Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundesrat hat in seiner 371. Sitzung am 1. Oktober dieses Jahres beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 29. September 1971 verabschiedeten Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur-und Architektenleistungen gemäß Art 84 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zuzustimmen. Die Mehrheit des Bundesrates vertrat dabei die Meinung, daß die Einführung eines besonderen Kündigungsschutzes und einer Mietpreiskontrolle im g a n z en Bundesgebiet genau das Gegenteil von dem bewirke, was eigentlich gewollt und auch zu erstreben sei. Wenn nämlich keine Rücksicht mehr auf die im einzelnen bestehende, höchst unterschiedliche Marktlage genommen werde, müsse dies auf lange Sicht zu einer Verschlechterung der Lage der Mieter führen. Man bejahe allerdings diejenigen Maßnahmen, die dem Anspruch auf Verbesserung des Mietrechtes tatsächlich gerecht würden, so insbesondere die Verbesserung der Sozialklausel des Bürgerlichen Gesetzbuches, die Einführung eines besonderen Kündigungsschutzes und eine Mietpreiskontrolle in Ballungsgebieten. Die Bundesregierung habe in ihrem Entwurf, den sie am 6. November 1970 dem Bundesrat zugeleitet habe, noch selber diese Erwägungen gehabt. - Die Bundesregierung wollte in der Tat einen besonderen Kündigungsschutz nur für „Gebiete besonderen Wohnungsbedarfs" eingeführt wissen.
Demgegenüber trat die Minderheit der im Bundesrat vertretenen Bundesländer der Meinung des Vermittlungsausschusses bei: Durch Beschränkung des Gesetzes auf Teile des Bundesgebietes, auf Gebiete besonderen Wohnungsbedarfs, trete nämlich - so argumentierte eben diese Minderheit - eine große Rechtsunsicherheit ein, die besonders durch die ständige Fluktuation unserer Bevölkerung hervorgerufen werde. - Sie konnte sich mit dieser ihrer Auffassung nicht durchsetzen!
Die Bundesregierung hat daraufhin am 7. Oktober 1971 dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesrates das Verlangen kundgetan, daß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes erneut der Vermittlungsausschuß einberufen wird.
Der Vermittlungsausschuß hat am 14. Oktober dieses Jahres getagt und sich mit dem vorgenannten Gesetzentwurf erneut befaßt. Die Vertretung der Regierungskoalition in diesem Hohen Hause beantragte dabei im Vermittlungsausschuß, das „Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen" in einen zustimmungsbedürftigen Teil und einen nicht zustimmungsbedürftigen Teil aufzuspalten. Dabei stellte sich die Frage, ob eine solche Aufteilung verfassungsrechtlich möglich sei.
Dies wurde, meine Damen und Herren, im einzelnen erörtert. Man vertrat die Auffassung, daß die beantragte Aufspaltung rechtlich nicht möglich sei, sondern in diesem Falle der zustimmungsbedürftige Teil des Entwurfs zurückgezogen werden müsse und in einem neuen Gesetzgebungsverfahren einzubringen sei; werde man mit der Mehrheit anders entscheiden, sei eine Klage vor dein Bundesverfassungsgericht unausweichlich.
Demgegenüber lautete die andere Argumentation, verfassungsrechtlich gebe es keine Bedenken. Man könne ohne weiteres in Übereinstimmung mit Art. 77 des Grundgesetzes eine Aufspaltung in zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungsbedürftigen Teil vornehmen.
Schließlich wurde vom Freistaat Bayern ein weiterer Antrag eingebracht, der den Sinn hatte, eine Verständigung untereinander mit dem Ziele des Kompromisses zu versuchen. Er lautete:
I. Zu Artikel 3 ({0})
Nach § 4 wird folgender § 5 eingefügt:
({1}) Die Vorschriften dieses Artikels gelten nicht für Wohnraum, der in einem gemäß Absatz 2 bezeichneten Gebiet liegt.
({2}) Die Bundesregierung soll durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Gemeinden, kreisfreie Städte und Landkreise bezeichnen, in denen soziale Härten infolge eines erheblichen Fehlbestands an Mietwohnraum nicht zu befürchten sind. Dabei sind die Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung nach dem Wohnungszählungsgesetz 1968 vom 18. März 1968 ({3}) und deren Fortschreibung zu berücksichtigen.
Zu Artikel 11 - Schlußvorschriften - wurde dann eine entsprechende Ergänzung vorgetragen, die ich hier nicht zitieren, sondern dem Protokoll beigeben werde, damit für Sie eine entsprechende Information möglich ist. *)
Meine Damen und Herren! Im Verlaufe der Diskussion dieses Antrags wurden von Kollegen, die im Vermittlungsausschuß die Opposition vertreten, noch weitere Ergänzungen und Änderungen vorgeschlagen. So wurde der Antrag gestellt, in Abs. 2 des § 5 die Worte „und deren Fortschreibung" zu streichen. - Ein weiterer Antrag dieser Gruppe hatte das Ziel, im Falle des Akzepts der negativen Regionalisierung die Fristen für die Geltungsdauer des Gesetzes insgesamt zu beseitigen.
Nachdem auch diese Vermittlungsversuche keinen Widerhall fanden, stellten dieselben Oppositionsvertreter noch einen weiteren Antrag, nämlich den auf Ergänzung des § 5 Abs. 2 dahin gehend, daß dem letzten Satz des Abs. 2 folgender Passus angefügt werden sollte:
*) Siehe Anlage 2
Die Rechtsverordnung kann nur erlassen werden, wenn die Gemeinde, die kreisfreie Stadt oder der Landkreis dies schriftlich unter Darlegung der Gründe beantragt.
Auch auf dieses weitestgehende Entgegenkommen, das in dieser Antragstellung nach Meinung der Antragsteller zum Ausdruck kam, konnte sich die Mehrheit der Mitglieder des Vermittlungsausschusses nicht verständigen. Ebenso lehnte die Mehrheit einen weiteren Antrag der Kollegen der CDU/CSU auf Änderung des Art. 10 § 1 Abs. 3 Nr. 1 und § 2 Abs. 3 Nr. 1 ab, nach dem in der Honorarordnung für Ingenieure und Architekten die Mindestsätze nicht unterschritten werden sollten.
Meine Damen und Herren, demgegenüber hatte die Mehrheit in diesem Hohen Hause bekanntlich beschlossen, daß von den Mindestsätzen für Ingenieure und Architekten durch schriftliche Vereinbarung abgewichen werden könne.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Der Vermittlungsausschuß beschloß mit Mehrheit folgendes - Sie finden dies in Drucksache VI/2708 -:
Der Bundestag wolle beschließen:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 137. Sitzung am 29. September 1971 beschlossene Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen - Drucksachen VI/ 1549, zu VI/1549, VI/2421, VI/2598 - wird in die folgenden, aus den Anlagen 1 und 2 ersichtlichen Gesetze:
Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum,
- bisher Art. 3 des alten einheitlichen Gesetzes Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen
aufgeteilt.
Der Vermittlungsausschuß hat ferner beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die beiden Gesetze getrennt - jedoch über jedes Gesetz jeweils insgesamt - abzustimmen ist.
Herr Präsident, ich darf Sie bitten, entsprechend zu verfahren.
({4})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Berichterstattung und erteile der Abgeordneten Frau Meermann zur Abgabe einer Erklärung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat heute erneut über das Inkrafttreten gesetzlicher Normen zu beschließen, deren Notwendigkeit bereits zweimal von der Mehrheit dieses Hauses beFrau Meermann
jaht wurde. Anlaß dafür sind unterschiedliche Auffassungen über den besseren Schutz des vertragstreuen Mieters. Das bisherige Nein der Opposition im Bundestag sowie der von CDU- bzw. CSU-Mehrheiten regierten Länder zum neuen Mietrecht wurde im wesentlichen damit begründet, daß der stärkere Schutz des vertragstreuen Mieters auf Gebiete mit besonderem Wohnungsbedarf beschränkt werden sollte. Überall sonst also soll ein Vermieter nach Ansicht der CDU/CSU auch weiterhin ohne berechtigtes Interesse kündigen dürfen. Eine Kündigung lediglich zum Zwecke der Mieterhöhung soll weiterhin möglich sein. Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen soll zur Kündigung berechtigen. Die ortsübliche Vergleichsmiete soll nicht die Obergrenze möglicher Mieterhöhungen darstellen. Mit einem Wort: Die Statistik soll darüber entscheiden, welche Mieter vor Vermieterwillkür zu schützen sind.
Auch die Vermittlungsvorschläge, die die CDU/ CSU-Vertreter nach dem, was wir eben vom Berichterstatter gehört haben, im Vermittlungsausschuß gemacht haben, ändern nichts an dieser Grundhaltung. Der letzte Vorschlag beinhaltet lediglich, wenn ich es einmal so sagen darf, statt eines positiven Lücke-Planes einen negativen Lücke-Plan.
({0})
Wir hatten wirklich gehofft, daß die Opposition aus den Fehlern des Lücke-Plans gelernt
({1})
und die vielen Schwierigkeiten, Härten und Ungerechtigkeiten, die die Einteilung der Bundesrepublik in schwarze und weiße Kreise mit sich brachte, nicht vergessen hätte. Leider ist das nicht der Fall. Daß die Opposition aus diesem Teil ihrer Vergangenheit entweder nichts gelernt oder die falschen Schlüsse gezogen hat, ist der eigentliche Grund dafür, daß wir uns heute wieder mit einem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu befassen haben.
({2})
Darüber, meine Damen und Herren, täuschen auch nicht die seltsamen wohnungspolitischen Kehrtwendungen der Opposition am Tage vor der Sitzung des Vermittlungsausschusses hinweg.
({3})
Dem einen Hausbesitzer soll ein Mietstopp auferlegt werden, der andere darf seine Mieten frei und ungehindert bilden. Das ist Ihre Alternative zu dem, was die Mehrheit in diesem Hause beschlossen hat. Ihre in der letzten Zeit immer häufiger zu hörende Begründung, daß die Mieten dann, wenn sie durch eine Vergleichsmiete begrenzt würden, gegenüber dem bisherigen Zustand, in dem es überhaupt keine Begrenzung gibt, steigen würden, dürfte wohl nur wenigen Bürgern einleuchten.
In dieser Verwirrung wird nur eines klar: daß die Reformpolitik der SPD/FDP-Regierung die Opposition zum Handeln zwingt, und sei auch nur, um den Wählern gegenüber einigermaßen das Gesicht zu wahren
({4})
und weil sich auch in der CDU/CSU-Fraktion die Stimmen der Einsichtigen in den letzten Tagen gemehrt haben.
In der eigentlich entscheidenden Frage, ob das neue Mietrecht im ganzen Bundesgebiet gelten soll oder nicht, beharrt die Opposition auf ihrem Standpunkt des geteilten Rechts. Deshalb sind ihre Vorschläge für unsere heutige Entscheidung uninteressant. Interessant sind sie nur insofern, als im Vermittlungsausschuß die CDU-Mitglieder sie in keiner Weise aufgegriffen haben, obwohl das ganze Gesetz dort zur Disposition stand.
Heute haben wir über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu entscheiden, das sogenannte Artikelgesetz in zwei Gesetze aufzuteilen. Das eine der beiden Gesetze, das bisher unstreitig war, bedarf weiterhin der Zustimmung des Bundesrates. Das andere Gesetz, das das umstrittene Mietrecht enthält, bedarf ihrer nicht. Das eine Gesetz hat unbegrenzte Geltungsdauer, das andere ist zeitlich befristet.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt diesen Vorschlag und weist darauf hin, daß die nachträgliche Teilung eines Gesetzes kein erstmaliger Vorgang ist. Ich darf hierzu an das Gesetzespaket zur Finanzreform erinnern. Damals hat die CDU/CSU die Teilung völlig in Ordnung gefunden. Wenn sie jetzt in ihren Verlautbarungen von billigen Tricks und Manipulationen redet, so weise ich diesen Versuch einer Abqualifizierung im Namen meiner Fraktion mit aller Entschiedenheit zurück.
({5})
Der Vermittlungsausschuß hat in völlig legitimer Weise die Möglichkeiten der Verfassung genutzt, damit ein Gesetz in Kraft treten kann, das von der Mehrheit des Bundestages bereits zweimal beschlossen worden ist und das von der dahinter stehenden Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik einschließlich Berlins politisch gewollt ist.
({6})
Nach der Abstimmung, Herr Präsident, meine Damen und Herren, die wir gleich haben werden, wird diese Verbesserung des Mietrechts der Zustimmung des Bundesrates nicht mehr bedürfen. Allenfalls können die CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat von der ihnen verbleibenden Möglichkeit des Einspruchs Gebrauch machen und damit eine letzte Verzögerungstaktik betreiben. Wir hoffen, daß sie zu einer besseren Entscheidung kommen. Wenn nicht, dann wird dieser Bundestag eben noch einmal und dann endgültig abzustimmen haben.
({7})
Mieter und Vermieter in dieser Bundesrepublik müssen endlich wissen, woran sie sind.
({8})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
stimmt dem Antrag des Vermittlungsausschusses zu.
({9})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Erpenbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die CDU/ CSU-Fraktion habe ich zum Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache VI/2708 folgende Erklärung abzugeben.
Statt mit einem Vermittlungsvorschlag in der Sache ist das Hohe Haus mit einem sehr fragwürdigen Verfahren konfrontiert: Es liegt uns ein gespaltenes Artikel-Gesetz vor. Sicher wird in diesem Hause noch darüber gesprochen werden müssen, wie dieser Vorgang zu bewerten ist. Im Interesse der Sache und vor allem der Betroffenen versagen wir es uns im Augenblick, darauf einzugehen. Aber eines möchte ich hier doch bemerken: Es muß schon ein fragwürdiges Gesetz sein, das sich der Zustimmung des Bundesrates entziehen will.
({0})
Die CDU/CSU-Fraktion hat vom Beginn der Diskussion um das Artikel-Gesetz im Sommer 1970 an nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie bereit ist, jeder sinnvollen Verbesserung des von ihrem damaligen Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke geschaffenen sozialen Miet- und Wohnrechts zuzustimmen
({1})
und weiter daran mitzuarbeiten.
Bereits in der ersten Lesung des Gesetzes haben wir gesagt: Die CDU/CSU ist für die Verbesserung des Mietrechtes, für die Verschärfung der Bestimmungen gegen den Mietwucher, für die Verstärkung des Mieterschutzes in den Gebieten, in denen dafür eine Notwendigkeit besteht, für geeignete Maßnahmen zur Begrenzung des Mietanstiegs und vor allem, meine Damen und Herren, für eine Verstärkung des Wohnungsbaus insbesondere des sozialen Wohnungsbaus,
({2})
weil nur dadurch die Mißstände wirklich behoben werden können.
Frau Kollegin Meermann hat hier - ich darf das in die Erklärung einschieben, da hier ja nicht diskutiert, sondern nur eine Erklärung abgegeben wird - von einer Kehrtwendung der Union in Fragen der Wohnungsbaupolitik gesprochen. Ich kann sie nur darauf hinweisen, daß wir auf jeden Fall bei der einmal eingeschlagenen Linie bleiben müssen, weil uns die Wohnungsbaupolitik dieser Regierung dazu geradezu zwingt.
({3})
Genauso deutlich haben wir aber gesagt, daß sich die CDU/CSU einer generellen und einseitigen Blockierung des Wohnungsmarktes, dazu noch um den Preis eines ständigen Mietenanstiegs, auf dem Rücken der Mieter vorgenommen, entschieden widersetzen wird.
Der heute hier zur Abstimmung gestellte Antrag des Vermittlungsausschusses, wie er in der Anlage 1 formuliert ist, öffnet Mieterhöhungen auf breiter Front Tür und Tor.
({4})
Wenn wir diesem Teil des Vermittlungsvorschlages unsere Zustimmung versagen, tun wir es nicht deshalb - wie es uns eine demagogische Propaganda unterstellt -, weil wir eine mieterfeindliche Hausbesitzerpartei seien,
({5})
sondern - um das noch einmal mit der gebotenen Klarheit zu wiederholen ,
1. weil dieses Gesetz im Gegensatz zu unseren Vorschlägen nicht zu einer Begrenzung des Mietanstiegs, sondern zu Mieterhöhungen auf breiter Front führen wird,
({6})
2. weil es die Mobilität auf dem gesamten Wohnungsmarkt zuungunsten vor allem der jungen wohnungsuchenden Familien einschränkt,
({7})
3. weil es die Gerichte mit einer Welle von Mietstreitigkeiten überfordert und zu einer Preisüberwachungsbehörde verfälscht,
4. weil es zu einem Rückgang der Neubautätigkeit im gesamten Bundesgebiet führt.
Nichts aber, meine Damen und Herren, wäre notwendiger als eine wesentliche Verstärkung des seit Jahren bedrohlich zurückgegangenen sozialen Wohnungsbaus, und zwar zu Preisen und Mieten, die auch unsere Rentner bezahlen können.
({8})
Davon wird zwar immer wieder geredet, und es werden Erwartungen durch euphorische Ankündigungen geweckt, aber bis heute ist von dieser Regierung nichts Überzeugendes geschehen.
In diesem eklatanten Versagen der gegenwärtigen Wirtschafts-, Konjunktur- und Wohnungsbaupolitik dieser Regierung liegt die Quelle des Übels.
({9})
Wer es geschehen läßt, meine Damen und Herren, daß durch die fortschreitende Inflation eine ständige Steigerung der Bau-, Finanzierungs- und Betriebskosten und damit der Mieten erfolgt und gleichzeitig eine nachlassende Förderung des Wohnungsbaus zu verantworten hat, sollte sich auch nicht mit Ablenkungsmanövern und Tricks aus der Affäre zu ziehen versuchen.
({10})
Mit einem Kurieren an den Symptomen ist uns nicht geholfen.
Das uns heute gespalten vorliegende Artikelgesetz spiegelt die heillos verfahrene Situation in Regierung und Koalition wider. Es ist geradezu eine groteske Geschichte: zunächst von der Bundesregierung als eilbedürftig eingebracht, dann in den AusschüsErpenbeck
sen von Regierung und Koalition monatelang auf Eis gelegt, da in dem entscheidenden. damaligen Art. 2 in der Koalition keine Einigkeit erzielt werden konnte, dann ohne die Möglichkeit einer sachgerechten Beratung durch die Ausschüsse gepeitscht und am 19. Juli 1971 in einer Sondersitzung des Bundestages über die Hürden gebracht, wobei durch eine Abstimmungsguillotine alle Änderungsanträge, selbst die von der Koalition als durchaus vernünftig bezeichneten, abgelehnt wurden; weiter, meine Damen und Herren: zunächst mit einer zeitlich unbefristeten Kostenmiete nur für Gebiete besonderen Wohnungsbedarfs geplant, dann durch die ortsübliche Vergleichsmiete abgelöst, jetzt zwar bis zum 31. Dezember 1974 befristet, jedoch mit Geltung für das gesamte Bundesgebiet. Selbst Fachleute konnten zeitweilig nicht mehr übersehen, was Regierung und Koalition gerade wollten, geschweige denn die ebenso interessierte wie betroffene Öffentlichkeit.
Alle von uns unterbreiteten Vorschläge - auch die im Vermittlungsausschuß in der vorigen Woche - haben gezeigt, daß Regierung und Koalition nicht zu einem Kompromiß bereit waren, um eine breite parlamentarische Mehrheit für eine wirkliche Verbesserung des Mietrechts und die Begrenzung des Mietanstiegs sicherzustellen. Hier wurde aus Prinzip „nein" gesagt. Wir können der Koalition nicht den Vorwurf ersparen, daß sie damit eine Rolle übernommen hat, die sie uns so gern unterstellen möchte.
({11})
Wir wollen und können uns nicht die Mitverantwortung aufladen und an einem Gesetz mitschuldig werden, das die von uns erstrebte Partnerschaft zwischen Mietern und Vermietern zerstört und in seinen Auswirkungen vor allem zu Lasten der einkommensschwächeren Mieter geht. Daß die ortsübliche Vergleichsmiete Mieterhöhungen auch dort bedeutet, wo es vom Markt her gar nicht geboten ist, wird von keinem Sachkenner bestritten.
Es bedarf auch keiner Prophetie, meine Damen und Herren, schon heute vorauszusagen, daß dieses Hohe Haus und alle Verantwortlichen sich mit dem Mietenproblem in Kürze wieder beschäftigen müssen, dann nämlich, wenn auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, erkannt haben, daß Ihr Gesetz nicht der Begrenzung, sondern der Förderung des Mietenanstiegs dient.
({12})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, während wir das Gesetz laut Anlage 1 des Berichts des Vermittlungsausschusses aus den dargelegten Gründen ablehnen müssen, stimmen wir dem Gesetz laut Anlage 2 zu. Die Verbesserung der Sozialklausel, die Verschärfung der Bestimmungen gegen Mietwucher, das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, die Maßnahmen gegen die spekulative Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und die Regelung der Wohnungsvermittlung und der Ingenieur- und Architektenleistungen waren nicht umstritten. Sie gehen zum Teil, zum großen Teil auf frühere Initiativen der CDU/CSU zurück, die in den Ausschüssen auf Eis gelegt waren.
({13}) Diese Teile des Gesetzespakets sind auch in den Ausschüssen ordnungsgemäß und im ganzen sachgerecht beraten worden.
Ich darf trotzdem darauf hinweisen, daß auch in diesem Gesetz noch manche Ungereimtheiten sind. Das beginnt bereits mit der Überschrift. Denn wo ist in diesem zweiten Teil der uns hier vorgelegten Vorschläge noch etwas von Begrenzung des Mietanstiegs zu sehen? Und das endet bei den Vorschriften über die Honorarordnungen bei Ingenieur- und Architektenleistungen. Wenn schon Mindestsätze festgelegt werden, dann ist es unverständlich, daß sie dennoch unterschritten werden können, wie es im Gesetz steht. Entweder sind Mindestsätze auch Mindestsätze oder es sind keine.
Trotz dieser Mängel, meine Damen und Herren, sagen wir ja dazu, da dieses Gesetz tatsächlich eine Reihe von Verbesserungen für die Betroffenen enthält. Aber auch dieses Gesetz - lassen Sie mich dies zum Schluß sagen - bringt nicht die entscheidende Wende auf dem Wohnungsmarkt und schon gar nicht im Wohnungsbau.
Da hilft nur eines, meine Damen und Herren: Rückkehr zu einer stabilitätsorientierten Politik. Sonst werden Baukosten, Mieten und nachlassende Wohnungsbauförderung aus ihrem unheilvollen Zusammenhang nicht gelöst werden können.
({14})
Die Bürger in unserem Lande warten darauf, daß gebaut wird und gebaut werden kann, und zwar zu Bedingungen, die zumutbar und tragbar sind. Dafür bieten die heute vorliegenden Gesetze allerdings weder eine Hilfe noch eine Lösung.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wird dem Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum nicht zustimmen und beantragt namentliche Abstimmung. Dem Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen stimmen wir zu.
({15})
Präsident von Hassel: Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 14. Oktober beschlossen, das sogenannte „Artikelgesetz" aufzuschnüren und dem Hohen Hause in zwei Teilen zur Verabschiedung vorzulegen. Materielle Änderungen sind nicht erfolgt.
Der wesentliche Streitpunkt zwischen den Regierungsfraktionen und der Opposition war der Geltungsbereich des Gesetzes. Hierzu darf ich folgendes feststellen: Erstens. Die Berechnungen und Ermittlungen der Statistik haben ergeben, daß etwa 80 % des gesamten Wohnungsbestandes der Bundesrepublik dieser Regelung in der ursprünglichen Form unterworfen waren. Zweitens. Wenn wir gebietliche Begrenzungen wählten, würde ungleiches Recht be8228
stehen. Wir sind der Auffassung, daß durch dieses Gesetz im Verkehr zwischen Mieter und Vermieter Ruhe einkehren sollte. Das Gegenteil wäre jedoch der Fall, wenn wir innerhalb der Bundesrepublik begrenzte Gebiete vorsähen. Wem wollen Sie überlassen, welche Gebiete in die Regelung hineinfallen und welche Gebiete nicht. Sie haben in Ihrem Entwurf zwar den Begriff des besonderen Wohnungsfehlbestandes gewählt, haben sich aber nicht darüber ausgelassen, wie Sie diesen Begriff definieren wollen. Die Regierung und die Regierungskoalition sind der Auffassung, daß das Gesetz für das gesamte Bundesgebiet gelten soll, aber mit einer Befristung bis zum 31. Dezember 1974.
Nun sagte eben der Sprecher der CDU/CSU, dies Gesetz sei ein fragwürdiges Gesetz. Ich darf an Sie die Frage stellen: Wie fragwürdig muß dann erst Ihr Gesetzentwurf sein, wenn Sie in ihn weitgehend Passagen des Regierungsentwurfs übernommen haben?
({0})
Der Sprecher der Opposition hat wiederholt ausgeführt, die CDU/CSU-Fraktion sei gegen zwangswirtschaftliche Maßnahmen. Was Ihr Entwurf vorsieht, beinhaltet aber doch geradezu eine Zwangswirtschaft und die Wiedereinführung von Preiskontrollbehörden. Das muß hier in aller Form einmal festgestellt werden.
Sie haben in der Diskussion die mangelnde Wohnungsbautätigkeit und die Maßnahmen der Regierung angeprangert. Dazu darf ich folgendes feststellen. Sie haben bisher kein Konzept vorgelegt, mit dem Sie den Wohnungsbau, vor allem den sozialen Wohnungsbau, künftig stärker forcieren können. Wir warten auch hier auf Ihre Antwort.
Wir sind der Auffassung, daß wir der Unsicherheit, die in weiten Kreisen der Bevölkerung besteht, mit der schnellen Verabschiedung beider Gesetze ein Ende bereiten sollten. Die FDP-Fraktion stimmt beiden Gesetzentwürfen zu.
({1})
Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht des Berichterstatters und die drei Erklärungen gehört. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich darf auf folgendes hinweisen. Wir stimmen entsprechend dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Seite 1 der Drucksache VI/2708 in zwei Abstimmungsgängen getrennt über die beiden in den Anlagen 1 und 2 beigefügten Gesetzentwürfe ab. Zunächst stimmen wir ab über das Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum. Dazu ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Wir treten in die Abstimmung ein. Ich darf die Schriftführer bitten, ihre Aufgabe wahrzunehmen.
Darf ich fragen, ob jemand im Saal ist, der seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. Wer sie noch nicht abgegeben hat, gebe das Handzeichen. - Es ist niemand im Saal, der noch nicht abgestimmt hat.
Ich schließe die Abstimmung. Die Auszählung kann beginnen.
Ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, und schlage vor, daß wir gleich mit der Abstimmung über den zweiten Teil des Vorschlags des Vermittlungsausschusses beginnen. Sind Sie damit einverstanden? - Das Haus ist damit einverstanden, daß wir mit der Abstimmung über den zweiten Teil des Vermittlungsvorschlags fortfahren, also mit der Abstimmung über das Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen. Dazu ist eine einfache Abstimmung notwendig.
Wer dem Gesetz zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei vier Enthaltungen ohne Gegenstimme ist dieser Teil des Vorschlags des Vermittlungsausschusses angenommen worden.
Inzwischen wird ausgezählt. Bevor wir fortfahren, muß die Auszählung abgeschlossen werden. Wir werden also einen Moment auf das Ergebnis der Auszählung warten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 434 und 19 Berliner Abgeordnete. Davon
Ja: 223 und 11 Berliner Abgeordnete
Nein: 210 und 8 Berliner Abgeordnete
Enthaltungen: 1 Abgeordneter
Ja SPD
Dr. Ahrens
Anbuhl Dr. Apel
Arendt ({2}) Baack
Baeuchle Bäuerle Bals
Barche
Dr. Bardens
Batz
Bay
Dr. Bayerl
Dr. Bechert (Gau Algesheim Becker ({3}) Bergmann
Berkhan Berlin
Biermann Böhm
Börner Brandt Brandt ({4})
Bredl
Brück
Brünen Buchstaller
Büchner
Dr. von Bülow
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet
Corterier Cramer Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke
Frau Filers
Engholm Dr. Eppler Esters
Dr. Farthmann
Fiebig
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke
Franke ({5})
Frehsee, Frau Freyh
Fritsch
Geiger
Gertzen
Dr. Geßner
Glombig Gnädinger
Grobecker Dr. Haack Haar ({6})
Haase ({7}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({8}) Herold
Hirsch
Höhmann ({9})
Hörmann ({10})
Hofmann Horn
Frau Huber
Dr. Hupka
Jahn ({11})
Jaschke Junghans Junker Kaffka Kater
Kern
Killat-von Coreth
Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Langebeck
Dr. Lauritzen
Leber
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Maibaum Marquardt
Marx ({12})
Matthes Matthöfer
Dr. Meinecke ({13}) Meinike ({14}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({15})
Dr. Müller ({16}) Müller ({17})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Dr. Nölling
Dr. Oetting
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter
Pensky
Peters ({18})
Pöhler Porzner Raffert Ravens Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander Saxowski
Dr. Schachtschabel
Dr. Schäfer ({19})
Frau Schanzenbach
Scheu
Dr. Schiller
Schiller ({20})
Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid ({21}) Schmidt ({22})
Dr. Schmidt ({23}) Schmidt ({24})
Dr. Schmidt ({25}) Schmidt ({26})
Schmidt ({27})
Schmidt ({28})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({29})
Seibert Seidel Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Dr. Sperling
Spillecke
Staak ({30})
Frau Strobel
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({31})
Wehner Welslau Wende Wendt Westphal
Wiefel Wienand
Wilhelm Wischnewski
Dr. de With
Wittmann ({32}) Wolf
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({33})
Bartsch Bühling Dr. Dübber
Heyen Löffler Mattick Dr. Schellenberg
Frau Schlei
Dr. Seume
FDP
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Frau Funcke
Geldner
Genscher
Graaff
Grüner
Helms
Jung Kienbaum
Kirst Kleinert
Krall Logemann
Mischnick
Moersch
Ollesch
Peters ({34})
Schmidt ({35}) Spitzmüller
Berliner Abgeordnete Borm
Nein CDU/CSU
Dr. Abelein Adorno
von Alten-Nordheim
Dr. Arnold Dr. Bach
Baier
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({36})
Dr. Becker ({37})
Becker ({38}) Berberich
Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann
Blank
Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe Breidbach
Bremer
Bremm
Brück ({39}) Burger
Dr. Czaja
Damm
van Delden Dichgans
Dr. Dollinger von Eckardt Ehnes
Engelsberger
Erhard ({40}) Ernesti
Erpenbeck Dr. Evers
Dr. Eyrich von Fircks Franke ({41})
Dr. Franz
Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs
Dr. Gatzen Geisenhofer Gerlach ({42}) Gewandt
Gierenstein Dr. Gleissner
Glüsing ({43}) Dr. Gölter
Gottesleben Frau Griesinger
Dr. Gruhl Haase ({44})
Dr. Häfele Härzschel Häussler
Dr. Hammans
Hanz
von Hassel
Hauser ({45})
Dr. Hauser ({46})
Dr. Heck
Dr. Hellige
Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf ({47}) Höcherl
Hösl
Horstmeier
Dr. Hubrig
Hussing Dr. Huys
Dr. Jaeger
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Josten
Dr. Jungmann
Frau Kalinke
Katzer
Kiechle Kiep
Dr. h. c. Kiesinger
Frau Klee
Dr. Klepsch
Dr. Kley
Dr. Kliesing ({48})
Köster Krammig
Krampe
Dr. Kraske
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht Lemmrich
Dr. Lenz ({49})
Lenze ({50})
Lenzer Link
Looft
Dr. Luda
Lücke ({51})
Majonica
Dr. Martin
Dr. Marx ({52}) Mancher
Dr. Mende
Mick
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Müller ({53}) Müller ({54})
Dr. Müller-Hermann
Mursch Niegel Dr. von Nordenskjöld
Orgaß Ott
Petersen
Pfeifer Picard Pieroth Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Prassler
Dr. Preiß
Dr. Probst
Rainer Rawe Reddemann
Dr. Reinhard
Dr. Riedl ({55})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rommerskirchen
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein
Schlee Schedl Dr. Schmid-Burgk
Dr. Schmidt ({56}) Schmitt ({57})
Dr. h. c. Schmücker Schneider ({58}) Dr. Schneider ({59}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({60}) Dr. Schröder ({61}) Schröder ({62}) Schröder ({63}) Schulhoff
Schulte ({64}) Dr. Schulze-Vorberg
Seiters
Dr. Siemer
Solke Spilker Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({65})
Dr. Starke ({66})
Stein ({67})
Steiner
Frau Stommel
Storm Strauß Struve Susset von Thadden
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Varelmann
Vehar
Vogt
Volmer
Wagner ({68}) Dr. Wagner ({69}) Dr. Warnke
Wawrzik
Weber ({70}) Weigl
Dr. Freiherr von Weizsäcker Wendelborn
Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wittmann ({71}) Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Benda
Frau Berger
Dr. Gradl
Dr. Kotowski
Müller ({72}) Frau Pieser
Dr. Schulz ({73}) Wohlrabe
Enthalten
Gallus
Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Es haben 434 stimmberechtigte Abgeordnete und 19 Berliner Abgeordnete abgestimmt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben 223 mit Ja gestimmt. 210 mit Nein; ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. Von den Berliner Abgeordneten haben 11 mit Ja und 8 mit Nein gestimmt; keine Enthaltung. Damit ist der erste Teil des Antrages des Vermittlungsausschusses ebenfalls angenommen.
({74}) Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Aussprache über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972 ({75})
- Drucksache VI/2650 -
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1971 bis 1975
- Drucksache VI/2651 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1972 ({76})
- Drucksache VI/2439 -
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des mittelfristigen finanziellen
Beistands in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
- Drucksache VI/2431 -
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung
- Drucksache VI/2668 -
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kaffeesteuergesetzes
- Drucksache VI/2665 -g) Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({77}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
hier : Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 141, Drucksache VI/2304 -Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
h) Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({78}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
hier : Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 143, Drucksache VI/2305 -Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
i) Beratung des Schriftlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({79}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971
h i er : Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Umdruck 142, Drucksache VI/2306 - Berichterstatter: Abgeordneter Schollmeyer
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, die Aussprache zu den Buchstaben a bis i zu verbinden. Wir werden entsprechend verfahren. Lediglich die Abstimmung werden wir nachher gesondert vornehmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß. Für ihn ist von seiner Fraktion eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet worden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede, die der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen
({0})
gestern anläßlich der Einbringung des Haushalts 1972 und der mehrjährigen Finanzplanung bis 1975 gehalten hat, ist durch drei Tatsachen gekennzeichnet - diesem Eindruck konnten sich selbst seine politischen Freunde offensichtlich nicht verschließen -, nämlich erstens durch eine wachsende innere Unsicherheit und Spannungsgeladenheit des Herrn Doppelministers; zweitens durch einen nicht mehr länger zu verbergenden Gegensatz zwischen Versprechen und Tatsachen;
({1})
drittens durch das sich zur Gewißheit verdichtende Gefühl, daß es sich hier um den Entwurf der Rede handelte, die er auf dem Parteitag der SPD demnächst nicht halten darf,
({2})
wie wir gestern erfahren haben. Denn es heißt in der dpa-Meldung von gestern:
Ein neues Thema für Schillers Parteitagsreferat: Statt über Steuerreform und Vermögensbildung wird Minister Karl Schiller auf dem bevorstehenden SPD-Sonderparteitag vom 18. bis 20. November über internationale Wirtschafts- und Finanzfragen referieren.
Wie in Bonn bekannt wurde, haben sich die SPD-Führungsgremien am Montag in Bonn über diese neue Themenstellung für die Rede Schillers verständigt.
Außerdem wird das Referat über Wirtschafts-und Finanzpolitik im internatioalen Spannungsfeld zeitlich vorgezogen. Schiller spricht jetzt am 18. November unmittelbar nach Bundeskanzler Willy Brandt, während seine Rede in der vorläufigen Tagesordnung auf den Nachmittag des ersten Tages angesetzt war.
Als Begründung wird angegeben - etwas, was in der heutigen Aussprache auch eine Rolle zu spielen hat -, daß Schiller in seinem Referat sich erheblich von den Vorschlägen hätte unterscheiden müssen, die die Steuerreformkommission des Parteivorstandes unter Leitung von Bundesminister Eppler entwickelt hat.
({3})
Es t bezeichnend - uns geht es nichts an -, daß sich der eigentliche Fachminister für Steuerreform und für gesellschaftspolitische Fragen - jedenfalls in der Hauptsache - mit einem Thema befaßt, das auf dem gesellschaftspolitischen Parteitag ja sicherlich nicht im Mittelpunkt des Interesses der Delegierten steht, nämlich „Wirtschafts- und Finanzpolitik im internationalen Spannungsfeld".
Dies ist also der dreifache Eindruck: Erstens wachsende innere Unsicherheit und Ungewißheit - die deshalb um so mehr von Ausfällen begleitet wird -; zweitens ein nicht mehr länger zu verbergender Gegensatz von Versprechen und Tatsachen; drittens schwerwiegende innere Meinungsverschiedenheiten, die sich dann gelegentlich in solchen Umstellungen auch für den harmlosen Beobachter von außen erkennbar zeigen.
Der ganze Vorgang ist aber symptomatisch für die ganze Regierung und die hinter ihr stehenden politischen Kräfte. Vor kurzem ist eine Halbzeitbilanz vorgelegt worden. Die Halbzeitbilanz war nicht Gegenstand der gestrigen Einbringungsrede des Bundesministers Schiller für den Haushalt 1972 und die Finanzplanung bis 1975. Ich möchte hier nicht beckmesserische Kritik anmelden, aber wenn ich mich an die vielen Etatreden erinnere, die, angefangen von Fritz Schäffers Zeiten, bis gestern in diesem Hause anläßlich der Einbringung von Haushalten gehalten worden sind, dann war das mit Abstand die schwächste ,die unsicherste,
({4})
die ungereimteste und auch die widerspruchsvollste und verworrenste. Ein Minister, der so spricht, ist weder von der Richtigkeit seiner Anschauungen noch vom Erfolg seiner Handlungen, noch von der Zustimmung seiner Freunde mehr überzeugt.
({5})
Diese Gelegenheit wäre doch eigentlich gerade Anlaß gewesen, eine stolze Halbzeitbilanz vorzulegen. Das wäre auch billiger gewesen, darf ich nebenbei sagen;
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denn eine Halbzeitbilanz in Gestalt einer zwölfseitigen Großanzeigenkampagne, erschienen in den großen gedruckten und bebilderten Massenmedien, ist doch nicht die richtige Form der Vorlage einer Halbzeitbilanz, die durch eine etwa vor zwei Jahren hier abgegebene Regierungserklärung eingeleitet worden ist, in der das neue Deutschland in verklärtem Licht an den Horizont der Zukunft projiziert worden ist, ein Deutschland, in dem es jedem besser gehen soll, in dem jeder mehr mitzureden hat, in dem jeder mehr Informationen erhalten soll, in dem alle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten ausgeräumt werden sollen. Und nun bekommen wir eine Halbzeitbilanz, aber nicht hier in diesem Hause, in dem der Bundeskanzler selbst schon einmal gesagt hat, er würde seine Regierungserklärung jetzt anders fassen, als er sie damals gefaßt hat. Dann wäre es doch wirklich richtig, bei der Halbzeitbilanz die Andersfassung vorzulegen,
({7})
statt eine zwölfseitige Anzeigenkampagne mit einer einseitigen Darstellung, meistens einer Aufzählung von Gesetzen, zum Teil von Selbstverständlichkeiten, und einer Aufzählung von weiteren Ankündigungen und Versprechungen. Ich muß sagen, je bunter die Bilder sind, die hier geboten werden, desto grauer sind die Tatsachen, denen wir gegenüberstehen.
({8})
Schiller hat diese Zwischenbilanz leider nicht dem Parlament geboten, wo eine kritische Opposition die Gelegenheit gehabt hätte, sich dann mit dieser seiner hier abgegebenen Halbzeitbilanz auseinanderzusetzen, eine Opposition, die sich nicht und hoffentlich nie einschüchtern läßt, Taten und Selbstdarstellung der Regierung unter scharfe Kritik zu nehmen. Vielleicht hat der Kollege Schiller befürch8232
tet, daß eine solche Halbzeitbilanz mit einem Worte von ihm gemessen werden würde, das er seinerzeit in einem anderen Zusammenhang hier gesagt hat: „Littera non erubescit", „Ein Brief kann nicht rot werden". Der Ausdruck stammt von Cicero. Schiller meinte, ein Inserat könne nicht rot werden,
({9})
und daher sei es besser, ein Inserat aufzugeben, als hier, auf die Gefahr hin, rot zu werden, eine Halbzeitbilanz abgeben zu müssen.
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Ich möchte nicht zu den Schwarz-Weiß-Malern gehören oder, um es unverständlich auszudrücken, zu den Hypokriten
({11})
die Schwarz-Weiß-Malerei überlasse ich denen, die dumm lachen -, und nicht zu den Heuchlern, die etwa sagen, diese Regierung mißbrauche Steuergelder für Öffentlichkeitswerbung. Das haben alle Regierungen getan. Nur: der Ton macht die Musik, der Umfang wird bestimmt durch den guten Geschmack und der Inhalt sollte nicht im Widerspruch zur Wahrheit stehen! Denn hier werden Steuergelder in Höhe von etwa 2 Millionen DM durch eine einzige Anzeigenkampagne, und zwar nicht für Aufklärung, sondern lediglich für Regierungspropaganda verwendet.
({12})
Der Haushalt 1972 und die mehrjährige Finanzplanung 1975 sind der rechte Anlaß für diese kritische Auseinandersetzung.
Die Anzeigenkampagne stellt eine Zusammenstellung dieser beschlossenen Gesetze und geplanter Maßnahmen dar. Frühere Regierungen wiesen bei der Zweijahresbilanz auch kaum eine minder große Anzahl von beschlossenen Gesetzen auf. Hier herrscht eine merkwürdige neue Quanten- oder Quantitätstheorie, daß nämlich die Anzahl der verabschiedeten Gesetze die Qualität der Koalition und ihrer Regierung widerspiegele. In allen Koalitionen wurden viele Gesetze verabschiedet. Was gut oder schlecht war, hat sich meistens erst später herausgestellt. Aber auch in früheren Koalitionen sind in der ersten Halbzeit viele Gesetze verabschiedet worden. Ich weiß nicht, ob das mehr oder weniger waren, das interessiert mich auch nicht.
({13})
- Zum Teil waren es mehr, wie ich eben höre. Die hier verabschiedeten Gesetze sind, wie auch früher, zum Teil bedeutsamer Art, zum Teil weniger bedeutsamer Art, zum Teil bleibender Art und zum Teil nur den Tagesproblemen gewidmet. Vielen Gesetzen hat die CDU/CSU zugestimmt, viele sind auf ihre Initiativen mit zurückzuführen, oder die Vorarbeiten dafür sind in früheren Regierungen entstanden.
Ich darf hier auf einen erstaunlichen Dissensus hinweisen. Als Herr Barzel beim Parteitag der CSU in München davon sprach, wie vielen Gesetzen die CDU/CSU in dieser Legislaturperiode zugestimmt habe - eine sehr große Zahl gegenüber denen, denen sie ihre Zustimmung verweigert hat -,
wollte er widerlegen, daß die CDU/CSU eine Politik der totalen Konfrontation treibe. Abends habe ich Herrn Wehner in einem „begeisternden" Kommentar gehört, in dem er sagte: Die Tatsache, daß die CDU/CSU so vielen Gesetzen zugestimmt hat, wie Herr Barzel sagt, beweist doch, daß sie keine Alternativen aufzuweisen hatte.
({14})
Jetzt kenne ich mich überhaupt nicht mehr aus. Herrschte bei Herrn Wehner jetzt der Anti-EhmkeEffekt vor oder hat Herr Ehmke nicht gewußt, was sein großer Meister Wehner hier für eine Sprachregelung vorgeschrieben hat?
({15})
Was meine ich damit politisch? Ich meine damit politisch, daß die Behauptung von der totalen Konfrontation eine Propagandaerfindung, um nicht zu sagen, ein Propagandaschwindel, lieber Herr Ehmke,
({16})
derer ist, die hier mit den Begriffen „total" - es gibt noch andere Anklänge an frühere Terminologie, wie „Schreibtischtäter" ({17})
und den Begriffen „Konfrontation" eine unterschwellige Antipathie und Gruselwirkung erzeugen wollen,
({18})
und die deshalb durch Verwendung dieser Begriffe jede normale Opposition, die auch ein Stück Konfrontation einschließt, terrorisieren und mundtot machen wollen.
({19})
Ich möchte hier nicht eine Bilanz darüber anstellen, wie viele politische Überzeugungen, Aussagen und Entscheidungen der früheren Opposition der SPD von ihr selbst - meistens ganz oder jedenfalls teilweise, sei es aus diesem, sei es aus jenem Motiv - total geändert worden sind. Das gilt auch für das Godesberger Programm. Wir haben aber nie den Stil, den jene Opposition damals angewandt hat, mit diesen terrorisierenden Ausdrücken gekennzeichnet, wie es heute von seiten der heute Regierenden uns gegenüber der Fall ist.
({20})
Niemand von uns wünscht, drückt aus oder betreibt eine Politik der totalen Konfrontation und der obstruktiven Negation.
({21})
Aber wir erlauben uns nach wie vor, die Funktion der Opposition darin zu sehen, wo die Wege im Grundsätzlichen auseinandergehen, auch unsere abweichende Meinung zum Ausdruck zu bringen, sie in der Öffentlichkeit darzustellen und uns für ihre Durchsetzung bei künftigen Wahlentscheidungen einzusetzen.
({22})
Dort, wo unsere gesellschaftspolitischen Leitbilder auseinandergehen, dort, wo bei Ihnen - und das gilt für die SPD und für große Teile der FDP - eine Vernebelung der noch bestehenden Wertordnung als Anzeichen einer Änderung dieser Wertordnung sich anbahnt,
({23})
dort, wo man zwar - oben aus dem Munde des Propheten Schiller - die Marktwirtschaft verkündet, sie aber unten als ein Herrschaftsinstrument der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bezeichnet, das schleunigst durch eine Rätekontrolle mit sozialistischer Wirtschaftsordnung ersetzt werden müßte,
({24})
dort, wo sich diese Gegensätze anbahnen und abzeichnen, werden wir uns auch weiterhin erlauben, ohne Wenn und Aber ein ganz klares Nein zu sagen. Und dasselbe gilt auch für außenpolitische Fehlentwicklungen, deren Konturen sich heute nicht nur im Osten, sondern auch im Westen für jeden, der sehen kann, abzuzeichnen begonnen haben.
({25})
- Ich bin kein Seher; ich kann nur normal schauen. Diese Fähigkeit ist Ihnen schon vor langer Zeit verlorengegangen.
({26})
Und wer das lächerlich machen will - ({27})
- Ja, ich sehe gerade Sie, Herr Kollege Schäfer, der Sie uns doch damals die uns wirklich rührende Legende erzählten, daß Sie ich habe das Zitat nicht wörtlich dabei - überhaupt keine Probleme, Schwierikeiten oder Sorgen mit den Jungsozialisten hätten.
({28})
Ja, führt denn Herr Vogel in München ein Schattenfechten auf? Sind das denn Scheinmanöver?
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Mit 117 zu 115 Stimmen kann er gerade noch seinen innerparteilichen Sturz aufhalten! Und ist der Krach in der Berliner SPD nur eine böse Propagandaerfindung einer negativ eingestellten Presse? Ist das, was in der hessischen SPD vor sich geht, eine ganz böse Propagandaente - vielleicht des Herrn Ahlers, der doch in Ihren Diensten ist? Lesen wir denn Gespenster, wenn wir nur das, was heute jedem Bundesbürger täglich am Morgen auf dem Tisch liegt, hier auch einmal zum Gegenstand kritischer Würdigung machen oder zum Anlaß einer Prüfung nehmen, wie groß der Unterschied - auch bei Ihnen, Herr Schäfer - zwischen dieser Aussage, die Sie aus Gründen der Parteisolidarität hier zelebriert haben, und der Wirklichkeit ist, die heute bereits in Ihrer Partei eingerissen ist?
({30})
Meine sehr verehrten Damen und. Herren! Entscheidend ist nicht die Zahl der verabschiedeten Gesetze und der Umfang neuerlicher Ankündigungen oder der Wiederholung alter Ankündigungen. Entscheidend sind zwei andere Probleme, und über die hätten wir gestern in stärkerem Maße eine Gesamtdarstellung erwarten dürfen. Erstens: Wie steht es mit dem Gesamtzustand unserer Wirtschaft, wie ist die Preisentwicklung verlaufen, und wie ist - nicht nur als Momentaufnahme, sondern hinsichtlich ihrer Entwicklung der Zustand unserer Finanzen?
Wie steht es mit der Wirtschaft? Sind Unsicherheit und Unruhe hier nur eine böse Propagandaerfindung der CDU/CSU, die hier verantwortliche Panikmache und Volksverhetzung betreibe, wie uns immer wieder vorgeworfen wird?
Wie steht es mit der Entwicklung der Preise? Gerade hier, Herr Schiller, wäre ein deutliches Wort von Ihrer Seite angebracht gewesen. Denn aus der Lektüre unzähliger Bundestagsreden, die von Ihnen und Ihren Freunden gehalten worden sind, springt einem ein solcher Zitatenschatz entgegen,
({31})
daß die Reichhaltigkeit der Fundgrube geradezu einen Wert darstellt, wie man ihn in der politischen Auseinandersetzung kaum jemals im Glück, ja nicht einmal im Traum auch nur hätte erwarten dürfen. Sehen Sie sich einmal an, was Sie sich selber als Daten gesetzt haben, angefangen bei der Preiserhöhungsrate, die den Rücktritt einer früheren Regierung hätte auslösen sollen! Danach hätten Sie nicht doppelter Minister werden, sondern zweimal zurücktreten müssen!
({32})
Wie steht es also mit Wirtschaft, Preisen und Finanzen?
Zweitens: Wie steht es denn mit den versprochenen umfassenden Reformen, die Kernstück und Glanz der Regierungspolitik werden sollten? Von inneren Reformen, so heißt es in der „FAZ" als Würdigung Ihrer Antwort auf unsere Anfrage, kann kaum mehr die Rede sein. Ausgerechnet dieses Gebiet der Reformen, das Glanzstück der Regierungserklärung und des zukünftigen Deutschland werden sollte, ist beinahe lautlos zunächst einmal in die Asservatenkammer oder in das Museum nicht erfüllter Versprechungen gestellt worden. Jedenfalls ist davon kaum mehr die Rede. Dafür ist viel von kostenlosen Reformen die Rede: Gerichtsverfassung, Ehescheidung, Strafrechtsnovelle usw. Ich lasse einmal die Frage offen, ob die Gerichtsverfassungsreform wirklich kostenlos ist. Im Vergleich zu dem, was Sie vorhatten, ist sie wirklich kostenlos.
({33})
In der Regierungserklärung vom Oktober 1969 hat der Bundeskanzler erklärt - und er hat dafür unsere volle Zustimmung bekommen -: Die Durchführung der notwendigen Reformen ist nur möglich bei wachsender Wirtschaft und gesunden Finanzen. - Er hat auch unsere Zustimmung für eine Äußerung bekommen, die folgendermaßen lautet: Wir sind für Reformen im Zeichen der Kontinuität und
der Erneuerung. - In diesen beiden Punkten haben Sie auch heute noch unsere Zustimmung. Nur darf es hier nicht bei der Wortbildung bleiben, die als unverbindliche Addition von Buchstaben im Raume steht. Das Wort muß vielmehr auch durch Absichten, Entscheidungen, Taten und Ergebnisse gerechtfertigt und verwirklicht werden.
({34})
Ist es eine Politik der totalen Konfrontation, wenn wir uns Ihre Kernsätze zu unserem eigenen Herzensanliegen machen? Unter „Reform" verstehen wir genau diese Verbindung von Kontinuität und Erneuerung, und genau das habe ich auch auf dem Münchener Parteitag gesagt. Wir wissen auch, daß Reformen nur auf dem Boden von steigenden Wachstumsquoten unserer Wirtschaft und bei Erhaltung der Preisstabilität sowie der finanzwirtschaftlichen Ordnung möglich sind. Genau dafür sind wir ausgezogen. Wir wissen auch, daß Reformen, die auf Bergeshöhen führen sollen, nur erreicht werden können, wenn man sich - mühsam steigend - mit dem stetigen, langsamen und bedächtigen Schritt eines Bergsteigers nach oben durchkämpft und nicht wild, um sich hauend, stampfend als Rundumtänzer gegen alles anrennt, was einem dabei kritisch im Wege steht.
({35})
Es besteht doch kein Zweifel, daß die Begriffe „Fortschritt" und „Reform" bis zur Banalität entwertet worden sind.
({36})
Hier hat doch nicht nur die Inflation der Geldentwertung, sondern auch die Inflation der Sprache - wie bezeichnend für manche Regierungsmethoden! - eingesetzt.
({37})
Es kann doch niemand leugnen, daß hier ein gefährliches Spiel mit den Begriffen begonnen hat.
Reformen - dazu bekennen wir uns - sollen systemverbessernd sein. Reformen sollen nur dort systemverändernd sein, wo die Änderung auch etwas Besseres und nicht nur etwas Neues ergibt. Aber dahinter verbirgt sich doch schon und zwar bei denen, die durch diese Reformpropaganda irregeführt worden sind - die Tendenz, die Kampfansage, das System durch Reformen zu überwinden und zu sprengen. Wir werden allen Versuchen Widerstand leisten, die darauf hinauslaufen, unser System der gesellschaftlichen Wertordnung, in dem drei Dinge, nämlich soziale Marktwirtschaft, parlamentarische Demokratie und Rechtsstaat zusammengehören, durch Setzung von Daten und Herbeiführung von Ereignissen funktionsunfähig zu machen, um damit seine Ablösung propagieren und vorbereiten zu können.
({38})
Vor einigen Tagen - das ist ein normaler Vorgang zwischen Fraktionen - ist ein Abgeordneter der SPD-Fraktion zur CDU/CSU übergetreten,
({39})
und zwar aus Gründen, die seine Angelegenheit
sind. Dieser Abgeordnete hat als Gründe - ich fasse
es jetzt kurz zusammen - erstens die Sorge vor der Unterwanderung seiner eigenen Partei durch linksradikale Kräfte und zweitens die Konsequenzen der sogenannten neuen Ostpolitik angegeben. Dieser Abgeordnete stand 40 Jahre im Dienste der SPD. Er hat seinerzeit als rechte Hand Dr. Schumachers auch die Volksbefragung in Berlin gegen die von Ulbricht betriebene und dann von Grotewohl mitgemachte Fusion von SPD und KPD organisiert, womit die politische Fundierung West-Berlins als eines freien Teiles von Groß-Berlin garantiert wurde. Wenn dieser Abgeordnete zu uns übertritt, möchten wir deswegen keineswegs die Reklametrommel schlagen. Aber die Bemerkung, Herr Bundeskanzler, die Sie auf die Frage gemacht haben, was Sie denn dazu sagten - „Ist nicht der Rede wert" -,
({40})
ist in jeder Hinsicht unangemessen und drückt eine Geisteshaltung und einen Stil aus, bei dem Sie sich einmal einer Überprüfung unterziehen müssen, wo Sie bereits auf diesem Wege in Ihrer Wertordnung, was für Sie einer Rede wert ist, angelangt sind.
({41})
Die Bundesregierung und die hinter ihr stehenden politischen Kräfte haben falsche Reformerwartungen erweckt, auf jeden Fall falsche Vorstellungen und ihre Übertreibung nicht bekämpft. Sie haben Reformen auf allen Gebieten versprochen und gewaltige Erwartungen mobilisiert. Aber sie haben die Voraussetzungen für mögliche Reformen in sträflicher Weise vernachlässigt.
Man sagt, keine Alternativen habe die CDU/CSU geboten. Wir haben eine ganze Reihe von Alternativen geboten auf den Gebieten, wo wir eben anderer Meinung waren, siehe Städtebauförderungsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Krankenhausfinanzierung. Auf anderen Gebieten braucht es keine Alternativen, weil es sich hier um Routinegesetze handelt, bei denen das doch hoffentlich vorhandene Maß an gemeinsam erkannten Notwendigkeiten und gemeinsam erkannten Lösungsmöglichkeiten eine breite Mehrheit in diesem Hause sichert, auch die Stirnmen den CDU/CSU sichert, weil es sich hier einfach um das handelt, was man als Politik der praktischen Vernunft täglich praktizieren muß. Wir haben dort Alternativen geboten, wo Alternativen geboten waren, und wir haben dort mitgestimmt, wo die Politik des gemeinsam Notwendigen unser Ja ohne Verletzung unserer Grundsätze erlaubte und gebot.
Darum darf ich hier diese zwei Märchen zerstören: die Politik der totalen Konfrontation, die von uns niemals in der Sache gewünscht und mit diesem Ausdruck formuliert worden ist, sondern die ganz andere Hintergründe hat, und das törichte Gerede von den mangelnden Alternativen.
Lassen Sie mich zu dieser Feststellung des Gegensatzes zwischen Theorie und Wirklichkeit nur wenige Bemerkungen machen.
Man hat doch immer - und das kam mit periodischer Wiederkehr wie der Lobgesang eines tibetanischen Mönches - das Wort von der Preisstabilität gehört. Aber man hat über lange Zeit hinweg das
Gegenteil von dem getan, was Preisstabilität erfordert hätte. Daß hier die Erkenntnis nicht vorlag, kann ich bei einem so gescheiten Wirtschafts- und neuerdings Finanzminister nicht zugrunde legen. Wenn aber die Erkenntnis vorlag, was hätte getan werden müssen, warum ist es dann nicht geschehen? Ich komme darauf noch kurz zu sprechen.
Die Regierung hat vor der Überhitzung der Konjunktur gewarnt. Die Warnungen gehen zurück bis an den Anfang des Jahres 1970. Sie hat aber das Gegenteil getan und diese Warnung selber nicht beherzigt. Es wäre doch ohne weiteres möglich gewesen, jedenfalls die Quellen des hausgemachten Teils der Inflation zu vermindern, wenn nicht überhaupt zu stopfen. Das Heißlaufen ist doch erst 1970 erfolgt. Ja, warum denn? Es ist doch deshalb erfolgt, weil man hier offensichtlich in Verkennung der wirklichen Ursachen der inflationären Entwicklung in der Aufwertung die alleinseligmachende Lösung gesehen hat. Herr Schiller, Sie haben es gemacht wie jemand, der sich einen ganz guten neuen Anzug kauft und dann damit ohne Regenschirm und Mantel sofort in einen Sturm hinausgeht; dann kommt er mit zerzaustem Anzug nach Hause.
({42})
Sie haben sich auf die Aufwertung verlassen und haben gedacht, die Aufwertung nimmt Ihnen die Lästigkeiten der Auseinandersetzung in dem Bereich der Tarifpolitik. Sie haben gemeint, die Aufwertung enthebt Sie der Widrigkeiten einer sparsamen Haushaltsführung. Sie haben gemeint, die Aufwertung erspart Ihnen die rechtzeitige Einführung des Konjunkturzuschlags. All diese Dinge sind eben anders gelaufen, weil der überwiegende Teil der Quellen unserer Inflation hausgemacht war und nicht nach dem Muster behandelt werden kann: das Ausland ist schuld.
({43})
Ich behaupte nicht, daß es den Begriff der importierten Inflation nicht gibt. Aber der überwiegende Teil der Inflation ist hausgemacht worden, und ein Teil der importierten Inflation ist infolge selbstgerechter Saumseligkeit, Besserwisserei und Rechthaberei nicht rechtzeitig gestoppt worden.
({44})
Sie haben die Aufwertung isoliert durchgeführt und haben sie in keiner Weise abgesichert. Sie haben Steuererhöhungen - Konjunkturzuschlag - zuerst abgelehnt, dann abgeleugnet und nach den drei Landtagswahlen im Juni 1970, sozusagen über Nacht, auf den Tisch dieses Hauses gelegt. Sie haben eine konjunkturwidrige Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände im Bund selbst herbeigeführt und zugelassen, und Sie haben keine Absicherung gegen unerwünschten, inflationsfördernden Zustrom von Auslandsgeld getroffen. Die Konzertierte Aktion aber, die nicht gegängelt werden kann - das weiß ich -, war wirkungslos, weil die Regierung selbst falsche Daten gesetzt und falsche Erwartungen geweckt hat.
({45})
Ich behaupte nicht, daß die Regierung durch Datenkommandos Signale ausstrahlen kann, an die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu halten haben, aber wenn die Regierung selbst ein falsches Bild der konjunkturellen Lage zeichnet,
({46})
eine falsche Therapie anwendet - die Aufwertung - und eine falsche Steuer- und Haushaltspolitik treibt, die von falschen Voraussetzungen ausgeht und überhöhte Ziele anstrebt, dann darf sie sich nicht wundern, wenn von der Regierung infizierende Wirkungen auf die Tarifpartner ausgehen, nämlich eine Mentalität des leichten Geldes, eine inflationäre Mentalität und eine inflationäre Praxisbereitschaft. Das sind die wirklichen Dinge, um die es hier geht.
In einer Erklärung, die der Herr Bundeskanzler jüngst abgegeben hat, heißt es auf alle Warnungen vor einer Rezession: „Bei mir gibt es keine Rezession." - Herr Bundeskanzler, soll man das genauso ernst nehmen wie die früheren Erklärungen, die zur Preisentwicklung, zur Stabilität, zur Wirtschaftslage, zur Lage der Finanzen abgegeben worden sind? Das ist doch ein ganzer Friedhof voll Leichensteinen falscher Prognosen, auf denen Sie und Ihre Mitarbeiter sitzen.
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Ist das auch wieder eine falsche Prognose, oder was gibt Ihnen Gewißheit, daß diese Prognose ausnahmsweise weniger falsch sein soll? Ist es vielleicht die Hoffnung auf die 10 Milliarden, die Wunderwaffe dieser Regierung; die auch gestern wieder von Herrn Schiller vorgezeigt und dann gleich wieder zunächst in der Versenkung versteckt worden ist?
Nicht nur bei uns, sondern bei dem großen Teil der deutschen Öffentlichkeit ist der Glaube zerstört, daß hinter diesen Worten mehr steht als der ehrliche Wunsch, es möge so werden, ohne zu wissen, was man tun muß, damit es so wird, wie man es gern möchte. Das nennt man auch in der Politik die Methode Coué: „Es wird schon, es wird schon, es wird schon!", und bei genügend oft getätigter Wiederholung tritt es hoffentlich dann auch ein. Das ist die Methode des wirtschaftspolitischen Pendelns als Ersatz für politisches Handeln bei rationaler Erkenntnis. Hier wird gependelt, aber nicht mehr gehandelt.
({48})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was sich bereits im vergangenen Jahre mit der Entwicklung der Gesamtpreissteigerungsrate ankündigte, hat sich leider fortgesetzt. Nun wird immer gesagt, wir seien ja nur in der Mitte der inflationär tendierenden Länder, wir hätten einen günstigen Platz im Geleitzug, mehr bei denen, die eine niedrige Zuwachsrate der Preise haben, als bei denen, die eine hohe haben. Das stimmt doch einfach nicht. Für das Jahr 1970 haben wir eine Gesamtpreissteigerung von 7 1/2 % zu verzeichnen - Differenz zwischen nominal und real. Dann wurde erklärt, das sei nicht aussagekräftig; man dürfe sich nur orientieren an
der Steigerung der Verbraucherpreise, an den Ausgaben der Verbraucherhaushalte; die hätten längst den Höhepunkt erreicht. Heute stehen wir bei 6 %. Zu dem Zeitpunkt, als die Versicherung abgegeben wurde, jetzt sei der Höhepunkt erreicht, standen wir aber noch bei weniger als 4 %. Genau deshalb gilt Ihre Behauptung „bei mir kommt keine Rezession" auch nicht mehr als alles das, was wir an falschen Prognosen schon erlebt haben, ohne daß ich hier die Zeit habe, sie im einzelnen zu wiederholen. Wenn das aber gewünscht wird, so haben wir in der Haushaltsdebatte genug Gelegenheit, aus der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit Satz für Satz hier vorzulegen, um zu zeigen, daß Politik für diese Regierung eine Welt als Wille ist, aber ohne eine Vorstellung, wie der gute Wille tatsächlich erfüllt werden soll.
({49})
Man erweckt den Eindruck, im Ausland sei es noch schlimmer, was in dieser Allgemeinheit heute nicht mehr stimmt. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der Kollege Junghans, hat noch am 1. Juli erklärt:
Die auch von Herrn Leicht vorgebrachte Behauptung, in der Bundesrepublik herrsche eine hausgemachte Inflation, wird auch durch ständiges Wiederholen nicht zu einem ernst zu nehmenden Argument in der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion.
Günter Graß schreibt vom „verlogenen Ammenmärchen".
({50})
Das ist derjenige, der neuerdings den Ausdruck „Schreibtischtäter" rechtfertigt.
Ja, haben denn nicht Sie selbst, Herr Schiller, weil Sie doch wirklich durch Ihr wissenschaftliches Gewissen gezwungen sind, nicht immer die Tatsachen zugunsten einer parteikonformen und parteiopportunen Äußerung zu verschweigen oder zu verdrehen, mit Recht von einer hausgemachten Inflation gesprochen! Wir waren Ihnen ja dankbar dafür. Sie haben es gestern noch wiederholt, daß es auch hausgemachte Quellen der Preisentwicklung gibt. Das Wort „Inflation" darf nur für die jeweilige Opposition anwendbar sein; Sie hatten reichlich Gebrauch davon gemacht. Sprechen aber die anderen davon, wenn sie in der Opposition sind, dann wird ihnen Volksverhetzung, Volksverdummung, Panikerzeugung und ähnliches vorgeworfen. Hat nicht der Herr Bundesbankpräsident selbst erklärt: Unsere inflationäre Entwicklung ist ganz überwiegend Eigenprodukt, ist „home-spun", ist „made in Germany" ?! Man sollte endlich mit dem Unfug aufhören, zu behaupten, daß unsere Inflation nichts anderes sei als eine Folge der bösen Einflüsse aus dem Ausland, gegen die deutsche Arbeit und deutsche Produkte wieder abgeschirmt werden müßten, damit sie auf dein Weltmarkt ja den richtigen Gegenwert erhalten mögen. Dazu sind auch gestern wieder einige fatale Anklänge dieser Art zu hören gewesen.
Wenn ich Ihnen sage, daß es noch einen Bereich gibt, der aus dem Ausland kommt, der aber im Inland hätte unter Kontrolle gebracht werden müssen, dann ist es hier der Bereich von Auslandsgeldern, der sich durch die Politik dieser Regierung in besonders starkem Maße auf die Bundesrepublik gestürzt hat und in die Bundesrepublik hereingezogen worden ist. Will denn jemand ernsthaft bestreiten, daß folgendes Verhältnis von Ursache und Wirkung vorliegt: Die Bundesregierung tut nichts oder handelt falsch, um die Konjunktur unter Kontrolle zu bekommen. Das war die erste Phase nach der Regierungserklärung. Die Bundesbank mahnt, die Bundesbank warnt, und sie ergreift Ersatzmaßnahmen, aber diese beschränken sich auf einen Teil des Marktes; die Bundesbank kann ja nur den nationalen Geld- und Kreditumlauf unter Kontrolle halten, nicht den internationalen. Darum hat die Bundesbank als Waffe gegen die Preisentwicklung ihre Instrumente eingesetzt. Das war einmal die Erhöhung der Mindestreserven, womit der Kredit verknappt wurde, und das war die Erhöhung des Diskontsatzes auf eine abenteuerliche Höhe, womit der Kredit teurer geworden war.
Durch Verknappung und Verteuerung der Kredite wurde ein Zustand geschaffen - und das ist doch bezeichnend für eine Regierung, die sich gegen Großverdiener und Großkapitalisten wendet und für den Kleinverdiener, den kleinen Mann da sein will -, der es der Großwirtschaft erlaubt hat, im Ausland Kredit in jeder beliebigen Menge, in jeder beliebigen Höhe zu bekommen. Man brauchte nur die Bonität hinter sich zu haben, den Goodwill und die Sicherheiten zu bieten. Man bekam den Kredit in jeder beliebigen Höhe 2 bis 3 % billiger als im Inland. Und der kleine Mann im Inland, gleichgültig, ob Arbeitnehmer oder kleiner Selbständiger, mußte für seinen Kredit, um den er schwer zu kämpfen hatte, 2 bis 3 % mehr zahlen. Er hat 11 1/2, 12, 12 1/2 % gezahlt, wenn man die Kreditprovisionskosten noch hinzurechnet.
Ist das eine Politik des kleinen Mannes? Ist das eine Politik der Förderung der kleinen und mittleren Selbständigen? Den Großen hat man erlaubt, alle Möglichkeiten des Weltkreditmarkts auszuschöpfen und gegenüber den Kleinen bezüglich eines Hauptkostenfaktors - das sind die Zinskosten einen ganz wesentlichen Wettbewerbsvorsprung mit nach Hause zu nehmen.
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Das ist der Teil an Auslandsgeld, der durch eine falsche Hochzinspolitik hereingeholt wurde. Dann kommt der andere Teil, der hereingeschwätzt wurde. Er wurde hereingeschwätzt, weil man wußte, daß das Reden über die Aufwertung in der Bundesrepublik unter der geheimen, magischen Stabführung des Bundeswirtschaftsministers doch nicht enden würde. So ist es ja auch geschehen. Ich möchte nicht die Vorgänge vom Mai jetzt im einzelnen wiederholen.
Sie, Herr Schiller, glauben nicht an das UrsacheWirkungs-Verhältnis des Dollarzustroms in jener Zeit und jetzt des Nichtabfließens von Dollars. Sie haben ja gestern nur von „abgeblockt" gesprochen; Sie haben nichts von „hinausgeflossen" gesagt. Warum fließt denn nichts hinaus? Doch nicht etwa, weil
die wirtschaftlichen Erwartungen in der Bundesrepublik so außergewöhnlich günstig wären, sondern weil man glaubt, daß am Ende doch noch infolge einer falschen Floating-Politik, infolge einer falschen Wechselkurspolitik, einer falschen Währungspolitik und infolge der selbstgesetzten Ausweglosigkeiten - Aufwertung 8 minus X bei einem Aufwertungssatz von 10 %, der heute de facto schon erreicht ist - man das Geld so lange in der Bundesrepublik stehen lassen muß, bis diese Aufwertung unter dem Druck der internationalen Zusammenhänge auch tatsächlich eingetreten ist, und dann wird zurückgezogen. Das ist der wirkliche Grund und nicht das Gerede von dem besonders großen Vertrauen in die D-Mark, das immer als Grund für die Zuflüsse an Dollar auch in diesem Hause zelebriert worden ist.
({52})
Die Abschiebung der Verantwortung auf das Ausland verhindert zwei Dinge, sie verhindert die Selbsterkenntnis, was die Gründe sind, sie verhindert die rechtzeitige Anwendung der Heilmittel, sie verhindert die Abwehr gegen die abstumpfende Gewöhnung an die Inflation als eine unvermeidliche Dauererscheinung und sie verhindert rechtzeitige und wirklichkeitsnahe Verhandlungen mit den ausländischen Partnern.
Ich kann die Mahnung einer Wochenzeitschrift, die nicht gerade im Geruch der CDU/CSU-Freundlichkeit steht, aber wahrlich nicht von der Hand weisen, daß die Währungspolitik jetzt endlich in die Hände von Praktikern und wirklichen Politikern gehört und nicht in die Hände von Ideologen, von Romantikern und von Modellverbesserern auf dieser Welt.
({53})
So ist eine Gewöhnung an das süße Gift der Inflation, der schleichenden und nunmehr der trabenden Inflation eingetreten.
Haben nicht Sie, Herr Bundeskanzler - und auch einige Ihrer Mitarbeiter , einen Beitrag dazu geleistet, als Sie im ersten Jahr der Halbzeit immer so getan haben, als ob die Alternative wäre: Stabilitätspolitik heißt Arbeitslosigkeit, die harmlose Preisentwicklung muß in Kauf genommen werden, um die Vollbeschäftigung zu erhalten? Jetzt sind Sie an einem Punkte angelangt, an dem Sie es nicht mehr leugnen können, daß diese Politik für uns in der wirtschaftlichen Entwicklung zu einer Stagnation mit Tendenz in Richtung Rezession führt, wobei die Inflation noch munter auf zunächst nicht absehbare Zeit weitergeht.
({54})
Das heißt, die Alternative, die Sie damals geleugnet haben, haben Sie mit Ihrer Regierung selbst herbeigeführt, nämlich die Alternative: Rezession mit Arbeitslosigkeit. Das ist doch die Schwelle, an der wir heute stehen. Ich spreche bewußt von der Schwelle.
Hier handelt es sich nicht um ein Stück Polemik im Bundestag zwischen Regierung und Opposition, nicht um ein Punktesammeln in einer Debatte oder um ähnliche durchaus ehrenwerte Dinge, sondern
hier handelt es sich um eine ganz ernste Angelegenheit, nämlich um die zukünftige Kraft unserer Wirtschaft, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Ertragsfähigkeit, die Stabilität unseres Preissystems, die Lebenshaltung unserer Verbraucher und nicht zuletzt um die Erhaltung der Existenzquelle für Millionen unserer Arbeitnehmer. Das steht hier auf dem Spiel, und nicht die Richtigkeit oder die Unrichtigkeit von Theorien, nicht die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Prognosen. Das steht hier auf dem Spiel und das sollte ernster genommen werden als Selbstbestätigungsübungen einer instinktunsicheren und trittunsicher geworden Regierung.
Haben nicht alle Industrienationen - siehe USA, siehe England, siehe Schweden -, haben sie nicht alle überhöhte Preisentwicklungen, die sie glaubten, wegen der Vollbeschäftigung nicht bekämpfen oder sogar herbeiführen zu müssen, mit einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit, mit einer lange anhaltenden Arbeitslosenquote, die sie vor der Inflationspolitik nicht gehabt haben, bezahlen müssen? Das ist doch bei allen so gewesen.
({55})
Die Süddeutsche Zeitung hat vor einigen Tagen mit Recht geschrieben: „Stagflation ist nicht ein Modewort." Hier ist doch etwas Interessantes, meine sehr verehrten Damen und Herren. Man soll zwar nicht immer nur Spuren lesen in der Politik, aber manche Kombinationen drängen sich einem so auf, daß man schon farbenblind und taub sein müßte, um etwas nicht zu merken.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wenn ich mich recht erinnere, wird es von Ihrem ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär als Präsident geleitet - in Berlin charakterisiert die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für das dritte Quartal 1971 als Stagflation, weil das Bruttosozialprodukt real nicht zunahm, die Preise aber weiterhin steigen.
Daß man beim Deutschen Industrieinstitut heißt es
das gleiche diagnostiziert, sei der Vollständigkeit wegen erwähnt.
Kann man mit Stagflation leben? An der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Geister. Und wenn nicht alles täuscht, wird sich zumindest die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung nicht nachsagen lassen wollen, sie nehme um der Geldwertstabilität willen bewußt eine Rezession in Kauf.
Wir haben hier schon einmal erlebt, daß Herr Arndt der Vorreiter der Aufwertung war. Auf unsere bohrende Frage hin: „Wird die Bundesregierung die Ziffer 1 des EWG-Beschlusses auch tatsächlich einhalten?" Rückkehr zur alten Parität oder nicht -, erklärte er sinngemäß: „Zunächst ist der Wechselkurs freigegeben. Mehr nicht. Alles andere wird sich später zeigen."
Will die Bundesregierung nunmehr - wofür ich bei ihr Verständnis hätte; aber dann soll sie es sagen hier - die Inflation als Dauererscheinung in
Kauf nehmen, um durchzustarten, um nach ihrer Weise und ihren Vorstellungen die Vollbeschäftigung auch um diesen Preis einer asozialen Maßnahme und Dauerwirkung wiederum herbeizuführen und zu sichern? Das wollen wir hier einmal hören.
({56})
Dann kommt das schöne Wort: „Ja, fast allen geht es besser". - So heißt es jetzt. Vor einem Jahr hat es noch geheißen: „Allen geht es besser". Inzwischen hat die Bundesregierung gemerkt, daß es nicht mehr allen besser geht. Drum heißt es jetzt: fast allen geht es besser. Im dritten Jahr wird es heißen: „Vielen geht es besser". Hoffentlich heißt es im vierten Jahr Jahr nicht: „Nicht allen geht es in der Zwischenzeit schlechter" !
({57})
Denn es müßte sich herumgesprochen haben, daß Sparer, Bausparer, Rentner, Bezieher sonstiger fixer Einkommen aus Lebensversorgungsansprüchen die unmittelbar Geschädigten sind. Das war der Grund für unseren Rentenantrag hier, den Sie abgelehnt haben, weil Sie für das Jahr 1973 ein besonderes Manöver vorhaben. Darum ist Ihnen mehr oder minder gleichgültig, welche Lebenshaltungskosten die Rentner jetzt bei ungenügender Rentenanpassung zu bestreiten haben.
({58})
Es ist auch nicht so, daß man im Auslande der deutschen Währungspolitik uneingeschränkt zustimmt. Sie haben gestern ein wunderbares Wort gesagt, Herr Kollege Schiller - da habe ich hier gleich daneben geschrieben: Witz des Tages -:
Die Störungen - heißt es im internationalen Währungsgefüge liegen in den administrativen Kontrollen, nicht im Floaten.
Schiller hat immer recht, nur die anderen begreifen es nicht.
({59})
Ich ziehe die Nutzanwendung daraus. Warum gehen die anderen nicht zum reinen Floaten über? Warum machen sie ein verschmutztes, nach Münchmeyer ein „parfümiertes Floaten"? Verschmutzt und parfümiert, das ist jetzt eine Begriffsidentität geworden, je nach der Wirkung, die man dabei erzielen will. Ja, warum denn? Weil sie sich für die kommenden Endentscheidungen einen Spielraum erhalten wollen, bei dem sie für einen Kompromiß etwas zulegen können. Dagegen würden wir, wenn wir noch etwas zulegten, uns selbstmörderisch verhalten, und wenn wir auf einen für uns erträglichen Kompromiß kommen wollten, müßten wir praktisch abwerten, d. h. eine Maßnahme durchführen, die zu den schwierigsten Widerständen im Auslande und zu größten politischen Konsequenzen führen würde.
Es ist doch kein Zweifel, daß Floaten einerseits und Oreandxa andererseits ohnehin die Vertrauensbasis zu Paris nicht nur erschüttert, sondern beinahe zerstört haben. Ich behaupte ja nicht, daß der Dollar etwa richtig bewertet war. Aber wenn man allen anderen sagt, daß sie falsch bewertet sind, und selber noch so tut, als ob man unbegrenzt aufwerten könnte, erweckt man bestimmt keine Sympathien auf dieser Welt. Wir haben die Dollarkrise schonungslos dargelegt, statt mit den anderen gemeinsam an einer Überwindung zu arbeiten.
({60})
Wir haben die anderen nachgezogen, die Holländer, die gar nicht begeistert waren, die Österreicher, von denen ich es sehr genau weiß, die Schweizer, die nicht begeistert waren. Und keiner hat das reine Floaten eingeführt, von den Franzosen hier gar nicht zu reden. Ein jeder hat versucht, wenn nicht durch Kontrollen, dann durch andere Mittel, nämlich durch Intervention durch die Notenbank, die Abweichungen von der früheren Parität so zu gestalten, daß für die bitteren Notwendigkeiten der eigenen Exportwirtschaft hier noch ein ausreichender Lebensspielraum, Wettbewerbsspielraum und Ertragsspielraum liegt. Wir haben eine Exportquote in der Bundesrepublik von 19 %, England 16 %, Italien 14 %, Frankreich 11 %, Japan 10 %, USA nur 4 %. Gerade wir mit unserer hohen Exportquote müssen mit unserer Währung sorgsamer umgehen als jedes andere Land.
({61})
Darum ist heute auch der erschreckende Rückgang von Exportorders ein zusätzlicher Faktor für die aufkommende Stagflation und für die drohenden Rezessionserscheinungen.
Nun hört man: 10 Milliarden DM hat noch nie jemand gehabt. Ich wage hier zu behaupten - Sie können mich ja später daran erinnern und mir sagen, ob ich recht oder unrecht hatte -: Sie haben nur die Wahl, entweder eine echte Rezession hinzunehmen, wenn Sie zu einer echten Stabilität kommen wollen, oder inflationär länger anhaltende Erscheinungen zu stabilisieren, um wenigstens im groben und im großen und ganzen die andere Folge zu vermeiden. Auf die Dauer ist beides, wie ich vorhin sagte, sowieso nicht möglich.
Dann behaupte ich noch eines: Trotz der 10 Milliarden DM - 5,8 Milliarden DM kriegt der Steuerzahler zurück,
({62})
und den Rest, 4 Milliarden DM, hat die öffentliche
Hand als Konjunkturausgleichsrücklage - ist die
heutige Lage bedrohlicher, als sie Ende 1966/67 war,
({63})
weil zwei Dinge verlorengegangen sind: eine günstige Kostengestaltung der deutschen Wirtschaft und eine normale Währungssituation. Wir haben eine wesentliche Verschlechterung der Kostensituation und einen echten Währungsnachteil für unsere Wirtschaft. Damals konnten die Rückgangserscheinungen in der Binnenwirtschaft für eineinhalb Jahre, bis die Signale wieder gezündet hatten, durch verstärkten Export ausgeglichen werden. Dieses Tor haben Sie in Ihrer eigenen Mentalität so gründlich verstopft, daß Sie jetzt die 10 Milliarden DM als
Wunderwaffe darstellen müssen, als könnte mit ihr die zurückgehende Nachfrage wiederum belebt oder ausgeglichen werden. Das Denken ist falsch, Herr Schiller. Es ist einfach falsch, Auslandsnachfrage durch Inlandsnachfrage ersetzen zu wollen.
({64})
Wer nur die geringste Ahnung vom langfristigen Exportgeschäft, vom Anlagegütergeschäft hat, weiß: wer da vom Fenster weg ist, der bleibt lange Zeit davon weg. Lesen Sie denn die Warnungen nicht, die auf der ganzen Welt an uns gerichtet werden? Man kann doch nicht glauben, daß man durch verstärkte Inlandsnachfrage nach dem Muster der volkswirtschaftlichen Gesamtrechner, die immer nur Gesamtgrößenordnungen bieten, etwa einen Exportrückschlag ausgleichen könnte. Diese Wirtschafts-und Währungspolitik wird nicht nur die Exporteure - um deren Schicksal kümmere ich mich hier nicht -, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft und die Millionen von mittleren und kleineren Unternehmern und die bei ihnen tätigen Angestellten und Arbeiter teuer zu stehen kommen.
({65})
Darf ich fragen, Herr Präsident, wieviel Minuten ich noch habe.
Präsident von Hassel: Noch neun Minuten.
Lassen Sie mich im letzten Teil meiner Ausführungen noch auf zwei Probleme zu sprechen kommen. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß sich der nächste Redner der Fraktion der CDU/CSU mit den Haushaltsfragen im engeren Sinne des Wortes beschäftigen wird.
({0})
- Ich freue mich über Ihren Beifall. Sie werden von ihm das hören, was ich leider nicht mehr sagen kann. Wir haben es uns gut eingeteilt. Im übrigen gehört es zu den besten Traditionen der parlamentarischen Demokratie, daß eine Haushaltsdebatte eine Generalabrechnung mit der gesamten Regierungspolitik ist.
({1})
Herr Möller hat seinerseits den ersten Haushalt noch unter der Überschrift „Haushalt der Stabilität" eingebracht; das war der Haushalt 1970. Zum zweiten hat er gar nichts mehr gesagt, und vor dem dritten ist er zurückgetreten.
({2})
Nun bezeichnet Herr Schiller seinen Haushalt als „Haushalt der Konsolidierung und der Vernunft". Dazu, Herr Schiller, wird Herr Leicht reden. Ich würde es sehr gern tun, kann es aber nicht. Ich bin jedoch gern bereit, im weiteren Verlauf der Diskussion noch darauf zurückzukommen, wenn in diesem Hause dafür ein dringendes Bedürfnis besteht.
({3})
Ich möchte noch zu einem Komplex Stellung nehmen, den Sie gestern schön verteilt und mit einer
Reihe von, ich darf sagen, verharmlosenden Formulierungen - aber nicht so gewandt wie sonst -dem Hause zu suggerieren versucht haben. Man kann doch nicht leugnen, daß Steuererhöhungen, Steuerreform, Änderungen steuerlicher Subventionen und Vermögensbildungsabgabe volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich eine Einheit bilden. Man sollte deshalb diese Probleme als ein Paket auf den Tisch legen.
Steuererhöhungen, Gebot der staatspolitischen Vernunft? Ich sage hier nicht, entgegen dem Klischee, das man mir aufzuprägen versucht: „Steuererhöhungen: nein, niemals, um keinen Preis", um damit eine falsche Schwarz-Weiß-Darstellung zu geben. Jeder Finanzminister und jede Regierung kann in eine Situation kommen, in der aus gewissen Gründen Steuererhöhungen notwendig sind. Welche, wie und in welchem Umfang, möchte ich hier offenlassen. Aber wir sagen nein zu diesen Steuererhöhungen. Wir sagen nicht nein zu diesen Steuererhöhungen, weil wir grundsätzlich das Wort Steuererhöhungen aus Angst vor der Unpopularität, aus Gründen einer opportunistischen auf Wahlaussichten spekulierenden Verhaltensweise nicht in den Mund nehmen, sondern weil diese Ihre Steuererhöhungen nichts anderes als nur ein ganz kleiner Ausgleich für das sind, was an Mehrkosten in öffentlichen Haushalten durch die von Ihnen verschuldete und mitverschuldete Inflation herbeigeführt worden ist.
({4})
Warum verlangen Länder und Gemeinden mehr Geld? Sie verlangen aus zwei Gründen mehr Geld, weil sie als die Träger der Hauptpersonalkörper, der großen Personalverwaltungen, als die Hauptträger der Investitionen durch die Kostenexplosion und durch die inflationäre Entwicklung besonders stark betroffen sind und weil sich die Bundesregierung Reformfedern an ihren Hut steckt, im ganzen Lande damit, sie lautstark ausschellend, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zieht, aber die Finanzierung dieser Reformen den Ländern und Gemeinden überläßt, ihnen neue Aufgaben zuweist, ihnen aber keine neuen Finanzquellen erschließen will.
({5})
Herr Schiller, machen Sie Schluß mit dem Versuch, die Finanzforderungen und -wünsche der Länder und Gemeinden als die eigentlichen Urheber für Ihre Steuererhöhungspläne darzustellen und nach der Methode: „Haltet den Dieb!" die Folgen Ihrer Inflationspolitik von sich abwälzen zu wollen! Machen Sie Schluß mit dieser Methode! Daß die Länder mehr Geld wollen, daß sie mehr Geld aus den Gemeinschaftssteuern wollen, aus der Umsatzsteuer, daß die Gemeinden mehr Anteil an der anderen Gemeinschaftssteuer, an der Einkommensteuer, haben wollen, ist durch Ihre Inflationspolitik und ist durch die Zuweisung neuer Aufgaben begründet und nicht durch neue Wünsche oder Forderungen, die auf seiten der Länder und Gemeinden entstanden sind.
({6}) Das zur Steuererhöhung.
Sie hätten die Steuererhöhung in das Programm der Steuerreform einpacken sollen. Bei der Steuerreform haben wir erlebt, daß der Hinterteil zuerst gekommen ist. Dabei haben Sie einige Fragen nicht beantwortet, Herr Schiller. Stehen Sie noch oder stehen Sie nicht mehr zu dem Beschluß des Parlaments aus der vorletzten Legislaturperiode, wonach die steuerliche Auswirkung der Einführung neuer Einheitswerte bei den einheitswertabhängigen Steuern steuerneutral sein muß? Sie stehen nicht mehr dazu! Sie hätten es ehrlicherweise sagen müssen, daß Sie durch Einführung der neuen Einheitswerte und durch Ihre Vorschläge zur Gestaltung der einheitswertabhängigen Steuern lautlos, kalt, wider den Beschluß des damaligen Parlaments eine massive Steuererhöhung beabsichtigen.
({7})
Sie sagten, in der Lohn- und Einkommensteuer gebe es noch einige offene Fragen. Warum gibt es dort offene Fragen? Weil der Jubel der Koalitionspartner zerbrochen ist. Sie hatten doch bereits ein monumentales Reformwerk von der Größenordnung Miguel und Erzberger am 11. Juni verkündet. Ich habe damals gesagt, das sei eine Maus mit Giftzähnen. Sie haben sich darüber geärgert. In der Zwischenzeit hat der andere Koalitionspartner versucht, die Giftzähne herauszubrechen. Darum haben Sie offene Fragen. Warum hat er das getan? Warum hat Frau Funcke, die zunächst alles für befriedigend erklärt hat, noch mit einiger männlicher Assistenz - was sie gar nicht gebraucht hätte, weil ihr Wort schon allein gegolten hätte - dagegen gesprochen? Weil wir gesagt haben - von mir formuliert -: Wenn diese Eckwerte Gesetz werden und wir gewinnen die Bundestagswahlen, werden wir diese unsozialen Härten der Steuerreform für kinderreiche Familien, für Beamte, für den selbständigen und unselbständigen Mittelstand wieder aufheben.
({8})
- Wenn Sie das bestreiten, beweisen Sie doch nur eines, daß Sie in der Auswertung Ihrer Eckwerte von Tuten und Blasen überhaupt nicht die geringste Ahnung haben.
({9})
Darf ich Ihnen einmal aus einer Veröffentlichung des Instituts Finanzen und Steuern für verschiedene Größenordnungen des Gewinnes - 150 000, 500 000, 1 Million, 10 Millionen - vorlesen, was das geltende Recht an Belastung bedeutet: 53 %, 64 %, 66,5 %, 68,7 %; die Eckwerte bringen es auf 57 %, 68,7 %, 71,3 %, 73,6 %; die durchsickernden Mitteilungen über die Vermögensbildungsabgabe: keine Höherbelastung bei 150 000 DM Gewinn, aber dann 73,6 %, 79,4 %, 81,7 %. Darum ist doch der Brief von Herrn Rolf von Amerungen vom 29. September an Sie geschrieben worden. Lesen Sie doch die Seite 2 des Briefes nach, wo es heißt, daß die Erträglichkeit schon bisher erreicht, wenn nicht überschritten war.
Dann folgt - ich kann es wegen der Kürze der Zeit nicht mehr lesen - eine Wertung dessen, was
die Folgen der Regierungspolitik sind: Es kommen Belastungen bis zu 80 % auf die Betriebe zu.
Und hier zerstören Sie doch Ihre eigene Vermögensbildungspolitik. Sie haben die Körperschaftsteuerreform bereits vorgelegt. In der Körperschaftsteuerreform haben Sie vorgeschlagen: 56 % Spitzensatz - Einheitssatz -, Anrechnung der Körperschaftsteuer beim Aktionär - um den Aktionär zu begünstigen; ein lobenswertes Unternehmen -; aber der Spelraum, der für Auszahlungen noch übrigbleibt, wird durch die Folgen der neuen Einheitswerte in Ihren Vorschlägen der einheitswertabhängigen Gesetze gewaltig vermindert.
Der Spielraum wird durch neue Grundsteuer, durch neue Vermögensteuer und durch die geplante Vermögensbildungsabgabe so vermindert, daß infolge Ihrer ohnehin einschneidenden Wirtschaftspolitik für die meisten Betriebe - nicht nur bei der Exportwirtschaft - das Dispositiv für Dividendenausschüttungen unter dem Licht der anderen Belastungen schmilzt, die Sie leider zulassen, Herr Schiller, weil Sie sie zulassen müssen, obwohl Sie in manchen Punkten anderer Meinung sind; ich halte Sie für viel zu vernünftig, als daß Sie diesen Unsinn mitmachen würden.
({10})
Präsident von Hassel: Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter!
Ich komme zum Ende, Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht oppositionelle Einseitigkeit, Schwarzmalerei, Panikerzeugung, Volksverhetzung oder wie auch immer Ihre schönen Sprüche heißen, wenn ich sage, daß sich heute in weiten Bereichen unserer Wirtschaft - in weiten Bereichen unserer Wirtschaft! - Ungewißheit, Unsicherheit, Unruhe und Zukunftsangst breitgemacht haben.
Es ist der unerträgliche Gegensatz zwischen Versprechungen und dem, was erreicht worden ist, bzw. ihrer Nichterfüllbarkeit. Es ist das System der dauernden Warm- und Kaltbäder: ein Regengewitter nach dem anderen: Aufwertung, Steuererhöhung, Steuerreform usw.
Steuersenkungen haben Sie versprochen! Daran wollen Sie bei der Nacht nicht mehr erinnert werden. Dazu kommt das drohende Grollen der Gesellschaftsreformer, die darunter eine Sprengung unserer Gesellschaft verstehen.
All das hat zusammengenommen ein Klima erzeugt, das Ihr Wort, Herr Bundeskanzler, „Reform heißt Kontinuität und Erneuerung" schlechthin Lügen straft. Das muß einmal hier in diesem Hohen Hause gesagt werden.
({0})
Wenn einer der großen Vorbilder und Vorgänger Herrn Schillers, Johannes Popitz, gesagt hat „Der Haushalt ist das politische Schicksalsbuch der Nation", dann bejahe ich dieses Wort. Wenn aber
dieses Wort zutrifft, ist der von Ihnen vorgelegte Haushalt das, was Sie gesagt, und noch mehr das, was Sie nicht gesagt haben: ein ganz böses Omen für das, was uns bevorsteht!
({1})
Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Dr. Alex Möller. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Blick noch einmal auf das zurückliegende Jahr 1970 richtet, so wird niemand die außerordentlichen Anstrengungen der Bundesregierung übersehen können, im Gleichklang mit den Bemühungen der Deutschen Bundesbank das fiskalpolitische Instrumentarium in seiner ganzen Breite der Stabilitätspolitik nutzbar zu machen.
Das Programm zur Wiedergewinnung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beinhaltet eine interessante Palette spezieller haushalts- und steuerpolitischer Maßnahmen, die ich noch einmal in das Gedächtnis zurückrufen möchte. So war zunächst das Volumen des Haushalts 1970 auf eine Steigerungsrate von 9 v. H. beschränkt worden, gegenüber einer Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von über 12 v. H. Zusätzlich wurden Haushaltssperren in Höhe von knapp 500 Millionen DM ausgebracht. Darüber hinaus bildeten Bund und Länder Konjunkturausgleichsrücklagen von insgesamt 2,5 Milliarden DM.
Das Abschlußergebnis des Haushalts 1970 hat in eindrucksvoller Weise den Erfolg dieser restriktiven Haushaltsführung bestätigt. Der Ausgabenzuwachs lag bei nur knapp 7 v. H. und damit erheblich unter der Zunahme des Sozialprodukts. Ich erwähne dieses Ergebnis auch im Hinblick auf gegenwärtige Vorwürfe der Opposition, die auf Grund zufallsbedingter Zwischenergebnisse im Haushaltsablauf wieder allzu rasch und ohne sachliche Berechtigung erhoben werden. Was überhaupt zählt, ist allein das Abschlußergebnis des Haushalts, das im Zusammenhang gesehen werden muß mit den übrigen finanz- und wirtschaftspolitischen Aktivitäten.
({0})
Eine eingeengte Betrachtungsweise, die Haushaltspolitik ausschließlich an Ausgabe-Wachstumsraten messen zu wollen, kann nicht zu einem sachgerechten Urteil führen. Dies gilt auch für den Bundeshaushalt 1971.
Auf Grund der damaligen Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung hatte ich schon bei der Einbringung deutlich gemacht, daß im weiteren Verlauf der Haushaltsberatungen und im Vollzug des Haushalts selbst die konjunkturpolitische Abstimmung erfolgen muß. Das ist im Zuge des von Bundeswirtschaftsminister Professor Schiller am 9. Mai 1971 dem Bundeskabinett vorgelegten binnenwirtschaftlichen Teils des Stabilisierungsprogramms, dem ich uneingeschränkt zugestimmt habe, geschehen. Ich erinnere für den Bund an die Haushaltsführungserlasse, die Ausgabensperre in Höhe von 1 Milliarde DM, die Beschränkung der Kreditaufnahmen und die Bildung einer weiteren Konjunkturausgleichsrücklage von 1 Milliarde DM. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen werden ihren Niederschlag im Endergebnis des Haushalts 1971 am Jahresende finden.
Herr Kollege Schiller hat nun den Haushaltsentwurf 1972 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1975 eingebracht. Haushaltsentwurf und Finanzplanung entsprechen nach unserer Auffassung den stabilitäts- und finanzpolitischen Notwendigkeiten und setzen uns außerdem in den Stand, in diesem Rahmen die Reformpolitik aktiv fortzuführen. Das dem Hohen Haus vorliegende Ergebnis muß jeder, der die Materie aus eigener Erfahrung kennt und der die situationsbedingten Voraussetzungen ausreichend würdigt, als besonderen Erfolg der Kabinettsbemühungen anerkennen. Der Haushaltsentwurf setzt deutlich Signale für die am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen maßvollen Steuererhöhungen führen die Politik konsequent fort, durch Kaufkraftumlegung vom privaten in den öffentlichen Sektor die begonnenen und noch in Angriff zu nehmenden Reformvorhaben auf solider Basis zu finanzieren.
Wir wissen alle, daß die letzten Entscheidungen über den Haushaltsentwurf 1972 und die Fortschreibung der Finanzplanung in einer Zeitspanne vorbereitet werden mußten, in der die sich überstürzenden Ereignisse im internationalen Währungsbereich den Minister für Wirtschaft und Finanzen ganz besonders beansprucht haben. Der Dank der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gilt ihm, aber auch allen Mitgliedern dieser Regierung, die aus einer außergewöhnlich schwierigen Situation heraus einen Weg der finanzpolitischen Konsolidierung gefunden haben, ohne daß die Ziele einer Reformpolitik verwischt worden wären.
({1})
Daß dabei einzelne Ressorts große Opfer gebracht haben, möchte gerade ich von dieser Stelle aus hervorheben.
Im Zusammenhang mit der Beurteilung der Finanzplanung bis 1975 will ich jenen Kritikern antworten, die in unzulässiger Vereinfachung den Reformwillen und den Reformerfolg einer Regierung an den investiven Ausgaben im Bundeshaushalt abzulesen versuchen. Diese Auffassung kommt auch in der Großen Anfrage der Opposition zum Arbeitsprogramm der Bundesregierung zum Ausdruck. Ich kann mich nur darüber wundern, daß Herr Kollege Strauß eine Halbzeitbilanz vermißt hat. Mir ist aus den Beratungen des Ältestenrats gesagt worden, daß die CDU/CSU-Fraktion ihre Große Anfrage wegen des Arbeitsprogramms der Bundesregierung zu den inneren Reformen in der 6. Legislaturperiode nicht behandelt haben möchte
({2})
bei der ersten Lesung des Haushalts und des neuen Finanzplans, obwohl die Antwort der Bundesregierung am 14. Oktober 1971 erfolgt ist.
({3})
({4})
Hätte Herr Kollege Schiller den Hauptteil seiner Ausführungen auf eine Darstellung dieser Halbzeitbilanz verwandt, so würde sicher auch das von Ihnen unter einer Kritik stehen, die wir vom Herrn Kollegen Strauß heute in einem besonderen Umfang gehört haben, wobei sich aber wohl ergibt, daß, ganz gleich, was wir machen und wie wir es machen, das niemals und verständlicherweise die Zustimmung von Herrn Kollegen Strauß finden kann.
({5})
Für mich ist es geradezu unverständlich, wie man in diesem Zusammenhang fragen kann, was auf dem Gebiet der inneren Reformen eigentlich geschehen sei. Ich meine, wir haben mit dieser Bundesregierung einige Leistungen vorzuweisen, von denen eine einzige bereits genügen würde, um eine solche Frage auszuschließen. Ich erinnere nur an die Dynamisierung der Kriegsopferversorgung.
({6})
Das ist eine ganz besondere Leistung dieser Regierung.
Mit einigem Staunen habe ich zur Kenntnis genommen, daß Herr Kollege Strauß nun einmal ganz offen darüber gesprochen hat, warum Sie die Rentenanpassung auf den 1. Juli 1972 vorziehen wollen. Er hat nämlich klar und deutlich darauf hingewiesen, daß das notwendig sei, weil damit die Finanzierung einer wirklichen Reform der Sozial- und Rentenversicherung gefährdet sei, wenn nicht entsprechende Mittel durch das Vorziehen der Rentenanpassung auf den 1. Juli 1972 in Anspruch genommen würden, während wir - das ist ja bei anderen Gelegenheiten klar und deutlich auseinandergesetzt worden - an der Rentenformel aus vielen Gründen festhalten, ganz gleich, ob wir uns in einer Rezession, in einem Boom oder in der jetzigen Konjunkturlage befinden. Es muß für die Rentenbezieher wichtig sein zu wissen: diese Rentenformel ist eine Formel der Stabilität, auf diese Rentenformel können wir uns verlassen,
({7})
sie wird nicht abgeändert, auch nicht über den Umweg einer Erhöhung des Krankenkassenbeitrags. Sie schließen einfach die Augen vor Tatsachen, wenn Sie nur das Vorziehen der Rentenanpassung und insoweit eine Veränderung der Rentenformel in den Vordergrund rücken. Sie müssen ganz genau wissen, daß dann auch Aufwendungen für den Bund in Frage kommen, z. B. infolge der Defizithaltung in der Knappschaftsversicherung allein für die zweite Hälfte des Jahres 1972 230 Millionen oder für die Kriegsopferversorgung 280 Millionen wiederum allein für das zweite Halbjahr 1972 infolge der faktischen Koppelung der Kriegsopferversorgung mit der Rentendynamik, die Sie ja wohl jetzt im
Zuge Ihrer Vorstellungen und Vorschläge nicht zu Lasten der Kriegsopferversorgung ändern wollen. Wenn Sie das so vorziehen wollen, dann müssen Sie das auf die dazugehörenden Gebiete übertragen,
({8})
dann muß die Gleichmäßigkeit unter allen Umständen hergestellt werden. Das aber hat erhebliche Konsequenzen für den Bundeshaushalt. Bisher haben Sie in den Debatten diese finanziellen Konsequenzen für den Bundeshaushalt einfach geleugnet.
({9})
Meine Damen und Herren von der Opposition, was mit solchen Anträgen von Ihrer Seite wirklich los ist, kann ich Ihnen aus dem Schnelldienst Nummer 76 des Deutschen Industrieinstituts beweisen. Die Feststellungen, die dort getroffen werden, können Sie ja nicht als Feststellungen bezeichnen, die einer sozialdemokratischen Quelle entnommen wurden.
({10})
Hier heißt es unter der Überschrift „Rentenerhöhung als Alternative" in einer zweiten Betrachtung:
Keine Alternative zu den Regierungsvorschlägen bildet der zweite Gesetzentwurf der CDU/ CSU, der eine Rente nach Mindesteinkommen auf der Basis von 85 % des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten und mindestens 25 Versicherungsjahren vorsieht. Hier wird
- das ist jetzt der entscheidende Punkt
lediglich die wahltaktische Absicht deutlich, den Bundesarbeitsminister zu übertrumpfen, der von zwei Dritteln des Durchschnittsentgelts und wenigstens 35 Versicherungsjahren ausgehen will.
({11})
Das, meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis.
Und wenn Sie sich um eine solide finanzwirtschaftliche Bilanz bemühen wollen, kann ich nur sagen: am Anfang standen Ihre Anträge hier zu Beginn dieser Legislaturperiode hinsichtlich der Beamtenbesoldung und
({12})
hinsichtlich der linearen Aufbesserung in der Kriegsopferversorgung,
({13})
die erhebliche Mehrausgaben gegenüber den Vorstellungen der Regierungskoalition zur Folge gehabt hätten.
({14})
Ihre heutige Haltung, die sich nicht mit wirtschaftlicher und finanzwirtschaftlicher Solidität deckt, ist im Grunde genau dieselbe wie die zu Beginn der Legislaturperiode!
({15})
Eine fortschrittliche Weiterentwicklung der sozialen Ordnung zu mehr sozialer Gerechtigkeit muß nicht immer mit Geldausgaben verbunden sein. Sie vollzieht sich ebenso durch die Entwicklung von ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, die den Weg der strukturellen Verbesserung in einem Staate abstecken. Die Reformen des Familienrechts, des Betriebsverfassungsrechts und des Strafrechts sind hierfür typische Beispiele. Daneben ist natürlich eine angemessene Höhe der öffentlichen Ausgaben notwendig. Dabei kann als bestimmende Größe jedoch nicht nur der Anteil der Sachinvestitionen und erst recht nicht der Bundeshaushalt allein herangezogen werden. In unserem föderativ gegliederten Staat liegt der größte Teil der Infrastrukturinvestitionen in der finanziellen Verantwortung der Länder und - vor allem - der Gemeinden. Nur wissen wir das im Gegensatz zum Kollegen Strauß nicht erst seit gestern oder heute, sondern wir wissen das seit vielen Jahren. Gerade deswegen war für uns die Lösung der Fragen der Finanzreform eine vordringliche Aufgabe, vielleicht die Aufgabe Nr. 1. Dabei hatten wir das Ziel, insbesondere die finanzschwachen Länder zu unterstützen und vor allem den Gemeinden einen größeren Anteil an den Steuern zu sichern.
({16})
Wir haben unsere Gemeindefreundlichkeit nicht erst in diesen Jahren entdeckt, in denen Sie sich in der Opposition befinden. Diese unsere Gemeindefreundlichkeit ist vielmehr eine Basis unserer politischen Bemühungen,
({17})
das zu finanzieren, was an notwendigen Infrastrukturmaßnahmen in unserem Lande durchgeführt werden muß; denn vom Grad der Entwicklung der Infrastruktur sind auch die Entwicklung des Bruttosozialprodukts und die Produktivität überhaupt abhängig, so daß damit erst die Voraussetzungen für das geschaffen werden, was wir in diesem Lande gesellschaftspolitisch leisten wollen.
({18})
Die Gemeinden haben infolge der Neuverteilung im Jahre 1970 ein Mehr an Steuern von 3 Milliarden gehabt, und im Jahre 1971 werden es 3,5 Milliarden sein.
({19})
Ich erinnere an unsere Bemühungen, den Gemeinden bei der Verkehrsfinanzierung insbesondere in den Ballungsräumen zu helfen; ich erinnere daran, daß eine der ersten Maßnahmen der Großen Koalition darin bestanden hat, daß man die 3 Pfennig aus der Mineralölsteuererhöhung den Gemeinden für die Verkehrsfinanzierung zur Verfügung gestellt hat; und ich mache darauf aufmerksam, daß jetzt nach den neuen Vorschlägen zur Erhöhung der Mineralölsteuer um 4 Pfennig wieder 3 Pfennig an die Gemeinden gehen sollen.
({20}) Es handelt sich um etwa 1 Milliarde, die wir zusätzlich zur Verfügung stellen, weil wir die Dringlichkeit dieser Aufgabe anerkennen und weil wir unseren Teil dazu beitragen wollen, die Notlage in den Gemeinden zu verbessern.
Wir stehen auch in Verhandlungen mit den Ländern, die zwangsläufig sind, weil am 1. Januar 1972 ein anderer Anteil von Bund und Ländern an der Mehrwertsteuer vereinbart sein muß. Die Regierung hat mit ihrem Haushaltsvoranschlag und den zusätzlichen 3 % einen erheblichen Schritt nach vorne getan, wenn Sie davon ausgehen, daß 1 % 450 Millionen DM ausmacht. Wenn Sie der Meinung sind, man könne den Wunsch auf Gewährung eines Anteils von 40 % - das ist ein Mehr von rund 41/2 Milliarden DM - erfüllen, müssen Sie uns auch sagen, woher wir dieses Geld nehmen sollen, d. h. an welchen anderen Stellen des Haushalts entsprechende Einsparungen erfolgen müssen,
({21})
oder ob Sie diese Finanzierung vielleicht über andere Steuerquellen sichern wollen.
({22})
Wesentlich ist doch, daß niemand in diesem Hohen Hause über die Anteile etwa in der Absicht streitet, den Ländern nicht das zu geben, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Der entscheidende Punkt ist allein, daß wir nicht über mehr Steuern verfügen, auch nicht durch die Steuererhöhungen, zu denen es auf verschiedenen Gebieten der Verbrauchsteuern kommt - darauf hat Herr Kollege Schiller gestern hingewiesen -; wir wollen die im nächsten Jahr eintretenden Steuerverbesserungen in großem Umfang den Ländern und Gemeinden zur Verfügung stellen.
Die nun vorliegende Finanzplanung zeigt deutlich, daß die Inangriffnahme notwendiger Zukunftsaufgaben an einer an Stabilität orientierten Finanzpolitik nicht scheitert. Stabilität und Reform sind und bleiben für diese Regierung eng miteinander verknüpft. Hier gibt es kein Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohl-Als-auch.
Herr Abgeordneter Möller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Althammer?
Bitte!
Herr Kollege Möller, wenn der Haushaltsentwurf dieser Regierung für das Jahr 1972, die Steuerreform und die mittelfristige Finanzplanung so befriedigend und großartig sind, wie es soeben von Ihnen dargestellt worden ist, warum sind Sie dann überhaupt zurückgetreten?
({0})
Das hat Ihnen Herr Kollege Schiller gestern, wie ich meine,
überzeugend dargestellt. Ich kann es gar nicht so gut wiederholen, wie es Herr Kollege Schiller in einigen prägnanten Sätzen klar und offen zum Ausdruck gebracht hat.
({0})
Die Konsequenzen sehen Sie in diesem Etat, in diesem Haushaltsentwurf, in dieser Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung.
({1})
Ich würde aber nicht von „großartig" sprechen. Es ist der Versuch gemacht worden, einen Haushalt und eine Fortschreibung der Finanzplanung vorzulegen, bei denen unter den gegebenen Umständen die Stabilität in die erste Prioritätsstufe erhoben wird, gleichzeitig aber die notwendigen Reformen, die sich durchführen lassen, in keiner Weise zu vernachlässigen. Herr Kollege Althammer, ich hätte gewünscht, daß auch Sie sich von denselben Überlegungen und Erkenntnissen, wie sie durch den Haushaltsentwurf und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung von seiten der Bundesregierung und von seiten der Koalitionsfraktionen manifestiert werden, bei Ihrem Verhalten in diesem Hohen Hause hätten leiten lassen.
({2})
Dann hätten wir nämlich gar nicht die Debatten über das Vorziehen der Renten gehabt. Dann wäre am 14. Oktober auch nicht eine Information herausgegangen, die schlicht und einfach lautet:
Vom Innenausschuß wurde heute ein Antrag der CDU/CSU, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, bis zum 31. 12. 1971, spätestens bis zum 31.3. 1972 eine Abschlußnovelle zum 131er-Gesetz vorzulegen, abgelehnt. Die Koalitionsfraktionen vertreten die Ansicht, daß eine Abschlußnovelle erst dann vorgelegt werden kann, wenn der Finanzrahmen abgesteckt und die Finanzierung gesichert ist.
Diese Erkenntnisse haben Sie noch nicht. Sie sollten sie aber in Ihren politischen Handlungen endlich einmal berücksichtigen.
({3})
Meine Damen und Herren, der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kollege Strauß, hat die beabsichtigten Steuererhöhungen in seinem Blatt, dem „Bayernkurier", heftig angegriffen, unter anderem mit dem Hinweis auf den angeblich dubiosen Begriff des unabweisbaren Staatsbedarfs, der nach seiner Ansicht bei dieser Erhöhung Pate gestanden haben soll. Ich darf einmal zitieren. In diesem Artikel „Ich sage nein" sagt Herr Strauß: „Ich warne hier auch vor diesem dubiosen Begriff des unabweisbaren Staatsbedarfs." Der unabweisbare Staatsbedarf, meine Damen und Herren, ist ein entscheidendes Problem dieser Tage sowie der zukünftigen Entwicklung
({4})
und der Entscheidung des Verhältnisses zwischen
privatem Verbrauch und Staatsausgaben. Man sollte
das jetzt nicht herunterspielen. Und was meint kommentierend Herr Kollege Strauß? Er sagt: „Den dubiosen Begriff des unabweisbaren Staatsbedarfs kann man immer beliebig auslegen. Da wird die Brücke gebaut" - jetzt kommt sein Beispiel -, „für die man erst noch den Fluß finanzieren muß, um dies etwas zu kurios zu sagen." Ich würde mich mit der Kennzeichnung „kurios" nicht gern abfinden und muß sagen: Es ist eine sehr gefährliche Argumentation,
({5})
wenn man in dieser Weise Versuche, die Finanzierung des notwendigen Staatsbedarfs sicherzustellen, blockiert.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf eine Äußerung von Herrn Strauß aus der Zeit verweisen, in der er selbst noch für die Bundesfinanzen verantwortlich war. In der Bundespressekonferenz anläßlich der Vorlage der mehrjährigen Finanzplanung erklärte Herr Kollege Strauß am 5. September 1968 - ich darf zitieren -:
Ich habe gesagt, daß bis zum Ende dieser Legislaturperiode Ruhe an der Steuerfront herrscht, ferner daß wir auch darüber hinaus nach unserer Planung die Absicht haben, die Steuerlastquote nicht zu erhöhen. Das heißt aber nicht unbedingt, sie zu senken, und heißt bei Fortsetzung des geltenden Rechts ein Absinken der Steuerlastquote, das wir aus Gründen des finanzwirtschaftlichen Ausgleichs ebenfalls nicht verkraften.
Befragt, wie hoch denn die Steuerlastquote zum damaligen Zeitpunkt war, antwortete Bundesfinanzminister Strauß: 24,2 bis 24,3 % vom Sozialprodukt. Ich meine, diese Aussage muß man kennen.
Ich muß hinzufügen, daß durch das Absinken der volkswirtschaftlichen Steuerquote von 24,1% im Jahre 1969 auf 22,6 % im Jahre 1970 eine Steuermindereinnahme für die öffentliche Hand von rund 10 Milliarden DM entstanden ist; in diesem einen Jahr nur durch das Absinken der Steuerlastquote ein Verlust an Steuereinnahmen von 10 Milliarden DM! Jeder wird sich nun doch unwillkürlich die Frage stellen: Was hätten wir mit diesen 10 Milliarden DM zusätzlich an vorhandenem Staatsbedarf finanzieren können, wenn es möglich gewesen wäre, wenigstens die Steuerlastquote in der bisherigen Höhe zu halten!
({6})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten auf diesem Gebiet nicht mehr mit falscher Münze spielen. Außerdem kann man nicht den Bürgern gegenüber ständig von mehr Stabilität reden und dann z. B. die Erhebung eines vorübergehenden, rückzahlbaren Konjunkturzuschlags als Steuererhöhung bezeichnen.
({7})
Eines müßten Sie wenigstens im nachhinein erkennen: daß Ihnen die Mehrheit der Bevölkerung diese Behauptung nicht mehr abnimmt.
Tatsache ist, daß diese Koalition die Zusage des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung, die
volkswirtschaftliche Steuerquote werde in dieser Legislaturperiode nicht über den Stand von 1969 hinaus erhöht, nicht nur eingehalten hat, sondern daß die steuerliche Belastung unseres Sozialprodukts heute niedriger ist als 1969. Sie wird auch nach den maßvollen Verbrauchsteuererhöhungen, die wir für 1972 ins Auge fassen müssen, bis zum Ende der Legislaturperiode niedriger bleiben. Deswegen hat es gar keinen Zweck, einen solchen Tatbestand, wie das heute vormittag Herr Kollege Strauß wieder getan hat, mit dem Hinweis überspielen zu wollen, das gehöre alles zusammen; das, was wir im Jahre 1972 an maßvollen Verbrauchsteuererhöhungen durchführen möchten, gehöre zusammen mit der Steuerreform, mit der Vermögensbildung und mit anderen von ihm dargestellten Problemen. Das sind Vorgänge, die man getrennt behandeln und getrennt bewerten muß.
Wir brauchen diese maßvollen Verbrauchsteuererhöhungen aus den Gründen, die Ihnen der Bundeswirtschafts- und -finanzminister gestern in seiner Rede dargestellt hat. Wir brauchen sie auch, um wenigstens in diesem bescheidenen Umfang den Wünschen der Länder und der Gemeinden entgegenzukommen.
({8})
Dieser Vorgang hat gar nichts mit der Steuerreform zu tun, und das hat noch weniger zu tun mit einer Beteiligung der Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivvermögens. Können Sie mir aus der Vergangenheit irgendeine Sitzung dieses Hohen Hauses sagen, in der wir Sozialdemokraten Steuererhöhungen etwa mit dem Burbacher-Plan in einem Atemzug genannt hätten? Wir haben das sehr sauber auseinandergehalten.
({9})
Steuerreform und Beteiligung der Arbeitnehmer an der Zunahme des Produktivvermögens sind zwei verschiedene Stiefel. Das heißt: Wenn wir gar keine Steuerreform machen müßten, es bliebe doch die Aufgabe zu lösen, die Arbeitnehmer am Zuwachs des Produktivvermögens zu beteiligen.
({10})
Das sollte von niemandem bestritten werden.
Und regen Sie sich nicht jetzt schon über Eckwerte auf, die die Bundesregierung am 28. und 29. Oktober endgültig beschließen will! Wenn Sie meinen, daß unser Koalitionspartner, die FDP, etwa durch Klagelieder von Ihnen auf die Idee gekommen sei, einige Punkte dieser Eckwerte zu überprüfen und neu über sie zu sprechen, so unterschätzen Sie die Zusammenarbeit in dieser Koalition, so gehen Sie davon aus, daß die Zusammenarbeit in der sozialliberalen Koalition ähnlich sei wie früher die Zusammenarbeit in von Ihnen geführten Koalitionen.
({11})
Da kam man - wenn ich von unseren Erfahrungen
sprechen darf - bei schwierigen Problemen doch
am Schluß so weit, daß man sagte: wir müssen das ausklammern und kommen nach den Wahlen auf den Vorgang zurück. In dieser sozialliberalen Koalition besteht nicht das Bedürfnis, etwas auszuklammern,
({12})
sondern besteht das Bedürfnis, sich über eine vernünftige Linie zu verständigen.
({13})
Meine Damen und Herren von der Opposition, warten Sie doch ab, was die Bundesregierung beschließt, und kritisieren Sie, wenn die neuen Beschlüsse vorliegen! Aber kritisieren Sie dann vielleicht auf der Basis Ihrer eigenen Vorstellungen und Ihres eigenen Steuerreformprogramms,
({14})
das wir dann wenigstens bei dieser Gelegenheit endlich einmal kennenlernen möchten!
({15})
Wir haben in diesem Hohen Hause schon oft erklären müssen, daß die Opposition eine Alternative zur Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung nicht besitzt. Dieses Urteil wird sich in dieser Debatte leider kaum ändern. Mein Kollege Seidel wird auf den Haushalt selbst im einzelnen eingehen; Kollege Klaus-Dieter Arndt wird sich mit Konjunktur und Währung beschäftigen. Sie sehen, Herr Kollege Strauß, auch wir haben eine Arbeitsteilung vorgenommen, ohne daß es einer Beratung durch Sie bedurft hätte. Lassen Sie sich außerdem sagen: Wir werden nicht bei Ihnen anfragen, wie wir die Tagesordnung unserer Parteitage gestalten, sondern das beschließen die Gremien, die nach unserem Statut dazu berufen sind.
({16})
Diese Tagesordnung wird sich immer aus Sachzwängen ergeben,
({17})
aus Notwendigkeiten der politischen Entwicklung.
({18})
- Sie können das vielleicht fertigbringen, aber in einer Sozialdemokratischen Partei ist es unmöglich, im November einen außerordentlichen Parteitag stattfinden zu lassen, ohne daß wir uns mit der Konjunktur- und der internationalen Währungslage beschäftigen.
({19})
Herr Kollege Strauß, Sie haben das auf Ihrem Parteitag in München ja auch getan.
({20})
- Haben Sie das nicht gelesen: Herr Kollege Eppler.
({21})
- Wir können Sie leider nicht einladen, auf dem Parteitag Ihren Beitrag zu leisten, weil wir Ihr Steuerprogramm noch nicht kennen. Ich weiß nur, daß Sie sich in einem Rundfunkinterview einmal zu meinen Steuervorstellungen geäußert haben und erklärten, Sie stimmten weitgehend mit meinen Vorstellungen überein.
({22})
- Ja, ich habe mich sehr darüber gewundert. Es ist natürlich nach meiner Amtstätigkeit geschehen; da sind Sie in der Beurteilung etwas wohlwollender geworden, als ich das in der Zeit meiner Amtsführung hier erlebt habe. Aber wenn Sie meine Eckwerte, die ich am 31. März dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt habe, mit den Eckwerten des Herrn Kollegen Schiller vergleichen, dann möchte ich wegen Ihrer Grundeinstellung, die wir ja kennen, nicht gerade sagen, daß Sie in der Lage wären, dem einen oder anderen Vorschlag Ihre Zustimmung zu geben; denn Sie gehen bei der Steuerreform von ganz anderen Voraussetzungen aus als wir. Das haben Sie heute in Ihren Darstellungen klar und eindeutig erkennen lassen.
Herr Abgeordneter Möller, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß die von Ihnen angemeldete Redezeit abläuft.
Meine Damen und Herren, ich darf am Schluß noch einmal auf den Artikel des Herrn Kollegen Strauß „Ich sage nein" in seinem „Bayernkurier" zurückkommen. In diesem bemerkenswerten Artikel - bemerkenswert wegen der fast unglaublichen Fehleinschätzung der Situation, die er erkennen läßt, wie es auch heute vormittag der Fall war - propagiert Herr Kollege Strauß, nachdem er zuvor noch einigen unbotmäßigen Parteifreunden auf die Finger klopfte, ein klares Kontrastprogramm. Ob es sich um Außenpolitik im weiteren Sinn, um Europapolitik im engeren Sinn, ob es sich um Deutschland- oder Ostpolitik handelt, ob um Wirtschafts- oder Finanzpolitik, schließlich um Reformpolitik ganz allgemein, - Herr Strauß sagt nein. Er fordert statt dessen - ich
zitiere -:
Wir haben keine Aussicht, jemals wieder in die Regierung zurückzukehren, wenn wir uns nicht zu einem ganz klaren Kontrastprogramm in der Wertordnung, in der Sachaussage und in ihrer Vertretung durchringen.
Auch nur in Teilbereichen mit der Bundesregierung übereinzustimmen, selbst wenn es sachlich möglich wäre, wird also abgelehnt. Ich muß gestehen: ich bin ziemlich sicher, daß Herr Strauß mit dieser Politik keine Aussicht hat, jemals in die Bundesregierung zurückzukehren.
({0})
lch erinnere daran, was Herr Leicht, der jetzige Vorsitzende des Haushaltsausschusses, am 9. Dezember 1965 an die Adresse der damaligen Opposition, der SPD, sagte:
Die Verantwortung tragen nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die Opposition. Verantwortung der Opposition heißt aber nicht nur kritisieren, heißt nicht nur nein sagen, sondern heißt mitgestalten. Wir warten auf diese Mitgestaltung.
({1})
Auch wir warten auf diese Mitgestaltung.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wie fundiert dieses geforderte Kontrastprogramm vor allem von der Sachaussage her ist, läßt sich an einem willkürlich herausgegriffenen, besonders drastischen Beispiel schlagartig deutlich machen. Am Sonntag hat der CDU-Vorsitzende Dr. Barzel auf dem CSU-Parteitag in München behauptet, es drohe die Gefahr, daß wir im Inneren sozialistisch und nach außen abhängig von der Sowjetunion würden.
({3})
Am gleichen Sonntag erhielt Gräfin Dönhoff in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In ihrer Dankesrede äußerte sie die Hoffnung, daß das Ende einer sterilen Epoche zwischen Ost und West eingetreten und der Anfang eines neuen Kapitels erkennbar sei, welches man mit „Friedensumrissen" bezeichnen könne, eine Phase, in der man behutsam ein Problem nach dem anderen untersuchen, gemeinsame Interessen herausschälen, Konflikte entschärfen müsse. Abschließend sagte sie wörtlich:
Es wird keine heroische Epoche sein, sondern eine Periode mühsamer Kleinarbeit - aber es lohnt sich, dabei mitzumachen.
({4})
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden dieses abgewogene Urteil der Friedenspreisträgerin schon deshalb nicht teilen, weil Sie jeden Journalisten, der anderer Auffassung ist als Sie selbst, als Bewunderungspublizisten abqualifiziert haben.
({5})
Wir aber sagen zum Regierungsprogramm dieser Koalition nach wie vor: Es lohnt sich, dabei mitzumachen!
({6})
Ich erteile Herrn Abgeordneten Kirst das Wort. Die Fraktion der FDP hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ich unmittelbar nach dem Kollegen Möller spreche, möchte ich vorab sofort eines tun, was ich sehr gerne tue und was ich am 13. Mai auch schon getan habe, nämlich mich noch
einmal für mich und meine Fraktion dem Dank anschließen, den Herr Minister Schiller gestern Herrn Minister Möller für seine Tätigkeit hier noch einmal ausgesprochen hat.
({0})
Wenn man bedenkt, zu welchem Termin wir diesen Haushalt 1972 und die fortgeschriebene Finanzplanung beraten, dann sind dazu sicher zwei Bemerkungen geboten. Zunächst die eine, daß es sich als absolut richtig erwiesen hat, diese Verzögerung von wenigen Wochen in Kauf zu nehmen und die Entscheidung der Regierung über die Vorlage am 8./9. September und nicht zu einem früheren Zeitpunkt zu treffen. Ich würde sagen, das war ein pragmatisches Verhalten richtiger Gelassenheit dieser Regierung.
({1})
Dieser Termin - das ist sowohl vom Kollegen Strauß als auch vom Kollegen Möller erwähnt worden - fällt genau - dies ist natürlich Zufall - mit dem Ende des zweiten Amtsjahres der sozial-liberalen Regierung zusammen, die morgen zwei Jahre im Amt ist. Das ist, glaube ich, für die Regierung und die sie tragenden Parteien Anlaß für einen zufriedenen Rückblick und für die Opposition eine Bilanz der enttäuschten Hoffnungen.
({2})
Die berechtigten Sorgen um einige Aspekte der Lage - ich betone: einige Aspekte der Lage -, auf die Herr Minister Schiller hier gestern hingewiesen hat, trüben weder uns noch der Öffentlichkeit - und Sie können soviel Nebel produzieren, wie Sie wollen den Blick für die Leistungen von Regierung und Koalition in diesen zwei Jahren.
({3})
- Das ist nicht die Leistung und nicht die Verantwortung - ({4})
- Ach, Herr Leicht, machen Sie es doch nicht so primitiv. Das ist eben das Schwierige, daß man mit Ihnen über diese Dinge nicht debattieren kann, weil Sie nicht bereit sind, einige Grundtatsachen für eine vernünftige Debatte anzuerkennen.
({5})
Ich komme darauf noch zurück, Sie können sich darauf verlassen. Einige Grundvoraussetzungen müßten erfüllt werden, damit man mit Ihnen auf einer gemeinsamen Basis über diese Dinge sprechen kann, wenn Sie wirklich nicht die große Konfrontation wollen. Denn diese Behauptung, die eben mit Ihrem Zwischenruf deutlich wurde, ist ein Teil Ihrer bewußten, planmäßig angelegten großen Konfrontation, der Versuch, der Regierung Dinge in die Schuhe zu schieben, die sie nicht zu verantworten hat.
({6})
Nun hat Herr Kollege Strauß in der gestrigen Rede des Kollegen Schiller eine Halbzeitbilanz vermißt. Es ist ja etwas eigenartig mit dieser Opposition. Die Vertreter der Koalitionsparteien im Altestenrat haben den Vorschlag gemacht, die Große Anfrage zum Regierungsprogramm und die Antwort der Regierung hier mit zu behandeln. Die Große Anfrage ist nichts weiter als ein schlechter Aufguß der Anfrage vom März, das wollen wir zunächst einmal feststellen.
({7})
Aber sei es, wie es sei. Wir können Sie nicht daran hindern, durch dauerndes Produzieren von Fragen die Regierungstätigkeit zu blockieren. Wir werden vielleicht bald mal fragen, in welchem Ausmaß Kräfte immer dafür beansprucht werden, Ihre Fragen zu beantworten, die zum Teil gar keine Fragen sind, weil Sie selber wissen, was Sie fragen.
({8})
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen entgangen, daß der Wirtschafts- und Finanzminister Schiller noch im Mai oder April, ich glaube, auch auf der Hannover-Messe von einer „hausgemachten Inflation" gesprochen hat? Wie kommen Sie dazu, uns das in die Schuhe zu schieben?
Herr Kollege, begreifen Sie doch endlich mal - ich habe es dutzendmal gesagt, vielleicht begreifen Sie es jetzt - ({0})
- Herr Kollege Leicht, ich hätte es später noch gesagt, dann sage ich es also gleich. Es ist Ihr Fehler oder Ihre Methode, daß Sie „hausgemacht" gleich „regierungsgemacht" setzen. Darum geht es doch.
({1})
- Fragen Sie doch nicht so einfältig! In was für einem Wirtschaftssystem leben wir denn? Wer bestimmt denn bei uns über Preise und Löhne? Doch nicht die Regierung.
({2})
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Franke?
Ja, meine Redezeit ist reichlich bemessen. Ich hatte erwartet, auf mehr Argumente von Herrn Strauß eingehen zu müssen, als er gebracht hat.
({0})
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß der Herr Bundeswirtschafts- und Finanzminister die Ausgabensteigerung z. B. im August von 16,7 % und für das erste halbe Jahr von 16,2 % außerordentlich beklagt hat? Ich füge hinzu: eigentlich hätte er auch sagen müssen, daß das eines der Motive für die hausgemachte Inflation ist.
Es ist natürlich völlig falsch, was Sie da sagen. Die Zahlen kenne ich auch.
({0})
Um die Dinge abzukürzen: Herr Kollege, ich darf Sie bitten, lesen Sie mal die grundsätzlichen Ausführungen nach, die ich hier am 19. Februar 1970 über die Grenzen antizyklischer Haushaltspolitik gemacht habe.
({1})
Ich will das alles jetzt hier nicht wiederholen. Das sollten Sie mal lesen.
({2})
Diese Ausgabensteigerung ist sicherlich nicht besonders erfreulich. Aber, Herr Leicht und Herr Seidel und Herr Althammer, wir kennen alle die Zahlen; wir kennen auch die Gründe dafür. Ich habe die Unterlagen auf meinem Platz liegen und kann sie notfalls heranziehen. Wir haben das auch im vergangenen Jahr gehabt. Ich räume ein, im vergangenen Jahr ist der Umbruch in der monatlichen Ausgabensteigerung etwas früher gekommen, ich glaube, schon im August. Aber im September - die Zahlen sind gerade heute gekommen - ist schon wieder ein gewisser Rückgang festzustellen. Trotz der hohen Steigerung in den ersten Monaten von 1970 haben wir ja für 1970 mit einem Gesamtergebnis von 7 bis 8 % abgeschlossen. Warten wir mal das Ist des ganzen Jahres 1971 ab!
Nun darf ich zu dem zurückkehren, was ich sagen wollte. Herr Kollege Strauß hat vermißt, daß der Kollege Schiller in seiner gestrigen Rede eine Halbzeitbilanz dieser Regierung vorgelegt hat. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir natürlich auch etwas in Arbeitsteilung machen. Ich kann den Kollegen Strauß trösten: ich will kein Prophet sein, aber er wird eine Halbzeitbilanz aus dem Munde eines Koalitionssprechers noch im Laufe des Tages zu hören bekommen. Diese Versicherung kann ich ihm, wenn es ihn tröstet, geben.
Aber, lieber Kollege Strauß - hätte ich beinahe gesagt -,
({3})
wir kennen Sie ja so gut, daß ich genau zu prophezeien wage, was Sie hier gesagt hätten - denn die Klischees sind so einfach, daß man sie sich selber auch ausdenken kann -, wenn der Kollege Schiller so verfahren wäre. Wenn der Kollege Schiller gestern hier 30 oder 40 Minuten - wenn das gereicht hätte - eine umfassende Halbzeitbilanz gezogen hätte, dann wäre hier heute der Kollege Strauß gekommen und hätte gesagt: Er sonnt sich im Glanze der Erfolge - die er nur behauptet - und weicht den aktuellen Fragen aus. So hätten Sie, Herr Kollege Strauß, heute morgen argumentiert.
({4})
Meine Damen und Herren, die Leistungen dieser Koalition, die vollendeten ebenso wie die begonnenen - wir sind uns darüber im klaren, daß vieles erst noch in verschiedenen Phasen der Verwirklichung begriffen sein kann -, sind gewiß nicht nur - das ist entscheidend - in Mark und Pfennig zu fassen. Ich stimme hier voll mit dem überein, was der Kollege Möller in diesem Zusammenhang gesagt hat. Gerade bei einer Haushaltsberatung, wo es ja vordergründig um Mark und Pfennig geht, ist es richtig, noch einmal das zu wiederholen, was ich, wie ich mir einbilde, als einer der ersten gesagt habe, nämlich das eben nicht jede Reform Geld kostet und daß nicht alles, was Geld kostet, Reform ist. Diese Feststellung sei einmal in dieser kurzen Form wiederholt. Wir haben häufig darüber gesprochen, und zwar auch im Zusammenhang mit der schon erwähnten Anfrage vom Frühjahr. Es wird sicherlich in der nächsten Zeit eine Fortsetzung dieser Debatte geben, wenn wir über die Große Anfrage der CDU/CSU debattieren. Es wäre ein Stück auch parlamentarischer Rationalisierung gewesen, wenn wir diese Große Anfrage heute gleich hätten mit erledigen können. Ich stelle fest: die Opposition wollte es nicht.
({5})
Ich verzichte darauf, hier selbst einen Katalog der Leistungen dieser Regierung aufzuführen, und will nur einige generelle Feststellungen treffen.
Erstens. Die Leistungsbilanz dieser Regierung kann sich, verglichen mit jeder anderen Regierung zur Halbzeit einer Legislaturperiode, durchaus sehen lassen.
({6})
- Herr Haase, Ihre Zwischenrufe waren schon immer von besonderer Qualität.
({7})
In jedem Fall waren diese Leistungen der Koalition und der Regierung das Ergebnis einer fairen partnerschaftlichen Übereinstimmung innerhalb der Regierung und der Koalition. Darüber hinaus gab es erstmals in einer Legislaturperiode bis heute keine wechselnden Mehrheiten. Das wird so bleiben; darauf können Sie sich verlassen.
({8})
Nun konnten sich die Regierung und die Koalition die Aufgaben nicht nur aussuchen. Wir konnten nicht nur sagen: das gefällt uns, das machen wir, weil wir es gerne wollen und weil wir meinen, es gefällt vielleicht auch der Bevölkerung, sondern wir
müssen natürlich wie jede andere Regierung auf der Welt mit den Entwicklungen fertigwerden, die auf uns zukommen oder die wir vorgefunden haben. Z. B. konnte sich unsere Regierung die konjunkturpolitische Landschaft, in die sie, wenn ich einmal so sagen darf, hineingeboren wurde, nicht aussuchen. Im übrigen will ich hier der wirtschaftspolitischen Runde, die sich noch anschließen wird, nicht vorgreifen.
Aber lassen Sie mich noch eine Bemerkung dazu machen. Der Kollege Strauß hat heute - es konnte nicht anders sein - viele alte Bekannte vorgeführt, u. a. auch die Aufwertung von 1969. Er hat sehr unterschiedlich argumentiert. Wenn man das un-korrigierte Stenogramm seiner Ausführungen noch einmal nachliest, müßte man ihn eigentlich fragen: Hält er nun die Aufwertung für falsch - das hat er in einer späteren Phase seiner Rede gesagt -, oder hält er sie nur für nicht ausreichend? Die letztere Frage ergibt sich aus dem netten Beispiel mit dem Anzug und dem Regenschirm.
({9})
- Nein, das war nicht beim Floaten, sondern das war bei der Aufwertung.
({10})
Dieser Widerspruch könnte vielleicht einmal aufgeklärt werden.
Zweitens. Wir haben diese zwei Jahre gegen den härtesten Widerstand der Opposition, und zwar sowohl in diesem Hause als auch draußen im Lande, zu bestehen gehabt. Wer z. B. den Münchener Parteitag vom vergangenen Wochenende aufmerksam verfolgt hat, der fand das dort ganz eindeutig bestätigt, was sich schon lange als Eindruck verfestigt hat. Kollege Strauß hat ja hier auch über andere Parteien gesprochen, und insofern wird man das nicht übelnehmen. Es war der Eindruck, daß diese Opposition der CSU/CDU - CSU/CDU! -, wie sie sich heute darstellt,
({11})
gegen jede Regierung sein würde, wer immer sie bildete - der Phantasie sind da gar keine Grenzen gesetzt - und was immer sie täte, sofern und soweit die CDU sie nicht selbst führt und trägt. Das ist das Ergebnis unserer Analyse von zwei Jahren CDU/CSU-Politik.
({12})
Eine Analyse der Reden der beiden Vorsitzenden dieses Parteienkonzerns
({13})
würde wohl deutlich machen: es geht hier nur um die Macht und sonst nichts, und dazu ist uns jedes Mittel recht. Mit dieser Opposition haben wir uns auseinanderzusetzen gehabt.
({14})
Diese Regierung wird dabei trotz aller Verbalinjurien, die z. B. in München gefallen sind - ich zitiere nur: Linksregierung, Inflationsregierung -,
({15})
und trotz aller Versuche der Opposition und anderer bleiben, was sie war und was sie ist: eine sozialliberale Regierung des Fortschritts nach innen und der Friedenspolitik nach außen.
({16})
Lassen Sie mich nun nach diesen allgemeinen Bemerkungen etwas zu den konkreten Fragen des Haushalts 1972 sagen. Ich bitte den Kollegen Leicht dabei im vorhinein um Verzeihung, daß ich vielleicht auf manches eingehe, was er erst anklagend vortragen wird, aber er hat das ja schon vor einigen Wochen im Deutschland-Union-Dienst zu Papier gegeben. Ich nehme an, das hier alles wiederkommen wird. Im übrigen sind wir natürlich nicht für die Regie bei der Opposition verantwortlich.
({17})
Wenn der große Sprecher vorausmarschieren und der Haushaltssprecher warten muß, haben wir das nicht zu verantworten.
({18})
Lassen Sie mich mit einer Ergänzung zur Rede beginnen, die der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen gestern hier gehalten hat. Der Bundesminister hat mit Zustimmung dieses Hauses, jedenfalls der Koalition, seinen Kabinettskollegen für die Einsicht und das Verständnis gedankt, das sie bei der Beratung über diesen Haushaltsplan bewiesen haben. Ich meine, daß dieses Wort einer Ergänzung bedarf, nämlich der Ergänzung um den Dank an den Bundesminister der Finanzen für diese Leistung.
({19})
- Dem amtierenden selbstverständlich; dem anderen habe ich den Dank vorhin ausgesprochen, wenn Sie aufmerksam zugehört hätten.
({20})
Der Minister wird es nicht als Einschränkung dieses Dankes empfinden, wenn ich in diesen Dank den Parlamentarischen Staatssekretär der Sektion Finanzen einbeziehe.
({21})
Beiden ist es gelungen, mit der Einsicht und dem Verständnis ihrer Kollegen manches, was in den vergangenen Monaten auch zum Teil propagandistisch aufgebaut worden ist, in ein Nichts aufzulösen. Ich würde sagen, man kann diese Beratungen bezeichnen als eine besonders gut gelungene Aufführung des Stücks - das ist natürlich aus ihrer
Funktion heraus - „Der Widerspenstigen Zähmung".
({22})
Meine Damen und Herren, nun hat Herr Leicht vorgeworfen - wie gesagt, ich beziehe mich dabei auf das, was er publiziert hat -, dieser Ausgleich oder auch die Zuwachsrate sei mit drei sogenannten Tricks - ich glaube, es waren mindestens drei - herbeigeführt worden. Da steht am Anfang die beliebte Auseinandersetzung, das beliebte Spiel um die Zuwachsraten, wobei die Opposition daran Kritik übt - wenn ich sie richtig verstehe -, daß als Basis für die Berechnung der Zuwachsraten das durch die EWG-Dinge bereinigte Soll 1971 zählt. Die Opposition möchte das Ist. Ich frage Sie nur: Wann sollen wir dann eigentlich den Haushalt bekommen? Das Ist als Basis steht doch erst - das wissen Sie auch - am 31. Dezember 1971 fest. Und es ist überhaupt vernünftigerweise nur möglich, hier einen Soll-Soll-Vergleich durchzuführen, zumal - was hinzukommt - diese Einsparung, an die Sie denken, übertragbare Ausgaben sind, die zu Ausgaberesten führen werden, also im Soll des Jahres 1971 bleiben. Um es kurz zu sagen: der erste Trick ist also kein Trick, sondern eine selbstverständliche, eine korrekte Methode.
({23})
Das Zweite, meine Damen und Herren, ist der Vorwurf der Veranschlagung einer globalen Minderausgabe, sicherlich eine altbekannte Methode, noch etwas älter als der CDU-Vorschlag aus dem Jahre 1970, den wir damals mit damals richtigen Gründen abgelehnt haben. Denn wenn Sie sich einmal die Geschichte der Haushalte ansehen, werden Sie feststellen - weil Sie immer so gern von Geldentwertung sprechen, müssen Sie die Zahlenvorstellungen um so mehr nach oben prolongieren, je weiter die Zahlen zurückliegen -, daß wir globale Minderausgaben wie folgt hatten: 1959 2,5 Milliarden DM, 1960 1,22 Milliarden DM, 1963 1,25 Milliarden DM, 1964 2,25 Milliarden DM, 1965 1,5 Milliarden DM, 1966 1,06 Milliarden DM, 1968 310 Millionen DM. Es ist also eine - ob gute oder schlechte - Gewohnheit gewesen und geworden, diese globalen Minderausgaben einzusetzen. Und es ist ja auch während der Beratungen über die Haushaltsreform entschieden worden - Bund und Länder waren sich einig -, daß schon zur Erhaltung der notwendigen Flexibilität darauf nicht verzichtet werden kann. Denn nur so ist es möglich, den durch konjunkturelle Schwankungen und andere unvorhergesehene Entwicklungen bedingten Schwierigkeiten bei der Aufstellung der öffentlichen Haushalte ausreichend Rechnung zu tragen. Die globale Minderausgabe ist in den Gruppierungsplan eingeführt worden.
Ich gebe Ihnen zu, daß man natürlich sagen kann, sie ist nicht so gut wie eine echte Kürzung. Deshalb meine ich - und ich hoffe, daß wir uns da alle einig
sind -, daß wir es durchaus als Zielvorstellung
unserem Haushaltsausschuß vornehmen sollten - ({24})
- Der Zwischenruf war ganz gut! - Wir jedenfalls werden davon ausgehen, daß es eine Zielvorstellung für den Haushaltsausschuß ist, diese globalen Minderausgaben in einem möglichst hohen Maße bereits zu konkretisieren; denn das ist auch im Haushaltsausschuß wegen der größeren Zeitnähe und der größeren Zeitdauer der Beratungen sicher leichter möglich.
({25})
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Teilen Sie vielleicht meine Meinung, Herr Kollege Kirst, daß es in erster Linie Sache der Regierung ist, uns Vorschläge zu unterbreiten, wie man das machen kann, und daß dann die Arbeit des Haushaltsausschusses darin zu bestehen hat, den dann noch vorliegenden Entwurf nach Möglichkeit klarer, wahrer und unter Umständen auch ehrlicher zu gestalten?
Herr Kollege Leicht, sicher sollte das nach Möglichkeit in Zusammenarbeit mit der Regierung geschehen. Es ist völlig klar, daß wir das nicht allein können, daß wir dazu die Zusammenarbeit mit der Regierung brauchen.
Der dritte sogenannte Trick ist die Sache mit den Rentenversicherungen. Auch das ist nun wirklich nichts Neues. Es wurde in den Jahren 1964 bis 1967 so verfahren. Aber im Unterschied zu früher spricht etwas Neues für das Verfahren in diesem Jahr, nämlich daß diese Stundung des Zuschusses an die Bundesversicherungsanstalt im Einvernehmen mit der Bundesversicherungsanstalt erfolgt. Es gibt interessante Aufstellungen - ich will das hier wegen der Kürze der Zeit nicht im einzelnen vortragen -, wann das immer geschehen ist und in wie vielen Fällen damals von wem - meistens von der Bundesversicherungsanstalt, gelegentlich auch vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger oder von beiden oder vom Sozialbeirat - gegen dieses Verfahren Einsprüche erhoben worden sind. In diesem Jahr handelt es sich hier um eine absolut einvernehmliche Lösung.
Meine Damen und Herren, ich meine also, die Behauptung von den Tricks, die der Finanzminister angeblich angewandt hat, ist in Wirklichkeit ein Trick der Opposition, um von fehlenden eigenen Alternativen abzulenken.
({0})
Im übrigen sollten wir doch nicht, wie das Kaninchen auf die Schlange, so gebannt auf diese Steigerungsraten-Akrobatik und -Mathematik starren; denn das Entscheidende dabei ist natürlich nicht, was man dabei mehr oder weniger zufällig ausrechKirst
net, sondern das Entscheidende ist, was dahintersteckt. Überlegen wir uns einmal diese drei Dinge und wie es wäre, wenn man es anders gemacht hätte. Natürlich konnte man es anders machen, man kann anders rechnen, aber das ändert an den zugrunde liegenden Fakten überhaupt nichts. Man kann die Minderausgabe konkretisieren - wir wollen uns ja auch darum bemühen -, und man hätte das mit der Rentenversicherung anders machen können. Aber an dem Effekt, der allein an dieser Steigerungsrate interessant ist, nämlich dem konjunkturpolitischen Effekt, ändert das ja nichts, weil die Fakten dieselben sind. Das muß man dabei sehen. Wenn nun von Ihnen in den vergangenen Jahren ständig gesagt wurde, diese Steigerungsraten hätten aber eine Signalwirkung, dann sollten Sie doch dem eigentlich zustimmen, daß wir diese von Ihnen behauptete Signalwirkung, die ich in diesem Ausmaß nie für gegeben gehalten habe, mindern. Aber man kann es Ihnen sicherlich niemals recht machen.
Das wird sicherlich auch auf die Frage des Eventualhaushalts zutreffen, ebenfalls ein Lieblingskind unserer Auseinandersetzung im Jahre 1971. Auch hier ist es ganz klar, warum wir 1972 einen brauchen und warum wir ihn im Jahre 1971, in einer völlig anderen Situation, entbehren konnten. 1971 wäre es darum gegangen - und das wäre ein reiner Methodenstreit gewesen -, für Ausgaben, für die Geld vorhanden war, die wir aber möglicherweise aus konjunkturpolitischen Gründen nicht vornehmen konnten - das ist dann ja auch geschehen, ohne daß wir dazu das Instrument des Eventualhaushalts brauchten -, einen Eventualhaushalt zu schaffen. Das war aber nicht erforderlich, wie das Ergebnis zeigt. 1972 liegen die Dinge ganz anders. Hier sind im Eventualhaushalt die Dinge enthalten, für die kein Geld vorhanden ist, für die Geld nur vorhanden sein wird, wenn der Eventualhaushalt unter den bekannten Bedingungen aus der Konjunkturausgleichsrücklage finanziert werden kann. Das ist eine völlig andere Ausgangsposition, und deshalb ist eine völlig andere Methodik gerechtfertigt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Inhalt des Haushalts zunächst der Regierung - .dabei sind sicher alle beteiligt gewesen - ein Lob sagen für die absolut restriktive Personalpolitik, die in diesem Haushalt zum Ausdruck kommt. Der Zuwachs von nur 484 Stellen, das sind 0,16 %, ist wirklich bewundernswert. Wir sollten uns hier, meine Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, jenseits aller Fraktionsbildung eigentlich darüber im klaren sein, daß natürlich in den nächsten Wochen und Monaten diejenigen, die im Kabinett damit nicht durchgekommen sind, bei den Berichterstatter-Besprechungen und in den weiteren Beratungsverfahren im Haushaltsausschuß wieder kommen werden. Hier sollten wir eine gemeinsame Front des Haushaltsausschusses unter dem Motto „Landgraf bleibe hart!" aufbauen. Diese Konsequenz sollten wir aus der Meinung der Regierung ziehen. Das Parlament sollte sich in dieser Frage von der Regierung nicht beschämen lassen, und da ist in erster Linie der Haushaltsausschuß angesprochen. Lassen Sie mich wenige Worte zu den Schwerpunkten des Haushalts sagen. Wenn man die Steigerung des Haushalts ansieht,
dann wird man feststellen, daß absolut und relativ drei Einzelpläne im Vordergrund stehen. Es wird von uns Freien Demokraten besonders begrüßt, daß an der Spitze der relativen Steigerung - absolut kann das aus den gegebenen Zahlenverhältnissen jedenfalls heute nicht der Fall sein, vielleicht in einer ferneren Zukunft - der Bildungsetat mit einer Steigerung von 30 % steht. Ich glaube, das ist eine entscheidende Feststellung. Sie wissen auch, daß in der Fortschreibung der Finanzplanung hier noch Zahlen bis zur Verdoppelung gegenüber dem jetzigen Niveau am Ende der Referenzperiode vorzusehen sind.
Wir sind auch der Meinung, daß es gerechtfertigt ist, daß der Einzelplan 12 hier an zweiter Stelle - jedenfalls in der relativen Steigerung - mit rund 25 % steht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch folgendes feststellen, obwohl wir diese Probleme sonst hier heute nicht erörtern wollen. Wer in diesen Haushalt schaut und beim Einzelplan 14 eine Zunahme um 11 % oder 2,4 Milliarden DM findet, wird doch feststellen, daß hier durch die Tat manchem Geschwafel der Opposition und anderer über schwindende Bereitschaft dieses Staates und seiner Regierung zur Verteidigung der Boden entzogen wird.
({1})
Insgesamt haben wir eine überdurchschnittliche Zunahme der Investitionen zur Zuwachsrate des Haushalts von 16,6 auf 19,1 Milliarden DM.
Lassen Sie mich jetzt ein paar Worte zur Einnahmeseite sagen. Niemand wird begeistert den vorgeschlagenen Steuererhöhungen zustimmen, aber es besteht ja ein ganz klarer Kausalzusammenhang, auch wenn er jetzt schon von einigen, nicht nur von der Opposition, abgeleugnet wird. Professor Schiller hat völlig recht, der Haushalt 1972 wäre ohne Steuererhöhungen auszugleichen gewesen. Das ist der Ausgangspunkt, den wir dabei sehen.
In diesem Zusammenhang ist ja auch noch das Verfahren bei der Veranschlagung zur Mineralölsteuer kritisiert worden, aber ich will aus Zeitmangel hier nicht weiter darauf eingehen, sondern nur feststellen, daß wir dieses Verfahren für korrekt und richtig halten.
Es ist völlig klar - daran kann man nicht vorbeireden, wenn man die Zahlen der Finanzplanung sieht -, daß die Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer zugunsten der Länder erfolgt, daß sie durch die Erhöhung des Anteils der Länder an der Mehrwertsteuer erforderlich wird.
Die CDU hat gelegentlich nach ihrer Grundsatzaussage im Düsseldorfer Programm - da war es ja wohl - gesagt, sie sei zu Steuererhöhungen bereit. Sie hat konkret erklärt, sie sei für Steuererhöhungen für klar erkennbare Zwecke. Ich kann nur sagen, sowohl bei der Mineralölsteuer als auch bei der Branntwein- und Tabaksteuer ist der Zweck klar erkennbar: in dem einen Fall sind die 75 % für die Gemeinden und weitere 25 % absolut zweckgebunden für den Fernstraßenbau; in dem anderen geht es um die Abdeckung des Einnahmeausfalls aus den
Mehranteilen der Länder bei der Mehrwertsteuer. Da man klarer als hier einen Zweck für Steuererhöhungen - Geld ist ja im allgemeinen eine vertretbare Sache - nicht bezeichnen, nicht präzisieren kann, müßte die CDU, wenn sie ihre eigenen Aussagen ernst nimmt, diesen Steuererhöhungen zustimmen.
({2})
Nach den insoweit enttäuschenden Äußerungen des Herrn Strauß hoffen wir nur auf entsprechenden, aufklärenden Einfluß der ja in reichlichem Maße vorhandenen CDU-Länder-Ministerpräsidenten.
Wir teilen die Auffassung, die Minister Schiller hier gestern zur Frage der weiteren Verhandlungen über die Anteile von Bund und Ländern dargelegt hat. Es ist leider so - man kann das nicht verheimlichen -: wenn die Länder nicht bereit sind, den vorgeschlagenen Kompromiß zu akzeptieren, bleiben nur die Wege offen, die hier dargelegt worden sind.
Aber in diesem Zusammenhang muß man doch auch einmal sehen, daß nach den Schätzungen die Steuereinnahmen der Länder in den Jahren bis 1975 erheblich stärker steigen werden als die des Bundes. Unter Zugrundelegung einer Verteilung der Umsatzsteuer im Verhältnis von 67 zu 33 wird nach dem derzeitigen Stand der Berechnungen davon ausgegangen, daß die Steuern der Länder um 9,1, die des Bundes aber nur um 6,6 % steigen werden. Das muß meiner Ansicht nach auf seiten der Länder dabei auch berücksichtigt werden.
Ich meine, daß die Länder einsehen müssen- und ich sage das hier, obwohl ja alle drei Fraktionen dieses Hauses Kollegen auch in den Ländern haben, teils in den Regierungen, teils in den Oppositionsfraktionen -, daß derjenige, der die Steuererhöhungen, weil die Gesetze nun einmal so sind, gegegenüber dem Bürger als der Beschließende zu vertreten hat - und das ist dieses Parlament -, dann, wenn er davon nichts hat - was ja nachzuweisen ist -, diesen Zusammenhang - und zwar nicht nur hier in der politischen Auseinandersetzung gegenüber der Opposition, sondern auch gegenüber den Betroffenen - muß darstellen dürfen.
Nun hat der Kollege Strauß in diesem Zusammenhang etwas zur Steuerreform gesagt. Er hat gemeint, man hätte diese Steuererhöhungen mit der Steuerreform verbinden sollen. - Wenn man aber darüber logisch nachdenkt - das muß ja in bezug auf Ausführungen eines Kollegen gestattet sein -,
({3})
dann hieße das doch, daß die Länder auf den neuen Umsatzsteueranteil und die Gemeinden auf ihre Mineralölsteuer noch bis zum 1. Januar 1974 hätten warten müssen.
({4})
Eine andere Logik vermag ich aus diesem Vorschlag nicht herauszulesen.
({5}) Das geht also so nicht.
Nun, ich würde sagen, schon bevor der Kollege Strauß und andere die Eckwerte der Bundesregierung, wie sie in der Nacht zum 11. Juni beschlossen worden sind, überhaupt kannten, waren sich alle Beteiligten darin einig -- das steht ja auch so in den Beschlüssen -, daß es in bezug auf die Festsetzung dieser Eckwerte eine Revisionsinstanz am 28./29. Oktober geben würde. Nicht mehr und nicht weniger geschieht. Das bereiten wir vor,
({6}) und Sie werden das Ergebnis kennenlernen.
Wir würden - Herr Kollege Möller hat ja wohl schon darauf hingewiesen - auch ganz gern die Vorstellungen der CDU/CSU kennen, die, wenn ich mich recht entsinne, zur „geheimen Verschlußsache" erklärt worden sind. Das kann doch wohl nur daran liegen, daß sie letztlich noch gar nicht feststehen. Aber sie können ja auch noch gar nicht feststehen, denn Sie müssen erst unsere endgültigen Beschlüsse kennen, damit Sie mit Ihren Beschlüssen dagegen sein können. Das ist doch das Geheimnis!
({7})
Es ist auch - ich glaube, nicht heute morgen von diesem Pult aus, sondern ich habe das einmal im Rundfunk gehört - gemeint worden, dieser Haushalt und diese Finanzplanung würden den Vorwurf - so wurde es gesagt - der Finanzkrise rechtfertigen. - Nun, ich meine, weder dieser Haushalt noch dieser Finanzplan noch die bisherigen Ausführungen der Opposition - für die das, glaube ich, auch künftig gelten wird - haben diesen Vorwurf gerechtfertigt. Ich meine überhaupt, wir sollten generell diesen etwas leichtfertigen Umgang mit dem Wort Krise - ich gehe jetzt einmal über das derzeit behandelte Thema hinaus - einmal etwas daraufhin überdenken, ob er wirklich so verantwortungsbewußt ist
Bei allen Risiken, über die hier gesprochen worden ist und die auch dargestellt werden, ist dieser Haushalt eine solide Grundlage der Haushaltspolitik für die Zukunft. Aber er ist natürlich, gerade auch im Hinblick auf die Risiken, nicht isoliert zu sehen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Bernerkungen zur Frage des Verhältnisses zur Opposition in diesen Auseinandersetzungen machen. Ich kann mich eigentlich nur fragen, ob der Kollege Strauß, der hier heute die totale Konfrontation nicht abgebaut, aber dementiert hat - das ist ein wesentlicher Unterschied -, denn seine eigenen Reden nicht hört. Denn was hören wir sonst nicht nur hier, sondern auch draußen im Lande, und worauf läuft das wirklich hinaus? Ich darf wie der Kollege Möller vielleicht den „Bayernkurier" zitieren, und zwar dieselbe Stelle, die Herr Möller genannt hatte. Nur darf ich, weil nämlich dadurch das, was dahintersteckt, noch etwas deutlicher wird, mit Genehmigung des Präsidenten noch einen Satz mehr wiedergeben. Kollege Möller hatte aus dem Artikel mit der Überschrift „Ich sage nein" bereits folgenden Satz zitiert:
Wir haben keine Aussicht, jemals wieder in
die Regierung zurückzukehren, wenn wir uns
nicht zu einem ganz klaren Kontrastprogramm
in der Wertordnung, in der Sachaussage und in ihrer Vertretung durchringen.
Ich möchte folgenden Satz zusätzlich zitieren:
Wenn wir in Nuancen die Regierungspolitik bejahen, sagen die Leute: Großartig, dann wählen wir mal gleich SPD.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Vorwurf der totalen Konfrontation kann nicht durch Dementis abgebaut werden. Er kann nur durch tatkräftige Beweise abgebaut werden. Im Hinblick auf diese tatkräftigen Beweise möchte ich Ihnen am Schluß, wenn Sie so wollen, einige Lebenshilfen geben. Ich möchte Ihnen die Dinge aufzählen, die vom Tisch weg müssen bzw. auf die wir uns verständigen müssen, damit man nicht mehr von totaler Konfrontation - jedenfalls in diesem Bereich; es gibt ja noch einen anderen wichtigen Bereich - sprechen kann, damit man möglicherweise eine gemeinsame Basis für gemeinsames Handeln findet.
Da ist erstens das Anerkenntnis zu nennen - ich wurde vorhin schon in einem Zwischenruf darauf hingewiesen -, daß die Entwicklung unserer heutigen Lage mit all ihren nicht zu leugnenden Schwierigkeiten weit vor dem 20. Oktober 1969 begründet liegt.
({8})
Ich will gar nicht so weit gehen, zu sagen, daß Sie die Aufwertung noch nachträglich hätten akzeptieren müssen - obwohl es gerechtfertigt wäre, das zu sagen. Es muß aber nun einmal festgestellt werden, daß der Tag, an dem diese Regierung ihr Amt antrat, nicht ein Tag Null gewesen ist, sondern daß sie sich vielmehr in eine voll in Gang befindliche Entwicklung hineingestellt sah. Das ist der erste Punkt.
Die Behauptung von der Inflationsregierung - ich erwähnte das bereits vorhin - muß weg. Es muß auch aufhören, daß Sie immer, wenn Sie von „hausgemacht" sprechen, „regierungsgemacht" meinen.
({9})
Wir können ruhig gemeinsam von „hausgemacht" sprechen, müssen uns aber darüber einig sein, daß das nicht mit „regierungsgemacht" gleichzusetzen ist, sondern daß alle daran beteiligt sind, die in diesem Lande leben und irgendwie auf die Daten unseres Wirtschaftslebens Einfluß nehmen.
({10})
Drittens. In den nächsten Wochen und Monaten wird sicher eine ganz entscheidende Rolle spielen, daß Sie sich gemeinsam mit uns eingestehen - Sie dürfen sich das nicht nur im stillen Kämmerlein eingestehen, sondern müssen bereit sein, dieses Eingeständnis auch nach draußen zu tragen -, daß unter den gegebenen Verhältnissen nun einmal ein Zielkonflikt zwischen Stabilitätspolitik und Europapolitik besteht. Wir müssen unsere Bevölkerung - ich will das hier jetzt nicht vertiefen; das wird in späteren Runden noch geschehen - gemeinsam klaren und reinen Wein über diese Zusammenhänge einschenken. Wir dürfen ihr nicht vorgaukeln, daß beide Ziele gleichzeitig erreichbar sind. Das muß ganz deutlich gesagt werden.
Wir müssen uns viertens - auch das ist eine Voraussetzung - zu einem System lediglich marktkonformer Eingriffe bekennen, auf dirigistische Eingriffe verzichten und die Gesetze der sozialen Marktwirtschaft anerkennen. Diese Anerkennung der Gesetze der sozialen Marktwirtschaft darf nicht so aussehen, daß man nur die Rosinen akzeptiert, und die bitteren Mandeln, die sich gelegentlich auch finden, verschmäht.
Schließlich und endlich gehört neben der Anerkennung der außenwirtschaftlichen Einflüsse - damit komme ich auf das andere Thema zurück - auch noch ein gewisses Maß an Solidarität dieses Hauses in der Auseinandersetzung mit Ländern und Gemeinden dazu.
Meine Damen und Herren, wie immer sich die Opposition zu diesen Mindestvoraussetzungen, die ja nicht nur auf diesen Bereich beschränkt sind - es gibt andere Bereiche, in denen die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen genauso erforderlich wäre; darüber werden wir im November ja in anderem Zusammenhang wieder debattieren -, stellt: die Regierung wird die Aufgaben und Probleme, die sie sich nicht ausgesucht hat, mit denen sie aber fertig werden muß, weiter ohne Hektik und Panik lösen, und die FDP wird dabei wie bisher verantwortungsbewußt mitwirken. Haushalt und Finanzplanung bilden dafür eine geeignete und solide Grundlage.
({11})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Strauß hat hier heute vormittag dem Sinn nach gesagt, wir wollten die Verantwortung für wirtschaftliche Schwierigkeiten auf die Entwicklung im Ausland abschieben. Aber Herr Strauß kann doch wohl nicht bestreiten, daß wir es nicht mit einer Krise der D-Mark, sondern mit einer Krise des internationalen Währungssystems zu tun haben. Nicht weil die D-Mark zu weich war, sondern weil sie härter ist als andere Währungen und weil wir gegenüber anderen Ländern ein Mehr an Stabilität aufzuweisen hatten, kam es seit Mitte vorigen Jahres zur „Flucht in die D-Mark".
({0})
Es ist inzwischen einer breiteren Öffentlichkeit klarer geworden, insbesondere seit den amerikanischen Maßnahmen vom 15. August, warum die stabilitätspolitischen Bemühungen der Bundesregierung und der Bundesbank nicht so erfolgreich gewesen sind, wie wir es gewünscht hätten. Von Anfang 1970 bis Mitte 1971 sind die Währungsreserven der Indu8254
strieländer um etwa 20 Milliarden Dollar angestiegen. Jeder muß begreifen, was diese gewaltige Ausweitung der internationalen Liquidität für die Preisstabilität in der ganzen Welt, nicht nur in der Bundesrepublik, bedeutet hat.
Es ist möglich, meine Damen und Herren, daß wir die Möglichkeiten einer autonomen Stabilitätspolitik angesichts der internationalen Verflechtungen überschätzt haben. Aber Bundesregierung und Bundesbank haben gemeinsam versucht, die Bundesrepublik von der weltweiten Geldentwertung abzuschirmen. Da die Ursachen für unsere Schwierigkeiten weitgehend, wenn auch natürlich nicht allein, im krisenhaften Zustand des Weltwährungssystems zu suchen sind, kann die Lösung dieses Problems nur im europäischen Rahmen und auf internationaler Ebene gefunden werden - genau darum geht es jetzt in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern und in Formen, die mit den Prinzipien unserer Wirtschaftsordnung übereinstimmen.
Durch die „Flucht in die D-Mark" waren unsere stabilitätspolitischen Bemühungen weithin konterkariert worden. Wir sahen uns gezwungen, die Bundesbank von der Ankaufspflicht für Dollars zu befreien und damit den Wechselkurs der D-Mark freizugeben. Wir haben im Mai den marktwirtschaftlichen Weg einer Freigabe des Wechselkurses gewählt. Ich finde, man kann auch nicht ernsthaft bestreiten wollen, bei allen Schwierigkeiten, die gerade ich nicht übersehen darf, daß wichtige Teilerfolge erzielt worden sind. Wie sehen sie aus? Es ist gelungen, weitere Devisenzuflüsse abzuwehren. Es ist gelungen, die Konvertibilität der D-Mark zu erhalten und die Konjunkturpolitik wieder wirksam zu machen. Dies, meine Damen und Herren, sollte gerade von denjenigen nicht übersehen werden, die sonst bei allen möglichen Gelegenheiten von einer angeblichen Gefährdung der Marktwirtschaft reden.
({1})
Ich verkenne keineswegs, daß der gegenwärtige Zustand insbesondere für unsere Exportwirtschaft mit erheblichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verbunden ist. Wir sind entschlossen, wie es Herr Kollege Schiller bei der Einbringung des Haushalts gestern auseinandergesetzt hat, diese Schwierigkeiten überwinden zu helfen. Zauberformeln stehen dafür nicht zur Verfügung. Leider müssen wir davon ausgehen, daß es nur in einem längeren und schmerzvollen Prozeß möglich sein wird, zu einer weltweiten Festsetzung neuer, realistischer Währungsparitäten zu gelangen. Aber die Bundesrepublik Deutschland - das will ich hier vor diesem Hohen Hause sagen - wird jeden ihr möglichen Beitrag leisten, um aus der internationalen Währungskrise herauszukommen.
({2})
Dies war auch die Haltung der deutschen Delegation auf der jüngsten Jahrestagung des Weltwährungsfonds. Mir liegt daran, Karl Schiller von dieser Stelle aus für sein verdienstvolles Wirken als Präsident jener Weltwährungskonferenz zu danken.
({3})
Man hat nicht erwarten können, daß in Washington bereits fertige Lösungen gefunden werden, aber es ist doch wichtig, meine Damen und Herren, daß dort die richtigen Wege offen gehalten wurden. Es ist gut, daß dort, auf der Konferenz in Washington Anfang des Monats, unter maßgeblicher deutscher Mitwirkung festgestellt wurde, wie wichtig es ist, einer Ausbreitung von Protektionismus ebenso zu widerstehen wie einem unfruchtbaren Dirigismus im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr.
Nun stehen wir vor wichtigen und schwierigen internationalen Verhandlungen, und niemand könnte es verantworten, unsere Verhandlungslage zu erschweren; denn das ist nicht eine Verhandlung für die Regierung, sondern für die Bundesrepublik Deutschland.
Ich spreche jetzt bewußt nicht von allgemeinen Fragen der Außenpolitik. Da gibt es ohnehin im Laufe dieses Jahres, wie ich hörte, Gelegenheit, sich eingehend damit zu befassen. Heute geht es mir aber um einige Feststellungen zu den mit den Währungsfragen zusammenhängenden Aspekten der Europa-Politik.
In den nächsten Wochen und Monaten wird über die währungs- und wirtschaftspolitischen Weichenstellungen der Europäischen Gemeinschaft zu entscheiden sein. Nach der Fülle von internationalen Verhandlungen der letzten Monate und Wochen ist der Zeitpunkt für eine westeuropäische Initiative gekommen. Vorgestern und gestern haben ja die Außenminister oder ihre Stellvertreter bei der Luxemburger Tagung schon versucht, hierfür die Voraussetzungen zu schaffen. Nun wird man dabei nicht übersehen dürfen, daß es sich, wenn man „westeuropäische Initiative" sagt, auch um den Ausgleich mit anderen Partnern handelt, vor allem mit den Vereinigten Staaten. Es sollte auch klar sein, daß es sich in Westeuropa nicht nur darum handelt, die deutschen und die französischen Interessen auf einen Nenner zu bringen. Aber ebenso sicher ist, daß dem deutsch-französischen Dialog im gemeinsamen europäischen Interesse wiederum eine besondere Bedeutung zukommt. Dieser Dialog war nie unterbrochen. Wir haben angeregt, ihn zu verstärken.
Hier möchte ich auf einige Vorschläge zurückkommen, die Präsident Pompidou auf seiner Pressekonferenz im vorigen Monat gemacht hat. Präsident Pompidou hat gefordert, Europa müsse aus der gegenwärtigen Währungskrise hinsichtlich seiner Einheit und seiner weltpolitischen Verantwortung gestärkt hervorgehen. Das war und ist auch die Zielsetzung der Bundesregierung.
Wir setzen uns deshalb dafür ein, daß sich die Länder der Europäischen Gemeinschaft möglichst mit anderen europäischen Partnern so bald wie möglich wieder auf feste Paritäten verständigen. Dabei sollten die Bandbreiten nach außen maßvoll erweitert werden.
Man wird gewiß auch weiter darüber diskutieren, wie man aus der Sicht und der Erfahrung des jeweiligen europäischen Partnerlandes geeignete Maßnahmen zur Abwehr spekulativer Kapitalzuflüsse treffen kann. Mit dem Verzinsungsverbot für Ausländereinlagen und dem geplanten Bardepot haben wir gezeigt, daß wir weder doktrinär noch unbeweglich sind. Hinzu kommt die Wechselkursversicherung, die Bundesminister Schiller hier gestern in Aussicht gestellt hat.
Für Europa bedarf es, wenn man vorankommen will, ganz gewiß auch eines sinnvollen Interventionsmechanismus, der rasch genug die eigenen Währungen stützen kann. Nach den Vorschlägen von Präsident Pompidou soll dieser Mechanismus vom Ausschuß der Zentralbankgouverneure als einem Exekutivorgan gesteuert werden. Ich begrüße eine so angeregte Übertragung von Befugnissen. Damit werden übrigens Anregungen aufgegriffen, die der Bundesminister für Wirtschaft während der Verhandlungen des letzten Jahres über die Wirtschafts- und Währungsunion gemacht hat. Ein solches zentrales Organ ist in der Tat erforderlich, wenn man zu einer engeren währungspolitischen Zusammenarbeit kommen will. Dies könnte mit dem Projekt eines europäischen Reservefonds verbunden werden, der für die zweite Stufe der Wirtschafts-und Währungsunion ohnehin vorgesehen ist.
Präsident Pompidou hat im Zusammenhang mit den Währungsproblemen zutreffend darauf hingewiesen, daß die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ihre Wirtschaftspolitik harmonisieren müssen. Dies kann ich nur nachdrücklich unterstreichen.
Bei alledem muß es natürlich auch darum gehen, eine realistische und konstruktive Position für die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten aufzubauen. Präsident Nixon hat sich ja vorgenommen, das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit abzubauen und, wenn möglich, zu beseitigen. Wenn das gelingt, würde eine wesentliche Quelle der Geldentwertung verstopft sein. Dies ist eine Aufgabe, meine Damen und Herren, an deren Lösung nicht nur die Amerikaner, sondern auch wir Europäer ein vitales Interesse haben.
({4})
Da geht es nun darum, daß die Last einer Revision der Wechselkurse auf möglichst viele Schultern verteilt werden muß. Nur so kann diese schwierige Operation gut verlaufen.
Die Europäer sind deshalb objektiv aufgefordert - ob jemand mit ihnen gesprochen hat oder nicht -, ein konstruktives Angebot zu machen, weil sonst die Handelshemmnisse eher zu- als abnehmen werden. Der Beschluß, zu dem sich mein Freund, der jetzige dänische Ministerpräsident, veranlaßt gesehen hat, erfüllt mich mit tiefer Sorge, nicht weil ich seine Schwierigkeiten nicht sehe, sondern weil ich die Gefahr von Kettenreaktionen der Handelspartner sehe.
({5})
Wir meinen im übrigen, daß auch andere Länder einen Beitrag zur Gesundung des Weltwährungssystems leisten sollten und auch leisten könnten.
Nun wäre es ein ganz schlimmes Mißverständnis, unser deutsches Bemühen um sachliche und faire Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in einen Gegensatz zu unseren europäischen Pflichten und Überzeugungen zu bringen. Selbstverständlich legen wir als Bundesrepublik Deutschland ein besonderes Gewicht auf ein gutes Verhältnis zu den USA, übrigens auch - und ich scheue mich nicht, dies zu sagen - wegen unseres spezifischen deutschen Beitrags zur Ost-West-Politik in der Welt. Aber es gibt für mich keinen Zweifel daran, daß wir es hier auch mit einem gemeinsamen europäischen Interesse zu tun haben.
Die Bundesregierung wird natürlich weiterhin versuchen, die amerikanische Zahlungsbilanz im Zusammenhang mit den Stationierungskosten zu entlasten. Allerdings stellen wir immer wieder fest, daß zum Teil recht unzutreffende, nämlich übertriebene Vorstellungen über unsere finanzielle Leistungsfähigkeit bestehen.
Im übrigen geht es bei der notwendigen europäischen Verständigung über die Währungsprobleme ja nicht nur um allgemeine Grundsätze, über die man sich vermutlich leichter einigen kann als über den Ausgleich handfester Interessen. Konkret: Wir können keine ungebührlichen Wettbewerbsnachteile für unsere Exportwirtschaft vertragen, und unsere Partner, zumal unsere Hauptpartner, hätten auch nichts davon, wenn sie uns eine ungebührliche wirtschaftliche Belastung zumuteten.
In den Rang des Bemühens um eine gemeinschaftliche Währungshaltung gehört natürlich auch die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Agrarmarkts. Ich will noch einmal betonen, daß die Bundesregierung am Agrarmarkt und seinen Prinzipien festhält. Aber wir erwarten, daß auch der Lage der deutschen Landwirtschaft Verständnis entgegengebracht wird.
({6})
Der französische Ministerpräsident hat eine Überprüfung der Rechnungseinheit für die Agrarpreise angeregt. Ich meine, man sollte diese Anregung aufgreifen.
Die Bundesregierung will gerade in dieser Situation bekräftigen, wie ernst es ihr damit ist, das europäische Einigungswerk erfolgreich weiterzuführen. Präsident Pompidou und ich hatten schon vor Monaten eine neue europäische Gipfelkonferenz, und zwar für die erweiterte Gemeinschaft, für das kommende Jahr ins Auge gefaßt. Vieles spricht dafür, damit nicht zu lange zu warten. Aber es bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung, wenn eine solche Konferenz erfolgreich sein soll. Ich bin überzeugt, sie wird dann nicht im Zeichen einer Krise stehen, sondern sie wird für die kommenden .Jahre die Ziele nach innen und außen abstecken und damit eine weitere Phase der Einigung einleiten.
Meine Damen und Herren, noch einige Bernerkungen zur wirtschaftlichen Lage bei uns in der Bundesrepublik, mit der sich Herr Kollege Strauß heute früh zu Beginn dieser Debatte befaßt hat.
Es stimmt, der Preisauftrieb erfüllt uns mit Sorge. Es stimmt auch, die Zeichen für eine allgemeine
Abkühlung der Konjunktur mehren sich. Aber es stimmt nicht, wenn man uns eine Art von Katastrophenstimmung aufreden will.
({7})
Ich wende mich, und zwar mit guten Argumenten, wie ich versuche nachzuweisen, gegen jede Art von konjunkturpolitischen Dolchstoßlegenden.
({8})
Tatsache ist doch, meine Damen und Herren, so groß die Schwierigkeiten jetzt sind - gehen wir noch einmal ins letzte Jahr zurück, nicht 1969, wenn Sie es nicht gern wollen; es erscheint dem einen oder anderen schon ein bißchen langweilig, verzichten wir also darauf -:
({9})
als Ergebnis der Aufwertung vom Herbst 1969 hatte die Bundesrepublik im vorigen Jahr die geringsten Preissteigerungen fast aller westlichen Industrieländer. Das ist einfach eine Tatsache.
({10})
Tatsache ist auch: die Stabilitätsbemühungen von Bundesregierung und Bundesbank sind trotz allem nicht ohne normalisierende Wirkungen geblieben. Die amerikanischen Maßnahmen vom 15. August haben dann den Prozeß der konjunkturellen Abkühlung beschleunigt.
Ich will nicht ausschließen, daß in den kommenden Monaten in einigen Branchen und Regionen vorübergehend mehr als jetzt gewisse Anpassungsschwierigkeiten zutage treten. Übrigens: einige, um nicht zu sagen, manche betriebliche Fehlentscheidungen, die im Vertrauen auf einen ewig währenden Boom getroffen worden sind, müssen halt auch korrigiert werden.
({11})
Diese eben auch immer wieder vorkommenden betrieblichen und unternehmerischen Fehldispositionen kann man nun auch nicht global der staatlichen Konjunkturpolitik anlasten.
({12})
Im übrigen: eine gewisse Abkühlung für einige Zeit bietet Voraussetzung und Chance zugleich, das erreichbare Maß an Preisstabilität zu finden. Die Bundesregierung wird dabei selbstverständlich - sie wird dazu schon durch Gesetz verpflichtet, wenn sie es nicht selbst immer wieder formuliert hätte - am Grundsatz der Vollbeschäftigung festhalten
({13})
und nicht zulassen - soweit der Einfluß einer Regierung reicht -, daß die notwendige Konsolidierung
auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird.
({14})
Herr Kollege Strauß, Sie haben heute früh etwas vorgelesen. Danach hätte ich gesagt, bei mir gebe es keine Rezession. Sie haben das Wort „gewollte"
weggelassen. Ich kann mich ja an Zeiten erinnern, in denen sich der eine oder andere darauf berief - Sie waren auch nicht so ganz weit von dieser Argumentation entfernt , man habe eine Rezession gewollt
({15})
oder sie für notwendig gehalten.
({16})
Herr Abgeordneter Strauß, ich rufe Sie zur Ordnung wegen des Wortes „Lüge".
({0})
Ich sage also folgendes. Herr Kollege Strauß, eine gewollte - ({0})
- Ich habe doch von Bremen nicht gesprochen, sondern von der Rezession, und ich sage: eine gewollte Rezession ist für uns kein Mittel der Konjunkturpolitik. So ist die Lage.
({1}) Wenn sich herausstellen sollte - ({2})
- Ich möchte jetzt im Zusammenhang fortfahren.
({3})
Wenn sich herausstellen sollte, daß die Abschwächung über das notwendige und vertretbare Maß hinausgeht, werden wir nicht zögern, rechtzeitig gegenzusteuern. Herr Kollege Schiller hat dargelegt, daß und wie wir für diesen Fall gerüstet sind.
Nun können wir in vielen Ländern beobachten, daß sich die klassische Konjunkturpolitik, die durch eine Dämpfung der Nachfrage den Preisauftrieb bremsen will, in einem Zustand der Verwirrung befindet. Nicht wenige Länder um uns herum haben ein relativ hohes Maß an Arbeitslosigkeit, eine Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums und gleichzeitig Preissteigerungsraten, die über unsere noch wesentlich hinausgehen.
({4})
- Ich würde, auch wenn ich eine noch so scharfe Opposition verträte, an einer solchen Stelle nicht sagen: „Da werden Sie auch bald sein." Sie müssen dasselbe Interesse wie wir daran haben, daß wir nicht dahin kommen.
({5})
Ich kann im übrigen denjenigen, die so viel von Stagflation reden,
({6})
nur empfehlen, gerade die Verhältnisse, auf die ich soeben hinwies, sorgfältig zu studieren. Sie werden dann erkennen, daß sich die Bundesrepublik eben doch, verehrter Herr Zwischenrufer, in einer wesentlich günstigeren Situation befindet als viele andere Länder.
({7})
Trotz einiger Meldungen über Kurzarbeit und Entlassungen haben wir in der Bundesrepublik nach wie vor einen außergewöhnlich hohen Beschäftigungsstand, und die Realeinkommen der Arbeitnehmer sind bei uns in den letzten zwei Jahren stärker gestiegen als jemals zuvor in der Nachkriegszeit.
({8})
Das ist die Basis, von der aus wir in diese Situation gehen.
Nun gehört zu der aktuellen konjunkturpolitischen Landschaft und zu der erforderlich gewordenen ruhigeren Gangart gewiß auch Augenmaß bei Lohn- und Gehaltsbewegungen, übrigens nicht nur im öffentlichen Dienst. Als sich Professor Paul Samuelson - meines Wissens ist er Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften - kürzlich zu unserer Lage äußerte und uns Deutschen zurief: „Bedenkt euer Glück!",
({9})
hat er doch gerade - darum erwähne ich es in diesem Zusammenhang - das Verantwortungsbewußtsein und das Augenmaß der deutschen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften hervorgehoben,
({10})
und ich bin davon überzeugt, daß wir auch in Zukunft damit rechnen können.
Ich höre, daß es in Unternehmerkreisen Zweifel gibt, ob ihre berechtigten Sorgen verstanden und ihre Verantwortlichkeiten wichtig genug genommen werden. Diese Sorgen sind, was die Bundesregierung und mich selbst angeht, unbegründet. Aber ich halte nach wie vor nichts von Eingriffen in die Tarifautonomie, etwa von einem Lohn- und Preisstopp. Wir würden damit um eines zweifelhaften Erfolges willen auch da schaue man sich in Europa um - ein Fundament unserer freiheitlichen Ordnung preisgeben.
({11})
Meine Damen und Herren, hier ist heute früh - das wird ja am Nachmittag weitergehen; warum auch nicht? - schon manches starke Wort über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung gesagt worden. Aber ich habe bei der Rede von Herrn Strauß nicht gehört, daß die Opposition neue Gesichtspunkte beizusteuern gehabt hätte.
({12})
Von einer Alternative, geschweige denn einer konstruktiven Alternative, war nicht die Rede.
({13})
Was ich im Vorfeld dieser Debatte an Verlautbarungen von seiten der Opposition gelesen habe, steckt voller Widersprüche. Da wird die Bundesregierung auf der einen Seite kritisiert, daß der Haushalt für 1972 zu hoch ist, die Regierung also zuviel ausgeben will, und auf der anderen Seite wird die Bundesregierung angegriffen, weil sie auf einer Mehrzahl von Gebieten zuwenig ausgeben will. Das ist nicht seriös.
({14})
Ich habe mir in den letzten Wochen zahlreiche Verlautbarungen, alle, die ich dazu erhalten konnte, beiseite gelegt,
({15})
in denen sich die Opposition oder ihre Sprecher für Mehrausgaben ausgesprochen haben. Wir können dem nicht folgen. Die Opposition kann doch nicht zu gleicher Zeit insgesamt weniger und im einzelnen mehr ausgeben wollen.
({16})
Sie kann doch nicht, wenn ihr unsere Ansätze in vielem schon zu niedrig sind, gegen jede Art von maßvoller Steuererhöhung Stellung nehmen. Das wird doch im Lande draußen nicht als einer großen verantwortungsbewußten Opposition angemessen betrachtet.
({17})
Wer hier oder anderswo sagt, die Gemeinden brauchen mehr Geld, der muß auch mithelfen, daß dieses Geld aufgebracht wird.
({18})
Wer ständig Preisstabilität fordert, Herr Kollege Strauß, der darf nicht gleichzeitig das Gespenst einer Rezession an die Wand malen, wenn sich die Konjunktur beruhigt.
({19})
Der Haushalt für 1972, wie die Bundesregierung ihn vorgelegt hat, entspricht den stabilitätspolitischen Erfordernissen so, wie sie sich heute absehen lassen. Ich sage ganz offen - das klang beim Wirtschafts- und Finanzminister schon deutlich genug an -, es ist uns angesichts der vielen dringenden Aufgaben, denen sich die Regierung gegenübersieht, nicht leichtgefallen, einen derartigen Haushalt der Konsolidierung vorzulegen. Wir hätten gern, was innenpolitische Vorhaben angeht, einen größeren Schritt nach vorn getan. Aber angesichts der Preisentwicklung
({20})
war es notwendig, die Ausgaben so weit zu begrenzen, daß zwar die Substanz der notwendigen Vorhaben gesichert wird, der Haushalt aber zugleich als ernster Beitrag zur Stabilität verstanden werden kann.
Meine Damen und Herren, dieser Haushalt und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung bedeuten keinen Abschied von den inneren Reformen, wie es die Opposition die Bevölkerung glauben machen will.
({21})
Aus solchen Legenden wird auch durch dauernde Wiederholung keine Wirklichkeit.
({22})
Meine Damen und Herren, im Grunde ist es doch so: wenn man sich, wie es heute früh schon geschehen ist, die Antworten der Bundesregierung auf die beiden Großen Anfragen der CDU/CSU anschaut, dann wird man bei einigermaßen objektiver Betrachtung feststellen, daß bei allem, was die Opposition anders sieht und aus ihrer Verantwortung anders sehen muß, diese Regierung und die sie tragende Koalition in zwei Jahren eine ganze Menge wichtiger Vorhaben durchgeführt und andere auf den Weg gebracht hat.
Nebenbei gesagt: Wenn Sie - einige von Ihnen - sich die Mühe gäben, nicht nur Anfragen zu formulieren, sondern auch die Antwort darauf genau zu lesen, würden Sie feststellen, was allein in den sechs Monaten seit der vorigen Großen Anfrage
({23})
bis zur Beantwortung der jetzigen schon wieder
verwirklicht und auf den Weg gebracht worden ist.
({24})
Wer im übrigen so, wie es jetzt monatelang beim Mietengesetz geschehen ist, auf einem solchen Gebiet eine fortschrittliche soziale Politik behindert, der sollte nicht gleichzeitig in der Öffentlichkeit bemängeln, daß es mit den inneren Reformen nicht vorangeht.
({25})
Mehr Verständnis habe ich
({26})
für diejenigen in unserem Lande - darunter viele junge Menschen -, denen es nicht rasch genug geht.
({27})
Politik ist nun einmal nach dem bekannten Wort von Weber das „Bohren harter Bretter".
Wir können unser Ziel nur Schritt für Schritt erreichen, und jeder, der die politische Wirklichkeit kennt, weiß, daß dabei nicht alles so schnell und so reibungslos abläuft, wie dies wünschenswert wäre.
({28})
Aber niemand soll sich darüber im unklaren sein, meine Damen und Herren: Diese Bundesregierung ringt um die Stabilität unserer Wirtschaft ebenso energisch, wie sie an ihrem Weg der inneren Reformen beharrlich festhält.
({29})
Meine Damen und Herren! Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese für uns unerwartete Rede des Herrn Bundeskanzlers soll gleich beantwortet werden. An dieser Rede hat uns einiges gefallen, anderes hat uns nicht gefallen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das doch
im einzelnen dartun, und versuchen Sie doch einmal,
({1})
die Liebenswürdigkeit aufzubringen, die wir eben
dem Kanzler gegenüber erwiesen haben, als wir ihn
bei seiner Rede ohne Störungen angehört haben.
({2})
Ich weiß doch, was Sie wollen.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie werden es nicht schaffen, das, was Sie sich für heute und morgen vorgenommen haben, hier durchzusetzen, nämlich mich hier zu irgendwelchen aufgeregten Äußerungen zu veranlassen.
({4})
Was uns nicht gefallen hat - um das zunächst zu sagen; das zieht sich durch -, ist, daß der Bundeskanzler zwar offenbar anwesend war und auch die Rede des Herrn Kollegen Strauß gehört hat; aber ich weiß nicht, ob er sie ganz in ihrem sachlichen Gehalt aufgenommen hat.
({5})
Denn wenn dies geschehen wäre, hätte er diese Antwort auf die Rede des Kollegen Strauß nicht geben können.
({6})
Gefallen hat uns - und dem stimmen wir zu -, daß der Bundeskanzler auch in dieser Lage erklärt - hier sind wir einig, und darüber freue ich mich -, daß die Tarifautonomie nicht zur Debatte steht und daß er sich erneut gegen Lohn- und Preisstopp ausgesprochen hat.
Dies halten wir ebenso positiv fest wie, Herr Bundeskanzler, die Tatsache, daß Sie einige unserer Anregungen, - sei es von dieser Stelle aus, sei es in der Öffentlichkeit -, etwas mehr in Richtung auf Paris und etwas mehr in Richtung auf Washington zu tun, hier positiv aufgenommen haben. Dies alles begrüßen wir, und das soll hier zunächst gesagt sein.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten zum Haushalt, dessen erste Lesung heute hier stattfindet - eines
Haushalts, der kein Beitrag zur Stabilität ist, weil, dies wird heute nachmittag im einzelnen mein Kollege Leicht darstellen, eine Steigerungsrate darin ist, die keineswegs dem entspricht, was jetzt volkswirtschaftlich zur Inflationsbekämpfung notwendig ist, - der Opposition nicht solch einen Vorwurf machen, wie Sie es hier soeben taten, indem Sie sagten, Sie hätten alle möglichen Dinge zusammengerechnet, die irgendwer gesagt hat. Was gilt, ist die Tatsache, daß noch in diesem Jahr bei Verabschiedung des Haushalts für das Jahr 1971 die Bundestagsfraktion der CDU/CSU fünfzehn - wenn ich mich recht erinnere - namhafte Streichungsanträge zum Haushalt vorgelegt hat, die Sie, die Koalition, abgelehnt haben. Es heißt also, die Verantwortung und die Vorgänge umdrehen, wenn man sich einläßt, wie Sie es soeben taten, Herr Bundeskanzler.
({7})
Der Punkt, an dem wir Ihnen nicht folgen können, ist aber insbesondere, wenn Sie ein, wie wir fürchten, zu schönes Bild der wirtschaftlichen und auch der sozialen Lage in der Bundesrepublik Deutschland malen. Herr Bundeskanzler, dies haben - und Sie haben sich ja wohl überlegt, warum Sie zu dieser Stunde sprechen - sicherlich auch die Männer und Frauen gehört, die nun nicht nur von Kurzarbeit und Entlassung bedroht sind, wie wir dies z. B. in Osnabrück jetzt erleben. Dies haben ganz sicher die Hausfrauen gehört, die die 6 % Steigerung der Lebenshaltungskosten jeden Tag spüren. Dies haben die Rentner gehört, denen Sie gerade den Antrag auf die finanziell mögliche Erhöhung abgelehnt haben. Und wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich unter dem Beifall der Koalition einen Satz zugunsten der Bauern abgerungen haben, dann wiegt dieser Satz nicht auf, was Ihre Koalition in den Ausschüssen durch praktisches Verhalten abgelehnt hat, als unsere Anträge dort vorlagen.
({8})
Das, meine Damen und Herren, ist die Sachlage.
Ich muß sagen, ich bin einigermaßen bestürzt, wenn der Bundeskanzler in dieser Lage seine Diagnose der Lage der deutschen Volkswirtschaft, der Konjunktur, der Vollbeschäftigung oder nicht hier soeben in dem Satz zusammenfaßte: Die Konjunktur beruhigt sich. Herr Bundeskanzler, das ist doch wohl ein bißchen zu niedlich. Wir wollen nicht sagen, daß das nicht in einzelnen Bereichen vielleicht so ist. Aber der Bundeskanzler hätte hier doch ein Wort zu denen finden müssen, die nun an ihrem Arbeitsplatz bedroht sind, zu den Rentnern, zu denen, die unter der Preissteigerung ganz besonders leiden. Dieses Wort hätte er doch finden müssen, wenn er hier ein ungeschminktes Bild der Lage hätte geben wollen.
({9})
Und wenn Sie am Schluß sagten, Herr Bundeskanzler: alle Reformen bleiben, so wissen Sie doch selbst, daß dies nicht stimmt. Nehmen wir wieder ein ganz praktisches Beispiel: Wir haben noch aus der früheren Koalition die Finanzverfassungsreform. Wir waren damals alle darüber einig, daß wegen des Vorrangs von Reformen - wir haben damals gesagt: soziale Infrastrukturmaßnahmen, d. h. auf Deutsch Schulen und Straßen und Krankenhäuser und Kindergärten - die Gemeinden, die Kreise und die Städte mehr Geld aus der öffentlichen Finanzmasse erhalten sollten. Darin waren wir einig. Wie sieht es nun für 1970 aus? 2,5 Milliarden DM haben die Gemeinden, die Städte und die Kreise für diese Zwecke im Dienst der Menschen mehr bekommen. Das war noch Politik der Großen Koalition. Und was ist aus den 2,5 Milliarden DM geworden? 2,7 Milliarden DM haben allein die Preissteigerungen im Hochbau, den diese kommunalen Träger vornehmen, verschlungen.
({10})
Das heißt auf gut Deutsch: 2,5 Milliarden DM mehr - und kein Dachziegel mehr.
Das ist die Realität der Reformpolitik, die von einer soliden Basis geordneter Finanzen im Jahre 1969 ausging, und jetzt kann über den Rücktritt des Finanzministers nicht hinwegtäuschen, daß auch unter dem Kollegen Schiller mit seiner Doppelfunktion die Kasse nicht in Ordnung gekommen ist. Als Kollege Strauß sie abgab, war sie in Ordnung. Nach zwei Jahren - dies ist eines der erschütterndsten Halbzeitbilanzergebnisse - ist die Kasse nicht in Ordnung. Davon muß hier gesprochen werden.
({11})
Herr Bundeskanzler, ich dachte eigentlich, nach Ihrem - ich darf es einmal so sagen - ostwestfälischen Ausrutscher, Herr Bundeskanzler, Sie wissen, was ich meine, würden Sie vielleicht doch in der Wortwahl hier und da etwas vorsichtiger sein. Sie haben noch einmal von dem Problem der „gewollten Rezession" gesprochen. Das ist angeblich aus dem Jahre 1966. Wir wissen dies alles, weil wir es jeden Tag draußen auf den bekannten Flugblättern der sozialdemokratischen Partei Deutschlands lesen können, auf denen ja alle möglichen Dinge stehen, und dann wieder in den Debatten hören.
Nun wissen Sie doch ganz genau, Herr Bundeskanzler, daß dieses Wort nicht gefallen ist, sondern daß der Kollege Schmücker von der gewollten Restriktion gesprochen hat.
({12})
- Herr von Dohnanyi, Sie kennen doch die Unterschiede zwischen Restriktion und Rezession, Ihnen brauche ich nicht zu beweisen, daß das, was Karl Schiller im vergangenen Jahr mit der Zinspolitik der Bundesbank - zwar vergeblich - versucht hat, eine Restriktionspolitik war. Diese Unterschiede sollten eigentlich klar sein, auch dem Bundeskanzler.
({13})
Aber, Herr Bundeskanzler, wenn Sie ein Wort wählen wie „konjunkturpolitische Dolchstoßlegende", dann reihen wir das mit großer Gelassenheit - weil Sie uns damit nicht gemeint haben können, sonst hätten Sie sicher den Mut gehabt, hier Roß und Reiter zu nennen - in die große Zahl von unglücklichen Wortwahlen, wollen wir heute einmal sagen, ein, die den Bundeskanzler in der letzten Zeit aus8260
zeichnen. Je unglücklicher, Herr Bundeskanzler, Sie Ihre Worte wählen, desto weniger werden Sie den Eindruck erwecken, diese Regierung strahle Souveränität, Geschlossenheit und Führungswillen aus.
({14})
Ich würde aber sehr gern, Herr Bundeskanzler, Ihnen doch nicht nur - das ist offensichtlich eine vergebliche Bitte - eine Mahnung zum Sprachschatz geben, sondern ich möchte Sie bitten, Ihre Mitarbeiter, die Ihnen solche Sätze, wie sie hier eben gesagt worden sind, möglicherweise nahegebracht haben, zur Ordnung zu rufen. - Herr Kollege Ehmke, Sie lachen; ich weiß nicht, ob Sie sich getroffen fühlen.
({15})
Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie sich die internationale Statistik ansehen - Sie brauchen eigentlich gar nicht die internationale Statistik, Sie können hier den Mann auf der Straße fragen -, dann wissen Sie, daß wir im Jahre 1970 einen Deflator von 7,5 % hatten und damit nach Meinung der Deutschen Bundesbank in die Spitzengruppe der Instabilität vorgedrungen sind. Dies sind die Fakten. Herr Bundeskanzler, dann wollen wir Zahlen in die Debatte einführen. Gehen wir aus vom Dezember 1970 zum Juli 1971, dann sehen wir in Großbritannien eine Steigerung bei den Lebenshaltungskosten von 7,1, in den Niederlanden von 5,1, in der Bundesrepublik Deutschland von 4,1, in Frankreich 3,5, in Belgien 3,4, in Italien 2,4 und in den USA 2,2 %. Wenn wir das jetzt ein bißchen aufschlüsseln - es sind ja nicht nur die Lebenshaltungskosten wichtig -, wenn wir jetzt 1969 gegenüber 1970 sehen, wie es sich beim Preisindex für Wohngebäude verhält, dann haben wir ein Plus von 15,9, beim Prinsindex für den Straßenbau ein Plus von 15 %. Sie können nicht leugnen, daß Ihnen diese wirklichen Zahlen nicht bekannt seien; denn sonst hätten Sie nicht die Haushaltsberatungen gehabt, von denen wir nur in der Presse haben lesen können. Wenn Sie die Erzeugerpreise industrieller Produkte nehmen, haben Sie bei den Investitionsgütern ein Plus von 9,5 %. So ergibt sich ein gesamtwirtschaftlicher Deflator von 7,5 % im vergangenen Jahr. Das ist, was die Bundesrepublik Deutschland betrifft, die bisher eine Insel der Stabilität war, das Abenteuerlichste, was wir seit der Koreakrise hatten.
({16})
Dies, meine Damen und Herren, ist um so erstaunlicher, als wir einen Bundeswirtschafts- und -finanzminister haben, der nicht nur den Wählern versprach, er habe nun das modernste volkswirtschaftliche Instrumentarium für jede Lage zur Hand, der nicht nur den Eindruck erweckte, er habe ein magisches Auge, um die Zukunft zu erkennen, sondern der auch den Wählern sagte: ich habe eine Politik, die bewirkt, daß die Preise, die jetzt um 3 % steigen, nächstes Jahr nur noch um 2 und dann um 1 % hinaufgehen werden; und da halte ich sie fest. - Das ist doch das, was Sie den Wählern gesagt haben. Und wenn wir heute bei 6 % Preissteigerungen bei den Lebenshaltungskosten von einer ernsten Lage sprechen, dann müssen wir uns vom Bundeskanzler
das anhören, was er hier eben geglaubt hat, an unsere Adresse sagen zu müssen.
({17})
Nein, Herr Bundeskanzler, im Grunde haben Sie doch hier das Wort nicht nur wegen der beiden interessanten Punkte mit Blick auf Frankreich und die USA und nicht nur wegen der Festlegung in Sachen Lohnstopp und Preisstopp ergriffen, sondern Sie haben doch das Wort ergriffen, um dieser Debatte, die auch draußen im Lande eine Rolle spielt, einen ganz anderen Akzent zu geben.
({18})
Sie wollen doch den Eindruck erwecken: alle Schwierigkeiten, die ihr jetzt habt, ihr draußen im Lande, und die wir hier im Hause haben, sind nur eine Folge der undurchsichtigen Vorgänge in der internationalen Währungspolitik und in der Währungsspekulation, mit denen wir eigentlich nichts zu tun haben.
({19})
Das waren Ihre ersten Sätze, und das ist auch der Sinn Ihrer Intervention gewesen, Herr Bundeskanzler.
Das werden wir nicht mitmachen. Wir lassen nicht zu, daß diese Debatte jetzt von dem Thema, um das es hier geht, abgelenkt wird. Hier geht es heute nicht um das Thema, das, wie mein Kollege Strauß heute morgen gesagt hat, demnächst auf Ihrem Parteitag durch Herrn Schiller zu behandeln sein wird. Nein, hier geht es um die Frage: was tun wir binnenwirtschaftlich, um die hausgemachte Inflation wegzubringen?
({20})
Herr Bundeskanzler, wir alle wissen, daß es Schwierigkeiten durch die Schwäche des Dollar gab, und wir machen Sie dafür nicht verantwortlich. Aber wir alle fragen uns, ob es ausgerechnet die Aufgabe der deutschen Politik war, dies weltweit kundzutun und das nicht nur mit dem Stoppen des europäischen Zuges, sondern auch noch mit dem Versuch zu verbinden, die binnenwirtschaftlichen Probleme, weil hier die Kraft, sie zu lösen, fehlt, nach draußen in die Welt zu tragen. Das ist die Frage, um die es hier geht!
({21})
Der Kollege Strauß hat doch vorgetragen, was der Bundesbankpräsident zur binnenwirtschaftlichen Lage gesagt hat, nämlich, hausgemachte Inflation; das sind seine Worte. Und Herr Kollege Schiller kann doch nicht vergessen machen, daß er am 27. April, nach der Konferenz mit seinen europäischen Kollegen in Hamburg, wenn ich mich recht erinnere, im Deutschen Fernsehen davon sprach: Natürlich müssen wir binnenwirtschaftlich etwas tun, und die außenwirtschaftliche Sache ist nicht das Ganze. - Und er hat dann Worte gewählt - ich will sie jetzt nicht aus dem Gedächtnis wiedergeben -, die fast dasselbe sagten wie die des Bundesbankpräsidenten. Also, Herr Bundeskanzler, lenken Sie nicht ab von den Problemen, für die Ihre
Regierung binnenwirtschaftlich die Verantwortung trägt!
({22})
Ich will hier nicht noch einmal die Argumentation wiederholen, die Kollege Strauß heute morgen zu dem außenwirtschaftlichen Problem dargetan hat. Und da ich den Kollegen Arndt sehe, möchte ich ihm gleich sagen er wird ja sicher in diese Debatte eingreifen -, daß so eine These - ich glaube nicht, daß Sie sie vertreten werden, nur es wäre ungerecht, sie zu vertreten -, daß für uns das außenwirtschaftliche Problem keine Rolle spiele, nicht stimmt. Wir sehen das außenwirtschaftliche Problem wie das Problem der „inflationären Lücke", die - das sind die Worte des Professors Schiller - entsteht, wenn hier mehr ausgegeben wird, als das reale Anwachsen des Bruttosozialprodukts erlauben würde.
({23})
Heute vertritt er eine Politik der inflationären Lücke - nach seinen eigenen Worten -, und das sehen wir.
Wir sehen zum zweiten, Herr Kollege Arndt, daß dies und die Tatsache, daß wir jetzt, im industriellen Bereich, wenn ich es richtig extemporiere, die fünffache Steigerung der Löhne und Gehälter gegenüber der Produktivität haben, Punkte sind, die ganz entscheidende Krankheitsursachen für die Lage darstellen.
Drittens sehen wir auch das außenwirtschaftliche Problem. Hier soll keiner glauben, wir weigerten uns, dies zu sehen. Herr Bundeskanzler, kommen Sie dann aber nicht daher und erzählen, es habe dann die Flucht in die D-Mark gegeben.
({24})
Warum gab es sie denn? Warum gab es denn die Hochzinspolitik der Bundesbank? Wegen dieser Politik kam das Geld doch herein! Nach den eigenen Berichten der Bundesbank mußte sie diese Politik betreiben, weil das binnenwirtschaftliche Programm dieser Regierung nicht ausreichte.
({25})
Meine Damen und Herren, unsere Argumentation steht damit völlig - sowohl hinsichtlich der Theorie als auch was die Analyse angeht - auf der Basis dessen, was die Deutsche Bundesbank gesagt hat. Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß auch dann, wenn die Sachverständigen sich wieder äußern werden, deutlich sein wird, daß wir uns auch in der wirtschaftlichen Analyse und im Hinblick auf die zu ziehenden Konsequenzen auf demselben Boden wie die Wissenschaftler befinden. Meine Damen und Herren, es mag sein, daß Sie dies stört. Wir werden uns aber nicht stören lassen, auf diesem Gebiet die saubersten Analysen vorzunehmen und auch den Mut zu den unpopulärsten Antworten zu beweisen. Selbst wenn man uns dann beschimpft oder uns totale Konfrontation oder was immer vorwirft: Wir tun das, was wir hier verantworten, so wie Sie das tun, was Sie verantworten.
Herr Bundeskanzler, ich möchte einen Punkt noch besonders unterstreichen, weil er eine erfreuliche
Änderung Ihrer Position kennzeichnet. Als wir hier im Mai nach Ihrer Entscheidung vom 9. Mai diskutierten, gab es am gleichen Tag eine Meldung in der Presse, daß unser französischer Partner nicht mehr bereit sei, sich an den Gesprächen und Institutionen entsprechend dem Fahrplan für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu beteiligen. Es hieß, er wolle die Politik des leeren Stuhls betreiben, bis die Bundesregierung wieder zu festen Wechselkursen zurückgekehrt sei. Sie haben damals den Ernst dieser Nachricht voll erkant und von dieser Stelle aus dargetan, daß dem nicht so sei. Was sollten wir dem entgegenhalten? Sie haben die amtlichen Informationen. Herr Bundeskanzler: Inzwischen hat es doch wohl seit dem 9. Mai nichts mehr in dieser Richtung gegeben - außer dem, worauf Sie jetzt pro futuro hinweisen. Also gibt es doch diesen leeren Stuhl! Also haben Sie mit dieser Politik den Zug zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion angehalten. Das kann doch keiner bestreiten.
({26})
Wir freuen uns, wenn Sie sich heute bereit erklären wir fordern dies seit langem -, zur europäischen Solidarität zurückzukehren. Wenn Sie heute sagen, der Zeitpunkt für eine westeuropäische Initiative sei gekommen, so unterstützen wir diesen Satz ausdrücklich, allerdings mit einer Einschränkung: Der Zeitpunkt ist nicht erst jetzt gekommen, sondern er war seit März und April da. Es war doch unverantwortlich, diesen europäischen Zug ohne eine wirkliche Alternative in der Hand einfach anzuhalten.
({27})
Wenn wir heute morgen dargetan haben und auch jetzt wieder dartun, daß wir die wirtschaftliche und die soziale Lage in unserem Lande für binnenwirtschaftlich verursacht halten und sie ernster beurteilen, als das die Bundesregierung offensichtlich tut, so muß man das auch begründen. Ich glaube, daß man an drei Punkten aufzeigen kann - wir wollen hier nicht übertreiben, aber auch nichts untertreiben, denn wir tragen ja Verantwortung und müssen uns an Realitäten orientieren , daß die Lage im Herbst 1971 in einigen Bereichen unvergleichbar viel schlechter ist als im Jahre 1966.
Zum einen ist unbestreitbar die Preis- und Kosteninflation sehr viel stärker als damals.
Zweitens. Die finanzielle Verfassung der meisten Unternehmen ebenso wie die Verunsicherung der Unternehmer auf Grund dieser Politik ist ebenfalls ein negativer Punkt für alle die, die glauben, das gewünschte Ziel bis zu den nächsten Wahlen wieder schnell und planmäßig durch ein bißchen Gasgeben zu erreichen.
Drittens. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich einmal als in Symbiose mit Hamburg lebend bezeichnend. Wenn das noch gilt, wird er nicht bestreiten können - Herr Strauß hat es heute im einzelnen dargetan -, daß sich die Chancen, über den Export wieder schnell hochzukommen, nicht gut beurteilen.
Herr Kollege Schiller, das sind die Gründe, aus denen wir zu dem Ergebnis kommen, die ökono8262
mische Lage als schwieriger und die soziale Lage als schlechter zu bezeichnen, als Sie dies tun, und deshalb zu diesem Haushalt die kritischen Fragen stellen müssen, die mein Freund Leicht nach der Mittagspause stellen wird: Wie paßt er, paßt er überhaupt in die konjunkturpolitische Landschaft? Heizt er die Konjunktur an oder tut er dies nicht? Was tut er zur Inflation? Bekämpft er sie oder fördert er sie? Ist er solide finanziert, und wo sind die sichtbaren Löcher? Wo sind Zusagen statt Geld? Das ist doch das Problem dieses Haushalts, wenn ich es politisch richtig sehe.
Herr Bundeskanzler, Sie haben - dies soll die letzte Bemerkung hier sein - die Pressekonferenz des Herrn französischen Staatspräsidenten heute aufgegriffen. Ich sage dazu: endlich, soweit es den europäischen Teil betrifft. Aber Sie werden mir nach den Sätzen, die Sie früher über diese Pressekonferenz des Präsidenten Pompidou haben verbreiten lassen, gestatten, daß ich aus dieser Pressekonferenz einige andere Sätze zitiere, weil wir hier nur die Möglichkeit haben, von dieser Stelle aus zu sagen, was die Wirklichkeit ist. Aus dieser Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten möchte ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein paar Sätze zitieren, die die deutsche Regierungspropaganda nicht mitteilt. Der Herr französische Staatspräsident sagt - und dies mit dem Blick auf die Reise des Herrn Bundeskanzlers an die Krim, die heute nicht im Mittelpunkt der Debatte stehen soll, es sei denn, daß die Regierungskoalition das wünscht -:
Man könnte sich natürlich vorstellen, daß der französisch-deutsche Vertrag über Zusammenarbeit etwas mehr vorherige Information hätte rechtfertigen können.
Herr Bundeskanzler, das ist ein ganz klarer Vorwurf. Und was haben Sie daraus gemacht? Sie haben versucht, das zuzudecken, indem Sie eine Presseerklärung herausgaben, Sie dankten dem französischen Staatspräsidenten für das vollkommene Maß der Übereinstimmung. Dann haben Sie wahrscheinlich den Vorwurf als berechtigt angesehen.
Wenn Sie uns nach Alternativen fragen, Herr Bundeskanzler: hier ist eine. Bei der CDU/CSU wird der deutsch-französische Vertrag in Geist und Buchstaben in den besten Händen sein.
({28})
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?
Aber mit Vergnügen!
Herr Kollege Barzel, ist Ihnen bekannt, daß in der gleichen Pressekonferenz der französische Staatspräsident ausdrücklich erklärt hat - ich zitiere wörtlich -, daß die akute Krise des Währungssystems durch die im Mai erfolgte Freigabe des D-Mark-Wechselkurses ausgelöst worden ist, und sind Sie der Meinung, daß sich die volle Übereinstimmung des Herrn Bundeskanzlers mit seinem französischen Kollegen Pompidou auch darauf erstreckt?
({0})
Herr Kollege Strauß, Sie haben mir einen Punkt, den ich in die Debatte einführen wollte, vorweggenommen. Ich glaube, es ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Aber der Bundeskanzler nimmt ja alles, was immer man sagt, als Lob an, um dann hier den Eindruck zu erwecken und darauf werden wir morgen schon noch zu sprechen kommen -, er sei mit allen einig, und die einzigen, die danebenstünden, sei diese Union. Dem ist nicht so, Herr Bundeskanzler.
Da Sie von der Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten sprachen, möchte ich ganz zum Schluß noch einen Satz aus seiner Pressekonferenz zitieren. Ich glaube, daß Sie dem größte Aufmerksamkeit zuwenden sollten, und das gilt wohl auch, wenn man an London und wenn man an Washington denkt. In dieser Pressekonferenz erklärte der französische Staatspräsident expressis verbis, daß er einen wesentlichen Auffassungsunterschied zwischen der deutschen Regierung und der französischen sieht. Er sagte dann:
Dieser Unterschied betrifft das Problem der sogenannten ausgewogenen Reduzierung der Streitkräfte. Das geht meiner Meinung nach darauf zurück, daß wir in der Allianz eine besondere Position einnehmen und daß wir der Auffassung sind, die Bemühungen um eine Entspannung und der Wille zur Entspannung dürften die Sorge um die Verteidigung und die Fähigkeit zur Verteidigung nicht vermindern.
Damit, Herr Bundeskanzler, sind wir bei dem zentralen Punkt der Kontroverse, die uns in der Außenpolitik teilt, nämlich der Frage, wieweit die Priorität der europäischen Zusammenarbeit mit dem Ziel der Integration, wieweit die Priorität der Solidarität in der Atlantischen Gemeinschaft für uns alle miteinander so wichtig ist, daß keiner von uns bereit ist, östliche Projekte zu beschleunigen, während er westliche auf die nächsten Generationen vertagt.
({0})
Und wenn Sie hier wieder nach der Alternative fragen: Die CDU/CSU würde jetzt, nachdem sich die Beitritte abzeichnen, den von uns seit langem geforderten Stufenplan zur politischen Vereinigung des freien Europa vorbereiten und mit ihm hervortreten, sobald die Entscheidung im Unterhaus gefallen ist. Das, meine Damen und Herren, ist ein Teil unserer Alternative.
({1})
- Wir werden, Herr Kollege Wehner, in diesen zwei oder drei Tagen - oder wie lange immer diese erste Aussprache dauern sollte - zu jedem Punkt, den Sie kritisch an unsere Adresse sagen, in Ihre Erinnerung rufen, daß es unwahr ist, zu behaupten, diese Opposition sei ohne Alternative. Dies wird in dieser Debatte Punkt für Punkt deutlich werden. Denn das Märchenerzählen, das Verteilen von Wischen draußen im Lande ersetzt nicht das notDr. Barzel
wendige sachliche Gespräch hier in diesem Hause. Ich bin gespannt auf die Antwort des Herrn Bundeskanzlers.
({2})
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 14 Uhr. Es wird dann die Fragestunde aufgerufen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({0})
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Ich habe folgendes mitzuteilen: Die CDU/CSU-Fraktion hat dem Herrn Präsidenten mitgeteilt, daß der Abgeordnete Dr. Klaus-Peter Schulz ({0}) seit dem 19. Oktober 1971 dor Fraktion der CDU/CSU angehört.
Wir beginnen mit der
Fragestunde
- Drucksache VI/2720 und kommen zunächst zu dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl zur Verfügung. Die Frage 1 stellt der Herr Abgeordnete Kleinert:
in welchen Bundesgesetzen und Verordnungen wird der Begriff des Haushaltungsvorstands verwendet?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Frau Präsidentin, gestatten Sie bitte, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 2 des Abgeordneten Kleinert auf:
Welche Vorschläge könnte die Bundesregierung machen, um solche, die Ehegatten unterschiedlich bewertenden Bestimmungen zu ändern?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Kollege Kleinert, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß es bei der großen Arbeitsbelastung meines Hauses und wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit leider nicht möglich war, Ihnen heute eine vollständige Liste der Bundesgesetze und Verordnungen aufzustellen, in denen der Begriff „Haushaltungsvorstand" verwendet wird. Wenn uns einmal eine elektronische Datenbank zur Verfügung stehen wird, bereiten solche Aufgaben auch unserem Hause keine Schwierigkeiten mehr.
Generell möchte ich Ihnen folgendes dazu sagen. Der Begriff des Haushaltungsvorstandes findet in mehreren Verwaltungsvorschriften, z. B. im Bundessozialhilfegesetz, in den Familienheimrichtlinien des Bundes, Anwendung, ist aber dem geltenden Familienrecht unbekannt. Dort sind die Eheleute in der Ausgestaltung ihres ehelichen Lebens frei und regeln im gegenseitigen Einverständnis, wer von ihnen Dritten gegenüber die Familie repräsentiert. Überreste des patriarchalischen Ehebildes, die noch im geltenden Familienrecht enthalten sind, sollen durch das dem Bundestag vorliegende Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts beseitigt werden. Eine unterschiedliche Bewertung der Ehegatten wird durch den Begriff Haushaltungsvorstand aber nicht herbeigeführt, denn er läßt offen, ob hierunter der Mann, die Frau oder beide Ehegatten zu verstehen sind.
Wenn es den Eheleuten nach dem Zweck der betreffenden Vorschrift nicht freistehen kann zu bestimmen, wer von ihnen als Haushaltungsvorstand betrachtet sein soll, so kommen nur solche Merkmale für die Begriffsbestimmung in Frage, die sachbezogen sind und auf beide Eheleute gleichermaßen zutreffen können. Bei Vorschriften über Abgaben oder öffentliche Leistungen z. B. dient der Begriff des Haushaltungsvorstandes lediglich als Berechnungsgröße, hat also rein technischen Charakter. Alle Rechtsvorschriften, in denen der Begriff verwendet wird, lassen die von den Eheleuten über die Ausgestaltung ihres ehelichen Lebens getroffenen Vereinbarungen völlig unberührt.
Die Bundesregierung sieht deshalb nach dem Ergebnis dieser ersten und flüchtigen Prüfung keinen hinreichenden Grund, Änderungen von bestehenden Gesetzen und Verordnungen vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß für das Sprachverständnis der breitesten Öffentlichkeit hier stets der Eindruck einer Überoder Unterordnung des wie auch immer ausgewählten Haushaltungsvorstandes in bezug auf den anderen Ehepartner entsteht und daß das diametral den Vorstellungen entgegengesetzt ist, die der Herr Bundesjustizminister am Mittwoch vergangener Woche zu der Frage einer partnerschaftlichen Gestaltung des Eheverhältnisses hier dargelegt hat?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Kollege Kleinert, daß diesem Ausdruck „Haushaltungsvorstand" zumindest der böse Schein anhaftet, als wäre hier ein patriarchalisches Verhältnis determiniert, und ich stimme Ihnen auch zu, daß es zum Teil phantasielos ist, diesen Ausdruck nicht durch sachbezogene Termini zu ersetzen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind Sie also, Herr Staatssekretär, mit mir der Meinung, daß man im Laufe einer möglichst angemessenen Zeitspanne versuchen sollte, die tatsächlich maßgebenden Gesichtspunkte in die beispielhaft angezogenen Gesetze und Ver8264
ordnungen wörtlich hineinzunehmen, und diesen Begriff tunlichst nicht mehr verwenden sollte?
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Da stimme ich Ihnen vollinhaltlich zu, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage. - Damit ist der Geschäftsbereich des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl beendet. Schönen Dank.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht der Herr Staatssekretär Dr. von Manger-Koenig zur Verfügung. Frage 3 des Abgeordneten Härzschel:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung vieler Ärzte, im Interesse der Volksgesundheit die Werbung für Tabakerzeugnisse zu untersagen, und ist in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung in dieser Frage zu rechnen?
Herr Abgeordneter, im Auftrag des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wissenschaftliche Untersuchungen zum Problem der Beeinflussung des Raucherverhaltens und auch der Einstellung von Jugendlichen zur Werbung für Zigaretten durchführen lassen. Weitere Untersuchungen sind in Vorbereitung, auch im Hinblick auf eine Effektivitätssteigerung der eigenen Aufklärungsarbeit, wie sie mit der Anti-Raucherkampagne „Der neue Trend - no smoking please" bereits begonnen wurde. Davon abgesehen sind aber in dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts - Drucksache VI/2310 - bereits bestimmte Werbeverbote für Tabakerzeugnisse vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort vor einem Jahr angedeutet, daß Sie mit den Intendanten der Rundfunkanstalten und der Fernsehanstalten sowie mit den betroffenen Industrien ein Gespräch führen würden, wie etwa eine freiwillige Einschränkung der Werbung erfolgen könnte. Haben Sie ein solches Gespräch in der Zwischenzeit geführt?
Herr Abgeordneter, ich habe sowohl Gespräche geführt mit den Rundfunkanstalten, den Fernsehanstalten als auch mit der Industrie. Das Ergebnis dieser Besprechungen - in die übrigens auch die Werbewirtschaft einbezogen wurde - ist das, daß die Zigarettenindustrie eine neue freiwillige Vereinbarung über die Reduzierung ihres Werbeaufwandes geschlossen hat, der alle beigetreten sind, und die dazu führt - darüber ist bereits berichtet worden -, daß bis zum Ende des nächsten Jahres die Fernsehwerbung völlig zurückgezogen wird. Sie
wird bereits jetzt wesentlich - auf 50 % des bisherigen Aufwandes - reduziert.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Würde das auch auf die anderen Bereiche zutreffen, etwa die Presse und den Rundfunk?
Ich sprach damals in der Fragestunde von dem speziellen Aufwand im Medium Fernsehen. Darüber hinaus sind aber auch weitere quantitative und qualitative Einschränkungen bei der Plakatwerbung und ähnlichem vorgesehen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 4 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
In welchen Ländern ist die Werbung für Tabakerzeugnisse
verboten, und welche Erfahrungen wurden dabei gesammelt?
Herr Abgeordneter, meines Wissens ist bisher nur in Italien jegliche Werbung für Tabakerzeugnisse verboten. Ebenso wie bei den in den USA im Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Werbeverboten handelt es sich im übrigen stets um Bestimmungen, die sich auf die Werbung für bestimmte Tabalerzeugnisse, vornehmlich für Zigaretten, mit Hilfe bestimmter Werbeträger, etwa des Fernsehens, beziehen.
Der Zeitraum, innerhalb dessen die Fernseh- und Rundfunkwerbung für Zigaretten in den USA verboten ist, ist noch zu kurz, als das bereits Aussagen über die Wirkungen des Verbotes erwartet werden könnten. Das gleiche gilt übrigens auch für ähnliche Regelungen in England, Frankreich, Argentinien, der Tschechoslowakei, Island, Rumänien und in der Schweiz.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, wären Sie aber bereit, wenn diese Ergebnisse vorliegen, dann das Parlament zu informieren, und wären Sie auch bereit, diese Ergebnisse rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen?
Wir sind immer bereit und halten es für unsere Pflicht, alle diese Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen. Es bedarf also hier keiner ausdrücklichen Bereitschaftserklärung.
Im übrigen wird die Diskussion um die Gesamtreform des Lebensmittelrechts Gelegenheit genug geben, in den Fachausschüssen auch die ausländiStaatssekretär Dr. von Manger-Koenig
schen Erfahrungen bezüglich der Werbeverbote zu berücksichtigen und sich darüber zu informieren.
Keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind auch die Fragen Ihres Geschäftsbereichs beendet; schönen Dank, Herr Staatssekretär.
Die einzige Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen soll auf Antrag des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe damit den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Frage 6 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold!
Wie glaubt die Bundesregierung miteinander vereinbaren zu können, daß der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen namens der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ({0}) versichert, daß es jedem Bürger freigestellt bleibt, diejenigen Bezeichnungen zu verwenden, die er nach eigener Verantwortung für richtig hält, und der Bundesverteidigungsminister zum gleichen Zeitpunkt aber den ihm unterstehenden Staatsbürgern durch Erlaß befiehlt, welche Bezeichnungen im amtsinternen Gebrauch verwandt werden müssen?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Ich darf die Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß zwischen der Feststellung, jedem Bürger sei es freigestellt gewesen und bleibe es freigestellt, diejenigen Bezeichnungen zu wählen, die er nach eigener Verantwortung für richtig hält, und einer Verfügung, wie sie der Bundesminister der Verteidigung hinsichtlich der amtsinternen Verwendung bestimmter Bezeichnungen erlassen hat, ein Widerspruch besteht.
Es handelt sich hier offensichtlich um Probleme unterschiedlicher Art. Ohne Zweifel müssen sich Verwaltungen und Ministerien, erst recht aber eine Institution wie die Bundeswehr zur korrekten Erfüllung ihrer Aufgaben in bestimmten Fachbereichen einer einheitlichen Terminologie bedienen. Das Recht des einzelnen Bediensteten, außerdienstlich die Bezeichnungen zu gebrauchen, die er für richtig hält, wird durch diese Notwendigkeit genausowenig berührt wie etwa das durch das Grundgesetz garantierte Recht des Bürgers auf freie Meinungsäußerung durch die in den Verwaltungen erforderliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit über dienstliche Vorgänge.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, müssen Sie dann aber nicht bestätigen, daß bei gleichem Vorgehen anderer oberster Bundesbehörden oder gar Landesbehörden an Stelle einer bisher freien unterschiedlichen Verwendung von Bezeichnungen ein staatlich verordnetes Durcheinander eintreten könnte, z. B. beim Bundesgrenzschutz anders als bei der Bundeswehr und an Schulen verschiedener Länder unterschiedliche Aussagen der verschiedenen Lehrkörper?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Diese Schwierigkeiten bestanden auch vorher schon, Herr Kollege von Fircks. Ich darf sagen, daß wir diese Gefahr nicht sehen, weil ein Großteil der Ministerien und Institutionen, auch der Länderministerien, sich vorher mit uns abstimmt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, gilt nach Ihrer letzten Auskunft diese Anweisung bezüglich der Richtlinien nur für Behörden des Bundes, oder kann ein Land dem widersprechende Anweisungen geben?
Herold, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen: Eine Richtlinie, wie sie hier erlassen ist, kann von allen Ministerien oder Institutionen übernommen werden. Sollte ein Land eine gegensätzliche Auffassung vertreten - unter Umständen aus parteipolitischen Gründen , wird es das tun können. Ob das klug und zweckmäßig ist, möchte ich bezweifeln.
Keine weiteren Zusatzfragen. Auch Ihnen vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Die Frage aus Ihrem Geschäftsbereich ist beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Zunächst Frage 25 des Abgeordneten Lensing:
Wird die Bundesregierung bei den anstehenden Preisgesprächen in Brüssel darauf hinwirken, daß die falsche Preisrelation von Mais zu Gerste, die immer schon bestand, die aber durch die Anhebung des Grundpreises für Gerste um 4 010 bei unverändertem Maispreis noch verschärft wurde, beseitigt wird, damit die deutsche Futtergerste, die zur Zeit fast unverkäuflich ist, einen gesicherten Markt findet?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Ertl.
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung wird sich bei den kommenden Preisverhandlungen nach besten Kräften bemühen, zu einer besseren Relation zwischen Mais und Futtergetreide zu kommen. Ich weise aber gleich vorweg darauf hin, daß es hier innerhalb der Gemeinschaft sowohl seitens der Kommission als auch im Ministerrat erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt. So gibt es wichtige Partnerländer, beispielsweise Frankreich und Italien, die an einer Maispreisanhebung kein Interesse haben. Ähnliches gilt zwar nicht für den Bereich der Gemeinschaft, aber für einen wichtigen Partner, nämlich für die USA, die in dieser Frage in der Vergangenheit wiederholt bei der Kommission vorstellig geworden sind. Deshalb ist die deutsche Positon nicht unbedingt sehr stark, weil wir eben mit starken Widersprüchen bei anderen Partnern zu rechnen haben. Dennoch glauben
wir, daß das derzeitige Verhältnis für eine funktionsfähige Markthandhabung nicht unbedingt zweckentsprechend ist.
Ich möchte aber zum zweiten Teil Ihrer Frage, nämlich der angeblichen Unverkäuflichkeit, doch von mir aus bemerken: Unverkäuflich kann man nicht sagen; denn die Futtergerste, die keinen Käufer am Markt findet, kann jederzeit der Einfuhr- und Vorratsstelle zu dem festgelegten höheren Interventionspreis angeboten werden und wird auch jederzeit aufgenommen. Wie Sie wissen, hat die Einfuhr- und Vorratsstelle insbesondere an Futtergerste - ich kann es jetzt nur grob geschätzt sagen - rund 300 000 t aufgenommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lensing.
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung in Brüssel darauf dringen, daß die Getreidemarktordnung der EWG in Zukunft auch auf Mais ausgedehnt wird? Ich denke dabei an Artikel 4 der Verordnung 120/67.
Wir werden in dieser Frage mit unseren Partnerstaaten in der Diskussion bleiben. Aber ich glaube nicht, daß wir eine grundlegende Änderung der Getreidemarktordnung werden herbeiführen können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wird die Bundesregierung dann darauf hinwirken, daß die für Italien geltende Ausnahmeregelung bei der Einfuhr von Drittlandgetreide in Zukunft entfällt?
Herr Kollege, soweit ich im Bilde bin, ist diese Regelung sowieso befristet, und diese Befristung wird sicherlich nicht verlängert werden, zumindest nicht mit Zustimmung der Bundesregierung.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Lensing auf:
Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die unzulängliche Reportgestaltung für Gerste, welche bis einschließlich September keine Zuschläge und ab Oktober den nicht kostendeckenden Zuschlag von 2,97 DM je Tonne erhält, verbessert wird?
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung ist bereit, bei den Verhandlungen über die Reports die allgemeine Kostenentwicklung zu berücksichtigen. Das galt auch schon in der Vergangenheit. Es erscheint nicht zweckmäßig, bei Gerste den Reportbeginn von Oktober auf September vorzuziehen, weil damit die Preisrelation von
Gerste zu Mais - das berührt ja die vorhergehende Frage noch gröber und noch mehr verzerrt würde. Andererseits entspricht ein Vorziehen der Reports für Mais auf September nicht den Gegebenheiten, weil die Maisernte sich, wie Sie wissen, im Mai und Oktober vollzieht.
Ich muß auch hinzufügen, daß die bisherige Reportregelung bezüglich des Beginns immer nur auf Grund unserer sehr harten Vorstellungen und im Gegensatz zu den Wünschen aller anderen Mitgliedstaaten in Brüssel durchgesetzt werden konnte. Alle Mitgliedstaaten waren generell bereit, z. B. den Reportbeginn bei Getreide um einen Monat zurückzuverlegen und sogar zu prüfen, ob nicht ein weiterer Monat hinzukommen sollte. Wir haben uns mit Erfolg dagegen gewehrt. Ich glaube aber nicht, daß wir angesichts der Sachlage, daß die übrigen fünf Partnerstaaten und die Kommission eine gemeinsame Basis haben, erreichen können, von uns aus den Reportbeginn für Mais und Gerste noch zusätzlich um einen Monat vorzuverlegen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die laut Erdinger Anzeiger vom 12. Oktober 1971 vor Kreisräten, Stadträten und dem oberbayerischen Regierungspräsidenten Dr. Deinlein gemachte Außerung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Feststellungen aus dem Zuhörerkreis, daß hinsichtlich der Erbschaftsteuer eine Anpassung der heutigen Gesetzgebung nötig sei, uni das Bestehen einer gemeinnützigen Stiftung weiter zu ermöglichen: „Am besten, man arbeitet nicht mehr, dann hat man nichts zu vererben und die hohe Erbschaftsteuer fällt damit auch weg"?
Herr Kollege Kiechle, ich habe volles Verständnis dafür, daß es für einen Abgeordneten aus dem Allgäu nicht immer leicht ist, alle lokalen Ereignisse im fernen Erding zu beurteilen. Ich verstehe daher vollauf, daß Sie sich mit großem Wissensdurst erkundigen wollen, wie das in Erding war. Um Sie lückenlos zu informieren, möchte ich Ihnen den Bericht einer anderen Zeitung zur Kenntnis geben. Es ist auch wichtig, den Rahmen einer Veranstaltung zu kennen. Der Rahmen einer Veranstaltung ist ja immer für die Bewertung von Äußerungen wichtig, denn auch für Veranstaltungen gilt natürlich das Motto: Der Ton macht die Musik. Ich will ihnen vorlesen, was die „Süddeutsche Zeitung" über dieselbe Veranstaltung berichtet hat. Frau Präsidentin, Sie gestatten, daß ich das kurz zitiere. Ich glaube, es ist notwendig, um den Kollegen Kiechle überhaupt richtig zu informieren. Unter der Überschrift „Gans in Plastiktüte" wird ausgeführt:
Bundesernährungsminister Ertl zeigte sich wohlvertraut mit Erdinger Lebensgewohnheiten. Er erzählte die wahre Begebenheit von drei ehrenwerten Bürgern, die sich nach einem ausgiebigen Tarock im renommierten Gasthaus zur Post zu mitternächtlicher Stunde hundert Eier in die Pfanne hauen ließen und dieselben ohne viel Aufhebens verdrückten. Nach getaner Arbeit sprach der magenkranke Apotheker, einer der drei Eierfreunde, zu seinem vollgestopften OrBundesminister Ertl
gan: „Du Hund, jetzt ziag di zamm, wennst konnst!"
({0})
Frau Präsidentin, ich bin auch bereit, eine Übersetzung nachzuliefern.
Ich unterbreche jetzt das Zitat und zitiere nur noch die Schlußsätze, damit Sie auch meinen Satz über die Erbschaftsteuer genau verstehen, der im übrigen so gar nicht gesagt worden ist. Der Bericht der „Süddeutschen Zeitung" schließt wie folgt:
Apropos Ertl: Er weiß zu schätzen, was er an Erding hat. Soll ihm doch der Stifterwille 140 Paar selbstgestrickte Strümpfe hinterlassen haben. Noch besser schnitt seine Gemahlin ab, die mit dem Fischer-Geschlecht blutsverwandt ist: Sie hat, wenn sie in Not gerät, Anspruch auf einen Platz im Erdinger Armenhaus.
Ich freue mich sehr, daß Sie sich so um meine Familiensphäre bemühen. Aus diesem Fall ersehen Sie, daß ich mir natürlich in der Tat ernste Gedanken darüber machen muß, für was es sich zu arbeiten lohnt, damit die Ergebnisse der nutzvollen Arbeit später nicht weitgehend der hohen Erbschaftsteuer anheimfallen. Verehrter Kollege, ich wollte Ihnen nur sagen, daß es sich hier um eine Veranstaltung handelte, in der es um eine Testamentseröffnung ging; meine Frau hatte verwandtschaftliche Beziehungen zu diesem Kreis. Es war einfach so, daß der Sachverhalt in entsprechender Tonlage und auch unter dem Gesichtspunkt moderner Betrachtungsweise der Erbschaftsteuer glossiert wurde.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihre dort gefallenen Worte, mindestens aber jene, die ich aus der „Erdinger Zeitung" zitiert habe, in das Reich der spaßhaften Bemerkungen zu verweisen sind, darf ich also davon ausgehen, daß Ihr Satz in Erding keineswegs etwa den in seiner Wirkung aufheben soll, den Sie vor dem Hauptverband landwirtschaftlicher Buchstellen sprachen, wo Sie sagten: Nach wie vor halte ich den Leistungswillen und die unternehmerische Initiative für die wesentliche Triebkraft des wirtschaftlichen Erfolges und Wohlstandes unserer Bevölkerung? Beide brauchen sich also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht zu beißen, da die Kolorite, in denen sie fielen, gänzlich verschiedener Natur waren?
Ganz im Gegenteil. Ich bin schon deshalb interessiert, damit es auch in Zukunft möglicherweise noch Substanz für Stiftungsvermögen und Erbschaften gibt. Aus diesem Grund bin ich erst recht daran interessiert.
({0})
Hierzu keine Zusatzfragen mehr. Dann ist damit der Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erledigt. Schönen Dank, Herr Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde zur Verfügung.
Die erste Frage ist die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Pensky. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 29.
Die Fragen 30 und 31 entsprechen nicht den Richtlinien für die Fragestunde und werden nicht beantwortet.
Frage 32 des Herrn Abgeordneten Geisenhofer:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß trotz Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten nach dem Lohnfortzahlungsgesetz noch eine ungleiche benachteiligende Behandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten bei der Gewährung sogenannter Schonzeiten nach Badekuren besteht, da im Gegensatz zu den Angestellten der Arbeiter nur dann eine Schonzeit beanspruchen kann, wenn er arbeitsunfähig aus der Kur entlassen wird?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich würde gern beide Fragen zusammen beantworten.
({0})
Dann rufe ich auch Frage 33 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, diesen unerfreulichen Zustand durch eine entsprechende Ergänzung des § 11 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes in der Weise zu beseitigen, daß wenigstens allen Kriegsbeschädigten nach Badekuren generell eine Schonzeit von mindestens zehn Tagen zu gewähren ist?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Der Gesetzgeber hat, wie Sie wissen, Herr Kollege, bei der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes zunächst beschlossen, den Arbeitern bei Kuren erstmals einen Anspruch auf Arbeitsentgelt einzuräumen. Damit wurde über die Zeiten der arbeitsunfähigen Erkrankung hinaus ein weiterer Schritt zur Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten getan.
Die Frage, ob und wie die in der Lohnfortzahlung noch bestehende Ungleichbehandlung der Arbeiter bei nachfolgenden Schonzeiten beseitigt werden kann, liegt zur Zeit der Sachverständigenkommission für ein Arbeitsgesetzbuch zur Prüfung vor. Mit deren Votum ist in Kürze zu rechnen. Gewichtige Bedenken gegen eine entsprechende Änderung des Lohnfortzahlungsgesetzes zeichnen sich bisher nicht ab, so daß unser Haus die Absicht hat, diese Frage im Rahmen des Entwurfs eines Zweiten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes aufzugreifen, der noch in dieser Legislaturperiode den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden soll.
Zu der von Ihnen angeregten Änderung des Bundesversorgungsgesetzes darf ich folgendes anmer8268
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
ken: Nach den bisherigen Erfahrungen wird den Kriegsbeschädigten bereits ohnehin ärztlicherseits in der Regel eine Schonzeit von mindestens zehn Tagen verordnet. Während dieser Zeit erhalten sie schon nach geltendem Recht einen vollen Einkommensausgleich, sei es durch Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit, sei es durch einen Ausgleich nach § 17 BVG in Höhe von 100 % ihres Nettoeinkommens. Überschreiten Kur- und Schonzeit zusammen den Zeitraum von sechs Wochen, wird der Einkommensausgleich in Höhe von 90 % des Nettoeinkommens weitergewährt.
Keine Zusatzfrage.
Frage 34 des Herrn Abgeordneten Schedl. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 35 des Herrn Abgeordneten Peiter. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für Frage 36.
Frage 37 der Frau Abgeordneten Lauterbach wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 38 des Herrn Abgeordneten Ziegler. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für Frage 39.
Frage 40 der Abgeordneten Frau Dr. DiemerNicolaus:
Ist die Bundesregierung bereit, einen umfassenden Forschungsauftrag über die Auswirkung der Frauenarbeit auf die Volkswirtschaft zu vergeben?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin, ich würde auch Ihre Fragen gern im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch Frage 41 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Untersuchungen über die Motive der Frauen für eine Erwerbstätigkeit zu veranlassen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Die Erwerbstätigkeit der Frauen hat eine große Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland erlangt. Mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen sind Frauen. Genauere Erkenntnisse insbesondere über den Anteil der Frauenarbeit an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung liegen noch nicht vor. Eine erste Untersuchung über diesen Problemkreis hat das wirtschaftswissenschaftliche Institut der Gewerkschaften durchgeführt.
Wir werden im übrigen Ihre Frage zum Anlaß nehmen, zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit und deren Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eingehend zu prüfen, inwieweit ein umfassender Forschungsauftrag zu einem besseren Einblick auf diesem Felde beitragen kann.
Was die von Ihnen erfragten Motive für die Erwerbstätigkeit der Frauen angeht, so gibt es bereits eine ganze Reihe von in- und ausländischen wissenschaftlichen Untersuchungen. Sie zeigen, daß fast immer eine Mehrzahl von Motiven maßgebend ist, die einander ergänzen, sich aber auch überschneiden können und häufig im Lebensablauf wechseln. Auch diese Frage werde ich zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit in die Prüfung einbeziehen.
In diesem Zusammenhang darf ich ferner, Frau Kollegin, darauf hinweisen, daß wir zu dem speziellen Problem der Leichtlohngruppen gemeinsam mit den Tarifvertragspartnern einen Forschungsauftrag
in absehbarer, Zeit, wie wir hoffen - vergeben werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es freut mich natürlich, daß jetzt Untersuchungen durchgeführt werden. Aber wenn Sie diese zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit durchführen, werden doch wohl nur die erwerbstätigen Frauen erfaßt, nicht aber die in der Landwirtschaft und im Gewerbe mithelfenden Frauen. Beabsichtigen Sie, auch in dieser Hinsicht Untersuchungen anzustellen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Kollegin, diese Frage ist sicherlich von Bedeutung. Sie müßte dann über den Bereich hinaus, den die Bundesanstalt bestreiten könnte, in eine ergänzende Untersuchung aufgenommen werden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der Scheidungsreform ist es von ganz besonderer Bedeutung, zu erfahren, aus welchen Motiven geschiedene Frauen, vor allen Dingen, wenn sie für Kinder unter 14 Jahren zu sorgen haben, erwerbstätig sind. Könnten die Untersuchungen über diesen speziellen Kreis von Frauen vielleicht vorgezogen werden?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Das will ich prüfen lassen. Sie wissen, Frau Kollegin, daß mit Untersuchungen von solchem Umfang eine Reihe von methodischen Fragen verbunden ist, die sich nicht ohne weiteres beantworten lassen.
Keine weitere Zusatzfrage. Wir kommen zu der Frage 42 des Herrn Abgeordneten Meister. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 43. Die Antworten werden in der Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Frau Funcke
Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rohde.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner anwesend.
Zunächst die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold:
Halt die Bundesregierung angesichts der großen Zahl der im Auto verunglückten Kinder amtliche Richtlinien fur Kindersitze und -gurte in Kraftfahrzeugen für erforderlich?
Bitte schön!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, über die technischen Möglichkeiten zum Schutz von Kleinkindern und Kindern in Kraftfahrzeugen bei Unfällen liegen bisher keine ausreichenden Erkenntnisse vor, die es gestatten, amtliche Richtlinien für die Gestaltung und Prüfung von Kindersitzen und Sicherheitsgurten für Kinder schon jetzt zu erlassen. Der Bundesverkehrsminister hat deshalb bei einem Forschungsinstitut ein Untersuchungsprogramm veranlaßt, das Aufschluß geben soll über die auftretenden Beschleunigungen, Beanspruchungen und Bewegungsabläufe bei den verschiedenen Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder in einem Fahrzeug. Erste Untersuchungsergebnisse können etwa im Frühjahr 1972 erwartet werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht dennoch jetzt schon wünschenswert, wenn man darauf hinwirken könnte, daß Befestigungspunkte für Gurte auch auf den Rücksitzen aller Fahrzeuge serienmäßig eingeführt werden, damit auf diese Weise eine erheblich bessere Sicherung der Kinder erreicht werden kann?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, das sind Fragen, die mit bestimmten Änderungen der StraßenverkehrsZulassungsordnung und dem Fahrzeugbau zusammenhängen. Wir haben diese Frage in Erwägung gezogen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten der Anbringung bestimmter Kindersitze im Fahrzeug. Durch die Untersuchungen soll geklärt werden, was das Zweckmäßigere ist. Wir erhoffen uns bis zum Frühjahr nächsten Jahres Erkenntnisse, die dann zwangsläufig auch in den Automobilbau einfließen werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Schmude auf:
Zieht die Bundesregierung in Betracht, das Überfliegen des Bundesgebiets im zivilen Luftverkehr mit Überschallgeschwindigkeit zu verbieten?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregierung hat diese Frage wiederholt bejaht. Ich darf deshalb auf die Antworten zu ähnlichen Anfragen in früheren Fragestunden und zu Kleinen Anfragen verweisen. Insbesondere in der Antwort auf die Kleine Anfrage vom 17. Februar 1970 - Bundestagsdrucksache VI/403 - hat die Bundesregierung erklärt, daß sie nach geltendem Recht bereits ein Verbot des Überflugs über das Bundesgebiet mit Überschallgeschwindigkeit gegenüber deutschen und ausländischen zivilen Luftfahrzeugen durchsetzen kann, daß sie jedoch im Hinblick auf die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 26. Juni 1969, Drucksache V/4427 bereit ist, auch ein ausdrückliches Verbot von Überschallflügen durch eine entsprechende Vorschrift in der Luftverkehrsordnung zu erlassen. Dies ist bisher nicht geschehen, weil a) gegenwärtig noch kein ziviler Überschallverkehr stattfindet und b) sich das Verbot nur auf solche Flüge erstrecken soll, die Schäden oder erhebliche Belästigungen zur Folge haben, d. h. Flüge, deren negative Auswirkungen auf die Bevölkerung größer sind als die von Flügen mit herkömmlichen Luftfahrzeugen. Da wegen der technischen Entwicklung eine Abgrenzung solcher Flüge noch nicht möglich ist, konnte das entsprechend modifizierte Verbot, wie es beispielsweise die USA planen, bei uns noch nicht ausgesprochen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, nachdem die Produktion von Überschallflugzeugen jetzt offenbar in größerem Rahmen anläuft, hält es da die Bundesregierung nicht für angebracht, deutlich zu machen, daß im Inland, bei uns jedenfalls, die Verwendbarkeit dieser Flugzeuge eingeschränkt sein wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe schon angedeutet: das ist mehrfach von der Bundesregierung auch von dieser Stelle aus geschehen. Außerdem haben Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf den entsprechenden internationalen Konferenzen in diesem Sinne argumentiert und deutlich gemacht, daß wir niemanden hindern wollen, Überschallflugzeuge zu bauen, aber daß wir jeden hindern werden, über die Bundesrepublik hinwegzufliegen in einer Weise, die eine Belästigung der Bevölkerung bedeuten würde.
Keine weitere Frage. Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Folger auf:
1st der Bundesregierung bekannt, daß in den Städten neben den bisher schon bekannten schädlichen Nebenwirkungen einer verstärkten Streusalzverwendung ({0}) auch die Grünanlagen entlang der Straßen durch salzhaltiges Spritzwasser und Sprühnebel angegriffen werden?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Parlamentarischer Staatssekretär Börner Fernmeldewesen: Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß Schäden an Straßenbäumen in Städten auf die Verwendung von Auftausalzen zur Glättebekämpfung zurückgeführt werden. Sie ist jedoch der Auffassung, daß für diese Schäden weniger das auf die Fahrbahn gestreute Auftausalz als vielmehr eine unsachgemäße Behandlung der Gehwege mit Auftausalzen, die Verschmutzung der Luft durch Abgase und die zunehmende Befestigung der Gehwege verantwortlich sind. Untersuchungen, die den Einfluß von Auftausalzen auf Pflanzen klären sollen, sind seit einigen Jahren im Gange und sollen in größerem Umfang fortgeführt werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht, die Industrie anzuregen, unschädliche Salze zu produzieren?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, es dürfte aus meiner Kenntnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge unmöglich sein, so etwas zu kostengünstigen Preisen herzustellen. Ich werde nachher bei der Behandlung anderer Fragen in gleicher Richtung noch darauf zu sprechen kommen.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Folger auf:
Kann damit gerechnet werden, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag eine generelle Neuregelung der bundesgesetzlichen Vorschriften über die Verwendung von Streusalzen vorschlagen und eine Überarbeitung der Richtlinien für den Winterdienst vornehmen wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, für die Anwendung von Auftausalzen zur Glättebekämpfung auf Straßen hat die Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen Merkblätter aufgestellt, in denen u. a. auch Höchstmengen für das Streuen von Auftausalzen angegeben sind. Diese Mengen liegen zwischen zehn und 40 Gramm je qm Fahrbahnfläche und können, wenn der gewünschte Erfolg eintreten soll, nicht herabgesetzt werden. Die Entscheidung, ob auf Stadtstraßen Auftausalze gestreut werden sollen, liegt allein bei den betreffenden Gemeinden. Die Bundesregierung ist aber, wie bereits in der Fragestunde am 22. Januar 1971 in der Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Riedl ausgeführt wurde, nach wie vor der Meinung, daß Auftausalze für die Befahrbarkeit der Straßen und die Verkehrssicherheit im Winter unentbehrlich sind.
Keine weitere Frage. Die Frage 57 wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Wie hoch veranschlagt die Bundesregierung die Schäden, die der Volkswirtschaft durch steigende Verwendung von Streusalzen auf den Stiaßen besonders an Grünanlagen, an landwirtschaftlichen Flächen, für Gewässer, Straßendecken und an Fahrzeugen ({0}) entstehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wie hoch etwaige Schäden durch Auftausalze etwa zu beziffern sind, vermag die Bundesregierung nicht anzugeben. Statistisches Material liegt hierüber nicht vor. Dies gilt auch für die Höhe des volkswirtschaftlichen Gewinnes, der durch die infolge der Verwendung von Auftausalzen weitgehend unbehinderte Abwicklung des Straßenverkehrs und den nachweislich erfolgten Rückgang winterbedingter Verkehrsunfälle zu verzeichnen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht richtig, wenn die Bundesrepublik versuchte, den Umfang der Schäden zu ermitteln, weil dieses Ergebnis, auch wenn es nicht genau sein kann, doch von wesentlicher Bedeutung dafür ist, welche zusätzlichen Kosten für andere Streumittel aus wirtschaftlichen Gründen durchaus in Kauf zu nehmen wären?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, im Zusammenhang mit der Beantwortung Ihrer nächsten Frage wollte ich sagen, daß von allen Übeln dieses das kleinste ist und daß es hingenommen werden muß, wenn man nach dem heutigen Stand der Wissenschaft hier einen relativ unschädlichen Stoff verwenden will. Alles andere hat Nebenwirkungen, die noch weit erheblicher sind als bei Auftausalzen. - Aber vielleicht darf ich jetzt die Antwort auf die Frage 59 geben.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch die Vergabe von Forschungsaufträgen die Entwicklung von unschadlichen Ersatzstoffen für das Streusalz und die Lösung dieses Problems voranzutreiben?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die meisten chemischen Stoffe, die Eis und Schnee aufzutauen vermögen, können auf Straßen nicht gestreut werden. Sie sind entweder giftig oder rufen eine Schmierwirkung hervor oder führen zur Verunreinigung der Gewässer oder sind so teuer, daß ihre Anwendung aus finanziellen Gründen nicht erwogen werden kann. Die Bundesregierung steht in dieser Frage sowohl mit internationalen Gremien als auch mit allen europäischen Ländern in ständigem unmittelbarem Kontakt. Sie ist nicht der Auffassung, daß durch von ihr finanzierte Forschungsvorhaben chemische Auftaustoffe gefunden werden könnten, die unschädlicher und wirtschaftlicher sind als bisher bekannte
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Stoffe. Von allen Auftaustoffen ist das normalerweise verwandte Stein- oder Siedesalz für Mensch und Natur am harmlosesten.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung nicht Meldungen bekanntgeworden, wonach in Österreich ein Streumittel entwickelt worden ist, welches diese Nachteile nicht hat?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, diese Meldung ist mir nicht bekannt. Ich weiß nur, daß einige österreichische Straßen im Winter mit Splitt gestreut werden. Das ist aber nicht vergleichbar; denn die Verkehrsbelastung und die Wetterbedingungen sind dort ganz anders als bei uns, die wir ein relativ mildes Winterklima haben. Wir können uns die Erfahrungen dort in dieser Weise also nicht zu eigen machen. Technische Produkte sind schon eine Menge angepriesen worden, aber sie halten bis jetzt einer näheren Nachprüfung nach den Kriterien, die ich vorhin genannt habe, leider nicht stand. Ich wäre gern bereit, Ihre Mitteilung nachprüfen zu lassen, wenn Sie mir die Pressemeldung übermitteln könnten.
Weitere Zusatzfrage!
Hält es die Bundesregierung, da jederzeit mit neuen Entwicklungen gerechnet werden kann, nicht dennoch für sinnvoll, einen Forschungsauftrag zu vergeben, zumal ja jede Forschung in dieser Richtung ohne vorher sichergestellte Finanzierung zweifellos ein Risiko ist? Es würde der Sache doch sehr dienlich sein, wenn die Regierung auf diesem Gebiet, das ja zum Umweltschutz zu rechnen ist, von sich aus Mittel bereitstellte.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, wir haben uns hier alle erreichbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse bisher zunutze gemacht und sind bei dem verblieben, was ich Ihnen vorhin dargestellt habe, weil bei allen anderen Stoffen Nebenwirkungen zu verzeichnen waren. Wir sind hier im Hinblick auf weiteren technischen Fortschritt keinesfalls irgendwie zurückhaltend. Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, daß die Industrie aus sehr naheliegenden Gründen von sich aus eine Menge Geld für diese Forschung ausgegeben hat. Aber alles, was bisher an Forschungsergebnissen vorliegt, ermutigt uns nicht, in diese Sache zur Zeit weitere Steuergelder hineinzustecken. Vielmehr meinen wir, daß nach Abwägung aller Grundsätze des Umweltschutzes die jetzt durchgeführte Salzstreuung das relativ kleinste Übel ist, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie
nicht überdosiert wird, wie es da und dort geschieht, wodurch Bäume „verbrennen". Es ist also eine Frage der Anwendung des vorhandenen Mittels.
Letzte Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, könnte die in der Vergangenheit - Sie deuteten es eben schon an reichliche Verwendung solcher Mittel in Zukunft etwas sparsamer erfolgen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, Einfluß haben wir nur auf die Betreuung des Bundesfernstraßennetzes. Da werden die Richtlinien, die ich vorhin genannt habe, eingehalten. Sie werden auch in der Fachliteratur publiziert, so daß sich jede Gemeinde, die ihrerseits Straßenstreuungen vornimmt, danach richten kann.
Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, keine Weisungsbefugnis.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Entsprechen die Vorwürfe des Tierschutzvereins Bozen, wonach beim Transport von Schlachtvieh von Deutschland nach Italien mit dem Tierschutzgedanken unvereinbare Mißstände herrschen ({0}) den Tatsachen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege die Deutsche Bundesbahn hat mir erneut versichert, daß bei der Beförderung lebender Tiere aus der Bundesrepublik nach Italien den Anforderungen des Tierschutzes in vollem Umfang Rechnung getragen worden ist. Sie weist insbesondere darauf hin, daß in keinem der Presseberichte, auf die Sie sich wahrscheinlich stützen, konkrete Angaben über Zeitpunkt und nähere Umstände der angeblich mangelhaften Verladung enthalten waren, die von ihr oder dem Veterinärdienst hätten überprüft werden können.
Wie ich bereits am 22. September 1971 auf Anfrage des Herrn Kollegen Folger ausgeführt habe, verläßt kein Tiertransport das Gebiet der Bundesrepublik, der nicht am Abgangsort und an der Grenze durch Amtstierärzte untersucht worden wäre. Bei diesen Prüfungen wird insbesondere auch darauf geachtet, daß die Tiere nicht zu dicht verladen werden, sich also bewegen können, daß Lüftung und Einstreu den Bestimmungen entsprechen und daß die Tiere uneingeschränkt transporttauglich sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für zweckmäßig, daß die Deutsche Bundesbahn eine Erklärung veröffentlicht, wor8272
in sie diese Vorwürfe des Bozener Tierschutzvereins zurückweist, damit diese Dinge nicht immer im Raume stehen?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, soweit mir bekannt ist, hat die entsprechende Bundesbahndirektion eine Richtigstellung gegenüber den Publikationsorganen gegeben, die diese Behauptungen aufgestellt haben. Ich kann nicht übersehen, ob auch der Abdruck dieser Richtigstellung erfolgt ist.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 61 des Abgeordneten Wagner ({0}) wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Mende auf. - Herr Dr. Mende ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 63. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche Gründe sind maßgebend, daß die Notendruckerei der Bundesdruckerei, die bisher den größten Teil der deutschen Geldscheine in Berlin herstellte, von Berlin nach Frankfurt abgezogen wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, es ist nicht richtig, daß der Druck von Banknoten jetzt aus Berlin abgezogen wird. Richtig ist, daß die Bundesdruckerei im Auftrag der Deutschen Bundesbank seit 1963 nur noch die 10-DM-Banknoten in Berlin herstellt.
Es war damals bereits vorgesehen, auch diese Banknoten ab 1973 in Frankfurt zu drucken. Diese Entscheidung wird jedoch noch einmal überprüft, sobald . das Ergebnis der innerdeutschen Verhandlungen über den Berlin-Verkehr feststeht.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung nunmehr folglich der Auffassung, daß durch das BerlinAbkommen eine neue Lage entsprechend dem Schreiben des Präsidenten der Bundesdruckerei, wie es heute in der „Welt" veröffentlicht wurde, entstanden ist, die die Sicherheit für den Druck und den Transport des Geldes sowie für die Pässe wieder gewährleistet?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Das muß nach Abschluß der Verhandlungen geprüft werden. Ich halte eine solche Entscheidung für möglich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung eine entsprechende Empfehlung an den Zentralbankrat geben, die früher getroffenen Beschlüsse wieder rückgängig zu machen, um auch weiterhin Bundesnotendrucke in Berlin zu gewährleisten?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, nach Abschluß der entsprechenden Verhandlungen wird die Bundesregierung das tun.
Keine Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich. Schönen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Grüner auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 66. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 68. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 70. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Welche sachlichen und organisatorischen Maßnahmen ergreift die Bundesregierung in bezug auf das Deutsche Rechenzentrum ({1}) in Darmstadt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung wird in den Aufsichtsorganen der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung - GMD - und dem Kuratorium des Deutschen Rechenzentrums beantragen, das Deutsche Rechenzentrum als Außenstelle in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung einzugliedern. Vorschläge für die dabei auftretenden fachlichen, organisatorischen und personellen Fragen werden zur Zeit von der Geschäftsführung und dem wissenschaftlichen Rat der GMD gemeinsam mit den Mitarbeitern des Rechenzentrums erarbeitet. Die Vorstellungen über die künftigen Aufgaben der Außenstelle gehen in etwa dahin, die Probleme der Datenfernverarbeitung zu erforschen und Anwendungen der Datenfernverarbeitung, besonders im Bereich der Wissenschaft, zu entwickeln und zu erproben sowie zum anderen die Tätigkeit
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
der Abteilung Nicht-Numerik des Deutschen Rechenzentrums und die Ausbildung von Fachkräften der Datenverarbeitung verstärkt fortzuführen.
In einer Übergangszeit bis etwa 1973 sollen die Rechenanlagen des Deutschen Rechenzentrums auch weiterhin der Technischen Hochschule Darmstadt und anderen bisherigen Benutzern in angemessenem Umfange zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer.
Herr Staatssekretär, darf ich in diesem Zusammenhang an das Interview von Herrn Minister Leussink mit dem „Darmstädter Echo" am 13. März 1971 erinnern, wonach dem Deutschen Rechenzentrum im Rahmen des zweiten DV-Programms der Bundesregierung „eine wichtige Rolle und eine genügende Zahl von Aufgaben für das DRZ und seine Mitarbeiter" zugewiesen werden sollte, und darf ich Sie fragen, ob diese Aussage nach der Neuorganisation, die ja zum Teil für Abteilungen die Integration in die GMD vorsieht und zum anderen Teil ein Belassen in Darmstadt, noch aufrechterhalten werden kann, zumal je nach dieser Behandlung der jetzt noch in Darmstadt bestehenden Abteilungen und nach der Eingliederung in die GMD nicht mehr, wie ich meine, von einer Art Außenstelle gesprochen werden kann, von der ja auch der Minister in einer Ausschußsitzung im Juni vor dem 16. Ausschuß gesprochen hat?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Lenzer, die beiden Gebiete Datenfernverarbeitung und Nicht-Numerik gehören zu den wichtigsten Entwicklungsgebieten der Datenverarbeitung überhaupt. Die Tatsache, daß das Deutsche Rechenzentrum mit diesen beiden Aufgaben der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung zugeordnet wird, ist ein Vorteil und kein Nachteil für den Standort in Darmstadt. Der Vorteil besteht darin, daß, wie auch häufig vom Haushaltsausschuß und vom Ausschuß für Bildung und Wissenschaft gewünscht, hier eine wirkliche wissenschaftliche Verzahnung mit der Entwicklung der Datenverarbeitung hergestellt werden kann. Hier werden also Praxis und Forschung zusammengeführt, und das ist gut.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich dann auch einmal die Frage nach dem Schicksal der dortigen Mitarbeiter stellen. Ist es also richtig, daß die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung bei der Übernahme des Deutschen Rechenzentrums die als gekündigt zu betrachtenden Mitarbeiter - mit Ausnahme der leitenden Mitarbeiter - bei Wahrung des Besitzstandes, nicht aber bei Wahrung der Funktionen übernimmt, und können Sie nähere Angaben dazu machen, was mit den leitenden Mitarbeitern geschehen wird?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Lenzer, Ihre erste Feststellung ist nicht richtig. Es ist nicht richtig, daß diese Mitarbeiter als gekündigt betrachtet werden müssen. Im Gegenteil, die Verträge werden von der GMD übernommen und in entsprechender Form umgestaltet. Zweitens werden einige der leitenden Mitarbeiter in Leitungsfunktionen auch der neuen Institute übernommen werden. Hierüber finden im einzelnen noch Verhandlungen statt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit der letzten Frage des Kollegen Lenzer darf ich Sie fragen, ob für die Mitarbeiter, die eventuell von Darmstadt nach Birlinghoven übersiedeln müssen, ein Sozialplan aufgestellt wurde.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ja, das wird dann der Fall sein, Herr Kollege Hansen.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann rufe ich Frage 72 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:
Trifft es zu, daß zwar die Forschungsthematik, nämlich Datenfernverarbeitung, festgelegt worden ist, aber nicht überprüft wurde, für wen und mit wem die Datenfernverarbeitung durchgeführt wird?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Dies trifft nicht zu, Herr Kollege Lenzer. Es bestehen bereits Datenfernverbindungen zur Technischen Hochschule Darmstadt und zur Universität Stuttgart, die auch aufrechterhalten werden sollen. Eine Verbindung mit dem Forschungszentrum der GMD in Birlinghoven ist fest eingeplant. Über Verbindungen mit anderen Universitäten finden Gespräche statt. Die zukünftige Außenstelle Darmstadt der GMD soll auch das deutsche Knotenzentrum für das im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft geplante europäische Datenübermittlungsnetz werden.
Methoden und Programme für spezielle Anwendungen der Datenfernverarbeitung, die in der künftigen Außenstelle Darmstadt der. GMD - gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den dortigen Hochschulinstitutionen - entwickeln werden, sollen von regionalen Großrechenzentren verwendet und wiederum deren Benutzern zur Verfügung gestellt werden. Interesse an den Arbeiten besteht auch von seiten behördlicher Anwender, z. B. seitens der Finanzverwaltung von Nordrhein-Westfalen. Soweit zur Sammlung von Erfahrungen erforderlich, wird die Außenstelle diese Programme auswärtigen Benutzern auch auf den eigenen Rechenanlagen verfügbar machen.
Einen besonderen Schwerpunkt der Arbeiten sollen jedoch Fragen bilden, die von allgemeinerer Bedeutung sind. Dazu gehören z. B. Informations- und Steuerungssysteme, für die ein Fernzugriff vieler Be8274
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi nutzer zu derselben Datenverarbeitungsanlage wegen der gegenseitigen Kommunikation unumgänglich ist, wie z. B. bei der Platzbuchung und bei den schwierigen Problemen der Verkehrssteuerung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht vielleicht nützlich gewesen, wenn man im Zusammenhang mit der Erörterung einer zukünftigen Forschungsthematik für das Deutsche Rechenzentrum oder deren Abteilungen nach der Eingliederung in die GMD sich auch einmal eines Gutachtens von neutralen Stellen bedient hätte? Meines Wissens stützt man sich gegenwärtig nur auf eine Studie der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, die ja Beteiligter ist.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Lenzer, Ihre Information ist nicht ganz vollständig. Wir haben eine Vielzahl von Gesprächen und Beratungen durchgeführt, nicht nur mit der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung. Insofern basieren die Vorstellungen der Bundesregierung auf breiten Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, könnte man sich nicht vorstellen, daß es durchaus kein Widerspruch wäre und auch vom ökonomischen Standpunkt sinnvoll wäre, wenn beispielsweise zwei großforschungsähnliche Institute auf diesem Gebiete, etwa der anwendungsbezogenen Forschung, ihre Aufgabe im Rahmen des zweiten DV-Programms der Bundesregierung fänden?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Lenzer, ich habe vorhin schon versucht, den Standpunkt der Bundesregierung hier zu verdeutlichen. Wir haben einen Schwerpunkt für die Forschung, auch die angewandte Forschung, im Bereich der Datenverarbeitung bei der GMD. Wir müssen versuchen, mit unseren Forschungsmitteln so rationell wie irgendmöglich umzugehen. Das läßt sich am besten verwirklichen, indem bestehende Institutionen wie das Deutsche Rechenzentrum in enge Verbindung gebracht werden mit dem Schwerpunkt GMD, und zwar im Rahmen des 2. Datenverarbeitungsprogramms.
Noch eine weitere Frage? - Bitte schön!
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß die maschinelle Ausstattung des Rechenzentrums für die künftige Aufgabenstellung ausreichen wird?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das wird sichergestellt, Herr Kollege Wichert.
Keine Zusatzfrage mehr.
Frage 73 des Abgeordneten Dr. Hauff:
Welche Maßnahmen bereitet die Bundesregierung vor, um der Ankündigung der Volkswagenstiftung zu begegnen, daß sie voraussichtlich ab 1973 die Finanzierung der Hochschul-Informations-System GmbH beenden wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege Hauff, lautet: Die Übernahme der HochschulInformations-System GmbH durch Bund, Länder und gegebenenfalls die Hochschulen. Das wäre die Lösung, die der Bund ins Auge gefaßt hat.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, beabsichtigt die Bundesregierung bei der dann zu erfolgenden Neudefinition des Arbeitsprogramms für die Hochschul-Informations-System GmbH darauf zu drängen, daß die praktischen Bedürfnisse der Hochschulplanung stärker als bisher berücksichtigt werden?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die praktischen Fragen der Hochschulplanung absolut im Vordergrund stehen müssen. Das gilt auch für die Weiterentwicklung von HIS.
Zweite Zusatzfrage.
Ist, Herr Staatssekretär, der Bundesregierung bekannt, mit welchen Mitteln und mit welcher Begründung die Hochschul-Informations-System GmbH in Bonn ein Verbindungsbüro unterhält?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Dr. Hauff, die Frage des Verbindungsbüros in Bonn hat sich bisher nicht gestellt, weil es zweckmäßig erschien, die Mittel rationell zusammenzufassen. Aber man wird die Frage stellen, wie das in Zukunft sein soll.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung für eine Beteiligung der Hochschulen als Gesellschafter einsetzen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung hat zunächst ihre eigene Beteiligung angeboten, wie Sie wissen, und hat dafür Mittel vorgesehen. Aber auch eine Beteiligung der Hochschulen kann, wie ich vorhin in meiner Antwort gesagt habe, gegebenenfalls zweckmäßig erscheinen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 74 und 75 des Herrn Abgeordneten Pfeifer werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 76 des Herrn Abgeordneten Dr. Hermesdorf auf:
Fordert die Bundesregierung auf der Grundlage des Rahmenabkommens zwischen Bund und Ländern über Planung, Finanzierung und Durchführung von Modellversuchen im Bildungswesen neben den Schulversuchen mit integrierten Schulmodellen auch solche in gegliederten Schulformen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hermesdorf, es werden sowohl Schulversuche mit integrierten Schulmodellen als auch solche mit nichtintegrierten Schulformen gefördert.
Darf ich die Antwort auf die zweite Frage, Frau Präsidentin, gleich anschließen?
Ja, wenn der Fragesteller einverstanden ist. - Bitte, Frage 77 auch:
Wie viele Schulversuche fördert die Bundesregierung mit Integrationsmodellen, mit nicht integrierten Modellen, und wie verteilen sich die für Schulversuche bewilligten Bundesmittel auf die beiden Gruppen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der Innovationsausschuß der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung hat als von der Kommission beauftragtes Gremium für das Jahr 1971 Empfehlungen zur Förderung von Modellversuchen im Schulbereich im Umfang der nachfolgenden Aufstellung gegeben. Dabei sind die Bewilligungsverfahren einschließlich der haushaltsrechtlichen Prüfungen zum Teil bereits abgeschlossen, zum Teil kurz vor dem Abschluß: im Sekundarbereich I und II für integrierte Projekte 88 Schulen mit etwas über 17 Millionen DM, für nicht integrierte Projekte 150 Schulen mit etwas über 6 1/2 Millionen DM. Im Elementarbereich und im Primarbereich werden insgesamt 191 Kindergärten bzw. Schulen mit etwas über 4 Millionen DM als Modellversuche gefördert.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ist die Förderung durch den Bund
auch tatsächlich entsprechend diesen Empfehlungen erfolgt, oder sind andere Richtlinien maßgebend gewesen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Nein, Herr Kollege Hermesdorf. Wie ich soeben sagte, hat sich die Bundesregierung in den Prozeß der gemeinsamen Planung nach Art. 91 b GG in der Bund-Länder-Kommission begeben und ist damit innerhalb der Bund-Länder-Kommission auch an die dort erarbeiteten Richtlinien gebunden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie hoch sind die Mittel, die die Länder zu diesen Schulversuchen beigesteuert haben, und wie hoch sind die Mittel, die der Bund im Jahr 1971 entweder schon bewilligt hat oder bis Ende des Jahres noch zu bewilligen bereit ist?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hermesdorf, ich kann diese Fragen für die verschiedenen Kategorien, die ich hier aufgezählt habe, nicht im einzelnen beantworten. Im allgemeinen gilt für eine Förderung: hälftig Bund, hälftig Länder. Davon gibt es jedoch in einzelnen Fällen Abweichungen, wenn bestimmte Mehrkosten eine besondere Beurteilung erforderlich machen. Solche Ausnahmen sind zwar ins Auge gefaßt, aber, wie ich glaube, noch nicht real geworden.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Hauff!
Herr Staatssekretär, können Sie mitteilen, wie viele Schulversuche, getrennt nach Sekundarbereich I und Sekundarbereich II, die Bundesregierung fördert?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ja. Im Sekundarbereich I sind es bei integrierten Projekten 71 Schulen und bei nicht integrierten 79 Schulen mit einem Verhältnis von fast 12 Millionen DM zu etwa 4 1/2 Millionen DM; und im Sekundarbereich II sind es 14 integrierte und 59 nicht integrierte Projekte mit einem Verhältnis von 21/2 Millionen DM zu etwa 1,7 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele integrierte und wie viele kooperative Gesamtschulen im Sekundarbereich I gefördert werden?
8276 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - i
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich kann auch das, Herr Kollege Hansen. Es sind im Sekundarbereich I 54 integrierte Gesamtschulen und 8 kooperative Gesamtschulen mit einem Verhältnis von etwa 11 Millionen DM für die integrierten und etwas über 1 Million DM für die nichtintegrierten Gesamtschulen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen möglich, aufzuschlüsseln, in welchen Ländern welche Schulversuche gefördert werden?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das ist durchaus möglich, Herr Kollege Wichert. Aber ich habe die Zahlen weder im Kopf noch auf dem Papier.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär von Dohnanyi.
Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Freyh zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Wolfram auf. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage ebenso wie die Frage 79 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 80 der Abgeordneten Frau Lauterbach:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung in der von mir in der Entwicklungshilfe-Debatte des Deutschen Bundestages angesprochenen Management-Ausbildung entwickelt, um dem wachsenden Bedarf der Entwicklungsländer an qualifizierten Managemertkräften gerecht zu werden, und welche Erfahrungen hat sie bereits in diesem Bereich gemacht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin!
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Kollegin, im Rahmen der bilateralen technischen Hilfe werden bereits seit einigen Jahren vorwiegend mittlere Führungskräfte aus Entwicklungsländern in Deutschland im Management-Bereich fortgebildet. Es wurden hierbei bestimmte Programmtypen von 10 bis 16 Monaten Dauer einschließlich Sprachkurs- und Industriepraktikum entwickelt, ,die sich im ganzen bewährt haben. Das bisherige Angebot reicht jedoch nicht aus, um insbesondere auch obere Führungskräfte, die sich bereits in leitender Position in ihren Heimatländern befinden und in der Regel nur kurzfrstig abkömmlich sind, anzusprechen. Es ist deshalb beabsichtigt, neue, konzentrierte fremdsprachliche Kurzzeitprogramme zu entwickeln und nach Möglichkeit in enger Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Fortbildungsinstituten durchzuführen. Als spezielle Ausbildungsstätte zur Schulung des kaufmännischen
Management-Personals der mittleren Ebene wären hier zu nennen: das Industrieverwaltungsinstitut in Kabul und das College of Business Education in Daressalam. Ausbildungsstätten, die sich bisher der rein technischen Fachkräfteausbildung gewidmet haben, richten in steigendem Maße besondere Managementkurse ein, in denen auch bereits Berufstätige fortgebildet werden können. Im multilateralen Bereich unterstützt die Bundesregierung Management-Ausbildungsprogramme der ILO und UNIDO. So gewährt sie Angehörigen der Entwicklungsländer Stipendien für die Teilnahme an Lehrgängen des Internatonal Center for Advanced Technical and Vocational Training der ILO in Turin.
Zur Zeit wird auch geprüft, Frau Kollegin, eine Betriebsführungsgesellschaft zum Zwecke der direkten Unterstützung von Betrieben in Entwicklungsländern im Management-Bereich unter maßgeblicher Beteiligung ,der Deutschen Entwicklungsgesellschaft zu gründen und ein Beraterkorps der deutschen Wirtschaft, bestehend aus nicht mehr in ihren Unternehmen aktiven Managern, die mit den Verhältnissen in den Entwicklungsländern vertraut sind, einzurichten.
Die Beratungen über diese letzten beiden Punkte sind noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Lauterbach.
Frau Parlamentarische Staaatsekretärin, wenn es zutrifft, wie wir beide aus eigenen Erfahrungen wissen, daß der große Mangel an qualifizierten einheimischen Management-Kräften in den Entwicklungsländern bei deren Regierungen noch immer ein Gefühl der Abhängigkeit von Geberländern hervorruft, müssen wir dann nicht diesem Bereich auch aus entwicklungspolitischen Gesichtspunkten in verstärktem Maße unsere Aufmerksamkeit widmen? Ich frage Sie daher konkret: Sind Sie bereits in der Lage, zu der Art der Durchführung und dem Inhalt der geplanten Kurzzeitprogramme, dem möglichen Beginn und dazu, in welcher Weise die Nachwuchskräfte der deutschen Wirtschaft in die Ausbildung einbezogen werden, eine Aussage zu machen.
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Lauterbach, ich weiß nicht, ob Sie sich jetzt auf das Beraterkorps der deutschen Wirtschaft beziehen - ({0})
- Dieses Kurzzeitprogramm habe ich eben kurz erläutert. Es ist angelaufen. Ich darf vielleicht gleich hinzufügen, es wäre denkbar, aus diesen Kursen, wenn sie zusammenfaßbar sind sie sollen jetzt an einzelnen Fortbildungsinstituten stattfinden oder finden bereits an diesen statt -, die von Ihnen in der entwicklungspolitischen Debatte im April 1971 erörterte Management-Ausbildungstätte zu entwickeln.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Lauterbach.
Um systematische und gezielte Ausbildungmaßnahmen duchführen zu können, darf ich Sie fragen, ob es bereits eine Art Bedarfsermittlung von Management-Kräften in Entwicklungsländern, nach Zahlen und Fachbereichen gegliedert, gibt.
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Kollegin Lauterbach, da die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik nur einen Teilbereich dessen umfaßt, was Entwicklungsländer brauchen, kann ich Ihnen über den Bedarf keine Auskunft geben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß eine Ermittlung des globalen Bedarfs gar nicht möglich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, gibt es vergleichbare Bemühungen der Bundesregierung im Bereich der bilateralen oder multilateralen technischen Hilfe auch auf dem Gebiet der Ausbildung gewerkschaftlicher Führungskräfte?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege Matthöfer, ich würde sagen, daß das, was im Bereich der politischen Stiftungen geschieht, und zum Teil auch das, was bei der Deutschen Stiftung in diesem Bereich möglich ist, Ihr Anliegen betrifft.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Werner wird schriftlich beantwortet, da er nicht anwesend ist. Die Antwort wird als Anlage im Sitzungsbericht abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir sind am Ende der Fragestunde und setzen unsere Beratungen zur ersten Lesung des Haushalts 1972 fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Arndt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion hat vorhin erklärt, daß er mit der Bundesregierung in zwei Punkten übereinstimmt: erstens enge Zusammenarbeit mit Paris und Washington in der Lösung der anstehenden Fragen, insbesondere in der Währungspolitik und in der Handelspolitik, zweitens die Respektierung der Tarifautonomie, ein Nein zum Lohn- und Preisstopp. Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dieser beiden Punkte der Übereinstimmung - an sich kein täglicher Fall in diesem Hause - bedienen, um zu versuchen, mit Ihnen gemeinsam einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage zu finden, einen Ausweg, der es uns und der Welt ermöglicht, handelspolitisch wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Enge Zusammenarbeit mit Paris und Washington, das heißt natürlich auch: mit London, Rom, Tokio, heißt natürlich auch: vor allem mit Brüssel, der Stadt mit der guten Doppelfunktion.
Aber das betreibt die Regierung. Das betreibt diese Bundesregierung auch nicht erst seit dem 5., 8. oder 9. Mai, das ist seit mehr als anderthalb Jahren versucht worden. Auf der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Kopenhagen vor 13 Monaten, im Herbst des Jahres 1970, ist versucht worden, die währungspolitischen Störungen durch einen kooperativen Beitrag der Bundesregierung und der Bundesbank abzuwehren. Im Frühjahr ist das gleiche mit härterer Intensität bei dem Treffen der EWG-Finanzminister in Hamburg versucht worden. Es ist am 8. und 9. Mai in der Ratstagung in Brüssel versucht worden, als die Bundesregierung durch den Bundeswirtschaftsminister anbot: feste Paritäten untereinander, sich verengende Bandbreiten untereinander, das Konzept des Werner-Plans - das Konzept, das kurz vorher eingesegnet worden war -, auf dem Wege zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, dafür aber größere Flexibilität nach außen, und, falls irgendeine der europäischen Währungen in Schwierigkeiten kommt, eine Aktion des finanziellen Beistandes für die betreffende Notenbank. Auch aus dieser Initiative zur Kooperation ist nichts geworden.
Es tut mir leid, meine Damen und Herren von der Opposition, man kann nicht schematisch und in allgemeinen Wendungen von Kooperation reden, sondern man muß schon sagen, wie und was zu kooperieren ist, auf welcher Basis die Einigung erfolgen kann und erfolgen sollte. Und da kam von Ihnen auch heute leider kein Beitrag und - ich kann es mir nicht ersparen - es kam keine Alternative.
({0})
Sowohl der Fraktionsvorsitzende als auch Herr Kollege Strauß haben sich nicht zu dem Komplex Währungspolitik als Instrument für Wirtschaftspolitik, Außenhandelspolitik, ja Außenpolitik, geäußert.
({1})
- Doch, das hat der Bundeswirtschafts- und Finanzminister sehr klar getan.
({2})
Es gab im Sommer dieses Jahres, Herr Kollege Luda, eine Periode, in der ich hoffte, die Opposition würde in dieser großen, lebenswichtigen Frage unseres Volkes von dem bloßen Nein wegkommen. Diese Periode war am 30. August z. B., als Herr Dr. Rainer Barzel als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklärte, daß nach ihrer Auffassung es dringend erforderlich ist, erstens alsbald zu einer im Internationalen Währungsfonds abgestimmten realistischen Neufestsetzung der Währungsparitäten zu gelangen, zweitens dabei erste konkrete Schritte in Richtung auf die europäische Währungsunion zu tun und drittens das internationale Währungs8278
Dr. Arndt ({3})
system elastischer als bisher zu gestalten. Das ist das Programm der Regierung, nur muß es konkret ausgefüllt werden, und da trifft es auf internationale Tabus und Schwierigkeiten.
Im selben August dieses Jahres, unter dem 19. August, hat der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Herr Stoltenberg, - jetzt Ministerpräsident Stoltenberg - gefordert, daß jetzt Schluß mit der Diskussion gemacht werde, ob die Freigabe der Wechselkurse am 10. Mai richtig oder nicht richtig gewesen sei; die Opposition sei nicht darauf aus, der Regierung auf dem internationalen Felde Schwierigkeiten zu bereiten. Und dann stellte in diesem Zusammenhang der Vorsitzende des Bundesausschusses für Wirtschaftspolitik, Herr Dr. Schäfer, eine Forderung auf, die durchaus für eine Zusammenarbeit von Regierungsfraktionen, Oppositionsfraktionen und Bundesregierung geeignet schien. Heute aber haben wir sowohl in der Rede des Herrn Kollegen Strauß wie in der von Herrn Dr. Barzel gehört, die Regierung wolle mit der Währungsdiskussion nur von den heimischen Schwierigkeiten ablenken. Währungspolitik bringe sie als Surrogat, als Ersatz für eine Bekämpfung der hausgemachten Inflation. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich kann mir das Urteil nicht ersparen, daß Sie den Ernst der Lage, den Ernst der internationalen Inflation, in der sich die westliche Welt befindet, noch nicht erkannt haben.
({4})
Herr Dr. Barzel hat sich über die Einleitung der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers mokiert, der von der Erhöhung der internationalen Liquidität in den letzten anderthalb oder zwei Jahren sprach. Als ob die dort genannten 20 Milliarden Dollar nichts wären! Ich habe die Zahlen überprüft und habe festgestellt wenn ich es einmal in D-Mark umrechne -, daß in den anderthalb Jahren von Ende 1969 bis Mitte des Jahres 1971, in achtzehn Monaten, die Weltwährungsreserven sich in einem Maße erhöht haben, das früher 16 volle Jahre gedauert hat, - 18 Monate statt 16 Jahre! Diese Statistiken des Internationalen Währungsfonds zeigen, daß gegen einen normalen Durchschnitt von 4 Milliarden 1955 und 1960 oder 8 Milliarden DM an zusätzlicher Weltliquidität zwischen 1960 und 1969 allein im Jahre 1970 51 Milliarden DM hinzugekommen sind und daß es in der ersten Hälfte des Jahres 1971 noch einmal 45 Milliarden DM waren, zusammen 135 Milliarden DM an inflationärem Geld, an Devisen, Gold und den speziellen Ziehungsrechten beim Internationalen Währungsfonds. Leider hat die Bundesrepublik Deutschland oder hat die Deutsche Bundesbank im Jahre 1970 den größten Teil dieser zusätzlichen Liquidität auf sich nehmen müssen. Sie hat fast die Hälfte der 51 Milliarden DM an zusätzlichem Geld, das Gültigkeit in dieser Welt hat, aufnehmen müssen, und sie hat im ersten Halbjahr 1971 noch einmal 12 Milliarden DM aufgenommen. Meine Damen und Herren, wir können das Problem auch so fassen: Statt normalerweise 15 Milliarden DM an Anreicherung internationalen Geldes sind es 135 Milliarden DM in anderthalb Jahren geworden.
Wenn die Deutsche Bundesbank im Jahre 1971 die gleichen Verhältnisse wie in der ganzen Periode des Jahres 1970 angetroffen hätte, wenn sie diese Dollars alle hätte ankaufen müssen, dann wären unsere Währungsreserven nicht um 30, sondern um 60 Milliarden DM gestiegen, und dann wäre dieses Land in diesem inflationären Stoß untergegangen, und nicht nur die Bundesrepublik, sondern das hätte ganz Europa infiziert; denn einer derartigen Vermehrung international gültigen Geldes - ich drücke mich vorsichtigt aus - ist keine Notenbankpolitik klassischen Musters gewachsen. Da helfen Hellebarde und Armbrust nicht mehr; es mußten besondere Maßnahmen ergriffen werden. Die Freigabe des DM-Wechselkurses Anfang Mai des Jahres war Rettung aus höchster Not.
Wir Deutschen sind ein inflationsempfindliches Volk. Schließlich haben wir in und nach zwei Weltkriegen eine echte monetäre Inflation erlebt, und diese Erfahrungen wirken in die Gegenwart hinein. Es war oft ohne große Schwierigkeiten möglich, nicht nur den deutschen Bürger, sondern auch den deutschen Arbeiter durch eine einfache Gleichsetzung von Preissteigerungen mit Inflation zu erschrecken. Ich selbst zähle mich zu denen, die dieser simplen Gleichsetzung stets entgegengetreten sind. Heute muß ich angesichts der internationalen Datenlage konstatieren: Zur Zeit haben wir eine globale monetäre Inflation in der Welt, und es war bitter notwendig, daß die Deutsche Bundesbank den Ankauf von Dollars zu einem festen Kurs einstellte.
Kontrollen helfen hier nicht. Kontrollen helfen denjenigen, die nicht die Hauptlast einer derartigen spekulativen Bewegung, die seit Anfang 1970 zu verspüren war, auszuhalten haben. In einer inflationären Umwelt, von der die Menschen, die viel Geld zu halten haben, früh etwas ahnen, genügt es schon, daß die Währung eines Landes nicht abwertungsverdächtig ist, um ihr Geld anzulocken. Die Währung braucht nicht einmal aufwertungsverdächtig zu sein. Da helfen dann keine Devisenkontrollen. Devisenkontrollen helfen denjenigen, an denen der Strom zunächst sowieso vorbeigeht, wenn sie als komplementäres Mittel möglicherweise auch einen gewissen Sinn und einige zusätzliche Wirkungen haben mögen.
Was macht die Koordinierung der internationalen Wirtschaftspolitik so schwer? Welchen Problemen sehen sich die Bundesregierung und die Deutsche Bundesbank bei diesen Versuchen gegenüber?
Problem Nummer 1 - auch das kann ich Ihnen
in der Diskussion nicht ersparen -: Wir hängen die Stabilität in Deutschland höher, als das in anderen Ländern der Fall ist. Unser Stabilitätsbegriff ist enger. Wir erwarten von der Wirtschaftspolitik, von der tatsächlichen Entwicklung mehr Preisstabilität, als das Völker anderer Länder, auch anderer EWG-Länder tun.
Wenn Herr Dr. Barzel nun für Ihre Fraktion ja zu der europäischen Koordination sagt, ja zur Zusammenarbeit, ja zu einem raschen Stufenplan, der uns die Wirtschafts- und Währungsunion bringen soll, dann sollte er es dem Volk aber auch nicht
Dr. Arndt ({5})
ersparen, die andere Seite der Medaille zu sehen, und diese Seite der Medaille heißt: Wir haben einen Preis dafür zu zahlen. Wir haben erstens einen Preis an Haushaltsmitteln zu zahlen. Da wird der Kollege Leicht nachher gleich über die Umbuchung herziehen, die zugunsten der europäischen Institutionen im Haushalt vorgenommen werden mußte.
({6})
Zweitens haben wir einen Preis an Preissteigerungen zu zahlen. Wir können nicht bei der europäischen Integration die deutschen Vorstellungen - gute deutsche Vorstellungen - über Preisstabilität durchsetzen. Wer das anders sieht, hängt einer Illusion nach oder täuscht das Volk über den Preis für die Westpolitik. Die hat nämlich auch ihren Preis.
({7})
Wir sind nicht allein in der Welt, und wir können nicht Wirtschaftspolitik machen, wie sie in den älteren Lehrbüchern zu stehen scheint, wo man lediglich davon ausgeht, daß ein Land für sich allein ist und daß man mit Notenbankpolitik - Mindestreservenpolitik, Diskontpolitik - und mit Kürzung von Haushaltsausgaben, mit zusätzlichen Steuern und deren Stillegung die Konjunktur wieder in den Griff bekommt. Das mag in den Lehrbüchern stehen, die Ihre Fraktion und Ihre Redner zu benutzen pflegen.
({8})
Die Bundesregierung kann keine Politik nach Lehrbüchern treiben. Sie muß sich der Realität, dem Leben und der Frage der Kompatibilität eines Zieles mit anderen politischen Zielen, in diesem Fall der Westpolitik, stellen. Das ist die eine Sache, die es sehr schwer machen wird, Preisstabilität nach einer deutschen Definition in Europa, ob in Rom, in Paris oder auch in Brüssel, durchzusetzen.
Das zweite, was die Bundesregierung im Augenblick an Schwierigkeiten bei der Stabilisierung der internationalen Währungsordnung antrifft, ist das Problem der USA. Es gibt verschiedene Wege, zu einer vernünftigen internationalen Währungsordnung zurückzufinden. Aber diese Wege sind diskutiert und im amerikanischen Kongreß verworfen worden. Das Komitee z. B., dem der demokratische Kongreßabgeordnete Reuss und der republikanische Senator Javits angehören, das Subkomitee für die internationalen Zahlungsbilanzen, hat den logischsten Ausweg geprüft, den Ausweg, den früher die französische Regierung unter Präsident de Gaulle in erster Linie angestrebt hat. Wenn wir sagen: Wir wollen uns auf Paris einstellen, müssen wir natürlich auch das prüfen. Dieser Weg ist die alleinige Dollarabwertung, sprich: Goldpreiserhöhung. Dazu sagte der Bericht dieses Kongreßausschusses vom 7. August - eine Woche, bevor Präsident Nixon seine handels- und konjunkturpolitischen Maßnahmen ergriff -, das bringe Zusatzgewinne für die Sowjetunion und Südafrika. Selbstverständlich: Eine Goldpreiserhöhung alten Stils hilft den Goldproduzenten, und leider ist es so, daß sowohl das Wort „Südafrika" als auch das Wort „UdSSR" international gesehen Reizworte sind. Sie können die Welt heutzutage dritteln nach den Ländern, die es dem einen nicht gönnen, den Ländern, die es dem anderen nicht gönnen, und dem restlichen Drittel, die es beiden nicht gönnen.
({9})
Das ist der eine Grund gegen den klassischen Weg einer fundamentalen Goldpreiserhöhung.
Der zweite ist, daß die Amerikaner ja nicht wissen, ob der Franc bei der D-Mark scheinen sie sich sicherer zu sein -, ob die Dänische Krone nicht diese Goldpreiserhöhung im gleichen Umfang mitmachen und sich damit an den US-Wechselkursrelationen und damit an ihrer Wettbewerbsfähigkeit nichts ändert. Dieser Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Verlockung, Goldbestände, die in den Notenbanken vorhanden sind, aufzuwerten, bei der Notenbank einen Zusatzgewinn zu machen und den dann in der Staatskasse zu vereinnahmen, um damit öffentliche Aufgaben zu finanzieren, die sonst durch normale Verschuldung hätten finanziert werden müssen, oder zusätzliche öffentliche Ausgaben zu machen, ist ja wohl nicht ganz gering. Deswegen scheidet dieser klassische Weg - von Präsident de Gaulle einmal sehr favorisiert - aus.
Der zweite Weg ist der der allgemeinen Paritätsänderung. Dazu hat der Internationale Währungsfonds auf der letzten Konferenz ein Ja gesagt, und das ist ein riesiger Fortschritt gegenüber dem, was vor zwölf Monaten war. Es ist beachtlich, in welchem Maße aus den Lehren der Dollarinflationierung der Welt in den letzten zwölf Monaten Konsequenzen gezogen worden sind und Konsequenzen gezogen werden.
Wer hätte im Frühjahr gedacht, daß der japanische Yen inzwischen seine Parität gegenüber dem Dollar de facto um 9 % aufgewertet hätte! Japan ist fest entschlossen, die alte Parität zu halten, die japanische Industrie ist völlig einig darin, daß es zu keiner Paritätsänderung kommen darf. Und Sie wissen: dort ist das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat noch herzlicher, als das hier in der Bundesrepublik der Fall ist. Die tatsächliche Entwicklung seit dem Frühjahr und die Anpassung, der japanischen ökonomischen Interessen an die Interessen anderer Länder sind erstaunlich.
Bei dieser allgemeinen Paritätsänderung brauchen die USA - das haben sie ja signalisiert mit der Höhe der Importsteuer - eine Verbesserung ihrer Wettbewerbslage um die 10 % etwa, die die Importsteuer beträgt.
Warum brauchen sie das? - Sie hatten es im Jahre 1964 nicht nötig. Damals hatte die amerikanische Handelsbilanz einen Überschuß von 7 Milliarden Dollar. Heute, 1971, hat die amerikanische Handelsbilanz mutmaßlich ein Defizit von 5 Milliarden Dollar. Zwischen heute und damals liegt Vietnam. Dieses Volk und dieses Land - die USA haben an den Folgen, auch an den wirtschaftlichen Folgen, des Engagements in Südostasien heute noch zu leiden. Jeder von uns mag persönlich zu der Frage, ob diese Folgen verdient oder unverdient waren, stehen, wie er will, und jeder hat dazu
Dr. Arndt ({10})
seine persönliche Meinung, aber das hier ist kein persönliches Problem; hier geht es um die politische Frage, ob wir die Amerikaner in der Überwindung dieser Folgen allein lassen wollen oder ob wir ihnen dabei helfen.
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Für die Hilfe spricht vieles von dem, was zu den Kategorien der generellen Außenpolitik gehört. Es sprechen aber auch ganz einfache Dinge dafür. Denn zu diesen Folgen gehört, daß dort 6 Millionen Menschen - oder jeder zweite jugendliche Farbige -arbeitslos sind und daß die USA aus dieser Lage nicht herauskommen, wenn sie zahlungsbilanzorientierte Konjunkturpolitik treiben. Gegenüber der Armut und der Arbeitslosigkeit dieser Menschen aber kann man nicht neutral sein. Ich bin dankbar, daß die Bundesregierung versucht hat, aus dem Zug der Not die weitere Dollarüberflutung abzuwehren, daß sie darüber hinaus versucht, zu einer Änderung der amerikanischen Wettbewerbslage in der Welt zu kommen, einer Änderung, die für niemanden gefährlich sein wird, wenn die Weltkonjunktur insgesamt nach oben gerichtet sein wird. Dann gehen die Defizite der einen nicht auf Kosten des absoluten Wachstums, und der Abbau des US-Defizits der Amerikaner bis hin zu Überschüssen erlaubt dennoch steigende Importe der USA und führt damit zu mehr Chancen für die übrige Welt, ihre Produkte dort abzusetzen.
Ich glaube, man kann aus den De-facto-Kursen ersehen, daß nicht nur die Bundesrepublik, sondern
3) auch ein Land wie Japan bereit wäre, seinen Beitrag zu leisten. Aber wir wissen von anderen Ländern, daß sie beschlossen haben, nicht aufzuwerten und ihre Parität bei Null stehenzulassen. Ich denke hier an Frankreich. Ein Kabinettsbeschluß ist eine wichtige Sache; wie auch immer er motiviert sein mag - auch dort gibt es ja Probleme, die in solche internationalen Fragen hineinspielen, die mit der Sache vielleicht gar nichts zu tun haben, und auch dort müssen sich Persönlichkeiten und auch politische Strömungen innenpolitisch profilieren -, wie auch immer er zustande gekommen sein mag, dieser Beschluß ist da. Ich weiß nicht, ob man der Bundesregierung, ob man insbesondere dem Bundeswirtschafts- und -finanzminister weiterhin dazu raten soll, zu versuchen, ein Land von seiner festgefügten Position abzubringen, bevor es eine generelle Verständigung geben kann.
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Dann muß diese Verständigung eben notfalls auf der Basis erfolgen, daß ein Land da stehenbleibt, wo es gerne stehen will.
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- Ich mache es doch nicht madig. Im Gegenteil, ich sage gerade: keine gegenseitigen Diktate. Ich sage ja gerade: die französische Position dann respektieren und nicht unbedingt versuchen,
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die Franzosen zu einem eigenen Beitrag für die internationale Stabilisierung der Währung zu veranlassen.
Es gibt ja immer zwei Wege der Anpassung: entweder aufwerten oder mehr Preissteigerungen. Und wenn das letzte der französische Weg zur internationalen Solidarität ist, warum soll ihn dieses Land dann nicht gehen? Eine Kombination freilich von Aufwertungen in der Welt und der einen oder anderen Abwertung - vom Dollar wurde schon gesprochen - wäre nach wie vor die beste Lösung.
Es gibt eine zweite Lösung, wenn die große Lösung nicht zustande kommt: daß die EWG-Länder sich untereinander - und davon ist von der Bundesregierung heute auch berichtet worden auf Leitkurse verständigen, aber nach außen beweglicher werden, wie es der Bundeswirtschaftsminister den anderen EWG-Ländern Anfang Mai bereits vorgeschlagen hat und wie die Opposition das in ihrer produktiven und kooperativen Zwischenphase vom August 1971 - so Herr Dr. Barzel ebenfalls für gut befunden haben.
Wenn aber daraus nichts werden sollte - denn zum gemeinsamen Beschließen gehören in einer freien Vereinigung mit Kooperations- und Koordinationszwang nun einmal eben alle -, dann gibt es immer noch die Möglichkeit - Sie sehen, ich versuche für die SPD-Fraktion Alternativen aufzuzeigen, die eigentlich Sie hätten bieten sollen, aber nicht geboten haben -, daß Länder wie Deutschland und Japan, die wissen, wie wichtig die Weltwirtschaft für sie ist und wie wichtig sie für die Weltwirtschaft sind, ihre Paritäten zum Dollar erneut auf einen bestimmten Kurs stabilisieren und auf die amerikanische Aktion der totalen oder teilweisen Senkung der Importsteuer gegenüber diesen kooperationsbereiten Ländern vertrauen. Das ist natürlich eine weniger erwünschte Lösung als die ganz große, die internationale, und als die kleine EWG-Lösung, die auch noch wichtig ist mit dem Außen-Floating. Aber es ist ein Weg, um ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, dessen eigene nationalen wirtschaftspolitischen Ziele, die binnenwirtschaftlichen Ziele, mit dem Floating längst erreicht sind, wieder zu stabilen Wechselkursen zu führen.
Wir wissen, daß der amerikanische Finanzminister diesen Weg am Wochenende als ganz gut befunden hat. Es ist der Weg, bei dem man sagt: Nun gut, wer seine Paritäten gegenüber dem Dollar in Ordnung bringt, dem gegenüber senken wir die Importsteuer oder lassen sie fortfallen. Das sind die „economics of Texas". Es ist ein Verhandlungsstil, den man nur aus der verzweifelten Lage verstehen kann, in der sich die USA befinden. Dort hat man ja alles an interner Stabilisierung versucht, um die Zahlungsbilanz in Ordnung zu bekommen, und die Welt hat gelassen zugeschaut, als die Regierung Nixon Deflationspolitik machte, die Arbeitslosigkeit zunahm und die Preise am Ende gleichermaßen wie am Anfang dieser Deflationspolitik stiegen. Die USA haben signalisiert, daß sie nicht mehr auf die Welt Rücksicht nehmen können, wenn sie sich nicht selbst aufgeben wollen.
Dr. Arndt ({15})
Aber einer von den drei Wegen wird wohl gegangangen werden müssen. Denn das eigentliche deutsche Interesse, die Überhitzung der Konjunktur im Land zu brechen, ist mit dem Floating erreicht worden. Niemand klagt mehr über Überhitzung. Der Opposition war vorhin das Wort „Abkühlung" zu vornehm, zu euphemistisch; sie hätte stärkere Worte für richtig gehalten. Die Überhitzung ist gebrochen. Das verdanken wir dem Floating, dem Ende der Dollarüberflutung der Bundesrepublik, der Lage, daß nun mit freien Wechselkursen die Instrumente der Bundesbank und der Bundesregierung endlich wirken. Diese Instrumente sind zwar in den Jahren 1969, 1970 und in der ersten Hälfte 1971 auch eingesetzt worden. Am Haushalt sind Abstriche erfolgt. In den öffentlichen Kassen sind mehr Überschüsse gebildet worden als in irgendeinem Jahr seit 1955.
Es war eine ganz andere Lage als 1965, als Sie aus der Überhitzung in die Rezession stolperten, die Sie jetzt, nachträglich, als nicht gewollt bezeichnen. Aber wir haben uns und ich habe mir hier noch einmal den Auszug aus der Rede des ehemaligen Bundesschatzministers Dr. Schmücker - er ist am 28. Mai 1969 in Dortmund verteilt worden - bringen lassen. Da steht:
Die gewollte Rezession hat der deutschen Wirtschaft den Wert der Rentabilität und Rationalität eindringlich wieder klargemacht. Der Aufwand wurde beschnitten, das Arbeitskräftepolster abgebaut, der Mißbrauch der Sozialversicherung ging zurück, und die Arbeitsproduktivität stieg.
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Die zu der gewollten Rezession und der vorher ungezügelten Überhitzung. Es ist eben nicht gegengesteuert worden. Sie haben 1965 die Steuern gesenkt und nicht eine Stillegung privater Mittel bei der Bundesbank versucht und durchgeführt, wie es diese Regierung mit dem Konjunkturzuschlag gemacht hat. Aber greifen konnten diese binnenwirtschaftlichen Mittel erst, nachdem die internationale Inflationierung aus unserem Nervensystem und aus unserem Blutkreislauf heraus war. Das ist am 9. Mai geschehen. Damit sind auch die binnenwirtschaftlichen Ziele der flexiblen Wechselkurse erreicht. Es gibt keinen Zweifel, daß die deutsche Wirtschaft und auch die sozialdemokratische Fraktion an einer raschen Stabilisierung der Wechselkurse interessiert sind. Wir wollen Export. Export ist notwendig. Export must go on, auch dann, wenn wir auf Grund unzureichender internationaler Kooperation gezwungen werden sollten, uns wieder in Richtung der alten Parität zu bewegen. Auch dann!
Der Kollege Strauß irrt, wenn er irgend jemandem in der Regierung, etwa gar dem Wirtschafts- und Finanzminister, die Meinung andichtet, man könne Export durch Binnennachfrage ersetzen: Volkswagen durch Straßenbau. Wie heißt es in der Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts vom 28. Oktober 1969 ? Unser Sofortprogramm enthält eine „Finanzpolitik, die eine graduelle Umorientierung des Güterangebots auf den Binnenmarkt hin fördert", d. h. die Exportzuwachsraten brauchen nicht
mehr um 10 oder 15 % zu steigen. Wir kommen mit 5 bis 10% auch ganz gut hin, und die Zuwachsraten bei den öffentlichen Investitionen sollten dafür von Null stärker nach oben gehen.
Das meint graduelle Umorientierung: kein Rückgang im Exportniveau sondern weiteres Wachstum, aber eine leichte Verschiebung in den Akzenten, leichtes Auswechseln der Spitzenreiter in der Expansion.
Es kann durchaus sein, daß bei einem weiteren Fortgang des rezessiven Klimas in Italien, beim Überschlagen dieses rezessiven Klimas in andere Länder, z. B. in die Bundesrepublik Deutschland, eine internationale Verständigung über bessere Wechselkurse zu Hilfe und zugunsten der USA überhaupt unmöglich werden wird. Das kann sein. Es könnte eine große amerikanische Täuschung sein, mit Abwarten und durch Abwarten vielleicht eine bessere Lage vorzufinden.
Gut, in den USA geht die Wirtschaft jetzt aufwärts. Aber in Europa macht die Abkühlung, macht die Stagnation, machen rezessive Tendenzen Fortschritte, und in einem derartigen Klima können keine Paritäten festgesetzt werden, die einem einzelnen Land zu große Opfer aufladen. Die Ausgangslage für eine gute Lösung verschlechtert sich also. In rezessiven Lagen gilt natürlich nach wie vor, das jeder sich selbst der Nächste ist, das heißt hier, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sich selbst der Nächste wäre. Es ist in dieser Lage, wo wir keinen Nachfragedruck mehr haben, mit Export allein natürlich auch nicht getan.
Herr Kollege Strauß hat eine wichtige Frage gestellt: Geht die Inflation nun weiter oder wird bis zur Rezession gebremst? Er sieht also nur folgende Alternative. Entweder wir schwimmen weiter im internationalen Fahrwasser mit - dann gibt es keine Arbeitslosigkeit, dann können wir den Menschen ihre Arbeitsplätze erhalten - oder wir erreichen Preisstabilität durch Rezession - ich will jetzt nicht sagen und erinnern an die gewollte Rezession.
Ich halte das für eine Scheinfrage; denn das, was durch eine Abkühlung erreicht werden könnte an Beruhigung der Lohnentwicklung, an scharfem Rechnen in den Unternehmen, Kosten einzusparen auf den Sach- und Personalkonten, wo immer das geht, schließlich an Beruhigung in der Tarifpolitik, ist erreicht worden. Aber der Kostendruck wird nicht nur durch Verminderung der Lohnentwicklung gesenkt, sondern da muß auch die andere Seite der Medaille stimmen, und das ist ,die Produktivität. Wie wir aus dem Jahre 1966 wissen und wie auch Präsident Nixon aus den Jahren 1969 und 1970 weiß, steigert eine rezessive Politik nicht die Arbeitsproduktivität, sondern sie senkt sie. Wir möchten diese Regierung nicht in der Lage sehen, wo sie auf der Produktivitätsseite das verliert, was sie auf der Lohnseite gewinnt, und wir möchten unsere Unternehmen nicht in dieser Lage sehen, dem Kostendruck sinkender Kapazitätsauslastungen ad infinitum ausgesetzt sein zu müssen.
Dr. Arndt ({17})
Es ist die Auffassung der Fraktion, für die ich spreche, daß neben die Stabilisierung der Wechselkurse als Problem Nr. 1 und als Kampfplatz Nr. 1 in dieser Wirtschaft jetzt Produktivitätspolitik zu treten hat. Und Produktivitätspolitik heißt, einem weiteren Absinken der Kapazitätsausnutzung in wichtigen Bereichen Einhalt zu gebieten: a) beim Export, b) beim Tiefbau und c) bei öffentlichen Ausrüstungen. Wir sind sehr damit zufrieden, daß gewisse Freigaben gesperrter Mittel in den Verpflichtungsermächtigungen jetzt erfolgt sind, etwa beim Straßenbau. Wir halten das für einen Beitrag nicht nur zur Stabilisierung der Beschäftigung, sondern auch zur Stabilisierung der Kosten und damit der Preise.
Ein letztes: es darf in Deutschland auch wieder privat investiert werden. Wir können uns in der kommenden. Konjunkturphase auch wieder Ausrüstungsinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft in starkem Umfange leisten. Dazu gehören freilich auch Gewinne. Gewinne sind notwendig, und Selbstfinanzierung ist notwendig, zuerst einmal für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die es schwer haben, Kredite zu bekommen, weil ihnen die notwendigen Sicherheiten fehlen. Aber es gehört auch die Selbstfinanzierung bei den großen Unternehmen dazu, denn riskante Pionierinvestitionen kann man nicht fremdfinanzieren.
Da hat Präsident Nixon völlig recht, wenn er sagt: Gewinne, das sind die Löhne von morgen. Und ich würde ergänzen, es sind auch die Steuern von morgen.
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Die Gewinnlage der deutschen Unternehmen, insbesondere der Unternehmen der Industrie, kann nicht auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben; sie muß sich in nächster Zukunft erheblich verbessern, damit diese Unternehmen auch wieder die Kraft haben, weiter für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes investieren und sorgen zu können.
Das heißt natürlich auch, daß das weitere Wachstum der Lohnquote nicht in dem Ausmaß der letzten zwei oder drei Jahre erfolgen kann. Das heißt, daß Einkommensumverteilung nicht ständig vor sich gehen kann, sondern daß jetzt eine Atempause gewährt werden muß und, so hoffe ich, auch gewährt wird. Aber wie? Und jetzt komme ich auf den zweiten Punkt zurück, bei dem Ihr Fraktionsvorsitzender mit der Regierung übereinstimmte: dem „Nein" zu Lohn- und Preiskontrollen. Aber das ist natürlich ein bißchen wenig. Es ist gut, wenn man diesen im Augenblick sehr modernen, auch in den USA beschrittenen Weg der Gängelung von Gewerkschaften und Lohnempfängern, von Unternehmern und Lohnzahlern hier in Deutschland nicht erst beschreitet.
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Aber was ist an die Stelle derartiger Maßnahmen zu setzen? Es gibt doch nur - und um diesen Punkt drücken Sie sich auch herum - die Konzertierte Aktion, nur die geduldige Beratung der gesamtwirtschaftlichen Daten der Gegenwart und der nächsten Zukunft in diesem Kreis. Alles andere, was darüber hinausgeht, heißt, Lohnempfänger und Unternehmer
kommandieren zu wollen. Wer glaubt, daß er damit im Ausland etwas erreicht, auch dann etwas erreicht, wenn keine 6 Millionen Arbeitslose mehr da sind, der mag das gern versuchen. Wir wünschen diese Regierung und unsere Unternehmerverbände und Gewerkschaften nicht in dieser Lage zu sehen.
Ein letztes Wort! Der Herr Bundeskanzler hat am 25. April die Messe in Hannover eröffnet. Da sagte er unter anderem folgendes:
Selbstverständlich nimmt die Bundesregierung das Problem der Preisstabilität sehr ernst. Aber genauso ernst nimmt die Bundesregierung die Frage der Vollbeschäftigung. Eine mehr oder weniger gewollte Rezession kann für mich jedenfalls kein Instrument der Stabilitätspolitik sein.
Zu dieser Politik der Bundesregierung auf dem schwierigen Feld der internationalen Währungsbeziehungen, auf dem noch schwierigeren Feld des Abbaues von Handelsschranken und zu dieser Politik auf dem binnenwirtschaftlichen Gebiet einer Steigerung der Produktivität bekennt sich diese Fraktion. Die Bundesregierung und der Bundeswirtschafts- und finanzminister können sich auf diese Fraktion der SPD verlassen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gestrige Rede des Herrn Bundesfinanzministers war, wie ich meine, weniger ein Beitrag zur Abklärung der wirklichen finanz- und wirtschaftspolitischen Situation als vielmehr eine Manifestation der Ratlosigkeit der Bundesregierung.
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Ich habe mir wenn es auch zu sehr später
Stunde geschieht - die Aufgabe gestellt, nunmehr die öffentlichen Finanzen im allgemeinen sowie das vorgelegte Zahlenwerk im besonderen einer Prüfung zu unterziehen und ,die Dunkelstellen dieses Schicksalsbuches der Nation auszuleuchten. Allerdings werde ich dabei den Stabilitätsbegriff, der ja bei dieser Betrachtungsweise eine sehr entscheidende Rolle spielt und den wir bisher hoffentlich noch gemeinsam haben - ich konnte das heute morgen aus einigen Beiträgen entnehmen -, beibehalten und nicht den des Kollegen Arndt, den er eben darzustellen versucht hat, etwas gelockert, wobei ich nicht die Problematik verkenne - im Verein und im Verkehr mit anderen, die ihren Stabilitätsbegriff benutzen.
Wie kaum ein anderes Instrument der Politik geben Haushalt und Finanzplanung. - in Zahlen ablesbar und für jedermann zu prüfen - Auskunft über die wahren Zielsetzungen einer Regierung, über ihren Erfolg oder ihren Mißerfolg. Es gilt zunächst Inventur zu machen, das Fundament abzuklopfen, auf dem das Zahlengebäude steht.
Die Bundesregierung hat den Haushalt 1972 einen
„Haushalt der Konsolidierung" genannt. Was, so frage ich mich, gibt es eigentlich zu konsolidieren, nachdem doch angeblich Solidität die Richtschnur der Finanzpolitik dieser Regierung gewesen ist, wie es damals in der Regierungserklärung auch verkündet wurde? Aber offensichtlich soll damit nur zum Ausdruck gebracht werden, daß es gelungen sei, die zunächst nur in Kladde geschriebenen Reformträume auf den harten Boden der finanzwirtschaftlichen Wirklichkeit zurückzuholen. In der Tat, dieses Ringen, so scheint mir, hat Form und Inhalt dieses Haushalts doch entscheidend geprägt.
Die Steigerungsrate des Bundeshaushalts ist mit 8,4 v. H. angegeben; dies ganz offensichtlich aus dem Bemühen heraus, sich dem durch die EG-Kommission autorisierten 7-v. H.-Satz anzugleichen, einer Zuwachsrate also, die dem mutmaßlichen Wachstum des nominalen Sozialprodukts entspricht. Die Bundesregierung glaubt damit ein deutliches Signal für die Normalisierung in der Lohn- und Preispolitik und nicht zuletzt auch für das Ausgabegebaren der übrigen öffentlichen Haushalte zu setzen, insbesondere eben auch für Länder und Gemeinden.
Das Ziel ist richtig. Doch wie unsauber und fragwürdig sind die Methoden! Das Ziel wurde nur durch die Anwendung zahlreicher Tricks und Unterlassungen erreicht. Sie erinnern sich an die fragwürdigen Praktiken der beiden vergangenen Jahre; heute erleben wir nun in einem dritten Akt das Crescendo.
Wie ist es denn zu dieser Steigerungsrate gekommen, zu einer Steigerungsrate, die unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, Herr Kollege Kirst, und auch, um es gleich vorwegzunehmen, unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten eine entscheidende Rolle spielt? Denn die in den Ländern Verantwortlichen sind doch nicht dümmer als wir hier. Sie müssen sich vom Herrn Bundesfinanzminister sagen lassen: ihr dürfte nur mit einer 8 %igen Steigerungsrate eurer öffentlichen Haushalte kommen, während der Bundesfinanzminister selber nur der Form nach von einer Steigerungsrate von 8,4 %, in Wirklichkeit aber von fast 13% ausgeht.
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Dazu möchte ich noch etwas sagen. Die Bundesregierung geht bei der Berechnung der Steigerungsrate von dem Soll des ursprünglichen, methodisch umgerechneten Haushaltsplans 1971 - was ich für richtig halte, Herr Kollege Arndt; dagegen erhebe ich keine Einwendungen - in Höhe von 98,3 Milliarden DM aus. Aber in ihrem binnenwirtschaftlichen Stabilisierungsprogramm vom Mai dieses Jahres - es wurde viel gerühmt, und man brüstet sich heute noch damit - ist dieses Soll um 1 Milliarde DM, wenn ich es richtig verstanden habe, gekürzt worden. Damit ist, wenn das Wort der Regierung überhaupt noch etwas gilt, konjunkturpolitisch, volkswirtschaftlich betrachtet, die Ausgangsbasis eben nicht mehr 98,3, sondern nach Adam Riese eben nur 97,3 Milliarden DM.
Doch damit nicht genug: der zu hohen Ausgangsbasis steht ein künstlich gedrosseltes Ausgabevolumen gegenüber. Diese Drosselung des Ausgabevolumens auf 106,6 Milliarden DM gelang in drei Etappen: zunächst einmal dadurch, daß eine sogenannte globale Minderausgabe in Höhe von 1,2 Milliarden DM vom Volumen heruntergerechnet wurde. Das bedeutet schlicht, daß die Gesamtheit der Ausgaben um den Betrag der Minderausgabe in Wirklichkeit einfach höher ist, zumindest so lange, bis diese Minderausgabe nicht durch echte Kürzungen verwirklicht ist. Es ist also ein Defizit, das erst noch durch eine sparsame Haushaltsführung zu erwirtschaften ist.
Ich weiß nicht, woraus die Bundesregierung ihren Optimismus schöpft, dies sehr schnell verwirklichen zu können, sicherlich nicht aus den Erfahrungen, die sie mit ihrer vielgepriesenen restriktiven Haushaltsführung inzwischen gemacht hat. Bis Ende September betrug die Ausgabensteigerung nach den Angaben des Herrn Bundesfinanzministers 15,1 v. H. gegenüber einem Soll von 13,6 v. H. Ebenfalls bis Ende September betrugen die Haushaltsüberschreitungen, was mir entscheidend zu sein scheint, eine runde Dreiviertelmilliarde oder 760 Millionen DM, ganz zu schweigen von den über- und außerplanmäßigen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von fast 5 Milliarden DM. Es mag Ihr Geheimnis bleiben, Herr Schiller, wie Sie die Haushaltsüberschreitungen - wenigstens gut 300 Millionen DM, die nicht innerhalb der Einzelpläne abgedeckt werden können - noch im Gesamthaushalt unterbringen wollen, wo doch bereits die der DDR zugesagte Zahlung von 250 Millionen DM, die noch im Dezember erfolgen soll, erneut zu Haushaltsüberschreitungen führen muß.
Das Einsetzen der Minderausgaben muß vor allem für Sie, Herr Minister Schiller, sehr peinlich sein. Denn nur wenige Tage später, nachdem Sie in Ihrer Antwort auf unsere Anfrage die von uns gestellten Kürzungsanträge zum Haushalt 1971 als „pauschal" kritisiert hatten, sind Sie mit Ihrem Versuch, die globale Kürzung auf die einzelnen Ressorts aufzuteilen, offenbar im Kabinett gescheitert. Wir haben damals Möglichkeiten zur Erwirtschaftung der Kürzung aufgezeigt. Man kann der Meinung sein, sie waren nicht richtig, aber wir haben es getan. Sie müssen heute auf noch pauschalere Minderausgaben zurückgreifen, und ich bin gespannt, wie Sie diese Minderausgaben dann demnächst realisieren wollen. Ich glaube, das muß hier einmal deutlich gesagt werden, um auch in Erinnerung zu rufen, daß meine Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, bei zwei Haushaltsberatungen Anträge gestellt und Anregungen zu den Haushalten gegeben hat, wenn Sie wollen: Alternativen aufgezeigt hat, die leider in einer Abstimmungsmaschinerie immer abgelehnt worden sind, auf die man später, allerdings vielleicht zu spät, anderthalb Jahre, zwei Jahre später, zum Teil wieder zurückgekommen ist, die man dann aber von sich aus als klug und weise verkauft hat.
Ein weiterer Trick zur Verschleierung des wirklichen Ausgabenvolumens ist die Zahlung des fälligen Barzuschusses an die Rentenversicherung der Angestellten durch Hergabe von Schatzbriefen in Höhe von i Milliarde DM. Es wäre reizvoll, die Aussagen des Herrn Schiller dazu aus früheren Jahren
zu zitieren. Ich erspare mir das. Auf jeden Fall ist diese Hergabe von Schuldbuchforderungen, konjunkturpolitisch gesehen - das ist unbestreitbar -, eine Verstärkung der staatlichen Kreditaufnahme, haushaltsrechtlich ein Verstoß gegen das Prinzip der Fälligkeit und finanzpolitisch ein Symptom u. a. für die immer tiefer greifende Finanzkrise. Daran gibt es einfach nichts zu rütteln.
Damit noch nicht genug. Erstmals werden Einnahmen des Bundes aus der Mineralölsteuererhöhung um 3 Pf - ebenfalls 1 Milliarde DM - im Haushalt überhaupt nicht veranschlagt. Zur Begründung dieser Nichtveranschlagung hat man zuerst gesagt, das sei ein durchlaufender Posten - aber, Herr Schiller, dann müssen Sie die Hälfte dieses Haushalts herausnehmen, denn mindestens die Hälfte sind durchlaufende Posten; all das, was Wohnungsbau und dergleichen betrifft, geht doch an die Länder, sind durchlaufende Posten -, und dann kam man zu der Begründung, es sei dort zu veranschlagen, wo diese Mittel ökonomisch wirksam würden. Darüber könnte man einmal reden, nur sind sie dort auch nicht veranschlagt, so daß sie praktisch nach Ihrer Meinung aus der Beurteilung verschwinden müßten.
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Ich halte also fest: Das ausgewiesene Haushaltsvolumen von 106,6 Milliarden DM ist um die Minderausgabe von 1, 2 Milliarden DM, die Schatzbriefe von 1 Milliarde DM und die Mineralölsteuererhöhung um 3 Pf von insgesamt 1 Milliarde DM, zusammen also um 3,2 Milliarden DM höher. Unter Berücksichtigung der richtigen Ausgangsbasis beträgt die eigentliche Steigerungsrate rund 13 v. H. Dabei ist der Eventualhaushalt nicht berücksichtigt.
Ich muß nochmals darauf verweisen, daß erstens Impulse an Länder und Gemeinden gehen sollen und ich nicht von ihnen verlangen kann, die Ausweitung ihrer Haushalte bei 8 % anzuhalten, wenn ich in meinem Haushalt eine Steigerungsrate von 13 v. H. habe. Zweitens, Herr Schiller, komme ich nunmehr auf Ihr Wort - ich will es nicht näher begründen - der inflationären Lücke zurück. Hier haben Sie diese im Jahre 1965 von Ihnen dargestellte inflationäre Lücke in einer Höhe von 6 bis 7 %, und das ist jetzt schlimmer, als es damals gewesen ist.
Zum Eventualhaushalt lassen Sie mich ein kurzes Wort sagen. Er ist im Prinzip richtig. Sie wissen, wir haben ihn ja in den vergangenen Jahren auch schon gefordert, nur glaube ich nicht an das notwendige Durchstehvermögen der Bundesregierung. „Der Eventualhaushalt", so sagte Schiller - ich möchte mit Genehmigung der Frau Präsidentin seine Worte gebrauchen - „hat ja die wohltuende Funktion, daß er einigen Ressortchefs für ihre sehr starken Kürzungen einen kleinen Besserungsschein" - so nannte er es - „vermittelt." Die Bundesregierung selbst stellt ja die Realisierung des Eventualhaushalts schon damit in Frage, daß sie ihre eigenen Beschlüsse der Kürzung für dieses Jahr ignoriert. Verdient im übrigen dieser Eventualhaushalt - das ist eine Frage, die wir klären wollen wirklich seinen Namen? Packen Sie hier nicht aus optischen Gründen das in die Tragetasche, was eigentlich in den Rucksack gehört?
Wie ist es hier um die Spezifizierung der einzelnen Mittelansätze, von denen wir noch nichts wissen, um die Verzahnung mit der mittelfristigen Finanzplanung bestellt? Wenn Investitionsaufgaben vorgezogen und im nächsten Jahr erfüllt werden, dann muß das ja irgendwie als vorgezogen in der mittelfristigen Finanzplanung ebenso deutlich werden. Sind das alles Mittel - so muß man fragen -, ,die binnenwirtschaftlichen Kräfte für eine etwa notwendige Stützung der Investitionskonjunktur zu mobilisieren? Oder ist es lediglich eine Auffangstellung für die nicht mehr untergebrachten Ausgaben im Kernhaushalt? Offene Fragen, meine Damen und Herren! Wir möchten hier gern Antwort von
der Bundesregierung.
Wie schwierig die Situation der öffentlichen Finanzwirtschaft ist, zeigt am deutlichsten, wie ich meine, ,die Entwicklung der öffentlichen Verschuldung. Ich gehe jetzt nicht von dem Material über die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hand einschließlich Bahn und Post aus. Dank dafür, daß wir es schnell bekommen haben, Herr Kollege Hermsdorf. Dazu wäre sicherlich sehr viel zu sagen.
Aber ich darf Ihnen einmal das vorrechnen, was sich im Augenblick tut: Im Haushalt 1972 sind vorgesehen 5 Milliarden DM Netto-Kreditaufnahme, 1,2 Milliarden DM globale Minderausgaben plus i Milliarde Schatzbriefe - wobei ich sagte, das bedeute Kreditfinanzierung -, zusammen 7,2 Milliarden DM unmittelbare Verschuldung für das Jahr 1972 allein für den Bund. Doch damit nicht genug.
Jetzt kommt eine ganz gefährliche Erscheinung: Was bringen uns die sogenannten Schattenhaushalte an mittelbarer Verschuldung? Der Bundesanteil an der Krankenhausfinanzierung erscheint mit ein paar Millionen DM im Haushalt, löst aber 700 Millionen DM an Kreditmitteln aus, die der Bund ja irgendwann einmal zurückzahlen muß; der Straßenbau über die Offa mit rund 600 Millionen DM, die Vorfinanzierung von gemeindlichen Straßenbaumaßnahmen mit 140 Millionen DM, die Finanzierung des Wohnungsbaus mit 1,7 Milliarden DM - Herr Wehner, das ist schon bedeutsam -. Das macht an mittelbarer Verschuldung gut 3,2 Milliarden DM, zusammen mit den unmittelbaren Schulden also 10,4 Milliarden DM.
Ziehen Sie die 1,2 Milliarden DM, die unter Umständen durch globale Minderausgaben doch noch eingespart werden können, ab, dann bleiben es noch über 9 Milliarden DM vorgesehener Verschuldung des Bundes im Jahre 1972, ohne die anderen öffentlichen Hände.
Ich will nicht an Bahn, nicht an Post erinnern, ich will nicht von Ländern und Gemeinden sprechen; aber die brauchen dann insgesamt Beträge von 25 Milliarden DM. Woher soll der Kapitalmarkt das geben, wenn man berücksichtigt, daß auch die Wirtschaft etwas braucht? Das ist jetzt nur die Betrachtung für ein Jahr.
Wird nicht bei diesen Größenordnungen - so
muß man, glaube ich, ernsthaft prüfen - der KapiLeicht
talmarkt von der öffentlichen Hand überfordert? Wie verträgt sich diese Kreditnachfrage allein des Bundes mit der von der Bundesregierung in Aussicht genommenen Kreditaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden von insgesamt 12,5 Milliarden DM für das Jahr 1972, wo doch schon heute bekannt ist, daß Länder und Gemeinden bei einer nur 10%igen Ausweitung ihrer Haushalte 14 Milliarden DM haben wollen und vielleicht auch haben müssen? Das also sind zentrale Größen, von denen wir bei einer realistischen Einschätzung der Haushalte auszugehen haben.
„Das hätte Möller auch gekonnt", schrieb der „Mannheimer Morgen" am 11. September. Und in der Tat, warum sollte er nicht? Sein Rücktritt - das müssen wir heute mit Bedauern feststellen - hat keinerlei Wirkung, zum mindesten nicht die Wirkung, die er sich sicherlich vorgestellt hat, auf die Ausgabenpolitik der Bundesregierung gehabt. Die Ausgabenpferde werden auf Teufel komm raus weitergeritten. Der Haushalt ist bei nüchterner Betrachtung bestenfalls der unabweisbare laufende Bedarf im staatlichen Bereich. Es ist auch nicht wahr, daß die beabsichtigten höheren Verbrauchsteuern der Finanzierung von Reformmaßnahmen dienten. Ihr überwiegender Zweck ist, daß der Staat die Auswirkungen der davongelaufenen Preise wenigstens teilweise ausgleichen kann. Deshalb hier noch einmal unser Nein zu diesen Steuererhöhungen in diesem Augenblick. Heute morgen hat der Kollege Strauß dazu schon Deutliches gesagt. Auch für uns sind Steuererhöhungen, wie er sagte - und ich teile diese Meinung -, kein Tabu. Voraussetzung aber, meine ich, muß bleiben, daß das dem Steuerzahler auferlegte Opfer zu einer gezielten Leistungsverbesserung führt und nicht der Inflationsfinanzierung dient. Das heißt, am Ende muß mehr Staatsleistung, konkret ausgedrückt: mehr Straßen, mehr Schulen stehen und nicht das Stopfen der durch die davongelaufenen Preise aufgerissenen Löcher.
Gerade das aber erleben wir doch zur Zeit. Schauen wir uns nur die Entwicklung im Bereich der öffentlichen Investitionen an. Sie ist meiner Meinung nach fast katastrophal zu nennen. So ist z. B. in den letzten anderthalb Jahren - und vielleicht können wir auch dazu etwas hören - beim Bau von Straßen und Krankenhäusern mit mehr Geld weniger geschaffen worden, und beim Bau von Schulen, Hochschulen und Hochschulkliniken wurde trotz großer Anstrengungen die Hälfte und mehr des Ausgabenzuwachses durch Preissteigerungen aufgezehrt.
Besonders erschreckend zeigt sich dies auch bei den Gemeinden. Die Netto-Investitionsrate der kommunalen Gebietskörperschaften wurde 1970 inflationär um 3,4 Milliarden DM geschmälert. Was nützt es dann, wenn die gute Finanzreform 2,5 Milliarden DM mehr bringt? Am Ende ist eben für Mehrleistung, auch für Mehrleistung der Gemeinden, nichts vorhanden.
Nicht anders steht es um die Investitionsausgaben des Bundes, und sie müssen uns besonders interessieren. Noch vor einem Jahr wollte die Bundesregierung eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der gesamten Investitionsausgaben von 10,3 % realisieren. Nunmehr sind es nur 6,7 %. Völlig irreführend ist dabei die Angabe der Bundesregierung, der Anteil der investiven Ausgaben an den Gesamtausgaben steige von 16,4 % im Jahre 1970 auf 19,6 % im Jahre 1975. Das mag so richtig sein; aber es ist irreführend, weil man eben die Vergleiche nicht von 1970 zu 1975 ziehen kann, sondern von 1971 zu 1975 ziehen muß, und dann sieht es so aus: 17,5 % im Jahre 1971, zurückgehend auf 16,9% im Jahre 1975, also nicht mehr, sondern weniger öffentliche Investitionen. Das Bild wird noch ungünstiger, wenn man es statt der nominalen Größen auf eine reale Betrachtung abstellt. Von 1960 bis 1969 wurden die nominalen Zuwachsraten der öffentlichen Investitionen zu 70 %, also zu mehr als zwei Dritteln, in reale Leistung umgesetzt. Das heißt, von 1000 Millionen DM, die man im Jahr an Zuwachs hatte, wurden im Bereich der Investitionen 700 Millionen DM in reale Mehrleistung umgesetzt, in Straßen, Schulen usw. Im Jahre 1970 ist es nur noch ein Drittel, d. h. von 1000 Millionen DM nur noch 300 Millionen DM, und im ersten Halbjahr 1971 sind es gar nur noch 25 %, also von 1 Milliarde DM nur noch 250 Millionen DM. Meine Damen und Herren, das macht deutlich, wie es im Bereich der Investitionen vom Staat her aussieht und wie es in der Frage aussieht: vom Bürger Opfer verlangen - von seiten des Staates Leistungen oder sogar Mehrleistungen bieten.
So wenig dieser Haushalt für die künftige wirtschaftliche Entwicklung herzugeben vermag, so wenig gibt er auch für echte Reformen her. Aber noch weniger vermag er die vor uns stehende Finanzkrise zu verbergen. Ich sprach schon von der hohen Verschuldung. Das ist nicht alles. Es kommt noch eine Reihe handfester, in konkreten Zahlen bezifferbarer Mehrbelastungen und Risiken hinzu.
Erstens. Herr Bundesfinanzminister geradezu unseriös, wie ich meine, ist die Nichtveranschlagung von Mitteln für die Unfallversicherung der Landwirtschaft. Wo für 1971 noch 260 Millionen DM angesetzt waren, steht heute nichts, obwohl die Regierung erklärte, der Landwirtschaft sollten keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden. Im Kabinett ist erwogen worden, die bisherigen Bundeszuschüsse auf die gewerblichen Unfallversicherungen umzulegen. Man spricht von Gemeinlastverfahren. Wer weiß, warum dieses Gemein-lastverfahren im Jahre 1966 nicht durchgesetzt wurde, braucht kein Wort mehr darüber zu verlieren. Das ist sicher, daß wir in diesem Jahre eine Gesetzesvorlage über das Gemeinlastverfahren nicht mehr bekommen. Also müssen 260 Millionen DM, wenn sie nicht zu Lasten der Landwirtschaft gehen sollen, in diesem Haushalt veranschlagt werden. Sie fehlen aber.
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Zweitens. Mit Sicherheit sind die im Haushalt angesetzten Gewinnabführungen der Bundesbank in Höhe von 200 Millionen DM als Konsequenz der Freigabe der Wechselkurse zu streichen. Ich greife auf die Erklärungen des Vertreters der Deutschen
Bundesbank im Haushaltsausschuß zurück. Das ging auch durch die Presse. Ich möchte mich damit nicht näher befassen. Insgesamt handelt es sich also schon um 460 Millionen DM, die nicht veranschlagt sind, die aber mit Sicherheit auf uns zukommen.
Drittens. Dazu kommt eine Reihe mehr oder weniger exakt bezifferbarer Risiken, vor allem das Risiko bei den Steuerschätzungen. Die Steuerschätzungen datieren vom 12. und 13. August 1971. Seither ist viel geschehen. Denken Sie z. B. nur an die Maßnahmen Nixons. Ich befürchte, daß das auch Auswirkungen auf diese damals optimistischen Steuerschätzungen haben wird. Ich erinnere an das, was die Bundesbank und das Ifo-Institut damals bei der Schätzung sagten, nämlich daß sie diese damals gegebenen gesamtwirtschaftlichen Daten als nicht konsistent betrachteten. Sie setzten also schon damals Fragezeichen. Ich hoffe es zwar nicht, aber ich befürchte, daß diese Steuerschätzungen ein enorm hohes Risiko in sich bergen. Nur ein Beispiel dafür, was das bedeuten kann. Allein im Jahre 1967 blieben die Steuereinnahmen beim Bund um 7 Milliarden DM hinter den Schätzungen zurück. Man sollte sich überlegen, welche Probleme falsche Schätzungen aufwerfen können. Wir werden ja vor Abschluß der Haushaltsberatungen erneut eine Schätzung bekommen und werden dann die realen Werte einsetzen können.
Viertens. Welches Risiko ergibt sich aus dem Floaten für den Bereich der Landwirtschaft? Über diese Frage kommt man nicht hinweg. Kann man den Grenzausgleich nicht beibehalten, wird auch hier etwas geschehen. 1 % macht 200 Millionen DM aus. Jeder kann sich einen Begriff davon machen, wie es dann am Ende aussehen wird.
Fünftens. Welches Risiko liegt bei der Neuverteilung der Umsatzsteuer? Ich will mich damit nicht länger befassen. Aber bei realer Einschätzung der Dinge - denn sonst hätte auch ein neuer Termin beim Herrn Bundeskanzler keinen Sinn - sind die 3 %, die veranschlagt sind, also rund 3 mal 450 Millionen DM, eine Illusion. Die Länder und die Gemeinden haben leider sehr gute Begründungen. Ich habe zwar auch in der Öffentlichkeit gesagt, daß ich die Forderung von 10 °o, wenn ich alles abwäge, auch die Situation des Bundes, für zu hoch halte. Aber es ist mittlerweile eine Illusion geworden, mit einer Veranschlagung von 3 % in dieser Frage im Haushalt davonzukommen. Das heißt, es ist auch hier im Jahre 1972 mehr Geld erforderlich.
Sechstens. Welches Risiko liegt bei der Besoldung- und Tarifanhebung für die Bediensteten des Bundes? Hier könnte man jetzt ein Rätselspiel anstellen. Trifft es zu, daß, wie der Herr Kollege Haase herausgefunden haben will - ich nehme an, es stimmt , Mittel für eine 3 %ige lineare Besoldungserhöhung bei den Sparprämien untergebracht sind? Vielleicht kann man hier eine Antwort bekommen. Gibt es noch andere Nester - so muß man doch fragen -, wo der Herr Minister Schiller, wie er es im Fernsehen ausgedrückt hat, einige Eier versteckt hat?
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Grundsätzlich muß man sowohl das Verfahren - und das wieder in allem Ernst - tadeln als auch seine Wirksamkeit bezweifeln. Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen die Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit und im übrigen die Konsequenz dessen, daß Sie sich in der Vergangenheit gern die lohnpolitischen oder einkommenspolitischen Blumen an den Hut gesteckt haben. Auf dem 9. Gewerkschaftstag der IG Metall am 7. September 1968 hat Herr Minister Schiller in München, auf die großen Sorgen in England damals hinweisend, gesagt: Dort gibt es Preissteigerungen von 4 bis 5 %; was nützt da eine Lohnsteigerung von 8 %?
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Ich will damit nur einmal deutlich machen, was das für die Beamten und die Angestellten des öffentlichen Dienstes in der heutigen Situation bedeuten würde. Außerdem geht die Regierung selber in ihren Leitlinien von 7,5 % aus.
Was will ich sagen? Das ist ja schon kein Risiko mehr, dar ist in einem gewissen Umfang Mark, und diese Mark fehlt in diesem Haushalt.
Siebtens. Stichwort Bahn und Post: Die finanzielle Situation ist hier mehr als katastrophal - das darf man hier wohl sagen -,
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ganz anders noch in den Tagen der Großen Koalition. Die Post ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, was Inflation einzelbetrieblich bedeutet. Die Verschuldung der beiden Sondervermögen des Bundes - Post und Bahn - ist allein in diesem Jahr 1971, das noch gar nich abgeschlossen ist, um sage und schreibe 8,7 Milliarden DM angestiegen; allein bei der Post im laufenden Jahr ein Defizit von 1,7 Milliarden DM, bei der Bahn ein Defizit von über 2 Milliarden DM. Trotz Gebührenerhöhung wird für 1972 schon aus heutiger Sicht - Preiserhöhungen und Besoldungsverbesserungen unberücksichtigt gelassen - bei der Bundespost ein Defizit von 1,4 Milliarden entstehen. Das von der Bahn kann man noch gar nicht beziffern. Da hat man auch noch gar nichts gehört. Da wird es noch schlimmer werden. 1 % Besoldungserhöhung bei der Bundespost bedeutet 115 Millionen DM. Bei einem vorgegebenen Defizit für 1972 von 1,4 Milliarden DM ohne diese Sache kann man sich ausrechnen, wie hoch das dann werden wird. Dazu kommen die Preissteigerungen. Ich brauche das nicht näher zu erklären.
Eine letzte Bemerkung zur Post. Das Eigenkapital der Post ist jetzt wieder auf ein Minimum zurückgegangen. Auf eine Frage, zu welchem Zeitpunkt bei weiterer Entwicklung wie jetzt dieses Eigenkapital verschwunden ist, wurde gesagt: 1973. Ich sage das nur, um deutlich zu machen, wie schwierig die Situation ist.
Von der Bahn will ich nicht viel sprechen. Aber in der mittelfristigen Finazplanung ist für 1972 sehr vieles vorgesehen: Erhöhung von über 3 Milliarden DM auf über 5 Milliarden DM. Nur, Herr Kollege Hermsdorf, in den kommenden Jahren wird das alles in einem gewissen Umfang wieder abgebaut. Ich frage mich: Kann in diesem Punkt, bei dieser Situation der Bahn die mittelfristige Finanzplanung überLeicht
haupt noch auch nur annähernd als richtig hingenommen werden?
Achtens. Ein weiteres Risiko: deutsch-amerikanischer Devisenausgleich. Wir wissen um die Verhandlungen. Aber das Risiko ist eben da, und mit Sicherheit werden daraus etliche Millionen auf uns zukommen. Ich will nicht mehr darüber sagen, um die Verhandlungen nicht zu stören.
Neuntens. Ein weiteres Risiko. Ruhrkohle AG. Sie wird ja wahrscheinlich noch in der Auseinandersetzung in den Ausschüssen - vielleicht auch im Plenum - eine Rolle spielen. Aber wenn schon die Bundesregierung in ihrer Vorlage an den Haushaltsausschuß zu dieser Bürgschaft in Höhe von 660 Millionen DM, die wir leisten sollen, wörtlich ausführt: „Die Bürgschaft der öffentlichen Hand ist stark risikobelastet", dann heißt das für mich: demnächst werden wir bezahlen.
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Zehntens. Was heute für die Ruhrkohle gilt, gilt morgen sicherlich für eine ganze Reihe von Unternehmungen und von Bereichen unserer Wirtschaft, die sehr stark durch die Entwicklung, die von Herrn Kollegen Arndt aufgezeigt worden ist und die andere angesprochen haben, betroffen sind. Ich bin davon überzeugt: beim Bundeswirtschafts- und -finanzminister liegt schon ein ganzes Paket von Anmeldungen von Zweigen, die wegen ihrer Schwierigkeiten vom Staat Hilfen erwarten.
Die hier aufgezeigten Haushaltsrisiken, meine Damen und Herren, deren Aufzählung keineswegs erschöpfend ist, machen deutlich, was uns in den kommenden Jahren bevorsteht. In der Pressemitteilung der SPD-Fraktion vom 7. dieses Monats schreibt Herr Kollege Apel, auf die Haushaltsrisiken eingehend - ich zitiere wörtlich -:
Der Bundestag wird den Bundeshaushalt 1972 erst in einigen Monaten verabschieden. Spätestens dann werden alle Unklarheiten so weit beseitigt sein, daß ein ausgeglichener Bundeshaushalt 1972 verabschiedet werden kann.
Hoffen wir nur, Herr Kollege Apel, daß es in diesen Monaten gelingt, in gemeinsamer Arbeit in den Ausschüssen einen wirklich ausgeglichenen Bundeshaushalt für das Jahr 1972 zu erstellen und dann eines Tages, zu Beginn des Jahres 1972, hier zu verabschieden!
Was hier für das Jahr 1972 festgestellt ist, meine Damen und Herren, gilt in verstärktem Umfang - und das ist verständlich, weil es ja ferner liegt, weil die Daten nicht so genau sind - für die Folgejahre bis 1975. Hier möchte ich neben vielen anderen Dingen, die zu rügen wären, nur das eine rügen, Herr Kollege Hermsdorf: Erstmals wird in einer mittelfristigen Finanzplanung schon für ein Jahr weiter, nämlich hier für das Jahr 1973, eine globale Minderausgabe eingesetzt. Mir ist unverständlich, wie so etwas geschehen kann, abgesehen von den Auswirkungen, die das mit sich bringt.
Noch in vielen anderen Punkten wäre Kritik an der vorgelegten Finanzplanung zu üben. Lassen Sie mich nur einen besonders gravierenden Punkt noch herausnehmen! Am 26. Februar des vergangenen Jahres hat Herr Schiller auf einer Versammlung des DIHT in Bad Godesberg erklärt:
Eine mittelfristige Preissteigerungsrate für mehrere Jahre von 2 bis 2,5 %
- schon das hat sich von seinen früheren Aussagen unterschieden -auf mittlere Sicht ist für uns zu hoch.
Heute präsentiert Herr Schiller in seiner durchschnittlichen jährlichen Preissteigerungsrate vorausschauend 3 bis 3,5 %. Der entscheidende Punkt hierhei, meine Damen und Herren, muß unseren heftigen Widerspruch finden, weil die wirklichkeitsnähere Inflationsrate, die Herr Schiller hier als seiner Meinung entsprechend einsetzt, das Planungskonzept praktisch vorwegnimmt in der trügerischen Absicht, sich dadurch einen größeren finanziellen Spielraum schaffen zu können. Wer Stabilität will, muß dies schon in der Frühphase der Planung beherzigen. Nur so ist bei der Unvollkommenheit der Voraussicht jener Spielraum gewährleistet, den unvorhersehbare und zwangsläufige Mehrausgaben immer erfordern.
Wie anders könnte man es sich erklären, meine Damen und Herren, daß trotz Konjunkturzuschlags, daß trotz - angeblich - binnenwirtschaftlicher Stabilisierungsprogramme, daß trotz restriktiver Haushaltsführung, wie man sagt, daß trotz überdimensionierter Aufwertung und demnächst auch trotz Steuererhöhungen zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik - und das nehmen Sie zur Kenntnis! - offiziell die Preissteigerungsrate bei den Lebenshaltungskosten über dem Diskontsatz, dem Leitzins, liegt. Und dann kommen Sie mit den Argumenten „Rentner", „Sparer", wenn die Preissteigerungsrate über dem Leitzins liegt!
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Die bittere Bilanz nach zwei Jahren sozialliberaler Politik ist hoch: Die Bundesregierung redet weiter von Reformen, obwohl sie kaum noch die Defizite decken kann. Die offenen und noch verdeckten Inflationsschäden nehmen weiter zu und fallen wie ein Bumerang auf die Finanzen des Staates zurück. Immer mehr öffentliche Gelder werden erforderlich, um die Sozialschäden der Inflation notdürftig zu mildern. Diese bittere Bilanz kommt in der Feststellung der Bundesbank - und vielleicht glaubt man wenigstens der Bundesbank - in ihrem Monatsbericht für Oktober dieses Jahres deutlich zum Ausdruck. Die Bundesbank schreibt dort:
Die Zunahme der Belastungsquote - bei den öffentlichen Haushalten diente also zu einem großen Teil nur dazu, die finanziellen Folgen der überproportionalen Preissteigerungen bei Staatsverbrauch und Staatsinvestitionen überwinden zu helfen.
Diese Ausage, meine Damen und Herren, macht deutlich, wo wir im Augenblick stehen.
Eine der Hauptursachen dieser primär hausgemachten Inflation, wie sie heute morgen schon be8288
sprochen worden ist, liegt in der auch hemmungslosen Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände. Es genügt eben nicht, nur Reformideen hervorzubringen und zu nähren, ohne dem Bürger das dazugehörige stabilitätsnotwendige Opfer abzuverlangen. In dem Maße, in dem die Ausgabenpolitik in den durch sie selbst beschleunigten Inflationsprozeß gerät, steigt die öffentliche Verschuldung in unverantwortlicher Weise.
Die Bundesregierung hat es bis heute an dem politischen Mut fehlen lassen, der nun einmal zu jeder vernünftigen Reformpolitik gehört. Die Folge ist eine in ihren Umrissen schon heute deutlich erkennbare Finanzkrise, die die des Jahres 1966/67 bei weitem in den Schatten stellen wird, wenn nicht noch - und hoffentlich gelingt es - entscheidende Korrekturen am vorgelegten Haushalt 1972 und der ihn weiterführenden Finanzplanung angebracht werden können. Das muß nach einer ersten, in Zukunft sicherlich noch zu ergänzenden kritischen Analyse des Zahlenwerks festgestellt werden.
Unsere Bemühungen werden dieser Erkenntnis entsprechend in Zukunft darauf gerichtet sein müssen, daß ein konsolidierter Haushalt zustande kommt, ein wirklich konsolidierter Haushalt, der diesen Namen dann auch verdient:
Wir werden erstens darauf bestehen, daß die zahlreichen haushaltstechnischen Tricks und Unterlassungen beseitigt werden. Denn das ist die unerläßliche Voraussetzung für die gesamtwirtschaftliche Orientierung und Ausrichtung der Haushaltspolitik.
Es gilt eben: Was nicht klar ist, ist nicht wahr.
Zweitens. Die bisher ungezügelte Ausgabenwirtschaft der öffentlichen Hände muß wieder unter Kontrolle gebracht werden. Das Haushaltsbewilligungsrecht als das vornehmste Recht dieses Hohen Hauses muß wieder voll zur Gültigkeit gebracht werden.
Drittens. Zur Begrenzung des Ausgabenzuwachses für das Rechnungsjahr 1972 wird vor allem zu prüfen sein, inwieweit es möglich ist, Ausgaben aus dem Kernhaushalt zusätzlich in den Eventualhaushalt einzustellen. Dieser Eventualhaushalt ist unbedingt mit der mittelfristigen Finanzplanung zu verzahnen. Denn die Gefahr eines länger andauernden wirtschaftlichen Rückschlags parallel zu einer längeren Phase der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist heute nicht mehr auszuschließen.
Viertens. In der Finanzplanung müssen auf der Grundlage realistischer Ansätze für die öffentlichen Haushalte mittelfristig das durchschnittliche Ausgabenwachstum und der durchschnittliche Anstieg der Verschuldung wieder an die voraussichtliche Entwicklung des Sozialprodukts angenähert werden. Außerdem sind hinreichende Reserveposten für nicht vorhersehbare Aufgaben einzustellen.
Fünftens. Die Haushalts- und Finanzplanungen von Bund, Ländern und Gemeinden müssen, wie es das Gesetz vorschreibt, im Finanzplanungsrat durch eine gemeinschaftliche Erarbeitung einheitlicher volks- und finanzwirtschaftlicher Annahmen und Schwerpunkte für eine den gesamtwirtschaftlichen
Erfordernissen entsprechende Erfüllung der öffentlichen Aufgaben wieder rechtzeitig aufeinander abgestimmt werden.
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Seien Sie versichert, meine Damen und Herren und insbesondere auch der Herr Bundeswirtschaftsund -finanzminister, daß wir uns in den kommenden Ausschußberatungen, die sich leider durch die verspätete Vorlage des Haushaltsentwurfs einen Monat verschieben, mit Zähigkeit um jede Kürzung ringen werden, die wir für möglich halten. Diesem Haushaltsentwurf darf nicht das gleiche Schicksal widerfahren, wie seinen beiden Vorgängern, im Ausschuß nicht, wie ich meine, aber auch nicht hier im Plenum.
Zuviel steht auf dem Spiel. Wer sich um die Stabilität der Preise bemüht - so hat Herr Schiller gesagt -, tritt auch für die Stabilität der Gesellschaft ein. Wenn dieses Wort beherzigt wird, wenn es insbesondere die Bundesregierung und dort wiederum vor allem der Wirtschafts- und Finanzminister beherzigt, dann hat er sicherlich auch uns auf seiner Seite; dann werden wir ihm bei seiner schwierigen Arbeit helfen.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, ich unterbreche unsere Beratungen für einen Augenblick.
Ich erhalte soeben die Nachricht, daß die Nobelpreiskommission des norwegischen Parlaments heute dem Herrn Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland den Friedensnobelpreis verliehen hat.
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Herr Bundeskanzler, diese Auszeichnung ehrt Ihr aufrichtiges Bemühen um den Frieden in der Welt und um die Verständigung zwischen den Völkern. Der ganze Deutsche Bundestag gratuliert ohne Unterschied der politischen Standorte Ihnen zu dieser hohen Ehrung.
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Gratulation. Mein Dank gilt gleichermaßen den drei Fraktionen dieses Hohen Hauses für Ihre Glückwünsche.
Die Nachricht von der Verleihung des Friedensnobelpreises habe ich mit innerer Bewegung und mit großer Dankbarkeit aufgenommen. Dies ist eine hohe und sehr verpflichtende Auszeichnung. Ich
werde alles tun, mich dieser Ehrung in meiner weiteren Arbeit würdig zu erweisen.
Ich werde den Friedensnobelpreis am 10. Dezember 1971 in Verbundenheit mit allen, an welcher Stelle auch immer, annehmen, die sich mit der ihnen gegebenen Kraft bemühen, die Welt von Kriegen zu befreien und ein Europa des Friedens zu organisieren.
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Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, auf Wunsch der Fraktion der SPD unterbreche ich die Sitzung für 30 Minuten. Wir treten um 17.40 Uhr wieder zusammen.
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Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Wir sind bei Punkt 4 der Tagesordnung. Das Wort hat der Abgeordnete Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fraktionsvorsitzende Herr Dr. Barzel hat heute in seinem Diskussionsbeitrag davon gesprochen, daß in jeder Phase der Debatte von seiten der Opposition Alternativen dargestellt würden. Ich habe nicht die Empfindung gehabt, daß bei den Ausführungen von Herrn Leicht solche Alternativen sichtbar wurden. Vielleicht meinte er seine letzten fünf Punkte, die allerdings zu allgemein gehalten waren, als daß sie echte Alternativen zu der Gesamtsituation des Haushalts 1972, des Eventualhaushalts und des Finanzplanes 1971/75 sein könnten. Ich nehme an, im Laufe der Debatte werden noch diese wirklichen Alternativen von seiten der CDU/CSU sichtbar werden.
Ich will mich jetzt hier aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu dem Haushalt 1972 äußern.
Wie jeder Bundeshaushaltsentwurf, so ist auch der für 1972 unter hartem Ringen im Bundeskabinett verabschiedet worden. Dieses harte Ringen der Ressortminister um die Höhe ihres Haushalts wird der Öffentlichkeit meist mit viel Begleitmusik serviert, wobei der Eindruck entsteht, als sei im Kabinett die Uneinigkeit das Hauptmerkmal. Meine Damen und Herren, bisher hat jedes Kabinett, das einen Haushaltsentwurf zu verabschieden hatte, die Anforderungen der Ressortminister reduziert, so daß am Ende der Beratungen jeder Minister etwas weniger für sich verbuchen konnte, als er gefordert hatte. Das Anmelden von Forderungen, das Ringen um die Forderungen und die Einigung im Kabinett auf das Gesamtergebnis halte ich für den selbstverständlichsten Vorgang, ja, geradezu für die politische Aufgabe eines Kabinetts. Vielleicht muß sogar die prickelnde Begleitmusik sein. Das hebt das Interesse an der Politik in Zahlen, die sich in jedem Haushalt konkret, wenn auch sehr nüchtern niederschlägt.
Der jährliche Bundeshaushalt ist nicht nur eine bloße Fortschreibung in Einnahmen und Ausgaben gegenüber seinem Vorgänger. Jeder Haushalt erhält vielmehr bestimmte politische Schwerpunkte, die auch in der Fortschreibung des Finanzplanes ihre Auswirkungen haben. Das ist auch in der Struktur des vorliegenden Haushaltsplanes für 1972 und des Finanzplanes für die Jahre 1971 his 1975 für jeden sichtbar geworden.
Der Haushaltsentwurf mit seinem Volumen von 106,5 Milliarden DM und die mittelfristige Finanzplanung von 1971 bis 1975 entsprechen den Erfordernissen der finanzwirtschaftlichen Konsolidierung, der wirtschafts- und konjunkturpolitischen Stabilität bei gleichzeitiger Fortsetzung der Reformpolitik dieser Bundesregierung. Meine Damen und Herren, hinter dieser Feststellung steht eine beachtliche politische Handlungsfähigkeit der sozial-liberalen Regierung.
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Zudem gibt uns gleichzeitig der vorgelegte Eventualhaushalt in Höhe von 2,5 Milliarden DM die Sicherheit, daß bei einer eventuellen stärkeren Abschwächung der Konjunktur zusätzliche Mittel für inlandswirksame Investitionsvorhaben eingesetzt werden können.
Meine Damen und Herren, die Opposition hat nicht recht mit ihrer Behauptung, daß die Bundesregierung auf mögliche Zukunftsinvestitionen verzichtet habe,
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sei es in Wissenschaft und Bildung oder auf dem Gebiet der Infrastruktur. Wahr ist vielmehr, daß z. B. die Ausgaben für Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung von 4,6 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 6,1 Milliarden DM im Jahre 1972 ansteigen und sich bis 1975 auf 9,5 Milliarden DM verdoppeln. Die investiven Ausgaben des Bundes insgesamt steigen im Planungszeitraum von 17,2 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 22,3 Milliarden DM im Jahr 1975. Für 1972 bedeutet dies auf der Grundlage des Jahres 1972 eine Steigerung um 16,10 %. Meine Damen und Herren, daraus folgt, daß der Zuwachs im Investitionsbereich mit 8,4 % erheblich über dem der Geamtausgaben liegt. In den Folgejahren flacht sich der Anstieg bei den Investitionsausgaben etwas ab. Man muß jedoch wissen, daß gemäß der Aufgabenverteilung zwischen den staatlichen Ebenen der Großteil der öffentlichen Investitionen von Ländern und Gemeinden durchgeführt wird und das Schwergewicht der Bundesausgaben im Bereich der sozialen Sicherung und der Verteidigung liegt. Meine Damen und Herren, wenn man dies weiß, ist es eine verdrehte Darstellung, zu behaupten, die Bundesregierung habe nur den Sozialkonsum erhöht, anstatt die Zukunftsinvestitionen zu verstärken. Diese Regierung hat trotz verschiedener Aufgabenstellung beim einen wie beim anderen das Notwendige getan.
Die in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 vorgetragene Politik der inneren Reformen war der CDU/CSU von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie
konnte es bisher nicht ertragen, daß erstmalig eine Bundesregierung z. B. die gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten der Bevölkerung aufzeigt, die auch über eine Legislaturperiode hinausreichen. Ich denke da vor allem an die Perspektiven zur Bildungs- und Verkehrspolitik oder zum Umwelt- und Gesundheitsschutz. Und ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Was ist dabei fehlerhaft, wenn auf diesen wichtigen Gebieten der Umfang der Aufgaben, die erforderlichen Kosten und das angestrebte Zeitmaß ausführlich und im Zusammenhang dargestellt werden? Niemand kann die aufgezeigten Notwendigkeiten bestreiten. Wenn nicht jedes gesetzte Teilziel und jede finanzielle Rate je Jahr voll verwirklicht werden, sondern wenn im Vollzug auf neue Situationen elastisch reagiert wird, dann schmälert das nicht das Verdienst der Bundesregierung, die Größe und Vielfalt der Aufgaben im Zusammenhang dargestellt und konkretisiert zu haben. Politik ist immer noch die Kunst des Möglichen; zu ihr gehören bekanntlich Augenmaß und Beharrlichkeit. Beides hat diese Regierung, und sie wird darin gestützt von den sie tragenden Koalitionsfraktionen.
Im übrigen vollziehen sich die politischen Entscheidungen und ihre Fortentwicklung seitens der Bundesregierung nicht hinter vrschlossenen Türen; vielmehr erfahren davon Parlament und interessierte Öffentlichkeit durch einen breiten und tiefen Informationsstrom. Zum Beweis dafür reicht schon die Abfolge der Berichte, die für die Bundesregierung nicht nur analytische Bestandsaufnahme, sondern auch Grundlage ihrer Planungsarbeit sind. Wo gab es denn eine Vorgängerregierung, meine Damen und Herren von der Opposition, die ihr Arbeitsprogramm zu innenpolitschen Vorhaben so konsequent und konkretisiert dargelegt hat, wie es diese Bundesregierung z. B. schon im März dieses Jahres mit ihrer Antwort auf die erste Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion getan hat?
Aber der Opposition reicht das alles nicht, wie die Flut ihrer fast nicht mehr übersehbaren Kleinen und Großen Anfragen etc. beweist. Trotz der vielfältigen Informationsmöglichkeiten verschließt sie sich beharrlich der Erkenntnis, in welche erheblichem Umfang Reformen bisher erfüllt und in Gang gebracht worden sind. Ich habe jedoch die Gewißheit: Die Bevölkerung weiß es besser als die Opposition einzuschätzen, deren Hauptsprecher kurz und bündig zu allem erklären: Ich sage nein. Auch ich bin - wie Herr Kollege Dr. Möller der Meinung, daß das kategorische Nein des Herrn Strauß weder ihm noch seiner Fraktion bei der Bevölkerung Pluspunkte einbringen wird. Der heftige Nasenstüber von Bremen sollte Anlaß zum Nachdenken sein.
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Die Einbringung des Haushalts 1972 trifft sich mit der Halbzeit der Bundesregierung. Ist auch nicht alles eitel Freude, so sind doch die vorliegenden Ergebnisse von imponierender Art. Aus dem Bündel der Leistungen darf ich einige anführen und sie ins Gedächtnis zurückrufen. Denn wenn Kritik am Stil der sozial-liberalen Koalition angebracht ist, dann diese: Sie hat in kurzer Zeit so viele Aufgaben mit solchem Elan angepackt, daß dieser Stil schon zur Selbstverständlichkeit wurde und daß in unserer schnellebigen und von der Hast der Tagespolitik verdorbenen Zeit das Umsetzen dieser produktiven Leistungsbilanz in das politische Bewußtsein durchaus einige Mühe machen kann. Deshalb erlaube ich mir, in wenigen Strichen aus dieser Bilanz einige Stichworte vorzutragen:
Erstens. Dynamisierung der Renten auch für Kriegs- und Wehrdienstopfer.
Zweitens. Bei der Krankenversicherung Wegfall der Einkommensgrenze für die Leistung des Arbeitgeberanteils. Leistungspflicht der Krankenkassen für Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen. Wegfall des Rentnerbeitrages zur Krankenversicherung.
Drittens. Gesetzlicher Unfallschutz für Schüler, Studenten und Kinder in Kindergärten.
Viertens. Beim Vermögensbildungsgesetz Verdoppelung auf 624 DM. Einführung der Arbeitnehmersparzulage und damit Anreiz für die Tarifvertragsparteien, zusätzliche vermögenswirksame Leistungen zu vereinbaren.
Fünftens. Nach vielen vergeblichen Bemühungen in der Vergangenheit wurde die verfassungsrechtliche Grundlage für eine einheitliche Beamtenbesoldung in Bund und Ländern gelegt. Bedeutsame Veränderungen im Besoldungsbereich sind durch das Besoldungsvereinheitlichungs- und -neuregelungsgesetz geschaffen worden.
Sechstens. Für die Arbeitnehmer, die bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegen, wurde die befristete Fortgeltung der paritätischen Mitbestimmung bis 31. Dezember 1975 beschlossen.
Siebentens. Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist im maßgebenden Ausschuß des Parlaments abschließend beraten worden und wird demnächst dem Hohen Hause zur Verabschiedung vorgelegt. Damit sind alle Chancen gegeben, daß die Rechte der Arbeitnehmer nach März 1972 entscheidend gestärkt werden.
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Achtens. Erstmalig haben wir den Kindern gering verdienender Eltern einen Rechtsanspruch auf Förderung in weiterführenden Schulen durch das Ausbildungsförderungsgesetz gewährt.
Neuntens. Um den wissenschaftlichen Nachwuchs für Aufgaben innerhalb und außerhalb der Hochschulen zu fördern, ist eine erhebliche finanzielle Leistung durch Gesetz geregelt worden.
Zehntens. Mit dem hart umkämpften Städtebauförderungsgesetz ist die überfällige Reform des Bodenrechts eingeleitet und ein erster Schritt zur Bekämpfung der Bodenspekulation unternommen worden.
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Ich registriere nur noch in Stichworten u. a.: wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, das Strafrecht wird reformiert, der Entwurf eines Sexualstrafrechtes und das erste Gesetz zur Reform des Eheund Familienrechts liegen vor. Außerdem wird bis
Ende dieses Jahres die Bundesregierung eine abschließende Entscheidung über den gesamten Inhalt des Zweiten Steuerreformgesetzes treffen.
Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Die Hälfte des Weges in dieser Legislaturperiode ist zurückgelegt mit einer beachtlichen positiven Leistungsbilanz. Für die zweite Hälfte wird diese Bundesregierung dem Anspruch auch weiterhin gerecht, die Regierung der inneren Reformen zu sein.
Über ein wichtiges Teilstück, den Bundeshaushalt 1972 und den fortgeschriebenen Finanzplan bis 1975, haben wir uns heute hier in der ersten Lesung grundsätzlich zu unterhalten. Der Minister und mein Kollege Alex Möller haben dies bereits konkret getan. Auch ich wiederhole: Der Bundeshaushalt 1972 mit seinen 106,5 Milliarden DM steht, was Einnahmen und Ausgaben betrifft, auf solider Grundlage.
Meine Vorredner aus den Reihen der Opposition zwingen mich jedoch, noch einmal zur Klärung beizutragen und ihre vordergründige Kritik an den Ausgleichsmaßnahmen - das sind die Hingabe von Schatzbriefen an die Rentenversicherung, die globale Minderausgabe, die Veranschlagung der drei Gemeindepfennige aus der Mineralölsteuer - zurückzuweisen.
Zu dem ersten Vorwurf: Was die teilweise Abgeltung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung durch Zertifikate angeht, ist diese Maßnahme keine neue Erfindung unseres Bundesfinanzministers. Das haben seine Kollegen vor ihm gleichermaßen praktiziert und für Recht befunden.
Herr Kollege Kirst hat die verehrten Kolleginnen und Kollegen heute bereits auf die Jahre 1959, 1960, 1963, 1964 und 1965 hingewiesen, und die Sachkundigen unter uns kennen die damalige Lage sehr genau. Der entscheidende Unterschied, Herr Leicht, zur Praxis von damals besteht darin, daß die Stundung des Barzuschusses in Höhe von 1 Milliarde DM durch Hingabe von Schatzbriefen im Jahre 1972 in vollem Einvernehmen mit der Bundesversicherungsanstalt erfolgt, weiter darin, daß der Anspruch der Rentenversicherung nicht gekürzt oder eingefroren wird, und schließlich darin, daß mit dieser Maßnahme keine Liquiditätsbeengung oder Aufgabenbeschränkung der Angestelltenversicherung verbunden ist.
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Vielmehr steigen die Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung von Jahr zu Jahr im Rahmen der Finanzplanung kontinuierlich an.
Zu dem zweiten Vorwurf: Globale Minderausgaben. Die Veranschlagung von 1,2 Milliarden DM im Regierungsentwurf ist haushaltsrechtlich, Herr Leicht, nicht zu beanstanden und entspricht altbekannter Praxis. Allerdings würde ich es als Haushaltspolitiker begrüßen, wenn der Haushaltsausschuß während seiner Beratungen bei einzelnen Etatpositionen Einsparungen konkretisierte. Dazu werden wir eine Vorlage der Bundesregierung benötigen, und ich hoffe, daß wir diese spätestens bis Ende dieses Jahres bekommen werden. Dann können wir das ausfüllen, was im Finanzplan 1971 bis 1975 zur Erläuterung der Textziffer 5.20 angeführt ist. Da heißt es:
Die globale Minderausgabe in 1972 soll zu einem wesentlichen Teil durch Kürzung der Leistungen des Bundes an die Zuwendungsempfänger erwirtschaftet werden.
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- Das ist ein guter Wille, Herr Leicht, mutig ausgesprochen. Der Bundesregierung ist unsere volle Unterstützung gewiß. Ich hoffe, sie wird hier auch von Ihrer Seite Unterstützung finden.
Wir alle in diesem Hause wissen schließlich, wie schwierig es ist, einmal gewährte Subsidien wieder zu entziehen, und das Thema Abbau von Subventionen ist uns allen wohlbekannt.
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Weder eine Regierung noch eine Fraktion konnte bisher die Widerstände gegen Kürzungen solcher Leistungen überwinden. Ich weiß, daß es auch diesmal mit radikalen Mitteln nicht geht. Von allen Seiten der Leistungsempfänger kommen die Wenn und Aber. Dort geht es wirtschaftlich nicht, dort liegen politische Hemmnisse vor, dort stehen regionale Interessen entgegen. Wenn man alles in allem nimmt, geht es nirgends. Im Gegenteil, alle Empfänger erwarten höhere Leistungen des Bundes.
Wir müssen natürlich wissen, daß unter den Empfängern unmittelbarer Zuwendungen, deren Zahl in die Zehntausende geht, leicht ein Aufstand entstehen kann. Es muß jedoch an die Subventions- und an die Zuwendungsempfänger, aber auch an uns Abgeordnete ernsthaft die Frage gestellt werden: Glaubt wirklich jemand, daß das, was 1949, 1955 oder 1960 als Begründung für die Zuwendung nachweislich richtig war, heute noch aufrechterhalten werden kann? Ist es wirklich unabänderlich, so frage ich, daß, wie aus dem letzten Subventionsbericht von 1970 hervorgeht, rund 12 Milliarden DM für Finanzhilfen des Bundes neben den 5 bis 6 Milliarden DM Bundesmittel für die sogenannten Zuwendungsempfänger ausgegeben werden und daß rund 17 Milliarden DM Steuervergünstigungen - davon 8 Milliarden DM zu Lasten des Bundes - die Beweglichkeit des öffentlichen Haushalts blockieren?
Spontanen Verzicht von Subventions- und Zuwendungsempfängern gibt es nicht. Darum muß nach meiner Auffassung die Bundesregierung einen Anfang des Abbaus setzen, und zwar jetzt im Rahmen des Haushaltsplans 1972 bei den Zuwendungsempfängern. Es wird ohnehin nur langsam und schrittweise gehen. Ich begrüße dankbar, daß jüngst aus den Reihen der Begünstigten selbst zur Besinnung aufgerufen wurde, wie es kürzlich seitens der Industrie durch Herrn Professor Dr. Rodenstock geschehen ist.
Außerdem, meine Damen und Herren, erwarten wir in Kürze den neuen Subventionsbericht der Bundesregierung, dessen Vorschläge zum Abbau von Subventionen, also von direkten Finanzhilfen, und Steuervergünstigungen vor allem längerfristig und
im Zusammenhang mit der Steuerreform 1974 zu sehen sind.
Schließlich zum dritten Punkt der Kritik der Opposition an den neuen 3 Pf Mineralölsteuer für die Gemeinden. Alle Fraktionen - das ist auch von Herrn Leicht so angedeutet worden - sind sich einig, daß die Gemeinden finanziell stark zu kämpfen haben. Alle Fraktionen wollen bei dieser Erkenntnis den Gemeinden helfen und sie z. B. in den Stand setzen, für den innerstädtischen Verkehr mehr zu vollbringen. Die Bundesregierung hat aus dieser Einsicht Konsequenzen gezogen und aus der geplanten Erhöhung der Mineralölsteuer 3 Pf voll für die Gemeinden vorgesehen. Da der Bund diese Mittel nur einnimmt, um sie an die Gemeinden weiterzureichen, berührt dieses Mehraufkommen von rund 1 Milliarde DM wirtschaftlich nicht die Steigerungsrate des Bundeshaushalts. Auch die rechtliche Konstruktion der Zuweisung der Beträge und die Art ihrer Verwendung durch Verwaltungsvereinbarungen mit den Ländern rechtfertigen die beabsichtigte Abwicklung im Bundeshaushalt über Leertitel.
Diese drei finanzpolitischen Maßnahmen - erstens Schatzbriefe an die Rentenversicherung, zweitens globale Minderausgabe, drittens Veranschlagung der neuen 3 Pf für die Gemeinden - sind von der Bundesregierung klar angesprochen worden. Wer nicht gerade wie die Opposition dem SteigerungsratenFetischismus huldigen will, wird den legitimen Vorschlägen des Bundeswirtschafts- und -finanzministers zustimmen können.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Personalbereich. Was diesmal an dem harten Ringen um die endgültigen Haushaltszahlen auffällt, ist die fast als radikal zu bezeichnende Behandlung der Stellenanforderungen. Sie sind wie schon in früheren Jahren auch für den Haushalt 1972 ein besonders wunder Punkt. Einerseits ist in der Offentlichkeit kaum mehr Verständnis für eine Vergrößerung der Bundesverwaltung - ohne Bahn und Post -- zu finden. Andererseits wachsen die Ansprüche an die personalintensiven Dienstleistungen des Staates immer mehr an. Wie bekannt, lagen für 1972 aus den Ressorts Forderungen auf 11 000 neue Stellen vor. Davon sind im Ergebnis durch das Kabinett nur knapp 500 bewilligt worden. Auf die Hebung von Planstellen wurde völlig verzichtet, da bereits der große Schub auf Grund des ersten Besoldungs-Neuregelungsgesetzes im Jahre 1971 erfolgt ist. Zu der restriktiven Handhabung im Personalbereich kann man dem Bundesfinanzminister nur gratulieren, aber auch dem Kabinett in seiner Gesamtheit ein gutes Zeugnis für diese Einsicht aussprechen.
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Meine Damen und Herren, wer auch immer in dem jeweiligen Ressort die Federführung über die Stellenplanung hat - in Zukunft sollten unter allen Umständen schon dort die strengsten Maßstäbe angelegt werden. Warum muß, so frage ich mich, der Bundesfinanzminister zu solch harten Streichungen erst gezwungen werden, wo diese Praxis im Endeffekt doch sehr die Gefahr des allzu großen Hobels in sich birgt?
Wichtig erscheint mir auch, alle Möglichkeiten zu verstärkter Mobilität auch im öffentlichen Dienst zu nutzen, um ein Höchstmaß von effektiver Flexibilität zu erreichen. Ich begrüße daher alle Ansatzpunkte, die zu einer gewissen Reform bereits erkennbar werden.
Noch ein Wort zur Kritik seitens der Opposition. Herr Leicht, Sie wissen es sehr genau: Bisher enthielt noch jeder Haushaltsentwurf bei seiner Einbringung im Parlament bestimmte Risiken, erfolgt doch die Aufstellung im Sommer des laufenden Haushaltsjahres. Der Abschluß kann demnach noch nicht getätigt sein.
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Auch dieser Haushalt ist daher mit einigen Risiken behaftet.
Da stehen z. B. die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst ins Haus, Verhandlungen über den Devisenausgleich stehen an, die Länder erwarten eine weitergehende Aufstockung des Anteils an den Umsatzsteuereinnahmen, die endgültige Lösung der internationalen Währungssituation mit ihren Auswirkungen auf uns sind noch im Gange. Aber das - Herr Leicht, das wissen Sie ebenfalls genau - muß ja alles erst ausgehandelt werden. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen können dann noch während der Beratungen im Haushaltsausschuß ihren Niederschlag im Etat 1972 finden.
Z. B. wird eine höhere Beteiligung der Länder an der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuer ab Januar 1972 meines Erachtens die Frage nach zusätzlichen Steuererhöhungen aufwerfen. Die Bundesregierung hat bekanntlich in ihrem Regierungsentwurf bereits auf 3 % Anteil an der Mehrwertsteuer, das sind rund 1,36 Milliarden DM, zugunsten der Länder verzichtet. Sie hat mit diesem Angebot versucht, ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung vorab und fair Rechnung zu tragen. In den nun anlaufenden Gesprächen und Verhandlungen mit den Ländern wird sehr sachlich zu prüfen sein, ob das Angebot des Bundes ausreicht oder welche Möglichkeiten zur Verbesserung bestehen.
Immerhin ist festzuhalten, daß sowohl 1972 als auch im gesamten Finanzplanungszeitraum bis 1975 die Steuereinnahmen des Bundes nur unterdurchschnittlich anwachsen werden, d. h. stark hinter den steuerlichen Zuwachsraten der Länder und insbesondere der Gemeinden zurückbleiben. Hinsichtlich der erwähnten Risiken kann jetzt niemand verantwortlich Verhandlungsergebnisse in Zahlen vorweg festlegen wollen. Meine Damen und Herren von der Opposition, in früheren Jahren war das nämlich für Sie selbstverständlich. Heute aber reden Sie einfach darauf los, ohne Rücksicht darauf, ob damit Schaden angerichtet wird oder nicht.
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Zum Abschluß dieses Teils noch eine Bemerkung zu den beabsichtigten Steuererhöhungen für Mineralöl, Tabak und Branntwein. Steuererhöhungen gefallen niemandem. Im täglichen Leben aber stoßen
wir ständig auf den Engpaß von erwünschten öffentlichen Einrichtungen. Da sind fehlende Schulen, schlecht ausgestattete Krankenhäuser, ein unzulängliches Straßennetz, ungenügende Städteplanung, die Fragen des Umweltschutzes und anderes mehr. Hätten wir diese Einrichtungen in ausreichendem Maß, würden wir alle in unsere Gemeinschaft davon profitieren. Um das zu erreichen, meine Damen und Herren von der Opposition, sind wir notgedrungen verurteilt, alle miteinander ein höheres Opfer im Sinne eines privaten Konsumverzichts zu erbringen. Für den höheren Betrag in Form der geplanten höheren Steuer erhalten wir jedoch Jahr um Jahr verbesserte Gemeinschaftsleistungen.
Meine Damen und Herren, Herr Strauß, seines Zeichens Landesvorsitzender der CSU, ist gegen die angekündigten Steuererhöhungen. Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Dr. Filbinger, CDU, ist dafür. Auf Straußens Stimme könnten wir bei diesem Streite gern verzichten, wenn dafür die Stimmen des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat zu den Gesetzentwürfen positiv ausfallen!
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Ein letztes noch zu der Politik des Herrn Strauß. Die Politik des Herrn Strauß ist eine Politik der Angst, die bei ihm besonders ausgeprägt zu sein scheint. Da ist die Politik mit der Angst vor dem Kommunismus und anderen Radikalen im Inneren, die Politik mit der Angst vor wirtschaftlichen Katastrophen, die Politik mit der Angst vor dem Ostblock nach behaupteter Lösung der Sicherheitsbindungen zum Westen. Diese Politik der Angst wird überwölbt von der Vorstellung der in sich zusammenbrechenden Gesellschaftsordnung und dem Ende des demokratischen Staates, die aus jedem dieser drei genannten Themen abgeleitet wird. Das ganze hat - wie Herr Strauß wohl weiß - mit der Realität in der Bundesrepublik nichts zu tun.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wundern Sie sich nicht, besonders auf seiten der CSU, wenn sich als Folge dieser ständig vorgetragenen Politik mit der Angst im Volke die Meinung verbreitet, die CSU werde eine Partei neuen Stils: DGU, die Grusel-Union.
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Hoffentlich wird von diesem Stil die Bruderpartei des Herrn Barzel nicht angesteckt.
Der Bundeskanzler hat sich am Wochenende zu den zurückliegenden zwei Jahren der sozial-liberalen Regierung geäußert. Ich erlaube mir, seine Feststellungen zu übernehmen und für meine Fraktion zu unterstreichen. Er sagte: Die Stellung der Bundesrepublik Deutschland in der Welt ist in dieser Zeit gewichtiger geworden, und unsere Politik bringt den Menschen dieses Landes mehr Sicherheit. Der übergroßen Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik geht es nicht schlechter, sondern besser als vor zwei Jahren. Trotz erheblicher objektiver Schwierigkeiten sind zahlreiche Reformvorhaben auf den Weg gebracht worden, durch die der Ausbau des demokratischen und sozialen Bundesstaates vorangebracht wird.
Meine Damen und Herren, vor uns liegt der Haushaltsentwurf 1972, der Finanzplan 1971/75 und der Eventualhaushalt als Auftakt für das letzte volle Arbeitsjahr dieser Wahlperiode. Wir werden das Regierungsprogramm der sozial-liberalen Koalition - ausgehend von der Erklärung im Oktober 1969 -, von dem schon ein erheblicher Teil verwirklicht wurde, weiterhin zielstrebig durchführen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird es an Unterstützung dieser Politik der inneren Reformen bei der nun beginnenden Einzelberatung des Bundesetats 1972 nicht fehlen lassen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kienbaum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am Schluß seiner Rede hat der Herr Kollege Dr. Strauß etwa wie folgt formuliert: Dieser Haushalt - das, was Sie gesagt haben, wie das, was Sie nicht gesagt haben - ist ein ganz böses Omen. Konkret: Was ist an diesem Haushalt ein ganz böses Omen? Ist er maßlos? - Ich bedauere, daß der Kollege Strauß nicht da ist.
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- Entschuldigung, Herr Dr. Strauß. Offenbar wurde er durch den sich herüberbeugenden Kollegen verdeckt.
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- Aber Spaß muß ja schließlich sein bei der Geschichte.
Ist er maßlos, Herr Kollege Strauß?
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Muß ein Haushalt sich flexibel anpassen oder nicht? Muß er nicht auch während des Verlaufs der Frist, für die er gilt, Anpassungsmöglichkeiten besitzen? Und lassen Sie mich schließlich fragen: unterstreicht er nicht allein aus der Wachstumszahl das Ziel „Konsolidieren", das in der Rede des Ministers mehrfach aufschien?
Ich stehe nicht an zu erklären, daß die FDP dem Minister Schiller dafür dankbar ist, daß diesem von uns immer wieder unterstrichenen Ziel des Konsolidierens angesichts der auf uns tiereinprasselnden und von uns zu einem wesentlichen Teil überhaupt nicht beeinflußbaren Ereignis in der Welt entsprochen wurde. Diese Arbeit - das wird auch der Kollege Leicht nicht unterschätzen - war eine in sich runde Leistung. Ich schließe deshalb in den Dank die Staatssekretäre Hermsdorf und Emde ausdrücklich ein.
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Die FDP hat nun keineswegs nur Grund zum Danken. Wir haben Wünsche, denen der Herr Minister nachkommen sollte. Seit zwei Jahren sprechen wir davon öffentlich, im Plenum, in den Ausschüssen, aber auch im Einzelgespräch mit ihm. Wir wünschen eine erklärte Politik der Angebotsstärkung.
8294 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode -.
Denn aus der ganzen Diskussion heute ging hervor, daß diese ganz offensichtlich besser wirkt als eine reine Konjunkturpolitik der Dämpfung.
Lassen Sie mich einen zweiten Wunsch äußern. Wir wünschen Orientierungsdaten, wie das Gesetz es nicht nur befahl, sondern auch heute befiehlt. Wir haben die große Sorge, daß diese Auflage, aber auch diese Chance des Gesetzes nicht genutzt, die Chance zur Lösung des Problems, dem sich die Regierung wie die Koalition gegenübersieht, nicht voll ausgeschöpft wird.
Schließlich wären wir dankbar, wenn ein Teil der bisherigen Ankündigungen - Ankündigungen, also auf die Zukunft bezogen - weniger viele Hoffnungen weckte. Wir gehen dabei von der Erkenntnis aus, daß kein Mensch zur Prophetie fähig ist und daß es stets auch anders kommen kann, insbesondere auf Grund von Entscheidungen, die außerhalb der Bundesrepublik getroffen werden.
Bezüglich der aktuellen Probleme der Wirtschaftspolitik will ich nur zwei Tatsachen aufgreifen: das ist die Inflation hier und draußen, und das ist die Weltwährungskrise und die daraus befürchtete Eskalation von Handelshemmnissen. Beide führen zu Auseinandersetzungen in diesem Hohen Hause über den richtigen Weg, ja sie müssen geradezu dazu führen.
Damit komme ich zu den Ausgangspunkten für die Überlegungen und für die Entscheidungsbildung bei der FDP. Preissteigerungen von nie gekanntem Ausmaß, Flucht in die Sachwerte mit Signalisierung von Vertrauensverlust und Unsicherheit bei Verbrauchern, beim Management zahlreicher Firmen und bei Kapitalanlegern sind der FDP nicht gleichgültig und schon gar nicht dieser Fraktion.
({4}) - Sonst hätte ich sie nicht erwähnt.
Wir vertuschen nichts durch Kosmetik. Wir sprechen die Fakten an, ja, wir sprechen unsere Sorgen offen aus, weil diese Sorgen nicht nur durch Einflußnahme oder unterlassene Einflußnahme auf der Bundesebene ausgelöst worden sind, sondern weil darüber draußen, insbesondere zwischen den Tarifpartnern, entschieden wird. Allerdings - auch das muß gesagt werden - unterscheiden wir uns etwas von der Opposition im Urteil über den richtigen Weg, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen, die uns alle betreffen. Wir unterscheiden uns von ihr vielleicht auch in der Methode, wenn es wie heute darum geht, die Ursachen zu erforschen und zu erörtern. Ich will das für mich persönlich klarstellen.
Ich gebe freimütig zu, daß ich mich 1970 in der Einschätzung der bereits bei uns wirkenden Inflationsmentalität geirrt habe. Ich gebe auch freimütig zu, daß ich mich in meinem Vertrauen auf das richtige Augenmaß der Tarifpartner und in der Beurteilung der Zunahme des Geldmittelumlaufs als Folge einer noch nie dagewesenen Vergütungsexplosion und der direkten Kreditaufnahme unter Umgehung des Bankenapparates auf dem Euro-Geldmarkt geirrt habe. Allerdings habe ich mich im Sommer 1970 auch zu den Äußerungen des verehrten Wirtschaftsministers - damals hatte er das andere Amt noch nicht - gemeldet, weil ich euphorische Äußerungen zum Tarifkampf für unangebracht halte. Um eine nüchterne Klärung von Situation und Trend sollten wir bemüht sein, und dazu gehört nun einmal die Erkenntnis über die Selbsttäuschungen aus unangemessenen Vergütungssteigerungen. Über diese Selbsttäuschungen ist in bezug auf die Haushaltswirkungen bei den Kommunen, bei den Ländern und beim Bund heute bereits genügend gesprochen worden. Was ich aber vermisse und was ich in diesem Hohen Hause zu sagen für notwendig halte, ist die Feststellung, daß diese Selbsttäuschung jeden einzelnen der mehr Vergütung Empfangenden, seine Familie, eine ganze Ortschaft und Landschaft und schließlich das ganze Volk betreffen. Das im Parlament auszusprechen, ist notwendig, weil sonst der Eindruck entsteht, wir würden uns für das Klima, das draußen herrscht, und die Bewegung, die in Gang gesetzt wird, nicht verantwortlich halten. Dabei geht es mir auch um den Abbau der Hektik und die sachliche Erörterung von sich aus der heutigen Lage im Ausland ergebenden Lösungschancen.
Die FDP unterstreicht die bisher gehörten Absagen an einen Lohn- und Preisstopp auch oder erst recht in dieser Situation. Sie unterstreicht die marktwirtschaftliche Absicherung unserer Flanke gegen überbordendes Auslandsgeld. Darüber werden wir weiter zu sprechen haben, denn gerade im Wirtschaftsausschuß haben wir schon mehrfach gehört, daß es in der Opposition Kollegen gibt, die eine Reglementierung und eine Zuständigkeit von Beamten bevorzugen. Wir unterstreichen mit Nachdruck das Herausstellen der Bedeutung von Leistungsbereitschaft - draußen im Lande hört man oftmals ätzende Kritik an diesem Wort - und auch dem Fordern von Leistungen. Beides betrachten wir als die Basis für eine mögliche Steigerung der Produktivität, und hier bestätige ich gern und mit Nadidruch Herrn Dr. Arndt, daß es nunmehr an der Zeit ist, gerade für diese Komponente der Konjunkturpolitik mit besonderem Gewicht Maßnahmen einzuleiten. Der Gewinn muß steigen. Aber damit muß dann auch ausgesprochen werden, daß Gewinn nicht etwas ist, was zu verteufeln ist, was zu Karikaturen über Kapitalisten - ({5})
- Nun, ich wäre gar nicht so selbstgerecht. Ich kann mich sehr wohl entsinnen und kann Ihnen gern eine Liste von Äußerungen aus Ihrem Kreis dazu geben. Ich stelle hier fest, was wir für notwendig halten, nämlich daß diese Verteufelung aufhören muß.
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Die Kapitalanleger müssen sicher sein, daß nicht nur ein angemessener Ertrag, ausgedrückt in hohen Zinssätzen, zur Verfügung steht, sondern daß auch der Vermögenswert beständig bleibt. Hier sind in besonderer Weise - auf Grund der Selbsttäuschungen - diejenigen betroffen, die für das Alter über
Rentenpapiere vorgesorgt hatten. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren - das muß nach draußen, aber auch nach drinnen zum Ausdruck gebracht werden -, stören die ständig sich wiederholenden Forderungen, die eben diese Sicherheit gar nicht erst aufkommen lassen können, die sich überbietenden neuen Forderungen, ob sie nun aus dem Kreise der Abgeordneten dieses Hauses, der Administratoren in den Ministerien oder von gesellschaftlichen Gruppen draußen kommen. Investitionen, die ausreichend zur Verfügung gestellt werden und beschlossen werden sollen, erfordern einfach ein anderes Klima als das, was in den letzten Monaten in der öffentlichen Diskussion festzustellen war. Lassen Sie mich hinzufügen: Wir müssen dieses Klima geradezu pflegen, weil sonst die Bereitschaft zur Risikoübernahme im Entwicklungsprozeß unserer Wirtschaft, insbesondere im Umstrukturierungsprozeß, dem wir nicht entrinnen können, nicht ausreichen wird.
Ich komme noch einmal darauf zurück, daß wir Politiker uns auch mühen müssen, um Verständnis für die Zusammenhänge draußen im Lande zu werben, so schwierig die Materie auch sein mag.
Lassen Sie mich noch kurz zu den Chancen für Lösungen kommen, die wir auf der heutigen Ausgangsbasis haben. Ich halte nun einmal nichts davon, über die vergangenen Fehler längere Zeit nachzukarten, es sei denn mit dem Ziel, sie nicht zu wiederholen, nicht aber, um darüber zu reden und dann zu vergessen, daß wir aus der heutigen Problematik Lösungen jetzt und für morgen finden müssen. Kurzfristig - ich glaube, meine Damen und Herren Kollegen, darüber sind wir uns klar - gibt es keine Chance zum Ausgleich von Vergütungs- und Kostenänderungen durch Produktivitätszuwachs. Wir werden daher weiterhin Preissteigerungen haben. Jedes gegenteilige Versprechen wäre Scharlatanerei, und zwar einfach deshalb, weil zu viele nicht beeinflußbare, hier und von uns durch Entscheidungen nicht beeinflußbare Kräfte dabei mitwirken. Wir registrieren rückläufige Nachfrage, und die Herausforderung liegt in dieser Phase darin, nunmehr durch konsequente Angebotsstärkung die Chancen für die nächste Zukunft auszubauen. Dazu trägt ein Haushalt der Konsolidierung mit Dämpfungscharakter doch wohl unbestreitbar bei.
Was erwartet die FDP-Fraktion? Für uns stellt sich zunächst einmal die Frage, ob dieser Haushalt die eventuell als Folge von weiteren Überraschungen, beispielsweise aus dem Ausland, notwendig werdenden Reserven enthält. Wir wünschen deshalb - weil wir da gar nicht sicher sein können, weil wir keine Möglichkeit der Abschirmung haben - keinen Haushaltskurs mit Ruderlagen hart Backbord und hart Steuerbord, sondern wir wünschen einen Kurs der Mitte, der noch Nachsteuerungsreserven enthält, weil er der Wirtschaft und uns allen besser bekommt.
Wir wünschen - das ist eine weitere Bitte an den Herrn Bundeswirtschafts- und -finanzminister - nachdrücklich rechtzeitige Unterrichtung über Risiken. Wir erwarten die ganze Wahrheit, z. B. über die Lage der Ruhrkohle-AG,
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der Bundesbahn und der Bundespost
({8})
sowie anderer von der öffentlichen Hand beeinflußter Unternehmen.
Unser Parteifreund, Herr Minister Dr. Riemer, hat eine umfassende Analyse neuesten Datums über die Ruhrkohle AG und über den. Steinkohlenbergbau vorgelegt. Wir haben die Frage, ob die daraus resultierenden Erwartungen eine genügende Berücksichtigung in diesem Haushalt gefunden haben oder ob sie eine genügende Berücksichtigung in der mittelfristigen Finanzplanung finden.
Nur wenn das Parlament und mit ihm die Bürger die ganze Wahrheit wissen, werden wir, meine Damen und Herren, die Politiker der Koalition, die die Regierung tragen, und alle Mitglieder dieses Hohen Hauses, die allesamt die Regierung und die Maßnahmen jeder Regierung auch zu kontrollieren haben, damit rechnen können, daß die gesellschaftlichen Gruppen draußen maßhalten, daß die Bürger haushalten und daß unsere Volkswirtschaft in die Balance, aus der sie herausgekommen ist, zurückfindet.
Auf dieses Ziel richten wir mit Nachdruck und vorrangig unsere Arbeit in der nächsten Zeit und in der Haushaltsberatung.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Althammer. Er hat um eine Redezeit von 15 Minuten gebeten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP hat heute offenbar ihren Danksagungstag. Schon der zweite Redner der FDP hat dem Herrn Minister und seinem Staatssekretär für diese große Leistung gedankt. Ich möchte jetzt im Namen der Opposition sagen: es wäre dann vor allem auch Dank zu sagen den vielen Beamten der beiden Ministerien, die vielfach über ihre Dienstzeit hinaus die Vorarbeit geleistet haben.
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Es ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute nachmittag manchmal etwas gespenstisch gewesen, wie man an den eigentlichen Problemen, die die Bevölkerung draußen interessieren, vorbeigeredet hat. Denn das zentrale Problem, das unsere Bevölkerung interessiert, ist doch die Frage der Stabilität. Nicht nur, daß es draußen das zentrale Thema der Innenpolitik ist, es ist doch auch so, daß dieses Thema und die Bewältigung dieses Themas entscheidend dafür ist, was hier weiter geschehen kann.
Wenn Sie nun die Äußerungen dieser Bundesregierung in den letzten zwei Jahren verfolgen, angefangen von der Regierungserklärung über ein
j Interview des Bundeskanzlers in der Illustrierten
„stern", über seine Außerung im Jahre 1970, daß es bei 4 "Al Preissteigerung ernst werde, bis zu den neuesten Erklärungen, dann bleibt doch wohl überhaupt keine andere Schlußfolgerung als die, daß dieses zentrale Problem der Innenpolitik verfehlt worden ist, daß hier ein katastrophaler Mißerfolg zu verzeichnen ist.
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Es ist 1969 in den ersten Diskussionen davon gesprochen worden, daß man die bedrohliche Preisentwicklung, die sich in 1969 abgezeichnet habe, bewältigen müsse. Ich habe hier die Daten des Statistischen Bundesamts. Man hatte damals einen bereinigten Lebenshaltungskostenindex von 2,2 % Preissteigerung gegenüber dem Jahr zuvor. Als dann das Kanzlerwort von den gefährlichen 4 % fiel, verzeichnete das Statistische Bundesamt bereits eine Preissteigerungsrate von 4 %. Im Februar 1971 betrug sie 4,4 %, im April 1971 4,8 %, im Juni 1971 5,2 % und im August 1971 5,6 %. Jetzt sind wir bei 6 % Preissteigerung angelangt. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt das eigentliche Problem, das zu bewältigen diese Regierung eben nicht in der Lage war und wo wir auch gar keine Ansatzpunkte dafür sehen, daß es bewältigt werden kann.
Nun ist bisher immer von dem Zielkonflikt zwischen Preissteigerung oder Stabilität auf der einen Seite und Vollbeschäftigung auf der anderen Seite die Rede gewesen. Der Bundeskanzler hat heute hier darauf hingewiesen, daß in anderen Ländern neben den Preissteigerungen auch Arbeitslosigkeit in steigendem Maße zu verzeichnen sei. Ich habe mir dabei den Zwischenruf erlaubt, daß, wenn das so weitergeht, auch in der Bundesrepublik bald diese Situation erreicht ist. Und in der Tat, das ist das zweite große Problem, das unsere Bevölkerung beunruhigt: Wie wird es mit der Sicherheit der Arbeitsplätze sein? Hier ist es nicht einfach damit getan, daß man sagt, die Ursachen mögen etwa Fehlentscheidungen der Betriebsleitungen sein. Im Gegenteil, ich würde sagen: wenn der Bundeskanzler das Problem so abhandeln will, dann stößt er in ein gefährliches Horn, weil nämlich immer wieder von bestimmter Seite heute gesagt wird, gerade diese Schwierigkeiten zeigten, daß das marktwirtschaftliche System gar nicht in der Lage sei, diese Grundbedürfnisse unserer Bevölkerung zu befriedigen, und da nähert man sich dann der Argumentation, daß man sagt, dieses marktwirtschaftliche System müsse beseitigt werden, um solche Gefahren abzuwenden.
Ich glaube deshalb, wir müssen sehr ernst die Frage stellen, ob so, wie hier behauptet worden ist, dieser Bundeshaushalt überhaupt geeignet ist, einen Beitrag zur Stabilität zu leisten. Herr Kollege Kienbaum, Sie haben Ihre Rede soeben wieder mit der Behauptung geschlossen, dieser Bundeshaushalt 1972 leiste einen Beitrag zur Stabilität. Mein Kollege Leicht hat, glaube ich, sehr deutlich nachgewiesen - und nicht nur er, sondern das ist ja auch überall in der Presse sofort verlautbart worden -, daß gar keine Rede davon sein kann, daß die Steigerungsrate des Bundeshaushalts 1972 etwa bei 8,4% liege, sondern daß unter Einrechnung all der Dinge, die hier verschleiert worden sind, als Steigerungsrate ganz sicher 12 % festzuhalten sind. Darum die Frage: Will ernsthaft jemand behaupten, daß das ein Beitrag zur Stabilität sein könnte? Aber selbst wenn wir von der Rate von 8,4 % ausgehen würden, müßte man bei der mittelfristigen Finanzplanung dieser Bundesregierung, die ein Wachstum des Bruttosozialprodukts bereinigt und netto von 4,5 % ausweist, sagen, daß es kein Beitrag zur Stabilität ist. Ich glaube, da geht es einfach nicht, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß man versucht, diese Dinge herunterzuspielen und so zu tun, als könnte ein solcher Haushalt mit dieser Steigerungsrate überhaupt einen Beitrag zur Stabilität darstellen. Ich meine, da fängt das Problem eigentlich erst ernsthaft an, und ich habe mich oft gefragt, ob es in dieser Situation überhaupt möglich ist, einen Haushalt aufzustellen, der deutlich dämpfende Wirkung hat. Das ist, glaube ich, ein sehr, sehr ernstes Problem. Wenn wir uns einmal überlegen, wie ein solcher Haushalt aussehen muß, der wirklich eine dämpfende Wirkung ausübt, dann werden wir sehen, wie hart die ganze Sache wird. Denn allein das, was sozusagen an zwingendem Bedarf von Jahr zu Jahr fortgeschrieben werden muß, bringt ja bereits einen solchen Teil, daß hier ein sehr, sehr schwieriges Problem vorliegt. Es wäre zweckmäßiger und richtiger gewesen, diese Dinge einmal ganz ernst und klar beim Namen zu nennen. Erst das wäre der Ausgangspunkt für gemeinsame Überlegungen gewesen.
Zu der anderen Forderung, daß man sich doch nun endlich dazu durchringen sollte, zu solchen Preissteigerungen ja zu sagen, kann ich nur sagen: Dann stellt sich doch die ähnliche Frage, ob wir durch diese, wie gesagt wird, mäßigen Steuererhöhungsforderungen der Inflation nicht doch wieder hinterherlaufen.
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Oberbürgermeister Vogel hat die Situation der Gemeinden ja plastisch dargestellt.
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Man tut sich hier so gern etwas darauf zugute, daß die Gemeinden durch die Finanzverfassungsreform 2,5 Milliarden DM und nach Aussagen von Alex Möller im nächsten Jahr sogar etwa 3 Milliarden DM mehr bekämen. Wenn der Oberbürgermeister von München aber sagt, allein die Preissteigerungen hätten im Investitionsbereich fast das Doppelte dieser Summen aufgezehrt, stellen wir uns eben die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf diesem Weg etwas erreichen zu wollen. Das ist der Grund, warum nicht nur die CSU, auf deren Stimmen man hier verzichten könnte, wie Herr Seidel gemeint hat, diesen Weg bei den vorgeschlagenen Steuererhöhungen nicht mitgehen will. Auch wir sagen: Zuerst muß ernsthaft das Problem der Stabilisierung angepackt werden.
Dann ist hier immer wieder die Leier von diesen berühmten Alternativen, die man bei uns vermißt, abgespielt worden.
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Wir können hier auch eine Bilanz aufmachen. Die Bilanz beginnt an dem Punkt, an dem wir bereits vor zwei Jahren in den Diskussionen vorgeschlagen haben, einen Eventualhaushalt einzuführen. Das hat man weit von sich gewiesen. Es wäre völliger Unsinn, so etwas zu machen. Heute preist man es als eine große Lösung an, daß dieser Eventualhaushalt eingeführt worden ist. Es war unser Vorschlag, eine Alternativrechnung für die verschiedenen möglichen Konjunkturentwicklungen aufzumachen. Der Bundeskanzler hat diesen Punkt noch im Frühjahr dieses Jahres in einer Fernsehdiskussion dick unterstrichen und gesagt: Wir werden bei der nächsten mittelfristigen Finanzplanung eine solche Alternativrechnung aufmachen. Wenn Sie sich heute die vorgelegten Unterlagen ansehen, werden Sie feststellen, daß davon leider nichts zu merken ist. Was also - so die Frage - haben Sie aus dem gemacht, was wir Ihnen an Vorschlägen unterbreitet haben?
Ein nächster Punkt. Es ist ja bekannt, welche Kürzungsvorschläge wir hier gemacht haben, die dann aber weit zurückgewiesen wurden, um am Schluß des Haushaltsjahres sagen zu können: Seht her, wir haben die Kürzungen, die ihr schon im Frühjahr verlangt habt, im Dezember doch durchgeführt. Aber niemand spricht davon, daß es natürlich ein gewaltiger Unterschied ist, ob man schon im Frühjahr eines Jahres erklärt, man wolle zur Konjunkturdämpfung etwa 2 Milliarden DM weniger ausgeben, oder ob man diese Summe am Ende des .Jahres dann mit Mühe und Not doch noch hereinholt.
Auf der einen Seite werden von uns immer Alternativen gefordert. Auf der anderen Seite wird natürlich sofort aufgerechnet, was eine bestimmte Maßnahme kostet. Wenn von uns dann kein Gegenvorschlag zu irgendeinem Punkt kommt, heißt es wieder: Die Opposition hat zu dieser wichtigen Frage offenbar keine eigenen Vorschläge zu machen. Ich glaube, Sie können die Argumentation nicht so wechseln, je nachdem, was Ihnen gerade gefällt. Sie müssen sich schon damit vertraut machen, daß wir unsere Gegenvorschläge genauso in unsere politische Arbeit mit einbeziehen, wie Sie das tun. Man kann das nicht einfach alles zusammenrechnen, sondern muß das alternativ sehen.
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Im übrigen gilt ja nach wie vor das Angebot unseres Fraktionsvorsitzenden, daß, wenn mit einem wirksamen und gültigen Stabilitätsprogramm wirklich Ernst gemacht werden sollte, dies sicherlich nicht an dem Nein unserer Seite scheitern soll. Aber bis jetzt ist man auf dieses Angebot nicht zurückgekommen.
Ich möchte dem Kollegen Kirst - er ist leider im Moment nicht da - noch eines sagen. Er hat gemeint, der Haushaltsausschuß sollte doch versuchen, die Minderausgabe, die die Regierung in Höhe von 1,2 Milliarden DM eingesetzt habe, möglichst in unmittelbare Kürzungen umzuwandeln und so eine Korrektur vorzunehmen, zu der das Kabinett aus irgendeinem Grunde nicht in der Lage war oder sie nicht gewollt hat. Ich sage für meine Freunde hier:
So wollen wir die Dinge auf jeden Fall nicht behandeln. Wir lassen uns hier keine Hausaufgaben von der Regierung stellen und uns nicht vorschreiben, daß der Haushaltsausschuß nur das zu realisieren habe, was hier großzügig an Minderausgaben eingesetzt ist.
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Wir vertreten den Standpunkt: Wenn die Regierung der Meinung ist, sie könne im Laufe des Jahres noch 1,2 Milliarden DM einsparen, dann soll sie es tun. Was aber -der Haushaltsausschuß unter Umständen dazu beitragen kann, hier zu sparen, das soll nicht auf dem Altar dieser Einsparungsmöglichkeiten der Regierung geopfert werden.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben immer wieder feststellen müssen, daß die Regierung bisher trotz der katastrophalen Entwicklung nicht bereit war, wenigstens ein ehrliches und ungeschminktes Bild der Lage zu geben. Man versucht wieder einmal, mit Mühe und Not über dieses Jahr hinwegzukommen und die Probleme auf das kommende Jahr zu verschieben. Man sieht nicht, was jetzt bei einer Preissteigerungsrate von 6 % und bei laufender Kurzarbeit und teilweise Entlassungen auf uns und unsere Bevölkerung drohend zukommt. Ich meine aber, eine Zusammenarbeit in diesem Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik würde voraussetzen, daß zunächst einmal ehrlich Bilanz gezogen wird und die Schwierigkeiten auf den Tisch gelegt werden. Dann erst kann versucht werden, gemeinsam etwas Besseres zu leisten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Röhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem kurzen Beitrag auf ein besonderes Problem eingehen, das nach meinem Darfürhalten von seiner Gewichtigkeit und Bedeutung her sowohl bei der Einbringungsrede des Herrn Bundesfinanzministers wie auch in der sonstigen Debatte, soweit es sich um eine Teilnahme von der Regierungsbank handelt, zu kurz zu kommen scheint, bisher zumindest zu kurz gekommen ist.
Der Herr Bundesfinanzminister vertrat auch in seiner Einbringungsrede einmal mehr die Auffassung, daß der Finanzplanungsrat im Verlauf dieses Jahres die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt habe. Herr Bundesfinanzminister, dazu möchte ich nur sagen: Das ist eine merkwürdige Auffassung von Aufgabenerfüllung. Offentlichtlich handelt es sich hier einmal mehr um eine jener Beschönigungen und Verdrehungen und auch Verniedlichungen, die in der letzten Zeit verstärkt den Öffentlichkeitsstil dieser Regierung zu prägen und zu bestimmen scheinen.
Meine Damen und Herren, worum geht es hier? Es war im Jahre 1968 unter der Regierung Kiesinger, als der Finanzplanungsrat geschaffen wurde, dieses Gremium, in dem der Bund, die 11 Länder
und die Vertreter der Gemeindeverbände zusammenwirken sollen, um das unkoordinierte Nebeneinander der verschiedenen einzelnen Haushalte zu beseitigen und eine aufeinander abgestimmte Haushalts- und Finanzpolitik der Gebietskörperschaften an dessen Stelle zu setzen. Und zwar in einer Weise, die die grundsätzlich garantierte Finanzautonomie des Bundes und der Länder nicht antastet. Denn dieses Gremium soll nach § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes im Sinne eines modernen kooperativen Föderalismus Empfehlungen für die Koordinierung der Finanzpläne einerseits und eine einheitliche volks- und finanzwirtschaftliche Grundannahme und Schwerpunkte für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben andererseits festlegen. Diese Einrichtung funktionierte im Jahre 1968 zweifellos gut und bewährte sich - trotz einiger Schönheitsfehler - vor allem beim zweiten Finanzplan der Regierung Kiesinger. Erstmalig wurden damals gemeinsame Grundannahmen für Gesamtaufgaben, für die Investitionsausgaben, für die Personalausgaben, für die Zuweisungen an die Länder und für die Anforderungen der öffentlichen Hand am Kreditmarkt festgelegt und eingehalten. Gleichzeitig wurde für die Folge ein Zeitplan festgelegt, nach dem die ersten Eckdaten für die Haushaltsentwürfe und die Fortschreibung der Finanzpläne aller Gebietskörperschaften jeweils im Frühjahr festgesetzt und bis Mitte des Jahres, also vor einer Beschlußfassung über den nächstfolgenden Jahreshaushalt, überprüft werden sollen.
Nach diesem Zeitplan ist noch im Jahre 1969 verfahren worden. Im Jahre 1970 und für den Haushaltsentwurf 1971 kam dann plötzlich Sand ins Getriebe. Der damalige Finanzminister Möller - es ist vielleicht noch in Erinnerung - setzte mehrfach Termine an und ab für eine Tagung des Finanzplanungsrates, bis es plötzlich zu spät war, zu spät deshalb, weil dann das Bundeskabinett über den neuen Haushalt beschlossen hatte, ohne daß zuvor im Finanzplanungsrat, die notwendige Abstimmung zwischen den Ausgaben der einzelnen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden hätte erfolgen können. Zweifellos wurde mit dieser Handhabung durch den Finanzminister genau das Ziel torpediert, das mit der Schaffung des Finanzplanungsrates eigentlich erreicht werden sollte.
In der zweiten Lesung des Haushalts 1971 war es der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Herr Kollege Leicht, der dieses Verfahren zu Recht heftig kritisierte und darauf hinwies, daß auch und besonders der Haushalt 1971 es vertragen hätte, wenn jene notwendige Koordinierung stattgefunden hätte. Und es war der Kollege Leicht, der darauf hinwies, daß dieses eigenmächtige Verfahren im Grunde genommen einen Rückschritt in einen unkoordinierten Föderalismus darstelle.
Dann kam ein neuer, der jetzt amtierende Finanzminister. Aber in dieser Hinsicht wurde eher noch schlechter verfahren. Im April dieses Jahres kündigte die Regierung im Bulletin große Taten in Richtung Finanzplanungsrat an. Tatsächlich fand dann Ende Juni dieses Jahres auch die nächste Sitzung dieses Gremiums statt. Aber Grundannahmen für den Haushalt 1972 und für die Fortschreibung der Finanzpläne bis 1975 mußten bei dieser Tagung schon deshalb unterbleiben, weil die Regierung noch nicht einmal eine Vorlage zu diesem Termin gemacht hatte. Die Entscheidung wurde bei dieser Tagung vielmehr auf den September 1971 vertagt, und wir wissen, daß in der Zwischenzeit die Arbeit am Haushalt durch die Regierung weitergegangen ist und abgeschlossen wurde.
Ich möchte dazu in aller Deutlichkeit feststellen: Das ist in unseren Augen ein Verstoß gegen das Gesetz. Denn nach § 51 des Haushaltsgrundsätzegesetzes ist es die wesentliche Aufgabe des Finanzplanungsrates, Volks- und Finanzwirtschaftsannahmen rechtzeitig zu ermitteln, d. h. bevor die grundlegenden Entscheidungen über die Gestaltung der Finanzpläne in den einzelnen Gebietskörperschaften fallen.
Schon in der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Finanz- und Währungspolitik am 16. Juni 1971 hatte die Bundesregierung ihre Bereitschaft, im Finanzplanungsrat die Grundannahmen für die Fortschreibung zur Beratung zu stellen, erheblich reduziert. Jetzt ist praktisch selbst dieses gekürzte Programm ausgefallen. Bis zur Stunde - wir befinden uns heute in der ersten Lesung des Haushaltes 1972 und der damit verbundenen mittelfristigen Finanzplanung - sind keine Grundannahmen für die Haushaltsplanung bis zum Jahre 1975 verabschiedet worden. Es ist unsachlich und unwahr, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie diesen Mangel auf die besondere Situation wegen der Neuregelung des Beteiligungsverhältnisses der Länder an der Umsatzsteuer ab 1972 zurückführen wollen. Tatsache ist vielmehr, daß die rechtzeitige Feststellung der Grundannahmen im Finanzplanungsrat an Ihrem Verhalten gescheitert ist. Es war doch Ihr Kollege, Finanzminister Arndt aus Hessen, der in diesem Zusammenhang von einem „miesen Stil des Bundes" gesprochen hat,
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und es waren doch seine Länderfinanzminister-Kollegen, die Ihnen vorrechneten, daß Sie den Zuwachs der Bundesausgaben für 1972 mit vielen Tricks auf 8,4 % herabmanipulierten, während die unfrisierten Haushalte der Länder und Gemeinden im Jahr 1972 um etwa 11 % und mehr ansteigen.
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einfachweil diese Körperschaften die ungeheuer steigenden Personalkosten - die bei den Ländern mit 40 %, beim Bund dagegen mit nur 18 % zu Buche schlagen - aufbringen müssen, weil sie in Abwehr einer noch nie dagewesenen Kosteninflation für Ihren Etatrigorismus kein Verständnis aufbringen können.
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Zum ersten Mal ist es passiert, daß der Finanzplanungsrat nach seiner letzten Sitzung nicht nur uneinig, sondern total zerstritten und sogar ohne ein gemeinsames Kommuniqué auseinandergegangen ist.
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Damit steht fest, daß auch für dieses Haushaltsjahr die dringend notwendige Koordinierung der Haushalts- und Finanzpläne entfällt, obwohl angesichts der Ungewißheit über die künftige konjunkturelle Entwicklung engste Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden oberstes Gebot sein müßte.
Die Behandlung, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, dem Finanzplanungsrat angedeihen lassen, ist ein sehr bezeichnendes Beispiel für die Ziel- und Planlosigkeit der Finanzpolitik der gegenwärtigen Bundesregierung.
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Mit dieser Brüskierung der Länder zerstören Sie die notwendige Vertrauensbasis, die auf diesem Gebiet zwischen Bund und Ländern so mühsam erreicht werden konnte und die zur Überwindung unserer heutigen, gewiß nicht kleinen Probleme so dringend erforderlich wäre.
Es kann nicht gut gehen, wenn Sie glauben, die Länder lediglich zum Rapport bestellen zu können.
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Sie selber haben einmal gesagt: Zögern bedeutet nur, daß man später mehr machen muß und daß es später teurer wird. Die Zeche, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, unserer Volkswirtschaft durch Ihr Hinhalten in Sachen Finanzplanungsrat bis zur Stunde aufgemacht haben, kommt unser ganzes Volk in der Tat teuer zu stehen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Haehser.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fraktion der CDU/ CSU ist in der Antwort auf eine Anfrage, die sie hier gestellt hat, mitgeteilt worden, daß der Finanzplanungsrat im Verlaufe dieses Jahres die in ihn gesetzten Erwartungen voll und ganz erfüllt hat. Ich könnte Ihnen aus der Antwort auf Ihre Anfrage noch etwas vorlesen. Aber das ginge von der mir zugeschriebenen Redezeit ab.
Ich möchte jedoch zu bedenken geben, meine Damen und meine Herren: Was soll man von der Rede des verehrten Kollegen Röhner halten
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- nein, zunächst einmal muß ich ja eine Frage stellen -, wenn er sie für eine Fraktion hält, die in der 6. Legislaturperiode dieses Deutschen Bundestages Mehrausgaben, fortgeschrieben bis 1974, in Höhe von 7,94 Milliarden DM gefordert hat und Mindereinnahmen in Hohe von 4,80 Milliarden DM verlangt? Wenn ich davon das abziehe, was die Bundesregierung und die Koalitionsparteien ohnehin zu finanzieren gedenken - was Sie womöglich uns abgeschrieben haben -,
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dann bleibt eine verlangte Mehrbelastung des Bundes in Höhe von 9,5 Milliarden DM. Was soll man
angesichts solch schrecklicher Darstellungen, wie ich
sie hier geben muß, von Ihrer Kritik an der Finanzplanung halten?
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Deswegen will ich mich auch gar nicht mehr lange mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Röhner aufhalten, abgesehen davon, daß ich ihn meiner uneingeschränkten Sympathie versichere. Vielmehr will ich mich mehr dem Kollegen Dr. Althammer zuwenden. Er hat die Befürchtung, die der Kollege Seidel am Schluß seiner Rede ausgesprochen hat, voll und ganz erfüllt, nämlich die Befürchtung, daß die CSU auf dem Wege sei, eine Gruselpartei zu werden.
Wenn man dein Kollegen Dr. Althammer ein bißchen aufmerksam zugehört hat, dann hat man festgestellt, daß er einerseits sagte, dieser Haushalt sei kein Beitrag zur Stabilität, und zugab, es sei schwer, einen konjunkturdämpfenden Haushalt aufzustellen, und andererseits vor diesem Hohen Hause das schreckliche Gespenst der Arbeitslosigkeit zeichnete. Das paßt nicht zueinander, und das möchte ich festgestellt haben.
Oder der Kollege Dr. Althammer verweist mit Stolz auf die angebliche Alternative, uns zum falschen Zeitpunkt einen Eventualhaushalt vorgeschlagen zu haben. Einen Eventualhaushalt macht man dann, wenn er nötig ist, nicht wenn die Opposition ihn fordert.
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Lassen Sie mich Sie fragen, meine Damen und meine Herren: Seit wann kennen Sie denn überhaupt den Begriff „Eventualhaushalt"? Er ist in dieses Hohe Haus doch erst mit den Ministern Möller und Schiller eingekehrt; das muß man doch wohl zugeben.
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Jetzt tun Sie so, als sei das Ihre Erfindung, die Sie uns als Alternative anbieten können. Nein, wenn es richtig ist, machen wir es. Jetzt ist es richtig; deswegen machen wir es auch.
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Der Kollege Dr. Althammer ist nicht nur heute ein Redner gewesen, sondern vor einiger Zeit auch ein Schreiber. Wenn man diesen Artikel liest und den Herrn Kollegen Leicht, den ich auch sehr verehre, heute gehört hat, dann ist man sich selber nicht mehr ganz klar darüber, wer denn wohl der Verfasser des Artikels in jener bayerischen Zeitung am 9. Oktober 1971 gewesen sein mag: Inflation wird weiter angeheizt:
Meine Damen und meine Herren, in öffentliche Veranstaltungen meiner Partei nehme ich immer etwas mit, was, hätte ich den Artikel vorher gekannt, auch heute zu meinen Requisiten gehört hätte, nämlich einen 500-Millionen-Mark-Schein. Diesen zeige ich den Mitbürgern - er stammt aus dem Jahre 1923 -, um deutlich zu machen, was Inflation ist, die Sie immer beschwören, und was das ist, womit wir es jetzt zu tun haben.
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Sie können nicht auf die Dummheit unserer Mitbürger spekulieren; sie ist nicht vorhanden. Die Mit8300
Bürger wissen den Unterschied zwischen 1923 und dem Preisauftrieb mit steigenden Einnahmen, die jedermann für sich zu verbuchen hat. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie reden dem Mitbürger diese Klarheit nicht aus dem Kopf.
Oder ich lese in diesem Artikel, den auch der Kollege Leicht geschrieben haben könnte, von der Kritik an der Steigerungsrate und davon, daß sie sich nach dem Volumen 1971 nicht an einer inzwischen vollzogenen Korrektur, wenn man so will, orientiert. Mir ist diese Kritik absolut unverständlich. Erstens haben wir es beim Haushalt 1971 noch mit 21/2 Monaten zu tun, ehe er zu Ende ist. Zweitens haben wir es bei dem Haushalt, den wir heute in erster Lesung beraten, mit einem Haushalt zu tun, der erst in 141/2 Monaten zu Ende geht. Lassen Sie uns doch dann über alles reden, nicht so voreilig in die Schwarzmalerei eintreten!
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- Nun, manche Rede hätte heute als entbehrlich bezeichnet werden können.
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Aber das kann vielleicht auch für meine Rede gelten.
Des öfteren ist heute an dem Bundesschatzbrief Kritik geübt worden, den wir an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte geben. Das wird so grausig gemalt, als hätten wir es mit einer Regierung zu tun, die aus lauter Räubern besteht. Dabei haben wir es doch mit einer Regierung zu tun, der man vertrauen kann.
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Wir haben heute wieder einen Beweis dafür erlebt, wie man in der ganzen Welt dem Chef dieser Regierung vertraut.
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Ich darf Ihnen nur dies sagen: Wenn die Bundesregierung einen Bundesschatzbrief an die Bundesversicherungsanstalt gibt, dann ist dieser Schatzbrief hineingegeben worden von einer Regierung der Solidität, die mit Finanzen womöglich besser umzugehen versteht als Sie als größere Schwesterpartei, wenn es zutrifft, daß Sie mit Ihren 12 Millionen DM Schulden nicht fertigwerden.
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Lassen Sie mich auch zur Kritik an der Mineralölsteuererhöhung etwas sagen. Die durch die beabsichtigte Erhöhung vorgesehenen Mehreinnahmen verschwinden doch nicht etwa im Keller des Bundesfinanzministeriums oder im Keller der Bayern-Vertretung. Nein, die werden in den Bundeshaushalt eingestellt. Eine Einstellung ist es auch dann, wenn das per Leertitel erfolgt. Abgerechnet, vereinnahmt und verausgabt werden sie über die Haushaltsansätze, die dafür vorgesehen sind.
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Was wir prüfen müssen - ich nehme an, da sind wir uns einig -, ist, ob wir nach Beratungen im Haushaltsausschuß die unterschiedliche Behandlung der drei Pfennig alt und der drei Pfennig neu als ausreichend begründet betrachten. Ich denke, das können wir ganz sachlich prüfen.
Daß ich mich mit Herrn Kollegen Dr. Althammers Betrachtungen in jenem Artikel über die Steuererhöhungen, die wir angeblich vorhaben, nicht beschäftigen kann, liegt daran, weil er mir nicht deutlich genug den Unterschied zwischen Steuererhöhungen und anderen Einrichtungen zu erklären vermag. Denn er weist unter der Rubrik Steuererhöhungen auch den rückzahlbaren Konjunkturzuschlag aus, obwohl das eben keine Steuererhöhung ist, sondern ein rückzahlbarer Konjunkturzuschlag.
Über die Haushaltsrisiken, die es in diesem Bundeshaushalt sicherlich gibt und in jedem Entwurf immer gegeben hat, was Ausgaben und Einnahmen anging, ist mehrfach gesprochen worden, und zwar so lamentierend, als stünden wir heute am Schluß der dritten Lesung und nicht am Anfang der Beratungen des Entwurfs.
Da ist z. B. des öfteren das Risiko Deutsche Bundesbahn beschworen worden. Lassen Sie mich Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen. Die Leistungen der Deutschen Bundesbahn stiegen in Güterverkehr von 1960 bis 1967 um 3,2 %, von 1967 bis 1971 um 24,7 %. Im Personenverkehr lauten die Vergleichszahlen minus 8,6 % unter einer früheren Verkehrsadministration zu plus 11,7 % unter der jetzigen Leitung des Hauses.
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Und die Erträge, verehrter Herr Kollege Leicht, sind im Güterverkehr von 4,5 % mehr auf 42,7% mehr angestiegen. Die Vergleichszahlen im Personenverkehr - diese Zahlen werden Sie auch noch interessieren - lauten 34,5 % zu 38,5 %.
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Die Produktivität des Unternehmens stieg - Sie sind so ungeduldig; außerdem habe ich noch vier Minuten Zeit, die muß ich ja ausnutzen -, was das Personal angeht, von 1960 bis 1967 um 13,7 % und von 1967 bis 1971 um 27,2 %. Die Bahn geht also - das will ich ausnützen hier zu sagen -, was die Erträge, die Leistungen, die Produktivität des Personals angeht, nach oben.
Aber wir müssen natürlich auch die Aufwendungen sehen. Hier ist festzuhalten, daß allein 1970 die Personalkosten um 1649 Millionen DM gestiegen sind.
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Nun tun Sie alle so, als hätten wir nicht gemeinsam die Verbesserung der Besoldung im öffentlichen Dienst bei Arbeitern, Angestellten und Beamten beschlossen. Das ist doch unser gemeinsames Werk gewesen, und vor dem, was dann unter dem Strich herauskommt,
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darf man sich nicht drücken, darf das auch nicht als kritikwürdige Haushaltsrisiken abtun.
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Im Personennahverkehr, den wir alle nicht kostenecht gestaltet sehen wollen, beträgt die Kostenunterdeckung 1 400 Millionen DM trotz des Abzugs eines hohen Bundesbeitrages von 860 Millionen DM. Aber lassen Sie mich zu den beiden großen Bundesunternehmen, die uns wachsende Sorge machen - wir kennen die Gründe, darüber gibt es gar keinen Zweifel - folgendes sagen. Diese Sorgen hätten uns weitgehend erspart werden können, meine Damen und meine Herren, wenn die CDU/CSU als lange Zeit hauptverantwortliche Regierungspartei die endgültige Sanierung der beiden Bundesunternehmen früh genug und fest entschlossen veranlaßt hätte. Das Dilemma, in dem wir uns heute befinden, ist die Folge von Versäumnissen vergangener Jahre und Jahrzehnte.
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- Das ist mir bekannt. Hätte man aber, wie ich das gesagt habe, frühzeitig langfristig wirkende Sanierungsmaßnahmen ergriffen, wäre das nicht so abgerutscht.
Ich will abschließend sagen, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht die Haushaltsrisiken wie jedermann. Das ist von ihrem Sprecher, Herrn Seidel, vorhin gesagt worden. Aber wir gehen - das wiederhole ich - jetzt in die Beratungen hinein. Die Risiken, sofern sie die Bundesunternehmen angehen, werden sicher gut beleuchtet werden. Wir finden, daß diese großen Bundesunternehmen in guter Hand sind, und wir werden schon sehen, daß das so bleibt. Wir gehen an die Beratung der Entwürfe und sind sicher, mit einem guten Entwurf, wie wir ihn heute vorgelegt bekommen haben, werden wir im Frühjahr nächsten Jahres einen guten Haushalt verabschieden können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der deutsche Parlamentarismus befindet sich offenbar in einer Spätphase. Eine fünfeinhalbstündige Diskussion über einen Haushalt von 100 Milliarden DM belastet unsere Nerven bis zum äußersten. In der ersten Reihe der Regierungsbank sitzen nur noch die hochverehrte Gesundheitsministerin Frau Strobel, der Wohnungsminister und der unverwüstliche Kollege Hermsdorf. Ich gratuliere allen dreien zu ihrer vorzüglichen Kondition.
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- Ich habe vorsichtig „in der ersten Reihe" gesagt. Wir wollen das vielleicht zum Anlaß nehmen, etwas für unsere Gesundheit zu tun, damit wir eines Tages doch wieder die Leistungen unserer Vorfahren erreichen, die 14 Stunden Plenardebatte engagiert ohne Überlastung überstanden.
Lassen Sie mich wenige Worte zum Zusammenhang zwischen Haushaltspolitik und Wirtschaftspolitik sagen. Die Vereinigung dieser beiden Ressorts in einem Ministerium legt das ja nahe. Der Haushaltsplan 1972 beruht auf Annahmen: wachsende Wirtschaft, steigende Löhne, steigende Umsätze, steigender Wohlstand und steigende Steuereinnahmen. Ein solches Wachstum setzt in unserem Wirtschaftssystem Aktionen einer Vielzahl von Unternehmern voraus, die tätig werden müssen: investieren, Risiko übernehmen. Aber dazu muß der Unternehmer in der Lage sein, die Folgen seiner Aktionen einigermaßen vorher abzuschätzen. Kann er das heute noch? Wohl kaum. Dazu einige Tatsachen.
Vor kurzem hatte ich eine Unterhaltung mit Kollegen aus der französischen Stahlindustrie über Währungsfragen. Wir haben einmal zusammengerechnet, was in den letzten Jahren geschehen ist. Dabei hat sich herausgestellt, daß die Summe der deutschen und der französischen Währungsmaßnahmen ohne jede Veränderung der Kosten zu einer Benachteiligung der Wettbewerbssituation der deutschen Stahlindustrie um volle 30 % geführt hat.
Wir haben weiter ausgerechnet, daß die Lohnkosten, also Kosten für Löhne, Urlaub, Krankheit usw., der deutschen Stahlindustrie - ich führe das nur beispielsweise an, weil es mir beruflich am nächsten liegt - seit 1969, in drei Jahren, um 50 % gestiegen sind. - Die Kohlenkosten sind in der gleichen Zeit um 70 % gestiegen.
Aber das ist noch nicht alles. Ich habe gestern mit Zustimmung, aber mit einer gewissen Sorge den Satz des Wirtschaftsministers gehört, daß eine Erhöhung der Ertragsteuern für das Jahr 1972 in Anbetracht der besonderen Lage dieses Jahres doch wohl kaum in Frage käme. Ich bin sehr einverstanden, Herr Minister, daß Sie das nicht wollen. Aber Sie werden damit rechnen müssen, daß mißtrauische Unternehmer sich die Frage stellen: Heißt das nun nicht: in dem Augenblick, in dem die Erträge wieder besser werden, ergibt sich auch für uns eine neue Situation? Wir haben heute schon eine Steuerbelastung von 80 % in Einzelfällen erreicht. Wir hören in vielen Versammlungen unserer kritischen Jugend, daß 80 % für hohe Einkommen eigentlich die angemessene Besteuerung wären.
Ein weiterer Punkt ist die Handelspolitik. Wir betreiben aus politischen Gründen in manchen Fällen eine Handelspolitik der kleinen Geschenke. Wieder ein Beispiel aus meinem eigenen Bereich! Die DDR ist ein Land, das seinen Stahlbedarf nicht decken kann. Wir hatten über viele Jahre etwa folgendes Verhältnis: die DDR bezieht von uns fünfmal so viel Stahl, als sie uns liefert. Neuerdings liefert sie uns mehr Stahl, als wir in die DDR liefern, und zwar durch Förderungsmaßnahmen aller Art.
Wenn von der Beunruhigung der Unternehmer gesprochen werden muß, darf ich auch das Betriebsverfassungsgesetz erwähnen, das wir ja in Kürze hier eingehend behandeln werden. Es ist so angelegt,
heim besten Willen aller Beteiligten, daß es die Endentscheidung darüber, ob eine Rationalisierungsinvestition zulässig ist, dem Bundesarbeitsgericht überantwortet. Bei allerhöchstem Respekt vor den Juristen weiß ich nicht, ob das das Vertrauen der Unternehmer stärken wird.
Wenn man sich nun die Frage vorlegt, ob die Grundlagen einer, ich würde sagen, vertrauensvollen Betrachtung der Zukunft noch gegeben sind, erhält man die Antwort: „Es ist ja kein Anlaß zur Unruhe, denn wir haben 10 Milliarden in der Kasse und können jederzeit eingreifen." 10 Milliarden DM, ist das eigentlich viel? Ich habe einmal überschlagen, was uns die Aufwertung bisher gekostet hat. Wenn man die Vermögensverluste der Bundesbank in den beiden Aufwertungen durch die Abwertung ihrer Devisenguthaben und die Beträge zusammenrechnet, die wir aus dem Bundeshaushalt an die Landwirtschaft aus Anlaß der Aufwertungen zahlen müssen, so kommen ungefähr 10 Milliarden dabei heraus. Die haben wir also schon einmal aufgewandt. Ich stelle Ihnen die Frage, ob mit diesen 10 Milliarden das erreicht worden ist, was man sich seinerzeit davon versprochen hat. Ich möchte diese Frage verneinen. Ich weiß auch nicht, ob die nächsten 10 Milliarden so ohne weiteres in Wirkung umgesetzt werden können.
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Ich will dazu etwas sagen, Herr Wehner. Ich möchte Ihnen gleich ganz konkrete Vorschläge machen. - Ich will zunächst nur sagen: mit der Erwähnung der 10 Milliarden kommen wir aus dem Problem nicht heraus. Hier tritt die Psychologie ins Spiel. Der abgegriffene Vergleich von dem Pferd, das man nicht zum Trinken zwingen kann, drängt sich auf. Wir müssen das Pferd, das wir so schwer belasten, zunächst wieder etwas beruhigen.
Herr Wehner, Sie haben mich gefragt, was ich Ihnen vorschlage, und diese Frage will ich auch ganz präzise beantworten. Erstens, Herr Minister, möchte ich vorschlagen: geben Sie bei .den Steuern klare Zusagen für die nächsten 10 Jahre! Selbst die Entwicklungsländer haben inzwischen gelernt, daß sie das tun müssen, wenn sie Industrie ins Land ziehen und dort halten wollen. Mein Vorschlag: garantieren Sie den Unternehmern, daß sie auch im ungünstigsten Falle bei Addition sämtlicher Steuern ein Drittel dessen, was sie erarbeiten, netto behalten.
Das scheint mir auch deshalb notwendig zu sein, weil die Kapitalbildung uns allen Sorge macht. Ich höre so oft von ,der Vermögensumverteilung. Ich habe einmal - dies für den Kollegen Arndt, damit er das auch nachprüfen kann - im Bundesbankbericht Mai 1971 nachgelesen, was im Jahre 1970 sich zugetragen hat. Im Jahre 1970 betrug die Ersparnisbildung der Unternehmer 17 Milliarden DM, die der privaten Haushalte 53 Milliarden DM, die der öffentlichen Haushalte 43. Das heißt, von der ganzen Ersparnisbildung lagen nur noch etwa 15 % bei den Unternehmern. Auch wenn Sie das alles den Unternehmern wegnähmen und den übrigen gäben, könnten Sie nicht allzuviel erwarten. Schon aus diesem
Grunde wäre hier, glaube ich, eine unternehmerfreundliche Politik notwendig.
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- Ja, darüber werden wir auch diskutieren. - Zur Handelspolitik möchte ich der Bundesregierung den Vorschlag machen, in denjenigen Fällen, in denen sie Interventionen aus politischen Gründen für notwendig hält, diese aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren und nicht einfach die Wirtschaft damit zu belasten, was sicherlich der billigste Weg für die Bundesregierung ist.
Zu den Währungsmaßnahmen aus europäischer Sicht wird morgen der Kollege Sprung sprechen. Zu der Frage des Kollegen Arndt, der noch im Hause ist, wie es mit den Prioritäten stehe, möchte ich im Einvernehmen mit dem Kollegen Sprung sagen: Wenn ich vor die Alternative Europa oder Durchsetzung der deutschen Stabilitätsvorstellungen gestellt werde, ist meine Antwort klar: Europa. Ich weiß, was ich sage.
Diese Entscheidung für Europa bedeutet auch, daß wir uns in irgendeiner Weise mit dem System von Devisenkontrollen werden befreunden müssen. Das sollte für Sie kein Anlaß zum Gruseln sein. Ich bin und bleibe ein überzeugter Liberaler.
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- Nein, ich bin nicht im falschen Verein. Die einzige liberale Fraktion, die wir noch haben, ist ja, wie Sie wissen, die CDU.
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Meine Damen und Herren, ganz so gruselig ist die Sache auch deshalb nicht, weil neuerdings die Bundesregierung, wie ich kürzlich dem Vortrag des Staatssekretärs Rosenthal im Wirtschaftsausschuß entnommen habe, auch schon Maßnahmen dieser Art in Erwägung zieht. Wir unterscheiden uns von unseren französischen Freunden nur dadurch, daß es die Franzosen ohne Floating mit Devisenkontrolle machen, während wir jetzt auf das Floating noch eine Devisenkontrolle aufstocken. Ob das die beste aller denkbaren Lösungen ist, erscheint mir sehr zweifelhaft.
Herr Minister, ich bin völlig mit Ihnen darin einig, daß eine Kontrolle in dem Moment wirkungslos wird, in dem sie etwa einen strukturellen Exportüberschuß bekämpfen will. Das kann man nicht machen. Aber einen solchen strukturellen Exportüberschuß hatten wir ja nicht, und das haben Sie selbst auch nicht behauptet. Wir hatten ihn sicherlich nicht im Jahre 1971. Herr Klasen hielt damals, wie Sie wissen, Devisenkontrollen für ausreichend. Was die Technik anlangt, glaube ich sagen zu können: eine solche Kontrolle braucht sich überhaupt nur auf Transfers in der Größenordnung von mehr als i Million DM zu beschränken. Was der einDichgans
zelne in seiner Hosentasche an Devisen hinaus- oder hereinbringt, ist hier völlig bedeutungslos.
Zum Schluß noch einige Worte zu den Löhnen. Ich bin mit dem Minister und auch mit dem Bundeskanzler völlig darin einig, daß wir unter keinen Umständen einen Lohnstopp haben wollen. Wir müssen uns fragen: wodurch entsteht denn der Lohndruck? Er hat im wesentlichen psychologische Gründe. Er ist von Kräften ausgelöst worden, die vor allem hinter Ihnen stehen - es gibt sie allerdings auch bei der CDU, so ist das nicht -, und zwar in Diskussionen, in denen die Worte Ausbeutung, Lohnraub oder Lohngerechtigkeit vorkommen. In diesem Hohen Hause werden sie nur andeutungsweise erwähnt; aber in der Diskussion draußen sind sie gängige Vokabeln.
Ich habe heute morgen aus einem anderen Anlaß eine Rede von Ludwig Erhard aus dem Jahre 1949 nachgelesen, in der er gesagt hat, man könne nur das verteilen, was man vorher produziert habe. Ich habe diesen Satz neulich auch einmal in einer meiner Reden vor jüngeren Leuten verwendet, erntete aber nichts als Buh-Rufe. Wenn man nun diese Erkenntnis neben die Prognose stellt, daß wir, wie ich heute morgen in der Zeitung las, künftig mit zwei Monaten bezahlter Ferien im Jahr und einer 41/2-Tage-Woche rechnen könnten, so werden Sie eine gewisse Beunruhigung verstehen. Es gibt auch Leute, die etwas von Mathematik verstehen. Eine Lohnerhöhung von 12 % im Jahr, also 1 % im Monat - das ist jetzt die gängige Vorstellung -, verdoppelt den Lohn alle sechs Jahre. Das bedeutet, daß wir in 30 Jahren, also im Jahre 2000, eine Verdreißigfachung der Löhne zu verzeichnen hätten. Der Industriearbeiter würde dann 50 000 DM im Monat verdienen. Ich gönne ihm das alles, aber ob sich das alles in Waren verwandeln läßt, Herr Minister, das ist mir doch zweifelhaft.
Herr Minister, ich möchte auch daran einen konkreten Vorschlag knüpfen. Man sollte das Geld, das wir für die politische Bildung ausgeben, vielleicht zu einem geringen Teilbetrag auch für die wirtschaftspolitische Bildung ausgeben ({5})
Volkswirtschaft für Anfänger -, so daß wir in allen großen Unternehmen entsprechende Leute einsetzen, daß wir aber auch unsere Politologen, die wir in so reichem Maße haben, damit betrauen, den Primanern klarzumachen, daß man nur das verteilen kann, was man produziert.
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- Eins zu Null für Sie.
Meine Damen und Herren, ich bin am Schluß. Die Resultate der Wirtschaftspolitik betreffen uns alle, keineswegs nur die Wähler der Regierungskoalition. Wir können deshalb nur uns allen, auch der Opposition, wünschen, daß die Wirtschaftspolitik der Regierung Erfolg hat, und insoweit stimme ich dem Herrn Bundeskanzler völlig zu. Wir meinen nur, daß die Regierung ihre Politik in einigen Punkten erheblich ändern müßte, wenn sie diesen Erfolg erreichen will.
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Meine Damen und Herren, ich habe für heute abend keine Wortmeldungen mehr, dafür für morgen früh inzwischen sechs. Die Reihenfolge der Redner steht offenbar noch nicht fest; man wird sich einigen.
Damit sind wir heute am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Oktober 1971, 9 Uhr, ein und schließe die heutige Sitzung.