Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Eine weitere Mitteilung: Der Entwurf eines Mühlenstrukturgesetzes, der in der 134. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. September 1971 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß sowie dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung überwiesen wurde, soll nach Meinung des Altestenrates wegen verfassungsrechtlicher Probleme auch dem Rechtsausschuß als mitberatendem Ausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Fragestunde am Schluß der Sitzung aufgerufen werden. Heute vormittag soll mit den Zusatzpunkten begonnen werden.
Ich rufe den ersten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
Drucksache VI/2624
Wer begründet? - Herr Abgeordneter Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Unglück vom 6. September 1971, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen, als eine Maschine der Pan International auf der Autobahn notlanden mußte, ist uns allen noch in lebhafter Erinnerung. Wir haben uns damals gefragt: Wie sicher sind nun eigentlich Flüge mit Charterfluggesellschaften? Ist wirklich Vorsorge getroffen? Sind die Vorschriften und ist die Überwachung solcher Gesellschaften ausreichend, so daß man sicher sein kann, daß man kein zusätzliches Risiko eingeht? Kann man sich in der Bundesrepublik Deutschland jeder Charterfluggesellschaft ohne Bedenken anvertrauen? Diese Frage stellen nicht nur wir uns. Diese Frage stellen sich vor allem jene Hunderttausende von Touristen, die zunehmend das Flugzeug benutzen, um an ihre Urlaubsorte zu gelangen. Seit das Untersuchungsergebnis über die Unfallursache vorliegt, ist diese Frage noch dringlicher geworden; denn offensichtlich lag bei dieser Gesellschaft ein Wartungsfehler
vor.
Nun sind der CDU/CSU-Fraktion eine ganze Reihe von Tatsachen bekanntgeworden, die ernste Zweifel an der Sicherheit und Zuverlässigkeit dieser Gesellschaft begründen mußten. So haben etwa bereits im Juli, also vor dem Unfall, beim Luftfahrtbundesamt Schreiben von ehemaligen Flugbetriebsleitern des Unternehmens vorgelegen, in denen schwerste Vorwürfe gegen die Unternehmensleitung wegen Vernachlässigung der technischen und fliegerischen Sicherheitsbestimmungen erhoben wurden. Die Außenstelle Düsseldorf des Luftfahrtbundesamtes hat nach einem Besuch des Unternehmens im Mai bereits festgestellt, daß in den Werkstätten und den Lagerräumen völlige Unordnung und Durcheinander herrschten, so daß die ordnungsgemäße Durchführung der Wartung und die Nachprüfung der Wartung von Flugzeugen technisch nicht möglich seien.
Als wir das erfahren hatten, mußten wir uns natürlich fragen, ob das Bundesverkehrsministerium diese Tatsachen gekannt hatte und was von seiten des Bundesverkehrsministeriums getan worden war, um diese Dinge abzustellen und die gefährdete Flugsicherheit wiederherzustellen. Es hat dann einen Schriftwechsel mit dem Bundesverkehrsminister gegeben. Aber dieser Schriftwechsel hat nach unserem Eindruck alles andere als Klarheit geschaffen. Wir müssen auf Grund dieses Schriftwechsels annehmen, daß man uns nicht alles sagen kann oder nicht alles sagen will.
Um nur zwei Beispiele aus dem Schriftwechsel herauszugreifen! In der Mitteilung des Bundesverkehrsministers vom 20. September 1971 sind einige Vorgänge wiedergegeben, die mehr als undurchsichtig sind. Bei der Bestellung des neuen Flugbetriebsleiters etwa bezieht man sich auf das - ich zitiere - „mündlich ausgestellte Zeugnis von LTU," - also jener anderen Charterfluggesell8042
schaft - „und zwar von einer Seite des Unternehmens, die für die Beurteilung derartiger Fragen voll urteilsfähig ist". Wir haben Anlaß zu der Vermutung, daß man aus irgendwelchen Gründen den Namen dessen, den man befragt hat, offensichtlich nicht so ohne weiteres zu nennen bereit ist, abgesehen davon, daß ein solches Verfahren außerordentlich merkwürdig ist, wenn man weiß, daß jener Flugbetriebsleiter bei einer anderen Gesellschaft, eben jener LTU, aus Flugsicherheitsgründen ausscheiden mußte.
Der Bundesverkehrsminister teilt dann an anderer Stelle mit, daß die Behauptungen des Herrn Kühnel zum Teil unzutreffend gewesen seien und daß in anderen Fällen wesentliche Besserungen eingetreten seien, - ohne das nun wiederum zu spezifizieren.
All diese Unklarkeiten mußten bei uns den Verdacht begründen, daß etwas vertuscht werden soll. Wir wollen deshalb durch den Untersuchungsausschuß klären lassen, ob das Bundesverkehrsministerium in diesem Fall, seiner Pflicht zur Luftaufsicht entsprechend, alles Erforderliche getan hat, um Gefahren für die Flugsicherheit und für die Passagiere abzuwenden.
Lassen Sie mich ausdrücklich klarstellen - gegenüber allen möglichen Gerüchten und Vermutungen, die in den letzten Tagen in der Welt waren -: es geht in diesem Verfahren jedenfalls unserer Fraktion nicht darum, Skandale oder Affären aufzudekken oder gar zu produzieren.
({0})
Die CDU/CSU-Fraktion will und wird aus diesem Ausschuß kein parteipolitisches Kapital schlagen. Es geht auch nicht - ({1})
- Ja, das ist der Unterschied zu all den Untersuchungsausschüssen, die Sie in der Vergangenheit, Herr Kollege, bei uns beantragt haben.
({2})
Es geht auch nicht um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für jenen Unfall vom 6. September 1971. Diesen zu klären, ist eine Angelegenheit der ordentlichen Strafverfolgungsbehörden. Und uns liegt auch nicht daran, irgendeinen Kollegen bloßzustellen. Bei diesem Untersuchungsausschuß geht es ganz einfach darum, festzustellen, ob das Bundesverkehrsministerium seiner Aufsichtspflicht genügt und ob die Überwachung der Pan International mit der nötigen Sorgfalt gehandhabt wurde.
Darüber hinaus - weil das aus diesem Anlaß geboten ist - wird die zentrale Frage, die diesen Ausschuß beschäftigen wird, die Sicherheit des Charterflugverkehrs in der Bundesrepublik sein, die Frage, ob die Vorschriften für die Überwachung generell zureichend sind. Das ist eine Angelegenheit, von der wir glauben, daß sie von höchster Bedeutung für Millionen zukünftiger Flugpassagiere sein wird. Auch hier geht es nicht darum, pauschal die Charterfluggesellschaften zu verdächtigen. Nur scheint es uns geboten, daß klargestellt und erreicht wird, daß
die Spreu auch hier vorn Weizen geschieden wird und daß eine gleichmäßig strenge Kontrolle aller Charterfluggesellschaften gewährleistet ist. Denn inzwischen ist der Charterflugverkehr zu einem Industriezweig mit Milliardenumsätzen geworden. Für 1980 wird das Flugtouristikaufkommen in der Bundesrepublik auf etwa 10 Millionen Passagiere geschätzt. Man rechnet für den Bedarfsflugverkehr, also für den Charterflugverkehr, mit einer Expansionsquote während der kommenden Jahre zwischen 25 und 30 %. Daß bei diesen Marktchancen Mißbräuche nicht völlig ausgeschlossen sein können, ist uns allen klar. Darum muß Vorsorge getroffen werden, daß das in Grenzen bleibt.
Die Lage dieser Branche wird in einem Artikel der deutschen Wochenzeitung „Deutsche Zeitung" vom 24. September von einem sachkundigen Journalisten in einer, wie wir finden, treffenden Weise gekennzeichnet. Dort heißt es:
Der allgemeine Wunsch nach Konsolidierung der Branche wird neutralisiert von purem Beschäftigungsdenken. Man verkauft Flugstunden, man blickt fasziniert auf Umsatzzahlen, nur weil die plausible Hypothese im Raum steht: Flugzeuge müssen fliegen, wenigstens 3500 Stunden pro Jahr, denn am Boden stehend kosten sie viel Geld.
Daß davon Gefahren ausgehen können, wenngleich bei der nötigen Überwachung nicht müssen, ist uns allen klar.
Die CDU-CSU-Fraktion ist an einer gründlichen, aber auch raschen Untersuchung interessiert. Wir sind überzeugt, daß der Untersuchungsausschuß einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Flugsicherung in der Bundesrepublik leisten kann und wird.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Grundgesetz heißt es, daß der Bundestag „das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht" hat, „einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden." Es folgen die weiteren Bestimmungen.
Die CDU/CSU-Fraktion hat hier am 28. vergangenen Monats öffentlich und mit begründenden Bemerkungen bekanntgemacht, daß sie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fordern werde. Noch am gleichen Abend, als diese Mitteilung auch in unsere Hände geriet, habe ich das am Schluß einer Sitzung der Fraktion der SPD mitteilen können. Wir haben auch noch am gleichen Abend wissen lassen, daß wir für die schnellstmögliche Einberufung eines Untersuchungsausschusses sind, wenn die andere Fraktion, die der CDU/CSU, einen solchen für erforderlich hält.
Ich gehe auf die Begründung meines verehrten Vorredners in der Sache hier nicht ein. Er sagte,
seine Fraktion müsse annehmen, daß man ihr nicht alles sagen könne oder wolle, daß der Verdacht bestehe, es solle etwas vertuscht werden. In seiner Begründung hat eine Rolle gespielt, daß es inzwischen schon einen öffentlichen Bericht des Luftfahrtbundesamtes gegeben hat, der damit wohl in diese seine kritischen Bemerkungen einbezogen werden soll oder worden ist.
Wie ich sagte, gehe ich auf das übrige nicht ein. Aber, Herr Kollege, Sie haben hier mit einer deutlichen Wendung zu der Fraktion der SPD u. a. gesagt, so wie Sie heute die Einsetzung dieses Ausschusses begründeten, sei es zum Unterschied zu allen von meiner Fraktion bisher geforderten Untersuchungsausschüssen geschehen. Ich weise das zurück. Das mag der Ausdruck eines Eiferers sein.
({0})
Ich weise das schärfstens zurück. Jeder hat hier, wenn er eine bestimmte Zahl von Abgeordneten vertritt, das Recht, einen Untersuchungsausschuß einberufen zu lassen. Meine Fraktion hat von der ersten Minute an - ({1})
- Wenn ich so wäre wie Sie, verehrter Herr Vorredner, würde ich sagen:
({2})
sehr zum Unterschied von den Gepflogenheiten bei der Forderung auf Einberufung von Ausschüssen auf Ihrer Seite.
({3})
Aber ich fahre diese Retourkutsche nicht. Lassen Sie das alles in Ruhe den Untersuchungsausschuß behandeln!
Wir haben heute morgen unsere drei Mitglieder und ihre Stellvertreter benannt. Sie könnten heute, wenn der Präsident und Sie es wollten, genannt werden, und noch heute könnte die Konstituierung vorgenommen werden. Von unserer Seite sind es die Herren de With, Schachtschabel und Haar und die entsprechenden Stellvertreter.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrags ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme; damit ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses von sieben Mitgliedern beschlossen. Werden die Namen der Mitglieder jetzt schon mitgeteilt?
({0})
- Ja, ich frage jetzt die anderen Fraktionen.
({1})
- Die Namen sollen später schriftlich mitgeteilt werden. Der Ausschuß wird sich dann alsbald konstituieren können.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) über die von der Bundesregierung beschlossene
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({3})
Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({4})
- Drucksachen VI/2562, VI/2563, VI/2629 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Herr Berichterstatter, wünschen Sie das Wort? - Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Keine Wortmeldungen. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
den Verordnungen - Drucksachen VI/2562, H/2563 - zuzustimmen.
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Dann rufe ich die Zusatzpunkte 3 und 4 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) über die von der Bundesregierung erlassene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({6})
- Drucksachen VI/2538, VI/2630 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) über die von der Bundesregierung erlassene Dreiundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -- Drucksachen VI/2247, VI/2631 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Das Haus hat hier von den Berichten des Ausschusses für Wirtschaft nur Kenntnis zu nehmen. Wünscht der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Anträge zu den Berichten liegen nicht vor. Ich empfehle dem Hause, von den Berichten Kenntnis zu nehmen. - Ich stelle fest, daß dies geschehen ist.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige
- Drucksache VI/2153 Das Wort hat der Abgeordnete Ruf. Für ihn ist eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU/ CSU-Fraktion begründe ich den Gesetzentwurf über die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige, allerdings mit Ausnahme des Art. 3, den mein Kollege Dr. Pinger begründen wird.
Wir haben in der Bundesrepublik zirka 2,8 Millionen Selbständige. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren immer mehr abgenommen, und es ist damit zu rechnen, daß sie auch in Zukunft weiter abnehmen wird. Für etwa zwei Drittel dieser Selbständigen bestehen bereits Pflichtversicherungen: die Handwerkerversicherung, die Altershilfe der Landwirte, landesrechtliche Regelungen für Ärzte, Zahnärzte und andere freie Berufe. Eine Gruppe von Selbständigen ist in der gesetzlichen Rentenversicherung bereits pflichtversichert. Das sind die kleinen arbeitnehmerähnlichen Selbständigen, selbständige Erzieher, selbständige Lehrer, Artisten, Küstenschiffer, Küstenfischer, Seelotsen und Angehörige anderer Berufe. Sie sind bereits versicherungspflichtig. Nicht wenige Selbständige sind deswegen versicherungspflichtig, weil sie neben ihrer selbständigen Tätigkeit eine unselbständige Beschäftigung ausüben.
Meine Damen und Herren, es gibt aber Gruppen von Selbständigen, die von einer bundesgesetzlichen oder landesgesetzlichen Regelung nicht erfaßt werden. Das sind die Einzelhändler, die Großhändler, Gastwirte, gewerbliche Unternehmer, Vertreter, die rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufe, beratende Ingenieure, Schriftsteller, Künstler, freie Journalisten, Dolmetscher und andere. Insgesamt handelt es sich - so wird es geschätzt um etwa 900 000 Personen. Von diesen nicht pflichtversicherten Selbständigen ist ein Teil in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig versichert oder freiwillig weiterversichert. Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Selbständige, die in der Vergangenheit nie die Möglichkeit hatten, sich in der gesetzlichen Rentenversicherung weiterzuversichern. Und wir alle wissen, daß manche Selbständigen im Falle der Invalidität und im Alter oft schlechter gestellt sind als der große Teil der Arbeitnehmer, die, wenn sie kein Arbeitseinkommen mehr haben, im großen und ganzen durch die gesetzliche Rentenversicherung ausreichend gesichert sind. Nicht wenige Selbständige und Angehörige der freien Berufe sind gezwungen, bis zum Ende zu arbeiten, solange es irgendwie geht, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit und ohne Rücksicht auf ihr Alter.
Gewiß gibt es auch heute noch eine Menge von Selbständigen, die auf ein sogenanntes fundiertes Einkommen zurückgreifen können, die, wenn sie selber nicht mehr arbeiten können, von der Rendite ihres Betriebsvermögens leben können. Aber dieser Teil ist relativ klein, ist relativ begrenzt.
Aber denken wir doch, meine Damen und Herren, an diejenigen, die bei den raschen Strukturwandlungen unserer Zeit, bei dem Zug zur Konzentration immer wieder auf die Schattenseite der wirtschaftlichen Entwicklung geworfen werden - z. B. so viele kleine Einzelhändler -, oder denken wir doch an die vielen freiberuflich Tätigen, die darauf angewiesen sind, daß ihr Kopf gut funktioniert und daß sie gesund sind. Wenn sie nicht mehr gesund sind, haben sie kein Arbeitseinkommen mehr, das weiterfließen könnte.
Diesem unbefriedigenden, wirklich unbefriedigenden Zustand abzuhelfen, ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes. Nun werden die Koalitionsfraktionen wieder sagen: Ja, jetzt endlich kommt ihr; 20 Jahre habt ihr Zeit gehabt; jetzt fällt euch ein, daß ein Gesetzentwurf vorgelegt werden muß! Warum habt ihr das denn nicht früher getan?
({0})
Nun, meine Damen und Herren, da darf ich doch einmal einiges in unser aller Erinnerung zurückrufen. Als wir zu Adenauers Zeiten - im Jahre 1956 - hier in diesem Hause die große Rentenreform beschlossen - der DGB hat seinerzeit in der „Welt der Arbeit" geschrieben: das ist die soziale Großtat des 20. Jahrhunderts -, haben wir die gesetzliche Rentenversicherung als eine ausgesprochene Arbeitnehmerversicherung konstruiert. Selbständige konnten sich nur dann freiwillig weiterversichern, wenn sie bereits versichert gewesen oder mindestens fünf Jahre pflichtversichert gewesen waren. Dabei waren wir uns seinerzeit eigentlich darüber im klaren, daß die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Umlagesystem, streng genommen, ein Fremdkörper ist.
Die freiwillige Selbstversicherung, d. h. den freiwilligen Beitritt zur Rentenversicherung bei freier Wahl der Beiträge ihrer Zahl und ihrer Höhe nach, haben wir seinerzeit abgeschafft, und zwar, wie ich glaube, zu Recht. Denn die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sollte für die Arbeiter und für die Angestellten, also für Arbeitnehmer geschaffen sein, die aus unselbständiger Arbeit Lohn oder Gehalt beziehen, die je nach der Höhe ihres Lohnes oder Gehaltes Beiträge zahlen und bei denen die Rente später Lohnersatzfunktion hat.
Wir von der CDU haben uns seinerzeit mit diesem Zustand, daß die Selbständigen draußen vor der Tür bleiben sollten, nicht abgefunden. Die Regierungserklärung Konrad Adenauers aus dem Jahre 1957 hat darauf hingewiesen, daß weite Schichten der Bevölkerung, die der Mittelklasse angehören, wegen der Wandlungen der sozialen Verhältnisse, die sich vollzogen haben und immer noch vollziehen, des staatlichen Schutzes bedürfen. Damals, meine Damen und Herren, fand der Wandel der traditionellen Sozialpolitik von einer Arbeitnehmerpolitik zur Gesellschaftspolitik statt; und Sie können sich entsinnen, daß seinerzeit das Bundesministerium für Arbeit in „Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung" umbenannt worden ist. Und es wurde in diesem Ministerium eine Arbeitsgruppe „Sonderprobleme der Sozialordnung" eingerichtet, die sich speziell auch mit den Fragen der Selbständigen und der freien Berufe beschäftigt hat.
Es kam dann sehr bald die Zeit, in der wir die Handwerkerversicherung neu geregelt und die Altershilfe für Landwirte eingeführt haben. Kollege
Blank hat damals zweimal einen Gesetzentwurf zur Alterssicherung der Rechtsanwälte eingebracht; aber leider haben diese Entwürfe in diesem Hause keine Mehrheit gefunden. Es war dann unser Kollege Schmücker, der auf dem Rheinischen Mittelstandstag der CDU schon im Jahre 1963 gesetzliche Regelungen zur Alterssicherung der Selbständigen gefordert hat. Unser Diskussionskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion hat damals erklärt - ich darf es wörtlich zitieren -:
Wir sind der Meinung, daß die Alterssicherung der Selbständigen und der freien Berufe auf der Basis einer leistungsbezogenen Regelung gesetzlich geordnet werden muß. Das Ziel sollte dabei die Öffnung der Rentenversicherung sein.
Natürlich haben sich auch andere Parteien immer wieder zu diesem Thema zu Wort gemeldet, aber von keiner Seite kam es zu einem konkreten Gesetzentwurf. Damit sei nach keiner Seite ein Vorwurf erhoben; denn wer sich auch nur ein bißchen mit dieser Materie beschäftigt hat, weiß, welche Schwierigkeiten, welche Widerstände jeweils bei jedem Vorschlag, der gemacht wurde, aufgetreten sind.
Es ist doch so, daß es lange Zeit und sogar noch bis zum heutigen Tage innerhalb des Kreises der Betroffenen selber sehr unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge gegeben hat und immer noch gibt. Ich brauche Sie nur an das öffentliche Hearing zu erinnern, das der Sozialpolitische Ausschuß -ich glaube, es war im Mai 1967 - zum Kapitel Alterssicherung der Seilbständigen in der Sozialenquete durchgeführt hat. Wenn Sie das Protokoll von diesem öffentlichen Hearing nachlesen, werden Sie eine bunte Palette von Vorschlägen und Anregungen zur Altersicherung der Selbständigen vorfinden.
Im Dezember 1967 haben dann die damaligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD die Bundesregierung in einer Entschließung ersucht, die Vorbereitungen für eine Ausdehnung der gesetzlichen Rentenversicherung auf Selbständige und Angehörige freier Berufe zu intensivieren und dem Bundestag möglichst bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Die Regierung der Großen Koalition konnte diesen Auftrag des Parlaments nicht mehr ausführen. Sie wissen, daß wir seinerzeit alle die große Sorge hatten, wie wir die Rentenversicherung überhaupt auf die Dauer finanziell sichern und über den Rentenberg hinwegbringen können. Dies gilt übrigens für die ganze Zeit nach 1957. Niemand konnte sich in all diesen Jahren mit Vorschlägen durchsetzen, die unter Umständen - ich sage unter Umständen neue Belastungen für die Rentenversicherung bedeuten konnten. Sie können sich sicher noch erinnern, wie vorsichtig und behutsam wir verfahren mußten bei der sogenannten Härtenovelle des Jahres 1965 mit Rücksicht auf die damals noch ungeklärte finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung.
Mit dein Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz, das wir und der Kollege Katzer seinerzeit in der Großen Koalition hier in diesem Hause verabschiedet haben, ist es anders geworden. Von da an kann man mit gutem Gewissen sagen, daß unsere gesetzliche Rentenversicherung nach menschlichem Ermessen auf die Dauer finanziell gesichert ist und daß die bruttolohnbezogene dynamische Rente gewährleistet bleibt. Erst dadurch ist auch die Regierung Brandt in die Lage versetzt worden, in ihre Regierungserklärung vom Oktober 1969 die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für weitere Gesellschaftsgruppen anzukündigen. Mit dieser Ankündigung hat übrigens die Regierung Brandt dem alten Volksversicherungsplan der SPD bezüglich der Selbständigen, der vorsah, eine eigene Anstalt für Selbständige einzurichten, eine klare deutliche Absage erteilt.
Leider ist es bis zum heutigen Tage - zwei Jahre danach auf seiten der Regierung nur bei der Ankündigung geblieben. Der Bundesarbeitsminister hat zwar ein Fünf-Punkte-Programm zur Rentenversicherung bekanntgegeben, wozu auch die Öffnung der Rentenversicherung gehört. Aber noch gibt es keine Regierungsvorlage, noch existiert nur ein Referentenentwurf, der wie man so hört und beobachten kann - offensichtlich immer noch hart umstritten ist.
Wir haben daher keinen Anlaß, heute an dieser Stelle zu diesem Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Warten wir ab, was die Regierung vorlegen wird. Dann werden wir uns in diesem Saal miteinander darüber unterhalten. Und, Herr Kollege Arendt, wenn Sie Ihr Fünf-Punkte-Programm als „zweite Rentenreform" bezeichnen, dann würde ich schon meinen: das heißt doch ein bißchen zu großspurig sein.
({1})
- Das ist zu großspurig. Da ist nachdem, was wir gehört haben, der Mund zu voll genommen. Nun, lassen wir es auf sich beruhen. Lassen wir den Berg kreißen; wir werden dann schon feststellen, welches Mäuschen herauskommt.
Die CDU/CSU hat schon im Mai dieses Jahres, vor vielen Monaten, diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Presseübersicht „Inland II" des Presse- und Informationsamtes vom 6. Mai dieses Jahres hat seinerzeit darüber berichtet:
Der CDU-Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung auch für Selbständige wird von der „Rheinischen Post" als ein guter Vorschlag bezeichnet. „Frankfurter Rundschau" meint, die Opposition habe der Regierung den Rang abgelaufen, womit es nach der „Stuttgarter Zeitung" der CDU/CSU gelang, die Regierung eindeutig in die Hinterhand zu bringen.
So die Pressemeldungen.
({2})
Nach unserem Entwurf haben die Selbständigen und freiberuflich Tätigen, soweit sie nicht bereits pflichtversichert sind, die Möglichkeit, ab 1. Januar 1972 auf Antrag der gesetzlichen Rentenversicherung beizutreten. Sie können sich also frei entscheiden, ob sie beitreten wollen oder nicht. Ein Zwang zum Beitritt für alle Selbständigen oder für ganze Grup8046
pen ist bei uns nicht vorgesehen. Das schien uns wegen der sehr unterschiedlichen Verhältnisse nicht vertretbar zu sein. Es gibt Selbständige, die bereits anderweitig vorgesorgt haben und die auch in Zukunft anderweitig vorsorgen wollen. Wir sind daher nach dem Grundsatz verfahren: Soviel Freiheit wie möglich und nur soviel Zwang wie unbedingt nötig. Wer von den Selbständigen sich zum Beitritt entscheidet, soll der Rentenversicherung mit gleichen Rechten und Pflichten angehören.
Gleiche Rechte heißt Anspruch auf die gleichen Leistungen, also auf Rehabilitationsmaßnahmen, auf dynamisierte Renten, auf die kostenlose Krankenversicherung der Rentner und anderes mehr. Im Leistungsrecht haben wir allerdings mit Rücksicht auf die gegenüber den Arbeitnehmern unterschiedlichen Verhältnisse insofern eine gewisse Änderung vorgenommen, als wir sagen, daß Erwerbsunfähigkeit dann als nicht gegeben gilt, wenn noch eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird und Krankheitszeiten und Zeiten der Schwangerschaft als Ausfallzeiten nur dann angerechnet werden, wenn im Betrieb des Selbständigen mit Ausnahme eines Lehrlings und des Ehegatten keine Personen beschäftigt sind. Ich glaube, diese vom übrigen Recht abweichende Regelung ist nicht mehr als recht und billig.
Gleiche Pflichten heißt auf der anderen Seite, daß derjenige, der sich zum Beitritt in die gesetzliche Rentenversicherung entscheidet, Beiträge bezahlen muß wie alle anderen Pflichtversicherten auch, und zwar entsprechend seinem Einkommen - natürlich nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze und bis zum Eintritt des Versicherungsfalls.
Mit diesem Vorschlag der „Versicherungspflicht auf Antrag" und mit dem Prinzip von „gleichen Rechten und Pflichten im Rahmen der Rentenversicherung" haben wir uns dagegen ausgesprochen, die im Jahre 1957 bei der Rentenreform abgeschaffte freiwillige Rentenversicherung auch unter modifizierten Bedingungen wieder einzuführen; das heißt - das wollen wir offen sagen -: wir überlassen den Beitrittswilligen nicht die freie Wahl der Zahl und der Höhe der Beiträge, die sie entrichten wollen. Wir können dies nicht, wir dürfen dies nicht, weil die Öffnung der Rentenversicherung auf keinen Fall zu einer Belastung der übrigen Versichertengemeinschaft führen darf.
Herr Kollege Schellenberg hat laut „FAZ" vom 7. April 1968 vor der hessischen „Arbeitsgemeinschaft Selbständige" in der SPD - so etwas gibt es anscheinend auch in der SPD; aber offensichtlich führt diese Arbeitsgemeinschaft ein Kümmerdasein, denn man sieht und hört nichts von ihr - erklärt, daß jeder Gedanke daran zurückgewiesen werden müsse, die Selbständigen in die Arbeiterrenten- oder Angestelltenversicherung zu deren Lasten einzubeziehen. Genau das ist auch unsere Meinung. Sie haben weiter gesagt, wenn kein eigener Träger gebildet werde, könnten die Selbständigen nur mit gleichen Rechten und Pflichten wie die Arbeiter und Angestellten eingegliedert werden.
Ein anderer Kronzeuge, Herr Albert Holler - er war damals beim DGB und ist heute leitender Beamter im Bundesarbeitsministerium - hat im November 1968 in der Zeitschrift „Arbeit und Sozialpolitik" zum Thema Alterssicherung der Selbständigen folgendes geschrieben:
Aus der Sicht der Gewerkschaften ist der Errichtung einer eigenen Versicherung für Selbständige der Vorzug vor der Öffnung zu geben. Kommt es aber zu einer Versicherung der Selbständigen in der gesetzlichen Rentenversicherung, dann muß der Grundsatz „gleiche Rechte und gleiche Pflichten" strikt eingehalten werden.
Genau das ist unsere Konzeption, und wir sind sehr gespannt darauf, was die Regierung bei ihrem Öffnungsvorschlag tun wird, um diesen Grundsatz strikt einzuhalten.
Gleiche Rechte und Pflichten lassen sich unseres Erachtens nur bei einer Versicherungspflicht auf Antrag verwirklichen. Alles andere muß zwangsläufig zu einer zusätzlichen Belastung der Versichertengemeinschaft führen. Wir haben uns aber auch deswegen für diese Lösung entschieden, weil wir für die beitretenden Selbständigen ausreichende Renten erzielen wollen. Wir wollen nicht wieder einmal Hoffnungen erwecken, die sich doch nicht erfüllen lassen. Die Öffnung der Rentenversicherung darf nicht von vornherein so angelegt werden, daß sie wiederum zu Kleinstrenten führt. Dies wäre bei der Wiedereinführung der Selbstversicherung sicherlich der Fall
Nun werden Sie sagen: Sie haben aber hier keine Möglichkeit des Beitritts für Hausfrauen geschaffen. Sie, meine Damen und Herren, sprechen von einer Hausfrauenversicherung und einer Hausfrauenrente und sagen: Im Gegensatz zur CDU wollen wir die Rentenversicherung auch für die Hausfrauen öffnen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: es ist reine Augenauswischerei, was Sie da vorhaben. Sie schaffen nur theoretische Möglichkeiten des Beitritts für die Hausfrauen, aber doch keine Hausfrauenrente, und Sie sorgen auch nicht für das Geld, das notwendig ist, um die Beiträge für diese Versicherung aufzubringen. Darauf kommt es doch an, und das ist doch das Entscheidende.
({3})
Ein besonderes Anliegen des Gesetzentwurfs besteht darin, im Rahmen des Möglichen die besondere Situation der älteren Selbständigen zu berücksichtigen. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, erhalten die Selbständigen durch den Gesetzentwurf die Gelegenheit, für die Zeiten der selbständigen Tätigkeit zwischen den Jahren 1956 und 1972 bis zum 31. Dezember 1974 Beiträge auf der Basis des jeweils aktuellen Beitragssatzes nachzuentrichten. Diese Möglichkeit wird auch Arbeitnehmern gewährt, die in dem genannten Zeitraum selbständig waren. Das gleiche gilt für Personen, die heute nicht mehr erwerbstätig sind, jedoch früher wenigstens fünf Jahre selbständig waren. Ferner ist vorgesehen, daß den über 60jährigen nicht mehr erwerbstätigen Selbständigen, deren Witwen oder Witwern Ausfall- und Ersatzzeiten auch dann angerechnet werden, wenn sie keine Halbdeckung haben, allerdings
nur bis zur Zahl der Beitragsjahre; das ist selbstverständlich.
Darüber hinaus haben wir die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige zum Anlaß dazu genommen, eine wichtige Neuerung für alle Versicherten und Rentner vorzuschlagen. Zahlreiche Versicherte haben nämlich niemals recht einsehen können, warum die Anrechnung von Zeiten des Kriegsdienstes, der Kriegsgefangenschaft sowie der Ausbildung auf die anrechnungsfähigen Versicherungsjahre davon abhängig sein soll, daß innerhalb einer bestimmten Frist nach Beendigung dieser beitraglosen Zeiten sogenannte Pflichtanschlußbeiträge geleistet sein mußten. Oft war es mehr oder weniger ein Zufall, ob diese Bedingung erfüllt werden konnte oder nicht.
Zur Beseitigung dieser Härte und dieser sozialen Ungerechtigkeit sieht unser Gesetzentwurf vor, in Zukunft vom Erfordernis der Pflichtanschlußbeiträge zur Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten bei solchen Versicherten abzusehen, die die Zeit vom Eintritt in die Versicherung bis zum Versicherungsfall zur Hälfte mit Pflichtbeiträgen, jedoch nicht unter fünf Jahren, belegt haben. Für den Übergang soll es zur Erfüllung dieser Halbdeckungsvoraussetzung sogar genügen, wenn die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum Versicherungsfall zur Hälftemindestens fünf Jahre - mit Pflichtbeiträgen belegt ist.
Diese neuen Bestimmungen sollen, wie gesagt, allen Versicherten, auch den Rentnern, zugute kommen. Wir sind davon überzeugt, daß diese Neuregelung der Anrechnung beitragsloser Zeiten für viele Selbständige, aber auch für viele Angestellte von großer Bedeutung sein wird und zu beträchtlichen Rentenerhöhungen führen wird. Denken Sie allein daran, daß neun Jahre Ausfallzeiten auf die Versicherungsdauer angerechnet werden können.
Nun, meine Damen und Herren, das mag zur Begründung und zur Darstellung genügen. Ich darf darauf verweisen, daß wir unserem Gesetzentwurf eine ausführliche schriftliche Begründung beigefügt haben. Insbesondere verweise ich auf den finanziellen und statistischen Teil dieser Begründung.
Aber nun, meine Damen und Herren, habe ich noch ein kleines Bonbon mitgebracht. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben anläßlich der Beratung des Sozialberichts hier in diesem Hause in der vorigen Woche folgendes erklärt: Die Anträge der CDU haben, von der CDU völlig übersehen, Steuermindereinnahmen durch den zusätzlichen Vorwegabzug der Hälfte der Jahresbeiträge zur Rentenversicherung der Selbständigen nach Art. 4 des gleichen Gesetzentwurfs zur Folge, berechnet vom Bundesfinanzministerium auf 330 Millionen DM. Da sind wir natürlich erschrocken. Wir waren erschüttert. Wir haben gesagt: Das kann doch gar nicht sein; unser Planungsstab, der sonst so zuverlässig arbeitet, kann sich doch nicht so verrechnet haben. Wir sind dann zum Bundesfinanzministerium gegangen und haben festgestellt, daß es sich hier um einen klaren Irrtum, um einen Rechenfehler, um ein Versehen handelt.
({4})
Ich empfehle Ihnen, sich das bestätigen zu lassen. Das kann vorkommen. Es ist nicht so tragisch. Aber immerhin, wir freuen uns, hier sagen zu können, daß der Steuerausfall auch nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums nicht 330 Millionen DM, sondern im Höchstfall 7 bis 13 Millionen DM betragen wird.
Wie kam es nun zu dieser Differenz? Das Bundesfinanzministerium hatte Herrn Kollegen Schellenberg und der SPD-Fraktion drei Alternativrechnungen übermittelt, die sich darin unterscheiden, daß bei der ersten davon ausgegangen wird, daß 30 %, bei der zweiten, daß 50 % und bei der dritten, daß 70 % der Selbständigen freiwillig beitreten. Sie haben die dritte Alternative, die von 70 % ausgeht, gewählt, die höchste, was für unseren Entwurf spricht; denn wenn man annimmt, daß nicht 30 5, sondern 70 % beitreten, dann muß unsere Vorlage doch wirklich attraktiv für die Selbständigen sein. Der eigentliche Grund für die in allen drei Alternativrechnungen zu hohen Zahlen des Bundesfinanzministeriums liegt aber darin, daß das Bundesfinanzministerium den Gesetzestext der CDU falsch interpretiert hat. So wurde nicht beachtet, daß lediglich nach dem Einkommen bemessene Pflichtbeiträge der Selbständigen und nicht auch freiwillige Beiträge zur Hälfte die steuerliche Begünstigung erfahren sollen. Dadurch wurde nämlich der Personenkreis zu hoch gerechnet. Das Entscheidende aber ist, daß kein zusätzlicher Vorwegabzugsbetrag eingeräumt wird, wie behauptet worden ist, sondern daß genau wie beim Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung eine Anrechnung auf den bereits bestehenden Vorwegabzugsbetrag erfolgt. Dadurch wurde der zusätzliche Sonderausgabenbetrag zu hoch angesetzt.
Ich freue mich sehr, daß ich diesen Punkt schon in dieser Woche hier klarstellen konnte.
Ich komme zum Schluß. Wir haben mit diesem Entwurf eine Konzeption entwickelt, die die gegebenen Möglichkeiten und Grenzen berücksichtigt, die davon ausgeht, daß Geschenke nicht zu verteilen sind, die aber im ganzen gesehen ein faires und auch attraktives Angebot für die Selbständigen bedeutet. Die CDU-Fraktion leistet mit diesem Entwurf einen weiteren konstruktiven Beitrag der Opposition zur Weiterentwicklung der Gesellschaftspolitik.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Schellenberg. Er bittet um eine Redezeit von 35 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ruf hat versucht zu begründen, weshalb die CDU bisher nichts für die Öffnung der Rentenversicherung im allgemeinen getan hat. Herr Kollege Ruf, das ist der Ausdruck eines schlechten Gewissens,
({0})
- eines sehr schlechten Gewissens! Die CDU hat nämlich in den 20 Jahren, in denen sie den Bundeskanzler und den Arbeitsminister stellte,
({1})
nicht nur nichts zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige getan, sondern sie hat sogar bereits bestehende Ansätze der sozialen Sicherung für Selbständige beseitigt. Das will ich beweisen.
Die CDU/CSU hat - darauf sind Sie eingegangen - bei der Rentenreform die Öffnung der Rentenversicherung verweigert.
({2})
- Ja, was Sie für gute Gründe halten!
({3})
Wir haben damals genau das gleiche beantragt, was die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorlegen wird - in vollem Einvernehmen mit unserem Koalitionspartner.
Wir haben nämlich in unserem Gesetzentwurf vom 18. April 1956 beantragt, allen nicht versicherungspflichtigen Bürgern - also auch den Selbständigen
- ein uneingeschränktes Recht auf freiwillige Versicherung zu geben. Diesen SPD-Antrag hat die CDU im Januar 1957 abgelehnt. Nicht ein einziger sogenannter Mittelstandspolitiker der CDU hat sich damals, als es um die grundlegenden Entscheidungen für unsere Rentenversicherung ging, auch nur mit einem Wort für die soziale Sicherung der Selbständiegen im Parlament eingesetzt. Sie haben sich sogar geweigert
({4})
- die CDU/CSU -, es bei dem bis 1956 bestehenden Recht des Beitritts der unter 40jährigen zu belassen. Damit hat die CDU die soziale Sicherung der Selbständigen entscheidend verschlechtert. Das war ein großes politisches Verschulden. Darauf, daß damals den Selbständigen die Möglichkeit genommen wurde, freiwillig Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung zu werden, sind die Schwierigkeiten zurückzuführen, mit denen wir uns noch heute in bezug auf die soziale Sicherung der Selbständigen auseinandersetzen müssen.
Ich habe Sie noch an etwas anderes zu erinnern: Im Jahre 1959 hat das Haus auf Antrag meiner Fraktion die Bundesregierung beauftragt, im Mittelstandsbericht Vorschläge über die Alterssicherung der Selbständigen zu machen. Was die damalige Bundesregierung - eine CDU-Bundesregierung -1960 im Mittelstandsbericht darauf antwortete, war erschreckend dürftig. Der Schlußsatz des Regierungsberichtes zu diesem Thema lautet: „Vorschläge werden nicht gemacht". Mehr hatte die CDU-Bundesregierung zu diesem wichtigen Thema nicht zu sagen.
({5})
- Im Jahre 1960. - Ja, bitte!
Herr Kollege Schellenberg, sind . Sie bereit, zuzugeben, daß Sie und die SPD sich seinerzeit immer gegen eine Öffnung der Rentenversicherung ausgesprochen haben und daß der Volks-versicherungsplan der SPD eine eigene Anstalt für die Selbständigen vorgesehen hat?
Aber lieber Herr Kollege Ruf, ich habe Ihnen doch gerade dargelegt, daß wir im Jahre 1956 hier beantragt haben, es bei der Neugestaltung der Rentenversicherung dabei zu belassen, daß jeder das Recht auf freiwilligen Beitritt in die Rentenversicherung hat. Das haben Sie abgelehnt.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Dr. Schellenberg, sind Sie bereit, als Fachmann zuzugeben, daß sich eine freiwillige Versicherung mit dem Umlagesystem einfach nicht verträgt? Dem können Sie doch nicht widersprechen.
Herr Kollege Ruf, ich werde Ihnen schon noch darlegen, welche Konzeption wir haben. - Bitte schön, Herr Kollege Dr. Götz!
Herr Professor Schellenberg, wenn Sie schon im Jahre 1956 einen fertigen Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige hatten, warum haben Sie diesen Gesetzentwurf in den vergangenen zwei Jahren bis heute nicht einfach auf den Tisch gelegt?
({0})
Herr Kollege Dr. Götz, Sie machen es sich zu einfach.
({0})
Die gesetzliche Vorschrift, die wir beantragt hatten, sah vor: Es bleibt bei dem Recht des freiwilligen Beitritts, und dieses Recht wird erweitert auf alle. Das haben Sie abgelehnt,
({1})
und das war ein schweres politisches Verschulden.
Noch ein Weiteres: Den Auftrag dieses Hauses an die Bundesregierung vom 8. Dezember 1967, einen Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung vorzulegen, hat der damalige Bundesarbeitsminister, Herr Katzer, nicht erfüllt.
({2})
- Der Antrag ist vom Bundestag angenommen worden. Es war ein Auftrag an die Bundesregierung, dieser wurde nicht erfüllt.
Wenn die CDU jetzt, nachdem in der Regierungserklärung die Öffnung der Rentenversicherung für weitere Personenkreise zugesagt wurde, einen eigenen Gesetzentwurf vorlegt, so kann sie damit ihr langjähriges politisches Versagen in bezug auf die
soziale Sicherung der Selbständigen nicht vertuschen.
({3})
Aber nun zum Inhalt Ihres Gesetzentwurfs.
Erste Feststellung: Der CDU-Entwurf mißachtet in eklatanter Weise die Bedingungen der selbständigen und freiberuflichen Existenz.
Das will ich beweisen.
1. Nach dem CDU-Entwurf kann ein Selbständiger der Rentenversicherung nur beitreten, wenn er sich verpflichtet, solange er eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, 18 % seines Bruttoarbeitseinkommens zu zahlen.
({4})
Eine solche jahrzehntelange Verpflichtung werden die meisten Selbständigen nicht übernehmen können. Es gehört nämlich zu den Merkmalen der selbständigen Existenz, mit schwankenden Einkommen rechnen zu müssen. Deshalb muß der Selbständige die Freiheit der finanziellen Disposition haben. Wenn er sich auf die Dauer in dieser Weise mit 18 % seines Einkommens bindet, wird das, falls er in ein wirtschaftliches Tief gerät, für ihn zu verhängnisvollen Konsequenzen führen. Deshalb ist es eine Illusion, davon auszugehen, daß eine nennenswerte Zahl von Selbständigen die jahrzehntelangen Verpflichtungen nach dem CDU-Entwurf auf sich nehmen wird.
2. Die CDU verlangt eine unwiderrufliche Entscheidung zu Beginn der selbständigen Existenz.
({5})
- Na, ja, zu Beginn der selbständigen Existenz! Dieses Prinzip „sofort oder nie" mißachtet die Interessen der Aufbauexistenzen. Der Selbständige kann sich nämlich nur innerhalb von zwei Jahren entscheiden; jeder spätere Beitritt ist ihm verschlossen. Aber gerade die ersten Berufsjahre sind für die Selbständigen und freiberulich Tätigen mit besonderen Risiken und Unsicherheiten verbunden. Diese Entscheidung von den Selbständigen in cien Aufbaujahren zu verlangen, ist für sie unzumutbar. Deshalb wird kaum ein junger Selbständiger dieser Einrichtung beitreten.
3. Die CDU verfährt nach dem Prinzip „alles oder nichts". Auch das widerspricht den Interessen der Selbständigen. Sie sollen nämlich gezwungen werden, sich entweder eine Vollversicherung aufzubauen oder auf den sozialen Schutz der Rentenversicherung überhaupt zu verzichten. Das steht in krassem Gegensatz zu der Tatsache, daß viele Selbständigen nur eine Grundsicherung benötigen. Die CDU geht mit ihrem Schematismus an der differenzierten Interessenlage des Selbständigen und freiberuflich Tätigen vorbei.
4. Das starre Prinzip der CDU einer permanenten Beitragsverpflichtung widerspricht vor allem den Bedürfnissen der kleinen Selbständigen. Im März 1970 hatten 13,5 % aller Selbständigen nur ein Nettoeinkommen unter 600 DM. Diese Selbständigen werden cien Beitrag von 18 % dieses Einkommens nicht regelmäßig zahlen können. Das führt dann zur zwangsweisen Beitreibung der Beiträge. Wir kommen nach Ihrem Gesetzentwurf zu der grotesken Situation, daß im Interesse der sozialen Alterssicherung die bescheidene Existenzgrundlage dieser kleinen Selbständigen durch Zwangsvollstreckung vernichtet wird.
Zweite Feststellung: Der CDU, CSU-Entwurf ist für die Rentenversicherung finanziell unsolide. Auch das will ich beweisen.
1. Der CDU/CSU-Entwurf berücksichtigt nicht die Besonderheiten der Lage der Selbständigen. Daher wird der Kreis der Selbständigen, die sich für die Rentenversicherung entscheiden, weit hinter Ihren Annahmen zurückbleiben. Deshalb ist das, was Sie in Ihrer „eingehenden" finanziellen Begründung sagen, bezüglich des Kreises der Dauer-Beitragszahler völlig utopisch.
2. Auf der anderen Seite machen Sie hinsichtlich der Leistungsseite reißerische Angebote,
({6}) deren finanzielle Deckung völlig unklar ist.
({7})
Herr Ruf sagte wiederholt gleiche Rechte und Pflichten. Aber was Sie in Wirklichkeit mit den beitragslosen Zeiten tun, ist faktisch darauf zugeschnitten, besondere Geschenke zu Lasten der Gemeinschaft der Pflichtversicherten zu geben. Sie beziffern diese zusätzliche Belastung in der Begründung Ihres Entwurfs auf 350 Millionen DM jährlich. Eine solche Schätzung beruht auf sehr unsicheren Grundlagen. Es gibt auch Berechnungen, nach denen sich diese zusätzliche Belastung der Rentenversicherung mit zusätzlichen beitragslosen Zeiten maximal auf 900 Millionen DM jährlich beläuft.
Abwegig ist ferner die Behauptung der CDU, diese Belastung mit beitragslosen Zeiten würde in den nächsten Jahren gleichbleiben und dann absinken. Das ist schon deshalb falsch, weil einer Versicherung Ihrer Konstruktion vorwiegend solche Personen beitreten werden, die mit Hilfe der zusätzlichen beitragslosen Zeiten schnell zu einer Rente kommen wollen. Das ist kein solides System. Meine Damen und Herren der CDU/CSU, wenn Sie in Ihrer, ich kann nur sagen: sogenannten finanziellen Begründung einen Finanzüberschuß zuerst von 1,4 bis 3,2 Milliarden DM jährlich und nach 15 Jahren noch von 700 Millionen DM bis 1,8 Mil-harden DM errechnen, so ist das reine Phantasterei.
({8})
- Bitte schön!
Herr Kollege Schellenberg, sind Sie bereit, zuzugeben, daß auch nach der Begründung des Referentenentwurfs zunächst einmal mit einem erheblichen Rentenversicherungsüberschuß zu rechnen ist?
Herr Kollege Ruf, Sie haben vorhin erklärt, Sie wollten über den Referentenwurf nicht sprechen.
({0})
Ich werde Ihnen darlegen, was wir wollen. Wir werden von der Regierung selbstverständlich einen Gesetzentwurf verlangen, der langfristig finanziell solide kalkuliert wird. Ich bin sicher, daß der Bundesarbeitsminister diesen Auftrag erfüllen wird. Darüber bestehen für mich überhaupt keine Zweifel.
({1})
Dritte Feststellung: Ihr Gesetzentwurf ist auch haushaltspolitisch unsolide.
Erstens: Die Gewährung zusätzlicher beitragsloser Zeiten hat nämlich sofort Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Das verschweigen Sie. Selbst wenn man von einem Betrag von 350 Millionen DM für zusätzliche beitragslose Zeiten ausgeht, belastet das sofort den Bundeshaushalt mit 40 Millionen DM für die Knappschaftsversicherung. Wenn die Belastungen für die beitragslosen Zeiten höher sind, ist natürlich auch die Belastung für den Bundeshaushalt unverzüglich erheblich höher. Davon steht in Ihrem Gesetzentwurf kein Wort. Deshalb ist er haushaltspolitisch nicht abgesichert und unsolide.
Zweitens: Sie schlagen vor, den Selbständigen die Möglichkeit der Nachversicherung zu geben. Das ist unbestritten. Leider haben Sie nicht begründet, was Sie mit der Nachversicherung verbinden wollen. Ich habe Herrn Kollegen Pinger gefragt, ob er nicht so freundlich sein wolle, diesen Teil des Entwurfes gleich zu begründen. Das hat er abgelehnt. Dennoch will ich mich zu diesem Teil äußern. Die CDU bietet im Zusammenhang mit der Nachversicherung eine öffentliche Förderung an, die haushaltspolitisch zu untragbaren Konsequenzen führen muß. Sie erwecken bei den Selbständigen den falschen Eindruck, daß man die Probleme der Nachversicherung für ältere Selbständige mit öffentlichen Mitteln lösen könne.
({2})
Sie nennen einen Fonds von 150 Millionen DM innerhalb von drei Jahren. Auf diese Leistungen versprechen Sie in Ihrem Gesetzentwurf immer dann einen Rechtsanspruch - in der Begründung sind Sie auf diesen Rechtsanspruch sehr stolz -, wenn die Nachentrichtung der Beiträge - ich zitiere aus Ihrem Gesetzentwurf - die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen erheblich beeinträchtigen würde.
Mit einer solchen Stiftung kann man sicher gut Propaganda machen. Aber finanzpolitisch ist das nicht einzulösen. Es geht nämlich im Kern der Sache darum, daß im Wege der Bereitstellung öffentlicher Mittel Beitragszahlungen für einen Zeitraum von 1956 bis 1972, also für 17 Jahre, nachträglich für alle die ausgeglichen werden sollen, die aus eigener Wirtschaftskraft die Mittel für die Nachversicherung nicht aufbringen können.
Nach dem CDU-Gesetzentwurf - in der Begründung, Seite 15 - wird die Nachversicherung im
Durchschnitt von den Selbständigen 27 000 DM erfordern. Dann könnte man mit Ihrem 150-Millionen-Fonds die Nachversicherung von 6000 Personen fördern. Aber die Zahl derjenigen, die auf eine solche Förderung aus öffentlichen Mitteln Anspruch erheben können, ist unübersehbar. Es handelt sich nämlich um Selbständige von heute, um frühere Selbständige, die nicht mehr erwerbstätig sind, um Arbeitnehmer, die früher selbständig waren, und um die Witwen dieser Gruppen. Schon dieser Personenkreis ist außerordentlich groß. Dementsprechend ist natürlich der Finanzaufwand.
Aber hinzu kommt doch noch folgendes: Nach dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung müßte auch jedem anderen Burger, der in der Zeit von 1956 bis 1972 nicht versichert war oder Beitragslücken hat, der gleiche Rechtsanspruch auf eine öffentliche Förderung zugestanden werden. Meine Damen und Herren von der CDU, wenn die CDU bei dieser Sachlage die Bereitstellung öffentlicher Mittel für die Nachversicherung propagiert, so handelt sie verantwortungslos, verantwortungslos deshalb, weil sie bei älteren Menschen, die ohne Alterssicherung sind und die sich diese auch nicht aus eigenen Mitteln aufbauen können, Hoffnungen erweckt, die finanzpolitisch unerfüllbar sind.
({3})
Sie wollen durch ihren sogenannten Fonds offenbar davon ablenken, daß Sie seinerzeit im Jahre 1957 - das Recht auf freiwillige Weiterversicherung abgeschafft haben.
({4})
Nun komme ich zur Frage der Steuerermäßigungen. Ich sehe Herrn Kollegen Ruf im Augenblick nicht im Saal, aber ich möchte doch darauf eingehen. Die CDU hat in ihrem Gesetzentwurf den Selbständigen Steuererleichterungen versprochen. In der Begründung ihres Gesetzentwurfs führt sie das lapidar unter „Sonstiges" auf und macht keinen Versuch, die Auswirkungen in irgendeiner Weise zu beziffern. Nachdem ich hier bei der Debatte über den Sozialbericht die Zahlen des Finanzministeriums genannt habe, hat sich also endlich auch die CDU schleunigst mit den Auswirkungen ihres Entwurfs beschäftigt. Ich finde es außerordentlich lobenswert, daß die CDU auf Grund meiner Kritik jetzt die zuständigen Referenten des Wirtschafts-und Finanzministeriums aufgesucht hat, um sich über die steuerlichen Auswirkungen ihres Gesetzentwurfs informieren zu lassen. Das ist sehr gut.
({5})
Aber, meine Damen und Herren, das haben Sie viel zu spät getan, nämlich erst, nachdem Sie gemerkt haben, Ihr Entwurf stimmt nicht.
({6})
- Ich kann Ihnen sagen, ich habe mit dem Finanzministerium noch einmal gesprochen,
({7})
nachdem Sie da waren, und das Finanzministerium steht nach wie vor zu den Berechnungen, die ich in der letzten Woche genannt habe, und erklärt,
({8})
daß sich für den Zeitraum 1972 bis 1975 aus dem CDU-Entwurf Steuermindereinnahmen in der Größenordnung minimal von 1,1 und maximal von 1,4 Milliarden DM ergeben.
({9})
So die Mitteilung des Ministeriums. Wenn Sie mit weniger auskommen wollen, dann müssen Sie Ihren Gesetzentwurf ändern. Dann müssen Sie dem Entwurf eine neue, enge Fassung geben, mit der Sie offenbar jetzt operieren, um über die finanzpolitischen Klippen zu kommen. Aber nur für heute! Denn sobald Sie eine engere Fassung wählen, werden Ihnen die Handwerker schon ihre Meinung sagen, - daß Sie nämlich die Handwerkerbeiträge zur Rentenversicherung dann nicht berücksichtigen wollen. Aber lassen wir das mal dahingestellt.
({10})
- Lieber Herr Kollege Katzer, darüber können wir
uns immer unterhalten. Aber dann sind die finanziellen Größenordnungen so, wie das Finanzministerium uns gesagt hat, nämlich 1,1 bis 1,4 Milliarden DM im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung.
({11})
Aber nun, meine Damen und Herren, eine vierte Feststellung: Die CDU/CSU mißachtet dadurch, daß sie die Öffnung der Rentenversicherung auf Selbständige beschränkt, die gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten unserer Zeit.
({12})
Die Forderung, auch nichterwerbstätigen Hausfrauen die Möglichkeit sozialer Sicherung zu geben, wird immer dringender. Doch die CDU/CSU will diesen Frauen die Möglichkeit des Beitritts zur gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin verweigern.
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Herr Kollege Schellenberg, ich darf Sie fragen, ob Sie zu Ihrer Behauptung stehen, daß die 300 Millionen DM, die Sie in der letzten Debatte für 1972 genannt haben, nicht die Höchstbelastungsmöglichkeit sind, während das Finanzministerium, das Sie vorhin zitiert haben, von einer sehr viel niedrigeren Belastungsmöglichkeit gesprochen hat.
Nein, Herr Kollege Katzer, das stimmt nicht. Das Finanzministerium hat mir schriftlich Berechnungen gegeben, die sich auf eine Größenordnung von 260 bis 330 Millionen
DM für 1972 belaufen; ich habe die Unterlagen im Augenblick nicht hier, kann es aber nachher noch weiter erklären. Das macht in dem Vierjahreszeitraum den Betrag aus, den ich heute genannt habe: 1,1 bis 1,4 Milliarden DM Steuerausfälle. Das ist eine sehr erhebliche Größenordnung.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Dr. Schellenberg, haben Sie denn vorhin nicht zur Kenntnis genommen, daß das Bundesfinanzministerium zu den Ihnen seinerzeit gegebenen Zahlen heute nicht mehr steht, daß sie keine Gültigkeit mehr haben?
Lieber Herr Kollege Ruf, da muß ich Sie enttäuschen. Ich habe gestern und noch heute morgen mit dem Finanzministerium gesprochen. Es hat mir ausdrücklich bestätigt, daß es voll zu den mir schriftlich gegebenen Zahlenunterlagen steht. Ich kann sie Ihnen geben und dem Protokoll beifügen. Mehr kann ich Ihnen wirklich dazu nicht sagen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich weiter die Feststellung begründen, weshalb der CDU/CSU-Gesetzentwurf an den gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten unserer Zeit vorbeigeht. Er geht deshalb daran vorbei, weil Sie den Frauen keine Möglichkeit des freiwilligen Beitritts zur Rentenversicherung geben.
({0})
Die CDU CSU hat mit ihrem Gesetzentwurf die Zeichen der Zeit nicht erkannt, und deshalb ist ihr Gesetzentwurf keine geeignete Grundlage für die Weiterentwicklung unserer sozialen Sicherung.
({1})
- Herr Präsident, ich möchte eine weitere Zwischenfrage nicht zulassen, um die Zeit nicht zu weit zu überschreiten.
Es steht ganz in Ihrem Belieben.
Dem gesellschaftspolitisch verfehlten und finanziell unsoliden Gesetzentwurf der CDU/CSU stellt die sozialliberale Koalition
({0})
eine ausgewogene, realistische Gesamtkonzeption gegenüber,
({1})
die den Bedürfnissen der Selbständigen Rechnung trägt. Ich lege Ihnen jetzt wichtige Grundsätze für die Öffnung dar. Vielleicht können Sie davon noch etwas lernen und Ihren Gesetzentwurf noch schnell
ändern, wie Sie auch die Finanzberechnungen schnell noch ändern wollen.
({2})
Der erste Grundsatz der Konzeption der sozialliberalen Koalition ist: Die Rentenversicherung wird für alle, die noch nicht sozial gesichert sind, geöffnet, insbesondere für die Selbständigen, die freiberuflich Tätigen, die mithelfenden Familienangehörigen, die nichterwerbstätigen Hausfrauen. Damit ist unsere soziale Sicherung, die der sozialliberalen Koalition, ein Angebot für alle Bürger in unserem Land.
({3})
Soweit für bestimmte Gruppen von Selbständigen - das sage ich, damit darüber völlige Klarheit besteht - heute Regelungen der sozialen Sicherung bestehen, bleiben diese unberührt.
({4})
Doch werden sich die Mitglieder dieser Einrichtungen, wenn sie es wünschen, zusätzlich in der gegesetzlichen Rentenversicherung versichern können.
({5})
Zweiter Grundsatz: Die Rentenversicherung für diese bisher nicht versicherten Gruppen wird nach dem Prinzip der Freiwilligkeit durchgeführt.
({6})
und dies - ich erläutere es Ihnen -, obwohl dynamische Renten grundsätzlich eine Pflichtversicherung erfordern.
({7})
Da aber für den größten Teil der Selbständigen
und für alle Nichterwerbstätigen die Pflichtversicherung zu absurden Konsequenzen führt, - ({8}) - Was sagen Sie?
({9})
- Lieber Herr Dr. Böhme, Sie sollten doch die Unterschiede begreifen. Sie stellen den Selbständigen praktisch gleich zu Beginn seiner beruflichen Existenz vor die Entscheidung, ob er der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig beitreten will oder nicht. Entscheidet er sich dafür, muß er immer 18 % seines Einkommens an Beitrag zahlen,
({10})
notfalls auf dem Wege der Zwangsbeitreibung,
({11})
während wir es den Selbständigen freistellen, wann sie beitreten und wann sie Beiträge zahlen wollen. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
({12})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen unsere Konzeption erläutern.
Dritter Grundsatz: Nach dem Willen der sozialliberalen Koalition wird es den Selbständigen freigestellt, wann und wieviel Beiträge sie entrichten wollen. Erfolgt eine Beitragszahlung, dann muß sie allerdings - das ist unsere Auffassung - bis zur Beitragsbemessungsgrenze einkommensgerecht sein. Damit wird einerseits den besonderen Belangen der Selbständigen Rechnung getragen, aber andererseits hinsichtlich der Beitragshöhe eine Bevorzugung gegenüber den Pflichtversicherten vermieden.
Vierter Grundsatz: Die Freiwilligkeit der Versicherung wird nicht dazu führen, daß sich Selbständige gegenüber den Pflichtversicherten ungerechtfertigte Vorteile verschaffen.
({13})
Jawohl, das ist ein entscheidender Grundsatz. Deshalb werden die Selbständigen nur dann beitragslose Zeiten erhalten, wenn sie den überwiegenden Teil ihres Erwerbslebens einkommensgerechte Beiträge gezahlt haben. Nur dann gibt es beitragslose Zeiten für sie! Selbstverständlich werden wir im Zusammenhang mit dem Rentenbericht der Bundesregierung unter sorgfältiger Beachtung der langfristigen finanziellen Konsequenzen prüfen, ob und inwieweit hinsichtlich der Gewährung beitragsloser Zeiten Neuregelungen möglich sind.
Fünfter Grundsatz: Wir werden den freiberuflichen Selbständigen die Möglichkeit geben, Beitragslücken durch Nachversicherung zu schließen, und zwar rückwirkend vom 1. Januar 1956. Durch diese Nachversicherung werden die freiwillig Versicherten, also vor allen Dingen die Selbständigen, gegenüber den Pflichtversicherten erheblich begünstigt. So führen Beiträge, die im Jahre 1971 gezahlt werden, aber für das Jahr 1956 gelten, zu einem Leistungsanspruch, der das Dreifache dessen beträgt, was jemand mit einem Beitrag, den er 1971 für das Jahr 1971 zahlt, erreichen kann.
Wir werden die Nachversicherung ferner dadurch erleichtern, daß die Selbständigen die nachentrichteten Beiträge in mehrjährigen Raten zahlen können. Wir wissen, daß das finanzpolitisch ein großes Entgegenkommen bedeutet. Wir verschweigen das nicht.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, unsere Begründung ist folgende. Diese besonderen Vergünstigungen für Selbständige vertreten wir gegenüber der Gesamtheit der Versicherten, weil sie ein Akt der Wiedergutmachung dafür sind, daß den Selbständigen durch die Schuld der CDU/CSU seit 1956 die Möglichkeit eines freiwilligen Beitritts zur Rentenversicherung genommen wurde.
({14})
Die Konzeption der sozialliberalen Koalition wird Bestandteil des zweiten Rentenreformgesetzes sein. Das gehört alles zusammen! Wir Sozialdemokraten haben lange für die soziale Sicherung der SelbDr. Schellenberg
ständigen gekämpft, und lange hat die CDU die Lösung dieser Probleme verhindert.
({15})
Erst die sozialliberale Koalition bringt die soziale Sicherung der Selbständigen voran.
({16})
- Ich sage Ihnen das ganz genau, damit Sie den Zeitablauf kennen. - Wir werden im nächsten Jahr das Zweite Rentenreformgesetz verabschieden, dann wird endlich der Durchbruch zur sozialen Sicherung auch der bisher sozialpolitisch benachteiligten Selbständigen erreicht sein.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}). Er bittet um eine Redezeit von 30 Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Domokraten begrüßen es sehr, daß hier in diesem Hause heute eine Debatte über die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige geführt wird. Wir stellen allerdings gleichzeitig auch fest - der Kollege Ruf und der Kollege Schellenberg haben ja auf einiges hingewiesen; Herr Kollege Ruf hat dabei in seiner Begründung versucht, das ein wenig zu verniedlichen -, daß ein Großteil dieser Debatte eigentlich nicht notwendig gewesen wäre, wenn man 1957 andere Entscheidungen - Entscheidungen, wie damals auch die Freien Demokraten sie wollten - getroffen hätte oder wenn man in den Jahren 1961 bis 1965 den Anträgen der Freien Demokraten, die damals unser Koalitionspartner leider immer wieder ablehnte, gefolgt wäre.
({0})
Denn daß, Herr Kollege Ruf, die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige ein uraltes Anliegen der Freien Demokraten war, werden Sie wohl nicht leugnen.
Wir freuen uns allerdings - und das darf ich sehr
deutlich sagen -, daß es nunmehr diese Bundesregierung ist, daß es diese sozialliberale Koalition ist, daß es SPD und FDP sind, die hier eine wirkliche Konzeption vorlegen werden,
({1})
- ich komme noch auf Ihren Entwurf - die ja auch
bereits Ihnen bekannt ist und nicht erst durch die Vorlage bekannt werden wird und die durch die Regierungserklärung schließlich schon grundlegend angesprochen worden ist. Und es ist doch wohl nur diese Konzeption gewesen, die dazu geführt hat, daß Sie, Herr Kollege Ruf, plötzlich Ihre Meinung um 180 Grad geändert haben.
({2})
- Nicht Sie persönlich, aber Sie haben ja nun für
Ihre Fraktion gesprochen! - Aber es ist doch nur
auf Grund der Tatsache, daß diese Koalition die
Dinge echt aufzugreifen gedenkt, so, daß heute ein Entwurf von Ihnen vorliegt. Denn diese warmen Worte, Herr Kollege Ruf, die Sie eingangs Ihrer Begründung für den großen Teil der Selbständigen ohne Altersversorgung oder ohne ausreichende Altersversorgung gefunden haben, wurden 1956/57 in den Debatten über die Rentenreform von Vertretern der Freien Demokraten gesprochen. Damals allerdings - und das muß noch einmal sehr deutlich gesagt werden - sahen Sie die Dinge ganz anders. Darauf werde ich noch mit einigen Beweisen zurückkommen.
Deshalb kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, als gehe die jetzige Opposition in Ab-. wandlung des lateinischen Sprichworts „tempora mutantur, et nos mutamur cum illis" - die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen - nach dem Motto vor: solange wir Regierung waren, haben wir zwar an solche Dinge gar nicht gedacht, und wir wollten sie auch nicht, aber die Tatsache, daß wir jetzt Opposition sind, hat uns hier sehr geändert. Das ist begrüßenswert, auf der anderen Seite aber auch nicht ganz glaubwürdig.
Herr Kollege Ruf und meine Damen und Herren von der Opposition, auch die Betroffenen, für die Sie heute so warme Worte gefunden haben, werden sich einige Fragen vorlegen müssen, und viele in diesem Hause, die die Entwicklungen kennen, werden sich die gleichen Fragen stellen: Ist nun das, was uns hier heute in Ihrer Drucksache vorliegt, ein bescheidener, ein sehr bescheidener - und für meine Begriffe unzulänglicher; darauf werde ich noch kommen - Versuch, die Dinge der Vergangenheit, also die frühere Haltung der CDU CSU zu dieser Frage, zu korrigieren? Oder ist es, was wir begrüßen würden, die späte Erkenntnis - auch darauf werde ich noch kommen -, daß es vielleicht richtiger gewesen wäre, in den Jahren 1961 bis 1965 den Anträgen und Vorstellungen der Freien Demokraten in dieser Frage zu folgen und sie nicht abzulehnen?
Oder ist es darauf hat der Kollege Schellenberg
schon Bezug genommen - nicht auch ein bißchen Ausdruck schlechten Gewissens, weil man plötzlich merkt, daß es nicht mehr ausreicht, das auf Mittelstandstagungen und Mittelstandskongressen nur immer wieder zu sagen. Herr Kollege Ruf - um das gleich einmal vorzuziehen -, Sie haben davon gesprochen, daß der Kollege Schmücker 1963 auf einem Mittelstandskongreß entsprechende Forderungen erhoben hat. Am 1. April 1965 haben Sie Anträge der Fraktion der FDP in dieser Richtung abgelehnt, obwohl wir in einer Koalition waren. Ich werde Ihre Ablehnungsreden dazu hier noch wörtlich zitieren. Vielleicht ist es Ausdruck des schlechten Gewissens, daß es nicht mehr ausreicht, das immer wieder auf Mittelstandskongressen, in Handwerkszeitungen und dergleichen zu propagieren, aber die ganze Zeit diese Dinge, wenn sie von anderen, den Freien Demokraten oder den Sozialdemokraten 1956 und 1957 beantragt wurden, abgelehnt zu haben.
({3})
Schmidt ({4})
- Herr Rösing, das wissen Sie sehr genau; denn Sie waren von 1961 bis 1965 dabei, als wir über diese Fragen in der Koalition mit Ihnen sehr oft, aber leider immer ohne Erfolg gerungen haben. Daran können Sie sich sicher noch erinnern. Ich jedenfalls kann das sehr gut.
Ich möchte nichts unterstellen. Aber vielleicht kann man auch folgende Frage stellen. 1st es vielleicht ein bißchen Unverfrorenheit, daß man sagt: Ach Gott, was wir früher getan haben, das wissen die gar nicht mehr; jetzt müssen wir als Opposition schnell einmal zeigen, wie groß unser Herz für die Selbständigen und deren Altersversorgung ist,
({5}) wenn das auch früher nicht der Fall war.
({6})
- Doch, Herr Kollege Ruf, ich kann mich dieses Eindrucks nicht ganz erwehren, wenn ich - lassen Sie mich diese Feststellung noch einmal treffen; Sie haben versucht, zu erklären, warum Sie 1957 anderer Meinung waren beispielsweise aus dem Protokoll der Beratungen von 1957 hier den Ausspruch lese, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Wir möchten eine Versicherung haben, die sich auf die wirklich unselbständigen Arbeitnehmer bezieht und es dabei auch beläßt.
So war es seinerzeit.
({7}) Zur gleichen Zeit
waren damals in dieser Debatte zwei Fraktionen dieses Hauses der Meinung, daß es besser gewesen wäre, die Selbstversicherung zu belassen. Sie haben das nicht getan.
({8})
- Herr Kollege Ruf, ich habe Ihnen auch nicht „wider besseres Wissen" unterstellt. Sie werden ja wohl keiner Fraktion dieses Hauses unterstellen, daß sie etwas wider besseres Wissen tut, sondern davon ausgehen, daß jeder aus der Verantwortung, die er hier trägt, es für die Sache etwas tut. Man kann unterschiedlicher Auffassung sein. Aber wenn sich diese Auffassungen von 1957 und 1965 bis heute so verändern, wie es sich aus Ihrer Vorlage ergibt, dann kommt uns allerdings, die wir seit langem Sprecher für diese Frage der Öffnung waren und uns seit langem um diese Dinge bemüht haben, die Sache ein bißchen unglaubwürdig vor. Das werden Sie uns abnehmen, und das werden auch die Betroffenen draußen spüren; denn Sie haben ja nicht nur damals - auch das wollen wir einmal deutlich machen - die weitere Selbstversicherung verhindert, indem Sie nur die freiwillig Weiterversicherten mit 60 Monatsbeiträgen darin beließen, sondern Sie haben darüber hinaus auch für diejenigen, die drinbleiben konnten, die Möglichkeiten verschlechtert, so daß es heute unterschiedliche Renten für Pflichtverversicherte und für solche gibt, die als freiwillig Weiterversicherte gleiche Beiträge zahlten wie
Pflichtversicherte, aber durch schlechtere Möglichkeiten der Anrechnung zum heutigen Zeitpunkt eine schlechtere Rente haben. Das sind Selbständige. Auch das ist damals, 1957, geschehen.
Aber wir hatten ja die Hoffnung, daß es 1961 besser würde, als wir Freien Demokraten mit Ihnen in die Koalition gingen und glaubten, über diese Dinge mit Ihnen sprechen zu können. Aber wie war es denn von 1961 bis 1965? Jeder Antrag wurde abgelehnt. Wir war es denn am 1. April 1965, als ein Antrag der FDP, Ihres Koalitionspartners, hier in diesem Hause zur Debatte stand und als auf diesen Antrag erklärt wurde:
Gestatten Sie mir einen Rückblick auf die Rentenreform von 1956. Damals haben wir bewußt aus der Invaliden- und Angestelltenversicherung wiederum eine Arbeitnehmerversicherung machen wollen. Wir haben das dadurch getan, daß wir die bis dahin möglich gewesene Selbstversicherung beseitigt und für die neue Rentengesetzgebung nicht mehr zugelassen haben.
Dasselbe wurde 1965 wieder erklärt; wieder ein Beweis dafür daß Sie nicht bereit waren, das, was Sie heute mit so warmen Worten begründen, damals zu einem Zeitpunkt, wo diese Tatsachen genauso bestanden, durchzuführen, obwohl wir diesen Antrag gestellt hatten.
Noch ein Zitat, damit Sie einmal ein bißchen sehen, wie Sie sich gewandelt haben und auch die Öffentlichkeit das sieht, ein Zitat vom selben Tage, vom 1. April 1965, auf unseren Antrag hin:
Wenn wir heute dem Antrag der FDP unsere Zustimmung geben wollten,
({9})
würden wir von diesem Prinzip, das wir damals neu verankert haben, abweichen.
Alles Aussprüche gegen die Selbständigen und deren Möglichkeit zur Weiterversicherung, um die Sie sich heute so sehr bemühen. - Bitte Herr Kollege Ruf!
Herr Kollege Schmidt, Sie müssen doch zugeben, daß wir uns damit nicht gegen die Selbständigen ausgesprochen haben, sondern für die Erhaltung und Sicherung der Rentenversicherung, um die es damals ging.
Herr Kollege Ruf, Sie haben sich natürlich gegen die Selbständigen ausgesprochen, denn vor 1956 gab es die Möglichkeit der Selbstversicherung. Hätte man damals nicht eine andere Entscheidung getroffen, dann wäre diese Möglichkeit geblieben und wir hätten heute nicht die Probleme vieler alter Selbständiger ohne Altersversorgung, die damals nicht hinein konnten oder wieder heraus mußten.
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir im Jahre 1957 das Umlagesystem eingeführt haben und daß sich mit einem Umlagesystem in der Rentenversicherung ein freiRuf
williger Beitritt und eine freiwillige Selbstversicherung einfach nicht vertragen? Sie kennen doch die Grundprinzipien unserer Rentenversicherung.
({0})
Herr Kollege Ruf, wir können ja gern die ganzen Protokolle der damaligen Zeit, auch des Ausschusses, noch einmal durchgehen. Vielleicht werden wir auch bei den Ausschußberatungen Zeit haben, auf einiges zurückzugreifen, und Sie werden dann feststellen, daß jedenfalls zwei Fraktionen dieses Hauses anderer Meinung waren, nämlich der Meinung, daß man den Selbständigen einschließlich der Hausfrauen - darauf komme ich noch diese Möglichkeit lassen sollte. Dort war ja schließlich auch politischer Sachverstand vorhanden, nicht nur bei der CDU CSU, die damals die Mehrheit hatte und die die Dinge dann regelte.
Leider, Herr Kollege Ruf, muß ich feststellen, daß auch während der Zeit der Großen Koalition die Dinge nicht vorankamen. Ich darf an die sehr dürftige Antwort des Bundesarbeitsministers auf unsere Anfrage V/1592 vom April 1967 erinnern, in der wir die damalige Große Koalition um Auskunft baten, wie sie sich nun die Frage der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige, Hausfrauen usw. denke. Die Anfrage war - wenn Sie sich das einmal anschauen - wesentlich länger als die Antwort. Aber Sie kennen sie wahrscheinlich, Herr Kollege Ruf; ich will mir versagen, daraus zu zitieren, um meine Zeit und den Freitagvormittag nicht über Gebühr zu strapazieren.
Meine Damen und Herren, ich kann aus der Vorgeschichte von vier Wahlperioden, von der Sie gesprochen haben, von der Kollege Schellenberg gesprochen hat und über die ich noch einmal einiges ausführen durfte, ganz klar sagen: Diese Vorgeschichte beweist, daß eine Verbesserung des Rentenversicherungsrechts zugunsten der Selbständigen zu Zeiten, als die CDU/CSU die Regierung innehatte, jedenfalls nicht möglich war, auch nicht möglich war - das gebe ich zu - als die Freien Demokraten mit der CDU/CSU in der Regierung waren, weil die CDU/CSU es ablehnte, so daß eine solche Verbesserung des Rentenversicherungsrechts für die Selbständigen eben erst durch diese Koalition möglich geworden ist, durch das, was in der Regierungserklärung festgeschrieben wurde und durch das, was in absehbarer Zeit - ({0})
- Warum haben Sie unseren Anträgen nicht zugestimmt, als wir von 1961 bis 1965 in einer Koalition waren?
({1})
- Bitte, Herr Kollege Ruf!
Würden Sie mir widersprechen, wenn ich sage, daß diese Öffnung der Rentenversicherung erst dadurch möglich geworden ist, daß die frühere Bundesregierung die Rentenversicherung gesichert und auf eine gesunde Grundlage gestellt hat?
Herr Kollege Ruf, das ist nicht eine materielle Frage, sondern zunächst einmal eine Frage der grundsätzlichen Entscheidung.
({0})
- Herr Kollege Ruf, unser Vorschlag bedeutet - das wissen Sie sehr genau und sagen es ja auch - keine erhebliche Mehrbelastung für die Rentenversicherung.
({1})
- Wenn also diese Entscheidung keine Mehrbelastung darstellt, geht es auch nicht um die Frage: wie ist die finanzielle Situation? In der Frage der flexiblen Altersgrenze, der Mindestrente und dergleichen muß man natürlich zuerst die finanzielle Zukunftsbasis kennen. Aber hier - das wissen Sie doch sehr genau - entstehen keine Mehrkosten. Also ist das auch keine Frage, die vom Volumen oder von den Möglichkeiten her gesehen werden muß.
({2}) - Sicherlich werden wir noch darüber reden.
Ich darf jedenfalls noch einmal feststellen, daß es in einer Koalition mit Ihnen - diese Erfahrung haben wir gemacht - nicht möglich war, diese Frage, die uns seit 1956 am Herzen liegt, zu lösen, daß es aber möglich ist, sie mit dieser Regierung und dieser sozialliberalen Koalition in einem guten Sinne zu lösen, was wir sehr begrüßen.
({3})
- Darüber werden wir ja noch reden, Herr Kollege Ruf. Wenn Sie aber schon von „scheinbar" sprechen, dann muß ich Ihnen sagen - ich habe es vorhin schon getan -: Ihre Vorlage scheint mir ein etwas unzulänglicher Versuch zu sein.
Ich will mich hier auf wenige Worte beschränken, weil Herr Kollege Schellenberg schon in die Details gegangen ist und ich im Grunde genommen über dieselben Probleme spreche.
Sie haben in Ihrer Begründung zum Entwurf der CDU/CSU gesagt, mit dem, was Sie täten, kämen Sie dem Interesse der Selbständigen entgegen. Dazu möchte ich aber doch die Frage stellen - leider muß ich einiges von dem wiederholen, was der Kollege Schellenberg schon gesagt hat -, ob das wirklich stimmt. Mit Ihrer Beitragsvorstellung zwingen Sie praktisch den Selbständigen, dessen Einkommen Schwankungen unterliegt, dazu, eine einmalige Entscheidung über Dauer und Höhe des Beitrags zu fällen, die er auf Grund bestimmter Entwicklungen vielleicht im nächsten oder übernächsten Jahr nicht mehr verantworten kann oder die er von vornherein nicht verantworten konnte. Was glauben Sie, wie viele von denen, die Sie mit so warmen Worten in Ihrer Begründung angesprochen haben, überhaupt in der Lage sind, eine solche Entscheidung zu treffen und eine solche Verpflichtung
Schmidt ({4})
zu übernehmen? Sollen vielleicht. die Beiträge, die sie angesichts ihrer Einkommenssituation gar nicht aufbringen können - wir haben ja gehört, daß 13 % weniger als 600 DM verdienen -, zwangsweise eingezogen werden? Sie verlangen also von den Selbständigen eine Entscheidung über einen Beitrag von 18 % - nach Ihren Vorstellungen müssen sie ja den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag übernehmen -, einen Beitrag, den ein großer Teil derjenigen, um die es hier geht, überhaupt nicht zahlen kann.
({5})
Sie wollen - das gebe ich allerdings zu - damit grundsätzlich eine Vollsicherung erreichen. Wir sind jedoch der Meinung, daß man diese Vollsicherung angesichts der unterschiedlichen strukturellen Situation und der Beitragslast dem einen oder anderen nicht zumuten kann. Mancher ist gar nicht in der Lage, eine solche Entscheidung zu treffen; mancher muß dann wahrscheinlich von vornherein darauf verzichten, weil er sich sagen muß: einen Beitrag von 18 % kann ich, wenn ich mir meine Situation ansehe, einfach nicht zahlen.
Bitte schön, Herr Kollege Ruf!
Herr Kollege Schmidt ({0}), sind Sie bereit zuzugeben, daß wir alle, die wir uns um die Alterssicherung der Selbständigen Sorge machen, vor der Alternative stehen: entweder Pflichtversicherung mit einigermaßen ausreichenden Renten oder freiwillige Selbstversicherung, wie Sie sie vorsehen, mit Minirenten? Das ist die eigentliche Grundentscheidung, und hier gilt es abzuwägen.
Einverstanden! Das, was Sie bezüglich der beiden Alternativen gesagt haben, ist völlig richtig. Aber wir gehen eben den Weg der Öffnung beider Möglichkeiten. Wir wollen nicht die eine oder die andere Alternative, sondern beide Möglichkeiten, um wenigstens demjenigen, der sich nicht in der Lage sieht, die Entscheidung zur Zahlung des hohen Beitrags für die Zukunft und auf Dauer zu treffen, die Möglichkeit zu geben, sich mit einem kleineren Beitrag eine Grundsicherung zu schaffen, die natürlich nicht so hoch ausfallen kann wie die Vollsicherung; das ist ganz klar.
Sie sollten sich die Einkommensstruktur der Selbständigen gerade in den Bereichen, die Sie angesprochen haben, noch einmal ansehen und Ihre Vorstellungen wir werden das ja im Ausschuß tun - noch einmal sehr genau überdenken und prüfen, ob das, was die Bundesregierung vorschlagen wird - Sie kennen die Vorschläge; wir brauchen ja nicht so zu tun, als ob sie nicht bekannt wären -, nicht wesentlich besser ist, nicht eher im Interesse der Selbständigen liegt und eine freie Entscheidung des Selbständigen darüber, was er tun soll, nicht wesentlich leichter ermöglicht als Ihre, wie Sie sagen, Versicherungspflicht auf Antrag, die im Endeffekt eine Zwangsentscheidung für einen Beitragssatz auf Dauer ist, für den sich der Betreffende entweder krummlegen muß, um ihn überhaupt aufbringen zu können, oder zu dein er auf die Dauer gesehen von vornherein nein sagen muß, weil er nicht absehen kann, wie er die dadurch auf ihn zukommenden Verpflichtungen tragen soll. Die Frage der Freiwilligkeit und der Beitragssituation sollten Sie noch einmal überprüfen. Wir werden im Ausschuß, wenn auch die Regierungsvorlage da ist, dazu Gelegenheit haben.
Dasselbe gilt, Herr Kollege Ruf - lassen Sie mich das als zweiten für uns besonders wichtigen Punkt sagen -, für den Personenkreis. Wir halten es für einfach nicht vertretbar - sicher, bei Ihrer Beitragskonzeption ist das nicht anders möglich; ich sehe die Zusammenhänge -, daß man nur für die Selbständigen die Öffnung herbeiführt, die wir seit langem wollen. Wir sind der Auffassung, daß man auch denen, die kein Einkommen haben, Hausfrauen und mithelfenden Familienangehörigen, soweit sie nicht über Arbeitsvertrag und dergleichen abgesichert sind, die Möglichkeit geben muß, sich entweder eine Vollsicherung oder eine Grundsicherung, je nach Wahl und nach Möglichkeiten, zu schaffen, um damit all den Personenkreisen in Zukunft eine bessere Möglichkeit der Altersversorgung zu geben, über die wir uns in der letzten Zeit schon oft in diesem Hause unterhalten mußten, den Personen mit niedrigen Renten, ohne Renten, den Sozialhilfefällen und dergleichen. Diese Dinge sollen in der Zukunft einmal anders werden. Auch die Hausfrau denn „Hausfrau" ist heute ein Beruf; das ist inzwischen anerkannt - soll altersversorgungsmäßig auf dem Weg der Freiwilligkeit anders abgesichert werden, als das in der Vergangenheit der Fall war. Auch hier sollten Sie Ihre Überlegungen überprüfen. - Bitte schön, Herr Kollege Ruf!
Herr Kollege Schmidt, halten Sie es für eine Alterssicherung der Selbständigen und für eine Absicherung der Hausfrauen, wenn man ihnen lediglich theoretisch die Möglichkeit des Beitritts gibt? Muß man sich nicht auch darüber Sorge machen, wie diese Hausfrauen auch die notwendigen Beiträge bezahlen könnten? Denn sie sind doch sicher mit uns der Meinung: ohne Beiträge keine Rente. Ich fürchte, daß mit Ihrem Vorschlag wieder einmal falsche Hoffnungen geweckt werden.
Herr Kollege Ruf, das ganze Gegenteil ist der Fall. Natürlich muß man sich auch Gedanken darüber machen, wie die Beiträge gezahlt werden. Aber dadurch, daß wir eben unterschiedliche Beitragsmöglichkeiten eröffnen, können wir auch für die Hausfrau eine gewisse Grundsicherung anbieten. Es wird auf den Ehemann ankommen, natürlich. Die Ehemänner sind dann angesprochen, je nach Können und Vermögen für ihre Frau den Beitritt zur Rentenversicherung zu bezahlen. Das wird dann unterschiedlich sein. Der eine wird es mehr, der andere wird es weniger können. Aber es gehört meines Erachtens auch zu der Verantwortung eines Ehemanns, wenn diese Öffnung geschaffen wird, hier auch etwas im Rahmen seiner Möglichkeiten zu tun. Das ist ganz klar. Aber das würde natürlich nicht gehen, wenn Ihre
Schmidt ({0})
grundsätzlichen Vorstellungen von der Beitragssituation verwirklicht würden. Deshalb ist in den Vorstellungen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen und ganz besonders der Freien Demokraten eine andere Struktur vorgesehen, die zweifellos eine bessere Zukunftsentwicklung der Rentenversicherung für diese Personenkreise schaffen wird, als das nach Ihrer Vorstellung möglich ist.
Ich will es mir jetzt um der Zeit willen - auch bei mir läuft die Uhr weiter - um des Vormittags willen ersparen, noch auf Fragen der Nachversicherung usw. einzugehen. Wir sind uns völlig einig, die Nachversicherung muß geregelt werden. Auch die Frage der alten und uralten Last steht noch zur Diskussion. Auch darüber sind wir uns einig. Wir halten allerdings Ihren Weg der Stiftung nicht für zweckmäßig. Man muß sich vielleicht noch etwas einfallen lassen. Wir wollen einmal sehen, was wir in dieser Frage tun können.
Lassen Sie mich abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einmal feststellen, daß wir Freien Demokraten den vorliegenden Gesetzentwurf nicht für glücklich, nicht für ausgewogen, nicht für ausgereift und nicht für ausreichend halten, um den wirklichen Problemen gerecht zu werden. Wir werden ihn im Ausschuß an den bis dahin ebenfalls vorliegenden Entwürfen der von uns getragenen Bundesregierung, die von den Regierungkfraktionen, ganz besonders von der FDP, in ihrer Konzeption begrüßt werden, messen. Ich bin sicher, auch Sie werden feststellen, daß Ihr Entwurf etwas zu leicht befunden werden muß und daß das, was die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen vorschlagen werden, der bessere Weg zur Öffnung der Rentenversicherung für alle ist.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vor etwa zwei Jahren Mitglied des Bundestages wurde, hörte ich von dieser Stelle immer wieder, die Opposition habe ihre Rolle noch nicht erkannt; sie wisse noch nicht, daß sie Opposition sei. ln den letzten Monaten erlebe ich nun immer wieder, daß diese Opposition Vorlagen einbringt - und zwar Gesetzesvorlagen - und die Regierungskoalition von hier aus immer wieder diese Vorlagen kritisiert. Wir hören, daß Probleme dringend einer Lösung bedürfen; es wird in Aussicht gestellt, daß dieses oder jenes bald geschehen werde. Und was hier im Hause dann geschieht, ist Kritik an dem, was die Opposition an konkreten Vorlagen einbringt.
Soeben wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß wir das Problem der Alterssicherung für Selbständige nicht hätten, wenn im Jahre 1956 die Selbstversicherung nicht abgelehnt worden wäre. Nun, die Selbstversicherung - darauf hat der Kollege Ruf hingewiesen - ist nicht mit unserem derzeitigen Rentensystem vereinbar, und die Regierung brauchte sicher nicht noch zwei Jahre, um sich zu diesem Problem etwas einfallen zu lassen, wenn sie den Gesetzentwurf von 1956 hier einfach hätte einbringen können. Sie muß eine Konzeption finden, die mit dem Umlagesystem der Rentenversicherung vereinbar ist. Die Selbstversicherung ist es nicht. Im übrigen hätte die Selbstversicherung mit Sicherheit dazu geführt, daß nur geringe Beiträge gezahlt worden wären, und wir hätten heute das Problem einer ausreichenden Alterssicherung für Selbständige nach wie vor.
Herr Kollege Schellenberg hat behauptet, der Gesetzentwurf der CDU/CSU mißachte die Bedingungen der Selbständigen. 18 % des Einkommens für Beiträge sei nicht mit der Situation des Selbständigen vereinbar. Nun, wir verkennen nicht, daß einkommensgerechte Beiträge für den Selbständigen schwer aufzubringen sind. Immerhin hat der Arbeitgeberanteil Lohnfunktion, und der Arbeitnehmer zahlt praktisch diesen Arbeitgeberanteil auch, und wenn wir zu einkommensgerechten Lösungen kommen wollen, dann müssen es diese 18 % bleiben.
Nun hat Herr Schmidt ({0}) darauf hingewiesen, daß der Regierung entweder einkommensgerechte Beiträge oder die freiwillige Lösung vorschwebten, auf die gerade die FDP einen so großen Wert zu legen scheint. Wenn diese freiwillige Lösung eingeführt wird, so daß jeder Selbständige die Beiträge selbst wählen, die Zahlungen aussetzen oder geringere Beiträge leisten kann - nun, was wird das Ergebnis sein? Das werden Beiträge minderen Rechts sein - wie bei der jetzigen Weiterversicherung -; denn bei diesen Beiträgen verbietet sich konsequenterweise - darauf hat auch der Kollege Schellenberg hingewiesen -, wenn die Dreivierteldeckung nicht erreicht ist, die Anrechnung der Ausfall- und Ersatzzeiten. Wenn es nun noch nicht einmal einkommensgerechte Beiträge sind und dann auch noch die Anrechnung ,der Ausfall- und Ersatzzeiten nicht erfolgt, dann muß es Minirenten geben, und das kann nicht die Altersversorgung für Selbständige sein, die wir uns alle vorstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Pinger, haben Sie übersehen, daß ich erklärt habe: Jeder Selbständige muß einkommensgerechte Beiträge zahlen, erhält aber beitragsfreie Zeiten nur, wenn er ständig diese einkommensgerechten Beiträge zahlt?
Ich habe das durchaus so verstanden. Wenn Ihnen diese Lösung vorschwebt, dann ist das genau das, was wir in unserem Gesetzentwurf vorgesehen haben: ständig einkommensgerechte Beiträge.
({0})
Nur bei einkommensgerechten Beiträgen werden Sie den Selbständigen - und die Notwendigkeit dazu haben Sie betont - die gleichen Rechte geben,
wie sie die Arbeitnehmer haben. Eröffnen die Beiträge aber nicht die gleichen Rechte, so sind sie minderen Rechtes, sind weniger wert, und wenn geringere Beiträge gezahlt werden - danach richtet sich ja auch die Rente - , muß das eine Mini-Rente ergeben. Wir können dem Selbständigen dann nicht vormachen, das sei eine solide Alterssicherung. Wenn ohnehin das Rentenniveau im nächsten Jahr wahrscheinlich auf 40,5 % sinken wird, die Rente für den Selbständigen auf Grund dieser freiwilligen Lösung aber bei weitem darunter liegt, dann frage ich mich, ob wir damit den Selbständigen wirklich aus der Situation herausholen, doch zur Sozialhilfe gehen zu müssen und zum Bettler der Gesellschaft zu werden. Das wollen wir verhindern. Wir sehen aber nur die Möglichkeit einkommensgerechter Beiträge, um zu einer wirklichen Lösung des Problems zu kommen.
Insbesondere von der FDP wird polemisiert, das sei eine Zwangsjacke. Dazu können wir nur sagen: Wer in die Rentenversicherung hinein will - er hat ja die Wahl, ob er das tun will oder nicht -, der soll wissen, daß er die gleiche Grundsicherung erhält wie der Arbeitnehmer.
Von beiden Seiten ist darauf hingewiesen worden, daß sich einkommensgerechte Beiträge nicht vertrügen mit dem schwankenden Einkommen des Selbständigen. Nun, das ist ein rein technisches Problem, den Beitrag jeweils an das schwankende Einkommen des Selbständigen anzupassen. Das Einkommen kann grundsätzlich auf den Steuerbescheid bezogen werden, man kann aber bei Schwankungen auch durchaus ständig eine Angleichung vornehmen. Das ist also kein stichhaltiger Einwand gegen unsere Lösung.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben gesagt, der Selbständige habe nur die Wahl: sofort oder nie. Nun, Sie müßten gesehen haben, daß er zwei Jahre Zeit hat, sich das zu überlegen. Nach unserer Konzeption hat er dann noch eine Übergangszeit von drei Jahren, in denen er nur in jedem zweiten Monat den einkommensgerechten Beitrag zu zahlen braucht. Wir haben das vorgesehen, um das zu erreichen, was auch Sie anstreben, nämlich, daß der Selbständige in der Zeit der Selbständigkeit diese Wahl auch echt treffen kann. Die Formel: sofort oder nie! stimmt also nicht mit der Gesetzesvorlage überein, die wir eingebracht haben. Sie sehen an unserer Übergangsregelung, daß wir das Problem erkannt haben, und wir meinen, daß wir es einer sachgerechten Lösung zugeführt haben.
Sie haben dann noch einmal die Bedürfnisse des Selbständigen mit besonders kleinem Einkommen, die 18 %igen Beiträge und die Zwangsbeitreibung angesprochen. Dazu muß ich noch einmal sagen: Die Situation des Arbeitnehmers ist genau dieselbe: wenn er seinen Beitrag nicht leisten kann oder wenn er nicht für ihn geleistet wird, erfolgt die Zwangsbeitreibung. Wenn wir davon ausgehen, daß es für den Arbeitnehmer zumutbar ist, 18 °/o seines Lohnes für seine Alterssicherung aufzubringen, müssen wir von dem Selbständigen - ich verkenne nicht, daß das hart sein kann - zu seiner eigenen Sicherheit, damit sich für ihn nicht Beiträge minderen Rechtes ergeben, ebenfalls fordern, daß er für die gesamte Zeit bis zum Eintritt des Rentenalters diese Verpflichtung einhält. Hält er sie nicht ein, bekommt er nicht die Rente, die er erwarten kann.
Nun, Herr Kollege Schellenberg, haben Sie von „reißerischen Angeboten" gesprochen, was die beitragslosen Zeiten angeht. Da zeigt sich allerdings eine Verbindung zu dem, was Sie vorher gesagt haben. Wenn wir von gleichen Rechten und Pflichten sprechen, dann bieten wir auch die beitragslosen Zeiten an. Das ist kein reißerisches Angebot, das ist das Recht des Selbständigen, daß er genauso gestellt wird wie der Arbeitnehmer.
({1})
Ein reißerisches Angebot wäre es dann, wenn Sie so tun, als würden Sie nicht bei gleicher Beitragszahlung doch beitragslose Zeiten anbieten.
Wenn von einem „reißerischen Angebot" an die Selbständigen gesprochen wird, so kann ich darin nur die Einstellung erkennen, daß Sie den Selbständigen nicht genau dasselbe - bei gleicher Leistung an Beiträgen - geben wollen wie den Arbeitnehmern. Das ist nun allerdings unsere Konzeption. Wenn Sie darauf hinweisen, daß das 350 Millionen DM Kosten verursacht,
({2})
- es mag mehr sein , so kann ich nur sagen:
wenn neue Schichten in die Rentenversicherung hineinkommen, die Selbständigen, dann ist es selbstverständlich, daß aus diesen jetzt sofort einkommenden Beiträgen im Umlagesystem sofort Renten gezahlt werden können, und zwar Renten, bei denen auch die beitragslosen Zeiten wie bei den Arbeitnehmern voll angerechnet werden. Man darf also nicht nur die Belastungen sehen, man muß auch sehen, was jetzt durch die Einbeziehung der Selbständigen an Beiträgen hereinkommt. Sie haben aus unseren Berechnungen ersehen, daß das in den nächsten 15 Jahren zunächst enorme Überschüsse sind.
({3})
Wenn Sie, Herr Kollege Schellenberg, da von Phantastereien der Berechnung sprechen, dann würde ich zwar zubilligen, daß der Berechnung gewisse Vermutungen und Annahmen zugrunde liegen; aber wo geschieht das bei der Rentenversicherung nicht?! Wie kommt man denn auf die 137 Milliarden DM Überschuß, wenn nicht zunächst einmal gewisse Prognosen zugrunde gelegt werden, die man jetzt nicht rechnerisch absolut bestätigen kann? Wir sind von soliden Grundprognosen ausgegangen und zu diesen enormen Überschüssen von 1 bis 3 Milliarden DM im Jahr durch die Einbeziehung der Selbständigen gekommen. Wenn dem 350 Millionen DM, und sei es auch etwas mehr, an Belastungen durch beitragslose Zeiten gegenüberstehen, muß ich immer noch feststellen, daß das für die Rentenversicherung ein gutes Geschäft ist.
Wenn Sie dennoch „reißerisches Angebot" sagen und wenn Sie dann hier ankündigen - so muß ich
Sie verstehen -, daß Sie den Selbständigen die beitragslosen Zeiten nicht zugute kommen lassen wollen, widerspricht das dem, was Sie vorher sagten: Sie wollten endlich das Problem der Öffnung der Rentenversicherung in den Griff bekommen, es sei seit 1956 Ihr Anliegen gewesen, das Problem nun endlich zu lösen. Was wir durch das bekommen, was Sie hier ankündigen, nicht als Gesetzenwurf vorlegen, sondern durch die Regierung unverbindlich ankündigen lassen, ist eine schlechte Lösung. Das ist eine Scheinlösung für die Selbständigen unter dem Mäntelchen der Freiheit für die Selbständigen; da wird den Selbständigen Sand in die Augen gestreut.
({4})
({5})
Wir sind ehrlich genug zu sagen, wir wollen ein gutes, ein faires Angebot an die Selbständigen. Wir sind offen genug zu sagen, was das allerdings an Belastungen für die Selbständigen mit sich bringt, nämlich den vollen Beitrag von 18 %. Im übrigen zwingen wir den Selbständigen nicht, wir lassen ihm freie Wahl, und wir geben ihm eine Übergangszeit. Wenn er allerdings diesen Entschluß gefaßt hat, so soll er die 18 % zahlen, soll dann aber auch die beitragslosen Zeiten bei der Rente ebenso angerechnet bekommen wie der Arbeitnehmer. Da scheint mir in Ihrer Argumentation ein Bruch zu sein. Sie werfen uns vor, wir wollten nichts Entsprechendes tun, und sprechen auf der anderen Seite von reißerischen Angeboten.
Sie haben behauptet, der Gleichheitsgrundsatz werde verletzt, wenn man die Rentenversicherung nicht gleichzeitig mit den Selbständigen auch für weitere Gruppen, insbesondere die Frauen, öffne. Wünschenswert ist, daß man in der Rentenversicherung alles gleichzeitig tut. Was aber daraus werden kann, sehen wir zu dieser Zeit. Wer alles gleichzeitig machen will, kommt zu nichts, oder er kommt sehr viel später dazu.
Wir haben bei der Regelung der Probleme aus unserem Rentensystem Prioritäten gesetzt. Das ist einmal die allgemeine Anhebung des Rentenniveaus, und das ist zum andern die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige, und das nicht von ungefähr, sondern deshalb, weil der Strukturwandel in den letzten Jahren so rasant geworden ist, daß das Problem dringendst einer Lösung bedarf, speziell, wie wir wissen, im Hinblick auf den Personenkreis von Selbständigen, die es besonders angeht, nämlich die Einzelhändler. Von ihnen werden im Jahr 26 000 durch den Wettbewerb verdrängt. Es geht darum, ihnen möglichst bald eine Möglichkeit zu eröffnen, über eine Rentenversicherung für ihr Alter zu sorgen, insbesondere über eine Nachentrichtungsmöglichkeit.
Nun möchte ich noch zu der von uns vorgesehenen Stiftung etwas sagen. Sie haben uns vorgehalten, daß der Betrag von 150 Millionen DM, der vorgesehen ist, ein geringer Betrag ist und daß von diesem Betrag nur relativ wenige Selbständige einen Vorteil haben würden. Wir verkennen nicht, daß diese Stiftung für Selbständige nur in äußersten Härtefällen eine Hilfe geben kann. Das ist - wir machen keinen Hehl daraus - nicht etwas für alle Selbständigen, auch nicht für alle Härten, sondern für die äußersten Härtefälle, etwa für diejenigen, die, wenn sie über 50 sind, aus ihrer Selbständigkeit verdrängt werden, dem Wettbewerbsdruck erliegen, dann unselbständig tätig werden und die 180 Monate an Beiträgen, die für eine Rente notwendig sind, nicht mehr erreichen würden. Um in solchen Fällen eine Nachentrichtung zu geben, dafür zu sorgen, daß nicht Beiträge gezahlt werden, ohne daß überhaupt eine Rente herauskommt, wenn einer bei der rasanten Entwicklung der letzten Zeit unter die Räder des Wettbewerbs zu kommen droht, haben wir diese Stiftung vorgesehen, und zwar mit Rechtsanspruch. Uns wäre es am liebsten gewesen, diesen Rechtsanspruch bereits jetzt im Gesetz zuzuerkennen. Die statistischen Unterlagen gestatten es uns nicht, das jetzt zu tun. Das müssen wir also einem Antragsverfahren überlassen, das dann durch die Stiftung selbst durchgeführt wird.
Herr, Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit schon abgelaufen ist.
Dann möchte ich zum Schluß noch ganz weniges zu der steuerlichen Regelung sagen. Daß der Selbständige den Arbeitgeberanteil bei den Sonderausgaben vorweg abziehen kann, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Bei den Arbeitnehmern wird der Arbeitgeberanteil steuerlich voll berücksichtigt. Das muß, wenn wir von dem Prinzip gleicher Rechte und Pflichten ausgehen, auch beim Selbständigen der Fall sein. Es wird für uns eine zwingende Forderung sein, daß diese steuerliche Vergünstigung auch dem Selbständigen zu- gute kommt. Wir müssen auch überlegen, wie diese steuerliche Vergünstigung ihm bei der Nachentrichtung von Beiträgen zugute kommt.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen, daß wir eine schnelle Lösung wünschen, daß wir keine Scheinlösung wünschen und daß wir dem Selbständigen mit der Lösung dieses Gesetzentwurfs ein faires Angebot machen. Wir sind überzeugt, daß wir das Problem der Altersversicherung für Selbständige durch diesen Gesetzentwurf in den Griff bekommen.
Herr Abgeordneter gestatten Sie zum Schluß noch eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Ruf?
Herr Kollege Pinger, würden Sie so freundlich sein und mir bestätigen, daß wir in unserem Gesetzentwurf nicht - wie die SPD behauptet - einen zusätzlichen Vorwegabzugsbetrag vorgesehen haben, sondern daß wir vorsehen, daß die halben Beiträge auf den Vorwegabzug angerechnet werden?
({0})
Ich will das gern tun. Ich glaube, es war gut, daß das hier noch klargestellt worden ist.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte hat sehr deutlich gezeigt, daß es große Lücken und Mängel im Entwurf der Opposition gibt. Die Bundesregierung wird in Kürze einen besseren und umfassenderen Entwurf im Rahmen des Auftrages des Bundestiges zur zweiten Rentenreform vorlegen. Die Grundlinien dieses in Arbeit befindlichen Entwurfs sind ja schon weithin bekannt. Deshalb kann ich es mir versagen, in diesem Augenblick im einzelnen dazu Stellung zu nehmen.
({0})
Ich möchte zu einem allgemeineren Aspekt ein paar Bemerkungen machen - Herr Ruf -, er betrifft mehr die Arbeitsmethoden. Sie verkünden mit Stolz - das haben Sie jetzt getan, und das haben Sie auch bei anderen Gesetzesvorhaben getan -, Sie hätten als erste einen Entwurf für die Öffnung der Rentenversicherung vorgelegt.
({1})
Was ist denn da wirklich dran? Sie waren doch lange
genug in der Regierung, um zu wissen, daß man - ({2})
- Bitte? - Nein, nicht die alte Platte. Sie wissen es ganz genau. Immer wenn wir eine Vorlage ankündigten, dann kamen Sie mit einem Gesetzentwurf und waren ganz stolz und nahmen das Erstgeburtsrecht in Anspruch. Sie waren doch lange genug in der Regierung, um zu wissen, daß man einen Gesetzentwurf gründlich und solide vorbereiten muß
({3})
und daß dazu Abstimmungsgespräche mit den Fachverbänden, mit den Ländern, mit den Abstimmungskreisen und mit den Ressorts erforderlich sind. Sie wissen, daß wir umfangreiche Rechnungen anstellen müssen und daß diese Rechnungen abzustimmen sind.
Hier ist doch deutlich geworden, daß in Ihrem Entwurf - ich sage das noch einmal - viele Mängel enthalten sind. Es ist Ihnen natürlich ein leichtes, rasch und ohne größere Vorarbeiten einen entsprechenden Entwurf vorzulegen, und sei er noch so lückenhaft und noch so wenig durchgerechnet und noch so wenig haushaltsmäßig abgesichert. Mit anderen Worten: Sie nehmen zwar das Erstgeburtsrecht in Anspruch, aber die Wahrheit ist im Grunde genommen, daß Sie sich ganz schlicht an die Regierungsvorlagen und -absichten anhängen. Die wirkliche Basis für spätere Gesetze sind die jeweils vorgelegten und gut fundierten Regierungsvorlagen gewesen. Das läßt sich gar nicht bestreiten.
({4})
So wird es, davon bin ich fest überzeugt, auch bei dem Vorhaben der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige - in unserem Regierungsprogramm der Reform der Rentenversicherung ist das ein wichtiger Punkt - sein.
({5})
Ich möchte das einmal im Interesse der parlamentarischen Redlichkeit gesagt haben.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stehen am Ende der ersten Beratung,. die ich hiermit schließe. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf der CDU/CSU betreffend Rentenversicherung für Selbständige an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - sowie an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Andere Vorschläge liegen nicht vor. - Es ist so beschlossen.
Dann treten wir in die Beratung des letzten Punktes der heutigen Tagesordnung ein:
Fragestunde
- Drucksache VI/2603 Wir setzen zunächst die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern fort. Zur Beantwortung steht der Herr Staatssekretär Dr. Rutschke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem immer noch bestehenden echten Bedarf der Geschädigten nach Aufbaudarlehen aus dem Lastenausgleich sowie der Tatsache, daß die Gewährung solcher Darlehen nach geltendem Recht allgemein ani 31. Dezember 1971 ausläuft, insofern Rechnung zu tragen, als sie entsprechend den Empfehlungen des Kontrollausschusses und des Ständigen Beirates beim Bundesausgleichsamt alsbald eine Regelung vorlegt, die eine kontinuierliche Bereitstellung entsprechender Mittel auch für die Jahre 1972 bis 1974 vorsieht?
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß nach § 323 Abs. 1 des Lastenausgleichsgesetzes allgemeine Mittel für die Gewährung von Aufbaudarlehen über das Rechnungsjahr 1971 hinaus nicht mehr bereitgestellt werden können. Unberührt hiervon bleibt die Gewährung von Aufbaudarlehen an Spätberechtigte, insbesondere an Aussiedler, für die Mittel in ausreichendem Umfang auf Grund der Sonderregelung des § 323 Abs. 8 des Lastenausgleichsgesetzes, die nicht befristet ist, auch in den kommenden Jahren noch zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, in dem auf Grund der Entschließung des Deutschen
Staatssekretär Dr. Rutschke
Bundestages vom 11. November 1970 noch in diesem Jahr von ihr vorzulegenden Entwurf eines 25. Ändedungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz eine Regelung vorzuschlagen, die eine Bereitstellung von Darlehensmitteln für weitere drei Rechnungsjahre vorsieht. Sie geht dabei von der Erwägung aus, daß in diesem Stadium der Abwicklung des Lastenausgleichs die Erfüllung der Hauptentschädigung den Vorrang haben muß und daß die weitere Bereitstellung von Mitteln für die Gewährung von Aufbaudarlehen zwangsläufig zu einer Kürzung der für die Hauptentschädigung sonst verfügbaren Mittel führen würde.
Nach der gegenwärtigen Finanzsituation des Ausgleichsfonds könnten die für Aufbaudarlehen erforderlichen Mittel in Höhe von je 100 Millionen DM in den Jahren 1972, 1973 und 1974 nur durch Aufnahme weiterer Kredite beschafft werden. Abgesehen davon, daß von vornherein 300 Millionen DM für die Abwicklung der Hauptentschädigung ausfallen würden, entstünden dem Ausgleichsfonds aus der Kreditaufnahme zusätzliche Kosten für Zinsen in Höhe von etwa 225 Millionen DM.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das heißt also, daß die Bundesregierung die Auffassung vertritt, daß Aufbaudarlehen in der Wohnungswirtschaft, der Landwirtschaft und der gewerblichen Wirtschaft für Vertriebene und Flüchtlinge mit Ausnahme der Spätaussiedler nicht mehr zur Verfügung gestellt werden können, um die Hauptentschädigung nicht zu schmälern, obgleich die Darlehen mit Verzögerung in den Fonds zur Leistung der Hauptentschädigung wieder zurückfließen?
Dr. Rutschke, Staastsekretär im Bundesministerium des Innern: Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf hinweisen, daß ja zusätzliche Kosten. von 225 Millionen DM entstehen würden. Nachdem seit 1957 bereits viermal eine Verlängerung der Aufbaudarlehen erfolgt ist, sieht die Bundesregierung die Erfüllung der Hauptentschädigung in der Tat als vorrangig an.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung dabei auch in Betracht gezogen, daß vom Bundestag und von der Bundesregierung, soviel ich weiß, seinerzeit festgestellt worden ist, daß im Bereich der landwirtschaftlichen Siedlung noch etwa 40 000 Stellen, hauptsächlich Nebenerwerbsstellen, bis 1974 geschaffen werden sollen, wovon his jetzt noch nicht die Hälfte erfüllt ist?
Dr. Rutschke, Staastsekretär im Bundesministerium des Innern: Wir bemühen uns, diese Forderung zu erfüllen; das wissen Sie, Herr Abgeordneter. Ich hoffe, daß es uns gelingen wird, dieser Forderung rechtzeitig nachzukommen.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Ist zu erwarten, daß die Bundesregierung entsprechend der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 11. November 1970 im Jahre 1971 im Rahmen der Kriegsschadenrente eine Schlußregelung für die Berücksichtigung von solchen ehemals Selbständigen vorlegt, die bei den jetzigen Jahrgangs- und Erwerbsuntähigkeitsvoraussetzungen nicht berücksichtigt werden können?
Herr Staatssekretär!
Dr. Rutschke, Staastsekretär im Bundesministerium des Innern: Die für die Leistungsseite des Lastenausgleichs gemeinsam federführenden Ressorts haben den Entwurf eines 25. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes fertiggestellt, der entsprechend der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 11. November 1970 eine abschließende Regelung für das weitere Hineinwachsen ehemals selbständiger Geschädigter in die Kriegsschadenrente vorsieht. Der Gesetzentwurf soll nach erfolgter Abstimmung mit den zu beteiligenden Ressorts im Oktober dieses Jahres dem Kabinett zugeleitet werden.
Die in dem Entwurf vorgeschlagene Regelung schließt an die durch das 23. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 23. Dezember 1970 hergestellte Rechtslage an. Sie sieht vor, alle diejenigen Geschädigten, die nach 1906 - Frauen nach 1911 -geboren sind oder nach dem 31. Dezember 1971 erwerbsunfähig werden, in die Unterhaltshilfe hineinwachsen zu lassen, wenn sie vom Beginn des normalen Arbeitslebens ab bis zur Schädigung insgesagt mindestens 10 Jahre selbständig erwerbstätig waren.
Im gleichen Umfang sollen auch solche Geschädigte berücksichtigt werden, die in dem entsprechenden Zeitraum als Familienangehörige von einem Selbständigen wirtschaftlich abhängig gewesen sind. Hierbei werden Zeiten einer Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger und als späterer Betriebsnachfolger zusammengerechnet.
In dem Gesetzentwurf wird darüber hinaus die Dynamisierung der Unterhaltshilfe vom 1. Januar 1973 an vorgeschlagen. Die Bundesregierung trägt damit zugleich der vom Bundesrat beim ersten Durchgang des 3. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes gefaßten Entschließung - Drucksache 583/70
Rechnung.
Keine Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Die Frage 90 des Abgeordneten Weigl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Dr. Weber ({0}) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zahlreiche deutsche Staatsangehörige, die vor langer Zeit in der französischen Fremdenlegion Militärdienst ableisteten, dort aber vor ihrer Entlassung flüchteten, bei Reisen in Frankreich verhaftet und bis zur Gerichtsverhandlung wochenlang inhaftiert werden?
Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Frage 91 beantworte ich wie folgt. Der Bundesregierung sind in den vergangenen 15 Monaten sechs derartige Verhaftungsfälle bekanntgeworden. Soweit eine Verurteilung erfolgt ist, haben die abgeurteilten Legionäre ihre jeweilige Strafe nicht voll abbüßen müssen, da sie entweder amnestiert wurden oder die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Falls ein Legionär den Legionärsvertrag vor Vollendung des 20. Lebensjahres ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossen hat, wird er nach einer Grundsatzentscheidung der Cour de Cassation vom 2. Dezember 1968 nicht vor Gericht gestellt, sondern wie in einem kürzlichen Falle - nach Ermittlung des Sachverhalts wieder aus der Haft entlassen.
Eine Zusatzfrage.
Wie lang sind die verhängten Freiheitsstrafen durchschnittlich?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich Ihnen hier nicht definitiv beantworten. Das müßte ich nachprüfen. Wir haben keine Statistik darüber. Ich kann Ihnen aber sagen, daß die Strafen in den Fällen, die uns vorliegen, relativ kurz sind bzw. daß relativ rasch eine Strafaussetzung oder -verkürzung erfolgt ist.
Bitte, Herr Abgeordneter, eine weitere Zusatzfrage.
Treffen Mitteilungen einer Illustrierten zu, daß allein in diesem Sommer 20 deutsche Staatsangehörige bei ihrem Aufenthalt in Frankreich verhaftet worden sind?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich hatte vorhin bereits darauf hingewiesen, daß uns in den letzten 15 Monaten sechs solcher Fälle bekanntgeworden sind. Nach allen Erhebungen, die wir angestellt haben, ist die von Ihnen genannte Zahl nicht zutreffend.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Dr. Weber ({0}) auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Strafverfolgungen und Verurteilungen auf Grund dieses Tatbestands zu verhindern?
Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: In allen bekanntgewordenen Fällen haben sich die deutsche Botschaft in Paris und das deutsche Generalkonsulat in Marseille eingeschaltet und die Betroffenen im Rahmen des konsularischen Rechtsschutzes betreut. Nach französischem Recht wird eine Verletzung des Legionärsvertrages wie Fahnenflucht behandelt. Da die Namen der betreffenden Personen im französischen Fahndungsbuch ausgeschrieben sind, droht ihnen bei der Einreise oder bei einer Personalkontrolle in Frankreich die Verhaftung. Auf diese französische Rechtspraxis werden Anfrager von deutschen Behörden pflichtgemäß hingewiesen.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Parlamentarische Staatssekretär, besteht Aussicht, daß - losgelöst von der Hilfe im Einzelfall - eine generelle Regelung herbeigeführt werden kann, daß Verfolgungen auf Grund früherer Zugehörigkeit zur Fremdenlegion in Frankreich nicht mehr erfolgen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, wer sich für den Eintritt in die Fremdenlegion entscheidet, unterwirft sich den Bestimmungen, die er dort unterschrieben hat. Es ist nicht Aufgabe zwischenstaatlicher Verträge, solche Dinge hinterher zu regeln. Diejenigen, die sich anwerben lassen und noch nicht 20 Jahre alt sind, werden, wie ich Ihnen schon gesagt habe, dann von den Strafbestimmungen ausgenommen, wenn der gesetzliche Vertreter ihr Verhalten nicht gebilligt hat, d. h. wenn sie als Unmündige unterschrieben haben. Wenn sie die Unterschrift aber im Besitz der Mündigkeit geleistet haben, müssen sie wohl auch die Folgen selbst verantworten und tragen.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ein Großteil der - wenigstens mir persönlich bekannten Fälle liegt ja 10, 12, 15 Jahre zurück. Betrachtet es die Bundesregierung nicht als ihre Pflicht, mit Rücksicht auf diese lange zurückliegende Zeit und den mittlerweile auch gewonnenen Abstand zur Meldung zur Fremdenlegion hier nicht nur im Einzelfall zu helfen, sondern mit einer generellen gesetzlichen Regelung einzuspringen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, eine gesetzliche Regelung von unserer Seite würde der Sache ja gar nicht dienen. Wir haben in der Vergangenheit dort, wo Härtefälle vorlagen, nicht ohne Erfolg eingegriffen. Aber es handelt sich um Bestimmungen des französischen Rechts, und die sind hier ganz eindeutig: es ist eine Frage des damaligen Lebensalters, wann noch eine
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
Verfolgung stattfindet, aber auch die Jahre, die inzwischen darüber hinweggegangen sind, spielen eine Rolle. Unsere Pflicht. muß es in diesem Falle sein, vor allem die möglicherweise Betroffenen, wenn sie anfragen, darauf aufmerksam zu machen. Das ist bisher in jedem Falle geschehen. Der Rechtsschutz, den wir den deutschen Staatsbürgern gewähren, hat sich jedenfalls in den Fällen, die mir vorliegen, sehr vorteilhaft ausgewirkt.
Ich kann im übrigen nur darauf hinweisen, daß dieses Problem so alt ist wie die Legion selbst.
Der Herr Abgeordnete Engelsberger hat um schriftliche Beantwortung der Frage 93 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Hermesdorf ({0}) auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen Entwurf eines Gesetzes zur Ratifizierung der am 6. Mai 1969 von dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Europäischen Konvention der Mitgliedstaaten des Europarats über den Schutt. des archäologischen Erbes vorzulegen?
Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, hat unverzüglich nach Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens zum Schutz archäologischen Kulturguts vom 6. Mai 1969 die Vorbereitungen für das Ratifizierungsverfahren aufgenommen. Die notwendigen Verhandlungen mit den Bundesländern, in deren Händen die Durchführung des Übereinkommens liegen wird, sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung bleibt bemüht, so bald wie möglich das Ratifizierungsgesetz vorzulegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hermesdorf.
Herr Staatssekretär, können Sie angeben, wann ungefähr der Gesetzentwurf vorgelegt werden kann?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das hängt von den Entscheidungen der Länder ab, und bekanntlich ist die Bundesregierung als Prophet hier in einer schlechten Situation.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es sind wohl nicht Gründe inhaltlicher Art, die die Verzögerung bewirkt haben, sondern nur Verfahrensgründe?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Stellungnahmen der Länder liegen jedenfalls noch nicht vor. Aus diesen Stellungnahmen müßte das dann hervorgehen.
Frage 95 des Herrn Abgeordneten Niegel wird schriftlich beantwortet, denn der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragesteller haben gebeten, die Fragen 37 bis 40, 42 bis 45 schriftlich zu beantworten. Das wird geschehen. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider ({0}) ist zurückgezogen worden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung. Die Fragesteller der Fragen 46 und 47 haben um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 48 des Abgeordneten Rollmann auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; auch diese Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso auf Wunsch des Fragestellers Frage 49 des Abgeordneten Weigl. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 50 des Abgeordneten Dr. Hauser ({1}) auf:
Ist nach Kenntnis der Bundesregierung eine Vereinbarung der Bundesländer über die Einrichtung einer gemeinsamen Behörde für die Erteilung der Prüfungsnummer für Qualitätsbranntwein aus Wein gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 8 des Weingesetzes vorn 14. .Juli 1971 ({2}), wie sie bei Behandlung des Gesetzes im Vermittlungsausschuß erörtert wurde, zustande gekommen, um eine einheitliche Beurteilung der Weinbrände zu gewährleisten
Herr Staatssekretär!
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Hauser, eine Vereinbarung der Bundesländer über die Errichtung einer gemeinsamen Behörde zur Qualitätsprüfung bei Branntwein aus Wein ist bisher nicht zustande gekommen. Die Bundesregierung hält auch weiterhin an der Auffassung fest, daß sie es im Interesse einer einheitlichen Prüfung begrüßen würde, wenn sich die Länder auf eine für das gesamte Bundesgebiet zuständige Prüfungsbehörde einigen würden.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter!
Ist also, Herr Staatssekretär, bis dahin nicht sichergestellt, daß die Länder das Prüfungsverfahren nach übereinstimmenden Grundsätzen gestalten und einheitliche Prüfungsnummern erteilen, um Wettbewerbsverzerrungen auszuschließen?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Hauser, wir haben die Ländervertreter für den 7. Oktober zu einer Zusammenkunft hier in Bonn eingeladen, um die Durchführung des Weingesetzes - auch hinsichtlich anderer Punkte - mit ihnen zu besprechen. Wir werden dort die Gelegenheit nutzen, auch wieder in der schon früher von der Bundesregierung zum Ausdruck gebrachten Weise darauf hinzuwirken, daß wir zu einer einheitlichen Prüfung kommen.
Ich darf also, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, Herr Staatssekretär, unterstellen, daß die Bundesregierung ihren ganzen Einfluß geltend machen wird, daß unter den Ländern möglichst bald zumindest einheitliche Grundsätze zum Prüfungsverfahren vereinbart werden, damit so unnötige Differenzierungen in der Bewertung vermieden werden?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Sie dürfen dies unterstellen, dies ist die Absicht der Bundesregierung.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen auf; die hier von den Abgeordneten Kleinert und Dr. Böhme eingereichten Fragen Nr. 71 bis 73 werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet und als Anlage abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Dohnanyi zur Verfügung. Die Fragen des Herrn Gr. Gölter sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 76 der Frau Abgeordneten Dr. Walz auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den Äußerungen von Staatssekretär von Dohnanyi in einem Aufsatz in der Wochenzeitung „Die Zeit", daß in Zukunft Hochschuleingangsprüfungen als geeignetes Mittel zur Beseitigung des Numerus clausus ins Auge gefaßt werden müßten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, darf ich beide Fragen gemeinsam beantworten?
Wenn die Fragestellerin einverstanden ist, bitte.
Ja, bitte.
Dann rufe ich auch die Frage Nr. 77 auf:
Welche Auffassung zur weiterführenden Bildung macht sich die Bundesregierung zu eigen: die von Staatssekretär von Dohnanyi in der Wochenzeitung „Die Zeit" geäußerte Forderung nach Hochschuleingangsprüfungen als geeignetem Mittel zum Abbau des Numerus clausus oder die von Staatssekretär frau Hamm-Brücher in ihrer Rede vor dem schwedischen Nationalkomitee für kulturelle Zusammenarbeit in Europa am 2. September 1971 vertretene These, „eine neuerliche Beschränkung des Zugangs zur weiterführenden Bildung würde zur Renaissance gerade erst mühsam abgebauter Bildungsprivilegien führen"?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, in der Frage des Hochschulzugangs vertritt die Bundesregierung nach wie vor die Auffassung, die in die entsprechenden Abschnitte des Entwurfs zum Bildungsgesamtplan eingegangen ist. Damit wären Fächerkombination und Leistungsgrad in der Schule ausschlaggebend für den Zugang zur Hochschule. Die von mir in dem von Ihnen zitierten Artikel in der Zeitung „Die Zeit" gemachten Ausführungen beziehen sich auf eine langfristige Tendenz und stellen meine persönliche Meinung und nicht die der Bundesregierung dar.
Eine Zusatzfrage.
Sie würden sich also nach Ihrer persönlichen Meinung, Herr Staatssekretär von Dohnanyi - obwohl ich es etwas merkwürdig finde, daß Sie das nun bei einem Streit zwischen zwei Staatssekretären auslegen müssen - -
Frau Kollegin, Wertungen sind nicht Gegenstand von Zusatzfragen.
({0})
Ich entschuldige mich. Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob es so ist, daß Sie die Zulassung zur Hochschule rein von der Leistung abhängig machen wollen, während Frau Dr. Hamm-Brücher in dem eben zitierten Aufsatz schon gesagt hat, eine Orientierung am mehr oder minder fiktiven Bedarf käme einer Preisgabe des Bürgerrechts auf Bildung gleich.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Erlaubnis noch ein Wort zur der Einfügung anmerken, die von Frau Kollegin Walz soeben gemacht wurde: Ein Widerspruch, Frau Kollegin Walz, besteht in Wirklichkeit nicht. Ich sagte schon als Antwort auf Ihre Frage, daß die langfristige Tendenz, die ich aufgezeigt habe, nicht im Widerspruch zu dem steht, was die Bundesregierung in den Bildungsgesamtplan eingebracht hat. Hier besteht auch kein Widerspruch zwischen Frau Hamm-Brücher und mir. Wenn Sie mich fragen, welche Grundsätze hier in Zukunft gelten sollen, so kann ich an dieser Stelle wieder nur darauf hinweisen, daß Fächerkombination und Leistungsgrad in der Schule ausschlaggebend sein sollen.
Frau Kollegin, Sie haben insgesamt noch drei Zusatzfragen.
Nachdem Sie soeben eigentlich ihrem eigenen Aufsatz in der Zeitung „Die Zeit" widersprochen haben, Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, in welchen Fällen Ihre Auffassungen oder die Auffassung von Frau Hamm-Brücher die Politik der Bundesregierung zutreffend interpretiert?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat gesagt: Fächerkombination und Leistungsgrad. Dies steht auch - wenn ich das an dieser Stelle vermerhen darf - in meinem Aufsatz in der Zeitung „Die Zeit". Es steht nur ebenfalls dort, daß sich langfristig gesehen hieraus wahrscheinlich bestimmte Konsequenzen ergeben werden, die ich aufgezeigt habe. Aber das steht weder im Widerspruch zu dem, was die Bundesregierung gesagt hat, noch im Widerspruch zu den Äußerungen meiner Kollegin Frau Hamm-Brücher.
Eine weitere Zusatzfrage.
Obwohl ich Ihre Meinung nicht teilen kann, Herr Staatssekretär, möchte ich Sie fragen, ob diese Forderung nach Hochschuleingangsprüfungen, die nach Ihren Ausführungen langfristig sein sollen, aber immerhin kommen sollen, als Resignation vor dem Numerus clausus zu verstellen sind?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Nein, in keiner Weise, Frau Kollegin Walz. Ich habe in dein Aufsatz darin hingewiesen, daß jede Form einer qualitativen Beschränkung des Zugangs durch Zeugnisse - oder heute durch den Übergang im fünften Schuljahr auf das Gymnasium - auch eine quantitative Steuerung der Studentenzahl darstellt. In diesem Zusammenhang habe ich auf die langfristige Tendenz hingewiesen.
Eine letzte Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekertär, können Sie mir mitteilen, wieviel personeller und finanzieller Aufwand für die Abwicklung von Hochschuleingangsprüfungen erforderlich wäre bzw. für die Hochschulreform verloren ginge?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Sie wissen, es gibt eine Vielzahl von Staaten, die Hochschuleingangsprüfungen haben, und es gibt Staaten, die andere Verfahren haben. Die Bundesregierung hat hier eine klare
Meinung, nämlich Fächerkombination und Leistungscharakter; das kann ich nur noch einmal unterstreichen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Staatssekretär, haben Sie in dem Artikel in der „Zeit" Ihre persönliche Meinung und Ihre daraus abgeleiteten persönlichen Perspektiven entwickelt, oder haben Sie eine amtliche Erklärung der Bundesregierung abgegeben?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatsskretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Raffert, ich hatte schon gesagt, daß dies meine persönliche Meinung sei, abgeleitet aus einer langfristigen Tendenz der Entwicklung des Bildungswesens.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß auf keinen Fall von der Bundesregierung an eine Bedarfslenkung gedacht ist, die 'auf die Festlegung von Quoten in bezug auf den Zugang zu Hochschulen abzielt?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hansen, ganz so, glaube ich, kann man es nicht darstellen. Die Bundesregierung hat schon zu Beginn in den ersten Debatten hier in diesem Hause darauf hingewiesen, daß in bestimmten Bereichen auch dafür Sorge getragen werden muß, daß der Bedarf gedeckt werden kann. Das gilt zum Beispiel für den Lehrerbereich, für den Bereich der Medizin und dergleichen. Insofern läßt sich eine Bedarfsplanung im Bildungswesen nie wirklich ausschließen, denn es müssen ja die Kapazitäten für den erkennbaren gesellschaftlichen Be- darf erstellt werden.
Damit kommen wir zur Frage des Herrn Abgeordneten Josten:
Ist die Bundesregierung bereit, Grundsatzforderungen für die Errichtung von Kernkraftwerken zu stellen, welche u. a. den Bau in dichtbewohnten Gegenden und Erholungsgebieten verbieten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Josten, die Bundesregierung ist in Übereinstimmung mit der internationalen Genehmigungspraxis der Auffassung, daß Kernkraftwerke an Standorten mit dicht besiedelter Nahzone noch weitergehende Sicherheitseinrichtungen erhalten müssen als alle übrigen bisher im Inland und Ausland genehmigten Anlagen. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, hierfür ein entspre8066
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
chendes Forschungsprogramm eingeleitet. Damit ist aber nicht etwa ein Verbot für Kernkraftwerke in dicht besiedelten Gebieten ausgesprochen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika und auch in Großbritannien Kernkraftwerke nicht in dicht besiedelten Gebieten errichtet werden dürfen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Josten, dies ist der Bundesregierung nicht nur bekannt, sondern sie hat in dieser Frage eine zum Teil öffentlich geführte Auseinandersetzung mit dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Herrn Kohl, gehabt. Uns ist Ihre Feststellung durchaus bekannt, und wir haben deswegen in der Frage des Kernkraftwerkes BASF zunächst Zurückhaltung geübt und darauf hingewiesen was aus Mainz kritisiert wurde, wie ich
eben sagte - , daß zunächst noch entsprechende
Sicherheitsforschungen durchgeführt werden müßten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär! Da niemand dem Fortschritt im Wege stehen will, darf ich Sie fragen, ob nicht unter dem Gesichtspunkt, gesundheitliche Schäden für die Bevölkerung zu vermeiden, nur Standorten zur Errichtung von Kernkraftwerken zugestimmt werden sollte, welche dünn besiedelt sind?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das, Herr Kollege Josten, wird davon abhängen, welche Resultate die Sicherheitsforschung hat. Grundsätzlich muß man erkennen, daß Standortnähe einer der großen Vorteile von Kernkraftwerken ist und daß man daher aus ökonomischen Gründen nicht von vornherein den Standort in dicht besiedelten Gebieten ausschließen sollte. Worauf es ankommt, ist, durch Forschung und Technologie sicherzustellen, daß eine vollständige Sicherung der Bevölkerung gewährleistet ist.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten .Josten auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von in- und ausländischen Wissenschaftlern geäußerten Bedenken, daß die Sicherheitsmaßnahmen zur Verhütung von Schäden für die Umwelt heim Bau von Kernkraftwerken ungenügend sind?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung verfolgt aufmerksam, Herr Kollege Josten, die von verschiedenen Seiten im Inland und im Ausland gegen den Bau von Kernkraftwerken vorgetragenen Einwände.
Eine gründliche Prüfung der bisher bekanntgewordenen Bedenken durch die Reaktorsicherheitskommission und andere unabhängige Institutionen, insbesondere das Instiut für Reaktorsicherheit, hat bisher die Sorge nicht bestätigt, daß die Sicherheitsmaßnahmen in Kernkraftwerken zur Verhütung von Schäden für die Umwelt etwa unzureichend wären.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie ja auch aus Rheinland-Pfalz kommen: Ist Ihnen die Denkschrift vom Weltbund zum Schutze des Lebens bekannt, welche zum Beispiel die Bundestagsabgeordneten aus Rheinland-Pfalz erhalten haben und worin berichtet wird, daß die auf den Menschen zukommenden Gefahren verharmlost oder verschwiegen würden?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Josten, diese Denkschrift ist mir bekannt, ich habe sie studiert. Man muß hier sehr sorgfältig einen Weg finden zwischen den einerseits sehr ernst zu nehmenden, grundsätzlichen Bedenken gegenüber Technologien, wie sie zum Beispiel in den Kernkraftwerken angewandt werden - und dies gerade angesichts der Erfahrung, die wir heute mit Umweltproblemen im allgemeinen haben. Aber andererseits muß man vermeiden, wichtige und notwendige technische Entwicklungen deswegen aufzuhalten, weil man sich in eine Unsicherheit hineintreiben läßt, die in Wirklichkeit gar nicht begründet ist. Dies ist eine schwierige Politik. Die Bundesregierung hat bei ihrem Antritt, wie Sie wissen, zunächst die Kernsicherheit im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft verselbständigt. Bis dahin stand die Reaktorsicherheit unter derselben Leitung wie der Bau von Kernkraftwerken. Wir haben das getrennt, um hier eine kontrollierende Instanz zu schaffen. Wir machen ferner den Versuch, die Reaktorsicherheit auch durch Forschungsprogramme wesentlich zu erhöhen. Man darf nicht vorschnell Entschlüsse fassen, die entweder die Umwelt gefährden oder die eine so wichtige Entwicklung wie die der Kernkraft etwa völlig bremsen oder behindern würden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, daß Ihnen diese Denkschrift bekannt sei. Wären Sie bereit, mir eine schriftliche Stellungnahme Ihres Hauses zukommen zu lassen, die ich beispielsweise im Raume Sinzig, Bad Breisig, Weißenthurm, wo auch über die Errichtung eines
Kernkraftwerkes diskutiert wird, veröffentlichen könnte, da die Denkschrift zu der beachtlichen Beunruhigung der Bevölkerung beigetragen hat?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich werde das sehr gern tun, Herr Kollege Josten. Die Bundesregierung hat hier schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß wir gerade in dieser Beziehung die Abgeordneten des Deutschen Bundestages unterstützen wollen.
Die Fragen 80 und 81 von Herrn Dr. Jenninger sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Damit, meine Damen und Herren, stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Mittwoch, den 13. Oktober 1971, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.