Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat diesem Hohen Hause mit Datum vom 8. Oktober 1971 den Entwurf des Bundeshaushalts 1972 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1975 vorgelegt. Dabei wissen wir, daß noch im Frühjahr 1971 - bei den ersten Haushaltsvorbereitungen - die Zahl und die Summe der Einzelanforderungen weit über das finanzpolitisch vertretbare Maß hinausgingen. Aus den jetzt unterbreiteten Vorlagen werden Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, unschwer erkennen: Haushalt und Finanzplanung zeigen die ernsthafte und - wie ich meine - gelungene Anstrengung der Bundesregierung, auch unter schwierigen Umständen Bedarf und Deckung in Einklang zu bringen.
({0})
Wir haben hier eine Politik zahlenmäßig formuliert, die gleichermaßen um eine solide öffentliche Finanzwirtschaft wie um eine gesunde Entwicklung unserer Volkswirtschaft bemüht ist. Haushalt und Finanzplanung zeigen auch, daß die Regierung in einer Zeit gefährlicher internationaler und heimischer Preissteigerungen und mancher weltweiten wirtschaftspolitischen Unruhe sich nicht von den Ereignissen hat treiben lassen. Im Gegenteil: Ausgabenbemessung und Deckungsmittel beweisen, daß wir mit diesem Finanzwerk die Ereignisse in unserem Lande nachhaltig zu beeinflussen trachten. Mit diesem Etat wird unser Bemühen sichtbar, auch von unserer Seite her jene unheilvolle Spirale von Kostensteigerungen und Mehranforderungen deutlich zu durchbrechen. So ist dieser Haushalt ein Beitrag zur Wiedergewinnung unserer Stabilität.
({1})
- Genau! Haben Sie es richtig verstanden? Aber
hören Sie die andere Seite. Haushalt und Finanzplanung sollen auch dem Wachstum unserer Wirt8212
schaft und der weiteren Entfaltung unserer Gesellschaft dienen. Ein Deflationshaushalt à la Brüning wäre in der Tat völlig fehl am Platze.
({2})
Für uns, meine Damen und Herren, müssen Haushalt und Finanzplanung zugleich den finanziellen Rahmen für das weitere innenpolitische Programm dieser Bundesregierung bilden. Unsere Vorlagen beweisen da wohl auch, daß wir den Willen zur Erneuerung und zur Reform mit der klaren Einsicht in die finanziellen Möglichkeiten und mit der illusionsfreien Erkenntnis der ökonomischen Realitäten zu verbinden suchen.
Der Etatentwurf 1972 ist nicht ohne Kritik geblieben. Ich nehme diese Kritik ernst. Aber eine bessere Alternative ist mir bisher von niemandem empfohlen worden.
({3})
Und allen Zweiflern möchte ich gleich zu Beginn dieser Haushaltsrede das Urteil der Teilnehmer an der Konzertierten Aktion vom 17. September dieses Jahres in Erinnerung rufen, in dem es eindeutig folgendermaßen heißt. Ich zitiere:
Von Unternehmerseite wie von den Gewerkschaften wurde anerkannt, daß mit der Gestaltung des Bundeshaushalts 1972 dem Stabilitätsziel und der Notwendigkeit einer mittelfristigen Konsolidierung der öffentlichen Finanzen Rechnung getragen wurde.
Meine Damen und Herren, dieses eindeutig positive Urteil eines unabhängigen und bekanntermaßen recht kritischen Gremiums sollte allen und gerade denen zu denken geben, denen dieser Etat in dem einen oder anderen Punkte nicht so recht gefällt. Dieses Urteil in der Konzertierten Aktion wurde nicht leichtfertig abgegeben, sondern in einer langen, ausführlichen Diskussion erarbeitet. Die Bundesregierung hat sich dadurch in ihrer eigenen Arbeit bestätigt gesehen.
Natürlich, die Vorlage dieses ausgeglichenen Etatentwurfs ist nicht einfach und völlig problemlos gewesen. Starke Mehranforderungen der Ressorts, die über den möglichen Gesamtrahmen hinausgehen - Derartiges hat sich sicher auch in vielen vorangegangenen Jahren abgespielt; aber ich verhehle nicht, daß die Diskrepanz zwischen dem Wünschbaren und dem Möglichen in diesem Jahr zunächst besonders groß war. Um so mehr möchte ich allen meinen Kollegen im Kabinett dafür danken, daß sie ihre Wünsche an den Bundeshaushalt 1972 auf das gesamtwirtschaftlich Mögliche begrenzt haben. Denn bei diesem wie bei jedem anderen Etat ging es ja nicht nur um finanzpolitische Entscheidungen. Wir sind in unserer Haushaltspolitik ebenso den gesamtwirtschaftlichen Zielen und Erfordernissen einer dynamischen Volkswirtschaft verpflichtet. Natürlich sollen und dürfen die öffentlichen Haushalte deshalb nicht den ständigen Lückenbüßer, die allein vom Konjunkturrhythmus abhängige Variable spielen. Aber wir mußten einen Haushalt der Vernunft vorlegen. Das ist mit dem Ihnen zugegangenen Entwurf geschehen, auch und gerade dann, wenn dieser
Haushalt der Vernunft manchem als ein Haushalt der Härte, der knappen Kalkulation und der kargen Bemessung erscheinen mag.
Die Zahlen beweisen es: Der Bundeshaushalt 1972 wird mit einem Volumen von 106,57 Milliarden DM im Kernhaushalt und einer Zuwachsrate von 8,4 O/o gegenüber dem Haushaltssoll des vorigen Jahres in der Tat ein ausgewogener und solide finanzierter Haushalt sein. Er paßt sich ein in die zu erwartende gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die unverändert wachsende Leistungskraft unserer Volkswirtschaft.
Was ich über den Haushalt sagte, gilt auch für die mittelfristige Finanzplanung bis 1975. Sie sieht ein durchschnittliches Wachstum der Ausgaben von 7,5 % pro Jahr vor. Sie hält sich, was oft übersehen wird, in ihren absoluten Beträgen in der Größenordnung der vorigen Finanzplanung bis 1974. Wir haben uns auch dort Beschränkungen auferlegt, wo Mehrausgaben wünschbar und von der Sache her vertretbar gewesen wären. Aber diese Beschränkung des künftigen Ausgabenwachstums stellt bereits ein entscheidendes Element für die Konsolidierung der Bundesfinanzen auch auf mittlere Sicht dar. Dies kann im Ernst von niemandem angezweifelt werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein Wort des Dankes an meinen Amtsvorgänger, unseren Kollegen Dr. Alex Möller, sagen.
({4})
Ich glaube, daß auch die Opposition in diesem Hause niemals ernsthaft bestritten hat, daß sich Alex Möller mit Leidenschaft für eine solide Finanzwirtschaft eingesetzt hat.
({5})
- Sie sollten klatschen. Jawohl, klatschen Sie mal ein bißchen.
({6})
Sein Rücktritt, den wir alle bedauert haben, war ein Ausdruck dieses seines finanzpolitischen Ringens und nichts anderes.
({7})
Ich habe mich Alex Möller besonders verpflichtet gefühlt, als ich diesen Etatentwurf für die Bundesregierung vorbereitete. Und ich glaube, wir alle in der Bundesregierung haben dann zusammen ein Ergebnis erzielt, das seinen, Alex Möllers Hoffnungen und Wünschen entspricht.
({8})
Ich möchte hier aber auch die Erwartung aussprechen, daß sich die anderen Gebietskörperschaften in unserem Lande ebenfalls an diesen Weg halten mögen.
Meine Damen und Herren, ich sprach von einer soliden Finanzierung des Bundeshaushalts. Hier sind
die Zahlen: Der Etat wird nach unserem Entwurf zu etwa 95 °/o durch Steuern und Verwaltungseinnahmen finanziert. Der Rest erfordert eine Nettokreditaufnahme des Bundes von rund 5 Milliarden DM. Diese Kreditaufnahme liegt damit um 0,6 Milliarden DM unter dem Ansatz der vorjährigen Finanzplanung für 1972. Wir wollen von diesem Weg möglichst geringer Kreditfinanzierung nicht abgehen. Das zeigt sich auch in unserer neuen mittelfristigen Finanzplanung für die folgenden Jahre. Für 1973 sind 1,4 Milliarden DM weniger Kredite geplant, für 1974 werden es 2,2 Milliarden DM weniger sein, als wir noch vor einem Jahr für jenen Planungszeitraum bis 1974 glaubten. Das bedeutet: auch auf der Finanzierungsseite hat sich die Bundesregierung im Sinne der Stabilität und der Solidität fühlbaren Beschränkungen unterworfen.
({9})
Das Resultat liegt Ihnen vor: Wir haben eine in Einnahmen und Ausgaben bis 1975 konsolidierte Finanzplanung aufgestellt.
({10}) - Daran kann kein Zweifel sein.
Wir können im kommenden Jahr nach der bisherigen Schätzung für alle Gebietskörperschaften Steuermehreinnahmen von 8,5 % erwarten, wobei bereits die vorgeschlagenen Erhöhungen bei den drei Verbrauchsteuern eingerechnet sind.
({11})
- Na, das ist doch eine solide Finanzierung. - Die Mehreinnahmen erlauben es uns, einzelne Ausgabenschwerpunkte im öffentlichen Gesamthaushalt finanziell besser zu bedienen. Aus der Mineralölsteuererhöhung fließen 3 Pf je Liter oder im ersten Jahr 1 Milliarde DM voll und ganz den Gemeinden zu. Deshalb haben wir diese Summe auch nicht den Einnahmen des Bundes zugerechnet. Diese Steuereinnahmen in Höhe von 1 Milliarde DM und ansteigend in den folgenden Jahren werden nur einmal verbucht, nämlich dort, wo sie ökonomisch wirksam werden. Ich glaube, niemand wird die Logik dieser Entscheidung bestreiten können.
({12})
- Einmal an der richtigen Stelle, Herr Leicht, und zwar bei den Gemeinden.
Zugleich hat die Bundesregierung vorgeschlagen, auch die Branntwein- und die Tabaksteuer zu erhöhen. Ich schließe nicht aus, daß auch diese Steuererhöhungen eine begrenzte Preiswirkung haben werden.
({13})
Wir nehmen das bewußt in Kauf; denn anders sind die dringenden Investitionsaufgaben der öffentlichen Hände nicht zu bewältigen.
({14})
Ich muß an dieser Stelle noch einmal ganz klar herausstellen, meine Damen und Herren: Die Finanzierung des Kernhaushalts 1972 wäre im Bund bei der geltenden Steuerverteilung gegenüber den Ländern ohne zusätzliche Einnahmeverbesserungen möglich gewesen. Wir hätten den Bundeshaushalt für sich gesehen ohne Steuererhöhungen finanzieren können. Aber wir konnten und wir durften nicht nur an den Bund denken. Wir hatten an den Gesamtstaat und seine Bedürfnisse zu denken. Ich bekenne mich voll dazu, daß Bundesregierung und Bundestag auch die Verantwortung für die finanzielle Ausstattung unserer Länder und unserer Gemeinden tragen. Aber ich füge - ohne jede Polemik hinzu: Es gehört auch zur Verantwortung und zur Autonomie von Ländern und Gemeinden, daß sie die nicht ganz so populäre Aufbringungsseite ebenfalls bedenken und mit dafür einstehen. Jedenfalls sollte das dann gelten, wenn Länder und Gemeinden von den verbesserten Einnahmen mehr profitieren als der Bund, und das ist diesmal und in Zukunft der Fall.
Wir alle sollten darin übereinstimmen: Niemand in diesem Staat darf Steuererhöhungen als einen bequemen Fluchtweg ansehen,
({15})
um sich einer kühlen Kalkulation der Ausgaben zu entziehen. Die Opferbereitschaft unserer Bevölkerung, mehr staatliche Leistungen zu finanzieren, darf nicht mißbraucht werden; dann würde sie schließlich erlahmen.
Das vertretbare Maß an Steuererhöhungen ist also begrenzt. Unbedachte Steuererhöhungen könnten zudem die Stabilisierungschancen verspielen und gleichzeitig das mittelfristige Wachstum unserer Wirtschaft gefährden. Denn Steuererhöhungen bleiben nicht ohne Wirkung auf das Preisgefüge - ich sage es noch einmal -, und sie vermindern, wenn zu hoch bemessen, die Investitionsbereitschaft unserer Unternehmungen.
Die Bundesregierung mußte daher bei den geplanten Steuererhöhungen Maß und Mitte beweisen. Der Bund gewinnt dabei im ersten Jahr, 1972, von dieser Einnahmeverbesserung überhaupt nichts. Aber die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden wird schon im jenem ersten Jahr 1972 auf diese Weise um 2,6 Milliarden DM verbessert - zusätzlich zu den normalen Steuermehreinnahmen. Diese Zahl 2,6 Milliarden - entspräche rein rechnerisch etwa 6 Prozentpunkten Anteil an der Mehrwertsteuer. Das zeigt: Die Bundesregierung hat ein faires Angebot gemacht. Wir stehen zu diesem Angebot an die Länder und Gemeinden. Aber zu jeder Mehranforderung müssen wir unmißverständlich sagen: Eine wesentliche höhere Umsatzsteuerbeteiligung der Länder im ganzen ist nur möglich, wenn die Steuerbelastung unserer Bevölkerung weiter gesteigert wird. Wer das so mit leichter Hand fordert, der muß dann auch klar sagen, wo er weitere Steuern erhöhen will, der muß auch wissen, daß der Erhöhungsspielraum bei den speziellen Verbrauchsteuern jetzt weitgehend ausgeschöpft ist, der muß wissen, daß sich eine zusätzliche Erhöhung der Ertragsteuern im Jahr der Konjunkturabschwächung 1972 praktisch verbietet. Nun, wir werden in den sicher sehr schwierigen Verhandlungen mit den Ländern dies alles sehr deutlich herausstellen. Daher hoffe ich, daß sich Bund und Län8214
der auch diesmal im Interesse des Gemeinwohls verständigen.
Meine Damen und Herren, ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einige Worte zur geplanten Steuerreform sagen. Sie wissen, daß die Bundesregierung im März 1971 dem Hohen Hause das erste Steuerreformgesetz, den Entwurf einer Abgabenordnung, vorgelegt hat. Jetzt liegt das Schwergewicht unserer Arbeiten bei dem zweiten Steuerreformgesetz. Die Bundesregierung hat dafür im Juni 1971 Eckwerte und Grundsätze festgelegt. Auf dieser Basis sind die Referentenentwürfe eines Sparprämiengesetzes, eines Körperschaftsteuergesetzes, eines Grundsteuergesetzes, eines Vermögensteuergesetzes sowie eines Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes ausgearbeitet worden. Wir werden dazu die Länder konsultieren und die Spitzenverbände der Wirtschaft und die Gewerkschaften zum zweiten Mal anhören. In Kürze wird das Kabinett zudem über einige noch offene Fragen in dem Referentenentwurf zur Einkommen- und Lohnsteuer entscheiden und damit über den gesamten Inhalt des zweiten Steuerreformgesetzes befinden.
Auch die indirekten Subventionen in Form von Steuervergünstigungen sind natürlich Gegenstand der Steuerreform. Sobald die Regierung ihre Überlegungen dazu abgeschlossen hat, wird sie dem Hohen Hause den dritten Subventionsbericht vorlegen. Ich bitte um Ihr Verständnis und Ihre Nachsicht, wenn sich die Vorlage dieses Berichtes, die Sie eigentlich mit dem Haushaltsentwurf für 1972 erwarten konnten, um einige Wochen verzögert. Aber diese zeitliche Verschiebung des Subventionsberichtes liegt gerade im Interesse einer umfassenden Information des Parlaments, die auf den neuesten Stand gebracht ist.
Meine Damen und Herren, in der Ausgabenpolitik und Ausgabenbemessung haben wir für das kommende Jahr vom Dringlichen das Vordringliche getrennt und auf das Vordringliche unsere Aktivitäten konzentriert. Neben den Reformaufgaben müssen in einer konsolidierten Haushaltsplanung die klassischen Staatsaufgaben besonders betont werden. Ich will das kurz darstellen.
Die finanziellen Schwerpunkte der eigentlichen Reformaufgaben beziehen sich für 1972 und für die Finanzplanung vor allem auf folgende Bereiche: Verkehrspolitik, Umweltschutz, Bildungspolitik, Wohnungs- und Städtebaupolitik und Gesundheitswesen.
Die für die verkehrswirtschaftliche Infrastruktur zweckgebundenen Einnahmeverbesserungen spiegeln nur eine Akzentuierung unseres Arbeitsprogramms wider. Dabei steht die Verbesserung der kommunalen Verkehrsverhältnisse im Vordergrund. Dafür erhalten eben die Gemeinden, wie schon gesagt, fast 1 Milliarde DM im kommenden Jahr und entsprechend steigende Beträge in den folgenden Jahren.
Aber auch für den Bundesfernstraßenbau steigen die Aufwendungen gegenüber 1971, nämlich 1972 allein um rund 17 % auf knapp 6 Milliarden DM für ein Jahr.
({16})
Zum ersten Mal hat die Bundesregierung den Umweltschutz als einen Aufgabenschwerpunkt im Bundeshaushalt und in der Finanzplanung beim federführenden Bundesinnenminister hervorgehoben. Die Bundesregierung hat ein umfassendes Konzept zur Planung von Umweltschutz und Umweltgestaltung verabschiedet. Sie steht dazu, daß die Kosten der Umweltbelastung grundsätzlich vom Verursacher zu tragen sind. Nur wo dies nicht möglich ist, kommt eine Finanzierung über die öffentlichen Haushalte in Betracht. Die Finanzierungskompetenzen des Bundes liegen hier zunächst im Bereich von Forschung und Entwicklung. Darüber hinaus kann sich der Bund nur im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben sowie mit den Mitteln des ERP-Sondervermögens beteiligen. Das internationale Fünf-JahresProgramm zur Sanierung von Rhein und Bodensee bildet hierbei eine unstreitig notwendige Ausnahme.
Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit sieht die Bundesregierung nach wie vor, meine Damen und Herren, in der Bildungspolitik. Der Etat des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft steigt 1972 gegenüber 1971 um etwa 1,2 Milliarden. DM an, d. h. um nahezu 30 °/o. Über den gesamten Planungszeitraum von 1971 bis 1975 wird sich der Ausgabenplafond für Bildung und Wissenschaft auf rund 8,3 Milliarden DM praktisch verdoppeln.
Einen besonderen Stellenwert hat die Bundesregierung weiterhin der Wohnungs- und Städtebaupolitik eingeräumt. Die gezielte Förderung des Wohnungsbaues soll mit dazu beitragen, das Wohnungsangebot zu vergrößern und die Preisentwicklung am Wohnungsmarkt zu normalisieren. Unsere Wohnungsbauförderung richtet sich dabei natürlich vor allem an die sozialen Gruppen, die von hohen Mieten und Mietsteigerungen am stärksten betroffen sind: die kinderreichen und die jungen Familien, die Körperbehinderten und unsere älteren Bürger.
Durch das Städtebauförderungsgesetz sind unseren Kommunen das Recht und die Grundlage gegeben worden, neue Aufgaben in diesem Bereich anzugehen. Gesunde Wohn- und Arbeitsregionen müssen geplant und städtebauliche Mißstände müssen langsam Schritt für Schritt abgetragen werden. Die Erneuerung unserer Städte und Gemeinden erfordert finanzielle Aufwendungen, an denen sich der Bund mit steigenden Beträgen beteiligt.
Die Gesamtausgaben für den Städtebau und das Wohnungswesen steigen von 2,7 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 4,6 Milliarden DM im Jahre 1975 an.
Mit ihren Beschlüssen zum Haushalt und zur Finanzplanung hat die Bundesregierung auch für die Krankenhausfinanzierung Vorsorge getroffen. Der Entwurf des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, das möglichst am 1. Januar 1972 in Kraft treten sollte, sieht auch nach den Verhandlungen vor, daß der Bund den Schuldendienst für ein volles Drittel der Investitionskosten übernimmt. Die entsprechenden Beträge, mit denen der Bund die Kapitalmarktmittel für den Aus- und Neubau von Krankenhäusern mobilisieren soll, sind in der Finanzplanung bis 1975 gesichert. Die dadurch von Bundesseite für den
Krankenhausaus- und -neubau ausgelösten Mittel betragen jährlich rund 700 Millionen DM.
({17})
- Das sind die ausgelösten Mittel.
Meine Damen und Herren, neben der Finanzierung dieser Reformaufgaben und -schwerpunkte gilt es wie gesagt und mit ganz besonderer Betonung -, in diesem Haushalt die klassischen Aufgaben des Staates kontinuierlich fortzuführen, Aufgaben, die bei einer modernen Reformpolitik gerade nicht vernachlässigt werden dürfen. Im klassischen Aufgabenbereich haben wir unsere Anstrengungen für äußere Sicherheit, für innere Sicherheit und für soziale Sicherheit erheblich verstärkt. Die Sozialpolitiker in diesen Reihen werden mir hoffentlich nachsehen, daß ich die Politik der sozialen Sicherheit zu den klassischen Aufgaben eines modernen Staatswesens rechne.
Nun zur Sicherheit nach außen und nach innen! Wir haben unsere Aufwendungen für die Gesamtverteidigung im weitesten Sinne gegenüber 1971 von rund 23 Milliarden DM auf rund 26 Milliarden DM im Jahre 1972 gesteigert. Das sind rund 24,4 % der Gesamtausgaben des Bundes. Damit können wir u. a. auch die notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung fortsetzen.
({18})
Im Verteidigungsbereich im eigentlichen Sinne - also bei der Bundeswehr - ist die Verbesserung der Wehrgerechtigkeit ein besonderes Anliegen dieser Bundesregierung. Die Bundesregierung hat deshalb beschlossen, die Dauer des Wehrdienstes von 18 auf 15 Monaten zu verkürzen. Das erfordert finanziellen Mehraufwand.
({19})
- Der Haushalt 1972 - und das müssen Sie ebenso
laut sagen - schafft die Voraussetzungen für diesen finanziellen Mehraufwand.
({20})
In diesem wichtigen Punkte setzt die Bundesregierung damit die Reform in der Bundeswehr fort, die mit den Maßnahmen des Weißbuches 1971 eingeleitet wurde.
Nun das Kapitel der inneren Sicherheit im besonderen! Mit dem Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung hat die Bundesregierung auf dem Gebiet der inneren Sicherheit neue Zeichen gesetzt. Die Aufwendungen für das Bundeskriminalamt werden gegenüber 1971 um knapp 50 % erhöht; das ist doch etwas.
({21})
Das Personal des Amtes wird nochmals verstärkt und die technische Ausrüstung auf den neuesten Stand gebracht. Insgesamt steigen die Ausgaben für den Bereich der inneren Sicherheit um knapp 100 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr.
Nun zur sozialen Sicherheit! Die Aufwendungen für die soziale Sicherheit unserer Bevölkerung haben im Bundeshaushalt, wie wir alle wissen, ein besonderes Gewicht. Über 20 % aller Bundesausgaben entfallen allein auf die Kriegsopferversorgung, auf das Kindergeld und auf die gesetzlichen Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger. Die Bundesregierung hat für eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen, die im Interesse unserer Bevölkerung und der sozialen Gerechtigkeit notwendig waren, diesen Aufgabenbereich weiter ausgedehnt. Ich erinnere nur an die Dynamisierung der Kriegsopferrenten und ihre Verbesserung durch den sogenannten Schadensausgleich.
Die Bundesregierung hat ferner jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach das Kindergeld zum 1. Januar 1972 für das zweite Kind bis zu einer Einkommensgrenze von 15 000 DM jährlich statt bisher 13 200 DM jährlich gezahlt werden soll. Dies allein bedeutet eine Mehrbelastung des Bundes um 50 Millionen DM in diesem Haushalt. Die Finanzierung ist gesichert.
Wenn die Bundesregierung gleichzeitig beschlossen hat, ihren Verpflichtungen gegenüber der Angestelltenversicherung im gegenseitigen Einvernehmen durch 1 Milliarde DM rentierliche Bundesschatzbriefe nachzukommen, so beeinträchtigt dies die Aufgabenerfüllung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - schon in Anbetracht ihrer Liquiditätslage - überhaupt nicht. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird durch diese 1 Milliarde DM mit rentierlichen Bundesschatzbriefen finanziell bestens ausgestattet und hat liquiditätsmäßig überhaupt keinen Schaden. Auch der finanzielle Aktionsrahmen für die in der Bundesregierung zur Zeit diskutierten sozialpolitischen Reformen wird dadurch keineswegs geschmälert.
({22})
Nach den klassischen staatlichen Aufgaben nun jene Maßnahmen der Wirtschaftsförderung für einzelne wichtige Bereiche unserer Wirtschaft, die sich in großen Wandlungen befinden und bei denen Maßnahmen der staatlichen Strukturpolitik, aber auch der sozialen Flankierung in besonderem Maße erforderlich sind. Die Bundesregierung setzt hier ihre finanziellen Anstrengungen fort.
Das gilt in erster Linie für die Landwirtschaft. Der Einzelplan des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten liegt 1972 um 270 Millionen DM höher oder um 6 % über dem vergleichbaren Betrag des alten Finanzplans. Damit hat sich die Bundesregierung den finanziellen Spielraum geschaffen, um im Bereich der Landwirtschaft neue Maßnahmen in Angriff zu nehmen und Begonnenes zu intensivieren.
Im einzelnen sind in diesem Einzelplan Mittel vorgesehen und eingeplant, um 1. die Krankenversicherung für alle Landwirte vom 1. Juli 1972 an einzuführen, 2. die Altershilfe und die Landabgaberente zu verbessern und 3. die Maßnahmen der land8216
wirtschaftlichen Strukturverbesserung, insbesondere im einzelbetrieblichen Förderungsprogramm, zu verstärken.
Ein Vergleich der Plafondzahlen dieses Einzelplans in den Jahren 1971 und 1972 führt leicht zu Fehlinterpretationen. Denn seit Beginn dieses Jahres ist die Agrarfinanzierung der Europäischen Gemeinschaften neu geregelt. Der Einzelplan des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird dadurch künftig von den eigentlichen Marktordnungsausgaben entlastet. Durch diesen technischen Vorgang einer Umbuchung erleiden unsere Landwirte aber keine Nachteile. Unsere nationalen Maßnahmen zur Einkommensverbesserung und zur Strukturhilfe in der Landwirtschaft bleiben voll in Kraft. Sie werden sogar, wie ich soeben gezeigt habe, erheblich verstärkt.
Schließlich in diesem wirtschaftlichen Bereich noch ein Wort zur Steinkohle.
({23})
Die Bundesregierung führt ihre Politik der Anpassung und Gesundung dieses Wirtschaftszweiges fort.
({24})
- Na, hören Sie mal zu! - Die Haushaltspositionen sind weiter auf die Schwerpunkte der Absatz- und Strukturhilfen ausgerichtet. Sie erreichen 1972 insgesamt den Betrag von 387 Millionen DM gegenüber 361 Millionen DM im Haushalt 1971. Und gerade derjenige, Herr Kollege Haase, der hier skeptisch ist, sollte nicht vergessen: Im Jahre 1967 beliefen sich die Bundeshilfen für die Steinkohle noch auf annähernd 1 Milliarde DM.
({25})
Bei den Absatzhilfen wird jetzt das Anschlußprogramm für die Verstromung eingeleitet. Die Kokskohlebeihilfe wird für die Lieferungen vom 1. Juni bis 31. Dezember 1971 wieder aufgenommen. Bei der Strukturförderung werden wir die Investitionshilfe auch im Jahre 1972 zahlen können.
Außerdem ist wichtig: Am 30. Juni 1971 wurde von der Ruhrkohle AG ein Anpassungsprogramm beschlossen, das bis 1975 die Stillegung von Schachtanlagen mit 14 Millionen t Kapazität vorsieht. Das ist das große Programm der strukturellen Sanierung des Steinkohlebergbaus. Bund und Land NordrheinWestfalen stützen dieses Programm durch eine soziale Flankierung für ausscheidende ältere Arbeitnehmer im Bergbau, wofür 1972 im Bundeshaushalt 27 Millionen DM zusätzlich vorgesehen sind.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß die Situation der Ruhrkohle AG, aber auch andere Bergbaugesellschaften weiterhin schwierig ist. Die Kohle kann auch heute noch nicht frei von staatlicher Hilfe im Wettbewerb bestehen, besonders nicht in Zeiten zurückgehender Konjunktur. Wir müssen die Schwierigkeiten im Zusammenwirken mit den anderen Beteiligten, auch und gerade den Altgesellschaften, durch eine nachhaltige Konsilidierung in den kommenden Monaten überwinden. Von der Liquiditätsseite der Ruhrkohle AG her sind akute Sorgen abgewendet durch die Bereitstellung von
Bürgschaften in Höhe von insgesamt 966 Millionen DM für die Ruhrkohle AG, davon - wie immer bei dieser engen Zusammenarbeit zwei Drittel durch den Bund und ein Drittel durch das Land Nordrhein-Westfalen.
So weit mein Überblick über die wichtigsten Schwerpunkte in den Sachaufgaben des Bundeshaushalts.
Ich komme nun zu einem anderen schwierigen, ja sehr heiklen Kapitel. Von großer Bedeutung nämlich für das Gesamtbild der Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden wird die Konsolidierung der Personalausgaben sein. Auch bei diesem Thema Personalausgaben wird darüber entschieden, ob es uns gelingt, 1972 die Rate der öffentlichen Sachausgaben und Investitionen für Bund, Länder und Gemeinden mindestens zu halten.
Ich sage es ganz offen: Wenn die Personalausgabenentwicklung des Jahres 1971 im Jahre 1972 fortgesetzt würde, dann würden wir jenes Ziel nicht erreichen.
({26})
Die Bundesregierung hat ihrerseits den ersten Schritt für die notwendige Konsolidierung der Personalausgaben getan. Das ergibt sich klar und deutlich aus den dafür vorgesehenen Ansätzen.
({27})
- Das wissen Sie ganz genau, Herr Leicht. - Der Bund hat damit, so hoffe ich, auch ein unübersehbares Signal für die übrigen Gebietskörperschaften gegeben.
Wir alle sind uns doch darüber einig: Die in den letzten zwei Jahren im öffentlichen Dienst vereinbarten Lohn- und Gehaltssteigerungen werden sich 1972 auch nicht annähernd wiederholen können.
({28})
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung legt zum erstenmal gleichzeitig mit dem Haushaltsentwurf einen Eventualhaushalt nach den Grundsätzen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vor. Dieser Eventualhaushalt begrenzt das Risiko einer zu starken konjunkturellen Abschwächung. Er kann mit einem Volumen von 2,5 Milliarden DM durch die Konjunkturausgleichsrücklage des Bundes, also ohne zusätzliche Schuldenlast, finanziert werden. Natürlich wird dieser Eventualhaushalt entsprechend dem Gesetz nur und erst dann realisiert, wenn wir einer Gefährdung der Beschäftigung und des Wachstums vorsorglich entgegenwirken müssen. Ein Zeitpunkt für sein Inkrafttreten kann in diesem Augenblick ebensowenig angegeben werden wie für die Freigabe des bei der Bundesbank festgelegten Konjunkturzuschlags in Höhe von 5,8 Milliarden DM.
Aber eines, meine Damen und Herren, ist wichtig: Insgesamt stehen - und das mögen Sie bitte alle
noch einmal zur Kenntnis nehmen - Bund und Ländern fast 10 Milliarden DM aus dein Konjunkturzuschlag und den Konjunkturausgleichsrücklagen
als Eingreifreserven zur Verfügung. Diese Summe, bei der Bundesbank „eingesperrt", zeigt, wie gut wir gerüstet sind. Ich darf noch hinzufügen: Eine solche konjunkturpolitische Manövriermasse hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht gegeben.
({29})
- Und wie haben wir sie im Jahre 1967 gebraucht! Aber wir mußten Schulden machen, weil wir die Reserven nicht hatten.
({30})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang und zum Ende hin einige Bemerkungen zur wirtschafts- und währungspolitischen Lage in der Bundesrepublik machen. Wir müssen freimütig zugeben, daß die Preisentwicklung, besonders beim privaten Verbrauch, mehr als unbefriedigend ist.
({31})
Zu den hausgemachten Faktoren der Geldentwertung ist im Winter 1970/71 bis zum 5. Mai dieses Jahres zusätzlich die gewaltige Überschwemmung der Bundesrepublik mit internationaler Liquidität hinzugetreten!
({32})
Dadurch wurde die Geldmenge in unserem Land in einem unerträglichen Maß ausgeweitet, und dadurch wurden auch die kreditpolitischen Restriktionen der Bundesbank glatt unterlaufen.
Mit dem 9. Mai - das mag manchem nicht passen - ist hier ein grundsätzlicher Wandel geschaffen worden.
({33})
- Oh doch, ich werde Ihnen aufzählen, was geschah. In der Tat zeigen und zeigten jene Stabilisierungsmaßnahmen ihre Wirkung. Ich zähle auf:
Die Devisenzuflüsse wurden abgeblockt. Die monetäre Expansion ist gedrosselt.
Die Auftragseingänge und -bestände gehen zurück, besonders bei den Investitionsgütern und der Auslandsnachfrage.
Die Expansion des privaten Verbrauchs hat ebenfalls an Dynamik verloren.
Die Produktion folgt dieser Abkühlung.
Die Entspannung am Arbeitsmarkt schreitet weiter voran, ohne daß dabei eine Gefährdung des hohen Beschäftigungsstandes droht.
({34}) Die Steigerung der Lohnkosten flacht sich ab.
Die industriellen Erzeugerpreise sind in den letzten beiden Monaten praktisch nicht mehr gestiegen.
Das Gesamtbild zeigt also: Die Konjunktur ist auf breiter Front in die Phase der Normalisierung eingetreten. Aber die Entwicklung der Verbraucherpreise wird noch immer von der vorangegangenen Einkommensgestaltung und indirekt auch der damaligen Liquiditätsanhäufung bestimmt.
Das bedeutet für die weitere Konjunkturpolitik: Der Stabilisierungskurs kann grundsätzlich noch nicht aufgegeben werden. Wir müssen bei der Preisentwicklung noch eine weitere Durststrecke zurücklegen und werden nur sehr allmählich geringere Steigerungsraten erreichen. Gleichwohl muß sich die Konjunkturpolitik aber vorsorglich darauf einrichten, einen angemessen hohen Beschäftigungsstand abzusichern.
Meine Damen und Herren, wir brauchen keine überstürzte Neuorientierung der Konjunkturpolitik. Wir müssen aber vorausschauend dafür sorgen, daß der Beruhigungsprozeß der Konjunktur nicht über das Ziel hinausschießt. An erster Stelle steht dabei in unserem Instrumentarium eine Lockerung der kreditpolitischen Restriktionen. Dazu hat die Bundesbank bereits einen ersten Schritt getan, der vor allem aus wechselkurspolitischen Gründen angebracht war. Zusammen mit der Ankündigung eines Bardepots wird dadurch der Druck auf den Dollarkurs gemindert. Dies ist notwendig, um die weitere Auslandsnachfrage nach deutschen Exporten nicht zu sehr einzuschnüren. Dieser Entlastung unserer Exportwirtschaft dient auch die vorgesehene Wechselkursversicherung, an deren Vorbereitung wir arbeiten.
Ob, wann und wie weitere Entlastungsmaßnahmen erforderlich sind, werden wir entscheiden, sobald die Indikatoren eine Überanpassung signalisieren. Sie wissen - ich habe vorhin die Zahlen genannt : die Bundesregierung ist dagegen und darauf gerüstet.
({35})
Doch an einem kommen wir nicht vorbei - gerade Unternehmer und Tarifpartner werden das bedenken müssen -: nach der Phase einer starken Wirtschaftsexpansion und der Phase extremer Anspannungen ist es völlig normal, wenn die realen Zuwachsraten im nächsten Jahr bescheiden ausfallen. Es ist Aufgabe der konjunkturpolitischen Instanzen, den Rahmen für eine angemessene Nachfrageausweitung zur Verfügung zu stellen, eventuell mit dem von mir zitierten Eventualhaushalt. Dabei werden die Unternehmer und die Tarifparteien mehr denn je mitbestimmen, wie weit sie diesen Expansionsrahmen mit bloßen Preis- und Kostensteigerungen ausfüllen und wieviel zur Ausweitung der Produktion und damit des realen Wachstums sowie zur Sicherung der Arbeitsplätze zur Verfügung bleibt. Ich vertraue bei der Ausschöpfung des gegebenen oder erweiterten Nachfragerahmens auf die Mitverantwortung und Mithilfe aller.
Meine Damen und Herren, Vollbeschäftigung ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft und insbesondere in einer solchen konjunkturellen Übergangssituation nicht einfach durch staatlichen Hoheitsakt zu garantieren; Vollbeschäftigung ist in Wahrheit durch das Verhalten und das Zusammenwirken
aller staatlichen und autonomen Instanzen zu sichern; Vollbeschäftigung ist also in Wahrheit mitbestimmt.
Der weitere Konjunkturverlauf wird - wie schon eben angedeutet - auch durch den währungspolitischen Kurs entscheidend beeinflußt werden. Es wäre für die wirtschaftliche Entwicklung in allen Ländern abträglich, wenn eine realistische internationale Neuordnung der Wechselkursparitäten, also das Realignment, allzu lange hinausgezögert würde. Die Versuchung, sich durch nationale Eingriffe in die Freiheit des Waren- und Kapitalverkehrs gegen eine Anpassung des Systems zu sperren, würde sicherlich noch größer werden.
Meine Damen und Herren, die binnen- und außenwirtschaftlichen Maßnahmen der amerikanischen Regierung vom 15. August haben das fundamentale Ungleichgewicht deutlich gemacht, in dem sich wesentliche Teile unserer freien Weltwirtschaft befinden. Die abnormen Dollarzuströme in die Bundesrepublik bis zum Frühjahr dieses Jahres spiegelten auch die Erwartung der längst überfälligen Anpassung des internationalen Währungssystems wider. Für eine solche Neuordnung des Weltwährungssystems hat sich die Bundesrepublik schon viel früher nachdrücklich eingesetzt, zuletzt im vorigen Jahr auf der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Kopenhagen.
Die Freigabe des D-Mark-Kurses im Frühjahr dieses Jahres war ein erster Beitrag zur Wiederherstellung des internationalen monetären Gleichgewichts. Die Freigabe des Wechselkurses hat uns gegen die heftigen Turbulenzen abgeschirmt. Sie hat uns vor dem Weg in den Dirigismus und vor administrativen Kontrollen bewahrt. Wir können zudem feststellen, daß wir mit der Wechselkursanpassung nicht allein stehen. Einige Länder haben unmittelbar nach dem 9. Mai ihre Position in der Währungspolitik überdacht und angepaßt. Die meisten Länder sind dann nach dem 15. August gefolgt. Wenn auch die meisten Länder nicht zum reinen Floaten übergegangen sind, so sind doch die Kurse in Richtung auf ein Realignment in Bewegung gekommen. Störungen im internationalen Währungsgefüge liegen im übrigen in den administrativen Kontrollen und in den protektionistischen Maßnahmen, sie liegen nicht im Floaten.
({36})
Die Tendenzen und die Bereitschaften, das internationale Wechselkursgefüge zu entzerren, auf die neue Lage hin anzupassen, sind sichtbar deutlicher geworden. Die Kursänderung des Schweizer Franken, des Yen, des kanadischen Dollars und des Gulden haben fast oder annähernd mit dem Auf wertungssatz der D=Mark gleichgezogen. Damit hat sich immerhin die Kursentwicklung für die deutsche Wirtschaft insgesamt etwas entdramatisiert.
({37})
- Ja. Die De-facto-Aufwertung der D-Mark gegenüber allen unseren Handelspartnern liegt gegenwärtig bei rund 7 %, gewogen nach den Handelsanteilen der Handelspartner in unserer Handelsbilanz.
Allerdings verkennen wir nicht, daß die währungspolitischen Interventionen in anderen Ländern zugleich negative Rückwirkungen für unsere eigene Wirtschaft haben. Das Nebeneinander von freien, von halb oder voll kontrollierten Wechselkursen führt in einigen Relationen zu einer Überbewertung der D-Mark und zu einer Unterbewertung anderer Währungen. Dies letzte mag für einige Länder einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil darstellen. Tatsächlich - das müssen wir auch sehen - verschenken diese Länder mit künstlich niedrig gehaltenen Wechselkursen in ihrem Export eigene Ressourcen und eigenen Wohlstand. Angesichts dieser Sachlage sollte das Interesse an einer multilateralen Verständigung auf allen Seiten vorhanden sein. In den internationalen Verhandlungen ist es das Bestreben der Bundesrepublik, die Bereitschaft zu einem allseitigen Interessenausgleich zu fördern und das Abgleiten der Weltwirtschaft in einen allgemeinen Handelskrieg zu verhindern.
Durch die internationalen Konferenzen in der Zehnergruppe und im Internationalen Währungsfonds in Washington haben wir immerhin eine Basis, eine gemeinsame Tagesordnung für die kommenden Gespräche erreicht:
Erstens. Alle Länder haben sich zu einem Realignment, d. h. zu einer Neuordnung im Wechselkursgefüge, bekannt.
Zweitens. Sie stimmen auch im Prinzip darin überein, die gegenwärtige Krise unter Wahrung der Freiheit der Märkte im Kapitalverkehr und im Handelsverkehr lösen zu wollen.
Drittens. Die USA haben in und nach Washington mehrmals grundsätzlich erklärt, daß sie zu einer Abschaffung der Zusatzeinfuhrsteuer bereit sind, wenn die übrigen Länder einen Beitrag zur Verbesserung der amerikanischen Zahlungsbilanz leisten. Die konkreten Voraussetzungen hierfür sind nach den dortigen klaren Formulierungen: Erstens, spezielle Handelshemmnisse müssen abgebaut werden - damit ist kaum und schon gar nicht in erster Linie die Bundesrepublik Deutschland gemeint -; und zweitens, die Wechselkursbildung in der Zwischenzeit sollte freier nach den Regeln des Marktes erfolgen. So die Verhandlungsposition der USA.
Meine Damen und Herren, wir sollten - ich sage
das hier mit allem Bedacht - gerade in Europa die in der Welt noch oder wieder vorhandene Kompromißbereitschaft nutzen. Dabei wird es in der Europäischen Gemeinschaft und im Zehnerclub darum gehen, die gegensätzlichen Standpunkte zwischen Europa und den USA einander anzunähern. Dies kann nur geschehen, wenn auch Europa einen fairen und ausgewogenen Beitrag zur Entlastung der amerikanischen Zahlungsbilanz leistet.
In allen kommenden Verhandlungen hat die Europäische Gemeinschaft die große Chance, eine ganz große Chance, ihre eigene „Währungspersönlichkeit", wie es in Brüssel heißt, zu finden, wenn sie sich zugleich als weltoffene und der internationalen Arbeitsteilung verpflichtete Gemeinschaft versteht.
Diese Perspektiven - eigene „Währungspersönlichkeit Europas", fairer und ausgewogener Beitrag gegenüber Amerika, Verpflichtung gegenüber der internationalen Arbeitsteilung werden den Kurs der Bundesregierung in allen internationalen Verhandlungen zur Neuordnung des Weltwährungssystems ebenso wie in ihrer Arbeit in Europa bestimmen.
({38})
Das waren unsere Perspektiven.
Aber niemand darf sich darüber täuschen - ich sage das ebenfalls mit allem Ernst -: Die Welt wurde durch den 15. August gründlich verändert. Meine Damen und Herren, die Welt wird nicht wieder das werden, was sie vor diesem Tage war. Wir
alle sollten uns dieser Herausforderung und auch dieser Chance stellen.
({39})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen für die Einbringung des Haushalts 1972. Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen früh, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.