Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 21. Juni 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Schroeder ({0}). Frau Stommel, Dr. Götz, Müller ({1}), Vogt, Dr. Fuchs, Frau Griesinger, Frau Jacobi ({2}) und der Fraktion der CDU CSU betr. eigenstandige soziale Sicherung der Frau - Drucksache VI /21 6 beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI /2363 verteilt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden 1 Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 23. Juni 1971 für den Abgeordneten Hermsdorf ({3}) den Abgeordneten Porzner als ordentliches Mitglied und für den Abgeordneten Porzner, der als stellvertretendes Mitglied ausscheidet, den Abgeordneten Haar als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost benannt. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Porzner als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Haar als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost gewählt.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Anpassung verschiedener Vorschriften über die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern an die Neuregelung der Finanzverfassung ({5})
- Drucksache VI /2324 Berichterstatter: Abgeordneter Höcherl
Wünscht der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Höcherl, das Wort? - Das ist nicht der Fall. Der Bericht über das Beratungsergebnis des Vermittlungsausschusses wird zu Protokoll gegeben und als Anlage 2 abgedruckt.
Wird das Wort gewünscht? Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Abstimmung über Ziffer 2 des Einigungsvorschlages des Vermittlungsausschusses zum Finanzanpassungsgesetz gemäß Drucksache VI /2324 gibt die CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung ab:
Die CDU/CSU hat bereits in der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages am 28. April 1971 die Fortgeltung des wesentlichen Inhalts der bestehenden Kostenerstattungsregelung nach § 351 des Lastenausgleichsgesetzes für eine Übergangszeit zur Sicherung der weiteren zügigen Abwicklung des Feststellungsverfahrens beantragt. Die Fraktionen der SPD und der FDP haben diesen Antrag abgelehnt.
Der Vermittlungsausschuß hat Prinzipien dieses Antrags in erheblich erweiterter Form in den Einigungsvorschlag aufgenommen. In dieser erheblich erweiterten Form kann die CDU/CSU-Fraktion dem Beschluß des Vermittlungsausschusses wegen der möglichen Folgen nicht zustimmen Sie erklärt jedoch, daß sie weiterhin für eine Fortgeltung der wesentlichen Bestimmungen der geltenden Kostenregelung gemäß § 351 des Lastenausgleichsgesetzes für eine ausreichende Übergangsfrist eintritt.
Im übrigen muß die volle Funktionsfähigkeit der Heimatauskunftsstellen, der Auskunftsstellen der Vororte und der sonderzuständigen Ausgleichsämter bis zum Abschluß der Schadensfeststellung gewährleistet sein.
Mit dieser Maßgabe lehnt die CDU/CSU-Fraktion den derzeitigen Vorschlag des Vermittlungsausschusses unter Ziffer 2 ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf für meine Person, insbesondere auch für den Kreis von Mitbürgern, zu dem ich mich zähle - für den Kreis der Sowjetzonenflüchtlinge -, eine kurze Erklärung zu dem anstehenden Problem vortragen.
({0})
- Im Zusammenhang mit dem Finanzanpassungsgesetz soll auch eine Änderung der Kostenregelung des § 351 des Lastenausgleichsgesetzes durchgeführt werden. Es sollen jetzt nur noch die Kosten des Bundesausgleichsamtes, des Kontrollausschusses und des Ständigen Beirates vom Bund getragen werden. Die Kosten der Heimatauskunftsstellen sowie die sächlichen Kosten der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds im Bereich der Länder sollen in Zukunft die Länder tragen. Außerdem soll in Zukunft der Bund nicht mehr die Hälfte der den Ländern entstehenden Kosten erstatten.
Diese beabsichtigten Änderungen werden bei der weiteren Durchführung des Lastenausgleichsgesetzes nach meiner Auffassung ganz erhebliche Schwierigkeiten auslösen. Ich darf in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Drucksache VI /1771, Seite 29 ff., verweisen, in der die Stellungnahme des Bundesrates zu der beabsichtigten Änderung des § 351 des Lastenausgleichsgesetzes sowie eine Neufassung dieser gesetzlichen Bestimmung mit eingehender Begründung enthalten sind.
Wenn wir, heute hier über den Beschluß des Vermittlungsausschusses abzustimmen haben, so sollte hierbei die Frage entscheidend sein, wie eine sachgerechte Durchführung des Lastenausgleichs in Zukunft am besten zu gewährleisten ist. Es geht dabei um die Rechtsansprüche der Geschädigten. Es darf auch als bekannt vorausgesetzt werden, daß die Durchführung der Schadensfeststellungsverfahren schon aus der Sache heraus eine ganz erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird. Es kann daher auf keinen Fall in Kauf genommen werden, daß in Zukunft eine noch größere Zeitverzögerung eintritt. Dazu ist es erforderlich, daß die Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften den ihnen zustehenden höheren Verwaltungskostenanteil erstattet bekommen und die Ausgleichsbehörden sowie die Auskunftsstellen, insbesondere die von mir bereits zitierten Heimatauskunftsstellen, personell so stark ausgestattet werden, daß die anstehenden Verfahren zügig beraten werden können. Wenn die hier vorgeschlagene Regelung nicht Platz greift, wird eine Verzögerung erheblichen Ausmaßes eintreten.
Ich bitte deshalb das Haus, bei seinen Überlegungen zu erwägen, ob eine Verbesserung für den betroffenen Personenkreis nicht dadurch möglich ist, daß der vom Vermittlungsausschuß mit Mehrheit angenommene Antrag auch hier Zustimmung findet.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Dr. Schmitt-Vockenhausen: ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und FDP stimmen Ziffer 1 des Vorschlags des Vermittlungsausschusses zu.
Ziffer 2 seines Vorschlags würde nicht nur ein entscheidendes Abgehen von den Grundlagen der Finanzreform in Art. 104 a GG, sondern in bezug auf die finanziellen Belastungen des Bundes sogar noch ein erhebliches Hinausgehen über das, was der Bundesrat selbst vorgeschlagen hatte, bedeuten. Der Bundesrat hatte nur eine Verlängerung der Frist uni zwei Jahre bis Ende 1973 vorgeschlagen. Die Fraktionen der SPD und FDP werden daher der Ziffer 2 des Vorschlags des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen.
Was vor allem die Heimatauskunftsstellen und die anderen genannten Institutionen betrifft, so ist sowohl bei der Verabschiedung des Gesetzes als auch in den Beratungen des Vermittlungsausschusses deutlich geworden, daß sich alle Beteiligten um eine gesicherte Fortsetzung der Arbeit dieser Stellen bemühen. Da in der augenblicklichen Lage kein Schaden entstehen kann, können wir mit einer guten Lösung in den weiteren Beratungen des Vermittlungsausschusses rechnen.
Das Wort wird nicht mehr begehrt. Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage im ganzen.
({0})
Ziffernweise? - Dann stimmen wir zunächst über Ziffer 1 ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen!
Ziffer 2! Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen abgelehnt.
Wir kommen damit zu Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein ({2})
- Drucksache VI /2325 - Berichterstatter: Abgeordneter Russe
Wünscht der Berichterstatter, der Herr Abgeordnete Russe, das Wort? - Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Als Bereichterstatter des Vermittlungsausschusses zu diesem Gesetz darf ich Ihnen folgendes vortragen. Das vom Deutschen Bundestag am 23. April 1969 in der 277. Sitzung der 5. Wahlperiode verabschiedete und am 19. Juli 1969 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Weingesetz wurde durch die EWG-Verordnungen Nr. 816/70 und Nr. 817/70 vor seinem Inkrafttreten am 16. Juli 1971 unanwendbar. Um diese Rechtsunsicherheit für Weinbau, Handel und Verbraucher zu beseitigen, beriet der Deutsche Bundestag am 24. März 1971 in erster und am 13. Mai 1971 in zweiter und dritter Lesung das den neuen EWG-Verordnungen angepaßte Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein, das sogenannte Weingesetz.
Der Bundesrat hat in seiner 368. Sitzung am 4. Juni 1971 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 13. Mai 1971 verabschiedeten WeinRusse
Besetz gemäß Art. 77 Abs. 2 GG den Vermittlungsausschuß anzurufen.
Als Ergebnis seiner Sitzung vom 16. Juni 1971 schlägt der Vermittlungsausschuß folgende Änderungen vor:
1. Zu § 20 Abs. 2 und 3.
In Absatz 2 Satz 2 werden die Worte wenn er nicht mit inländischen Bezeichnungen verwechselbar ist" und in Absatz 3 der letzte Satz gestrichen.
Der Vermittlungsausschuß hat sich der Meinung des Bundesrates angeschlossen, daß eine Gefahr der Verwechslung mit inländischen Weinen nicht gegeben ist, da das Herstellungsland angegeben oder der Wein als ausländischer Wein bezeichnet werden muß. Bei der Vielzahl der geographischen Bezeichnungen wäre eine Überprüfung auf die Verwechselbarkeit mit inländischen Bezeichnungen außerordentlich schwierig.
2. Für § 20 Abs. 5 Satz 2 schlägt der Vermittlungsausschuß folgende Fassung vor:
Die Kennzeichnungen Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese, und Eiswein dürfen in deutscher Sprache nur gebraucht werden, wenn und soweit sie durch Rechtsverordnung zugelassen sind. Die Zulassung darf nur erfolgen, wenn ...
Sie finden die weitere Fassung auf der Drucksache VI /2325. Ich verzichte darauf, sie im einzelnen zu zitieren.
Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses berücksichtigt also die Einwendungen des Bundesrates und trägt außerdem Bedenken des Unterausschusses „Weingesetz" des Deutschen Bundestages Rechnung. Die deutschsprachigen Kennzeichnungen Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese und Eiswein bei ausländischen Weinen werden an Bedingungen geknüpft, die den Anforderungen an den inländischen Wein entsprechen. Dadurch wird die Gefahr einer Diskriminierung der Weine aus deutschsprachigen ausländischen Weinbaugebieten ausgeschaltet. Gleichzeitig wird der Mißbrauch der mit Qualitätsvorstellungen behafteten deutschen Bezeichnungen zum Schutz des Weinbaus und der Verbraucher verhindert.
3. Bezüglich der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Fassung des § 40 Abs. 1 Nr. 8 darf ich ebenfalls auf die Drucksache VI /2325 verweisen.
4. In § 63 Abs. 2 sollen nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses vor den Worten „für eine Übergangszeit" die Worte „durch Rechtsverordnung" eingefügt werden. Hierdurch soll klargestellt werden, daß es sich um eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung handelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Ich darf Ihnen die Annahme dieses Vermittlungsvorschlages empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der
Fall. Wir stimmen über die gesamte Vorlage ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 18 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen ({0}) -Drucksachen VI /1860, VI /2118, zu V1/2118, Nachtrag zu VI /2118 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache VI /2333 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von
Bülow
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({2}) - Drucksache VI /2292 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Slotta
Abgeordneter Pfeifer
({3})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Slotta!
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der SPD begrüßt und unterstützt den vorliegenden Entwurf des Gesetzes über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen - Graduiertenförderungsgesetz - auf Drucksache VI /2292.
Das Gesetz hat im wesentlichen zwei Ziele: Es soll gesichert werden, daß erstens qualifizierte Hochschullehrer in der benötigten Zahl und zweitens auch Wissenschaftler für die Forschung außerhalb der Hochschulen ausgebildet werden.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es viele ungelöste Probleme, und es gibt sicher noch wichtigere Aufgaben, die gelöst werden müssen; aber auch die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist eine wichtige Sache. Die nachfolgenden Belege mögen das deutlich machen:
Wir müssen bei rund 50 000 Stelleninhabern im Gesamthochschulbereich - bezogen auf das Jahr 1969 -, wenn nur dieser Stand gehalten werden soll, jährlich mindestens 3000 junge Wissenschaftler allein für den Hochschulbereich ausbilden. Diese Quote ist aber völlig unzureichend, und zwar schon jetzt, mehr aber noch in den folgenden Jahren, wenn - nach den Vorausberechnungen des Wissenschaftsrates - die Zahl der Studierenden von gegenwärtig rund 420 000 auf 1 Million im Jahre 1980 angestiegen sein wird. Das Graduiertenförderungsgesetz ist deshalb eine entscheidende infrastruk7616
turelle Maßnahme für den tertiären Bereich, d. h.
den Hochschulbereich in unserem Bildungswesen.
Die Notwendigkeit, diesem Bereich erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, ergibt sich auch aus der Anzahl der Doktorprüfungen: Während die Zahl der Graduierten von 1953 bis 1968 von rund 18 000 auf etwa 33 000 anstieg, legten im Jahre 1953 - ohne das Saarland - rund 7600 Studierende die Doktorprüfung ab, 1960 waren es nur noch rund 5400 und 1968 lediglich rund 9200 - ohne Schleswig-Holstein -. In dieser Zahl sind die etwa 4000 Promotionen in den medizinischen Fächern enthalten.
Hinzu kommt, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß - nach einer 1966 durchgeführten Erhebung - die Lehrstuhlinhaber aller Fachgebiete nach der Hochschulabschlußprüfung für den Abschluß der Promotion durchschnittlich 4,4 Jahre und darüber hinaus für die Habilitation 7,8 Jahre benötigten.
Das sind die Probleme. Welches nun sind die Lösungen? Graduiertenförderung ist nicht gleichzusetzen mit der herkömmlichen Promotionsförderung des Bundes und der Länder. Bisher sind qualifizierte Doktoranden vom Staate gefördert worden, ohne besondere Rücksicht auf die Fachrichtung oder das Promotionsthema zu nehmen. Graduiertenförderung hat sich demgegenüber neben Leistungsgesichtspunkten auch an dem Bedarf an wissenschaftlichem Nachwuchs für die einzelnen Fachrichtungen und dem Ziel der Forschungsplanung von Bund, Ländern und Hochschulen zu orientieren. Wir wollen hier keine Doktorhüte mehr finanzieren, sondern durch eine gezielte Förderung sicherstellen, daß genügend qualifizierte Kräfte vorhanden sind, die als Hochschullehrernachwuchs in allen Disziplinen zur Verfügung stehen.
Eine besondere Problematik innerhalb der Hochschulen hat sich dadurch ergeben, daß die Assistentenstellen an den Hochschulen überwiegend mit Hochschulabsolventen besetzt sind, die diese Position als finanzielle Grundlage für eine Promotion ansehen. Damit werden diese Stellen, die als Vorbereitung für den wissenschaftlichen Hochschullehrernachwuchs gedacht sind, ihrem Inhalt nach entfremdet.
Den Bundesländern sei gesagt, daß die Kosten für ein Graduierten-Stipendium pro Jahr nur noch ein Drittel der Kosten für eine Assistentenstelle im gleichen Zeitraum betragen werden. Unter diesem Gesichtspunkt bringt das Förderungsprogramm eine Kostensenkung für die Länder.
Die Förderung des weiteren Studiums, das nicht als Konsekutiv- .und auch nicht als Zweitstudium verstanden werden darf, eröffnet die Möglichkeit, das schon wiederholt vom Wissenschaftsrat 'empfohlene Aufbaustudium an unseren Hochschulen einzurichten. Seine Einführung ist bisher in vielen Fällen nicht nur am Fehlen des Personals gescheitert, sondern auch an einer fehlenden Förderung der Studenten dieses Ausbildungsabschnittes. Das weitere Studium gewährt außerdem neue Möglichkeiten der Mitarbeit in der Forschung, die bisher weitgehend auf die Promotion beschränkt war.
Es ist zu bedauern, daß nicht schon von früheren Bundesregierungen das Problem der Graduiertenförderung gelöst wurde, wozu der Bund nach Art. 74 Nr. 13 GG durchaus die Möglichkeit gehabt hätte.
Lassen Sie mich zu den vorliegenden Anträgen, über die mein Kollege Grüner noch ausführlicher sprechen wird, einige Anmerkungen machen: Durch den interfraktionellen Änderungsantrag auf Umdruck 206 wird in der Frage der Zuständigkeit für die Vergabe der Stipendien eine größere Flexibilität erreicht; das Schwergewicht der Entscheidung muß - auch in dieser neuen Fassung - nach wie vor bei den Hochschulen und Fachbereichen bzw. Fakultäten bleiben.
Der gleiche Antrag bringt zum Ausdruck, daß wir der ersten Aufgabe, der Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses, eine größere Bedeutung zumessen, ohne die zweite Aufgabe, die Ausbildung von Wissenschaftlern für die Forschung außerhalb der Hochschulen, abwerten zu wollen.
Zu dem von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Änderungsantrag auf Umdruck 207, nach dem der Bund über das Jahr 1972 hinaus einen Anteil von 75 % der Mittel für die Graduiertenförderung tragen soll, darf ich folgendes kurz anmerken: Nicht durch dieses Gesetz kann das Problem der Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern im Gesamtbildungsbereich - mit dem Ziel der Entlastung der Länder - geklärt werden. Das muß grundsätzlich in einer alle Aspekte umfassenden Beratung der Beteiligten geschehen.
Ein Hinweis sei mir noch gestattet. Wenn auf Seite 4 der Drucksache VI /2292 gesagt wird: „Der Bundestag wolle beschließen", so soll damit keineswegs zum Ausdruck gebracht werden, daß der Deutsche Bundestag der Auffassung ist, es handle sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um ein nicht zustimmungsbedürftiges Gesetz. Es müßte hier richtig lauten: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen".
Die finanziellen Aufwendungen belaufen sich für den Bund im Jahre 1971 auf 31,2 Millionen DM, wenn 5000 Stipendien zugrunde gelegt werden. Das Grundstipendium beträgt - im Regelfall für zwei Jahre gewährt - monatlich 800 DM für Unverheiratete. Das sind - im ganzen gesehen - sicherlich nicht unerhebliche Beträge. Aber wir müssen bedenken, daß alle zukünftigen Leistungen in unserer Gesellschaft u. a. nicht unwesentlich davon abhängen, wie in dieser verwissenschaftlichten Welt das Niveau unserer Wissenschaft ist und wie unsere Jugend ausgebildet wird.
Abschließend darf ich feststellen: Es ist die Auffassung der SPD-Fraktion, daß mit diesem Gesetz neben dem Hochschulstatistik- und dem Bundesausbildungsförderungsgesetz eine wesentliche Grundlage für die jetzt in Gang befindliche Reform des Gesamthochschulbereichs geschaffen worden ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten unterstützt vor allem die rasche und reibungslose Verabschiedung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Eines der Kernstücke der Hochschulreform, die Reform der Lehrkörperstruktur, wird nur möglich sein, wenn wir einen großzügigen qualitativen und quantitativen Ausbau der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ermöglichen. Eine fortschrittliche Entwicklung unserer Republik steht in einem engen Zusammenhang mit der Möglichkeit der Förderung der Wissenschaften. Dieser Fortschritt ist auch eine Basis für eine stabile Entwicklung unseres wirtschaftlichen Wachstums. Investitionen auf dem Gebiete der Bildung und Ausbildung, der Forschung und der Wissenschaft sind zugleich gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Investitionen für unsere Zukunft.
Ich möchte nur zu einigen wenigen Punkten dieses Gesetzes Stellung nehmen. Meine Fraktion hat für die Kritik aus den Reihen der Bundesassistentenkonferenz Verständnis, die daran laut geworden ist, daß hier Stipendien vorgesehen sind und nicht etwa der Forderung nach einem Angestelltenstatus Rechnung getragen wird. Wir können verstehen, daß junge Wissenschaftler, die auch nach einer Verkürzung der Studienzeit in der Regel mindestens 24 bis 25 Jahre alt sein werden und von denen ein großer Teil bereits verheiratet sein wird, ein reguläres Gehalt mit allen Sozialleistungen für Graduierte vorziehen würden. Im gegenwärtigen Zeitpunkt verbieten allerdings schon allein die finanziellen Möglichkeiten des Bundeshaushalts ein Eingehen auf diese Forderung. Die mit dem Graduiertenförderungsgesetz angestrebte freie wissenschaftliche Betätigung steht nach meiner Auffassung auch in einem gewissen Widerspruch zu einem regelrechten Dienstverhältnis mit Angestelltenstatus. Jeder, der diesen Angestelltenstatus für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses fordert, sollte sich dieser Problematik bewußt sein und auch den Wandel des Charakters einer solchen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bedenken, der durch einen Angestelltenstatus eintreten würde.
Sicher ist es erwünscht, die jetzt vorgesehenen Stipendien finanziell der jeweiligen Entwicklung anzupassen. Aber zu einer Dynamisierung durch Koppelung an die Beamtengehälter im öffentlichen Dienst fehlt einfach der finanzielle Spielraum, fehlt einfach die Erfahrung mit der Entwicklung der Wissenschaftsförderung. Es fehlt auch die Möglichkeit, auf diese Art und Weise die Koordinierung mit der Ausbildungsförderung im Nichthochschulbereich, die wir für sehr wesentlich halten, finanziell etwa mit einer gegebenen Dynamisierung in Einklang zu bringen. Wer die Widerstände gegen eine großzügige Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses richtig einschätzt, wird hier den Bogen nicht überspannen dürfen.
Zur Aufteilung der Kosten zwischen Bund und Ländern, von der in einem Antrag der CDU/CSU- Opposition noch einmal die Rede ist, möchten wir ganz klar der Meinung Ausdruck geben, daß eine solche Lösung, wenn sie erfolgreich sein soll, nur im Zusammenhang mit einer globalen Einigung der Länder über die Aufteilung von Länderaufgaben und Bundesaufgaben erreicht werden kann, daß für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses keinesfalls eine Lösung vorgezogen werden kann.
Die Förderung aus Bundesmitteln mit 90 % im Jahre 1971 sollte die Grundlage dafür liefern, daß die Graduiertenförderung nun auch tatsächlich anlaufen kann und daß sich die Länder über die Finanzierung der Nachwuchsförderung im Jahre 1972 und in den folgenden Jahren nicht nur Gedanken machen, sondern auch ihre mittelfristige Finanzplanung darauf einstellen. Wir würden es jedenfalls außerordentlich bedauern, wenn deshalb die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Bundesrepublik weiter verzögert würde.
Es scheint mir auch sinnvoll, daß die bisher in vielen Fällen über die sogenannten verwalteten Assistentenstellen geübte Nachwuchsförderung nunmehr gefällt und es so zu einer Entlastung für die Länder kommen wird. Herr Kollege Slotta hat auf diesen Tatbestand hingewiesen. Nach unserer Meinung werden rund ein Drittel der von der Bundesassistentenkonferenz vertretenen Mitglieder des Mittelbaus als sogenannte Verwalter von Assistentenstellen einzustufen sein. Diese Verwalter von Assistentenstellen stehen den Hochschulen nur in sehr geringem Umfange als Hilfskräfte zur Verfügung; den größten Teil ihrer Arbeitszeit widmen sie ihrer Promotion. - Legt man diesen Anteil, der eher zu niedrig als zu hoch angesetzt ist, zugrunde, so ergeben sich hier tatsächlich ganz beachtliche Einsparungen, Einsparungen, die insgesamt natürlich nicht zu einer Kostenentlastung von Bund und Ländern beitragen, die aber doch sehr deutlich machen, welche enorme zusätzliche Möglichkeit für die Wissenschaftsförderung und auch für die Beschäftigung und Betätigung von Assistenten im Hochschulbereich durch das Graduiertenförderungsgesetz geschaffen wird.
Sicherlich bedeutet diese Entlastungsrechnung, wie ich sagte, keine endgültige und absolute finanzielle Entlastung, aber auch die Kritiker dieser Regelung sollten sehen, wie groß und wie entscheidend wichtig der Beitrag dieses Gesetzes zur Vergrößerung der Ausbildungskapazitäten an unseren Hochschulen insgesamt ist.
Eine einheitliche und umfassende Regelung der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung in der Bundesrepublik ist seit vielen Jahren überfällig. Als die alleinige Zuständigkeit für dieses Gebiet noch bei den Ländern lag, kam es zu keiner einheitlichen Regelung. Das muß hier in aller Sachlichkeit festgestellt werden. Die Freien Demokraten appellieren an die Länder, nun, da der Bund seine neue Kompetenz auf diesem Gebiet wahrgenommen hat, einer vernünftigen Regelung nicht im Wege zu stehen. An die Opposition richtet die FDP in diesem Zusammenhang die Bitte, die Arbeit ihrer bildungspoliti7618
schen Sprecher mit der ihrer Vertreter im Haushaltsausschuß so zu koordinieren, daß im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft nicht finanzielle Forderungen erhoben werden, die von den Vertretern der CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuß dann nicht unterstützt werden. Das würde, glaube ich, unsere gemeinsame Arbeit, die ja auch vor dem Hintergrund der finanziellen Verantwortung steht, ganz erheblich erleichtern können.
({0})
Wir Freien Demokraten legen Wert darauf, daß bei der Vergabe der Stipendien - und ich nehme hier Bezug auf den vorliegenden interfraktionellen Antrag - die Autonomie der Hochschulen und ihrer Kollegialgremien in möglichst großem Umfange gewährleistet wird. Deshalb hoffen wir, daß die Länder die ihnen eingeräumte Möglichkeit zur Regelung der Vergabe in einem Sinne wahrnehmen werden, der der Autonomie der Hochschulen Rechnung trägt.
({1})
- Ich habe Sie leider nicht verstanden, aber es war sicher etwas sehr Bedeutendes. - Das Graduiertenförderungsgesetz wird nicht nur Engpässe an den Hochschulen beseitigen helfen, sondern wird auch den Weg ebnen für die Reformen in Bildung und Wissenschaft, wie sie Ziel der Arbeit dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen sind.
Wir Freien Demokraten stimmen deshalb diesem Gesetz mit großem Nachdruck - und ich möchte sagen, auch mit großer Freude
({2})
zu; denn wir sehen hier ein wichtiges Ergebnis verwirklicht, das nicht ohne Schwierigkeiten zu erreichen war, Schwierigkeiten, von denen wir hoffen, daß wir sie gemeinsam - auch im Verein mit der Opposition und insbesondere im Verein mit den Ländern - bewältigen werden.
({3})
Meine Damen und Herren, ich darf noch darauf hinweisen, daß der vorletzte Redner, Herr Dr. Slotta, seine Jungfernrede gehalten hat. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 19. Februar dieses Jahres als erste Fraktion in diesem Hause den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen vorgelegt. Dieses Gesetz ist für uns, wie wir damals betont haben, ein wichtiger Teil unserer hochschulpolitischen Konzeption, um deren gesetzgeberische Konkretisierung wir in dieser Legislaturperiode ringen.
Am Beginn dieser Legislaturperiode haben wir zunächst die Erweiterung des Art. 91 a des Grundgesetzes auf den gesamten tertiären Bereich durchgesetzt. Dies war notwendig, um eine bessere Grundlage zur Lösung der quantitativen Probleme des tertiären Bereichs zu schaffen. Im Januar dieses Jahres hat unsere Fraktion ihr Hochschulrechtsrahmengesetz vorgelegt, das bundeseinheitliche Grundlagen für die Hochschulreform zum Inhalt hat. Das Gesetz, um dessen Verabschiedung es heute geht, zielt darauf ab, eine der Voraussetzungen für die Neugestaltung der Lehrkörperstruktur zu gewinnen und zugleich dem steigenden Bedarf an Hochschullehrern Rechnung zu tragen, der durch den gemeinsamen Ausbau und Neubau von Hochschulen durch Bund und Länder entsteht.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion betrachtet es als einen Erfolg ihrer Arbeit, daß es ihr nach der Verabschiedung der Änderung von Art. 91 a des Grundgesetzes mit der Verabschiedung dieses Gesetzes heute zum zweiten Male in dieser Legislaturperiode gelungen ist, aus der Opposition heraus wesentliche Teile ihres Reformkonzepts zu verwirklichen.
({0})
Dies zeigt, daß es in der Hochschulpolitik eben doch einen gewissen Fundus von gemeinsamen Konzeptionen in allen Parteien dieses Hauses gibt, die es erlauben, auch bedeutsame Gesetzesvorhaben gemeinsam zu beschließen; wir haben die Hoffnung - ich sage das mit dem Blick auf die Zukunft -, daß es uns auch gelingt, das dritte und wohl von allen Seiten dieses Hauses als entscheidend betrachtete gesetzgeberische Vorhaben, nämlich das Hochschulrechtsrahmengesetz, ebenfalls gemeinsam zu verabschieden. Wir möchten von unserer Seite hier noch einmal erklären, daß wir, wie auch jetzt beim Graduiertenförderungsgesetz, wo immer dies für uns möglich ist, von unserer Konzeption aus zu konstruktiven Kompromissen bei der Beratung des Hochschulrahmengesetzes bereit sind und daß wir auch bereit sind, wo immer das geht, den Bereich der Bildungspolitik und der Hochschulpolitik aus den großen Kontroversen in diesem Hause herauszuhalten.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund nun einige Gedanken über die Ziele sagen, die wir mit diesem Gesetz verfolgen.
Wir haben in den vergangenen bildungspolitischen Debatten in diesem Hause mehrfach deutlich gemacht, daß die Beseitigung der Engpässe in unserem Bildungssystem in der bildungspolitischen Gesamtkonzeption unserer Fraktion absolute Priorität genießt. Der Ausbau unserer Hochschulen und der Abbau des Numerus clausus setzen eine weitere Verbesserung der Relation von Lehrenden und Studierenden voraus. Deshalb ist die Förderung des Hochschullehrernachwuchses ein wichtiger Beitrag zum Abbau des Numerus clausus. Bereits in der ersten Debatte über unsere Große Anfrage zum Numerus clausus haben wir aber auch darauf hingewiesen, daß mit einer Vergrößerung der Zahl der Hochschullehrer oder etwa auch der Raumkapazitäten allein das Problem des Numerus clausus nicht zu meistern ist. Neben dem Ausbau des Hochschulbereichs sind die inneren Reformen im Hochschulbereich genauso notwendig, um mehr Studienplätze
für eine ständig wachsende Zahl von Studenten bereitstellen zu können. Das Kernstück dieser Reform aber sehen wir in der Studienreform und in der Reform der Lehrkörperstruktur. Dieses Gesetz soll nicht nur die Promotionszeit verkürzen und die Erweiterung der Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen personell sicherstellen, es soll die Länder auch in die Lage versetzen, die zur Zeit mit Doktoranden besetzten Assistentenstellen in eine entsprechende Zahl von Stellen für Hochschullehrer, insbesondere für Assistenzprofessoren, umzuwandeln, und damit den Einstieg in die Reform der Lehrkörperstruktur ermöglichen.
({1})
Dieses Gesetz soll schließlich für wissenschaftlich begabte junge Menschen Chancengleichheit beim Nachweis ihrer Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit als Hochschullehrer bringen. Denn dieser Nachweis wird nach den Vorstellungen über die künftige Personalstruktur an den Universitäten in erster Linie durch eine hervorragende Promotionsleistung erbracht werden, und gerade hier kann nichts mehr als die finanzielle Absicherung der Promotionszeit für jeden besonders begabten Doktoranden zu einer tatsächlichen Chancengleichheit beitragen.
Lassen Sie mich nun in diesem Zusammenhang mit großem Nachdruck folgendes sagen. Uns hat während der ganzen Beratung über dieses Gesetz in besonders starkem Maße die Frage beschäftigt, wie wir es verhindern können, daß an einigen Hochschulen - Beweise oder Anzeichen dafür, daß es möglich ist, haben wir in der Vergangenheit und Gegenwart genügend erlebt - dieses Gesetz dazu mißbraucht werden kann, gesellschaftspolitisch oder ideologisch einseitige personelle Förderungsprogramme in Gang zu setzen. Wir glauben, mit der jetzigen Regelung, auf die sich alle Fraktionen geeinigt haben, in § 11 einen gangbaren Weg gefunden zu haben, der es erlaubt, auf der Grundlage der Hochschulautonomie einen Mißbrauch zu verhindern und auch beim Zugang zum Beruf des Hochschullehrers den Grundsatz der individuellen Freiheit von Forschung und Lehre zu sichern. Wir würden aber - und das möchte ich hier für die Fraktion der CDU/CSU sagen - nicht zögern, sofort eine Novellierung dieses Gesetzes einzuleiten, wenn wir feststellen müßten, daß dennoch dieses Gesetz und die nach diesem Gesetz aufgewendeten Steuermittel zur Förderung eines ideologisch einseitig und gegen unsere freiheitliche Grundordnung festgelegten Hochschullehrernachwuchses mißbraucht würden.
({2})
- Ich freue mich, daß es auch in den anderen Fraktionen hier Zustimmung gibt. - Inhalt dieses Gesetzes ist die Chancengleichheit, und wir erwarten, daß sie von allen, die dieses Gesetz anwenden, gewährleistet wird.
Meine Damen und Herren, wir waren und sind auch der Ansicht, daß es dem Prinzip der Chancengleichheit innerhalb der gesamten neuen Personalstruktur eher entsprochen hätte, wenn die Förderungszeit nach diesem Gesetz auch noch auf einige
Monate nach der Promotion hätte ausgedehnt werden können. Dieses Gesetz gewährleistet den weiteren Anschluß der Graduiertenförderung an die Lehrkörperstruktur des Hochschulrechtsrahmengesetzes leider nicht. Es bietet für hochqualifizierte Absolventen der Graduiertenstufe, die z. B. wegen einer fehlenden Stelle nicht sofort Assistenzprofessor werden können, keinerlei Überbrückungsmöglichkeiten und zwingt diese Personen, nach der Promotion von der Hochschule abzuwandern, wenn nicht gerade eine Stelle zur Verfügung steht, mit dem Ergebnis, daß zu einem späteren Zeitpunkt, wenn dann die Stelle eingerichtet ist, weniger qualifizierte Absolventen auf eine dann vorhandene Stelle als Assistenzprofessoren berufen werden können.
Die Regierung hat in der Begründung ihres Gesetzentwurfs zwar die Existenz dieses Problems anerkannt. Die Regierungsmehrheit hat aber leider unseren Antrag, dieses Problem in diesem Gesetz jedenfalls in den Ansätzen zu lösen, abgelehnt. Wir werden deshalb bei den weiteren Beratungen des Hochschulrechtsrahmengesetzes erneut darauf zurückkommen und uns bemühen, dort eine Lösung anzubieten, die unseren Intentionen und den Notwendigkeiten der neuen Personalstruktur entspricht, obwohl wir an sich den Weg der Überbrückungsmöglichkeiten über Stipendien aus vielerlei Gründen für den richtigeren angesehen hätten, nicht zuletzt auch aus beamtenrechtlichen Erwägungen. Denn die Ansicht der Mehrheit des Wissenschaftsausschusses, die auch im Schriftlichen Bericht zum Ausdruck kommt, daß man diese Schwierigkeiten über wissenschaftliche Mitarbeiter an den Hochschulen überbrücken könne, ist gerade der Denkansatz, den wir aus dem Gesichtspunkt der neuen Personalstruktur nicht unterstützen wollen. Denn die wissenschaftlichen Mitarbeiter haben in dieser neuen Personalstruktur eine ganz andere Aufgabe und eine ganz andere Stellung. Wir werden also auf dieses Problem bei weiteren Beratungen des Hochschulrechtsrahmengesetzes noch einmal zurückkommen.
Es gibt auch einige andere Punkte, die nicht zu unserer vollen Zufriedenheit gelöst sind. Wir hätten uns beispielsweise vorgestellt, daß unter den Kriterien, nach denen die Stipendien verteilt werden, auch die individuelle Nachfrage der Studierenden in dem Gesetz verankert werden sollte. Wir hätten uns vorgestellt, daß die in unserem Entwurf enthaltene dynamische Regelung für die Höhe des Stipendiums in das Gesetz hätte hineinkommen sollen. Wir haben uns damit im Ausschuß nicht durchsetzen können. Aber wir werden diese Ziele weiter verfolgen, auch wenn wir heute keinen solchen Antrag gestellt haben.
Nur einen der im Ausschuß abgelehnten Anträge stellen wir heute erneut. Es handelt sich um den Antrag auf Umdruck 207. Wir bitten die Mitglieder der Bundesregierung und auch die Abgeordneten der Regierungskoalition, doch noch einmal zu überlegen, ob sie unserem Antrag, nämlich die Verteilung der Aufwendungen aus diesem Gesetz im Verhältnis 75 : 25 zu regeln, nicht zustimmen können. Wir bitten die Regierungskoalition, noch einmal zu prüfen, ob sie trotz der Haushaltssituation des Bundes nicht
auch einen Blick auf die der Länder werfen sollte. Wir sind uns darüber im klaren, wenn die Verteilung im Verhältnis 50 : 50 bleibt, ist die Gefahr sehr groß, daß eine Reihe von Bundesländern mit der Realisierung dieses Gesetzes im Herbst nicht beginnen werden; denn in einer Situation, in der eine Reihe von Bundesländern gezwungen ist, die Bildungsinvestitionen zu kürzen, Lehrerstellen zu sperren und Hochschullehrerstellen zu streichen, kann einfach nicht erwartet werden, daß diese Länder mit der Hochschulnachwuchsförderung neue große Programme in Angriff nehmen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz in einem Schreiben vom 4. Mai 1971 an das Bundeswissenschaftsministerium -- unseres Erachtens zu Recht - ausgeführt hat, daß es, wenn es nicht zu einer Verteilung im Verhältnis 75 : 25 kommt, ganz klar sei, daß dies für eine Reihe von Bundesländern und ihre Hochschulen das Ende des Programms bedeuten würde.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang bitte ich Sie noch etwas Zweites zu überlegen. Herr Minister Leussink hat im Wissenschaftsausschuß gesagt, daß er das Problem der Verteilung im Verhältnis 75 : 25 oder 50 : 50 in die „große Verteilungsschlacht" zwischen Bund und Ländern, wie er sich ausgedrückt hat, einbringen wolle. Das hat aber doch zur Konsequenz, daß die Realisierung dieses Gesetzes erst nach dieser „großen Verteilungsschlacht" in Angriff genommen wird, also eben nicht mehr im Herbst, sondern allenfalls am Beginn des Jahres 1972. Wer Wert darauf legt, daß dieses Gesetz im Herbst realisiert werden kann, muß jetzt die Länder hierzu in die Lage versetzen; denn es hat keinen Sinn, hier Reformen und Gesetze zu beschließen, ohne die Länder gleichzeitig in die Lage zu versetzen, finanziell die Mittel zur Verfügung zu haben, mit denen sie diese Reformen und Gesetze ausführen können.
Aus diesen Gründen bitte ich Sie ernstlich, die Sache nicht erst im Vermittlungsausschuß auszutragen, sondern dafür zu sorgen, daß bereits heute Gesetzesbeschlüsse gefaßt werden, die dazu beitragen, daß wir im Herbst mit der Realisierung des Nachwuchsförderungsprogramms beginnen können. Das setzt eben voraus, daß Sie unseren Antrag Umdruck 207 *) annehmen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf in der Fassung des Ausschusses und unter Berücksichtigung der Änderungsanträge Umdrucke 206 und 207 ") zuzustimmen. Die CDU! CSU-Bundestagsfraktion ist daran interessiert, daß mit der Realisierung der Nachwuchsförderungsprogramme in den Hochschulen und in den Ländern möglichst schnell begonnen werden kann.
({3})
Wir kommen zur Einzelberatung. Zu § 1 liegt der interfraktionelle Änderungsantrag Umdruck 206 Ziffer i vor. Wird noch eine Einzelbegründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer diesem Änderungsantrag die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen über § 1 in der geänderten Fassung insgesamt ab. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe die §§ 2 bis einschließlich 10 auf. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Zu § 11 liegt der interfraktionellle Änderungsantrag Umdruck 206 Ziffer 2 vor. Wird noch eine Einzelbegründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen! Wer dem § 11 in der geänderten Fassung zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 12 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig so beschlossen.
Zu § 13 liegt auf Umdruck 207 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Dieser Antrag ist eben begründet worden. - Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über § 13 in der Fassung der Ausschußvorlage ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erstere war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe die §§ 14, 15, 16, 17 sowie Einleitung und Überschrift mit den vom Berichterstatter vorgetragenen Änderungen auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir treten dann in die
dritte Beratung
ein. Zur dritten Beratung hat Herr Abgeordneter Gölter das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der CDU/CSU gebe ich vor der dritten Lesung folgende Erklärung ab:
Die Fraktion der CDU/CSU hat sich in den Beratungen bemüht, in § 13 Abs. 1 des Gesetzes eine Regelung zu erreichen, welche die bei der Durchführung des Gesetzes entstehenden Kosten zwischen Bund und Ländern in einem Verhältnis von 75 zu 25 aufteilen würde. Wir haben diesen Vorschlag gemacht, weil wir auf Grund der finanziellen Situation der Länder die Sorge haben, daß die vorgesehene Verteilung eine Realisierung des Gesetzes
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4
in vielen, wenn nicht in allen Bundesländern verhindern wird. Auch die vorgesehene Übergangsregelung kann unsere Sorge nicht ausräumen, daß die Länder sich unter dem Gesichtspunkt der in den kommenden Jahren auf sie zukommenden Belastung scheuen werden, eine schnelle Verwirklichung des Gesetzes in Angriff zu nehmen.
Die Fraktion der CDU/CSU ist darüber hinaus der Auffassung, daß es mehr als bedenlich ist, wenn der Deutsche Bundestag im Bereich von Bildung und Wissenschaft neue auf die Länder zukommende Belastungen beschließt, da die Länder auf Grund ihrer Finanzsituation kaum in der Lage sind, die bislang konzipierten Programme ich verweise auf den Abbau des Lehrermangels - zu verwirklichen.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Gesetzentwurf daher nur unter den hiermit geäußerten Bedenken zu. Wir erwarten, daß die Länder das Problem des Finanzierungsschlüssels aufgreifen werden, um Sauf dem Weg über die Anrufung des Vermittlungsausschusses den Finanzierungsschlüssel von 50 zu 50 in einen Finanzierungsschlüssel von 75 zu 25 abzuwandeln. Die Fraktion der CDU/CSU würde die Bemühungen der Länder in dieser Richtung voll unterstützen.
({0})
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen dann noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages ab, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Punkt 17 der Tagesordnung soll heute nachmittag aufgerufen werden.
Ich rufe dann Punkt 19 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung bewertungsrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache W1888
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI /2359 - Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen VI/2334, zu VI /2334
Berichterstatter: Abgeordneter Offergeld ({3})
Wird das Wort von den Herren Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Art. 1, 2, 3, 4, 5 a, b und c, 6, 7, Einleitung und Überschrift auf. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe ! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krammig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich folgende kurze Erklärung zur dritten Lesung ab.
Hinter dem anspruchslosen Namen „Bewertungsänderungsgesetz 1971" verbirgt sich eine Reihe wichtiger steuerrechtlicher Vorschriften, die aus dem Bewertungsgesetz 1965 Konsequenzen zieht. Das Bewertungsgesetz 1965 ließ zwar die Feststellung neuer Einheitswerte des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1964 zu, machte sie jedoch zunächst nicht steuerwirksam. Das zur Verabschiedung anstehende Gesetz bestimmt als Zeitpunkt der Umstellung auf die neuen Einheitswerte den 1. Januar 1974, behält jedoch die Festlegung der Besteuerungsmaßstäbe einem noch zu verabschiedenden Gesetz im Rahmen des Zweiten Steueränderungsgesetzes vor. Die Verwaltung kann nunmehr mit der Arbeit beginnen und die erforderlichen Wertfortschreibungen vornehmen.
1m Laufe der parlamentarischen Beratungen wurde, einem Vorschlag des Bundesrates entsprechend, im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Regelung gefunden und im Finanzausschuß nach gesetzestechnischer Überarbeitung angenommen, die das Steuerrecht so umgestaltet, daß es sich gegenüber landwirtschaftlichen Tierhaltungszusammenschlüssen neutral verhält.
Das sind die wesentlichen Gesichtspunkte dieses Gesetzes. Wir stimmen der Gesetzesvorlage zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Bewertungsänderungsgesetz verabschieden wir ein Vorschaltgesetz zur Steuerreform. Das Gesetz stellt sicher, daß die neuen Einheitswerte zum 1. Januar 1964 mit der Steuerreform am 1. Januar 1974 wirksam werden. Damit werden die alten Einheitswerte von 1934 nach fast 40 Jahren ihre steuerliche Wirksamkeit verlieren.
Es ist bekannt, daß die Anwendung der alten Einheitswert die Ursache zahlreicher steuerlicher Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten war. Dieses Gesetz, das die Anwendung der neuen Einheitswerte sicherstellt, ist damit ein Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit. Über die steuerlichen Auswir7622
kungen der Anwendung der neuen Einheitswerte trifft dieses Gesetz keine Vorentscheidung. Darüber wird erst im Rahmen des Zweiten Steueränderungsgesetzes zu befinden sein.
Durch eine weitere Gesetzesänderung werden bisher bestehende steuerliche Hindernisse für landwirtschaftliche Tierhaltungskooperationen abgebaut. Damit wird eine alte agrarpolitische Forderung der SPD erfüllt. Angesichts der ständig steigenden Rentabilitätsschwelle bei der Tierhaltung und Tierzucht wurde die deutsche Landwirtschaft in den letzten Jahren durch kapitalstarke Gewerbebetriebe immer mehr aus dem Bereich der landwirtschaftlichen Veredelungswirtschaft verdrängt. Dieser Entwicklung können die Landwirte nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit entgegenwirken. Das Gesetz ermöglicht nunmehr durch eine steuerlich unschädliche gemeinschaftliche Tierhaltung von Landwirten diese erforderliche verstärkte Zusammenarbeit.
Wir haben von der SPD-Fraktion aus in den Ausschußberatungen besonderen Wert darauf gelegt, daß Formulierungen gefunden werden, die einen Mißbrauch dieser Bestimmungen durch Landwirtschaftsfremde ausschließen. Ich glaube, daß uns das in einer perfektionistischen Weise gelungen ist. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Helms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bewertungsänderungsgesetz 1971 regelt in erster Linie die langangekündigte Umstellung der neuen Einheitswerte für Grund und Boden auf den 1. Januar 1974. Die Regierungsvorlage ist aber ebenso wie das Bewertungsgesetz 1970 auf Initiative der Koalitionsfraktionen entscheidend ergänzt und erweitert worden. Vor einem Jahr hat das Hohe Haus eine Modifizierung der Einheitswerte für Forsten und Spezialkulturen vorgenommen und die neuen Werte den gesunkenen Ertragswerten angepaßt. Damit war eine seit Jahren fällig gewordene Korrektur endlich beschlossen und erreicht.
Zum Bewertungsänderungsgesetz 1971 waren wir Freien Demokraten der Auffassung, daß die steuerliche Gleichstellung land- und forstwirtschaftlicher Kooperationen mit land- und forstwirtschaftlichen Einzelbetrieben erreicht werden sollte. In der Vorlage, die heute zur Beschlußfassung ansteht, ist - meine Herren Vorredner haben das ausgeführt - eine Gleichstellung der landwirtschaftlichen Kooperationen möglich geworden. Wir begrüßen diese Möglichkeit und sehen darin einen Einstieg in neue Formen der Tierhaltung, in neue Formen der Zusammenarbeit, um im Bereich der landwirtschaftlichen Betriebe Rationalisierungsmaßnahmen in sinnvollen Betriebseinheiten zu schaffen. Wir Freien Demokraten stimmen diesem Gesetz zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ritz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur weil der Kollege Offergeld die Regelung der Kooperationen für die SPD in Anspruch nahm, möchte ich noch folgendes ergänzend sagen.
Wir haben bei diesem Bewertungsänderungsgesetz mit der Kooperationsregelung im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ein Anliegen des Bundesrates aufgegriffen und gemeinsam, mit allen Fraktionen in diesem Hause, den Entwurf erarbeitet, der dann auch im federführenden Ausschuß Zustimmung gefunden hat. Auch wir sind der Überzeugung, daß hiermit eine Regelung gefunden worden ist, die der Entwicklung moderner landwirtschaftlicher Unternehmen Rechnung trägt und sicherstellt, daß auch entsprechend den technischen Veränderungen im Bereich der Tierhaltung den Landwirten die Chancen eingeräumt werden, die sie brauchen, um sich den modernen Veredelungsstrukturen anpassen zu können, ohne von landwirtschaftsfremdem Kapital verdrängt zu werden.
Deshalb stimmen wir diesem Bewertungsänderungsgesetz zu, danken dem Bundesrat für die Anregung, die er in seiner Stellungnahme zu dem Bewertungsgesetz gegeben hat, und sind froh, daß es gelungen ist, gemeinsam in diesem Haus diese Regelung zu finden.
({0})
Wird das Wort noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Gesetzes über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen, des Bewertungsgesetzes und des EntwicklungshilfeSteuergesetzes ({0})
- Drucksache VI /1901 -
aa) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI /2376 -Berichterstatter: - Abgeordneter Dr.
Tamblé
bb) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen VI /2350 ({3}), zu VI /2350 ({4}) Berichterstatter: Abgeordneter von Alten-Nordheim
({5})
Vizepräsident Frau Funcke
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
- Drucksache VI /1934
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({6})
- Drucksachen VI/ 2350 ({7}), zu VI /2350 ({8})
Berichterstatter: Abgeordneter von Alten-Nordheim
({9})
Zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter von Alten-Nordheim das Wort.
von Alten-Nordheim ({10}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir als Berichterstatter, noch einige ergänzende und erläuternde Ausführungen zu machen, die mir angesichts der Tatsache notwendig erscheinen, daß der eigentliche Bericht - Teil A -erst heute morgen als zu Drucksache VI /2350 ({11}) ausgedruckt vorliegen kann; auch die abschließende Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses von gestern nachmittag spielt dabei noch eine Rolle.
In Anbetracht der umfangreichen Tagesordnung möchte ich mich sehr kurz fassen. Lassen Sie mich vorweg aber deutlich sagen und ich bin mir der Zustimmung vieler Mitglieder des Ausschusses sicher, wenn ich das hier zum Ausdruck bringe -, daß ich es außerordentlich bedaure, wenn Materien von teilweise so schwieriger Art und so weittragender steuerrechtlicher Bedeutung, wie sie im Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 enthalten sind, sowie die Entscheidung darüber derart unter zeitlicher Pression stehen. Obwohl sich der Ausschuß völlig darüber einig war, daß dieses Gesetz noch vor Beginn der Sommerpause zu verabschieden sei - nur den intensiven Bemühungen seiner Mitglieder und aller Beteiligten ist es zu verdanken, daß dies schließlich auch gelungen ist , werden sich wahrscheinlich viele seiner Mitglieder nicht ganz von der Empfindung freimachen können, daß eine derartige zeitliche Bedrängnis weder dem Gesetz als solchem noch denjenigen, die daran mitgewirkt haben, noch denjenigen, die davon betroffen werden, letztlich guttut.
In diesem Zusammenhang muß ich das Hohe Haus um Nachsicht für zwei Korrekturen bitten, auf die ich hinzuweisen habe und die als Berichtigung auf Seite 24 meines Berichts vermerkt sind. Die eine bezieht sich auf die Überschrift des Gesetzes, in der es statt „steuerlicher" Vorschriften „steuerrechtlicher" Vorschriften heißen muß. Die andere Berichtigung hat allerdings erhebliche materielle Bedeutung, da auf Seite 16 der Drucksache VI /2350 ({12}) in der Zusammenstellung der Beschlüsse des Finanzausschusses ein Beschluß, der auf dem Vorblatt und auch im eigentlichen Bericht erwähnt ist, hier nicht aufgeführt ist. In § 55 Abs. 4 --- auf dieser Seite 16 - ist die Antragsfrist für die Teilwertfeststellung auf einstimmigen Ausschußbeschluß hin vom 31. Dezember 1973 bis zum 31. Dezember 1975 verlängert worden. Das ist ein sehr wesentlicher Beschluß. Der Vermerk in der rechten Spalte bei § 55 Abs. 4, wo es „unverändert" heißt, ist somit unrichtig.
Lassen Sie mich abschließend sagen, daß das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 in drei Teilen seiner insgesamt vier unterschiedlichen Problemkreise steuerliche Verschlechterungen für die jeweils Betroffenen bringt. Der Problemkreis 1 behandelt die zukünftige Bodengewinnbesteuerung bei Verkäufen von Grund und Boden von Landwirten, Kleingewerbetreibenden und Freiberuflern. Problemkreis 2 befaßt sich mit den Sonderabschreibungen für Schiffe, Flugzeuge sowie mit Bewertungsabschlägen und Rücklagen bei Investitionen in den Entwicklungsländern. Im Problemkreis 3 wird ein Anfang gemacht, steuerliche Vorteile der gewerblichen Tierhaltung einzuschränken, die bisher der bäuerlichen Veredelungswirtschaft deutliche und schwere Wettbewerbsnachteile brachten. Problemkreis 4 setzt sich mit befristeten Steuervergünstigungen, deren Terminablauf und deren teilweiser Verlängerung auseinander. Im übrigen verweise ich auf den Ihnen vorliegenden Bericht.
Der Finanzausschuß empfiehlt dem Hohen Hause, erstens den Gesetzentwurf Drucksache VI /1901 in der aus der Zusammenstellung der Beschlüsse des Finanzausschusses ersichtlichen Fassung anzunehmen, zweitens den Gesetzentwurf Drucksache VI /1934 durch diese Beschlußfassung für erledigt zu erklären, und drittens den Antrag auf Umdruck 89 ebenfalls durch diese Beschlußfassung für erledigt zu erklären.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Der heute morgen vorgelegte Bericht des Abgeordneten von Alten-Nordheim zum Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 ist nicht korrekt oder zumindest nicht vollständig. In diesem Bericht ist kein Satz darüber zu finden, daß der Finanzausschuß einen Antrag der SPD und FDP angenommen hat, wonach Abschreibungsverluste aus gewerblicher Tierhaltung und Tierzucht nicht mehr mit anderen Einkünften verrechnet werden können. Damit verfolgen SPD und FDP das Ziel, die Landwirtschaft vor einem ruinösen Wettbewerb durch landwirtschaftsfremde kapitalkräftige Gesellschaften zu schützen, deren Gesellschafter ihre Einlagen mit Steuerersparnissen finanzieren. Im Bericht wird vielmehr der Eindruck erweckt, daß der Ausschuß einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion gefolgt sei.
({0})
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion war nach Auffassung des Bundesjustizministeriums verfassungswidrig. Über ihn wurde überhaupt nicht abgestimmt. Der Ausschuß hat nur über den Antrag der Fraktionen der SPD und FDP abgestimmt und diesen Antrag bei ein paar Gegenstimmen und Enthaltungen der Opposition angenommen.
Diese Kritik an dem Bericht des Kollegen von Alten-Nordheim war nötig. Wir bedauern das sehr. In der Kürze der Zeit war es mir nicht möglich - der Bericht liegt erst seit wenigen Minuten vor -, genauer auf den Bericht einzugehen.
Das Wort hat der Abgeordnete von Alten-Nordheim.
von Alten-Nordheim ({0}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, Herr Kollege Porzner - ich habe das bereits als Berichterstatter zum Ausdruck gebracht -, daß derartige Gesetze unter solchen zeitlichen Pressionen stehen. Insofern tut es mir leid, wenn ich Sie jetzt darauf hinweisen muß, daß in dem Bericht in Teil I, meinem eigentlichen Bericht, die von Ihnen angesprochene Angelegenheit auf Seite 9 vermerkt ist. Ich darf hier mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitieren:
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat ferner vorgeschlagen, die Abschreibung lebender Tiere als geringwertige Wirtschaftsgüter ({1}) aufzuheben. Dieser Vorschlag, der als Ersatzlösung gegenüber einer anfänglichen Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU - Drucksache VI/ 1934 - erarbeitet worden war, wurde als gegenstandslos angesehen, nachdem die Regierungsparteien am letzten Tag der Beratung im Finanzausschuß ihrerseits den als Artikel 1 Nummer vor 1 in die vorgeschlagene Ausschußfassung eingegangenen Antrag stellten. Diese Ausschußfassung entspricht nach der beschlossenen Einfügung im Ergebnis dem grundsätzlichen Anliegen des CDU/CSU-Antrags. Im übrigen hat der Finanzausschuß die Vorschläge des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in ihrem wesentlichen Inhalt übernommen.
Ich glaube, Herr Kollege Porzner, Ihr Vorwurf entkräftet sich damit.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsidentin! Mein Damen und Herren! Ich glaube, daß hier zunächst einmal festgestellt werden muß, daß der vorliegende Gesetzentwurf eine Notwendigkeit geworden ist, zumindest in dem Teil, der die Besteuerung des Gewinns aus Veräußerung von landwirtschaftlichen Grundstücken betrifft, weil das Bundesverfassungsgericht dazu im Mai vergangenen Jahres eine Entscheidung getroffen hat. Ich möchte dazu außerdem die Auffassung vertreten, daß gerade seit diesem Urteil in der bäuerlichen Öffentlichkeit eine Meinung entstanden ist, als ob wieder, wie schon im Zusammenhang mit dem Städtebauförderungsgesetz, diesmal durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, durch diese Regierung im Hinblick auf die künftige Gesetzgebung das Eigentum gefährdet würde. Ich möchte vorwegnehmen, daß es gelungen ist, in diesem Gesetz Regelungen zu treffen, die gerade in bezug auf das bäuerliche Eigentum das Höchstmaß dessen beinhalten, was überhaupt auf Grund dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts möglich war.
Dieses Gesetz hat einige Wandlungen durchgemacht. Ich bin nicht ganz der Auffassung von Herrn von Alten-Nordheim, daß man so sehr in Bedrängnis war. Immerhin lag der Gesetzentwurf der Regierung schon im letzten Herbst auf Drucksache VI /1901 vor. Seit dieser Zeit hat man die Möglichkeit gehabt, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen. Im Laufe dieser Verhandlungen ist eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zur Steuergesetzgebung eingebracht worden, so bezüglich der Einschränkung der Sonderabschreibungen bei Schiffen und Flugzeugen. Ferner steht im Zusammenhang mit § 2 a des Einkommensteueränderungsgesetzes die Frage der gewerblichen Veredelung zur Debatte. Man braucht sich darüber nicht zu streiten. Tatsache ist, daß nach Auffassung der Experten der Vorschlag der CDU/CSU keineswegs für sich hätte in Anspruch nehmen können, daß er verfassungsgemäß gewesen. wäre, weil er noch zudem den Vorteil beinhaltet hätte, daß Verlustausgleiche mit landwirtschaftlichen Betrieben möglich gewesen wären.
Abgesehen davon stehe ich auf dem Standpunkt, daß es hier zum erstenmal gelungen ist, nachdem man sich zehn Jahre darum bemüht hat, den Versuch zu unternehmen, die gewerbliche Tierhaltung zugunsten der bäuerlichen Veredelungswirtschaft einzuschränken. Insofern, glaube ich, verdient dieses Gesetz gerade auch in der bäuerlichen Öffentlichkeit große Beachtung.
Bevor ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, Einzelheiten dieses Gesetzes anspreche, möchte ich hier auch in bezug auf die Öffentlichkeit folgendes zum Ausdruck bringen. Vielleicht ist der Opposition die Aussprache unangenehm. Ich bin aber der Meinung, daß das Gesetz eine viel größere Bedeutung hat, als sie ihm hier zugemessen wird. Ich bin der Auffassung, daß gerade hier deutlich gemacht werden muß, daß durch dieses Gesetz eines überhaupt nicht berührt ist, nämlich die Veräußerung von Betriebsvermögen, wenn der Erlös wieder in Betriebsvermögen angelegt wird. Darüber besteht draußen völlige Unklarheit, und ich glaube, das muß in Verbindung mit der Verabschiedung des Gesetzes gesagt werden.
Es muß weiter darauf hingewiesen werden, daß die Bundesregierung schon in der Vorlage der Landwirtschaft in einer großzügigen Art und Weise entgegengekommen ist
({0})
- ich stelle das hier nachdrücklich fest -, zum ersten mit der Stichtagregelung des 1. Juli 1970, von dem an der Mehrwert versteuert werden muß; gerade in dieser Beziehung ist man nicht weiter zurückgegangen.
Man hat dann noch lange über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes gestritten, wobei in den Ausschußberatungen klar geworden ist, daß, wenn man dem Antrag der CDU/CSU im Finanzausschuß gefolgt wäre, ein Vakuum in der Behandlung der
Steuerfrage vom 1. Juli 1970 an bis jetzt, wenn man den jetzigen Termin des Inkrafttretens genommen hätte, entstanden wäre, das der Landwirtschaft, die der Hauptbetroffene ist, mehr geschadet als genützt hätte.
Nun glaube ich, daß zunächst einmal, nachdem ich hier davon gesprochen habe, daß die Regierung der Landwirtschaft sehr entgegengekommen ist, erwähnt werden muß, daß für die Zukunft eine genügende Basis von Freibeträgen für den innerlandwirtschaftlichen Verkehr von Grundstücken gefunden wurde, der im Durchschnitt 40 000 DM pro Hektar ausmacht und der auf der Basis der vierfachen Ertragsmeßzahl mal zwei gründet. Außerdem sind die Übergangsregelungen, die bis zum 1. Januar 1974 gelten, durchaus positiv zu bewerten im Blick auf die Veräußerung des Gesamtbetriebs mit einem Freibetrag von 60 000 DM und des Teilbetriebs für Tilgung von Schulden und Auszahlung weichender Erben ebenfalls mit einem Freibetrag in dieser Zeit bis 1974 von 60 000 DM, und zwar bei den Betrieben unter einem Einheitswert von 25 000 DM. Gerade dieser Betrag von 25 000 DM, der ja im Laufe der Beratung dieses Gesetzes von 15 000 DM Einheitswert nun endgültig auf 25 000 DM Einheitswert angehoben worden ist, muß in diesem Zusammenhang positiv erwähnt werden, weil er im Blick auf den künftigen Strukturwandel in der Landwirtschaft von großer Bedeutung ist.
Die Teilwertfeststellung, die Herr von AltenNordheim hier in dem Gesetzentwurf mit dem neuen Termin mit angesprochen hat, konnte bis zum 31. Dezember 1975 ausgedehnt werden. Bis dahin hat der einzelne Landwirt in bezug auf höherwertige Grundstücke die Entscheidungsmöglichkeit, den Mehrwert anzumelden oder es beim landwirtschaftlichen Wert zu belassen. Bei der Anmeldung des Mehrwerts muß er selbstverständlich die Entscheidung in Kauf nehmen, eine Art Fortschreibung von seiten des Finanzamts zu bekommen. Von entscheidender Bedeutung für unsere Landwirtschaft dürfte aber sein, daß dem § 69 nun in Abs. 4 der Nachsatz angefügt wurde, daß Flächen bis zu einem Hektar bei der Hofstelle des landwirtschaftlichen Betriebes von dieser Regelung ausgenommen werden, d. h. daß bis zum 31. Dezember 1975 der höhere Teilwert angemeldet werden kann, aber danach nicht in das Grundvermögen eingeht.
Darüber hinaus hat man in diesem Gesetz genügend der Tatsache des Stukturwandels und der Altersvorsorge Rechnung getragen, sowohl der Landwirtschaft wie des Kleingewerbes und der freien Berufe, und zwar mit der generellen Heraufsetzung des Freibetrags von 20 000 auf 30 000 DM, der im Falle der Vollendung des 55. Lebensjahres auf das Doppelte, 60 000 DM, angehoben wird. In diesem Zusammenhang dürfte auch die Einbeziehung der Berufsunfähigkeit in diesen Passus von Bedeutung sein.
Alles in allem - ich habe es eingangs schon gesagt - kommt vielleicht im Augenblick in diesem Hause nicht gerade zum Ausdruck, welch große Bedeutung dieses Gesetz für die Zukunft haben wird. Ich stehe aber auf dem Standpunkt, daß hier die Regierung in Zusammenarbeit mit den Ausschüssen des Bundestagens ein Gesetz geschaffen hat - zum Teil nach Vorschlägen des Bundesrates -, mit dem wir voll zufrieden sein können.
({1})
Meine Damen und Herren, wird das Wort zur Gesamtaussprache noch gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Krammig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vorhin das Bewertungsänderungsgesetz verabschiedet. Weil wir zeitlich etwas eher zum Zuge gekommen sind, als das in den Dispositionen des Hauses lag, habe ich in der Schlußerklärung nicht darauf hingewiesen, daß kein verantwortlicher Vertreter des zuständigen Ministeriums anwesend war. Ich möchte aber jetzt darauf hinweisen, daß ich es nicht gut finde, daß wir das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 hier verabschieden, ohne einen politisch verantwortlichen Vertreter des Ministeriums hier zu haben, dessen Vorlage wir beraten. Ich beantrage deshalb, daß der betreffende Herr hierher kommt, entweder der Staatssekretär oder der Minister selbst.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf annehmen, daß dieser Antrag von der Fraktion der CDU /CSU unterstützt wird.
({0})
Er wird allgemein unterstützt. Ich darf ihn zur Abstimmung stellen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? - Dann bitte ich, das Entsprechende zu veranlassen.
({1})
Sollen wir die Beratung so lange aussetzen?
({2})
- Wir setzen dann die Beratung so lange aus.
Bestehen Bedenken dagegen, Punkt 11 der Tagesordnung aufzurufen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Ottokraftstoffe für Kraftfahrzeugmotore
- Drucksache VI/ 1902 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({3})
-- Drucksache VI /2351 7626
Abgeordneter Dr. Gruhl, Abgeordneter Müller ({0})
({1})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Gruhl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist das erste Gesetz, das unter den Gesichtspunkten des Umweltschutzes in die weitere Entwicklung des Kraftfahrzeugverkehrs eingreift. Wenn ich daher diesem Hohen Hause über die Beratung des Gesetzes berichte, muß ich die Ergebnisse der Anhörung vorn 14. Juni mit einbeziehen, in der der Innenausschuß Sachverständige für die Luftreinhaltung und speziell für den Kraftfahrzeugverkehr gehört hat.
Wenn wir uns mit den Gesichtspunkten des Umweltschutzes befassen, ist eine Menge technischer Überlegungen zu beachten. Darum hat der Innenausschuß sowohl Vertreter der Automobilindustrie als auch der Mineralölindustrie, des Technischen Überwachungsvereins und der Wissenschaft befragt. Leider sind die Aussagen nicht ganz einheitlich. Einigkeit herrscht aber darüber, daß eine langfristige Planung vorgenommen werden muß und daß die Industrie darauf wartet, politische Richtpunkte gesetzt zu bekommen. Wir müssen also als Gesetzgeber die Gesichtspunkte des Umweltschutzes in den Vordergrund stellen. Andererseits müssen wir auch die technischen Möglichkeiten beachten. Wir haben nicht die Absicht, etwas zu verlangen, was technisch nicht realisierbar ist. Was in der Zukunft realisierbar ist, läßt sich aber auch nicht ohne weiteres voraussagen. Überraschende Neuentwicklungen sind nicht ausgeschlossen, obwohl man den vielen Ankündigungen auf diesem Gebiet immer auch eine gewisse Skepsis entgegenbringen muß. Es handelt sich oft um Ankündigungen, die in der Praxis nicht ohne weiteres realisierbar sind. Ich hoffe, mit den Ausführungen über dieses Gesetz und über die lange Entschließung, die der Innenausschuß vorschlägt, etwas Klarheit zu schaffen.
Wenn wir die Luftverschmutzung und den Lärm der Kraftfahrzeuge mindern wollen, müssen wir bereits heute Daten für das Jahr 1980 und später setzen. Die Entwicklung neuer Antriebsarten braucht eine längere Zeit von etwa fünf Jahren. Bis eine wesentliche Anzahl neuer Fahrzeuge auf den Straßen fährt, vergehen mindestens weitere fünf Jahre. Bei Betrachtung des fernsten Aspekts hoffen wir alle, daß es gelingen wird, eine neue Antriebsart zu entwickeln, die keinerlei Abgase mehr entläßt.
Weil wir uns aber auf den Erfolg solcher Entwicklungen nicht verlassen können, brauchen wir für den zur Zeit laufenden Benzinmotor Übergangsregelungen für die nächste Zeit. Das hat zur Folge, daß der Brennstoff des Benzinmotors so verbessert werden muß, daß die Abgase die Luft weniger verschmutzen. Zu den luftverschmutzenden Bestandteilen gehört auch das Blei. Wir haben die Entwicklungen nach 1976 bis etwa 1980 in Punkt c der Entschließung besonders behandelt, indem wir die Bundesregierung auffordern,
Mineralölindustrie und -handel sowie die Automobilindustrie darauf hinzuweisen, daß sie sich darauf einstellen sollten, ab 1976 neuartige Motoren und einen bleifreien Kraftstoff zur Verfügung zu haben.
Einigen Kollegen mag diese Formulierung etwas zu unbestimmt erscheinen. Ich sagte aber schon, daß wir bei den heutigen technischen Überlegungen nicht imstande sind, hier völlig einwandfreie Daten zu setzen, sondern daß wir dies der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung überlassen müssen.
Die heutige Vorlage, die sich im Gesetz selbst nur mit der Verminderung des Bleigehalts befaßt, kann natürlich nicht allein bleiben. Als nächstes muß ein Gesetz über die drastische Verminderung der übrigen Abgase folgen. Das sind vor allen Dingen Kohlenmonoxyd, Kohlenwasserstoffe und Stickoxyde. Die Vereinigten Staaten haben eine solche Verminderung um 90 % bereits gesetzlich festgelegt, die von 1975 und 1976 an zum Tragen kommt. Auf diese Gesetzeslage in den Vereinigten Staaten muß sich auch unsere Automobilindustrie einstellen, und sie muß sich der dortigen Entwicklung anschließen. Darum haben wir in Punkt b unserer Entschließung gesagt, daß sich die Industrie dem Stand der Technik laufend anpassen muß und gerade die luftverunreinigenden Stoffe nach und nach soweit wie möglich auszuschalten hat.
Wir legen die Werte heute im Gesetz nur vorübergehend fest. Hier wurde schon von der Bleifreiheit gesprochen, und zwar deshalb, weil eine ganz wesentliche Verminderung der Abgase nur durch den Einsatz einer katalytischen Nachverbrennung zu erreichen sein wird. Die Katalysatoren sind aber nicht in der Lage, das Blei zu verdauen. Man hört zwar hier und da Meldungen, nach denen angeblich bereits Katalysatoren existieren sollen, die auch Blei mit verarbeiten können, aber eine einwandfreie Nachprüfung erweist immer wieder, daß diese Geräte noch nicht praktisch erprobt sind.
Eine weitere Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Ottomotors ist die Abschaffung der Hubraumsteuer. Auch das haben die Fachleute in der Anhörung wiederholt betont. Darum wird auch in diesem Zusammenhang der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion in der nächsten Zeit mit zu behandeln sein.
Nachdem ich bisher die längerfristige Entwicklung auf dem Kraftfahrzeugsektor behandelt habe, will ich mich nun mit der kurzfristigen Entwicklung befassen, die jetzt im Gesetz vorgesehen ist. Der Innenausschuß hat die Überschrift des Gesetzes verändert, um den Teilaspekt, um den es hier geht - Benzin-Blei-Gesetz -, stärker hervorzuheben. Er hat weiter in seine Entschließung aufgenommen, daß es nicht zu einer Ersetzung des Bleis durch Aromaten kommen darf, da diese Aromaten gleichfalls gesundheitsschädliche Wirkungen haben.
Ein wichtiger Punkt der Verhandlungen war die Terminsetzung. Ein Bleigehalt von 0,15 Gramm je Liter ist nur zu erreichen, wenn es zu wesentlichen Umstellungen in den Raffinerien kommt. Die Industrie hat dafür als frühestmöglichen Zeitpunkt den
1. Januar 1977 genannt; das Gesetz schlägt 1976 vor. Der Bundesrat hat sich seinerseits für eine Fristsetzung zum 1. Januar 1974 - dieser Termin läge also zwei Jahre früher - ausgesprochen.
Nach eingehenden Beratungen sind wir der Meinung, es werde wohl schwerlich bis zum 1. Januar 1974 möglich sein, den Bleigehalt je Liter Benzin auf 0,15 Gramm zu senken, wenn gleichzeitig das Benzin die notwendige Oktanzahl behalten soll und die Umstellungen in der Industrie zumindest zum größten Teil noch nicht durchgeführt sind. Darum hat der Innenausschuß den Vorschlag des Bundesrates nicht aufgegriffen.
Ein weiterer Punkt der Auseinandersetzungen war der Bleigehalt ab 1. Januar 1972. Die Regierung schlägt 0,40 Gramm je Liter vor, was einer Verminderung des jetzt 0,44 Gramm betragenden Durchschnittsgehaltes um den zehnten Teil entspräche. Da wir ja in den nächsten Jahren mit einer weiteren Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs rechnen müssen, kann man absehen, daß eine derartige Reduzierung bald wieder wettgemacht wird.
Deshalb wurden Überlegungen angestellt, ob man nicht den im Zusammenhang mit den 0,40 Gramm genannten Termin beibehalten, dabei zusätzlich aber schon den Bleigehalt etwas stärker herabsetzen könne. Die CDU/CSU-Kollegen haben im Innenausschuß den Antrag gestellt, schon ab 1. Januar 1972 eine Grenze von 0,30 Gramm einzuführen. Dieser Antrag wurde abgelehnt; aber der gleiche Antrag wird hier im Plenum noch einmal gestellt werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe § 1 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bute ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltengen? - Der Paragraph ist angenommen.
Zu § 2 liegt ein Änderungsantrag der CDU /CSU-
Fraktion auf Umdruck 205 *) vor. Das Wort zur BE. gründung hat der Herr Abgeordnete Engelsberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/ CSU hat in ihrem Änderungsantrag zum Gesetz zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Benzin beantragt, die im Gesetz vorgesehene Höchstgrenze für den Bleianteil von 0,4 Gramm auf 0,3 Gramm pro Liter Benzin herabzusetzen. Sie glaubt, damit der tatsächlichen Situation hinsichtlich der Luftverschmutzung durch Autoabgase mehr gerecht zu werden, als dies der Regierungsentwurf tut. Die Anhörung der Sachverständigen durch den Verkehrsausschuß und Innenausschuß hat noch deutlicher werden lassen, welche Gefahren für unsere Bevölkerung die Autoabgase und von diesen wieder die giftigste, wenn auch mengenmäßig kleinste Komponente, das Blei, bedeuten. Es wurde von verschiedenen Seiten immer wieder die Frage gestellt, ob aus den Auspuffgasen der Autos stammendes Blei gesundheitsschädigende Wirkungen auf den menschlichen Organismus habe. Insbesondere wird die Behauptung aufgestellt, daß kein einziger Fall bekannt sei, wo durch Blei aus den Autoabgasen verursachte direkte Erkrankungen nachgewiesen werden konnten. Zweifellos ist der direkte Nachweis, daß das Blei aus den Autoabgasen Krankheiten auslöst, schwierig. Aber aus den Äußerungen der für dieses Sachgebiet zuständigen Wissenschaftler ist klargeworden, daß kein Zweifel über die schädlichen Auswirkungen der Schadstoffe in den Autoabgasen auf die menschliche Gesundheit besteht. Professor Schlipköter sprach im Hearing von gesicherten Erkenntnissen, daß die Luftverschmutzung zu bösartigen Tumoren führe. Er wies in diesem Zusammenhang auf die Gefahren der Aufnahme von Bleidünsten durch die Lunge hin, und Professor Grimme berichtete, der Lungenkrebs steige augenblicklich so stark wie keine andere Krankheit. Die spektrometrische Untersuchung von 5000 Bundesbürgern bei der Biologisch-Physikalischen Forschungsgesellschaft in Oberjesingen ergab bei jedem vierten Untersuchten eine Schwermetallanreicherung im Blutserum, bei jedem neunten der Patienten, die über unerklärliche Symptome geklagt hatten, eine Bleivergiftung. Aus den Vereinigten Staaten liegen Meldungen vor, die den direkten Beweis dafür liefern, daß das Blei im Benzin und nicht andere Medien, wie etwa der natürliche Bleigehalt in der Erdrinne oder bleihaltige Glasuren und Farben, für die zunehmende Verbleiung unserer Umwelt verantwortlich ist. Die Untersuchungen im Gebiet von San Diego ({0}) ergaben, daß der Bleigehalt der Luft jährlich um 5 % steigt. Hierfür sind fast ausschließlich die Treibstoffadditive verantwortlich, denn die Isotopenzusammensetzung des Bleis in den Aerosolen ist praktisch die gleiche wie die im Benzinzusatz. Andere Quellen der Bleiverunreinigung der Luft scheiden also aus. Nach Ansicht von Professor David Spiro von der Universität New York können viele tausend Menschen unter den Auswirkungen von Blei und anderen Schwermetallen leiden, die nicht unmittelbar zu klinischen Erscheinungen führen. So könne eine gewisse Lethargie, eine Verzögerung in den Nervenleitungen, unerklärliche Schmerzen und eine Beeinträchtigung der Eiweißsynthese und der Enzymtätigkeit im Körper gehören. Alle Pathologen hat n übereinstimmend erklärt, daß der Bleigehalt im menschlichen Körper höher als vor zehn Jahren sei. Es sei bekannt, daß man im Blut von Verkehrspolizisten und von Arbeitern in bestimmten Industrien stark erhöhte Bleikonzentrationen gefunden hat.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich könnte denjenigen, die die Gefahren der Luftverschmutzung verniedlichen und die Situation hinsichtlich des Bleigehalts im Benzin zu verharmlosen versuchen, weitere Beispiele entgegenhalten. Trotzdem kann man immer wieder hören und in Presseveröffentlichungen lesen, daß die Entfernung des Bleis aus dem Benzin nur eine halbe Maßnahme auf dem Wege zum schadstofffreien Autoabgas sei, weil ja Kohlenmonoxyd, Kohlenwasserstoffe und Stickoxyde durch Weglassen des Bleis nicht beseitigt würden, sondern im Gegenteil durch das Absinken des Wirkungsgrades der Motoren mehr Treib-
*) Siehe Anlage 5
Stoff verbraucht und dadurch der Schadstoffanteil noch erhöht würde.
Zweifellos ist das vorliegende Gesetz nicht in der Lage, auch nur eine Komponente der Luftverschmutzung, nämlich das Blei, vollkommen zu beseitigen. Aber es ist ein erster Schritt auf einem Weg, dem noch viele zu folgen haben, um erträgliche Umweltverhältnisse herbeizuführen und der Verschmutzung der Luft Einhalt zu gebieten bzw. sie auf ein Maß zurückzuführen, das unseren Bürgern im Hinbilck auf ihre Gesundheit zugemutet werden kann.
Bei dem Problem der Luftverschmutzung durch das Blei geht es nicht um eine Angelegenheit, die je nach Interessenlage so oder so zu betrachten ist, sondern hier geht es um das elementare Recht der Bevölkerung, saubere Luft atmen zu können, und das verpflichtet die Bundesregierung und dieses Hohe Haus, entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen. Regierung und Parlament werden sich der Verpflichtung nicht entziehen können, auch unpopuläre Maßnahmen im Hinblick auf finanzielle Belastungen für unsere Bürger in Kauf zu nehmen, wenn das Umweltproblem bewältigt werden soll.
Im Hearing und bei der Beratung in den Ausschüssen hat sich gezeigt, daß der Vorschlag des Bundesrates, den Bleigehalt des Benzins bereits am 1. Januar 1974 auf 0,15 g pro Liter herabzusetzen, aus technischen Gründen nicht verwirklicht werden kann. Die Maßnahmen zur Umstellung der Raffinerien beanspruchen einen Zeitraum, der es nicht gestattet, vor dem 1. Januar 1976 auf diesen niedrigeren Wert von Blei im Benzin herunterzugehen, obwohl dies dringlich wäre.
Bei der ersten Stufe der Verminderung des Bleigehalts des Benzins ist die Situation anders. Die für den 1. Januar 1972 vorgesehene Senkung des Bleigehalts des Benzins von jetzt im Durchschnitt 0,44 g pro Liter auf maximal 0,4 pro Liter erscheint nicht ausreichend. Der Bleigehalt des Benzins wurde in den letzten Jahren immer weiter angehoben. So hatten wir im Jahre 1966 einen durchschnittlichen Bleigehalt von 0,36 g pro Liter Benzin, und auch heute haben wir Benzine mit einem Bleigehalt von 0,3 g pro Liter und darunter. Damit ist auch erwiesen, daß die jetzigen Kraftfahrzeugmotoren mit diesem geringeren Bleianteil im Kraftstoff unbeanstandet laufen. Der Herr Bundesinnenminister hat in der ersten Beratung dieses Gesetzes ausgeführt, daß realistische Prognosen vorliegen, nach denen ein Bleigehalt von 0,35 g pro Liter Benzin noch unterschritten werden kann.
({1})
- Ich will mich möglichst kurz fassen, Herr Kollege Schäfer. Wenn ich hier flüssiger spreche, dauert es nicht so lange, als wenn ich frei spreche.
({2})
- Ja, die Zahlen muß ich selbstverständlich ablesen, Herr Dr. Apel. Sie werden mir doch nicht zumuten, ein paar Dutzend Zahlen hier auswendig zu lernen.
Warum sollte man also nicht das Mögliche fordern und in die Tat umsetzen, wenn es um die Gesundheit unserer Bevölkerung geht? Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen, die im Regierungsprogramm Reformen auf allen Gebieten angekündigt und den Umweltschutz als ihr besonderes Anliegen herausgestellt haben, sollten bei der Verabschiedung dieses wichtigen Gesetzes dem weitergehenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung geben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Engelsberger hat gerade ausgeführt, daß eine vermehrte Bleiabgabe im Körper das Nervensystem angreifen kann. Ich darf das fortführen: vermutlich auch zu einer zwiespältigen Haltung führen kann. Das scheint mir, wenn auch nicht wissenschaftlich, so doch ziemlich gesichert zu sein, nachdem ich Herrn Engelsbergers Rede jetzt gehört habe und weiß, daß er im Verkehrsausschuß für die Vorlage der Bundesregierung
({0}) und damit für die 0,4-Grenze gestimmt hat.
({1})
- Meine Herren, nehmen Sie diese Ausführungen mit dem notwendigen Ernst entgegen!
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege ist Ihnen nicht bekannt, daß der Kollege Engelsberger bei dieser Sitzung des Verkehrsausschusses gefehlt hat, und zwar wegen Krankheit?
Einer Krankheit, die hoffentlich nicht auf die Umweltverschmutzung zurückzuführen ist.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Herr Kollege Liedtke, darf ich
Sie daran erinnern - Sie wissen es natürlich
auch - daß die CDU/CSU im Verkehrsausschuß
einstimmig - einstimmig! - der Vorlage der Bundesregierung zugestimmt hat und daß einzelne Redner der CDU/CSU sogar für ein Hinausschieben des letzten Termins waren? Insofern sind Sie, glaube ich, mit mir einig, daß es in der Tat ein Propagandaantrag ist.
Schönen Dank, Herr Kollege Apel. Ich darf folgende Ergänzung hinzufügen: Auch im Verkehrsausschuß herrschte Einmütigkeit über die Grenze von 0,4 g pro Liter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Liedtke, ist Ihnen bekannt, daß die Anhörung des Innenausschusses über die Luftverschmutzung, wo gerade diese Fachleute zu Wort gekommen sind, erst nach der Beratung im Verkehrsausschuß zustande kam und sich daher unsere Kollegen durchaus eine andere Meinung bilden konnten?
Ich danke für die Aufklärung. Es wäre das letzte, wenn die Koalitionsfraktionen der Opposition verbieten würden, klüger zu werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engelsberger?
Herr Abgeordneter ist Ihnen bekannt, daß ich mir das Bein gebrochen habe und daß ich deshalb an der Sitzung im Verkehrsausschuß nicht teilnehmen konnte und daß es sich nicht um eine Bewußtseinsspaltung zwischen der Sitzung im Verkehrsausschuß und der heutigen zweiten Lesung handelt?
Herr Engelsberger, ich nehme das ausdrücklich zur Kenntnis.
Da es sich hier um einen Antrag der CDU/CSU- Fraktion handelt, kann ich Herrn Engelsberger gegen den Sprecher X dieser Fraktion austauschen. Die Mitglieder Ihrer Fraktion, soweit sie den Sitzungen des Verkehrs- und des Wirtschaftsausschusses beigewohnt haben, sehen dadurch nicht besser aus. Ich will das jetzt nicht näher ausführen. Aber wenn ich mir die gestrige Debatte vor Augen führe und sie auf heute übertrage, dann muß ich sagen: Das ist einfach der normale Oppositionsstil. Wenn hier ein Gesetz eingebracht wird, reagiert die Opposition im Stile des kleinen Hävelmanns - mehr! mehr! - und bläst damit der Wirklichkeit ins Gesicht.
Die Anhörung hat ergeben - ich sage es jetzt nur in Stichworten, da es hier bekannt ist -, daß die Obergrenze von 0,4 g pro Liter für die Mineralölindustrie bedeutet, daß sie eine Toleranzgrenze nach unten einzuhalten hat, so daß sie in Wirklichkeit ein Benzin mit einem Bleigehalt zwischen 0,3 und 0,35 g pro Liter auf den Markt zu bringen hat. Die Feststellung der Fachleute aus der Kraftfahrzeugindustrie lautete: Bei dieser Grenze müssen 10% der sogenannten hochkomprimierten „Rennpferde" unter den Autos in die Werkstätten und an den Motoren umgestellt werden. Ich glaube, das ist tragbar und zumutbar. Gehen Sie herunter - ich berufe mich immer auf die Fachleute - auf die Obergrenze von. 0,3 g pro Liter, so muß man mit der Toleranz also weit an die Zahl 0,2 herangehen.
Als Ergebnis ist klar herausgekommen: Erstens besteht die große Gefahr, daß nicht nur diese „Rennpferde", sondern annähernd alle Wagentypen klopfen und sich in kurzer Zeit auf den Autofriedhof klopfen werden. Zweitens ist die Gefahr nicht auszuschließen, daß die Wagen gar stehenbleiben. So die Fachleute eindeutig im Hearing!
Dann würde dieses Gesetz zu einem Reklamegesetz für die Naturfreunde und den Alpenverein; denn wir würden wieder ein Volk von Fußgängern. Gewiß, eine gesunde, aber auch eine etwas abenteuerliche Vorstellung!
Zumindest würde die enggefaßte Ausnahmeklausel im Gesetz für eine ganze Reihe von Jahren zur Dominante dieses Gesetzes werden. Letztlich mußten wir im Innenausschuß von den Fachleuten zur Kenntnis nehmen, daß unter der Grenze von 0,4 g pro Liter die Investitionszone der Mineralölindustrie beginnt. Daß das in fünf Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes - ich schätze, frühestens zum 1. Juli 1972 - kaum machbar ist, müßte jeder in diesem Hause wissen.
Kurzum, meine Damen und Herren, wir müssen diesen Antrag ablehnen, weil uns nach der Anhörung klar ist, daß 0,4 g pro Liter die Markierungsgrenze der Wirklichkeit und 0,3 g pro Liter eine Traumgrenze ist, die ein wenig durch die Absicht erzeugt worden sein mag, nun in einem einzigen Gesetz nachzuholen, was in vielen Jahrzehnten versäumt worden ist.
Damit darf ich schließen. Bezogen auf dieses Gesetz, beträgt also die Differenz zwischen einem wirklichen, machbaren Gesetz und einem Propagandaeffekt ganze 0,1 g Blei pro Liter im Kraftstoff.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gruhl.
Herr Kollege Liedtke, nach diesen Unterstellungen muß ich doch noch einiges zurechtrücken. Sie müssen auch mir - nicht nur anderen gestatten, klüger geworden zu sein. Sie sind ganz besonders auf die Toleranzgrenzen eingegangen und haben sie mit 0,05 Gramm angegeben. Meine in den letzten Tagen bei der Industrie und bei den Fachleuten angestellten Ermittlungen haben ergeben, daß die angebliche große Toleranz von im Grunde 0,10 Gramm - 0,05 Gramm nach oben und 0,05 Gramm nach unten - ein Märchen ist. Die Mineralölindustrie kann die Beimischungen durchaus viel genauer dosieren. Es hat sich herausgestellt, daß die Mineralölindustrie allerdings befürchtet, daß die nachher stattfindende Analyse durch die Vertreter der Bundesregierung so ungenau ausfällt, daß sich deshalb, weil die Geräte noch nicht ausreichend entwickelt sind, eine Erhöhung des Bleigehalts herausstellt, die in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
Ja, bitte!
Herr Kollege Dr. Gruhl, würden Sie die übereinstimmende Aussage aller Fachleute auch als Märchen bezeichnen, daß wir beim Schritt zu einem Bleigehalt von 0,4 Gramm bereits Schwierigkeiten für die hochtourigen Fahrzeuge - Mercedes 280, Porsche - bekommen, daß aber dann, wenn wir den von Ihnen vorgeschlagenen Schritt tun, alle Mittelklassewagen stehenbleiben, weil diese Wagen mit einer Oktanzahl gefahren werden müßten, die ihnen nicht zuträglich ist?
Herr Apel, daß der Fall, den Sie eben geschildert haben, bei einem Bleigehalt von 0,40 Gramm eintreten würde, hat kein einziger der Fachleute gesagt.
({0})
In der Anhörung des Innenausschusses hat das kein einziger gesagt. Eine solche Befürchtung ist allerdings im Hinblick auf den Bleigehalt von 0,30 Gramm geäußert worden.
Ich muß auch noch hinzufügen, daß das Innenministerium ursprünglich die Absicht hatte, im Gesetz den Wert von 0,35 Gramm einzusetzen, und diesen Wert erst nachher wieder erhöht hat. Unterstellen Sie uns, wenn in unserem Antrag jetzt auch niedrigere Werte enthalten sind, darum bitte nicht, daß wir böse Absichten verfolgten und daß bei dem von uns vorgeschlagenen Wert eine Menge von Fahrzeugen liegenblieben. Kein Autofahrer weiß heute, wieviel Blei sich in dem Benzin befindet, das er getankt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte erst meinen Gedanken zu Ende führen.
Der Autofahrer tankt an vielen Tankstellen bereits Benzin mit einem Bleigehalt von 0,30 Gramm pro Liter und darunter, und sein Auto läuft unbeanstandet. Deshalb sind diese düsteren Voraussagen, die Sie, Herr Apel, eben gemacht haben, fehl am Platze.
Bitte schön!
Herr Kollege Gruhl, können Sie bestätigen, daß das Innenministerium in dem Informationsblatt „Umweltschutz" einen Artikel eines amerikanischen Professors abgedruckt hat, in dem erklärt wird, daß in der zweiten Phase der Verringerung des Bleigehalts die Oktanzahl nur noch unwesentlich beeinflußt wird und daß man daraus schließen kann, daß sich das Verhältnis von Bleigehalt und Oktanzahl nicht als eine Gerade, sondern als eine Kurve darstellt, die im unteren Bereich abflacht?
Herr Kollege Volmer, das hat Herr Professor Klamann als Vertreter der Mineralölindustrie ausdrücklich bestätigt. Er hat gesagt, daß bei höheren Beimischungen keineswegs mehr die zusätzliche Wirkung erzielt wird, die bei einer geringen Beimischung allerdings eintritt.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine weitere Frage von Herrn Dr. Apel!
Bitte!
Herr Kollege Dr. Gruhl, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die amerikanischen Verhältnisse mit den bundesdeutschen überhaupt nicht vergleichbar sind, weil wir dort nicht die Hubraumsteuer und damit auch nicht die Notwendigkeit der hohen Verdichtung, daß in der Tat die Oktanzahl zurückgeht, wenn der Bleigehalt verringert wird, und daß dann, wenn diese Verringerung zu rapide vorgenommen wird, ohne daß andere Beimischung, die nicht giftig sind, gefunden worden sind, Klopferscheinungen auftreten?
Herr Kollege Apel, laut Anhörung bewirkt die Bleibeimischung acht Oktan. Das heißt, 0,05 Gramm Bleibeimischung machen - bei einer geraden Linie - ein Oktan aus. Wir haben aber eben aus der Frage von Herrn Volmer entnehmen können, daß wir von einer Kurve ausgehen müssen. Es ist also zu erwarten, daß kaum mehr als eine Minderung von einem Oktan eintritt. Ich gebe zu, das ist eine technische Frage, die weder Sie noch wir bis zur vollen Beweiskraft lösen können. Deswegen habe ich mich auf den praktischen Beweis eingestellt, daß die heutigen Fahrzeuge bereits mit Benzin, das 0,3 g Blei; Liter und weniger enthält, unbeanstandet fahren. Auf Grund dieser praktischen Erfahrungen müßte diese Grenze möglich sein.
Wir wollen doch dieses Gesetz nicht beschließen, um die gegenwärtigen Werte festzulegen, sondern um bis zur äußersten Grenze der Verbesserung zu gehen. Deshalb bitte ich darum, daß die Kollegen der SPD-Fraktion das auch so ansehen und unter Umständen diesem Antrag zustimmen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wunschdenken ist dazu geeignet, daß man Zielvorstellungen entwickelt und die notwendigen Mittel dafür bereitstellt, um diesem Ziel näherzukommen. Wir stimmen insoweit überein, als wir ein Gesetz machen wollen, das die Luftreinhaltung auf dem Gebiet des Kraftfahrzeugwesens wesentlich unterstützt. Wir wollen auf diesem Gebiet zu realistischen und realisierbaren Ergebnissen kommen.
Daß Sie, Herr Gruhl, von den Aussagen der Sachverständigen in dem öffentlichen Hearing auf Ihre Weise Gebrauch machen, ist Ihre Sache. Ich bin erstaunt darüber, daß sich die CDU/CSU-Fraktion einen so unrealistischen Antrag zu eigen macht. Es drängt sich mir der Verdacht auf, daß Sie das nur in dem Bewußtsein tun, daß die verantwortliche Regierungskoalition diesem Antrag nicht folgen
Dr. Schäfer ({0})
wird; denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die Vertreter der CDU/CSU im Verkehrsausschuß und im Wirtschaftsausschuß in bezug auf das, was sie dort vorgetragen haben, heute gegenteiliger Auffassung sind.
({1})
Es ist eine offensichtlich Methode von Ihnen - das haben Sie gestern und heute bewiesen -, Propagandaanträge zu stellen, die sich draußen gut ausnehmen und bei denen Sie genau wissen, daß sie hier keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, und zwar mit gutem Grund keine Aussicht auf Erfolg haben. Wir haben es uns nicht leichtgemacht. Wir haben ernsthaft geprüft, um ein bestmögliches Gesetz vorzulegen, das aber auch durchführbar ist. Wir wollen nicht, daß man der Bevölkerung eine Hilfe durch ein nicht realisierbares Gesetz vorgaukelt. Das, was Sie hier machen, ist Vorgaukeln!
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte schön!
Herr Professor Schäfer, können Sie mir bestätigen, daß ich vorher, auch vor den Beratungen im Innenausschuß, mit Kollegen Ihrer Fraktion gesprochen habe und aus deren Äußerung durchaus den Eindruck haben mußte, daß sie bereit waren, unserem Antrag zu folgen?
({0})
Welchen Eindruck Sie haben, kann ich Ihnen nicht bestätigen. Ich kann Ihnen aber bestätigen, Herr Dr. Gruhl, daß Sie aus den Aussagen der Sachverständigen nie die entsprechenden Konsequenzen gezogen haben. Aber das ist Ihre Angelegenheit; das sagte ich vorhin schon.
({0})
Aber daß eine Fraktion wie die Ihre
({1})
- ausgerechnet Sie, Herr Dr. Siemer! -, die im Wirtschaftsausschuß und im Verkehrsausschuß einen vernünftigen, realisierbaren Standpunkt eingenommen hat, sich nun einen solchen Propagandawunschtraum zu eigen macht, müssen Sie verantworten. Wir haben gewissenhaft geprüft, und wir stimmen nur einer gesetzlichen Regelung zu, die zu dem Erfolg führt, der möglich ist.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist unbestritten, daß alle Fraktionen des Hauses die Maßnahmen unterstützen, die den Schutz der Menschen vor den Gefahren der Umwelt verstärken.
({0})
Die Bundesregierung hat aus diesen Überlegungen heraus den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Es ist das gute Recht der Opposition, über die Zielvorstellungen, die durchsetzbar erscheinen, hinauszugehen. Aber hier wird ein erster Schritt versucht. Die Grenze von 0,4 Gramm Blei pro Liter Benzin ist ja nicht wahllos gegriffen worden, weil man nun irgendeine Zahl braucht, sondern das ist die Zahl - der Anteil des Bleis pro Liter Benzin -, die zur Zeit unter den gegebenen technischen Voraussetzungen durchsetzbar ist.
In diesem Zusammenhang darf ich bei der Betrachtung Ihres Änderungsantrages auch gleich einen Irrtum korrigieren, Herr Dr. Gruhl. Die Bundesregierung, das Bundesinnenministerium, hat niemals Überlegungen dahin angestellt, in der ersten Stufe 0,35 Gramm zu fordern. Mir ist von den maßgeblichen Vertretern des Bundesinnenministeriums und von den zuständigen Sachbearbeitern bestätigt worden, daß an 0,35 - entgegen Ihren Ausführungen - nicht gedacht sei.
({1})
- Das mag sein, daß die Spitze des Bundesinnenministeriums bei ihren Erkenntnissen über die eigenen Vorhaben hinter Ihren Erkenntnissen liegt; das kann gelegentlich vorkommen. Aber wir haben uns auf die offiziellen Angaben zu stützen.
Es ist doch so, daß schon bei einer Festsetzung auf 0,4 Gramm statt der bisher üblichen schwankenden Bleisätze von 0,3 bis sogar 0,7 bei unseren Kraftstoffen - bis 0,7, Herr Dr. Gruhl! - Verminderungen der Oktanzahlen eintreten. Sie sind noch nicht gefährdend, ihnen kann begegnet werden, im Lauf der Motoren durch Veränderung der Zündeinstellung, zweifellos. Aber, Herr Dr. Gruhl, ist der Effekt, den Sie erreichen, wenn Sie statt 0,4 nunmehr 0,3 in der ersten Stufe einführen, so groß, daß es vertretbar erscheint, dies zu tun, angesichts der Tatsache, daß sehr viele Kfz-Besitzer erhebliche Schwierigkeiten haben würden? Die jetzigen Motorenleistungen, Herr Dr. Gruhl, werden dann nur durch erhöhten Benzinverbrauch erreicht.
({2})
Ich warne davor, bei allen Bestrebungen für den Umweltschutz immer nur allein die Konzentration der Schadstoffe in den Auspuffgasen zum Maßstab der Umweltverschmutzung zu machen. Sie müssen sie vielmehr ins Verhältnis setzen zur gefahrenen Strecke und zum Benzinverbrauch. Ein Wagen, der mit kleinem Motor in den Abgasen prozentual höhere Mengen Schadstoffe enthält, ist längst nicht ein so großer Verschmutzer wie ein großer Wagen mit hohem Benzinverbrauch bei einem kleineren prozentualen Anteil von Schadstoffen.
Sie kommen immer wieder auf die Hubraumsteuer zurück, die den Bau kleinerer Motoren erzwungen habe. Ich bestreite das, denn in den Ländern, in denen es die Hubrauemstuer nicht gibt, gibt es
ebenso kleine Motoren, in Italien und Frankreich! Es ist eben ein Erfordernis der Technik, in kleine Aggregate eine hohe Leistung hineinzubringen. Ich warne davor, durch den Gesetzgeber eine Entwicklung der Konstruktion von Motoren einzuleiten, bei der die Abgase zwar prozentual weniger Schadstoffe auswerfen, diese Verminderung aber weitaus übertroffen wird durch die Gesamtmenge der Schadstoffe, die sich dann bei erhöhtem Benzinverbrauch ergeben.
Unter diesem Gesichtspunkt, weil die nominelle Verminderung - 0,4 auf 0,3 % - nichts bringt und weil Schwierigkeiten im Betrieb bei einigen Kfz zu erwarten sind, lehnen die Freien Demokraten Ihren Änderungsantrag ab.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider zu Umdruck 205.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht vor, nochmals zur Sache zu reden; dies ist sachkundig genug getan worden.
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil hier mehrfach der Vorwurf erhoben worden ist, die Fraktion der CDU/CSU stelle im Zusammenhang mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetz Propagandaanträge.
({0})
- Herr Kollege Apel, es gibt einen alten Grundsatz: Wer schreit, hat unrecht.
({1})
Wer im Parlament die andere Fraktion bezichtigt, sie stelle Propagandaanträge, der weicht in der Sache aus, weil er in der Sache nicht replizieren kann.
Was zu diesem Antrag bezüglich der 0,30 Gramm pro Liter gesagt worden ist, das ist nicht nur hier, sondern auch anderswo behauptet worden, und darüber läßt sich durchaus ein sachlicher Streit führen. Aber wenn eine abweichende Sachmeinung politisch disqualifiziert, in diesem Fall muß ich sogar sagen, diffamiert wird, indem man sagt, dies sei ein Propagandaantrag,
({2})
dann ist das nach meinem Verständnis von parlamentarischer Auseinandersetzung
({3})
ein schlechter, ja, ein miserabler Stil, den ich mit aller Entschiedenheit verurteile.
({4})
Weitere Wortmeldungen zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 205 liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 205 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - - Letzteres war unzweifelhaft die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über § 2 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - 1 Enthaltung! Sonst einstimmige Annahme.
Ich rufe die §§ 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Hier liegen eine Reihe von Wortmeldungen vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion wird diesem Gesetz in dritter Lesung zustimmen, weil wir eine Regelung für besser halten als gar keine.
({0})
Wir knüpfen daran allerdings die Erwartung - das möchte ich hier zum Ausdruck bringen; es wird in Zukunft noch mehr solcher Gesetze geben, bei denen man technisch gesehen durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann -, daß man Meinungsverschiedenheiten sachlich und fair austrägt und dann zu einem gemeinsamen Abschluß kommt. Wir begrüßen dieses Gesetz als ersten Schritt auf einem noch sehr langen Wege.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Entwurf eines Gesetzes über den Bleigehalt des Benzins hat die Bundesregierung in zügiger Verfolgung ihres Umweltschutzprogramms einen wichtigen, ja, entscheidenden Schritt in Richtung auf eine Verbesserung der Umweltbedingungen getan. Wie die im Gesetz verankerte Zweckbestimmung verdeutlicht, geht es hierbei darum, die Gesundheit des Menschen vor folgenschweren Auswirkungen des dem Benzin beigegebenen Bleis und anderer ihm zugesetzter Metallverbindungen zu bewahren.
Zwar haben bei der ersten Lesung dieses Gesetzes die Sprecher der Fraktionen und der Innenminister betont, es sei unbestritten, daß die in die Luft verbrachten Bleibelastungen der Auspuffgase gesundheitsgefährdend seien, doch wurden unbeschadet davon in der Öffentlichkeit immer wieder Stimmen laut, die gerade diese von Parlament und Regierung vertretene Auffassung in Frage bzw. in Abrede stellten. So wurden den Parlamentariern Dokumentationen unterbreitet und Denkschriften zugeleitet, es wurden Wissenschaftler zitiert, und Telegramme und Briefe in dieser Richtung erreichen auch heute noch unsere Adresse, während wir hier die dritte Lesung vornehmen. Alle diese Behauptungen sollMüller ({0})
ten darlegen, daß im Grunde genommen das in die Luft emittierte Blei für den menschlichen Organismus harmlos sei. Es wurde dabei auch auf die Vereinigten Staaten verwiesen, wo einschlägige Forschungen angeblich weder chronische noch akute Bleischädigungen erbracht haben, obowhl in den USA die Kfz-Dichte größer ist als hierzulande. In schöner Regelmäßigkeit folgte dann der Appell an den Gesetzgeber abzuwarten, auf gut deutsch, untätig zu bleiben, his weitere Forschungsergebnisse vorlägen.
Die Bundesregierung hat fundierte und überzeugende Gegenbeweise angetreten. Den letzten Zweifler konnten aber dann im Anhörverfahren des Innenausschusses die referierenden und befragten Wissenschaftler und Sachverständigen überzeugen. Das Ergebnis dieser Anhörung läßt sich wie folgt präzisieren: Der Bleigehalt der Luft ist für sich gesehen und im Zusammenhang mit allen anderen verunreinigenden Substanzen in ganz hohem Grade gesundheitsschädigend. Damit sind die geltend gemachten grundsätzlichen Einwendungen gegen das Blei-Benzin-Gesetz ausgeräumt. Ich stelle fest, dieses Gesetz ist von der Sache her gerechtfertigt, weil seine Dringlichkeit und Notwendigkeit nun nicht mehr bestritten werden kann.
In diesem Zusammenhang ein deutliches Wort an bestimmte Interessenten, die, wie jetzt geschehen, auch sicherlich künftig bei anderen Gesetzen, die dem Schutz der menschlichen Umwelt dienen sollen, auf den Plan treten werden. Niemand wird sich vernünftigen Argumenten verschließen wollen, im Gegenteil, wir halten sie für ausgesprochen wünschenswert. Wenn aber unangenehme Tatsachen beschönigt werden oder Schönfärberei aus Interesse betrieben wird, um einen sinnlosen Kreisverkehr einzuleiten, oder auch gesetzgeberischen Leerlauf zu bewirken, wird man sich das schon aus Gründen der Selbstachtung des Parlaments verbitten müssen. Wir erwarten bei den künftigen Beratungen ähnlicher Gesetze Argumente, die von Klarheit und Wahrheit bestimmt sind. So geartete sachlich begründete Einwendungen sind in dem vom Innenausschuß durchgeführten Hearing vorgetragen worden. Sie konnten auch, soweit das nach Abwägung aller Umstände möglich war, berücksichtigt werden.
Die Kritik richtete sich unter anderem gegen die in § 2 Abs. 1 festgelegte Begrenzung des Bleianteils und die damit verbundene Fristbestimmung, von der schon vorhin in der zweiten Lesung die Rede war.
Während die Bundesregierung vorschlägt, den Bleigehalt bei Ottokraftstoffen mit Wirkung vom 1. Januar 1972 auf höchstens 0,40 g je Liter zu beschränken, wurde erwogen, zum gleichen Termin eine Reduzierung der Bleibeimengung um weitere 0,05 g auf 0,35 g pro Liter vorzunehmen. Das ist sachlich das, worauf vorhin von der Opposition verwiesen wurde. Wir haben uns aber niemals und zu keiner Zeit etwa über eine Senkung um 0,1, sondern stets nur über die Begrenzung durch die Senkung um weitere 0,05 g pro Liter unterhalten. Es konnte nämlich nicht mit letzter Klarheit Gewißheit darüber erzielt werden, ob eine solche zusätzliche
Verringerung des Bleianteils durch die damit einhergehende Absenkung der Oktanzahl zu möglichen Schäden an den Motoren der Kraftfahrzeuge führen würde. Ich versuche das ganz sachlich darzutun. Mit Sicherheit wären zusätzliche Schwierigkeiten bei den Mineralölherstellern und -händlern eingetreten.
Trotz ausgesprochen großer Sympathie für die erwähnte Überlegung hat sich die Mehrheit im Innenausschuß in Würdigung der nicht auszuräumenden Bedenken dazu durchringen müssen, der ersten Phase zuzustimmen, wie sie der Entwurf in § 2 Abs. 1, was das Höchstmaß und den Zeitpunkt angeht, vorsieht. Dafür war vor allen Dingen maßgebend, daß gesichert zugesagt werden konnte, daß der tatsächliche Bleianteil durch die von den Raffinerien zu beachtenden Toleranzgrenzen mindestens um 0,05 g unter dem Limit des Gesetzgebers liegen wird. Mit anderen Worten, in Wirklichkeit wird also der Bleianteil am Kraftstoff ohne wesentliche Verringerung der Oktanzahlen und damit auch ohne Schädigung für die Kraftfahrzeugmotoren ab 1. Januar 1972 bei 0,35 g und noch darunter liegen.
Die Ausschufiminderheit trat für eine Senkung des Bleigehalts ab 1. Januar 1972 auf 0,30 g je
Liter Kraftstoff ein. Diese Forderung - das unterstreiche ich noch einmal ganz ausdrücklich - läuft
den eindeutigen Ergebnissen des Hearings zuwider,
birgt nicht zu übersehende Gefahren für die Kraftfahrzeugmotore in sich und wird die Industrie
was auch der Beachtung wert ist vor zusätzliche Schwierigkeiten stellen. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß die dadurch eintretenden Komplikationen jenen Kreisen Auftrieb geben würden, die wie vorhin von mir dargetan - immer noch und auch künftig weiter so taktierend im Blick auf die zweite Phase des Gesetzes Sturm laufen und so nur eine unnötige Argumentationshilfe von uns geliefert bekämen. Die Forderung nach einer Verminderung des Bleianteils auf 0,30 g pro Liter Kraftstoff ab 1. Januar 1972 ist unrealistisch und hat bestenfalls, wie auch bereits mein Kollege Liedtke dargelegt hat, einen gewissen Demonstrationswert.
Vielfältige Kritik richtete sich in den Beratungen des Bundesrates, der Ausschüsse und im Anhörungsverfahren gegen die im Gesetzentwurf festgelegte zweite Phase der Verringerung des Bleianteils bei Otto-Kraftstoffen. Während die Grenzwertbestimmung von 0,15 g Blei je Liter unbestritten blieb, wurde der von der Bundesregierung vorgeschlagene Termin des 1. Januar 1976 Gegenstand unterschiedlicher Änderungsvorschläge. Der Bundesrat schlug eine Vorverlegung des Termins auf den 1. Januar 1974 vor, während die Industrie mit Briefen, die sie uns auch heute wieder zugeleitet hat, eine Fristverlängerung bis zum 31. Dezember 1976 anstrebte. Obgleich im federführenden Ausschuß eine erkennbare Neigung bestand, den von der Bundesregierung bestimmten Termin vorzuverlegen, erbrachte die Befragung der Sachverständigen den klaren und objektiven Nachweis, daß eine Vorverlegung des Termins auf den 1. Januar 1974 unmöglich erscheint. Die von den Sachverständigen und Betroffenen vorgetragenen Fakten und Darstellungen waren nicht zu widerlegen. Andererseits
Müller ({1})
scheint der von der Bundesregierung vorgeschlagene Termin, der von der Industrie abgelehnt wird, nach sorgfältiger Prüfung aller Einwendungen und Umstände tragbar zu sein. Der Innenausschuß gelangte zu der Überzeugung, daß die verhalten knurrende Mineralölindustrie, die in ihrer Werbung gerne stets das gestern noch Unmögliche heute möglich macht, den Klimmzug auf die Plattform der zweiten Phase des Gesetzes erfolgreich bestehen wird. Der Termin des 1. Januar 1976 ist realistisch, und dies nicht nur deshalb, weil er genau zwischen den extremen Terminen liegt.
Umstritten waren auch die in § 3 vorgesehenen Ausnahmeregelungen. Wenngleich auch hier letzte Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten, darf doch in Übereinstimmung mit dem Anhörungsergebnis davon ausgegangen werden, daß die begrenzten Ausnahmefristen tragbar sind und die angedeuteten und immer wieder beschworenen Schwierigkeiten nicht auftreten werden. Der Forderung, sicherzustellen, daß Marktverzerrungen vermieden und der Wettbewerb erhalten bleibt, tragen nach unserer Auffassung die Ausnahmeregelungen in ausreichendem Maße Rechnung.
({2})
Die Einschaltung des Bundesministers des Innern in das Ausnahmegenehmigungsverfahren ist vorteilhaft und durchaus richtig.
Unwillen, meine Damen und Herren - das will ich feststellen -, hat die in § 8 des Gesetzes vorgesehene Sonderregelung für die NATO gefunden.
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Wir sind der Meinung, daß es unvertretbar ist, daß hier ein Bleigrenzwert bis zu 0,84 vorgesehen ist, während andererseits die NATO in einer Empfehlung, mit der sie sich an die Mitgliedstaaten gewandt hat, diese ersucht, gerade die von den Kraftfahrzeugabgasen ausgehenden Belästigungen abzubauen und entsprechende Gesetze zu beschließen. Wir bitten die Bundesregierung, hier nachdrücklich tätig zu werden und in Verhandlungen auf Veränderung zu drängen.
Das gleiche gilt für unser Verhältnis zur EWG. Hier liegt eine Empfehlung vor. Wir bitten die Bundesregierung - das hat Eingang in die Entschließung gefunden , in Verhandlungen darauf zu drängen, daß die auch in Straßburg geforderten Richtwerte für die Abgase endlich erlassen werden und es dazu kommt, daß die Maßnahme, die wir in der Bundesrepublik getroffen haben, eine Unterstützung erfährt.
Am Ende dieser Entwicklung muß nach einhelliger Auffassung des Ausschusses eine Entwicklung stehen, die, wie hier auch schon angedeutet, zu einem smogfreien Automotor führt.
Mit dem Blei-Benzin-Gesetz aus der Serie von Umweltschutzgesetzen, die im Sofortprogramm der Bundesregierung angekündigt sind, wird ein erfolgversprechender Anfang gemacht, der bedrohlichen Zerstörung der Umwelt Einhalt zu gebieten und Gefährdungen der Gesundheit des Menschen zu vermindern. Dieses Gesetz und die ihm folgenden Umweltschutzgesetze orientieren sich an den gegebenen Möglichkeiten, die allerdings in Wechselbeziehungen stehen zum wirtschaftlichen Wachstum, zur Preisstabilität, zur Vollbeschäftigung, zum technischen Fortschritt und nicht zuletzt auch zu menschlichen Verhaltensweisen. Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte bleibt kein Spielraum für Hysterie und unrealistische Forderungen. Statt dessen sind nüchterne Betrachtung und auf Veränderung drängendes Handeln erforderlich.
Georges Christoph Lichtenberg hat in einem Wortspiel ausgedrückt, er wisse nicht, ob es besser würde, wenn es anders würde, aber er glaube, daß es anders werden müsse, wenn es besser werden solle. Wir gehen davon aus, daß das von der Bundesregierung vorgelegte und hier zur Entscheidung stehende Gesetz neben einschneidenden Änderungen erhebliche Verbesserungen der Umweltbedingungen bringen wird.
Die Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Ich bin jetzt fertig, Herr Präsident. - Getragen von dieser Überzeugung, begrüßt die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung und wird ihm zustimmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten ist befriedigt darüber, daß es uns gelungen ist, noch vor der Sommerpause diesen Gesetzentwurf, der sicherlich zur Verminderung der Luftverunreinigung beitragen wird, in dritter Lesung zu verabschieden. Wir danken dem Bundesinnenminister für die Vorlage. Wir erwähnen dabei aber, daß dieses Gesetz nur ein erster Schritt ist auf dem Wege, zu einer verbesserten Luft zu kommen.
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Von da her hat der Innenausschuß auch mit Recht die Überschrift geändert und darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen beitragen wird - nicht generell.
Das weitere Ziel wird sein, den Ausstoß an Kohlenmonoxyd en, an unverbrannten Kohlenwasserstoffen und Stickoxyden in Zukunft drastisch zu verringern. Das wird möglich sein nach Inkrafttreten der zweiten Bleiverringerungsstufe vom Jahre 1976 an. Wir liegen mit diesem Zeitpunkt - und von da her haben sich die Freien Demokraten
auch für die Beibehaltung des in der Regierungsvorlage vorgesehenen Zeitpunkts der Einführung der zweiten Stufe, 1. Januar 1976, ausgesprochen - zeitlich in der Nähe der amerikanischen Abgasvorschriften, die sich auf das Jahr 1975 beziehen.
Nun war das Gesetz natürlich nicht unumstritten in der deutschen Öffentlichkeit, vor allen Dingen bei der deutschen Industrie. Das wird bei jedem Gesetz der Fall sein, das Veränderungen im Produktionsverfahren und auch Veränderungen an Produktionsanlagen vorsieht. Wir Freien Demokraten konnten den Wünschen des Bundesrates, die Festsetzung des Grenzwertes von 0,15 Gramm vom 1. Januar 1976 auf den 1. Januar 1974 vorzuziehen, nicht folgen, weil der Industrie naturgemäß Gelegenheit gegeben werden muß, ihre Anlagen umzubauen. Ich selbst war der Meinung, es wäre auch möglich gewesen, den Wünschen der Industrie nachzukommen, als Zeitpunkt den 1. Januar 1977 festzulegen. Ich war schon glücklich darüber, daß gegen den Inhalt dieses Gesetzes Einwände nicht erhoben wurden.
Wir werden also damit rechnen können, daß der zunehmenden Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge vom 1. Januar 1976 an wirksam begegnet wird. Ich glaube aber nicht, daß die Hoffnung erfüllt werden wird, durch dieses Gesetz zu anderen Motoren mit größeren Hubräumen zu kommen. Meine Damen und Herren, wir haben ja die kleinen Hubräume nicht wegen der Steuer, sondern auch wegen des eminent hohen Treibstoffpreises in der Bundesrepublik. Wir sind von daher gezwungen, kleinere Motoren mit geringem Treibstoffverbrauch zu bauen. Das hat wiederum den Vorteil, daß jemand, der Treibstoff in geringerer Menge verbraucht, nicht so die Luft verschmutzen kann wie jemand, der Treibstoff in großer Menge verbraucht.
Ich stelle abschließend fest, wir begrüßen dieses Gesetz. Wir wissen, daß die Bundesrepublik hier in der EWG voranmarschiert. Das hat ja genügend Kritik hervorgerufen. Wir hoffen, daß es gelingt, in der EWG zu einheitlichen Richtlinien zu kommen, denen wir uns anschließen können, wenn sie unsere Kriterien enthalten. Bei aller Europafreundlichkeit darf es durch unser Bekenntnis zu Europa nicht zu einer Verschlechterung unserer Umweltbedingungen kommen.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Opposition, die heute ihre Meinungen in ungewöhnlicher Weise in einer breiten Toleranzgrenze zum Ausdruck gebracht hat, auch noch den federführenden Minister in dieser Frage anhören kann.
Die Bundesregierung hat sich mit diesem Gesetzentwurf eines lange schwelenden Problems angenommen. Sie hat mit diesem Gesetzentwurf gehandelt, entsprechend ihren Ankündigungen im Sofortprogramm eine realistische und nicht eine phantastische Umweltpolitik zu verfolgen.
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Wir hatten einen schmalen Grat zu gehen. Auf der einen Seite gab es Leute, die dem Parlament und der Regierung deutlich machen wollten, daß Blei eigentlich gar nicht so schlimm sei. Ja, bei manchen konnte man annehmen, daß man etwas für seine Gesundheit versäumt hat, wenn man in der Vergangenheit nicht ausreichend Blei zu sich genommen hat.
({1})
Andere wiederum haben uns gesagt, wir hätten nicht genug getan. Ich meine, wir haben einen realisierbaren Mittelweg gefunden und damit eine einschneidende Änderung in diesem Bereich erzielt.
Sie wissen, daß wir Ermahnungen aus Europa bekommen haben, diese Beratungen abzusetzen und zunächst zu versuchen, europäische Regelungen zu erreichen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß es hier darum geht, daß in dieser für die Gesundheit der Menschen in unseren Ballungsgebieten entscheidenden Frage einer den Anfang macht.
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Deshalb danke ich dem Parlament ausdrücklich dafür, daß diese Vorlage in den Ausschüssen so zügig beraten worden ist. Im übrigen fühlen wir uns durch die Beschlüsse internationaler Organisationen - ich erwähne nur NATO und Europarat - bestätigt, die nach der Vorlage unseres Gesetzentwurfes die Mitgliedsregierungen aufgefordert haben, die Verwendung von Bleizusätzen im Benzin zu verbieten oder einzuschränken. Ähnliches wird uns aus den Vereinigten Staaten und aus Japan gemeldet.
Das alles zeigt, wie richtig es war, daß wir dieses Gesetz in Angriff genommen haben und es heute zu einem guten Ende führen. Ich bin überzeugt, daß das Beispiel unseres Gesetzes Daten für gemeinsame europäische Regelungen setzen wird. Die Bundesregierung ist bereit und willens, bei der Findung europäischer Richtlinien ihre Erfahrungen mit dem Ziel zur Verfügung zu stellen, daß wir nicht nur in diesem Bereich, sondern im gesamten Umweltschutz in unserer Europäischen Gemeinschaft federführend bleiben.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Anträge zur dritten Beratung liegen ebenfalls nicht vor.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, der möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen nunmehr noch über die weiteren Anträge des Ausschusses ab, nämlich über Ziffer 2 - Entschließungen - und Ziffer 3, mit der die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt werden sollen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Vizepräsident Dr. Schmid
Meine Damen und Herren, ich habe folgendes bekanntzugeben. In Abänderung der Tagesordnung gibt der Bundeskanzler heute um 15 Uhr eine Erklärung über das Ergebnis der Beitrittsverhandlungen der EWG mit Großbritannien ab. Danach wird die Tagesordnung wie vorgesehen fortgesetzt.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses bittet darum, die angesetzte Sitzung dieses Ausschusses nach Abwicklung des genannten Zusatzpunktes der Tagesordnung stattfinden zu lassen.
Schließlich gebe ich noch bekannt, was heute vormittag noch ansteht. Wir werden den unterbrochenen Punkt 20 wieder aufnehmen und danach die Punkte 21, 31, 8 und 9 erledigen. Punkt 17 sowie die Zusatzpunkte i und 2 werden heute nachmittag aufgerufen.
Wir kommen zu Punkt 20 der Tagesordnung zurück. Die allgemeine Aussprache hat bereits stattgefunden. Liegen noch Wortmeldungen dazu vor? -Offenbar keine.
Dann rufe ich Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Umdruck 199 *) ein Änderungsantrag der CDU/CSU- Fraktion vor, der durch Herrn von Alten-Nordheim begründet wird.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Präsisident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe namens der CDU/CSU-Fraktion zwei Änderungsanträge zum Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 zu begründen. Es handelt sich einmal um den dem Hohen Hause vorliegenden Umdruck 199 und zum anderen um den den gleichen Tagesordnungspunkt betreffenden Umdruck 201**).
Beide Änderungsanträge befassen sich mit der zukünftigen Bodengewinnbesteuerung, einer Regelung, zu der das Bundesverfassungsgericht den Anstoß gab, als es in seinem Beschluß vom 11. Mai 1970 feststellte, daß die unterschiedslose Privilegierung der Landwirte bei der steuerlichen Erfassung der Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sei.
Aber trägt der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der nun mit einigen Abänderungen und - das will ich auch gar nicht verkennen - mit einigen erheblichen Verbesserungen dem Hohen Hause vorliegt, der sehr eingehenden und umfassenden Begründung des Bundesverfassungsgerichts zu eben diesem Beschluß vom 11. Mai 1970 in allen Fällen, in denen dies durchaus möglich gewesen wäre, genügend Rechnung? - Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einige Sätze aus der Begründung zitieren:
Die besonderen Produktionsbedingungen setzen dem landwirtschaftlichen Betrieb von der Natur her Schranken und führen zu einem Betriebsrisiko eigener Art. Insoweit ist die Landwirtschaft gegenüber den gewerblichen Betrieben in natürlicher und wirtschaftlicher Hinsicht benachteiligt. ... Deshalb sind die staatlichen
Bemühungen darauf gerichtet, diese Nachteile
unter anderem mit den Mitteln der Handels-,
Steuer-, Kredit- und Preispolitik auszugleichen.
Durch diese drei entscheidenden Sätze der Begründung hat die Bundesregierung doch wohl einen weiten Rahmen erhalten, innerhalb dessen noch viele Möglichkeiten bestanden hätten, Verschlechterungen für die Hauptbetroffenen, die Landwirte, aufzufangen. Und dieses Gesetz bringt Verschlechterungen, die man diesen Berufsstand nicht mehr zumuten sollte. Alle Parteien in diesem Hause sind sich wohl darüber einig, daß alles getan werden muß, die für die Landwirtschaft immer mehr auseinanderklaffende ruinöse Preis-Kosten-Schere zu schließen.
Mir klingen noch die Worte aus der Debatte vom 31. März dieses Jahres im Ohr, wonach dieses Gesetz im Ausschuß darauf abgeklopft werden sollte, wieweit das Petitum des Bundesverfassungsgerichts letztlich geht und wieweit man zwingend folgen müsse. Aber auch kein Schritt darüber hinaus sollte getan werden. Unter diesem Aspekt sieht der Änderungsantrag auf Umdruck 199 vor, aus besonderen agrarstrukturellen Gründen ebenfalls einen einmaligen Freibetrag von 60 000 DM zu gewähren, wenn Ziffer 1 des Antrages - der land- und forstwirtschaftliche Betrieb ganz oder zum Teil an einen Erwerber veräußert wird, der ihn land- oder forstwirtschaftlich nutzt, oder wenn - Ziffer 3 des Änderungsantrags der land- und forstwirtschaftliche Betrieb enteignet oder zu Abwendung einer Enteignung veräußert wird; dies soll auch dann gelten, wenn ein Teil des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs enteignet oder veräußert wird.
Dieser Freibetrag von 60 000 DM wird nach dem vorliegenden Gesetz bereits bis zu einer Einheitswertgrenze von 25 000 DM gewährt oder wenn die Einkünfte 12 000 DM bzw. bei Verheirateten 24 000 DM nicht übersteigen oder wenn Schulden getilgt oder Erbabfindungen gezahlt werden müssen. An dieser Stelle bietet es sich doch geradezu an, cien Freibetrag von 60 000 DM für die beantragten Fälle zu gewähren. Argumentationen von Mißbrauchsmöglichkeiten oder Verwaltungsschwierigkeiten können doch letztlich nicht stichhaltig sein, wenn man weiß, daß seitens der Verwaltung bei der hohen Qualität unserer Verwaltung Mißbräuchen ohne weiteres begegnet werden kann.
Dem Änderungsantrag auf Umdruck 201 liegt folgendes Problem zugrunde. Die Vorschriften des § 69 des Bewertungsgesetzes 1965 unterscheiden sich von den entsprechenden Vorschriften des Bewertungsgesetzes 1934 im wesentlichen dadurch, daß es mit den Vorschriften jenes Gesetzes in der Regel nicht möglich ist, die Flächen des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens zum Grundvermögen fortzuschreiben. Hier sieht das vorliegende Steueränderungsgesetz vor, daß in den Fällen, in denen der Landwirt die Teilwertfeststellung eines Grundstücks, aus welchen Gründe auch immer, und zwar bis zum 31. Dezember 1975, beantragt, bei Feststellung des Teilwertes die Artfortschreibung in bestimmten Fällen erfolgt, und zwar besonders dann, wenn zu erwarten ist, daß diese Flächen Bauland sind oder ein-
*) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7
Vizepräsident Dr. Schmid
mal Bauland werden können, selbst dann, wenn der
Landwirt diese Flächen noch landwirtschaftlich nutzt.
Wenn auch der Vertreter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen versichert hat, daß die Änderung des § 69 des Bewertungsgesetzes keine automatische Artfortschreibung in allen Fällen zur Folge haben wird, so ist aber doch deutlich geworden, daß die Artfortschreibung dann zwingend wird, wenn das Grundstück wegen seiner Verwendung als Bauland oder Bauerwartungsland höher bewertet wird. Das Bewertungsgesetz regelt die Zurechnung zu verschiedenen Vermögensarten nach objektiven Voraussetzungen. Die vorgesehene Änderung des § 69 des Bewertungsgesetzes will aber die Zurechnung zu einer bestimmten Vermögensart von einer subjektiven Entscheidung des Steuerpflichtigen in einer einkommensteuerlichen Frage abhängig machen. Hier wird der Landwirt künftig häufig in einer unzumutbaren Gewissensentscheidung stehen. Außerdem hat der Steuerpflichtige, wenn er den Antrag auf Feststellung des individuellen Teilwertes stellt, damit noch keineswegs zum Ausdruck gebracht, daß er das Grundstück künftig nicht mehr land- und forstwirtschaftlich nutzen will. Nur deswegen, weil er in seine steuerliche Bilanz den richtigen Wert einsetzt, nämlich den Teilwert, soll er nun zukünftig zum Teil erheblich höhere Grundsteuern zahlen. Besonders deutlich wird dies, wenn ein Landwirt überhaupt nicht an den Verkauf denkt, sondern nur damit rechnen muß, daß vielleicht einmal eines Tages seine Fläche oder auch Teile seines Betriebs enteignet werden.
Das Bundesverfassungsgericht schreibt nicht zwingend vor, daß das Bewertungsgesetz geändert wird. Es hat vielmehr, wie anfangs erwähnt, einen weiten Rahmen dafür gelassen, die besonderen Nachteile der Landwirtschaft u. a. auch mit den Mitteln der Steuerpolitik auszugleichen. Hier hätte die Bundesregierung wahrlich ein weites Feld der Betätigung gehabt und hat dies auch noch in vielen anderen Fällen für die Zukunft.
In der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler deutlich gemacht, daß sich die Landwirtschaft zu einem gleichwertigen Partner der gesamten Volkswirtschaft entwickeln soll, der an der allgemeinen Wirtschafts- und Einkommensentwicklung teil hat. Auf die Realisierung dieser Erklärung allerdings wartet der Berufsstand noch immer.
Ich bitte das Hohe Haus um Zustimmung zu den beiden Änderungsanträgen, über die ich einzeln abzustimmen bitte.
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Wird zu diesem Antrag noch das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Offergeld. Sprechen Sie auch gleich zu dem Antrag Umdruck 201?
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir über diese Anträge diskutieren, müssen wir uns zunächst einmal an die erste Lesung hier im Plenum erinnern. Da wurde in den düstersten Farben der Ruin der deutschen Landwirtschaft an die Wand gemalt. In den Ausschußberatungen im Finanzausschuß ist dann wenig davon übrig geblieben. Im Gegenteil, die Opposition mußte feststellen, daß die Bundesregierung einen im ganzen ausgewogenen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Opposition mußte Änderungsanträge im Finanzausschuß zurückziehen, weil sie schlicht unsinnig waren und weil sie zu negativen Folgen für die Landwirtschaft geführt hätten. Einen Aufguß zweiter Güte dieser Änderungsanträge präsentieren Sie uns jetzt noch einmal hier im Plenum. Es fällt einem einigermaßen schwer, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.
Was nun den Antrag Umdruck 199 zur Änderung des § 14 a Abs. 4 betrifft, so könnte ich mich darauf beschränken, schlicht auf die Gegenäußerung des Bundesrates hinzuweisen, der ganz massive Bedenken gegen die von der Bundesregierung vorgelegte Fassung des § 14 a Abs. 4 vorgetragen hat. Diese Fassung, gegen die erhebliche Bedenken bestehen, wollen Sie jetzt nochmals ausweiten in einer Form, die in keiner Weise gebilligt werden kann.
Die Fassung der Nr. 1, die hier von der CDU/CSU gefordert wird, würde steuerlichen Mißbräuchen Tür und Tor öffnen. Man kann diese Einwände nicht einfach vom Tisch wischen, so wie es hier Herr Kollege von Alten-Nordheim getan hat. Sie wollen einen höheren Freibetrag für solche Fälle gewähren, in denen der Erwerber Landwirt ist. In der Praxis kann es sich nur um Fälle handeln, in denen spekulative Preise gezahlt werden. Denn wenn es um einen normalen Handel zwischen Landwirten geht, wird ein Gewinn überhaupt nicht entstehen. Es geht also nur um die Fälle, in denen aus spekulativen Gründen hohe Preise gezahlt werden.
({0})
Da ist es dann ganz einfach, einen Strohmann einzuschalten und so die Steuerpflicht zu umgehen. Schon allein aus diesem Grunde ist dieser Antrag meines Erachtens steuertechnisch überhaupt nicht diskutabel.
lm übrigen, meine ich, ist auch überhaupt kein Grund dafür zu sehen, warum die Steuerpflicht des Verkäufers davon abhängig gemacht werden soll, ob der Käufer Landwirt oder was immer ist. Die Besteuerung des Verkäufers kann doch nur von dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit abhängen, kann also nur davon abhängig sein, ob er einen Gewinn erzielt. Was der Erwerber damit macht, kann doch für die Besteuerung des Verkäufers überhaupt keine Rolle spielen.
Auch die Nr. 3, die Sie nach diesem Antrag Umdruck 199 neu eingefügt haben wollen, ist für die Koalitionsfraktionen nicht diskutabel. Auch hier muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß es angesichts der hohen fiktiven Anschaffungswerte nie zu Gewinn kommen wird, wenn es sich um normales landwirtschaftlich genutztes Gelände handelt. Also auch hinsichtlich des Antrags Ziffer 3 können Gewinne nur entstehen, wenn es sich um Bau- oder Bauerwartungsland handelt. In diesem Fall ist es
7638 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Juni 1S71
auch gerechtfertigt, die Bodengewinnbesteuerung eintreten zu lassen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krammig?
Herr Kollege Offergeld, Sie ersparen uns eine Wortmeldung, wenn Sie dahin berichtigen würden, daß wir unsere Anträge nicht zurückgenommen haben, sondern daß sie abgelehnt worden sind.
Herr Kollege Krammig, das ist nicht ganz richtig. Ich habe gesagt: Die Anträge wurden teilweise zurückgezogen. Das ist richtig; davon habe ich überhaupt kein Wort zurückzunehmen. Herr Krammig, ich kann Ihnen das auch erläutern. Sie haben einen Antrag hinsichtlich des zeitlichen Ausgangspunkts 1. Juli 1970, über den hier in der ersten Lesung viel polemisiert wurde, zurückgezogen, weil Sie in der Diskussion des Finanzausschusses erkennen mußten, daß die Annahme dieses Antrags zu negativen Folgen führen würde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Offergeld, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir im Finanzausschuß über diesen Antrag zwar Erörterungen gepflogen haben, daß er aber nicht gestellt wurde? Er lag nur schriftlich vor. Wenn wir hier schon juristisch Haare spalten, dann müssen die Haare wenigstens exakt und blond sein.
Gut, wenn Sie gern Haare spalten -- - Ich muß aber nochmals betonen, daß Sie im Ausschuß einen Antrag zur Diskussion gestellt hatten, über den Sie schon im Plenum gesprochen hatten. Sie haben ihn im Finanzausschuß schriftlich vorgelegt, und dann haben Sie sich überhaupt nicht mehr getraut, diesen Antrag förmlich zu stellen, weil er unsinnig war. So war es im Finanzausschuß.
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Noch zwei Worte zu dem Antrag Umdruck 201. Auch diesem Änderungsantrag vermögen die Koalitionsfraktionen nicht zuzustimmen. Es geht darum, daß ein Landwirt einen höheren Teilwert anmeldet und damit zu erkennen gibt, daß es sich nicht um ein typisch landwirtschaftlich genutztes Grundstück handelt. Es geht hier also um Baugrundstücke und Bauerwartungsland. Der Steuerpflichtige umgeht durch die Anmeldung dieser höheren Teilwerte eine Einkommensteuer. Aber die logische bewertungsrechtliche Konsequenz daraus ist doch, daß die Grundstücke dem Grund und Boden zugerechnet werden und dadurch eine höhere Grundsteuerbelastung entsteht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Offergeld, wollen Sie die Behauptung aufrechterhalten, daß der höhere Teilwert immer nur dann mit Aussicht auf Erfolg beantragt werden kann, wenn die landwirtschaftliche Eigenschaft des Grundstücks nicht mehr gegeben ist, daß also immer nur Bauoder Bauerwartungsland vorhanden sein muß, wenn der höhere Teilwert beantragt wird? Wissen Sie nicht oder haben Sie den Ausschußberatungen nicht entnommen, daß sehr wohl im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück einen höheren Teilwert haben kann als den, der nach dem Schema des Gesetzes vorgesehen ist, und daß deswegen Ihre Behauptung nicht zutrifft?
Herr Dr. Wagner, das möchte ich bestreiten. Diese fiktiven Anschaffungskosten, die wir im Gesetz festgelegt haben, liegen weit über dem normalen landwirtschaftlichen Wert. Wenn höhere Teilwerte angesetzt werden - diese Behauptung wage ich , dann geht es immer darauf zurück, daß es zumindest Bauerwartungsland ist, also Land, das nicht typisch landwirtschaftlich genutzt wird, jedenfalls nicht längerfristig. Wenn der Steuerpflichtige -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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Ich lasse keine Zwischenfrage mehr zu.
Wenn der Steuerpflichtige - um es noch einmal zusammenzufassen - selber deutlich macht, daß es sich bei seinem höher bewerteten Grundstück um Bau- oder Bauerwartungsland handelt, so müssen daraus eben auch die bewertungsrechtlichen Folgen gezogen werden. Das bedeutet, daß das entsprechende Gelände künftig nicht mehr als land- und forstwirtschaftlicher Grund und Boden angesehen werden kann. Würden wir es anders machen, wäre es ein Widerspruch in sich. Ich hielt es auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht für haltbar; das würde dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes widersprechen.
Ich bitte daher, auch den Antrag der Opposition auf Umdruck 201 abzulehnen.
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Keine Wortmeldungen mehr.
Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag Umdruck 199 zustimmt, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen! - Der Antrag ist abgelehnt.
Zu Art. 1 Nr. 9 liegt auf Umdruck 200 *) Ziff. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
*) Siehe Anlage 8
Vizepräsident Dr. Schmid
vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Dr. Kreile das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Änderungsantrag Umdruck 200 der CDU/ CSU-Fraktion zu begründen. Bereits bei der ersten Lesung des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1971 habe ich darauf hingewiesen, daß der Regierungsentwurf bei der vorgesehenen Einschränkung der Sonderabschreibungen für Seeschiffe, Luftfahrzeuge und Vergünstigungen des Entwicklungshilfesteuergesetzes eine umständliche Rückwirkungsakrobatik betreibt. Die Bundesregierung war offensichtlich der Auffassung, ihre eigene Entscheidung genüge, um aus einem bisher begünstigten steuerlichen Sachverhalt einen nunmehr voll zu besteuernden Sachverhalt zu machen. Sie meinte, ihr Kabinettsbeschluß vom 16. Dezember 1970 habe einen solchen Ankündigungseffekt, daß er den Gesetzgebungsakt gleichsam vorwegnehme. Dem ist aber nicht so.
Wir meinen, daß der Vertrauensschutz des Staatsbürgers höhersteht als gesellschaftspolitische Vorstellungen und Wünsche der Bundesregierung. Uns scheint es auch so zu sein, daß das Selbstverständnis des Parlaments es gebietet, die Rechtssicherheit über alle anderen Rechtsgüter zu stellen. Auch im Finanzausschuß ist das durchaus so gesehen worden. Die Verbesserungen, die im Finanzausschuß erreicht wurden, reichen jedoch nicht aus. Die Regierungsvorlage sah vor, keine Sonderabschreibungen für Schiffe und Flugzeuge zuzulassen, die nach dem Kabinettsbeschluß vom 16. Dezember 1970 angeschafft oder hergestellt wurden. Auch für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern, die nach dem 16. Dezember 1970 installiert wurden, sollten keine Sonderabschreibungen zugelassen werden.
Der Finanzausschuß hat diese Fristen nunmehr etwas verkürzt. Nach seiner Auffassung soll sich die Rückwirkung nicht auf den Tag des Kabinettsbeschlusses beziehen, sondern lediglich auf den Beginn des steuerlichen Veranlagungszeitraums, also auf den 1. Januar 1971. Damit ist aber die Rückwirkungsakrobatik lediglich in eine andere Etage verlegt worden. Aus einem verfassungsrechtlichen Hochseilakt wurde nunmehr offenbar verfassungsrechtliche Parterreakrobatik.
Man muß den Ausgangspunkt festhalten. Im derzeit noch geltenden Einkommensteuergesetz und Entwicklungshilfesteuergesetz ist eine Reihe von Sonderabschreibungsmöglichkeiten enthalten. Wer bis heute den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, handelt also nach dem geltenden Gesetz. Nur die gesetzgebende Körperschaft ist berechtigt, das geltende Gesetz zu ändern. Aber selbst die Änderungsbefugnis der gesetzgebenden Körperschaft geht nicht so weit, daß ein belastendes Gesetz mit Rückwirkungen beschlossen werden kann. Der Staatsbürger muß auf die Gültigkeit eines Gesetzes vertrauen können. Dieses Vertrauen auf ein Gesetz kann ihm auch nicht durch einen Regierungsbeschluß genommen werden. Der Staatsbürger vertraut auf die Gültigkeit des Gesetzes, nicht auf die Absichtserklärungen einer Regierung. Das geltende Recht
ist, solange es gilt, Inbegriff der Rechtssicherheit.
Das Bundesverfassungsgericht hat dies seit langem erkannt und in seiner grundlegenden Entscheidung vom 19. Dezember 1961 ausgeführt - ich zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz. ... Soweit Steuertatbestände an Handlungen anknüpfen, muß also die Rechtsfolge bereits im Augenblick des Handelns gesetzlich vorgesehen sein. Daraus folgt, daß die Steuergesetze grundsätzlich nur solche Tatbestände erfassen dürfen, die erst nach ihrer Verkündung eintreten oder sich vollenden. Aus dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit läßt sich daher der Verfassungsrechtssatz ableiten, daß belastende Steuergesetze grundsätzlich ihre Wirksamkeit nicht auf abgeschlossene Tatbestände erstrecken dürfen.
Nun wird mir sicher entgegengehalten werden, daß dieses sogenannte generelle Rückwirkungsverbot sich nur auf die echte Rückwirkung erstrecke, nicht aber auf die sogenannte unechte Rückwirkung. Eine Rückwirkung - das wird man mir sicher entgegnen - zum 16. oder 17. Dezember 1970 sei möglicherweise eine echte gewesen, dagegen sei die Rückwirkung zum 1. Januar 1971 nur eine unechte, da sie sich auf denselben Veranlagungszeitraum beziehe, in dem das Steueränderungsgesetz erlassen werde.
Hier werden die Grenzen zwischen echter und unechter Rückwirkung, bedenkt man, daß es sich nur um eine Verschiebung von drei Wochen, nämlich von Mitte Dezember 1970 auf den 1. Januar 1971, handelt, doch etwas zu absichtsvoll gezogen. Täte das im umgekehrten Fall ein Steuerpflichtiger, so wären die jetzigen Verfechter der Rückwirkung doch wohl allzusehr geneigt, von einer Umgehung oder von einem Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten zu sprechen. Genau das aber, der Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten, läge vor, wenn heute, am 24. Juni 1971, das Parlament beschließen sollte, das den Steuerbürger belastende Zweite Steueränderungsgesetz 1971 solle zwar nicht zum 16. Dezember 1970, wohl aber bereits seit dem 1. Januar 1971 angewendet werden.
Ohnehin darf nicht übersehen werden, daß die feinsinnige Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht gerade sehr viel hergibt, wie Bachof, ein angesehener Verfassungsjurist, in seiner Darstellung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt hat.
Hinzu kommt, daß man es sich bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung sicherlich zu leicht macht, wenn man davon ausgeht, die Rückwirkung des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1971 auf den 1. Januar 1971 sei lediglich eine unechte Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung liegt nämlich dann vor, wenn sich die Wirksamkeit des rückwirkenden Gesetzes auf abgeschlossene Tatbestände erstreckt. Der Tatbestand, um den es hier geht, ist die Anschaffung oder Herstellung eines Schiffes oder Flug7640
zeuges bzw. die Kapitalanlage in einem Entwicklungsland. Auf diesen Tatbestand kommt es steuerrechtlich und verfassungsrechtlich an, nicht aber auf die Entstehung der Einkommensteuerschuld. Weder der Beginn noch der Ablauf des Veranlagungszeitraumes sind entscheidend für die Inanspruchnahme der bisherigen Steuervergünstigung, sondern ausschließlich das vom Gesetzgeber exakt bezeichnete und bisher geförderte Engagement.
Selbst aber wenn es sich um eine unechte Rückwirkung handeln sollte, wäre sie unzulässig, da der Schutz des Vertrauens auf ein geltendes Gesetz auch nicht aufgehoben worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, daß das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts erst von dem Zeitpunkt an nicht mehr schutzwürdig ist, in dem der Bundestag ein in die Vergangenheit zurückwirkendes Gesetz beschlossen hat. Dieser Vertrauensschutz wird aber nicht dadurch aufgehoben, daß die Bundesregierung ein Gesetz ankündigt, auch nicht durch das Einbringen des Gesetzentwurfs, sondern erst mit dem Beschluß des Bundestages.
Deswegen lautet unser Antrag, daß ab heute, dem 24. Juni 1971, Sonderabschreibungen nicht möglich sind. Wir gehen also nicht so weit, daß wir beantragen - was das Normale für die Geltung eines Gesetzes ist - , daß erst mit der Verkündung des Gesetzes keine Sonderabschreibungen mehr möglich sein sollen. Dann entstünde - das wird man mir sicher nachher entgegenhalten - ein Ankündigungseffekt negativer Art, und von heute an bis zum Tag der Verkündung des Gesetzes würden von den Steuerpflichtigen Maßnahmen ergriffen, die dem Sinn des Gesetzes zuwiderlaufen. Aber genau das ist in unserem Antrag nicht vorgesehen, sondern entscheidend ist der heutige Tag, an dem das Parlament dieses Gesetz beschließt. Das müßte der richtige Weg sein, um der Rechtssicherheit zum Sieg zu verhelfen.
({0})
- Ich darf Ihnen anheimstellen, meine Ausführungen nachzulesen.
Wir sollten uns hier richtig verstehen: Der Aufrechterhaltung gewisser Sonderabschreibungen, die einmal einen guten wirtschaftspolitischen Sinn gehabt haben, diesen Sinn aber durch ein Übermaß an Inanspruchnahme verloren haben, wird hier nicht das Wort geredet. Auch wenn es mir scheint, daß die Beseitigung der Antriebe zu einer privaten Entwicklungshilfe im Rahmen des bisherigen Entwicklungshilfe-Steuergesetzes etwas zu leichtfertig vorgenommen wurde. Uns geht es nur darum, daß die Grundsätze des Rechtsstaates und vornehmlich der Grundsatz der Rechtssicherheit nicht einem nahezu betriebsblinden Reformeifer geopfert werden. Unser Antrag zielt deswegen darauf ab, den Rechtsstaat auch in einem Teilbereich zu erhalten, wo seine Beachtung der Regierungskoalition möglicherweise lästig erscheint. Da man aber den Anfängen wehren muß, liegt Ihnen nunmehr unser Antrag zur Abstimmung vor.
Das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 wurde veranlaßt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine Steuervorschrift für nichtig erklärte. Jetzt gilt es, ein Gesetz zu verabschieden, das seinerseits einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat bei diesem Gesetz einen Lernprozeß mit durchgemacht, wenigstens soweit es die Rückwirkung angeht. Nur ist sie auf der Hälfte des Weges stehengeblieben.
({0})
In der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfs am 31. März 1971 haben Sie nämlich noch den Ersten Teil des Gesetzes, soweit er zum 30. Juni 1970 rückwirkt, für verfassungswidrig gehalten; nachzulesen Seite 6646 des amtlichen Protokolls. Sie haben sich von der damaligen Aussage nur deshalb zurückgezogen, weil Sie gemerkt haben, daß Ihre Argumentation nicht nur rechtlich danebenlag, sondern weil Sie auch denjenigen, denen Sie helfen wollten, sogar einen fatalen Dienst erwiesen hätten. Es war ein Rohrkrepierer, was Sie damals mit Ihrem Antrag auf Unzulässigkeit der Rückwirkung haben wollten.
Wir betrachten es aber als mit einem Rechtsstaat unvereinbar, daß einige Wenige mit nicht bezahlten Steuergeldern Vermögensvorteile scheffeln.
({1})
Wenn die Opposition die Sonderabschreibungen nicht zum 1. Januar 1971 untersagen will, dann hat das den fatalen Beigeschmack, daß sie eben diesen anderen Leuten Schützenhilfe leisten will. Der Hinweis auf eine unzulässige Rückwirkung wird dann nur dazu mißbraucht, diese Manipulationen weiter zu dulden. Dagegen sind wir.
Was heißt die Rückwirkung? Am 17. Dezember 1970 hat das Kabinett den vorliegenden Gesetzentwurf im vollen Wortlaut verabschiedet, also nicht nur Leitlinien, wie das gesagt worden ist. Gegenüber diesem Gesetzentwurf sind keinerlei Verböserungen eingetreten. Im Gegenteil. Am 18. Dezember 1970 ist der Gesetzentwurf im vollen Wortlaut bereits dem Bundesrat zugeleitet und bekanntgemacht worden. Seit dieser Zeit konnte er draußen doch bei keinem mehr einen Vertrauensschutz für eine zukünftige Manipulation ermöglichen.
({2})
Denn ein Schutz des Vertrauens ist eben dann nicht mehr gefordert, wenn zu dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückgezogen wird, mit einer solchen Regelung zu rechnen war. Das Bundesverfassungsgericht hat doch in zahlreichen Fällen das Vertrauen auf den Rechtsschutz des Weiterbestehens einer Norm dann als nicht mehr schutzwürdig angesehen, wenn der Bürger zu dem
Dr. Weber ({3})
Zeitpunkt, auf den der Eintritt der nachteiligen Rechtsfolge vom Gesetz zurückgezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte. Welche stärkere Ankündigung, meine Herren von der Opposition, konnte es denn geben, als den Beschluß eines Kabinetts und die Weitergabe der Gesetzesvorlage an den Bundesrat und an das Parlament? Wer dann noch auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertraut, ist eben ein Spekulant, der keinen Rechtsschutz verdient, meinen wir.
({4})
Zweitens. Unabhängig von dieser Ankündigung der Regierung und damit dem Untergang des Vertrauensschutzes gilt aber folgendes. Belastende Gesetze mit echter Rückwirkung sind immer dann zulässig, wenn sie mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sind.
({5})
Das Verfassungsgericht hat ganz klar gesagt, daß das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage eben dann nicht mehr gilt, wenn dieses Vertrauen nicht mehr schutzwürdig ist, wenn es sachlich nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn also nicht billigenswerte Interessen über die allgemeinen Interessen gestellt werden.
Lassen Sie mich drittens noch sagen: Entgegen dem Gesetzentwurf hat der Finanzausschuß das Datum des Inkrafttretens dieser Bestimmung vom 17. Dezember 1970 auf den 1. Januar 1971 verlegt, um allen Anwürfen hinsichtlich einer unzulässigen Rückwirkung zu begegnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - ich verweise auf die Entscheidungen im 13., 18. und 19. Band - kann der Steuerpflichtige grundsätzlich eben nicht darauf vertrauen, daß der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums - das ist hier für die Einkommensteuer der 1. Januar 1971 - geltende Steuertatbestand bis zu dessen Ende unverändert bleibt. Das gilt auch für den Abbau von Steuervergünstigungen, um die es in diesem Fall geht.
Es kommt hinzu - diesen praktischen Grund sollten Sie sich einmal überlegen, wenn Sie Ihren Antrag weiterhin aufrechterhalten wollen -, daß die beantragte Verschiebung des Stichtags unverständliche Auswirkungen insoweit hätte, als sie letztlich bedeuten würde, daß diejenigen Steuerpflichtigen noch belohnt würden, die den Beschluß der Bundesregierung, die erwähnten Steuervergünstigungen mit sofortiger Wirkung einzuschränken, nicht beachtet haben, während diejenigen Steuerpflichtigen, die sich an den Beschluß der Bundesregierung gehalten haben, benachteiligt würden.
({6})
Namens der Regierungsparteien beantrage ich daher, diesen Antrag abzulehnen.
({7})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann stimmen wir über Ziffer 1 des Änderungsantrags auf Umdruck 200 ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das letztere war die Mehrheit.
Wir stimmen jetzt über Art. 1 in der Fassung des Ausschusses ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -Ich stelle einstmmige Annahme fest.
Art. 2! Wortmeldungen? - Keine Wortmeldungen! Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! .- Enthaltungen? - Ich stelle Annahme fest.
Art. 3! Dazu liegt ein Streichungsantrag auf Umdruck 201 vor.
({0})
- Er ist schon begründet. Wir brauchen deshalb nicht darüber abzustimmen. Wenn Art. 3 angenommen wird, ist der Antrag abgelehnt.
Wer Art. 3 seine Zustimmung geben will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Die Streichung ist abgelehnt, Art. 3 ist angenommen.
Art. 4! Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 200 Ziffer 2 vor. Wird er noch begründet? - Das ist nicht der Fall.
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über Art. 4 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme!
Ich rufe Art. 4 a, Art. 5, Art. 6 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Einstimmige Annahme! Wir sind damit am Ende der zweiten Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Wenn meine Fraktion dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 in dritter Lesung zustimmt, so geschieht das aus der Erwägung heraus, daß sie den materiellen Inhalt des Gesetzesentwurfs grundsätzlich bejaht. Erhebliche Bedenken bleiben jedoch hinsichtlich der rückwirkenden Einschränkung der Sonderabschreibung für Handelsschiffe, Luftfahrzeuge und Investitionen in Entwicklungsländern bestehen. Das ist neben der Bekanntgabe der Eckwerte eines noch vorzulegenden Entwurfs eines sogenannten Steueroasengesetzes der zweite Fall, in dem die Bundesregierung das Parlament terminlich auf seine
Entscheidung festzulegen versucht. Wir beobachten diese Praxis mit großer Sorge. Um Wiederholungen zu vermeiden, nehme ich ausdrücklich auf die Ausführungen meines Kollegen Dr. Kreile Bezug. Die Opposition möchte jedoch bei dieser Gelegenheit ganz klar betonen, daß das Parlament nicht zu einer Ratifikationsmaschine für rückwirkende Steuerverschärfungen degradiert werden darf.
({0})
Unter den soeben vorgetragenen Vorbehalten stimmt meine Fraktion, wie ich bereits eingangs betonte, dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1971 zu.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz stellt nach Meinung der SPD-Fraktion eine Fleißarbeit dar, denn es geht durch fast alle Gebiete des Steuerrechts hindurch und schafft auch eine Vereinheitlichung von bisher zersplitterten, auch im Zeitablauf unterschiedlichen Rechtsvorschriften. Es ist darüber hinaus aber auch von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung, denn zum erstenmal wird in diesem Gesetz, ausgelöst durch das Bundesverfassungsgericht, der Versuch unternommen, das Mißverhältnis zwischen Aufwendungen für öffentliche Einrichtungen und den damit verbundenen, dem einzelnen Grundeigentümer zufließenden Gewinnen steuerlich zu erfassen.
Dieses Gesetz hat in einer ganz bemerkenswerten Weise die Interessen derjenigen, die in erster Linie mit davon betroffen sind, die aber nicht Spekulanten sind, berücksichtigt, nämlich die der Landwirte. Insofern widerspreche ich Herrn von Alten-Nordheim ausdrücklich. Das Gesetz enthält für diese Gruppe keine Verschlechterungen, sondern schafft eine Gleichbehandlung im Verhältnis zu den anderen Steuerpflichtigen. Wir begrüßen aus dieser Erwägung das Gesetz.
Im Laufe der Beratungen ist auf Grund einer Initiative der Koalitionsfraktionen § 2 a neu eingeführt worden. Hiermit wird ein Verlustausgleich aus gewerblicher Tierhaltung mit Gewinnen aus einem anderen Gewerbebetrieb oder anderen Einkommensarten ausgeschlossen. Auch das begrüßen wir ausdrücklich. Wir bitten deshalb um Zustimmung zu diesem Gesetz.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der FDP feststellen, daß wir, obwohl in diesem Gesetz Steuervorteile für bestimmte Gruppen abgebaut werden, das für durchaus gerechtfertigt einsehen. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß in bezug auf die Landwirtschaft in diesem Gesetzentwurf das, was in der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gefordert ist, nämlich in positivem Sinne die Ausschöpfung der Möglichkeiten für die Landwirtschaft in einem großen Rahmen, gewährleistet ist. Wir von der FDP stimmen dem Gesetzentwurf zu.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen mehr. Anträge sind nicht gestellt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir haben noch über die Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrages abzustimmen. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch hier einstimmige Annahme.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
- Drucksache VI /670 -Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache VI /2257 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stark
({1})
Abgeordneter Dr. Haack ({2})
Hierzu ist eben ein Umdruck eingekommen, der bisher nicht vorlag, der Umdruck 209.
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag ist von Kollegen aller drei Fraktionen eingebracht worden. Er geht auf eine Anregung aus den Reihen des Bundesrates zurück. Wir haben uns von der sachlichen Richtigkeit dessen, was Gegenstand dieses Antrags ist, im Rechtsausschuß überzeugt. Ich darf das Hohe Haus bitten, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort in zweiter Beratung noch gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir zunächst über den Umdruck 209 *) ab, der nach Art. 1 den Art. 1 a einsetzen will. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe!- Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Art. 1, - Art. 1 a, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will,
1 Siehe Anlage 9
Vizepräsident Dr. Schmid
gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Schluß der zweiten Beratung. Ich rufe zur
dritten Beratung
auf.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich erklären, daß wir dem Gesetzentwurf in der Fassung, die nun vom Rechtsausschuß gefunden wurde, zustimmen. Der Gesetzentwurf entspricht einem sachlichen Anliegen zur besseren Verfolgung und Ahndung der immer komplizierten w erdenden Wirtschaftsstraftaten. Durch dieses Gesetz soll die Möglichkeit geschaffen werden, daß bei bestimmten Landgerichten Wirtschaftsstrafkammern zur besseren und schnelleren Ahndung von Wirtschaftsstraftaten eingeführt werden. Von der Sache her ist der Gesetzentwurf sehr nachdrücklich zu unterstützen, da, wie die Untersuchungen gerade in der letzten Zeit ergeben haben, enorme Schäden durch solche Wirtschaftsstraftaten entstehen und sehr oft kleinere Betriebe und kleinere Leute wirtschaftlich in solche Wirtschaftsstraftaten mit hineingezogen werden.
Unsere rechtlichen Bedenken, die in der ersten Lesung zum Ausdruck kamen, sind im Laufe der Beratung ira Rechtsausschuß beseitigt worden. Es ist nun klargestellt, daß alle Verfahren an die Wirtschaftsstrafkammer kommen, also auch Berufungsverfahren und Verfahren, die in der Revision zurückverwiesen werden.
Wir hoffen, meine Damen und Herren, daß die Länderregierungen von der Möglichkeit, solche Wirtschaftsstrafkammern einzuführen, auch Gebrauch machen werden und daß diese Gesetzesänderung dazu beiträgt, daß Wirtschaftsstraftaten, die keineswegs Kavaliersdelikte, sondern oft von höchster Sozialschädlichkeit sind, schneller und zügiger verfolgt werden. Wir hoffen auch, daß dieses Gesetz einen vorbeugenden Effekt hat und daß in Zukunft mittel- und langfristig weniger Wirtschaftsstraftaten geschehen werden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion darf ich folgendes erklären. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes ist das Problem der Bekämpfung der sogenannten Wirtschaftskriminalität angesprochen. Unter dieser Sammelbezeichnung verbergen sich so verschiedene Straftaten wie Vertriebsorganisationen für gestohlene Waren, Wechselreiterei, Hinterziehung von Steuergeldern, Gründung von Schwindelfirmen usw. Allen diesen Straftaten ist gemeinsam, daß sie unserer Volkswirtschaft unermeßlichen Schaden zufügen. Die Schätzungen der Schadenshöhe dieser Straftaten belaufen sich auf mehrere Milliarden DM im Jahr. Bei den Tätern handelt es sich durchweg um Personen, die die Kompliziertheit und Verflechtung unseres Wirtschaftslebens und die Vielfalt des Subventions- und Steuersystems für ihre Zwecke zu mißbrauchen versuchen.
Von den Kriminalexperten, von Rechtsanwälten und von Richtern ist immer wieder mit Recht Klage darüber geführt worden, daß weder das materielle Strafrecht noch das Verfahrensrecht zur Strafverfolgung ausreicht. Neben einer ungenügenden finanziellen und technischen Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden besteht ein fühlbarer Mangel an qualifizierten Fachkräften. Dies gilt immer noch auch für die Kriminalpolizei, für die Staatsanwaltschaften und auch für die in der Rechtspflege als Richter tätigen Personen.
Hier soll der vorliegende Gesetzentwurf eingreifen. Während für die Verfolgung von Wirtschaftsstraftaten in einzelnen Bundesländern, z. B. Bayern und Nordrhein-Westfalen, schon Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen worden sind, muß jetzt auch eine entsprechende Konzentration im Bereich der Strafgerichte ermöglicht werden. Es hat sich als zweckmäßig erwiesen, auf der Ebene der Landgerichte spezielle Wirtschaftsstrafkammern zu bilden, die ausschließlich mit der Behandlung von Wirtschaftsstraftaten befaßt werden. Um die besonderen Fachkenntnisse solcher Wirtschaftsstrafkammern nutzen zu können, besteht das Bedürfnis, ihre örtliche Zuständigkeit über den Bezirk eines Landgerichts auszudehnen. Diesem Zweck dient im wesentlichen dieser Gesetzentwurf.
Wir glauben, daß mit diesem Gesetz ein wirksamer Schritt zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität getan wird. Ich möchte aber an dieser Stelle darauf hinweisen, daß selbstverständlich weitere Schritte, vor allem im Bereich des materiellen Wirtschaftsstrafrechts, notwendig sind. Meine Fraktion begrüßt es deshalb, daß die Bundesregierung der Reform des materiellen Wirtschaftsstrafrechts besondere Aufmerksamkeit widmet. Wir hoffen, daß sich durch das vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Gutachten neue Einsichten für die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ergeben werden.
Meine Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf als einem ersten, aber wichtigen Schritt zur stärkeren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Man hält es vielleicht für eine ganz unscheinbare technische Änderung, wenn hier die Zuständigkeiten im Bereich der Gerichtsverfassung etwas verändert werden. In der Öffentlichkeit wird immer wieder die Frage aufgeworfen - auch von Ihnen, die Sie dankenswerter7644
weise heute mit uns dieses gemeinsam erarbeitete Gesetz verabschieden wollen , wo denn nun die inneren Reformen bleiben. Bei der Beantwortung dieser Frage darf man nicht nach etwas ganz Spektakulärem Ausschau halten, nach etwas, was ganz großartig daherkommt und dann auf einmal über Nacht da ist, sondern man muß sehen, daß man aus einer gewissen Grundhaltung heraus und aus der Bereitschaft, täglich alles neu zu überdenken, aus der sozial-liberalen Grundeinstellung heraus - sagen wir es einmal so, wie diese Koalition getauft worden ist - auch an jede Kleinigkeit immer wieder die Sonde ansetzen und fragen muß: was können wir tun, um hier einen Schritt weiterzukommen?
Ich glaube, die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, die wir heute zu beschließen haben, ist ein solcher Schritt. Wenn wir nämlich auf der einen Seite die Möglichkeiten der freien Marktwirtschaft entschieden bejahen und erhalten wollen, haben wir auf der anderen Seite die Verpflichtung, auch die Gefahren, die damit auf den einzelnen Bürger zukommen können, klein zu halten. Das ist bisher im Bereich der Wirtschaftskriminalität nicht in ausreichendem Maße gelungen.
Es kommt mit Recht der weitere Vorwurf hinzu, daß die Kleinen - allerdings nicht aus bösem Willen, sondern weil sie einfach leichter zu fassen sind - gehängt werden, daß man aber die Großen in vielen Fällen laufen läßt. Das soll mit dieser Änderung verhindert werden, und ich meine, das ist über den technischen Anlaß hinaus eine durchaus wichtige Verwirklichung grundsätzlicher gesellschaftspolitischer Einsichten.
Wir Freien Demokraten verbinden im übrigen mit dieser Gesetzesänderung die Hoffnung auf gewisse Erweiterungen der Möglichkeiten der Justizorganisation. In dem Augenblick, in dem diese Wirtschaftsstrafkammern mit der entsprechenden Wirkungsmöglichkeit über mehrere Landgerichtsbezirke eingesetzt werden, kann die Justizverwaltung in stärkerem Maße das tun, was nach meiner Kenntnis bisher nur bei einzelnen Staatsanwaltschaften eingeführt worden ist, nämlich Nichtjuristen, Betriebswirte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer als Beamte oder Angestellte der Justizverwaltung in einem festen Verhältnis hinzuziehen, um den Apparat für die Bekämpfung der Wirtschaftsstraftaten zu erweitern. Bisher war das aus naheliegenden Gründen nicht möglich. Ich hoffe, daß mit der scheinbar so trockenen gesetzestechnischen Änderung eine Möglichkeit zu neuen Versuchen im Bereich der Justizverwaltung erschlossen wird, um zu einer weit größeren Effizienz bei der Bekämpfung der Wirtschaftsstraftaten zu kommen. Weil wir alle das wünschen und für dringend notwendig halten, stimmen auch wir diesem Gesetz zu.
({0})
Keine weiteren Wortmeldungen? ---- Dann stimmen wir über das Gesetz im ganzen ab. Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Über weitere Ausschußanträge ist nicht zu entscheiden. Es liegen keine vor.
Dann rufe ich Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 4. März 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich der Niederlande und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Nutzung des Gaszentrifugenverfahrens zur Herstellung angereicherten Urans
- Drucksache VI /2245 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI /2374 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({1})
- Drucksache VI /2361 -Berichterstatter: Abgeordneter Flämig,
Abgeordneter Lenzer
({2})
Zweite Beratung! Ich rufe auf Art. 1, - 2, - Einleitung und Überschrift. Anträge liegen nicht vor. Wir kommen unmittelbar zur Schlußabstimmung.
Wer zustimmen will, möge sich erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige
Annahme fest.
Ich rufe Punkt 31 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für
eine Verordnung ({4}) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Hopfen eine Verordnung ({5}) des Rates über die Bescheinigung der Herkunftsbezeichnung bei Hopfen
- Drucksachen VI /1929, VI /2312 [neu] -Berichterstatter: Abgeordneter Rainer
Berichterstatter ist der Abgeordnete Rainer. Wird der Bericht mündlich erstattet? --- Das ist nicht der Fall.
Der Ausschuß schlägt vor, den Bericht in Drucksache VI /1929 zur Kenntnis zu nehmen. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes
- Drucksachen VI /665, VI /1380 Vizepräsident Dr. Schmid
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache VI /2269
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Beermann, Abgeordneter Dichgans
({7})
Berichterstatter sind die Abgeordneten Dr. Beermann und Dichgans. Die Herren Berichterstatter erstatten keinen mündlichen Bericht.
Ich rufe zur zweiten Beratung Art. 1 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer Art. 1 zustimmen will, gebe das Handzeichen. Ich rufe Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? --- Einstimmige Annahme.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe auf zur
dritten Beratung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her en! Wir stehen damit am Ende der parlamentarischen Behandlung einer Diskussion, die im April 1970 in Bewegung gebracht wurde, als der Kollege Vogel hier den Entwurf der CDU/CSU einbrachte.
Der Ausschußvorschlag ist ein Kompromiß. Die Opposition hat einige Bedenken. Wir stellen uns die Frage, ob etwa der dreimonatige bezahlte Urlaub zur Examensvorbereitung nicht dazu führt, daß andere Referendare - Studienreferendare, ja vielleicht auch Mediziner und Ingenieure - ähnliche Ansprüche stellen können.
Wir bedauern auch, daß die Referendarzeit auf diese Weise nur um drei Monate, von 30 auf 27 Monate, verkürzt wird. Für die 21 Monate, die ursprünglich im Regierungsentwurf standen, kämpften am Ende nur noch der Herr Bundesjustizminister und der Abgeordnete Dichgans.
Ich habe in diesem Augenblick das Bedürfnis, mich bei allen Kollegen des Ausschusses, insbesondere auch bei den Kollegen der Regierungsfraktionen, für die faire und nüchterne Behandlung der Problematik zu bedanken. Wir haben einander aufmerksam zugehört. Mein besonderer Dank gilt dem Kollegen Beermann für viele fruchtbare und anregende Gespräche. In diesen Dank, Herr Beermann, schließe ich auch Ihre Frau ein, die im Rechtsstatus einer amica curiae kluge Gedanken zum Gespräch beigetragen hat.
Da die Zeit drängt, möchte ich Sie zu allen Einzelfragen auf den ausführlichen Bericht des Ausschusses verweisen. Ich möchte nur mit einigen Worten auf die Kritik eingehen, die Sie bei Diskussionen in Ihren Wahlkreisen zu erwarten haben.
Die Kritik fordert Abschaffung des Assessorexamens als einer unzumutbaren Nervenbelastung und ein Verbot der außeruniversitären Ausbildung, die man vereinfachend unter den Begriff „Rechtsschule" faßt.
Zunächst zum Thema „Examensbelastung und Stress": Wer nicht in der Lage ist, unter Stress rational zu arbeiten, ist für den Beruf des Juristen ungeeignet. Und es ist auch durchaus legitim, die Belastbarkeit auch der Nerven in einer Prüfung zu testen.
Nun ist es ganz in der Ordnung, wenn wir mit der Frage konfrontiert werden, ob es nicht bessere Prüfungsmethoden gibt als die des herkömmlichen Assessorexamens. Der Entwurf sieht in diesem Sinne ja auch vor, daß ein Teil der Prüfung in die Ausbildung vorgezogen werden kann; es ist dies die sogenannte Abschichtung.
Wir wären auch durchaus bereit, uns über die studienbegleitenden Leistungskontrollen zu unterhalten, die die Studenten und Referendare als Alternative fordern. Wir freuen uns, daß in dieser Alternative das Wort „Leistung" vorkommt. Leistungskontrolle ist notwendigerweise auch Leistungsimpuls oder, wie man das polemisch zu sagen pflegt, Leistungsdruck.
Aber wie sollen nun diese Leistungskontrollen aussehen? Kollege Beermann hat bei unserer denkwürdigen Reise danach immer wieder bohrend gefragt, ohne eine konkrete Antwort zu erhalten. Und wenn es überhaupt einmal Antworten gab, liefen sie darauf hinaus, daß die bloße Registrierung der Anwesenheit bei bestimmten Veranstaltungen ausreichen müsse. - Das ist schlicht zu wenig.
Für die Referendarzeit versteht man unter dieser Leistungskontrolle das Stationszeugnis. Der Entwurf sieht gegen einige Bedenken der Opposition vor, daß diese Zeugnisse mit höchstens einem Drittel angerechnet werden; die Kritik fordert eine Anrechnung zur Hälfte. Ich stehe dem keinswegs im Grundsatz ablehnend gegenüber, aber die Voraussetzung für eine solche Anrechnung wäre, daß diese Stationszeugnisse wirklich eine Leistungskontrolle liefern. Dazu haben wir die Landesjustizverwaltungen befragt. Aus den Ergebnissen drei Mitteilungen: In Baden-Württemberg hatten von 70 beliebig ausgewählten Kandidaten für das Assessorexamen 67 die Vor-Note „voll befriedigend", 2 die Note „befriedigend" und einer „ausreichend". Der Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen sagte: „Ein Stationszeugnis, das nicht besser ist als „ausreichend", ist eine Sensation." In Hessen haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres, in denen die Stationszeugnisse so angerechnet werden, von 247 Kandidaten 246 bestanden, und der eine, der durchgefallen ist, ist offenbar das Opfer eines bedauerlichen Unfalls, der wahrscheinlich auch juristisch angegriffen werden kann.
Nun ist uns auch zweifelhaft, ob der einzelne Ausbilder in der Lage ist, so neutral zu urteilen wie ein Prüfungsamt. Wir haben in den Befragungen gehört, daß die Referendare Zeugnisse unter „befriedigend" schlicht nicht annehmen.
Es ist weiter zu bedenken, daß eine Überbewertung der Stationszeugnisse zu einer nicht sachgerechten Auswahl der Stagen führt. Man sucht sich
dann, soweit man Wahlmöglichkeiten hat, die Stagen aus, bei denen man die besten Zeugnisse erwarten darf und auch die Auswahl des Anwalts, zu dem man geht, wird dadurch beeinflußt. Ich habe mir sagen lassen, daß Referendare zuweilen vorher eine Zusage über die Note fordern, bevor sie überhaupt zu einem Anwalt gehen.
Ich frage mich, ob nicht überhaupt die Prädikatisierung vom einzelnen Ausbilder aus problematisch ist. Da der Kollege Arndt ein großer Freund der Bismarck-Biographie ist, möchte ich ihn an das klassische Zeugnis erinnern, daß der Referendar Bismarck bei der Regierung in Potsdam erhalten hat. Es lautete etwa: „Wenn es dem Referendar Bismarck gelänge, seine natürliche Faulheit zu überwinden, wäre er zu höchsten Staatsämtern befähigt." Ich frage Sie nun, wie man dieses Zeugnis in ein Prädikat umwandeln will.
Wer das Assessorexamen abschafft, ausdrücklich oder tatsächlich, muß auch die Folgen bedenken. Die Abschaffung verschiebt zunächst die Selektion, die heute im Assessorexamen einigermaßen neutral vorgenommen wird, auf den Arbeitgeber, der dann möglicherweise eigene Selektionsmechanismen schafft, die viel problematischer sind als das Assessorexamen. Außerdem: wenn wir alle diese Prüfungen abschaffen, wird das juristische Studium ein Magnet für alle Abiturienten, die sich wenig zutrauen. Frage: Wollen wir das, wollen das die Juristen in diesem Hause?
Die Kritik bezieht sich weiter auf die außeruniversitäre Ausbildung, die verboten werden soll. Nun ist das nicht ganz einfach. Wir haben nämlich im Gesetz unbestritten fünf Formen der außeruniversitären Ausbildung ausdrücklich zugelassen. Die Experimentierklausel spricht generell nur von „Studium". Was das Land unter Studium versteht, ist ihm voll überlassen. In diesem „Studium" kann also jedes Land experimentell die Rechtsschule einführen. Auch die Referendarausbildung klassischen Stils ist ja keine universitäre Ausbildung. Die schulmäßigen Kurse für Referendare sind ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden; sie waren bisher nicht darin. Wir haben die Anrechnung der Rechtspflegerausbildung, und es stellt sich die Frage, ob es nicht auch andere, ähnliche Formen geben soll.
Schließlich wird das Gesetz durch den bezahlten Urlaub, den die Koalition hineingebracht hat, eine neue Form der Rechtsschule schaffen. Die Repetitoren werden ein blühendes Geschäft machen, und dieser Kurs wird heißen: „In 90 Tagen rund um die juristische Welt". Alle Referendare, die jetzt so lautstark gegen die Rechtsschule protestieren, werden mit Sicherheit diese Rechtsschule, und zwar gegen Bezahlung, besuchen. Die angegriffene Bestimmung, die es den Ländern ermöglichen soll, andere Ausbildungseinrichtungen zu schaffen, gibt, wie gesagt, nur eine Möglichkeit. Kein Land braucht davon Gebrauch zu machen, und natürlich braucht erst recht kein Student diese Möglichkeit zu wählen.
Die Reaktion auf diesen Vorschlag, die Herr Arndt gestern ja aus nächster Nähe erlebt hat, hat mich sehr erschreckt. Wir kommen bereits wieder in eine neue repressive Gesellschaft hinein. Es ist davon die Rede, daß einige Länder den Vermittlungsausschuß anrufen wollen. Was bedeutet das? Ein Land, sagen wir einmal: Bremen, also ein kleines Land, selbst sehr experimentierfreudig, möchte, wenn es den Vermittlungsausschuß anruft, andere Länder, die in ihrem eigenen Sinne experimentieren wollen, daran hindern zu experimentieren.
In einer Presseverlautbarung des Fakultätentages, in Regensburg verfaßt, heißt es, jede Rechtsschule - es gibt noch gar keine - sei tendenziös und ideologisch vorprogrammiert, und einige Studenten sind offenbar fest entschlossen, Rechtsschulen notfalls gewaltsam zu verhindern. Das heißt, sie wollen Studenten, die den Wunsch haben, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, daran hindern, etwas zu tun, was diese möchten. Das ist eine Mentalität, die wir heute leider in vielen Universitäten, in vielen Fakultäten finden. Die Adjektive „tendenziös und ideologisch vorprogrammiert" drängen sich, glaube ich, im Hinblick auf die Zustände an manchen Universitäten sehr viel stärker auf als im Hinblick auf eine künftige Rechtsschule, etwa gemeinsam getragen vom Anwaltverein, vom Deutschen Gewerkschaftsbund, vom Industrie- und Handelstag. Ich könnte mir denken, daß eine solche Institution eine sehr viel freiere, pluralistischere Ausbildung gewährleistet als die in einigen unserer Universitäten.
Nun noch einige Bemerkungen zur Ausbildung der Juristen überhaupt. Was erwarten wir von unseren Juristen?
Er muß zunächst einmal lernen, festzustellen, was ist. Das ist eine Aufgabe, die den Juristen an den Naturwissenschaftler heranrückt. Jede Beobachtung beginnt mit der selbstkritischen Frage, inwieweit die eigene Anschauung durch Fehler des Instruments geprägt ist, durch Vorurteile, durch Herkunft, durch Interessen. Gewiß mag hier bei dem einen oder anderen Studenten zunächst eine unzureichende Information, auch eine Trübung des Blickfelds vorhanden sein. Aber wenn man diesen Mängeln dadurch beizukommen versucht, daß man den Studenten gewaltsam eine blutig-rote Brille aufsetzt, dann ist das Ergebnis schlimmer als das, was vorher war, und die Summe der Vorurteile wird dadurch nicht kleiner, sondern größer.
Der Jurist muß die Realität kennenlernen, gewiß. Ich darf hier erwähnen, daß die Polen ihre Juristen so ausbilden: neun Monate Studium, ein Monat Arbeit in einer Fabrik, ein Monat Wehrdienst und ein Monat Ferien. Das ist ein bedenkenswertes Modell.
Ich möchte auch eine Anregung des Kollegen Wehner, die ich gehört habe, sehr positiv aufnehmen. Herr Kollege Wehner, ich habe gehört, daß Sie vorgeschlagen haben, man sollte die Juristen mal probeweise einsitzen lassen.
({0})
- Herr Kollege Wehner, ich möchte das ganz ernsthaft aufnehmen und es wird mir eine Ehre sein,
einen Antrag Wehner, Dichgans und Genossen mit zu unterzeichnen,
({1})
wonach jeder Jurist -- ich glaube, Sie hatten von einem Jahr gesprochen;
({2})
ich würde sagen: eine Woche, Herr Kollege - unter den Bedingungen eines Strafgefangenen - ({3})
- Wir werden uns darüber unterhalten.
Meine Damen und Herren, nun noch einige Worte zum Prozeß der Entscheidung. Wenn der Jurist vor Entscheidungen gestellt ist, so reicht es nicht aus, daß er über Grundlagen reflektiert. Er muß auch über Alternativen reflektieren. Dieses Abwägen der Alternativen ist bei unserer Ausbildung ausgesprochen verkümmert. Wir können unsere Fakultäten nur bitten, sich um die Heranbildung kritischer Juristen zu bemühen. Ein altes Wort formuliert es bekanntlich so: Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, man soll sie billig hören bede. Diese Fähigkeit, sich auch die Gegenargumente unvoreingenommen und tolerant anzuhören, sollte das wichtigste Ziel der Ausbildung sein.
Was ist von der Reform zu erwarten? Wir wissen es nicht. In einem solchen Fall hilft ein neues Gesetz nicht mehr als ein neues Gebäude. Was wir brauchen, ist ein bestimmtes Verhalten der Lehrer und der Lernenden. Wir können nur hoffen, daß der neue Rahmen, die Identifikation des einzelnen mit Reform und Reformprojekt, neue Antriebe, neue Motivationen und damit auch bessere Juristen liefert.
Aber bei diesem Wunsch dürfen wir es nicht bewenden lassen. Wenn der Bundestag die Ausbildung der Juristen regelt, übernimmt er auch die politische Verantwortung dafür, daß das staatlich organisierte Bildungswesen Richter, Verwaltungsbeamte, Anwälte und Wirtschaftsjuristen ausbildet, die überzeugt auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, die sich überzeugt zu Freiheit und Toleranz bekennen. Können wir der Meinung sein, daß das heute gesichert ist? In allen Fraktionen gibt es, glaube ich, erhebliche Zweifel. Kann man von Studenten, die in einer Atmosphäre des Tolerierens gewaltsamer Rechtsbrüche aufwachsen, erwarten, daß sie die Rechtsstaatlichkeit späterhin so verteidigen, wie wir es von ihnen erwarten müssen? Besteht nicht die Gefahr, daß einige Fakultäten in kommunistische Kaderschulen umgewandelt werden?
Auch die Bundesregierung sollte sich darüber Sorgen machen. Sie tut es auch. Sie sollte uns darüber berichten, und wir sollten uns vorbehalten, in einiger Zeit eine Große Anfrage über die Zustände an den deutschen juristischen Fakultäten einzubringen. Ich kann nur hoffen, daß diese Große Anfrage dann Unterschriften aus allen Fraktionen trägt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands begrüßt den hier zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf. Seit Jahren, ja, seit Jahrzehnten besteht die Forderung, die Juristenausbildung den modernen Erfordernissen anzupassen. Hier soll insbesondere die Verschränkung von Theorie und Praxis eine bedeutende Rolle spielen. Außerdem ist es erforderlich, den Juristen im Rahmen seiner Ausbildung in die Lebenswirklichkeit hineinzustellen, ihm während der Ausbildung beizubringen, daß er eine hohe soziale Verantwortung in jedem Amt, in jedem Beruf trägt, den er in seinem späteren Leben auszuüben haben wird. Es ist notwendig, daß dem jungen Juristen das Bewußtsein vom Wesen und von der Notwendigkeit sozialer Konflikte beigebracht wird und er schließlich darüber aufgeklärt wird, wie sozialgebunden alles Recht in diesem Land ist, etwa in dem Sinne von Anatole France, der jenes ebenso bittere wie berühmte Wort gesprochen hat, daß das Gesetz in seiner erhabenen Größe und Gerechtigkeit Armen wie Reichen verbietet, unter Brücken zu nächtigen und Brot zu stehlen.
Für den Deutschen Bundestag ergab sich daher die Frage, wie wir diese Postulate in einem Gesetz verankern könnten, das die Juristenausbildung regelt. Da nach der Kompetenzverteilung unseres Grundgesetzes jedoch die inhaltliche Ausgestaltung der Juristenausbildung eine Aufgabe der Länder, d. h. der Landesgesetzgebung ist, war für den Bundesgesetzgeber hier nur ein begrenzter Spielraum gegeben. Er konnte nur durch die Ihnen vorliegende Änderung des deutschen Richtergesetzes den Ländern, d. h. den Landesparlamenten, Spielraum für eine Experimentierfreiheit in einem gewissen abgegrenzten Rahmen geben, die es ermöglichen sollte, die Juristenausbildung in Deutschland jenen Postulaten anzugleichen, die ich soeben erwähnt habe.
Die eigentliche Fachregelungskompetenz, d. h. die Ausgestaltung der Juristenausbildung ihrem Inhalt nach, liegt allerdings bei den Ländern. Sie müssen die Reformen in den Freiräumen, die wir ihnen von Bundes wegen mit diesem Gesetz schaffen, inhaltlich ausfüllen. Sie sind die eigentlichen Träger für die Schaffung einer modernen und demokratischen Juristenausbildung.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist an den Beschlüssen des Rechtsausschusses, wie sie Ihnen heute zur Abstimmung vorliegen, harte Kritik geübt worden. Wir Sozialdemokraten sind die letzten, die insbesondere die Kritik, die die Studenten und Referendare aus allen Teilen unseres Landes in den vergangenen Wochen und kulminierend vielleicht am gestrigen Tage an den Beschlüssen des Rechtsausschusses geübt haben, geringachten. Noch weniger achten wir selbstverständlich die Entschließung der Konferenz der Dekane der juristischen Fakultäten und Abteilungen, die vor wenigen Tagen in Regensburg einstimmig gefaßt worden ist, gering. Wir nehmen alle diese Äußerungen sehr ernst. Wir nehmen sie als Material und Hilfe für die Gesetzgebung dieses Hauses.
Dr. Arndt ({0})
Die Kritik bezog sich insbesondere auf zwei Hauptpunkte. Der eine Hauptpunkt war der - der Kollege Dichgans sprach schon vor mir darüber -, daß der Entwurf des Rechtsausschusses, der Ihnen jetzt zur Beschlußfassung vorliegt, vorsieht, daß die Zeugnisse der einzelnen Referendarstationen höchstens bis zu einem Drittel auf die Note des abschließenden juristischen Staatsexamens angerechnet werden dürfen. Als Hamburger hätte ich mir allerdings mehr Experimentierfreiheit gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, daß insbesondere das Modell der drei norddeutschen Länder von Bundes wegen nicht in dieser Weise eingeschränkt worden wäre. Meine Damen und Herren, es gehört aber zum Wesen eines demokratischen Abgeordneten, daß er sich der Mehrheitsentscheidung fügt. Deswegen stehe ich trotz dieser meiner persönlichen Bedenken als Hamburger, aber auch als gelernter Jurist auch in diesem Punkte hinter der Entscheidung des Rechtsausschusses. Sie war sicherlich ein echter Kompromiß.
Der zweite Punkt, der in den vergangenen Tagen und Wochen Gegenstand der öffentlichen Kritik gewesen ist, war der, daß der Bundesgesetzgeber den Ländern die Möglichkeit einräumt, nach einer entsprechenden Regelung in den Landesgesetzen auch die Zeiten an „anderen Ausbildungsstätten" auf die Referendarzeit bis zum Assessorexamen anzurechnen. Das ist in § 5 d der Vorlage vorgesehen.
In diesem Zusammenhang muß ich allerdings eine kurze Bemerkung zu dem Bericht der beiden Berichterstatter anfügen. Wir Sozialdemokraten stellen hier viel weniger als der Bericht des Ausschusses etwa die Legalisierung von Repetitoren und ähnlichen Einrichtungen als vielmehr die Aussicht, daß die Länder auf dem Wege der schon erwähnten Landesgesetze die Möglichkeit schaffen, neue, modernere Formen der Juristenausbildung zu finden, in den Vordergrund. Wir denken eher an Einrichtungen, wie wir sie in Amerika mit den Law-schools haben, oder an verwandte Institutionen. Wir möchten also hier nicht so stark betont, wie es in dem Bericht geschehen ist, die Repetitoren in den Vordergrund stellen. Ich freue mich, daß Herr Dichgans als einer der beiden Berichterstatter mir hier sogar durch Kopfnicken zustimmt.
Ich weise darauf hin, daß für diese besonderen neuen Einrichtungen der Landesgesetzgeber zuständig sein soll. Wir haben ihn in seiner Entscheidungsfreiheit allerdings etwas eingeengt. Eine Zulassung darf nur für maximal ein Jahr erfolgen. Anerkennung und Kontrolle durch die Landesregierung müssen gewährleistet sein. Wir gehen nämlich davon aus, daß die Landesregierungen, wenn sie solche Institutionen durch Landesgesetz zuzulassen ermächtigt werden, eine angemessene Mitwirkung der Auszubildenden, also der Referendare, zur Bedingung der Zulassung dieser Institutionen machen werden, daß die Auszubildenden also in angemessener Weise ein Mitbestimmungsrecht erhalten, mit anderen Worten: daß die Länder solche Institutionen nicht genehmigen, wenn die Mitwirkung der Auszubildenden nicht gewährleistet ist. Wir konnten dieses leider von Bundes wegen nicht tun, weil eben die Kompetenz des Bundesgesetzgebers insoweit beschränkt ist; ich wies vorhin bereits darauf hin.
Im übrigen ist gegen die hier vorgebrachten Bedenken einzuwenden, daß die gegenwärtige Übergangsphase in der Neuregelung der Juristenausbildung eine Periode von Experimenten sein soll. Über einen Zeitraum von zehn oder vielleicht fünfzehn Jahren soll erprobt werden, welches bessere Modell einer Juristenausbildung sich für die Zukunft anbietet. Dann wird dieses Haus gemeinsam mit den Länderparlamenten dereinst zu entscheiden haben, welche Juristenausbildung endgültig als die vorzuziehende für alle deutschen Juristen einzuführen ist.
Wir allerdings haben nicht die Minderwertigkeitskomplexe, die mancher der Kritiker im Lande in den letzten Wochen für mein Gefühl nur zu deutlich entwickelt hat. Ich meine die Komplexe, die darauf beruhen, daß man annimmt, daß, wenn der Staat Staat im weiteren Sinne gemeint, d. h. Bund und Länder gemeinsam - sein Ausbildungsmonopol für Juristen insoweit durchbricht, als er es zuläßt, daß - jedenfalls auf die Dauer eines Jahres auch andere Institutionen anrechnungsfähige Ausbildung für Juristen leisten, die Folge sein müßte, daß sofort - ich zitiere jetzt Plakate und Aufrufe der letzten Wochen - die „Kaderschulen des Großkapitals" wie Pilze aus dem Boden schössen und hirnlose Rechtstechniker hervorbrächten, die gerade jene Postulate, die ich nicht zuletzt als Sozialdemokrat an die Spitze des Ziels der Juristenausbildung gestellt habe, zunichte machten.
Ich habe, gerade auch auf den Erfahrungen der sozialistischen und der Arbeiterbewegung in den letzten 100 Jahren fußend, genügend Selbstbewußtsein, zu glauben, daß die Demokraten in diesem Lande dafür sorgen werden als Ausdruck der Demokratie auch die Landesregierungen und die -parlamente , daß nur Instutitionen zugelassen werden, die im Sinne des demokratischen Pluralismus wirklich befähigt sind, demokratische Juristen in diesem Lande auszubilden. Bei allem Respekt vor der wirklichen oder behaupteten Macht des Kapitals haben wir Selbst- und Machtbewußtsein genug, um zu wissen, daß uns die Demokratie in diesem Lande genügend Mittel an die Hand gibt, um eine falsche Entwicklung zu verhindern.
Nicht zuletzt sind daher auch die deutschen Gewerkschaften aufgerufen, sich mehr als bisher der Juristenausbildung in diesem Lande anzunehmen und zu sehen, daß auch ihre Sache hier mit betrieben wird.
Wir Sozialdemokraten haben genügend Vertrauen in die Kontrollfähigkeit und Kritik unserer Landtage und Landesregierungen, um ihnen diese weitere Möglichkeit des Experiments zu eröffnen; denn wir sind nicht so kleingläubig, anzunehmen, daß die Schaffung eines Freiraums in diesem Bereich dazu führen müßte, daß andere als demokratische Kräfte in diesen Freiraum einströmen.
({1})
Dr. Arndt ({2})
Die Kritik in diesem Lande, die wir, wie gesagt, nicht geringachten, sondern die wir respektieren und in unsere Überlegungen sehr intensiv einbezogen haben, berücksichtigend, möchte ich Ihnen zusammenfassend empfehlen, diesen Entwurf in der Fassung des Rechtsausschusses so zu beschließen, wie er Ihnen in der vorliegenden Drucksache auf den Tischen liegt.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Über die Bedenken, die in den letzten Tagen in verstärktem Maße vorgetragen worden sind - ungewöhnlich schlecht terminiert, wenn tatsächlich mit Aussicht auf Wirkung die Beratungen des Parlaments hätten beeinflußt werden sollen -, haben meine beiden Herren Vorredner bereits einiges gesagt. Ich möchte hier etwas in allem Ernst vortragen, was mich auch in den schon etwas weiter zurückliegenden Diskussionen mit Kritikern der bestehenden juristischen Ausbildung berührt hat.
Wir haben heute auf vielen Gebieten, z. B. in bezug auf den Nulltarif der Straßenbahn, die Situation, daß eine Anzahl von Leuten aus sehr ehrenwerten und rationalen Gründen sagt, das sei vernünftig zur Entlastung der Straßen, das könne sehr segensreiche Wirkungen haben, die finanziellen Folgen würden sich so und so darstellen, und darum sei das per saldo zu befürworten. Dann haben wir aber andere, die das gleiche fordern und dabei in Wirklichkeit alle diese Erwägungen nicht anstellen, auch nicht auf ein irgendwie geartetes vernünftiges Ziel los wollen, sondern denen es darum geht, an einem sich gerade anbietenden Beispiel, z. B. an diesem Nulltarif, den Hebel anzusetzen, um das zu bewirken, was sie „systemverändernde Maßnahmen" nennen, um das System umzustürzen.
({0})
Genau das kann man auch beobachten bei der Diskussion um die Juristenausbildung. Bei höchstem Respekt vor all denen, die sich Sorgen machen, wie wir effizienter, in kürzerer Zeit und mit einem womöglich besseren Erfolg als bisher den juristischen Nachwuchs ausbilden können, muß man doch sehen, daß hier durchaus nicht ganz unbedeutende Kräfte aufgetreten sind, die meinen, daß die Juristen Vorwürfe verdienen. Meiner Ansicht nach werden die Vorwürfe - trotz aller Ausfallerscheinungen, die auch dieser Stand gezeigt hat, trotz der Tatsache, daß auch dieser Stand in der Vergangenheit teilweise in bedenklichem Maße Anfechtungen erlegen ist - doch sehr zu Unrecht erhoben. Auch glaubt man, daß die Juristen ein besonders stabilisierender, ein besonders systemerhaltender Faktor, schlechthin ein konservativer und darum prima facie ein zu verdammender Stand seien. Ich glaube nicht, daß das richtig ist. Aber es wird geglaubt, und hier wird angesetzt, um zu sagen: Wir brauchen gar nicht den geistlosen Gesetzesanwender, wir brauchen den Sozialingenieur, hier müssen wir in viel höherem Maße soziologische und psychologische Erkenntnisse in die Juristenausbildung einfließen lassen. Und man sagt: wir müssen uns freimachen davon, hier rein technisch Tatbestände in ihre Merkmale zu zergliedern und diese dann richtig auf den Sachverhalt anzuwenden. Ich glaube, daß das für die Juristenausbildung sowieso sehr schädlich wäre, ich glaube aber auch, daß das für die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande sehr schädlich wäre. Es gibt jedoch Leute, die genau das wollen, wenn sie von einer Reform der Juristenausbildung in ihrem Sinne sprechen. Wir sind es den Bürgern schuldig, daß sie, bevor sie eine Klage einreichen - vor Gericht und auf hoher See liegt alles in Gottes Hand, gewiß -, in etwa vorhersehen können, was zum Schluß mit ihrer Klage geschehen wird. Die Bürger sollen wissen, daß es nicht auf „Gefühl und Wellenschlag" des Vorsitzenden ankommt, wie er nun auf Grund seiner höheren soziologischen und psychologischen Einsichten entscheiden wird.
({1})
Das muß bei dieser Gelegenheit deutlich gesagt werden.
Wenn das das Ziel der Ausbildung sein muß, dann, meine ich, ist es nur logisch, daß in der abschließenden Prüfung die Kontrolle dessen, was in der Ausbildung geschehen ist - mindestens die gleichen objektiven Methoden angewendet werden, die auch hinterher von dem zu Prüfenden im Prozeß angewendet werden sollen. Dieses Ziel würde durch eine zu weitgehende Berücksichtigung der hier schon mehrfach angesprochenen sogenannten leistungsbegleitenden Kontrollen meiner Ansicht nach außerordentlich gefährdet werden. Das ist ein Wort, das - nach dem, was die Herren Berichterstatter auf ihrer Exkursion erfahren haben und was auch uns in mehr oder weniger großem Umfange vertraut ist nichts weiter sagt, als daß man eben keine Prüfung haben möchte. Daß Prüfungen etwas Lästiges sind, wissen wir alle. Aber deshalb sind wir es gerade den heute Recht Studierenden und den heutigen Referendaren schuldig, ihnen diese Prüfung zu erhalten, damit sie nicht am Abschluß eines so gearteten Ausbildungsganges vor der Situation stehen, daß die meisten der in Betracht kommenden künftigen Arbeitgeber sagen, sie wüßten zuwenig, hier liege keine Bemessungsgrundlage vor, zu der sie Zutrauen hätten. Sie würden sich dann in die Lage versetzt sehen, statt der drei Monate, die heute vielleicht bei einer intensiven Vorbereitung auf das Examen eingespart werden könnten, zwei Jahre darauf zu verwenden, um in einem wiedereinzuführenden Anwaltsassessoriat - der Anwaltsverein hat dergleichen Konsequenzen bereits angedeutet - oder durch eine längere Assessorenzeit bei den Gerichten - auch darüber kann man von Praktikern vieles hören - oder durch eine vielleicht neu zu schaffende Prüfung, die sich der Bundesverband der Deutschen Industrie oder der Deutsche Industrie- und Handelstag ausdenken, noch viel mehr Zeit zu verlieren. Das wäre aber nicht im Sinne der angeblich erstrebten Reform.
Was bleibt, ist das, was der Rechtsausschuß in dem hier schon zu Recht gerühmten Geiste auf der
Basis der Erfahrungen aller seiner Mitglieder, insbesondere auf der Basis dessen, was in bezug auf die gegenwärtige Lage von den Kollegen Beermann und Dichgans ermittelt worden ist, beschlossen hat. Wir glauben, daß wir damit etwas sehr Vernünftiges getan haben, nämlich das, was im Augenblick vom Deutschen Bundestag aus überhaupt geschehen kann, um einen Schritt - viel mehr wird es sicherlich nicht sein - zu einer vernünftigeren Ausbildung unserer Juristen weiterzukommen.
Wir mußten uns von Anfang an darüber klar sein, daß die entscheidende Aufgabe bei den Ländern und hier vor allem bei den Länderjustizverwaltungen liegt. Wir haben z. B. zu dem Argument einer möglichen Verkürzung gehört, wenn die Ausbildung intensiviert würde, wäre eine solche Verkürzung möglich. Dann hätte es aber doch nahegelegen, erst einmal die Ausbildung zu intensivieren
({2})
und sie erst dann zu verkürzen, wenn sich herausstellt, daß die Referendare unerträglich klug geworden sind. Statt dessen haben wir, weil wir von hier aus nichts anderes tun können, mit der Vorlage dieses Gesetzes unseren guten Willen gezeigt. Wir hoffen, daß das, was als möglich vorausgesetzt worden ist und was teilweise auch vorausgesetzt worden ist, um dieses Gesetz überhaupt möglich zu machen, von den Länderjustizverwaltungen durch eine erhebliche Intensivierung und Verbesserung der Juristenausbildung, für die Ansätze auch darüber ist bereits gesprochen worden; Herr Arndt hat das Hamburger Beispiel erwähnt - bereits vorhanden sind, nachgeholt wird.
Noch ein Wort zum zweiten Hauptpunkt der Kritik. Wenn z. B. diejenigen im Referendarverband, die uns jetzt angreifen, sagen, es müsse alles anders werden, im Zweifel müsse es möglichst progressiv werden - ohne daß genau festgestellt worden wäre, worum es sich dabei handelt -, und wir müßten neue Möglichkeiten eröffnen, dann verstehe ich schlechthin nicht, warum eine Möglichkeit, nämlich die Möglichkeit einer Ausbildung auf einer nichtöffentlichen Schule, untersagt werden soll. Dann muß man doch gleiche Möglichkeiten nach allen Richtungen eröffnen, um nicht bei dieser Gelegenheit schlichte Grundsätze von Gleichheit und Demokratie zu verletzen. Das Ergebnis werden wir, wie Herr Arndt bereits gesagt hat, in einigen Jahren zu betrachten und zu prüfen haben.
Wir wollen hoffen, daß die reichlich eröffneten Möglichkeiten für neue Wege so genutzt werden, daß wir dann etwas festschreiben können, was sich vom gegenwärtigen Zustand positiv unterscheidet.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat aus einem Aufsatz beginnen, der die Überschrift trägt: „Was not tut." Dieser Aufsatz beginnt mit dem Satz:
Ich werbe für den Gedanken, die Vorbildung der Juristen derart neu zu gestalten, daß Universitätsstudium und praktischer Vorbereitungsdienst in zweimaliger Folge miteinander abwechseln.
Und er endet:
Daß eine Neuordnung der gesamten juristischen Vorbereitung einmal kommen wird, und zwar in der angegebenen Richtungslinie, wenn auch im einzelnen vielleicht anders gestaltet, daran habe ich keinen Zweifel. Der Zwang der Verhältnisse ist so groß, daß man von selbst auf den Weg einer Reform gedrängt werden wird. Mit einer solchen Reform würden wir uns einen Beamtenstand schaffen können, wie er besser in der Welt jedenfalls nicht vorhanden sein wird. Möge es bald dahin kommen.
Dieser Aufsatz stammt von dem altehrwürdigen Professor Z i t e 1 m a n n und steht in der Juristenzeitung aus dem Jahre 1909. Wir können uns glücklich schätzen, daß wir heute der Erfüllung der Wünsche des Herrn Zitelmann ein Stück näher kommen, und ich bin froh darüber, daß wir es mit einem derart breiten Konsens tun können.
Der Kollege Arndt hat über die Grenzen gesprochen, die der Bund in seiner Gesetzgebungskompetenz hier zu beachten hatte. Herr Kollege Arndt, ich bin der Auffassung, daß der Bund durchaus die Möglichkeit gehabt hätte, seinen Kompetenzbereich auch etwas extensiver auszuschöpfen. Ich halte es gerade für eine weise Entscheidung des Rechtsausschusses, daß er dieser Versuchung nicht erlegen ist, sondern daß er gerade dort, wo er hätte regeln können, den Ländern einen eigenen politischen Entscheidungsspielraum überlassen hat. Wir sprechen heute sehr viel über die Problematik des Föderalismus und hören die Klagen unserer Kollegen aus den Länderparlamenten über ihre schwindenden legislativen Befugnisse. Ich bin der Auffassung, daß ein Bundesgesetzgeber, der auch dort, wo er Kompetenzen in Anspruch nehmen kann, weise Zurückhaltung übt, die Möglichkeit hat, den Ländern selbst im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung Spielraum für eigene politische Entscheidungen zu geben. Ich könnte mir denken, wenn das hier im Hause Schule machte, würde das mit dazu beitragen, diese Problematik zu entschärfen.
Nun wird natürlich der Landesgesetzgeber mit dem, was wir ihm hier an Entscheidungsspielraum eingeräumt haben, verantwortlich umgehen müssen. Der Landesgesetzgeber wird in der Versuchung sein, vor allen Dingen bei der Konkretisierung der Experimentierklausel den Entscheidungsspielraum, den wir ihm gelassen haben, mit einseitigen politischen Glaubensbekenntnissen auszufüllen. Wir können nur hoffen - das sollte unser gemeinsamer Appell an die Länder sein -, daß die Länder dieser Versuchung nicht erliegen, sonst könnten wir im Bereich der Juristenausbildung bei den Juristenausbildungsgesetzen in einigen Jahren einen ähnlichen Zustand vorfinden, wie wir ihn heute bei den HochVogel
schulgesetzen haben. Das wäre sicherlich nicht förderlich, und es wäre sicherlich auch nicht förderlich, wenn wir diese Intention, die ich genannt habe, weiter verfolgten. Wir müssen daran denken, daß am Ende der Experimentierphase die Zusammenführung der Juristenausbildung in einem einheitlichen Ausbildungsmodell stehen muß. Wir dürfen auch nicht übersehen - und damit möchte ich schließen , daß sich bereits heute die Notwendigkeit einer einheitlicheren Juristenausbildung innerhalb der EWG ergibt. Das ist der Gegenstand der Konferenz der EWG-Justizminister am 3. Juni 1971 gewesen.
({0})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Bayer].
Dr. Bayerl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reform der Rechtspflege ist eine der großen rechtspolitischen Aufgaben dieser Bundesregierung. Diese Reform kann sich nicht auf eine Neugliederung der Gerichtsbarkeit, eine Beschleunigung der gerichtlichen Verfahren und eine Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung sowie der Verfahrensordnungen der verschiedenen Zweige beschränken. Sie muß vielmehr mit einer Stärkung der rechtsprechenden Gewalt verbunden werden. Um einen guten Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es aber auch notwendig, die Ausbildung der Rechtspflegeorgane den wachsenden Anforderungen anzupassen und neu zu ordnen.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes soll hierzu den Weg freimachen. Heute, hei der Schlußberatung dieses Entwurfs, spreche ich vor allem dem Rechtsausschuß und den Herren Berichterstattern meinen Respekt und Dank dafür aus, daß sie dieses schwierige und bedeutsame Vorhaben in verhältnismäßig kurzer Zeit bewältigt haben.
Natürlich lassen sich nicht alle Probleme in dem Entwurf, der nur einen bundeseinheitlichen Rahmen für die Neuordnung der Juristenausbildung absteckt, lösen. Ich bin jedoch überzeugt, daß die Untersuchungen des Ausschusses die weitere Reformdiskussion, die nach der Verabschiedung dieses Gesetzes fortgeführt werden muß, außerordentlich befruchten werden.
Mit besonderer Genugtuung können wir feststellen, daß der Rechtsausschuß nach eingehender Beratung die maßgebenden Gedanken des Regierungsentwurfs aufgegriffen und im wesentlichen gebilligt hat. Als eine der wichtigsten Neuerungen hebe ich die Experimentierklausel hervor, die die Möglichkeit eröffnet, grundlegend neue Formen der Ausbildung zu entwickeln und zu erproben.
Die dadurch eingeleitete Neuordnung der gesamten Juristenausbildung ist dringend erforderlich, weil das gegenwärtige Ausbildungssystem, das in seinen Grundstrukturen aus dem vergangenen Jahrhundert stammt, die durchgreifenden Wandlungen, die sich seither in der Gesellschaft, im Recht und in der Rechtsanwendung vollzogen haben, nicht genügend berücksichtigt. Das sind die Hauptmängel. Unbefriedigend ist vor allem die Zweiteilung der Ausbildung in einen theoretischen und in einen praktischen Teil. Dieses dualistische System, bei dem sich der praktische Vorbereitungsdienst an das Universitätsstudium anschließt, wird dem erheblichen Praxisbezug der Rechtswissenschaft nicht gerecht und hat dazu geführt, daß im Rahmen der Universitätsausbildung die abstrakte Erfassung des Rechtsstoffes zu sehr im Vordergrund steht, andererseits im Vorbereitungsdienst ,die Relevanz der Theorie für die praktische Rechtsanwendung nicht hinreichend deutlich wird. Die Experimentierklausel, die durch den Entwurf in das Deutsche Richtergesetz eingefügt werden soll, läßt in weitem Umfang zu, neue Wege der Ausbildung zu erproben, die Studium und Vorbereitungsdienst zu einer einstufigen Ausbildung von 51/2 Jahren zusammenfassen.
Mehrere Länder haben bereits einstufige Ausbildungsmodelle vorgelegt, die Theorie und Praxis integrieren. In diesen Modellen wird zugleich besonderes Gewicht darauf gelegt, daß dem jungen Juristen nicht nur eine gründliche Kenntnis des Rechts und der Methoden seiner Anwendung vermittelt wird, sondern daß er auch mit den Grundlagen und den wesentlichen Erkenntnissen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften vertraut gemacht wird. Erst die Einbeziehung dieser für die Rechtsanwendung relevanten Wissenszweige in dem gebotenen, d. h. vertretbaren Umfang befähigt den Juristen, das Recht nicht nur technisch zu vollziehen, sondern die Wertentscheidungen der Rechtsordnung, die in der Verfassung und den Gesetzen verankert sind, verantwortlich zu verwirklichen und zu einer sachgemäßen Fortbildung des Rechts beizutragen.
In den nächsten Jahren kann nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Juristen einstufig ausgebildet werden. Deshalb ist der Verbesserung der herkömmlichen Ausbildung ebenfalls große Bedeutung beizumessen. Als zweiten Schwerpunkt möchte ich deshalb die im Entwurf vorgesehene Umstrukturierung und Verkürzung des Vorbereitungsdienstes nennen. Der Rechtsausschuß hat das Konzept der Verkürzung zwar nicht in vollem Umfang übernommen,
({0})
jedoch soll auch nach seinen Beschlüssen die Ausbildung in den Pflichtstationen auf die drei genannten Kernbereiche beschränkt werden.
Neben der Neuordnung der Juristenausbildung ist die Verbesserung der Vorschriften über den Zugang zum Richteramt ein wesentliches Ziel dieses Entwurfs. Künftig sollen in verstärktem Umfang Persönlichkeiten, die sich bereits in anderen juristischen Berufen bewährt haben, für das Richteramt gewonnen werden können. Der Entwurf beseitigt deshalb die Hindernisse, die einer Verwendung von Juristen insbesondere aus dem Arbeits- und Wirtschaftsbereich entgegenstehen.
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl
Neu ist schließlich auch, daß künftig Rechtspflegern und anderen Beamten des gehobenen Dienstes der Übergang in einen juristischen Beruf durch eine teilweise Anrechnung der Ausbildung erleichtert werden soll. Damit wird der berechtigten Forderung nach größerer Durchlässigkeit zwischen den Berufen Rechnung getragen.
Der Entwurf, der über die Neuordnung der Juristenausbildung zu einer Verbesserung des Rechtsschutzes führen wird, leistet einen wichtigen Beitrag zur Justizreform. Ich bitte Sie im Namen der Bundesregierung, diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in der
dritten Beratung.
Wer dem Gesetz in der sich aus den Beschlüssen der zweiten Beratung ergebenden Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danken Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, muß ich bei den Anträgen des Ausschusses ziffernweise vorgehen, oder kann ich über die drei Ziffern geschlossen abstimmen lassen?
({0})
Wer den Beschlußvorschlägen des Ausschusses in den Ziffern 2, 3 und 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle auch hier einmütige Beschlußfassung fest.
Damit, meine Damen und Herren, ist Punkt 9 der zusammengefaßten Tagesordnung erledigt, und wir treten in die
Fragestunde
- Drucksache VI /2344 ein.
Als erste Frage rufe ich die Dringliche Mündliche Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die vom Deutschen Presserat in einem Fernschreiben en den Bundeskanzler aufgezeigte „ernste Bedrohung der Informationsfreiheit" durch die drastischen Gebührenerhöhungen der Bundespost für Fernschreibstendleitungen, die zudem nach der Erklärung des Presserates „zur verstärkten Konzentration in der deutschen Presse beitragen" werde, und welche Konsequenzen wird sie daraus unverzüglich ziehen?
Zur Beantwortung der Frage steht Herr Bundesminister Leber zur Verfügung. Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von einer Bedrohung der Informationsfreiheit durch die vorgesehene Gebührenerhöhung für Fernsprech- und Fernschreibstandleitungen kann nach der Auffassung der Bundesregierung nicht die Rede sein. Die neue Gebührenstaffel führt auch nicht zu einer verstärkten Konzentration in der deutschen Presse.
Die Bundesregierung beurteilt die eingetretene Situation wie folgt: Die finanzielle Situation der Deutschen Bundespost wird entscheidend durch die Entwicklung ihrer Kosten, in den letzten Jahren vor allen Dingen auch durch die Entwicklung der Personalkosten, bestimmt. Steigende Personalkosten, steigende Kosten im ganzen haben aber zur Folge, daß es bei der Deutschen Bundespost wie bei jedem anderen Unternehmen früher oder später unausweich auch zu einer Erhöhung der Preise, in diesem Falle zu einer Erhöhung der Gebühren, kommen muß. Die Post muß diese Kosten im Sinne der Verwirklichung möglichst kostendeckender Gebühren allen ihren Zweigen auferlegen und auch allen ihren Kunden, nach Möglichkeit gleichmäßig, zumuten.
Die von Ihnen angesprochenen Gebühren für Fernsprechleitungen, Herr Kollege, sind seit zwanzig Jahren nicht mehr erhöht worden. Sie liegen weit unter dem Grad, bei dem man von einer Kostendeckung sprechen kann. Dieses Hohe Haus und jeder Bürger im Lande verlangen, daß öffentliche Unternehmen so geführt werden, daß sie nach Möglichkeit ihre Kosten selber decken und nicht über Subventionen, also aus Steuermitteln, finanziert werden müssen. Dies verlangt auch die Presse. Jeder Bürger im Lande meint aber, wenn er diese Forderung generell erhebt, dann, wenn es präzise wird, den anderen. Ich habe den Eindruck, auch die deutsche Presse muß darüber nachdenken, ob in Erfüllung dieser allgemeinen Forderung, die richtig ist, nicht auch von ihr der Teil getragen werden muß, der auf sie zukommt.
Dabei wissen wir sehr genau, daß wir die Presse nicht nur als Wirtschaftsunternehmen zu betrachten haben, sondern daß sie eine besondere und hohe Aufgabe im Staate erfüllt. Aus diesem Grunde hat sich die Bundesregierung - sicher mit Billigung des Hohen Hauses - bei der letzten .Gebührenerhöhung auch entschlossen, die nicht gedeckten Kosten im Zeitungsversand nicht voll auf die Gebühren aufzuschlagen. Die Differenz im Jahre 1971, die nicht kostengedeckt ist, beträgt etwa 490 Millionen DM, und zwar allein bei den Zeitungsgebühren. Wir haben durch die Gebührenerhöhung in diesem Bereich etwa ein Siebentel bis ein Achtel - das läßt sich erst am Ende des Jahres genau feststellen - der ursprünglichen Differenz abdecken können. Sie sehen allein an diesem Vorgang, daß die Presse im Vergleich zu den anderen Kunden der Post sehr bevorzugt behandelt worden ist.
Hier haben wir es nun mit den Leitungsgebühren zu tun und stehen vor dem Phänomen, daß wir, nachdem zwanzig Jahre lang nichts geschehen ist - es wäre besser gewesen, wenn zwischendurch einmal angepaßt worden wäre , versuchen müssen wenigstens in etwa in die Nähe der Kosten zu kommen.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wenn Ihre Vorgänger und die früheren Bundesregierungen durch zwanzig Jahre hindurch die elektronische Nachrichtenübermittlung auf dem gleichen Preisstand gehalten haben und wenn sie damit ihre Freundlichkeit gegenüber der Nachrichtenübermittlung, vor allen Dingen der Informationsübermittlung, für Presse, Funk und Fernsehen bekundet haben, würden Sie dann nicht trotz der Gesichtspunkte, die Sie hier nannten und die sicher sehr ernst zu nehmen sind, überprüfen, ob nun Preissteigerungen von einigen hundert Prozent, also Preissteigerungen gleich um das Fünffache, bei Fernsprechstandleitungen angemessen sind angesichts der Tatsache, daß Sie hier den Nachrichtenfluß und die Informationssicherheit treffen können, vor allen Dingen dadurch, -
Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, die Zusatzfrage wird allmählich zu lang.
Herr Präsident, ich bin dankbar für den Hinweis. Da die Antwort verhältnismäßig ausführlich war, -
Aber die Geschäftsordnung sieht nun einmal knappe Zusatzfragen vor.
Jawohl, danke sehr. Sind Sie sich bewußt, Herr Minister - ich bin sicher, daß es in Ihrem Hause so ist --, daß hier ein Engpaß getroffen wird, nämlich die elektronische Nachrichtenübermittlung, die vor allen Dingen bei den Agenturen - da haben wir ohnehin zu wenig - und bei den kleinen und mittleren Zeitungen wichtig ist?
Herr Kollege, ich bin mir bewußt, daß das eine erhebliche Preissteigerung ist. Sie haben gesagt, meine Herren Vorgänger hätten den Preisstand gehalten. Sie haben den Kostenstand nicht festhalten können. Die Kosten sind gestiegen. Die Witwe, von der so viel gesprochen wird, hat mehr für das Briefporto bezahlen müssen, um die Gebühren in bestimmten anderen Bereichen der Post, wo man nicht an eine Erhöhung herangegangen ist, festhalten zu können. Ich bin dafür, daß aus Gründen der Gerechtigkeit jeder Verkehrszweig der Deutschen Bundespost, soweit ihm das auch aus allgemeinen Gründen zumutbar ist - wir gehen ja nicht bis ans äußerste, auch hier nicht Mehrkosten auch durch einen höheren Preis abdecken muß.
Es ist falsch, Herr Kollege, wenn Sie sagen oder wenn draußen im Lande behauptet wird, es seien Erhöhungen um 500 %, die ruinös wirkten. Ich darf das einmal etwas auseinanderdividieren. Die Leitungsgebühr bis zu 5 km erhöht sich von 17,50 DM auf 100 DM im Monat. Mir kann niemand einreden, daß das bei einer Zeitung ruinös wäre. Diese Erhöhung vollzieht sich aber nur im nahen Bereich.
Nehmen wir nun den Fernbereich, wobei ich an die Dienste denke. Wir haben es hier mit einem Verhältnis von 3 Millionen zu 200 Millionen zu tun. 3 Millionen entfallen auf die Zeitungen, der Rest trifft die anderen Dienste. Die Langstrecken sind vor allen Dingen wichtig. Bei 300 km und 50 Baud beträgt die Gebühr jetzt 1050 DM. Sie beträgt künftig 1000 DM. Bei 300 km und 100 Baud betrug die Gebühr bisher 2700 DM. Sie beträgt künftig 1380 DM. Bei 200 Baud betrug die Gebühr bisher 3600 DM, sie beträgt künftig 1670 DM.
Sie sehen, wir haben im nahen Bereich die Gebühren erhöht und im Fernbereich die Gebühren zum Teil erheblich gesenkt. Das ist auch eine Veränderung in der Struktur. Sie ist notwendig gewesen, weil im Fernbereich durch Investitionen, moderne Techniken und hohen Kapitaleinsatz eine Preissenkung möglich war. Im nahen Bereich haben wir es mit einer starken Erhöhung der Kosten durch das ständige Umverlegen von Nebenanschlüssen usw. zu tun. Das ist teuer geworden, und das muß man dem Kunden im nahen Bereich auch zumuten. Sonst läßt man den, der ein Telex auf weite Entfernungen schickt, die Kosten für den mitbezahlen, der sich nur im Nahbereich bewegt. Das ist also auch im ganzen gerechter.
Ich habe das Gefühl, das Ganze ist auch etwas mißverständlich. Das sieht man schon aus der öffentlichen Befassung mit dieser Frage. Ich habe deshalb vorgesehen, daß am Montag noch einmal ein Ge-sprach mit dem Presserat und allen Betroffenen in meinem Hause stattfindet. Ich erhoffe mir davon, daß wir mindestens mehr Klarheit in die Materie bringen werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg!
Darf ich Ihrer Antwort, Herr Bundesminister, entnehmen, daß gerade im Nahbereich, also im Bereich der Lokalzeitungen, welche die besondere Förderung dieses Hohen Hauses immer gehabt haben und hoffentlich weiter haben werden, ganz besondere Preissteigerungen - tatsächlich um einige hundert Prozent - erfolgen und im Gegensatz zu Ihrer ersten Antwort der Deutsche Presserat, in dem die deutsche Presse mit Verlegern und Journalisten, wie Sie wissen, repräsentativ vertreten ist, im Gegensatz zu Ihnen, soweit ich weiß, einstimmig die Meinung vertreten hat, daß hier eine ernste Gefährdung der Pressefreiheit vorliegt und Konzentrationsbewegungen weiter gefördert werden?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, entschuldigen Sie, Sie können hier keine Referate halten, sondern Sie müssen Zusatzfragen stellen.
({0})
Ja, vielen Dank. Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Sie an7654 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Dr. Schulze-Vorberg
gesichts der Argumente des Deutschen Presserates für diese Besprechung am Montag in Ihrem Hause wenigstens die Chance geben, daß man über die Erhöhung um einige hundert Prozent noch einmal spricht?
Die Wirtschaft und auch die Presse sind im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost vertreten. Dieser hat den Auftrag für den Erlaß der Verordnung gegeben. Er kennt die Kostenstrukturen sowohl der Presse als auch der Deutschen Bundespost. Wir werden offen miteinander sprechen. Ich kenne auch die Situation der kleinen Zeitungen. Ich bin überzeugt davon, daß für die deutsche Presse eine Kostengröße von 3 Millionen DM, die unmittelbar auf sie zukommt, nicht ruinös sein kann. Ich weiß zufällig, daß es dort Verlage gibt, die nicht ganz auf den Brandsohlen laufen, sondern auch noch beachtliche Überschüsse erwirtschaften. Ich gehe deshalb davon aus, daß 3 Millionen DM Mehrbelastung unmittelbar für die deutsche Presse nicht ruinös sein können. Aber ich gebe zu, es ist unbequem, eine Gebührenerhöhung hinnehmen zu müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold.
Herr Bundesminister, räumen Sie ein, daß dann aber doch gerade kleine oder mittlere Zeitungsunternehmen gezwungen werden könnten, auf Grund dieser Gebührenerhöhung bei der Nachrichtenübermittlung erhebliche Einsparungen vorzunehmen?
Ich bin davon überzeugt, daß auch dort noch Einsparungen vorgenommen werden können. Ich bin gar nicht sicher, ob wirklich alle gemieteten Leitungen immer voll ausgenutzt werden, ob wirklich jeder, der viele Leitungen vorhält, diese auch braucht. Aber das ist Sache dessen, der Leitungen der Deutschen Bundespost in Anspruch nimmt.
Ich bin also davon überzeugt, daß wegen dieser Gebührenerhöhungen kein Unternehmen wirtschaftlich in Bedrängnis zu kommen braucht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erhard ({0}).
Herr Minister, wollten Sie mit dem Bilde der Brandsohlen zum Ausdruck bringen, daß die Presse auf anderen Sohlen geht als die Bundesregierung?
Das gehört nicht unmittelbar zur Frage. Die Bundesregierung läuft nicht auf Brandsohlen, sondern wird von einem Bundeskanzler mit Erfolg geführt, der den Namen Brandt trägt.
Keine weiteren Zusatzfragen zur Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg? -Dann will ich nur bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Schulze-Vorberg, noch einmal - auch für das ganze Haus - sagen, daß Wertungen in Zusatzfragen, die Sie in überreichem Maße vorgenommen haben, nach der Geschäftsordnung nicht möglich sind.
Ich danke Ihnen, Herr Minister, für die Beantwortung und komme damit zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Bundesminister Dr. Ehmke zur Verfügung.
Die ersten beiden Fragen sind von dem Herrn Abgeordneten Ott gestellt. Ich frage, ob eine gemeinsame Beantwortung vorgenommen werden kann. - Der Fragesteller wäre damit einverstanden. Herr Minister? - Dann rufe ich die Fragen 104 und 105 des Abgeordneten Ott auf:
Teilt die Bundesregierung die vom Personalrat des Bundeskanzleramtes in seinem Rundschreiben vom 1. Juni 1971 an die Personalräte der Bundesministerien und der Gewerkschaften geäußerte Meinung, daß allen Versuchen, die Personalvertretungen politisch zu mißbrauchen, mit allen Mitteln entgegengetreten werden müsse?
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der auf Seite 13 des Rundschreibens erwähnte Artikel eine Beleidigung der Angehörigen des Bundeskanzleramtes und des Personalrats darstellt?
Herr Präsident, die Bundesregierung verurteilt alle Versuche, die Personalvertretungen politisch zu mißbrauchen. Sie mißbilligt vor allem auch den ständigen Mißbrauch von Personalratsangelegenheiten für parteipolitische Zwecke, wie er im „Bayern-Kurier" erfolgt.
({0})
Die Antwort auf die zweite Frage lautet: nein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Bundesminister, da Sie den „Bayern-Kurier" zitieren, darf ich Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß der Personalrat des Kanzleramts von dem „Spiegel”-Reporter Koch um Lieferung von Personalien und Skandalen aus dem Kanzleramt gebeten wurde?
Nein. Vielmehr hat der Personalrat auf Wunsch des „Spiegel" ein Gespräch mit dem „Spiegel" geführt, nachdem er mich um Zustimmung gefragt und ich die Zustimmung erteilt hatte.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott. - Bitte!
Herr Bundesminister, teilt die Bundesregierung die Ansicht des Personalrates, daß der „Spiegel"-Artikel vom 26. April 1971 die Absicht verfolgte, die Personalvertretung des Kanzleramts als Instrument der Parteipolitik abzustempeln?
Herr Abgeordneter, der Artikel befaßte sich zu einem großen Teil mit Fragen, die die CSU und die CDU betreffen und sich daher meiner Beurteilung entziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mursch.
Herr Minister Ehmke, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der auf Seite 13 des erwähnten Berichts genannte Artikel gegen § 59 des Personalvertretungsgesetzes verstößt, wonach Mitglieder des Personalrates in der Ausübung ihrer Befugnisse nicht behindert und wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, zumal sich ja das Verbot des § 59 gegen jedermann, also auch gegen Außenstehende richtet?
Herr Kollege, ich habe Ihre Frage beim besten Willen nicht verstanden.
({0})
Ich habe Sie gefragt, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß der auf Seite 13 des Rundschreibens erwähnte Artikel gegen § 59 des Personalvertretungsgesetzes verstößt, in dem gesagt ist, daß Mitglieder des Personalrates in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht behindert und wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, weil sich ja der § 59 gegen jedermann richtet, also auch gegen Dritte.
Herr Kollege, ich verstehe die Frage immer noch nicht. Sie meinten, daß der „Spiegel”-Artikel unter Umständen das Personalvertretungsgesetz verletzt?
({0})
Ja.
Diese Frage hat sich uns nicht gestellt und konnte von uns also auch nicht geprüft werden. Es wäre aber auch nicht Sache des Kanzleramts, sie zu prüfen, wenn diese Möglichkeit gegeben wäre.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Frage 106 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe:
Wann wird die Bundesregierung die vom Bundeskanzler im Herbst 1970 angeregte Erklärung zur Weiterentwicklung Berlins ({0}) abgeben?
Ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen des Herrn Abgeordneten Wohlrabe zusammen beantworten könnte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Welche Vorbereitungen sind für eine derartige umfassende Erklärung durch die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Semit von Berlin bisher erlolgt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist ständig bemüht, die Lebensfähigkeit Berlins zu fördern und zu stärken. Dies gilt vor allem für eine Zeit, in der wir auf eine Entspannung im Zentrum Europas hoffen können. Die Überlegungen der Bundesregierung, bei denen der Bundesbevollmächtigte eine besondere Verantwortung trägt, sind noch nicht so weit fortgeschritten, daß von einem „Berlin-Plan" gesprochen werden könnte. Die interessierten Stellen, insbesondere der Senat von Berlin, werden selbstverständlich an den Überlegungen und Vorarbeiten beteiligt. Ich darf Sie insoweit auf die Antwort verweisen, die der Regierende Bürgermeister am 8. Oktober 1970 auf eine entsprechende Anfrage eines CDU-Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses erteilt hat.
Eine Zusatzfrage.
Nachdem die Ankündigungen des Herrn Bundeskanzlers bereits ein gutes halbes Jahr zurückliegen und in der Berliner Presse seinerzeit recht detailliert dargestellt worden sind - nämlich nicht nur der materielle Vorteil, sondern, wie er damals sagte, eine besondere demonstrative Geste , möchte ich fragen, ob die Gespräche, die zur Zeit mit dem Senat von Berlin geführt werden, schon soweit gediehen sind, daß hier kundgetan werden kann, wie der Stand der Erörterungen ist. Denn in einem halben Jahr muß die Sache ja ein Stück vorangekommen sein.
Herr Abgeordneter, ich bin erstaunt, daß Sie, der Sie die Berliner Verhältnisse sehr gut kennen, meinen, ein wirklicher Plan, der nicht nur eine demonstrative Geste, sondern eine wirkliche Hilfe für Berlin ist, könnte in einem halben Jahr in Details entwickelt werden. Vielmehr stehen der Bund und der Berliner Senat in dieser Sache in engem Kontakt, und beide werden sicher berichten, wenn die Dinge genügend konkretisiert worden sind.
Bitte, Herr Kollege!
Ich habe nicht behauptet, daß der Plan - ich habe gesagt: der sogenannte Berlin-Plan - schon fertig sein solle. Meine Frage war - ich möchte sie wiederholen -, ob aus dieser Verhandlungsrunde schon dargestellt werden kann, ob einige konkrete Projekte im Rahmen der Vorhaben bereits in das Stadium näherer Erörterung eingetreten sind; ein, zwei oder drei Beispiele.
Für den Berliner Senat kann ich nicht antworten. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Auskünfte über den Stand der Verhandlungen und Überlegungen in die Öffentlichkeit zu geben, solange noch diese Verhandlungen und Vorarbeiten von ihr zusammen mit dem Berliner Senat geleistet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Würden Sie die Freundlichkeit haben, zur Kenntnis zu nehmen, daß seinerzeit gesagt worden ist, es sei eben nicht nur eine Sache des Berliner Senats, sondern ausdrücklich auch der Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Senat. Ich glaube, wenn man diesen Gesichtspunkt heranzieht, müßten Sie hier doch in der Lage sein, insbesondere die Beiträge zu nennen, die von seiten der Bundesregierung für dieses Vorhaben bereits geleistet worden sind.
Ich hatte Ihnen schon gesagt, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, damit, bevor man wirklich Nägel mit Köpfen gemacht hat, in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich glaube, das läge nicht im Interesse der Stadt Berlin.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Sie haben noch eine Frage. - Bitte!
Eine einschränkende Frage! Können Sie beantworten, Herr Minister, ob z. B. Pläne für die Errichtung eines Kongreßzentrums in Berlin - die ich begrüßen würde -, zu diesen Erörterungen gehören?
Ich hatte schon gesagt, Herr Kollege, daß die Bundesregierung der Meinung ist: erst soll man arbeiten und dann darüber reden.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Herr Bundesminister, ich danke Ihnen.
Wir fahren fort mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Herr Abgeordneter Lensing hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh:
Nachdem laut Pressemeldungen ({0}) Staatssekretär Dr, Griesau sich die Forderung des Deutschen Bauernverbandes nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zu eigen machte und Präsident Mansholt gegen eine solche Regelung nichts einzuwenden hätte, frage ich die Bundeslegierung, ob sie dennoch an ihrer Weigerung, über diesen Weg die sinkende Einkommenstendenz in der Landwirtschaft zu bremsen, festhalten will?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Früh, nachdem meinem Hause bekanntgeworden ist, daß die EWG- Kommission keine Einwendungen gegen eine Anhebung der Mehrwertsteuer bei pauschalierenden Land- und Forstwirten erheben soll, ist sofort eine Klärung des Sachverhalts in Brüssel veranlaßt worden. Zur Zeit liegt mir noch keine Information über die Haltung der Kommission zu dieser Frage vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in meiner ersten Frage habe ich auch nach der Meinung des Staatssekretärs Dr. Griesau gefragt. Läßt sich schließen, daß die in Schwenningen vor einer großen Bauernkundgebung vertretene Meinung die Meinung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschatt und Forsten ist?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Sie können daraus vielleicht nur schließen, daß wir sehr genau prüfen werden, ob die Kommission einer solchen Regelung, also einer Mehrwertsteuerverbesserung zugunsten der Landwirtschaft, zustimmen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, falls die EG-Kommission zustimmen sollte: würde das bedeuten, daß die Bundesregierung trotz der leider verschiedenartigen Angaben über die Auswirkung der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % - Bundeswirtschaftsminister Schiller vertrat gestern die Meinung, es würden die Lebenshaltungskosten um 2,1 % erhöht; im Ernährungsausschuß war dagegen von 0,3 bis 0,5 % die Rede - versuchen würde, diese Unstimmigkeiten abzuklären und danach zu einem positiven Entschluß zu kommen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Früh, wenn die Kommission wirklich zustimmen sollte, wäre für die Bundesregierung in der Tat eine neue Ausgangslage gegeben. Man müßte dann prüfen, inwieweit durch eine Begünstigung mit einer erhöhten Mehrwertsteuer die Entwicklung für die deutsche Landwirtschaft günstig beeinflußt werden könnte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung des Staatssekretärs Hermsdorf, die er in einer schriftlichen Antwort an meinen Kollegen Früh mitteilt und in der er erklärt, daß die von der CDU/CSU-Fraktion beantragte Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes besonders unsozial sei und als Alibi für eine Verteuerung der Lebensmittelpreise auch über diesen Satz hinaus angesehen werden könnte?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich habe die Antwort von Herrn Staatssekretär Hermsdorf gehört. Ich habe dabei nicht feststellen können, daß er in dem Sinne von unsozialen Maßnahmen gesprochen hat. Anders wäre das vielleicht in dem Zusammenhang, daß eine Forderung berücksichtigt werden würde - die Opposition hat sie ja erhoben -, die darauf hinausliefe, daß eine Mehrwertsteuerbegünstigung in Form einer Anhebung um 3 % wirksam werden sollte. Dann wäre es sicherlich so, daß eine solche Anhebung auch auf die Verbraucherpreise Auswirkungen hätte.
Herr Kollege, nach den Richtlinien für die Fragestunde kann ich Ihnen leider nur eine Zusatzfrage einräumen.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Früh auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der flexible Wechselkurs trotz des zugestandenen Grenzausgleichs den Export von Schweinen in die Drittländer, insbesondere die osteuropäischen Staaten, erschwert und andere EWG-Länder, vor allem Frankreich, begünstigt?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Ausgleichsbeträge für Schweinefleisch werden im Handel mit Drittländern auf der Basis des Einschleusungspreises festgesetzt. Nach den Beobachtungen der Bundesregierung reichen die Ausgleichsbeträge aus, um in Konkurrenz zu den anderen Mitgliedstaaten anzubieten. Das zeigen auch die umfangreichen Ausfuhren von Schweinefleisch, insbesondere in die Ostblockstaaten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß Handelsunternehmen und genossenschaftliche Unternehmen besonders in Süddeutschland Schwierigkeiten beim Schweineexport in einen bestimmten osteuropäischen Staat haben, der nur in Dollar abrechnet und deshalb wegen der Unsicherheit des flexiblen Wechselkurses bei Geschäftsabschlüssen sehr zögernd ist, was dann dazu führt, daß Frankreich in diese Geschäfte einsteigen kann?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Mir persönlich ist diese Sonderbelastung der Genossenschaften im süddeutschen
Raum nicht bekannt. Aber sicherlich ist das in meinem Hause bekannt. Es müßte dann versucht werden, in Beratungen zu klären, wieweit man über das hinausgehen kann, was ich hier gesagt habe.
Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage.
Das würde bedeuten, daß Ihnen solche Unterlagen zugehen könnten und Sie sich bemühen würden, diese Benachteiligung nach Möglichkeit abzustellen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Durchaus. Sie können mir die Unterlagen einreichen.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Hauser ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung in der Verbraucherpolitischen Korrespondenz, daß die Landwirtschaft stets mit sozialen Aspekten im Hinblick auf einkommensschwache und kinderreiche Familien abgespeist werden kann, oder ist es nicht vielmehr ihre Pflicht, die sozialen Verhältnisse, besonders bezüglich der kinderreichen Familien, so zu verbessern, daß die Landwirtschaft auch ebenfalls an dem ihr in der Regierungserklärung zugesicherten Wachstum des Wohlstandes teilnimmt?
Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, zu den in der Verbraucherpolitischen Korrespondenz - dem Presseorgan der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände - vertretenen Auffassungen Stellung zu nehmen.
Falls Sie, Herr Kollege Dr. Hauser, die Ansicht vertreten, daß der Landwirtschaft mögliche Preisverbesserungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung mit Rücksicht auf die soziale Situation einkommen-schwacher und kinderreicher Familien vorenthalten würden, so ist dazu folgendes zu bemerken. Die Agrarpreispolitik muß, wie jede andere staatliche Einflußnahme auf die Preis- und Einkommensentwicklung, die Interessen der Erzeuger und der Verbraucher berücksichtigen. Dieser Grundsatz wurde sowohl im deutschen Landwirtschaftsgesetz als auch im EWG-Vertrag verankert und hat die allgemeine Zustimmung dieses Hohen Hauses gefunden. Die Eingrenzung des preispolitischen Spielraums durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen ist in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch stärker ausgeprägt, da hier Agrar- und Wirtschaftsanliegen von sechs Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, Herr Kollege, daß sie die im Rahmen der EWG vorhandenen Preismöglichkeiten der landwirtschaftlichen Preis- und Einkommenspolitik in vollem Umfang ausgeschöpft hat. Sie wird dies auch in Zukunft tun. Während die vorige Bundesregierung Preissenkungen bei wichtigen Agrarerzeugnissen für unausweichlich hielt, hat die jetzige Bundesregierung
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
bekanntlich im März dieses Jahres im EWG-Ministerrat Preiserhöhungen durchgesetzt, die der deutschen Landwirtschaft im kommenden Wirtschaftsjahr voraussichtliche Mehreinnahmen von 800 bis 900 Millionen DM bringen werden. Die Bundesregierung hat der Landwirtschaft außerdem im Jahre 1971 zusätzliche Mittel in Höhe von 480 Millionen DM bereitgestellt, die eine rasche, wirksame Entlastung bei wichtigen Betriebsaufgaben herbeiführen werden.
Zusatzfrage!
Daß auch die 480 Millionen DM nicht hinreichen, um die Schwierigkeiten im landwirtschaftlichen Bereich zu beheben, werden Sie ja wohl zugeben, Herr Staatssekretär. Aber welche Möglichkeit zur Verbesserung des Einkommens auf breiter Front sehen Sie denn überhaupt bei der Landwirtschaft, um unsere Bauern bei dem wachsenden Einkommen der übrigen Bevölkerung nicht zu Stiefkindern unserer Wohlstandsgesellschaft zu machen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Hauser, ich muß etwas wiederholen, was ich in den letzten Tagen schon sehr oft gesagt habe. Ich kann hier nur noch einmal erklären, daß sich die Bundesregierung durch eine aktive Erzeugerpreispolitik in Brüssel bemüht hat, die eben von mir genannten Mehreinnahmen für die Landwirtschaft preislich sicherzustellen. Zusätzlich erwarten wir, Herr Kollege Hauser, auch aus dem Bereich der nicht administrativ beeinflußbaren landwirtschaftlichen Erzeugerpreise Preisverbesserungen. Ich denke an den Schweinesektor - hier haben wir zur Zeit bekanntlich ein Preistief -, aber auch daran, daß vorausgesagt wird, daß die deutsche Landwirtschaft eine gute Ernte einfahren wird. Auch das würde die Erlössituation verbessern. Letzten Endes hoffen wir auch auf etwas günstigere Kartoffelpreise als im letzten Herbst. Diesen Bereich aber können wir durch die staatliche Agrarpolitik nicht beeinflussen, sondern hier entwickeln sich die Preise, wie Sie wissen, auf Grund von Angebot und Nachfrage. Wir hoffen aber, daß hier bessere Erlöse erreicht werden können.
Zusatzfrage!
Erschiene es Ihnen, Herr Staatssekretär, über die Agrarpreise hinweg nicht auch sinnvoll, um der ländlichen Bevölkerung mit ihrer meist großen Kinderzahl zu helfen, gerade für die vierten und fünften Kinder einer Familie eine Aufbesserung des Kindergeldes vorzunehmen, zumal erfahrungsgemäß eine Familie gerade mit vier und fünf Kindern einen besonderen Aufwand hat?
Der unmittelbare Zusammenhang mit der Hauptfrage ist natürlich nur noch sehr bedingt gewahrt. Aber ich lasse die Frage zu.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Präsident, für die Beantwortung dieser Frage fühle ich mich nicht kompetent. Es ist nicht Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums, in diesem speziellen Punkt die Sozialpolitik zu beeinflussen. Aber im übrigen ist der Gedankengang richtig, daß durch eine Aufbesserung gerade auch dieser Leistung für die betroffenen Familien eine Einkommensverbesserung erreicht werden könnte.
Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich erledigt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Ravens zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Erhard ({0}) auf:
Können die Leistungen nach dem Zweiten Wohngeldgesetz ab 1. Juni 1971 von den zuständigen Behörden uneingeschränkt bewilligt und gewährt werden, wie das in der Schriftlichen Antwort auf die Frage B 43, Drucksache VI/ 2132, gemäß Anlage 52 zum Stenographischen Bericht. über die 120. Sitzung des Deutschen Bundestages ({1}) angekündigt wurde?
Herr Staatssekretär!
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Erhard, wie mir die für die Ausführung des zweiten Wohngeldgesetzes zuständigen obersten Landesbehörden auf Anfrage mitgeteilt haben, sind die Wohngeldbewilligungsstellen in allen Ländern mit Ausnahme von Baden-Württemberg in die Lage versetzt worden, über Wohngeldanträge nach neuem Recht zu entscheiden. In Baden-Württemberg hat eine Umorganisation für die Wohngeldzahlstellen und die zentralen Datenverarbeitungsanlagen eine Verzögerung verursacht. Jedoch kann auch in diesem Land in Kürze Wohngeld nach neuem Recht bewilligt werden.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, Sie haben auf Grund einer früheren Anfrage am 7. Mai gesagt, daß Ihr Rundschreiben vom 15. Februar an die Bewilligungsstellen bestimmte Anweisungen gegeben habe. Wie erklären Sie sich, daß mir auf meine Anfrage beim Landrat des Untertaunuskreises schriftlich mitgeteilt wurde, von diesem Erlaß sei dort überhaupt nichts bekannt?
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Die Erlasse sind an die Adressaten gegangen, an die sich der Bund jeweils zu wenden hat, an den zuständigen Landesminister. Ich kann Ihnen nur
Parlamentarischer Staatssekretär Ravens
noch einmal sagen, Herr Kollege Erhard: Die obersten Länderbehörden haben uns - Ihre Anfrage hat uns veranlaßt, noch einmal nachzufragen, - erklärt, daß nun alle Stellen in die Lage versetzt seien, das Wohngeld nach dem neuen Gesetz zu berechnen, mit Ausnahme - ich sage es noch einmal - des Landes Baden-Württemberg wegen der dort eingetretenen Umstellung in der Datenverarbeitung.
Eine weitere- Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie dem Bundestag schriftlich mitgeteilt haben, daß die Bewilligungsstellen auf Grund Ihres Erlasses vom 15. Februar in der Lage seien, in gewissem Umfange nun schon endgültig zu entscheiden, muß ich Sie fragen: Wie können Sie sagen, die Bewilligungsstellen seien informiert worden, wenn Sie allenfalls die Landesbehörden informiert haben, sich aber nicht davon überzeugt haben, daß Ihre Erlasse auch weitergegeben werden?
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Erhard, es handelt sich hier um eine fehlerhafte Darstellung Ihrerseits. Ich habe in der schriftlichen Antwort- vom 6. Mai 1971 folgendes gesagt:
Abgesehen davon, daß der Deutsche Bundestag der Bundesregierung bei der Verabschiedung des Zweiten Wohngeldgesetzes am 4. November 1970 für die erforderlichen Maßnahmen zur Umstellung so viel Zeit gelassen hat, daß ab Juni 1971 über die Wohngeldanträge nach neuem Recht entschieden werden kann, habe ich bereits in einem Rundschreiben vom 15. Februar 1971 darauf hingewiesen, daß die Bewilligungsstellen bis zum Erlaß der Verwaltungsvorschriften grundsätzlich in eigener Verantwortung entscheiden sollen, ..
Ich habe nicht gesagt, daß ich die Bewilligungsstellen dazu aufgefordert habe, sondern ich habe vielmehr gesagt, daß ich in dem Erlaß an die Länderregierungen - diese sind ja der normale Adressat der Bundesregierung - darauf hingewiesen habe, daß die Bewilligungsstellen nach eigenem Ermessen entscheiden sollen.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Erhard ({0}) auf:
wann sind die „bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften" in Kraft getreten, und wo sind sie veröffentlicht?
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Zweiten Wohngeldgesetz, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, sind noch nicht in Kraft getreten. Der Entwurf ist den Ländern am 25. Mai 1971 vorgelegt worden und wird zur Zeit mit ihnen beraten. Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften sollen zusammen mit einer Rechtsverordnung über die Mietenermittlung und über die Lastenberechnung erlassen werden. Ich bleibe bemüht, die Verwaltungsvorschriften und die Rechtsverordnungen nach Abstimmung mit den Ländern schnellstens dem Bundesrat zuzuleiten. Ich verweise allerdings darauf, daß die Länder durch unser Rundschreiben vom 15. Februar 1971 in die Lage versetzt wurden, die Wohngeldberechnungen nach neuem Recht durchzuführen, und auch danach handeln. Dies war möglich, weil nach der Verabschiedung des Gesetzes ein ständiger Kontakt zwischen meinem Haus und den zuständigen Ministern und Senatoren der Länder bestanden hat.
Zusatzfrage.
Es besteht also nach wie vor der beklagenswerte Zustand - dies ist mir im übrigen auch von den Bewilligungsstellen mitgeteilt worden -, daß gerade in den strittigen Fragen auch jetzt noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen werden können, weil die Allgemeinen Richtlinien immer noch nicht in Kraft getreten sind?
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Erhard, die Richtlinien sind in den vergangenen Monaten in sehr intensiver Arbeit und in sehr engem Kontakt jeweils mit den entsprechenden Vertretern des Landes behandelt worden. Sie liegen den Ländern jetzt zur Beratung vor. Es handelt sich hierbei um ein kompliziertes Werk. Im Rahmen der Vorbereitung dieser Richtlinien sind alle Streitfragen, die sich ergeben könnten, in den Verhandlungen mit den Referenten der Länder ausgeräumt worden. Die Länder können also im Augenblick in eigener Verantwortung auf der Grundlage unseres Rundschreibens und in Auslegung der gefundenen Lösungen Entscheidungen treffen. Sie tun dies auch.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie wirklich, daß die zuständigen Stellen, d. h. die Kreisverwaltungen und die kreisfreien Städte, auf Grund der Tatsache, daß Ihr Haus mit den Länderreferenten eine Lösung besprochen hat, die in den Ländern noch beraten wird, schon Entscheidungen treffen können?
Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege Erhard, Sie können es in der Regel. Wir haben ihnen die Möglichkeit eröffnet - darauf ist in dem Rundschreiben hingewiesen worden -, sich in den wenigen Fällen, in denen sie sich zu einer Entscheidung nicht allein durchringen können, unmittelbar mit den Landesbehörden in Verbindung zu setzen, um auf diese Weise eine Entscheidung herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Dr. Schulze-Vorberg hat mich wissen lassen, daß er um schriftliche Beantwortung seiner Fragen bittet, da auf Grund der Beantwortung der von ihm eingebrachten Dringlichkeitsfrage die Fragen anderer Kollegen sonst möglicherweise heute nicht mehr mündlich beantwortet werden könnten. Ich danke Ihnen, Herr Kollege! Die Antworten auf die Fragen 81 und 82 werden dann als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Die Frage 70 ist von dem Herrn Abgeordneten Seefeld eingebracht:
Hält die Bundesregierung die von deutschen Automobilverbänden geäußerte Kritik an der Zulänglichkeit der Leitplanken an den Bundesautobahnen für gerechtfertigt, und welchen wirksamen Schutz könnte man anwenden?
Soweit bekannt ist, bezieht sich die Kritik auf die Höhe von Leitplanken herkömmlicher Art, die bis etwa 1968 auf den Mittelstreifen von Bundesautobahnen verwendet wurden.
Nach Untersuchungen werden Leitplanken herkömmlicher Bauart nur von 1,7 % der anfahrenden Personenkraftwagen und von 4,2 % der anfahrenden Lastkraftwagen durchbrochen. Trotz dieses sehr günstigen Ergebnisses haben wir im Jahre 1968 die um 10 cm höhere Distanzleitplanke eingeführt, die eine verbesserte Wirkung zeigt. Sie wird auf den Mittelstreifen der Neubaustrecken eingebaut. Die Umrüstung der Betriebsstrecken wird Zug um Zug durchgeführt. Die Distanzleitplanke stellt auch nach ausländischer Meinung die derzeit wirksamste Schutzeinrichtung dar, um sehr, schnelle und schwere Fahrzeuge relativ sicher aufzufangen.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Schlaga auf:
Welche Einflußmöglichkeiten hat die Bundesregierung, um im Interesse der allgemeinen Flugsicherheit und des Lärm- Lind Landschaftsschutzes die willkürliche zahlenmäßige Ausdehnung des Baus von privaten Flugzeuglandeplätzen zu verhindern?
Herr Präsident, wenn Sie gestatten und wenn Herr Abgeordneter Schlaga damit einverstanden ist, möchte ich die Fragen 71 und 72 zusammen beantworten.
Da Herr Abgeordneter Schlaga offensichtlich damit einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 72 auf:
Besteht die Absicht, daß die Bundesregierung im Interesse einer größeren Effizienz der Infrastrukturpolitik und aus den in Frage 71 genannten Gründen auf dem Gesetzesweg initiativ wird?
Zivile Landeplätze gibt es als Landeplätze des allgemeinen Verkehrs - sogenannte Verkehrslandeplätze - und als Landeplätze für besondere Zwecke - Sonderlandeplätze -. Beide Arten dürfen nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. Die Genehmigung kann mit Auflagen verbunden und befristet werden. Zuständig für die Erteilung oder für das Versagen solcher Genehmigungen sind die obersten Luftfahrtbehörden der Länder. Diese gesetzliche Schranke verhindert eine willkürliche zahlenmäßige Ausdehnung solcher Landeplätze erfahrungsgemäß sehr wirksam.
Im Genehmigungsverfahren werden schon von Gesetzes wegen gerade die Kriterien Sicherheit, Lärmschutz und Landschaftspflege einer eingehenden Prüfung und Begutachtung unterzogen. Die Zahl der rund 200 genehmigten Verkehrs- und Sonderlandeplätze hat sich in den letzten Jahren praktisch nicht verändert. Mit einer plötzlichen Zunahme ist nicht zu rechnen. Hiernach besteht auch keine Notwendigkeit, die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen zu verändern.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Minister, halten Sie die Luftsicherheit für gegeben, wenn im weiteren Umkreis von Frankfurt zirka 10 private Landeplätze verschiedener Kategorien vorhanden sind, dazu eine von mir nicht feststellbare Zahl von Segelflugplätzen? Halten Sie die Flugsicherheit unter den dortigen Bedingungen für gewährleistet, ferner, daß dort Warteräume vorhanden sind und Höhenunterschiede über Grund von über 600 m bestehen? Ist das von den zuständigen Ämtern hinreichend geprüft?
Dies ist geprüft, und ich halte die Luftsicherheit nicht für gefährdet.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Frage 73 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Erwägt die Bundesregierung, den Stopp der Vergebung von Bauaufträgen an Bundesfernstraßen wenigstens für die Verkehrswege in den Zonenrandförderungs- und Ausbaugebieten aufzuheben oder zu mildern?
Auf Grund des von der Bundesregierung beschlossenen binnenwirtschaftlichen Stabilisierungsprogramms hat der Bundesminister der Finanzen am 10. Mai unter anderem bestimmt, daß bei den Investitionen ohne seine Zustimmung nur bis zu 70 % über die Haushaltsansätze verfügt werden darf. Da diese Grenze im Bundesfernstraßenbau bereits vor dem Erlaß dieser Sperre weit überschritten war - und zwar bis zu 94 % -, waren die Aufträge schon vor Erlaß der Sperre vergeben. Ich konnte nicht damit rechnen, daß eine
Sperre kam, und ich habe mich so verhalten, wie es dem Bauablauf gemäß ist.
Deshalb sind die Mittel des Bundesministers für Verkehr de facto praktisch nicht unter den Vergabestopp gefallen, jedenfalls nicht, soweit dieses Haushaltsjahr in Betracht kommt. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und mein Haus prüfen zur Zeit, ob in besonders dringlichen Einzelfällen Ausnahmen von den Verfügungsbeschränkungen gemacht werden können, die noch bestehen. Dabei muß verständlicherweise bei der engen Begrenzung der Mittel, die noch zur Verfügung stehen, ein strenger Maßstab angelegt werden.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, könnten für solche Fälle besonders die von mir genannten wirtschaftsschwachen Gebiete berücksichtigt werden?
Dies ist eine allgemeine Definition: „wirtschaftsschwache Gebiete". Ich muß dieses Kriterium mit einem zweiten verbinden: besonders dringliche Aufgaben, die mit knappen, noch vorhandenen Mitteln in wirtschaftsschwachen Gebieten ausgeführt werden können.
Zusatzfrage.
Ich möchte als wirtschaftsschwache Gebiete das Zonenrandgebiet und die Ausbaugebiete bezeichnen.
Das ist sicher ein wirtschaftsschwaches Gebiet, aber die Mittel reichen nicht aus, um alle Aufgaben, die in diesen wirtschaftsschwachen Gebieten anstehen, finanzieren zu können. Wir müssen also auch innerhalb der wirtschaftsschwachen Gebiete nach Dringlichkeit ordnen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, teilen Sie meine Sorge, daß, wenn die Auftragslage der Bauwirtschaft in diesen schwach strukturierten Gebieten nicht mehr so günstig wie bisher ist, die Gefahr besteht, daß Bauarbeiter, insbesondere Facharbeiter, aus diesem Raum abwandern und es später sehr schwer sein wird, sie wieder in den heimischen Bereich zurückzuholen?
Die Bundesregierung vergibt in diesem Jahr mehr Mittel und hat in diesem Jahr schon mehr Aufträge vergeben als in allen Jahren vorher. Ich weiß, daß die Auftragserteilung durch Länder und Gemeinden rückläufig ist. Ihre Frage wäre deshalb zuerst an die Adresse der bayerischen Staatsregierung und an die zuständigen Kommunen zu richten.
Der Bund hat mehr aufgewandt als bisher.
Im übrigen teile ich Ihre Befürchtung nicht, daß, wenn ein vorübergehendes konjunkturelles Wellchen dort entsteht, deshalb abgewandert wird. Denn die Straßenbauwirtschaft ist keine stationäre Wirtschaft; sie betreibt sowieso ihr Gewerbe „im Umherziehen".
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Bundesminister, wenn Straßenbaumaßnahmen, die vom Vergabestopp betroffen werden, fast fertig sind, wenn nur noch eine letzte Investition vorgenommen werden muß, z. B. Vergabe der Deckenarbeiten, wäre es dann möglich, daß diese Vergabe der Deckenarbeiten trotz des Baustopps vorgenommen werden kann, damit zu Beginn des nächsten Jahres begonnen werden kann?
Leber- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: In solchen Fällen, Herr Kollege, sind wir natürlich bestrebt, den vollen Wert der Investition für den Verkehr durch Abschlußarbeiten nutzbar zu machen und damit auch die Rentabilität herzustellen. Das heißt, wir versuchen in solchen Fällen die Abschlußarbeiten immer als dringlich darzustellen und nach Möglichkeit auch ihre Durchführung zu erreichen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth.
Herr Minister, ist das in diesem Jahr vorgesehene Auftragsvolumen nur nominell oder auch real höher als im letzten Jahr?
Es ist nominal in jedem Fall höher. In welchem Verhältnis es zum Realvolumen des vergangenen Jahres steht, kann ich im Augenblick noch nicht überblicken, weil die entsprechenden Übersichten nicht vorliegen. Sie wissen, die Aufgaben des Bundes werden in seinem Namen von den obersten Baubehörden der Länder ausgeführt. Wir sind heute noch nicht so weit, daß wir wissen, wie das Volumen im ganzen aussieht. Das hängt ja auch von der Preisbewegung innerhalb des Jahres ab.
Die letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.
Herr Bundesminister, da Sie die Befürchtung des Herrn Kollegen Jobst nicht geteilt haben, daß möglicherweise Abwanderungen von Arbeitskräften damit verbunden sein können, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Grenzlandkammern diese Befürchtungen ausgesprochen haben?
Ja. Meine Antwort bezog sich auf den Sachverhalt: wenn an der Stelle, auf die ich mich gerade beziehe, eine Straße, die ich im Auge habe - legitimerweise im Auge habe -, nicht gebaut werden kann, dann wandern deswegen noch keine Bauarbeiter ab, weil das Gewerbe ja sowieso nicht ortsgebunden tätig ist, sondern seine Werkstatt ist die Bundesrepublik Deutschland. Es ist heute da und übermorgen 200 km weiter.
({0})
Ich rufe die nächste Frage, die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler, auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in der Republik Osterreich unter den Ausgangsschildern für geschlossene Ortschaften ({0}) eine Angabe über die nächste Ortschaft und die Entfernung dorthin angebracht ist, eine Regelung, wie ich sie in der Fragestunde vein 10. März auch für die Bundesrepublik Deutschland angeregt habe?
Bitte, Herr Minister!
Leber- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Die österreichische Regelung hinsichtlich der Beschriftung der Tafel „Ortsende" ist uns bekannt. Sie entspricht aber nicht den Vorschriften des Art. 18 Abs. 2 des Anhangs 5, Sektion C, des weltweiten Übereinkommens über Straßenverkehrszeichen vom 8. November 1968. Dieses Abkommen hat die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und ratifiziert.
Da die Bundesregierung gehalten ist, international vereinbarte Vorschriften zu beachten, hat die neue Straßenverkehrsordnung das Zeichen „Ortsende" in der weltweit vereinbarten Gestaltung für uns übernommen, um uns dort gleich zu verhalten. Ich sehe deshalb keine Möglichkeit, hiervon abzugehen, und bin einmal gespannt, wie sich die österreichische Regierung verhalten wird, wenn die österreichische Regierung, die dem weltweiten Abkommen zugestimmt hat, ihrerseits national die Schlußfolgerungen daraus zieht. Ich bin nicht sicher, ob die Tafeln dann ungleich bleiben werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wäre es, nachdem dieses Abkommen ja offensichtlich nicht so streng eingehalten wird, nicht auch für die Bundesrepublik zweckmäßig, jene zweifellos sehr praktische Regelung mindestens in den Fremdenverkehrsgebieten zu exerzieren?
Den Gemeinden ist keinerlei gesetzliche Beschränkung auferlegt, auch noch eine Angabe zu machen, wie weit es bis zur nächsten Gemeinde ist, von Gesetzes wegen jedenfalls nicht. Es geht nur darum, ob wir das von hieraus zwangsweise überall einführen. Denn damit würden wir auch wieder die Frage aufwerfen: wer soll das bezahlen, was da für die neuen Schilder investiert werden muß?
({0})
Die nächsten beiden Fragen sind vom Herrn Abgeordneten Dr. Beermann gestellt. Ich sehe den Herrn Kollegen nicht im Saal, so daß seine beiden Fragen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die nächste Frage ist von Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) gestellt:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß mit dem Inkrafttreten der Schiffsbesetzungsordnung am I. September 1970 eine echte Wettbewerbsverzerrung für die deutsche Küstenschiffahrt gegenüber gleichartigen Unternehmen in den Nachbarländern entstanden ist und zu befürchten ist, daß die deutsche Küstenschiffahrt dadurch in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät?
Entsprechende Erklärungen aus dem Bereich der deutschen Küstenschifffahrt über Wettbewerbsnachteile werden zur Zeit von der Bundesregierung geprüft. Schon heute kann aber festgestellt werden, daß für das typische deutsche Küstenmotorschiff in der Kleinen Fahrt mit einer Größe bis zu 1000 BRT und einer Maschinenleistung bis zu 3000 PS solche Nachteile nicht bestehen. Für diese Schiffe fordern selbst die neuen Besetzungsvorschriften zum Teil immer noch weniger Schiffsoffiziere als die Besetzungsvorschriften des benachbarten Auslands. Insoweit darf ich auch auf die Drucksache VI/2140 vom 30. April 1971 hinweisen. Sobald diese Schiffe aber auf mittlere und große Fahrt gehen, sind sie ungünstiger gestellt als niederländische, finnische oder dänische Schiffe.
Zusatzfrage!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß nach dem Inkrafttreten der Schiffsbesetzungs- und -ausbildungsordnung deutsche Schiffe ins Ausland verkauft und häufig sofort zurückgechartert wurden, um di e negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der SBAO zu umgehen, und ist das nicht ein Beweis dafür, daß die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Kollegen Dr. Müller-Hermann und Genossen, die Sie in der Drucksache VI /2140 gegeben haben, die tatsächlich schwierige Lage der deutschen Küstenschiffahrt nicht richtig darstellt?
Es ist natürlich das legitime Recht eines Wirtschaftszweiges, seine Sorgen öffentlich darzustellen und zu klagen. Allerdings weiß ich, daß unsere Schiffahrt im ganzen gesehen nicht notleidend ist, sondern sich, wenn auch auf Grund beachtlicher unternehmerischer Initiative, mit Erfolg auf den Weltmeeren schlägt. Ich glaube, man darf die Auswirkungen der neuen Schiffbesetzungsordnung auch nicht überbetonen, soweit sie Ihre in der Sache sicher richtigen Anmerkungen betreffen. Wir sind aber dabei, sie zu prüfen und werden sie auch weiterhin im Auge behalten. Darüber hinaus stehen wir in einem guten Kontakt mit den Reedern und ihren Verbänden.
Ist auch die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Schröder ({0}) damit bereits beantwortet? -- Dann rufe ich noch die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Schröder ({1}) auf:
ist die Bundesregierung bereit, zur Abwendung wirtschaftlicher Nachteile Ausnahmegenehmigungen auch nach dem 30. Juni 1971 zu erteilen?
Die Antwort ist kurz. Wegen der anhaltenden Personalknappheit ist ,die Bundesregierung auch nach ,dem 30. Juni 1971 bereit, im Rahmen des Vertretbaren und nach Anhörung des Fachausschusses nach § 36 der Schiffsbesetzungs- und -ausbildungsordnung weiterhin Ausnahmegenehmigungen von den Besetzungsvorschriften zu erteilen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, ist Ihnen bewußt, daß viele Schiffsführer, insbesondere auf kleinen Schiffen, die ihr Schiff lange Jahre mit Erfolg geführt haben, nach dem 1 Juli 1971 ihr Schiff nicht mehr führen dürften, wenn Ausnahmegenehmigungen nicht in ausreichendem Maße erteilt werden, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade wegen der dadurch entstehenden sozialen Härten Ausnahmegenehmigungen großzügig erteilt werden sollten?
Mir ist kein Fall bekannt, daß deswegen ein Schiff stillgelegt werden mußte. Wenn das, was Sie soeben sagten, zuträfe, hätten früher hinsichtlich der personellen Besetzung der Schiffe sehr beachtliche Mängel bestanden. Ich könnte mir vorstellen, daß in diesem Fall auch die Kostensteigerungen beachtlich gewesen wären. Wenn man davon ausgeht, daß die Schiffe früher normal besetzt waren, und jetzt die nach der neuen Schiffsbesetzungsordnung erforderliche stärkere personelle Besetzung hinzurechnet, können damit sicherlich keine ruinösen Kostensteigerungen begründet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß Sie, sollten soziale Härten entstehen, bereit wären, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, und wären Sie auch bereit, das der zuständigen Stelle in Emden mitzuteilen, die bisher nach meinen Informationen hier sehr kleinlich verfahren ist?
Sollten mir solche Fälle bekanntwerden, werde ich mich ihrer annehmen. Denn ich halte es auch für meine Aufgabe, mich um die wirtschaftliche Existenz der Reeder zu kümmern, und nicht nur für die sozialen Verhältnisse des Personals zu sorgen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Ehrenberg zur Verfügung.
Die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) ist von dem Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 49 hat Herr Abgeordneter Burger eingebracht:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Krebsvorsorgeuntersuchungen und Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, die in den 1§ 10 bis 24 a dieses Gesetzes nicht vorgesehen sind und deren Kostenübernahme im Rahmen der Heilbehandlung oder Krankenbehandlung nicht möglich ist, mit der Vorlage des nächsten Anpassungsgesetzes in den Leistungskatalog des Bundesversorgungsgesetzes aufzunehmen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob im Rahmen des zu erwartenden Dritten Anpassungsgesetzes andere wesentliche Anliegen der Kriegsopfer, die nicht zum eigentlichen Gegenstand der Anpassung gehören, mit verwirklicht werden können. Sie wird darüber im Zusammenhang mit den Beratungen über den Entwurf des Bundeshaushalts 1972 und der Anpassung und Fortschreibung der Finanzplanung bis 1975 befinden. Auch die Einbeziehung von Krebsvorsorgeuntersuchungen und Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen in die Heil- und Krankenbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz ist eines dieser Anliegen. Die Bundesregierung ist bemüht, diese Angelegenheit befriedigend zu lösen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei dieser Prüfung berücksichtigen, daß das jetzt geübte Verfahren, solche Vorsorgeuntersuchungen über die Kriegsopferfürsorge abzuwickeln, unwirtschaftlich ist, da ja durch die Vermögens- und Einkommensüberprüfung mit Sicherheit höhere Verwaltungskosten bei der Antragstellung entstehen, als Kosten für die eigentliche Krebsvorsorgeuntersuchung entstünden?
Die Bundesregierung ist ständig um Vereinfachungen bemüht und wird sich bei der Prüfung auch dieser Frage annehmen.
Der Herr Abgeordnete Kiechle hat gebeten, seine Fragen 50 und 51 schriftlich zu beantworten. Dem wird entsprochen; die Antworten werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht abgedruckt.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß zu viel gezahlte Wochenbeiträge von Arbeitnehmern zur Arbeiterrentenversicherung vom Einzahler gegenüber der Landesversicherungsanstalt zurückgefordert werden müssen und bei Verstreichen der hier in Frage kommenden Frist wegen der Ausschlußfrist nach § 1424 Abs. 2 RVO - auch nicht im Billigkeitsfall - nicht mehr zurückgezahlt werden können?
Herr Präsident, ich bitte, die Fragen 52 und 53 zusammen beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist offensichtlich einverstanden. Ich rufe auch noch die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf:
Wenn nein, ist die Bundesregierung bereit, auf eine Änderung dergestalt hinzuwirken, daß überzahlte Beiträge von der Landesversicherungsanstalt aus eigenem Antrieb - also ohne Antrag des Betroffenen - hei Feststellung der Überzahlung zurückgegeben werden?
Herr Abgeordneter, es ist richtig, daß Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht zu Unrecht entrichtet wurden, nur innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Entrichtung bzw. der Beanstandung zurückgefordert werden können. Verstreicht diese Frist, ohne daß ein Rückforderungsantrag gestellt wird, so gelten die fraglichen Beiträge als für die Weiterversicherung entrichtet, wenn das Recht hierzu im Entrichtungszeitpunkt bestand. Waren die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben, so können die betreffenden Beiträge nicht berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit der geplanten Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für weitere Gesellschaftsgruppen wird die Bundesregierung prüfen, wie dieses Ergebnis in Zukunft vermieden werden kann.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Wird die Regierung bereit sein, durch entsprechende Anweisungen schon vorher darauf hinzuwirken, daß in Härtefällen § 1424 Abs. 2 RVO nicht als Ausschlußfrist betrachtet wird, so daß eine Rückzahlung erfolgen kann?
Die Bundesregierung kann die Vorschriften des Gesetzes nicht ändern. Sie wird versuchen, das Problem im Zusammenhang mit der Öffnung zu lösen.
Darf ich darauf hinweisen, daß es nicht wenige Fälle gibt, in denen es Versicherte als sehr ungebührlich empfinden, daß, wenn die Zeit verstreicht, das Geld nicht zurückgewährt wird.
Das ist der Bundesregierung bekannt, darum wollen wir das ja auch für die Zukunft ändern, nur können wir das nicht rückwirkend und auch nicht ohne gesetzliche Grundlage.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung in eine konkrete Prüfung eintritt?
Die Bundesregierung ist in die Prüfung eingetreten. Wir hoffen, noch im Laufe dieses Sommers die entsprechenden Vorbereitungen für eine Vorlage an das Kabinett abschließen zu können.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die nächsten beiden Fragen werden von Herrn Abgeordneten Vogt gestellt. Ich rufe zunächst seine Frage 54 auf:
Wann wird die Bundesregierung den in der Regierungserklärung für Herbst 1970, dann für Dezember 1970, dann in der ,.Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu innenpolitischen Vorhaben" ({0}) für die „erste Hälfte dieses Jahres" versprochenen Vermögensbildungsbericht vorlegen?
Herr Präsident, ich möchte auch hier darum bitten, die Fragen 54 und 55 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Herr Kollege Vogt, sind Sie damit einverstanden? -- Dann rufe ich auch noch die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Vogt auf:
Wird der Vermögensbildungsbericht die in der Drucksache VI/1953 versprochene „vermögenspolitische Gesamtkonzeption, vor allem in Richtung auf eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am wachsenden Produktivvermögen der Volkswirtschaft" enthalten?
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, in ihrem Vermögensbericht lediglich eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Sie will auch Persepektiven für eine überbetriebliche Vermögensbeteiligung, für eine Reform der Sparförderung und für sonstige vermögenspolitische Maßnahmen im Rahmen der Steuerreform aufzeigen. Die dafür erforderlichen Grundsatzbeschlüsse der Bundesregierung über die Steuerreform ,die Reform der Sparförderung und die Vermögensbildung mußten wegen der wiederholten Verzögerungen bei der Vorlage des Gutachtens der unabhängigen Steuerreformkommission verschoben werden.
Nachdem die Bundesregierung nunmehr am 11. Juni 1971 im Zusammenhang mit den BeschlüsStaatssekretär Dr. Ehrenberg
sen über ,die Eckdaten der Steuerreform ihre Grundsatzbeschlüsse zur Vermögensbildung und zur Reform der Sparförderung gefaßt hat, kann auch die Erarbeitung dieses Teils des Berichts in Angriff genommen werden. Unverzüglich nach der anschließenden Abstimmung mit den Ressorts und unter Berücksichtigung des im Oktober vom Kabinett zu beratenden Gesetzentwurfs wird der Bericht dem Kabinett zur Beschlußfassung zugeleitet werden. Die Bundesregierung wird in dem Bericht an ihren vermögenspolitischen Zielsetzungen, wie sie in der Bundestagsdrucksache 111/1953 niedergelegt sind, festhalten. Sie hat durch die Grundsatzbeschlüsse vom 11. Juni 1971 über die Harmonisierung der Sparförderung, über die geplante Vermögensbeteiligung in Höhe von 4 Milliarden DM jährlich ab 1974, über die Abschaffung der Doppelbesteuerung der Aktien und andere Beschlüsse bereits wichtige Vorentscheidungen getroffen. Der Vermögensbildungsbericht wird diese vermögenspolitische Gesamtkonzeption im einzelnen darlegen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung tatsächlich für richtig, so wichtige Vorhaben befristet anzukündigen, bevor sie überhaupt eine klare Vorstellung auch nur von den Grundzügen des Inhalts des Berichtes hat?
Herr Abgeordneter, die befristete Ankündigung ist im Zusammenhang mit der Beschlußfassung über die Eckdaten der Steuerreform erfolgt, und die Bundesregierung ist der Meinung, daß dies zusammengehört.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Sommer 1969, also noch in der Zeit der Großen Koalition, die interministerielle Arbeitsgruppe für Vermögensbildung vier Grundmodelle so weit durchgearbeitet hatte, daß die begründete Aussicht bestand, im Sommer 1970 könne mit einer Gesetzesinitiative gerechnet werden, und würden Sie nicht mit mir der Meinung sein, daß die Bundesregierung an diesen durchaus durchgearbeiteten Modellen offensichtlich nicht weitergearbeitet hat, und wie erklären Sie sich das?
Herr Abgeordneter, hier hat es sich lediglich um Denkmodelle, Planspiele gewissermaßen, für mögliche Arten der, Vermögensbeteiligung gehandelt, die aus der Zeit einer anders zusammengesetzten Bundesregierung stammten.
Herr Kollege Vogt, haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Meine weiteren Zusatzfragen beziehen sich auf einen anderen Komplex. Ich würde also hier dem Kollegen Katzer für diesen Bereich den Vortritt lassen.
Bitte, Herr Kollege Katzer!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß damals zwischen Wirtschaftsministerium und Arbeitsministerium über die vier Denkmodelle Einigkeit bestand und daß man sich darüber einig war, zweien dieser Modelle - den Modellen b und c - den Vorzug zu geben?
Herr Abgeordneter, es bestand Einigkeit zwischen diesen beiden Ressorts darüber, daß diese vier Modelle zu prüfen seien und daß zwei dieser Medelle den Vorzug vor den anderen verdienten. Es bestand, soweit mir bekannt ist, keine Absprache, daß nun auch eines dieser Modelle zu verwirklichen wäre. Dafür waren diese Modelle mit Sicherheit noch nicht gesetzesreif durchgearbeitet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth.
Glauben Sie, daß das jetzige Stadium dieser Modelle weiter vorangetrieben und reifer ist als das, was im Sommer 1969 aufgestellt worden war?
Darf ich die Gegenfrage stellen, ob Sie -
Herr Staatssekretär, es ist nicht Ihre Aufgabe, dem Hause Gegenfragen zu stellen.
Dann muß ich antworten, daß ich nicht verstanden habe, welche Modelle gemeint sind.
Das ist eine gute Gegenfrage. Herr Kollege Pieroth, ich gebe Ihnen Gelegenheit, Ihre Frage zu verdeutlichen.
Meine Frage bezog sich auf alle vier Modelle, die damals von den Ministern Schiller, Katzer und Strauß vorgelegt worden waren.
Diese vier Modelle sind von der Bundesregierung nicht weiterentwickelt worden, sondern die neue Bundesregierung hat neue Überlegungen angestellt, die dann zu dem Grundsatzbeschluß vom 11. Juni und dem präzisen Kabinettsauftrag geführt haben, an Hand die7666
ses Grundsatzbeschlusses jetzt einen Gesetzentwurf vorzubereiten.
Zusatzfrage, Herr Kollege Vogt.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung klar, daß durch das Ausbleiben der Gesamtkonzeption den einkommensschwachen Schichten bisher eine wichtige Möglichkeit vorenthalten worden ist, an Stelle des von einer hohen Inflationsrate bedrohten Geldsparens wertbeständiges und gewinnbeteiligtes Produktivvermögen zu bilden?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht den weiteren Ausbau der Vermögenspolitik in ganz engem Zusammenhang mit der Steuerreform. In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ist sehr bewußt der vermögenspolitische Teil in zwei Abschnitten behandelt worden. Als erster wichtiger Schritt ist der Ausbau des Vermögensbildungsgesetzes angekündigt worden. Dieser Schritt wurde nach vier Monaten von der Bundesregierung vollzogen. Den zweiten, ebenso wichtigen Schritt, den Sie andeuten, kann die Bundesregierung ihrer Meinung nach nicht getrennt von der Steuerreform behandeln, und diesen großen Komplex Steuerreform wiederum wird man nicht in wenigen Monaten erledigen können.
Zusatzfrage.
Hält also die Bundesregierung auf jeden Fall an ihrer Absicht fest, den möglichen Vermögensbildungsplan wirklich erst 1974 in Kraft treten zu lassen? Ist das das letzte Wort?
Im Zusammenhang mit der Steuerreform und zum gleichen Zeitpunkt.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 15 Uhr.
({0})
Präsident von Hassel: Wir fahren mit der unterbrochenen Sitzung fort.
Die Tagesordnung wird, wie Ihnen heute vormittag mitgeteilt wurde, um einen Tagesordnungspunkt ergänzt:
Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers über das Ergebnis der Beitrittsverhandlungen der EWG mit Großbritannien.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 hatte ich mit Bezug auf die damals bevorstehende Haager Gipfelkonferenz gesagt:
Die Völker Europas warten und drängen darauf, daß die Staatsmänner der Logik der Geschichte den Willen zum Erfolg an die Seite stellen.
Dies ist in einem wichtigen Bereich geschehen. In der letzten Luxemburger Verhandlungsrunde sind sich die sechs Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und Großbritannien gestern früh über die Erweiterung einig geworden. Dies bedeutet, daß der europäische Gedanke einen entscheidenden Sieg errungen hat. Alle beteiligten Regierungen und die Kommission haben ihren Beitrag zu diesem Ergebnis in einer konstruktiven Weise geleistet.
Lassen Sie mich vor diesem Hause wie schon nach der Haager Konferenz den staatsmännischen Weitblick des französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou besonders hervorheben, ohne dessen entschiedenen Beitrag der Erfolg nicht möglich gewesen wäre.
({0})
Gleiches ist von Premierminister Edward Heath zu sagen. Seine Regierung hat an der Entscheidung ihrer Vorgängerin festgehalten und sie zielstrebig weiterverfolgt.
({1})
Sie hat den Beweis erbracht, daß Großbritannien der Gemeinschaft mit ihren politischen Zielsetzungen und ihren Optionen ohne Einschränkung beitreten will. Damit konnten wesentliche Schwierigkeiten ausgeräumt werden.
Letzten Endes ist der Erfolg in dem eindeutigen politischen Willen aller beteiligten Politiker zu suchen, den Zusammenschluß in der von der Europäischen Gemeinschaft mit trotz allem so großem Erfolg begonnenen Weise gemeinsam fortzuführen.
In dieser Stunde möchte ich, was uns selbst angeht, vor Ihnen allen Herrn Bundesminister Walter Scheel und seinen Mitarbeitern den Dank der Bundesregierung sagen für die Ausdauer, das Verhandlungsgeschick und. den Ideenreichtum, mit denen sie zu diesem Erfolg beigetragen haben.
({2})
In dem Erfolg der Erweiterungsverhandlungen liegt zugleich auch ein Beweis für die Kraft der Gemeinschaft: Sie wird jetzt über die geographische Beschränkung hinauswachsen, die durch die politischen Umstände zur Zeit ihrer Gründung bedingt war. Hätte die Gemeinschaft diese Kraft nicht aufgebracht, so wäre berechtigte harte Kritik nicht ausgeblieben. Umgekehrt zeigt sich in dem Verhandlungsergebnis,.daß der revolutionäre Vorschlag, den Robert Schuman im Mai 1950 mit Jean Monnet ausarbeitete, ein erster, strategisch wichtiger Schritt gewesen ist.
({3})
Wenn ich in dieser Stunde, die man ohne Übertreibung historisch nennen darf, diese beiden Namen dankbar erwähne, so lassen Sie mich auch des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer und des italienischen Ministerpräsidenten de Gasperi gedenken, die den Start des westeuropäischen Zusammenschlusses so nachhaltig gefördert haben.
({4})
Hier sollte auch ein Mitglied dieses Hauses für seine Pioniertätigkeit in der Europäischen Gemeinschaft genannt werden. Ich meine Herrn Professor Walter Hallstein,
({5})
den ersten und langjährigen Präsidenten der Kommission.
Ich habe, meine Damen und Herren, im Dezember 1969 in Den Haag unsere Auffassung deutlich gemacht, daß die Zukunft der Gemeinschaft auch und gerade davon abhänge, ob sie die Erweiterung meistere. Zugleich haben wir in all den Monaten seither keinen Zweifel daran gelassen, daß der Beitritt nur unter voller Wahrung der Solidarität zwischen den sechs Gemeinschaftsmitgliedern angestrebt und verwirklicht werden konnte. Im Laufe der gewiß nicht immer leichten Verhandlungen ist es uns möglich gewesen, in vielfältigen, auch persönlichen Kontakten mit unseren Partnern Mittel und Wege zu erörtern, die die eigentlichen Beitrittsverhandlungen begünstigen konnten.
Was in diesen Tagen erreicht wurde, wird sich auch förderlich auf die Fortentwicklung der Gemeinschaft zur Wirtschafts- und Währungsunion auswirken. Die Bundesregierung wird alles in ihrer Kraft Stehende tun, um die bevorstehenden Verhandlungen über den Beitritt Dänemarks, Norwegens und Irlands ebenfalls zu einem allseits befriedigenden Abschluß bis zum Jahresende zu bringen.
({6})
Zugleich werden wir uns mit Nachdruck bemühen, daß das besondere Verhältnis mit jenen jetzigen EFTA-Mitgliedern, für die es nicht um den Beitritt geht, bis zum Abschluß der Beitrittsverhandlungen geregelt ist, damit mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Vier auch ,diese wichtigen Verträge gültig werden können.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, ist davon überzeugt, daß die erweiterte und, wie wir überzeugt sind, im Innern sich festigende Gemeinschaft der Weltoffenheit im Wirtschaftlichen bedarf und daß sie sich ihrer weltpolitischen Verantwortung gewachsen zeigen muß. Eine erweiterte und vertiefte Gemeinschaft hat ohne jeden Zweifel Einfluß auf die weltpolitische Szenerie. Manche Beobachter außen haben vielleicht noch klarer erkannt als manche bei uns und auch sonst in Westeuropa, welche Bedeutung dieser Gemeinschaft im Weltgeschehen zukommen kann.
Die Europäische Gemeinschaft wird eine Friedenspolitik führen - wie könnten es die europäischen Völker auf Grund ihrer geschichtlichen Erfahrungen heute anders wollen? Es wird in der kommenden Zeit Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft sein, die Atlantische Allianz und die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten nicht zu vernachlässigen, aber sich auch überall, wo dies möglich ist, als solider Partner für die osteuropäischen Nachbarstaaten zu erweisen.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß alle in Deutschland Anlaß haben, über diesen wichtigen Schritt nach vorn Genugtuung zu empfinden.
({7})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Bundeskanzler für die Abgabe der Regierungserklärung.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Hallstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU darf ich folgendes erklären. Wir sind glücklich über das Gelingen der entscheidenden Phase in den Verhandlungen über den britischen Beitritt.
Auch wer Pathos nicht liebt, ist gedrängt zu sagen, daß dies ein historisches Ereignis ist. Es ist ein Sieg der Idee eines einigen Europa. Es ist ein großer Erfolg der Europäischen Gemeinschaft, und das heißt, ein Erfolg nicht nur der konkreten aktuellen Anstrengungen der jetzt abgeschlossenen Verhandlungsphase, so großen Dank wir immer denen schulden, die auf allen Seiten daran beteiligt sind;
({0})
es ist der Erfolg einer zähen, langjährigen Bemühung.
Ich danke Ihnen, Herr Bundeskanzler, für die freundlichen Worte, die Sie mir selbst gewidmet haben. Ich denke, ich habe nicht mehr getan als meine Pflicht.
Vom ersten Tage an, d. h. seit zwei Jahrzehnten, ist es das Ziel der europäischen Einigungspolitik gewesen, das ganze demokratische Europa zu umfassen. Deshalb haben wir bei der Gründung sowohl der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wie des Gemeinsamen Marktes und der Atomgemeinschaft Großbritannien zur Teilnahme eingeladen. Niemals haben wir auch danach in der Beschränkung auf die Sechs - auf Kleineuropa, wie es viele mit Bedauern genannt haben - etwas anderes gesehen als einen Beginn. Immer haben wir uns als Vorhut für das größere Europa betrachtet. Auf diese Erweiterung ist unsere Gemeinschaft angelegt. Sie entspricht daher der Logik unseres Unternehmens.
Noch sind wir nicht am Ende des Weges dahin. Aber was die Verhandlungen der Gemeinschaft mit Großbritannien angeht, so ist die Grundentscheidung gefallen. Wir, die Fraktion der CDU/CSU, haben nicht nur die Zuversicht, sondern empfinden die Gewißheit, daß diese Verhandlungen nicht mehr scheitern können.
({1})
Der Enderfolg hängt jetzt nur noch von den verfassungsmäßigen Organen Großbritanniens ab. Der
7668 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Dr. Hallstein
Takt verbietet uns jede Bemerkung über diese Entscheidung, die belehrend wirken könnte. Aber wir dürfen doch sagen, daß wir die Hoffnung auf eine Bestätigung des Erreichten durch den Willen des britischen Volkes haben.
({2})
Wir dürfen auch sagen, daß aus unserer Sicht die Entschlossenheit der britischen Regierung und die nunmehr erreichte unzweideutige Klarheit über die Beitrittsbedingungen Anlaß zur Zuversicht bieten.
Wir sind überzeugt, daß alle Gewinn von einem Beitritt haben werden: das britische Volk und die anderen Beitrittskandidaten, indem sie an den erwiesenen Vorteilen - wirtschaftlichen und politischen - unserer Gemeinschaft teilnehmen, und die Gemeinschaft. Denn der größere Markt und die Verbesserung der ökonomischen Kräfteverhältnisse darin werden die materiellen Vorteile vermehren. Unsere technologische Basis wird bereichert sein. Unsere Stimme in der Welt wird höheres Gewicht haben, und damit erstreben wir und davon erwarten wir einen stabilisierenden Einfluß auf die Weltpolitik und die Weltwirtschaft.
Mehr noch: alle Völker in West und Ost, mit deren Schicksal und mit deren Tun wir unlöslich verbunden sind, werden Nutzen von dieser Erweiterung haben; denn der Sinn unserer Unternehmung ist eine Ordnung des Friedens und der Sicherheit, der Freiheit und der Gleichheit, der Solidarität und des Wohlstandes, der Dynamik und des Fortschritts.
Diesem Fortschritt im Innern wird sich eine größere Gemeinschaft - und das wird nicht der geringste Nutzen aus der Erweiterung sein - mit größerer Kraft und Entschiedenheit und mit größerer Chance des Erfolges zuwenden, nachdem die Belastung durch Unsicherheit, Zweifel und Lähmung beseitigt ist. Die reiche demokratische Tradition Großbritanniens wird dem inneren Aufbau, der dringend gebotenen Kräftigung und der erhöhten demokratischen Autorität der Organisation unserer Gemeinschaft zugute kommen.
({3})
Nicht minder werden der hohe Rang seiner Diplomatie und seine unvergleichliche weltpolitische Erfahrung dazu beitragen, unsere Gemeinschaft zu jener föderalen Einheit zu führen, in der die europäischen Nationen ihre Identität behaupten und in der sie gleichzeitig auf die gewaltigen weltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit mit einer Stimme antworten;
({4})
das ist ja die von uns allen bejahte politische Finalität unseres Unternehmens.
In unserer Freude über solche Perspektiven sind wir nicht allein. Wir teilen sie mit allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses; denn in dieser Frage hat es zwischen uns nie Meinungsverschiedenheiten gegeben.
({5}) Wir teilen sie mit unseren Freunden und Partnern in der Europäischen Gemeinschaft. Wir teilen sie mit allen in der Welt, die unsere Auffassung von den europäischen Notwendigkeiten teilen, und wir hoffen, daß sich unter dem Eindruck des Erreichten die Einsicht in den hohen geschichtlichen Wert - moralisch, politisch, materiell - der europäischen Einigung überall dort durchsetzen wird, wo daran noch Zweifel bestehen. Denn wir vertrauen auf die Vitalität und die Dynamik eines einigen demokratischen Europa.
({6})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, teile ich mit, daß jetzt gleich die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses stattfindet.
Wir waren ursprünglich so verblieben, daß wir die beiden Punkte auf der Zusatzliste erst ab 16 Uhr behandeln wollten. Ich bin darüber verständigt worden, daß man nunmehr den Punkt 2 der Zusatzpunkte zur Tagesordnung gleich zu behandeln wünscht. Ich rufe diesen Punkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP betr. humanitäre Hilfe für die Bevölkerung Ostpakistans und Indiens
- Drucksache VI /2366 Das Wort hat Herr Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der Freien Demokraten gebe ich für die Fraktion der Freien Demokraten und für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion folgende Erklärung ab.
Wir Sozialdemokraten begreifen diesen Antrag, den wir gemeinsam mit den beiden anderen Fraktionen eingebracht haben, als einen fest und klar umrissenen Auftrag für die Bundesregierung, in den kommenden Wochen und Monaten das politisch und Menschenmögliche zu tun, um im Rahmen internationaler Zusammenarbeit für die betroffene Region Indien-Ostpakistan die notwendige Befriedung zu bringen.
Wir möchten hier und heute zu einer einmütigen Willensbildung des Parlaments mit dem Ziel kommen, daß sich die Bundesregierung mehr und intensiver als bisher engagieren muß. Warum? Wir nennen hierfür im wesentlichen drei Gründe:
Erstens. Ohne Zweifel ist diese Tragödie eine der ungeheuerlichsten, größten und schauerlichsten in der Geschichte der Menschheit überhaupt, und es ist kein Ende abzusehen. Die unglückselige Verkettung von Flutkatastrophen und Stürmen, von Hungersnot und Epidemien, von Bürgerkrieg und Grenzkonflikten hat zu einer Situation geführt, die von den direkt betroffenen Nationen als aussichtslos betrachtet werden muß. Einige mehr oder weDr. Meinecke ({0})
niger schnell zu Hilfsmaßnahmen bereite Staaten können die Situation kaum bewältigen. Somit ist nur eine weltweite Hilfsaktion möglich und notwendig.
Zweitens. Die Parlamentspause in den kommenden Wochen bedingt notwendigerweise eine geminderte parlamentarische Kontrolle der Regierungstätigkeit. Wir können hier also nicht auseinandergehen, ohne den gemeinsamen Willen, im Sinne des vorliegenden Antrags zu beschließen. Es soll auch ein Appell an die Öffentlichkeit und an uns selbst sein, mehr als bisher das Bewußtsein für das, was dort geschieht, zu wecken.
({1})
Drittens. Wir haben sehr vorsichtig formuliert, daß wir die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland auch als Aufruf an die dort politisch Verantwortlichen verstehen, ihrerseits alles zu tun, um die Lebensverhältnisse zu normalisieren.
Es kann jetzt nur darum gehen, zu geben, zu helfen und zu unterstützen und nicht zu kritisieren, nicht nach Schuldigen zu suchen und nicht in eine anmaßende Politisierung der Katastrophe zu verfallen. Gleichwohl bin ich persönlich geneigt, den betroffenen Regierungen zuzurufen: Kommt zur Vernunft! Begrabt Völkerhaß und Streitigkeiten und den Streit von Glaubensgemeinschaften! Wir alle wissen, was gemeint ist.
({2})
Meine Damen und Herren, dieser heutige Antrag hat eine politische Parallele. Am 3. Juli 1969, also vor zwei Jahren, nahm der Bundestag eine fast Bleichlautende Entschließung an, mit der die Bundesregierung aufgefordert wurde, in Biafra zu helfen. Der Antrag wurde damals ohne Kommentar angenommen. Die öffentliche Meinung war bereits hochgradig alarmiert, und an vielen Stellen waren Hilfsmaßnahmen eingeleitet worden. Seit dieser Zeit ist die Welt von einer großen Zahl schrecklicher Naturkatastrophen heimgesucht worden. In allen Fällen hat die Bundesregierung schnell und innerhalb weniger Tage Hilfsmaßnahmen einleiten können. Dies sei hier ausdrücklich anerkennend vermerkt.
({3})
Diesmal ist es anders. Es hat lange gedauert, ja, viel zu lange, ehe geholfen werden konnte. Zudem haben wir anscheinend jetzt die Grenzen menschlicher Reaktionsfähigkeit bei unseren Mitbürgern erreicht. Das Ausmaß dieser Katastrophe verhält sich zur öffentlichen Reaktion besser: zur öffentlichen Resignation - reziprok. Das darf nicht so bleiben!
({4})
Darum sollten wir diesen Antrag einstimmig annehmen. Meine Damen und Herren, so weit die Stellungnahme der Fraktionen der Freien Demokraten und der Sozialdemokraten.
Herr Präsident, ich erlaube mir nun eine kurze persönliche Erklärung. Wenn es uns nicht gelingt, in den nächsten Jahrzehnten auf diesem Erdball unsere eigenen Probleme vordringlich zu lösen und dafür zu sorgen, daß Menschlichkeit und Solidarität, zwischenstaatliches Verständnis und internationale Zusammenarbeit die Maxime des Handelns werden, kann es kaum vertreten werden, den Fuß des Menschen auf andere Planeten zu setzen.
({5})
Präsident von Hassel: Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesen grundsätzlichen Ausführungen für die Fraktionen der SPD und FDP möchte ich aus unserer Sicht einige Ergänzungen machen. Ich betone, daß wir die Grundsätze in vollem Umfang bejahen, und erinnere daran, daß wir uns mit den Menschen in Ostpakistan seit Monaten beschäftigen, nämlich seitdem im November die schreckliche Flutkatastrophe dort ein Unheil anrichtete, das uns, glaube ich, aus unseren eigenen Erfahrungen unvorstellbar ist. Der Flüchtlingsstrom, der im April nach Meinung der deutschen Botschaft in Neu Delhi noch nicht einmal 300 000 Menschen erreicht hatte, heute aber nach allgemeinen Schätzungen weit über fünf Millionen Menschen umfaßt, sollte uns aber an das eigene Elend erinnern, das wir nach dem zweiten Weltkrieg erlebt haben, und er sollte, eben weil wir selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben, unsere Hilfsbereitschaft sehr viel aktiver machen, als es bisher leider der Fall ist.
Die deutschen Hilfsmaßnahmen wirken angesichts der außerordentlichen Not für diesen Flüchtlingsstrom, die durch die Cholera und durch das schwierige Klima dieser Monate verschlimmert wird, wirklich unzureichend. Aus öffentlichen Mitteln sind inzwischen 6 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden. Wir nehmen an, daß von den Hilfsorganisationen, dem Deutschen Roten Kreuz, von Medico und den kirchlichen Organisationen, etwa 3 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden sind. Wenn Sie das auf Dollarbasis umrechnen, sind dies knapp 2,5 Millionen Dollar unter den 70 Millionen Dollar, die die Welt bereits zur Verfügung gestellt hat. In den nächsten Monaten müßten aber weitere 100 Millionen Dollar aufgebracht werden, wenn überhaupt der äußersten Not Rechnung getragen werden soll. Ich glaube, für unsere Öffentlichkeit ist es wichtig zu wissen, daß z. B. ein Land wie Schweden sofort 4,5 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt hat und daß in den Niederlanden im Laufe einer Woche 5,5 Millionen Dollar aus privaten Spenden gesammelt werden konnten. Ich meine, diese Beispiele sollten uns nachdenklich machen und müßten uns zur Nachfolge aufrufen. Auch die Regierungen der Vereinigten Staaten, von Japan, Großbritannien und Kanada haben weit mehr gegeben, als wir es bisher getan haben.
Ich weiß, daß in der deutschen Öffentlichkeit eine Diskussion über die Durchführung dieser Hilfe über die Vereinten Nationen im Gange ist und daß diese Hilfsform dabei in Frage gestellt wird. Ich meine, daß wir es als richtig ansehen müssen, daß die Vereinten Nationen in einem politisch so schwierigen Fall sozusagen als Clearing House und als Koordi7670
nierungsstelle dienen, daß die Maßnahmen aber nicht immer direkt über die Vereinten Nationen laufen müssen, sondern in Absprache mit ihnen unmittelbar an die Notleidenden gerichtet werden können.
In den letzten Tagen ist gerade bei der Lieferung von Medikamenten, die sonst verderben würden, so verfahren worden. Wir glauben, daß auch über den personellen Einsatz, z. B. den Einsatz von Ärzten, direkt verhandelt werden sollte. Ich bin deshalb glücklich, daß der Bundestagspräsident dem Antrag, zwei Kollegen, zwei Ärzte - es handelt sich um die Kollegen Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein und Dr. Meinecke -, in dieses Gebiet zu entsenden, stattgegeben hat.
({0})
Der Unterausschuß für humanitäre Hilfe beschäftigt sich mit der Bewältigung aktueller Katastrophen. Es ist nicht seine Aufgabe, den Gründen dieser Katastrophen nachzugehen. Trotzdem möchte ich ähnlich wie der Kollege Meinecke mit der Aufforderung an die Bundesregierung und an alle Menschen in Deutschland, die dazu die Möglichkeit haben, schließen, ihren Einfluß auf die Verantwortlichen in diesen Gebieten geltend zu machen, damit eine möglichst baldige friedliche Rückkehr der Flüchtlinge zu normalen Lebensbedingungen möglich ist, sei es eine Rückkehr in ihre alte Heimat, sei es eine andere Lösung. Meine Aufforderung bezieht sich auch darauf, daß alles getan wird, um eine Verschlimmerung der jetzigen Notlage durch eine kriegerische Auseinandersetzung, die uns immer wieder als eine drohende Gefahr vor Augen geführt wird, zu verhindern.
({1})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer dem interfraktionellen Antrag zustimmt, gebe bitte das Handzeichen.
Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung ({2}) - BAföG -
-- Drucksachen VI /1975, zu VI/ 1975 -
a) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache VI /2375 -Berichterstatter: Abgeordneter Baier
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit ({4})
- Drucksachen VI /2352, zu VI /2352 Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Schroeder ({5}) Abgeordnete Frau Schanzenbach
({6})
Das Wort hat zunächst der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Baier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß hat sich gestern übend mit dem Entwurf eines Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung genannt Ausbildungsförderungsgesetz - eingehend befaßt, und ich habe Ihnen mit Drucksache VI /2375 mitgeteilt, daß der Gesetzentwurf mit der Haushaltslage vereinbar sei.
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß die in Drucksache VI /2352 im Vorblatt angegebenen Kosten insofern unrichtig sind, als dort nicht die Kosten des Bundes, sondern die Gesamtkosten des Gesetzentwurfs angegeben sind. Die Kosten des Bundes lauten: für 1971 173 Millionen DM, für 1972 693,5 Millionen DM, für 1973 847 Millionen DM und für 1974 944,5 Millionen DM.
Ebenso sehe ich mich als Berichterstatter des Haushaltsausschusses veranlaßt, ergänzend zu dem Bericht nach § 96 der Geschäftsordnung auf einen Übelstand im Ausbildungsförderungsgesetz in der Ausschußfassung hinzuweisen, der zur Nichtvorlage des Berichts nach § 96 der Geschäftsordnung hätte führen können, wenn nicht für das anzusprechende Problem ein zufriedenstellendes Verfahren hätte gefunden werden können. Ich meine die in diesem Gesetzentwurf durch den Fachausschuß wieder hineingenommenen Zuständigkeiten des Studentenwerks hinsichtlich der Zuteilung und Einziehung der Darlehensbeträge. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die §§ 61 und 63 des Entwurfs.
Das Unbehagen des Haushaltsausschusses rührt aus der Kenntnis einer Prüfungsbemerkung des Bundesrechnungshofes über die Art und Weise, wie sich das Deutsche Studentenwerk der ihm übertragenen Aufgabe der Einziehung der Tilgungsraten für gewährte Studiendarlehen, der Verrechnung der Förderungsbeträge und der Zuteilung der Förderungsmittel an die örtlichen Studentenwerke entledigt hat. Die Prüfungsbemerkung schließt mit der Feststellung einer Reihe von teils recht erheblichen Mängeln, die jedoch in der Hauptsache in das Jahr 1967 fallen, in geringerem Ausmaße auch noch danach vorliegen.
Der Rechnungsprüfungsausschuß, der sich in seinen letzten Sitzungen mit dieser Angelegenheit befaßt hat, schlug dem Haushaltsausschuß vor, bei der Abgabe des Berichts nach § 96 GO zum Ausdruck zu bringen, daß die Bundesregierung die strafrechtliche Seite dieser Angelegenheit verstärkt verfolgen möge. Er erwartet, daß der Bundesrechnungshof laufend die Angelegenheit weiter verfolgt und gegebenenfalls bei weiteren Beanstandungen sofort über den Bundestag dem Rechnungsprüfungsausschuß und damit auch dem Haushaltsausschuß berichtet und nicht bis zur Vorlage des nächsten Jahresberichts wartet.
Weiter schlug er vor, vor allem zu klären, daß die Prüfung durch den Bundesrechnungshof sich auch auf den sogenannten Eigenbereich erstrecken kann, was nach § 91 der Bundeshaushaltsordnung und den nach § 44 der Bundeshaushaltsordnung zu erBaier
lassenden Richtlinien zulässig ist. Die Prüfung durch den Bundesrechnungshof wurde seitens des Studentenwerks nämlich dadurch erschwert, daß bei der Überprüfung dieses Zuschußempfängers die Einsichtnahme mit dem Hinweis auf den Eigenbereich verweigert wurde.
Das Unbehagen des Haushaltsausschusses wurde vor allem dadurch verstärkt, daß zusätzlich bei zumindest einem örtlichen Studentenwerk - und wir wollen kein Pauschalurteil über andere Studentenwerke abgeben - Mängel in der Ausführung aufgetreten sind, die eventuell Schule machen könnten. Denn für einen vorübergehenden Zeitraum bis zum 30. Juni 1974 werden diese Zuständigkeiten der Studentenwerke beibehalten.
Da es dem Haushaltsausschuß darum ging, die berechtigten Interessen der Auszubildenden nicht zu beeinträchtigen, machte er bei seinen Überlegungen über die weitere Zuständigkeit des Studentenwerks einen Unterschied zwischen Zuteilung und Einziehung. Während er es einsah, daß die Zuteilung im Interesse der Begünstigten im bisherigen Zuständigkeitsbereich für eine vorübergehende Zeit verbleiben sollte, wobei besonders auf den Übergangscharakter des § 61 hingewiesen wurde, vermochte der Haushaltsausschuß nicht einzusehen, weshalb nicht die Einziehung auf das Bundesverwaltungsamt, das die Bediensteten des Studentenwerks übernimmt, übergehen soll. Er hat dazu eine Änderung des vorliegenden Entwurfs angeregt. Der Haushaltsausschuß hat sich damit den Vorschlägen des Rechnungsprüfungsausschusses angeschlossen und auf Einbeziehung des Eigenbereichs, auf laufende Kontrollen durch den Bundesrechnungshof und auf sofortige Unterrichtung des Gesetzgebers bei weiteren Beanstandungen gedrängt.
Schließlich hat der Haushaltsausschuß um eine Klärung einer durch die Formulierung des § 63 Abs. 3 des vorliegenden Entwurfs aufgeworfenen Frage gebeten. Dort heißt es, daß das Deutsche Studentenwerk den jeweils eingezogenen Darlehnsbetrag bis zu 50% an das Land abführt, in dem die Hochschule ihren Sitz hat. Was geschieht mit den zweiten 50%? Darüber ist keine Äußerung in der Vorlage des Fachausschusses enthalten. Wir sind der Auffassung, daß sie selbstverständlich an den Bund abzuführen sind.
Der Haushaltsausschuß hat seinen Bericht nach § 96 GO in der Gewißheit vorgelegt, daß ein inzwischen abgeschlossener Geschäftsbesorgungsvertrag mit dem Studentenwerk zur Klärung der aufgeworfenen Fragen beiträgt und daß im übrigen den hier gestellten Forderungen in der angesprochenen Richtung im Sinne einer verantwortungsbewußten Verwendung von Steuergeldern Rechnung getragen wird.
({0})
Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Als Mitberichterstatterin hat das Wort Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst die Schriftlichen Berichte - Drucksachen VI /1975 und zu VI/ 1975 - in ein paar technischen Punkten zu berichtigen.
Auf Seite 3 der Drucksache VI /2352 muß es in § 3 Abs. 2 Zeile 4 statt „§ 16" heißen: „§ 60".
Auf Seite 17 der Drucksache VI /2352 muß es in § 60 Abs. 2 statt „31. Dezember 1971" heißen: „30. September 1971",
Auf Seite 17 derselben Drucksache müssen in § 63 Abs. 3 Zeile fünf die Worte eingefügt werden: „zu 50 vom Hundert an den Bund und" . Darüber hat soeben auch Herr Baier gesprochen. Diese Worte sind nach der Übergangsregelung zugunsten der Studentenwerke versehentlich vergessen worden.
In dem Schriftlichen Bericht - zu Drucksache VI /2352 - muß es im Besonderen Teil auf Seite 9 - zu den §§ 61 und 62 - wie folgt heißen. In der 5. Zeile muß hinter die Worte „durch die allgemeine Verwaltung ausgeführt werden soll" ein Punkt gesetzt werden. Der Satzteil „um weitere Erfahrungen zu sammeln" muß mit dem folgenden Satz durch das Wort „und" verbunden werden.
Präsident von Hassel: Frau Kollegin, können wir die Unterlagen zur Berichtigung bekommen? - Danke schön!
Ich eröffne die Aussprache zur zweiten Lesung. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau drei Monaten, am 24. März 1971, wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz in erster Lesung an die Ausschüsse überwiesen und damit in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht. Seit diesem Zeitpunkt hat nun eine heftige öffentliche Diskussion stattgefunden, die, wie Sie wissen, heute in Bonn in einer Studentenveranstaltung einen Höhepunkt erreichen soll. Bedauerlich bei diesen öffentlichen Auseinandersetzungen ist, daß man von alten Texten ausgeht und die inzwischen eingetretenen Änderungen und Verbesserungen überhaupt nicht berücksichtigt.
Viele in der Öffentlichkeit und auch in diesem Hohen Hause haben ,damals nicht geglaubt, daß es uns in der kurzen Zeit möglich sein würde, das Gesetz zu verabschieden und zum 1. Oktober 1971 in Kraft zu setzen.
({0})
Unterschiedlich waren auch die Meinungen darüber, ob die Ausbildungsämter in der Lage sein würden, das Gesetz auszuführen. Man war schnell bei der Hand, Gespenster an die Wand zu malen und Unbehagen, Unsicherheit und Angst zu verbreiten. - Nicht Sie, Herr Baier! Sie schauen mich so an.
Heute liegt das Gesetz zur Verabschiedung vor, es tritt am 1. Oktober in Kraft und wird in bewährter Weise von den hierfür zuständigen Stellen durch7672
geführt werden. Es ist eine beachtliche Leistung der Mitglieder der mitberatenden Ausschüsse, des federführenden Ausschusses, der zuständigen Arbeitskreise der Fraktionen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausschußbüros und in den Ressorts der Bundesregierung, daß sie das ermöglicht haben. Als Vorsitzender des federführenden Ausschusses möchte ich allen am Zustandekommen dieses Werkes Beteiligten meinen herzlichen Dank aussprechen,
({1})
besonders aber auch der Opposition, ,die daran mitgearbeitet hat. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, meine Damen und Herren, daß Sie Ihren Anteil an dieser Leistung dadurch reduzieren wollen, daß sie dem Gesetz Ihre Zustimmung versagen.
Nun, was will dieses Gesetz? Ist es der große Betrug, der schlechte Abklatsch von Honnef oder der soziale Abstieg der Studenten? So wird draußen argumentiert. Nein, keine dieser Behauptungen aus dem studentischen Bereich ist zutreffend. Wenn man 1972 1,06 Milliarden DM - das sind rund 120 Millionen DM mehr als im Vorjahre, von denen wiederum fast 100 Millionen DM auf die Studienförderung entfallen - zur Verfügung stellt, dann kann man nicht von Betrug sprechen. Wenn man die bisherigen Honnef-Richtlinien nun gesetzlich verankert, sie zu einem Rechtsanspruch macht, ist dies kein Abklatsch, sondern eine positive Fortentwicklung, und wenn man Rechtsanspruch, Wegfall des Pflichtdarlehens und andere Verbesserungen zusammenfaßt, kommt dabei kein sozialer Abstieg, sondern eine verbesserte Position der Studierenden heraus. Dieses Gesetz ist eine sinnvolle Fortentwicklung der Ausbildungsförderung in unserem Lande, für die es in Europa keine vergleichbaren Beispiele gibt.
Als zweiten Schritt mußten wir die Studienförderung im Ausbildungsgesetz verankern, da es nach der Grundgesetzänderung von 1969 nicht möglich ist, Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern auf der Basis von Verwaltungsabkommen, wie es bei Honnef ist, durchzuführen, sondern die Finanzierung muß gesetzlich geregelt werden. Es war also ein verfassungsmäßiges Gebot, dieses Bundesausbildungsförderungsgesetz vorzulegen.
Bei der Diskussion über den Entwurf kommt man einfach an der Tatsache nicht vorbei, daß die Zusammenführung zweier so unterschiedlicher Förderungssysteme, wie sie das erste Ausbildungsförderungsgesetz und die Honnef-Richtlinien darstellen, zu Schwierigkeiten führen mußte. Lassen Sie mich das an einem Beispiel klarmachen. Das erste Ausbildungsförderungsgesetz kannte zunächst bei Waisengeld und bei Waisenrente keine Freibeträge, obwohl es bei Honnef schon immer über 100 DM gegeben hat. Wir haben dann erst im zweiten Änderungsgesetz den Freibetrag auf 70 DM festgesetzt. Nun war es natürlich das Bestreben der Regierung, von dieser Basis aus auch die HonnefRichtlinien anzugleichen. Das führte zu individuellen Verschlechterungen im Studentenbereich. Die Regierung suchte einen Mittelweg, denn alle auf die Beträge des Honnefer Modells anzuheben, war finanziell nicht tragbar, die Diskrepanz zu belassen, war ungerecht.
Die Koalitions-Fraktionen suchten einen vertretbaren Kompromiß und haben ihn durch die Umschichtung von rund 20 Millionen DM auch gefunden. Sie schlugen vor, graduelle Verbesserungen einzuführen. Das sieht so aus:
1. Streichung der Pflichtdarlehen.
2. Erhöhung des Freibetrages vom Einkommen des Auszubildenden für seine Ehefrau auf 500 DM.
3. Erhöhung des Freibetrages für Waisen von 70 auf 90 DM.
4. Einführung eines Widerspruchsrechtes aus wichtigem Grund gegen eine Überleitung der Unterhaltsansprüche eines Auszubildenden auf das Amt für Ausbildungsförderung und Gewährung eines verzinslichen Darlehens in solchen Fällen.
5. Einführung einer Besitzstandsklausel, die verhindert, daß ein bisher nach dem Honnefer und Rhöndorfer Modell Geförderter geringere Leistungen erhält, als er nach altem Recht bekommt.
Damit haben wir im Bereich der Studienförderung unter Berücksichtigung anderer Verbesserungen, auf die die Regierung in der Aussprache zweifellos noch zurückkommt, eine abgewogene und vertretbare Lösung erreicht, zu der wir stehen, auch wenn sie für viele noch unbefriedigend ist.
Viel nachdenklicher stimmt die SPD-Fraktion die Tatsache, daß es aus finanziellen Gründen auch diesmal nicht möglich war, durch höhere Freibeträge einen noch größeren Kreis von Auszubildenden und vor allem die zehnten Klassen der weiterführenden Schulen und die Berufsfachschulen ohne Realschulabschluß als Eingangsvoraussetzung in die Förderung aufzunehmen. Die Förderung dieser Gruppen muß das Hauptziel kommender Gesetzgebung sein, denn die Verwirklichung der Chancengleichheit beginnt in diesem Bereich. Der ganze Vorgang ist dann ein einfacher Gesetzgebungsakt, denn alle Grundprinzipien der Förderung sind in diesem Gesetz schon festgelegt und brauchen nur in Kraft gesetzt zu werden.
Dies gilt übrigens auch für die Kinder von ausländischen Eltern, die in der Bundesrepublik wohnen und arbeiten, und für junge Ausländer, die über fünf Jahre in unserem Land gearbeitet haben. Es ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, jenen eine angemessene Bildungschance und Förderung zu gewähren, die durch ihre Arbeit zu der Vermehrung des Bruttosozialprodukts und des Steueraufkommens beitragen. Meine Fraktion - und ich glaube das ganze Haus - sagt dazu ja.
Die Erfüllung der Forderung, das ganze Gesetz baldmöglichst voll in Kraft zu setzen, hängt von der Weiterentwicklung der öffentlichen Haushalte ab. Dieses Hohe Haus und jeder einzelne von uns ist für die Gesamtentwicklung in unserem Lande verantwortlich. Daher möchte ich ein paar Bemerkungen zu der in diesen Tagen immer wieder erneut erhobenen Forderung nach familienunabhängiger Ausbildungsförderung machen.
Familienunabhängige Ausbildungsförderung kostet nach den Aussagen der Sachverständigen im Hearing insgesamt 7 bis 8 Milliarden DM im Hochschulbereich und für den gesamten Ausbildungsbereich 16 Milliarden DM pro Jahr. Dies ist einfach nicht zu finanzieren, und deshalb hat die Regierung am Prinzip der familienabhängigen Ausbildungsförderung festgehalten. Auch der Ausschuß kam zu der Auffassung, daß mittelfristig daran nichts zu ändern ist. Gleichwohl wurde anerkannt, daß es gute und berechtigte Gründe gibt, die für eine größere Unabhängigkeit vom Elternhaus sprechen. Langfristig gesehen bleibt daher die familienunabhängige Ausbildungsförderung, auch aus bildungspolitischen Gründen, eine anzustrebende Lösung.
Erste Schritte hierzu können z. B., wenn es die Haushaltslage erlaubt, durch eine Erhöhung der Freibeträge und eine Verbesserung der Bedarfssätze erreicht werden. In diesem Zusammenhang brachte übrigens die Opposition ihre Vorschläge für eine generelle Darlehensförderung ein. Sie sieht hierin einen Schritt zur Familienunabhängigkeit.
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-- Aber das ist eines der Ziele, die Sie damit anstreben. Darüber wird man weiter sprechen müssen. Es gibt Beispiele von Darlehensförderung in Schweden, die man als Grundlage nehmen könnte. Wir konnten uns aber den Vorstellungen der Opposition nicht anschließen, denn erstens ist diese Lösung zur Zeit auch nicht zu finanzieren, denn sie kostet mittelfristig auch hundert Millionen, und zweitens kauft sich mancher die Unabhängigkeit von Elternhaus und Familie durch eine langfristige Abhängigkeit von einer Bank ein, denn Ihr Vorschlag sieht ja die Bankenfinanzierung vor.
Nun noch einige Bemerkungen zum organisatorischen Bereich. Man konnte sich in den letzten Beratungen des Eindrucks nicht erwehren, daß die Opposition die Studentendebatte der vorletzten Woche in diesem Bereich fortführt. Anlaß war zunächst die durchaus wichtige und zentrale Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit. Nach dem ersten Ausbildungsförderungsgesetz gilt das sogenannte Wohnortprinzip, nach dem das Amt zuständig ist, in dessen Bereich der Auszubildende bzw. seine Eltern wohnen. In der Studienförderung ist das Studentenwerk der Hochschule, also der Ausbildungsstätte zuständig. Die Regierung wollte eine einheitliche Zuständigkeit und entschied sich für das Ausbildungsstättenprinzip, nach ,dem das Amt, in dessen Bereich sich die Ausbildungsstätte befindet, zuständig ist. Dem widersprachen aus ganz unterschiedlichen Gründen der Bundesrat, die kommunalen Spitzenverbände, die Hochschulen und die Studentenverbände. Alle Einwände haben wir im Ausschuß in langen Beratungen eingehend erörtert und einigten uns dann einstimmig darauf, in den Grundzügen der Empfehlung des Bundesrates zu folgen, der für den Sekundarbereich das Wohnortprinzip und für den tertiären Bereich das Ausbildungsortprinzip vorsieht.
In der Frage einer Übergangsregelung für die sachliche Zuständigkeit im tertiären Bereich konnte jedoch keine Übereinstimmung erzielt werden. Während die CDU/CSU-Fraktion vorschlug, alle bereits bearbeiteten Vorgänge durch die Studentenwerke abwickeln zu lassen und alle neu hinzukommenden an die Ausbildungsämter zu verweisen, beschloß die Mehrheit des Ausschusses, die Durchführung des Gesetzes für den tertiären Bereich bis zum 30. Juni 1974 bei den Hochschulen und Studentenwerken zu belassen.
Außerdem wurde beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, bis zum 31. Dezember 1973 über die Durchführung des Gesetzes den gesetzgebenden Körperschaften zu berichten und Vorschläge für die endgültige örtliche und sachliche Zuständigkeit zu machen. In einem Entschließungsantrag fordern wir, daß die Länder aufgefordert werden sollen, die Umwandlung der Studentenwerke in Anstalten des öffentlichen Rechts einzuleiten.
Als die Koalition auch noch die Mitwirkungsrechte der Förderungsausschüsse ausbaute und damit die Mitbestimmung im Hochschulbereich stärkte, war das Mißtrauen bei Ihnen vollkommen. Man sah schon alle Förderungsausschüsse und Studentenwerke in linksextremer Hand, befürchtete Begünstigung linker Gruppierungen und ging sogar so weit, den festgelegten Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung im europäischen Ausland in Frage zu stellen, weil man sagte: in Moskau darf man studieren, in Washington nicht. Um das auszugleichen, haben Sie dann einen Antrag eingereicht, die Zuständigkeit - ({3})
- Aber ich kann das doch einmal sagen.
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- Nein! - Sie haben dann beantragt, daß wir den Rechtsanspruch auf die ganze Welt festlegen sollten, und die Regierung wurde aufgefordert, in einer Rechtsverordnung die jeweiligen Orte festzulegen, in denen Ausbildungsförderung gewährt werden sollte. So war das. Ich kann nicht verstehen, daß man auf diesem Wege von der geographischen Abgrenzung zu einer ideologischen Abgrenzung kommen wollte.
Ich bin für demokratische Wachsamkeit und für den Schutz der Demokratie. Aber permanentes Mißtrauen kann die Demokratie auch lähmen und aufrechte Demokraten zur Resignation zwingen. Wir haben in diesem Bereich Vertrauen zu denen, die bisher an den Hochschulen und in den Studentenwerken über zehn Jahre Studienförderung nach dem Honnefer Modell durchgeführt haben und durchführen.
In diesem Zusammenhang kommen wir nun, Herr Baier, zu den Einwänden gegen das Deutsche Studentenwerk. Den damit befaßten Ausschüssen des Deutschen Bundestages und seit Montag durch einen Presseartikel auch der gesamten Öffentlichkeit ist bekannt, daß der Bundesrechnungshof bei der Prüfung des Deutschen Studentenwerkes schwerwiegende Verfehlungen festgestellt hat. Für
meine Fraktion, Herr Baier, kann ich erklären, daß wir diese zurückliegenden Praktiken verurteilen und mit dem Rechnungsprüfungsausschuß dahingehend übereinstimmen, daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, daß eine laufende Prüfung zu erfolgen hat und daß der dem Bund entstandene Schaden wiedergutgemacht werden muß.
Man muß dabei aber auch berücksichtigen, daß die Prüfungsbeanstandungen die Rechnungsjahre 1962 und 1965 betreffen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baier?
Bitte schön!
Herr Kollege Hauck, würden Sie mir bestätigen, daß ich meine Ausführungen als Berichterstatter des Haushaltsausschusses auf Grund des einstimmigen Beschlusses des Haushaltsausschusses gemacht habe, der auch mit den Stimmen der SPD- und FDP-Mitglieder gefaßt wurde?
Das ist mir bekannt, und ich bekräftige nun, daß wir den Ausführungen und den Schlußfolgerungen zustimmen. Aber ich muß die Feststellung treffen, daß das Deutsche Studentenwerk, als ihm der Prüfungsbericht 1967 bekannt wurde, sofort die Konsequenzen zog und der gesamte Vorstand zurücktrat bzw. abgewählt wurde, der neu gewählte Vorstand den bis 1967 tätigen Hauptgeschäftsführer zuerst suspendiert und dann entlassen hat und auch alle weiteren personellen Konsequenzen gezogen hat. Das heißt mit anderen Worten: die heute Verantwortlichen haben mit den geprüften Vorfällen nichts zu tun.
Die neue Leitung des Deutschen Studentenwerkes hat auch sofort mit dem Bund verhandelt und einen Geschäftsbesorgungsvertrag abgeschlossen - das haben Sie erwähnt -, der alle Fragen des Verwaltungsverfahrens einschließlich der Finanzgebarung zweifelsfrei regelt. Darüber hinaus wurden für das Darleheninkasso besondere Bestimmungen, nämlich Stundungsgrundsätze erlassen.
Als das zuständige Ressort der Bundesregierung uns erklärte, daß es in den letzten Jahren auf Grund der getroffenen Regelungen zu keinerlei Reibungen zwischen dem Deutschen Studentenwerk und dem von ihm beauftragten staatlichen Auftraggeber gekommen ist, hat sich die Koalition für die Änderung des § 63 entschieden, der die Abwicklung der alten Honnef-Darlehen weiterhin beim Deutschen Studentenwerk beläßt.
Dies ist übrigens auch der einzige Punkt, in dem das Studentenwerk mit diesem Gesetz in Verbindung gebracht werden kann. Die Durchführung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes liegt nach der Übergangsregelung bei den örtlichen Studentenwerken. Über deren Arbeit liegen bis auf einen Fall, der heute auch erwähnt worden ist, keine gravierenden negativen Prüfungsbeanstandungen vor, und dies, obwohl in den zurückliegenden zehn Jahren einige Milliarden D-Mark ausgezahlt und ordnungsgemäß verwaltet wurden.
Gestatten Sie mir bitte, daß ich abschließend noch einmal auf meine Ausführungen anläßlich der ersten Lesung am 24. März zurückkomme. Damals sagte ich:
Wir Sozialdemokraten sehen in dem Entwurf trotz vorhandener Mängel, von denen einige im Gesetzgebungsverfahren noch behoben werden können, einen entscheidenden Schritt nach vorn.
Nun, wir haben einige wichtige Verbesserungen erreicht und diese auch finanziell abgesichert. Das unterscheidet uns von der Opposition, die gestern morgen noch von Stabilität, Ausgabenbegrenzung und Sparsamkeit gesprochen hat und am Nachmittag allein zu diesem Gesetz Anträge vorgelegt hat, die das Gesamtvolumen um über 100 % haben steigen lassen. Man hat diese Anträge zwar zurückgenommen, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß Sie 1,08 Milliarden DM mehr haben wollten.
Unsere Haltung wird auch von vielen Studenten anerkannt. Ich habe hier eine Information von studentischer Seite, in der es heißt:
Wir begrüßen das Ergebnis der abschließenden Beratung des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Ausbildungsförderungsgesetz. Der Ausschuß hat einige wichtige Änderungen beschlossen, die echte Verbesserungen sind, wie z. B. die Abschaffung der Pflichtdarlehen, die Wiedereinführung der Härtedarlehen, die Anhebung der Freibeträge für Waisen und Studentenehepaare, die individuelle Besitzstandsklausel für Studenten und die Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung für Behinderte.
({0})
- Ich habe es eingangs gesagt: weil sie zum Teil noch auf alten Texten sitzen und die neuen Verbesserungen noch nicht kennen. Das habe ich eingangs gesagt.
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- Das Deutsche Studentenwerk.
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Erfreulich ist der Ausbau der Mitwirkungsrechte der Förderungsausschüsse und damit die Stärkung der Mitbestimmung im Hochschulbereich.
Voll befriedigt können auch wir nicht sein. Aber wir wissen, daß wir in der derzeitigen Situation das Bestmögliche erreicht haben. Deshalb sagen wir ja zu diesem Gesetz und stimmen ihm zu.
({3})
Präsident von Hassel: Wir fahren dann in der Aussprache fort. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schroeder. Ich darf aber um folgendes bitten, Frau Kollegin. Begründen Sie bitte noch nicht Zif-
Präsident von Hassel
fer 5 des Antrags auf Umdruck 208*). Ich muß Ihnen dann noch einmal das Wort geben, weil inzwischen so viele Wortmeldungen zu Einzelbestimmungen vorliegen, daß es nachher unübersichtlich würde. Ich erteile Ihnen nunmehr in der allgemeinen Aussprache das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir leider nicht möglich, das Gesetzeswerk, das heute vor uns liegt, so positiv zu beurteilen, wie Herr Hauck das soeben getan hat. Ich darf in Ihre Erinnerung zurückrufen, als der Bundestag in der vorigen Legislaturperiode das Erste Ausbildungsförderungsgesetz beschloß, verabschiedete er gleichzeitig einstimmig eine Entschließung, in der er die Erwartung bekundete, daß die Gesetzgebung zur Ausbildungsförderung in der 6. Legislaturperiode so ergänzt würde, daß alle Ausbildungsverhältnisse nach Beendigung der Schulpflicht einbezogen würden. Die Finanzierung sei in der mehrjährigen Finanzplanung vorzusehen. Weiter sollte die Bundesregierung eine Gesetzesvorlage zur Neuregelung der Studentenförderung bis zum 1. März 1970 vorlegen, die insbesondere gegenüber der bestehenden Regelung die notwendigen strukturellen und finanziellen Verbesserungen enthalte. Damals - meine Damen und Herren, das möchte ich sehr deutlich in Ihre Erinnerung zurückrufen - war die Finanzlage des Bundes so, daß wir mit gutem Recht solche Erwartungen haben und hier einmütig aussprechen konnten.
Heute sieht dies bedauerlicherweise sehr anders aus. Mit einjähriger Verspätung nach dem vorgesehenen Termin hat die Bundesregierung das Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgelegt, das die Forderung dieses Flohen Hauses, wie sie in der genannten Entschließung zum Ausdruck kam, nur zu einem geringen Teil erfüllt. Wesentliche Wünsche bleiben offen. Es ist richtig, vollzogen wurde der Einbau der Studentenförderung nach dem bisherigen Honnefer und Rhöndorfer Modell in ein einheitliches Gesetz. Das ist zweifellos begrüßenswert. Da stimmen auch wir zu. Die Ablösung der bisherigen Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern für die Studentenförderung durch ein Bundesgesetz und die Tatsache, daß nun studentische und schulische Ausbildungsförderung in einem bundeseinheitlichen Gesetz zusammengefaßt sind, ist sicher von der Gesetzessystematik her ein Fortschritt.
Nur sieht dieser Fortschritt für den einzelnen Betroffenen freilich sehr viel spärlicher aus. Herr Hauck hat soeben schon darauf hingewiesen: Die Harmonisierung dieser beiden Dinge - erstes Ausbildungsförderungsgesetz und Honnefer Modell -war nicht leicht zu vollziehen. Es hat alle Mühe gekostet, wenigstens Verschlechterungen für den einzelnen Stipendiaten nach Möglichkeit zu vermeiden. Wir haben das nur dadurch erreichen können, daß wir für den Übergang eine Besitzstandsklausel eingebaut haben, die gewährleistet, daß Studenten, die bereits nach dem Honnefer Modell gefördert werden, durch die Umstellung nach diesem Gesetz nicht weniger erhalten.
') Siehe Anlage 11
Wie sieht es aber nun mit den angekündigten strukturellen und finanziellen Verbesserungen aus? Denn keine Verschlechterung zuzulassen ist ja noch nicht eine Verbesserung, und nur das stolze Gefühl, nun nicht mehr auf Grund eines Verwaltungsabkommens, sondern auf Grund eines Bundesgesetzes gefördert zu werden, ist für den einzelnen auch nicht ausgesprochen zufriedenstellend.
Ich will jetzt einmal mit dem Positiven beginnen. Begrüßenswert ist sicher die Einbeziehung des Fernunterrichts in dieses Gesetz, obwohl die einzelnen Bestimmungen hier noch nicht sehr viel Substanz haben. Es wird jedoch sicher noch davon gesprochen werden.
Für den schulischen Bereich ist auch die Einbeziehung der Ausbildung im Ausland erfreulich. Für den studentischen Bereich bedeutet sie aber eher einen Rückschritt als einen Fortschritt wegen dieser schematischen Differenzierung nach europäischen und außereuropäischen Ländern. Wir haben das nicht für besonders glücklich gehalten. Wir haben vorgeschlagen, die Differenzierung im einzelnen lieber einer Rechtsverordnung der Bundesregierung zu überlassen, insbesondere auch mit Rücksicht auf den nun seit Jahren bestehenden und sehr wertvollen Schüler- und Studentenaustausch mit den USA. Wir alle haben doch Briefe aus diesem Bereich bekommen. Es wäre sicher richtiger gewesen, die Differenzierung im einzelnen in einer Rechtsverordnung zu regeln, weil man, wie auch wir sehen, hier nicht uferlos vorgehen kann, aber manche Dinge doch anders als nur nach der geographischen Lage regeln muß.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauck?
Frau Kollegin, es ist aber doch bekannt, daß bisher überhaupt kein Rechtsanspruch auf Förderung im Ausland bestand, daß diese Förderung erstmalig hereingenommen worden ist und daß selbstverständlich auch die USA-Stipendiaten weiterhin gefördert werden können. Das ist Ihnen doch bekannt, oder gehe ich da fehl?
Das habe ich auch gar nicht bestritten. Es handelt sich doch um den Rechtsanspruch bzw. die Kann-Bestimmung. Die Kann-Bestimmung hat im studentischen Bereich auch früher bestanden. Die Lage hat sich gegenüber der nach dem Honnefer Modell jetzt nicht verbessert. Wir haben doch alle diese Eingaben bekommen.
Insgesamt muß man sagen: selbst wenn man hier und da punktuelle Verbesserungen sieht, irgendeine durchgreifende Fortentwicklung, etwas, was auch nur in etwa mit dem Wort „Reform" zu bezeichnen ist, fehlt in diesem Gesetz. Die CDU-Fraktion hatte in ihrem Antrag, der dem Ausschuß zur Beratung vorlag, einmal einen Weg aufgezeigt, wie man eine solche grundsätzliche strukturelle Verbesserung im studentischen Bereich z. B. erreichen könne. Sie hatte beantragt, die Möglichkeiten der Darlehnsgewährung auch an solche Studenten in
Frau Schroeder ({0})
das Gesetz einzubauen, die die sozialen Kriterien für eine Förderung nach diesem Gesetz nicht erfüllen. Wir werden unseren Entschließungsantrag in dieser Hinsicht heute noch hier begründen.
Wir hatten weiter gebeten, verheirateten Studenten mit Kindern, deren Ehegatten eine Berufstätigkeit nicht zuzumuten ist, Familienzuschläge zu gewähren.
Wir hatten drittens beantragt, die Pflichtdarlehen zu streichen. Wir sind froh, daß wir uns wenigstens mit diesem dritten Punkt haben durchsetzen können.
Die anderen sind der Ablehnung verfallen. Ich bedauere besonders, daß man - wenn Sie nun schon davon sprechen - eine elternunabhängige Ausbildungsförderung nicht wenigstens für den Bereich des Zweiten Bildungsweges hat durchsetzen können, sondern auch diese Forderung auf der Strecke geblieben ist. Ich bedauere das besonders, weil es sich hier doch um jene jungen Menschen handelt, die aus einer Berufstätigkeit heraus sich den Abschluß einer höheren Schule erwerben und ein Studium darauf aufbauen. Die Mehrheit hat sich zur Förderung ohne Anrechnung des elterlichen Einkommens nur bis zum Abitur verstanden. Ich fürchte sehr, daß wir dadurch gerade die nachzuholenden Aufstiegschancen für junge Menschen erheblich einengen.
Noch geringer sind aber die Fortschritte für den Schulsektor, für den ganzen Bereich, der bisher mit dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz gedeckt war, und hier vor allem, so meinen wir, für die fachliche Ausbildung des mittleren Bereichs. Das Erste Ausbildungsförderungsgesetz hat ehrlicherweise bekundet - schon durch seinen Namen -, daß es nur ein erster Schritt sein konnte und wollte. Es begann in den allgemeinbildenden Schulen mit der Förderung im 11. Schuljahr und dementsprechend in den Berufsfachschulen, in jenen Fachschulen, die auf dem 10. Schuljahr, also auf der mittleren Reife, aufbauen. Die Förderung des 10. Schuljahres und auch die Förderung der Ausbildung in denjenigen Berufsfachschulen, die unmittelbar an die Hauptschule anschließen, sollte als nächster Schritt folgen. Diese Lücke ist im jetzigen Gesetz geblieben. Das finden wir ganz besonders bedauerlich, denn es ist gerade für die Ausbildungsgänge an Berufsfachschulen, die nicht die mittlere Reife voraussetzen, eine erhebliche Härte. Ich darf Ihnen das noch einmal vortragen. In jeder anderen Schulart, Gymnasium oder was es sonst sei, kann ein Jugendlicher wenigstens im 11. Schuljahr gefördert werden, in den Berufsfachschulen jedoch, die unmittelbar an die Hauptschule anschließen, weder im 10. noch im 11. Schuljahr. Dabei geht es hier doch gerade um Technische Berufsfachschulen, die die Lehrlingsausbildung, an der uns so viel liegt, intensivieren wollen, aber auch gerade um die Schulen im sozialen und pflegerischen Bereich, die Pflegevorschulen, Kinderpflegevorschulen und Kinderpflegeschulen, die uns doch in Anbetracht des Mangels in diesen Berufen sehr am Herzen liegen sollten. Ich frage: Wo ist hier die Chancengleichheit für die Ausbildung gerade in diesem Bereich? Mit welchem Recht behandeln wir das 11. Schuljahr in diesem Bereich anders als woanders? Unseres Erachtens ist es unmöglich, ein Gesetz, das den stolzen Namen Bundesausbildungsförderungsgesetz" trägt, zu verabschieden, ohne diese Förderung wenigstens einzubeziehen. Die CDU/CSU-Fraktion hat im Ausschuß bereits einen Antrag gestellt. Er wurde abgelehnt. Wir werden ihn heute hier in zweiter Lesung wiederholen.
Ich möchte in bezug auf das 10. Schuljahr noch an den Grundsatzbeschluß der Bundesregierung vom 4, Juni 1971 erinnern, in dem es heißt:
Die Bundesregierung beabsichtigt, die Finanzmittel für das volle Inkrafttreten des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode bereitzustellen.
Wir fragen: Was wird aus diesem Beschluß? Was wird davon bleiben?
Ich möchte auch - es muß hier einmal gesagt werden - an den gleichfalls in dieser Grundsatzerklärung enthaltenen Absatz erinnern, wo es heißt, die Bundesregierung werde prüfen, in welcher Weise die derzeit aus den Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanzierte Förderung der beruflichen Ausbildung in Betrieben oder überbetrieblichen Einrichtungen usw. künftig in das System der individuellen Ausbildungsförderung integriert werden kann. Bei der Verabschiedung eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes muß, meine ich, klar sein, daß dieses große und wichtige Problem noch vor uns steht und nicht außer acht gelassen werden darf.
Das gleiche gilt für die Einbeziehung einiger Gruppen. Wir werden gleich noch unseren Antrag in bezug auf die Behinderten stellen. Wir meinen, daß sie jetzt schon ganz speziell in diese Förderung mit besonderen Förderungsbestimmungen hineingehören und nicht nur in einen Entschließungsantrag. Sie haben selber soeben gesagt, daß die Förderungsbestimmungen für die Ausländer auch noch haben zurückgestellt werden müssen.
Aber lassen Sie mich noch etwas zum finanziellen Rahmen sagen. Der Ausschuß stand bei seinen Beratungen ständig unter dem Druck der finanziellen Misere, der auch in der Geringfügigkeit der Anhebung der Förderungssätze zum Ausdruck kommt. Sie beträgt im Schnitt etwa 5, manchmal 6 %; sie zieht also gerade noch im Schnitt das nach, was an Teuerungsraten bei den Lebenshaltungskosten zu verzeichnen gewesen ist.
Die Erhöhung der Freigrenzen ist verschieden, bei einigen vielleicht ganz befriedigend, im Durchschnitt aber gerade so, daß die gestiegenen Lohn- und Gehaltserhöhungen knapp aufgefangen werden.
Eine Verbesserung ist immerhin bei der Anrechnung von Vermögen vorhanden, wo Härten und Ungereimtheiten ausgeräumt werden konnten. Wir stellen auch die erfreuliche Tatsache fest, daß unser Antrag auf Erhöhung des Freibetrages bei den Waisenrenten, wenn auch nicht in voller Höhe zum Zuge gekommen ist, so doch zu einer Verbesserung der Freibeträge bei den Waisenrenten von 70 auf 90 DM geführt hat. Das ist einstimmig beschlossen worden.
Frau Schroeder ({1})
Der springende Punkt ist aber doch der: dieses Gesetz mit seinen unerfüllten Erwartungen ist das traurige Ergebnis der verlorengegangenen Stabilität. Das müssen wir doch hier einmal ganz deutlich feststellen.
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Die Alternative Stabilität oder Reformen, die uns hier in den Finanzdebatten häufig vorgestellt worden ist, stimmt einfach nicht.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Eilers? -- Bitte!
Frau Kollegin Schroeder, da Sie gerade wieder einmal, wie in jeder Debatte, diese Sorge an die Wand zu malen versuchen, darf ich Sie fragen: was hat Sie dazu veranlaßt, Anträge mit Kosten von zusätzlich 1 085 Millionen DM zu stellen, die Sie dann allerdings gestern abend, nach der Debatte vom gestrigen Tage, wie ich vermute, zurückgezogen haben? Ist das die Stabilitätspolitik, die Sie betreiben wollen?
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Frau Kollegin Eilers, die Zahlen, die mir später auf diesem Blatt gezeigt worden sind, halte ich für nicht begründet.
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Wir haben aber alle Anträge, bei denen wir die Kosten wegen des fürchterlichen Zeitdrucks nicht genau prüfen konnten, zurückgestellt und uns eben im Interesse der Stabilität auf die wenigen Anträge beschränkt. Wenn aber die Stabilität - ich habe das vorhin schon in bezug auf den Entschließungsantrag gesagt - nicht verlorengegangen wäre, ständen wir heute anders da und hätten hier wahrscheinlich ein anderes Gesetz schaffen können.
Hier zeigt sich doch sehr deutlich: wenn einmal die Stabilität ins Wanken gerät, zerrinnen einem auch die fest eingeplanten Reformen unter den Händen. Wir haben uns bemüht, den finanziellen Rahmen nicht über Gebühr zu erweitern, und vieles zurückstellen müssen. Es muß aber gesagt werden, daß dies durchaus auch eine Folge der Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist.
Auf die Weiterentwicklung des Gesetzes hat die Bevölkerung hohe Erwartungen gesetzt, gerade weil die Regierung landauf, landab die Chancengerechtigkeit für die Ausbildung als ihr Grundanliegen proklamiert hat. Auch ich sage: dies ist das Grundanliegen der Gesellschaftspolitik unserer Zeit. Aber wir möchten diese Chancengerechtigkeit nicht nur als Maxime proklamiert sehen, sondern wir möchten sie auch Schritt für Schritt durchgeführt sehen. In der öffentlichen Anhörung haben wir die Enttäuschung sehr deutlich zu hören bekommen. Wir alle wissen um die politische Gefahr, die entsteht, wenn Erwartungen, gerade bei jungen Menschen, enttäuscht werden. Nach unserer Meinung entläßt uns dieses Gesetz in keinem Fall aus der
Aufgabe, die Ausbildungsförderung weiter zu entwickeln, sobald dies eben möglich ist. Chancengerechtigkeit ist eben eine ernst zu nehmende Priorität. Deshalb befriedigt uns dieses Gesetz nicht.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller. Seine Fraktion hat für ihn 25 Minuten beantragt.
Bevor Herr Abgeordneter Spitzmüller das Wort nimmt, darf ich Ihnen sagen, daß wir vor folgendem Problem stehen. Für die Begründung all der Anträge liegt eine Fülle von Wortmeldungen vor. Aber wir haben uns darauf geeinigt, daß wir nach 18 Uhr keine Abstimmungen mehr vornehmen. Ich wäre dankbar, wenn wir uns alle darauf einstellen könnten, mit den Abstimmungen bis 18 Uhr fertig zu werden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ausführungen von Frau Kollegin Schroeder machen deutlich, daß viele Erwartungen, die man an dieses Gesetz geknüpft hat, nicht eingehalten werden konnten, Erwartungen, die in erster Linie auch durch den Entschließungsantrag des Jahres 1969 geweckt wurden. Ich glaube, wir müssen uns alle einmal vergegenwärtigen, daß wir zwar bei Gesetzesänderungsanträgen immer auch in letzter Stunde noch den Haushaltsausschuß einschalten, um die finanziellen Auswirkungen überprüfen zu lassen, aber bei Entschließungsanträgen, die wir annehmen, nicht so verfahren. Damit entsteht die Situation, daß durch Entschließungsanträge, bei denen Zukunftsabsichten verkündet werden, natürlich Erwartungen geweckt werden, die in ihrer finanziellen Auswirkung nicht schon vorher überprüft sind. Dasselbe gilt für den Entschließungsantrag, den die CDU heute vorlegt. Das ist kein Vorwurf, sondern einfach eine Feststellung.
Wenn wir also vor der Situation stehen, daß viele in der Bundesrepublik ein bißchen enttäuscht sind, weil durch die vielfältigen Reden der Politiker aller Schattierungen die Erwartungshorizonte sehr hoch gespannt worden sind oder werden, dann sollten wir vielleicht einmal überlegen, ob wir uns in Zukunft nicht auch bei Entschließungsanträgen vorher eine ungefähre Kostenanalyse geben lassen sollten, damit wir wissen, was die Verwirklichung des Entschließungsantrags kosten wird. Ich glaube, mancher Entschließungsantrag würde dann hier zumindest in abgeschwächter Form vorgelegt und verabschiedet werden.
Dieses Gesetz hat eine etwas längere Vorgeschichte als der Entschließungsantrag des Jahres 1969. Die erste Initiative ging von der sozialdemokratischen Fraktion aus und scheiterte dann ausgerechnet am Widerstand der sozialdemokratisch regierten Länder, die unter Berufung auf die Kulturhoheit Angst hatten, bereits bestehende fortschrittliche Lösungen eventuell zurückschrauben zu müssen. Den nächsten Anlauf unternahm die rechte Seite des Hauses, die Freien Demokraten, im letzten Bundestag. Die SPD, eingebettet in die Große
Koalition, zog, wenn auch in anderer Form, mit. Nolens, volens kamen wir alle drei dann doch noch 1969 zum Ersten Ausbildungsförderungsgesetz. Damit war im Prinzip die Linie für die weitere Entwicklung vorgezeichnet, nämlich erstens die inhaltliche Abstimmung der materiellen Ausbildungsförderung in den verschiedenen Förderungsbereichen und Kategorien einschließlich einer allgemeinen Verbesserung dieser Leistungen und zweitens die rechtliche Zusammenfassung in einem einheitlichen und umfassenden Gesetz.
Die unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen Gesetzgebungsbereichen, in der Kategorialförderung, nach dem Honnefer und dem Rhöndorfer Modell einerseits und nach dem Anlauf im Sekundärbereich mit dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz in der vergangenen Legislaturperiode andererseits, bringt für die Verwirklichung dieser erwähnten Zielsetzungen, über die wir uns in diesem Hause 1969 alle einig waren, außerordentliche Schwierigkeiten mit sich. Wie groß diese Schwierigkeiten waren, haben die Mitglieder des Ausschusses für Jugend, Familie ,und Gesundheit sowie des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft wahrhaftigen Gottes am eigenen Leibe verspürt.
Meine Damen und Herren, das vorliegende Ergebnis zeigt doch, daß der federführende Ausschuß wie die mitberatenden Ausschüsse Prestigegesichtspunkte, dogmatische Erwägungen weitgehend in den Hintergrund gerückt und der Sache zuliebe versucht haben, zu praktikableren Reglungen und bei Berücksichtigung aller Gegebenheiten, auch nach Lage des Haushalts zu optimalen Lösungen zu kommen. Wir haben uns dabei von dem Grundgedanken leiten lassen, daß es in erster Linie darauf ankommt, die materiellen, also die finanziellen Hilfen dem betroffenen Personenkreis zugute kommen zu lassen, und erst in zweiter Linie darauf, in welcher Form, d. h. durch welche Institutionen, dies geschieht.
Ich darf dabei insbesondere die Regelung ansprechen, wonach die Studenten im tertiären Bereich weiterhin zunächst bei den Studentenwerken verbleiben, und zwar trotz der schlechten Berichte, die von 1967 und früher vorliegen. Aber wir mußten auch zu einer solchen offenen Übergangslösung schreiten, weil uns der Deutsche Städtetag sehr klar und deutlich gemacht hat, daß die Uni-Städte weder räumlich noch finanziell, noch personell in der Lage seien, diese Aufgabe sofort und in vollem Umfang zu bewältigen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang abkürzend sagen, daß der Kollege Hauck ja bereits auf eine ganze Reihe von materiellen Veränderungen gegenüber dem Regierungsentwurf, die als Verbesserungen anzusehen sind, hingewiesen hat. Wir haben diese Veränderungen und Verbesserungen im Ausschuß weitgehend gemeinsam erarbeitet. Ich erinnere an die fünf Punkte, die auch im Schriftlichen Bericht aufgeführt sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Freien Demokraten wissen ganz genau, daß trotz dieser Veränderungen jene Hoffnungen und Erwartungen bei weitem nicht befriedigt oder gar erfüllt werden, die ursprünglich an ein solches Gesetz geknüpft worden sind. Es ist jedoch in diesem Bereich genauso wie in anderen: die Wünsche und Erwartungen wachsen schneller als die Möglichkeiten, sie zu befriedigen. Ein Großteil der jeweiligen Unzufriedenheit hat seine Wurzeln darin. Wir müssen doch eingestehen, daß wir das Wünschenswerte und manchmal sogar auch das Notwendige mit diesem Gesetz da und dort nicht erreicht haben, weil wir uns an der Haushaltsdecke gestoßen haben. Das bekennen wir klar und ehrlich. Ich glaube aber für die FDP sagen zu können, daß wir das finanziell, haushaltspolitisch und volkswirtschaftlich Mögliche getan haben. Wir sind überzeugt, daß niemand - auch bei härtester sachlicher Kritik - letzten Endes bestreiten kann, daß mit diesem Gesetz trotz allem ein weiterer Schritt zur Chancengleichheit für viele junge Menschen nach vorn getan wird.
Es ist nicht zu verhehlen, daß das Schiff eines allgemeinen Ausbildungsförderungsgesetzes mehr als einmal an gefährlichen Klippen zu zerschellen drohte. Es gab nicht wenige Stimmen, die sich im Hinblick auf einige schmerzhaft empfundene Korrekturen in Teilbereichen, d. h. im Hinblick auf Abstriche und Kürzungen dafür aussprachen, lieben alles beim alten zu belassen. Das hätte jedoch die Gefahr heraufbeschworen, daß die Gesamtinteressen und Notwendigkeiten einer allgemeinen Ausbildungsförderung langfristig dem Egoismus von Teilbereichen untergeordnet oder gar geopfert worden wären. Das wollen wir, glaube ich, durch die Verabschiedung dieses Gesetzes mit allen seinen kritischen Punkten, auf die Frau Schroeder hingewiesen hat, verhindern. Das ist der Kernpunkt, das ist das Entscheidende an diesem Gesetz. Ich glaube, in dieser Hinsicht sind wir uns sogar einig. Die Koalitionsfraktionen haben die genannte Unterordnung der Interessen einer allgemeinen Ausbildungsförderung nicht für vertretbar gehalten und deshalb diesen Gesetzentwurf als einen im Ausschuß erarbeiteten Kompromiß vorgelegt.
Es wird nicht zu Unrecht bemängelt, daß im Hochschulbereich die Zusammensetzung der Studentenschaft der sozialen Herkunft nach sehr einseitig ist. Man kann, von der sozialen Struktur her gesehen, sagen, daß die Begabungsreserven keineswegs voll und unabhängig davon, wo sie vorhanden sind, ausgeschöpft werden. Es ist unbestritten, daß es gesellschaftspolitisch kein erwünschter Zustand ist, daß sich die jeweiligen Berufsgruppen auch in ihrer sozialen Schichtung an den Hochschulen mehr oder weniger aus sich selbst rekrutieren. Dies führt nicht nur zur gesellschaftlichen Immobilität mit einer Verkrustung in ständestaatlicher Richtung, sondern auch zu sozialen Spannungen und Auseinandersetzungen, und zwar auf Grund eines konstanten und permanenten, d. h. eines konservierten Einkommens- und Bildungsgefälles. Diesen Gefahren können wir nur begegnen bzw. solche Zustände können wir nur überwinden, wenn der Sekundarbereich, d. h. der Bereich der weiterführenden Schulen, wie es durch dieses Gesetz geschieht, schwergewichtig in die Förderung einbezogen wird und wenn das in der Zukunft, sofern der Haushalt es gestattet, noch viel
schwergewichtiger geschieht. In diesem Punkte sind wir mit Ihnen einer Meinung, Frau Schroeder.
Meine Damen und Herren, die inhaltliche Reform unseres Bildungswesens steht aber noch aus. Wir müssen daher von dem jetzigen Zustand ausgehen. Von daher gesehen haben wir durchaus Verständnis für das, was Sie vorgetragen haben, Frau Kollegin Schroeder. Wir müssen uns aber an den finanziellen Größen orientieren. Sie werfen uns ja ohnehin schon vor, wir gäben zuviel Geld aus. Und hier sollen wir nun auf einmal noch mehr Geld ausgeben. Das beißt sich ein bißchen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Josten?
Herr Kollege Spitzmüller, vielleicht haben Sie das Protokoll über die Verabschiedung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes von vor zwei Jahren gelesen. Damals ist Ihr Kollege Moersch als Sprecher Ihrer Fraktion für die familienunabhängige Förderung eingetreten. Darf ich Sie fragen, ob Sie diesen Standpunkt auch heute noch vertreten, oder war das nur eine einzelne Äußerung? Damals hat sich Herr Moersch auf einen Beschluß Ihres Parteitages bezogen.
Herr Kollege Josten, ich kann Ihnen darauf eine klare Antwort geben: Natürlich sind wir für eine familienunabhängige Ausbildung als Ziel. Aber wir wissen ganz genau, daß wir vielleicht ein Jahrzehnt, vielleicht sogar mehr als ein Jahrzehnt brauchen, um diesen Zielpunkt zu erreichen. So unwissend sind wir doch nicht, als daß wir nicht wüßten, daß dies ein langer Weg ist.
Entscheidend ist nur, daß das Ziel angesprochen ist. Ob Sie das familienunabhängig nennen, wie wir und die Sozialdemokraten es tun, oder ob Sie das ein bißchen anders formulieren, wie dies Herr Rollmann im Ausschuß immer ganz besonders geschickt getan hat, was aber letztendlich auf die selbstentscheidende Eigenverantwortung des Studierenden hinausläuft, ist gleichgültig. Das sind, glaube ich, Streitigkeiten um Worte. Die CDU verwendet das Wort „familienunabhängig" nicht gern. Aber was uns Herr Rollmann vorgetragen hat, war im Ergebnis nichts anderes als eine familienunabhängige Förderung.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine zweite Zusatzfrage?
Gern. Aber noch weitere Zusatzfragen möchte ich mit Rücksicht auf Ihre Ermahnung dann nicht zulassen.
Ihr Kollege Moersch hat darauf hingewiesen, daß in diesem Zusammenhang das Finanzielle nicht das Ausschlaggebende sei. Ist dabei auch berücksichtigt, daß die Freibeträge bei den Eltern wegfielen und deshalb eine Realisierung der familienunabhängigen Förderung durchaus möglich wäre? Das ist die Forderung, die heute von
Tausenden von Studenten in der Bundesrepublik erhoben wird.
Das „Finanzielle" betraf das Finanzielle im Elternhaus, aber nicht das Finanzielle der Haushaltslage. Ich glaube, das muß man unterscheiden. Wenn solche Mißverständnisse aufgetreten sind, ist das natürlich bedauerlich. Wir wissen doch: Herr Kollege Moersch spricht nicht nur sehr schnell, sondern meistens auch frei.
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Beim schnellen Reden ist es manchmal ein bißchen schwierig, sich zu überlegen, ob eine klare Aussage unter Umständen nicht doch von den Betroffenen mit einer ganz bestimmten schwergewichtigen Ladung nach der anderen Seite hin versehen wird. Herr Kollege Josten, wir sollten diese Schlagseite durch diese Debatte nicht noch vertiefen, sondern klar sehen, daß das Finanzielle, nämlich die finanzielle Situation der Eltern, dann keinen Ausschlag mehr gibt. Aber daß die finanzielle Haushaltslage dabei natürlich eine entscheidende Rolle spielen kann, hat Herr Moersch damals mit Sicherheit nicht mit einer Hand wegwischen wollen.
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Nunmehr möchte ich auf die Rolle der Opposition bei diesem Gesetz zu sprechen kommen. Ich habe den Eindruck, daß sich die CDU/CSU-Opposition auch bei diesem Gesetz ihrer charakteristischen Praxis als Opposition treu geblieben ist, indem sie sich zu diesem Thema mit mehreren Zungen äußerte. Hatte man zunächst den Eindruck, als wüßte die Linke nicht, was die Rechte sagte oder tat, bestätigte sich bei näherem Hinsehen der Verdacht, daß in den jeweiligen Bereich hinein so gesprochen wurde, wie es dieser Bereich gern hörte. Mit verantwortungsvoller Politik hat dies jedoch nicht mehr allzuviel zu tun.
Daß dieser Eindruck nicht falsch ist, hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Barzel, dieser Tage selbst bestätigt. In der „Welt" vom 21. Juni wird von einer Tagung in Gelsenkirchen berichtet, auf der Herr Barzel unter anderem nach schweren Angriffen auf die Regierung, wofür ich volles Verständnis habe - das ist seine Aufgabe als Oppositionsführer - festgestellt hat, nur müsse die Partei - nunmehr folgen in der „Welt" Anführungsstriche, und ich nehme an, die „Welt" berichtet, wenn sie für die CDU Anführungszeichen verwendet, korrekt - „in den Prinzipien klarer und zuverlässiger und in der Praxis solider werden". - Dies ist doch eine Selbsterkenntnis, der wir Freien Demokraten und auch die Sozialdemokraten sicherlich nur zustimmen können.
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Meine Damen und Herren von der CDU/CSU- Opposition, Sie haben heute Gelegenheit, von der erwähnten Praxis zweier Jahre abzugehen und den Erkenntnissen Ihres Fraktionsvorsitzenden bei diesem Gesetz die Tat folgen zu lassen. Das Bekenntnis zu klaren Prinzipien und zu solider Praxis bleibt
nämlich ein reines Lippenbekenntnis, wenn es sich auf dem Prüfstand der Gesetzesentscheidungen nicht von Fall zu Fall bewährt. Die Vielfalt der Argumentation bei den Forderungen einzelner Mitglieder der CDU und sogar der Fraktion in der Öffentlichkeit und im Ausschuß hat bis zur Stunde nicht erkennen lassen, was die CDU wirklich will. Wir haben bis zur Stunde den Eindruck, daß sie nach dem alten Motto Konrad Adenauers handelt: Niemand ist daran gehindert, täglich klüger zu werden. Aber Sie, meine Damen und Herren, wurden im Ausschuß in einem Ausmaße täglich klüger - und haben im Ausschuß eine Fülle von Intentionen in den Raum gestellt -, daß es gar nicht mehr möglich war, so schnell zu beantworten, welche finanziellen Wirkungen dies habe, geschweige denn wo die Deckung dafür zu finden sei. Haben Sie Verständnis, daß wir nur verantwortungsvoll handeln konnten, um nicht leicht und fahrlässig Ihren teilweise glänzenden Intentionen zu folgen, sondern zu versuchen, auf dem Boden der Haushaltsmöglichkeiten zu verbleiben.
Wie notwendig die Christlich-Demokratische Union es eigentlich hätte, sich klarer, zuverlässiger und solider zu den Prinzipien zu bekennen, zeigt sich am folgenden Beispiel. Gestern hat Herr Franz-Josef Strauß als Sprecher für Wirtschafts- und Finanzfragen ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Stabilität abgelegt. Zur selben Stunde wurden, unbemerkt von vielen Wirtschaftspolitikern, die Umdrucke 202, 203 ({3}) und 204 verteilt, die die Unterschriften „Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion" trugen. Im Haushaltsausschuß mußte man dann feststellen, daß die Verwirklichung dieser Anträge, die in dem Moment verteilt wurden, in dem das Parlament sich hier über die Stabilität auseinandersetzte, eine Milliarde und 85 Millionen mehr kosten würde. Das wäre eine hundertprozentige Steigerung gegenüber dem Haushaltsansatz.
Heute haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen. Das ist ein großer Fortschritt. Auf Umdruck 208 wird ersatzweise ein anderer Antrag mit nur noch fünf Änderungsvorschlägen gestellt, und dabei sind vier Vorschläge so geschickt, daß man die Kosten nicht errechnen kann. Lediglich bei dem fünften Vorschlag weiß man in etwa, daß er so an 60, 70 Millionen Kosten herankommen kann. Ich kann Ihnen nur gratulieren, daß Sie zu dieser Einsicht gekommen sind. Aber auch diese 60 oder 70 oder 80 Millionen werden im Haushalt nicht zu finden sein. Wenn Sie also den entsprechenden Erkenntnissen Ihres Vorsitzenden folgen wollen, dann haben Sie die Möglichkeit, zu einer gewissen inneren Einkehr zu kommen und in der dritten Lesung diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben in der sicheren Hoffnung und in der sicheren Absicht, als Opposition - wie wir und die SPD es früher als Opposition auch getan haben - die Regierung und die sie tragenden Parteien auf dem einmal begonnenen Weg voranzutreiben, so wie es die Haushaltslage einigermaßen rechtfertigt und zuläßt.
Meine Bitte an Sie lautet also: sagen Sie ja in der dritten Lesung zu diesem Gesetz! Denn Sie würden sich sonst praktisch von dem Weg abwenden, den
Sie im Ersten Ausbildungsförderungsgesetz bejaht haben. Bitte, bedenken Sie dies auch, wenn es in der dritten Lesung zur Abstimmung kommt.
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Präsident von Hassel: Das Wort hat Frau Bundesminister Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesem Gesetz hat es keine ausführliche erste Lesung gegeben. Ich muß deshalb um Verständnis dafür bitten, daß die Regierung zu ihrem Entwurf jetzt etwas sagen muß. Mit diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung versucht, das zur Zeit Mögliche zum weiteren Ausbau, zur Vereinheitlichung und Verbesserung der individuellen Ausbildungsförderung zu tun.
Der Entwurf, den wir heute beraten, ist in den letzten Wochen und Tagen heftig angegriffen worden. Ich muß deshalb einiges klarstellen.
Auch die Bundesregierung hätte gern einen größeren Schritt zur Familienunabhängigkeit hin getan und vor allem gern weitere Gruppen von Auszubildenden in die Förderung einbezogen. Dem schiebt aber die notwendigerweise stabilitätsorientierte Haushaltspolitik einen Riegel vor.
Wenn heute zu Recht die Verbesserung der individuellen Ausbildungsförderung von allen Seiten gefordert wird, so dürfen wir nicht vergessen, daß auch die Einrichtungen des Bildungswesens und ihre Ausstattung, also die institutionelle Ausbildungsförderung, erhebliche Mittel der Länder und auch des Bundes erfordern. Ich muß deshalb eindeutig und ehrlich sagen, meine Damen und Herren, daß die voll familienunabhängige und voll kostendekkende Ausbildungsförderung in diesem Jahrzehnt ganz sicher nicht zu finanzieren sein wird.
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- Herr Josten, Sie haben vorhin durch Ihre Zwischenfrage bewiesen, daß Sie anders rechnen. Die Beseitigung der Freibeträge bringt nämlich nicht mehr Geld. Die Ausbildungsförderung würde dann nicht mindestens genausoviel, sondern im Gegenteil wesentlich mehr kosten. Weitere Schritte dahin wollen und werden wir im Einklang mit den finanziellen Möglichkeiten und unseren bildungs-, sozial-und familienpolitischen Bemühungen gehen.
Mit der individuellen Ausbildungsförderung, die dieses Gesetz vom 1. Oktober 1971 an weiter ausbaut, steht die Bundesrepublik Deutschland in Europa sehr weit vorn, mit der Zuschußleistung vermutlich sogar an der Spitze. Ebenso deutlich möchte ich sagen, daß die Bundesregierung in den §§ 2, 8 und 65 des Entwurfs verbindliche Prioritäten für die Weiterentwicklung der individuellen Ausbildungsförderung sieht. Das heißt, erst muß die Einbeziehung der Berufsfachschulen ohne Realschulabschluß, des 10. Schuljahres und der Gastarbeiterkinder möglich sein, ehe eine stärkere Berücksichtigung der Fort- und Weiterbildung und der Zweitausbildung erfolgen kann sowie eine weitere Verbesserung der
Situation der Auszubildenden im Ausland und eine Verbesserung der Unterhaltssicherung der Angehörigen von Auszubildenden verwirklicht werden kann.
Den Vorschlag, für die Weiterentwicklung auch Darlehnsmodelle zu entwerfen und durchzurechnen, greifen wir gern auf; wir sind schon dabei. Trotz mancher Vorbehalte kann das ein Weg zur stärkeren Familienunabhängigkeit sein, solange und soweit die darlehensfreie, familienunabhängige Förderung nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren, die Kritik an dem Gesetzentwurf hat sich vor allem an den behaupteten Verschlechterungen der bisherigen Studienförderung nach dem Honnefer Modell entzündet. Ich muß leider sagen, in dieser Diskussion hat die Sachlichkeit manchmal bekümmert in der Ecke gestanden. Zunächst einmal darf ich daran erinnern, daß alle mit individueller Ausbildungsförderung Befaßten und durch sie Betroffenen die Zersplitterung der Ausbildungsförderung stets bitter beklagt und Ironie und Zorn über die 30 his 37 Töpfchen ausgegossen haben, aus denen teils mehr, teils weniger stark Mark und Pfennige für die Ausbildungsförderung flossen. Alle Fraktionen des Bundestages haben deshalb in ihren Entwürfen für ein Ausbildungsförderungsgesetz, aus denen dann gegen Ende der vorigen Legislaturperiode das Erste Ausbildungsförderungsgesetz entstanden ist, eine einheitliche Ausbildungsförderung vorgesehen. Bei der Vielzahl der Regelungen und bei der durch kein Parlament kontrollierten Entwicklung der Studienförderung teils aus Bundes-, teils aus Landesmitteln, die natürlicherweise ganz allein auf die Bedürfnisse von Studierenden zugeschnitten war, ließen sich beträchliche Unterschiede nicht vermeiden. Es war wirklich kaum möglich, einen Überblick über alle einschlägigen Regelungen zu behalten und die jeweils eigenen Regelungen mit anderen zu koordinieren. Bei dieser Ausgangslage war es ebensowenig möglich, alle bisherigen Regelungen mit all ihren Verästelungen voll in das neue Gesetz zu übernehmen.
Einige Verbesserungen gegenüber dem ersten Gesetz aus der vorigen Legislaturperiode, wie sie bereits im Regierungsentwurf standen, möchte ich noch unterstreichen. Der Freibetrag für die Eltern Auszubildender mit einem Kind wird von 750 auf 850 DM angehoben; bei mehreren Kindern gilt das entsprechend. Die Bedarfssätze für Schüler von Fachschulen, Berufsaufbauschulen, Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs werden um 20 DM angehoben. Die Vermögensanrechnung wird weitgehend beseitigt. Die Einkommensanrechnung wird stark vereinfacht. Auch im sekundären Bereich wird eine Ausbildung im Ausland in angemessenem Umfang gefördert. Endlich sind auch Fernunterrichtskurse in die Förderung einbezogen.
Zum Verhältnis von Honnefer Modell zu Berufsausbildungsförderungsgesetz nur ein paar Bemerkungen zur Illustration. Die verfassungsrechtliche Grundlage für Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern zur Förderung von Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik
Deutschland und in West-Berlin - so ist der volle Name des Honnefer Modells - war immer etwas wackelig. Seit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, das uns den Artikel 104 a brachte, ist sie vollends eingeknickt. Herr Kollege Hauck hat schon darauf hingewiesen. Nur durch Bundesgesetz darf also nach Abs. 3 dieses Artikels der Bund, wie bekannt, eine Mitfinanzierung vornehmen, wenn von den Ländern ein Gesetz durchzuführen ist. Es war daher notwendig, das Honnefer Modell, dessen Schrittmacherfunktion und gute Dienste man hier auch noch einmal unterstreichen muß, in den Schrank der auslaufenden Modelle zu tun und die Studienförderung auf eine stabile gesetzliche Grundlage zu stellen.
In den Bewilligungsbedingungen zum Honnefer Modell in der Fassung vom November 1970 heißt es:
Es soll hiermit eine Auslese von Begabten unter den Studenten gefördert werden, die einer wirtschaftlichen Hilfe bedürfen.
Und an anderer Stelle:
Die Förderungen werden ohne Rechtsanspruch gewährt.
Und wieder an anderer Stelle:
Geeignet ist der Student, der gute Leistungen zeigt oder erwarten läßt.
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz gibt dagegen jedem für die von ihm gewünschte Ausbildung Geeigneten einen Rechtsanspruch auf Förderung, wenn es seine wirtschaftliche Lage erfordert.
Auch bei der Förderung nach dem Honnefer Modell hat sich allmählich der Grundsatz der Förderung bei schlichter Eignung durchgesetzt. Das Mißverhältnis zwischen den Bewilligungsbedingungen und der Bewilligungspraxis, das jeden Vergleich und jede Angleichung an andere gesetzliche Förderungssysteme so schwer macht, wird an diesem Beispiel deutlich. Es heißt in diesen besonderen Bewilligungsbedingungen an anderer Stelle:
Die Dauer und das Ausmaß des Beitrages der Unterhaltsverpflichteten sowie der Stiefeltern richten sich nicht nach den Bestimmungen des BGB über die Unterhaltspflicht. Ob die Unterhaltsverpflichteten wirklich einen Beitrag leisten, ist unerheblich.
Nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz wird Ausbildungsförderung geleistet, wenn der Auszubildende keinen Unterhaltsanspruch hat, weil der Unterhaltsverpflichtete nicht unterhaltsfähig ist. Aber selbst wenn ein Unterhaltsanspruch besteht und durchsetzbar ist, muß vorgeleistet werden, wenn die Unterhaltsverpflichteten tatsächlich nichts leisten. In solchen Fällen kann der Unterhaltsanspruch übergeleitet werden. Wir wollen dazu im Verwaltungsverfahren regeln, daß die Überleitung nicht geschehen soll, wenn jedoch erhebliche familiäre Spannungen zu befürchten sind.
Nach den besonderen Bewilligungsbedingungen des Honnefer Modells bleiben vom eigenen Einkommen des Geförderten 125 DM monatlich frei. Bezieht ein Geförderter nur eine Waisenrente, bleiben davon auch 125 DM frei. Hat er ein Arbeitseinkom7682
men, bekommt er einen Bleichhohen Freibetrag, auch wenn er im Elternhaus leben kann. Das ist eine Regelung, deren soziale Gerechtigkeit wirklich schwer einzusehen ist.
Das Bundesausbildungsförderungsgesetz hat nun in der Fassung der Ausschußvorlage neben dem allgemeinen Freibetrag von 125 DM den Freibetrag für Waisen auf 90 DM zusätzlich zur Abgeltung der besonderen Aufwendungen, die ihnen aus dem Fehlen des Elternhauses in aller Regel entstehen, erhöht.
Ich will hier nicht verschweigen, daß zwei Regelungen in den besonderen Bewilligungsbedingungen des Honnefer Modells für eine sehr kleine Gruppe von Geförderten günstiger sind als das neue Recht: der einheitliche Freibetrag für Kinder von 270 DM, während das Bundesausbildungsförderungsgesetz bei Kindern unter 15 Jahren nur 200 DM gewährt, weil eine Altersdifferenzierung im gesamten bürgerlichen und öffentlichen Unterhaltsrecht üblich ist. Eltern, deren einziges Kind der Geförderte ist, kommt nach den besonderen Bewilligungsbedingungen der allgemeine Freibetrag von 50 % des Einkommens über der Einkommensgrenze zugute, während im Bundesausbildungsförderungsgesetz ein Betrag von 40 % zuzüglich 5 % für jedes Kind vorgesehen ist, also eine Differenz von 5 %. Aber ich meine, die Regelung im Bundesausbildungsförderungsgesetz ist entschieden familienfreundlicher und wird dem höheren Eigenbedarf von Eltern mit mehreren Kindern eher gerecht. Ich begrüße es sehr, meine Damen und Herren, daß die Ausschußvorlage zur Vermeidung individueller Härten durch solche unterschiedliche Regelungen eine Besitzstandswahrungsklausel enthält.
Eine Bemerkung will ich noch zu einem besonders verletzenden Vorwurf machen, der leider immer wieder kolportiert worden ist: dem Vorwurf, das Ministerium habe die notwendigen Finanzmittel für stärkere Verbesserungen anzufordern vergessen.
({1})
- Ich sage das nicht zu Ihnen, aber wenn Sie sich damit identifizieren wollen - bitte!
Wir alle wissen, wie solche Gerüchte in die Welt Besetz werden und dann immer wieder erscheinen. Aber es trifft diejenigen ganz besonders hart, die sich wie der Kollege Westphal und ich in allen Phasen der mittelfristigen Finanzplanung um möglichst hohe Beträge für die Ausbildungsförderung bemüht haben, sich aber, wie in anderen Fällen und bei anderen Ministerien auch, der Notwendigkeit einer verantwortungsbewußten Finanzplanung beugen mußten.
Ein Wort, meine Damen und Herren, schließlich noch zur Durchführung des Gesetzes. Die besonderen Bewilligungsbedingungen des Honnefer Modells sagen klar:
Die Verantwortung für die Durchführung der Studienförderung nach diesen Bestimmungen trägt die Hochschule. Sie nimmt ihre Verantwortung durch die von ihr bestellten Förderungsausschüsse und den Hauptförderungsausschuß wahr.
Und sie sagen:
Die Förderungsausschüsse entscheiden unter Berücksichtigung der Eignung und der Bedürftigkeit des Studenten über seine Aufnahme in die Förderung nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Das Studentenwerk bereitet die Entscheidung der Förderungsausschüsse vor.
Auch im Bundesausbildungsförderungsgesetz sollen bei allen ausbildungsorientierten Entscheidungen, die in erster Linie den Auszubildenden selbst angehen, Förderungsausschüsse mitwirken, die bei den Hochschulen einzurichten sind und in denen wie bisher Hochschullehrer, Studenten und Vertreter der durchführenden Instanzen zusammenarbeiten. Die wirtschaftlich orientierten Entscheidungen aber, die Auszubildende und Eltern gleichermaßen angehen, sollen Behörden treffen, die unmittelbar der Kontrolle von Parlamenten unterliegen, die von allen Betroffenen, nämlich von der gesamten Bevölkerung, gewählt werden und nicht nur von den Auszubildenden selbst.
Eines möchte ich noch betonen dürfen. Die Ausschüsse des Bundestages haben eine andere Regelung für die Durchführung des Gesetzes beschlossen, als es die Regierungsvorlage vorsah, vor allem um das Anlaufen des Gesetzes nicht durch einen Wechsel von Zuständigkeiten zu erschweren. Ich habe dafür volles Verständnis. Wer sich allerdings die Fülle von Ausnahmeregelungen in § 45 dieser Vorlage ansieht, darf sagen: Hoffentlich funktioniert das reibungslos!
Die Bundesregierung wird, wie ihr aufgetragen ist, rechtzeitig vor dem Ende der Übergangszeit über alle mit der Durchführung des Gesetzes zusammenhängenden Fragen dem Deutschen Bundestag berichten und ohne jede Voreingenommenheit nach gründlichem Meinungsaustausch mit allen Beteiligten ihre Vorschläge für die endgültige Zuständigkeit machen. Bis zur Gewährung der ersten Leistung nach dem neuen Gesetz bleibt noch viel zu tun, obwohl dafür nur wenig Zeit ist. Es ist dies übrigens, meine Damen und Herren, das darf man auch einmal sagen, eines der ersten Gesetze, das von vornherein für eine Leistungsberechnung durch elektronische Datenverarbeitung konzipiert ist und auch so durchgeführt wird.
Ich habe Veranlassung, nach der stets sehr erfreulichen Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des Entwurfs, der wir eine Fülle von Anregungen verdanken, an die Länder zu appellieren, das Gesetz jetzt nicht wegen der unterschiedlichen Auffassungen über die Finanzierung scheitern zu lassen. Ich appelliere auch an alle Mitarbeiter, die in den Ämtern für die Ausbildungsförderung an den Hochschulen und in den Studentenwerken arbeiten, wie bisher alle Begünstigten ausführlich zu beraten und ihnen bei der Erfüllung ihrer Ansprüche zu helfen, soweit der Rahmen des Gesetzes das zuläßt.
Meine Damen und Herren, ich möchte aber vor allen Dingen den Mitgliedern der mitberatenden Ausschüsse und des federführenden Ausschusses
herzlich für die außerordentliche Anstrengung danken; denn sie allein hat es ermöglicht, daß das Gesetz heute verabschiedet wird. Ich bin sehr dankbar, daß sich Herr Kollege Hauck auch bei unseren Mitarbeitern im Ministerium bedankt hat; sie haben es nämlich wirklich verdient.
({2})
Präsident von Hassel: Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Aussprache in der zweiten Lesung liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich darf Sie bitten, zunächst einmal die Ausschußvorlage Drucksache VI/ 2352, alsdann die Umdrucke 202 und 204 sind zurückgezogen - die Anträge Umdruck 203 und 208 zur Hand zu nehmen.
Zunächst stimmen wir über § 1 in der Fassung der Ausschußvorlage ab. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -- Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 2 auf und bitte Sie, den Umdruck 208 zur Hand zu nehmen. Aus diesem Umdruck rufe ich die Ziffer 1 auf. Zur Begründung des Antrags unter Ziffer 1 hat der Abgeordnete Köster das Wort.
Bevor ich ihm das Wort erteile, mache ich darauf aufmerksam, daß wir übereingekommen waren, nach 18 Uhr nicht mehr abzustimmen. Ich habe noch 14 Wortmeldungen. Ich darf die Kollegen bitten, sich möglichst kurz zu fassen. Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Köster; ihm folgt der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz: Wir stellen den Antrag, daß der letzte Halbsatz in § 2 Abs. 3 folgende Fassung erhält:
wenn deren Ausbildung der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Ausbildungsstätten gleichwertig ist.
Ziel unseres Antrages ist es, auch den jungen Menschen eine Ausbildungschance und Ausbildungsförderung zu geben, die durch den Besuch von Bildungseinrichtungen der Gemeinden und freien Träger - wie Volkshochschulen, Heimvolkshochschulen und Landvolkhochschulen - Bildungsziele erreichen wollen, die der Ausbildung der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Ausbildungsstätten gleichwertig sind. Den Volkshochschulen sowie Berufs- und Standesorganisationen sollte für ihre Anstrengungen im Interesse der Studierenden des zweiten Bildungsweges dadurch gedankt werden, daß diesem Antrag zugestimmt wird.
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben bei der Beratung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 den Katalog der Ausbildungsstätten, an denen Ausbildungen gefördert werden können, erweitert durch den Begriff der „vergleichbaren Einrichtungen". Das stellt nach dem Gesetzestext und nach unserer Auffassung, die im federführenden und im Fachausschuß vorgetragen wurde, sicher, daß die Bildungsstätten, an denen sich im wesentlichen die Weiterbildung vollzieht und von denen Herr Kollege Köster gesprochen hat, in die Förderung einbezogen sind. Hier handelt es sich um Volkshochschulen, Heimvolkshochschulen und ähnliche Einrichtungen des öffentlich zu verantwortenden Bildungsbereichs. Es reicht aus, wenn wir diese Formulierung beibehalten. Wenn wir jetzt einzelne Ausbildungsgänge noch gesondert als förderungsbedürftig und förderungsfähig in das Gesetz einbeziehen würden, könnte die Gefahr bestehen, daß auch bei zahlreichen, oft sehr kleinen privaten Einrichtungen Prüfungen der Förderungswürdigkeit des einen oder anderen Kurses notwendig wären. Das aber ist nach der vorliegenden Fassung nicht notwendig; die Erweiterung des Katalogs reicht aus.
Wir haben ja auch durch die Einbeziehung des Fernstudiums überhaupt eine Erweiterung der Förderungsmöglichkeiten vorgenommen. Dabei hat sich gezeigt, daß sich die Ausbildungsförderung auch der Berufsförderung im übrigen Bereich der Weiterbildung und der Arbeitsförderung annähert, so daß sich das gut ergänzt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf die Änderung hinweisen, die sowohl heute morgen im Graduiertenförderungsgesetz als auch von den Ausschüssen für dieses Gesetz im Bereich der Hochbegabtenförderung vorgenommen worden ist. Durch diese Änderungen wird sichergestellt, daß die Hochbegabtenförderungswerke in der Lage bleiben, weiterhin ihre Arbeit zu leisten. Das geht neben den Titeln, die aus diesem Gesetz bedient werden. Es erscheint mir wichtig, auch das in diesem Zusammenhang hervorzuheben.
Präsident von Hassel: Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 208 unter Ziffer 1. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die Mehrheit sprach für Ablehnung; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung.
({0})
- Gut, also absatzweise Abstimmung! Ich wiederhole: Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung. Ich lasse über Abs. 1 abstimmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung einstimmig angenommen.
Ich rufe Abs. 2 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Abs. 3 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Präsident von Hassel
Ich rufe Abs. 4 auf. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Abs. 5! Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Einstimmig angenommen.
Ich rufe Abs. 6 aut. Wer stimmt zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe §§ 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, und 10 auf. - Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Eine Gegenstimme.
Ich mache darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß Ihnen vorhin eine Berichtigung vorgetragen worden war. Sie ist in die Abstimmung einbezogen worden. Ist das klar? - Gut.
Ich rufe § 11 auf. Ich bitte den Antrag Umdruck 208 Ziffer 2 zur Hand zu nehmen. Zur Begründung des Antrages der Abgeordnete Burger!
Meine Damen und Herren, ich begründe den Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 208. Diese Begründung gilt gleichzeitig für den Antrag unter Ziffer 4.
Nach dem Antrag sollen die besonderen Belastungen behinderter Jugendlicher, die sich einer weiterführenden Ausbildung unterziehen, angemessen berücksichtigt werden. Bereits das Arbeitsförderungsgesetz kennt einen besonderen Abschnitt für Behinderte, der sich sehr gut bewährt hat. Unbestritten ist die Tatsache, daß Jugendliche mit Funktionsverlusten unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen, großen Belastungen und mancherlei zusätzlichen Anstrengungen ihren Ausbildungsweg gehen müssen. Um diese Ungleichheit zu lindern, schlagen wir vor, die Freibeträge zugunsten der Schwerstbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % oder. mehr zu verdoppeln. Es handelt sich also um einen gezielten Vorschlag, der zwar nur eine kleine Gruppe schwerstbehinderter Jugendlicher trifft, die diese Förderung aber um so mehr verdienen, als sie mit überdurchschnittlichen Anstrengungen eine weiterführende Ausbildung anstreben.
Wir können leider keine genaue Zahl der zu fördernden Jugendlichen angeben. Dies ist ein nur schwer ertragbarer Zustand. Für alle Planungen und Gesetzesvorhaben sind Größenordnungen nur einigermaßen zu schätzen. Weder für den Ausbau von Sonderschulen noch bei der Erstellung von Einrichtungen zur Eingliederung der Behinderten verfügen wir - in der Regel - über präzise Zahlen. Auch die verbesserte Meldepflicht für Behinderte hat an dieser Situation bis heute nichts Wesentliches geändert. Wir sind daher auf Schätzungen angewiesen.
Nach dem Bildungsbericht gab es 1967 230 000 Sonderschüler. Es handelt sich hier um Taube, Schwerhörige, Sprachbehinderte, Blinde, Körperbehinderte, darunter Hirngeschädigte, Kinder mit Hüft-, Arm- und Beinmißbildungen, Körperschäden nach Kinderlähmung und insbesondere die große Gruppe der geistig Behinderten. Sie sehen schon an dieser Aufzählung, daß nur ganz wenige aus dieser
Gruppe unter dieses Gesetz fallen werden; denn die meisten erreichen nicht das Stadium der mittleren Reife. Das gilt voll für die geistig Behinderten und auch noch einige andere Gruppen.
Eine weitere Einschränkung wird in unserem Antrag dadurch gemacht, daß wir lediglich die Schwerstbehinderten - 70 % und mehr - berücksichtigt haben wollen. Das sind vor allem Blinde, Querschnittsgelähmte und andere Schwerstbehinderte, die sich nach Eignung und Neigung einer weiterführenden Ausbildung unterziehen. Jedermann kann sich leicht vorstellen, wie beschwerlich die Bedingungen sind, unter denen diese lernen und studieren müssen, und wie berechtigt unser Antrag ist.
Nun komme ich auf die Kosten dieses Antrags. In der von dem Kollegen Spitzmüller angeführten Berechnung wird dieser Antrag der CDU/CSU mit 20 Millionen DM beziffert. Ich bin den Dingen sehr präzise nachgegangen und habe festgestellt: Es gibt in der Bundesrepublik drei einschlägige Anstalten; eine hat 60, die andere 50, die dritte 30 Schüler, die auf das Abitur vorbereitet werden und schwerstbehindert sind. Es sind also ganze 140 Schwerstbehinderte, die in diesen Internaten leben. Dazu kommen noch einige wenige hundert, die über die mittlere Reife bis zum Abitur vorbereitet werden, etwa 300 bis 400 schwerstbehinderte Jugendliche. Dazu kommen noch rund 100 Studenten. Und da sehe ich in dieser Aufstellung die phantastische vermutete Summe von 20 Millionen DM!
Dieser Antrag, meine Damen und Herren, kostet nicht 1 Million DM.
({0})
- Diese Zahlen sind amtlich. Ich kann die Quelle angeben, aus der ich sie habe. Wenn Sie mir andere Zahlen vorlegen können, legen Sie sie mir vor! Viele dieser Schätzzahlen sind lediglich Vermutungen. Wenn der listenreiche Odysseus, unser Kollege Spitzmüller, glaubt, uns bei dieser Beratung einer gewissen leichtfertigen Antragstellung zeihen zu müssen, so möchte ich das doch ganz energisch zurückweisen. Allein das Beispiel dieses Antrages zeigt, daß wir uns doch etwas überlegt haben.
Meine Damen und Herren, sind nicht auch diejenigen Politiker - ich muß das einmal deutlich sagen -, die mit allzu kühnen Ankündigungen Erwartungen geweckt haben, schuld, wenn in Konsequenz dieser Ankündigungen Anträge gestellt werden?
({1})
Ich darf auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hinweisen. Da steht klipp und klar: Die Bundesregierung wird um verstärkte Maßnahmen bemüht sein, die den Benachteitigten und Behinderten in Beruf und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chancen eröffnen.
({2})
In Konsequenz der Regierungserklärung des Bundeskanzlers stelle ich heute diesen Antrag. Er hat ja versprochen: wo immer dies möglich ist.
({3})
Ich möchte also diesen Vorwurf energisch zurückweisen. Wir haben bei diesem Gesetz sauber und korrekt mitgearbeitet, weil wir dessen Verabschiedung vor den Parlamentsferien wollten. Wir haben den Sondersitzungen zugestimmt. Wir haben daran teilgenommen. Wir haben am 17. Juni bis in die späten Nachtstunden beraten. Auch dadurch haben wir unsere Mitarbeit bewiesen, daß wir beraten haben, ohne daß der schriftliche Bericht über die Anhörung vorlag. Wenn wir also auf Grund der Fülle der Anregungen und Eingaben Anträge vorgelegt haben, von denen wir angenommen haben, daß sie ein gewisses Volumen nicht überschreiten, so ist das nicht auf unsere Unredlichkeit, sondern auf die Bedrängnisse dieser, wie ich meine, einfach zu raschen Behandlung im Ausschuß zurückzuführen.
Ich bitte Sie noch einmal um Zustimmung zu diesem Antrag. Er wird noch nicht einmal 1 Million DM kosten. Meine Damen und Herren, Sie haben auch die Berechtigung dieses Antrags anerkannt. Sie haben lediglich gesagt: Wir haben kein Geld. Ich verweise auf meine Ausführungen - er kostet nicht 1 Million DM -, und ich verweise auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und bitte Sie, in Konsequenz dieser Ankündigung unserem Antrag zuzustimmen.
In einem Bericht eines Nachrichtenmagazins zur Frage der Behinderten stand der Satz: Die Parteien sind aufgefordert, ihren Programmen gemäß zu handeln. Bitte tun Sie das, indem Sie diesem Antrag zustimmen!
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Eilers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte genauso wie Herr Burger zu den Ziffern 2 und 4 des Änderungsantrags Umdruck 208 Stellung nehmen.
Das Anliegen, das dem Antrag der Opposition zugrunde liegt, wird wohl von allen anerkannt und ist im Ausschuß lange diskutiert worden. Der Wille des gesamten Hauses ist es, wie es auch gestern in der Debatte über die Stiftung für das behinderte Kind von den Sprechern aller Fraktionen eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht wurde - ({0})
- Sie können ruhig länger sprechen. Dann habe auch ich länger Zeit, und wir werden die Debatte länger führen müssen.
({1})
Wie also gestern in der Debatte über die Stiftung für das behinderte Kind zum Ausdruck gekommen ist, wird diese Forderung nach gleichen Lebenschancen für alle von allen Fraktionen akzeptiert und unterstrichen. Darum hat ja der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit in einer einstimmigen Entschließung die Bundesregierung aufgefordert, wie Sie in der Drucksache VI/2352 nachlesen können, „zu prüfen, ob und wie bei der Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung der ausbildungsbedingte Mehrbedarf für Behinderte in das Bundesausbildungsförderungsgesetz mit einbezogen werden kann, um alle Behinderten unabhängig von zusätzlichen Leistungen anderer Sozialleistungsträger zu machen", und „bei der Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung alle Behindertengruppen in die Regelung nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe c einzubeziehen".
Da der Kreis der Anspruchsberechtigten zur Zeit nicht zu quantifizieren ist, Herr Kollege Burger, und die Fraktion der CDU/CSU infolgedessen leider auch keinerlei Angaben über die zu erwartenden Mehrkosten und ihre Deckung machen kann, sehen sich die Koalitionsfraktionen, wenn auch mit Bedauern, dazu verpflichtet, diesen Antrag abzulehnen. Wir glauben, daß dem Anliegen durch den im Ausschuß einstimmig beschlossenen Entschließungsantrag Rechnung getragen ist.
({2})
Meine Damen und Herren, wird zu § 11 und dem Änderungsantrag Umdruck 208 Ziff. 2 des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Darin kann ich über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 208 unter Ziff. 2 abstimmen lassen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den § 11 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich komme nunmehr zu § 12 und dem Änderungsantrag Umdruck 208 Ziff. 3. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Henze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stellt den Antrag, weil sie die Möglichkeit zur Wahl der Ausbildungsstätte garantiert sehen möchte. Nach der vorliegenden Fassung des Textes wird der erhöhte finanzielle Bedarf bei einer Internatsausbildung nur geleistet, wenn von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist. Dabei wird davon ausgegangen, daß der Besuch jeder öffentlichen und weltanschaulich neutralen privaten Schule, die nach Lehrstoff und Bildungsgang zu dem angestrebten Ausbildungsziel führt, zumutbar ist. So heißt es jedenfalls in der Begründung zum Gesetzestext.
Der Einfluß der Eltern auf die Wahl des Internates ist durch den Regierungsentwurf erheblich eingeschränkt. Wir sind der Meinung, daß die Eltern ein Internat nicht nur wegen des Ausbil7686
dungsziels, sondern gerade auch wegen des Erziehungsziels wählen. Indem die Ausbildungsförderung bei auswärtiger Unterbringung an die Zumutbarkeit der nächstgelegenen entsprechenden Ausbildungsstätte geknüpft wird, wird diese Wahl erheblich eingeschränkt, und dies ausgerechnet bei den sozialen Schichten, deren Förderung der Gesetzentwurf zum Ziel hat.
In § 1 des Gesetzentwurfs wird ein Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung für eine - wörtlich - der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung verankert. Wenn dies gilt, müssen für den § 12 auch andere Kriterien als die der Entfernung für die Wahl der Ausbildungsstätte gelten.
Der Gesetzentwurf geht offenbar von der Vorstellung aus, daß die „entsprechende" Schule auch für jeden gleich förderlich sei. Aber diese Ansicht ist überholt. Die höchstmögliche Förderung einer jeden Begabung ist als Ziel in den Empfehlungen des Bildungsrates und im Bildungsbericht 1970 der Bundesregierung ausgesprochen. In der Praxis führt das zu steigender Differenzierung im Schulwesen und zu sich ständig vermehrenden Modellprogrammen. Das Unterrichtsangebot des öffentlichen Schulwesens in staatlicher und freier Trägerschaft wird zunehmend individueller und setzt die freie Wahl der individuell geeignetsten Schulform voraus. Gerade im Bereich des Internatsschulwesens ist das Unterrichtsangebot vielfältig, weil die Verbindung von Unterricht und Erziehung besonders fruchtbar für die Ausprägung neuer Unterrichtsformen und Inhalte wirkte und wirkt. Gerade diese Schulen werden seit eh und je von begabten Schülern besucht, die sonst unterrichtlich nicht gefördert werden können. Die moderne Schulsituation fordert eine weitgehend individuelle Begabtenförderung. Kinder von Eltern mit geringem Einkommen werden, wenn der vorliegende Text so verabschiedet wird, Internatsschulen in freier Trägerschaft nicht oder kaum besuchen können.
Die CDU/CSU stellt den vorliegenden Antrag erstens, weil es die Verwirklichung der Chancengleichheit erfordert, zweitens weil nur so die Wahlmöglichkeit der Eltern garantiert ist, und drittens, weil ein modernes Schulwesen differenzierte Schulformen, Internate mit Modellcharakter, braucht, diese aber nur bestehen und ausgebaut werden können, wenn sie von allen, die sie besuchen wollen, auch besucht werden können.
Fragwürdig, insbesondere unter dem Aspekt der Gewissensfreiheit, ist die in der Begründung zu § 12 zum Ausdruck kommende Haltung, daß der Besuch einer weltanschaulich neutralen Schule jedem zuzumuten sei. Wenn verfassungsrechtlich niemand wegen seines Glaubens benachteiligt werden darf, erscheint eine Förderungsfinanzierung, die die Weltanschauung gerade im Bereich der Bildung außer acht läßt, als sehr problematisch.
Aus den dargelegten Gründen bitte ich, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.
({0})
Ich rufe zugleich den Umdruck 203 auf und gebe das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Köster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung bringt ein Gesetz, das für Studenten schlecht und für Nichtstudenten ungerecht ist. Die Änderungsvorschläge der Koalitionsfraktionen im Ausschuß verstärken diese Tendenz zu einer schichtenspezifischen Begabungsförderung. Ich habe bei anderer Gelegenheit darüber schon ausführlich gesprochen. Es wird dem befriedigend Begabten schwerer gemacht, seine Chance wahrzunehmen, einen mittleren Abschluß anzustreben, als dem gut Begabten, ein Hochschulstudium abzuschließen. Wen wundert es, daß man bei genauer Durchsicht des Grundsatzbeschlusses der Bundesregierung zum Ausbildungsförderungsgesetz vom 4. Juni 1970 feststellen muß, daß dieser Grundsatzbeschluß in kaum einem Punkt verwirklicht worden ist?!
Ich danke der Frau Minister Strobel, daß sie nicht wie die Kollegen Wichert und Walkhoff den Versuch gemacht hat - nach der Methode: haltet den Dieb! -, die Fehler dieses Entwurfs seinem angeblichen Autor, Herrn Dr. Blanke, in die Schuhe zu schieben und nicht der derzeitigen sozialdemokratischen Spitze des Ministeriums.
Sehr verehrte Frau Minister, Sie haben eben gesagt, man kolportiere bestimmte Aussagen. Ich bin nicht von Ihrer Argumentation überzeugt. Ich möchte hier mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten ganz kurz vorlesen, was die „Frankfurter Rundschau" schreibt:
Worin die entscheidenden Ursachen für das Versagen des Familienministeriums zu suchen sind, darüber tuschelten Bonner Regierungskreise hinter vorgehaltener Hand. Faktum ist, daß bei den Vorbereitungen für den Bundeshaushaltsplan 1971 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1974 das Ministerium für die Jugend, Familie und Gesundheit „vergessen" hatte, die zu erwartenden finanziellen Auswirkungen für den Haushaltsplan anzumelden. Das Familienministerium widerspricht dieser Darstellung nur indirekt, argumentiert aber damit, die Kosten seien nicht vorausschätzbar gewesen. Dafür sei eine Projektgruppe innerhalb der Bundesregierung zuständig gewesen. Politisch verantwortlich - daran kann der Hinweis auf die Projektgruppe nichts ändern - ist das zuständige Familienministerium. Als das Versäumte offenbar wurde, bemühten sich die Verantwortlichen durch Intervention bei Bundeskanzler Brandt, die Scharte wieder auszuwetzen. Dieser jedoch winkte ab. Die Finanzplanung sollte nicht mehr verändert werden.
Ich wäre sehr dankbar, verehrte Frau Minister,
wenn dieser Passus noch einmal Gegenstand einer
Beratung im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit würde.
Ich darf nun den Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion bereits im Ausschuß eingebracht hatte und der jetzt auf Umdruck 203 ({0}) vorliegt, wiederholen
und begründen. Ich schlage vor, die Zahl 160 durch 180 zu ersetzen. Im Gesamtzusammenhang der zu kurz geplanten Finanzierung steht fest, daß die Situation der Schüler allgemeinbildender Schulen durch den Regierungsentwurf und die Anträge der Koalitionsfraktionen relativ verschlechtert wird. Der Regierungsentwurf erhöht den Bedarf von 150 auf 160 DM bei Verlust des bisher geltenden Fahrkostenbeitrags. Die Koalitionsfraktionen verringerten weiter den Freibetrag, den die Eltern für den antragsberechtigten Schüler laut Regierungsvorschlag erhalten sollten, um 10 DM. Damit sind wir in die Situation gekommen, daß Schüler, die auf dem Land wohnen, die ihre Ausbildungschance wahrnehmen wollen und dies nur dann können, wenn sie eine weit entfernt liegende Schule besuchen, nun schlechter dastehen, als sie vorher dastanden. Der kostendeckende Bedarf unterschreitet im Augenblick sogar die Richtsätze des Bundessozialhilfegesetzes.
Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen, den Betrag von 160 auf 180 DM zu erhöhen, weil in der Sozialhilfe für Unterhaltsberechtigte von 16 bis 21 Jahren zur Zeit in Nordrhein-Westfalen, als Beispiel genannt, 177 DM gezahlt werden und dieser Betrag somit nur um 3 DM überschritten würde.
Im Zusammenhang mit diesem Antrag möchte ich erwähnen, daß dadurch auch die Situation der Halbwaisen verbessert würde. Nach diesem Gesetz wird die Familie nach dem Tode des Ernährers wirtschaftlich zerschlagen. Dadurch bedingt, werden die Leistungen des Ausbildungsförderungsgesetzes nach dem Tode des Ernährers oft geringer sein als vorher. Auch im Hinblick hierauf bitte ich Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Des weiteren möchte ich erwähnen, daß Sie zwar den Freibetrag von 240 auf 270 DM angehoben haben und damit den eigentlichen Bedarf haben erkennen lassen, nicht aber bereit waren, für die Schüler allgemeinbildender Schulen den Betrag, der seit 1969 praktisch unverändert ist, zu erhöhen.
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
({1})
Die beiden Anträge sind begründet. Wir verbinden die Aussprache über beide Anträge. - Das Wort hat der Abgeordnete Anbuhl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Annahme des vom Kollegen Köster eingebrachten Antrags bedeutet eine Mehrbelastung von 20 Millionen DM, ohne daß hier ein Deckungsvorschlag vorliegt. Es ist ein schlechter Stil von Oppositionspolitikern, Anträge aus Gründen der Optik zu stellen, die draußen gut ankommen, aber keine finanzielle Basis haben. Herr Köster hätte uns im Ausschuß sagen können, wie das finanziert werden soll. Er hatte einen Vorschlag gemacht, der aber durch andere, gemeinsam beschlossene Verbesserungen erledigt ist.
Herr Abgeordneter Anbuhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köster?
Ja.
Herr Kollege Anbuhl, erinnern Sie sich, daß ich einen Deckungsvorschlag gemacht habe, daß Sie die freiwerdenden Mittel aber für die Besitzstandswahrung der Studenten verwandt haben?
Herr Kollege Köster, wir haben gemeinsam den Vorschlag gemacht, daß diese Gelder für andere Aufgaben freigestellt werden sollen. Ihre Fraktion hat zugestimmt, daß diese anderen Aufgaben Priorität haben. Warum hat Ihre Fraktion denn Ihrem Antrag nicht zugestimmt? Sie hat es nicht getan, weil sie weiß, daß nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen.
Die SPD und die FDP sind gegen eine Annahme dieses Antrags und bitten die CDU/CSU-Fraktion, auch ihrerseits dem unsoliden Alleingang des Antragstellers nicht zu folgen.
Ich möchte gleichzeitig auch unsere Ablehnung des von Frau Dr. Henze vorgetragenen Antrags begründen. Die Fraktionen der SPD und der FDP lehnen auch diesen Antrag aus Kostengründen ab. Hier liegt ebenfalls kein Deckungsvorschlag vor. Wir lehnen diesen Antrag aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen ab.
({0})
Wir vertreten den Standpunkt, daß die Ausbildungsförderung eine auswärtige Unterbringung nur in den Fällen ermöglichen soll, in denen sie aus Gründen der Ausbildung erforderlich ist. Für die Förderung der Unterbringung aus sozialen Gründen gelten andere Gesetze, z. B. das Bundessozialhilfegesetz und das Jugendwohlfahrtsgesetz. Die Regierungskoalition wird dem Antrag nicht zustimmen, weil es nicht zu vertreten ist, die Kostenträger der genannten Gesetze zuungunsten des Bundes zu entlasten.
({1})
Wird zu § 12 und den Umdrucken 203 ({0}) und 208 noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich zuerst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Köster auf Umdruck 203 ({1}) abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse dann über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 208 unter Ziff. 3 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf dem
Vizepräsident Dr. Jaeger
gleichen Umdruck unter Ziff. 4. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse dann über § 12 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr die §§ 13 bis 67 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 68 auf. Dazu liegt auf Umdruck 208 unter Ziff. 5 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Zur Begründung erteile ich der Abgeordneten Frau Schroeder ({2}) das Wort.
({3})
- Er ist bereits begründet. Um so besser!
Wir treten dann in die Aussprache ein. Herr Abgeordneter Fiebig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Opposition zu § 68 zielt darauf ab, einen größeren Teil der Berufsfachschüler in die Förderung einzubeziehen, als es im Gesetzentwurf vorgesehen ist. So bedauerlich es auch ist: Es muß eine Grenze gezogen werden, die von den finanziellen Möglichkeiten diktiert wird. Eine generelle Einbeziehung aller Berufsfachschüler in die Förderung - diese generelle Einbeziehung hatte die Opposition ursprünglich auf Umdruck 202 gefordert - hätte Kosten in Höhe von 170,5 Millionen DM mit sich gebracht.
({0})
Würde man entsprechend dem jetzigen Vorschlag nur die Berufsfachschüler ab 11. Klasse einbeziehen, so würde das Kosten in Höhe von 68 Millionen DM verursachen. Wir sind der Meinung, daß eine Grenze gezogen werden muß.
Im übrigen sollte derjenige, der politisch die Weiterbildung mit Hilfe des Ausbildungsförderungsgesetzes im Auge hat, die Lehrlinge nicht vergessen und auch sie einbeziehen. Ich meine, wer an die Berufsfachschüler denkt, sollte ebenso an die Lehrlinge denken.
({1})
Im Augenblick müssen wir jedoch sagen: Wenn wir den Antrag, den die Opposition gestellt hat, annehmen, gefährden wir das Gesetz als Ganzes. Um das Erreichte zu sichern, müssen wir diesen Antrag leider ablehnen.
({2})
Wünscht noch jemand das Wort? - Das ist offensichtlich nicht der Fall.
Ich lasse über den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 208 zu Ziffer 5 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitten das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über § 68 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
In der allgemeinen Aussprache erteile ich das Wort dem Herrn Abgeordneten Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen am Ende der Beratungen des Ausbildungsförderungsgesetzes und vor der entscheidenden Schlußabstimmung. Die Opposition zieht diese Bilanz: Bei der Verabschiedung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes im Sommer 1969 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung ersucht, „bis zum 1. April 1970 eine Gesetzesvorlage zur Neuregelung der Studentenförderung an Hochschulen, Ingenieurschulen, Akademien und Höheren Fachschulen, die insbesondere gegenüber den bisherigen Regelungen die notwendigen strukturellen und finanziellen Verbesserungen enthält", erstellen. Dies und nichts anderes wurde von der Bundesregierung verlangt.
Die Bundesregierung hätte diesem Auftrag durch eine redliche Novellierung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes gerecht werden können. Statt dessen hat sie wieder einmal ihre Reformgesinnung beweisen wollen und mit viel Tschingderassassa den kompletten Entwurf eines völlig neuen Bundesausbildungsförderungsgesetzes angekündigt und vorgelegt, dessen Qualität und Finanzvolumen nun allerdings in einem grotesken Mißververhältnis zu seinem verbalen Umfang und seiner Begleitmusik stehen.
Vor allen Dingen aber brachte der Regierungsentwurf gerade das nicht, was allein von ihm verlangt wurde: die notwendige strukturelle und finanzielle Verbesserung der Studentenförderung. Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung brachte im wesentlichen doch nur die Fort- und Festschreibung des unzulänglichen Honnefer und Rhöndorfer Modells mit Bedarfssätzen und Freibeträgen, die vorn und hinten nicht reichen.
Nur in einem Punkt ist die Koalition und nicht die Regierung den Studenten später entgegengekommen: in der Frage der weiteren Zuständigkeit der Hochschulen und ihrer Studentenwerke für die Studentenförderung wenigstens bis zum 30. Juni 1974.
Das ist, wie wir inzwischen alle wissen, unter den verschiedensten Aspekten eine außerordentlich problematische Konzession. Ich glaube, man kann sich diese Dinge nicht so leicht machen, wie die Sprecher der SPD es taten, wenn wir die Situation in den Studentenwerken und das, was sich an Entwicklung in den Studentenwerken abzeichnet, auf uns zukommen sehen.
Auch für die anderen Gruppen der jungen Generation hat der Regierungsentwurf an grundlegenden Verbesserungen der Ausbildungsförderung nicht das gebracht, was allein ein neues Gesetz gerechtfertigt hätte. Frau Kollegin Schroeder hat bereits auf viele Punkte hingewiesen; weitere Punkte sind in der zweiten Lesung ebenfalls deutlich geworden. Ich möchte nur einiges ergänzen und akzentuieren.
Die Ausbildungsförderung nicht nur der Studenten, sondern auch der Schüler ist in diesem Gesetz unzureichend geregelt. Beispielsweise ist die Erstattung der Fahrtkosten nach dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen sogar noch gestrichen worden. Die Förderung von Schülern der Berufsfachschulen bleibt eingeschränkt. Eine besondere Förderung der Behinderten gibt es nicht.
({0})
Die Förderung der Halbwaisen ist unbefriedigend. Es sieht so aus, als ob erstmalig in diesem Gesetz die Fernschüler gefördert werden sollen. Die Förderungsvoraussetzungen sind aber so eingeschränkt, daß tatsächlich eine Förderung der Fernschüler kaum stattfinden wird. Vorn im Gesetzentwurf entscheidet man sich für die Ausbildungsförderung von Gastarbeiterkindern, hinten im Gesetz werden diese Bestimmungen aus finanziellen Gründen wieder suspendiert.
({1})
Dies alles ist auch im Laufe der Beratungen nicht verbessert worden.
Die sozial-liberale Koalition hat mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt am 28. Oktober 1969, mit den Beschlüssen des Saarbrücker SPD-Parteitages vom Mai 1970, mit dem Grundsatzbeschluß der Bundesregierung zur Ausbildungsförderung vom 4. Juni 1970, mit den Reden von Frau Minister Strobel und Herrn Parlamentarischem Staatssekretär Westphal in unserem Land und in unserer jungen Generation Hoffnungen und Erwartungen in bezug auf die Reform der Ausbildungsförderung erweckt, die sie nicht halten konnte, weil es dieser Koalition am Konzept und am Gelde fehlt, um alle diese Hoffnungen und Erwartungen erfüllen zu können.
({2})
Es sollte Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, zu denken geben, daß die gleichen Studenten, die vor zwei Jahren den Regierungsantritt dieser Koalition enthusiastisch begrüßt haben, heute von Ihnen und Ihrem Gesetz frustriert auf den Straßen von Bonn demonstrieren.
({3})
Sie bringen in diesen Tagen und Wochen mit Ihrem Ausbildungsförderungsgesetz einen wichtigen Teil der jungen Generation nicht nur um sein Vertrauen in diese Regierung, sondern auch noch um sein Vertrauen in die Glaubwürdigkeit unseres Staates.
Die Bundesregierung hat eineinhalb Jahre benötigt, um einen Gesetzentwurf zustande zu bringen, der für die Ausbildungsförderung nur ein neues Gehäuse und kaum mehr bringt.
({4})
Wir haben in gemeinsamer Arbeit im Bundestag und in seinem federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit viele Bestimmungen dieses Gesetzes in dreimonatiger Beratung umgestaltet und verbessert. Aber den Geburtsfehler dieses Gesetzes - kein Konzept und kein Geld - konnten wir auch in den Beratungen des Ausschusses nicht beseitigen. Denn im Ausschuß hatten wir es doch mit der gleichen Regierungskoalition zu tun, die schon für den Regierungsentwurf die Verantwortung trägt, und im Ausschuß standen wir doch der gleichen Finanz- und Haushaltsnot gegenüber, in die diese Bundesregierung uns hineingeführt hat. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, behaupten, wir hätten in diesem Hause jemals Anträge von einer Milliarde Mehrausgaben gestellt, dann verbreiten Sie damit nichts anderes als Greuelmärchen.
({5})
Alle unsere Anträge für eine wirkliche strukturelle Reform der Studentenförderung sind - bis auf die Beseitigung des Pflichtdarlehens - von der Regierungskoalition abgelehnt worden. Wir wollen doch nur das, was die Regierungskoalition, freilich mit anderen Worten, immer gefordert hat: die selbständige und eigenverantwortliche Entscheidung des Studenten über Art, Umfang und Finanzierung seiner Ausbildung, sei es daß er ein Stipendium, sei es daß er ein Darlehen in Anspruch nehmen kann. Das ist unsere Konzeption für die Reform der Studentenförderung, wie sie aus der Drucksache VI/1943 ersichtlich ist. Zu dieser Konzeption bekennen wir uns auch heute.
Alle unsere Anträge zur Verbesserung der Ausbildungsförderung der Schüler und Studenten sind ebenfalls der Ablehnung verfallen. Sie haben mit Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik einerseits eine Verbesserung der Ausbildungsförderung notwendig und auf der anderen Seite diese Verbesserung unmöglich gemacht.
({6})
Das, was Sie in diesem Gesetz an finanziellen Verbesserungen vorsehen, wird nicht einmal der schleichenden Inflation gerecht, die Sie in diesem Lande Jahr für Jahr produzieren.
({7})
- Nein, meine Damen und Herren, wenn einem so wenig zur Reform der Ausbildungsförderung einfällt, wenn man so wenig Geld zur Verbesserung der Ausbildungsförderung zur Verfügung hat, dann wäre es ehrlicher gewesen, weniger Hoffnungen
und Erwartungen zu erwecken, auf ein neues Bundesausbildungsförderungsgesetz zu verzichten und sich mit einer Novellierung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes zu begnügen.
Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walkhoff?
Herr Kollege Rollmann, haben Sie nicht auch den Eindruck, daß von den Tagen an, als Ihr damaliger Fraktionskollege Herr Kleindinst mit Erfolg dafür plädiert hat, daß die Waisen- und Kindergelder für verheiratete Studenten gestrichen werden, bis zum heutigen Tage, bis zu dieser Plenarsitzung, Sie Studentenpolitik unter dem Gesichtspunkt „Zuckerbrot und Peitsche" machen? Ursprünglich wollten Sie uns heute - Ihre Anträge liegen noch auf dem Tisch - mit einem großen Zuckerbrot, der familienunabhängigen Förderung, ködern, während Sie vor 14 Tagen, als es um die Finanzierung von VDS, SHB und LSD ging, hier an der gleichen Stelle die Peitsche auf den Tisch gelegt haben.
({0})
Herr Walkhoff, ich weiß, daß Sie die Förderung von kommunistischen Gruppen in diesem Lande aus Mitteln des Bundesjugendplans befürworten. Daß Sie diese Einstellung haben, ist eine bedauerliche Tatsache.
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Die Fraktion der CDU/CSU hat sich in diesem Hause noch niemals gegen die Förderung der Studenten ausgesprochen, sondern in den vergangenen Jahren mit vielen Anträgen unterstützt.
({1})
Meine Damen und Herren, der Bundestag hatte genau drei Monate Zeit, um diesen Gesetzentwurf unter Zuhilfenahme von Mon- und Feiertagen zu verbessern und heute zu verabschieden. Das Ergebnis ist jedoch ein roh und eilig zusammengezimmertes Gesetz, dessen Finanzierung, wie auch Frau Strobel soeben wieder einräumen mußte, zwischen Bund und Ländern noch immer umstritten ist. Von diesem Gesetz kann im Augenblick noch keiner sagen, ob es überhaupt ein rundes Ganzes ist, inwieweit es praktikabel ist und ob die termingerechte Zahlung der Ausbildungsförderung nach dem 30. September dieses Jahres gewährleistet ist.
Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, was der Bundesrat in seiner Stellungnahme dazu gesagt hat, als er ein späteres Inkrafttreten dieses Gesetzes forderte:
Nach der Verabschiedung des Gesetzes muß den das Gesetz ausführenden Ländern ein ausreichender Zeitraum für die Vorbereitung der Durchführung zur Verfügung stehen. Selbst wenn bei Inanspruchnahme elektronischer Datenverarbeitungsanlagen der Programmablaufplan parallel zur Gesetzgebungsarbeit entwickelt wird, ist eine endgültige Programmierung erst nach Kenntnis des verabschiedeten Gesetzes möglich. Ferner sind in den Ländern Ausführungsgesetze erforderlich, die von den Regierungen erst nach Verkündung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bei den Landtagen eingebracht werden können.
So 'weit die Stellungnahme des Bundesrates.
Wir haben uns im zuständigen Ausschuß und heute im Plenum des Bundestages der galoppartigen Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes nicht widersetzt, obwohl viele Fragen, die wir im Ausschuß gestellt haben, bis heute von der Bundesregierung nicht beantwortet worden sind und viele wichtige Protokolle bis heute nicht vorliegen. Wir wollen in diesem Lande niemanden darum bringen, möglichst frühzeitig in den Genuß der Reformen dieser Regierung zu kommen. Wir bezweifeln aber, ob die Länder und Gemeinden überhaupt in der Lage sein werden, dieses Gesetz bereits ab 1. Oktober 1971 ordnungsgemäß anzuwenden.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben ein Maximum an Reform der Ausbildungsförderung versprochen und sind nun im Begriff, ein Minimum zu verwirklichen. Das ist Ihre Sache. Daß Sie die Opposition bei dieser unseriösen Politik auf Ihrer Seite haben würden, werden Sie selbst nicht erwartet haben.
Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU lehnt das Bundesausbildungsförderungsgesetz in dritter Lesung ab.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rollmann, wegen der kurzen Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, kann ich hier leider auf Ihre Ausführungen im einzelnen nicht eingehen. Ich glaube auch, daß sie uns in der Sache nicht viel weitergeholfen haben. Es waren zum Teil sehr polemische Ausfälle, auf die ich nicht in der gleichen Weise antworten will. Ich kann auch verstehen, daß die „jugendbewegten Pferde" in Abständen immer wieder mit Ihnen durchgehen. Dafür habe ich großes Verständnis.
Ich möchte für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nunmehr folgende Erklärung zur Schlußabstimmung abgeben:
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage des Regierungsentwurfs eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Sie sieht in diesem Gesetz einen weiteren wesentlichen Schritt zur Verwirklichung der Chancengleichheit für viele junge Menschen. Die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung allein für 1972 bis 1974 von insgesamt 4 Milliarden DM sind ein sichtbarer Ausdruck dafür. Insofern ist das, was Sie, Herr Kollege Köster, hier behauptet haben, so meine ich, widerlegt. Es sollte wohl auch nur über Ihren, wie ich meine, unseriösen Antrag hinwegtäuschen, der noch
nicht einmal in Ihrer eigenen Fraktion Unterstützung fand.
Alle Ergänzungs- und Änderungsvorschläge, die die Opposition in den Ausschußberatungen und heute im Plenum gemacht hat, laufen nicht auf ein anderes Konzept einer individuellen Ausbildungsförderung hinaus. Sie wollen schneller mehr geben, als eine solide Haushaltspolitik hergibt.
({0})
Gestern noch hatte die Opposition - ich wiederhole es, weil ich meine, daß das von Wichtigkeit ist - dem Hohen Hause Änderungsanträge zum vorliegenden Gesetzentwurf mit einem Finanzvolumen von fast 1,1 Milliarden DM vorgelegt.
({1})
Das war eine makabre Begleitmusik, Herr Kollege Rollmann, zu der von der Opposition inszenierten stabilitätspolitischen Debatte.
({2})
Über Nacht scheinen der Opposition aber doch stabilitätspolitische Bedenken gekommen zu sein. Die Propagandaanträge des gestrigen Tages sind heute zurückgezogen und durch Anträge mit einem geringeren Finanzvolumen ersetzt worden. Wer jedoch glaubte, daß sich die Opposition inzwischen ihrer Verantwortung für das Ganze bewußt geworden sei, der irrte. Sie haben inzwischen neue Anträge mit einem Mehraufwand von immerhin rund 90 Millionen DM vorgelegt. Formulierungsvorschläge, die der Verbesserung der Vorlage dienen, hätte die Koalition selbst vorlegen können. Allein entscheidend sind jedoch Vorschläge zur finanziellen Deckung, die auch in diesem Fall nicht gemacht worden sind.
Wenn die Opposition dieses Gesetz, wie angekündigt, wegen der Verweigerung ihrer finanziellen Mehrforderungen ablehnt, für die sie weder seriöse noch sonstige Deckungsvorschläge gemacht hat, heißt das nichts anderes, als daß sie die Schüler und Studenten auch um die Verbesserungen bringen will, die jetzt nötig und möglich sind. Wir werden die Ernsthaftigkeit des nicht eben alten Interesses der CDU/CSU für Ausbildungsförderung daran messen, ob sie diesen ersten Schritt über das Erste Ausbildungsförderungsgesetz hinaus, den sie selbst in ihrem Entwurf vom 27. November 1968 vorgesehen hatte, mitgeht oder nicht.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bejaht uneingeschränkt das Konzept des Regierungsentwurfs und hält ihn für eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem einheitlichen System der individuellen Ausbildungsförderung. Dieses Konzept entspricht den Vorstellungen und Vorschlägen, die sie seit der dritten Legislaturperiode und insbesondere mit ihren Entwürfen von 1962 und vom Juni 1968 immer wieder vertreten hat.
Die früheren Bundesregierungen und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sehr lange gebraucht, ehe Ihnen die Notwendigkeit und
Wichtigkeit dieses Teils einer fortschrittlichen Bildungs- und Sozialreform deutlich wurde.
Der Entwurf entspricht auch jetzt noch nicht in allen Einzelheiten den Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion von einem voll ausgebauten System der individuellen Ausbildungsförderung. Das läßt sich aber aus organisatorischen und finanziellen Gründen in einem Gesetzgebungsakt nicht schaffen. Wir haben jetzt jedoch ein Grundgesetz der Ausbildungsförderung, das durch Einbeziehung weiterer Gruppen von Auszubildenden und durch Verbesserung der Bedarfssätze und Freibeträge zu einem noch effektiveren Ausbildungsförderungssystem ausgebaut werden kann und - dessen bin ich sicher - im Laufe der Zeit im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten auch tatsächlich ausgebaut wird.
Wir bejahen für diesen weiteren Ausbau die in § 68 des Entwurfs gesetzten Prioritäten. Wir bedauern aber, daß mit Rücksicht auf eine stabilitätsorientierte Haushaltspolitik die Berufsfachschulen noch nicht in vollem Umfang in die Förderung einbezogen werden können. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit auch an die Berichtspflicht der Bundesregierung nach dem Arbeitsförderungsgesetz über die Einbeziehung der betrieblichen Ausbildung in eine einheitliche Ausbildungsförderung.
Die vor allem von studentischer Seite geführte Diskussion der letzten Wochen hat in den Hintergrund treten lassen, was für uns Sozialdemokraten besonders wichtig ist: durch angemessene Leistungen der individuellen Ausbildungsförderung den Weg zu weiterführenden Schulen, zu beruflich besser qualifizierenden Ausbildungswegen zu öffnen. Das aber ist ebenso wichtig wie die Weiterentwicklung der Studienförderung.
Durch dieses Gesetz erhalten rund 360 000 junge Menschen einen Anspruch auf Ausbildungsförderung. Es kann also nicht bestritten werden, daß mit diesem Gesetz ein gutes Stück Bildungsreform verwirklicht wird. Es kann auch bei allem Verständnis für manche weitergehende Forderung nicht bestritten werden, daß für alle Gruppen von Auszubildenden und für die Eltern spürbare Verbesserungen vorgenommen werden und daß vieles getan wird, um eine rasche, unbürokratische Bearbeitung aller Anträge zu gewährleisten. Individuelle Verschlechterungen wird es nicht geben; dafür sorgt die Besitzstandsklausel.
Wir sind also in der Ausbildungsförderung ein großes Stück weitergekommen. Trotzdem wird die SPD-Bundestagsfraktion auch in Zukunft jede sich bietende Gelegenheit nutzen, die Ausbildungsförderung weiterzuentwickeln. Das jetzt bildungs- und sozialpolitisch Mögliche und das finanz- und stabilitätspolitisch Verantwortbare ist jedoch erreicht worden.
Wir begrüßen, daß die Verabschiedung noch vor der Sommerpause möglich geworden ist. Der Gewährung von Leistungen nach dem neuen Recht ab 1. Oktober 1971 stehen damit keine Hindernisse mehr im Wege. Letzte Zweifel über die Zuständigkeiten und über den Übergang vom alten Recht zum
neuen Recht sind damit ausgeräumt. Die große Ungewißheit, die ohne die Verabschiedung zu diesem Zeitpunkt geblieben wäre und die Schwierigkeiten, die bei der praktischen Handhabung durch eine Verschiebung des Termins des Inkrafttretens hätten eintreten können, rechtfertigen nach der Überzeugung der sozialdemokratischen Fraktion die großen Anstrengungen der sehr konzentrierten Beratungen der Ausschüsse in den letzten Wochen. Unser Dank dafür gilt auch der Opposition.
Wir sind auf Grund aller uns bekanntgewordenen Erklärungen der Beteiligten und Betroffenen sicher, daß jetzt alle noch nötigen Vorarbeiten für das Inkrafttreten zum 1. Oktober 1971 rechtzeitig geleistet werden können. Wir werden uns laufend darüber vergewissern, daß das geschieht. Wir bitten die Regierung, bei den weiteren Vorarbeiten eng und vertrauensvoll mit allen an der Durchführung des Gesetzes beteiligten Stellen zusammenzuarbeiten.
Die sozialdemokratische Fraktion wird diesem Gesetz zustimmen und bittet das ganze Haus, das gleiche zu tun.
({3})
Wird in der allgemeinen Aussprache sonst noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Ziffer 2 des Ausschußantrags, nach der zwei Entschließungen gefaßt werden sollen. Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Nun kommen wir zu den Ziffern 3 und 4 des Ausschußantrags. Nach ihnen sollen Drucksachen, Petitionen und Eingaben für erledigt erklärt werden. Ich nehme an, daß hierüber Einverständnis im ganzen Hause besteht. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 210. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion begründe ich den Entschließungsantrag auf Umdruck 210 zur dritten Lesung eines Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung. Die CDU/ CSU hat am 10. März 1971 einige Grundsätze über die Ausbildungsförderung der Zukunft entwickelt. Zwei davon haben eine zentrale Bedeutung:
1. eine staatlich verbürgte und zinsvergünstigte Studiendarlehensförderung durch Kreditinstitute, wenn keine Stipendienförderung möglich ist, und
2. Kinder- und Familienzuschläge, wenn dem Ehegatten eine Berufstätigkeit nicht zuzumuten ist.
Wir haben in den Beratungen im Ausschuß diese zwei Probleme in Anträgen zur Abstimmung gestellt. Die SPD/FDP hat sie mit knapper Mehrheit abgelehnt.
In der zweiten und dritten Lesung haben wir aus haushaltspolitischen Gründen und aus Gründen der Konjunkturpolitik auf eine Wiederholung verzichtet. Aber, meine Damen und Herren, die beiden Anliegen sind außerordentlich ernst. Wenn Sie es mit einer Reform der Ausbildungsförderung im tertiären Bereich wirklich ernst meinen, müssen Sie auch das Anliegen dieses Entschließungsantrags akzeptieren.
Die Ziffer 1 betrifft eine Förderung durch Darlehen, wenn keine Stipendienförderung möglich ist. Ich darf zur Begründung folgendes sagen. Sie selber haben ja vorhin von der SPD und der FDP gehört, daß sie von familienunabhängiger Förderung sprechen. Wir bevorzugen den Ausdruck „selbständige, eigenverantwortliche Entscheidung über die Ausbildung". Mit dem Begriff der Familienunabhängigkeit ist nämlich nicht das ganze Problem umschrieben. Die Darlehensförderung bedeutet Hilfe für die Familien, deren Einkommen über der Förderungsschwelle liegt und bei denen dann, wenn ein Kind zum Studium kommt oder vielleicht zwei oder mehrere Kinder studieren, ein soziales Absinken zu verzeichnen ist. Die Darlehensförderung bringt diesen Familien eine größere Beweglichkeit in der Finanzplanung. Das dürfen wir nicht übersehen. Außerdem sind Darlehen vor allem im letzten Studienabschnitt, also für die Examenssemester, von ganz besonderer Bedeutung; denn dann kann der Student nicht mehr als Werkstudent tätig sein, dann trifft die ganze Belastung die Familie. Durch eine Darlehensregelung, wie wir sie in unserem Entschließungsantrag vorsehen, würde dem abgeholfen werden können.
Ich darf noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hinweisen. Mit der Darlehensförderung könnte auch eine Verkürzung der Studienzeit Hand in Hand gehen. Wir klagen mit Recht über die zu langen Studienzeiten, die auch noch eine Verschlimmerung des Numerus clausus zur Folge haben. Durch eine Darlehensförderung könnten wir auch der Lösung dieses Problems näherrücken.
Ich darf noch auf ein Letztes hinweisen. Die Darlehensförderung würde auch zu einer Beseitigung von Konfliktstoffen in den Familien beitragen, z. B. dann, wenn Geschwister in Familien, die keine Studienförderung mehr erhalten, zugunsten des anderen verzichten müssen, der auf der hohen Schule ist. Alle diese Probleme wären mit diesem Antrag zu lösen.
Ich darf nun noch kurz zu der Ziffer 2 unseres Entschließungsantrags kommen. Sie betrifft die verheirateten Studenten. Die Studentenehe wird immer häufiger. Für die verheirateten Studenten ist aber das Studium ganz besonders stark gefährdet. Sie haben besondere Schwierigkeiten, und diese werden noch gesteigert, wenn Kinder da sind. Ich meine, wir fordern infolgedessen in dem Entschließungsantrag zu Recht, daß sich auch die Gemeinschaft dieses Problems annimmt. Dieses Problem wird nämlich nicht
gelöst, wenn wir die Augen verschließen. Wir fordern daher, daß ein Familienzuschlag eingeführt wird, wenn dem Ehegatten keine Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, und ein Kinderzuschlag, soweit nicht anderweitig ein solcher gewährt wird.
Schließlich haben wir die Bundesregierung aufgefordert, die finanziellen Konsequenzen einmal klar, deutlich und übersichtlich darzulegen. Denn was man heute gehört hat, entspricht wohl nicht der Wirklichkeit. Wir werden nur dann einen entscheidenden und richtigen Schritt tun können, wenn wir darüber Bescheid wissen.
Wenn wir dem Entschließungsantrag stattgeben, also die Bundesregierung auffordern, die entsprechenden Schritte zu unternehmen, so ist das ein notwendiger, ein konsequenter und, wie ich glaube, ein sehr nützlicher Schritt in Richtung auf eine echte Reform der Ausbildungsförderung im tertiären Bereich. Ich bitte das Hohe Haus, den Entschließungsantrag an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Walkhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem von der Opposition noch heute morgen beabsichtigten Kraftakt, nämlich sofortige familienunabhängige Förderung, wenn auch auf dem Darlehenswege, ist der vorliegende Entschließungsantrag im Schrumpfverfahren übrig geblieben. Offenbar haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, selbst die Widersprüchlichkeit erkannt, die darin zu sehen ist, daß Sie bei jeder passenden Gelegenheit aus konjunkturpolitischen Gründen zur Zurückhaltung bei öffentlichen Ausgaben mahnen und bei jeder unpassenden, welcher Gesetzesentwurf auch immer vorliegen mag, höhere Ausgaben verlangen.
Ihr jetzt vorliegender Entschließungsantrag ist zu einem großen Teil als eine Aktion zum Fenster hinaus zu werten; denn die Regierung hat schon mehrmals, auch im Ausschuß, zu erkennen gegeben, daß auch sie prüft, welche Wege über das Darlehen zur familienunabhängigen Förderung führen können. Ob der Weg über durch Kreditinstitute gewährte Darlehen allerdings der rechte ist, möchte ich doch bezweifeln. Ich stelle mir manchmal die Frage: Hat die Förderung der Bankinstitute oder die Förderung der Studenten bei Ihnen die Priorität?
({0})
Auch die verlangte Kostenübersicht ist von der Regierung im Ausschuß bereits gegeben worden. Es wurde dort gesagt, daß die von Ihnen vorgesehenen staatlichen Ausfallbürgschaften und Zinszuschüsse für Studiendarlehen, würde man der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung schon mit diesem Gesetz folgen, im Jahre 1972 26 Millionen DM kosten würden. In den Jahren 1973 und 1974 würden sich die Kosten dann sehr schnell auf 50 Millionen DM bzw. 73 Millionen DM vergrößern. Ich frage mich, ob man auf Grund der ständig steigenden Zinszuschüsse auf diesem Wege nicht zu Ausgaben von astronomischer Höhe kommt.
({1})
Bei einem derartigen Aufwand an Mitteln dürfen Sie die Prioritäten nicht einfach mit leichter Hand setzen.
Sozialdemokraten und Freie Demokraten halten an ihrer grundsätzlichen politischen Zielsetzung der familienunabhängigen Förderung fest. Sie halten es aber nicht für vertretbar, zu diesem Zeitpunkt die familienunabhängige Förderung zu realisieren, wo noch die Mittel fehlen, um den sozial Schwächeren im Bereich der Bildung echte Chancengleichheit zu verschaffen oder um wenigstens nur alle Berufsfachschüler und Schüler im zehnten Schuljahr in die Förderungsmaßnahmen einzubeziehen. Solange Arbeiter- und Bauernkinder kaum mehr als 5 % der Studentenschaft ausmachen, weil ihnen im vorschulischen und schulischen Bereich noch nicht volle Chancengleichheit gewährt werden kann, können wir nicht mit gutem Gewissen Mittel solch erheblichen Umfangs für Kinder aus Elternhäusern einsetzen, welche die Ausbildung ihrer Kinder selbst finanzieren können.
Wir müssen - insofern, meine ich, hat Ihr Antrag einen gewissen Sinn - in Zukunft die Prioritäten im Ausschuß weiter diskutieren. Ich selbst habe Sie auch so verstanden, daß dieser Antrag an den federführenden Ausschuß überwiesen wird.
Den Punkt 2 Ihres Antrages möchte ich nur mit einem Satz behandeln, da er eigentlich nicht in einen Antrag zum Ausbildungsförderungsgesetz gehört. Vielleicht können Sie diese Frage wieder vorbringen, wenn man über die Probleme des Familienlastenausgleichs diskutiert.
({2})
Die Fraktionen der SPD und FDP stimmen also zu, daß dieser Antrag dem Ausschuß überwiesen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, liegt noch eine Wortmeldung vor? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Es wurde beantragt, den Entschließungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 210 dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführendem Ausschuß, dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur Mitberatung und außerdem dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Erfolgt Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Dann rufe ich den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD betr. Verwaltungsrat der Lastenausgleichbank
- Drucksache VI/2365 7694
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es handelt sich um die Wahl des früheren Abgeordneten Stiller und des Abgeordneten Kater. Meine Damen und Herren, wenn Sie zustimmen wollen, bitte ich Sie um das Handzeichen. - Ich bitte Sie um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. Juni, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.