Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zwei Mitteilungen zu machen. Zunächst: Der Abgeordnete Dröscher hat am 12. Oktober 1971 sein Mandat niedergelegt. Am gleichen Tage ist als sein Nachfolger der Abgeordnete Büchner in den Bundestag eingezogen. Ich begrüße den neuen Kollegen. - Dort zeigt er sich;
({0})
er scheint mir den Altersdurchschnitt des Hauses
erheblich zu drücken. Ich begrüße ihn sehr herzlich
und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit in
unserem Hause.
Zweitens. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat mit Schreiben vorn 29. September 1971 für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dröscher den Abgeordneten Dr. Reischl als Mitglied des Europäischen Parlaments benannt. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Abgeordnete Dr. Reischl als Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Oktober 1971 dem vom Deutschen Bundestag am 29. September 1971 verabschiedeten
Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen
nicht zugestimmt. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2642 verteilt.
Die Bundesregierung hat beschlossen, zum
Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen
zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Ihr Schreiben ist als Drucksache VI/2676 verteilt.
Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt für den Abgeordneten Hirsch, der sein Mandat im Wahlmännerausschuß niedergelegt hat, der Abgeordnete Dr. Arndt ({1}) aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Mitglied im Wahlmännerausschuß nach.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat am 23. Juni 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauck, Frau Eilers, Frau Schanzenbach, Schmidt ({2}) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Eingliederung jugendlicher Spätaussiedler - Drucksache VI 2130 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2381 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 29. September 1971 die Kleine Anfrage
der Abgeordneten Strauß, Stücklen und Genossen betr. Absprache zwischen Botschafter Falin und Staatssekretär Dr. Frank
Drucksache VI/2579 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2640 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr hat am 1. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/ CSU betr. Verkehrspolitik - Drucksache VI/2567 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2658 verteilt.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 6. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen und Genossen betr. Münchner Abkommen - Drucksache VI/2578 -beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2672 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 7. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Höcherl, Dr. Riedl ({3}), Niegel und Genossen betr. Ausgabe von Sondermünzen des Bundes - Drucksache VI/2586 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2677 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 6. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Kühner, Dr. Althammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Haushaltsvollzug 1971 - Drucksache V1'2594 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/2675 verteilt.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am
27. September 1971 gemäß § 1 Abs. 3 der Reichsschuldenordnung in) die Anleihedenkschrift 1970 übersandt. Sie liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.
Der Ausschuß für Wirtschaft hat mitgeteilt, daß gegen die nachfolgenden, zwischenzeitlich verkündeten Verordnungen keine Bedenken erhoben werden:
Verordnung des Rates ({4}) zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung ({5}) Nr. 109/70 des Rates vom 19. 12. 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren ({6})
- Drucksache VI/2087 Verordnung des Rates ({7}) zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 1572/70 vom 27. Juli 1970 über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Veredelungsvorgänge bei bestimmten Spinnstoffwaren im passiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft
- Drucksache VI/2090 -Verordnung des Rates ({9}) zur Änderung der Verordnung ({10}) Nr. 1025/70 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus dritten Ländern
- Drucksache VI/2150 Verordnung des Rates ({11}) zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung ({12}) Nr. 109/70 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren
- Drucksache VI/2108 Verordnung des Rates ({13}) über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Werkblei und affiniertes Blei der Tarifstelle 78.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs ({14})
Verordnung ({15}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Rohzink der Tarifstelle 79.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs ({16})
Drucksache VI/2233 Entwurf einer Verordnung ({17}) des Rates über die zeitweilige Aussetzung von autonomen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Waren
Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung ({18}) des Rates über die zeitweilige Aussetzung von autonomen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte Waren
- Drucksache VI/2242 Verordnung des Rates ({19}) über die im Zusatzprotokoll
zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei
Vizepräsident Dr. Schmid
sowie im Interimsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vorgesehenen Schutzmaßnahmen
- Drucksache VI/ 2293 -Verordnung des Rates ({20}) über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in der Türkei raffinierte Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs
Verordnung ({21}) des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf der Tarifnummer 55.05 und andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Herkunft aus der Türkei
- Drucksache VI/2356 Verordnung des Rates ({22}) zur Änderung der Verordnung ({23}) Nr. 1571/70 vom 27. Juli 1970 des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte handgearbeitete Waren
- Drucksache VI/2358 Verordnung des Rates zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung ({24}) Nr. 1267/69 zur Festlegung der Sonderbestimmungen, die bet der Einfuhr von unter die Verordnung ({25}) Nr. 1059/69 fallenden Waren aus Griechenland in die Gemeinschaft anwendbar sind
- Drucksache VI/2387 Verordnung des Rates Nr. . . .171 ({26}) vom .....
über vollständige oder teilweise Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche Waren mit Ursprung in der Türkei
Verordnung ({27}) des Rates vom über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf der Tarifnummer 55.05 und andere Gewebe aus Baumwolle der Tarifnummer 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs mit Herkunft aus der Türkei
- Drucksache VI/2392 Verordnung des Rates ({28}) über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Veredelungsarbeiten bei bestimmten Spinnstoffen im passiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft
- Drucksache VI/2480 Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte handgearbeitete Waren
- Drucksache VI/2482 Verordnung ({29}) Nr. 1346/71 des Rates vom 24. Juni 1971 über die zeitweilige vollständige Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für schwarzen Heilbutt ({30}) der Tarifstelle ex 03.01 B I g)
Verordnung ({31}) Nr. 1625/71 des Rates vom 26. Juli 1971 über die zeitweilige vollständige Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Austern der Sorte „crassostréa gigas" mit einem Stückgewicht von mehr als 100g der Tarifstelle ex 03.03 B I b)
Verordnung ({32}) Nr. 1626/71 des Rates vom 26. Juli 1971 zur Erhöhung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A
Verordnung ({33}) Nr. 1642/71 des Rates vom 26. Juli 1971 zur teilweisen Aussetzung des autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Süßorangen, frisch, der Tarifstelle ex 08.02 A I a) für die Zeit vom 1. Juni bis 30. September
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung ({34}) des Rates zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Milch und Mildierzeugnisse
Verordnung ({35}) des Rates über die im Falle von Versorgungsschwierigkeiten auf dem Sektor Milch und Milcherzeugnisse anzuwendenden Grundregeln
- Drucksache VI/2605 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({36}) Nr. 1171/71 durch eine zusätzliche Befreiung von der Verpflichtung, die Nebenerzeugnisse der Weinbereitung zu destillieren
- Drucksache V1/2606 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung ({37}) des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung ({38}) Nr. 109/70 des Rates vom 19. 12. 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren
- Drucksache VI/2607 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung ({39}) Nr. 1078/71 des Rates vom 25. Mai 1971 zur Einführung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung und Eröffnung eines mengenmäßigen Ausfuhrkontingents der Gemeinschaft für bestimmte Bearbeitungsabfälle und Aschen von NE-Metallen ({40})
- Drucksache VI/2608 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Tilgung gewisser Waren in der Anlage zur Verordnung ({41}) Nr. 2603/69 des Rates vom 20. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung
- Drucksache VI/2609 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Grundregeln für die Qualität und Vermarktung von Konsummilch
- Drucksache VI/2610 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Gründung von gemeinsamen Unternehmen im Geltungsbereich des EWG-Vertrages
- Drucksache VI/2611 überwiesen an den Rechtsauschuß ({42}), Ausschuß für
Wirtschaft und Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Memorandum der Kommission über eine gemeinschaftliche Politik der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe
- Drucksache VI/2623 überwiesen an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({43}) und Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Jahresbericht über die Wirtschaftslage der Gemeinschaft Drucksache VI/2632 überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft ({44}) und Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung ins Rat
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr
- Drucksache VI/2660 überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dein Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Einundvierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksache VI/2648 -überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der Sitzung des Plenums am 19. 1. 1972
Als ersten Punkt rufe ich Punkt 2 der gedruckten Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts ({45})
- Drucksache VI/2577
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz, Herr Bundesminister Jahn.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 haben wir festgestellt:
Im Zivilrecht ist die Reform des Eherechts dringend. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage der Empfehlungen der eingesetzten Kommission im kommenden Jahr eine Reformnovelle vorlegen. Weltanschauliche MeinungsBundesminister Jahn
verschiedenheiten dürfen uns nicht daran hindern, eine Lösung zu finden, um die Not der in heillos zerrütteten Ehen lebenden Menschen zu beseitigen. Dabei muß verhindert werden, daß im Falle der Scheidung Frau und Kinder die sozial Leidtragenden sind.
Der besondere Schutz der staatlichen Ordnung, unter den Art. 6 des Grundgesetzes Ehe und Familie stellt, kann sich nicht darin erschöpfen, mit Hilfe des Rechts Zustände festzuschreiben, die in der tatsächlichen Entwicklung längst überholt sind. Was als Schutz gemeint ist, verwandelt sich dabei allzu leicht in Zwang, vor allem wenn die Auswirkungen auf andere Bereiche nicht bedacht werden. Ich erinnere an die Änderung des § 48 des Ehegesetzes, die unter einer anderen Regierung betrieben wurde. Die Beweggründe dazu mögen ehrenhaft gewesen sein, in der Folge hat sich aber herausgestellt, daß gerade diese Änderung großes Leid über viele Menschen gebracht hat.
Wer Reformen in Angriff nimmt, benötigt dazu Distanz, Distanz von Dingen, aber auch von überkommenen Vorstellungen, die durch die Menschen nicht mehr gelebt werden, von denen und für die diese Vorstellungen einmal entwickelt worden sind. Die freiheitliche Grundordnung unserer Verfassung stellt das Selbstbestimmungs- und Selbstverwirklichungsrecht des Menschen in den Vordergrund. Sie spricht sich deshalb gegen erzwungene oder künstlich aufrechterhaltene Bindungen und Abhängigkeiten aus. Dies gilt auch für den Bereich von Ehe und Familie, die ihren Sinn und ihre Aufgabe als kleinste und gleichzeitig engste menschliche Gemeinschaft nur erfüllen können, wenn sie unter dem Grundsatz von Freiwilligkeit, Gleichberechtigung und gegenseitiger Verantwortung stehen. Die Bundesregierung der sozial-liberalen Koalition fühlt sich daher verpflichtet, für den gesamten Komplex von Ehe und Familie die notwendigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen.
Im Sommer des vergangenen Jahres habe ich die Vorschläge des Bundesministeriums der Justiz für die Neuordnung dieses bedeutsamen Rechtsgebietes zur öffentlichen Diskussion gestellt. Namens der Bundesregierung lege ich jetzt den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vor. Damit wird eine Forderung erfüllt, die von vielen Seiten, nicht zuletzt von diesem Hohen Haus, seit vielen Jahren erhoben worden ist.
Die Überschrift des Entwurfes macht deutlich, daß er nicht nur das Recht der Ehescheidung neu regeln will. Eine solche Beschränkung hält die Bundesregierung für unzureichend. Wer neue Maßstäbe für das Recht der Ehescheidung gewinnen will, muß auch die Frage stellen, welche Maßstäbe unsere Zeit für das Recht der Familie, vor allem aber auch für die Rechtsstellung der Frau verlangt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Verständnis von Ehe und Familie weiterentwickelt. Die Stellung der Frau in Ehe und Gesellschaft hat sich grundlegend verändert. Aufgaben und Grenzen der staatlichen Gesetzgebung werden unter dem Grundgesetz anders gesehen als früher. Die Fragen, die sich daraus ergeben, erfordern eine umfassende Antwort. Der
Entwurf ist ein erster Schritt, dem weitere folgen werden.
Die Forderung nach einer Reform des Eherechts hat ihre Wurzel darin, daß die geltenden Regelungen überaltert, daß sie fragwürdig geworden sind. Sie werden den heutigen Verhältnissen nicht mehr gerecht und sind deshalb völlig unbefriedigend.
Die Rechtsbeziehungen der Ehegatten untereinander sind nach dem patriarchalischen Ehebild des vergangenen Jahrhunderts geordnet. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die allgemeinen Ehewirkungen entsprechen nicht mehr dem heutigen Verständnis der Partnerschaft zwischen Mann und Frau in der Ehe. Diese Partnerschaft wird, insbesondere unter den jüngeren Eheleuten, heute bereits weithin gelebt. Es ist deshalb ein Anachronismus, wenn das Bürgerliche Gesetzbuch die Frau auf die Führung des Haushalts verweist und ihr eine Erwerbstätigkeit nur insoweit zubilligt, als neben der Haushaltsführung hierfür noch Raum ist. Warum soll, zumal wenn keine Kinder zu betreuen sind, die Frau nicht in eben demselben Maße berufstätig sein dürfen wie der Mann? Warum sollen sie sich nicht gleichmäßig in die Führung des Haushalts teilen? Warum sollen die Eheleute nicht den Namen der Frau als gemeinsamen Ehenamen wählen können, wenn sie dies wünschen?
Unser Recht hat hier - vielleicht tatsächlich, weil es von Männern geschaffen und von Männern angewandt wurde und größtenteils noch wird - Schritte nicht nachvollzogen, die aus dem Grundsatz der Menschenwürde heraus selbstverständlich sein sollten. Der politische Kampf um die Befreiung der Frau wäre nicht erforderlich gewesen, wenn frühere Generationen bereits von dieser Partnerschaft und der unumgänglich damit verbundenen Gleichberechtigung ausgegangen wären.
({0})
So müssen wir uns heute bemühen, aus den Veränderungen in der Stellung der Frau und damit auch ihrem Selbstverständnis, die neben diesem Recht und an ihm vorbei stattgefunden haben, die Konsequenzen zu ziehen. Es ist für uns alle beschämend, daß im Grunde dafür zwei Weltkriege erforderlich waren, die die Frauen zwangen, wie man so schön sagt, „ihren Mann zu stehen". Schon dieses Bild zeigt die Überheblichkeit unserer Gesellschaft, die auch im Recht ihren Ausdruck findet. Die Frau hat zwar Eingang in alle Berufe gefunden - eine Entwicklung, die kontinuierlich fortgeschritten ist. Auch mag ihre Beteiligung in allen Erwerbszweigen als etwas Natürliches empfunden werden. Rechtlich ist sie aber weitgehend noch benachteiligt, sobald sie eine Ehe eingegangen ist. Dabei ist auch ihre Aufgabe in der Familie nicht mehr dieselbe wie früher. Aus der Gehilfin des Mannes ist sie zur gleichberechtigten Partnerin geworden. Ich behaupte nicht, daß dies für alle Frauen bereits heute zutrifft, wohl aber - vor allem in der jüngeren Generation - zu einem großen Teil. Wer sich diesen Tatsachen verschließt und nicht bereit ist, daraus auch die gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen, setzt sich dem Verdacht aus, mit Hilfe des Rechts eine ihm unan8092
genehme Entwicklung wieder rückgängig machen zu wollen.
Von den 15 bis 20 Jahre alten ledigen Frauen und Mädchen waren nach dem Mikrozensus 1968 61,2 % erwerbstätig - Männer insgesamt 62,2 % -, von den verheirateten Frauen dieser Altersgruppe 54,8 %. Bei den ledigen Frauen zwischen 20 und 50 Jahren schwankt die Erwerbsquote je nach Lebensalter zwischen 85,7 und 91,3 %, bei den verheirateten Frauen zwischen 36,8 und 51,8 %. Seit dem Jahre 1950 ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen ständig gestiegen. 1950 waren es 7,8 Millionen, 1962 waren es fast 2 Millionen mehr, also rund 9,8 Millionen. Der Anstieg der Erwerbstätigkeit gilt auch für die Elterngeneration. In der Bundesrepublik leben etwa 10,3 Millionen Frauen im Alter zwischen 40 und 65 Jahren. Von ihnen die jüngere Generation mit ihren verbesserten Bildungs- und Berufschancen ist also nicht berücksichtigt - waren 89,6 %, d. h. 9,3 Millionen in ihrem Leben irgendwann einmal berufstätig.
In diesen nüchternen Zahlen zeigt sich der große Wandel in der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Der Gesetzgeber kann und darf an dieser Entwicklung nicht vorübergehen. Er muß aber auch den Mut haben, diese Erkenntnis in den Bereich hineinzutragen, der beim Scheitern einer Gemeinschaft der rechtlichen Gestaltung bedarf. Der besondere Schutz der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie bedeutet nämlich nicht, daß aus der freiwillig eingegangenen Bindung mit der Abgabe des Eheversprechens eine Gemeinschaft wird, die unabhängig vom Willen der Partner und von den tatsächlichen Verhältnissen durch Gesetz zu Bestand gezwungen werden kann und muß.
Das geltende Scheidungsrecht ist einseitig am Verschuldensprinzip ausgerichtet, das eine Scheidung in aller Regel nur erlaubt, wenn ein Verschulden eines oder beider Ehegatten festgestellt wird. Schuld kann im Scheidungsrecht anders als z. B. im Vertragsrecht - nur ein menschlich, und zwar dem Ehegatten persönlich vorwerfbares Verhalten bedeuten. Ein anderer Schuldbegriff kann hier, wo es um die engsten Beziehungen zweier Menschen zueinander geht, nicht in Betracht kommen. Und ganz gewiß liegt in den meisten Fällen, in denen eine Ehe scheitert, ein derartiges schuldhaftes Verhalten eines oder beider Ehegatten vor. Doch wer vermag sicher festzustellen, wo in den vielfältigen menschlichen Wechselbeziehungen zwischen zwei Eheleuten letztlich Schuld liegt, so sicher feststellbare Schuld, daß darauf eine Rechtsentscheidung gegründet werden kann? Wir sind deshalb so ehrlich, heute zuzugeben, daß in der Regel der Richter hier überfordert ist.
Hinzu kommt, daß die Schuldfeststellung manipulierbar ist; darin liegt der am schwersten wiegende Vorwurf gegen dieses Prinzip. Durch geschicktes Verhalten und Taktieren kann die gerichtliche Schuldfeststellung wesentlich beeinflußt werden. Da von der Schuldfeststellung der Anspruch auf Unterhalt für den Ehegatten, der sich nicht selbst versorgen kann, und weitgehend auch die Verteilung des Sorgerechts über die Kinder abhängt, beginnt bei streitigen Scheidungen unter den Ehegatten ein entwürdigendes Feilschen um Schuld und Mitschuld, das im Extremfall in Strafanzeigen wegen Meineids oder wegen bisher verschwiegener anderer Straftaten enden kann.
Sind die Ehegatten einig, daß eine Scheidung unvermeidlich ist, zwingt sie das geltende Schuldprinzip dazu, entgegen der Wahrheit angeblich schuldhaftes Verhalten zu behaupten, um ein Urteil zu erlangen. Der Richter wird in die unwürdige Rolle gedrängt, ein Urteil zu fällen, von dem er häufig weiß oder doch ahnt, daß seine Grundlagen gefälscht sind.
Schließlich läßt das geltende Recht die Scheidung zerrütteter Ehen nicht zu, wenn der minder- oder nichtschuldige Teil der Scheidung widerspricht. An diesem Widerspruchsrecht des nicht- oder minderschuldigen Ehegatten hat sich die Diskussion besonders entzündet. Gerichtsurteile, in denen die Scheidung trotz sieben-, elf- oder gar 23jähriger Trennung der Eheleute abgelehnt worden war, haben berechtigte Kritik erfahren.
Ein weiterer Grund spricht gegen das Verschuldensprinzip. Da es auch für das Unterhaltsrecht wirkt, Anspruch auf Unterhalt also davon abhängt, ob der betroffene Ehegatte schuldlos geschieden wird, sind seine Folgen oft sozial ungerecht. Ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage, ohne Rücksicht auch auf seine wirtschaftlichen Leistungen für die Ehe und in der Ehe läuft der schuldig geschiedene Ehegatte Gefahr, nach der Scheidung völlig mittellos zu bleiben. Ein einmaliger Fehltritt, also Schuld im Sinne des geltenden Rechts, kann dazu führen, daß eine ganze Lebensleistung verwirkt wird. Das ist nicht nur ungerecht, das Ergebnis ist unsozial und wirkt sich besonders zum Nachteil der Frauen aus.
-Der vorliegende Gesetzentwurf will die aufgezeigten Unzuträglichkeiten des geltenden Rechts beseitigen. Seine Ziele sind, mehr Gleichberechtigung in der Ehe zu schaffen, das Scheidungsrecht ehrlicher, objektiver und damit auch menschlicher zu gestalten, die Ungerechtigkeiten des geltenden Scheidungsfolgenrechts zu beseitigen und dem wirtschaftlich schwächeren Ehegatten, also in der Regel der Frau, mehr soziale Sicherheit zu geben, die Nachteile, die sich für die Alterssicherung - vor allem für Frauen - nach einer Ehescheidung ergeben, zu überwinden.
Die vorgeschlagenen Lösungen gründen sich zum großen Teil auf die Vorarbeiten der Eherechtskommission, die nach einem einstimmigen Beschluß dieses Hauses vom 8. November 1967 Anfang 1968 der damalige Bundesminister der Justiz, Dr. Heinemann, berufen hatte. Den Mitgliedern dieser Kommission, vor allem dem Vorsitzenden, Herrn Ministerialdirektor Dr. Rebmann aus Stuttgart, danke ich namens der Bundesregierung auch von dieser Stelle aus für ihre gründliche und sachliche Arbeit. Ohne ihre sorgfältige und zügige Vorarbeit wäre es kaum möglich gewesen, den vorliegenden Entwurf zu erarbeiten.
Seite 1968, als die Kommission gebildet wurde, hat sich ein erfreulicher allgemeiner Meinungswandel vollzogen. Damals waren nicht wenige zweiBundesminister Jahn
feinde Stimmen zu hören, die die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des Ehe- und Scheidungsrechts in Frage stellten und unsere waltanschaulich heterogene Gesellschaft zur Neuregelung eines so bedeutsamen Gebietes schlichtweg für unfähig hielten. Heute ist es allgemeine Überzeugung, daß eine baldige Reform notwendig ist.
Die Skeptiker haben auch insofern nicht recht behalten, als sie die gesetzgeberischen Aussichten für eine grundlegende Reform des Eherechts in unseren Tagen in Zweifel zogen. Denn auch was die sachliche Ausgestaltung des neuen Rechts betrifft, gibt es in wesentlichen Fragen eine allgemeine Übereinstimmung bei den Vertretern der verschiedensten Auffassungen. So wird heute z. B. von keiner Seite mehr ernsthaft in Frage gestellt, daß der Übergang vom Verschuldensprinzip zum Zerrüttungsprinzip notwendig ist, daß der Unterhalt nach der Scheidung im Grundsatz allein an wirtschaftlichen Erwägungen ausgerichtet sein sollte und daß der geschiedenen Frau gerechterweise ein Teil der in der Ehe vom Mann erworbenen Versorgungsanrechte gebührt.
Die weitreichende Übereinstimmung in den wesentlichen Fragen drückt auch die Stellungnahme des Bundesrates aus, in der darüber hinaus eine Reihe von Änderungsvorschlägen und Empfehlungen enthalten sind, die den Entwurf anreichern und verfeinern und die, soweit sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ihnen nicht bereits angeschlossen hat, weiter sorgfältig geprüft werden.
Wenn ich heute eine Zwischenbilanz der öffentlichen Diskussion ziehe, die von mir mit dem „Diskussionsentwuf" eines neuen Ehe- und Scheidungsrechts im Juli des vergangenen Jahres in die Wege geleitet worden ist, so muß ich noch ein weiteres erwähnen. Im Diskussionsentwurf waren - auf der Grundlage der Vorschläge der Eherechtskommission - meine und die Vorstellungen meiner Mitarbeiter von einem modernen Ehe- und Scheidungsrecht wiedergegeben. Die Regierungsvorlage enthält gegenüber dem Diskussionsentwurf Änderungen, die sich im Laufe des Dialogs mit Vertretern anderer Auffassungen als zweckmäßig erwiesen haben. Ich habe seinerzeit öffentlich erklärt, daß ich mich sachgerechten Wünschen nicht verschließen werde. Hätte ich nicht von vorneherein die Bereitschaft zu solchen Änderungen gehabt, so wäre ein solcher Entwurf von mir gar nicht herausgegeben worden. Ein Scheingespräch, das in Wahrheit nur einen Dialog vortäuscht, ohne ihn wirklich zu wollen, wäre weder der Mündigkeit unserer Bürger würdig noch der Bedeutung des Gegenstandes angemessen gewesen. Hier ging es allein um die Sache, und heute kann ich mit einer gewissen Genugtuung -- feststellen, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagene Reform des Ehe- und Ehescheidungsrechts in ihren wesentlichen Grundzügen wohl auf die breite Zustimmung rechnen kann, die mir für ein derartiges Reformwerk wünschenswert erscheint. Möglich war das nur durch einen offenen Dialog mit allen Gesprächspartnern und im Abwägen der widerstreitenden Interessen. Ich danke allen, die sich, sei es schriftlich, sei es mündlich, daran beteiligt und mitgeholfen haben, ein ausgewogenes Reformwerk zu schaffen.
Bei der öffentlichen Erörterung der Neuordnung des Eherechts sind allerdings - ich bedaure das - immer wieder zwei grundlegende Mißverständnisse zutage getreten, die ich hier nochmals mit aller Deutlichkeit klarstellen will: Auch das neue Recht geht von dem Grundsatz aus, daß die Ehe auf Lebenszeit angelegt ist. Es ist zu keiner Zeit daran gedacht worden, ihn zu ändern. Das entspricht dem Grundgesetz, das die Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordung stellt.
Der Entwurf zielt auch nicht darauf ab, die Ehescheidung zu erleichtern. Er verlagert nur - auch hier wieder im Sinne der Gleichberechtigung und Gleichverantwortung der Partner das Gewicht von der Aufrechterhaltung der Institution Ehe ohne Rücksicht auf die Menschen, die diese Institution leben müssen, auf den Gesamtbereich, der jedes Mal in Frage steht. Unser bisheriges Recht hat es sich auch da zu leicht und den Ehepartnern an der falschen Stelle zu schwer gemacht. Der Entwurf versucht, diese Verschiebung zurechtzurücken und nur das - aber dann auch konsequent und durchgreifend - rechtlich zu regeln, was den Gesetzgeber in einer derart differenzierten Gemeinschaft, die letztlich auf dem Willen zweier Menschen beruht, zugänglich ist.
Der Entwurf muß als Ganzes bewertet werden. Notwendige Klärungen und Vereinfachungen im Scheidungsrecht stehen umfangreiche Änderungen im Scheidungsfolgenrecht, insbesondere in der Neuregelung des Unterhalts, gegenüber. Die Lasten einer Ehescheidung werden künftig gerechter verteilt werden. Das bedeutet aber, daß die wirtschaftlichen Folgen sorgfältiger bedacht werden müssen, als es bisher leider geschehen ist. Der verstärkte Schutz des wirtschaftlich und sozial schwächeren Ehegatten - in der Regel wird das die Frau sein - wird sich häufig als heilsamer Riegel gegen voreilige Trennungsabsichten erweisen.
Gerade die neuartige und bessere Verteilung der gemeinsamen Verantwortung der Ehegatten für die Ehe und ihre wirtschaftlichen Folgen sollen auch ein Beitrag dazu sein, daß Männer und Frauen sich rechtzeitig und sorgfältig der Bedeutung der Ehe bewußt werden. Das heißt aber auch, daß es keine einseitigen Vor- oder Nachteile für Männer oder Frauen geben kann.
Der Gesetzentwurf, der das Eherecht wieder in den Zusammenhang des Familienrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches einfügen soll, hat vier Schwerpunkte:
1. das neue Recht der persönlichen Ehewirkungen,
2. das neue Scheidungsrecht, das die Voraussetzungen für die Ehescheidung festlegt, d. h. die Umstände, unter denen eine Ehe geschieden werden kann,
3. die Neuregelung der Scheidungsfolgen, insbesondere also die Frage, wann und wie lange ein Ehegatte dem anderen nach der Scheidung Unterhalt zu gewähren hat,
14. den neuartigen Versorgungsausgleich, der die Altersversorgung auf neue Grundlagen stellen soll.
Die geltenden Bestimmungen des BGB über die Ehewirkungen entsprechen nicht mehr dem gewandelten Selbstverständnis der Frau. Sie stimmen nicht mehr mit der sozialen Wirklichkeit überein und auch nicht mehr mit dem heutigen Verständnis vom Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie legen ein Leitbild der Ehe fest, das einseitig der Frau die Aufgabe der Führung des Haushalts auferlegt und sie dem Manne nachordnet. Das gilt insbesondere für § 1356 BGB, wonach die Frau nur insoweit erwerbstätig sein darf, als dies mit der Führung des Haushalts und den sonstigen Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist; das gilt aber auch für § 1355 BGB, wonach die Frau durch die Eheschließung immer den Namen des Mannes erwirbt. Die Bevormundung der Eheleute durch den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung ihres ehelichen Lebens ist nicht gerechtfertigt. Die Eheleute sollen ihr gemeinsames Leben frei gestalten können. Der Entwurf gibt den Eheleuten diese freie Gestaltungsmöglichkeit. Er stellt kein gesetzliches Leitbild der Ehe mehr auf, das, falls es Unstimmigkeiten unter den Eheleuten gibt, für alle verbindlich sein soll, und er gibt den Eheleuten die Möglichkeit, zwischen dem Namen des Mannes, der Frau oder einem Doppelnamen zu wählen.
Oft wird eingewandt, es handle sich doch nur um eine kleine Minderheit, die sich an den geltenden Regeln über die Ausgestaltung der Ehe und über I den Ehenamen stoße. Warum ihretwegen das Gesetz ändern? In dieser Argumentation steckt ein Mangel an Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden. Wer die traditionelle Aufgabenverteilung in der Ehe und den Mannesnamen bevorzugt, dem ist unbenommen, dies auch künftig zu tun. Die Führung des Haushalts durch die Frau wird in vielen Fällen, insbesondere wenn Kinder zu betreuen sind, die zweckmäßigste Eheform sein. Der Gesetzentwurf hindert die Eheleute nicht, sich so zu entscheiden. Er will andererseits auch nicht, und zwar weder unmittelbar noch mittelbar, die Eheleute zur sogenannten Berufstätigenehe drängen. Ihre Entscheidung muß frei sein, aber nach beiden Seiten. Ich sehe weder eine Rechtfertigung noch einen gesetzgeberischen Grund dafür, z. B. der kinderlosen Frau, die im selben Umfang wie der Mann berufstätig sein möchte, diese Freiheit zu beschneiden und sie in erster Linie auf die Führung des Haushalts zu verweisen, wie es das geltende Recht tut. In unserem Staat haben die mündigen Bürger auch als Ehepartner einen Anspruch darauf, ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln. Der Gesetzgeber hat sie nicht zu gängeln, sondern er hat ihnen den Freiheitsraum zu gewährleisten, in dem sie ihre eigenen Entscheidungen treffen können.
Im Scheidungsrecht ersetzt der Entwurf das Verschuldensprinzip des geltenden Rechts durch das Zerrüttungsprinzip, das im geltenden Ehegesetz nur eine sehr unvollkommene Ausgestaltung gefunden hat und durch die Rechtsprechung gegenüber den Verschuldenstatbeständen fast völlig zurückgedrängt worden ist. Die Bundesregierung folgt damit gleichartigen Bestrebungen in zahlreichen Ländern. Die Abkehr vom Verschuldensprinzip vollzieht sich in einer Reihe von Staaten, in vielen ist das Zerrüttungsprinzip allein oder neben dem Verschuldensprinzip bereits Gesetz. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das neue Scheidungsrecht in Großbritannien und an die Reform in den Niederlanden, die am 1. 10. 1971 in Kraft getreten ist.
Künftig soll eine Ehe geschieden werden können, wenn sie gescheitert ist. Maßgebend ist also die objektive Ehezerrüttung. Der neue Ausdruck „Scheitern" soll dies deutlich machen. Der bisher gebräuchliche Begriff der „Zerrüttung" ist zu eng mit der Vorstellung verknüpft, daß ein Ehegatte oder beide durch ehewidrige Handlungen ihre Ehe zerstört haben. Scheitern dagegen beinhaltet auch die Fälle, in denen das Mißlingen der Ehe durch einen schicksalhaften Geschehensablauf oder durch Unvereinbarkeit der Charaktere herbeigeführt worden ist. Das Gesetz gibt eine Begriffsbestimmung des Scheiterns: eine Ehe ist dann gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen.
Mit einer solchen Regelung ist zwar die Suche nach dem Schuldigen ausgeschlossen, würde den Antragsteller aber nicht davon freistellen, im einzelnen darzulegen, warum ein Zurückfinden der Eheleute in die Ehe unmöglich ist. Dies den Eheleuten nach Möglichkeit zu ersparen, ist jedoch ein wesentliches Anliegen der Reform. Der Entwurf sieht deshalb zwei gesetzliche Tatbestände vor, in denen das Scheitern der Ehe vermutet wird, und zwar nach einjähriger Trennung der Eheleute, wenn beide Ehegatten die Scheidung wünschen, nach dreijähriger Trennung der Eheleute, wenn ein Ehegatte die Scheidung beantragt.
Es braucht dem Scheidungsrichter also nur vorgetragen und im Zweifelsfall nachgewiesen zu werden, daß die Trennung ein bzw. drei Jahre gedauert hat; alsdann tritt die gesetzliche Vermutung ein. Die Vermutung ist nicht widerlegbar, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragen; sie ist widerlegbar, wenn nur ein Ehegatte die Scheidung begehrt. Gewichtige Gründe sprechen für eine solche differenzierte Regelung. Würde man auch im Falle des einseitigen Scheidungsbegehrens eine nicht widerlegbare Vermutung vorsehen, dann hätte der andere Ehegatte keine Möglichkeit vorzutragen, was für die Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft sprechen kann. Sicherlich entspricht nach drei Jahren Trennung die Vermutung, daß die Ehe als gescheitert anzusehen ist, den tatsächlichen Gegebenheiten. Dennoch wäre es ungerecht, dem Ehegatten, der an der Ehe glaubt festhalten zu sollen, die Möglichkeit zu verwehren, darzulegen, weshalb die Ehe trotz der langen Trennung nach seiner Auffassung noch nicht gescheitert ist. Deshalb sollte der Richter auch in den wenigen Fällen, in denen Zweifel am Scheitern der Ehe bestehen können, in der Lage sein, diese Frage unter bestimmten Voraussetzungen zu prüfen. Der Ehegatte, der an der Ehe festhalten möchte, soll deshalb nach dem Entwurf TatBundesminister Jahn
sachen vortragen können, die für die Wiederherstellung der Ehe sprechen. Es handelt sich also nicht um ein Widerspruchsrecht wie in § 48 Abs. 2 des geltenden Ehegesetzes, sondern um einen eng begrenzten Tatsachenvortrag des Antragsgegners. Der Gegenbeweis, daß die Ehe noch heilbar ist, wird nur in seltenen Fällen möglich sein, nur in wenigen Fällen werden überhaupt Tatsachen vorgetragen werden können, aus denen noch Heilungsaussichten für die Ehe abgelesen werden können, wenn ein Ehegatte nach dreijähriger Trennung ernsthaft geschieden sein will. Aber das Gespräch hierüber mit dem Richter muß möglich sein.
An diesem Punkt hat sich der Nutzen der öffentlichen Diskussion gezeigt. In meinem Diskussionsentwurf war die Vermutung des Scheiterns nach dreijähriger Trennung noch unwiderlegbar. Doch habe ich mich davon überzeugen lassen, daß es gewichtige Einwände dagegen gibt. Das ist kritisiert worden. Man hat gesagt, daß der Regierungsentwurf ein wesentliches Ziel der Reform aufgegeben habe. Diese Behauptung geht an der Sache vorbei. Die Vorschrift wird wegen ihrer Beschränkung auf den Vortrag von Tatsachen nur selten zum Zuge kommen; wo aber eheerhaltende Tatsachen vorgetragen werden können, soll der Richter sie abwägen. Daß hier, gleichsam durch die Hintertür, wieder alles Unerfreuliche in den Prozeß eingeführt werden könnte, was künftig gerade vermieden werden sollte, steht - und darin wird mir jeder Praktiker zustimmen -nicht zu erwarten. Ich halte es im übrigen für ein Mißverständnis, wenn man meint, der Gesetzgeber habe vor allem lückenlose juristische Denksysteme zu entwickeln. Seine Vorschläge müssen auch das Maß menschlicher Einsicht wiedergeben, das dem Bürger die Rechtsordnung verständlich und annehmbar macht.
Andererseits erscheint es der Bundesregierung aber nicht berechtigt, die Nachprüfung, ob die Ehe gescheitert ist, auch dann zuzulassen, wenn beide Ehegatten nach einjähriger Trennung geschieden sein möchten. Für diese Möglichkeit hat sich der Bundesrat ausgesprochen. Die Bundesregierung ist dagegen der Auffassung, daß der Richter nicht in der Lage ist, den Grad des Auseinanderlebens der Eheleute zutreffender zu beurteilen als diese selbst, wenn sie nach reiflicher Überlegung - sie leben ja bereits seit einem Jahr getrennt - in der Einschätzung ihrer Situation übereinstimmen. Der Richter wäre überfordert, von Amts wegen Umstände ermitteln zu müssen, aus denen sich die Heilbarkeit der Ehe entgegen der Vorstellung beider Ehegatten herleiten läßt.
In der öffentlichen Diskussion war auch die sogenannte Härteklausel heftig umstritten.
Nach dem neuen § 1568 BGB soll eine Ehe, auch wenn sie gescheitert ist, nicht geschieden werden, wenn der Ehegatte, der nicht geschieden sein will, außergewöhnliche Umstände vorbringt, nach denen die Scheidung für ihn eine so schwere Härte bedeuten würde, daß die Aufrechterhaltung der Ehe geboten erscheint; hierbei sind auch die Belange des Ehegatten, der den Scheidungsantrag gestellt hat, zu berücksichtigen. Unter „schwerer Härte" im Sinne dieser Vorschrift sind außergewöhnliche I seelische oder andere persönliche Belastungen zu verstehen, nicht jedoch wirtschaftliche Folgen, die mit der Scheidung zusammenhängen; denn die möglichen Härten dieser Art werden durch das neue Scheidungsfolgenrecht ausgeglichen. Es sind aber Fälle denkbar, in denen die Scheidung eine seelische oder andere persönliche Härte für einen Ehegatten bedeuten kann. Sie finden, meine Damen und Herren, dafür einige Beispiele in der Begründung des Gesetzentwurfs. Ich beschränke mich hier auf die Bemerkung, daß wir bei der Vielgestaltigkeit des menschlichen Lebens nie voraussehen können, ob die Scheidung trotz des endgültigen Zerbrechens der Ehe bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechterweise nicht doch versagt werden sollte.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick über unsere Grenzen hinaus. In den Rechten aller Staaten, die das Zerrüttungsprinzip kennen, ist eine Härteklausel vorgesehen. Es gibt nur eine Ausnahme, und zwar Kalifornien.
An der Härteklausel des Regierungsentwurfs ist kritisiert worden, daß sie keine zeitliche Begrenzung enthält und daher die Aufrechterhaltung einer zerbrochenen Ehe bis an das Lebensende eines der Ehegatten ermögliche. Das ist eine zu formalistische Auslegung. Wenn keine Frist gesetzt ist, dann bedeutet dies keineswegs, daß die Ehescheidung zeitlebens ausgeschlossen sein soll. Viele Härten werden im Laufe der Zeit ihre Bedeutung für denjenigen, der sie ertragen muß, verlieren. Wenn diese Veränderung eingetreten ist, kann ein neuer Scheidungsantrag mit Aussicht auf Erfolg gestellt werden. Die unbefristete Härteklausel ermöglicht es dem Richter, in jedem Falle eine gerechte Lösung zu finden.
Auf die Neuregelung des Unterhaltsrechts nach der Scheidung haben wir besondere Sorgfalt verwandt. Hier geht es darum, dem wirtschaftlich schwächeren Ehegatten mehr Sicherheit zu geben, ihm mehr soziale Gerechtigkeit zu gewähren, als dies nach dem geltenden Recht geschieht. Die Wurzel der Unzuträglichkeiten des geltenden Unterhaltsrechts liegt darin, daß die Unterhaltspflicht an das Verschulden am ehelichen Zerwürfnis, so wie es sich dem Richter darstellt, gekoppelt ist. Außerdem ist das geltende Recht lückenhaft und schafft beim Auseinandergehen der Eheleute nicht den wirtschaftlichen Ausgleich, der beiden gerechterweise gebührt. Der Entwurf will hier Abhilfe schaffen, indem er das Unterhaltsrecht auf rein wirtschaftliche Erwägungen abstellt, nach der Schuld am Scheitern der Ehe also nicht mehr fragt, und einen Katalog von Unterhaltstatbeständen aufstellt, der alle denkbaren Fälle berücksichtigt.
Von verschiedenen Seiten ist vorgeschlagen worden, im Bereich des Unterhaltsrechts am Verschuldensgrundsatz festzuhalten. Dem können wir nicht folgen. Wer für eine solche Lösung eintritt, gibt zu erkennen, daß er das Zerrüttungsprinzip im Grunde genommen ablehnt. Denn gerade in diesem Bereich führt das Verschuldensprinzip noch mehr als bei den Scheidungsvoraussetzungen zu ungerechten Er8096
gebnissen. Was wir wollen ist die Beseitigung von wirtschaftlichen „Scheidungsstrafen", deren Berechtigung aus einem Fehlverhalten hergeleitet wird, das einem ganz anderen Lebensbereich entstammt, nämlich dem der persönlichen, der rein menschlichen Beziehungen zweier Menschen. Wenn zwei Eheleute 10 oder 20 Jahre hindurch mit der Ehe zugleich auch eine Wirtschaftsgemeinschaft gebildet haben, so kann der Gesetzgeber diese Tatsache nicht einfach beiseite lassen und dem wirtschaftlich abhängigen Ehegatten, der die ganze Zeit über den Haushalt und die Kinder versorgt und damit für die Familie eine Leistung erbracht hat, wegen eines Fehlverhaltens im menschlichen Bereich die Existenzmittel im wirtschaftlichen Bereich entziehen.
Der Entwurf folgt dem Grundsatz, daß nach dem Scheitern der Ehe der wirtschaftlich Stärkere für den wirtschaftlich Schwächeren einzustehen hat. Die Unterhaltsverpflichtung ist nur danach zu beurteilen, wieweit die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ehegatten voneinander fortgeschritten ist und ob und in welchem Umfang der unterhaltsbedürftige Ehegatte seinerseits aktiven Anteil an der Wirtschaftsgemeinschaft genommen hat.
Die Unterhaltsverpflichtung ist also von der Scheidungsschuld unabhängig. Sie kann sich aber ermäßigen oder ganz wegfallen, wenn die Ehe von kurzer Dauer war und deshalb eine wirtschaftliche Gemeinschaft noch gar nicht entstehen konnte oder wenn der Berechtigte während der Ehe längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, verletzt hat. Dies sind zwei Tatbestände, die rein wirtschaftliche Motive zur Grundlage haben,
d. h. demselben Lebenssektor entstammen wie der Unterhaltsanspruch selbst.
Die Verantwortung der Ehegatten füreinander soll so lange fortwirken, als die ehebedingte wirtschaftliche Abhängigkeit andauert. Das Ziel der Unterhaltsregelung muß es sein, diese Abhängigkeit stufenweise abzubauen und auf eine Verselbständigung des Unterhaltsberechtigten hinzuwirken. Unterhalt soll nach Möglichkeit Hilfe zur Selbsthilfe sein, Hilfe dafür, wieder eine eigenständige wirtschaftliche Existenz zurückzugewinnen. Das ist dem wirtschaftlich abhängigen Ehegatten nicht immer möglich; sein Versuch, wirtschaftlich wieder auf eigenen Füßen zu stehen, kann auch mißlingen. In diesen Fällen hat er nach dem Gesetz einen Unterhaltsanspruch, und zwar in einer Höhe, daß der in der Ehe erreichte soziale Status erhalten bleibt.
Über diese Frage sind in der Öffentlichkeit die abwegigsten Gerüchte in Umlauf gesetzt worden. Ich betone an dieser Stelle deshalb nochmals, das Leitmotiv des neuen Unterhaltsrecht heißt: „Mehr soziale Sicherheit und Gerechtigkeit" ; keine Frau wird gezwungen, unzumutbare persönliche Opfer hinzunehmen, um den Mann nach der Scheidung zu entlasten. Der Entwurf ist kein „Männergesetz" ; ein Unterhaltsanspruch der Frau besteht immer dann, solange ihre wirtschaftliche Abhängigkeit andauert. Dieser Grundsatz hat im Gesetzentwurf folgende Ausgestaltung erfahren:
1. Ein Unterhaltsanspruch besteht, wenn der Berechtigte wegen der Erziehung oder Pflege eines Kindes, wegen seines Alters oder seines Gesundheitszustandes an einer Erwerbstätigkeit gehindert ist.
2. Neben diesen drei Grundtatbeständen steht der allgemeine Unterhaltsanspruch, der jedem in der Ehe nicht erwerbstätigen Ehegatten zukommt:
Jeder Ehegatte hat Anspruch auf Unterhalt, d. h. also insbesondere auch derjenige, der nicht durch Kindererziehung gehindert ist, bis er eine ihm angemessene Erwerbstätigkeit findet. „Angemessen" ist nach dem Entwurf eine Erwerbstätigkeit, die sowohl der Ausbildung, den Fähigkeiten und dem Lebensalter als auch den ehelichen Lebensverhältnissen entspricht. Dem unterhaltsberechtigten Ehegatten, der ja in aller Regel selbst aktiven Anteil an der Schaffung des ehelichen Lebensstandards hat, bleibt also der eheliche soziale Status erhalten. Wo diese Teilnahme fehlt, kann sich der Unterhalt nach Billigkeit verringern. Für die Höhe des Unterhaltsanspruchs sind aus demselben Grunde der Erhaltung des ehelichen Lebensstandards ebenfalls die ehelichen Lebensverhältnisse maßgebend. Bringt eine angemessene Erwerbstätigkeit den Unterhalt nicht in dieser vollen Höhe ein, so besteht ein Anspruch auf den Differenzbetrag. Dies ist nunmehr im Gesetz auch ausdrücklich gesagt.
Der allgemeine Unterhaltsanspruch, der jedem Ehegatten, bis er eine angemessene Tätigkeit gefunden hat, zusteht, dauert latent über diesen Zeitpunkt hinaus und lebt wieder auf, wenn die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mißlingen sollte. Damit sollen vor allem die Fälle erfaßt werden, in denen ein Ehegatte zunächst seinen Unterhalt nach der Scheidung durch eigene Erwerbstätigkeit verdienen konnte, wo sich aber nach einiger Zeit herausstellt, daß er seine Kräfte überschätzt hat.
Einen Unterhaltstatbestand muß ich noch besonders hervorheben, den es im geltenden Recht noch nicht gibt, der eine wesentliche Neuerung darstellt, und den ich kurz „Ausbildungsunterhalt" nenne: Hat die Frau in Erwartung oder während der Ehe eine Schul- oder Berufsausbildung nicht aufgenommen oder abgebrochen, so kann sie vom Ehemann Unterhalt verlangen, wenn der erfolgreiche Abschluß der Ausbildung zu erwarten ist. Dasselbe gilt für eine Fortbildung oder Umschulung, um Nachteile auszugleichen, die durch die Ehe entstanden sind. Diesen Anspruch hat es bisher nicht gegeben. Er besteht auch dann, wenn der Frau eine bestimmte Erwerbstätigkeit, die sie vor der Ehe einmal ausgeübt hat, ohne weiteres zugemutet werden könnte, sie sich nach geltendem Recht also selbst unterhalten müßte. Der Ausbildungsunterhalt beruht auf folgender Erwägung: Die Ausbildung wird regelmäßig in der Erwartung unterbrochen, daß die Ehe von Dauer sein und gut verlaufen werde. Es ist mit dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit nicht vereinbar, beim Scheitern der Ehe die versäumte Ausbildungschance eines Ehegatten gewissermaßen als einseitigen „verlorenen Zuschuß" abzubuchen. Für die Gestaltung ihres ehelichen Lebens tragen beide Ehegatten die Verantwortung, so daß es nur recht
und billig ist, dem wirtschaftlich Stärkeren die Verpflichtung aufzuerlegen, hier für einen Ausgleich zu sorgen.
Wie die Ehegatten nach der Scheidung ihre eigenen Wege gehen, so sollen sie auch, soweit wie möglich, in diesem Bereich selbständig werden. Das mag für die Frau, die in der Ehe den Haushalt versorgt hat, oft nicht leicht sein. Aber im Gesetz ist Vorsorge getroffen, daß ihr keine unzumutbaren Anstrengungen abverlangt werden. Der neue Leitgedanke vom Unterhalt als Starthilfe liegt im Interesse der Frau selbst.
Die soziale Sicherheit des geschiedenen Ehegatten soll schließlich dadurch erhöht werden, daß sein Unterhaltsanspruch grundsätzlich Vorrang vor dem etwaigen Anspruch eines neuen Ehegatten des Unterhaltsschuldners haben soll. Der geschiedene unterhaltsberechtigte Ehegatte braucht also nicht mehr wie nach dem geltenden Recht zu befürchten, daß sein Unterhaltsanspruch durch die Wiederheirat des Verpflichteten unzumutbar geschmälert wird. Die zweite Ehe des Verpflichteten wird durch den Vorrang des geschiedenen Ehegatten nicht unbillig getroffen, da die Sachlage bei der Wiederverheiratung des Verpflichteten bekannt ist und die Partner der neuen Ehe sich hierauf einstellen können. Der Verpflichtung gegenüber dem geschiedenen Ehegatten soll sich niemand durch die Eingehung einer neuen Verbindung entziehen können. Ich weiß, daß es auch gewichtige Gründe gegen diese Regelung gibt. Ich selbst habe in der Begründung des Regierungsentwurfs hieran keinen Zweifel gelassen. Die Interessenabwägung muß aber zur Regelung des Entwurfs führen, zumal wirtschaftliche Erwägungen kein Anwendungsfall der Härteklausel sein sollen.
Der vierte Schwerpunkt des Entwurfs will zu einer besseren Alterssicherung der Partner auch aus geschiedenen Ehen führen: durch den Versorgungsausgleich. Mit dieser Einrichtung werden völlig neue Wege beschritten; hierfür gibt es nirgends etwas Vergleichbares. Wenn wir den Auftrag des Grundgesetzes zur Verwirklichung des sozialen Rechtsstaates ernst nehmen, müssen wir jedoch auch in diesem Bereich Anstrengungen machen. Der Ausbau unserer Altersversorgung darf nicht vor der Ehe aufhören und dadurch wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehenlassen oder sogar erst schaffen, die wir an anderer Stelle beseitigen wollen.
Im gegenwärtigen System der sozialen Sicherung erwirbt der Ehegatte, der während der Ehe nicht oder nicht voll erwerbstätig ist, keine oder nur eine geringfügige eigenständige Alters- und Invaliditätssicherung. Das gilt insbesondere für die Ehefrau, die wegen der Führung des Haushalts und der Kindererziehung eine Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann. Ihre Sicherung besteht im wesentlichen in dem, was der Mann durch seine Tätigkeit für seine Person als Versorgungsanwartschaften aufbaut. Im Falle der Scheidung führt dies zu erheblichen Unbilligkeiten. Künftig sollen die geschiedenen Ehegatten deshalb an den von ihnen während der Ehe erworbenen Anrechten auf eine Versorgung wegen Alters oder Invalidität gleichmäßig beteiligt werden. Wer von den Ehegatten an Versorgungsanwartschaften in der Ehe mehr aufgebaut hat als der andere, hat ihm von dem überschießenden Betrag die Hälfte abzugeben.
Dem liegt der Gedanke des güterrechtlichen Zugewinnausgleichs zugrunde. Nach der geltenden Regelung des Zugewinnausgleichs teilen die Ehegatten, wenn sie auseinandergehen, das Vermögen, das ihnen in der Zeit ihres gemeinsamen Wirtschaftens zugewachsen ist, zu gleichen Teilen. Denn jeder hat durch eigene Arbeit - auch die Ehefrau, die den Haushalt führt - das Seinige zu dem Vermögenszuwachs beigetragen. Bisher sind aber die in der Ehezeit aufgebauten Rentenversicherungs- und Pensionsanwartschaften in den Zugewinnausgleich nicht einbezogen worden. Ich halte es für ein Gebot der Gerechtigkeit, daß auch diese Anwartschaften unter den Ehegatten gleichmäßig aufgeteilt werden, und zwar unabhängig davon, in welchem Güterstand sie leben. Die Versorgung ist ihrer Zweckbestimmung nach für die Sicherung beider Ehegatten gedacht. Dem widerspricht es, im Falle der Scheidung den nicht erwerbstätigen Ehegatten von der Sicherung auszuschließen und auf den - oft unsicheren - Unterhaltsanspruch zu verweisen.
Mit dem Versorgungsausgleich soll ein erster Schritt in Richtung auf eine selbständige Invaliditäts- und Alterssicherung der nicht erwerbstätigen Ehefrau getan werden. Wir wollen erreichen, daß jede Frau kontinuierlich eine eigene Sicherung aufbauen kann, die sich bis zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles fortsetzt und nicht mit der Eheschließung abbricht oder unterbrochen wird. Die Ehejahre sollen für den Aufbau einer eigenen Versicherung nicht länger verlorengehen. Hausfrau zu sein ist ein voller Beruf. Er ist einer anderen Berufstätigkeit gleichzusetzen und sollte im Sozialversicherungsrecht deshalb zu den gleichen Sicherungen wie eine Erwerbstätigkeit führen. Fast jede Frau - selbst bei den heute 40- bis 65jährigen sind es 90 % - war in ihrem Leben einmal erwerbstätig. Viele Frauen - insbesondere die Frauen mit einer gehobenen Berufsausbildung nehmen, sobald es ihnen die familiären Verhältnisse gestatten, ihre frühere Berufstätigkeit wieder auf. .Je höher die Berufsausbildung, desto schneller die Rückkehr ins Erwerbsleben. 17,2 % der verheirateten Frauen kehren nach 5 bis 10 Jahren, über 12 % nach 10 bis 15 Jahren und fast 16 % nach mehr als 15 Jahren in das Erwerbsleben zurück, also ein Anstieg in der Ehephase, in der die Kinder das Elternhaus verlassen haben.
Bei der Regelung der Scheidungsfolgen hat der Gesetzgeber dafür zu sorgen, daß der ehebedingte Ausfall beim Aufbau der Versorgungsanwartschaften des in der Ehe nicht erwerbstätigen Ehegatten nach Möglichkeit überbrückt und ausgeglichen wird, und zwar durch den wirtschaftlich Stärkeren, also in der Regel durch den Mann, dem die Arbeit der Frau für Ehe und Familie ja in der Ehezeit auch zugute gekommen ist.
Der Versorgungsausgleich wird durch Übertragung von Anwartschaften von einem Ehegatten auf den andern vollzogen, und zwar bereits bei der Scheidung. Wo eine andere Art der Versorgung
aufgebaut worden ist, z. B. bei Beamten, soll der Ausgleichspflichtige den andern Teil in der gesetzlichen Rentenversicherung in entsprechender Höhe nachversichern. Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung werden für die Durchführung des Versorgungsausgleichs, insbesondere auch für die Nachentrichtung von Beiträgen, die notwendigen Änderungen vorgenommen werden. Die Bundesregierung wird hierfür so rechtzeitig ihre Vorschläge unterbreiten, daß die Anpassungsvorschriften gleichzeitig mit den Bestimmungen dieses Entwurfs in Kraft gesetzt werden können.
Für den Fall, daß eine Nachversicherung z. B. wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Ausgleichspflichtigen nicht stattgefunden hat, ist eine dritte Art des Versorgungsausgleichs vorgesehen: Der Ausgleich ist dann zu gewähren, wenn der Verpflichtete die Rente erhält und auch beim berechtigten Ehegatten der Versorgungsfall eingetreten ist. Der Verpflichtete hat dem Berechtigten die Hälfte seiner monatlichen Rente oder Pension zu übertragen, der auf den in der Ehe aufgebauten Anwartschaften basiert. Damit erhält der berechtigte Ehegatte einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherungsträger oder die Pensionskasse, also mehr Sicherung als bisher.
({1})
Gegen den Versorgungsausgleich ist eingewandt worden, daß er dem Ausgleichspflichtigen unzumutbare Belastungen auferlegt, insbesondere was die Verpflichtung zur Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung betrifft. Dieser Einwand greift nicht durch. Denn die Mehrzahl der Ehescheidungen wird zwischen dem ersten und dem zehnten Ehejahr ausgesprochen, und zwar mehr als 60 °/o, also fast zwei Drittel aller Scheidungen. Hier entstehen also Ausgleichspflichten, die sich in der Regel durchaus noch im Rahmen des Zumutbaren halten werden. Sollte im Einzelfall die Belastung des Verpflichteten zu groß sein, so sieht der Entwurf das Ruhen der Nachversicherungspflicht vor; der Richter kann auch Ratenzahlungen zubilligen.
({2})
Durch den Versorgungsausgleich werden noch nicht alle versorgungsrechtlichen Nachteile, die der Ehefrau erwachsen können, ausgeglichen. In dem vorliegenden Entwurf eines 1. Eherechtsreformgesetzes sind deshalb noch weitere zusätzliche Tatbestände vorgesehen.
Die eigenständige soziale Sicherung jedes Bürgers, auch des nicht im Erwerbsleben stehenden, ist nicht heute und auch nicht morgen voll zu erreichen. Mit dem vorliegenden Entwurf soll auch auf diesem Gebiet ein wichtiger Anfang getan werden. Weitere Schritte werden folgen. Da die Frauen in unserer Gesellschaft besonders in der sozialen Sicherung bisher benachteiligt sind, beabsichtigt die Bundesregierung mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vor allein Verbesserungen zugunsten der Frauen einzuführen. Im einzelnen sind Bier folgende Maßnahmen zu nennen:
Erstens. Durch die Öffnung der Rentenversicherung erhalten insbesondere die Hausfrauen ohne Erwerbstätigkeit sowie die mithelfenden Familienangehörigen, die in vielen Fällen nicht oder nur unzureichend für ihr Alter gesichert sind, die Möglichkeit, sich in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Alterssicherung aufzubauen. Es handelt sich hierbei um schätzungsweise 6,8 Millionen Frauen, denen der soziale Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung eröffnet wird.
Zweitens. Für Frauen soll ein zusätzliches Versicherungsjahr eingeführt werden. Weibliche Versicherte erhalten bei der Rentenberechnung für jedes lebend geborene Kind zur Abgeltung eines zusätzlichen Versicherungsjahres einen Zuschlag zu ihrer Rente. Damit wird den Frauen, die durch die Geburt eines Kindes Nachteile in ihrem beruflichen Werdegang und damit in ihrem Versicherungsleben erleiden, ein Ausgleich zuteil.
Drittens. Versicherte, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes 35 und mehr Versicherungsjahre zuzurückgelegt haben und in der zurückliegenden Zeit mit ihrem Arbeitsentgelt unter einem bestimmten Vomhundertsatz des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten gelegen haben, erhalten eine Aufbesserung ihrer Renten. Durch diese Maßnahmen wird insbesondere die Lohndiskriminierung der Frauen in früheren Jahren und die sich hieraus ergebende Benachteiligung bei der Rente ausgeglichen.
Mit diesen Regelungen wird die Bundesregierung ihre Politik, den Frauen eine gleichberechtigte Stellung in unserer Gesellschaft zu sichern, einen großen Schritt voranbringen.
Der Entwurf des ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts muß im Zusammenhang der weiteren Vorhaben der Bundesregierung auf dem Gebiete des Familienrechts gesehen werden. Zunächst wird er durch den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts ergänzt werden, der vor allem das Eheverfahren neu regelt und gleichzeitig mit ihm in Kraft treten soll. Der Entwurf dieses Reformgesetzes wird Anfang des kommenden Jahres dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden können. Der Entwurf wird auf folgenden Grundzügen aufbauen:
Erstens. Für den Scheidungsausspruch und die Regelung der Scheidungsfolgen ist ein und dasselbe Gericht, das Familiengericht, zuständig. Das Familiengericht wird als eine besondere Abteilung beim Amtsgericht gebildet.
Zweitens. Über das Scheidungsbegehren und die Regelung der Scheidungsfolgen soll gemeinsam verhandelt und zur gleichen Zeit entschieden werden. Die Abtrennung von Folgesachen zur gesonderten Erledigung soll nur unter engen Voraussetzungen möglich sein. Hier liegt ein weiterer Schutz des wirtschaftlich Schwächeren.
Folgeregelungen, über die das Familiengericht mitzubefinden hat, werden insbesondere sein: die Zuteilung der elterlichen Gewalt über gemeinsame Kinder, die Entscheidung über das Besuchsrecht, der Kindesunterhalt, der Unterhalt des geschiedenen
Ehegatten, der Zuspruch eines Versorgungsausgleichs, die Teilung des Hausrats.
Durch die gleichzeitige Verhandlung aller mit der Scheidung zusammenhängenden Fragen und die Entscheidungskonzentration soll erreicht werden, daß sich die Eheleute bereits im Scheidungsverfahren darüber klar werden, welche Folgen eine Scheidung für sie mit sich bringt. Die heutige Zuständigkeitsaufteilung, wonach das Landgericht für den Scheidungsausspruch, das Amtsgericht für die Regelung der Scheidungsfolgen zuständig ist, bringt es mit sich, daß vielen bei der Scheidung gar nicht bewußt ist, was dieser Schritt für sie im einzelnen bedeutet. Diesen Mißstand gilt es zu beseitigen.
Drittens. Die Folgeregelungen werden auf Antrag eines Ehegatten in das Scheidungsverfahren einbezogen mit Ausnahme der Zuteilung der elterlichen Gewalt; hierüber soll auch ohne Antrag, also von Amts wegen, entschieden werden.
Viertens. Der Rechtsmittelzug soll vom Amtsgericht über das Oberlandesgericht zum Bundesgerichtshof führen, wie bereits jetzt in Kindschaftssachen.
Fünftens. Die Teilanfechtung der Entscheidung des Amtsgerichts soll möglich sein. Wird eine der Folgeregelungen angefochten, so bleibt nur dieser Punkt im Streit, während die Entscheidung im übrigen rechtskräftig wird.
Sechstens. Durch die Ausdehnung des Anwaltszwanges auf das gesamte Verfahren, also auch auf die Folgeregelungen, soll der Rechtsschutz der Beteiligten verstärkt werden.
Dies zur beabsichtigten Neuordnung des Eheverfahrens.
In diesem zweiten Reformgesetz sollen auch die erwähnten rechtstechnischen Einzelheiten des Versorgungsausgleichs festgelegt werden. Die Vorschläge für die ergänzenden Regelungen werden dem Parlament so rechtzeitig vorgelegt werden, daß sie in den Ausschüssen zusammen mit den versorgungsrechtlichen Bestimmungen des vorliegenden Entwurfs beraten und zusammen mit dem Entwurf des Ersten Eherechtsreformgesetzes in Kraft gesetzt werden können.
Neben der Neuordnung des Eherechts sind eine Reihe von weiteren Neuregelungen auf dem Gebiete des Familienrechts geplant. Ich greife hier nur die Neugestaltung des Rechts der elterlichen Sorge oder, wie es heute noch heißt, der „elterlichen Gewalt" heraus und auch das Adoptionsrecht. Was die Neugestaltung des Rechts der elterlichen Sorge betrifft, so ist im vorliegenden Entwurf bereits vorgesehen, daß die Zuteilung der Kinder nach der Scheidung nicht mehr vom Verschulden eines Ehegatten am Scheitern der Ehe abhängig sein soll. Damit ist aber nur das im Augenblick Notwendige getan. Es sind auf diesem Gebiet noch weitere Fragen zu lösen, die über den Rahmen der Reform des Scheidungsrechts in diesem Entwurf hinausgehen. Sie sollen deshalb den Gegenstand einer besonderen Gesetzesvorlage bilden, zumal es sich hier nicht allein um die Neuordnung derjenigen Vorschriften handelt, die im Zusammenhang mit einer Ehescheidung stehen, sondern um das Recht der Elternsorge in seiner Gesamtheit, also auch für die bestehenden Ehen.
Mit diesen Hinweisen mag deutlich werden, daß die notwendige Reform des Ehe- und Familienrechts noch vieler Anstrengungen bedarf. Worauf es der Bundesregierung jetzt ankommt, ist, einen Anfang zu machen. Wir müssen nach gründlicher Diskussion jetzt die Entscheidungen treffen, die ein von veralteten Vorstellungen befreites, zeitgerechtes, soziales und menschliches Ehe- und Familienrecht braucht. Dazu erbitte ich die Unterstützung des Hauses.
({3})
Meine Damen und Herren, bisher haben die Fraktionen je einen Redner für die erste Runde gemeldet. Für alle diese Redner sind 45 Minuten Redezeit beantragt. Ich teile dies mit, damit Sie sich bei Ihren Zeitdispositionen entsprechend einrichten können.
Das Wort hat Professor Mikat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einem langen und abwechslungsreichen Weg der Gesetzgebungsvorbereitung kann das Hohe Haus heute mit der Beratung des Regierungsentwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts beginnen. Daß die Vorbereitung dieses Gesetzes zu einer so breiten Diskussion in weiten Kreisen der Bevölkerung geführt hat und daß nicht zuletzt auch in Presse, Rundfunk und Fernsehen zu den Vorschlägen der Eherechtskommission beim Bundesministerium der Justiz, zum Diskussionsentwurf und zum Referentenentwurf leidenschaftlich Position und Gegenposition bezogen wurden, wird das Hohe Haus nur dankbar begrüßen können. Denn in den fundamentalen Fragen unserer Rechtsordnung ist der Gesetzgeber auf eine breite und umfassende Information und Meinungsbildung der gesamten Bevölkerung angewiesen.
({0})
Wenn freilich von maßgeblichen Rechtspolitikern der SPD die Behauptung aufgestellt wird, die Vorlage des Diskussionsentwurfs sei einmalig und ohne Vorbild, so trifft das nicht ganz zu.
({1})
Immerhin entstand unser Bürgerliches Gesetzbuch auf ähnliche Weise, und im guten alten Palandt, also d e m Kommentar zum BGB, ist ohne Schwierigkeiten auf Seite 1 nachzulesen, daß eine Kommission von Juristen einen ersten BGB-Entwurf ausarbeitete, der im Jahre 1888 zusammen mit den Motiven dazu veröffentlicht wurde, um ihn der allgemeinen Kritik zugänglich zu machen. Das gleiche Verfahren - Sie wissen es, Herr Kollege Hirsch -hat übrigens das Reichsjustizministerium im Jahre 1931 gewählt, als es den Entwurf einer Zivilprozeßordnung veröffentlichte.
Die Bundesregierung strebt mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs eine Reform unseres Ehe- und
Familienrechts an. Um keinen Zweifel darüber zu lassen: Auch die CDU/CSU-Fraktion bejaht die Reform unseres Ehe- und Familienrechts, insbesondere des derzeit geltenden Scheidungsrechts. Aber bevor ich mich diesem Komplex zuwende, lassen Sie mich wenigstens ein kurzes grundsätzliches Wort zur Reformproblematik sagen.
Ich begreife Reformen nicht als einmalige Aufgabe, sondern als eine jeder Regierung und jedem Gesetzgeber stets gestellte Aufgabe.
({2})
Niemand wird leugnen können, daß die Geschichte der Bundesrepublik in den Jahren, in denen die CDU/CSU die Regierungsverantwortung trug, von großen, richtungweisenden Reformen bestimmt war.
({3})
Zwar lag es nahe, daß der Aufbau unseres Staatswesens nach dem totalen Zusammenbruch des Jahres 1945 in vielfacher Weise an ältere Staats- und Gesellschaftsvorstellungen anknüpfte. Erst in einer rückschauenden Betrachtung erscheint manches als Restauration, was in der konkreten Situation der ersten Aufbauphase den Männern der ersten Stunde als neuer Anfang, ja, als Reform erschien. Aber wer in diesem Hause möchte behaupten, Reformen setzten erst mit dem Jahre 1969 ein, und vorher habe es nichts anderes als Restauration gegeben? Wenn der in aller Welt gerühmte Wiederaufbau unseres Landes nach 1945 und nicht zuletzt der Aufbau unserer großen wirtschaftlichen und sozialen Ordnung nichts anderes wären als das Ergebnis bloßer Restaurationen, dann müßte man Restauration als gutes Reformkonzept deklarieren.
({4})
Diese Tatsache enthebt uns aber nicht der Feststellung, daß unsere Gesellschaft weiterer und großer Reformen auf den verschiedensten Gebieten bedarf.
Meine Damen und Herren, ich verstehe Reform als Prinzip der Politik. Eine Politik, die nicht vom „Prinzip Reform" getragen wird, wird vom schnellen Strom der Entwicklung hinweggerissen werden. Aber so wenig es in diesem Hause für irgendeine Seite ein Monopol auf Wahrheit und Richtigkeit gibt, so wenig gibt es hier ein Monopol auf Reformen.
({5})
Eine Änderung ist nicht deshalb schon eine zukunftsträchtige Reform, weil sie von der Regierung dazu ernannt wurde.
({6})
Die Bundesregierung, aber nicht nur die Bundesregierung, wir alle werden uns fragen lassen müssen, ob wir gut beraten sind, jede Änderung des Bestehenden schon mit dem Begriff „Reform" zu versehen.
({7})
Ist es nicht vielmehr notwendig, sparsam mit diesem Begriff umzugehen und ihn nur dort zu verwenden, wo es wirklich um die großen Strukturprobleme unserer Gesellschaft geht? Nichts schadet den wirklichen Reformen mehr als eine geradezu inflationistische Anwendung des Begriffes „Reform"
({8})
oder als eine unreflektierte und unkritische Änderungssucht um jeden Preis.
({9})
Kein Vernünftiger wird die Veränderung um der Veränderung willen anstreben, und nicht einmal das heute als Argumentationsmittel so beliebte und gern zitierte Alter eines Gesetzes oder einer Institution vermag etwas darüber auszusagen, ob dieses Gesetz oder diese Institution der Änderung bedürfen oder nicht.
({10})
Zwar ist es heute beliebt, Änderungen von Gesetzen mit dem Alter der Gesetze zu begründen. Das ist aber ein höchst törichtes Unterfangen, denn es gibt Gesetze, die erst wenige Jahre alt sind und dringend der Reform bedürfen,
({11})
und es gibt Gesetze, die viele Jahre alt sind und dennoch auch heute noch funktionsfähig sind. Es wird also jeweils darauf ankommen, zu prüfen, ob Gesetze noch geeignet sind, ihre Funktion in einer veränderten geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation zu erfüllen. Bei dieser Überprüfung ist das Alter ein gewichtiges Indiz.
Parlament und Regierung sind stets dazu aufgerufen, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu verbessern, ja, sie zu verändern, wobei sie freilich wissen müssen, daß es dabei nicht um die Herstellung eines schlechthin idealen Zustandes geht, den man allenfalls erträumen, nicht aber realisieren kann. Andererseits gilt, daß für den Gesetzgeber die Orientierung an idealtypischen Vorstellungen notwendig ist, auch und gerade wenn er weiß, daß er sie nicht in vollem Umfang Wirklichkeit werden lassen kann. Wer die Geschichte der Utopien kennt, weiß, daß in ihnen die alte Sehnsucht des Menschen nach vollkommenem Glück, nach absoluter Gleichheit und absoluter Freiheit lebt. Solche Utopien sollten wir nicht verachten. Sie haben einen hohen Wert für unsere kritische Haltung gegenüber dem Bestehenden. Nicht zuletzt besteht ihre Funktion darin, den Gesetzgeber, also uns Politiker, daran zu erinnern, daß er diese Sehnsüchte in seiner Gesetzgebung nicht vergißt, wiewohl er sich ihrer Verwirklichung immer nur nähern, sie aber nie ganz erreichen kann. Es ist eben etwas anderes, verhängnisvoller Utopist zu sein oder um die Bedeutung der Utopien für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zu wissen.
({12})
Berücksichtigung der Utopie in diesem Sinne schließt realistische Reformpolitik nicht aus, sondern bedingt sie.
Soll eine Rechtsreform schließlich von Dauer sein,
so wird sie sich davor hüten müssen, die Verbindung
mit der geschichtlichen Kontinuität außer acht zu lassen. Gerade derjenige, der die Geschichtlichkeit des Menschen und der menschlichen Institutionen, also ihre Wandelbarkeit und ihre Reformbedürftigkeit betont, wird darauf zu achten haben, daß Reformen sich immer in konkreten geschichtlichen Situationen vollziehen und daß sie auf die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen dieser Situationen bezogen sein müssen.
({13})
Bei diesem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, handelt es sich um einen Entwurf, der tief in unser Ehe- und Familienrecht eingreift. Bei seiner Beratung kommt es für die CDU/CSU-Fraktion entscheidend darauf an, ob der Entwurf einerseits dem Grundsatz der Sozialfunktion des Rechts entspricht und ob er andererseits dem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit genügend Raum gibt.
({14})
Jede Reform des Ehe- und Familienrechts hat davon auszugehen, daß Ehe und Familie Lebensverhältnisse sind, welche die gesamte menschliche Existenz erfassen und deren eigentlicher Kern, die personale Begegnung und Bindung, einer Regelung durch die staatliche Rechtsordnung weitgehend entzogen ist. Die Eheleute sind es, die ihre Ehe zu gestalten haben, und nicht der Staat.
({15})
In diesem Punkte stimmen sicherlich alle Fraktionen des Hohen Hauses überein.
Dennoch gibt es auch für Ehe und Familie staatliche Ordnungsaufgaben, denn Ehe und Familie sind ja nicht nur isolierte private Sphären, sondern zugleich von erheblicher Bedeutung für Staat und Gesellschaft. Daß jede einzelne Ehe in enger Beziehung zur Gesellschaft steht, tritt besonders bei ihrer Zerrüttung gravierend in Erscheinung. Der Gesetzgeber kann schon auf Grund seiner Sozialverpflichtung nicht darauf verzichten, der staatlichen Rechtsordnung auch das Recht und die Pflicht zuzuweisen, das Ehe- und Familienrecht entsprechend der Funktion von Ehe und Familie in der Gesellschaft zu gestalten.
Eine Reform des Ehe- und Familienrechts hat zu berücksichtigen, daß wir es heute in unserem Kulturbereich fast ausschließlich mit der Kleinfamilie zu tun haben, also mit einer Familienform, die vielfach als Ausdruck, ja als höchster Ausdruck des privaten Intimbereichs gilt. Das zwingt - so paradox es zunächst klingen mag - den staatlichen Gesetzgeber nicht zu einer Reduktion, sondern im Gegenteil zu einer - gemessen an früheren Zeiten -Ausweitung seiner sozialbezogenen ehe- und familienrechtlichen Normen; aber dies sollte nicht mit der auf anderen Gebieten zu beobachtenden Neigung des modernen Staates nach möglichst umfassender gesetzlicher Regelung verwechselt werden. Es ist vielmehr zwangsläufig, da mit dem Wegfall der Großfamilie für die einzelne Ehe und Familie zugleich ein Verlust an gesellschaftlicher Stabilität -und sozialer Sicherheit eintrat, der die staatliche
Regelungsfunktion im Interesse des einzelnen auslösen mußte.
Ehe- und Familienrechtsreform verlangt vom Gesetzgeber auch eine Rückbesinnung auf seine eigenen geistigen Wertvorstellungen, eine Rückbesinnung, die heute problematischer ist denn je. Der in einer modernen pluralistischen Gesellschaft zur Reform aufgerufene säkulare Staat sieht sich vor große, ja oft unüberwindbare Schwierigkeiten gestellt. Je ausgeprägter der Wertpluralismus hinsichtlich der Fixierung von Ehemodellen ist, um so schwieriger wird es für den Gesetzgeber, ein möglichst allgemein akzeptiertes Leitbild vom Wesen der Ehe und Familie zur Richtschnur einer rechtlichen Rahmenordnung zu nehmen und die Vielfalt unterschiedlicher Wertvorstellungen im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung auf jene Basis zurückzuführen, die von allen akzeptiert werden kann.
Das bedeutet aber nicht, daß es hier nun keine verbindlichen Ordnungsmaßstäbe für uns gäbe. Wir sind uns in diesem Hohen Hause wohl darüber einig, daß sich die Reform des Ehe- und Familienrechts im Rahmen unserer verfassungsrechtlichen Ordnung zu vollziehen hat.
In seinem denkwürdigen Gleichberechtigungsurteil vom 29. Juli 1959 hat das Bundesverfassungsgericht hierzu wesentliche Kriterien für den staatlichen Gesetzgeber aus den besonderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes abgeleitet, wenn es feststellt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Welche Strukturprinzipien diese Institute bestimmen, ergibt sich zunächst aus der außerrechtlichen Lebensordnung. Beide Institute sind von alters her überkommen und in ihrem Kern unverändert geblieben; insoweit stimmt der materielle Gehalt der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 GG mit dem hergebrachten Recht überein. Ehe ist auch für das Grundgesetz die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur
grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft, und Familie ist die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen. Dieser Ordnungskern der Institute ist für das allgemeine Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein unantastbar.
Soweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Diesem Leitbild unserer Verfassung von Ehe und Familie entspricht es, wenn die Fraktion der CDU/ CSU im Gegensatz zum Regierungsentwurf fordert, den Grundsatz: „Die Ehe ist eine grundsätzlich auf Lebenszeit angelegte Gemeinschaft" ausdrücklich an der Spitze der scheidungsrechtlichen Vorschriften im Gesetzentwurf zu verankern.
({16})
Wir halten das nicht für überflüssiges Rankenwerk im Gesetz, sondern für ein klares Bekenntnis zu einer Wertentscheidung unserer Verfassung.
In der Diskussion wird auf der einen Seite gegen das geltende Recht eingewandt, es sei zu sehr vom Leitbild der Hausfrauenehe geprägt, und andererseits wird das Schwinden des Wertbildes von der nur im Haushalt tätigen Ehefrau beklagt. Viele gesellschaftspolitische Zielvorstellungen gehen heute dahin, das Bild der Berufstätigkeit beider Ehegatten in den Vordergrund zu rücken. Der Gesetzgeber wird hier die rechte Mitte zu finden haben. Die zunehmende Berufstätigkeit der Ehefrauen sollte nicht ständig nur als Verlusterscheinung, als Auflösung der Ehe und Familie, als Schwächung der Moral und des häuslichen Lebens beklagt werden. Dahinter steckt dann in der Tat allzuoft die wohl überholte patriarchalische Wertvorstellung von der Familie, in der der Vater das Haupt und die Mutter das Herz der Familie ist.
Mag das Bild von der verheirateten und zugleich berufstätigen Frau zu den gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen gehören oder nicht, der Gesetzgeber hat sich davor zu hüten, das Ehescheidungsrecht als Zwangsmittel zur Durchsetzung gesellschaftlicher Zielvorstellungen zu gebrauchen.
({17})
Die Reform des Scheidungsrechts kann Ausdruck und Folge einer gewandelten gesellschaftlichen Ordnung sein. Sie darf aber niemals Instrument zur Herbeiführung einer Gesellschaftsordnung sein,
({18})
soll nicht die Sozialfunktion des Rechts und mithin also die Gerechtigkeit selbst Schaden leiden. Wir bekennen uns hier zum Grundsatz der Freiheit, insbesondere der Gestaltungsfreiheit.
({19})
Beide Berufsbilder, das der im Haushalt tätigen und das der im Erwerbsleben tätigen Frau, sind vom Gesetzgeber gleichwertig zu behandeln.
({20})
Ich freue mich, Herr Minister, daß auch Sie den Hausfrauenberuf als echten Beruf bezeichnet haben. Daraus ergeben sich ganz bestimmte weitere Konsequenzen für den Verlauf der Gesetzgebung.
({21})
Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, künftig eine bessere sozialversicherungsrechtliche Absicherung der im Haushalt tätigen Frau und Mutter zu realisieren.
Der vorliegende Gesetzentwurf bringt nicht nur eine Neuregelung des Ehescheidungsrechts, sondern er enthält auch einschneidende Änderungsvorschläge für das Namensrecht und für das Recht der persönlichen Ehewirkungen, die vom Gedanken bestimmt sind, die Gleichberechtigung von Mann und Frau voll zu verwirklichen. Gerade dieser Teil des Entwurfs enthält - das haben die Beratungen im Bundesrat deutlich gezeigt - Regelungen, die noch der Klärung und Verbesserung bedürfen.
Wenn ich mich jedoch im folgenden auf die Neuorientierung des Scheidungsrechts beschränke, so nicht deshalb, weil ich die übrigen Änderungsvorschläge für unwesentlich ansähe. Über sie wird wohl noch heute hier in der Debatte, jedenfalls aber im Ausschuß, sehr sorgfältig zu sprechen sein. Unbestreitbar aber steht die Reform des Scheidungsrechts im Mittelpunkt und bildet das Kernstück auch der Vorlage.
Für die CDU, CSU-Fraktion bleibt bestimmender Grundsatz, daß jede Ehescheidung Ausnahme vom Grundsatz der auf Lebenszeit angelegten Ehe ist.
({22})
Die Rechtsordnung darf sich nicht darauf beschränken, durch das staatliche Scheidungsrecht ein möglichst schnelles, unauffälliges und unverbindliches Auseinandergehen der Partner zu ermöglichen. Sie hat vielmehr zur Überwindung von Konflikten beizutragen, indem sie Einrichtungen, z. B. Eheberatungsstellen, Sozialhelfer, zur Verfügung stellt, die zur Wiederversöhnung der beiden Partner dienen können.
Oberste Maxime staatlicher Reform im Scheidungsrecht sollte sein - ich benutze hier eine Formulierung aus der englischen Diskussion zur Scheidungsrechtsreform -, daß eine Ehe, die unwiderruflich zerstört ist, mit einem Maximum an Fairneß und Praktikabilität, einem Minimum an Bitterkeit und einem Optimum an sozialer Verantwortlichkeit gegenüber und unter allen Beteiligten geschieden werden kann.
({23})
Wenn wir angesichts der praktischen Nachteile des Verschuldensprinzips den Übergang zum Zerrüttungsprinzip bejahen, dann müssen wir damit die Forderung verbinden, daß ein auf dein Zerrüttungsprinzip aufbauendes Scheidungsrecht den Lebensverhältnissen und Gerechtigkeitserwartungen entspricht und eine gerechte Lösung für beide Ehegatten bei der Reform des Scheidungsfolgenrechts zur Voraussetzung hat. Der Übergang vom Verschuldungsprinzip zum Zerrüttungsprinzip allein ist noch kein Fortschritt.
({24})
Gerade bei dieser Reform müssen wir alle deutlich machen, daß der Gesetzgeber zwar auf die Schuldfeststellung verzichten kann, daß er aber nach wie vor darum wissen muß, daß es Schuld und Verantwortung gibt.
({25})
Eine Rechtsordnung, die Schuld und Verantwortung nicht mehr kennt, degradiert den Menschen letztlich zum pathologischen Fall.
({26})
Gehört nicht die Möglichkeit, schuldig werden zu
können - nicht schuldig werden zu müssen! -, zur
unaufgebbaren Würde und Freiheit des Menschen?
({27})
Wenn wir uns zum Abschied von der Verschuldensscheidung entschlossen haben, so doch nur deshalb, weil die Schuldfeststellung, die Bewertung und das Abwägen der Schuld in der scheidungsrichterDr. Mikat
lichen Praxis auf große, oft unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen.
({28})
Aber das kann nicht und darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es ein Schuldigwerden gibt, unabhängig davon, ob Gesetz oder Richterspruch oder Parlament es kennen oder nicht.
({29})
Darüber hinaus ist der Aufbau unseres Scheidungsrechts allein auf dein Zerrüttungsprinzip, ohne wirkungsvolle Kautelen gegen möglichen Rechtsmißbrauch, unserer Meinung nach unvertretbar.
({30})
Es wird deshalb in den Ausschußberatungen eingehend zu prüfen sein, wie ein Mißbrauch der Scheidungsgeneralklausel des Regierungsentwurfs durch arglistiges Verhalten eines Ehepartners verhindert werden kann. Unser künftiges Scheidungsrecht sollte auf jeden Fall dem klassischen Rechtsgrundsatz Geltung verschaffen, daß niemand aus eigenen Rechtsverletzungen für sich günstige Rechtsfolgen herleiten kann.
({31})
Mit Verwunderung stellen wir fest, daß die Bundesregierung zwar durch ihren Entwurf vom Verschuldens- auf das Zerrüttungsprinzip übergehen will, dabei jedoch ohne zwingenden Grund den Begriff der unheilbaren Zerrüttung aufgibt, einen Begriff, der nicht nur von unserer Rechtsprechung bereits erläutert ist, sondern der sich auch in den Rechtsordnungen unserer europäischen Nachbarn findet, der also bei seiner Weiterverwendung in unserem Scheidungsrecht auch zur Lösung von Fragen im internationalen Ehe- und Familienrecht hilfreich sein könnte.
Wir sind darüber hinaus der Ansicht, daß der Begriff „Scheitern" im Regierungsentwurf eine Abwertung bedeutet. Er trifft gerade nicht das, was Sie, Herr Minister, gemeint haben. Er ist im Gegenteil viel negativer im Hinblick auf diejenigen Ehen, die vor der Zerrüttung für die Ehepartner, für die gemeinsamen Kinder wie auch für die Gesellschaft und den Staat durchaus wertvoll waren. Man will doch wohl nicht behaupten, daß diese Ehen ihr Ziel insgesamt verfehlt hätten, auch wenn es später zu einer Zerrüttung zwischen den Partnern gekommen ist. Solche Ehen hier nun abzuwerten und als „gescheitert" zu bezeichnen, halten wir für falsch. Dazu besteht doch nicht der geringste Grund.
Wenn Sie, Herr Minister, den Begriff „Zerrüttung" ablehnen, dann kann ich nicht verstehen, warum Sie ausgerechnet in Ihrem Entwurf sagen, wir gehen zum Zerrüttungsprinzip über. Es ist eine merkwürdige Sache, wenn man sagt, dieses Eherecht basiert auf dem Zerrüttungsprinzip; aber den Begriff der Zerrüttung lehnen wir ab. Das ist dann juristisch nicht mehr ganz sauber.
({32})
Nach Auffassung der CDU/CSU sollte deshalb bei der Reform des Scheidungsrechts an dem von der Rechtsprechung ausgestalteten Begriff „Zerrüttung " festgehalten werden. Auf den Begriff „Scheitern" überzugehen, erscheint uns nicht zweckmäßig, weil damit Differenzierungen ausgeschlossen wären, wie sie beim Begriff der Zerrüttung möglich sind.
({33})
Anders als im Regierungsentwurf sind wir der Auffassung, daß es nicht dem Wesen des sozialen Rechtsstaates entspricht, entscheidende Lebenskonflikte und Schicksalsfragen von Menschen von starrem Fristenschematismus und unwiderlegbaren Vermutungen abhängig zu machen,
({34})
ganz abgesehen davon, daß solches auch dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit widerspricht.
Die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Scheidungswillens soll durch verfahrensrechtliche Vorschriften, z. B. durch persönliche Anhörung der Parteien, in geeigneten Fällen auch durch Aussetzung des Verfahrens gewährleistet werden. Weiter muß es möglich sein, eine Ehe schon vor Ablauf von Trennungsfristen zu scheiden, wenn die Ehe unheilbar zerrüttet ist und es einem der Ehegatten nicht zugemutet werden kann, an der Ehe bis zum Ablauf der Frist festzuhalten. Ich lehne also den Fristenschematismus in jeder Beziehung ab.
({35})
Unsere Ablehnung des Fristenschematismus bedeutet freilich nicht, daß wir damit Fristen als Scheidungsindiz überhaupt ablehnen.
Was die Dauer der Frist des Getrenntlebens bei streitigen Ehescheidungen anbelangt, so wird in den Ausschußberatungen sehr sorgfältig zu überlegen sein, für welche Fristenregelung die besseren Argumente sprechen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß sowohl der Vorschlag der Eherechtskommission als auch der im Bundesrat abgelehnte Vier-Länder-Antrag von Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein in Anlehnung an fast alle ausländischen Regelungen die Fünf-JahresFrist fordern.
Der Antrag auf Scheidung darf nach Auffassung der CDU/CSU erst dann möglich sein, wenn die Ehe ein Jahr bestanden hat. Auch hier sind wir wiederum für keinen starren Fristenschematismus. Eine Ausnahme davon soll dann zulässig sein, wenn es einem Ehegatten aus schwerwiegenden Gründen nicht zugemutet werden kann, bis zum Ablauf der Frist an die Ehe gebunden zu bleiben.
Bei der einverständlichen Ehescheidung ist meine Fraktion der Ansicht, daß auch hier an die einjährige Trennung der Ehepartner nicht die unwiderlegbare Vermutung der unheilbaren Zerrüttung der Ehe geknüpft werden kann. Unsere Forderung nach einer widerlegbaren Vermutung auch bei einverständlicher Scheidung bedeutet jedoch nicht, daß der Richter verpflichtet ist, in jedem Fall gegen den Willen der Ehegatten Umstände zu ermitteln, die für die Aufrechterhaltung der Ehe sprechen. Worum es geht, ist folgendes: Der Richter sollte nicht gewissermaßen wie ein Urteilsautomat gezwungen
sein, eine Ehe zu scheiden, wenn er Gründe zu der Annahme hat, daß die Ehe nicht unheilbar zerrüttet ist. Auch diese Fälle kennen wir aus der Praxis sehr wohl.
Zutreffend sagt der Bundesrat zu diesem Komplex: „Auch in diesem Fall muß der Richter die Möglichkeit haben, den Ausspruch der Scheidung abzulehnen, wenn er erkennt, daß noch begründete Aussichten auf Versöhnung der Eheleute bestehen."
Und nun kommt etwas Wichtiges. Der Bundesrat bezieht sich an dieser Stelle auf das Grundgesetz, wenn er sagt:
„Andernfalls würde von dem Grundsatz der Ehe auf Lebenszeit abgegangen; denn die Ehe könnte dann durch gegenseitigen Vertrag auf jeden Fall aufgehoben werden."
Verbindet man diesen Gedanken mit der Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht zu Art. 6 des Grundgesetzes im Rahmen des Gleichberechtigungsurteils vorgelegt hat, dann besteht aller Anlaß, daß sich der Ausschuß dieses Problem noch einmal sehr sorgfältig durch den Kopf gehen läßt und im Sinne des Vorschlags meiner Fraktion entscheidet.
({36})
Bei der einverständlichen Scheidung muß jedoch von Amts wegen geprüft werden, ob die Unterhaltsregelungen für beide Teile befriedigend getroffen worden sind, wie lange sich die Ehepartner über ihre Scheidung bereits einig sind und welche Schritte sie unternommen haben, um zu einer Versöhnung zu gelangen. Dabei sollte auch geprüft werden, ob die Parteien Eheberatungsstellen konsultiert haben. Aber von einem Zwang, Eheberatungsstellen aufzusuchen, sollte gerade im Interesse einer wirksamen Eheberatung abgesehen werden. Wir verbinden damit gleichzeitig die Forderung, künftig die Arbeit der Eheberatungsstellen personell und sachlich wesentlich zu verbessern.
Da wir bei der Neugestaltung des Scheidungsrechts von der Sozialfunktion des Rechts ausgehen, fordern wir im Gegensatz zum Regierungsentwurf zum Schutze des sozial schwächer gestellten Ehepartners die Berücksichtigung nicht nur von immateriellen, sondern auch von materiellen Härten.
({37})
Neben der immateriellen Härteklausel ist deshalb nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion auch eine materielle Härteklausel zu schaffen.
Wir wenden uns damit gegen den Regierungsentwurf, soweit er die Anwendung der Härteklausel auf solche Umstände beschränken will, die nicht wirtschaftlicher Art sind. Denn soll in unserem gegenwärtigen sozialen System die Zerrüttungsscheidung nicht in eine Verstoßungsscheidung abgleiten, so muß der Gesetzgeber auch eine materielle Härteklausel als Korrektivmöglichkeit in das Gesetz aufnehmen. Für welchen Zeitraum und ob das immer so sein muß, das ist eine ganz andere Frage. Aber in dieser konkreten gesellschaftlichen Situation können Sie ja nicht Vorstellungen, die Sie zunächst einmal verwirklichen wollen, vorwegnehmen. Aus diesem Grunde, aus der gesellschaftlichen Situationsbezogenheit, fordern wir eine materielle Härteklausel.
({38})
Die Bundesregierung verkennt offenbar, daß die konsequente Anwendung des Zerrüttungsprinzips im konkreten Einzelfall zu unzumutbaren Härten führen kann, zu Härten, die von den Betroffenen als elementarer Verstoß gegen die Gerechtigkeit empfunden werden müssen.
({39})
Wer das Zerrüttungsprinzip bis zur letzten Konsequenz durchzieht, setzt inhumanes Recht. Ohne das Korrektiv der von uns geforderten materiellen und immateriellen Härteklausel kann das Zerrüttungsprinzip in seiner Wertblindheit unerbittlich sein. Denn letztlich würde durch den Ausschluß einer materiellen Härteklausel, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, die Frau als der meist sozial schwächere Partner empfindlich getroffen werden können.
({40})
Wenn die Bundesregierung den Ausschluß einer wirtschaftlichen Härteklausel damit begründet, daß durch die vorgesehene Verbesserung des Unterhaltsrechts Nachteile für den wirtschaftlich schwächeren Ehegatten ausgeschaltet und Härten vermieden würden, so trifft das nicht zu. Es ist nicht einzusehen, warum die Bundesregierung eine materielle Härteklausel ablehnt; denn wenn nach Ihrer Ansicht, Herr Minister, das neue Recht keine wirtschaftlichen Nachteile bringen kann, so könnte ja die materielle Härteklausel ruhig im Gesetz stehen, wiewohl sie dann von den Gerichten kaum bemüht werden müßte.
({41})
Ich möchte sagen, also nehmen Sie sie doch selbst von Ihrer Systematik her dann gewissermaßen als Klausel für alle Fälle, weil selbst der Bundesminister der Justiz ja nicht die gesamte Praxis überblicken kann. Aber: Ist dennoch mit wirtschaftlichen Nachteilen, vor allen Dingen für die Frau zu rechnen, so muß auch eine Berücksichtigung materieller Härten kraft Gesetzes möglich sein.
({42})
Wir würden uns freuen, Herr Minister, wenn diese materielle Härteklausel nicht bemüht zu werden brauchte; das wäre schön.
({43})
Darüber hinaus können wir einer Regelung der Scheidungsvoraussetzungen nicht zustimmen, die das Interesse der Kinder an der Aufrechterhaltung einer Ehe überhaupt ausschließt.
({44})
Wir übersehen dabei nicht, daß dem Interesse der Kinder durch die Aufrechterhaltung einer unheilbar zerrütteten Ehe in den meisten Fällen nicht gedient wird. Es sind jedoch Fälle denkbar, für die eine solche Kinderschutzklausel erforderlich ist.
Die Regierung wird nicht müde zu betonen, das neue Recht würde ,die wirtschaftliche Situation der geschiedenen Frau verbessern.
({45})
Es wäre natürlich schön, wenn es so wäre - und ich glaube auch, daß Sie das wollen -; aber dann müßte dieses Gesetz in einigen Punkten ganz anders aussehen, und dazu werden wir noch im einzelnen im Ausschuß Anträge stellen.
Zunächst läßt sich doch nur lapidar feststellen, daß die Situation der bisher schuldig geschiedenen Frau sich unstreitig verbessern wird - das stellen wir gar nicht in Abrede -, der weite Kreis der bisher ohne Verschulden und gegen ihren Widerspruch geschiedenen Frauen sich jedoch in der Regel so lange verschlechtern wird, solange es keine umfassende öffentlich-rechtliche Hausfrauensicherung gibt.
({46})
Die große allseits befriedigende versicherungsrechtliche Lösung steht jedoch noch aus; sie ist hier heute angekündigt worden. Erst dann, wenn man all das einmal sieht, wird man hier überhaupt vom vorschnellen Urteil hin zur Möglichkeit eines gerechten Abwägens der verschiedenen Seiten im Unterhaltsrecht kommen können.
({47})
Eine Prüfung des Regierungsentwurfes zeigt schon jetzt die Schwierigkeiten für die Beratung im Deutschen Bundestag, weil insbesondere der entsprechende Scheidungsverfahrensteil dem Parlament noch nicht vorliegt. Die Regierung hat zwar bereits des öfteren angekündigt, daß das materielle Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht gleichzeitig mit einem neuen Verfahrensrecht in Kraft treten soll. Sie hat ebenso angekündigt, daß der Grundsatz der Entscheidungskonzentration ein Kernstück der verfahrensrechtlichen Änderung bilden wird. Wir hätten es begrüßt, diesen Entwurf gemeinsam mit den verfahrensrechtlichen Vorschlägen diskutieren zu können, und wir bedauern es, daß die Bundesregierung den Weg der getrennten Vorlagen gegangen ist.
Was den weiten Komplex der Neurordnung des Unterhaltsrechts der Ehegatten nach der Scheidung angeht, so ist für meine Fraktion das vornehmste gesellschaftspolitische Ziel, die soziale Sicherung des schwächeren Teiles, also in der Regel der Frau, auf Grund eigener Ansprüche.
({48})
Wenn wir uns vom Verschuldensprinzip trennen, so können die Entscheidungen über die Scheidungsfolgen nicht mehr vom Schuldspruch abhängig gemacht werden, sondern müssen dann - das ist konsequent - an andere Erwägungen anknüpfen. Die richtungsweisende Frage für das Unterhaltsrecht, die sich gerade beim Übergang vom Verschuldensprinzip zum Zerrüttungsprinzip stellt, lautet: Werden durch die Ehescheidungen alle Rechtsbeziehungen der Ehepartner beendet oder nicht?
({49})
Im System eines auf dem Zerrüttungsprinzip aufbauenden Scheidungsrechts wäre die These, daß durch die Scheidung gleichzeitig alle Rechtsbeziehungen der Partner untereinander und füreinander beendet werden, zwar konsequent, doch müßte diese Logik in einer Vielzahl von praktischen Fällen den sozial schwächeren Teil, d. h. in der Regel die Ehefrau, besonders hart treffen. Juristische Logik und soziale Gerechtigkeit sind ja durchaus nicht deckungsgleich.
({50})
Noch im Diskussionsentwurf des Bundesministers der Justiz wurde aber genau dies völlig verkannt. Daß der vorliegende Regierungsentwurf demgegenüber einen sozialen Fortschritt darstellt, verdanken wir sicherlich nicht zuletzt den entschiedenen Stellungnahmen zahlreicher Verbände und der Kirchen, aber auch, wie wir glauben, den kritischen Mahnungen, die die Opposition hier rechtzeitig und immer wieder erhoben hat.
({51})
Dennoch bedarf der Regierungsentwurf auch hier noch wesentlicher Verbesserungen.
Für die Fraktion der CDU/CSU ist Ausgangspunkt der Regelung der Scheidungsfolgen die fortwirkende Verantwortung der Partner füreinander. Der Gesetzgeber muß also an den Tatbestand anknüpfen, daß die Geschiedenen einmal in ehelicher Lebensgemeinschaft verbunden waren, füreinander Verantwortung getragen und mit ihrer Eheschließung gleichzeitig im grundsätzlich vorbehaltlosen Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft, im Vertrauen aufeinander geschuldete Hilfe und gegenseitige Ergänzung regelmäßig den weiteren Lebensweg entscheidend bestimmende Festlegungen im Hinblick auf die persönlichen Verhältnissen des einzelnen und ihre Rollen in Ehe, Familie und Gesellschaft getroffen haben.
({52})
- Ich nehme an, Herr Kollege Lenz, daß Sie als Vorsitzender des Rechtsausschusses auch komplizierte Tatbestände gern aufnehmen.
An diesem Vertrauenstatbestand kann kein verantwortungsbewußter Gesetzgeber vorbei. Das hat die Bundesregierung auf Grund unserer Kritik offenbar erkannt, wenngleich in ihrem Entwurf immer noch nicht genügend berücksichtigt.
Wir halten an dem Junktim fest, wonach eine Scheidung nur zugleich mit einer Regelung der Scheidungsfolgen ausgesprochen werden darf, und lehnen die Möglichkeit eines Teilurteils ab.
({53})
Insofern teilen wir auch nicht die Auffassung des Bundesrats, der in einigen Fällen - auch Sie, Herr Justizminister, deuteten das heute als Ihre Meinung an - die Möglichkeit eines Teilurteils zulassen will. Denn Scheidungsspruchs und Scheidungsfolgenregelungen sollen und müssen künftig in jedem Fall untrennbar zusammengehören.
({54})
Wir empfinden es als einen besonders gravierenden Mangel des geltenden Rechts, - ({55})
In diesem Falle, Herr Kollege, stellt sich das Problem der Härteklausel deshalb nicht, weil ja Sinn der Härteklausel die Berücksichtigung des Einzelfalles ist - Ausgleich von Härten -, aber erst das Junktim zwischen Scheidung und Scheidungsfolgenrecht den sozial schwächeren Teil überhaupt wirksam schützen kann.
({56})
Deswegen, nämlich aus dem Gedanken der Sozialfunktion des Rechts, lehnen wir das Teilurteil ab. Deshalb habe ich mir am Anfang so große Mühe mit der Darlegung der Prinzipien gegeben, damit Sie genau wissen, warum wir das tun, nämlich weil wir der Sozialfunktion des Rechtes auch in diesem Punkt des Verfahrensrechts entsprechen wollen.
Wir empfinden es als einen besonders gravierenden Mangel des geltenden Rechts, daß es zwar möglich ist, verhältnismäßig rasch eine Scheidung zu erreichen, daß sich aber die übrigen Auseinandersetzungen um die Folgen der Scheidung sehr lange hinziehen können, was vor allen Dingen den Kindern oft erheblichen Schaden zufügt. Es ist deshalb nur zu begrüßen, daß sich der Bundesjustizminister ebenfalls für ein solches Junktim zwischen Ausspruch der Scheidung und Regelung der Scheidungsfolgen ausgesprochen hat. Wir sind mit ihm der Meinung, daß der Grundsatz der Entscheidungskonzentration ein Kernstück der verfahrensrechtlichen Änderungen bilden muß, und wir werden darauf bestehen, daß dieser Grundsatz nicht wieder aufgeweicht wird.
Wir verkennen nicht, daß es im Unterhaltsrecht Härtefälle geben kann, bei denen die Inanspruchnahme des anderen Ehegatten mit Rücksicht auf die persönlichen Verhältnisse beider Ehegatten zueinander und vielleicht auch mit Rücksicht auf eine nur sehr kurze Dauer der Ehe unzumutbar und unbillig wäre. Deshalb - und jetzt kommt wieder das System der Härteklausel - ist bei der Regelung des Unterhaltsrechts durch eine Härteklausel sicherzustellen, daß es nicht zu ungerechten Ergebnissen im Einzelfall kommt. Auch hier gilt der Satz, daß die Einzelfallgerechtigkeit vor jedem Schematismus den Vorrang haben muß.
({57})
Aus diesem Grunde werden wir in den Ausschußberatungen darauf drängen, die unterhaltsrechtliche Härteklausel des Regierungsentwurfs dadurch zu verbessern, daß der Grundsatz der Billigkeit der Unterhaltsverpflichtung an die in § 1580 des Regierungsentwurfs aufgezählten Fälle nicht gekoppelt wird.
Unterhaltsregelung und Alterssicherung sind so zu gestalten, daß die Ehepartner auch künftig in der Entscheidung frei bleiben können, ob sie beide erwerbstätig sein wollen oder nicht, und auch wir sind der Auffassung, daß bei der Regelung des Unterhaltsrechts grundsätzlich davon auszugehen ist, daß der sozial schwächere Ehepartner einen Unterhaltsanspruch hat. Bei der Bemessung der Höhe des Unterhaltsanspruchs sind die Lebensleistungen der Ehepartner voll zu berücksichtigen, das heißt, die Unterhaltsregelung muß einem sozialen Abtsieg vor allen Dingen der Frau entgegenwirken.
({58})
Ein wichtiger Punkt im Rahmen der Unterhaltsregelung ist der Vorrang des ersten Ehegatten, den wir immer mit Nachdruck gefordert haben. Aber die praktischen Schwierigkeiten, die entstehen werden, zeigen schon jetzt selbst dem juristischen Laien, wie wichtig nicht nur die Einfügung einer materiellen Härteklausel ist, sondern wie notwendig es sein wird, den versicherungsrechtlichen Schutz der Frau umfassend zu gestalten. Aus diesem Grund kann ich nur noch einmal betonen, daß wesentliche Voraussetzung für eine befriedigende Lösung der Versorgung nach der Ehescheidung eine sozialversicherungsrechtliche Lösung der Alterssicherung der Ehefrau und Hausfrau ist.
Das im Regierungsentwurf vorgesehene Rechtsinstitut des Versorgungsausgleichs ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, enthält aber, wie wir glauben, noch eine Reihe von Unvollkommenheiten, die insbesondere der Bundesrat herausgearbeitet hat. Auch hier zeigt sich, daß durch die vorgesehene Regelung über den Versorgungsausgleich unter Geschiedenen allein die Lage der Hausfrau noch nicht befriedigend verbessert wird. Im übrigen fehlen hierzu die entsprechenden Vorschläge der Bundesregierung zur Änderung der gesetzlichen Rentenversicherung, von deren Ausgestaltung es wesentlich mit abhängen wird, ob man hier zu einer akzeptablen Lösung kommt.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, es ist nicht möglich, in dieser ersten Lesung bereits auf alle Einzelprobleme des vorliegenden Entwurfs näher einzugehen. Ich bin sicher, ja ich hoffe es, in meinen Ausführungen wurde deutlich, welche Alternativen zum Regierungsentwurf meine Fraktion anbietet. Ich kann nur hoffen, daß unsere Alternativen bei den Regierungsfraktionen so sorgfältig und vorurteilsfrei geprüft werden, wie ich mich bemüht habe, die Vorschläge der Regierung zu prüfen.
({59})
Überdies werden die Ausschußberatungen Gelegenheit geben, Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis noch genügend zu berücksichtigen.
Aus rein zeitlichen Gründen muß ich es mir versagen, jetzt noch auf die Vorschriften der persönlichen Ehewirkungen, die namensrechtlichen Änderungsvorschläge sowie die übrigen zivilrechtlichen Änderungsfolgen einzugehen. Für meine Fraktion darf ich erklären, daß wir dieses Gesetzgebungsvorhaben daran messen werden, ob die beabsichtigte Reform unseres Ehe- und Familienrechts wirklich vom Gedanken der Sozialfunktion des Rechts
bestimmt ist und ob ein hohes Maß von Gerechtigkeit im Einzelfall erzielt werden kann.
({60})
Nicht Verfolgung eines Prinzips, in diesem Fall des Zerrüttungsprinzips, um jeden Preis darf die rechtspolitische Maxime sein, sondern die Verwirklichung des Gerechtigkeitsgebots. Wer den Weg vom Diskussionsentwurf über den Referentenentwurf zur jetzigen Regierungsvorlage verfolgt, der wird feststellen können, wie fruchtbar Kritik und Gegenkritik sich in vielen Punkten bereits auswirkten.
({61})
Auch der vorliegende Entwurf wird sich in den Ausschußberatungen der sorgfältigen Kritik aller Fraktionen zu stellen haben. Gerade weil ich von der Notwendigkeit überzeugt bin, daß die Reform des Ehe- und Familienrechts eines breiten Rechtskonsensus bedarf, gerade darum darf ich für meine Fraktion erklären, daß wir uns um die Herstellung eines solchen Rechtskonsensus bemühen werden.
({62})
Es war der große Rudolph Sohm, der einmal darauf hingewiesen hat, daß Gesetze im Augenblick ihrer Entstehung bereits überholt sind. Das wird auch das Schicksal dieses Gesetzes sein, enthebt uns aber nicht der Notwendigkeit, gesetzgeberisch tätig zu werden und um ein Gesetz bemüht zu sein, das den gesellschaftlichen Bedingungen und Lagen unserer Zeit entspricht, das Ausdruck sozialen Verantwortungsbewußtseins ist und an den Wertentscheidungen unserer Verfassung orientiert bleibt. In diesem Sinne und in Offenheit für die Argumente der Regierung wie aller Fraktionen dieses Hohen Hauses wird die CDU/CSU-Fraktion ihre Mitarbeit an dieser Gesetzgebung leisten.
({63})
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mikat, ich habe Ihnen nicht nur wie immer mit einem großen intellektuellen Vergnügen zugehört., sondern ich habe das Bedürfnis, Ihnen sehr herzlich für das Angebot der konstruktiven Mitarbeit an diesem Gesetzesvorhaben zu danken. Dieser Dank müßte eigentlich überflüssig sein; aber das Verhalten Ihrer Fraktion in den letzten Monaten gibt Anlaß dazu, das hier ganz besonders zu loben und festzustellen.
({0})
Ich möchte Ihnen noch aus einem anderen Grunde danken, Herr Kollege Mikat, nämlich für das ungeheure Lob, was Sie denjenigen ausgesprochen haben, die diesen Gesetzentwurf, der in mancherlei Hinsicht noch mangelhaft sein mag, vorgelegt haben, indem Sie den Vergleich mit der Entstehung des
BGB gezogen haben. Wenn es wirklich so ist - und
ich hoffe, es ist so -, daß dieses neue Ehescheidungsrecht von genauso guten Leuten und mit dem gleichen Niveau erarbeitet wird, wie das einst die Väter des BGB getan haben, so kann ich mir ein größeres Lob insbesondere von einem Sprecher der Opposition gegenüber dem Justizminister nicht vorstellen.
({1})
Ich glaube allerdings, in einer Hinsicht irren Sie. Wenn wir, wie ich glaube: mit Recht, herausstellen, daß der Justizminister Gerhard Jahn unsere Ankündigung „Mehr Demokratie" wahrgemacht hat durch seinen Diskussionsentwurf, so meinten wir nicht die Diskussion unter den Fachleuten, sondern den Umstand, daß er zum erstenmal - und das war beim BGB nicht so - diesen Gesetzentwurf im vorparlamentarischen Raum dem gesamten Volk zur Diskussion gestellt hat. Das ist doch wirklich mehr Demokratie.
({2})
Abgesehen davon werden Sie es mir vielleicht nicht verübeln, wenn ich hier heute mit einer großen persönlichen Genugtuung stehe. Nicht nur daß ich, von meinem juristischen Lehrer, dem ich sehr viel verdanke, nämlich Kurt Georg Kiesinger, schon als Student zum logischen juristischen Denken erzogen,
({3})
schon damals Zweifel an der Richtigkeit des damals praktisch schon geltenden heutigen Eherechts gehabt habe; diese Zweifel haben sich dann einfach aus der Praxis eines Anwalts mit leider sehr viel Ehescheidungssachen ungeheuer verstärkt. Sie werden sich daran erinnern, daß es gerade fast auf den Tag genau vier Jahre her ist - es war am 8. November 1966 -, als ich die Ehre hatte, unseren Antrag auf Einsetzung einer Eherechtskommission für meine Fraktion zu begründen. Ich habe bei dieser Begründung im Kern genau das gesagt, mit wenigen Worten natürlich, was Sie, Herr Kollege Mikat, jetzt wieder in der Art und Weise, wie Sie es natürlich viel besser beherrschen als ich, noch einmal unterstrichen haben.
Die Reform allein der Scheidung an sich reicht nicht aus, sondern es gehört all das dazu, was Sie zu Recht hervorgehoben haben: die soziale Sicherung, das Unterhaltungsrecht, das Recht der Kinder, das Verfahrensrecht usw. Darüber gab es gar keinen Zweifel. Nur habe ich, als ich damals unseren Antrag begründete - dies bekenne ich ganz offen -, nicht im Traum daran gedacht, daß es innerhalb so kurzer Zeit möglich sein würde, wirklich zu einem so konkreten Ergebnis zu kommen. Nicht im Traum habe ich daran gedacht, und wahrscheinlich hat niemand daran gedacht.
Es gab einige, die meinten, dieser Antrag auf Einsetzung der Eherechtskommission sei eigentlich nur so eine Art Trick, um dem damals vorliegenden Antrag der FDP auf Änderung des § 48 auf elegante Art und Weise zu begegnen.
Es war von uns auch damals schon nicht als Trick gemeint. Aber wenn Sie meine Begründung von damals durchlesen, auch die Ausführungen, die ich zu dem Antrag der FDP zu § 48 gemacht habe, so werden Sie feststellen, daß das, was ich damals gefordert habe, zwar eine Reform des gesamten Ehe- und Ehefolgenrechtes beinhaltete, aber keineswegs etwa in der Forderung bestand, eine Umstellung vom Verschuldensprinzip zum Zerrüttungsprinzip vorzunehmen. Das entsprach zwar einer alten Vorstellung meiner Partei, und ich hatte schon in meiner Jugendzeit gemeint, das sei wahrscheinlich besser. Aber das das erreichbar wäre in diesem Lande, hatte ich damals nicht erwartet. Ich muß sagen: es gehört zu den großen Erlebnissen meines Lebens als Jurist und als Politiker, als dann in der Eherechtskommission die Tür zu dem aufgemacht wurde, was wir heute im Kern in der Regierungsvorlage haben, nämlich der Umstellung zum Zerrüttungsprinzip.
({4})
Das taten nicht die Juristen dort, sondern das waren zwei Theologen und ein Psychiater. Das war einmal der von mir sehr verehrte Pater Professor Hirschmann von seiten der katholischen Kirche, und das war Herr Oberkirchenrat Wilkens in einem sehr beeindruckenden Referat über das Problem der Schuld in der Ehe. Es ist vielleicht interessant für Sie, aus diesem Referat ein kurzes Zitat zu hören, das mir von großer Wichtigkeit zu sein scheint. Er hat damals unter anderem gesagt:
Das gegenwärtige Ehescheidungsrecht mit der Orientierung an verschuldeten Eheverfehlungen begünstigt die sittlich durchaus problematische Vorstellung, der „Unschuldige" habe ein „Recht" auf Scheidung, während in der sittlichen Betrachtung die Pflicht zur Vergebung und die Bereitschaft zur Überwindung der Störung der Ehegemeinschaft einem solchen „Recht" auf jeden Fall überzuordnen ist. So aber
- sagt Herr Wilkens werden in höchst bedenklicher Weise die gegenwärtigen Beschuldigungs- und Rechtfertigungsbedürfnisse geweckt, die mit dem sittlichen Verständnis der Ehe, auch wenn sie in Gefahr geraten ist, nicht vereinbar sind. Zudem wird bei den Beteiligten die Erkenntnis eigener Schuld erschwert oder gar verhindert.
Ich habe gesagt: es gab ein zweites Referat, das ebenso beeindruckend war. Erlauben Sie mir auch daraus ein Zitat. Es war das Referat des Psychiaters Professor Mauz. Er hat damals unter anderem gesagt:
In sämtlichen Lebensbereichen außer der Ehe wird dem Menschen nicht nur für die alltäglichen Dinge, sondern auch bei hochdifferenzierten verantwortungsvollen Leistungen und Aufgaben das Recht des Irrtums und des Mißlingens zugestanden. Er darf Fehlschläge haben und muß trotzdem sein Leben nicht als verfehltes
Leben betrachten. Er darf neu anfangen und verliert dadurch nicht die Achtung seiner Mitmenschen. Niemand verlangt von ihm, daß er von vornherein abschätzen kann, ob ein bestimmtes Tun auch wirklich der Weg sein wird zur Verwirklichung des Ziels. Jedermann ist klar, daß nur so und nicht anders der Mensch wachsen und sich entfalten kann und daß jeder Mensch ein mißglücktes soziales Wesen wäre, wenn jedes Mißlingen die Verachtung und Verdammung seitens der Umwelt zur Folge hätte. Einzig und allein
- sagt Herr Mauz für die Ehe gilt diese Einsicht nicht. Diese Ausklammerung der Ehe aus allen Zugeständnissen an das menschliche Sein und Werden durch eine unvorstellbare Überhöhung des Ehebegriffs halte ich für die größte Gefährdung der Ehe.
Bitte, überlegen Sie sich das einmal genau. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie nicht mit mir an Hand dieser Überlegung zu der Feststellung kommen, wie unmöglich der Versuch insbesondere Dritter sein muß, festzustellen, wenn eine Ehe zerrüttet ist, wenn eine Ehe gescheitert ist: wer hat die Schuld daran? Nun sind wir uns ja - und das ist ja das Entscheidende - -({5})
- Herr Vogel, immerhin - so selbstverständlich war das nicht - sind wir uns ja jetzt einig: Übergang zum Zerrüttungsprinzip.
Ich möchte wie schon im vorigen Jahr oder im Frühjahr dieses Jahres bei unserer Etatberatung noch einmal sagen, daß das eigentlich der entscheidende Punkt ist, um den es bei dieser Reform geht. Natürlich stecken wie üblich tausend Teufelchen in den Einzelheiten, sicher. Aber wenn wir uns, katholische Kirche, evangelische Kirche, alle gesellschaftlichen Kräfte in diesem Lande, alle Parteien, im Kern - das ist doch das Erstaunliche - durchgerungen haben, zum Zerrüttungsprinzip überzugehen, dann wird es doch wohl auch möglich sein, daß wir uns hinsichtlich der meisten Einzelheiten verständigen.
({6})
- Nun, Herr Vogel, das kann aber nicht in der Form geschehen, daß Sie sagen - und das hat Herr Mikat getan -: An sich ein großartiger Entwurf!
({7})
- Doch, doch, so habe ich es aufgefaßt. Seien Sie doch froh! Er hat den Entwurf im Kern und in sehr vielen Einzelheiten eigentlich sehr, sehr positiv und konstruktiv beurteilt und dann einige Anmerkungen zu dem gemacht - natürlich, das ist sein gutes Recht und seine Pflicht -, wo er Bedenken hat.
Sie können natürlich nun nicht verlangen, daß wir etwa bei den Ausschußberatungen all diese Bedenken, die Herr Mikat und andere von Ihnen
vorgebracht haben, einfach akzeptieren, und davon ausgehen, daß das dann der Kompromiß sei.
({8})
- Herr Lenz, man kann Anmerkungen auch „Alternativen" nennen. Eine Alternative wäre für mich ein Referat gewesen, in dem gesagt worden wäre: Wir lehnen das Zerrüttungsprinzip ab und schlagen statt dessen die Beibehaltung des gegenwärtigen Rechts oder etwas ganz anderes vor. Hier ist an Einzelheiten Kritik geübt worden. Aber darüber wollen wir uns nicht streiten! Ich wollte noch etwas ganz anderes sagen.
({9})
- Wir haben hier keine Ausschußberatung. Es ist also ziemlich müßig, jetzt anzufangen, hier Einzelheiten aus dem Entwurf zu diskutieren. Dafür ist der Rechtsausschuß da. Aber einige Grundsätze müssen wir auch hier besprechen; und ich werde das tun. Jedoch könnte es ja sein - wenn diese Beratung einen Sinn haben soll, Herr Vogel -, daß Sie sich in den Ausschußberatungen, wenn Sie wirklich konstruktiv da hineingehen, davon überzeugen lassen, daß die Regierungsvorlage trotz Ihrer derzeitigen Kritik vielleicht eben doch recht hat. Es kann sein - ich erkläre mich persönlich sehr deutlich dazu bereit -, daß ich mich überzeugen lasse. Es kann auch sein, daß wir zu dritten Lösungen kommen. So sollte es auch sein, und es wird so gut wie sicher so sein; denn wann ist bei uns im Rechtsausschuß einmal eine Vorlage so hinausgegangen, wie sie hereingekommen ist!
({10})
- Nicht einmal das. So sollten wir bei der Einzelberatung miteinander verfahren.
Nun gibt es natürlich einige nicht unwichtige Punkte, die Herr Mikat hervorgehoben hat und die selbstverständlich Gegenstand der Erörterung werden sein müssen. Ich will jetzt nicht Rechtsphilosophie betreiben, sondern nur ganz kurz darauf hinweisen, wie problematisch diese Bedenken sind.
Herr Mikat meint - was ich verstehe -, es dürfe keine Verstoßungsscheidung geben. Niemand von uns will das. Man kann darüber streiten, ob man Zerrüttung oder Scheitern der Ehe als Voraussetzung für die Scheidung verlangt. Ich halte den Unterschied nicht für von entscheidender Bedeutung für die Praxis; das werden wir überlegen müssen. Vorläufig meine ich, daß Scheitern ein höheres Verlangen ist als Zerrüttung. Eine Ehe kann nämlich gescheitert sein, ohne zerrüttet zu sein, während eine Ehe zerrüttet sein kann - nämlich zeitweise -, ohne daß sie unbedingt gescheitert ist. Ich halte das aber nicht für ein sehr schwerwiegendes Problem.
Wir wollen also keine Verstoßungsscheidung. Ich verstehe diejenigen, die sagen: „Kein Automatismus! Die Fristen sind ein bißchen gefährlich. Da wollen wir irgendeine Bremse schaffen." Das verstehe ich. Aber ich kann mir diese Bremse zunächst in Form einer widerleglichen Vermutung bei der einvernehmlichen Scheidung praktisch nicht vorstellen. Da muß in einer Klage nicht mehr darin-stehen als: „Ich lebe von meiner Frau seit einem Jahr getrennt." Dann muß ein Schriftsatz von der Frau kommen, in dem steht: „Es ist richtig, daß ich ein Jahr getrennt lebe." Dann beantragen beide, geschieden zu werden, und, wenn das Verfahrensrecht so gestaltet ist, wie wir uns das gemeinsam vorstellen, dann wird außerdem der Vorschlag über die Scheidungsfolgen gemacht.
Nun steht es dem Richter meines Erachtens nicht zu, wenn sich beide einig sind, zu sagen: „Ihr seid euch zwar einig, ihr wollt geschieden sein, aber ich, der weise Richter, bin der Meinung, daß ihr euch nicht scheiden lassen solltet." Wenn der Richter das macht, halte ich das für ein absurdes Unterfangen. Aber abgesehen davon, wie soll er das eigentlich machen? Wie soll er jetzt klären, ob die Ehe nicht vielleicht doch noch zu retten ist? Da muß er doch anfangen, die Leute hochnotpeinlich zu befragen. Wir haben heute schon die einvernehmliche, die Konventionalscheidung, wo der Richter sogar weiß, daß er beschwindelt wird, und wo er in der Großstadt nicht daran denkt, auch nur eine Frage zu stellen, weil er nämlich weiß, daß ihm das unter Umständen Schwierigkeiten macht bei dem Scheidungsausspruch, den er nach ein paar Minuten verkünden will. Wie soll der Richter, wenn wir diese ehrliche Regelung haben, in Zukunft bei einer Ehe, von der die beiden Partner überzeugt sind, sie sei kaputt, feststellen, sie sei doch in Ordnung? Ich frage ganz nüchtern: Wie soll er das machen?
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard.
Hirsch: ({0}) : Bitte!
Herr Kollege Hirsch, wären Sie bereit, im Zusammenhang mit dem, was Sie jetzt gesagt haben, auf das Argument einzugehen, das uns der Herr Justizminister heute vorgetragen hat, nämlich daß das heutige Verfahren aus der Manipulierbarkeit herausgeholt werden solle? Wie soll die Manipulierbarkeit bei den Regelungen, wie Sie sie hier vorschlagen, ausgeschaltet werden?
Diese vorgesehene einverständliche, ehrliche Scheidung bedeutet nicht eine Manipulierung des Verfahrens. Die Parteien gehen vielmehr ehrlich zum Richter und sagen: Wir wollen geschieden werden. Bitte denken Sie auch noch an etwas anderes. Gerade wenn Sie wollen, daß es zwischen Partnern, die einmal Krach haben, eine Versöhnung gibt, müssen Sie alles tun, um zu vermeiden, daß die Tatsache, daß einer den kleinen Finger reicht, sofort die Unmöglichkeit mit sich bringt, geschieden zu werden.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus?
Ja, bitte!
Herr Kollege Hirsch, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Herr Justizminister nicht davon gesprochen hat, daß die Scheidung manipuliert werden kann, sondern davon, daß bei der Konventionalscheidung die Schuld vor Gericht manipuliert werden kann? Das ist doch ein Unterschied gegenüber dem, was Herr Erhard mit seiner Zwischenfrage zum Ausdruck bringen wollte.
({0})
Es geht um das Verfahren und um das Materielle. Aber ich wollte hier folgendes sagen. Wenn Sie - ich spreche immer nur von der einvernehmlichen Scheidung - eine solche Widerlegbarkeit haben, besteht die Gefahr, daß jemand, der meinetwegen seine Frau verlassen hat, weil er ihr böse ist und weil er zu diesem Zeitpunkt meint, er sollte sich scheiden lassen, alles tut, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, er habe noch. Beziehungen zu dem Ehepartner. Mit anderen Worten: Sie verhindern geradezu Versöhnungsmöglichkeiten, die doch in vielen solchen Fällen, wenn jemand den Ehepartner einmal verläßt und dann doch wieder zurückkommt, konkret bestehen, weil jeder Rechtsberater dem Betreffenden sagen wird: Nun mußt du aber ganz vorsichtig sein! Schreib keine Ansichtskarte, und sag der Frau nicht einen Gruß durch die Kinder, sondern sei ganz stur! Sonst ist die Möglichkeit der Scheidung hinweg!
Ich wollte das hier nur einmal sagen, um klarzumachen, daß diejenigen, die meinen, man könnte durch die Widerlegbarkeit dieser Frist bei der einvernehmlichen Scheidung etwas Gutes tun, unter Umständen Ehen zur Scheidung bringen, die ohne diese Widerlegbarkeit vielleicht gar nicht geschieden würden. Ich bitte das einmal zu überlegen.
Was nun die Widerlegbarkeit bei der strittigen Scheidung anbetrifft, so ist das natürlich viel schwieriger. Ich persönlich gebe zu, daß es schlecht wäre, auf Grund einer bloßen dreijährigen Trennung die Ehe auch gegen den Willen des verlassenen Partners zu scheiden. Ich gebe zu, daß man sich hier etwas einfallen lassen muß, um im Einzelfall Gerechtigkeit zu üben. Insofern bin ich ganz Ihrer Meinung, Herr Mikat. Allerdings frage ich mich, ob diese Widerlegbarkeit der Vermutung nun wirklich die einzige Lösung ist. Zunächst gilt dasselbe, was ich eben hinsichtlich der einvernehmlichen Scheidung gesagt habe. Der Minister hat hier gesagt das steht auch so in der Begründung , daß eine solche Widerlegbarkeit nur in Ausnahmefällen stattfinden soll. Ich glaube, daß unter Umständen auch ein ganz anderer Weg beschritten werden kann. Das sage ich, ohne daß ich mich bereits entschieden habe. Ich habe nämlich die Sorge, daß diese Widerlegbarkeit faktisch zu einem neuen Streit mit völlig verkehrten Fronten führt. Eine Frau bekommt z. B. eine Klageschrift zugestellt, in der steht: Ich lebe drei Jahre getrennt. An sich ist dann die Voraussetzung für die Scheidung erfüllt. Was soll sie dann machen? Sie sagt sich: Ich behaupte, meine Ehe ist in Wirklichkeit nicht zerrüttet. - Dann geht sie zum Gericht. Der Richter fragt sie nun: Warum behaupten Sie denn das? Dann muß sie wider besseres Wissen anfangen, den Mann, der sie schließlich verlassen hat und auf den sie nicht gerade freundlich gestimmt sein kann, furchtbar zu loben und schrecklich nette Dinge über ihn zu sagen. Danach wird er gefragt werden: Ja, was sagen Sie denn dazu? Und dann muß er anfangen, sich schlechtzumachen. Im Gegensatz zu heute, wo der eine den anderen schlechtmacht, macht dann der andere den einen schlecht, und wir hätten damit wieder einen Kampf, in diesem Falle aber mit völlig verkehrten und ganz absurden Fronten.
Ich würde es daher vorziehen - das ist der gegenwärtige Stand meiner Überlegungen, aber darüber werden wir im Ausschuß sprechen müssen -, andere Lösungen für dieses Problem zu finden. Ich könnte mir eine Lösung über das Verfahrensrecht - Aussetzungsmöglichkeit seitens des Richters in Fällen, die ihm kritisch erscheinen - vorstellen. Vielleicht werden uns auch noch andere Möglichkeiten einfallen, aber der Weg über die Widerleglichkeit der an sich doch vernünftigen Fristenvermutung scheint mir noch nicht den Stein der Weisen darzustellen.
Bei den Härteklauseln - seien es nun materielle oder ideelle - bin ich nach wie vor der Meinung, daß die Eherechtskommission den richtigen Weg gegangen ist. Sie hat ja die beiden Härteklauseln - allerdings befristet - vorgesehen, und der Minister hat heute in seinen Ausführungen zu erkennen gegeben, daß er auf dem Standpunkt steht, die Verweigerung der Scheidung wegen einer Härte könne nicht unendlich lange aufrechterhalten werden, sondern man müsse dann doch von irgendeinem Zeitpunkt an eventuell neu klagen können. Ich würde allerdings meinen, es sei dann doch besser, von vornherein zu sagen: Befristung der Härteklausel. Die Eherechtskommission hat praktisch dies vorgeschlagen. Bei ihrer Konstruktion ist aber ein Punkt anders geregelt, denn es gibt keine Härteklausel bei der Scheidung, die über die Fristenregelung läuft. Vielmehr bezieht sich die Härteklausel auf die Scheidung über die Generalklausel; ansonsten wäre die Begrenzung der Anwendung der Härteklausel auf fünf Jahre in der Konzeption der Eherechtskommission nicht zu erklären.
Auch zu diesem Gedanken müssen wir im Ausschuß noch einmal Überlegungen anstellen, ebenso wie wir werden überlegen müssen - was manchen von Ihnen vielleicht verwunderlich erscheint -, oh es nicht, wie auch der Juristentag gemeint hat, doch richtig wäre, die Generalklausel ganz zu streichen. Das würde im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung eine erhebliche Verminderung der Scheidungschancen bedeuten, denn dann gäbe es keine Scheidung ohne Vorhandensein einer dreijährigen Trennung. Auf der anderen Seite enthält die GeneHirsch
ralklausel die Gefahr, daß eben doch wieder beim Einzelvorbringen - wo man ja behaupten muß, auch schon vor Ablauf einer Trennungsfrist sei dies und jenes passiert und die Ehe sei zerrüttet -schmutzige Wäsche gewaschen wird und daß unter Umständen ungünstige und falsche Ergebnisse zustande kommen.
({0})
Ich würde es, gerade weil ich jemand bin, der für die Erhaltung und den Schutz gesunder Ehen sowie für die Heilung kranker Ehen eintritt, in Kauf nehmen, daß dann unter Umständen in ganz krassen Fällen auch der eine oder andere drei Jahre warten muß, bis er seine Scheidung bekommt. Für so unerträglich halte ich das nicht. Denn es gibt Ehen mit ganz, ganz schlimmen Krisen und ganz schrecklichen Verfehlungen des einen oder anderen Partners, die doch wieder zusammengekommen sind.
({1})
Aus diesem Grunde neige ich persönlich zu dem Beschluß des Juristentages, die Generalklausel zu streichen, die Scheidungen allein über die Fristen laufen zu lassen und dann natürlich entsprechende Bremsen vorzusehen, hinsichtlich derer wir uns etwas einfallen lassen sollten.
Was das Unterhaltsrecht anbetrifft, so ist wohl der Konsensus aller im Kern noch größer, als es beim Scheidungsrecht der Fall ist. Natürlich kann gar nicht bestritten werden, daß sich die Unterhaltsbestimmungen - in diesem Falle vom Vorschlag der Eherechtskommission über den Diskussionsentwurf, über das Votum des Juristentages bis hin zum ersten und zum zweiten Referentenentwurf - ununterbrochen verbessert haben und daß sie heute grundsätzlich kaum noch kritisiert werden. Selbstverständlich gibt es einige umstrittene Einzelfragen, aber auch da muß und wird eine Verständigung möglich sein.
Praktisch gibt es zwei große Probleme: Wie weit soll der Vorrang der ersten Frau gehen? - Ich bin sehr stolz darauf, daß ich von diesem Vorrang der ersten Frau schon vor vier Jahren expressis verbis gesprochen habe; ich habe die verfassungsrechtlichen Bedenken in dieser Sache nie geteilt, zumal man ja füglich nicht bestreiten kann, daß der wirtschaftliche Standard von Menschen, deren Ehe auseinandergeht, allein schon dadurch schlechter werden muß, daß sie nun zwei Haushalte führen. Dabei tritt die Verschlechterung allerdings nicht unbedingt erst mit der Scheidung ein, sondern schon mit dem Zeitpunkt, zu dem der eine Partner den anderen verläßt - auch daran muß man denken -, wie natürlich überhaupt die Katastrophe nicht die Scheidung ist, sondern das Zerbrechen der Ehe. Die Scheidung besiegelt das nur. Daran muß man denken. Aber, wie gesagt, der wirtschaftliche Standard der Normalfamilie -- wir reden ja nicht von den Reichen, wo das keine Rolle spielt - muß sich verschlechtern, wenn man zwei Haushaltungen führt. Er muß sich noch mehr verschlechtern, wenn man zwei Frauen unterhalten soll. Natürlich bedeutet dann die Scheidung heute im Normalfall - das kann später ganz anders sein - eine wirtschaftliche Härte für die verlassene Ehefrau. Aber ich habe Bedenken, dem zu begegnen, indem man sagt: Nur aus materiellen Gründen - denn vorher wurde ja festgestellt, daß diese Ehe zerrüttet oder gescheitert ist - wird diese gescheiterte Ehe trotzdem aufrechterhalten. Dieses Problem muß man durch vernünftige Unterhaltsregelung und durch vernünftige Regelungen im großen Bereich der sozialen Fürsorge usw. in den Griff bekommen.
Die Aufrechterhaltung einer, wie gesagt, festgestellt gescheiterten Ehe nur aus wirtschaftlichen Gründen ist für mich widersinnig, unchristlich, wenn ich das sagen darf, und fast verbrecherisch. Verbrecherisch ist das deswegen, weil man dieser verlassenen Frau keinen Gefallen tut, sondern weil das dazu führt - dazu hat Herr Mauz in der Kommission Wichtiges gesagt -, daß diese Frau - der Mann ist ja weg - immer an ihn denkt, immer hofft, er komme vielleicht doch noch. Dann gerät sie unter Umständen in Haßgefühle. Sie wird ihn hinsichtlich jeder Erhöhung seiner Einkommensquellen verfolgen. Das führt dann dazu, daß diese Frau durchdreht. Um das zu erkennen, braucht man kein Psychiater zu sein; Herr Erhard, Sie kennen solche Fälle auch. Es ist für sie besser, auch wenn sich der wirtschaftliche Standard für sie verschlechtert, wenn diese zerstörte Ehe auch formell auseinandergebracht wird. Dann wird sie viel eher wieder zu sich finden, als wenn diese Scheinehe, diese Nichtehe künstlich aufrechterhalten wird.
Ich bitte Sie daher sehr herzlich: überlegen Sie mit uns - unsere Sozialpolitiker werden uns da sehr helfen müssen --, wie wir Wege finden, auf denen wir diese materiellen Härten im Unterhaltsrecht und auf den anderen Gebieten in den Griff bekommen, damit niemand weiterhin auf den Gedanken kommt, eine zerstörte Ehe nur deswegen noch formell „Ehe" zu nennen, weil es dort wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt! Ich sage es noch einmal: für mich ist das mit dem Wesen der Ehe, wie ich sie verstehe, unvereinbar.
Nun gibt es sicher im Unterhaltsrecht das weitere Problem, was man mit einem - wenn ich einmal so sagen darf - ganz großen Bösewicht macht, der seine Familie verlassen hat. Meistens wird hier das Beispiel von Frauen gebracht, die sich zu ihrem Mann und ihrer Familie schrecklich benommen haben, die einfach weggegangen sind, die aus irgendwelchen Günden nicht erwerbsfähig sind und die nach dem normalen Gang der neuen Unterhaltsregelung jetzt Unterhalt bekämen. Auf den ersten Blick sagt man, das sei unbillig. Nun muß man sich natürlich, wenn man etwas nachdenkt, bei vielen von den Beispielen, die gebracht werden - jeder von uns, der auf diesem Gebiet tätig ist, kennt ja konkrete Beispiele -, fragen: weiß ich denn den wirklichen Grund, warum diese angeblich so schlechte Frau ihre Familie verlassen hat? Steckt der wirkliche Grund nicht doch bei dem anderen?
Wenn man anfängt, da mit Billigkeitsregelungen zu kommen - für die ich im Kern durchaus bin , gerät man in die Gefahr, daß auf dem Wege über den Unterhaltsprozeß doch wieder
schmutzige Wäsche gewaschen wird und der Eherechtsprozeß auf diesem Gebiet praktisch in alter Form nachgeholt wird. Da es normalerweise - Herr Vogel, Sie wissen das - nicht immer um klare Fälle geht, sondern um Fälle, in denen man behauptet, das sei ein Bösewicht - er braucht das gar nicht zu sein -, haben Sie in unendlich vielen Fällen ein Eherechtsverfahren so schrecklicher Art wie heute mit der schmutzigen Wäsche, mit der Spitze des Eisberges, die der Richter nur erkennen kann, und unter Umständen ohne jeden vernünftigen Nutzeffekt. Ich bejahe den Gedanken, aber ich weiß nicht recht, ob wir ihn durchhalten können, wenn wir nicht, was in der Regierungsvorlage ja weitgehend geschehen ist, ganz harte Regeln machen, wo ganz klare Tatbestände da sind, bei denen es auf der Hand liegt, daß die Zahlung eines Unterhalts unbillig wäre. Wenn wir nur eine Billigkeitsklausel haben, wird in so gut wie allen Fällen - bleiben wir bei dem Mann, der verlassen worden ist - der Mann behaupten: ich brauche keinen Unterhalt zu zahlen, denn das wäre unbillig. Das kann nicht das Ziel dieser Reform sein. Das werden wir uns, wie gesagt, überlegen müssen, und wir werden an Hand von sehr konkreten Fällen einmal darüber nachdenken müssen, ob es nicht auch hier etwas Besseres gibt.
Ich habe vorhin schon gesagt, daß ich die Beratungen im Rechtsausschuß nicht vorwegnehmen wolle. Aus diesem Grunde möchte ich jetzt zum Ende kommen. Ich sage Ihnen noch einmal: ich bin sehr froh darüber, daß wir in vier Jahren so viel erreicht haben. Ich verstehe nicht, warum der von mir sehr verehrte Herr Professor Bosch behauptet, diese Eherechtsreform sei in einer sehr hektischen Atmosphäre erarbeitet worden. Ich verstehe ihn schon deswegen nicht, weil er auch in seinen Skripten, die wir bekommen haben, offenbar davon ausgeht, daß das Gesetz heute endgültig verabschiedet werde. Das, was er uns an Einzelheiten geschrieben hat, halte ich zum Teil für beachtlich, und wir werden es im Ausschuß selbstverständlich sorgfältig prüfen. Seit 50 Jahren wird in diesem Lande darüber beraten, ob das Eherecht des BGB gut ist oder nicht. Die Beratung ist in der Weimarer Republik fortgeführt worden. Von einer Beratung im Dritten Reich kann man kaum sprechen. Immerhin gab es auch in der Zeit Fachgelehrte, die sich darüber Gedanken gemacht haben. Eigentlich empfanden gleich nach dem Kriege alle diejenigen, die sich damit befaßt hatten, wiederum Unbehagen hinsichtlich des geltenden Rechts. Nachdem das Ganze nun sozusagen im Endspurt, wo man immer etwas schneller läuft, d. h. in vier Jahren, praktisch fertiggeworden ist, kann man wohl nicht mehr von Hektik sprechen. Man kann natürlich immer darüber streiten, Herr Mikat; ich unterscheide mich hier etwas von Ihnen. Ich bin durchaus der Meinung, daß der Gesetzgeber in gewissen Fällen dem vorhandenen gesellschaftlichen Bewußtsein, sagen wir mal, vorausmaschieren muß und daß er nicht immer nur nachzuvollziehen hat. Hätte der Gesetzgeber nicht das Nichtehelichenrecht neu gestaltet, hätte die Diffamierung der nichtehelichen Kinder sicherlich noch sehr lange angedauert. Nun wird aber durch das, was der Gesetzgeber getan hat, mit der Zeit die Befangenheit gegenüber dem sogenannten Bastard entschwinden, und die Kinder werden dann wirklich gleichberechtigt sein.
Bei diesem Gesetz brauchen wir jedoch diese Grundsatzdifferenz gar nicht auszutragen. Denn hier gibt es eine eklatante Veränderung im gesellschaftlichen Bewußtsein insofern, als in diesem Land über 90 % der Menschen zu dem Ergebnis gekommen sind, daß das geltende Eherecht schlecht ist. Auch in diesem Hause ist die überwiegende Mehrheit zu dem Ergebnis gekommen - Meinungsverschiedenheiten über Einzelheiten sind hier nicht wichtig -, daß die Eherechtsreform - die Vorschläge der Eherechtskommission und die drei Entwürfe des Justizministers - im Kern gut und richtig ist.
({2})
- Sie haben recht, Herr Kollege; aber zum Teil geht es auch um das Eherecht, wie aus der Überschrift hervorgeht.
Wenn darüber ein Konsensus besteht, kann man sagen, daß der Gesetzgeber hier nicht voranmarschiert, sondern das vollzieht, was fällig ist. Ich hoffe, es wird nicht allzulange dauern, bis wir in diesem Hause trotz aller natürlich notwendigen harten Kleinarbeit an dem Gesetz in der Lage sein werden, sowohl dieses Gesetz als auch das Verfahrensgesetz und das dritte Gesetz, das den sozialpolitischen und sonstigen Bereich zu regeln hat, zu verabschieden, damit diese Gesetze bald in Kraft treten können. Denn viele Menschen warten auf eine gerechte Scheidung und auf einen ihnen zustehenden vernünftigen Unterhalt. Nach heutigem Recht - auch daran wollen Sie bitte denken - werden jedes Jahr Hunderte von Ehen aus formellen Gründen geschieden, die nach dem neuen Recht unter Umständen nicht geschieden würden. Es geht ja nicht darum, die Scheidung zu erleichtern,
({3})
sondern es geht darum, sie vernünftiger und gerechter zu machen, und zwar einschließlich aller Folgen.
({4})
- Ich wäre kein Sozialdemokrat, wenn ich nicht Optimist wäre, Herr Kollege. Darin unterscheiden sich konservative und fortschrittliche Leute.
({5})
- Aber ein so großer Pessimist, wie Sie manchmal tun, sind Sie auch nicht.
Bitte, Herr Vogel, helfen Sie dabei mit, aus diesem Gesetzentwurf sobald wie möglich ein Gesetz zu machen und in Kraft zu setzen. Über Meinungsverschiedenheiten in Einzelheiten werden wir uns im Rechtsausschuß noch zu unterhalten haben.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Auf die Entstehungsgeschichte haben schon der Herr Bundesjustizminister, für dessen ausgezeichnete Rede ich ihm hier ausdrücklich danken möchte, und Herr Kollege Hirsch hingewiesen. Bereits vor vier Jahren haben die Probleme einer Reform des Scheidungsrechts hier im Bundestag zur Diskussion gestanden. Die Gründe, die damals die Freien Demokraten veranlaßt haben, wieder eine Änderung des § 48 Abs. 2 zu fordern, lagen darin, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse in der Weise entwickelt hatten, daß sehr viele Ehen nur noch auf dem Papier bestanden, ohne wirkliche Ehegemeinschaften zu sein. Dadurch waren Ehetragödien entstanden, die es einfach nicht länger erlaubten, an diesen Tatbeständen und an diesen menschlichen Tragödien vorbeizugehen. - Herr Kollege Eyrich, Sie schütteln zwar den Kopf, aber es ist so.
Herr Kollege Hirsch und ich sind beide Anwälte. Wir haben die menschlichen Tragödien in unserer Praxis gesehen. Wir wissen, wie eng die Frage, wer ist schuld an der Scheidung, verquickt ist mit all den Scheidungsfolgen wie Unterhalt, Versorgung, Sozialversicherung, Beamtenrecht usw. Deren Verknüpfung mit dem Schuldausspruch ist viel zu weitgehend.
Ich habe es damals begrüßt, daß diese Eherechtskommission gebildet wurde. Ich darf sagen, daß sich die Arbeit dieser Eherechtskommission als sehr fruchtbar erwiesen hat. Sie hat sich auch deshalb als fruchtbar erwiesen, weil in der Kommission die verschiedensten Persönlichkeiten vertreten waren, solche, die man als sehr konservativ bezeichnen könnte, und solche, die ganz fortschrittlich sind.
Das Überraschende ist gewesen, daß man trotzdem in dieser Eherechtskommission schon in dem Grundprinzip zu so weitgehender Einigung gekommen ist. Das Überraschende war - ich muß ganz ehrlich sagen, das hätte ich vor vier Jahren nicht erwartet -, daß auch bei der CDU/CSU, insofern sie für die Probleme des Scheidungsrechts aufgeschlossen war, allgemeine Übereinstimmung darüber besteht, daß das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip abgelöst werden soll.
({0})
Das war natürlich der Angelpunkt. In dem Augenblick, in dem man vom Schuldprinzip abging, war es zwangsläufig, daß auch die gesamten Scheidungsfolgen neu geregelt werden mußten, sowohl die privatrechtlichen wie die öffentlich-rechtlichen, die sozialversicherungsrechtlichen, die beamtenrechtlichen Ansprüche usw.
Herr Kollege Mikat, Sie haben mit Recht davon gesprochen - ich drücke es mit meinen Worten aus -, man solle Reformen nicht um der Reform willen machen. Diese Ansicht teile ich. Aber Übereinstimmung besteht wieder auch darin, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend geändert haben und daß heute vor allem auch in dem persönlichen Zusammenleben von Mann und Frau in der Ehe doch auch wesentliche Unterschiede bestehen, wenn man vergleicht, wie ältere Ehen geführt werden und unter welchen Gesichtspunkten die Jugend heute die Ehe eingeht. Sie schließt die Ehe auch das möchte ich hier ganz ausdrücklich hervorheben -, weil sie auf eine lebenslange Verbindung hofft. Es ist nicht so, als wäre die Jugend bereit, leichtfertig zu sagen: Jetzt heirate ich mal, dann lasse ich mich scheiden, und dann heirate ich noch einmal. Die Jugend nimmt heute die Treue ernster, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Das ist in einem Hearing im Strafrechtsausschuß ausgesprochen worden. Das ist ein Lob für unsere Jugend. Sie bindet sich früher, sie bindet sich enger, sie möchte auch ein Leben lang zusammenbleiben. Aber sie steht partnerschaftlich zueinander. Es zeigt sich hier, daß die jungen Frauen heute fast alle im Erwerbsleben standen oder stehen, daß sie in den Schulen gemeinsam erzogen werden und gemeinsame Berufsausbildungen haben und daß dadurch doch ein anderes Verhältnis zueinander besteht.
Die Schwierigkeit ist nun, daß wir bei unseren Reformen gerade auch ältere Ehen berücksichtigen müssen, bei denen die Frauen bei einer Scheidung nicht nur über vierzig, sondern über fünfzig und vielleicht über sechzig Jahre sind. Es müssen Lösungen gefunden werden, die auch für diese Frauen nach einer Scheidung tragbar sind.
Ich bin allerdings mit Entschiedenheit der Meinung, daß wir eine hoffnungslos zerrüttete Ehe nicht zwangsweise durch gesetzliche Bestimmungen aufrechterhalten dürfen. Das ist die Änderung gegenüber dem Grundgedanken des § 48 Abs. 2, der sich nach der Reform 1961 so ausgewirkt hat.
Ich sage ganz ehrlich, ich kapituliere als Juristin vor der Tatsache, daß ich eine Ehe nicht halten kann, wenn beide Ehepartner nicht gewillt sind, die Ehe weiter fortzuführen. Das führt zu den Konventionalscheidungen, die heute 85 % der Ehescheidungen ausmachen. Das muß ich bei meiner Einstellung dazu, wie die Voraussetzungen für eine Scheidung geregelt werden sollen, natürlich berücksichtigen.
Ich möchte nicht mehr haben, daß vor dem Richter die Schuld - und dann natürlich auch die Scheidung - manipuliert wird. Dieses Manipulieren der Schuld bei der Konventionalscheidung stand bei den Ausführungen des Herrn Justizministers im Vordergrund. Daher bin ich der Auffassung: Wenn die Ehegatten ein Jahr getrennt gelebt haben und beide die Scheidung wollen, sollte vom Gericht nicht noch geprüft werden, ob tatsächlich eine hoffnungslose Zerrüttung vorliegt. Insofern unterscheide ich mich von der Auffassung, die von Herrn Kollegen Mikat vorgetragen wurde. Ich könnte mir denken -das wird im Ausschuß bei den entsprechenden Alternativanträgen der Opposition zu klären sein -, daß er sich das so vorstellt, daß auch in diesen Fällen noch eine persönliche Anhörung der Parteien über die Zerrüttung herbeigeführt werden soll. Das würde aber gerade dem widersprechen, daß wir das Scheidungsverfahren nicht mehr mit gegen-
seitigen Schuldvorwürfen belasten wollen und mit dem Eindringen in Intimverhältnisse, wo es nicht unbedingt erforderlich ist. Deswegen bin ich dafür, daß bei einjähriger Trennung im Fall der einverständlichen Scheidung die Zerrüttung unwiderlegbar vermutet wird.
Weiter hat sich die Diskussion entzündet, ob bei einer dreijährigen Trennung, ohne daß die Scheidung einverständlich erfolgen soll, ebenfalls die Zerrüttung unwiderlegbar vermutet werden sollte. Aus meiner Anwaltspraxis habe ich allerdings erfahren: Wenn die Ehegatten wirklich einmal drei Jahre vollkommen getrennt gelebt haben, dann ist die Ehe hoffnungslos zerrüttet. Ich habe nicht einmal erfahren, daß sie nachher noch einmal wieder hergestellt werden konnte. Wenn jetzt diese Vermutung widerlegbar gestaltet werden soll, dann müßten schon aus der Praxis heraus Fälle genannt werden, die konkret beweisen, daß ein echtes Bedürfnis dafür besteht.
Sonst besteht immer wieder die Gefahr, daß durch das Gericht zu sehr in die Intimsphäre hineingeleuchtet werden müßte.
Bei unbefristeten Härteklauseln besteht die Gefahr, daß es wieder zu Papierehen kommt, zu Ehen, die 10 oder 20 Jahre lang nur noch auf dem Papier bestehen und nicht geschieden werden können, also die Fälle des § 48 Abs. 2, die wir heute haben. Das möchte ich unter keinen Umständen in dem Gesetz verwirklicht sehen.
Aus den Ausführungen vom Herrn Kollegen Hirsch und mir, die wir gemeinsam schon so lange in der Eherechtskommission mitarbeiten - und zu diesen Thesen der Eherechtskommission stehe ich - ist hervorgegangen, daß es zu diesen Entscheidungen ja nicht so leicht gekommen ist, sondern erst nach eingehenden Diskussionen. Ich bin deshalb dafür, daß diese dreijährige Trennung eine unwiderlegbare Vermutung ist. Ich bin ebenso insofern unterscheidet sich meine Ansicht von der Regierungsvorlage und stimmt mit den Thesen der Eherechtskommission überein für eine materielle und immaterielle Härteklausel. Nachdem diese Härteklausel heute schon wiederholt angesprochen wurde, möchte ich dazu die These der Eherechtskommission vortragen. Sie lautet:
Die Ehe soll gegen den Willen des anderen Ehegatten nicht geschieden werden, wenn die Scheidung
a) im Hinblick auf die besonderen persönlichen Verhältnisse der Ehegatten für ihn außergewöhnlich hart und unbillig wäre
- also die sogenannte immaterielle Härteklausel -oder
b) schwerwiegende wirtschaftliche Härten für ihn oder für die gemeinsamen Kinder zur Folge hätte, so daß trotz des Scheiterns der Ehe es nicht gerechtfertigt wäre, die Ehe alsbald aufzulösen.
Durch dieses Charakteristikum „alsbald" unterscheidet sich dieser Vorschlag sehr von dem, was bisher
von seiten der CDU-Kollegen in unseren gemeinsamen Diskussionen bei allen möglichen Organisationen vorgetragen wurde. Die Oppositionspartei möchte diese Härteklausel unbefristet. Das erachte ich nicht für richtig.
Die Eherechtskommission hat zusätzlich folgendes vorgeschlagen:
Die Anwendung der Härteklausel soll nach fünfjähriger Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten nicht mehr möglich sein.
Da ich für die unwiderlegliche Vermutung nach dreijähriger Trennung bin, trete ich für eine Änderung dieses Satzes in . . nach dreijähriger Aufhebung . . . nicht mehr möglich sein" ein. In den Ausschußberatungen sollte das Für und Wider eingehend erörtert werden.
Herr Kollege Mikat hat in seinen Ausführungen von dem Wohl der Kinder gesprochen. Es ist mir bekannt, daß gerade von den Kirchen verlangt wird, eine Ehescheidung solle wegen des Wohles der Kinder gegebenenfalls nicht erfolgen.
({1})
Meine persönliche Meinung ist die, daß es für Kinder nichts Schrecklicheres gibt, als wenn sie in. einer Ehe aufwachsen, die voller Spannungen, voller Streit zwischen Vater und Mutter ist; das ist für die Kinder eine große seelische Belastung. Für sie ist es natürlich am schönsten, wenn sie in einem glücklichen Familienleben aufwachsen. Das ist natürlich der Idealzustand. Gott sei Dank werden 90 % der Ehen nicht geschieden. Das muß in diesem Zusammenhang auch einmal gesagt werden. Wenn aber eine Ehe gescheitert ist, dann halte ich es für besser, wenn die Kinder nach einer Scheidung zwar in einer Halbfamilie, aber in Frieden und ohne Spannungsverhältnisse und auch möglichst mit einer schiedlich-gütlichen Regelung des Verkehrs- und Sorgerechts der geschiedenen Ehegatten leben. Das Wohl der Kinder sollte nicht außer acht gelassen werden. Man sollte nach der Härteklausel der Eherechtskommission verfahren, die besagt, daß es möglicherweise nicht gerechtfertigt ist - vielleicht wegen wirtschaftlicher Härten -, die Ehe alsbald aufzulösen.
Herr Justizminister, Sie sagten mit Recht, ein verbessertes Unterhaltsrecht sollte eine derartige Bestimmung überflüssig machen. Ich bin mir hierbei jedoch nicht sicher, ob es stets gelingt, eine zufriedenstellende Unterhaltsregelung alsbald zu finden. Manchmal wird es einer gewissen Übergangszeit bedürfen, während der sich derjenige, der sich aus der Ehe löst meistens der Mann -, auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse umstellt. Es liegt an ihm, Vorschläge zu machen, die seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend für die zunächst getrennt lebende und nachher geschiedene Frau sowie für die Kinder einen angemessenen Unterhalt bringen. In einem solchen Fall käme die wirtschaftliche Härteklausel nicht zur Anwendung. Ich bin der Meinung, wenn sie eingeführt würde, käme es nicht allzu häufig zu ihrer Anwendung; denn wir sind uns darüber einig, daß ein einheitliches Verfahren nicht nur die
Scheidung, sondern auch die Scheidungsfolgen regeln soll.
Die wesentlichen Verbesserungen des Unterhaltsrechts, die der Gesetzentwurf vorsieht, sind bereits von allen Seiten angeführt worden. Ich habe festgestellt, daß die Meinungen darüber, wie die Unterhalts- und auch die Versorgungsregelungen erfolgen sollten, um so einheitlicher wurden, je länger die Diskussion dauerte.
Der Herr Bundesjustizminister hat ganz klar das System der Hilfe zur Selbsthilfe dargelegt, insbesondere hinsichtlich des Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt, auf Grund dessen eine abgebrochene Berufsausbildung fortgesetzt oder abgeschlossen werden bzw. eine Berufsausbildung überhaupt erfolgen kann. Die eigentliche Schwierigkeit aber liegt darin - und hier zeigen sich wieder die tatsächlichen Verhältnisse , daß Frauen, die auf Grund ihrer Jugend leicht in das Erwerbsleben einzugliedern wären, ihren Beruf nicht ausüben können, weil sie für kleine Kinder zu sorgen haben. In diesem Fall soll selbstverständlich ein Unterhaltsanspruch gegeben sein, wie es der Regierungsentwurf auch vorsieht. Sind die Kinder aber so groß, Herr Justizminister, daß sie der Pflege und Sorge der Mutter nicht mehr bedürfen, sind die Frauen oft schon in einem Alter, in welchem die Eingliederung, die ja auch von der Arbeitsmarktlage abhängig ist, wesentlich schwieriger ist, als wenn sie sofort wieder in den Beruf zurückgekehrt wären. Das sind menschliche Sorgen, die man auch sehen muß, die aber nicht allein durch Gesetze behoben werden können.
Wie unbefriedigend die heutige Unterhaltsregelung ist, mögen Sie bitte daraus ersehen, daß heute 70 % der geschiedenen Frauen mit Kindern unter 14 Jahren erwerbstätig sind. Diese Tatsache zeigt doch, daß die heutige Unterhaltsregelung auch dann, wenn wegen Alleinverschuldens oder überwiegenden Verschuldens des Mannes Unterhaltsansprüche bestehen, nicht die Hilfe bringt, die diese Frauen bedürfen.
Nach meiner Meinung kann man die Probleme nicht zufriedenstellend lösen, wenn man nicht auch durch Billigkeitsklauseln - es wurde hier auch von Mißbrauchsklauseln gesprochen - dem Richter die Möglichkeit gibt, eine individuelle Gerechtigkeit zu üben. Der Herr Bundesjustizminister hat einen solchen Billigkeitsanspruch in seinem Entwurf auch vorgesehen.
Allerdings braucht man eine entsprechende Billigkeitsklausel auch hinsichtlich der Versorgungsansprüche. Ich verweise insoweit auch auf § 1381 BGB, der ein Leistungsverweigerungsrecht bei grober Unbilligkeit hinsichtlich des Zugewinnausgleichs enthält. Es heißt dort:
({2}) Der Schuldner kann die Erfüllung der Ausgleichsforderung verweigern, soweit der Ausgleich des Zugewinns nach den Umständen des Falles grob unbillig wäre.
({3}) Grobe Unbilligkeit kann insbesondere dann vorliegen, wenn der Ehegatte, der den geringeren Zugewinn erzielt hat, längere Zeit hindurch die wirtschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus dem ehelichen Verhältnis ergeben, schuldhaft nicht erfüllt hat.
Ich verweise deshalb auf diesen § 1381, weil ich meine, daß dieser ausgezeichnete Gedanke, der von uns Freien Demokraten in vollem Umfang unterstützt wird, der Gedanke, den man seinerzeit bei der Schaffung der Zugewinngemeinschaft bezüglich des Ausgleichs des Zugewinns verfolgt hat, auch auf die Versorgungsansprüche übertragen werden sollte, seien sie öffentlich-rechtlicher, seien sie privatrechtlicher Art. Es sollte möglich sein, unter den engen Voraussetzungen, die § 1381 vorsieht, auch den Übergang von Versorgungsanwartschaften zu verweigern.
Beispiele machen die Probleme immer am besten klar. Ich führe immer zwei Beispiele, die Mann und Frau gleichermaßen betreffen, an. Nehmen Sie an, eine Frau hat ihrem Mann etwas E 605 in den Kaffee getan, aber nicht so viel, daß er stirbt. Es ist natürlich völlig klar - auch nach dem Vorschlag des Bundesjustizministers -, daß kein Unterhaltsanspruch besteht, da hier ja ein Verbrechen vorliegt. Aber in diesem Fall kann man auch nicht Versorgungsanwartschaften, die dem Manne erwachsen sind, auf die Frau übergehen lassen. Oder umgekehrt: Es wird meist übersehen, daß gerade mit der zunehmenden Berufstätigkeit der Frau die Unterhaltsverpflichtungen in verstärktem Umfang auch für sie entstehen. Ich kenne heute schon Fälle, wo Frauen aus allen Wolken gefallen sind, wenn sie auf einmal nach der Scheidung Unterhaltsforderungen ihres früheren Ehemannes gegenüberstanden. Nehmen Sie einmal die Fälle, die gar nicht so selten sind: Ein Mann sorgt nicht für seine Familie. Ich will es ganz grob ausdrücken: er lumpt herum, er vertrinkt das Geld, er sorgt nicht für die Familie. Die Frau ist ordentlich, sie verdient, sie sorgt für die Kinder, läßt sich dann von diesem für die Ehe so gar nicht geeigneten Ehemann scheiden. Man weiß auf Grund der Charakterveranlagung, der Mann wird es nie zu etwas bringen, aber die Frau ist tüchtig. Wollen Sie diese Frau mit einem Unterhaltsanspruch belasten? Das wäre ja schon durch Ihren Vorschlag ausgeschlossen. Aber es käme gegebenenfalls zu einer Teilung ihrer eigenen Anwartschaften in der Sozialversicherung. Deswegen mein Vorschlag, daß die Billigkeitsregelung beim Zugewinnausgleich für die Versorgungsansprüche in gleicher Weise gelten soll.
Weil man zu diesem Ehegatten-Splitting gekommen ist, wie es gewöhnlich genannt wurde, wird unser gesamtes Rentenrecht in Bewegung gesetzt. Damit geht die Reform weit über das hinaus, woran man ursprünglich gedacht hatte.
Ich freue mich außerordentlich, daß sich jetzt auch die CDU zu der eigenständigen Hausfrauenversicherung, zu der eigenständigen Sozialsicherung der nicht erwerbstätigen Hausfrauen bekennt. Insofern war sie den Diskussionen aufgeschlossen, die stattgefunden haben. Früher bei der Reform des Rentenrechts wurde diese Möglichkeit von der CDU/CSU beseitigt. Um so größere Freude ist jetzt über diesen Sinneswandel. Diese Reform muß in Angriff genommen werden.
Ich habe mich sehr gefreut, daß in dem einführenden Referat des Herrn Bundesjustizministers klar gesagt wurde, welche weiteren Reformen er für notwendig hält, Reformen, die auch von uns Freien Demokraten schon seit längerem immer gefordert worden sind, nämlich erstens die Öffnung der Rentenversicherung. Übrigens nicht nur für geschiedene, sondern für alle Frauen - gleichzeitig steht auch die Öffnung der Rentenversicherung für die Selbständigen zur Diskussion -, weiterhin - ich habe mir das, wie es geläufig genannt wird, unter dem Stichwort „Babyjahr" notiert - die Anrechnung des Jahres in der eigenen Sozialversicherung der Frauen, in dem sie nach der Geburt eines Kindes nicht erwerbstätig sein können. Es ist aber zu überlegen, ob es bei dem einen Jahr bleiben kann. Mit 15 Monaten ist ein Kleinkind zwar kein Säugling mehr, aber doch immer noch sehr auf die Mutter angewiesen. Diese Reform sollte stufenweise nach und nach ausgebaut werden.
Der Bundesjustizminister hat auch darauf hingewiesen, daß nach 35 Versicherungsjahren gegebenenfalls bei zu kleinen Sozialversicherungsbeiträgen wegen der nicht gleichen Lohnentgelte, wie wir sie heute noch vielfach bei Frauen haben - leider wird längst nicht für gleichwertige Arbeit gleicher Lohn für Männer und Frauen gezahlt, da ist noch viel zu bessern -, eine Aufbesserung der Renten erfolgen soll.
Es sollte weiterhin folgendes bedacht werden, was schon in der Eherechtskommission überlegt wurde und wofür Berechnungen angestellt wurden. Wenn die Rentenversicherung geöffnet wird, wofür wir Freien Demokraten sind, dann wird das durchschnittliche Einkommen eines Mannes häufig nicht ausreichen, um neben seinem eigenen Arbeitnehmerbeitrag in der Sozialversicherung noch den vollen Sozialversicherungsbeitrag für seine Ehefrau, die nicht erwerbstätig ist, zu zahlen. Den finanziellen Möglichkeiten entsprechend, sollte über den Familienlastenausgleich zunächst wenigstens einmal der Arbeitgeberbeitrag gezahlt werden.
Wenn ich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erinnere, an das Familieneinkommen, das zur Verfügung steht, so ergibt sich die Schwierigkeit: Können wir mit unseren Gesetzen wirklich vollständig bewirken, daß nach einer Scheidung, wenn die Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch vorliegen, tatsächlich in diesem Umfang Unterhalt geleistet werden kann? Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zum Unterhalt Verpflichteten wird nicht immer ausreichend sein. Das müssen wir nüchtern sehen.
Es wird deswegen für die Frauen immer von Bedeutung sein, daß sie sich erstens eine gute Berufsausbildung verschaffen, daß sie zweitens nach Möglichkeit sehen, daß sie ihre beruflichen Kenntnisse während der Ehe nicht verrosten lassen, und daß sie sich drittens auch überlegen, ob es nicht nach einer Scheidung, auch wenn sie Unterhaltsansprüche haben, für sie in jeder Hinsicht gut ist, wieder in das Erwerbsleben zurückzukehren. Ich habe schon mancher Frau, die nicht dazu verpflichtet war, dazu geraten, damit sie sich von dieser nun einmal restlos gescheiterten Ehe löst, damit sie neue Aufgaben sieht und eine neue Lebensaufgabe erhält.
Zu den weiteren Reformen, die kommen müssen, gehört natürlich nicht nur eine Reform der Sozialversicherung, sondern, was heute noch nicht erwähnt wurde, es muß vor allen Dingen auch das Beamtenrecht reformiert werden. Das Beamtenrecht hat heute für die Geschiedenenwitwe noch viel schlechtere Regelungen, als das in der Rentenversicherung der Fall ist. Einzelbeispiele werde ich in den Ausschußberatungen vortragen. Ich bin mir bewußt, daß eine Angleichung des Beamtenrechts, vor allen Dingen auch bei den Pensionsansprüchen, an die Grundsätze, die für die Reform der Rentenversicherung vorgesehen sind, juristisch wesentlich schwieriger ist. Aber wir können uns dieser schwierigen Aufgabe nicht entziehen.
Es wurde bereits eingehend darauf hingewiesen, daß über Scheidung und Scheidungsfolgen in einem Verfahren entschieden werden soll. Diese Verfahrensreform soll gleichzeitig mit dem Ersten Eherechtsgesetz verabschiedet werden. Es wurde darauf hingewiesen, daß das Gesetz zur Anpassung der Rentenversicherung im Rahmen dieser Reform so rechtzeitig vorgelegt werden soll, daß auch es gleichzeitig verabschiedet werden kann.
Eine wirklich einigermaßen zufriedenstellende Lösung wird nach der Auffassung der Freien Demokraten erst dann möglich, wenn die gesamte Rentenversicherung modernisiert wird, und zwar dem Mischnick-Plan entsprechend. Die Milliardenbeträge, die heute aus Steuermitteln in die Rentenversicherung gezahlt werden, sollen eine allgemeine Sockelrente finanzieren, durch beitragsgerechte Sozialrenten, die aufgestockt wird. Dann kommt es auch nicht so leicht zu diesen immer so gern angeführten Minimalrenten für Mann und Frau bei einem Rentensplitting.
Ich freue mich, daß gerade in diesen Tagen die Eherechtskommission einen weiteren Band ihrer Vorschläge vorlegt, und zwar die Vorschläge zur Reform des Verfahrensrechts in Ehesachen, zur Neuregelung des Rechtes der Kinder geschiedener und getrennt lebender Eltern, zur Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats - das ist am wenigsten problematisch - sowie zum ehe- und familengerechten Steuerrecht. Hier gilt es, grobe Unbilligkeiten, die im Augenblick im Steuerrecht bei Getrenntlebenden oder bei Scheidungen vorhanden sind, zu beseitigen.
Das Recht der Kinder, die Reform des Sorgerechts, die Reform des Adoptionsrechts, wurde schon in einem anderen Zusammenhang erwähnt. Ich begrüße es ganz außerordentlich, daß der Begriff der elterlichen Gewalt durch den der „elterlichen Sorge" abgelöst werden soll. Ich bin der Meinung, bei dieser Frage der Regelung des Sorgerechts, des Verkehrsrechts nach einer Scheidung und bei Getrenntleben sollte man es nicht nur bei dieser Reform belassen, sondern man soll und muß die Gesamtreform des Sorgerechts unbedingt in Angriff nehmen, und in den Mittelpunkt der Reformen das Wohl des Kindes stellen.
Erst in der vorletzten Woche hat die Vereinigung für Jugendpsychiatrie in Würzburg eine Bundestagung abgehalten, die ausschließlich dem Wohl des Kindes gewidmet war. Es war sehr aufschlußreich, gerade dabei zu hören, wie dort auch die Regelung des Sorgerechtes und des Verkehrsrechtes angesehen wurde, wie gesagt wurde - mit Recht -: man darf bei all diesen Regelungen das Kind nicht nur als ein Objekt betrachten, sondern muß es als ein Subjekt betrachten, dessen eigene Meinung auch gehört werden muß. Das Kind sollte nicht gegen seinen Willen einem Elternteil zugesprochen werden, sondern es sollte dazu gehört werden, und je älter es ist, desto mehr Gewicht sollte seiner persönlichen Auffassung, bei welchem Elternteil es nach einer Scheidung sein will, beigelegt werden.
Natürlich wird dieses einheitliche Verfahren für Scheidung und Scheidungsfolgen, dazu noch Härteklauseln, Billigkeitsklauseln beim Unterhalts- und Versorgungsrecht an die Richter höhere Anforderungen stellen, als es heute vielfach der Fall ist. Es wird aber eine dankbare Aufgabe sein für die Richter bei dieser Vermenschlichung des Scheidungsrechts, von der ja auf seiten aller drei Parteien gesprochen worden ist, solche Lösungen für die ihnen zur Entscheidung vorliegenden Fälle zu treffen, die so weit wie möglich auch eine individuelle Gerechtigkeit verwirklichen.
Die Begrenzung der gesetzlichen Bestimmungen an den Lebenstatbeständen werden wir allerdings immer wieder erleben. Deswegen wird es nicht nur darauf ankommen, gute Gesetze zu machen, sondern es wird vor allen Dingen darauf ankommen, auch die gesellschaftlichen Kräfte weiter zu stützen und wirken zu lassen.
Auch wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß eine Ehe grundsätzlich auf Lebenszeit geschlossen wird. Es wurde nie bezweifelt, daß auch das BGB davon ausgeht. Aber dort steht es nicht als Vorspruch, wie es die CDU fordert. Sie sollte sich deshalb überlegen - nachdem das die einmütige Auffassung schon beim BGB ist und jetzt wieder für uns alle bei der Reform ist -, ob das Gesetz mit einem derartigen Vorspruch versehen werden soll.
({4})
Ich erteile das Wort Herrn Staatsminister Hemfler.
Hemfler, Minister des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Hessische Landesregierung, für die ich Mitglied des Bundesrates bin, hat mit großem Interesse und mit dankbarer Anerkennung die Fortschritte registriert, die von der Bundesregierung auf dem Gebiet der von ihr eingeleiteten inneren Reformen bereits erzielt wurden. Es ist sehr zu begrüßen, daß diese erfolgreiche und auch fortschrittliche Entwicklung mit dem heute hier zur Debatte stehenden Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts als einem weiteren Teilstück der großen inneren Reformen dieser Bundesregierung ihren Fortgang nehmen wird.
Da wir. uns diesem großen Gesamtreformwerk verpflichtet fühlen, haben Vertreter des Landes Hessen bereits mehrfach die Gelegenheit wahrgenommen, vor diesem Hohen Hause das Wort zu ergreifen, - zur Unterstützung der Vorhaben der Bundesregierung, aber auch zur Anmeldung von Kritik. Wenn ich heute wieder die Gelegenheit zur Stellungnahme vor diesem Hohen Hause wahrnehme, dann deshalb, weil trotz grundsätzlicher Zustimmung zu dem Entwurf der Bundesregierung an einigen Stellen doch kritische Anmerkungen angebracht erscheinen.
Was das Grundsätzliche anlangt, meine Damen und Herren, so ist 'die von der Bundesregierung beabsichtigte Reform des Ehe- und Familienrechts außerordentlich zu begrüßen; denn wohl selten ist mit größerer Einmütigkeit von allen Teilen unserer Bevölkerung die Notwendigkeit der Reform eines Rechtsgebiets anerkannt worden als gerade auf diesem Gebiet. Im Ehescheidungsrecht ist man sich über die Mangelhaftigkeit ides jetzt noch geltenden Rechts einig. Das hat auch die Aussprache heute hier im Haus gezeigt.
Die Meinungen, wie man Mängel des jetzigen Rechts beseitigen soll, gehen bei einem weltanschaulich so belasteten Gebiet - wie könnte es auch anders sein! - natürlich erheblich auseinander.
({0})
Um so dankbarer sollte man sein, daß der Entwurf der Bundesregierung klar erkennen läßt, daß sie sich bei .diesem Gesetzgebungsvorhaben unter Anerkennung und Respektierung der Pluralität der Meinungen in unserem Volk über das Zusammenleben in Ehe und Familie von dem Bestreben nach einem weltanschaulich neutralen "und sachgerechten Eherecht leiten ließ.
Als besonders positiv muß herausgestellt werden, daß der Gesetzentwurf die Rechtsstellung der Frau im Scheidungsfolgenrecht und in anderen familienrechtlichen Vorschriften wesentlich verbessert; denn gerade hier galt es, dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau endlich Geltung zu verschaffen. Der Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist zwar bereits seit idem 1. April 1953 in Kraft, aber noch immer gibt es Bereiche, in denen eine wirkliche Gleichstellung von Mann und Frau nichterreicht ist.
({1})
- Das muß nicht unbedingt sein.
({2})
Ich verweise in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Vorschrift des § 1356 BGB über die Haushaltsführung und die Erwerbstätigkeit der verheirateten Frau. Die Bundesregierung schlägt hier eine Regelung vor, die meines Erachtens sachgerecht ist und unserer heutigen Auffassung von der Ehe
Staatsminister Hemfler
als einer echten partnerschaftlichen Verbindung von Mann und Frau am ehesten entspricht.
({3})
Allerdings reicht die Schaffung einer formalen Rechtsgleichheit von Mann und Frau angesichts der biologischen und funktionalen Verschiedenheiten von Mann und Frau nicht aus, um auch eine tatsächliche Gleichstellung herbeizuführen. Eine tatsächliche Gleichstellung ist nur ,durch Vorschriften erreichbar, welche der Bedeutung und dem Wert der Mutterschaft, der Pflege und Erziehung der Kinder, der Haushaltsführung und der Doppelbelastung der berufstätigen Ehefrau gerecht werden. Unter diesem Aspekt sind ,die zahlreichen Neuregelungen im Unterhaltsrecht, die die Bundesregierung vorschlägt, zu begrüßen.
Wesentlich erscheint mir, daß der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehefrau künftig nicht mehr von der Schuldfrage abhängig sein soll. Wir alle wissen um die Fragwürdigkeit solcher Schuldsprüche. Es war daher nur folgerichtig, auch dieses Prinzip zu eliminieren.
Meine Damen und Herren, ich selbst war einige Jahre Richter, auch in einer Scheidungskammer. Ich kann nur sagen, daß ich mir immer darüber im klaren war, daß meine Urteile, was die Richtigkeit des Schuldausspruchs betrifft, zumindest in vielen Fällen zweifelhaft gewesen sind.
({4})
Im übrigen geht es auch nicht an, einer Frau, die jahrelang ihre Arbeitskraft Mann und Kindern geopfert und auf eigene wirtschaftliche Sicherung durch Erwerbstätigkeit verzichtet hat, durch einen so fragwürdigen Schuldspruch jegliche Unterhaltsansprüche zu nehmen.
Ich darf in diesem Zusammenhang ferner auf die Vorschläge der Bundesregierung verweisen, dem geschiedenen Ehegatten auch einen Unterhaltsanspruch wegen Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung zu gewähren, sowie auf den Vorschlag, den Unterhaltsanspruch unter bestimmten Voraussetzungen wiederaufleben zu lassen, wenn der Unterhaltsberechtigte erneut geheiratet hatte und diese Ehe wieder aufgelöst ist.
Ganz besondere Bedeutung ist dem Institut des Versorgungsausgleichs beizumessen. Der hier vorgeschlagene Versorgungsausgleich ist ein erster, wenn auch noch mit manchen Unvollkommenheiten behafteter Versuch,
({5})
die geschiedene Ehefrau an den Anrechten auf Versorgung wegen Alters, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu beteiligen, die der Mann während der Ehe erworben hat. Daß dem Manne die während des Bestehens der Ehe erworbenen Versorgungsrechte nach der Scheidung allein verbleiben, ist eine Unbilligkeit unseres geltenden Rechts, denn die Ehefrau hat ja durch ihre Hausfrauentätigkeit mit zum Erwerb dieser Versorgungsrechte beigetragen. Der
Versorgungsausgleich - auch wenn er eingeschränkt ist - ist ein geeigneter Weg, dieser Unbilligkeit zu begegnen. Meine Damen und Herren, das Fernziel sollte jedoch die Einbeziehung der Ehefrau in die Sozialversicherung sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auf die Punkte eingehen, in denen die Gesetzesvorlage der Bundesregierung unbefriedigend sein dürfte. Einige Vorschläge bringen die Gefahr mit sich, daß das Reformwerk in seinen wichtigsten Zielsetzungen - beispielsweise beim Übergang vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip - in Frage gestellt wird. Die ebenso notwendige wie dringliche Reform droht zu einer Halbheit zu werden, weil man Kompromißlösungen vorschlägt, die der Reform schlecht bekommen werden. Ich möchte mich hier in der gebotenen Kürze auf vier der wichtigsten Punkte beschränken. Ich gehe dabei von der Hoffnung aus, daß es in den Ausschüssen und im Plenum des Deutschen Bundestages noch gelingen möge, eine geschlossene und konsequentere Konzeption zur Ehescheidung durchzusetzen.
Erstens. Die Generalklausel des § 1565 Satz 2 muß als ein Einfallstor für die alten Verschuldenstatbestände angesehen werden; sie beinhaltet die Gefahr einer Aufweichung des Zerrüttungsprinzips.
({6})
Nach der Neuregelung des Scheidungsrechtes kann nur eine gescheiterte Ehe, wie es jetzt heißen soll, geschieden werden. Der Versuch der Vorlage, in einer Generalklausel zu definieren, wann eine Ehe gescheitert ist, stellt es auf folgendes ab: zum einen darauf, daß die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht, zum anderen darauf, daß nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Beide Voraussetzungen sind meines Erachtens für die notwendige Realität des Scheiterns der Ehe oder, wenn man so will, der unheilbaren Zerrüttung der Ehe, mißverständlich und irreführend. Sie sind Leerformeln. Ihre Bestimmung bleibt vollständig dem Ermessen der Parteien und der Richter überlassen. Es gibt keinerlei rechtliche Maßstäbe für diese Bestimmung. Es gibt auch keine allgemeine Richtschnur für das, was für die jeweils fragliche eheliche Lebensgemeinschaft als wesentlich gelten soll. Darüber, ob die Lebensgemeinschaft im Einzelfall wiederhergestellt werden kann oder nicht, kann das Gericht doch nur die Ehegatten befragen. Bei diesen aber besteht gerade in den problematischen Fällen regelmäßig Uneinigkeit über diese Frage. Sind sich die Parteien einig, daß die Ehe geschieden werden soll, dann werden beide schon überzeugende Gründe dafür vortragen, weshalb die Ehe gescheitert ist. Grundlage des Urteils sind dann aber keine Tatsachen, sondern allein der Parteiwille.
Demgegenüber wird die Lage außerordentlich bedenklich, wenn sich ein Partner nicht scheiden lassen möchte und vorträgt, die Ehe sei noch nicht gescheitert. Gerade in solchen Streitfällen müßte dann das Gericht wegen des einseitigen Scheidungsbegehrens wieder in den Intimbereich der Ehe aufklärend eindringen, so wie dies heute nach dem Schuldprinzip nötig ist.
Staatsminister Hemfler
Erst recht kann die zweite Voraussetzung des Scheiterns der Ehe kaum festgestellt werden. Wie soll ein Richter feststellen, ob nicht erwartet werden kann, daß die Parteien die Lebensgemeinschaft wiederherstellen? Diese Zukunftsprognose kann mit den Mitteln der gerichtlichen Erkenntnisfindung niemals gegeben werden.
Sie alle, meine Damen und Herren, werden zugeben, daß man diese Regelung zu Recht als Einfallstor für die alten Verschuldenstatbestände bezeichnet hat, denn der Ehegatte, der nicht scheidungswillig ist, wird sich auch in Zukunft auf den Standpunkt stellen können, daß die Ehe nicht gescheitert ist bzw. wiederhergestellt werden kann. Das hätte zur Konsequenz, daß der Ehegatte, der geschieden werden möchte, möglichst viele Eheverfehlungen auftischen müßte, um das Scheitern der Ehe darzutun und auch notfalls zu beweisen. Gerade das sollte aber nach den Reformbestrebungen vermieden werden, meine Damen und Herren.
Ich darf hier noch einmal daran erinnern, daß sich bei den Diskussionen um die Reform der Ehescheidung in den letzten Jahren sowohl im juristischen Schrifttum als auch in den Veröffentlichungen aus anderen Bereichen eine überwältigende Mehrheit für eine Ablösung des Verschuldensprinzips und für eine konsequente Durchführung des Zerrüttungsprinzips bei der Ehescheidung ausgesprochen hat. Aus diesem Grunde sind auch in den vorbereitenden Diskussionen alle Vorschläge, die auf die Ehescheidung nach einer Generalklausel abzielten, auf Ablehnung gestoßen. So hat sich beispielsweise auch die zivilrechtliche Abteilung des 48. Deutschen Juristentages eindeutig dafür ausgesprochen, daß allein die Zerrüttung einer Ehe Grundlage für die Scheidung sein soll. Konsequenterweise hat der Juristentag in seinen Entschließungen eine Generalklausel, welche die Feststellung der Zerrüttung und die Erforschung ihrer Gründe im Einzelfall dem Richter überträgt, abgelehnt und sich dafür ausgesprochen, daß die objektive Grundlage für die Annahme der Zerrüttung einer Ehe die Feststellung der Trennung der Eheleute während einer bestimmten Zeitspanne bilden soll.
({7})
- Aber ich glaube, es ist zweckmäßig, das an dieser Stelle noch einmal zu sagen,
({8})
denn der Deutsche Juristentag ist immerhin das höchste Gremium, das die Juristenschaft der Bundesrepublik vertritt, und ich glaube, es ist nicht uninteressant, die Meinung dieses Gremiums zu jedem Problem hier heute zu wiederholen.
({9})
Es ist deshalb außerordentlich zu bedauern, daß die Regierungsvorlage dieser Empfehlung des Deutschen Juristentages zugunsten einer reinen Fristenentscheidung nicht gefolgt ist und statt dessen eine Generalklausel bringt, die gerade in den problematischen Streitfällen wieder zu einer Verhandlung über ein Verschulden der Parteien führen kann.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Diemer-Nicolaus?
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß manchmal aus persönlichen, vielfach aus wirtschaftlichen Gründen eine Trennung vor der Scheidung nicht erfolgen kann, und stimmen Sie mir darin zu, daß in diesen Fällen doch wohl eine Scheidung über eine Generalklausel möglich sein muß?
Hemfler, Minister des Landes Hessen: Das kommt auf den Einzelfall an. Ich glaube, generell kann man die Frage nicht beantworten.
({0})
Diese mögliche Verhandlung über das Verschulden ist um so bedauerlicher, weil das Prinzip des Schutzes der Intim- und Privatsphäre der Ehegatten auch gegenüber den Gerichten im Scheidungsverfahren gewahrt werden sollte. Es erscheint daher unerläßlich, bei den Voraussetzungen der Ehescheidung auf die Feststellung des Scheiterns der Ehe durch das Gericht zu verzichten und sie allein vom Ablauf gewisser Trennungsfristen abhängig zu machen. Damit würde nicht nur dem Schutz der Intim-und Privatsphäre der Ehegatten Rechnung getragen, es würde nicht nur der Gefahr der Aufweichung des Zerrüttungsprinzips begegnet werden, sondern damit würde auch der Gefahr einer unterschiedlichen Rechtsprechung einzelner Gerichte in der Auslegung der vorgeschlagenen Generalklausel begegnet. Wir alle, die wir mit diesen Dingen zu tun haben, kennen den Begriff „Scheidungsgeographie". Und es gibt nicht nur die Scheidungsgeographie, sondern der Ausgang eines Scheidungsprozesses hängt manchmal auch davon ab, wie und mit wem der Spruchkörper besetzt ist. Dies alles sind Dinge, die doch nach und nach das Vertrauen zur Justiz untergraben.
Deshalb sollte man sich dazu entschließen, die Generalklausel des § 1565 Satz 2 zu streichen, und statt dessen sollte der Scheidungsausspruch allein vom Ablauf einer bestimmten Trennungsfrist abhängig gemacht werden.
Der zweite Punkt, an dem Bedenken anzumelden wären, ist die Frage der Unwiderlegbarkeit der Vermutung des Scheiterns der Ehe nach drei Jahren Trennung gemäß § 1566 Abs. 1. Bis zur Vorlage dieses Gesetzentwurfes galt es als einzig vernünftige Lösung, ja fast als ausgemachte Sache, daß diese Vermutung des Scheiterns der Ehe nur unwiderlegbar gestaltet werden könne, damit nicht durch die Hintertür einer widerlegbaren Vermutung die alten Verschuldenstatbestände wieder in das Scheidungsverfahren einziehen könnten. Das war einhellige Meinung auf dem 48. Deutschen Juristen8120
Staatsminister Hemfler
tag und das kommt auch in der Vorlage der Bundesregierung selbst zum Ausdruck.
Um so unverständlicher erscheint es, daß nun trotzdem mit der Widerlegbarkeit der Vermutung dem Gatten, der die Scheidung verhindern möchte, ein Weg eröffnet werden soll, den Zustand der Ehe auf Antrag untersuchen zu lassen. Diese Regelung stellt die ganze Scheidungsreform in Frage; denn was nutzen uns die ganzen übrigen Bestimmungen über das Scheidungsrecht, wenn es ein Ehegatte in der Hand hat, ob er den Zustand der Ehe untersuchen lassen will. Damit werden doch nur die alten Verschuldenstatbestände wieder in das Verfahren eingeführt und der Parteiherrschaft überantwortet. Außerdem eröffnet man dem Ehegatten mit dieser Regelung ein völlig überflüssiges Druckmittel. In dieser Klausel liegt ein offenkundiger Pferdefuß, der die ganze Reform zum Scheitern bringen kann. Man soll uns doch nicht glauben machen, daß die Parteien von dieser Möglichkeit in wenigen Fällen Gebrauch machen würden, wie es in der Regierungsvorlage heißt. Ich bin überzeugt davon, daß die hier vorgeschlagene Regelung bei ihrem Inkrafttreten gerade in den problematischen streitigen Fällen ausgenutzt werden wird.
Es ist auch schließlich nicht einzusehen, wie man auf den Gedanken kommen konnte, bei der Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung würden, ich zitiere, „regelmäßig nur die Ehe erhaltenden Tatsachen erörtert werden". So etwas ist reines Wunschdenken, das ist fast Aberglaube, und das werden mir auch alle diejenigen unter Ihnen bestätigen können, die sich in der Scheidungspraxis auskennen. Was in der amtlichen Begründung für diese, ich muß schon sagen, recht unglückliche Lösung am wenigsten überzeugt, ist die Angabe, daß ein Teil der Bürger die Unwiderlegbarkeit des Scheiterns der Ehe nur schwer akzeptieren könne.
Das läuft doch darauf hinaus, daß man eine richtige, vernünftige und sachgerechte Lösung nur deshalb nicht konsequent verfolgen möchte, weil uns einige Leute einzureden versuchen, ein Teil der Bürger könne das nicht akzeptieren. Danach kann man sich wohl kaum richten. Wir müssen uns nach dem richten, was sachlich richtig und vernünftig ist, und nach nichts anderem. Es dürfte daher unerläßlich sein, daß die Vermutung des Scheiterns der Ehe nach § 1566 Abs. 1 als unwiderlegbare Vermutung gestaltet wird. Was die Frage der Trennungsfrist nach § 1566 Abs. 1 anlangt, so sollte diese von drei Jahren auf zwei Jahre herabgesetzt werden. Ich kann mich auch hier wieder auf die Empfehlung des 48. Deutschen Juristentages beziehen. Nach der Lebenserfahrung ist es völlig unwahrscheinlich, daß Ehegatten, die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren getrennt haben, wieder zusammenfinden. Ich glaube nicht, daß man hier auf Ausnahmefälle Rücksicht zu nehmen braucht; denn der formale Bestand der Ehe hat in solchen Ausnahmefällen keine entscheidende Bedeutung. In der Regel sind es gewisse Anlässe, etwa ein Zusammentreffen, die die Ehegatten wieder zusammenführen können. Das kommt auch bei geschiedenen Ehegatten heute noch oft vor. Sie mögen sich in diesem
Fall zu einer Wiederheirat entschließen, und zwar nicht, weil noch ein formales Band zwischen ihnen besteht, sondern allein deshalb, weil sie wieder zueinandergefunden haben.
Lassen Sie mich abschließend auf die immaterielle Härteklausel des § 1568 der Regierungsvorlage eingehen, die heute in der Diskussion einen breiten Raum eingenommen hat. Die Hessische Landesregierung hat bei der Beratung im Bundesrat gefordert, diese Klausel ersatzlos zu streichen, denn bei ihrer Annahme könnte die ganze Scheidungsreform in Frage gestellt werden. Das dem Entwurf zugrunde liegende Zerrüttungsprinzip beruht auf der Einsicht, daß unheilbar zerrüttete Ehen geschieden werden sollten, weil sie für die Ehegatten, für die Kinder und auch für die Allgemeinheit ihren Sinn verloren haben. Für eine Durchbrechung dieses Grundsatzes gibt es keine überzeugenden Gründe. In der amtlichen Begründung wird zwar angeführt, daß die besonderen seelischen Belastungen eines Ehegatten im Scheidungsverfahren in Härtefällen durch eine Verweigerung der Scheidung verhindert oder gemildert werden könnten. Das ist aber meines Erachtens eine falsche Annahme. Jedes Scheitern einer Ehe bringt ohne Zweifel und unabänderlich immaterielle Härten mit sich, meistens für beide, immer aber zumindest für einen der beiden Ehegatten. Diese Härten werden aber nicht durch den Scheidungsausspruch hervorgerufen, sondern allein durch die Zerrüttung, durch das Scheitern der Ehe und die damit verbundene Loslösung und Tennung beider Ehegatten voneinander.
Diese Trennung kann der Gesetzgeber nicht verhindern. Die Verhinderung des Scheidungsausspruchs nutzt dem einen Ehegatten nichts, wenn sich der andere entschlossen hat, trotz der angegebenen außergewöhnlichen Umstände die Trennung zu vollziehen. In solchen Fällen ist dem alleingelassenen Ehegatten mit der Sicherung eines formalen juristischen Status nicht geholfen. Wozu also diese Regelung? Sie würde doch ausschließlich zu einer moralischen Waffe des nicht scheidungswilligen Ehegatten, mit deren Hilfe er den anderen unter Druck setzen könnte. Dann wird es wieder losgehen mit dem, was wir mit diesem Entwurf gerade eliminieren wollten, mit dem Vorwurf der Eheverfehlung, des groben Undanks und mit der Bezugnahme auf das Anstandsgefühl aller sittlich und gerecht Denkenden. Dann haben wir wieder das, meine Damen und Herren, was wir gerade abschaffen wollten.
Ich verkenne nicht, daß jede Scheidungsregelung auch zu unbilligen und ungerechten Ergebnissen führen kann. Es kann aber nicht der Sinn dieser Reform sein, mit Hilfe der Härteklausel in einigen wenigen Fällen vielleicht gerechtere Ergebnisse zu erreichen, wenn die Gefahr besteht, daß wir dann in einer Vielzahl von Fällen unbillige Lösungen geradezu heraufbeschwören. Der Vorzug gebührt hier eindeutig einer klaren, übersichtlichen und praktikablen Lösung, auch wenn dies keine Patentlösung ist. Es dürfte und es muß uns genügen, daß es die bessere Lösung ist.
Meine Damen und Herren, Kritiker haben meines Erachtens zu Recht gesagt, daß dieses Reformwerk
Staatsminister Hemfler
bereits den Keim des Scheiterns in sich trägt, weil die vorgesehene immaterielle Härteklausel des § 1568 die Gefahr des Mißbrauchs mit sich bringt. Daß diese Vorschrift mißbraucht werden wird, läßt sich mit einiger Sicherheit voraussehen. Wir werden dann gerade in den streitigen und problematischen Fällen nichts anderes als den bisherigen Zustand haben, einen Zustand, der den Intentionen dieses Reformwerks zuwiderläuft und den unsere Bürger draußen im Lande nicht verstehen werden. Davor sollten wir uns hüten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube mit Ihnen allen darin einig zu sein, wenn ich sage, daß es nicht Zweck dieser Gesetzesvorlage sein darf und sein kann, die Ehescheidung zu erleichtern, sondern daß es Sinn dieser Gesetzesvorlage sein muß, zu rechtlichen Maßstäben zu finden, an Hand deren man in einem fairen und vorausberechenbaren Verfahren gescheiterte Ehen auflösen kann, und zwar mit einem Maximum an Rechtsgewißheit, mit einem Minimum an gefühlsmäßigen Belastungen für die Parteien und mit einem Optimum - ich betone das - an Gerechtigkeit. Nur wenn wir das erreichen können, werden wir eine gesetzliche Regelung geschaffen, die der Lebenswirklichkeit und unserer gesellschaftlichen Entwicklung gerecht wird. Nun dann werden wir ein Gesetz schaffen, das unsere Bürger in Scheidungsverfahren nicht unvorhersehbaren Zufälligkeiten ausliefert. Nur dann werden wir unseren Bürgern ein Gesetz geben, das sie durchschauen können, das sie verstehen können und das sie auch anerkennen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Herrn Landesjustizministers Hemfler veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen.
Erstens. Ich bedauere außerordentlich, daß der Herr Minister glaubte, von weltanschaulichen Unterschieden, die hier relevant seien, sprechen zu müssen. Das hat niemand vorher getan, weil es völlig sachfremd ist und unterschwellig etwas hier hineinbringt, was nicht hierhergehört.
({0})
Zweitens. Der Minister hat die Generalklausel mit dem Ziel angegriffen, eine höhere Gerechtigkeit und eine größere Vorherbestimmbarkeit erzielen zu können. Einiges von dem, was er hier an Kritik angebracht hat, ist richtig. Das kann niemand übersehen.
Das Problem aber, Herr Hemfler, liegt nicht in der Richtung, nun einfach eine Fristenlösung bei einer Generalklausel herbeizuführen, sondern es liegt darin, daß derjenige, der aus der Ehe zu Unrecht oder ohne beim anderen Anlaß gefunden zu haben, herausstrebt, sich auf sein eigenes Fehlverhalten berufen und damit ohne Fristen 'aus der Ehe heraus kann. Das ist das große Problem, und das ist das eventuelle Unrecht.
({1})
Sie tun so, Herr Hemfler, als könnten das Ehescheidungsrecht und das Folgerecht vollständig losgelöst vom Verhalten der Partner, also der Ehegatten, gewertet, gesehen und gelöst werden. Herr Justizminister Jahn hat dankenswerterweise gesagt, daß diese Lupenreinheit des Systems zu Ungerechtigkeiten führen muß, die vermieden werden sollen. Gleiches hat auch Herr Professor Mikat hier gesagt.
Ich kann nur sagen: Schauen Sie sich den Entwurf einmal genauer an den Stellen an, gegen die Sie sich nicht gewendet haben! Wie wollen Sie die Frage, bei welchem der geschiedenen Ehegatten die Kinder am besten aufgehoben wären, prüfen und eine entsprechende Lösung finden, ohne das Verhalten der Ehegatten irgendwie zu prüfen und zu werten? Unter welchen Gesichtspunkten wollen Sie das werten, nur unter materiellen oder auch unter solchen, die weit jenseits der materiellen Dinge liegen?
Wie wollen Sie das Problem der Herstellungsklage, die im Gesetz nach wie vor vorgesehen und die Grundlage für den Schutz der Ehe, nicht nur für das Zurückholen ist, im praktischen Verfahren lösen, ohne das Verhalten der Ehegatten zu prüfen?
Ich bin der Auffassung, daß wir klar und deutlich die Problematik erkennen und nicht so tun sollten, als gäbe es sie nicht.
({2})
Ein Letztes, Herr Minister Hemfler. Sie haben heute praktisch gegen den eigenen Entwurf der Landesregierung, der im Bundesrat vorgetragen und schriftlich vorgelegt worden ist, argumentiert.
({3})
In § 1556 in der Fassung des Entwurfs des Landes Flessen steht drin, daß die Ehe auch vor Ablauf der Fristen geschieden werden kann, nämlich dann, wenn ein Grund im Verhalten des anderen die Veranlassung zur Scheidung ist. Ist das Verschuldensprüfung? Ist das Verschuldenselement oder nicht? Oder wollen Sie auch von diesem Vorschlag, den die Landesregierung im Bundesrat eingebracht hat, heute hier Abstand nehmen? Etwas mehr Klarheit und Ehrlichkeit auch vor diesem Hause würden der Landesregierung besser anstehen.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung. Es wird vorgeschlagen, den Entwurf auf Drucksache VI/2577 dem Rechtsausschuß - federführend -, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - mitberatend - zu überweisen. Der Innenausschuß wird sich darauf beschränken, im Hinblick auf die angesprochenen Materien gutachtlich Stellung zu nehmen. - Ich sehe
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
keine Änderungsanträge. Dem Vorschlag des Altestenrates wird entsprochen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses ({0}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. i der Geschäftsordnung Berichterstatter: Abgeordneter Scheu
b) Beratung der Sammelübersicht 26 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 15. September 1971 eingegangenen Petitionen
- Drucksache VI/2612 Zur Berichterstattung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Scheu das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt die Drucksache VI/2612 mit einer systematischen Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis zum 15. September 1971 eingegangenen Petitionen vor. Wie Sie daraus ersehen können, haben die zurückliegenden Sommermonate keinesfalls einen Rückgang der Eingänge bewirkt. Vielmehr ist wie schon in den Vorjahren gerade in den Monaten Juni und Juli ein besonders starker Anstieg zu verzeichnen. Es scheint fast so, als nähmen sich manche Bundesbürger im Urlaub die Zeit, ihre Sorgen und Nöte zu formulieren. In der Zeit vom 1. Juni bis zum 15. September erreichten den Petitionsausschuß insgesamt 3004 Neueingänge. Die Ausschußmitglieder erhielten auch während der Parlamentsferien regelmäßig die zum Teil recht umfangreichen grauen Mappen zur Bearbeitung von Einzeleingängen.
Die Mitarbeit im Petitionsausschuß bietet nicht sehr viele Chancen, einen politischen Blumentopf zu gewinnen, und das halte ich für gut so. Warum sollten sich nicht auch in Bonn Mitglieder dieses Hohen Hauses in besonderem Maße um die Nöte und Schwierigkeiten einzelner Bürger kümmern müssen, zumal solche persönlichen Nöte häufig Zusammenhänge mit Lücken oder Unvollständigkeiten der Gesetze haben, die hier gemacht wurden? Das ist eine schöne Aufgabe, die ich persönlich nicht gern missen würde. Ich weiß, daß es meinen Kollegen im Petitionsausschuß trotz aller Terminschwierigkeiten genauso geht.
Die Eingänge im Bereich der Sozialversicherung stehen wie schon lange im Vordergrund. Hier findet die in letzter Zeit auf diesem Gebiet besonders gesteigerte Aktivität der Exekutive und der Bundesregierung ein lebhaftes Echo. Anknüpfungspunkte sind die im Parlament behandelten oder in der Beratung befindlichen Vorlagen zur Rentengesetzgebung, der dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorliegende Rentenbericht der Bundesregierung und der von der Bundesregierung angekündigte Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Vornehmlich angesprochen werden von den Einsendern die Probleme der flexiblen Altersgrenze und der Anhebung von Klein- und Kleinstrenten, in erster Linie aber die Frage, ob man die Renten im Jahre 1972 um einen höheren Prozentsatz erhöhen könnte, als dies in dem kürzlich verabschiedeten 14. Rentenanpassungsgesetz vorgesehen ist. Gegenwartsaufbesserung, also eine Hilfe für heute, ist verständlicherweise manchem Rentner näher, leichter faßbar und zugänglicher als die weiterschauende Rentenstabilitätspolitik der Bundesregierung und die in die Zukunft weisende und die Zukunft sichernde laufende Maßnahme.
Wir müssen uns vielfach darauf beschränken, die Petenten über den Stand .der Reformbemühungen, über die wichtigsten in der Diskussion vorgebrachten Argumente und insbesondere über die die parlamentarische Entscheidung tragenden Gründe der Gesetze aufzuklären. Auch das ist allerdings eine Aufgabe, die man nicht gering schätzen sollte. Durch diese Art der Einzelaufklärung ist dem gegenüber der Vielzahl von Gesetzen und von teilweise für ihn unverständlichen und unvollständigen Publikationen über bevorstehende Gesetzesänderungen hilflosen Bürger schon weitgehend geholfen.
Eine ganze Reihe geeigneter Petitionen zu den genannten Gesetzen wurden aber auch dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung oder der Bundesregierung als Material überwiesen, um die mit der Prüfung der jeweils angesprochenen Probleme gegenwärtig befaßten Instanzen auf die im Rahmen von Petitionen aus der Bevölkerung geäußerten Wünsche und Vorstellungen aufmerksam zu machen.
Erlauben Sie mir, Ihnen ein spezielles Problem vorzutragen, das den Ausschuß auf Grund verschiedener Eingaben schon seit längerer Zeit beschäftigt, bisher aber noch nicht abschließend geklärt ist. Das ist die unterschiedliche Behandlung von Weihnachtszuwendungen bei der Feststellung des Berufsschadens und des Schadensausgleiches in der Kriegsopferversorgung. Nicht ohne Berechtigung wird darauf hingewiesen, daß Weihnachtszuwendungen und ähnliche einmalige Leistungen des Arbeitgebers einerseits - soweit sie einen bestimmten Mindestbetrag übersteigen - als derzeitiges Bruttoeinkommen angerechnet werden, andererseits aber bei der Feststellung des Vergleichseinkommens, das der Beschäftigte ohne die Beschädigung heute verdienen würde, unberücksichtigt bleiben.
Wie die parlamentarische Prüfung gezeigt hat, liegt der geltenden Regelung zwar eine Reihe beachtlicher, hier im einzelnen nicht zu erörternder Gesichtspunkte zugrunde, die einer befriedigenden Lösung erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen lassen; gleichwohl sah sich der Petitionsausschuß schon vor längerer Zeit veranlaßt, der Bundesregierung eine einschlägige Petition zur Erwägung zu überweisen. In ihrer Antwort auf den entsprechenden Beschluß des Bundestages sah sich die Bundesregierung zwar nicht in der Lage, entsprechend den Überlegungen des Petitionsausschusses eine andere Berechnung des vergleichbaren Durchschnittseinkommens vorzuschlagen, erklärte sich aber bereit, sich um eine befriedigende Lösung über eine Modifizierung der Bestimmungen über die Feststellung
des derzeitigen Einkommens zu bemühen. Wir hoffen sehr, daß in dieser Richtung bald etwas geregelt wird.
Meine Damen und Herren, bei der vierteljährlichen Rückschau auf seine Arbeit blickt der Petitionsausschuß verständlicherweise besonders gern auf die positiv erledigten Eingaben. Natürlich ist es immer besonders erfreulich, wenn Änderungen erreicht werden, die dem Wohle vieler Mitbürger dienen. Manchmal sind es aber auch Einzelfälle, deren Ergebnis uns unsere Arbeit lohnenswert erscheinen läßt. So gelang es kürzlich der Zentralstelle für Petitionen und Eingaben, durch langwierige und intensive Bemühungen gegenüber ursprünglich ablehnenden Entscheidungen der zuständigen Bundesministerien bzw. obersten Bundesbehörden in einem Falle einem Petenten wegen Schadens an einer Rheininsel zu 170 000 DM zu verhelfen und in einem anderen Fall eine Beihlfe zum Lebensunterhalt rückwirkend von 1966/67 zu erwirken.
Es gab noch einen besonderen Fall, der erst in der letzten Sitzung des Petitionsausschusses behandelt wurde und dessen augenblickliche Regelung entsprechend den geltenden Vorschriften uns allen äußerst unbefriedigend erschien. Es handelt sich um einen Freiwilligen der Bundeswehr, der unverschuldet einen Unfall erlitten hat, der zu seiner Erblindung führte. Er beklagt sich in seiner Eingabe darüber, daß er und vergleichbare Wehrdienstbeschädigte - also Schwerbeschädigte nicht wie Schwerkriegsbeschädigte den roten Schwerbeschädigtenausweis erhalten, der bei der Bundesbahn zu einer Benutzung der ersten Wagenklasse mit einer Fahrkarte der zweiten Wagenklasse berechtigt.
Wie unsere Prüfungen ergeben haben, beruht die genannte Vergünstigung nicht auf einer gesetzlichen Vorschrift, sondern auf einer Tarifstelle der Deutschen Bundesbahn. Der Gesetzgeber selbst hat nur die unentgeltliche Beförderung bestimmter Behinderter im Nahverkehr, nicht aber im Fernverkehr geregelt. Die Bundesbahn hat sich aber trotz entsprechender Anregungen des Bundesarbeitsministers bisher nicht in der Lage gesehen, durch eine entsprechende Erweiterung der Tarifstelle die erwähnte Vergünstigung auch Schwerbeschädigten der Bundeswehr einzuräumen. Sie verweist einmal auf ihre schwierige Finanzlage, zum anderen aber auch darauf, daß die ursprünglich ganz anders gemeinte Vergünstigung für Schwerkriegsbeschädigte bereits im Auslaufen sei. Sie sei 1917 in der Form eingeführt worden, daß Schwerkriegsbeschädigte mit Fahrtausweisen für die vierte Wagenklasse, die weitgehend eine Stehklasse war, die Möglichkeit hatten, die dritte Klasse zu benutzen, und 1928 dahin abgeändert worden, daß mit den Ausweisen der dritten Wagenklasse die gepolsterte zweite Wagenklasse benutzt werden konnte. Bei Abschaffung der dritten Wagenklasse im Jahre 1956 habe man erwogen, die Vergünstigung überhaupt aufzuheben, sich aber schließlich wegen des kleiner werdenden Personenkreises zu einer Beibehaltung entschlossen. Zahlreiche Bemühungen, auch andere Behindertengruppen in gleicher Weise zu begünstigen, seien von der inzwischen selbständigen Bundesbahn abgelehnt worden.
Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch eine EWG-Verordnung, der zufolge soziale Vergünstigungen abzubauen seien; wenn sie beibehalten würden, müsse die Regierung für die Fahrgeldausfälle aufkommen. Die Bundesbahn erhalte hiernach von der Bundesregierung bereits etwa 1,1 Milliarden DM für die Aufrechterhaltung derartiger Vergünstigungen. Die Übernahme der Kosten der hier angesprochenen Vergünstigung sei noch nicht geregelt und werde aus den erwähnten Gründen seitens der Bundesregierung skeptisch beurteilt, zumal sie in Europa sonst nicht üblich sei; sie werde wohl wegen ihres Auslaufens für den bisher begünstigten Personenkreis von der Bundesbahn von sich aus beibehalten, aber nicht mehr auf weitere Personenkreise ausgedehnt werden.
Meine Damen und Herren, so ist die jetzige Sachlage, wie wir sie mit den Vertretern der Bundesregierung und der Deutschen Bundesbahn eingehend erörtert haben. Der Ausschuß war von dem Ergebnis aber nicht befriedigt. Zunächst hätte er es im Zuge der sozialen Fortentwicklung für wünschenswert gehalten, wenn alle Schwerbehinderten in den Genuß einer solchen Vergünstigung kommen könnten. Selbst wenn man diese sozialen Erwägungen völlig außer Betracht läßt, so bleibt in bezug auf den hier angesprochenen Personenkreis der im Dienste der Bundeswehr Beschädigten darüber hinaus ein Moment der Ungleichbehandlung bestehen, das behoben werden sollte. Wenn man die dem Kriegsbeschädigten gewährte Bevorzugung damit begründet, daß diese ihre Beschädigung in Erfüllung einer Kriegsdienstpflicht und im Dienste der Volksgemeinschaft erlitten hätten, so muß dies unseres Erachtens ebenso für die Beschädigten der Bundeswehr gelten, auch wenn diese ihre Verletzung nicht während eines Krieges erlitten haben. Eine Gleichstellung dieses eingeschränkten Personenkreises müßte nach Meinung des Ausschusses, die offenbar auch vom Arbeitsministerium geteilt wird, bei gutem Willen ohne nennenswerte finanzielle Belastung möglich sein, da es sich nur um einen Kreis von schätzungsweise 200 bis 250 Personen handeln dürfte.
Der Petitionsausschuß hat daher vorgeschlagen, die Eingabe der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen in der Hoffnung, daß sich schon bald eine zufriedenstellende Lösung erreichen läßt.
Dem Ausschuß bedeutet es ein Kreuz, daß er zahlreiche Eingaben ohne positiven Bescheid lassen muß, obwohl er weiß, daß man dadurch manchem menschlichen Problem nicht gerecht wird und vielleicht Bitterkeit oder gar das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, erzeugt. Deshalb möchte auch ich - wie Kollege Hansen im März und Kollege Hussing im Juni dieses Jahres sehr deutlich betonen, wie dringend notwendig es ist, endlich zu einer gesetzlichen Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses zu kommen. Ohne das Recht auf Anhörung des Petenten und beteiligter Personen, ohne Recht auf Akteneinsicht bei Verwaltung und Regierung
und ohne gelegentliche Hilfe durch Gerichte bleibt diese Arbeit für unsere Bürger Stückwerk.
Es gibt in diesem Hause viel guten Willen und noch mehr gute Worte zu diesem Thema. Erlauben Sie mir aber, daß ich an die Frauen und Männer, die in diesem Hause besondere Verantwortung tragen und hier - wie ich meine: zu Recht - auf den vordersten Bänken sitzen, appelliere, in den nächsten Monaten - aber wirklich in den nächsten Monaten - dafür zu sorgen, daß etwas geschieht. Sie wissen genau, daß der Petitionsausschuß allein nicht die Mittel in der Hand hat, um konkrete gesetzliche Schritte einzuleiten.
Abschließend bitte ich Sie, meine Damen und Herren, den Ihnen in der Sammelübersicht 26 vorliegenden Anträgen des Petitionsausschusses zu den einzelnen Petitionen zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Haus nimmt von den in der Sammelübersicht 26 enthaltenen Anträgen zustimmend Kenntnis und beschließt entsprechend.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Mai 1969 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Änderung des Abkommens vom 30. April 1964 über Soziale Sicherheit
- Drucksache VI/2430
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({0})
- Drucksache VI/2628 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schlei ({1})
Die Frau Berichterstatterin verzichtet auf eine mündliche Ergänzung des Schriftlichen Berichts. Wird in der zweiten Beratung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte Sie, den Knopf an der Außenseite Ihres Pultes zu drücken und darauf zu achten, daß die rote Lampe bis zum Ende der Abstimmung leuchtet. Außerdem bitte ich Sie, einen der drei Knöpfe für Ja, Nein oder Enthaltung zu drücken. - Bei einer Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich bitte Sie wieder, den roten Knopf und einen der drei anderen Knöpfe zu drücken. In dritter Beratung einstimmig angenommen.
Damit ist Punkt 4 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes, Dr. Müller ({2}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gesetze über die Gemeinschaftsaufgaben
- Drucksache VI/ 1058 Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
- Drucksache VI/2634 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow ({4})
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung des Schriftlichen Berichtes. Wird in der zweiten Beratung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte Sie wieder, den roten Knopf zu betätigen und mit Ja, Nein oder Enthaltung zu stimmen. - Bei einer Enthaltung ist der Gesetzentwurf in der zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. - In der dritten Beratung einstimmig angenommen.
Damit ist auch Punkt 5 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Wasch- und Reinigungsmitteln
- Drucksache VI/2615 -
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Bedarfsgegenständen sowie technischen und chemischen Mitteln des täglichen Gebrauchs
- Drucksache VI/2616 -
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit kosmetischen Mitteln, Kosmetikaverpackungen und Gegenständen zur Körperpflege
- Drucksache VI/2617 -
d) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Tabakerzeugnissen
- Drucksache VI/ 2618 -
e) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln und Lebensmittel-Bedarfsgegenständen ({5})
- Drucksache VI/2619 Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Zu einer kurzen Begründung der Anträge hat Herr Abgeordneter Hammans ums Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die Gesetzesvorschläge meiner Fraktion zur Neuordnung des Lebensmittelrechts in diesem Hohen Hause zu begründen.
Während der Regierungsentwurf in der Drucksache VI/2310 in einer einzigen Gesetzesvorlage seinen Niederschlag findet, ist meine Fraktion der Meinung, daß man ein so ungeheuer vielfältiges und breites Feld an Gegenständen des täglichen Bedarfes nicht so pauschaliter neuordnend abhandeln darf. Meine Fraktion hat deshalb den Gesamtkomplex der Neuordnung und Bereinigung des Rechts mit den Gegenständen des hier zur ersten Beratung anstehenden Gesetzes in Teilbereiche aufgelöst. Mit dieser Maßnahme wird dem Bestreben Rechnung getragen, sowohl alle gesundheitsschädigenden Einflüsse von den Bürgern fernzuhalten als auch überschaubare praxisnahe Gesetze zu schaffen, um die Unübersehbarkeit dieses riesigen Gesetzeskomplexes auszuschalten.
Namens meiner Fraktion erkläre ich hier, daß wir überzeugt sind, daß die von uns vorgeschlagene Lösung, nämlich die Auflösung dieses Mammutgesetzes in verschiedene Einzelgesetze, letztlich dem Verbraucher dienen wird. Für ihn wird dieses Gesetz gemacht. Er hat ein Recht darauf, gewarnt und aufgeklärt zu werden. Dies aber ist nur durch größtmögliche Transparenz aller Maßnahmen zu erreichen. Eben das aber kann nur durch eine Aufteilung dieses Gesamtpomplexes in Teilbereiche verwirklicht werden.
Weiter meine ich, daß für die Lösung, die meine Fraktion vorschlägt, noch zwei gewichtige Gründe sprechen. Erstens glaube ich, daß Einzelgesetze von den Behörden, die die Kontrollen durchzuführen haben, und den beteiligten Wirtschaftskreisen sicher leichter zu handhaben sein werden, als dies bei einem „Sammelgesetz" der Fall ist. Zum anderen halte ich es verfahrensmäßig für vorteilhafter, die kleine Lösung anzustreben, da bei einer Aufteilung in Einzelgesetze eine Neuregelung über einzelne Gegenstände vorab und beschleunigt durchgeführt werden kann.
Neben diesen klar erkennbaren Vorteilen, die für die Gesetzesvorlage, wie sie meine Fraktion vorschlägt, sprechen, möchte ich noch auf einen Punkt des Entwurfs der Regierung hinweisen, der nachteilig ist. Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung will nämlich trotz der bereits geschilderten Einwendungen umfassend sein. Ich behaupte, daß das sogenannte Reformwerk dieser Bundesregierung Stückwerk ist. Einmal hat im Bereich des Lebensmittelrechts die entscheidende Reform schon 1958 stattgefunden. Durch das Lebensmittelgesetz vom 19. Dezember 1958 wurden damals alle fremden Stoffe dem Verbotsprinzip unterstellt, d. h. sie dürfen nur insofern verwendet werden, als sie nach Überprüfung durch das Bundesgesundheitsamt auf dem Verordnungswege in sogenannte Positivlisten aufgenommen werden und einzeln ausdrücklich zugelassen sind.
Zum anderen waren 1958 nur zwei Teilbereiche des Lebensmittelrechts unerledigt geblieben, nämlich die Novellierung des Lebensmittelstrafrechts und die Vereinheitlichung des Lebensmittelrechts. Hiervon ist in der Vorlage der Bundesregierung nur der erste Teil novelliert worden, während das zweite Problem aus den Vorschlägen der 1966 eingesetzten Reformkommission und auch aus dem Art. 4 des Reformentwurfs vom Bundeskabinett herausgestrichen wurde. Herausgestrichen wurde die Unterstellung aller Lebensmittel unter die Bestimmungen zum Schutze der Gesundheit unter Aufhebung der bisherigen Sondergesetze für einige Produktgruppen. Das bedeutet, die wichtigsten Sondergesetze werden aus der Aufhebungsliste des Art. 4 wieder herausgenommen, z. B. die Sondergesetze für Brot, Fett und Milch.
Um dennoch die Gesetzesvorlage als großes Reformprojekt ausgeben zu können, wurden die Gesetzesabschnitte für Lebensmittel, Tabakerzeugnisse und deren Bedarfsgegenstände mit Abschnitten über zwar sehr reformbedürftige, aber völlig andersartige Produktgruppen wie kosmetische Mittel, Reinigungsmittel und sonstige Bedarfsgegenstände verbunden. Ansonsten sollen nach dem Willen der Bundesregierung gleichzeitig für wichtige Gruppen von Lebensmitteln deren Sondergesetze aufrechterhalten bleiben.
Für diesen reformbedürftigen Bereich an „Ersatzgütern" wurde zwar seitens der jetzigen Regierung modernes Recht vorgesehen, aber die notwendige wissenschaftliche Vorarbeit, z. B. die Erstellung von Stofflisten, wird Jahre dauern. Selbst wenn man dem Willen der Koalitionsregierung folgte und das Gesetz vielleicht erst 1976 in Kraft setzte, wäre zwar die Sorge um die wissenschaftlich exakt fundierte Untermauerung des Gesetzes behoben, aber die anderen Bereiche, also Lebensmittel, Lebensmittelbedarfsgegenstände und Tabakerzeugnisse, müßten eine unnötige Zeitvergeudung bis zum Inkrafttreten des Gesamtgesetzes in Kauf nehmen.
Zusammenfassend darf ich an das sachliche Verständnis der Damen und Herren der SPD/FDPKoalition appellieren und sie bitten, mit uns für eine Aufteilung der Teilkomplexe zu plädieren.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bardens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für die Gesamtreform des Lebensmittelrechts im Juni hat die CDU angekündigt, daß sie Änderungsanträge einbringen wolle. Änderungsanträge sollen - das erwartet man ja wohl - Verbesserungsvorschläge enthalten. Ich meine, daß davon aber in ihren Entwürfen nichts enthalten ist.
Die CDU hat zunächst einmal technisch den Entwurf der Bundesregierung in fünf Einzelkomplexe
zerlegt. Darüber hätte man möglicherweise reden können, wenn es nur ein technischer Vorgang wäre. Aber bei dieser Operation des Auseinandernehmens hat die CDU einige wesentliche Einzelteile des Regierungsentwurfs verloren oder auch fallenlassen; ich weiß nicht genau, was die Absicht war. Das Interesse des Gesundheitsschutzes ist in den jetzt vorliegenden Entwürfen der CDU wesentlich weniger berücksichtigt als im Regierungsentwurf.
({0})
Dafür nur zwei Beispiele! Im Kosmetika-Teil fehlt das grundsätzliche Verbot verschreibungspflichtiger Stoffe nach dem Arzneimittelrecht, und im Lebensmittelteil ist die Zusatzstoffregelung schlechter als in der Novelle von 1958 vorgesehen. Das sollte nicht passieren. Wir haben uns einfach zu fragen, wem das dienen soll, was hier - hinter vorgehaltener Hand - getan wurde; es ist ja auf dem Deckblatt nur von technischer Änderung die Rede. Ich meine, es dient dem Verbraucher auf gar keinen Fall. Das ist eine alte Masche der Opposition, und wir sollten das hier öffentlich auch einmal wieder aussprechen: zunächst schimpfen über die Unvollkommenheit oder die Unvollständigkeit einer Regierungsvorlage, Verbesserungen ankündigen, aber dann etwas ganz anderes tun.
Im Vorblatt Ihrer Gesetzentwürfe - es ist ja einheitlich für alle Gesetzentwürfe - steht, daß Sie den Inhalt des Regierungsentwurfs voll billigen. In Ihren Gesetzentwürfen selbst haben Sie den Regierungsentwurf zu kürzen, zu schmälern versucht - gegen die Interessen des Verbrauchers. Ich meine, hier ist eine Operation versucht worden, die durch unseren Gesetzentwurf in Zukunft gerade verhindert werden soll. Durch diese Aktion ist nämlich versucht worden, den Verbraucher zu täuschen. Wir haben das erkannt, und damit ist, glaube ich, dieser Versuch gescheitert. Im Ausschuß werden wir wieder über die Sache reden müssen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, alle unter Punkt 6 genannten Vorlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Inneres und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. - Es ist so beschlossen.
Bei den Punkten 7 bis 15 handelt es sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe und einem Gesetzentwurf aus der Mitte des Hauses.
Ich rufe Punkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau
- Drucksache VI/2666 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
- Drucksache VI/2643 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Müller ({0}), Dr. Götz, Ruf und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsversicherungsordnung
- Drucksache VI/2645 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor.
Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften
- Drucksache VI/2644 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor.
Punkt 11 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht
- Drucksache VI/2652
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß vor.
Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Mai 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik über das Einlaufen von Reaktorschiffen in argentinische Gewässer und ihren Aufenthalt in argentinischen Häfen
- Drucksache VI/2655 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - federführend - sowie an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und an den Auswärtigen Ausschuß vor.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Punkt 13 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Januar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über die Benutzung portugiesischer Gewässer und Häfen durch N. S. „Otto Hahn"
- Drucksache VI/2657 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen - federführend - sowie an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft vor.
Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 25. Oktober 1967 über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern
- Drucksache VI/2656 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vor.
Punkt 15 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Dezember 1970 über den Handelsverkehr mit den überseeischen Ländern und Gebieten betreffend die Erzeugnisse, die unter die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen
- Drucksache VI/2667 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft vor.
Zu den aufgerufenen Vorlagen der Punkte 7 bis 15 wird das Wort nicht gewünscht. - Ich höre keinen Widerspruch gegen die Überweisungsvorschläge; es ist entsprechend beschlossen.
Im Hinblick darauf, daß wir nur noch wenige Minuten zur Abwicklung der Tagesordnung brauchen, schlage ich vor, daß wir die Tagesordnung noch abwickeln. Dann ist heute Nachmittag nur noch die Fragestunde.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Evers, Dr. Häfele, Reddemann, Dr. Eyrich, Dr. Abelein, Dr. Riedl ({1}) und Genossen
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
- Drucksache VI/2601 - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Evers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag Drucksache VI/2601 betrifft eine Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. § 24 Abs. 2 Satz 1 unserer Geschäftsordnung hat in seiner gegenwärtigen Fassung folgenden Wortlaut:
Die Tagesordnung wird den Mitgliedern des Bundestages, dem Bundesrat und der Bundesregierung mitgeteilt.
Dieser Satz enthält keinerlei Angabe darüber, wann
die Mitteilung der Tagesordnung zu erfolgen hat.
({0})
Der Antrag bezweckt, eine solche Frist in die Geschäftsordnung aufzunehmen.
Die heutige Tagesordnung ist ein guter Grund, diesen Antrag zu erläutern, wenn Sie es gestatten. Die heutige Tagesordnung umfaßt 25 Punkte. Die vorläufige Tagesordnung, die den Mitgliedern des Hauses bis gestern abend bekanntgeworden war, umfaßte eine weitaus geringere Zahl von Tagesordnungspunkten. Das heißt, die meisten Mitglieder des Hauses haben erst heute in der Sitzung erfahren, daß eine Reihe weiterer Tagesordnungspunkte heute zur Behandlung anstehen.
Der Zweck dieses Antrags ist, zu erreichen, daß das in Zukunft nicht mehr geschieht. Ich werde Ihnen ein Beispiel dafür geben, daß es mit der bisherigen Handhabung nicht nur möglich war, relativ unwichtige Tagesordnungspunkte ohne vorherige Ankündigung zu behandeln, sondern auch möglich war und praktiziert wurde, wichtige Punkte auf die Tagesordnung zu setzen, ohne daß dies den Mitgliedern des Hauses rechtzeitig bekanntgegeben worden ist. Das ist der Grund für diesen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Evers?
Herr Kollege, kennen Sie § 24 unserer Geschäftsordnung und die ausdrückliche Möglichkeit, die Tagesordnung auch noch kurzfristig zu ändern?
Der Paragraph ist mir bekannt, und ich werde darauf eingehen, Herr Kollege.
Lassen Sie mich aber bitte sagen, daß auch für dieses Parlament Geltung haben sollte, was für Landes-und Kommunalparlamente selbstverständliche Gültigkeit hat: daß sich die Mitglieder des Hauses vor der Sitzung auf die zur Beratung anstehenden Gegenstände vorbereiten können, weil sie ihnen rechtzeitig bekanntgemacht werden. Das ist möglich und ist Vorschrift in allen Geschäftsordnungen unserer Landesparlamente.
In Bayern beträgt die Frist zwei volle Tage, in Berlin zwei volle Tage, in Bremen in der Regel eine Woche, in Hessen eine Woche, in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein vierzehn Tage. Diese Regelungen werden in ähnlicher Weise auch in den Kommunalparlamenten gehandhabt. Ich meine, was in den Kommunalparlamenten, auch in denen der kleinsten Gemeinden, möglich ist, sollte auch im Deutschen Bundestag möglich sein. Die
Angehörigen dieses Hauses sollten darauf dringen, daß sie rechtzeitig über das informiert werden, worüber sie abzustimmen haben, damit sie auch die Möglichkeit haben, sich zweckentsprechend vorzubereiten.
Lassen Sie mich zur Erläuterung - und nun komme ich auf Ihren Einwand, Herr Kollege - auf die Verabschiedung der Änderung des Ministergesetzes durch dieses Haus eingehen. Ich möchte nicht auf die sachliche Problematik und den Inhalt dieses umstrittenen Gesetzes zurückkommen. Die abschließende Behandlung im Deutschen Bundestag erfolgte in der Woche um den 17. Juni. Am Mittwoch der Woche hatten wir im Bundestag das Städtebauförderungsgesetz beraten. Am Donnerstag hatten wir nur einen Punkt behandelt - nach Abstimmung im Ältestenrat -: Zonenrandförderung. Für den Freitag waren Debatte und Entscheidung über das Rentenanpassungsgesetz und kein anderer Tagesordnungspunkt vorgesehen. Am Freitag wurde den Mitgliedern des Hauses, die nicht dem Ältestenrat angehören, aber um 8 Uhr über die Rundfunkstationen bekannt, daß der Deutsche Bundestag an diesem Tage die Änderung des Ministergesetzes verabschieden werde. Das hatte man um 8 Uhr morgens aus den Radionachrichten erfahren.
Das ist kein adäquates Verfahren, insbesondere deswegen, weil bekannt war, daß einige Mitglieder des Hauses entschlossen waren, gegen das Gesetz zu stimmen, und weil die Rechte dieser Mitglieder durch diese Handhabung beschränkt worden sind.
Der Antrag bezweckt, die Möglichkeit solcher Beschränkungen in Zukunft auszuschließen.
({0})
- Ja, ich darf Ihnen das zu Ihrer Erläuterung auch noch sagen. Ich bin an diesem Tage durch einen nicht von mir zu verantwortenden Zufall erst wenige Minuten nach 9 Uhr in das Haus gekommen und war Zeuge, wie der amtierende Präsident bekanntgab, daß die Tagesordnung um einige Punkte erweitert werden solle, und, da sich kein Widerspruch erhob, feststellte, daß so beschlossen worden sei, und dann diese Ergänzungstagesordnungspunkte sofort zur Behandlung aufrief.
({1})
- Herr Kollege Wehner, es wäre sehr nett, wenn Sie akzeptierten, daß dieser Antrag nicht gegen Ihre Fraktion gerichtet ist.
({2})
Er ist gegen gar keine Fraktion gerichtet. Das ist ein Antrag, der die Arbeitsbedingungen der Mitglieder dieses Hauses verbessern soll.
({3})
- Lassen Sie mich bitte hier noch die Begründung zu Ende führen.
Selbstverständlich muß auch in Zukunft die Möglichkeit gegeben sein, daß in einer Tagungswoche auf Grund eines dringenden Bedürfnisses eine Erweiterung oder Änderung der Tagesordnung vorgenommen wird.
({4})
Nach der hier vorgeschlagenen Änderung sehen die Bestimmungen der Geschäftsordnung das ausdrücklich vor.
Herr Abgeordneter Evers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Jawohl, gern!
Herr Kollege Evers, könnten Sie dem Herrn Kollegen Wehner bestätigen, daß Anträge, die in diesem Hause von seiten der Opposition gestellt werden, sich nicht unbedingt gegen die Koalition richten müssen?
Ja, ich will das gerne noch einmal wiederholen, da das offenbar eine Unterstellung des Kollegen Wehner war.
Meine Damen und Herren, ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam: Es handelt sich um die Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Evers, Dr. Häfele, Reddemann und weiterer Mitglieder des Hauses, nicht aber um die Beratung eines Antrages der Fraktion der CDU/CSU.
Ich wiederhole: Die Geschäftsordnung sieht auch nach der beantragten Änderung die Möglichkeit vor - und sie muß das auch tun -, daß die Tagesordnung kurzfristig erweitert wird. Ich möchte aber auch keinen Zweifel darüber lassen, daß dieser Antrag ebenfalls darauf abzielt, daß eine kurzfristige Änderung der Tagesordnung in Zukunft so erfolgen sollte, daß der zusätzlich auf die Tagesordnung gesetzte Punkt nicht unmittelbar nach der Änderung der Tagesordnung aufgerufen wird, sondern daß innerhalb der Tagesordnung eine gebührende Zeit gelassen wird, damit die Abgeordneten, die zu Beginn einer Plenarsitzung nicht im Plenum sind - wir alle wissen, daß das die Mehrzahl ist; machen wir uns doch da nichts vor, meine Damen und Herren , die Möglichkeiten haben, an der Beratung teilzunehmen.
Ich gehe bei der Antragstellung von der Erwartung aus, daß dies durch die jetzt vorgeschlagene Änderung in Zukunft abgedeckt wird und daß es nicht notwendig sein wird, hier eine nochmalige Änderung der Geschäftsordnung zu beantragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wiederhole: Dieser Antrag soll die Rechte des einzelnen Abgeordneten - und wir wollen doch daran festhalten, daß Gruppen von Abgeordneten unabDr. Evers
hängig von der Fraktionszugehörigkeit die Möglichkeit der Meinungsbildung und der Meinungsäußerung haben müssen - in Zukunft besser gewährleisten als bisher. Die Antragsteller beharren nicht unbedingt auf dem in der Vorlage angegebenen Zeitraum von sieben Arbeitstagen. Wir können darüber sprechen, ob sieben Arbeitstage oder eine etwas geringere Zahl von Arbeitstagen eine vernünftige Regelung darstellen. Es sollte aber auf jeden Fall eine Regelung eingeführt werden, die gewährleistet, daß sich die Abgeordneten vor Eintritt in die Tagesordnung über die Tagesordnung informieren und sich darauf vorbereiten können.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu überweisen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({0}) über den Bericht der Bundesregierung über den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR für das Jahr 1970 ({1})
- Drucksachen VI/2028, VI/2613 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Kreutzmann
Abgeordneter Reddemann
Die Herren Berichterstatter wünschen keine Ergänzung des vorliegenden Berichtes.
Der Antrag des Ausschusses lautet: Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der Bericht der Bundesregierung wird zur Kenntnis genommen.
2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auch in Zukunft bei ihren Verhandlungen mit der DDR alles zu tun, um einen freien Austausch von Presseerzeugnissen in beiden Richtungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu ermöglichen.
Keine gegenteiligen Meinungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung internationaler Abkommen sowie von Verordnungen, Entscheidungen und Richtlinien des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs
- Drucksache VI/2521 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen ({2})
- Drucksache VI/2641 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitt ({3})
({4})
Der Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung seines Berichts.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, die Abstimmungsanlage zu bedienen. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte Sie erneut, die Abstimmung vorzunehmen. - Ich danke Ihnen. Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Nunmehr rufe ich die Punkte 19, 20 und 21 der Tagesordnung auf:
19. Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses ({5}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EG für eine Verordnung des Rates über die Gewährung einer besonderen Beihilfe für bestimmte als Zigarrendeckblätter verwendete Tabake
- Drucksachen VI/2406, VI/2635 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wagner ({6})
20. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses ({7}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie ({8}) des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Richtlinien ({9}) des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf die Arbeitnehmer, die von dem Recht, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbleiben zu können, Gebrauch machen
- Drucksachen VI/2234, VI/2671 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer ({10})
21. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) über die von der Bundesregierung zur Unterbringung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für
eine Verordnung ({12}) des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung ({13})
Nr. 109/70 des Rates zur Festlegung einer ge8130
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
meinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren ({14})
eine Verordnung ({15}) des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung ({16}) Nr. 109'70 des Rates vom 19. Dezember 1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren ({17})
eine Verordnung ({18}) des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die im Anhang I der Verordnung ({19}) Nr. 1025/70 des Rates zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus dritten Ländern aufgeführte Liste
Drucksachen VI/2506, VI/2510, VI/2507, VI/2674 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Es wünscht keiner der Herren Berichterstatter das Wort. - Das Wort wird auch zur Aussprache nicht verlangt. Ist das Haus damit einverstanden, daß ich der Einfachheit halber über die drei Punkte im Zusammenhang abstimmen lasse? - Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen VI/2635, VI/2671 und VI/2674. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Dann rufe ich Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts der Bundesregierung über den Stand der Unfallverhütung und das Unfallgeschehen in der Bundesrepublik für das Jahr 1970
({20}) - Drucksache VI/2590 Es wird vorgeschlagen, die Vorlage dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Schließlich rufe ich Punkt 23 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses ({21}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache VI/2621 Ich nehme hier auf den Antrag des Ausschusses Bezug. Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist entsprechend beschlossen.
Ich unterbreche nunmehr die Sitzung bis 14.00 Uhr. Es wird dann nur noch die Fragestunde abgewickelt; am Nachmittag werden keine weiteren Punkte aufgerufen.
({22})
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache VI/2680 Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ich rufe die Frage 1 der Frau Abgeordneten Lauterbach auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung überprüft, ob die zwischen ihr und dem UNDP ausgehandelten Maßnahmen zum Schutze deutscher Entwicklungshelfer von den betreffenden Organisationen und deutschen Vertretungen in Entwicklungsländern durchgeführt werden, und zu welchem Ergebnis hat diese Überprüfung geführt?
Zur Beantwortung Frau Parlamentarischer Staatssekretär, bitte!
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Kollegin, die zwischen der Bundesregierung und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen vereinbarten Maßnahmen zum Schutz deutscher Experten und Entwicklungshelfer sind in einem Schreiben von Herrn Bundesminister Eppler an den Administrator des UNDP Paul Hoffmann präzisiert worden, mit dessen Inhalt sich der Administrator inhaltlich voll einverstanden erklärt hat. Nach Auskunft der UNDP liegt der Text dieses Schreibens allen örtlichen Vertretern, also allen „resident repräsentatives" des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen vor, er ist ihnen also übermittelt worden. Die Bundesregierung hat ihrerseits alle deutschen diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen über die mit dem UNDP getroffenen Vereinbarungen informiert und entsprechende Richtlinien für die Übermittlung von Listen mit den Namen, den Anschriften und Funktionen der deutschen Experten und Entwicklungshelfer an die jeweilige UNDP-Vertretung erlassen. In diesen Richtlinien ist deutlich gemacht worden, daß die Weitergabe der Listen an die UNDP-Vertretung selbstverständlich die Verantwortung der deutschen Auslandsvertretung für die Sicherheit der deutschen Entwicklungshilfesachverständigen nicht aufhebt. Solange die deutsche Vertretung handlungsfähig ist, trifft sie die zum Schutze der deutschen Sachverständigen und Helfer erforderlichen Maßnahmen. Auch die Verantwortung der Regierung des Gastlandes für die Sicherheit von Experten und Helfern wird durch diese Vereinbarung nicht berührt.
Eine Zusatzfrage.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, welches Verfahren wird von seiten der Bundesregierung angewandt, um jeweils die Vollständigkeit der Listen festzustellen und den neuesten Stand zu gewährleisten?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche ZusammenParlamentarischer Staatssekretär Frau Freyh
arbeit: Frau Kollegin, die GAWI-Projektleiter und auch die Landesbeauftragten des DED sind mit der Aufstellung dieser Listen beauftragt worden. Sie sind den Landesvertretungen gegenüber verpflichtet, die Angaben in den Listen auf dem neuesten Stand zu halten. Außerdem ist sichergestellt, daß das Auswärtige Amt jeweils ein Exemplar dieser Listen erhält.
Herr Josten, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie wird die Bundesregierung über die entsandten Experten anderer deutscher Organisationen informiert, deren Entsendung nicht im Auftrag der Bundesregierung erfolgt?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege Josten, hier können wir nicht das gleiche Verfahren anwenden, da diese Experten nicht im öffentlichen Auftrag in den Entwicklungsländern tätig sind. Es wird folgendermaßen gehandhabt. Über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird durch das Auswärtige Amt an die deutschen Auslandsvertretungen auch in diesem Fall eine Liste übergeben, die dann an UNDP weitergeleitet wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich darauf hinweisen, daß das eigentlich meine zweite Zusatzfrage sein sollte und daß die mir jetzt weggenommen worden ist.
Es ist Ihnen damit nichts weggenommen worden. Frau Kollegin, die Hauptsache ist doch, daß das Haus die Antwort auf die Frage gehört hat, die Sie zu stellen vorhatten.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Matthöfer.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, gibt es in Ihrem Haus Überlegungen, die dahin tendieren, etwas Zusätzliches zur Erhöhung der Sicherheit unserer Entwicklungshelfer in den betreffenden Ländern zu tun?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege Matthöfer, wir sind der Auffassung, daß wir im Rahmen dessen, was ich bei der Beantwortung der an mich gerichteten Frage dargestellt habe, das eingeleitet haben, was möglich ist. Was im internationalen Bereich vielleicht zusätzlich noch getan werden kann, kann ich im Augenblick nicht abschließend beantworten, möchte aber darauf hinweisen, daß beispielsweise bei der OECD in dieser Hinsicht Erörterungen angestellt worden sind.
Keine Zusatzfrage mehr. Dann rufe ich die Frage 2 der Abgeordneten Frau Lauterbach auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, für ihre im Einsatz befindlichen Entwicklungsexperten pauschal eine Hausratsversicherung abzuschließen, um ihnen damit - vergleichbar den UNDP-Experten - mehr Schutz und Unterstützung gegebenenfalls bei Regreßansprüchen zu gewähren?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Kollegin Lauterbach, es besteht ein Rahmenvertrag mit einer bewährten Versicherungsgesellschaft, der den Experten der deutschen Entwicklungshilfe günstige Prämienbedingungen garantiert. In diesem Rahmenvertrag erklärt sich die Versicherung bereit, das Hausratsgut der Experten gegen Schäden durch Brand, Blitzschlag, Explosion, Einbruchsdiebstahl, Beraubung, Leitungswasser und Glasbruch zu versichern. Es wird jedem Experten vor der Ausreise empfohlen, von dieser Versicherungsmöglichkeit Gebrauch zu machen.
Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit war es jedoch noch nicht möglich, eine offizielle und umfassende Auskunft darüber zu erhalten, ob und in welcher Weise die Experten von UNDP durch eine Hausratsversicherung vor Schäden geschützt werden.
Zusatzfrage, Frau Lauterbach.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, da es mir in diesem Zusammenhang besonders um die vergleichbaren Möglichkeiten der UNDP geht, darf ich Sie fragen: Sind Sie bereit, mir die Ergebnisse Ihrer Untersuchung sofort nach Vorliegen schriftlich mitzuteilen?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frau Kollegin, dazu bin ich gern bereit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, das Ergebnis im Rahmen einer Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit allen Mitgliedern mitzuteilen?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Selbstverständlich, Herr Kollege Josten, zumal ich annehme, daß diese Frage noch des öfteren im Ausschuß zur Erörterung anstehen wird.
Keine Zusatzfrage mehr.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, und zwar zuerst zu den Fragen 3 bis 6. Die Fragesteller haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmid
Frage 7 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) :
Hält die Bundesregierung die bisherigen gesetzlichen Vorschritten für ausreichend, uni die Behinderung der Polizei, des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen durch Schaulustige an Orten von Verkehrsunfällen, Unglücksfällen und strafbaren Handlungen abzustellen, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um solche Mißstände wirksam zu bekämpfen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung teilt die Sorge, die aus Ihrer Frage spricht. Nicht zuletzt im Hinblick auf bedauerliche Vorkommnisse in jüngster Zeit - ich erinnere z. B. an das Flugzeugunglück in Hamburg am 6. September 1971 - hat sich die Innenministerkonferenz der Länder kürzlich mit diesem Problem befaßt und ein verschärftes Vorgehen gegen Schaulustige angekündigt. Die Innenminister der Länder haben in diesem Zusammenhang einen Appell an die Öffentlichkeit gerichtet, Hilfs- und Sicherungsmaßnahmen bei außergewöhnlichen Ereignissen nicht zu behindern, und darauf hingewiesen, daß Störer mit einer zwangsweisen Entfernung rechnen müssen.
Darüber hinaus hat die Ständige Konferenz der Innenminister rein vorsorglich eine Prüfung der Frage eingeleitet, ob zum Schutz von Hilfs- und Sicherungsmaßnahmen bei außergewöhnlichen Ereignissen vor Störenden und Schaulustigen polizeirechtliche Vorschriften verbessert oder ergänzt werden sollten. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Herr Senator Ruhnau, hat sich ferner im Anschluß an die Sitzung der Innenminister am 10. September 1971, die bekanntlich auf meine Anregung hin zustande gekommen war, mit Vertretern der Massenmedien in Verbindung gesetzt mit der Bitte, bei Katastrophen und Unglücksfällen für einige Zeit keine genauen Ortsangaben zu bringen, damit Schaulustige nicht bereits so zeitig am Unfallort erscheinen, daß ihre Anwesenheit stört. Wir mir bekannt wurde, haben sich Vertreter verschiedener Massenmedien bereits bereit erklärt, entsprechend dieser Anregung zu verfahren.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Ihre Antwort offensichtlich darauf schließen läßt, daß auf diesem Gebiet tatsächlich etwas Wirksames getan wird, darf ich Sie konkret fragen, ob unter „verschärftem Vorgehen" insbesondere zu verstehen ist, daß in absehbarer Zeit ein eigener Straftatbestand - ich will ihn einmal nennen: Behinderung von Polizei, Rotem Kreuz und anderen Hilfskräften an Orten von Unglücksfällen und Straftaten - in das Strafrecht eingefügt werden soll.
Herr Kollege, die Frage, ob die von mir angedeuteten wirksamen Regelungen durch eine Änderung des Strafrechts oder des Polizeirechts der Länder zu erreichen sind, ist Gegenstand der Prüfung durch die Innenministerkonferenz, an der das Bundesministerium des Innern mitwirkt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wann ist damit zu rechnen, daß dem Parlament und der Öffentlichkeit ein abschließendes Ergebnis dieser Verhandlungen mitgeteilt werden kann?
Einen ersten Bericht über den gesamten Fragenkomplex, und zwar nicht nur über diesen, sondern auch über die Frage der Gewaltkriminalität, habe ich dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages bereits im Anschluß an die Innenministerkonferenz gegeben. Ich hoffe, daß die Beratungen im Rahmen der Innenministerkonferenz über den Komplex Schaulustige zu Beginn des nächsten Jahres abgeschlossen werden können, so daß ich in der ersten Hälfte des kommenden Jahres in der Lage wäre, dem Innenausschuß, wenn das gewünscht würde, eine entsprechende Unterrichtung zuteil werden zu lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß Ihr Kollege, der Justizminister, in der Fragestunde vor etwa 14 Tagen erklärt hat, er sehe keine Notwendigkeit, den Straftatbestand Behinderung von Hilfsorganisationen bei Rettungsmaßnahmen in das Strafgesetzbuch einzuführen?
Herr Kollege,. diese Mitteilung ist mir bekannt. Aber niemand wird die Innenministerkonferenz oder die Innenminister oder sonst irgend jemanden daran hindern können, nach einer umfassenden Prüfung des Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Auch ich habe nicht erklärt, daß ich in einer Änderung des Strafrechts den richtigen Weg sähe, sondern ich habe hier gesagt, daß die Frage, ob eine Änderung des Strafrechts oder des Polizeirechts der geeignetere Weg wäre, Gegenstand der Prüfung durch die Innenministerkonferenz sei, an der ich mitwirke. Einen Widerspruch zu der Aussage des Herrn Bundesministers der Justiz vermag ich beim besten Willen nicht zu entdecken, und ich vermute, Sie auch nicht.
Frage 8 des Herrn Abgeordneten Picard:
Kann die Bundesregierung die in einem Artikel der PZ Nr. 3 1971, herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, unter der Überschrift „Geh'n wir klau'n am Wochenende" enthaltenen Zahlen konkretisieren, daß die Diebstahlskriminalität bei Männern „in den letzten Jahren" nur um 4 bis 6 % zugenommen habe, während sie im gleichen Zeitraum bei den Frauen um 80 % gestiegen sei?
Kann Ihre Frage 9 gleichzeitig beantwortet werden, Herr Abgeordneter Picard?
({0})
Vizepräsident Dr. Schmid
- Dann rufe ich noch die Frage 9 auf:
Hält die Bundesregierung die im gleichen Artikel gemachte Aussage für gerechtfertigt - gegebenenfalls durch welche Feststellungen -, daß sich unter den Frauen über 40 Jahren, die nicht nur wie die Raben, sondern wie die Elstern klauten, sogar Damen der „besten Kreise" verbergen, „die aber - wenn erwischt und vor Gericht gestellt - als psychisch gestört freigesprochen werden"?
Herr Kollege, der Artikel hat nach eigenen Angaben des Verfassers das statistische Material des Aufsatzes „Geschlecht und Alter der Diebe und ihre Bestrafung" von Rangol in Heft 6/1971 der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik" als Grundlage. Ich darf auf diesen Aufsatz, der dort auf den Seiten 344 bis 351 veröffentlicht ist, wegen der Einzelheiten verweisen.
Nach der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts - Fachserie A, „Bevölkerung und Kultur", Reihe 9, Rechtspflege , auf deren Inhalt ich ebenfalls Bezug nehme, können die im Artikel zugrunde gelegten Zahlen wie folgt konkretisiert werden. In den Jahren 1955, 1956 und 1957 betrug die Durchschnittszahl der wegen Diebstahls verurteilten Männer 65 233 und die der Frauen 13 135. Demnach sind 1955 bis 1957 von je 100 000 strafmündigen Männern rund 350 und von je 100 000 strafmündigen Frauen je 60 wegen Diebstahls verurteilt worden.
In den Jahren 1967, 1968 und 1969 sind die Verurteilungen wegen Diebstahls bei Männern auf durchschnittlich 81 522 und bei Frauen auf 27 384 gestiegen. Das entspricht einer Verurteilungsziffer von 375 bei Männern und 110 bei Frauen.
Der Vergleich der durchschnittlichen Verurteiltenziffern der Jahre 1955 bis 1957 mit denen der Jahre 1967 bis 1969 ergibt eine Steigerung der Diebstahlkriminalität bei Frauen um rund 80 % und bei Männern um rund 6 %. Demnach ist die Diebstahlkriminalität der Frauen im Verhältnis zu derjenigen der Männer zwar stärker gestiegen, jedoch ist die absolute Zahl der von Frauen begangenen Diebstähle im Vergleich zu der der Männer - bis auf den Diebstahl aus Kaufhäusern und Selbstbedienungsläden - nach wie vor geringer.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Picard.
Herr Minister, können Sie meiner Auffassung zustimmen, daß man, wenn man schon über diese betrübliche Entwicklung berichtet, das etwas seriöser tun sollte, als das in der von mir herangezogenen Artikelreihe der „PZ" geschehen ist?
Herr Kollege, nach den Vorstellungen der für diese Zeitschrift zuständigen Gremien soll sich die Bundesregierung nach Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Publikationsorgane enthalten. Wenn Sie aber eine Meinungsäußerung von mir hören wollen: Ich halte die Darstellung nicht für besonders geglückt und hätte sie mir angesichts der Bedeutung des Problems in anderer Form gewünscht.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Varelmann.
Herr Minister, hat Ihr Haus auch die Beobachtung gemacht, daß, wenn ein Arbeiter gegen die Gesetzgebung verstößt, dessen Name und Beruf nach wie vor in der Presse genannt wird, wenn jemand aus der gehobenen Volksschicht dagegen gegen die Gesetzgebung verstößt, dessen Name und Beruf nach wie vor weitgehend verschwiegen wird, und halten Sie diesen Tatbestand für gut?
Herr Abgeordneter, wenn ich meine Unzufriedenheit mit der Art der Darstellung dieses schwerwiegenden Problems in der genannten Publikation in der angemessenen Form zum Ausdruck brachte, so habe ich an eben diese von Ihnen zitierte verallgemeinernde, durch nichts erhärtete Tatsachenbehauptung erinnern wollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Picard.
Herr Minister, im Zusammenhang mit meiner zweiten Frage darf ich Sie folgendes fragen: Können Sie den dort festgestellten Tatbestand, daß klauende Damen aus den besten Kreisen wegen psychischer Unzulänglichkeit freigesprochen würden, während klauende Damen aus einfacheren Kreisen selbstverständlich verurteilt würden, erhärten, wenn ja, was müßte man dann eigentlich unternehmen? Denn wenn das stimmen sollte, wäre das doch ein völlig unzuträglicher Zustand.
Herr Abgeordneter, ich kann diesen Tatbestand nicht nur nicht erhärten, sondern ich bin der Meinung, daß er ein unzulässige Verallgemeinerung möglicherweise geschehener Einzelfälle darstellt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Matthöfer.
Herr Minister, Sie wollen damit doch nicht verneinen, daß mit ziemlicher Sicherheit feststeht, daß bei der Urteilsfindung oft genug Kriterien angewendet werden, die man als klassenspezifisch bezeichnen muß?
Herr Abgeordneter, mein Respekt vor der Unabhängigkeit deutscher Richter läßt es nicht zu, mich der in Ihrer Frage zum Ausdruck kommenden Wertung anzuschließen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, Ihnen sind aber doch die Tatsachen über den einseitigen sozialen Ursprung unserer Richterschaft bekannt?
Herr Abgeordneter, diese Tatsachen sind mir bekannt, wenn Sie mit sozialem Ursprung die schichtenspezifische Herkunft der Richter meinen. Aber diese Feststellung allein kann es keineswegs rechtfertigen, der deutschen Richterschaft eine Rechtsfindung zu unterstellen, die man als Klassenjustiz Sie haben
das Wort nicht gebraucht - oder ähnliches bezeichnen könnte.
({0})
Herr Abgeordneter Baier!
Herr Bundesminister, da es sich bei der hier in Frage stehenden Publikation nicht um die erste im Rahmen einer neuen Serie der Bundeszentrale für politische Bildung handelt, die Mißfallen und Ärgernis in diesem Hause und in der Bevölkerung hervorruft, frage ich Sie, ob Sie als der auch für die Bundeszentrale für politische Bildung verantwortliche Minister weiterhin dulden wollen, daß unter dem Motto „Staatsbürgerliche Erziehung" Steuergelder für derartige Publikationen zur Verfügung gestellt werden.
Herr Abgeordneter, mein Amtsvorgänger hat bei der Einrichtung dieser Schriftenreihe zum Ausdruck gebracht, daß man mit dieser Form politischer Bildung experimentieren wolle. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich als nicht weniger experimentierfreudig erscheinen möchte als mein Amtsvorgänger, der Ihrer Fraktion angehört. Ich bin auch nicht der Meinung, daß das Wort „dulden" der richtige Begriff im Verhältnis zu diesen Publikationen ist. Gleichwohl, Herr Abgeordneter, ist für mich gerade diese Publikation Anlaß, mit den verantwortlichen Herren zu sprechen, um eine angemessenere Darstellung sehr ernster Probleme möglich zu machen.
Herr Abgeordneter Fuchs!
Herr Bundesminister, da Sie davon gesprochen haben, daß es sich um Experimente handle, darf ich Sie fragen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß nach drei mißglückten Experimenten jetzt Schluß gemacht werden sollte?
Herr Abgeordneter, wenn ich von „Experimenten" sprach, so habe ich nicht mich selbst zitiert, sondern die Meinung einer früheren Bundesregierung. Ich bin auch nicht der Meinung, daß man mit Experimenten Schluß machen sollte, sondern, daß man eine bestimmte Experimentierzeit zum Anlaß nehmen sollte, über die Ergebnisse zu sprechen mit dem Ziel, das Positive zu erhalten und möglicherweise aufgetretene Schwächen zu überwinden.
Herr Abgeordneter Schwabe!
Herr Bundesminister, werden Sie unbeschadet der Rücksprache, die Sie nach dem guten Brauch, den Länder und Bund bisher geübt haben, halten werden, bei der Beurteilung der ganzen Sachlage davon ausgehen, daß es sich um ein pädagogisches und ein publizistisches Element handelt und daß die beiden seit Bestehen der Einrichtungen für politische Bildung in Deutschland ein hohes Maß von Freiheit in der Ausübung genossen haben, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sie aus Steuergeldern bezahlt werden?
Herr Abgeordneter, alle Antworten, die ich bisher gegeben habe, dürften Sie zu der Gewißheit bringen, daß ich Ihre Frage mit einem uneingeschränkten Ja beantworten kann.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wie lange sollte nach Ihrer Vorstellung diese Experimentierzeit noch dauern, oder wäre nicht endlich der Zeitpunkt gekommen, ein Resultat zu ziehen, um daraus dann künftige Veröffentlichungen anders zu gestalten?
Herr Abgeordneter, ich sage noch einmal, daß nicht ich eine Experimentierzeit eingeleitet habe. Ich will Ihnen aber gern noch einmal bestätigen, daß gerade diese Ausgabe für mich Anlaß sein wird, mit den beteiligten Herren darüber zu reden, wie man sinnvoll eine moderne Form politischer Bildung betreiben kann, ohne daß es zu verallgemeinernden Urteilen kommt.
Herr Picard zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, da der von mir angezogene Bericht nur einen relativ kleinen Teil dieser Zeitschrift ausmacht, die Diskussion jetzt aber so gelaufen ist, als ob die Grundtendenz dieser Zeitschriftenreihe dem entspricht, was ich hier aufgegriffen habe, habe ich die Frage, ob Sie es für sinnvoll hielten und dazu bereit wären, zusammen mit dem Kuratorium für politische Bildung die Fragen einer geeigneten Umstellung dieser Publikationsreihe zu erörtern.
Herr Abgeordneter, ich würde mir nicht Ihre Wertung zu eigen machen wollen, daß es sich um eine Grundtendenz handle. Das, was ich hier gesagt habe, hat sich insonderheit auf den in Ihrer Frage angesprochenen Artikel bezogen. Es wäre zu weitgehend, wenn ich jetzt das, was ich zu diesem Artikel zu sagen habe, auf die Reihe als solche übertrüge.
Daß ich jederzeit zu einem Gespräch über Vorzüge und Nachteile dieser Reihe bereit bin, ist aus meinen einführenden Worten erkennbar geworden. Ich bin aber der Meinung - und ich bin überzeugt, daß ich da in Übereinstimmung mit dem gesamten Hohen Haus stehe -, daß eine Einschränkung der Freiheit in der Darstellung gerade bei der Institution, die diese Zeitung herausgibt, sicher fehl am Platze wäre.
Herr Matthöfer!
({0})
Herr Minister, könnte nicht die Tatsache, daß der Leiter der Bundesstelle und der Vorsitzende des Kuratoriums der Partei des Fragestellers angehören, auch dahin führen, daß eine Intervention Ihrerseits als unzulässige Parteinahme ausgelegt würde?
Herr Abgeordneter, zunächst einmal gehe ich davon aus, daß der Fragesteller die von Ihnen dargestellten und von mir zu bestätigenden Gemeinsamkeiten dazu verwenden wird, schon von sich aus auf eine andere Gestaltung hinzuwirken, wenn er sie für richtig hält. Im übrigen ist es in der Tat Prinzip der Bundesregierung, hier außerordentliche Zurückhaltung zu üben, um auch nicht in den leisesten Verdacht zu geraten, daß sie Einflüsse nimmt, die etwa damit zusammenhängen könnten, daß dieser oder jener einer bestimmten Partei angehört.
Frage 10 des Abgeordneten Dr. Wittmann:
Kann die Bundesregierung die in der „Welt" vorn 4. Oktober 1971 wiedergegebene Behauptung der „New York Times" als falsch zurückweisen, daß der Botschaftsrat für politische Angelegenheiten hei der Botschaft der UdSSR, Iwan S. Saizew, sowjetischer Geheimdienstchef für die Bundesrepublik Deutschland und der Botschaftsrat für kulturelle Angelegenheiten, German I. Wladimirow, sein Stellvertreter ist, und was gedenkt die Bundesregierung bejahendenfalls zu tun?
Herr Abgeordneter, ich bin bereit, die von Ihnen gestellte Frage in dem Parlamentarischen Vertrauensmännergremium für die Nachrichtendienste, dem auch Kollegen Ihrer Fraktion angehören, zu beantworten, wenn die Frage dort gestellt werden sollte. Ich sehe mich allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage, auf Fragen, in denen nach Detailerkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden über fremde Spionagetätigkeit gefragt wird, in der Öffentlichkeit zu antworten. Würde ich es tun, würde ich damit die Wirksamkeit der deutschen Spionageabwehr auf das schwerste beeinträchtigen. Ich werde mich auch nicht durch Pressemeldungen dazu verleiten lassen, direkt oder indirekt bestätigende oder dementierende Erklärungen abzugeben.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann.
Herr Minister, wären Sie vielleicht ausnahmsweise bereit, dem Fragesteller in dieser Frage eine Aufklärung über das Vertrauensmännergremium hinaus zu geben?
Herr Abgeordneter, das Vertrauensmännergremium ist eingerichtet worden, um die Fraktionen des Deutschen Bundestages - unabhängig davon, ob sie der Regierungskoalition angehören oder nicht - zu unterrichten. Wenn Ihre Fraktion Sie in das Vertrauensmännergremium entsenden wird, bin ich gern bereit, Ihnen dort Ihre Frage zu beantworten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Leicht.
Sind Sie bereit, Herr Minister, diesem Vertrauensmännergremium demnächst so schnell wie möglich zu berichten? Es muß ja eine Einladung durch die Bundesregierung erfolgen.
Herr Abgeordneter, die Unterstellung, die im zweiten Teil Ihrer Frage enthalten ist, ist unzutreffend. Jedes Mitglied des Vertrauensmännergremiums hat selbstverständlich das Recht, bei der Bundesregierung eine Unterrichtung anzuregen. Was allerdings die Unterrichtung über den Gesamtsachverhalt, der sich im Zusammenhang mit der Spionageaffäre in England ergeben hat, anlangt, so darf ich darauf hinweisen, daß auf meine Anregung sehr kurzfristig, nachdem erste Pressemeldungen über eine angebliche Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland erschienen waren, das Vertrauensmännergremium zusammengetreten ist und daß ich dort eine umfassende Unterrichtung, soweit mir das möglich war, durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz geben ließ. Falls erneut ein Bedürfnis für eine solche Unterrichtung gegeben sein sollte, werde ich von mir aus selbstverständlich bitten, daß erneut eingeladen wird; aber ich bin jederzeit dafür offen, das auch auf Anregung von Mitgliedern Ihrer Fraktion zu tun.
Es liegen keine Zusatzfragen mehr vor.
Frage 11 des Abgeordneten Härzschel. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird in der Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Dr. Mende auf:
hält die Bundesregierung in Ergänzung des Zonenrandförderungsgesetzes eine bessere verkehrsmäßige Erschließung des Zonenrandgebiets für erforderlich, um der von den DDR-Organen propagierten „völligen" Abgrenzung zu begegnen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, das Zonenrandförderungsgesetz bedarf in dieser Hinsicht keiner Ergänzung; denn der § 4 sieht
Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
ausdrücklich die bevorzugte Förderung des Verkehrs im Zonenrand vor.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Mende.
Bedeutet diese Antwort, Herr Staatssekretär, daß die projektierten Bauvorhaben an Autobahn, Bundesbahn und auch Bundesstraßen insbesondere im nordhessischen Zonenrandgebiet nicht durch Haushaltssperren oder gar Haushaltskürzungen beeinträchtigt werden?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage für das einzelne Detail hier nicht beantworten; ich bin gerne bereit, es schriftlich nachzuholen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß beispielsweise allein jetzt nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz für den Zonenrand Zuwendungen in Höhe von 60 % möglich sind gegenüber 50 % im gesamten Bundesgebiet - und daß die Bundesregierung auch vorschlagen wird, die Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer bevorzugt im Zonengrenzrand einzusetzen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fritsch.
Herr Staatssekretär, wäre es in dem Zusammenhang nicht angebracht, darauf hinzuweisen, daß insbesondere im bayerischen Zonengrenzgebiet seit 1969 doch ganz erheblich der Ausbau von Bundesfernstraßen und der Beginn des Baus von Autobahnen eingesetzt hat?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das ist absolut der Fall. Man kann Einzelheiten nennen: die Fernstraße Bamberg-Bayreuth, die Autobahn Regensburg. Darüber hinaus ist aber - obwohl diese Planung eigentlich in das Bundesverkehrsministerium gehört - auf die Geschwindigkeitsfahrbahnen hinzuweisen, die besonders im Zonenrand angelegt werden sollen, um die durch den Standort benachteiligten Absatz- und Belieferungsmärkte zu bevorzugen.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß 1969 vom Bundesverkehrsministerium die Fertigstellung der Autobahn Regensburg-Passau bis 1975 in Aussicht gestellt worden war, daß aber heute erst frühestens 1980 bis 1982 damit zu rechnen ist und daß das in deutlichem Widerspruch zum § 4 des im Juni verabschiedeten Zonenrandförderungsgesetzes steht?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, Sie können nicht einerseits verlangen, daß wir im Haushalt sparen, um die Stabilität zu sichern, andererseits aber, daß wir die im Haushalt vorgesehenen Mittel ausgeben. Man kann also nicht auf der einen Seite sagen: das Bad ist zu voll, und sich auf der anderen Seite beschweren, wenn man etwas Wasser abläßt.
Herr Abgeordneter Leicht!
Herr Staatssekretär, liegt Ihre letzte Antwort nicht etwas schief? Kann ein Haushalt in seiner Ausgabenwirtschaft nicht auch gezielt gesteuert werden?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Selbstverständlich. Das wird er auch. Ich habe Ihnen bereits einige Zahlen genannt. Ich kann Ihnen noch eine weitere Zahl aus dem Fernstraßenplan nennen.
({0})
In diesem Plan ist für das Bundesgebiet die Vermehrung der Mittel um 40 % und für das Zonenrandgebiet um 60 % vorgesehen. Das ist durchaus die Art der gezielten Steuerung, nach der Sie fragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie fragen, ob Ihre Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Fritsch besagen sollte, daß das bayerische Grenzlandgebiet besser behandelt worden ist als andere Grenzlandgebiete?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Nein. Ich habe lediglich für den Ausbau des Verkehrswesens im bayerischen Grenzlandgebiet einige Beispiele genannt, da Sie das bayerische Grenzlandgebiet angeführt haben.
Herr Abgeordneter Niegel!
Herr Staatssekretär, kann man die Antwort, die Sie auf die Frage des Herrn Kollegen Fritsch gegeben haben, so verstehen, daß vor 1969, also vor dem großen Zeitalter der jetzigen Koalition, im Zonenrandstraßenbau nichts geschehen sei, oder ist es nicht vielmehr eine Tatsache, daß der Ausbau der B 505, die Sie erwähnt haben, oder der B 15, an der Sie selbst wohnen, oder der B 303 schon vorher in Angriff genommen wurde, und trifft es nicht zu, daß erst in diesem Jahr die Schwierigkeiten in der Finanzierung der B 505 oder der B 173 - Lichtenfels usw. - im Zonenrandgebiet aufgetreten sind?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Präsident, ich habe bereits am Rande der Frage des Herrn Kollegen Mende praktisch Detailfragen aus
Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
dem Bereich des Bundesverkehrsministeriums beantwortet, aber diese Frage geht wohl doch weit über die ursprüngliche Fragestellung hinaus.
Herr Abgeordneter Schmidt!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß in eine bessere verkehrsmäßige Erschließung des Zonenrandes auch die Bundesbahn einbezogen wird?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Selbstverständlich sind Verbundsysteme eingeschlossen. Aber ich darf Sie, Herr Kollege, bitten, sich Einzelheiten vom Bundesverkehrsministerium geben zu lassen.
Herr Weigl!
Herr Staatssekretär, sollte man nicht auf Grund der konjunkturellen Situation im Zonenrandgebiet ernsthaft prüfen, ob die Sperrung von Mitteln für diese Gebiete überhaupt noch angebracht ist?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Sie können sich darauf verlassen, daß dies geschieht.
Frage 17 des Abgeordneten Bittelmann:
Kann die Bundesregierung angeben, ob im Jahre 1970 in einzelnen Wirtschaftsbereichen die Wertschöpfung und damit das Einkommen ähnlich wie im Wirtschaftsbereich Landwirtschaft um 900 Millionen DM oder mehr als 5 % gegenüber dem Jahre 1969 zurückgegangen ist?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Bittelmann, das Statistische Bundesamt wird in der Veröffentlichung vom November - Fachserie N -, die wir im Hinblick auf Ihre Frage vorzeitig bekommen haben, eine Antwort auf Ihre Frage geben. Ich nehme also vorweg, was darin stehen wird.
Es heißt da, daß die Landwirtschaft, inklusive Forsten und Fischereien, eine Minderwertschöpfung in Höhe von 90 Millionen DM zu verzeichnen hat. Das sind nicht 5 %, wie es in Ihrer Frage heißt, sondern 0,5 %. Diese Angabe dürfte auch nicht allzu weit abweichen von den Zahlen für die Landwirtschaft selbst, da Fischerei- und Forstwirtschaft ja nur etwa 10 % ausmachen.
Für die anderen Gruppen, nach denen Sie fragen, lauten die Zahlen für das warenproduzierende Gewerbe plus 17 %, für den Handel plus 11,7 %, für Dienstleistungen plus 13,7 %. Sie müssen aber berücksichtigen, daß der Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft 5,3 % betragen hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Aufwertungsbericht der Bundesregierung steht: Auch unter Einbeziehung der Ausgleichsmaßnahmen hat die Landwirtschaft insgesamt das Einkommen des Vorjahres bei weitem nicht erreicht, und in der nachfolgenden Tabelle ist ausgewiesen, daß die Differenz im Jahre 1970 900 Millionen DM beträgt. Können Sie mir angeben, Herr Staatssekretär, ob unter Berücksichtigung der im Jahre 1970 aus der Landwirtschaft Ausgeschiedenen, von denen Sie soeben sprachen, das Einkommen der Landwirte in etwa der Steigerung des Einkommens anderer Berufsgruppen entspricht oder ob, wenn man diese Gruppe der Ausgeschiedenen ausklammert, das Einkommen nicht noch so weit zurückbleibt, daß von einer Teilnahme an der allgemeinen Einkommensentwicklung keine Rede sein kann?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, Sie haben jetzt Ihre zweite Frage Nr. 18 anders formuliert.
Ich rufe Frage 18 auf:
Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wie im Jahre 1970 sich das Pro-Kopf-Einkommen in der Landwirtschaft und in anderen einzelnen Wirtschaftsbereichen entwickelt hat?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich kann sie aus demselben Bericht beantworten. Die Landwirtschaft hat laut demselben Bericht des Statistischen Bundesamtes eine Pro-Kopf-Steigerung in diesem Zeitraum von 5,7 %; hingegen beträgt die Pro-Kopf-Steigerung beim Gewerbe 14,8 %, beim Handel 10,1 % bei den Dienstleistungen 10,4 %. Es besteht also ein Unterschied. Da ist aber noch ein Unterschied zu sehen. Man muß beispielsweise die zu vielen Schweine oder die schlechten Ernten bei einzelnen Früchten einbeziehen.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß der Einkommensabstand, von dem Sie soeben sprachen, zwischen der Landwirtschaft und den in den anderen Berufsgruppen Tätigen bei zu erwartendem abnehmendem Aufwertungsausgleich im Jahre 1972/73 zumindest ohne wesentliche Erzeugerpreissteigerungen zu erreichen sein wird oder wird der Abstand noch größer werden?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich kann hier nicht über Maßnahmen sprechen, die noch in der Beratung sind. Wie der Ausgleich mit der Landwirtschaft gestaltet werden muß, ist auch eine Frage der Beratung in der EG, die ich nicht in der Fragestunde vorwegnehmen kann.
Die Fragen sind beantwortet. Auch Frage 18 ist beantwortet. Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, können Sie mir den Grund für die Diskrepanz erklären, die zwischen der Antwort liegt, die mir der Staatssekretär Logemann vor kurzer Zeit auf eine entsprechende Anfrage hier im Hause erteilt hat, wonach der Effektivverlust - nicht relativ - der deutschen Landwirtschaft 1970 900 Millionen betrug, und Ihrer Antwort von heute, die sich auf 90 Millionen beziffert?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort lediglich zitiert, was in dem genannten Bericht des Statistischen Bundesamtes steht.
Könnten Sie nicht einmal den Bericht des Statistischen Bundesamtes auf Druckfehler untersuchen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ich glaube, das haben andere schon getan.
Herr Abgeordneter Löffler!
Herr Staatssekretär, halten Sie es für sehr günstig für die deutsche Landwirtschaft, wenn die Kollegen von der CDU/CSU in dieser Frage ganz besonders vorgehen und insistieren, oder glauben Sie nicht, daß es besser wäre, hier im Interesse der deutschen Landwirtschaft etwas Zurückhaltung zu üben?
Herr Abgeordneter Löffler, Sie haben eine Frage gestellt, die die Regierung nicht zu beantworten hat. Das würde eine Kritik am Parlament bedeuten; das ist nicht Sache der Regierung.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, vor 14 Tagen hat die Bundesregierung im Finanzausschuß die Ablehnung der Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Landwirtschaft damit begründet, daß aus stabilitätspolitischen Gründen die Anhebung der Mehrwertsteuer zur Zeit nicht möglich sei. Ist die Bundesregierung bereit, auch anderen Berufsständen und anderen Einkommensgruppen eine ähnliche Auflage, eine ähnliche Empfehlung zu erteilen?
Diese Frage steht in keinem Zusammenhang mit den Fragen 17 und 18.
({0})
Nein, dann könnten Sie sich darauf beziehen, daß, wenn vom Einkommen die Rede ist, jeder einzelne Steuerpunkt damit zusammenhängt.
({1})
- Ich lasse die Frage nicht zu.
Herr Staatssekretär, nachdem aus Ihren Ausführungen hervorgeht, daß die
Einnahmensituation der Landwirtschaft gegenüber anderen Gruppen wirklich sehr stark zurückliegt - ich würde in diesem Zusammenhang bitten, die uns soeben bekanntgegebenen Zahlen noch einmal zu überprüfen -, möchte ich Sie fragen: Könnten Sie uns, da sich die Situation der Landwirtschaft im gerade abgeschlossenen Wirtschaftsjahr sicher noch mehr verschlechtert hat, genau angeben, welche Maßnahmen die Bundesregierung zu ergreifen gedenkt, um diesen offensichtlichen Einkommensabstand, der durch Produktivitätssteigerungen nicht aufgeholt werden kann, auszugleichen oder zumindest an die übrigen Gruppen anzupassen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich sehe mich wirklich nicht imstande, hier eine zweite Landwirtschaftsdebatte zu führen. Das steht in keinem Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage.
Herr Staatssekretär, ich verstehe voll Ihre Antwort. Ich möchte mich aber nur danach erkundigen, weshalb diese Frage in Ihr Ressort gekommen ist.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Frage ist in mein Ressort gekommen, weil es sich um eine Statistik handelt. Aber hier fragen Sie nach Maßnahmen.
Sie haben keine Zusatzfrage mehr. Sie haben Ihr Konto erschöpft. - Herr Abgeordneter Kiechle!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die von mir vorhin angesprochene Diskrepanz der Ziffern zu untersuchen und mir das Ergebnis Ihrer Untersuchungen mitzuteilen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Ja.
Die Fragen sind beantwortet.
Frage 19 des Abgeordneten Dichgans.- Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage zum Sitzungsbericht abgedruckt.
Frage 20 des Abgeordneten Leicht:
Hält es die Bundesregierung für eine Dramatisierung und Panikmache, wie ihr Sprecher Ahlers gesagt hat, wenn die Opposition auf die katastrophale Preis- und Wirtschaftsentwicklung hinweist, nachdem der Index für die Lebenshaltungskosten sich im August 1971 gegenüber dem Vorjahr um 5,4 % erhöht hat und nachdem die Bundesregierung selbst mehrfach gesagt hat, daß es bei 4 % ernst werde?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Leicht: Ja.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja.
({0})
Sind Sie der Meinung, Herr Rosenthal, daß mit der dem Bundeshaushalt zugrunde liegenden durchschnittlichen Preissteigerungsrate von 3 bis 3,5 %, mittelfristig gesehen, dem Stabilitätsziel Rechnung getragen wird?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Darf ich diese Frage noch einmal hören, Herr Kollege.
Ob Sie der Meinung sind, daß die dem Bundeshaushalt zugrunde liegende durchschnittliche Preissteigerungsrate von 3 bis 3,5 % mittelfristig dem Stabilitätsziel Rechnung trägt.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Sie meinen, ob eine Preissteigerungsrate von 3 bis 3,5 % dem Stabilitätsziel Rechnung tragen würde, wenn sie erreicht wird?
Sie haben doch in Ihren Planungen mittelfristig eine Preissteigerungsrate von 3 bis 3,5 % vorgesehen. Meine Frage: Glauben Sie, daß man damit dem Stabilitätsziel näherkommt?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Leicht, wir müssen uns verstehen. Reden wir jetzt beispielsweise über die im Wirtschaftsbericht vorgegebene Prognose von 3 % und die ungünstige Prognose von 4 %?
Nein, ich rede davon, daß sich die Bundesregierung bei ihren Überlegungen zum Haushalt 1972 und zur mittelfristigen Finanzplanung auch mittelfristig Vorstellungen über die Preisentwicklung machen mußte. Soweit ich orientiert bin, lief diese Vorstellung zur Preisentwicklung auf 3 bis 3,5 % hinaus, und zwar nach den Aussagen Ihres und unseres geschätzten Kollegen Hermsdorf, der neben Ihnen sitzt. Das habe ich selbst im Fernsehen gehört, und da stelle ich nun die Frage, ob eine solche vorprogrammierte Preissteigerungsrate von 3 bis 3,5 % dem Stabilitätsziel, das Sie wie wir haben, näherkommt.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Leicht, ich würde sagen, bei dem derzeitigen internationalen Inflationswind, der uns allen ins Gesicht bläst und uns eine durchschnittliche Preissteigerungsrate von 6 % beschert, würde ich einen Rückgang der Preissteigerungsrate auf 3 bis 3,5 % für einen großen Erfolg halten.
Ich tue das nicht, habe aber noch eine Zusatzfrage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie dann wenigstens meine Meinung teilen, Herr Rosenthal, daß nach den bisherigen Erfahrungen mit der planerischen Vorwegnahme wirklichkeitsnäherer Preissteigerungsraten ein gefährlicher Weg in eine immer tiefere Inflation beschritten wird?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, ich bin der Ansicht, daß für alle Zielzahlen einer Wirtschaftspolitik dasselbe zutrifft wie für die einer Unternehmenspolitik: Die Ziele werden nie ganz errecht, die Prognosen stimmen nie ganz, aber genauso wie die Unternehmen nach vorn gekommen sind, die sich Ziele setzten, so scheint es mir auch für die Wirtschaftspolitik zuzutreffen.
Abgeordneter Schulte!
Herr Staatssekretär, nach Ihrer kurzen Antwort, die Sie eingangs gegeben haben, frage ich Sie, ob Sie nicht der Ansicht sind, daß es im Gegenteil darauf ankommt, zu verhindern, daß in der Bevölkerung eine Inflationsmentalität aufkommt, die dazu führt, Kostensteigerungen im bisherigen Rahmen als normal zu empfinden, und damit eine Rückkehr zur Preisdisziplin ungemein erschwert.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, es handelt sich darum, gegen die übergroßen Preissteigerungen vorzugehen. Ob das dauernde Reden über Preissteigerungen seitens Ihrer Fraktion nicht genau die entgegengesetzte Wirkung hat, daß sich nämlich eine Preissteigerungsmentalität herausbildet, darüber bin ich mir nicht ganz so sicher.
({0})
Herr Abgeordneter Haase.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer ersten kurzen Antwort entnehmen, daß Sie in der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation keine dramatische Entwicklung sehen, wenn die Steigerung der Lebenshaltungskosten nunmehr 5,9 % erreicht hat und die Regierung damit eine inflationistische Entwicklung zuläßt oder zulassen muß, die in skandalöser Weise in erster Linie zu Lasten der wirtschaftlich Schwachen geht und geeignet ist, unabsehbare negative Weiterungen besonders im sozialen Bereich herbeizuführen?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, Ihre Fragestellung würde mich mehr beeindrucken, wenn ich in diesem Jahr, in dem ich von dieser Stelle aus Fragen zu beantworten habe, eine tatsächliche präzise Alternative zum politischen Handeln der Bundesregierung gehört hätte.
({0})
Herr Haase, - -({0})
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Doch, Sie haben gefragt, ob ich eine dramatische Sache darin sehe. Ich habe auf die ursprüngliche Frage ja gesagt. Herr Kollege Ahlers hat gesagt, er sehe darin eine Panikmache. Dieses dauernde Reden von Preissteigerungen führt zu Preissteigerungen.
Herr Abgeordneter Haase, Sie haben nicht das Wort. Sie haben hier eine Debatte entfesselt. Was Sie taten, war kein Beitrag zu einer Fragestunde. - Ich gebe Ihnen keine Frage mehr.
({0})
- Doch.
Herr Abgeordneter Vogt!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Leicht entnehmen, daß die Bundesregierung die Chance, die Preissteigerungsrate im Lebenshaltungskostenbereich auf 3 % zu begrenzen - wie das im Jahreswirtschaftsbericht angekündigt worden ist -, nur noch als sehr gering einschätzt?
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Vogt, im Jahreswirtschaftsbericht ist ganz deutlich gesagt: eine Preissteigerungsrate von 3 % ist möglich, wenn das und das passiert; ich erinnere insbesondere an die Orientierungsdaten. In dem Jahreswirtschaftsbericht steht sogar die Zahl darin. Wenn die Orientierungsdaten auf dem Gebiet der Steigerung der Einkommen eine solche Höhe erreichen, wie es im Sachverständigenbericht heißt, dann muß mit einer ungünstigen Alternative von 4 % gerechnet werden. Wenn Sie von den Zahlen ausgehen, können Sie die derzeitige Preissteigerungsrate praktisch errechnen.
Herr Abgeordneter Arndt!
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es als ein besonderer Erfolg der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung anzusehen ist, daß die Bundesrepublik Deutschland sich mit ihrer Preissteigerungsrate am äußersten Ende aller vergleichbaren Industrienationen befindet?
({0})
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege, am äußersten Ende befindet sich die Bundesrepublik in diesem Moment nicht; sie liegt in der Mitte.
({1})
Aber es ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, daß
sie erreicht hat, daß die Preissteigerungsrate - -({2}) - Nein, sie liegt in der Mitte.
({3})
- Sie haben mich zwar nicht gefragt, aber wenn Sie hier debattieren wollen, dann müssen Sie die englische und die schwedische und die anderen Preissteigerungsraten nachlesen,
({4})
Ich erteile zu keiner Zusatzfrage mehr das Wort. Jeder von Ihnen, der die Hand hochhebt, hat schon seine Zusatzfrage gehabt. Mehr steht Ihnen nicht zu.
({0})
- Sicher, Herr Baier, Sie haben doch dauernd die Hand hochgehoben. Sie haben doch gesprochen.
({1})
- Trotzdem, ich halte die Fragen für genügend beantwortet und gehe zur nächsten Frage über.
Frage 21 - Herr Abgeordneter Vogt -:
Stimmt die Bundesregierung der Kritik der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände an der Praxis der Versicherungsunternehmen zu, die die Versicherungssumme bei Hausratsversicherungen auch dann erhöhen, wenn der Versicherte ein entsprechendes Angebot nicht beantwortet hat, weil es in dem Angebot heißt, „wenn Sie sich innerhalb von sechs Wochen zu diesen Vorschlägen nicht äußern, gehen wir davon aus, daß Sie unserem Vorschlag zustimmen werden"?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Abgeordneter Vogt, darf ich in diesem Fall Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworten, weil mir scheint - es ist wohl auch so gemeint -, daß Ihre erste Frage die Tatsachen angeht, während in der zweiten Frage psychologische Verbrauchergesichtspunkte angeschnitten sind? Sind Sie einverstanden?
Dann rufe ich Frage 22 ebenfalls auf:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend dem Vorschlag der AGV auf das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen, das dieses Verfahren genehmigt hat, dahin gehend einzuwirken, daß eine Formulierung in das Angebot der Versicherer aufgenommen wird, daß der Vertrag in seiner bisherigen Form bestehen bleibt, wenn sich der Versicherungsnehmer zu dem Angebot nicht äußert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das Verfahren, das durch das Bundesaufsichtsamt zugelassen ist, erlaubt nicht - wie Sie in Ihrer Frage sagen - eine einseitige Erhöhung, auch nicht durch Schweigen, sondern die Zustimmung muß entweder ausdrücklich erklärt werden, oder sie muß durch eine konkludente Handlung erfolgen, d. h. der Versicherungsnehmer muß die höheren Prämien tatsächlich zahlen.
Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal
Ich komme jetzt zu Ihrer zweiten Frage. Wenn der Versicherungsnehmer sich nicht äußert, so bleibt es bei der alten Summe.
Aber, Herr Kollege Vogt, Ihre Initiative und auch die vorangegangene Initiative der AGV haben uns veranlaßt, anzuregen, daß das Bundesaufsichtsamt, die Versicherer- und die Verbraucherseite sich noch einmal gemeinsam überlegen, ob eine Verbesserung dieses Verfahrens möglich ist.
Keine Zusatzfrage. Frage 23 - Herr Abgeordneter Weigl -:
Aus welchen Gründen wurden die Pläne auf Unterbringung des Gesamtdeutschen Instituts im Gebäude des früheren Reichsversicherungsamts in Berlin aufgegeben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Weigl, eine Zusammenlegung des zur Zeit an mehreren Stellen in Berlin untergebrachten Gesamtdeutschen Instituts würde, wenn die Unterbringung im Gebäude des früheren Reichsversicherungsamts am Reichspietschufer durchgeführt würde, im Gegensatz zu der früheren, überschlägigen Kostenberechnung von einer Million einen Herrichtungsaufwand von über drei Millionen bedeuten. Dies ist das Ergebnis einer neuen baufachlichen Untersuchung. Hinzu kommt, daß vor größeren Investitionen an diesem Gebäude die Verhandlungen mit dem Land Berlin abgewartet werden müssen. Welches Gebäude abgerissen werden soll, hängt vom Lande Berlin ab. Deshalb sind wir in dieser Frage so verfahren, wie Sie aus der Sache heraus gesehen haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weigl!
Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß kein Zusammenhang zwischen den Mehrkosten, die Sie hier vorgetragen haben, und dem Viermächteabkommen über Berlin vom 3. September 1971 besteht?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Das ist so zu verstehen.
Noch eine Zusatzfrage!
Wieviel Bedienstete sollen einmal im Gesamtdeutschen Institut in Berlin beschäftigt werden, wenn diese Zentralisierung erfolgt?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Da bin ich überfordert, ich kann diese Frage hier nicht beantworten. Dazu müßte das innerdeutsche Ministerium gefragt werden.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 24 des Abgeordneten Weigl auf:
Trifft es zu, daß die Neubaupläne für das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin ebenfalls zu den Akten gelegt wurden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Die Bundesregierung sieht die Unterbringung des im Aufbau befindlichen Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung als vordringlich an. Sie erwägt, für dieses Institut einen Neubau anzumieten, sofern aus Gründen der Kostenersparnis kein geeignetes Bundesobjekt zur Verfügung gestellt werden kann. Die Untersuchung, die sich auf alle bundeseigenen Objekte in Berlin bezieht, ist noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich bitten, mich vom Ergebnis der Untersuchung zu informieren?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister
für Wirtschaft und Finanzen:
Dies sage ich zu.
Ich rufe die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Ruf auf:
Teilt die Bundesregierung die in der Debatte zum Sozialbericht 1971 ({0}) und in der Debatte zur Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige ({1}) geäußerte Ansicht, daß laut Berechnungen des Bundesfinanzministeriums der Steuerausfall nach Artikel 4 des CDU/CSU-Entwurfs eines Gesetzes über die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige ({2}) 330 Millionen DM betragen soll, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß nach diesem Gesetzentwurf eine Anrechnung auf den bereits bestehenden Vorwegabzugsbetrag erfolgen soll?
Ist bei der Berechnung des Steuerausfalls nach Artikel 4 des CDU/CSU-Entwurfs zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige für die Finanzplanung des Bundes von 1972 bis 1975, der in den obengenannten Debatten mit 1360 Millionen DM beziffert wurde, noch berücksichtigt, daß nur ein Teil des Steuerausfalls auf den Bund entfällt?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Ruf, die Bundesregierung teilt die im Hohen Hause bereits früher geäußerte Ansicht, daß der Steuerausfall auf Grund des Gesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion über die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige für 1972 in einer Größenordnung von etwa 330 Millionen DM liegen dürfte. Hierbei wird von den Annahmen des Modells C der Drucksache ausgegangen. Die Anrechnung der Hälfte der Rentenversicherungsbeiträge auf den bereits bestehenden Vorwegabzug ist bei dieser Berechnung berücksichtigt. Die Anrechnung spielt allerdings für die Höhe der Steuerausfälle eine nur untergeordnete Rolle.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir die Unterlagen über die Berechnungen und Schätzungen zuzuschicken?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen:
Das würde ich sehr gerne tun, Herr Kollege Ruf, wie
überhaupt der Meinung bin, daß in einer Reihe
von Details, die sich aus Ihrer Frage ergeben, eine
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
persönliche Abstimmung zwischen uns erfolgen sollte.
Ich bin ganz Ihrer Meinung.
Ich rufe die Fragen 71 und 72 des Abgeordneten Höcherl auf:
Wie vereinbart sich die Mitteilung des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen, daß die der „DDR" am 30. September 1971 erteilte Zusage auf Abgeltung der von der „Deutschen Post der Deutschen Demokratischen Republik bis zum 31. Dezember 1966 erbrachten Mehrleistungen" durch Zahlung eines einmaligen Pauschalbetrages von 250 Millionen DM aus Mitteln des Bundeshaushalts erfüllt wird ({0}), mit § 15 des geltenden Postverwaltungsgesetzes, wonach Zuschüsse aus der Bundeskasse, also aus allgemeinen Steuermitteln, zur Bestreitung der zur Erfüllung der Aufgaben und Verpflichtungen der Deutschen Bundespost notwendigen Ausgaben nicht geleistet werden dürfen?
Wie soll die bei Zahlung zu Lasten des Bundeshaushalts sich ergebende Haushaltsüberschreitung von 250 Millionen DM für die „DDR" im Haushaltsvollzug 1971 gedeckt werden?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Höcherl, nach Ziffer 2 des am 30. September 1971 unterzeichneten Protokolls ist die Verpflichtung zur Zahlung des Betrages von 250 Millionen DM von der Bundesrepublik Deutschland, also nicht von der Deutschen Bundespost, übernommen warden. Der gesamte Betrag ist daher unmittelbar aus der Bundeskasse auf das Konto der Staatsbank der DDR bei der Deutschen Bundesbank zu überweisen. Daraus folgt, daß § 15 des Postverwaltungsgesetzes im vorliegenden Fall nicht eingreift. Der Betrag von 250 Millionen wird außerplanmäßig im Einzelplan 60 des Bundeshaushalts bereitgestellt. Die Deckung erfolgt im Gesamthaushalt.
Zusatzfrage!
Wie verträgt sich diese Auffassung damit, daß der frühere Vertrag vom 29. April 1970, der einen ähnlichen Gegenstand enthielt, ein Postvertrag war und der Betrag aus der Postkasse zu zahlen war?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Höcherl, diese Auffassung teile ich nicht. Sie wissen, daß der früher genannte Betrag hinsichtlich der postalischen Forderungen wesentlich höher lag. Wir zahlen aus dem Posthaushalt nur 30 Millionen DM. Die altpostalischen Forderungen der DDR liegen wesentlich höher. Es gibt keinen Zweifel, daß ,das nicht eine Frage der Post und des Posthaushalts, sondern eine Frage der Politik im allgemeinen ist. Deshalb muß auch hier der Bundeshaushalt eintreten. Die Bundespost kann für diese politischen Folgerungen, die sich daraus ergeben, nicht sozusagen zur Kasse gebeten werden.
Weitere Zusatzfrage!
War es nicht so, daß Sie mit dem Posthaushalt doch in großen Schwierigkeiten sind mit einem unerhörten Defizit von 1,5 Milliarden DM und deswegen diesen Ausweg genommen haben, damit das Defizit nicht noch größer wird?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen:
Nein, Herr Kollege Höcherl, die Frage der finanziellen Lage der Bundespost ist nicht im Zusammenhang mit der postalischen Forderung der DDR zu sehen. Auch ohne diese postalische Forderung der DDR und die Zahlung ist die Bundespost in einer Lage, die alles andere als schön ist. Aber dafür können Sie nicht uns verantwortlich machen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl!
Wie verträgt sich diese Ausgabe von 250 Millionen DM mit der Mitteilung Ihres Ministers, die er vor einigen Wochen abgegeben hat, daß mit Haushaltsüberschreitungen nicht zu rechnen sei?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Herr Kollege Höcherl, bei diesen 250 Millionen DM wird mit Haushaltsüberschreitungen nicht zu rechnen sein. Sie wissen, daß unser Haus bestrebt ist - wir haben es diesem Hohen Hause dargelegt -, gegenüber dem ursprünglichen Gesamt-Soll des Haushalts mit 1 Milliarde DM weniger zu fahren. Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen: Selbst wenn wir wahrscheinlich diese 250 Millionen DM außerplanmäßig zahlen, werden wir trotzdem diese 1 Milliarde DM einsparen.
Letzte Zusatzfrage!
Ist da nach den Bestimmungen der Haushaltsordnung nicht der Nachtragshaushalt notwendig?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Nein, es ist nur eine außerplanmäßige Ausgabe notwendig, die auch durch dieses Haus gebilligt werden muß.
Herr Dr. Wittmann ({0}) zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihrer Antwort, daß es sich bei der Zahlung von 250 Millionen DM mehr um eine politische Leistung handelt, schließen, daß es sich bei diesem Vertrag nicht um einen technischen Postvertrag, sondern im Kern doch wohl um einen politischen Vertrag handelt?
Hermsdorf, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen: Sie haben völlig recht. Die Bundespost ist hier für die Bundesrepublik tätig geworden.
Keine Fragen mehr. Es ist 15 Uhr. Die Fragestunde ist abgelaufen. Damit stehen wir am Ende der heutigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf Donnerstag, den 14. Oktober 1971, 13 Uhr, ein. Thema: Fragestunde.
Ich schließe die heutige Sitzung.