Dieter Arndt hat gestern sehr eindrücklich dargestellt, was mit unserer Ökonomie geschehen wäre, wenn wir im Mai nicht gefloatet hätten. Wir wären untergegangen, so hat er wörtlich gesagt, in einem Strudel von einfließender Liquidität, die alle Dämme der Preisstabilisierung und der Stabilisierung der Zukunft unserer Volkswirtschaft hinweggefegt hätte. Sie, Herr Kollege Strauß, haben dagegen heute nur polemische Bemerkungen gefunden. Dabei haben Sie obendrein noch unterschlagen, daß es Herr Minister Schiller war, der damals gegen
die hohen Zinsen zu Felde gezogen ist und eine
internationale und weltweite Zinsabrüstung wollte.
Damit bin ich beim vierten Punkt meiner Bemerkungen. Sehen Sie, Herr Kollege Strauß, wir fragen uns doch in diesem Bereich der Währungs-, Haushalts- und Konjunkturpolitik, wo denn nun eigentlich Ihre Alternativen sind. Bei der Währungspolitik - das habe ich heute morgen schon einmal gesagt - müssen wir an unser Bündnis denken, und zwar in doppelter Hinsicht, in Richtung EWG wie in Richtung USA, wir müssen für Preisstabilität sorgen und die Vollbeschäftigung in unserem Lande sichern. Da gibt es eben keine Patentrezepte, da muß nachgedacht werden und da kann nicht einfach dahergeredet werden, wie Sie es hier wieder einmal getan haben. Wir unterstreichen erneut die Linie cies Bundeswirtschaftsministers. Wir wollen die EWG-Regelung, wir wollen aber keinen Unsinn beschließen und wir wollen keine Regelung, die frontal gegen die USA gerichtet ist.
Herr Kollege Strauß, sagen Sie mir doch bitte zum Bundeshaushalt 1972, was Sie genau wollen. Entweder stehen wir immer noch in der Phase der Überbeschäftigung, dann können Sie sich über die Steigerungsraten des Bundeshaushalts aufregen, oder aber wir sind in der Tat bereits in einer sich ändernden konjunkturellen Situation, dann können Sie hier mit Steigerungsraten überhaupt nicht argumentieren, sondern dann kommt es darauf an, das zu tun, was die Bundesregierung getan hat, nämlich für das Haushaltsjahr 1972 vorzusorgen und die zehn Milliarden, die wir haben, notfalls auch einzusetzen.
({1})
Sie haben zum Bundeshaushalt von dem Zuknöpfen gesprochen, Herr Kollege Strauß. Meine Fraktion weiß, daß Sie im Aufknöpfen ein größerer Fachmann sind.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Konjunkturpolitik machen. Auch hier muß ich sagen, daß die Opposition uns Rat schuldig geblieben ist. Wir wissen, daß wir nicht konsekutiv erst die Preisstabilität und dann die Vollbeschäftigung sichern können, sondern daß wir beides zugleich in dieser Phase tun müssen. Was will aber die Opposition? Wo setzt sie die Prioritäten? Sie kann nicht nur beides gleichzeitig beklagen.
Ich erspare mir fünftens Bemerkungen zu den Ausführungen von Herrn Kollegen Strauß in Richtung innere Reformen. Mein Kollege Max Seidel hat gestern abend sehr eindrucksvoll in zehn Punkten dargestellt, was diese Bundesregierung bereits an inneren Reformen, die Geld kosten, durchgesetzt hat. Wir werden diesen Weg fortsetzen. Wir wissen, daß wir Schwierigkeiten auf diesem Wege haben. Wir vertuschen sie auch nicht vor unserem Volk, und aus diesem Grunde müssen wir diesem Volk auch sagen: Es sind Steuererhöhungen in bescheidenem Maße und in Bereichen, wo es verantwortbar ist, notwendig, um diese Politik bei Bund, Ländern
und Gemeinden fortzusetzen. Wo ist eigentlich Ihre Antwort? Was wollen Sie eigentlich tun? Wie wollen Sie mit den Schwierigkeiten fertig werden? Welche inneren Reformen wollen Sie? Dies sind offene Fragen.
({2})
Hier muß ich zum Schluß folgendes sagen. Dieses Parlament hat eineinhalb Tage lang debattiert. Dabei waren drei Fragen an Sie als die Opposition gestellt.
({3})
Erste Frage: Wie soll der Bundeshaushalt nach Ihrer Meinung - Herr Lenz, Sie legen doch Wert darauf, daß Sie hier auch Ihre Meinung sagen dürfen aussehen? Soll der Bundeshaushalt nach Ihrer Meinung größer oder kleiner werden? Wie ist das in der konjunkturellen Sicht zu sehen? Wie soll das finanziert werden? - Wir konstatieren heute zu dieser wichtigen Frage: Keine Antwort der Opposition.
Zweite Frage: Sollen den Ländern mehr Mittel aus dem gemeinsamen Topf zufließen, weil das wiederum für die Infrastrukturinvestitionen der Gemeinden entscheidend ist? Sollen wir den Gemeinden und den Ländern mehr Geld geben, oder sollen wir es nicht tun? Das ist eine weitere Frage an Sie gewesen. Keine Antwort.
Und die dritte Frage: Müssen wir nicht angesichts dieser Situation wir wollen den Ländern und Gemeinden mehr Geld geben - gewisse Einnahmeverbesserungen, die verantwortbar sind, im Bereich der Branntweinsteuer und der Tabaksteuer durchsetzen? Was sagt die Opposition dazu? Keine Antwort.
Diese Haushaltsdebatte geht mit der Feststellung aus, daß die sozial-liberale Koalition ihrerseits die von ihr gefundenen Antworten weiter vertreten muß und weiter vertreten wird, weil Sie uns keinerlei Alternativen zu unseren Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit angeboten haben.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch von mir nur noch wenige Bemerkungen in dieser späten Stunde dieser Debatte.
Ich will auf das Problem der Konfrontation nicht eingehen, weil ich auch verhüten möchte, durch neue Debattenbeiträge dazu den Denkprozeß in der Opposition zu diesem Thema vielleicht negativ zu beeinflussen. Denn wir alle haben bemerkt, daß doch erhebliche Unterschiede bestanden zwischen dem, was der Kollege Barzel heute morgen sagte, und dem, was der Kollege Strauß eben gesagt hat. Nur meine ich doch noch einmal daran erinnern zu dürfen, daß ich Ihnen hier gestern am Ende meines
Beitrages einiges aufgeführt habe, was als Ihr Beitrag zur Beendigung der Konfrontation auf den Gebieten der Wirtschafts-, Haushalts- und Konjunkturpolitik erwartet werden muß. Da steht auch bis zur Stunde jede Antwort aus, und sie wird am heutigen Tage sicher weiterhin ausbleiben.
({0})
Noch eine Feststellung um der geschichtlichen Wahrheit willen. Auch Herr Kollege Strauß
({1})
- er redet ({2})
hat dieses Angebot wieder aufgenommen, das Herr Dr. Barzel -- wohl im November 1969 - gemacht hat. Aber - ich habe es auch schon ein halbes dutzendmal in diesen fast zwei Jahren gesagt, man muß es immer wiederholen - das war ein Angebot mit doppeltem Boden. Man kann nicht ein solches Angebot machen und dann geradezu kaninchenhaft dauernd neue ausgabewirksame Anträge in diesem Haus einbringen. Das war doch Ihre Praxis.
({3})
Ich meine auch, wir sollten doch davon Abstand nehmen, zu versuchen - was wiederholt geschehen ist -, eigene heute falsche Behauptungen damit zu rechtfertigen, daß andere zu anderer Zeit das gleiche gesagt haben. Mag es so gewesen sein, dadurch wird beides nicht richtiger und führt uns nicht weiter.
Nun noch ein Wort zur Frage der Steuererhöhungen. Ich glaube, Herr Strauß hat die Fragen, die Kollege Mischnick ihm gestellt hat - die ich nebenbei gestern auch schon angesprochen hatte -, nicht richtig verstanden. Zumindest ist er eine Antwort auf die Fragen schuldig geblieben. Die CDU hat erklärt, sie sei für Steuererhöhungen, wenn der Zweck, dem sie dienen sollen, klar erkennbar sei. Ich habe es gestern hier ausgeführt und kann es nur noch einmal wiederholen: Der Zweck für diese Steuererhöhungen ist absolut klar erkennbar. Das ändert nichts daran - um das noch einmal zu wiederholen -, daß keiner mit Begeisterung für Steuererhöhungen ist.
Aber ein Beweis dafür, daß die Opposition immer so argumentiert, wie es ihr paßt, d. h. gegen die Regierung, was immer sie tut: Sie haben uns gelegentlich vorgeworfen, wir wollten diese inflationäre Entwicklung, weil wir nur so in der Lage seien, unsere Aufgaben zu finanzieren, weil diese inflationäre Entwicklung zu höheren Steuereinnahmen führe. Das war doch landläufig eine häufig gebrauchte Formel der Opposition. Wenn ich das einmal in die Erinnerung zurückrufe, stimmt natürlich das gar nicht, was der Kollege Strauß sagt, daß die Steuererhöhungen gezielt für Gemeinden und Länder nur die Schlaglöcher - wie er sich auszudrücken beliebte - auf dieser Inflationsstraße stopfen sollten. Denn wenn das, was Sie früher gesagt haben, richtig wäre, würde die Situation der Länder und Gemeinden ohne diese Preisentwicklung - auch das ist nachzuweisen - ja genauso sein, weil dann
nämlich die Steuereinnahmen - das ist nun einmal so - in der Tat erheblich niedriger wären. Darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten.
Ich bin allerdings der Meinung, es ist klargeworden - Herr Kollege Apel, in dem einen Punkt sehe ich die Ausführungen der Opposition etwas anders als Sie -, daß die Opposition zu den Steuererhöhungen Nein sagt, d. h. es ist klar: sie ist gegen mehr Mittel für die Gemeinden und Länder.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete von Weizsäcker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon spät, und das Haus nicht mehr gut besetzt, vor allem auf der Seite der Regierung. Aber der Vormittag war doch in einigen seiner Töne zu wichtig, als daß er in den Fragen und Antworten ausklingen sollte, die der Kollege Apel genannt hat. Ich möchte deshalb nicht auf sie eingehen, sondern ich möchte auf den Grundappell zurückkommen, den Herr Dr. Barzel heute morgen gestellt hat.
Herr Dr. Barzel hat von der notwendigen Solidarität gesprochen, nicht deshalb, Herr Wehner, weil die CDU/CSU vor sich einen Weg von der Schwere einer Umkehr sieht, die Sie uns aus Ihrer eigenen Erfahrung heraus gelegentlich vorhalten, aber deshalb, weil wir wissen, daß es eine große Portion von Gemeinsamkeit gibt in Punkten, über die wir in den letzten zwei Jahren eben leider viel zu wenig uns miteinander auszutauschen Gelegenheit bekommen haben.
Diese Gemeinkamkeit sehe ich u. a. darin: Ihre wie unsere Wähler wünschen ein besseres Verhältnis mit unseren östlichen Nachbarn, Ihre wie unsere Wähler wünschen die Möglichkeit zu einer besseren Kooperation mit der Sowjetunion und ihren Blockbündnispartnern. Aber Ihre wie unsere Wähler haben aus Erfahrung die Skepsis, wie wir denn mit der Übermacht fertig werden sollen. Ihre wie unsere Wähler haben die Skepsis, ob denn die Regierung bei diesem sehr schwierigen Geschäft auch mißtrauisch genug ist. Und Ihre wie unsere Wähler haben die Frage, ob denn ein guter Wille nicht in der Gefahr ist, Opfer einer nur allzu berechneten Machtpolitik auf der anderen Seite zu werden.
Oder bei einem anderen Thema: Wir haben vor einigen Tagen aus dem Munde des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes einen sehr bemerkenswerten Vortrag zur Ostpolitik und dort insbesondere zum Thema Einheit der Nation gehört. Er hat ausgeführt, daß diese Einheit der Nation das Ziel der Bundesregierung sei und bleibe, und zwar nicht nur als Fernziel. Nun ist es doch unsere gemeinsame Frage: Wie können wir verhindern, daß es zu einer Zerreißprobe kommt bei einer Politik, die einerseits im Ausland mehr und mehr verstanden wird als eine Politik der Anerkennung, die aber von der Bundesregierung nach wie vor als eine Politik der Einheit der Nation bezeichnet wird, und das nicht nur als Fernziel.
Ich will die Einzelheiten gar nicht diskutieren, sondern nur sagen: Hier stellt sich nun eben die Frage, wie die Bundesregierung gegenüber solchen gemeinsamen Aufgaben reagiert. Läßt die Bundesregierung zu, daß die, welche das Mißtrauen oder die Skepsis oder die Sorge, die in unserem ganzen Volk vertreten ist, äußern, verdächtigt werden? Läßt die Bundesregierung zu, daß ihre Politik mit dem Pathos der Moral vertreten wird bis an die Grenze hin, daß der, der dagegen Fragen stellt, von vornherein als der Unmoralische dasteht?
({0})
Ist sich die Bundesregierung dessen bewußt, daß wir - nicht die CDU/CSU, sondern wir gemeinsam - diese Zerreißprobe gar nicht aushalten werden, wenn wir diese Fragen nicht einer laufenden gemeinsamen Erörterung anheimgeben?
({1})
Wir brauchen nicht die Große Koalition zur Lösung von außen- und deutschlandpolitischen Fragen, aber was wir im Rahmen der Solidarität auf diesem Gebiet brauchen, ist so etwas wie eine ständige große Konspiration darüber, wie wir mit diesen Fragen denn weiter umgehen.
Der Kollege Wehner hat in der Erwiderung auf Herrn Barzel etwas, wie ich finde, sehr Bemerkenswertes gesagt. Er hat nämlich gesprochen von der Notwendigkeit und von den Grenzen der Auseinandersetzung über die Grundpositionen unter den Parteien und hat gesagt, daß wir nicht auf dem Wege zu einer Einheitspartei seien. Das sind wir ganz bestimmt nicht. Ich bejahe diese Notwendigkeit der Grundsatzauseinandersetzung ausdrücklich. Das wird nicht eine Grundsatzauseinandersetzung im Sinne eines Sozialistenschrecks, Herr Wehner. Aber natürlich, wenn sich eine Reihe von teilweise sehr maßgeblichen Mitgliedern Ihrer Partei in ihren schriftlichen und öffentlichen mündlichen Äußerungen dazu bekennt, daß der Sozialismus der Inhalt und Oberbegriff der Demokratie werden müsse,
({2})
wenn wir eine wirkliche Demokratie bekommen sollen, dann bekommen wir eben eine Grundsatzauseinandersetzung über das Spannungsverhältnis von Sozialismus und Demokratie, über das Spannungsverhältnis zwischen dem, was wir unter Freiheit und Sie unter Gleichheit verstehen.
({3})
Diese Grundsatzauseinandersetzung wollen und müssen wir führen. Um sie aber in der Art führen zu können, daß wir nach innen und außen unsere Demokratie schützen und fortentwickeln können, brauchen wir eben jene Solidarität, von der Herr Dr. Barzel in seiner heutigen Vormittagsrede gesprochen und die, wie ich meine, den Grundton unserer heutigen Vormittagsdiskussion abgegeben hat und weiterhin behalten sollte.
({4})
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat tritt nach Abschluß der Beratungen über den Haushalt zusammen. Es kann sich nach der hiesigen Übersicht nur noch um Minuten handeln.
Herr Kollege Leicht hat mich gebeten, mitzuteilen, daß die für heute nachmittag vorgesehene Sitzung des Haushaltsausschusses ausfällt. Der Haushaltsausschuß tritt aber morgen um 9 Uhr zur nächsten Sitzung zusammen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Herrn von Weizsäcker sehr dankbar, daß er die Diskussion mit seiner Schlußbemerkung zu dem guten Ansatz zurückgeführt hat, den wir heute morgen in der Rede von Herrn Dr. Barzel und in den Antworten von Herrn Kollegen Wehner und dem Herrn Bundeskanzler gehabt haben. Herr von Weizsäcker, wir werden sicher hier und heute nicht alles ausdiskutieren können. Ich stimme Ihnen im folgenden zu: Natürlich gibt es Fragen zu der Politik dieser Regierung wie zu der Politik jeder Regierung. Wir kennen uns gut genug, daß Sie mir glauben werden, wenn ich sage: Alle diese auch skeptischen - Fragen hat sich die Regierung bei ihren Entscheidungen immer wieder selbst gestellt. Darum kann natürlich keine Rede davon sein, daß wir der Meinung seien, der Zweifel wäre unzulässig und die Regierung könne einfach auf Zustimmung pochen, Zustimmung verlangen. Wir werden uns Mühe geben, Ihre Große Anfrage, die präzise und hilfreich ist, weil sie die Zweifelsfragen klarer macht, als das bisher der Fall war, so zu beantworten, daß diese Ängste und diese Skepsis etwas abgebaut werden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, daß man der Regierung auch zuhört.
Ich glaube, es ist falsch, wenn Sie sagen, wir würden ein solches moralisches Pathos in die Sache legen, daß wir gewissermaßen denjenigen, der nicht mitmacht, in die Position des „Ungläubigen" schieben. Das ist nicht der Fall, Herr von Weizsäcker. Wir sind in der Tat tief davon überzeugt, in der Entspannungspolitk etwas zu tun, was auch moralisch nicht nur richtig, sondern sogar geboten ist. Wir müßten ausloten, ob wir, wenn wir an die Grundfragen dieser Politik kommen - ich denke jetzt nicht an die Einzelheiten, über die man streiten kann -, nicht feststellen könnten, daß auch im moralischen Engagement die Gemeinsamkeit in diesem Hause größer ist, als es manchmal erscheinen will.
Wenn Sie der Meinung sind, daß es nötig und gut wäre, in der Innenpolitik noch einmal die Debatte über den freiheitlichen Sozialismus zu führen - diese Debatte haben meine Freunde bei der Erarbeitung des Godesberger Programms geführt -, so kann ich dazu nur sagen: um so besser. Eines sage ich Ihnen allerdings voraus: mit einem so statischen Verständnis der beiden Faktoren Gleichheit und
Freiheit, wie Sie es eben angedeutet haben, wird man, glaube ich, nicht auskommen. Aber wie gesagt, auch das müßte gründlicher diskutiert werden.
Für die Regierung möchte ich hier sagen, daß wir in der Debatte heute morgen in einer etwas schwierigen Situation standen, Herr Kollege Barzel. Wir hatten auf der einen Seite Ihre Rede. Auf der anderen Seite hatten wir die Rede von Herrn Strauß, der zwar am Anfang beteuert hat, daß die ganze Opposition Ihren Ansatz teile, hinter Ihrer Rede stehe, der dann aber doch wieder in Konfrontationstechniken verfallen ist. Ich will darüber jetzt nicht rechten. Wir werden uns fürs erste an Ihren Ansatz halten, und auch ich werde Ihre Rede auf die Liste der sorgfältig zu lesenden Dinge setzen.
({0})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Ausprache.
Wir kommen zu den Überweisungsbeschlüssen. Die Überweisungsvorschläge des Altestenrates lauten folgendermaßen. 4 a) : Haushaltsausschuß. 4 b) : Haushaltsausschuß. 4 c) : Ausschuß für Wirtschaft federführend, Haushaltsausschuß mitberatend. 4 d) : Ausschuß für Wirtschaft federführend, Haushaltsausschuß mitberatend. 4 e) : Haushaltsausschuß. 4 f) : Finanzausschuß sowie Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung.
Wer der Überweisung gemäß diesen Vorschlägen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Punkt 4 g) wird am Freitag zur Beschlußfassung aufgerufen.
Wir stimmen aber noch über Punkt 4 h) - Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971 - ab. Wer dem Antrag des Haushaltsausschusses die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU unter Punkt 4 i) der Tagesordnung. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich möchte jetzt gern noch die Zusatzpunkte aufrufen, darf aber zuvor bekanntgeben, daß die Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion gebeten werden, nach Unterbrechung der Sitzung zu einer Fraktionssitzung zusammenzukommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
- Drucksache VI/ 2730 8352
Vizepräsident Frau Funcke
Wird das Wort zur Begründung oder zur Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer der Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft - federführend - und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Punkt 2 der Zusatzliste:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Agrarpolitik
- Umdruck 92, Drucksache VI /2682 - Berichterstatter: Abgeordneter Welslau
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Punkt 3 der Zusatzliste:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes und der Maßnahmen der Bundesregierung gemäß Landwirtschaftsgesetz und EWG-Anpassungsgesetz
- Umdruck 12, Drucksache VI /2683 -Berichterstatter: Abgeordneter Vit
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Ausschußantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir mit den für heute vorgesehenen Punkten -- bis auf die Fragestunde - am Ende.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({2})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird mit der
Fragestunde
Drucksache VI /2720 fortgesetzt. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung ist Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Focke hier. Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Jenninger auf. - Herr Dr. Jenninger ist nicht im Raum. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ({3}) auf:
Findet es die Billigung der Bundesregierung, daß ihre offiziellen Werbeschriften, z. B. der Sozialreport 71, zusammen mit Werbeschriften der Koalitionsparteien, wobei diese Schriften in den Sozialreport eingelegt werden, zur Verteilung kommen?
Zur Beantwortung nunmehr Herr Staatssekretär Ahlers.
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner wie folgt. Herr Abgeordneter, jawohl. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung muß sich bei der Verteilung seiner Publikationen mangels einer eigenen „Bodenorganisation" auch der Parteien, insbesondere der Regierungsparteien, bedienen. Ansonsten würden erhebliche Vertriebskosten entstehen, die wir gar nicht bezahlen könnten. Inwieweit die Parteien unser Material gemeinsam mit eigenen Publikationen verteilen, wird vom Bundespresseamt weder vorgeschrieben noch kontrolliert. Unklarheiten über die Herkunft des Materials sind ausgeschlossen, weil selbstverständlich immer die Herausgeberschaft des Bundespresseamtes angegeben ist. Dies war auch beim Sozialreport der Fall.
Ich möchte darauf hinweisen, Herr Abgeordneter, daß auch frühere Bundesregierungen sich dieser Praxis bedient haben. So hat die Regierung Erhard im Jahre 1966 in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht folgenden Standpunkt vertreten: „Es ist das gute Recht der Parteien, die die Regierung bilden, sich auf Auffassungen und politische Erklärungen der Regierung zu berufen. Es kann ihnen auch nicht verwehrt werden, sich auf Veröffentlichungen oder sonstiges politisches Material, das von oder im Auftrag der Bundesregierung herausgegeben wird, zu beziehen, es zu verwenden oder darauf hinzuweisen." Es gibt keinen vernünftigen Grund, von dieser Auffassung abzugehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner.
Darf ich Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär also entnehmen, daß in den Fällen, in denen Publikationen der Bundesregierung und der Koalitionsparteien gemeinsam versandt werden, der Veranlasser dieses gemeinsamen Versands stets nur eine der Koalitionsparteien und in keinem Fall das Bundespresse- und Informationsamt gewesen sein kann und ist?
Das ist richtig, Herr Abgeordneter.
Eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner auf:
Wer veranlaßt derartige gemeinsame Versendungen, und wer trägt das Porto hierfür?
Herr Abgeordneter, im einzelnen geht die Verteilung so vor sich, daß die angeforderten Publikationen von der Druckerei unmittelbar an die Abnehmer, in diesem Falle also an die Parteien, geliefert werden. Diese sorgen für die weitere Verteilung selbst. Gemeinsame Versendungen werden vom Presse- und Informationsamt nicht veranlaßt. Die Kosten, die dabei entstehen, werden vom Bundespresseamt nicht erstattet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, daß über das Tragen der Kosten und auch über die Veranlassung des Versands deswegen Unklarheiten in der Bevölkerung bestehen und auch bestehen müssen, weil die Publikationen in sehr vielen Fällen ohne Absender versandt werden bzw. weil als Absender bei derartigen Versendungen nur ein Postfach in Bonn angegeben wird?
Herr Abgeordneter, es mag sein, daß als Absender nur das Postfach von irgend jemandem angegeben wird. Was die eigentliche Verantwortlichkeit für die Publikation angeht, so sagte ich eben schon, daß darüber hinsichtlich unserer Publikationen überhaupt kein Zweifel bestehen kann, weil das im Impressum aufgeführt ist. Im übrigen dienen für die Kontrolle dieser Sachen auch die Fragen in diesem Hause.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Treffen Meldungen zu, nach denen die Bundesregierung beabsichtigt, eine Dokumentation über das alliierte Berlin-Abkommen und über ihre eigenen Bemühungen in Berlin in großer Auflage gegebenenfalls an alle Haushaltungen in Berlin zu verteilen?
Frau Präsidentin, ich bitte den Herrn Abgeordneten, die Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Wenn je, wann ist eine derartige Werbeaktion beabsichtigt?
Herr Abgeordneter, derartige Meldungen treffen nicht zu. Damit ist auch die Frage nach dem Zeitpunkt beantwortet.
Keine Zusatzfrage. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Ahlers.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär
Rosenthal anwesend. Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Ott auf:
Wie klärt die Bundesregierung den Widerspruch zwischen dem Rundschreiben des Bundesministers für Wirtschaft vom 28. Januar 1971, wonach „vermögenswirksame Leistungen arbeitsrechtliche Bestandteile des Lohnes oder Gehaltes sind", und der Pressemitteilung 4320 vom 11. Oktober 1971 des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen, daß die Bundesregierung -ür unerwünscht hält, wenn die Unternehmer von der Überwälzung dieses Kostenfaktors Gebrauch machen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Frau Präsidentin, Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, darf ich diese Fragen gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Ott auf:
Trifft die Meldung im Handelsblatt vom 8.79. Oktober 1971, zu, wonach „die Bundesregierung somit in dieser Überwälzungsdiskussion vor dem Deutschen Bundestag offensichtlich aus politischen Gründen unrichtige Angaben gemacht hat"?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Bundesregierung sieht keinen Widerspruch zwischen der von Ihnen zitierten Stelle im Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen vom 28. Januar 1971 und seiner Pressemitteilung Nr. 4320 vom 11. Oktober 1971. Die Bundesregierung hat den Bundestag auch nicht falsch unterrichtet.
Wie aus der Pressemitteilung vom 11. Oktober 1971 hervorgeht, gestattet das geltende Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen in den Fällen, in denen Marktpreise nicht gebildet werden können, zwar die Weiterwälzung der durch die vermögenswirksamen Leistungen entstehenden Kosten auf die Preise; eine Pflicht hierzu wird für den Unternehmer aber nicht begründet. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das von Ihnen zitierte Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen vom 28. Januar zu sehen. Dieses Rundschreiben, das sich ausschließlich auf die Ermittlung von Stundenlohn-Abrechnungspreisen bei öffentlichen Bauaufträgen bezieht, stellt als Ausgangspunkt lediglich fest, daß vermögenswirksame Leistungen Bestandteil des Lohnes oder Gehaltes und damit Kosten sind. Von einem Zwang zur Berücksichtigung dieser Kosten in der Kalkulation ist nicht die Rede.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise hat die Bundesregierung auf die Behauptung des „Handelsblatts" vom 8./9. Oktober reagiert, wonach die Bundesregierung in dieser Überwälzungsdiskussion vor dem Bundestag offensichtlich aus politischen Gründen unrichtige Angaben gemacht hat?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich habe soeben gesagt, daß sie keine unrichtigen Angaben gemacht hat. Die Bundesregierung hat geantwortet, daß damit keine Empfehlung zur Überwälzung geeben ist.
Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
Herr Kollege Ott, die Überwälzung hängt doch von der Situation des Marktes ab. Wenn der Markt es erlaubt, neigt der Unternehmer dazu, alles zu überwälzen. Wenn vermögenswirksame Leistungen gegeben werden, werden diese festgelegt und gehen nicht in die Kaufkraft ein. Die vermögenswirksamen Leistungen begrenzen also auch den Preisüberwälzungsspielraum.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bitte haben Sie Verständnis. Ich hätte gerne gewußt, ob und in welcher Weise die Bundesregierung auf die Behauptung des „Handelsblattes" vom 8./9. Oktober 1971 der Öffentlichkeit und dem „Handelsblatt" gegenüber für eine klare Richtigstellung gesorgt hat.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich darf dann auf die Veröffentlichung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen vom 11. Oktober 1971 4320, verweisen. Im übrigen ist meine Beantwortung Ihrer Fragen eine weitere Klarstellung des Gesichtspunktes der Bundesregierung.
Keine weitere Zusatzfragen. Schönen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal.
Die weiteren Fragen werden vom Parlamentarischen Staatssekretär Hermsdorf beantwortet. Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Strohmayr auf:
Ist gewährleistet, daß die in der Fachzeitschrift „Lohnsteuer aktuell" dargelegten Bestimmungen des Gesetzes über die Erhebung eines rückzahlbaren Konjunkturzuschlages zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer ({0}), die insbesondere bei Arbeitsplatzwechsel oder Beendigung des Berufslebens zu beachten sind, auch allen Betroffenen ausreichend bekannt sind, um finanzielle Verluste durch Unkenntnis zu vermeiden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Frau Präsidentin, darf ich darum bitten, beide Fragen im Zusammenhang zu beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 17 des Abgeordneten Strohmayr auf:
Sind die in der Zeitschrift „Quick" Nr. 41 angezeigten Schwierigkeiten bezüglich des Nachweises des gezahlten Konjunkturzuschlags bei Computer-Gehaltsabrechnungen zu erwarten?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Der BdF hat am 22. Juli 1970 ein umfangreiches Schreiben an die Bundesländer gerichtet und darin u. a. auch das Bescheinigungsverfahren, das beim Arbeitgeberwechsel und im Fall des endgültigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis für den Nachweis des gezahlten Konjunkturzuschlags von Bedeutung ist, behandelt. Dieses Schreiben war im
Abdruck allen Spitzenverbänden der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zugegangen.
Außerdem enthält die Bescheinigung unter der Kopfspalte einen deutlichen Hinweis darauf, daß sie beim Arbeitgeberwechsel sofort dem neuen Arbeitgeber auszuhändigen oder - falls nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis kein neues Arbeitsverhältnis begründet wird - zwecks späterer Erstattung des Konjunkturzuschlags durch das Finanzamt sorgfältig aufzubewahren ist. Darüber hinaus ist beabsichtigt, bei Freigabe des Konjunkturzuschlags die Öffentlichkeit durch Herausgabe von Pressemitteilungen zu unterrichten. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß damit eine ausreichende Unterrichtung der Betroffenen gewährleistet ist.
Die Bescheinigung über den einbehaltenen Konjunkturzuschlag muß auf amtlichen Vordrucken erteilt werden, die dem Arbeitgeber auf Antrag durch das Finanzamt kostenlos geliefert werden. Andere Bescheinigungen sind nicht zulässig.
Die in der Zeitschrift „Quick" vertretene Auffassung ist insofern mißverständlich, als nicht die Gehaltsabrechnung selbst, sondern die Bescheinigung über den einbehaltenen Konjunkturzuschlag in der Weise ausgefertigt werden kann, daß die benötigten Angaben von Datenverarbeitungsanlagen in Klartext auf Klebezetteln geliefert werden, die dann fest mit dem amtlichen Bescheinigungsvordruck zu verbinden sind. Richtig ist auch, daß Abrisse von Endlos-Formularen nicht als amtliche Bescheinigung anerkannt werden können.
Schwierigkeiten sind nicht zu erwarten. In dem Gesetz, in dem vorgenannten Schreiben vom 22. Juli 1970 sowie in Pressemitteilungen war stets darauf hingewiesen worden, daß die Bescheinigungen nur auf amtlichen Vordrucken erteilt werden können. Es kann davon ausgegangen werden, daß der Kreis der Arbeitgeber, die die Bescheinigungen in Datenverarbeitungsanlagen herstellen, über die Form der Bescheinigungen unterrichtet sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Rückzahlung des Konjunkturzuschlags schon dann gefährdet ist, wenn vom Arbeitgeber irrtümlich nicht genau 10 % der Lohnsteuer als Konjunkturzuschlag nachgewiesen werden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das trifft nicht zu.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es zweckmäßiger wäre, die Rückzahlung des Konjunkturzuschlags ebenso unbürokratisch durchzuführen, wie das bei der Einbehaltung des Konjunkturzuschlages der Fall gewesen ist?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Wir werden selbstverständlich von der Voraussetzung, die Sie soeben darlegten, ausgehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung seinerzeit bei Einführung des Konjunkturzuschlages mit diesen auftretenden Schwierigkeiten gerechnet?
HermSdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich würde nicht sagen, ,daß wir damit gerechnet hahaben. Aber es zeigt sich jetzt, daß hier und dort Schwierigkeiten auftreten können. Wir bereiten heute alles darauf vor, daß solche Schwierigkeiten bei der Erstattung - wenn das Datum der Rückzahlung feststeht - nach Möglichkeit auf ein Minimum zurückgeführt werden können.
Herr Staatssekretär, sind Sie aber nicht mit mir auch der Auffassung, daß es zweckmäßig wäre, dem Arbeitgeber in diesem Fall die Verpflichtung aufzuerlegen, dafür zu sorgen, daß über den Konjunkturzuschlag genau Buch geführt wird, und daß es nicht Aufgabe des Zahlenden sein sollte, nachzuweisen, ob er diese Unterlagen nun tatsächlich hat bzw. ob die 10 % genau auf Heller und Pfennig gezahlt worden sind?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Behörde ist sicherlich davon ausgegangen, daß eine Nichtaufführung des Konjunkturzuschlages nur in den seltensten Fällen vorkommen werde. Sie hat wahrscheinlich aus diesem Grunde am Anfang nicht darauf aufmerksam gemacht. Aber wir werden alles tun, wenigstens an dem Tage, wo zurückgezahlt wird, dies so unbürokratisch wie nur irgend möglich durchzuführen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin sagten, daß die Bundesregierung für den Rückzahlungsfall eigene Formulare drucken lassen will, frage ich, mit wieviel Millionen Formularen Sie für diesen Fall rechnen.
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen, da bin ich ein bißchen überfordert. Aber Sie können sich ja ausrechnen, wie viele Steuerzahler den Konjunkturzuschlag gezahlt haben. Danach richtet sich die Anzahl der Formulare. Ohne Formulare wird es nicht gehen; denn sowohl das Finanzamt als auch der andere brauchen eine Quittung, daß zurückgezahlt worden ist.
Da es zwei Fragen waren, können Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Ott.
Danke schön, Frau Präsidentin! Das ist ja heute zeitlich wahrscheinlich möglich.
Herr Staatssekretär, beabsichtigen Sie, in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer noch bei dem Arbeitgeber ist, bei dem der Konjunkturzuschlag abgezogen worden ist, zuzulassen, daß derselbe Arbeitgeber den Konjunkturzuschlag zurückzahlt, weil eine Überprüfung der Rückzahlung durch Lohnsteuerprüfer genauso möglich ist wie die Überprüfung der richtigen Einbehaltung der Lohnsteuer?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ohne die Bundesregierung hier festlegen zu wollen, halte ich diesen Gedankengang für überlegenswert.
Keine weitere Frage.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen wird auf Antrag des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich der Gestaltung von zeitlich befristeten Arbeitsverträgen für Wissenschaftler an Forschungsinstituten bisher entwickelt, und sollen derartige Zeitverträge nach den allgemeinen Grundsätzen des für den öffentlichen Dienst geltenden Tarifrechts gestaltet werden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Frau Präsidentin, auch hier würde ich bitten, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu können.
Dann rufe ich auch die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Sperling auf:
Für welche Altersgruppe von Wissenschaftlern sollen gegebenenfalls solche nicht nach dem Tarifrecht des öffentlichen Dienstes gestalteten Zeitverträge gelten, und mit welchen Mitteln will die Bundesregierung in solchen Fällen den weiteren beruflichen Werdegang der davon betroffenen Wissenschaftler und insbesondere deren soziale Sicherung langfristig gewährleisten?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Forschungseinrichtungen können mit wissenschaftlichen Mitarbeitern nach den allgemein geltenden Regelungen des Bundesangestelltentarifvertrages ({0}) Zeitverträge mit tariflicher Vergütung abschließen. Darüber hinaus besteht seit fünf Jahren für die Kern-, Luftfahrt- und Raumfahrtforschungseinrichtungen sowie für die mit diesen vergleichbaren Forschungseinrichtungen die Möglichkeit, mit qualifizierten jüngeren wissenschaftlichen Mitarbeitern, deren bisherige Tätigkeit nach Abschluß des Hochschulstudiums herausragende wissenschaftliche Leistungen erwarten läßt, besondere, auf längstens sechs Jahre befristete Zeitverträge zu vereinbaren. Der Abschluß solcher Zeitverträge kann im Bedarfs8356
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
fall auch bei anderen Zuwendungsempfängern zugelassen werden. Die nach Abstimmung mit der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeber getroffene besondere Regelung sieht unter Verzicht auf Leistungen für eine zusätzliche Altersversorgung wesentlich höhere Vergütungen als nach dem BAT vor. Während z. B. die Endgrundvergütung der Vergütungsgruppe I a BAT, die frühestens mit 47 Jahren erreicht werden kann, zur Zeit monatlich 2787 DM beträgt, kann im Rahmen der besonderen Zeitverträge zur Zeit eine Grundvergütung bis zu 3170 DM monatlich gewährt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß das Beschäftigungsverhältnis nach den Richtlinien für die besondere Regelung grundsätzlich mit 38 Jahren enden muß. Soweit die wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis bei demselben Arbeitgeber übernommen werden, haben sie in diesem Alter erfahrungsgemäß die Möglichkeit, zu guten Bedingungen zu anderen Arbeitgebern überzuwechseln. Bisher sind Schwierigkeiten in dieser Hinsicht nicht bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Bestrebungen bekannt, bisher auf Tarifverträgen beruhende Arbeitsverhältnisse in Zukunft, falls Wissenschaftler ausscheiden, durch Zeitverträge zu ersetzen?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Diese Bestrebungen sind mir bekannt. Seit langer Zeit sind Überlegungen im Gange, wie man den Anforderungen, die von allen Seiten an die Wissenschaftler gestellt werden, auch hinsichtlich der Bezahlung in unbürokratischer Weise Rechnung tragen kann, ohne daß man sie immer in die genauen Besoldungsvorschriften hineinpressen muß. Wir haben dafür aber noch keine allgemeine Richtlinie gefunden. Wir versuchen nur, so beweglich wie möglich zu sein, um nicht auf wissenschaftliche Kräfte mit besonderer Qualifikation verzichten zu müssen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß sie mit einer Vermehrung der Zeitvertragsverhältnisse jungen Wissenschaftlern die Gründung einer Familie und die feste Ansiedlung erheblich erschwert?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich habe diese Überlegungen noch nicht so gesehen, wie Sie hier darstellen. Die Zeitverträge sind ja in einem Rahmen abgefaßt, der so ist, ,daß ich diesen Grund, den Sie hier anführen, im Augenblick nicht recht einsehen kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung vielleicht die Sorge, daß bei einer erheblichen Ausweitung der Zeitverträge Arbeitsplätze bei Bundesgroßforschungseinrichtungen für Wissenschaftler weniger interessant werden könnten, weil die Industrie dann bessere und sichere Arbeitsplätze anbietet?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Genau das ist der Punkt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 20 und 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers werden auf Antrag des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Erscheint es der Bundesregierung sinnvoll, daß einerseits Bausparen nicht nur durch Prämien, sondern auch durch Sonderabschreibungen begünstigt wird, andererseits aber für die Zinsen des Bausparguthabens Steuern bezahlt werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Kempfler, das Bausparen wird seit Jahren steuerlich begünstigt. Der Bausparer hat ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und der Gewährung von Prämien nach den Vorschriften des Wohnungsbau-Prämiengesetzes.
Die Bundesregierung hält es nicht für sinnvoll, zusätzlich die Zinsen aus dem Bausparguthaben vollständig oder teilweise von der Einkommensteuer zu befreien da diese Maßnahme wegen des progressiven Einkommensteuertarifs sozial ungleichmäßig wirken würde. Wir sind im Augenblick bestrebt, die unterschiedlichen Begünstigungsmethoden im Rahmen der Steuerreform zu vereinheitlichen und durch ein Verfahren mit gleichmäßiger Entlastungswirkung zu ersetzen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie den Ertrag dieser Steuer für so groß, daß man die Inkonsequenz die zweifellos in ihrer Erhebung liegt, und die Verärgerung der Bausparer, auch der kleinen Bausparer, in Kauf nehmen muß?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das Volumen des Steuerausfalls, der einträte, wenn man Ihrem Gedanken folgen würde, ist doch beträchtlicher, als Sie im Augenblick annehmen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man im Wege der zukünftigen Gesetzgebung das Verfahren vielleicht so regeln, daß mindestens his zu einer gewissen Höhe des Einkommens die Zinsen nicht besteuert werden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich sage Ihnen: Wir sind dabei, die Sache zu vereinfachen. Dieser Gedankengang, den Sie hier anführen, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Ich halte ihn aber für erwägenswert. Es wird nur die Frage sein, wie sich das rein technisch machen läßt und ob es dabei nicht wieder gewisse Verwaltungsschwierigkeiten gibt. Man müßte das dann eventuell an einen bestimmten Höchstsatz binden. Dies müssen wir prüfen lassen. Diese Anregung ist auf jeden Fall erwägenswert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, im Anschluß an diese Frage und die Antwort darauf: Glauben Sie, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt bei einem Freibetrag von 150 DM für Zinsen, d. h. bei einem Bausparguthaben von 5000 DM zu 3 % Zinsen oder - in anderen Fällen - bei einem Bausparguthaben von 2500 DM zu 6 % Zinsen, für einen Alleinstehenden nicht höchste Zeit wäre, hier etwas zu tun auch vor der großen Steuerreform -, weil sonst die Gefahr besteht, daß eine Vielzahl kleiner Sparer sich der Steuerhinterziehung schuldig macht?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Ott, ich sehe diese Gefahr, die Sie sehen, nicht. Man muß ja sehen, daß es sich um eine ganze Reihe von Altverträgen handelt. Ich würde auch nicht raten, wenn man an dem Werk der Steuerreform arbeitet, laufend einzelne Maßnahmen vorzuziehen und dann sozusagen keine einheitliche Linie bei der Steuerreform selbst zu haben. Ich glaube, man würde mit Zwischenmaßnahmen dieser Art die Steuerreform belasten. Es wäre richtiger, das in einem Paket zu machen.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 23 und 24 werden auf Antrag des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Bereich.
Es sind damit alle Fragen beantwortet, die für die heutige Fragestunde vorgesehen waren. Die Fragestunde ist damit beendet, zugleich die heutige Sitzung. Ich berufe das Haus auf Freitag, den 22. Oktober, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.