Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 8. Juni 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Weigl, Schedl, Dr. Dollinger, Lampersbach und Genossen betr. Koalitionsfreiheit in den Betrieben - Drucksache VI/2183 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2271 verteilt.
Wir beginnen mit Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
Drucksachen VI/2244, VI/2265, VI/2266 Wir kommen zuerst zu den Dringlichen Mündlichen Fragen aus dem Bereich des Auswärtigen Amts auf Drucksache VI/2265. Frage 1 des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}) :
Hat die Bundesregierung die Möglichkeiten und Notwendigkeiten sehr schneller Hilfsmaßnahmen in Westbengalen und Ostpakistan gegen Hungersnot und Seuchen seit der Beantworlung der Mündlichen Anfragen vom 14. Mai 1971 weiterhin geprüft, und zu welchen aktuellen Beschlüssen wird sie kommen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär Moersch!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich beantworte die erste Frage von Herrn Dr. Meinecke wie folgt.
Die Bundesregierung ist von der Notwendigkeit sehr schneller Hilfsmaßnahmen in Westbengalen und Ostpakistan gegen Hungersnot und Seuchen überzeugt. Als Reaktion auf einen Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen über die Lage in Indien hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen U Thant am 19. Mai an die Weltöffentlichkeit appelliert, über den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNICEF, die Weltgesundheitsorganisation oder andere UN-Gremien den Flüchtlingen im indischen Grenzgebiet Hilfe zu leisten. Nach den Worten U Thants sind die Vereinten Nationen ebenfalls bereit, entsprechend dem ihm übermittelten Wunsch der pakistanischen Regierung in Ostpakistan humanitäre Hilfe zu leisten. Damit war das Signal für internationale Hilfeleistungen auch von Regierungsseite aus gegeben. Die Bundesregierung hat am 1. Juni als ersten Beitrag für die internationale
Hilfsaktion dem Hohen Flüchtlingskommissar 1 Million DM überwiesen. Über die Bereitstellung weiterer Mittel wird das Kabinett heute beraten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meinecke.
Herr Staatssekretär, Sie haben in der Fragestunde am 15. Mai auf die Mündlichen Anfragen der Abgeordneten Tallert und Meinecke darauf hingewiesen, daß die Mittel für humanitäre Hilfe im Bundeshaushalt begrenzt sind. Ist die Regierung gleichwohl bereit, bei ihren Beratungen heute großzügig auch über diese verfügbaren Mittel hinauszugehen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter,, auf Grund der gegebenen Notlage hat die Bundesregierung erwogen - und wird darüber heute entscheiden -, überplanmäßige Ausgaben vorzunehmen, weil bereits jetzt infolge einer Reihe von Katastrophen in der Welt, die in den letzten Monaten eingetreten waren, die ordentlichen Etatmittel für diesen Zweck verbraucht sind.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Meinecke.
Herr Staatssekretär, ohne darüber urteilen zu wollen, ob die Hilfe der Industrienationen viel zu spät kommt und deshalb wahrscheinlich relativ unwirksam ist: Ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen U Thant, nunmehr auf Grund dieser Erfahrungen endlich zu einem Weltzentrum für Katastrophenhilfe zu kommen, um eine solche Hilfe schnell und wirksam durchführen zu können, wohlwollend zu unterstützen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage mit Ja.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Lauterbach.
Herr Staatssekretär, ist vorgesehen, außer mit finanziellen Hilfsmaßnahmen
auch mit personeller Hilfe tätig zu werden, sei es über technischen Hilfsdienst, sei es mit Krankenschwestern und Ärzten für die Flüchtlingslager?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Frau Abgeordnete, Sie dürfen davon ausgehen, daß nicht nur an die Bereitstellung von Geldmitteln gedacht ist, sondern selbstverständlich wie in ähnlichen Fällen, etwa bei der Flutkatastrophe, auch andere geeignete Hilfsmaßnahmen ins Auge gefaßt sind.
Dann komme ich zur zweiten Frage des Abgeordneten Dr. Meinecke ({0}) :
Besteht nach Auffassung der Bundesregierung die Gefahr einer Einschleppung der Cholera nach Westeuropa und insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, und welche Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich beantworte die Frage wie folgt.
Nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts besteht die Gefahr der Einschleppung der Cholera in die Bundesrepublik Deutschland nicht, wenn auch die Einreise eines Einzelfalls nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Besondere Vorsichtsmaßnahmen an den Grenzen sind nicht erforderlich. Ihr hoher Aufwand würde in keinem Verhältnis zu der dadurch erreichbaren Sicherheit stehen. Ein eingeschleppter Cholerafall ließe sich mit den im Bundesseuchengesetz vorgesehenen Maßnahmen begrenzen. Eine Weiterverbreitung der Cholera ist angesichts der hygienischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland unwahrscheinlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meinecke ({0}).
Herr Staatssekretär, selbstverständlich ist diese Auffassung gesundheitspolitisch und medizinisch wohl richtig. Gleichwohl möchte ich die Regierung bitten, bei ihren eventuell notwendgen Maßnahmen zu bedenken, daß erstens von mir weniger an Grenzkontrollen gedacht wurde als an Kontrollen auf den Flugplätzen, da wir in der Sommerzeit einen verstärkten, intensiven internationalen Reiseverkehr haben, und daß zweitens die Badegewohnheiten und Lebensgewohnheiten der Bevölkerung im Sommer anders zu bewerten sind als die im Winter und zu normalen Jahreszeiten.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Sie dürfen davon ausgehen, daß diese Gesichtspunkte dem zuständigen Haus der Bundesregierung - ich muß nach der Geschäftsordnung auch diese Frage mit beantworten - durchaus bekannt sind. Selbstverständlich ist bei Grenzkontrollen auch an die Kontrolle auf Flughäfen gedacht, und zwar in diesem Fall in erster Linie.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen dann zu den Fragen aus der Drucksache VI/2266, zuerst zu der Frage 1 des Abgeordneten Dr. Bach:
Ist die Bundesregierung bereit - nachdem das Auswärtige Amt bestätigt hat, daß die Ausführungen in dem Artikel der Zeitschrift „liberal" über eine Berlin-Regelung auf einem Arbeitspapier des AA beruhen - , dem Deutschen Bundestag Kenntnis von diesem Arbeitspapier zu geben?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich beantworte die Frage wie folgt. Das in der Frage erwähnte Arbeitspapier ist den Vorsitzenden der drei Bundestagsfraktionen, also auch dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, am 5. Mai zugegangen. Ein Vergleich dieses Papiers mit der Veröffentlichung in „liberal" zeigt, daß der Artikel weit über den Inhalt des Arbeitspapiers hinausgeht und auch andere Aspekte der Berlin-Frage behandelt. Der Artikel beruht also nicht auf einem Arbeitspapier des Auswärtigen Amtes.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Bach.
Kann man davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß der Verfasser dieses Artikels in amtlicher Eigenschaft Kenntnis von diesem Papier gehabt hat?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe meinem soeben gegebenen Hinweis nichts weiter hinzuzufügen. Zweifellos ist der Verfasser jemand, der von den Gesamtzusammenhängen Kenntnis hatte.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Baron von Wrangel.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, das Pseudonym Wieland Deutsch zu lüften und zu sagen, wer der Verfasser dieses Artikels gewesen ist?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, sieht keinen Grund, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung, die keine Stellungnahme der Bundesregierung darstellt.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, ich frage noch einmal: Hat der Verfasser amtliche Kenntnis von dem genannten Papier gehabt, ja oder nein?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe meiner bereits gegebenen Antwort nichts hinzuzufügen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Barzel!
Herr Kollege Moersch, dementieren Sie also mit der soeben gegebenen Erklärung die Mitteilung des Regierungssprechers, die in der Samstagpresse zu lesen war:
Inzwischen bestätigte auch das Auswärtige Amt, daß die „liberal"-Studie auf einem Arbeitspapier des Auswärtigen Amtes fuße?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe bereits vorhin gesagt und darf es wiederholen, daß ein Vergleich dieser „liberal"-Studie mit dem Arbeitspapier, das Ihnen zugegangen ist, zeigt, daß dieser Artikel weit über diese Studie hinausgeht.
Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, darf ich noch einmal fragen, ob der Verfasser dieses Artikels amtliche Kenntnis von dem Papier hatte oder nicht.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Wiederholung von Fragen wird mir keine andere Antwort entlocken können, als ich sie bereits gegeben habe.
({0})
Noch eine Zusatzfrage? - Herr Abgeordneter Stücklen!
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß Sie mit dieser Antwort das Parlament an der Nase herumführen?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich glaube, daß meine erste Antwort nicht genau aufgenommen worden ist. Daraus geht nämlich hervor, daß in diesem Artikel Elemente enthalten sind, die sich auch in Arbeitspapieren der Bundesregierung finden. Wenn ich die weiteren Fragen beantwortet habe, werden Sie sicherlich mit mir darin übereinstimmen, daß Ihre Frage in diesem Zusammenhang nicht berechtigt war.
({1})
Wir kommen dann zur Frage 2 des Abgeordneten Dr. Birrenbach:
Sind die in dem Artikel der Zeitschrift „liberal" enthaltenen politischen und rechtlichen Vorstellungen Gegenstand von Erörterungen der Bundesregierung gewesen, und inwieweit identifiziert sich die Bundesregierung mit diesen Auffassungen?
Ist Herr Birrenbach im Hause? - Ja. Bitte sehr!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregierung hat zu keiner Zeit den in der Zeitschrift „liberal" erschienenen Artikel erörtert. Die darin angesprochenen Probleme gehören zum festen Themenkreis der Berlin-Problematik und werden daher von der Bundesregierung und den Drei Mächten seit langem behandelt. Die Stellungnahme der Bundesregierung und der Drei Mächte zu diesen Fragen ist bekannt. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, ihrerseits zu der in der Zeitschrift „liberal" vertretenen Auffassung Stellung zu nehmen.
Die Notwendigkeit, die Ursachen der Unsicherheit in und um Berlin abzubauen, ist unbestritten. Während der vergangenen 25 Jahre ergab sich ein Großteil der Spannungen, die das Ost-West-Verhältnis in Europa charakterisieren, aus der Situation in und um Berlin. Ein erfolgreiches Ergebnis der Berlin-Gespräche wäre als ein ermutigendes Anzeichen für die Bereitschaft der Sowjetunion zu betrachten, sich an unseren Bemühungen und den Bemühungen unserer Verbündeten um eine substantielle und dauerhafte Verbesserung der Ost-West-Beziehungen in Europa zu beteiligen.
Die Bundesregierung unterstützt daher voll die Bemühungen der drei für Berlin verantwortlichen Westmächte, ein Abkommen über Berlin zu erreichen. Sie ist der Ansicht, daß es Ziel der Verhandlungen sei, auf festen Verpflichtungen beruhende spezifische Verbesserungen ohne Beeinträchtigung des Status von Berlin zu erreichen. Sie betrachtet es als wichtig, über den unbehinderten Personen-und Güterverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin, über Verbesserungen der Bewegungsfreiheit für die Bewohner West-Berlins und über die Respektierung der Bindungen zwischen WestBerlin und der Bundesrepublik, wie sie sich mit Zustimmung der Regierungen entwickelt haben, zu Vereinbarungen zu gelangen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß Fortschritte in den Gesprächen zwischen deutschen Stellen über einen Modus vivendi, der die besonderen Gegebenheiten in Deutschland berücksichtigt, einen wichtigen Beitrag zur Entspannung in Europa darstellen würden.
Diese hier mitgeteilte Auffassung der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, wird nicht nur von
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
den drei Westmächten geteilt, sondern ist die Auffassung des gesamten Atlantischen Bündnisses, wie sie am 4. Juni in Lissabon gemeinsam formuliert worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Birrenbach.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir die folgende Frage: Wenn die Bundesregierung sich mit dem Artikel in „liberal", wie Sie behaupten, nicht identifiziert, würden Sie dann sagen, daß die Beanspruchung der Souveränität der DDR auf den Zugangswegen zu Berlin, der Anspruch auf Erklärung Berlins zu einer besonderen politischen Einheit, das Verlangen nach einer Reduzierung der Präsenz der Bundesrepublik in Berlin dem Geist von Moskau entspricht, wie die Bundesregierung ihn darlegt, daß das bedeutet, daß eine neue Seite der Geschichte umgewendet worden ist, wie es der Herr Bundeskanzler in Moskau gesagt hat,
({0})
daß eine Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik und der totalitären Sowjetunion entsteht, wie der Herr Bundeskanzler in seiner Rede an die deutsche Nation in Moskau erklärt hat? Wollen Sie mir bitte diese Frage beantworten?
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Birrenbach, die Fragen sollten einfach sein.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich darf feststellen, daß es über die Position der einzelnen Staaten und Mächte Meinungsverschiedenheiten gibt und daß das der Grund ist, weshalb darüber verhandelt werden soll, eine Vereinbarung zu finden, die zu praktischen Lösungen führt, wenn Rechtspositionen der verschiedenen Weise nicht auf einen Nenner gebracht werden können. Ich bin aber bereit, nachher im Zusammenhang mit der Frage 3 auf diese Frage näher einzugehen.
Eine zweite Zusatzfrage. Ich bitte aber, sich kurz zu fassen.
Wenn der sogenannte rechtliche Dissens in einer Weise hochgespielt wird, wie dies in diesem Artikel in „liberal" der Fall ist, obwohl 25 Jahre lang die westlichen Alliierten die politischen, rechtlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen Berlins zur Bundesrepublik de facto anerkannt haben, glauben Sie dann, daß auf diese Weise die Verhandlungsposition der westlichen Mächte gestärkt wird oder nicht gestärkt wird? Darf ich mir diese Frage gestatten.
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe zu dem Artikel nicht Stellung zu nehmen. Aber wenn Sie meinen, daß hier bestimmte Fragen jetzt erst virulent geworden seien, dann darf ich Sie daran erinnern, daß es früher schon in diesem Bundestag Debatten gab, die mit anderer Frontstellung genau zu diesem Thema sehr heftig verlaufen sind, z. B. zu der Frage, ob die Bundesversammlung in Berlin stattfinden dürfe, was einem Mitglied des damaligen Bundeskabinetts - ({1})
Nein, es war deutscherseits eine verfassungsgerichtliche Nachprüfung angedroht worden, Herr Abgeordneter Stücklen. Daran darf ich Sie nur erinnern. Daß hier nun die ganze Leidensgeschichte dieser Frage ausgebreitet werden soll, halte ich nicht für sinnvoll. Jedenfalls ist es keine Erfindung von heute, daß es diese Frage gibt, sondern mit dieser Frage leben wir seit 1949.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mattick.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß die qualitative Veränderung, von der Herr Dr. Birrenbach soeben sprach, spätestens durch die Bundesregierung eingeleitet worden ist, als Herr Staatssekretär Lahr im Auswärtigen Ausschuß den Berlinern mitteilte, es wäre ihnen wohl zuzumuten, daß sie darauf verzichten, einen Bundespaß zu benutzen, wenn sie in Ostblockländer fahren wollen, und daß sie sich in einer Sonderposition als Berliner mit ihrem Personalausweis ausweisen und kein Anrecht auf den Bundespaß und auf die Behandlung als Bundesbürger im östlichen Ausland haben? Herr Staatssekretär Lahr setzte damals hinzu: Das wird ihnen wohl zuzumuten sein, und wir können die Qualität Berlins nicht verändern.
({0})
Herr Abgeordneter Mattick, der letzte Satz war keine Frage mehr.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, mir ist der von Ihnen genannte Vorfall nicht bekannt. Ich möchte aber ganz generell sagen -das gilt für alle Seiten des Hauses , daß eine historische Betrachtungsweise einer Reihe von verschiedenartigen Positionen, die in diesen 20 oder 22 Jahren eingenommen worden sind, dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen nicht unbedingt dienlich sein dürfte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Staatssekretär, ist das von Ihnen im Zusammenhang mit Frage 1 behandelte Arbeitspapier der Bundesregierung a) im Kabinett behandelt worden, b) zur Kenntnis genommen worden und c) expressis verbis gebilligt worden?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es gibt viele Arbeitspapiere dieser Art.
({0})
- Ich komme gleich darauf. Es gibt ein Arbeitspapier, das den Fraktionsvorsitzenden zugegangen ist und das eines von mehreren dieser Art ist. Das ist im Kabinett zur Unterrichtung - ({1})
- Sie können ganz beruhigt sein. Es ist völlig identisch mit den anderen. Das wissen Sie ganz genau.
({2})
Dieses Arbeitspapier ist Gegenstand einer Erörterung im Kabinett gewesen, nicht einer Beschlußfassung.
({3})
Ich habe gesagt: es ist Gegenstand einer Erörterung im Kabinett gewesen, nicht einer Beschlußfassung, weil kein Beschluß zu fassen war über bestimmte Ansichten, die zu der Frage geäußert worden sind.
({4})
- Da es erörtert worden ist, haben die Leute, die dabei waren, Kenntnis davon erhalten, genauso wie der Vorsitzende der CDU 'CSU-Fraktion.
Herr Dr. Schulze-Vorberg!
Herr Staatssekretär, wie ist Ihre Aussage, daß die Bundesregierung sich mit diesem Artikel in „liberal" nicht befaßt hat und nicht befassen mußte, damit zu vereinbaren, daß es sich bei „liberal" um eine parteioffiziöse Zeitschrift der FDP handelt, eine Zeitschrift, die in engem Zusammenhang mit Ihrer Parteistiftung geführt wird, wobei der Außenminister und sein Parlamentarischer Staatssekretär führende Mitglieder dieser Partei sind?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, „liberal" ist von allen Zeitschriften dieser Art zweifellos die unabhängigste. Dafür hat der frühere stellvertretende Bundespressechef gesorgt, als er ihr in der Großen Koalition die Zuwendungen strich. Insofern können Sie nicht davon ausgehen, daß hier eine offiziöse Zeitschrift existiere. Diese Zeitschrift ist in allen Amtsstuben der Bundesrepublik am wenigsten vertreten.
({1})
- Ich stelle fest, daß die Herausgeber von „liberal" ein unabhängiges Gremium darstellen und daß Artikel, die dort erscheinen, in der Verantwortung des verantwortlichen Redakteurs stehen. In einer liberalen Partei übt der Parteivorsitzende keine Zensur über Zeitschriften aus, die Stiftungen nahestehen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, daß die Fraktionsvorsitzenden, die dieses Papier unter „geheim" bekommen haben, sich strikt an die Vertraulichkeit gehalten haben, der Autor dieses Artikels in „liberal", der offenbar dieses Papier auch eingesehen hat, sich nicht an die Vertraulichkeit gehalten hat?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe dargestellt, daß der Artikel weit über den Inhalt des einen Papiers hinausgeht.
({1})
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Stücklen.
Herr Staatssekretär, ist dieses Arbeitspapier außer den drei Fraktionsvorsitzenden auch noch anderen Personen außerhalb der Regierung zugänglich gemacht worden?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Diese Frage kann ich so nicht beantworten.
({0})
Das Auswärtige Amt hat jedenfalls keine Kenntnis clarüber.
({1})
- Meine Damen und Herren, Gegenstand dieser Fragen war nicht dieses Arbeitspapier; daran darf ich einmal erinnern. Sie können von mir nicht erwarten, daß ich hier eine Antwort gebe, die dann möglicherweise nicht stimmt. Ich kann nur sagen, daß mir das nicht bekannt ist.
({2})
Es ist richtig, daß das Arbeitspapier Gegenstand der Frage 1 und nicht Gegenstand der Frage 2 ist.
({0})
Herr Dr. Barzel!
Herr Kollege Moersch, würden Sie bereit sein, dem Hause mitzuteilen, daß es rechtliche Übung und guter Stil in Deutschland ist, nicht nur den Inhalt von Staatsgeheimnissen geheim zu halten, sondern auch die Tatsache, daß es solche gibt, nicht öffentlich mitzuteilen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Frage, ob ich dann hätte überhaupt keine Antworten geben sollen, stellt sich mit Ihrer Frage. Wenn Fragen von der Opposition gestellt werden, bin ich doch verpflichtet, auch die Tatsache, daß es diese Papiere gibt, mitzuteilen.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatssekretär, betrachten Sie diesen Zeitungsartikel, der, wie Sie selbst sagen, Elemente eines amtlichen Papiers enthält und der sich offensichtlich bemüht, die Rechtsposition der Bundesrepublik Deutschland in der Berlin-Frage als möglichst schwach darzustellen, als eine Förderung der Berlin-Politik der Bundesregierung?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe hier deutlich gemacht, daß ich es nicht für nützlich halte, zu einem Artikel Stellung zu nehmen, der nicht Gegenstand einer Erörterung in der Bundesregierung gewesen ist. Und ich glaube nicht, daß die Regierung über einen solchen Artikel Meinungen äußern sollte.
({0})
Ich höre soeben, daß der Ausdruck „Drückeberger" gefallen ist. Er ist unparlamentarisch. Ich weise ihn zurück.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Bach!
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß dieses Arbeitspapier ein Teil des deutschen Beitrags zu den Vier-Mächte-Verhandlungen ist? Und wenn das richtig ist: kann denn dieses Papier ohne Zustimmung der Bundesregierung in die Verhandlungen eingeführt werden? Mußte das Kabinett sich nicht zu diesem Papier äußern?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das Arbeitspapier, das Grundlage der VierMächte-Beratungen ist, ist den Fraktionsvorsitzenden des Hauses bekannt. Es ist nicht identisch mit diesem Papier.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Hallstein!
Herr Staatssekretär, wenn Sie historische Betrachtungen in dieser Frage für unerheblich halten: würden Sie mir zustimmen, daß die Behauptung, daß tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und unseren Alliierten vorhanden sind, in Widerspruch steht zu der Tatsache, daß unsere Alliierten bereit sind, in den Verhandlungen in und über Berlin unsere - die deutschen - Auffassungen zur Grundlage ihrer Orientierung zu nehmen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Sie gehen von einer Auffassung aus, die sich die Bundesregierung nicht zu eigen macht, nämlich der Auffassung, daß es tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten gebe.
({0})
- Das haben Sie hier gesagt. Die Bundesregierung hat das nicht gesagt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, hier ist soeben von einem Beitrag zu den Viermächteverhandlungen die Rede gewesen. Kann man sagen, daß die heute morgen geführte Diskussion mit den Fragen der Beitrag der CDU/CSU-Fraktion zu den Viermächteverhandlungen ist und daß es ein nützlicher Beitrag ist?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe weder über diesen Artikel noch über die Fragen von Kollegen eine Wertung vorzunehmen.
({1})
Wir kommen nunmehr zur Frage 3 des Abgeordneten Dr. von Weizsäcker:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von „liberal", daß es bei den Berlin-Verhandlungen um die Zurückstellung von „Rechtspositionen" ginge, deren Ausübung bisher durch die Westmächte gegenüber der Sowjetunion gedeckt worden ist?
Ich darf bitten, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat den Artikel im „liberal" nicht im Sinne Ihrer Fragestellung verstanden, Das kann jedoch dahingestellt bleiben. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß es in Berlin-Verhandlungen keineswegs um die Zurückstellung von Rechtspositionen geht, die die Westmächte bisher schon gegenüber der Sowjetunion vertreten haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Antwort, die der Herr Bundeskanzler in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" am 7. Juni auf eine entsprechende Frage gegeben hat. Sie lautet - ich zitiere -:
Ihre Frage ergibt sich wohl aus der Überlegung, daß es nicht möglich sein wird, wegen der verschiedenen Rechtsauffassungen zwischen Ost und West ein völlig neues Berlin-Statut auszuhandeln. Das wird in der Tat nicht möglich sein. Aber es geht darum, eine Berlin-Regelung zu erreichen, die zeitlich nicht begrenzt ist, die die Zukunft West-Berlins sichert und die im Zusammenhang damit dem vitalen Interesse der Bundesrepublik an der Zusammengehörigkeit mit West-Berlin Rechnung trägt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. von Weizsäcker.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, die im übrigen in einem Teil des „liberal"-Artikels auch enthalten ist, daß die Bundesregierung bei der Berlin-Regelung davon ausgehen möchte, den bestehenden Zustand zu beschreiben und zu verbessern?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: In der Tat, so ist es. Wobei klar ist, daß es sich um praktische Lösungen handeln kann und daß keine Rechtsschmälerung der westlichen Position eintreten darf.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie mir dies bestätigen, können Sie mir dann auch bestätigen, daß das, was im übrigen auch teilweise in diesem „liberal"-Artikel enthalten ist, eben eine Tatsachenbeschreibung ist, nämlich daß die Tagungen von Bundesorganen in Berlin von den westlichen Verbündeten nicht nur ohne Widerspruch geblieben, sondern gegenüber der Sowjetunion gedeckt worden sind und infolgedessen zu denjenigen Tatbeständen gehören, die es bei einer Berlin-Regelung zu beschreiben, festzuhalten und zu verbessern gilt,
({0})
dagegen nicht wegen Undurchsetzbarkeit bei den westlichen Alliierten zu zurückzustellenden Rechtspositionen zu rechnen ist?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, diejenigen unter Ihnen, die im einzelnen über die Positionspapiere der Bundesregierung unterrichtet worden sind, kennen genau den Verhandlungsgegenstand. Ich halte es im Interesse der Sache nicht für geboten, daß wir diese Fragen hier im Plenum im einzelnen erörtern.
({1})
- Ich habe hier für die Bundesregierung zu sprechen. Herr von Weizsäcker hat eine Frage gestellt, und ich kann diese Frage so beantworten, wie ich es tue. Die Bundesregierung ist bereit, in einer vertraulichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses die gesamte Entwicklung dieser Frage darzulegen. Die Bundesregierung zielt auf eine Festigung der gewachsenen Bindungen hin. Das ist Gegenstand der Verhandlungen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mikat.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die in dem berühmten Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Mai 1957 über die Rechtslage Berlins als Land der Bundesrepublik Deutschland getroffenen verfassungsrechtlichen Feststellungen innen und außen unverkürzt weiterhin zur Geltung zu bringen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, diese Bundesregierung ist dazu nicht nur bereit, sondern sie tut das auch seit vielen Jahren mit großem Nachdruck.
({0})
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß nicht einmal das Billigungsschreiben zum Grundgesetz durch die Militärgouverneure der Besatzungsmächte im Jahre 1949 einen Vorbehalt bezüglich der Tagung von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland in Berlin enthielt und daß seit Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Tätigkeit unserer Verfassungsorgane mangels eines jeden Vorbehaltes ausschließlich unsere innerstaatliche Ordnung maßgebend ist und zwingendes Recht enthält?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es gibt leider eine Antwort der Bundesregierung aus dem Jahre 1959, in der andere Positionen aufgeführt sind, als Sie sie soeben in Ihrer Frage dargelegt haben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Birrenbach.
Herr Staatssekretär, liegt nicht eine Schmälerung der Positionen der Bundesrepublik vor, wenn auf einen Teil der Bundespräsenz in Berlin verzichtet wird, obwohl jahrzehntelang diese Positionen von den westlichen Alliierten de facto akzeptiert worden sind?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Sie zwingen mich mit dieser Frage eigentlich, eine geschichtliche Darstellung zu geben, wie es wirklich gewesen ist. Im Interesse der Sache möchte ich aber darauf verzichten und Ihnen nur noch einmal sagen, daß die Bundesregierung - ich habe das soeben wiederholt - den Kern ihrer Überlegungen und ihrer Zielsetzung dargelegt hat. In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auf ein Fernsehinterview verweisen, das der frühere Bundeskanzler Kiesinger am 2. März 1969 eben zu dieser Frage in der Sendung „Bonner Perspektiven" des ZDF gegeben hat. Ich bin bereit, Ihnen den Text zu geben.
({1})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß im Gegensatz zu dem, was soeben einige Sprecher der Opposition ausgeführt haben, in dem Artikel von „liberal" zum Ausdruck kommt: es gehe darum, keine vermeintlichen Rechtspositionen aufrechtzuerhalten, und man müsse sich hüten, einen Dissens herzustellen zwischen Bonn einerseits und den Alliierten andererseits?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Leider habe ich den Anfang der Frage akustisch nicht verstanden.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigten, daß in dem Artikel von „liberal" im Gegensatz zu dem, was soeben einige Herren der Opposition hier ausgeführt haben, steht, daß es nicht darum gehe, sich auf vermeintliche Rechtspositionen zu stützen, sondern daß es darauf ankomme, einen Dissens zwischen Bonn einerseits und den Alliierten andererseits zu verhindern?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich hatte vorhin schon gesagt, daß ich nicht auf Einzelheiten eines solchen Beitrages eingehen kann. Ich verweise darauf, daß ich bereits gesagt habe, daß die Passage in dem Artikel, die in einer der vier Fragen der Opposition enthalten ist, von der Bundesregierung jedenfalls nicht so verstanden werden kann, wie sie der Fragesteller offensichtlich verstanden hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kiesinger.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ein Interview von mir erwähnt. Ist Ihnen bekannt, daß ich als Bundeskanzler zu keiner Zeit zu einer Einschränkung der parlamentarischen Tätigkeit in Berlin und zu einer Einschränkung der Präsenz der Bundesorgane in Berlin meine Zustimmung gegeben oder ein Angebot gemacht habe, mit Ausnahme der Tätigkeit des Verteidigungsausschusses in Berlin und in dem einen Fall, auf den Sie angespielt haben, der möglichen Nichtabhaltung der Bundesversammlung im Jahre 1969 in Berlin gegen überzeugende Gegenleistungen der anderen Seite?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter Kiesinger, eben daran hatte ich gedacht, als ich vorhin erwähnte, daß Sie im ZDF, wie Sie soeben bestätigen, wörtlich gesagt haben - und das betraf die Bundesversammlung -:
Es ist kein Tauschhandel, sondern es ist einfach die Frage: Was ist besser für Berlin und die Berliner, daß wir als Symbol der politischen Zusammengehörigkeit die Bundesversammlung dort abhalten oder daß wir etwas für sie herausholen, was für die Dauer ihre Position verbessert?
Das ist die ganze Frage.
({0})
Genau darum geht es doch!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kraske.
Herr Staatssekretär, wenn es die Politik der Bundesregierung ist, wie Sie in Beantwortung der Frage 3 soeben gesagt haben, die gewachsenen Rechte unter allen Umständen festzuhalten und zu verteidigen, warum benutzt die Bundesregierung dann nicht diese einmalige Gelegenheit, sich in aller Deutlichkeit von den Ausführungen des Deutsch-Artikels zu distanzieren, die doch nach übereinstimmender Meinung nicht zuletzt fast der gesamten deutschen Presse diese Position der Bundesregierung ganz erheblich gefährden und beeinträchtigen?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat hier ihre Position in der Sache dargelegt, und sie kann darauf verweisen, daß wir uns in Verhandlungen befinden und daß eine Erörterung von Einzelpunkten dieser Verhandlungsposition nicht dienlich sein kann. Wir haben die Ziele genannt. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, werden wir darüber urteilen können, ob wir die von uns gesteckten Ziele erreichen konnten oder nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin gesagt haben, Sie seien bereit, über diese wichtigen einzelnen Dinge im Auswärtigen Ausschuß zu sprechen, frage ich, ob Sie Gelegenheit nehmen, mit Herrn Wieland Deutsch die Vorbereitung dieser Ausschußsitzung gemeinsam und intensiv zu besprechen.
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich nehme nicht an, daß der Herr Abgeordnete eine Antwort erwartet hat, Herr Präsident.
({1})
Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Staatssekretär, da Sie sich weigerten, sich bis jetzt von dem Artikel im „liberal" zu distanzieren, gibt es Ihnen nicht zu denken, wenn eine Zeitung wie der „General-Anzeiger" heute, den Regierungssprecher von Wechmar als Autor vermutend, von den „ziemlich schnoddrigen Bemerkungen über die zweifelhafte Berechtigung einer Anwesenheit von Bundesorganen in West-Berlin" spricht?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich kenne das von Ihnen vorgetragene Zitat nicht; ich kann dazu keine Stellung nehmen. Entschuldigen Sie!
({1})
- Das ist ja die Frage, ob jeweils ganz zitiert ist,
Herr Stücklen, nach der alten Methode: Wer halb
zitiert, hat ganz gewonnen, wie ja auch bekannt ist.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Probst.
Herr Staatssekretär, eine ganz klare Frage:
({0})
Ist Wieland Deutsch Staatssekretär von Wechmar?
({1})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich darf die Frage so beantworten, wie ich es vorhin getan habe. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
({2})
Jeder Abgeordnete hat zu der Frage eines Kollegen nur eine einzige Zusatzfrage.
Ich komme nun zur Frage 4 des Abgeordneten Dr. Gradl:
Wie erklärt und beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in dem Artikel von Wieland Deutsch mil keinem Wort von der umfassenden, einseitigen und statuswidrigen Inanspruchnahme Berlins für die Präsenz politischer DDR-Organe die Rede ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich beantworte die Frage wie folgt. Die Bundesregierung hält es nicht für ihre Aufgabe, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob publizistische Beiträge eine Materie vollständig darstellen oder nicht. Sie teilt im Prinzip die Auffassung des Fragestellers, also des Herrn Abgeordneten Dr. Gradl, zur Sache.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gradl.
Darf ich Ihre Antwort also so auslegen - das würde ich gern tun -, daß die Bundesregierung mit mir und der allgemeinen Auffassung übereinstimmt, daß der Viermächtestatus der DDR und ihren politischen Organen nicht mehr Recht auf politische Präsenz in Berlin einräumt als der Bundesrepublik?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe diese Frage im Prinzip bereits bejahend beantwortet, Herr Abgeordneter.
Danke.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Birrenbach.
Herr Staatssekretär, wenn der Dissens zwischen den früheren Bundesregierungen und den westlichen Alliierten, von dem Sie soeben gesprochen haben, nunmehr in Gestalt eines späteren Berlin-Abkommens in einem Sinne, der den deutschen Interessen nicht entspricht, anerkannt wird, leisten Sie dann nicht das vierte Mal eine Zahlung auf eine theoretisch mögliche, aber unwahrscheinliche Entspannung mit der Sowjetunion, nachdem Sie erstens den Atomsperrvertrag geschlossen, nachdem Sie zweitens die DDR als souveränen Staat anerkannt, nachdem Sie drittens die Konzessionen im Rahmen der Ost-Verträge gemacht haben? Leisten Sie nunmehr nicht eine vierte Zahlung in der Frage des Zugangs von und nach Berlin, der in den letzten Jahren immerhin mehr oder minder funktioniert hat,
({0})
indem die Reduzierung der Berliner Präsenz eindeutig anerkannt wird? Darf ich Ihnen diese Frage stellen.
({1})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Ihre Fragestellung geht von unzutreffenden Voraussetzungen aus, wie bereits aus meiner früheren Antwort hervorgeht. Ich darf nur noch einmal auf das Zitat verweisen, das ich vorhin aus dem Interview des Bundeskanzlers vorgetragen habe zu der Frage, was hier beabsichtigt ist und was unter den gegebenen Umständen erreichbar erscheint. Insofern ist Ihre Frage meiner Ansicht nach der Sache nicht angemessen.
({2})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bach.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie abschließend noch fragen, ob die Bundesregierung einen Strafantrag gegen Unbekannt wegen Veröffentlichung eines geheimen Papiers gestellt hat?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, sie hat kein Verfahren eingeleitet.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wienand.
Herr Staatssekretär, sehen Sie einen qualitativen und materiellen Unterschied, ob in einer Zeitung etwas veröffentlicht wird oder ob bisher als sehr seriös geltende Abgeordnete in einer Abfolge von Unterstellungen gegenüber der Bundesregierung hier etwas in Tatsachenunterbreitungen darzustellen versuchen, was in der Tat die ganzen Verhandlungen gefährden könnte?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich glaube, das prinzipielle Recht zu fragen ist, wie ich hoffe, unbestritten.
({1})
Die Frage nach dem günstigen Zeitpunkt haben diejenigen zu verantworten, die die Fragen stellen.
({2})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Staatssekretär, würden Sie es als eine Unterstellung bezeichnen, wenn ich sage, daß an dem Zustandekommen des Artikels in „liberal" direkt oder indirekt - indirekt in bezug auf die Autorenschaft an dem Arbeitspapier - das Autorenkollektiv von Well, Staatssekretär Frank, Schollwer und von Wechmar beteiligt war?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe nicht angenommen, daß hierzulande Artikel im Kollektiv geschrieben werden. Da Sie selbst Redakteur sind, wissen Sie auch genau, daß das nicht so geschieht.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Wrangel.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß der Herr Bundesinnenminister die juristischen Thesen dieses Artikels in „liberal" ,als „pseudojuristisches Gewäsch" bezeichnet hat?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Mir ist diese Äußerung so nicht bekannt.
({0})
Ich habe den soeben hier zitierten Ausdruck nirgends gefunden. Aber das ist auch gar nicht erheblich. Ich verstehe die Richtlinien zur Fragestunde so, daß keine Wertung einer Wertung in der Beantwortung von Fragen vorzunehmen ist.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Staatssekretär, Sie haben in dieser Fragestunde wiederholt Unkenntnis vorschützen müssen: Wäre es nicht besser, die zweite Reihe nach vorn zu lassen? Die weiß anscheinend mehr.
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich kann natürlich nicht erkennen, aus welcher Erfahrung heraus Sie urteilen.
({1})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie uns gesagt haben, daß Ihnen die Äußerungen des Bundesinnenministers nicht bekannt seien, möchte ich doch wenigstens fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß die Außerungen des Bundesinnenministers erheblich sind, nachdem sie von Ihnen hier als unerheblich dargestellt wurden.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das können Sie o nicht auslegen. Sie werden nachher, wenn Sie eine
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
Aktuelle Stunde beantragen, sicherlich Gelegenheit haben, mit dem Bundesinnenminister über seine Rechtsauffassung zu diskutieren. Das wird Ihnen doch sicher ein großes Vergnügen sein.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Amrehn.
Herr Staatssekretär, kann es sich die Bundesregierung politisch für ihre Verhandlungen leisten, sich hier vor dem Hause von dem Artikel in „liberal" zu distanzieren, zu erklären, daß er nicht auf dem Arbeitspapier des Auswärtigen Amtes beruhe, und gleichzeitig durch Nichtlüftung des Geheimnisses um den Autor des Artikels den Verdacht bestehen zu lassen, daß ein hoher Regierungsbeamter, möglicherweise der Sprecher der Bundesregierung, diesen Artikel geschrieben hat und sie durch ihn dann doch kompromittiert wird und damit unterschwellig eine Rückfallposition angedeutet hat? Muß sie nicht in einem solchen Fall selbst Klarheit schaffen und notfalls den verantwortlichen Sprecher, um sich zu distanzieren, aus dem Amt entlassen?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet nein, Herr Abgeordneter.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch um etwas Ruhe, damit wir die Fragestunde abwickeln können.
Herr Abgeordneter Dr. Marx, bitte!
({0})
Herr Staatssekretär, sind Sie jetzt bereit, die Frage zu beantworten, welches eigentlich die „guten Gründe" waren, von denen Herr Ahlers bei einer Pressekonferenz sprach, die den Verfasser bewogen haben, ein Pseudonym zu wählen?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich kann nur unterstellen, daß es sich bei dem Artikel um eine persönliche Meinung handelt. Da ich hier keine Meinungen zu werten habe, die anderswo verbreitet worden sind, sondern nur amtliche Erklärungen, glaube ich, kann von Herrn Ahlers nur dasselbe gemeint gewesen sein.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Geßner!
({0})
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht auch ein wenig widersprüchlich, wenn die Opposition einerseits die Frage stellt, wer denn der Autor gewesen sei, und andererseits hier so tut, als wisse sie, wer es tatsächlich ist?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe hier keine Empfindungen zu besitzen, sondern den Auftrag, die Fragen zu beantworten.
Herr Abgeordneter Dr. Kraske.
Herr Staatssekretär, erwarten Sie von uns, daß wir für den Rest der Legislaturperiode Ihre Erklärung festhalten, daß es sich bei offiziellen Erklärungen des Regierungssprechers auf offiziellen Pressekonferenzen der Bundesregierung nur um persönliche Meinungsäußerungen handelt?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Nein, das ist ein sehr grobes Mißverständnis meiner Antwort,
({1})
weil Sie offensichtlich nicht zugehört haben. Sie werden das nachprüfen können.
({2})
Ich habe diese Charakterisierung deutlich auf diesen publizistischen Beitrag bezogen, der Sie so sehr beschäftigt. Was anders hätte hier gemeint sein können?!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Staatssekretär, ich beziehe mich auf Ihre Antwort auf die Zusatzfrage meines Kollegen Dr. Bach und frage Sie: Welche Gründe hat die Bundesregierung dafür, daß sie in diesem Falle der Veröffentlichung von Teilen eines Geheimpapiers keinerlei Maßnahmen ergreift, obwohl sie doch in ähnlich gelagerten Fällen im vorigen Jahre außerordentlich bemüht war?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich muß wiederholen, daß es sich bei dem Artikel in „liberal" nicht um eine Veröffentlichung handelt,
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
die einem Arbeitspapier der Bundesregierung entspricht. Ich will jedoch hinzufügen, daß Wertung und Meinung Sache des Autors sind, daß aber die Tatsachen, die in diesem Artikel erarbeitet worden sind, von Ihnen genauso aus jedem Archiv zusammengetragen werden könnten. Es sind alles überall bekannte Tatsachen, die hier verwertet und zu einem Meinungsbild verarbeitet wurden. Das ist der Unterschied zu Papieren, die noch nicht in Verhandlungen eingeführt worden sind. Es ist keine einzige Quelle
soweit ich das erkennen konnte - zitiert worden, die nicht jedermann zugänglich wäre, der etwa in diesem Hause in das Pressearchiv oder in die Bibliothek geht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin auf eine Frage des Kollegen Dr. Bach erklärt, daß die Bundesregierung im Falle eines Zeitungsartikels, der ebenfalls Elemente eines Geheimpapiers enthält, ein Verfahren gegen Unbekannt nicht eingeleitet habe. Hat sie das deshalb nicht getan, weil die Autoren bekannt sind?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe die Frage des Abgeordneten Dr. Kliesing nach dem Inhalt beantwortet. Wenn Sie meine Antwort, Herr Abgeordneter, richtig aufgenommen haben, dann erübrigt sich Ihre Frage.
({1})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie den Autor, der offenbar in der engsten Regierungsspitze zu suchen ist, heute nicht nennen wollen oder können, darf ich Sie fragen: Kann das Haus davon ausgehen, daß dem Autor des Artikels in „liberal" das Arbeitspapier der Bundesregierung bekannt war oder nicht?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das habe ich als Behauptung von Kollegen der Opposition in der Zeitung gelesen, daß es so sein müßte.
({1})
- Ich kann nur sagen, daß ihm Inhalte bekannt gewesen sein müßten, die Gegenstand der allgemeinen Diskussion sind und die auch in diesem Papier zusammengefaßt sind.
({2})
- Ich habe eine Antwort gegeben.
Meine Damen und Herren, ich darf nunmehr zu den anderen Fragen aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes kommen. Die Fragen 113 und 114 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Baron von Wrangel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Bemühungen des Bundesarbeitsministeriums zugunsten der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, nachdem bekanntgeworden ist, daß das Auswärtige Amt im Rahmen der Bereinigung der Altersstruktur des auswärtigen Dienstes laufend ältere Beamte in den Ruhestand versetzt?
Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten, sich diesem Thema zuzuwenden.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Frage 115 beantworte ich wie folgt. Die Bemühungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zugunsten der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer werden nach Auffassung der Bundesregierung durch die Versetzung von Angehörigen des Auswärtigen Dienstes in den einstweiligen Ruhestand nicht beeinträchtigt. Aus der außenpolitischen Aufgabenstellung und der Eigenart des Auswärtigen Dienstes ergeben sich besondere Anforderungen, die mit den Verhältnissen in der Privatwirtschaft nicht vergleichbar sind.
({0})
Meine Damen und Herren, der Fragesteller hat ein Recht darauf, daß die Antwort des Staatssekretärs gut verstanden werden kann. Ich darf deshalb um Ruhe bitten.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die für den Auswärtigen Dienst - Ich bin noch nicht fertig mit der Beantwortung; aber der Fragesteller ist offensichtlich wenig interessiert.
({0})
Der Fragesteller verläßt den Saal, Herr Präsident.
Ich bitte dringend um Ruhe, meine Damen und Herren! Wir müssen die Tagesordnung abwickeln. Verlegen Sie bitte Ihre Privatgespräche in andere Räume.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die für den Auswärtigen Dienst typische Notwendigkeit des Dienstpostenwechsels in einem durchschnittlich drei bis fünfjährigen Turnus sowie die sehr zahlreichen Dienstposten in gesundheitsgefährdenden Gebieten bringen in dieser Form nur dem Auswärtigen Dienst eigene Anforderungen mit sich, die in fortgeschrittenem Lebensalter oft schwierig zu erfüllen sind. Eine generelle Versetzung in den einstweiligen Ruhestand von einer bestimmten Altersgrenze an wird weder praktiziert noch beabsichtigt.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 116 des Abgeordneten von Wrangel auf:
Glaubt die Bundesregierung, daß das Beispiel des Auswärtigen Amtes die Wirtschaft ermuntert, ältere Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, nachdem der öffentliche Dienst am Beispiel des Auswärtigen Amtes genau das Gegenteil praktiziert?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Aus meiner Antwort zu Frage 115 folgt die .Unrichtigkeit der Unterstellung, der öffentliche Dienst praktiziere am Beispiel des Auswärtigen Amtes das Gegenteil eines die Wirtschaft zur Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer ermunternden Verhaltens.
Wird das Wort zu einer Zusatzfrage gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Fragen 117 und 118 des Abgeordneten Bauer ({0}) auf.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Sie sind bereits auf Wunsch des Antragstellers schriftlich beantwortet, Herr Präsident.
Dann rufe ich die Frage 119 des Abgeordneten Dr. Marx ({0}) auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dein Berliner Senat ergriffen, um Diskriminierungen Westberliner Touristen, die von ihrer Heimat aus nach Bulgarien fliegen wollen, abzuwehren und ungerechtfertigte bulgarische Forderungen zurückzuweisen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Ihre Frage bezieht sich offensichtlich auf ,den Vorfall vom 28. Mai 1971, bei dem eine Chartermaschine der amerikanischen Fluggesellschaft „Modern Air", die von Berlin-Tegel aus Westberliner Urlauber ohne Zwischenlandung im Bundesgebiet nach Varna in Bulgarien fliegen wollte, von bulgarischen Behörden keine Landeerlaubnis erhielt und umkehren mußte. Die bulgarische Seite hat die Fluggesellschaft bereits am 1. Juni 1971 unterrichtet, die Versagung der Landegenehmigung beruhe auf einem Irrtum der Fluginspektion in Varna. Sie hat den Vorfall bedauert und mitgeteilt, daß die Flüge von West-Berlin aus ohne Zwischenlandung im Bundesgebiet durchgeführt werden können. Die Angelegenheit ist damit als erledigt zu betrachten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Präsident, ich stelle keine Zusatzfrage. Die Angelegenheit ist damit erledigt.
Ich rufe die Frage 120 auf, die ebenfalls vom Abgeordneten Dr. Marx gestellt wurde:
Hat die Bundesregierung der polnischen Regierung unmißverständlich klargemacht, daß sie die Aufforderung des polnischen
Außenministers, gegen „Radio Free Europe" vorzugehen, als unzulässige Einmischung in unsere Angelegenheiten und wenig förderlichen Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung betrachtet, und sie weiterhin daran interessiert bleibt, daß der genannte Sender frei und unbehindert für die Völker Osteuropas Nachrichten und Kommentare ausstrahlt?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich darf zur Beantwortung dieser Frage im wesentlichen das wiederholen, was der Sprecher des Auswärtigen Amts vor der Presse bereits am 1. Juni erklärt hat. Der Brief des polnischen Außenministers wird zur Zeit im Auswärtigen Amt geprüft. Zeitpunkt und Inhalt unserer Antwort stehen noch nicht fest. Die polnische Seite ist über unsere Auffassung in dieser Frage seit längerem informiert. Im Rahmen der deutsch-polnischen Gespräche und Verhandlungen hat die polnische Regierung bereits im vergangenen Jahr Beschwerde über die Tätigkeit von „Radio Free Europe" geführt. In unserer Antwort haben wir darauf hingewiesen, daß die Befugnisse der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über auf ihrem Gebiet befindliche Rundfunksender verfassungsrechtlich begrenzt sind. Sie bestehen im wesentlichen aus der technischen Kontrolle und der Überwachung der Frequenzen. Dies gilt für deutsche 'Rundfunksender wie für den Sender „Radio Free Europe". Auch dieser Sender ist durch das Recht der Meinungsfreiheit geschützt. Wir haben uns jedoch bereit erklärt, berechtigte Beschwerden über Sendungen von „Radio Free Europe" entgegenzunehmen und sie gegenüber den Verantwortlichen des Münchener Senders zur Sprache zu bringen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da Sie sich, wie Sie soeben sagten, bereit erklärt haben, berechtigte Beschwerden entgegenzunehmen, frage ich: Hat sich auch die polnische Regierung bereit erklärt, berechtigte Beschwerden über Sendungen des polnischen Rundfunks, die uns betreffen, entgegenzunehmen und zu prüfen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Sie können davon ausgehen, daß solche Erörterungen auf Gegenseitigkeit beruhen.
({0})
Zu einer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ,da Sie soeben die Antwort des Sprechers der Bundesregierung zitiert haben, frage ich: Bis wann schätzen Sie, daß die Prüfung dieses Schreibens von Jedrychowski beendet ist? Und kann damit gerechnet werden, daß dies dann auch schriftlich und nicht durch eine Regierungssprechererklärung beantwortet wird?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich kann beide Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht präzise beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Becher.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, in diesem Zusammenhang auch Beschwerden über die zahlreichen Sender der Ostblockländer entgegenzunehmen, die in deutscher Sprache in die Bundesrepublik hineinsenden und sich fortwährend in unsere Innenpolitik einmischen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß berechtigte Beschwerden von uns selbstverständlich geprüft und auch mit anderen Partnern erörtert werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in Beantwortung des zweiten Teils der Frage 120 des Abgeordneten Dr. Marx sagen können, ob die ständige Verstärkung der Versuche von Interventionen in unsere innere Ordnung dazu gehört auch das nicht widerrufene Interview des stellvertretenden polnischen Außenministers Willmann - ein Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung oder eine hoffentlich falsch verstandene und falsch ausgewertete Interpretationsfolge der Regierungsverhandlungen im Zusammenhang mit einem Modus vivendi sind?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich möchte auf den von Ihnen hier angeschnittenen Fall nicht zurückkommen, weil dabei unsere Bewertung über den Tatsachengehalt möglicherweise erheblich auseinandergeht. Ich möchte nur sagen, daß es einfach zum Wesen einer beginnenden Normalisierung von Beziehungen gehört, daß man miteinander auch mehr über Beschwerden spricht, als man es vorher überhaupt hätte tun können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Damm.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß dieses polnische Ansinnen ein weiteres Zeichen dafür ist, daß die Führer einiger kommunistischer Staaten glauben, die unterzeichneten Verträge von Moskau und Warschau hätten die Voraussetzung für permanente Forderungen und Eingriffe in unsere politische Ordnung geschaffen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die in Ihrer Frage aufgestellte Wertung kann nicht für die Politik der Bundesregierung gelten. Die Bundesregierung würde sich gegen jede unerlaubte Einmischung heftig zur Wehr setzen.
Herr Abgeordneter Dr. Klepsch!
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung den Brief Jedrychowskis bisher immer noch nicht veröffentlicht, obwohl dies die polnische Presseagentur bereits getan hat?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, es ist nicht üblich, daß wir derartige Briefe - es handelt sich hier nicht um einen offenen Brief - veröffentlichen. Der Inhalt ist Ihnen ja bekanntgeworden,
({0})
und die Bundesregierung hat auch keinen Grund dazu, solche Briefe, die eine Beschwerde enthalten, von sich aus zu veröffentlichen. Sie muß erst einmal den Tatbestand klären. Man publiziert doch einen solchen Brief nicht, ohne daß man die eigene Stellungnahme in der Sache dazu abgeben kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Franke.
Herr Staatssekretär, wie wertet die Bundesregierung die Tatsache dieses Schreibens?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Das wird nach der abgeschlossenen Prüfung bekanntgegeben.
Herr Abgeordneter Ott!
Herr Staatssekretär, da Sie vorher erklärten, daß berechtigte Beschwerden angenommen werden, frage ich Sie: Welche Persönlichkeit oder Dienststelle beurteilt zu welchem Zeitpunkt, ob es sich um eine berechtigte oder um eine nicht berechtigte Beschwerde handelt? Stellt die Annahme in diesem Fall nicht einen Eingriff in die Pressefreiheit in unserem Lande dar?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt ist von Amts wegen verpflichtet, die Berechtigung von Beschwerden zu prüfen. Ich möchte hier jetzt keinen langen Katalog von Beschwerden aus allen möglichen Himmelsrichtungen und Ländern aufzählen, die etwa gegen deutsche publizistische Organe vorgebracht werden. Das würde der Sache nicht dienlich sein. So etwas gehört aber zu unserem täglichen Brot.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bach.
Herr Staatssekretär, wie wertet die Bundesregierung solche Versuche, in das innenpolitische Leben Deutschlands mit der Behauptung einzugreifen, es liege in der Konsequenz der auf Entspannung gerichteten Ostpolitik der. Bundesregierung, daß solche angeblich gegen den Osten gerichteten Intensionen verstummten?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, eine Prüfung aller publizistischen Stimmen der anderen Seite und ein Vergleich mit früheren Stimmen - allein was die Wortwahl dieser Stimmen angeht - rechtfertigt meiner Ansicht nach das, was die Bundesregierung zu dieser Sache gesagt hat.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit ich übersehen kann, wer sich zu Zusatzfragen meldet. - Im Augenblick offenbar niemand.
Wir kommen dann zur Frage 121 des Abgeordneten Schlee:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß laut Bericht der „Times" vom 21. Mai 1971 über den Besuch des britischen Premierministers in Paris ({0}) der französische Staatspräsident und der britische Premierminister darin übereinstimmen, daß die zukünftige politische Organisation Europas die Form eines Staatenbundes ({1}) haben müsse, und daß es nicht, wie einige Partner Frankreichs es gerne hätten, einen unmittelbaren Plan für ein bundesstaatliches Europa ({2}) mit Regierung und Parlament geben könne?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, darf ich die Fragen des Abgeordneten Schlee zusammen beantworten?
Bitte sehr! Dann rufe ich noch die Frage 122 des Abgeordneten Schlee auf:
Ist die Bundesregierung davon überzeugt, daß bei einer solchen Organisation Europas als Staatenbund eine vollendete Währungsunion mit einem für eine einheitliche Wahrung verantwortlichen Zentralbankinstitut erreicht werden kann?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Der Bundesregierung ist der von dem Herrn Abgeordneten auszugsweise zitierte Korrespondentenbericht der „Times" über den Besuch des britischen Premiers in Paris bekannt.
In der Frage ist die Annahme der „Times" eingeschlossen, daß die Begriffe „Conferation of States" und „Federal Europe" eindeutige Inhalte hätten. Daraus wird dann gefolgert, daß nur die eine der beiden Bezeichnungen mit einer echten Fortentwicklung der Gemeinschaft zu vereinbaren sei. Wir wollen nicht die Notwendigkeit klarer Begriffe leugnen, jedoch vertritt die Bundesregierung ebenso wie die anderen am Gemeinschaftswerk beteiligten Regierungen demgegenüber die Auffassung, daß es auf solche Bezeichnungen nicht entscheidend ankommt und daß aus den erwähnten Begriffen, deren konkrete Bedeutung übrigens überall umstritten ist, kein zwingender Schluß hinsichtlich der institutionellen Ausgestaltung der Gemeinschaft abgeleitet werden kann. Entscheidend ist die Einigkeit über das konkrete Ziel des gemeinsamen Bemühens, nämlich die Einigkeit über die Schaffung einer europäischen Regierung, die die erforderlichen Entscheidungen für alle verbindlich treffen kann.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Matthöfer wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Geht die Bundesregierung bei ihren ostpolitischen Üherlegungen heute immer noch von der früher geäußerten Voraussetzung aus, daß alle relevanten politischen Kräfte in den Vereinigten Staaten diese Ostpolitik unterstützen und ihre Konsequenzen gutheißen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Ich beantworte die Frage wie folgt. Die Bundesregierung sieht sich durch die Lissabonner Konferenz von neuem in ihrer Ansicht bestätigt, daß die entscheidenden politischen Kräfte in den Vereinigten Staaten die Ostpolitik der Bundesregierung unterstützen und deren Konsequenzen gutheißen. Im übrigen gibt es sicher in einer so großen pluralistischen Gesellschaft wie den Vereinigten Staaten Stimmen, die andere Meinungen zum Ausdruck bringen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Herr Staatssekretär, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß sich im amerikanischen Kongreß gerade in den letzten Wochen die Stimmen gegen die Ostpolitik dieser Bundesregierung gemehrt haben?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich kann das im einzelnen jetzt nicht nachprüfen. Sie haben aber nach ,den relevanten politischen Kräften gefragt. Wir gehen davon aus, daß die amerikanische Regierung für uns der entscheidende Partner ist.
Keine Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 125 des Herrn Abgeordneten Reddemann:
Hat der Bundesminister des Auswärtigen den im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" abgedruckten Satz „Die Israelis müssen jetzt endlich lernen, daß in dieser Regierung keine alten Nazis sitzen und damit auch keine Objekte fur Erpressungsversuche" wörtlich oder dern Sinne nach gesagt?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident, die Antwort lautet wie folgt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat eine derartige Äußerung nicht getan. Er stimmt aber mit einer Äußerung seines israelischen Kollegen Abba Ebban überein, der am 28. April in einem Interview mit einer sozialdemokratischen israelischen Zeitung wörtlich erklärt hat
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch - ich zitiere -:
Manchmal ist in unserer Presse die Meinung zu hören, daß wir Deutsche mit nicht so ausgesprochener Antinazivergangenheit bevorzugen sollten, da diese geneigt seien, uns aus Gewissensbissen zu entschädigen. Dies ist ein schrecklicher, unbegründeter Schluß.
So weit das Zitat.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, darf ich also annehmen, daß die entsprechende Notiz im „Spiegel" eine offenkundige Erfindung ist?
Moersch Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordnetenr, ich habe gesagt, daß der Bundesminister keine derartige Äußerung wörtlich oder dem Sinne nach getan hat. Ich habe Ihnen eine Äußerung zitiert, die offensichtlich Grundlage solcher Überlegungen gewesen sein kann, nämlich eine Zurückweisung solcher Äußerungen durch den israelischen Außenminister.
({0})
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da diese angebliche Äußerung des Außenministers, so wie sie im „Spiegel" wiedergegeben ist, geeignet sein könnte, antisemitischen Kräften in Deutschland Auftrieb zu geben, möchte ich die Frage stellen, warum die Bundesregierung nicht offiziell diese angebliche Äußerung des Außenministers dementiert hat, zumal diese Äußerung in einem Blatt veröffentlicht wurde, dessen Herausgeber immerhin erklärt hat, er habe diese Regierung „herbeigeschrieben".
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Erklärung der Bundesregierung hierzu, die Sachaufklärung, haben Sie dankenswerterweise durch Ihre Frage bereits ermöglicht.
Ich hätte nie geahnt, daß ich so der Bundesregierung helfe.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir stehen am Ende der Fragestunde. Die Fragen A 9 bis 18, 51 bis 70, 95 und 96 und B 12, 13 und 65 wurden von den Fragestellern zurückgezogen. Die Antworten auf die anderen Fragen, die nicht mehr aufgerufen werden konnten, werden als Anlagen im Sitzungsbericht abgedruckt.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Rasner hat namens der Fraktion der CDU/CSU eine
Aktuelle Stunde zu den von Mitgliedern seiner Fraktion vorgelegten Dringlichen Mündlichen Anfragen beantragt. Wir treten in die
Aktuelle Stunde
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weniger um eine Kontroverse zu suchen - sie freilich auch nicht zu scheuen, wo sie geboten ist -, als vielmehr die Chance wahrzunehmen, Positionen klarzustellen, die soeben in der Fragestunde nicht klar genug geworden sind, und dies in der Hoffnung, in dieser lebenswichtigen Frage ein möglichst großes Maß an Übereinstimmung - wenigstens in den Prinzipien - zu erzielen.
Zwischen dem freien Deutschland und dem freien Berlin bestehen - so Präsident Nixon am 26. Februar 1971 in seiner Kongreßbotschaft - „ganz und gar legitime Bindungen". Diese seien, wie der freie Zugang, die „Lebensader" Berlins. Von diesen Beziehungen sagt das letzte NATO-Kommuniqué, daß sie sich mit Zustimmung der drei Regierungen entwickelt haben.
Diese gewachsenen Bindungen zwischen Berlin und dem Bund zu bewahren und zu fördern, hat der Deutsche Bundestag am 26. September 1968 mit allen Stimmen beschlossen. Diesem Beschluß gilt nach wie vor unsere unveränderte Zustimmung.
({0})
Aus diesem Beschluß wie aus dem des Berliner Abgeordnetenhauses vom Mai 1971 entnehmen wir heute und morgen die Maßstäbe zum Urteil über die Frage, ob eine Berlin-Lösung befriedigend ist oder nicht.
({1})
Dies muß heute klar gesagt werden.
In dieser Frage sollte sich die Bundesregierung bemühen, die Zustimmung des ganzen Bundestages mindestens hinsichtlich der Definition der deutschen Interessen innerhalb der Viermächtegespräche zu erhalten.
Was sich hinter „Wieland Deutsch" auch immer verstecken mag - und es ist soeben keine klare Distanzierung der Regierung davon erfolgt -,
({2})
was immer sich dahinter verstecken mag, ist - ich sage dies mit großem Bedacht - weder im Abgeordnetenhaus von Berlin noch in diesem Deutschen Bundestag mehrheitsfähig.
({3})
Das muß jeder wissen, der jetzt verhandelt. Statt die gewachsenen Bindungen zu wahren, wie es in der Entschließung des Bundestages heißt, werden sie in Frage gestellt; statt sie zu fördern, wie wir es uns gemeinsam vorgenommen haben, werden sie gemindert; und die Zusammengehörigkeit von Berllin und Bonn wird nicht gestärkt, sondern geschwächt. Wir meinen: dies ist das Gegenteil der
Aufgabe und des Zieles demokratischer deutscher Berlin-Politik.
({4})
Wir haben in und um Berlin Rechte, nicht vermeintliche und schon gar nicht angemaßte. Der alliierte Schutz für Berlin, für den wir danken, gilt neben dem Territorium doch vor allem den Menschen und einer demokratischen Ordnung dort.
({5})
Er schließt deshalb jedwede Zusage irgendeiner Wohlverhaltensklausel durch die Menschen auf diesem Territorium aus.
Der freie Zugang ist ein entscheidender Bestandteil der Lebensfähigkeit Berlins. Aber eine Zugangsgarantie allein kann eben nicht eine befriedigende Berlin-Lösung sein. Denn es ist doch, Herr Kollege Wehner, zu fragen: Zugang wozu? Sicherlich nicht, so hoffen wir hier doch wohl alle, zu einem von den Vier Mächten kontrollierten West-Berlin; sicherlich nicht, so hoffen wir hier doch wohl alle und arbeiten dagegen, zu einer auf Dauer nicht haltbaren selbständigen politischen Einheit Berlin, sondern doch wohl nur zu einer Ordnung, die, ebenso wie die Zuordnung zur Bundesrepublik Deutschland und die unbestreitbare Zusammengehörigkeit mit der Bundesrepublik Deutschland, dem Willen der Bevölkerung entspricht.
({6})
Alle, die jetzt hierzu verantwortlich sprechen oder handeln, sollten nicht den Kern des Problems aus den Augen verlieren. Befriedigend wird diejenige Berlin-Lösung sein, die am Schluß die Berliner selbst annehmen,
({7})
weil sie ihnen Vertrauen und Zuversicht für eine gute Zukunft gibt. Dazu gehören die ungeschmälerte Lebensader der Beziehungen Berlin-Bonn und die Zusamemngehörigkeit. Ich zitiere aus dem erwähnten Beschluß des Berliner Abgeordnetenhauses: „Nur das Fortbestehen der Bindungen Berlins an den Bund sichert die Lebensfähigkeit unserer Stadt."
Wir sehen die Sowjetunion weit davon entfernt, in und um Berlin die Moskauer Unterschrift zu honorieren. Wir sehen heute gesteigerte Schikanen aus Anlässen, die früher kaum zu einem papierenen Protest geführt hätten, und wir sehen - ich muß dies sagen - innerhalb der Koalition eine Konzessionsbereitschaft, deren Grenzen wir nicht zu erkennen vermögen. Deshalb legen wir Wert darauf, unsere Position noch einmal festzulegen.
Eine befriedigende Berlin-Lösung muß den Geist des Vertrags mit der Sowjetunion, wie ihn die Bundesregierung darstellt, berücksichtigen, nachdem in Art. 1 von der „bestehenden wirklichen Lage" ausgegangen wird und nach Art. 4 alle Verträge und Vereinbarungen mit Dritten unberührt bleiben. Zu den Realitäten und Vereinbarungen gehört - übrigens entsprechend dem Willen der Berliner; wer es nicht glaubt, mag sie fragen - die Zusammengehörigkeit West-Berlins und der Bundesrepublik
Deutschland, also z. B. auch die Finanzhilfe des Bundes, die Anwesenheit des Bundes und die Tatsache, daß West-Berlin im Auftrag der Westmächte von der Bundesregierung nach außen vertreten wird. Diese gewachsenen politischen, rechtlichen, finanziellen, wirtschaftlichen und kulturellen Bindungen müssen erhalten, der Zugang muß störungsfrei und die Reisemöglichkeiten der Berliner müssen besser und von Diskriminierungen frei werden. Aus Berlin darf kein drittes Deutschland werden.
({8})
Dies, meine Damen und meine Herren, ist die Position, die wir mit eben diesen Worten im September des vergangenen Jahres bezogen haben. Im September 1970 - es ist nicht einmal ein Jahr her -war der Herr Bundeskanzler bereit, dieser prinzipiellen Zielsetzung und Festlegung öffentlich seine Zustimmung zu geben. Wir werden sehen, ob und wie dies heute hier geschieht, und danach wird jedermann drinnen und draußen wissen, woran er ist. Sollte es Klarheit geben, hätten wir kein Interesse an einer Fortsetzung dieser Aktuellen Stunde.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das westliche Bündnis hat in der vergangenen Woche einmütig eine eindeutige Haltung zu den Berlin-Verhandlungen bezogen. Die Bundesregierung steht zu den Beschlüssen des Bündnisses, und ich gehe davon aus, daß es nicht der Sinn dieser Aussprache im Deutschen Bundestag sein kann, diese Gemeinsamkeit des westlichen Bündnisses in Frage zu stellen.
({0})
Konstruierte Gegensätze und übertriebene Polemik dienen weder der Sache noch den Menschen, um die es geht. Ich darf dazu vier Feststellungen machen.
Erstens. Jeder von uns in diesem Hause weiß, was im Grundgesetz steht, was dies bedeutet und was dem Willen der Bevölkerung hier und in Berlin entspricht. Das wissen auch unsere Verbündeten. Gleichwohl liegt es auf der Hand, daß unsere Verbündeten von ihrer Rolle als Träger der obersten Gewalt und von der damit verbundenen rechtlichen Interpretation ausgehen, wenn sie nicht mit uns, sondern mit der Sowjetunion den Versuch machen, eine Berlin-Regelung auszuhandeln. Darüber, daß unsere Verbündeten solche Verhandlungen führen wollen, haben sie sich bekanntlich noch mit der vorigen Bundesregierung abgestimmt. Ich glaube, wir brauchen das jetzt nicht im einzelnen zu vertiefen.
Zweitens. Niemand sollte so tun, als könnte es der Sinn der Viermächteverhandlungen sein, einen neuen Status für Berlin auszuhandeln,
({1})
sondern Sinn solcher Verhandlungen muß sein, wie
es im Kommuniqué der NATO-Ministerkonferenz
heißt, „auf festen Verpflichtungen beruhende spezifische Verbesserungen ohne Beeinträchtigung des Statuts von Berlin zu erreichen". Genauso ist es im Kommuniqué festgehalten und wird deshalb hier ausdrücklich bestätigt.
Drittens. Niemand sollte sich auch über die entscheidenden Kriterien dessen im unklaren sein, was zu einer befriedigenden Berlin-Regelung gehört. Hier stütze ich mich wieder auf das Kommuniqué der NATO-Ratstagung von der vergangenen Woche, worin es heißt, daß Vereinbarungen zustande zu bringen sind
über den unbehinderten Personen- und Güterverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Westsektoren Berlins, über Verbesserungen der Bewegungsfreiheit für die Bewohner der Westsektoren und über die Respektierung der Bindungen zwischen den Westsektoren und der Bundesrepublik, wie sie sich mit Zustimmung der drei Regierungen entwickelt haben ...
Viertens. Wenn dann jemand fragt: Aber was ist mit der Berlin-Präsenz?, dann frage ich zurück -und nicht nur in dieses Haus hinein -: Glaubt jemand, daß es die eben erwähnten Bindungen ohne Präsenz geben kann? Das glaubt doch wohl niemand.
({2})
Aber ich füge auch hinzu: Präsenz und Visiten sind zweierlei.
({3})
Präsenz ist das, was da ist. Besuche haben auch ihre Bedeutung und werden sie behalten,
({4})
wenngleich sich nicht alle, die an der Diskussion hierüber heute besonderes Interesse zeigen, in früheren Jahren auf diesem Gebiet durch persönlichen Übereifer ausgezeichnet haben.
({5})
Ich meine, meine Damen und Herren - und ich sage dies ohne jede Schärfe und auch unabhängig von den politischen Gruppierungen in diesem Hause -, es hat eine Zeit gegeben, in der es möglich gewesen wäre, die Stellung West-Berlins als Land der Bundesrepublik Deutschland zu klären. Ich füge hinzu: was die deutsche Seite angeht, so ist dieses Bemühen gewiß nicht an den politischen Kräften gescheitert, die die heutige Bundesregierung tragen.
({6})
Ich erinnere mich genau, daß im Sommer und Frühherbst 1959 in Genf zwischen den Vier Mächten verhandelt wurde, und auch daran, was frühere Regierungen und einzelne ihrer Mitglieder zu wichtigen Aspekten des Verhältnisses Bund-Berlin vertreten oder in Aussicht gestellt haben.
Ich erinnere mich an die drei Essentials, wie sie genannt wurden, vitale Interessen, wie sie Präsident Kennedy in dem tragischen Jahr 1961 formuliert hat, die drei Essentials, die sich die damalige Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom 29. November 1961 zu eigen machte. Meine Damen und Herren, diese drei Essentials haben Gültigkeit behalten. Aber ich füge hinzu: bei den gegenwärtigen Verhandlungen geht es nicht nur darum, sie verankert zu bekommen, statt sie allein als westliche Auffassung zu vertreten, sondern geht es auch darum, über die Grundsätze hinaus auch Einigkeit über ihre Anwendung zu erlangen. Das ist der Kern der Sache. Wenn es - da weiche ich von einer Auffassung ab, die heute früh in der Fragestunde vertreten wurde - für diese Verankerung und Sicherung der Anwendung Chancen gibt, so auch deswegen, weil wir eine Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion eingeleitet haben. Sonst gäbe es diese Chance nicht, sage ich Ihnen.
({7})
Gerade weil ich die Zusammenhänge und die Entwicklung über die Jahre hinweg doch ganz gut kenne, sage ich folgendes: es wäre dringend zu wünschen, daß die Verhandlungen der Vier Mächte einen positiven Abschluß fänden. Denn jetzt geht es zum ersten Mal seit vielen Jahren um eine Verbesserung der Lage, um eine solide Existenz und eine gesicherte Zukunft für Berlin und die Berliner. Das hat doch auch die Opposition mit ihrer Erklärung vom 1. November 1970 gewollt, Herr Kollege Barzel, die sorgfältig aufgenommen und eingearbeitet worden ist in das, worum sich andere und wir selbst bemühen.
Die Verhandlungen sind in ein entscheidendes Stadium getreten, ohne daß irgendeiner sagen kann, wie lange sie noch dauern. Ich würde es tief bedauern, wenn an diesem Tage, in dieser Stunde der Eindruck hervorgerufen würde, als gäbe es über die wesentlichen Fragen einer Berlin-Regelung keine Übereinstimmung mit der Bundesregierung. Ich kann hier und vor der deutschen Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch vor den Berlinern versichern, daß die drei westlichen Regierungen im Zusammenwirken mit der Bundesregierung mit großer Zähigkeit und mit großer Hartnäckigkeit die gemeinsam festgelegten Positionen für eine Berlin-Regelung behaupten, daran festhalten und durchzusetzen versuchen werden.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem, was der Herr Bundeskanzler soeben vorgetragen hat, bleibt eine Reihe Fragen offen. Die Fraktion der CDU/CSU möchte diese Fragen in den zuständigen Ausschüssen eingehend und gründlich erörtern. Wir behalten uns dann vor, wieder ins Plenum des Deutschen Bundestages zu gehen.
({0})
Liegen weitere Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aktuelle Stunde.
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ich rufe nunmehr Punkt 32 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Wohlrabe, Dr. Marx ({0}) und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Förderung des Sozialdemokratischen Hochschulbundes ({1}), des Liberalen Studentenbundes Deutschlands ({2}) und des Verbandes Deutscher Studentenschaften ({3}) aus Bundesmitteln, insbesondere aus Mitteln des Bundesjugendplans
- Drucksachen VI/2018, VI/2218 ({4})
- Meine Damen und Herren, ich habe ja Verständnis dafür, daß nicht alle an der folgenden Debatte teilnehmen. Aber dann bitte ich Sie, den Saal zu verlassen und die Gespräche nicht hier schon zu beginnen. Sonst gelingt es mir nicht einmal mit dem Lautsprecher, hier so zu sprechen, daß mich jeder verstehen kann, der an dem Thema interessiert ist.
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({5}) über den Bericht der Bundesregierung zur Bildungspolitik
- Drucksachen VI/925, VI/ 1922 ({6}) -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gölter, Abgeordneter Hansen
Ich danke den Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht.
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({7}) über den Antrag der Abgeordneten Roser, Dr. Martin, Röhner, Dr. Probst, Dr. Schneider ({8}), Niegel und Genossen betr. soziale Lage der verheirateten Studenten
- Drucksachen VI/ 1419, VI/2070 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sperling, Abgeordneter Roser
Ich danke den Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht.
({9})
- Ich darf noch einmal um Ruhe bitten.
d) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({10}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzperspektiven über die Bildungsplanung für die Jahre 1971 bis 1980
Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Bildungsbedarf
Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Lehrermangel
Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. vorschulische Erziehung
Drucksachen VI/1269, VI/ 1270, VI/ 1271, VI/1272, VI/2179 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gölter, Abgeordneter Hansen
Ich danke den Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht.
e) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({11}) über den Antrag der Abgeordneten Roser, Dr. Martin, Lemmrich, Dr. Probst, Röhner und Genossen betr. europäische Hochschulpolitik
Drucksachen VI/1420, VI/2222 Berichterstatter: Abgeordnete Frau Dr. Walz, Abgeordneter Flämig
Ich danke den Berichterstattern für ihren Schriftlichen Bericht.
Sind Ergänzungen der Schriftlichen Berichte notwendig? - Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Bericht ist der Redaktion ein Fehler passiert. Ich möchte folgende Verbesserung zu Protokoll geben. Entsprechend dem Beschluß des Ausschusses in seiner Sitzung vom 13. Mai 1971 ist in Ziffer 2 hinter „akademischen Zeugnisse" einzufügen: „und der Staatsexamina".
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Weitere Ergänzungen der Berichterstattungen sind nicht veranlaßt. Ich schlage Ihnen vor, die Debatte über sämtliche Punkte a) bis e) zu verbinden. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Als erster hat der Herr Abgeordnete Wohlrabe das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU über die Förderung des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, des Liberalen Studentenbundes Deutschlands und des Verbandes Deutscher Studentenschaften mit Interesse zur Kenntnis genommen. Die heutige Debatte gibt eine gute Möglichkeit, einiges über die Lage an den Hochschulen und insbesondere dieser Verbände zu sagen.
Die kürzlich zugeleitete Drucksache VI/2074 - und ich finde, sie sollte in diese Debatte einbezogen werden - gibt außerdem Aufschluß über die Tätigkeit links- und rechtsradikaler Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Drucksache hat die Bundesregierung festgestellt, daß es heute rund 316 links- und rechtsradikale Gruppen gibt, deren Mitglieder wie folgt eingestuft werden müssen: etwa 30 000 in rechtsradikale Gruppierungen und 81 000 Mitglieder in rund 250 Organisationen der Linksradikalen. Das macht deutlich, daß eine nicht unterzubewertende Gefahr auf der Rechten durchaus vorhanden ist. Es macht aber auch deutlich, daß die wirkliche Gefahr für die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit eindeutig auf der Linken organisiert ist. Deshalb
wenden wir uns auch gegen die These: Der Feind steht nur rechts. Richtig ist vielmehr, wie es die Bundesregierung ausweist, daß in dreifacher Stärke der Feind links steht. Deshalb darf das Problem der radikalen Entwicklungen von der SPD-FDP-Koalition nicht verniedlicht werden.
Dabei ist es besonders wichtig, daß neben der Kommunistischen Partei und der Sozialistischen Einheitspartei West-Berlin vor allem im Jugend-, Studenten- und Schülerbereich heute eine ganz erhebliche Anzahl von linksradikalen Gruppen tätig sind. Diese Gruppen fordern den Abbau der demokratischen Grundordnung und der repräsentativen Demokratie. Ihr Ziel ist es - ich will die taktischen Finessen einmal beiseite lassen -, die Diktatur des Proletariats durchzusetzen. Gerade deshalb hat die Bundesregierung die verfassungsmäßige Pflicht, gegen diese Bestrebungen mit all ihrer Kraft vorzugehen.
({0})
Ich darf auf die Beantwortung der Anfrage unmittelbar eingehen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, daß auch die Bundesregierung zur Zeit nicht bereit ist, den Verband Deutscher Studentenschaften zu fördern. Sie hat sich damit der bereits seit langem von der CDU/CSU-Fraktion geäußerten Auffassung angeschlossen - wenn es auch etwas gedauert hat. Das ist ja verständlich, wenn man einmal die Bandbreite der Meinungen innerhalb der Koalitionsfraktionen betrachtet. Ich könnte mir vorstellen, daß es hier heute sehr interessieren würde, ob die - ich darf es vielleicht einmal so sagen - auf dem linken Flügel der SPD-Fraktion stehenden Kollegen Walkhoff und Wichert
({1})
- gut, in der Mitte, wie immer, Kollege Raffert -, nachdem sie sich so lange für die Förderung des VDS eingesetzt haben, nicht doch einmal bereit sind, hier und heute ihre Argumente vorzutragen und sich nicht nur mit der Meinung der CDU/CSU und mit der Meinung der Bundesregierung - die ja eine abweichende ist -, sondern vielleicht auch einmal mit der Meinung ihres Parteifreundes, Dr. Schmitt-Vockenhausen - um nur einen Namen zu nennen -, unseres Vizepräsidenten hier im Hause, auseinanderzusetzen, der noch im Februar im ZDF-Magazin - ja, lesen Sie doch bitte mal nach, was er dort gesagt hat - folgendes ausgeführt hat:
Den Notruf einer Reihe von politischen Freunden, die sich vor allem in Berlin und an anderen Universitäten sehr starken Pressionen ausgesetzt sehen, konnte man nicht ungehört verhallen lassen.
Ich wiederhole: Notruf! Dieses Wort weist aus, wie es heute um viele Universitäten in unserem Lande bestellt ist. Es demonstriert auch, in welch unvorstellbarer Weise Freiheit der Wissenschaft an unseren Hochschulen auf das ernsteste gefährdet ist. Dazu haben nicht nur Professoren beigetragen, die Wissenschaft als ihr Privateigentum betrachteten und die Reform die Hochschulen durch Erhaltung eigener Privilegien verhindern wollten.
({2})
Auch das muß gesagt werden. Ich war lange genug Studentenvertreter und kann die Situation durchaus beurteilen, da ich das alles erlebt habe. Nur muß, wenn man dies sagt, auch gesagt werden, daß zu dieser Misere, die wir heute an den deutschen Hochschulen haben, in ganz besonderem Maße linksradikale Kräfte, wie z. B. der Verband Deutscher Studenschaften oder der Sozialdemokratische Hochschulbund, beigetragen haben, die unter dem Motto „Marx an die Uni" die Formierung der Hochschule in elitärer Arroganz und antipluralistischer Haltung anstreben.
({3})
Wer die Begründung für die Verweigerung der Förderungswürdigkeit des Verbandes Deutscher Studentenschaften einmal unter diesem Gesichtspunkt überprüft, stellt fest, daß die Bundesregierung das Problem, nämlich den Unterschied zwischen einem gut funktionierenden, demokratisch organisierten studentischen Dachverband und einem im marxistisch-kommunistischen Bündnis wiedererstandenen Verband aufzuzeigen, eindeutig beschönigt und in mißverstandener Toleranz der deutschen Öffentlichkeit falsch darstellt.
Der VDS hat sich nicht gefestigt, wie dort ausgeführt wird. Er ist auch nicht funktionsfähiger geworden, es sei denn, man meint, daß Kommunisten und Spartakisten und die mit ihnen verbundenen Mitglieder des Sozialdemokratischen Hochschulbundes eine Besserung bewirkt haben.
Die Hauptresulution der Mitgliederversammlung des Verbandes Deutscher Studentenschaften vom März 1971 liegt vor uns. Sie gibt am besten Auskunft über das demokratische Selbstverständnis dieses Verbandes. Sie gibt nach unseren Erkenntnissen nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß zur Zeit im Verband Deutscher Studentenschaften die pluralistischen Strömungen der deutschen Studentenschaften berücksichtigt werden. Dies läßt sich, meine Damen und Herren, durch einige Tatsachen beleben, die ich bitte zu berücksichtigen. Meinen verehrten Nachredner von der SPD-Fraktion möchte ich wirklich bitten, sich mit diesen Punkten auseinanderzusetzen, weil ich meine, daß sie für die Prüfung des Verbandes Deutscher Studentenschaften und seines Selbstverständnisses von ganz erheblicher Bedeutung sind. Es sind folgende Tatsachen:
1. Das Ergebnis der Wahlen, die zur Bildung eines Vorstandes aus drei Angehörigen des sich sozialdemokratisch nennenden Hochschulbundes und einem Angehörigen des DKP/SED-abhängigen marxistischen Studentenverbandes Spartakus führte, beweist, daß die leninistische Taktik der Aktionseinheit fortgesetzt wird. Auch diese Zusammensetzung täuscht über die tatsächlichen Machtverhältnisse noch hinweg. In Wirklichkeit, meine Damen und Herren, sind die Funktionsträger des VDS mehrheitlich kommunistisch. Der von der DKP abhängige Spartakus hat die klare Führungsrolle. Jeder weiß, daß er nicht verfassungskonform ist. Dazu nur ein Zitat aus den theoretischen Schriften des Spartakus:
Wie der Kampf der Arbeiterklasse verläuft auch der Kampf an den Hochschulen entsprechend den verschiedenartigsten Strukturen der Herrschaft der Bourgoisie in vielfältiger Form. Die Skala reicht vom bewaffneten Aufstand bis zum Kampf in bürgerlichen Parlamenten. Die Anwendung jeweils verschiedener Formen widerspiegelt einerseits den unterschiedlichen Bewußtseinsstand der Arbeiterklasse, andererseits den unterschiedlichen Faschisierungsgrad der kapitalistischen Gesellschaft.
So weit das Zitat, meine Damen und Herren. Das sind die Leute, die im Verband Deutscher Studentenschaften heute führend tätig sind, die dies als ihre Theorie ausgeben. Dies als Festigung oder gar Besserung darzustellen, kann ich nur als Verniedlichung und Beschönigung des Problems bezeichnen.
({4})
2. Aus der verabschiedeten Hauptresolution der Mitgliederversammlung ergibt sich, daß das Demokratieverständnis des Verbandes aus der marxistisch-leninistischen Klassentheorie hergeleitet wird und damit notwendigerweise mit den Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie unseres Grundgesetzes nicht vereinbar ist.
3. Die verkündeten innen- und außenpolitischen Ziele des Verbandes Deutscher Studentenschaften werden aus der vorbehaltlosen Identifizierung mit der kommunistischen Imperialismustheorie, der fortgeschriebenen Lehre vom Staatsmonopolismus und der daraus entwickelten kommunistischen Theorie vom Faschismus abgeleitet. Damit stellt sich die Funktionärsschicht des VDS in den bewußten Gegensatz zu den Zielen und Interessen, die nach den Wertvorstellungen des Grundgesetzes von den demokratischen Parteien in diesem Hause gemeinsam - wie ich annehme - vertreten werden.
4. Derartige politische Erklärungen und Standortbestimmungen entsprechen auch nicht dem § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes sowie den Richtlinien einer Förderung aus dem Bundesjugendplan, der ja das Bejahen und uneingeschränkte Eintreten für die freiheitliche Demokratie und den Parlamentarismus zur Voraussetzung haben.
Deshalb ist auch der Beschluß der Bundesregierung - der Großen Koalition damals vom 26. März 1969, dem VDS keine Förderung mehr zukommen zu lassen, vollkommen richtig. Er muß beibehalten bleiben, denn die Ausgangslage hat sich seit damals nicht verändert. Ich bedaure, daß sie sich nicht verändert hat, denn auch wir, die CDU/ CSU, haben ein starkes Interesse daran, einen demokratischen Dachverband der Studenten zu haben, der ein wirklich pluralistisches Bild der studentischen Bestrebungen wiedergibt, aber keine einseitige linksradikale Clique darstellt.
({5})
Diese muß von der Förderung weiterhin ausgeschlossen bleiben.
({6})
Lassen Sie mich dieses Pult auch dazu benutzen, noch eines zu sagen: Ich glaube, wir alle haben ein Gutteil Arbeit zu leisten, damit insbesondere den jungen Kräften in unseren Parteien eine gute Unterstützung zuteil wird - ich hoffe, daß das noch in allen Parteien möglich ist, in den Parteien, nicht in den Studentenverbänden; das wäre nur bei uns möglich, nicht bei der SPD und der FDP - -({7})
- Es ist leider so. Ich würde mich freuen - ich komme noch auf der SHB und den LSD zu sprechen -, wenn das bei Ihnen noch so wäre. Es ist leider nicht so. Ich halte es aber für besonders wichtig, daß auch die deutschen Studenten selbst dazu beitragen, diesem linksradikalen Spuk ein Ende zu bereiten.
Die Studenten beklagen sich oft darüber, daß die Studienmöglichkeiten, die Möglichkeiten, ein Studium in völliger Freiheit und auch Ungebundenheit durchzuführen, nicht gegeben sind. Hier ist der Punkt, an dem sie selbst durch Selbsthilfe einsetzen müssen, wie es auch Generationen und Jahrgänge vor ihnen getan haben.
Eine Frage bleibt beim VDS trotzdem noch offen. Es wird der Öffentlichkeit immer suggeriert: Dieser arme Verband bekommt kein Geld; es ist alles ganz fürchterlich. Wer sich einmal den Haushalt des VDS vornimmt - ich beziehe mich nur auf eindeutige Quellen -, stellt fest, daß sich in der Kasse des Verbandes 600 000 DM befinden,
({8})
ein, wie ich meine, nicht unerhebliches Sümmchen. Für mich sind das 600 000 DM zuviel, vor allem deshalb zuviel, weil es sich hier um zwangsweise eingetriebene Gelder der Studierenden für eindeutig kommunistische Propaganda- und Aktionszwecke handelt. Wir haben deshalb die Frage zu stellen -diese Frage richte ich insbesondere an den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft -: Was hat die Bundesregierung gegen diese zwangsweise Eintreibung von Mitgliedsbeiträgen getan?
({9})
Hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft über die Kultusministerkonferenz der Länder Einfluß auf die Universitäten genommen, damit diese Zwangsbeiträge von den Universitäten nicht länger für verfassungswidrige Maßnahmen weitergeleitet werden? Hat die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1969 gezogen, nach dem derartige Zwangsbeiträge widerrechtlich ausgegeben werden, wenn die Inanspruchnahme des allgemeinen politischen Mandats vorliegt, so wie es der Verband Deutscher Studentenschaften gerade auch auf seiner letzten Mitgliederversammlung artikuliert hat?
Wir wollen nicht falsch verstanden werden: Auch die CDU/CSU tritt weiterhin für das Prinzip der verfaßten Studentenschaften ein, aber nur dann, meine Damen und Herren, wenn die einkommenden Mit7254
gliedsbeiträge nicht zweckentfremdet werden, wie es hier der Fall ist.
({10})
Deshalb möchten wir von hier aus den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft auffordern, schon für die nächste Kultusministerkonferenz diese Frage auf die Tagesordnung setzen zu lassen und zu entsprechenden Entschlüssen zu kommen und dann diesem Hause spätestens bei der Etatberatung im Jahre 1972 erneut zu berichten.
Ein anderes Thema ist der Liberale Studentenbund. Auch er war Gegenstand unserer Anfrage. Lassen Sie mich dazu - er ist ja nur noch ein Bündchen - auch ein paar Worte sagen.
Der Liberale Studentenbund nennt sich LSD, in West-Berlin LSW, weil er dort die kommunistische Auffassung teilt, West-Berlin sei eine selbständige politische Einheit. Aber es bleibt doch die Frage: Trifft auf ihn § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes zu, der für die Förderung aus dem Bundesjugendplan nach den neuen Richtlinien nicht nur die Bejahung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch die Bejahung der parlamentarisch-repräsentativen Willensbildung von denjenigen verlangt, die als Zuwendungsempfänger Ansprüche aus dem Bundesjugendplan herleiten wollen. Es bedeutet doch in der Tat, sehr verehrte Frau Minister, eine totale Verkennung der Tatsachen, wenn in der Antwort der Bundesregierung diese Kriterien für den Liberalen Studentenbund Deutschlands überhaupt nicht geprüft und auch nicht ernst genommen werden. Es müßte doch der Bundesregierung, gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse des Bundesministers des Innern, bekannt sein, daß der Liberale Studentenbund inzwischen vollkommen in das Fahrwasser der Verfassungsfeinde abgerutscht ist. Er ist kein funktionierender Bundesverband mehr. Es gibt in Wirklichkeit nur noch einzelne kleine Gruppen, die sich schon seit 1969 zur sozialistischen Massenbewegung bekennen. Derartige Aktionen - ich habe das hier schon seinerzeit gesagt-gipfeln dann auch darin, daß der LSW aufruft, in West-Berlin die Sozialistische Einheitspartei West-Berlin zu wählen. Und dann wird gesagt, für 1971 sei nichts beantragt. So ist es leider nicht. Es ist nämlich festzustellen, daß 1970 erhebliche Beträge gegeben wurden und daß darüber hinaus 1971 aus dem Bundesjugendplan, Sonderplan Berlin, der ebenfalls in Ihrem Hause etatisiert ist, wiederum Tausende von Mark ausgegeben worden sind und daß, wie Sie, Herr Kollege Westphal, doch auch wissen, der LSD 1971 erneut 40 000 DM bei seiner studentischen Zentralstelle vorbewilligt bekommen hat. Das heißt, hier wird verniedlicht und in den Augen gewischt. Tausende, ja, Zehntausende von Mark sind schon gezahlt oder werden in diesem Jahr gezahlt werden! Wir können hier nur darum bitten bzw. die Bundesregierung auffordern, auf einer ihrer nächsten Sitzungen die endgültige Einstellung der Förderung des Liberalen Studentenbundes zu beschließen; denn er entspricht in keiner Weise mehr den Kriterien, die wir für eine Förderung anzulegen haben.
({11})
Einfach unseriös ist die Antwort des zuständigen Bundesministeriums auf die Frage, ob die Bundesregierung der Meinung sei, daß der SHB noch eine Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit biete und die freiheitlich-demokratische Grundordnung bejahe. Meine Damen und Herren, ich darf Sie wirklich bitten, sich diese Antwort auch einmal unter dem Gesichtspunkt all dessen, was Sie in der Zeitung gelesen haben, was Sie an Stellungnahmen vor allem von prominenten Sozialdemokraten gehört haben, durchzulesen. In der Antwort der Bundesregierung werden eindeutige Sachverhalte vernebelt und verniedlicht. Die klar verfassungswidrige Entwicklung dieses Verbandes, des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, wird nicht dargestellt, und der deutschen Öffentlichkeit wird ein beschönigendes Bild von der hochschulpolitischen Entwicklung vermittelt. Eine klare Antwort wird vermieden. Eine Bundesregierung aber, die in dieser Weise durch Verniedlichen die Öffentlichkeit in die Irre führt, versäumt ihre Pflicht.
({12})
Ein Pflichtversäumnis ist es auch, wenn in der Antwort der Bundesregierung beschönigend von einigen - einigen! - Hochschulgruppen innerhalb des SHB gesprochen wird. Vom Zusammenwirken mit extremistischen Kräften, von Verlautbarungen und örtlichen Aktionsgemeinschaften, die Anhaltspunkte dafür liefern, daß man sich teilweise Vorstellungen einer Veränderung der Gesellschaft zu eigen gemacht hat, die mit den Grundsätzen der repräsentativen parlamentarischen Demokratie nicht in Einklang stehen, liest man.
({13})
Wir müssen demgegenüber, da dies so dargestellt wird, hier folgendes deutlich festhalten:
Erstens: Nicht einige Hochschulgruppen, sondern d e r Sozialdemokratische Hochschulbund in seiner Gesamtheit hat sich in einer dreijährigen Entwicklung der Sozialdemokratie und ihrem Bekenntnis zum freiheitlichen Sozialismus restlos entfremdet und wurde auf der Delegiertenversammlung in Göttingen in diesem Jahr von einer Mehrheit beherrscht, die ein klares Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus ablegt.
Zweitens: Der Sozialdemokratische Hochschulbund wirkt nicht mit irgendwelchen anonymen extremistischen Kräften, wie es in der Antwort heißt, zusammen, sondern mit dem marxistischen Studentenbund Spartakus, dem neugegründeten Hochschulbund der DKP.
({14})
Warum sagt das diese Regierung nicht? Traut sie sich das nicht, ist sie zu feige?
({15})
Herr Abgeordneter Wohlrabe, der Ausdruck „feige" ist unparlamentisch. Ich weise ihn zurück.
({0})
Ich will ein Wort dazu sagen. In der Sache bin ich der Auffassung. Ich nehme „feige" für meinen Teil gern zurück. Trotzdem meine ich, wenn man es redlich meint, muß man es auch sagen; sonst ist es in der Tat unredlich.
({0})
Dieser Spartakus bekennt sich zur Organisationstheorie des Marxismus-Leninismus und verfolgt deshalb das Ziel der Herbeiführung der proletarischen Revolution zum Zwecke der Errichtung der Diktatur des Proletariats. Das können Sie überall nachlesen.
Drittens. Es gibt nicht irgendwelche mehr oder weniger aufschlußreichen Verlautbarungen, sondern konkrete Beschlüsse von formal zuständigen Gremien, nämlich Landes- und Bundesdelegiertenkonferenzen. Es sind nicht lediglich örtlich begrenzte Aktionsgemeinschaften, sondern das Eingehen auf die Taktik der Aktionseinheit hat nicht nur örtlich an den Hochschulen, sondern auch bundesweit im Verband Deutscher Studentenschaften den Kommunisten zu Macht und Einfluß verholfen. Das ist die Situation, die wir heute vorfinden. Das, was das Ministerium, was die Bundesregierung dem Hause als Antwort vorlegt, ist in der Tat dürftig und unrichtig.
Diese Tatsachen geben nicht nur Anhaltspunkte, sondern sie geben jedem engagierten Demokraten davon Kenntnis, daß - nicht nur teilweise - die überwiegende Mehrheit der 2500 Mitglieder innert halb des SHB Vorstellungen von einer Veränderung der Gesellschaft verfolgt, die nach den Grundsätzen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung klar verfassungswidrig sind. Das hätte hier gesagt werden müssen. Die Sozialdemokratische Partei hätte sicher ihren Abgrenzungsbeschluß gar nicht gefaßt, wenn sie nicht auch zu diesen Erkenntnissen gekommen wäre. Deshalb kann hier nur gefordert werden, daß diese Partei, die SPD, die zur Zeit diese Regierung wesentlich mitgestaltet, die Politik, die sie in ihrem eigenen Parteivorstand betreibt, auch in der Bundesregierung verfolgt und nicht auf Steuerzahlerkosten dazu beiträgt, daß der Eindruck entsteht, als ob gar nichts gewesen wäre.
({1})
Ich darf die Wertung, die ich hier kurz vorgenommen habe, durch ein Zitat belegen, damit man weiß, was alles aus dem Mund des SHB kommt - ein Zitat, das noch gar nicht allzu alt ist und das auf einer Delegiertenkonferenz des SHB in Bochum mit überwiegender Mehrheit zum Beschluß erhoben wurde:
Der SHB nimmt sich die Worte des Genossen Karl Marx zu Herzen: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern!", und ändert ab sofort seine Politik der verbalen Revolution zugunsten der Vorbereitung einer realen. Das Argument, die Zeit der Revolution sei noch nicht gekommen, hat nur dann Berechtigung, wenn man personell und organisatorisch am Tage X in der Lage ist, die historische Aufgabe zu erfüllen. In seinem jetzigen
Zustand bliebe dem Sozialdemokratischen Hochschulbund für den Fall einer revolutionären Situation nicht viel anderes übrig, als verwundert festzustellen, daß da wohl etwas passiert sei, und selbst das erst dann, wenn staatlicher Polizeiterror die einsamen Revolutionäre bereits liquidiert hätte. Der SHB beginnt ab sofort,
({2})
- Hören Sie erst zu Ende; jetzt kommt es erst revolutionäre Kader zu bilden, die sich nicht allein darauf beschränken, sich auf den Tag X vorzubereiten, sondern ihn selbst vorbereiten, Weitere Einzelheiten sollten tunlichst nicht gleich den Geheimdiensten zugänglich gemacht werden.
Das ist das Zitat. Es würde mich interessieren, was die SPD-Fraktion dazu zu sagen hat, ob sie das noch als förderungswürdig erachtet.
Auf seiner 11. Delegiertenversammlung in Koblenz - erst im vergangenen Jahr - verabschiedete der SHB noch einen Beschluß, in dem es u. a. heißt:
Der Sozialdemokratische Hochschulbund ist der Meinung, daß eine Aktionsgemeinschaft in Fragen, in denen gemeinsame Interessen und Auffassungen bestehen, ein Mittel ist, einen Politisierungsprozeß in der Bevölkerung und in der Studentenschaft zu fördern. Die Bundesdelegiertenversammlung des SHB fordert alle SHB-Gruppen und alle Sozialdemokraten auf, Aktionsgemeinschaften mit Kommunisten dort zu praktizieren, wo es den gemeinsamen sozialen und politischen Interessen dient. Parteischädigend ist nicht die Zusammenarbeit mit Kommunisten, sondern die Aufrechterhaltung eines für die sozialistische Bewegung gefährlichen Antikommunismus in der BRD.
So weit das zweite Zitat.
Ich stelle nun folgendes fest. Mit diesem Beschluß rückte der SHB vom Parteiratsbeschluß der SPD vom November 1970, den ich schon zitiert habe, ab, der gemeinsame Aktionen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten als parteischädigend erklärte. Niemand anders aber als der Bundeskanzler und der Parteivorsitzende der SPD hat diese Herausforderung des SHB leider nur beschwichtigend gewürdigt. Ja, er hat diesen Beschluß sogar verharmlost durch ein Interview im Deutschen Fernsehen am 29. Januar dieses Jahres. Er sagte, eine Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten in Betrieben und Studentenvertretungen bleibe zulässig.
({3})
Damit, meine Damen und Herren, ist diese gefährliche Taktik der Aktionseinheit aufgewertet worden. Wir hätten uns gefreut, wenn diese Bundesregierung gerade diesen Umstand ebenfalls in ihrer Antwort einmal einer näheren Erläuterung unterzogen hätte. Auch das ist nicht erfolgt.
Jeder von uns weiß, daß der SHB heute fast nur noch durch eine Aktionsgemeinschaft mit den Spartakus-Gruppen lebensfähig ist. Diese findet auf allen Ebenen in der Hochschule statt, insbesondere im Verband Deutscher Studentenschaften. Er unterstützt voll und ganz die These, daß der VDS Kontakte aufnehmen sollte zu Studentenorganisationen in sozialistischen Ländern, vornehmlich zur FDJ in der DDR. Der SHB betreibt eine Bündnispolitik mit den Kommunisten innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik und ist somit eindeutig in die Reihe derer einzugruppieren, die verfassungswidrige Zielsetzungen im Sinne der Normen des Grundgesetzes unterstützen und fördern. Wenn Sie einmal den Bundesminister des Innern befragen und sich seine Arbeitsmöglichkeiten zu Nutze machen, sehr verehrter Herr Kollege Westphal, dann werden Sie feststellen, daß auch unter diesem Gesichtspunkt die Antwort der Regierung unredlich ist. Sie haben nicht dargestellt, wie die Sachverhalte heute in der Bundesrepublik Deutschland wirklich sind.
({4})
Für all das werden dem SHB jährlich rund 104 000 DM zur Verfügung gestellt und dann als richtliniengemäß ausgewiesen. Der federführende Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit erklärt in der vorliegenden Antwort, die Maßnahmen des SHB seien nur gefördert worden, soweit sie den Richtlinien des Bundesjugendplans entsprächen. In Anbetracht der vorangegangenen Feststellungen wird der Bundesminister hiermit aufgefordert, hier und heute die konkret geförderten Maßnahmen vor diesem Haus einzeln zu nennen,
({5})
da wir sicher ein Interesse daran haben, einmal zu hören, was hier alles gemacht worden ist. Wir werden diesen Dingen, besonders wenn die Antwort hier nicht befridigend ist, auch in Zukunft ausführlich nachgehen.
Die Behauptung, die Prüfung der Anträge und Verwendungsnachweise habe bisher keine Beanstandungen erbracht, durch die die Förderungswürdigkeit in Frage gestellt würde, könnte davon zeugen, meine Damen und Herren, daß eine Prüfung entweder nicht mit der gebotenen Sorgfalt oder von Personen vorgenommen wurde, denen die Verteidigung der freiheitlichen Grundordnung eben nicht selbstverständlich ist; denn sonst hätte man über all das nicht einfach so hinweggehen können.
Das hier geschilderte Verfahren und insbesondere die klar aufgezeigten Zitate hätten in die Antwort der Bundesregierung hineingehört. Nur dann wären die deutsche Öffentlichkeit und auch die Studenten wirklich voll unterrichtet worden.
Es blieb uns heute überlassen, dies zu ergänzen und erst einmal zurechtzurücken, damit nicht diese einfache, verniedlichende Darlegung als einzige offizielle Stellungnahme im Raum steht. Bei genauer Abwägung und genauer Prüfung der Umstände, die für eine Förderung des SHB zu berücksichtigen sind, kann die CDU/CSU-Fraktion deshalb nur zu dem Schluß kommen, daß auch hier eine weitere Förderung aus Bundesmitteln unzulässig ist.
Die Bundesregierung ist somit aufgefordert, in diesem Haushaltsjahr und auch in Zukunft diesem Hause zu berichten, wie sie sich zu unserer Auffassung stellt. Wir werden unsere Kriterien in der Prüfung ebenfalls von den Maßnahmen abhängig machen, die dieser Verband verfolgt.
Wenn ich die Punkte zusammenfasse, so läßt sich folgendes feststellen. Alle drei Verbände, VDS, LSD und SHB, haben nicht dazu beigetragen, an den deutschen Hochschulen eine wirklich positive und freiheitliche Entwicklung zu fördern. Sie haben einzig und allein dazu beigetragen, eine klare linksfaschistische Kaderpolitik aufzubauen.
({6})
Meine Damen 'und Herren, dies ist in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nicht dargestellt worden. Ich möchte hier nur ein Zitat des SPD-Bundesgeschäftsführers vortragen, das am 5. Februar 1971 auf eine Aktion der CDU/CSU-Fraktion abgegeben wurde. Herr Wischnewski sagte, der Versuch, die Begriffe zu verwirren, um daraus propagandistischen Nutzen zu ziehen,
({7})
müsse klar als Infamie bezeichnet werden. Und wörtlich weiter:
„Demokratie verlangt saubere Information und Argumentation. Wer bewußt vernebelt, schadet der Demokratie."
Meine Damen und Herren, bei der Beantwortung unserer Anfrage ist vernebelt worden. Um nichts anderes hat es sich gehandelt.
({8})
- Deswegen habe ich es auch gesagt. Es ist bloß abgeändert worden.
({9})
Das Wort hat Frau Bundesministerin Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wohlrabe, ich muß Ihre teilweise geradezu beleidigenden Unterstellungen, daß diejenigen, die die Antwort auf diese Große Anfrage erarbeitet haben, nicht mit dem notwendigen Ernst oder nicht mit der notwendigen Überzeugung
({0})
für den Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gearbeitet hätten, mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
({1})
Die Bundesregierung hat in ihrer schriftlichen Antwort auf Ihre Große Anfrage ihre Auffassung zur Förderung der Studentenverbände, des VDS,
des SHB und des LDS, dargelegt. Ich will dazu und auch im Zusammenhang mit dem, was Herr Wohlrabe hier ausgeführt hat, noch folgendes sagen. Lassen Sie mich zu Beginn daran erinnern, daß dies nicht die erste Debatte im Deutschen Bundestag über eine Große Anfrage einer Fraktion wegen der Einstellung der Förderung aus Mitteln des Bundesjugendplans gegenüber einem Studentenverband ist. Der 2. Deutsche Bundestag hat am 19. April 1956 die Große Anfrage der SPD-Fraktion betreffend die Zuschußsperre gegen den SDS beraten. Derjenige, der damals mit einem Artikel im „Standpunkt" diese Debatte auslöste, sitzt hier unter uns, ist seit langem ein hochgeschätzter Kollege im Deutschen Bundestag und hat als Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft sicher ein besonderes Interesse an der heutigen Debatte.
({2})
Herr Marx, ich komme noch darauf zurück, warum ich das sage. Das hat seinen Grund. In der damaligen Debatte ist bei der Mittelsperre von völlig anderen Grundsätzen ausgegangen worden, die wir damals nicht billigen konnten und auch heute nicht billigen.
Ausgangspunkt für die Beurteilung müssen immer sowohl unser Grundgesetz als auch § 25 des Jugendwohlfahrtsgesetzes sein. Damals und vor allen Dingen danach bei der Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes sind alle Fraktionen des Bundestages, wenn ich mich recht erinnere, davon ausgegangen, daß nur derjenige aus öffentlichen Mitteln gefördert werden dürfe, der so steht es inzwischen im Gesetz - „die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gibt."
Das bindet selbstverständlich die Bundesregierung bei jeder Förderung aus Mitteln des Bundesjugendplans und ist und bleibt für jede Bundesregierung verbindlich. Auch eine sehr strenge linke Kritikerin des Bundesjugendplans und der Jugendförderungspolitik der Bundesregierung wie Frau Annelie Keil zweifelt in ihrer Monographie ,,Jugendpolitik und Bundesjugendplan" nicht daran, daß jede Regierung das Recht und die Pflicht hat, bestimmte Voraussetzungen für eine Förderung aus öffentlichen Mitteln aufzustellen.
§ 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes spricht ganz klar aus, daß die Pflicht des Staates, Organisationen und Aktivitäten der Jugend zu fördern, keinesfalls jede Organisation und jede Aktivität einschließt. Bis zur Grenze des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes geht es diesen Staat nichts an, in welchen Verbänden junge Menschen und Erwachsene zum Wohl der Jugend sich zusammenschließen, was sie tun, welche Auffassungen sie vertreten. Fördern soll und darf der Staat aber nur solche Organisationen und Aktivitäten, durch die die Verfassungsordnung unseres Grundgesetzes gestärkt und verbreitert wird.
In den Richtlinien zum Bundesjugendplan wird § 9 näher konkretisiert, und im Schreiben zur Veröffentlichung dieser Richtlinien haben wir darüber hinaus dargelegt, daß wir uns bei der Anwendung dieser Norm von der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leiten lassen.
Die ausdrückliche Erwähnung auch der parlamentarisch repräsentativen Willensbildung - die übrigens unter dieser Bundesregierung in die Richtlinien des Bundesjugendplans eingeführt wurde - hat im Bundesjugendkuratorium und an anderen Stellen Besorgnis ausgelöst, die Diskussion über die Fortentwicklung unserer staatlichen Ordnung - mir liegt daran, das auch hier zu betonen - im Rahmen der politischen Bildung könne dadurch erschwert werden. Demgegenüber unterstreiche ich nachdrücklich, daß die Fortentwicklung unserer Verfassung und der in ihr verankerten parlamentarisch repräsentativen Willensbildung selbstverständlich Thema politischer Bildung sein kann, ja auch sein soll, daß die Richtlinien des Bundesjugendplans kein Verharren im Bestehenden fordern. Das Grundgesetz gibt den Weg für seine Fortentwicklung frei.
Und nun zurück zur Debatte von 1956. Es ging darum, daß dem SDS die Förderung gesperrt wurde, weil er nach Auffassung des damaligen Innenministers, unseres Kollegen Dr. Schröder, mit Äußerungen seines damaligen Vorsitzenden und anderen Verlautbarungen gegen den politischen Stil grob verstoßen hatte,
({3})
obwohl - und das muß man eben hinzufügen auch das damalige Bundesinnenministerium keine Zweifel an der Bejahung der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch den damaligen SDS hatte. Das alles kann man im Protokoll der damaligen Debatte genau nachlesen.
({4})
- Herr Rollmann, wenn Sie bereit sind, noch ein
bißchen zuzuhören ich weiß, Ihnen fällt das
schwer , dann werde ich es Ihnen sagen.
Dieser Auffassung, daß die Mittel zu sperren seien, weil der Stil der politischen Auseinandersetzung angeblich grob verletzt wurde, und zwar zu sperren, obwohl man gar keinen Zweifel an der Verfassungstreue hatte, - dieser Auffassung sind wir damals entgegengetreten und treten wir auch heute entgegen; für die Bundesregierung kann ich heute erklären, daß genau das nicht der Anlaß für einen Entzug der Förderung sein kann. Kritik an der Bundesregierung, an den gesellschaftlichen Zuständen in der Bundesrepublik, an Formen und Methoden staatlicher Willensbildung, an Entscheidungen des Parlaments, an unserer Wirtschaftsordnung, an den Prioritäten hei der Verwendung öffentlicher Mittel, auch Kritik in herber, ja intoleranter Form, auch Kritik, die einmal über das Ziel hinausschießt, kann nicht Anlaß für eine Mittelsperre sein.
({5})
Ich will das ganz deutlich sagen. Denn dann würden wir jugendliches Ungestüm und ständig bohrendes Fragen sich wundreiben lassen an unzähligen Unzulänglichkeiten,
({6})
Wir würden die Sehnsucht nach einer gerechteren
Gesellschaft bestrafen. Wir sind gegen eine Angst7258
liche und enge Jugendförderung; die müßten wir ablehnen.
Es schadet nichts, Herr Wohlrabe, wenn man in einer solchen. Debatte auch das Positive ausspricht; denn an dieser Debatte sind ja die Jugendverbände im ganzen interessiert.
In der Debatte von 1956 hat unser Kollege Carlo Schmid gesagt, die jungen Leute wollten uns nicht vorwerfen, wir hätten zuviel Parlament, sondern sie wollten uns sagen, wir hätten zuwenig Parlament. Das war damals der Inhalt ihres Vorwurfs.
({7})
- Ich spreche von 1956 und den Äußerungen, derentwegen damals die Mittel für den SDS gesperrt wurden.
({8})
Hierin steckt der allgemeine Gedanke, der es erlaubt und dazu verpflichtet, zwischen berechtigter Kritik, die das Salz der Demokratie ist, und der Abkehr von unserer verfassungsmäßigen Ordnung zu unterscheiden, die in der Tat nicht auch noch mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden darf. Wollen diejenigen, die Kritik üben, raschere, radikalere Reformen? Wollen sie am Ende mehr oder weniger Demokratie?
({9})
- Die Studentenverbände meine ich in diesem Fall.
({10})
Sie müssen sich natürlich nicht nur wegen verbaler Erklärungen befragen lassen, es genügen nicht Bekenntnisse zu den Menschenrechten, sondern es muß gefragt werden, ob die Kritik Mißstände nennt oder sich nur Buhmänner aufbaut - was im übrigen auch im Parlament vorkommt; ich habe es soeben erlebt
-, ob die Forderungen der Studentenverbände in einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung realisiert werden sollen
({11})
sowie ob und wie sich diskutierte Modelle in Geschichte und Gegenwart bewährt haben oder bewähren. Diesen Maßstab allein, meine ich, hat die Bundesregierung anzulegen, und sie hat ihn bei der Prüfung der Fragen, die in der Großen Anfrage gestellt worden sind, angelegt.
Nach diesem Maßstab gibt es beim SHB und beim LSD gewiß Zweifel. Aber es gibt auch Unterschiede
- Sie selber haben es angedeutet, Herr Wohlrabe
- im Verhalten von Teilen der Verbände. Der Prozeß innerhalb und zwischen den Gruppen ist nicht abgeschlossen. Noch vorhandene positive Ansätze sollten nicht erstickt werden.
({12})
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?
Bitte schön!
Frau Bundesminister, würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, dem Hause und mir einmal mitzuteilen, wo Sie diese Unterschiede beim Liberalen Studentenbund sehen?
Ich komme dazu, wenn ich etwas zu Ihrem Hinweis auf Berlin sage.
Hinzu kommt, daß, wie bereits in der schriftlichen Antwort gesagt, schon vom Ansatz her ein Unterschied zwischen dem VDS und den Studentenverbänden gemacht werden muß, die als politisch organisierte Gruppen auf der Basis freiwilliger Mitgliedschaft arbeiten. Ich glaube, auch hier sind wir weitgehend einer Meinung.
Was den LSD auf der Bundesebene und das, was Sie vorhin bezüglich der 40 000 DM gesagt haben, betrifft, möchte ich aus einem Protokoll zitieren, in dem es heißt:
Der Liberale Studentenbund hat seine Anträge auf Mittel aus dem 22. Bundesjugendplan vorläufig zurückgezogen, da er sich zur Zeit in einer Organisations- und Strukturdebatte befindet, die auch Auswirkungen auf die politische Arbeit des Verbandes hat. Erst wenn im LSD Klarheit über Struktur und neue bzw. auch alte Zielsetzungen besteht, wird der Verband seine überarbeiteten Anträge erneut zur Prüfung vorlegen.
Und dann werden auch wir erneut prüfen.
Ich komme jetzt zum LSD in Berlin. Es ist hier nicht allgemein bekannt - deshalb möchte ich es einmal vortragen -, wie dort Entscheidungen getroffen werden. Das Kuratorium für den Sonderplan Berlin, das personengleich mit dem Landesjugendwohlfahrtsausschuß ist, plant zusammen mit dem Senator für Familie, Jugend und Sport die Vergabe der Mittel an die Jugendverbände und reicht uns einen entsprechenden Antrag ein. Das Kuratorium für den Sonderplan Berlin ist zwar ein Beratungs-
und nicht ein Entscheidungsgremium; in der Praxis aber - das wissen Sie aus Ihrer eigenen Praxis, Herr Wohlrabe, genau - prüft es die Förderungsvoraussetzungen und die Förderungswürdigkeit der einzelnen Verbände. Im Kuratorium in Berlin sind alle drei Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses vertreten, also auch die CDU. Sie selber waren schon Mitglied dieses Kuratoriums, wenn ich richtig unterrichtet bin. Bei uns im Hause ist nicht bekannt, daß im Kuratorium jemals - auch nicht von seiten der CDU - die Förderungswürdigkeit eines der Verbände bezweifelt worden ist.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?
Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß auch in diesem Kuratorium nicht der einzelne Studentenverband, sondern ein Dachverband, der Arbeitskreis Berliner Studenten, die Anträge stellt und insofern auch hier die Offenlegung nicht drin ist?
Herr Wohlrabe, ich würde sagen, jetzt sind Sie aber verdammt ausgewichen!
({0})
Sie wissen: wenn Sie erfahren wollen, was die einzelnen Verbände beantragt haben, wird es offen dargelegt.
Nun muß ich aber noch sagen, Herr Wohlrabe, daß Sie die Antwort der Bundesregierung gerade in Fragen SHB und LSD anders interpretieren als sie in Wirklichkeit ist.
({1})
- Daß Ihnen diese Antwort in ihrer Sachlichkeit nicht zusagt, kann ich, wenn ich mich in Ihre Lage versetze, verstehen.
({2})
Aber durch Fehlinterpretation der Antwort der Bundesregierung bauen Sie sich einen Popanz auf, um gegen ihn dann angehen zu können.
({3}) Aber diese Methode ist ja nicht neu.
Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, daß z. B. auch im Lande Rheinland-Pfalz und auch im Lande Baden-Württemberg der SHB gefördert wird. Das sind CDU-regierte Länder bzw. Länder, in denen es eine CDU/SPD-Regierung gibt.
({4})
Die Bundesregierung kann und will nicht davon ausgehen - das zu Ihren Hinweisen auf das Verhältnis von SHB und SPD -, daß sie in den Jugendverbänden alles, was rechts von der CDU, und alles, was links von der SPD steht, nicht mehr als auf dem Boden des Grundgesetzes stehend bezeichnet. Sie legt bewußt generell einen großzügig-liberalen Maßstab bei der Förderung an. Das entspricht dem pluralistischem Demokratieverständnis des Grundgesetzes. Aber sie muß auf Grund der Erfahrungen und Entwicklungen wachsam sein. Wir sagen sehr deutlich in der Antwort auf die Große Anfrage, und deshalb will ich auch hier deutlich sagen: Die Tatsache, daß die Bundesregierung gegenüber SHB und LSD bis jetzt keine generelle Mittelsperre beschlossen hat, ist für diese und andere kein Freibrief für ihr Verhalten gegenüber unserem Staat und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Beim VDS ist es etwas anders; lassen Sie mich bitte diesen Gedanken zu Ende führen. Beim VDS gibt es positive Anzeichen, aber die Zweifel überwiegen.
({5})
- Ich will etwas zu den Zweifeln sagen, Herr Wohlrabe. Gestatten Sie mir, daß ich sage, was ich sagen will.
({6})
Es gibt positive Anzeichen in einer kleinen Gruppe im VDS, und diese wollen wir nun nicht auch noch in die allerlinkeste Ecke drängen.
Wer z. B. - damit aber komme ich zu den Zweifeln - der Bundesregierung, und zwar ohne jeden Wahrheitsbeweis anzutreten, die Unterstützung der imperialistischen US-Aggression in Indochina vorwirft, die Forcierung der Verflechtung von Bundeswehr und Rüstungsindustrie zu einem militärisch-industriellen Komplex, die Angriffe auf noch verbliebene rechtsstaatliche Prinzipien durch Notstandsübungen wie im Falle Baader-Meinhoff und Mordhetze gegen fortschrittliche Kräfte, - wer ihr das vorwirft, muß sich fragen lassen, ob er überhaupt bereit ist, politisch zu diskutieren, andere Auffassungen zur Kenntnis zu nehmen, rechtsstaatliche Prinzipien zu achten. Diese Demagogie des VDS unterscheidet sich in nichts von der, mit der in der Weimarer Republik jeder gute Wille, jede Sachkunde von Parlament und Regierung in den Dreck gezogen wurde.
({7})
Wenn der VDS, wie er erklärte, auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, ist es wohl nicht zuviel verlangt, um klare Auskunft darüber zu bitten, welche grundlegenden Veränderungen der Gesellschaft er für nötig hält und wie er sie durchzusetzen für richtig hält. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten allein genügt nicht zur Erklärung. Auch der Mehr-Parteien-Staat, das geheime freie Wahlrecht, die Unabhängigkeit der Gerichte und besonders die Änderung unserer Verfassungsordnung nur auf dem im Grundgesetz dazu gewiesenen Weg gehören dazu. Das hat der VDS bisher nicht getan.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Martin?
Frau Ministerin, stützen sich Ihre Darlegungen, die verhältnismäßig optimistisch sind, auf den Schrübbers-Bericht mit seinen Warnungen, oder haben Sie ihn zur Kenntnis genommen? Und ist Ihre Darlegung identisch mit dem, was der Herr Innenminister zu dem Gegenstand aussagt, wobei ich Sie an die Antwort auf unsere andere Anfrage erinnere?
Herr Dr. Martin, ich sage ja
gerade, weswegen die Zweifel an der vom VDS behaupteten Bejahung des Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mir berechtigt erscheinen. Dafür habe ich jetzt eine Reihe von Beispielen genannt. Sie haben das sogar beklatscht. Aber ich weiß, Ihre Frage kam ein bißchen zu spät. Ich wende mich bloß dagegen, daß man praktisch jeden verurteilt und alles generalisiert.
({0})
Ich möchte jetzt gern zu Ende kommen; denn das geht ja alles auf Kosten der Gesamtdebatte am heutigen Vormittag.
Wir bestreiten dem VDS nicht das Recht, allein darüber zu entscheiden, zu welchen Themen aktueller Politik in Deutschland und anderswo er sich äußert. Aber die Enge seines Blickfeldes - daran liegt mir auch, das zu betonen -, nur nach der einen Seite und überhaupt nicht nach der anderen Seite Proteste zu produzieren, zwingt uns zu der Frage, ob Verengung statt Erweiterung des Spielraums an Freiheit und Verschiedenheit seine Vorstellung von einer grundlegend veränderten Gesellschaft ist. Solange noch die Zweifel überwiegen, muß es daher bei dem Nein zu einer Förderung mit öffentlichen Mitteln beim VDS bleiben.
Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie es sehr begrüßen würde, einen kritischen Partner im studentischen Bereich zu haben, der neben den vielen studentischen Einzelverbänden die verfaßten Studentenschaften an allen deutschen Hochschulen repräsentiert. Die Bundesregierung hat die kritische Auseinandersetzung mit dem VDS nicht gescheut. Sie hat ihn z. B. bei der Vorbereitung ihrer Hochschulgesetzgebung und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes beteiligt und hat begrüßt, daß auch der Bundestag dies getan hat. Aber eine Wiederaufnahme der finanziellen Förderung setzt voraus, daß der VDS durch seine berufenen Organe jedermann deutlich macht, daß seine Haltung zu den Grundwerten des parlamentarischen Rechtsstaates positiv ist und wie er sich seine Weiterentwicklung vorstellt.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist selbstverständlich in der Pflicht, dies ständig zu prüfen, nicht allein beim VDS und SHB und LSD, sondern bei allen, die aus dem Bundesjugendplan bzw. aus öffentlichen Mitteln gefördert werden. Es liegt an den betroffenen Verbänden und ihrem Verhalten gegenüber unserem Staat und seiner freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ob sie gefördert werden können oder nicht.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder einmal hat die Opposition eine überflüssige Anfrage eingebracht,
({0})
dazu noch eine Große Anfrage. Was an dieser Anfrage groß ist, wissen allein die Verfasser. Die Förderung des SHB, des LSD und des VDS aus Mitteln des Bundesjugendplans wäre bestenfalls ein Thema für die Fragestunde gewesen. Der Blick für politische Proportionen bei der Opposition scheint getrübt zu sein.
({1})
Detailfragen werden zu Essentials der Hochschulpolitik hochstilisiert.
Der unbefangende Leser dieser Anfrage muß zu der Überzeugung kommen, daß das Grundgesetz von einer besonders böswilligen Spezies nicht nur angeknabbert, sondern morgen schon außer Kraft gesetzt wird. Wie schon so oft, sollen unterschwellig Emotionen beim Bürger geweckt werden nach dem Motto: „Hütet euch vor den bösen antidemokratischen Studentenorganisationen, die obendrein noch aus Steuermitteln finanziert werden!" Man malt Studenten als den bösen Buhmann der Gesellschaft an die Wand, um ihn dann fertigzumachen.
({2})
Davon hebt sich die Antwort der Bundesregierung ab. Die theatralische Größe der Anfrage wird auf Noiinalmaß heruntergeschraubt. Aus diesen und anderen Gründen begrüßt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die Antwort der Regierung und macht sie sich zu eigen.
In ihrer Antwort geht die Bundesregierung davon aurs, daß zwischen politischen Hochschulgruppen wie SHB und LSD einerseits und dem Verband Deutscher Studentenschaften andererseits differenziert werden muß. Man muß unterscheiden, so sagt die Antwort der Bundesregierung, zwischen freier politischer Meinungsäußerung einzelner SHB-Mitglieder, Bestrebungen zur legitimen Fortentwicklung unserer Verfassung in dem Sinne, daß bisher nicht erfüllte Aufträge des Grundgesetzes deutlich machen, daß das Grundgesetz dynamisch und nicht statisch zu verstehen ist,
({3})
und einer Arbeit, die mit § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes nicht übereinstimmt, also dem System einer parlamentarischen Demokratie zuwiderläuft.
Wir jedenfalls sind der Auffassung, daß die Entwicklung im VDS mit Interesse und Sorgfalt beobachtet werden muß, mit Interesse deshalb, weil wir meinen, daß politische Parteien in dem VDS ein Gegenüber haben müßten, um die Fragen der Studentenschaft zu diskutieren, mit Sorgfalt deshalb, um klarzulegen: wo sind die Grenzen im politischen Verhalten, die nicht überschritten werden dürfen?
Sowenig statisch die von den Vätern des Grundgesetzes so angelegte Verfassung ist, sowenig unser Demokratieverständnis ein statisches sein darf -denn Stillstand bedeutet Tod -, sowenig kann das Verhältnis von Staat und Studentenorganisationen,
von Politik und Jugend überhaupt, als ein statisches angesehen werden. Wenn der Vorstand der SPD am 29. März seine Meinung zum gegenwärtigen Stand der politischen Willensbildung im SHB so formuliert hat, daß für eine Zusammenarbeit zwischen Partei und SHB gegenwärtig die Voraussetzung nicht gegeben sei, dann ist damit angesprochen, daß junge Menschen weder in ihrem Sozialisationsprozeß noch in ihrem politischen Willensbildungsprozeß für alle Zeiten festgelegt sind, sondern sich in einem ständigen dynamischen Prozeß befinden, den abzuschneiden unverantwortlich und auch politisch unklug wäre.
Die politische Diskussion mit jungen Menschen kann und darf nicht abgelöst werden durch den autoritären Richterspruch „Der Geldhahn wird zugedreht". Damit wäre das Gespräch zu Ende, der Kontakt abgerissen und mit Recht zu befürchten, daß in einer isolierten Jugend Radikalität mehr um sich greift. Die Zeit der Patriarchen ist vorbei. Wer einen autoritären Unfehlbarkeitsanspruch erhebt, findet bei jungen Menschen in der heutigen Zeit kein Gehör mehr.
Erinnern wir uns, wie es war, als die unruhigen Studenten der APO in Demonstrationen auf die Straße gingen. Wollen wir diese Zeit noch einmal wieder zurückholen? Oder ist es nicht vielmehr zu begrüßen, daß nun innerhalb der politischen Jugendorganisationen die Diskussion mit den jungen Menschen stattfindet? Wir Sozialdemokraten jedenfalls sind stolz darauf, daß wir mit den jungen Menschen nicht mehr auf der Straße in Demonstrationen zusammentreffen, sondern daß wir mit ihnen das Gespräch führen und auch führen müssen.
({4})
Ich frage mich, was die Opposition als Richtschnur im Umgang mit politischen Studentenorganisationen vorzuschlagen hat. Was will sie dein vielzitierten Marxismus denn entgegensetzen? Hat sie so wenig Vertrauen zur Position des Grundgesetzes? Ich habe Zutrauen zum Beweis des Geistes und der Kraft,
({5})
und diesen Beweis des Geistes und der Kraft sehe ich im Grundgesetz.
({6})
Die Stellung der Opposition zur Jugendpolitik kann man naturgemäß der Anfrage nicht entnehmen. Unsere Antwort auf diese Frage lautet jedenfalls: Was für Väter und Söhne im allgemeinen gilt, gilt auch für Parteien und Studentenorganisationen. Wer auf den Boden des Grundgesetzes führen will - das sehe ich als eine Aufgabe der Parteien an -, kann dies nur durch ständige Gespräche und Kontakte
({7}) erreichen.
({8})
Der oft mißbrauchte Begriff der Konvergenz hat hier seinen richtigen Ort. Nur im Wandel durch Annäherung kann das Miteinander der Generationen gewährleistet werden. Das ist allerdings ein langwieriges und mühsames Geschäft, das viel Geduld und Toleranz erfordert.
Aber ebenso wird es erforderlich sein, genau zu markieren, wo die Grenze der Toleranz liegt, in der selbstverständlichen Annahme, daß Toleranz und Achtung vor dem Andersdenkenden wechselseitig und gegenseitig geübt werden muß.
({9})
„Freiheit ist immer nur die Freiheit des Andersdenkenden.”
({10})
Dieses Wort von Rosa Luxemburg
({11})
ist sicherlich schon öfter in diesem Hause zitiert worden. Wir wären alle miteinander einen Schritt weiter, wenn sich alle Beteiligten daran hielten.
Dogmatisch fixierte Standpunkte helfen in keinem Fall im Umgang mit jungen Menschen, ebenso nicht im Umgang mit Studentenorganisationen. Man solle sich davor hüten, ein Anathema auszusprechen und Ketzerhüte zu verteilen. Das ist schon immer im Umgang mit jungen Menschen verhängnisvoll gewesen. Jugend hat das Recht und vielleicht sogar die Pflicht, Utopien zu entwickeln.
({12})
Die jugendpolitische Grundsatzfrage bei diesem Thema heißt: Staat, wie hältst du's mit deiner Jugend? Wir sind der Auffassung: der Demokratisierungsprozeß des VDS muß gefördert werden, notfalls auch mit Geld.
({13})
Meine Damen und Herren, wenn ich es richtig sehe, war das eine Jungfernrede. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Minister Strobel ist in ihrer Rede, die sie hier gehalten hat, auf die Argumente unseres Kollegen Wohlrabe leider in keiner Weise eingegangen,
({0})
sondern sie hat - das muß doch einmal festgehalten werden - im wesentlichen Bundestags-Archivmaterialien aus dem Jahre 1956 vorgetragen und sich im übrigen sehr allgemein geäußert.
Dasselbe kann man wohl auch für die Jungfernrede von Herrn Pastor Fiebig sagen,
({1})
eine Rede, die der Würde und dem Rang eines evangelischen Pastoren angemessen ist, aber doch sehr wenig politischen Instinkt verraten hat.
({2})
Worum geht es? Es geht doch nicht darum, daß irgendwelchen Studentenverbänden der Maulkorb umgehängt werden soll, daß ihnen nicht das Grundgesetz zur Seite stehen soll in dem Augenblick, wo sie Kritik an der Bundesregierung üben - ich muß Ihnen sagen: die Opposition hat noch nie etwas gegen Kritik an der Bundesregierung gehabt -,
({3})
in dem Augenblick, wo sie Kritik am Parlament üben, wo sie Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in diesem Lande üben, sondern es geht doch darum, daß wir in dieser Großen Anfrage das Verhalten und ,die Aussagen von Studentenverbänden zur Sprache gebracht haben, die nicht Kritik an Institutionen dieses Staates üben, sondern die diesen Staat und seine tragenden Grundwerte selbst in Frage stellen und verneinen.
({4})
Meine Damen und Herren, das ist die Situation beim Sozialdemokratischen Hochschulbund, das ist die Situation beim Liberalen Studentenbund Deutschlands. Verehrte Frau Minister Strobel, daß unsere Regierung im Jahre 1956 nicht so falsch gelegen hat, als sie die Mittel für den Sozialistischen Deutschen Studentenbund gesperrt hat, das werden Sie mit Ihrer Regierung und Ihrer Partei wohl inzwischen selbst erkannt haben.
({5})
Was ist die Situation des Liberalen Studentenbundes? Kein Bundesverband mehr - Herr Kollege Wohlrabe hat das mit Recht dargelegt -, hier und da einige Gruppen. In einer Berliner Zeitung las ich eine Veröffentlichung des Liberalen Studentenbundes West-Berlins. Sie, Frau Minister Strobel, haben diesem Verband noch die Ehre angetan, ihn in Berlin als Liberalen Studentenbund Deutschlands zu bezeichnen. Nein, der nennt sich LSW, so wie sich die SED in West-Berlin SEW nennt.
({6})
Lassen Sie mich da nur einige Worte, einen Aufruf des Vorsitzenden des Liberalen Studentenbundes Deutschlands, Landesverband West-Berlin, für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im März dieses Jahres verlesen, wo Herr Röwer sagt:
Für die kommenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen garantieren allein die Kandidaten der SEW, daß die wahren Interessen der Arbeitenden und Lernenden unmißverständlich und kompromißlos ausgesprochen werden. Wählt die Kandidaten der SEW!
({7})
Auf dem Hintergrund dieser Erklärung von Herrn Röwer kann ich es nur als einen Skandal bezeichnen, daß aus dem Bundesjugendplan, diesem gleichen Liberalen Studentenbund West-Berlins, der zur Wahl der SEW aufgefordert hat, für das Jahr 1971 ausgerechnet schamloserweise noch aus dem Sonderplan Berlin 8 500 DM bewilligt worden sind.
({8})
Herr Abgeordneter Rollmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fiebig?
Gern, Herr Fiebig!
({0})
Herr Kollege Rollmann, ist es Ihnen bekannt, daß Ihre CDU-Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus es unterlassen haben, die Sperrung der öffentlichen Mittel für den LSW zu beantragen?
({0})
Ich kann mich nicht zu meinen Berliner Kollegen äußern; das wird möglicherweise Herr Wohlrabe tun. Wenn es so wäre, wie Sie sagen, wäre mir dieser Fall nicht bekannt. Aber Herr Wohlrabe wird dazu etwas sagen können.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zum Sozialdemokratische Hochschulbund; eine Organisation, die einstmals genauso auf dem Boden des Grundgesetzes gestanden hat wie der Sozialistische Deutsche Studentenbund. Meine Damen und Herren, Sie haben ja niemals gedacht, was der SDS mal für eine gräusliche Entwicklung durchmachen würde. Sie haben vor einigen Jahren den Sozialdemokratischen Hochschulbund gegründet. Der sollte die Studentenorganisation der Sozialdemokratischen Partei an den Hochschulen doch wohl im Sinne des Godesberger Programms werden. Der SHB hat genau die gleiche negative Entwicklung durchgemacht wie der SDS. Im Grunde kann man der Sozialdemokratischen Partei doch nur den Ratschlag geben, endlich die Experimente mit sozialdemokratischen Hochschulgruppen aufzugeben. Das geht doch seit mehr als 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland unaufhörlich schief.
({0})
- Ein paar Parteimitglieder bekommen Sie auch so noch.
Meine Damen und Herren, überall in den Erklärungen des LSD und des Sozialdemokratischen Hochschulbundes kann man lesen, daß es sich nicht um einzelne Gruppen, nicht um einzelne Persönlichkeiten handelt, die sich vom Boden des Grundgesetzes weg in den Raum der radikalen Linken hineinbegeben, sondern daß es die Verbände insgesamt sind, die eine dem Grundgesetz förderliche
Arbeit nicht mehr leisten, daß es die Verbände insgesamt sind, die nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen und die parlamentarisch-repräsentative Willensbildung bejahen. Wenn die Organisationen dieser beiden Verbände heute überall für das Rätesystem eintreten, ja, was verlangt man denn noch mehr! Das Rätesystem ist doch das Gegenteil der parlamentarisch-repräsentativen Willensbildung.
({1})
Sie brauchen sich doch nur einmal die Ä ußerungen des LSD und des Sozialdemokratischen Hochschulbundes anzuschauen, dann sehen Sie, wie weit sich diese Organisationen vom Boden der parlamentarischen Demokratie bereits entfernt haben und daß sie im Grunde nichts anderes anstreben als die Diktatur des Proletariats.
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Das wird mit aller Deutlichkeit nicht nur durch Aussagen demonstriert, sondern auch durch die Aktionseinheit, die der Sozialdemokratische Hochschulbund und der Liberale Studentenbund in seinen Resten und Rudimenten mit den kommunistischen und den spartakistischen Hochschulgruppen anstrebt, beginnend im Verband Deutscher Studentenschaften. Wie sah denn die Führungsspitze des Verbandes Deutscher Studenten in der letzten Amtsperiode aus? - DKP-Mitglieder und einige SHB-Mitglieder, und als die Amtszeit der SHB-Mitglieder Lehndorff und von Mutius abgelaufen war, hatten diese Herren nichts Eiligeres zu tun, als zu den Spartakisten, zu den Kommunisten überzulaufen. Wenn heute im Vorstand des Verbandes Deutscher Studentenschaften zur Dekoration - damit man mit der Bundesregierung besser verhandeln kann, damit man bei der ganzen halblinken Seite in diesem Lande und in diesem Hause besseres Wetter machen kann - wiederum ein oder zwei Herren vom Sozialdemokratischen Hochschulbund sitzen, so gibt uns keiner die Garantie, daß diese beiden SHB/VDSVorstandsmitglieder sich, wenn ihre Amtszeit abgelaufen ist, nicht wiederum in die Reihen der Spartakisten oder der DKP-Hochschulgruppen begeben.
({3})
Ich glaube, daß man das einmal deutlich herausstellen muß; denn wir haben in diesem Lande ja schon einmal entsprechende Erfahrungen gemacht.
({4})
Wir haben erlebt, wie in der Weimarer Republik die NSDAP und Herr Hitler und die KPD und Herr Thälmann ebenfalls mit demokratischen Formalbekenntnissen
({5})
die Menschen in diesem Lande eingelullt, in Wirklichkeit aber die Diktatur angestrebt haben - die einen die faschistische Diktatur und die anderen die rote Diktatur. Ich muß Ihnen sagen: Wenn es dann einmal irgendwelche Erklärungen der VDS-Herren in den stillen Zimmern von Frau Strobel im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit für die Demokratie gibt, so sind das Worte, mit denen lediglich der Weg geöffnet werden soll zu den Mitteln des Bundesjugendplanes,
({6})
weil die Herren die Mittel des Bundesjugendplans gern haben wollen und benötigen, um mit den Mitteln dieses demokratischen Staates
({7})
kommunistische Basisarbeit an den Universitäten und Hochschulen dieses Landes zu machen.
({8})
Wie ist denn heute die Situation beim VDS hinsichtlich der Finanzierung? Weiß denn diese Regierung nicht - bedient sie sich nicht mehr des Verfassungsschutzes -, daß Teile der Mittel, die von den Allgemeinen Studentenausschüssen aus diesem Lande beim VDS in Form von Mitgliedsbeiträgen abgeliefert werden, auf Grund von internen Vereinbarungen wieder zurückgeliefert werden zur Verstärkung der kommunistischen Basisarbeit an den Universitäten und Hochschulen dieses Landes?
({9})
Es ist doch, Herr Pastor Fiebig, wirklich eine zwar christliche, aber politisch nicht erlaubte Verniedlichung der ganzen Situation, wenn Sie hier sagen: Wir verfolgen die Entwicklung des VDS mit Interesse und mit Sorgfalt. Meine Damen und Herren, die Entwicklung des VDS hat man mit außerordentlicher Skepsis zu verfolgen. Das wäre die Haltung, die der Regierung und der Regierungskoalition angemessen wäre. Es sollte unsere Hoffnung sein, unsere gemeinsame Hoffnung, daß sich die deutschen Studenten endlich einen anderen Dachverband als diese kommunistische Kampforganisation geben.
Meine Damen und Herren, ich habe die Geschichte der Weimarer Republik selbst nicht miterlebt, aber die Älteren unter uns wissen es doch ganz genau. Wie war denn die Situation 1933? Da begann das Ende der Demokratie in diesem Lande mit der Machtübernahme des nationalsozialistischen Hochschulbundes an den Universitäten dieses Landes. Aus diesem Grunde verniedliche ich es nicht, aus diesem Grunde nehme ich es vielmehr bitter ernst, daß wir in diesem Lande heute eine Situation haben, wo der größte Teil der Allgemeinen Studentenausschüsse, der Studentenräte und der Studentenkonzile nicht durch demokratische Kräfte, sondern durch Kommunisten kontrolliert wird. Über diese Tatsache sollten wir uns nichts vormachen, sondern diese Tatsache sollten wir so ernst nehmen, wie sie leider Gottes ist, wie die wirkliche Situation heute an den Universitäten unseres Landes ist.
Meine Damen und Herren, Herr Fiebig hat gesagt: Wir sind froh, und wir sehen das als einen Erfolg dieser Regierung an, daß wir nicht mehr die Demonstrationen auf den Straßen, die Konfrontationen auf den Straßen haben.
({10})
7264 Deutscher Bundestag - (5. Wahlperiode Rollmann
In Berlin haben wir natürlich die Demonstrationen und die Konfrontationen auf den Straßen auch noch gehabt, gerade noch vor einigen Wochen.
({11})
Ich muß Ihnen aber sagen, mir ist sehr viel unwohler zumute und ich habe sehr viel schlechtere Gefühle, wenn ich sehe, daß diese Herren, die vor wenigen Jahren auf den Straßen demonstriert haben, ihre Aktivitäten heute an die Schreibtische dieses Landes verlegt haben,
({12})
zu einem großen Teil sogar an die Schreibtische der Behörden dieses Landes. Wenn man einmal schaut, wo denn die Hauptrevolutionäre aus der Zeit der APO geblieben sind, so ist dieser hier VerwaltungsBeamter geworden, jener dort Staatsanwalt, . jener Richter und
({13})
dieser ist an einer Universität inzwischen Professor geworden.
({14})
Meine Damen und Herren, da geht in einem unheilvollen Umfange und in einer unheilvollen Art und Weise das Wort unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten von dem langen Marsch durch die Institutionen in Erfüllung.
({15})
Diese Herren, die die Revolution gepredigt und auf den Straßen nach besten Kräften zu praktizieren versucht haben, treten heute in diesem Lande den Marsch durch die Instutionen an. Frau Strobel amüsiert sich über das, was ich hier sage.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß wir uns nicht alle einmal gemeinsam in irgendwelchen Konzentrationslagern der radikalen Linken wiedertreffen, weil heute auf der Regierungsseite dieses Phänomen nicht ernst genug genommen wird.
({17})
Meine Damen und Herren, wie die Regierung dieses Problem auch sonst noch verniedlicht, ist durch die Tatsache bewiesen worden, die wir hier vor wenigen Monaten mit dem kommunistischen Lehrer Dreckmann aus Hamburg angeprangert haben, der sich auf einmal in einer deutsch-schwedischen Regierungskommission wiederfand. Den hat die Regierung dann glücklicherweise noch zurückgezogen, aber der Göttinger Student, der radikale Linke, der dort in den vergangenen Jahren seine Rolle gespielt hat, der, Herr Staatssekretär von Dohnanyi, ist ausdrücklich in dieser deutschschwedischen Regierungskommission zur Demokratisierung von Bildung und Forschung belassen worden.
({18})
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wir sollten uns keinen Illusionen über den Ernst der Lage an den Universitäten und im studentischen Raume hingeben, sondern die Dinge so sehen, wie sie sind, und nicht auf irgendwelchen durchsichtigen politischen Gründen den Versuch einer Verniedlichung dieses ganzen Problems unternehmen.
({19})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wohlrabe zu einer kurzen Feststellung.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur ein Wort: Hier ist der Eindruck erweckt worden, als ob in Berlin die Bundesjugendplanmittel selbständig bewilligt wurden. Da wir dort keine selbständige politische Einheit haben, werden die Mittel von diesem Gremium befürwortet, und zwar durch Mehrheitsbeschlüsse - so wie das auch hier bei den Verbänden, wie ich habe feststellen können, durch Mehrheitsbeschlüsse geschieht. Die Bewilligungen werden bis zum heutigen Tage durch dieses Haus, durch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ausgesprochen, und damit liegt auch dort die eindeutige Verantwortlichkeit für die Vergabe der Mittel an den LSD.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Spitzmüller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die große Anfrage der Christlich-Demokratischen Union macht deutlich, daß die Situation an den Universitäten nicht so ist, wie wir alle sie uns vielleicht wünschten. Aber wenn wir in die Landschaft schauen, dann müssen wir ehrlich bekennen, daß die Situation an den Universitäten besser ist als zu der Zeit, da Herr Kiesinger Bundeskanzler war. Da war die Lage noch schwieriger.
({0})
- Lieber Herr Kollege Wohlrabe und lieber Herr Kollege Rollmann! Ich möchte nur um eines bitten - darum bin ich ans Rednerpult gekommen -: Wir sollten nicht damit anfangen, uns mit unseren Berufsbezeichnungen zu apostrophieren.
({1})
Herr Kollege Rollmann! Ich habe mir Ihr Blatt im Handbuch angesehen und glaube, daß es Ihnen nicht sehr angenehm wäre, wenn ich oder andere in Zukunft bei allen Reden, in denen wir uns mit Ihnen auseinanderzusetzen haben, alle Berufsbezeichnungen, die dort stehen, anwenden würden. Ich glaube, daß auch das zum parlamentarischen Stil gehört. Ein zweites möchte ich anfügen: Wir sollten uns auch angewöhnen, die Reden unserer Vorredner nicht mit irgendwelchen Zensuren zu versehen.
({2})
Auch das gehört zum Stil des Hauses, wenn es um solche Dinge geht.
({3})
Nun, Herr Kollege Rollmann, niemand in dieser Regierung läßt sich einlullen; niemand gibt sich Illusionen über die wirkliche Situation an den Hochschulen hin.
({4})
Nur, meine Damen und Herren von der CDU, habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie ein bißchen enttäuscht darüber sind, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort und Frau Strobel in ihrer Rede deutlich gemacht haben, daß keine Veranlassung besteht, den VDS zu unterstützen. Es wäre für Sie offensichtlich politisch wirkungsvoller gewesen, wenn Frau Minister gesagt hätte: „Die Situation ist so, daß wir die Unterstützung des VDS in den nächsten Wochen wieder ins Auge fassen können."
({5})
Das Gegenteil ist der Fall.
Nun lassen Sie mich einige wenige Worte zum Liberalen Studentenbund sagen. Leider läßt sich das Wort „liberal" nicht schützen. Wer nennt sich nicht alles liberal, und wer beruft sich nicht unter allen möglichen Vorwänden auf das Wort „liberal"? Der Liberale Studentenbund Deutschland, der sich LSD I nennt - nicht nach dem Rauschgift, sondern nach der Abkürzung „Liberaler Studentenbund Deutschlands" -, hat mit der Freien Demokratischen Partei nichts mehr gemein. Auch das möchte ich klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Er existiert praktisch nicht mehr. Er hat deshalb auch keinen Antrag gestellt, und er wird deshalb auch kein Geld bekommen.
Was den Sozialdemokratischen Hochschulbund, den SHB, anbelangt, so kann er nicht so ganz gefährlich sein, wie Sie ihn darzustellen versuchen; denn die von der CDU geführten Regierungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unterstützen den SHB.
({6})
- Herr Wohlrabe, gelegentlich muß einmal etwas
unterstrichen werden. Sie haben heute sogar schon zweimal gesprochen.
Herr Kollege Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Wohlrabe? Wohlrabe ({0}) : Verehrter Herr Kollege, würden Sie bei der Bewilligung von Bundes jugendplanmitteln bitte zwischen Bewilligungsgremien in Land und Bund unterscheiden? Hier sprechen wir von der Bundesregierung, und ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie Ihre Betrachtungen auf den Bundesverband des SHB bezögen.
Sie haben recht, Herr Kollege. Ich mache gern diese feinen Unterschiede; aber ich sehe keinen Unterschied darin, ob ein Verband von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gefördert wird. Entscheidend ist, daß der Verband gefördert wird, und da kann ich diese Unterscheidungen, die Sie so fein nuancieren wollen, einfach nicht treffen. Entscheidend ist, daß dieser Verband von Landesregierungen unterstützt wird. Ich sehe nicht ein, warum er dann nicht auch von der Bundesregierung auf dem Wege über den Bundesjugendplan unterstützt werden soll.
Herr Kollege Spitzmüller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Spitzmüller, ist Ihnen bekannt, daß in Baden-Württemberg mit den Mitteln des Landesjugendplans nicht der SHB unterstützt wird, sondern über den Ring Politischer Jugend die Jungsozialisten unterstützt werden und daß allenfalls - das müßte man nachprüfen die Jungsozialisten das Geld dem SHB geben, aber gegen den Willen der dortigen Mehrheit im Finanzausschuß.
({0})
Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß ich nicht bestätigen kann, ob das der Wirklichkeit entspricht. Ich kann Ihnen das auch nicht verneinen. Ich bin aber gern bereit, das zu prüfen. Auf jeden Fall steht fest, daß der SHB in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aus Landesmitteln gefördert wird.
Nun, meine Damen und Herren, wollen wir die Dinge doch nicht übertreiben. Die Regierung macht in der Antwort sehr klar und deutlich, daß sie immer wieder gefordert ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die weitere Förderung gegeben sind. Aus diesen Ausführungen der Bundesregierung geht doch klar hervor, daß sie erkennt, daß hier Gefahrenmomente vorhanden sind, die sie beobachtet. Mehr können Sie von einer Bundesregierung nicht verlangen, als daß sie die Gefahrenmomente beobachtet. Aber sie darf nicht allein auf Grund des Anzeichens einiger extremer Äußerungen die Notbremse ziehen, den Geldhahn zudrehen und sich als großer Mentor aufspielen.
Entscheidend ist, daß sich in diesen Gruppen auch junge Menschen engagieren, die absolut guten Willens sind, auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, diese parlamentarische Demokratie unterstützen wollen und sie natürlich fortentwickeln wollen. Aber diese Menschen dürfen wir doch nicht dadurch, daß wir einfach sagen: „Wir geben nichts mehr", in die Ecke drängen und damit jenen das Feld überlassen, die, wie Sie befürchten, umstürzlerische Gedanken nicht nur bewegen, sondern auch aussprechen. Hier müssen wir sehr klar zwischen den Aussagen
einzelner und dem Verhalten der Mehrheit unterscheiden.
Das Verhalten der Mehrheit beim SHB ist immer noch so, daß die Unterstützung gerechtfertigt ist. Beim VDS ist sie so, daß sie nicht gefördert werden kann. Deshalb die klare Antwort der Bundesregierung: Eine Unterstützung findet nicht statt. Ich glaube, damit können Sie wahrhaftigen Gottes zufrieden sein.
({0})
Meine Damen und Herren, zu diesem Punkt der Aussprache liegt keine Wortmeldung mehr vor. Ich würde dann den nächsten Punkt aufrufen. Dazu liegt mir die Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Raffert vor.
({0})
- Gibt es einen Sprecher der CDU/CSU, der seine Ausführungen vorher machen möchte? Ich bin gern bereit, es Ihnen zu überlassen, das miteinander auszuhandeln. - Gut, Herr Abgeordneter Raffert!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den ersten Teil dieser Bildungsdebatte verfolgt und einen oberflächlichen Blick auf die Tagesordnung geworfen hat, die wir heute behandeln, könnte zu der Meinung gelangen, das Parlament habe sich zu der Debatte über Bildungsplanung veranlaßt oder gar verlockt gesehen durch die Batterie von Anträgen, die die Opposition zu diesem Zweck herangerollt hat.
({0})
Das ist aber nicht so; denn mit der Beratung des Bildungsberichts der Bundesregierung erfüllt dieses Haus eine selbstverständliche Pflicht, und die Oppositionsanträge, die wir dazu auf dem Tisch haben, sind nur eine mehr oder weniger wohl oder übel klingende Begleitmusik.
Die Koalitionsfraktionen unterziehen sich dieser Pflicht dagegen sehr gern. Wir wollen diesen Teil der Debatte in der Absicht führen, die Bundesregierung in der Vertretung und bei der Verfolgung der Ziele zu bestärken, die sie in diesem ihrem Bildungsbericht beschrieben hat. Das Feld, auf dem das zur Zeit geschieht, wo wir sie unterstützen müssen und wo sie sich um die Verwirklichung dieser Ziele bemüht, ist die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, die jetzt den dritten Entwurf für den Bildungsgesamtplan und für ein gemeinsames Bildungsbudget in Arbeit hat.
Welche Ziele sollen mit diesem Bildungsgesamtplan und mit diesem Budget erreicht werden? Die SPD sieht das so: Wir wollen ein Bildungssystem, das vom Kindergarten über Schule und Berufsbildung bis zur Hochschule und Weiterbildung in sich schlüssig und für jedermann jederzeit zugänglich ist, also - so heißt es im Bildungsbericht - „ein demokratisches, leistungs- und wandlungsfähiges Bildungssystem". Dieses System stellt der Bericht dar; er begründet und erläutert es.
In diesem System - so meinen wir - muß von
einer möglichst frühen Stufe an Chancengleichheit gewährleistet sein. Dazu gehört, daß es in sich durchlässig ist, daß es eine allgemeine Förderung einschließt, die stärkere Individualisierung von Bildungswegen ermöglicht und schließlich Konsequenzen aus der Erkenntnis zieht, daß das Lernen heute und künftig nicht mehr auf die Altersphase von Kindheit und Jugend beschränkt bleibt. Chancengleichheit - das gilt nicht nur für den Start, also für den Beginn des Bildungsweges; vielmehr müssen alle Bildungsgänge an vielen Stellen offengehalten werden. Die vielfach bestehenden und uns alle bekannten Sperren sind abzubauen.
({1})
- Ich werde gleich sagen, daß wir uns darüber hoffentlich nicht zu streiten brauchen.
Durchlässigkeit im System bedeutet, daß Sackgassen und möglichst auch viele Irrwege verschwinden. Die Förderung bezieht sich nicht nur auf die materielle Seite - wir versuchen, bestehende Mängel jetzt mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Graduiertenförderungsgesetz zu beheben -,
({2})
sondern auch auf „kompensatorische Maßnahmen", d. h. auf bessere Bildungsberatung und auf die Lehrplangestaltung. Individualisierung ermöglichen heißt ein Bildungsangebot bereitstellen, das den Neigungen des einzelnen entspricht, das ihm mehr Wahlfreiheit ermöglicht und das ihn von daher zur Leistung motiviert. Der Übergang zum lebenslangen Lernen - das möchte ich noch deutlich machen - ist natürlich nur in einem Bildungssystem erträglich, in dem das Lernen, im ernsthaften Sinne gesprochen, „Spaß" macht. Das ist heute nicht so.
({3})
Mit Recht wird nicht nur über so greifbare Mängel wie das Fehlen von Kindergartenplätzen oder Lehrern, das unübersichtliche Schulwesen, die unzulängliche Berufsbildung, die Engpässe und Verkrustungen an den Hochschulen und schließlich die unterentwickelte Weiterbildung geklagt. Viele empfinden die antiquierte Form des Leistungsdrucks durch das Aufzwingen von Methoden und Stoffen, die sie für unsinnig halten, als ebenso beklagenswert.
({4})
Der Bildungsbericht schlägt konkrete Maßnahmen vor, um dies alles zu ändern. Jetzt kommt es darauf an, sie im Gesamtbildungsplan so zu formen und durch das Bildungsbudget so abzusichern, daß das Grundziel der Chancengleichheit im demokratischen Bildungssystem erreichbar gemacht wird.
Vieles, was dazugehört, erscheint inzwischen als selbstverständlich. Ich will es trotzdem noch einmal beschreiben: mehr Lehrer im Verhältnis zu den Lernenden; ein anderes Berufsbild der Lehrer: weg vom Allround-Erzieher, aber auch weg von dem Lehrer, der auf einen einzelnen Zweig des SchulRaffert
wesens fixiert ist; hin zum Lehrer für Schulstufen; hin zur Trennung von Lehren und Verwalten, zu rationellerer Verwaltung und rationellerem Bauen; modernisierte Lehr- und Lernmittel, Einführung von Technologie und technischem Gerät in' die Lernprozesse, also auch Unterricht mit Medien" Umformung der Lehrplätze in Ausbildungswege - die Fachleute bezeichnen das als „Curriculumreform" -({5})
und ein Beratungswesen, das die Übersichtlichkeit erleichtert und zureichende Förderung gewährleistet. Meine Damen und Herren, das gilt nicht nur für die Schule, sondern sinngemäß für alle Bildungsbereiche. Es ist im Prinzip auch kaum umstritten, zumindest was die rein technischen und mehr quantitativen Probleme angeht.
Wir müssen uns aber auch zu strukturellen und qualitativen Veränderungen entschließen und für sie eintreten. Chancengleichheit, Durchlässigkeit, allgemeine Förderung, Individualisierung lassen sich eben nicht mehr im dreigeteilten Schulsystem und bei der jetzigen Lage der Berufs-, Hochschul-
und Weiterbildung erreichen. Sie sind eben nur an und in der Gesamtschule, durch ,die Zusammenführung von allgemeiner und beruflicher Bildung, und an und in der Gesamthochschule, die das Schulsystem mit der Weiterbildung verklammert, erreichbar.
Hier legen wir kein Glaubensbekenntnis ab, sondern beschreiben schlicht Notwendigkeiten. Es geht hier auch nicht um Bezeichnungen oder gar um Ideologien; so denken jedenfalls wir Sozialdemokraten. Deshalb wollen wir - aus sachlichen Gründen - Gesamtschule und Gesamthochschule in den Bildungsgesamtplan einbringen. Die CDU/CSU hat ja kürzlich durch den Kollegen Dr. Martin auch eine Art Ideologieverzicht erklärt. Ob das wirklich ernst gemeint ist,
({6})
muß sich in den künftigen Beratungen noch erweisen. - Ich höre gern, daß Sie bestätigen, das sei ernst gemeint. Bisher erkennen wir mehr Kompromißbereitschaft eigentlich nur bei der beruflichen Bildung - hier hat ja die Opposition noch einen gewissen Nachholbedarf zu erfüllen gehabt, jeder, der die Auseinandersetzung um das Berufsbildungsgesetz in der Großen Koalition noch in Erinnerung hat, weiß das - und in Richtung auf die Gesamthochschule hin; aber hier weiß man ja inzwischen, daß niemand, der ernst genommen werden will, dies mal ablehnen kann, sondern es nur darum geht, wie schnell man dort hingelangt.
({7}) - Zur Gesamthochschule!
Wir müssen in Bund und Ländern gemeinsame Anstrengungen aller politisch verantwortlichen Kräfte unternehmen. Deswegen wollen wir das Angebot, das Sie uns gemacht haben, ernst zu nehmen versuchen. Denn von uns allen wird viel erwartet und ungeduldig gefordert. Die Eltern wollen ihre Kinder in Kindergärten schicken können. Sie wollen ausreichende Chancen auch für die behinderten Kinder. Sie wollen mehr und bessere Lehrer. Sie wollen entlastet werden von der Hilfe bei den Schularbeiten, die sie nicht mehr leisten können. Sie wollen im Idealfall die Ganztagsschule. Sie wollen vor allen Dingen Klarheit im System. Sie wollen schließlich, daß gelehrt wird, was die Kinder eines Tages auch gebrauchen können. Die Erwartungen und Forderungen von Schülern und Lehrlingen stimmen hier mit denen der Eltern völlig überein. Die Schüler, Lehrlinge und Studenten aber wollen sich schließlich auch von Lehrern und Ausbildern nicht mehr einfach geschulmeistert fühlen. Die Lehrer aller Stufen wiederum fordern nicht nur bessere Besoldung, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen. Mädchen und Frauen wollen gleiche Chancen wie Jungen und Männer. Viele Erwachsene wollen nachholen und ergänzen können, was sie nicht oder noch nicht gelernt haben. Der Katalog ist nicht vollständig. Handel, Handwerk, Industrie, Verwaltung wollen besser vorgebildete Arbeitskräfte. So könnte man die Reihe der Beispiele verlängern.
Ich bin kein Utopist, wenn ich für die Sozialdemokraten hier deutlich sage: in dem Bildungssystem, das sich aus dem Bericht der Regierung, über den wir heute diskutieren, ableitet und das sich im Bildungsgesamtplan von Bund und Ländern abzeichnet, lassen sich diese Erwartungen erfüllen.
Wir täuschen uns dabei nicht über die finanziellen Schwierigkeiten in allen öffentlichen Haushalten hinweg. Aber diese finanziellen Schwierigkeiten dürfen höchstens das Tempo, nicht aber den Umfang der Reformen einschränken. In diesem Sinne sind die Auseinandersetzungen um die Finanzen zwischen den Ländern und dem Bund, zwischen den Kultusministern und den Finanzministern zu führen.
Ich komme zur Schlußbemerkung. Das Ziel der Bildungsreform habe ich noch einmal ganz einfach darzustellen versucht, ohne das in diesen Debatten so geläufige Fachvokabular, das sich zum Fachchinesisch auswächst.
({8})
- Was das ist, habe ich erklärt. - Das Ziel der Bildungsreform ist, das habe ich darzustellen versucht, beschreibbar, und deswegen kann es auch festgesetzt und festgeschrieben werden. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, daß jetzt einfach ein neuer Plan zu schon vorhandenen käme. Das wäre schlimmer, als wenn wir gar keinen neuen Plan machten. Entscheidend ist, daß wir jetzt auch die Schritte auf das Ziel hin festlegen und so zwingend verabreden - nämlich in dem Gesamtplan -, daß Eltern und Schüler, Lehrlinge und Ausbilder, Studenten und Professoren und alle, die lernen und lehren, sehen: nach einem klaren Programm wird auf ein richtiges Ziel vorwärtsgeschritten. Dies ist, ausgehend vom Bildungsbericht ,der Bundesregierung, möglich, und deshalb stimmen wir ihm zu.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Pfeifer. Es sind 25 Minuten Redezeit angemeldet.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Rede des Kollegen Raffert ist man eigentlich versucht, zu sagen: Über das Wahre, Gute und Schöne besteht seit Schiller kein Streit mehr.
({0})
- Friedrich von Schiller natürlich!
({1})
Das meiste von dem, was Herr Kollege Raffert hier ausgeführt hat, wird auch von uns geteilt. Ich glaube aber, daß Herr Kollege Raffert genau weiß, daß einiges von dem, was er gesagt hat, am Kern der Auseinandersetzung, zu der es auch heute morgen letztlich wieder kommen wird, völlig vorbeigeht.
Ich möchte deswegen namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zunächst einmal erklären, daß wir den Anträgen des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Bericht der Bundesregierung zur Bildungspolitik und zu unseren Anträgen auf den Drucksachen VI/1269 bis VI/1272 nicht zustimmen werden.
({2})
- Das kann ich mir vorstellen, daß Sie das nach den Ausschußberatungen nicht mehr allzusehr überrascht. - Wir lehnen vielmehr den Bildungsbericht ,der Bundesregierung ab und halten an unseren in der ersten Debatte über den Bildungsbericht am 14. Oktober 1970 und im Ausschuß gestellten Anträgen fest.
Meine Damen und Herren, die Ablehnung dieses Bildungsberichts bedeutet nun aber nicht - das möchte ich hier doch noch einmal klarstellen -, daß wir sämtliche Vorstellungen der Bundesregierung, die in diesem Bericht enthalten sind, für falsch halten. Die Ablehnung erfolgt vielmehr aus anderen Gründen, und sie erfolgt, obwohl wir einen Großteil der Vorstellungen, die im Bildungsbericht enthalten sind, mit unterschreiben. Sie sind Gemeingut aller Parteien in der Bundesrepublik geworden, soweit sie in diesem Bundestag vertreten sind. Wir lehnen den Bericht ab, weil wir einen Teil seiner strukturellen Reformvorstellungen für problematisch, fragwürdig und falsch halten. Wir lehnen diesen Bericht ab, weil wir ihn bis zum heutigen Tage personell und finanziell für nicht abgesichert halten, und wir lehnen ihn ab, weil er Bestandteil einer Bildungspolitik ist, die wir deshalb für falsch halten, weil sie in den vergangenen 19 Monaten zwar viele und teilweise auch gigantische Pläne gebracht hat, aber gerade dadurch in einen Reformismus geraten ist, der den Weg zu personell und finanziell abgesicherten und schrittweise realisierbaren Reformen, so wie wir sie uns vorstellen, erschwert hat.
({3})
Lassen Sie mich zur Begründung dieser Beurteilung, ohne jetzt auf die Einzelheiten der Ausschußberatungen noch einmal einzugehen, in aller Kürze folgendes sagen. Wir haben bereits in der Debatte am 14. Oktober 1970 ausführlich darauf hingewiesen, daß der Bildungsbericht der Bundesregierung an mehreren Stellen neue Bildungsinstitutionen als Allheilmittel, sozusagen als optimales Reformprogramm, empfehlt, obwohl niemand weiß, ob sich diese Institutionen bewähren werden, obwohl sie bisher noch völlig unerprobt sind und obwohl es dafür bisher beispielsweise noch keinerlei Curricula, Studienpläne oder dergleichen gibt. Die alternative Offenheit in den Empfehlungen des Bildungsrates wird einfach über Bord geworfen, und es werden damit Fragen, die auch der Bildungsrat als wissenschaftlich noch nicht geklärt ansieht und für die er ein alternatives Vorgehen empfiehlt, letztlich ideologisch beantwortet.
Ich glaube, am deutlichsten wird das darin sichtbar, daß die Gliederung des derzeitigen Schulwesens einfach mir nichts, dir nichts in den einzelnen Schularten bestimmten sozialen Schichten zugeordnet wird, als überholt angesehen wird, als an einer angeblich nicht demokratischen Gesellschaftsordnung orientiert bewertet wird und damit zur Auflösung freigegeben wird. Das aber bedeutet dann doch wohl, daß die Milliardenbeträge in der Zukunft in die neu empfohlenen und, wie gesagt, nicht erprobten Institutionen investiert werden sollen. Wenn sich diese Institutionen nicht bewähren sollten - niemand von uns hat die Gewißheit, daß sie sich bewähren werden - oder wenn sie nicht realisiert werden können, weil die personellen und die finanziellen Voraussetzungen nicht geschaffen werden können, dann werden eben diese Milliardeninvestitionen in die falschen Bildungseinrichtungen investiert, und gerade solche Fehlinvestitionen können wir uns im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erlauben.
({4})
Wir sind deshalb dafür, daß die Reform fortgesetzt wird in einem System der Flexibilität, der alternativen Offenheit und daß in diesem System die Verwirklichung der vertikalen und horizontalen Durchlässigkeit gesucht wird.
({5})
Dann schlägt die Bundesregierung in ihrem Bildungsbericht vor, daß künftig die Hälfte der Kinder eines Altersjahrgangs zum Abitur II oder zum Abschluß der Sekundarstufe II geführt werden. Lassen Sie mich auch dazu in aller Kürze folgendes sagen. Seit dem Jahre 1952 bis zum Jahre 1969, also in 17 Jahren, ist es uns gelungen, den Anteil der Abiturienten von etwa 4 % auf zirka 10 % anzuheben. Jeder in diesem Parlament begrüßt dies. Aber auf der anderen Seite wissen wir ganz genau, daß diese Steigerung der Abiturientenquote nur durch Engpässe und Schwierigkeiten erkauft werden konnte, die überall, vor allem im gymnasialen Schulwesen und im Hochschulwesen entstanden sind. Wenn wir jetzt den Versuch unternehmen wollen, in zehn Jahren diesen Anteil noch einmal um 40 % anzuheben, kann das letztlich nur zu katastrophalen Verhältnissen in den Gymnasien, in den weiterführenden Schulen führen; dann kann das nur dazu führen, daß das Niveau sinkt. Meine Damen und Herren, wenn das Niveau sinkt, bedeutet das weniger Chancengleichheit und weniger Bildungschancen für den einzelnen.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Erörterung, daß die Bundesregierung vorgeschlagen hat, daß von denen, die die Sekundarstufe II absolvieren, künftig nur noch die Hälfte an die Hochschulen überwechseln soll; die andere Hälfte soll in den Beruf gehen. Aber wir wissen doch ganz genau, daß wir mitten in einer Entwicklung stehen, in der der Anteil der Abiturienten, die in den Beruf gehen, in den letzten Jahren gesunken und der Anteil derjenigen, die in die Universitäten übergewechselt sind, gestiegen ist. Das hat seine Ursache doch darin, daß wir keinerlei attraktive Berufsbilder für Abiturienten ohne Hochschulstudium haben. Wer in einer solchen Situation den Vorschlag macht, daß künftig die Hälfte aller Abiturienten direkt in das Berufsleben überwechseln soll, ohne attraktive Berufsbilder anzubieten, der muß sich darüber im klaren sein, daß er damit den Numerus clausus an den Universitäten verewigt.
({6})
Genau diese Konsequenz halten wir unter den gegebenen Gesichtspunkten - auch unter dem Gesichtspunkt des Bürgerrechts auf Bildung - für falsch.
Schließlich beruht der Bildungsbericht der Bundesregierung - so sieht es jedenfalls die Bundesregierung - auf den Empfehlungen und den Strukturplänen des Bildungsrates und des Wissenschaftsrates. Diese Pläne waren und sind als Idealmodelle wertvoll, und sie sind auch von uns begrüßt worden. Aber, meine Damen und Herren, nach der Vorlage dieser Pläne wäre es doch die Aufgabe jeder Regierung gewesen, diese Vorschläge auf ihre Finanzierbarkeit zu überprüfen, diese Vorschläge daraufhin zu überprüfen, inwieweit die personellen Voraussetzungen für ihre Realisierung geschaffen werden können, und dann die Stufen zu projektieren, in denen diese Pläne Schritt für Schritt realisiert werden können, also nicht nur eine Vision des Jahres 1980 zu malen
({7})
- ich komme darauf gleich noch zurück -, sondern auch zu sagen, was 1972, 1973 und bis 1975 geschehen soll. Nichts dergleichen, vor allem nicht hinsichtlich der Stufen für die nächsten Jahre, ist geschehen.
({8})
- Aber wenn Sie einen Plan vorlegen, müssen Sie auch die Realisierungsmöglichkeiten für einen solchen Plan aufzeigen, sonst machen Sie keine Politik.
({9})
Aber, Herr Kollege Raffert, Sie können doch nicht daran vorbei, daß die Ausführungen zum finanziellen Bedarf im Bildungsbericht insgesamt genau eineinhalb Seiten umfassen und daß heute Klarheit darüber besteht, daß das, was in diesen anderthalb Seiten enthalten ist, alles andere als realistisch und brauchbar für die Realisierung dieses Konzepts ist.
({10})
Die Frage, wie die 100 Milliarden DM jährlich, die damals genannt worden sind, oder die anderen, nicht viel geringeren Beträge, die heute genannt werden, aufgebracht werden sollen, bleibt bis zum heutigen Tag unbeantwortet.
({11})
Sie wird nicht nur von uns gestellt, sondern sie wird auch von den Finanzministern der SPD in den Bundesländern gestellt. Statt auf diese Fragen konkrete Antworten zu geben, wirft uns beispielsweise der Staatssekretär von Dohnanyi in der Debatte über die Reformpolitik mangelnden Mut zur Modernität vor, als ob das Gelingen der Bildungsreform nicht von zugegeben mühsamen Berechnungen finanzieller Mittel, sondern von moralischen Eigenschaften wie Mut und Modernität abhinge.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Herr Kollege Pfeifer, stimmen Sie mit mir darin überein, daß der Finanzbedarf, der für die Reform unseres Bildungssystems notwendig ist, erst dann wirklich fundiert in die Finanzdiskussion eingeführt werden kann, wenn das Bildungsbudget vorliegt, das nur in Zusammenarbeit mit den Ländern erstellt werden kann?
Nein, ich bin der Auffassung, daß das Bildungsbudget genau aussagen muß, wie dieser Finanzbedarf gedeckt werden kann, und daß eine Regierung, die einen Plan vorlegt, auch sagen muß, wie diese 100 Milliarden DM gedeckt werden können. Das ist meine Auffassung in dieser Frage.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff?
Herr Pfeifer, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß dieser Bildungsbericht kein konkreter Plan ist, der in Realisationsstufen vorliegt, sondern daß dieser Bericht etwas darüber aussagt, welche Ziele auf bildungspolitischem Gebiet nach Meinung der Bundesregierung anzustreben sind?
Aber Berichte haben wir in der letzten Zeit doch in Hülle und Fülle gehabt. Wir brauchen endlich einmal Konzeptionen für die Realisierbarkeit solcher Berichte.
({0})
Deswegen wäre das Mindeste, was wir vor der Vorlage des Bildungsberichtes erwartet hätten, gewesen, daß der Finanzminister veranlaßt würde, die finanziellen Dimensionen der Bildungsreform in seine Finanzplanung einzugliedern und darzustellen, wie die Länder und die Gemeinden, die ja diese Reform durchführen müssen, die immensen zusätzlichen Mittel aufbringen sollen.
Inzwischen hören wir, daß bis zum Jahre 1975 die gesamten Bildungsausgaben - so hat es offenbar die Bund-Länder-Kommission beschlossen - auf 51 Mililarden DM ansteigen sollen. Aber fragt man nach, wieviel davon der Bund und wieviel die Länder tragen sollen und ob der Anteil des Bundes bis 1975 in der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert ist, dann muß die Regierung passen. Das ist in der Fragestunde auf entsprechende Fragen von uns geschehen.
Inzwischen hören wir, daß das Bundeswirtschaftsministerium stärkste Bedenken dagegen äußert, daß künftig mehr als die Hälfte der Zunahme des Personalbestandes im öffentlichen Bereich durch das Bildungswesen beansprucht wird und daß durch diese Reformpläne eine zu große Zahl von Erwerbstätigen dem Arbeitsmarkt entzogen werden, was ohne kompensatorische Maßnahmen nachteilige Folgen auf das Wirtschaftswachstum haben könnte. Ich will zu diesen Argumenten gar nicht Stellung nehmen. Ich meine nur, man hätte doch erwarten können, daß die Regierung diese Gesichtspunkte vor der Verabschiedung des Bildungsberichtes in ihre Überlegungen einbezogen hätte und nicht zunächst einen Bildungsbericht vorgelegt hätte, der Hoffnungen und Erwartungen weckt und jetzt auf alle diese Schwierigkeiten stößt, die wir tatsächlich erleben.
({1})
Wir hätten dies um so mehr erwartet, als diese Regierung und der Kanzleramtsminister auf die neuen Fähigkeiten zur Führungsdiagnose und zur Führungsplanung stolz waren. Dies war im Grunde der erste große Testfall für diese Fähigkeiten; denn ohne die Einordnung in die Gesamtpolitik muß jede Bildungsreform scheitern. Daß die Einordnung der Bildungspolitik in den Rahmen der Gesamtpolitik nicht gelungen ist, gerade das war das eigentliche Versagen, so wie ich es sehe, nicht nur des Wissenschaftsministers, sondern dieser Bundesregierung insgesamt. Deswegen ist das, was wir jetzt im Augenblick erleben, auch nicht allein die Schuld des zuständigen Ressortministers. Es ist die Schuld derjenigen, die für diese Gesamtpolitik verantwortlich sind. Wie wenig die Bildungspolitik in den Rahmen der Gesamtpolitik eingeordnet ist, wird am deutlichsten in einem Interview, das Frau Staatssekretärin Hamm-Brücher am 5. April oder kurz davor - es ist jedenfalls in dem Nachrichtenspiegel der Bundesregierung erwähnt - gegeben hat. In ihm hat sie ausgeführt, es sei noch lange nicht ausgestanden, ob sich innerhalb der Bundesregierung die vielzitierte Priorität der Bildungsreform im Bereich der inneren Reformen durchsetzen lasse. Das widerspricht doch zentral dem, was wir in der Regierungserklärung dieser Regierung gehört haben. Das macht doch deutlich, wie wenig hier die Einordnung der Bildungspolitik in die Gesamtpolitik gelungen ist.
({2})
Das führt doch schon zu der nahezu grotesken Situation, daß wir heute einen großangelegten Reformplan der Bundesregierung haben, aber zugleich die Bundesländer mangels Finanzmasse gezwungen sind, bei der Durchführung der Haushaltspläne 1971 oder bei der Aufstellung der Haushaltspläne 1972 Bildungsinvestitionen zu kürzen, Lehrerstellen trotz Lehrermangels zu sperren und Stellen für die Hochschulen zu streichen. Wer sich noch einigermaßen den Blick für die Wirklichkeit erhalten hat, der muß doch einsehen, daß in dieser Situation weder die Neuauflage der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes noch die Neuauflagen der mittelfristigen Finanzplanungen der Länder im Herbst die Mittel ausweisen werden, die nach dem Bildungsbericht der Bundesregierung notwendig wären.
Den Ländern und den Gemeinden geht es doch heute in dieser Finanzsituation, in die sie die Bundesregierung gebracht hat, in erster Linie darum, zu verhindern, daß weitere Engpässe und neue Schwierigkeiten im Bildungswesen entstehen. Die Reformpläne der Bundesregierung sind doch in Wahrheit weithin im Begriff, zur Illusionsmalerei zu werden. Ich bin mir darüber im klaren, wer heute nach den finanziellen Möglichkeiten fragt, kommt leicht in den Verdacht, er wolle die Reform überhaupt torpedieren. Um es hier deutlich zu sagen: wir sind für Reformen im Bildungswesen. Aber gerade deshalb verlangen wir in unseren Anträgen, die wir im Wissenschaftsausschuß vorgelegt haben, realistische Reformkonzepte. Denn in der Sache kann doch kein Zweifel mehr daran bestehen, daß wir in den letzten Monaten in der Bildungsreform weitergekommen wären und daß wir in den nächsten Jahren in der Bildungsreform weiterkommen könnten, wenn diese Regierung bei ihren Reformplänen von Anfang an unsere Fragen nach den finanziellen Möglichkeiten ernster genommen hätte.
({3})
Wenn heute die Pläne dieser Regierung nicht nur von den Ländern und Gemeinden, sondern auch von Teilen der Regierung - jedenfalls in gewissen Teilbereichen - selbst allenfalls noch dilatorisch behandelt werden und wenn als Folge davon - das muß man auch einmal in diesem Zusammenhang sagen - die Arbeit der Bund-Länder-Kommission sich im Augenblick in einer Krise befindet, dann ist dies ausschließlich darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung mit ihren Reformplänen das Augenmaß für das Realisierbare über Monate hinweg vermissen ließ. Darüber kann niemand glücklich sein. Denn das hat doch dazu geführt, daß weite Teile der Bevölkerung heute schon damit beginnen, die Ohren zu schließen, wenn wir von Reformen reden. Das ist kein Klima, in dem eine Reform gelingen kann.
({4})
In dieser Situation müssen wir deshalb darauf bestehen, daß endlich der immer wieder versprochene Rückkopplungsprozeß zwischen den Reformvorschlägen und den gesamtwirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten beginnt. Wir erwarten von der Bund-Länder-Kommission nicht einen Zwischenbericht, der den Finanzierungsfragen nur ausweicht, sondern wir erwarten einen Strukturplan, der mit einem finanzierbaren Bildungsbudget versehen ist.
Wir erwarten von der Bund-Länder-Kommission ein Konzept - um das deutlich zu sagen -, das
erstens die vollständige Darstellung der Kosten im Bildungsbudget gewährleistet. Wenn im Augenblick in den Ausgabenberechnungen der Bund-LänderKommission beispielsweise die Aufwendungen für die Ressort- und Großforschung, für Studentenwohnheime, für Fernstudien, für Grunderwerb, aber insbesondere für die finanziellen Mehraufwendungen der Ganztagsschulen, der Gesamtschulen, sowie die Versorgungslasten des Personals, die immerhin fast 30 % der Personalausgaben ausmachen, nicht berücksichtigt sind, dann wäre, wenn das nicht vervollständigt wäre, das ganze Bildungsbudget nicht viel wert. Wir verlangen eine vollständige Darstellung dessen, was an Ausgaben erforderlich ist.
({5})
Wir verlangen von der Bund-Länder-Kommission zweitens, daß der Finanzbedarf aufgeteilt für Bund, Länder und Gemeinden aufgestellt wird, und zwar für die gesamte Laufzeit des Planes, nicht nur für die Zeit bis 1975.
Drittens erwarten wir von der Bund-Länder-Kommission eine Aussage darüber, wie sich die einzelnen Reformmaßnahmen von der Einführung der Vorschule bis zur Gesamtschule und Erwachsenenbildung in den Gesamtkosten der Reform auch im zeitlichen Ablauf niederschlagen. Meine Damen und Herren, daß das bisher nicht geschehen ist, macht doch deutlich, daß die Regierung gar nicht in der Lage ist, Prioritätsentscheidungen zu treffen. Aus diesem Grunde halten wir es für an der Zeit, daß diese Aufgabe bewältigt wird, damit wir hier zu Prioritätsentscheidungen kommen können.
Viertens erwarten wir von der Bund-Länder-Kommission, daß sie in ihrem Bildungsbudget nicht nur zum Ausdruck bringt, was die Reformpläne kosten, sondern auch, wie die erforderlichen Mittel für die gesamte Laufzeit des Plans - nicht nur bis 1975 - aufgebracht werden können und wie die Länder und Gemeinden, die zur Zeit immerhin 94 % der Bildungsausgaben bestreiten, in die Lage versetzt werden sollen, ihren Anteil an den Bildungsausgaben bis 1980 oder bis 1985 zu finanzieren; denn wer es unternimmt, Planungsziele im Bildungsbereich bis 1980 oder bis 1985 festzulegen, der muß auch für die Finanzierung dieser Planziele jenes Maß an Klarheit schaffen, das aus heutiger Sicht möglich ist. Andernfalls sind doch diese Pläne nicht glaubwürdig. Und das bedeutet eben, daß das Bildungsbudget zu den anderen Ausgabeblöcken von Bund, Ländern und Gemeinden in Beziehung gesetzt werden muß. Bei den Beratungen im Wissenschaftsausschuß hatten wir manchmal, vor allem bei dem „Eiertanz" um das Positionspapier von Herrn Reischl, so ein bißchen den Eindruck, daß man sich hier herumdrücken will. Inzwischen ist das Gott sei Dank geklärt. Wir erwarten jedenfalls, daß dieses Bildungsbudget und damit der Strukturplan zu den Reformprogrammen der übrigen Bereiche in der Gesamtpolitik in Beziehung gesetzt wird. Die Bundesregierung muß endlich auch einmal sagen, was hinter der Finanzierung des Bildungswesens zurückstehen soll. Wer Prioritäten setzt, muß auch Posterioritäten setzen.
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Dazu haben wir bis zur Stunde nichts gehört.
Fünftens erwarten wir von der Bund-Länder-Kommission, daß sie Alternativplanungen entwickelt, die eine flexible Anpassung an die jeweiligen gesamtwirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten erlauben. Hierzu haben wir in den vergangenen Wochen eine große Zahl von Ausarbeitungen und Analysen erhalten. Ich habe nicht die Zeit, darauf im einzelnen einzugehen. Aber zwei Konsequenzen scheinen mir sicher zu sein. Nach all diesen Analysen muß einmal davon ausgegangen werden, daß auch künftig die Länder und Gemeinden mehr als 90 0/0 der Kosten des Bildungsbudgets zu tragen haben. Verglichen mit dem Jahre 1970 bedeutet dies, daß sich nach dem dritten Entwurf des Bildungsgesamtplanes, der ja vielfach bereits hinter den Vorstellungen der Bundesregierung im Bildungsbericht zurückbleibt, die jährlichen Bildungsausgaben der Länder und Gemeinden bis 1975 um mindestens 20 Milliarden DM erhöhen werden. Selbst wenn es gelingen sollte, diese Zahl noch zu drücken, so lassen die Berechnungen doch erkennen, daß jede Bildungsreform, wo immer man die finanzielle Grenze ziehen mag, nur bei einer entscheidenden Verbesserung der Finanzausstattung der Länder und Gemeinden in naher Zukunft realisierbar ist.
Das Zweite, was uns als Konsequenz notwendig zu sein scheint, ist dies: die Realisierung jeder Bildungsreform kann nicht auf allen Stufen gleichzeitig beginnen. Innerhalb eines umfassenden Gesamtplanes müssen Prioritäten gesetzt werden. Wir schlagen daher der Regierung heute nochmals vor, mit uns zusammen eine kurz- und mittelfristige Prioritätenliste zu erarbeiten, die der finanzpolitischen Situation in den nächsten Jahren Rechnung trägt.
In dieser Prioritätenliste gehen wir von folgenden Schwerpunkten aus.
1. Die Beseitigung des Lehrermangels, insbesondere in den Gymnasien und Berufsschulen und in den Engpaßfächern des mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Dies setzt eine Minderung des Numerus clausus in diesen Fächern und die rasche Umgestaltung der gymnasialen Oberstufe zur Sekundarstufe II voraus.
2. Neben der Beseitigung der eben genannten gravierenden Engpässe im Bildungssystem müssen, abgestuft auf die gesamtwirtschaftliche Lage, die auf lange Sicht grundlegenden Reformen eingeleitet werden. Es ist also eine stufenweise Verbesserung und Umstrukturierung des Bildungswesens anzustreben, wobei für uns der Ausbau der Kindergartenerziehung und die Einführung der Vorschule Priorität gegenüber der generellen Einführung des zehnten Schuljahres haben sollte, wobei für uns dann der Ausbau der beruflichen Bildung wieder Vorrang vor der Einführung der Ganztagsschule hat und wobei zusätzliche Studienplätze an den Hochschulen in erster Linie in den naturwissenschaftlichen und in den für die Lehrerbildung relevanten Fachbereichen geschaffen werden.
Dies, meine Damen und Herren, haben wir in den Ausschüssen beantragt. Die Koalition hat alle diese unsere Anträge abgelehnt.
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- Alle diese unsere Anträge abgelehnt! Wenn Sie die Anträge dagegenhalten, welche die Ausschußmehrheit heute hier zur Verabschiedung vorlegt, dann wird deutlich - und das sage ich mit allem Freimut -, daß uns die Koalition eine realisierbare, finanzierbare und praktikable Alternative in den Ausschußberatungen schuldig geblieben ist.
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Wir sehen uns deshalb nicht in der Lage, diesen Ausschußanträgen zuzustimmen. Wir werden vielmehr weiter für die Konzeption eintreten, die in unseren Anträgen, die auch heute zur Debatte stehen, niedergelegt ist, weil wir davon überzeugt sind, daß nur mit dieser von uns vorgeschlagenen Konzeption die Bund-Länder-Kommission aus ihrer Krise herausgeführt und die durch die Politik der Bundesregierung ins Stocken geratene Reformpolitik im Bildungswesen fortgesetzt werden kann.
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Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Leussink.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen, Herr Pfeiffer, sehr dankbar für den Einstieg, den Sie mir durch Ihre Ausführungen für meine geboten haben, die ich ohnehin heute hier machen wollte, wenn auch, wie üblich, in kleinem Kreise. Sie haben soeben sehr deutlich ausgeführt, daß die Bundesregierung bisher keine quantifizierten Pläne vorgelegt hat. Sie haben das sogar gerügt. Ich muß das hinnehmen. Auch im Bildungsbericht sind weder quantifizierte Pläne noch Abfolgen, wie ein Plan durchgeführt werden könnte, enthalten. Wie gesagt, Sie haben das gerügt.
Ich halte das dagegen für einen Vorteil und auch für eine Notwendigkeit in der Verfassungslage, in der wir uns nun einmal befinden. Wir können das nicht allein bewältigen, und die Bundesregierung will das auch nicht allein tun. Das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung einer gemeinsamen Kommission für Bildungsplanung schreibt uns zwingend vor, daß wir zusammen mit den Ländern zuerst einen inhaltlichen Plan und dann das Budget bearbeiten.
Sie haben dann gesagt, daß durch den Bildungsbericht die Meinungsbildung in den letzten Monaten insofern erschwert worden sei, als viele Dinge dort ideologisch beantwortet seien. Herr Pfeiffer, wie die Bundesregierung die Dinge wirklich betrachtet, kann man eigentlich nur dort feststellen, wo hart gearbeitet wird. Das geschieht in der BundLänder-Kommission. Ich glaube, daß die Ergebnisse - der größte Teil ist ja einvernehmlich zwischen Bund und allen Ländern erarbeitet - es nicht rechtfertigen, daß man die Haltung und die Mitarbeit der Bundesregierung in der Bund-LänderKommission so apostrophiert, wie Sie es gerade getan haben.
Sie haben dann gesagt, die Rückkopplung müsse hergestellt werden. Herr Pfeifer, dieser Ausdruck ist wahrscheinlich sogar von uns entlehnt. Darauf haben wir von Anfang an hingewiesen.
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- Wir sind mitten in dem Rückkopplungsprozeß.
Weiterhin haben Sie gesagt, die Regierung sei nicht in der Lage, Prioritätsentscheidungen zu treffen. Damit haben Sie völlig recht. Wir sind dazu nicht in der Lage und können dazu gar nicht in der Lage sein. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß die Länder nachher den Plan, wenn er in die Tat umgesetzt werden soll, ausführen müssen. Also können Prioritätsfestsetzungen doch wohl nur zusammen mit den Ländern getroffen werden, und das Instrument dazu ist die Bund-Länder-Kommission.
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Sie haben dann hier eine große Reihe von Erwartungen aufgezählt, die Sie gegenüber der BundLänder-Kommission haben. Daraus könnte man entnehmen, daß Sie die Vorstellung haben - Sie haben sie selbstverständlich nicht, aber es könnte der Eindruck erweckt werden, Sie hätten diese Vorstellung -, der Bund bräuchte in der Bund-LänderKommission nur seine Wünsche zu äußern, und die Länder würden das dann mitmachen.
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Sie wissen ganz genau, daß wir dort Dreiviertelmehrheiten brauchen und daß wir auf der Ebene der Regierungschefs, auf der ja die endgültige Entscheidung gefällt wird, ebenfalls Dreiviertelmehrheiten brauchen. Ich möchte fast sagen, heute ist überhaupt noch die letzte Gelegenheit, das zu fordern, was in der Bund-Länder-Kommission ohnehin geschieht. Daß man diese Gelegenheit ausnutzt, verstehe ich. Ich glaube aber, daß sich dadurch an der Arbeit, die dort geleistet wird, nichts ändert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zur Ernüchterung auf allen Seiten einige konkrete Zahlen sagen. Es besteht doch gar kein Zweifel darüber, daß der Hauptanteil an den Kosten in den Personalanforderungen liegt. Sie, meine Herren von der CDU/CSU, gehen in Ihrem Positionspapier von den Mittelwerten der Kultusministerkonferenz aus. Herr Dr. Martin bestätigt das. - Abgesehen davon, daß die Mittelwerte von der Kultusministerkonferenz inzwischen sozusagen zurückgezogen und durch Richtwerte ersetzt worden sind - was aber an der Sache praktisch nichts ändert -, will ich hier einmal nur zwei Zahlen erwähnen:
Die Kultusministerkonferenz hat im Jahre 1963 als Mittelwert für das Jahr 1970 für Grund- und Hauptschule 29 Schüler pro Lehrer vorgesehen. Der Richtwert, der neuerdings gilt und der für das Jahr 1980 aufgestellt worden ist, lautet 26 Schüler pro Lehrer. Die Bund-Länder-Kommission sieht eine Bandbreite von 28 bis 30 Schülern pro Lehrer vor. Sie können also der Bund-Länder-Kommission allenfalls vorwerfen, daß sie restriktiver und nicht so mutig ist, wie es die Kultusministerkonferenz bisher mehrfach gewesen ist.
Ich will ferner die Zahlen für die gymnasiale Oberstufe nennen. Mittelwert der Kultusministerkonferenz für 1970: 14 Schüler pro Lehrer, Richtwert der Kultusministerkonferenz für 1980: 12 Schüler pro Lehrer, Bund-Länder-Kommission: 14 bis 16 Schüler pro Lehrer. Sie können uns also wirklich allenfalls vorwerfen, daß wir, Bund und Länder miteinander, zuwenig mutig gewesen sind.
Man muß sich darüber klar sein, daß die Veränderung dieser Werte um 1 his 2 Schüler pro Lehrer gleich Milliardensummen ausmacht. Die beiden Schrauben, an denen zu drehen ist, wenn man dieses Milliardenspiel wirklich beeinflussen will, sind einerseits die Schüler-Lehrer-Relationen und andererseits die Studentenzahlen. Ich darf wohl feststellen, daß in dieser Beziehung auf der ganzen Linie zwischen der Koalition und der Opposition im Bund sowie, was man nie vergessen darf, den Ländern - wie wir uns hier auch einigen, immer müssen wir uns auch mit den Ländern einigen - ein völliger Consensus besteht. - Die Länder sind auf diesem Gebiet sogar unisono etwas fortschrittlicher - wenn ich diesen Ausdruck hier gebrauchen darf -, als es die Bundesseite bisher gewesen ist. Denn hinsichtlich der Studentenzahlen haben wir uns im Planungsausschuß nach dein Hochschulbauförderungsgesetz längst geeignet, und bei der Schüler-LehrerRelation ist das, wie gesagt, auch der Fall.
Meine Damen und Herren, ich will das hier ganz offen sagen, ich verstehe völlig die Sorgen der Länderfinanzminister. Diese Sorgen sind aber unabhängig von den Reformen, wie ich durch ein paar Zeilen vielleicht beweisen kann. Wenn Sie das bisherige Wachstum des Gebietes Bildung und Wissenschaft in den letzten 15 bis 20 Jahren betrachten, so stellen Sie fest, daß -- je nachdem, ob Sie in jeweiligen oder konstanten Preisen rechnen Sie in 20 Jahren eine Verzehnfachung der Ausgaben in jeweiligen Preisen oder eine Verfünffachung his Versechsfachung der Ausgaben in konstanten Preisen haben.
Zu dem Programm, das nach dem bisherigen, d. h. vorläufigen Stand in der Bund-Länder-Kommission bearbeitet worden ist, haben Sie, Herr Pfeifer, soeben einen Teil der Zahlen gebraucht. Dabei muß ich aber darauf aufmerksam machen, clan das erste Rechendurchgänge sind. Es ist keineswegs so, wie Sie gesagt haben, daß in der Bund-Länder-Kommission beschlossen wäre, daß man bis 1975 in jeweiligen Preisen 51 Milliarden DM zugrunde legen will. Das ist vielmehr ein erstes Arbeitspapier. Im Laufe des Rückkopplungsprozesses, den Sie mit Recht gefordert haben und den wir von Anfang an mit vorgesehen haben, wird sich zeigen, ob diese Zahl bestehen bleibt oder nicht.
Wenn Sie nun bedenken, was in der Vergangenheit geschehen ist - eine Verzehnfachung nominal und eine Verfünffachung bis Versech.sfachung real seit Anfang der 50er Jahre -, und dann dagegenhalten, was die Bund-Länder-Kommission bisher vorsieht -- und das kann man nur in realen, d. h. in konstanten Preisen machen -, so sehen Sie bis 1975 in konstanten Preisen das 1,5fache des heutigen, 1980 das 2,2fache des heutigen und 1985 das 2,8fache des heutigen. Wenn man auf einem niedrigeren Niveau anfängt, wie wir es in den 50er Jahren taten, ist es selbstverständlich viel einfacher, höhere Steigerungsraten zu erzielen als jetzt, wo wir uns schon in ganz erklecklichen Größenordnungen, nämlich bei 25 Milliarden DM, befinden.
Jetzt will ich versuchen, Ihnen mit ein paar Zahlen klarzumachen, wie der Anteil der Reformen in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt. Die Reformen möchte ich in sechs Gruppen zusammenfassen: Vorschule bzw. Kindergarten, 10. Schuljahr, Weiterbildung, Gesamtschule, Berufsschule und Ganztagsschule. In konstanten Preisen machen diese unter Reformvorstellungen und Reformvorhaben zu subsumierenden Dinge 3,1 Milliarden DM im Jahre 1975 und rund 9 Milliarden DM im Jahre 1980 aus. Wenn Sie das umrechnen, heißt das, daß der Reformanteil für 1975 unter 10 % der Gesamtkosten, nämlich 8,4 % ausmacht und für 1980 18,7 %, also unter 20 %.
Nun ist es aber nicht so, daß der größte Teil dieser Reformen zwischen Ihnen und uns streitig wäre.
Aus Ihrem Positionspapier - ich will es ganz vorsichtig interpretieren - geht hervor, daß Sie sowohl die Vorschule als auch die Kindergärten wollen, vielleicht in noch stärkerem Maße als derzeit die Bund-Länder-Kommission, daß Sie im zehnten Schuljahr mittelfristig etwas machen wollen und (laß Sie ebenfalls die Berufsschule und das gesamte Berufsausbildungswesen noch in genau demselben Maße wie die Bund-Länder-Kommission verstärken wollen. Wenn ich das berücksichtige, kommt heraus, daß der Unterschied für 1975 in konstanten Preisen noch ganze 3 % beträgt und für 1980 noch ganze 6 %. Dabei ist das Fernstudium im Medienverbund nicht enthalten, und, Herr Dr. Martin, Ihre optimistische Ansicht, daß man sogar auf dem Gébiet der Medizin den Abbau des Numerus clauses anpeilen könnte, ist damit noch keineswegs gedeckt.
Das heißt also: Wenn überhaupt zahlenmäßig etwas zwischen uns streitig sein könnte, dann sind es diese 3 % für 1975 und diese 6 % für 1980. Auch das, was Sie nicht unbedingt unter der Firma „Re- formen" verkaufen wollen, kostet praktisch genauso viel Geld wie das, was andere vielleicht unter dieser Firma anbieten.
Ich darf noch einmal sagen: Wenn wir uns darauf einigen könnten, daß wir die von mir aufgezählten Maßnahmen als Reformen betrachten, dann weichen wir für 1975 noch nicht einmal um 10 % von dem ab, was ohnehin - ohne jede Änderung der bisherigen
Politik im Schul- und Hochschulwesen geschehen
muß, und für 1980 weichen wir noch nicht einmal
urn 20 % von dem ab, was ohnehin geschehen muß.
Deshalb darf ich folgende Schlußfolgerung ziehen: Die strukturellen Reformen, die in der Bund-LänderKommission vorgesehen sind, bisher zum größten Teil einvernehmlich vorgesehen sind - und Sie wissen alle, daß wir uns bemühen werden, auch die übriggebliebenen Streitpunkte im Laufe der weiteren Verhandlungen auszuräumen und zu einem Consensus zu gelangen -, stellen nicht den Löwenanteil an den zusätzlichen Kosten und den Kostensteigerungen im Bildungswesen, sondern nur einen verhältnismäßig schwachen Anteil dar. Es müßte
mit dem Teufel zugehen, wenn es uns bei dieser Sachlage nicht gelänge, zu einem Consensus - ich darf noch einmal sagen: zwischen Bund und Ländern; denn das ist der wichtigste Consensus - zu kommen, aber auch zwischen der Bundeskoalition und der Bundesopposition. In diesem Sinne, meine Damen und Herren von der CDU CSU, erkläre ich im Anschluß an das, was Herr Raffert schon gesagt hat, für die Bundesregierung, daß wir den Vorschlag der Opposition, ein realistisches Programm zu erarbeiten, gern annehmen. Das fällt uns urn so leichter, als unsere Absichten - wie ich soeben
zeigen konnte ohnehin schon jetzt gar nicht mehr weit auseinanderliegen.
Ich möchte aber nicht schließen, ohne nochmals darauf hinzuweisen, daß es sich bei diesen Fragen. um eine Angelegenheit von Bund und Ländern handelt. Ich möchte - jedenfalls von mir aus -den Eindruck vermeiden, als ob wir ohne Zusammenwirken mit allen Ländern etwas tun könnten. Wenn man schon - wie das in der letzten Zeit in der Presse wiederholt geschehen ist - von der Großen Koalition auf diesem Gebiete redet, dann muß man die Große Koalition erweitern. Es geht dabei nämlich um drei Partner. Es geht in erster Linie um die Länder; es geht urn die Bundeskoalition, und es geht um die Bundesopposition. In Anbetracht der Langfristigkeit all dieser Unternehmungen bin ich der festen Überzeugung, daß wir in der Tat alle Anstrengungen unternehmen sollten, um zu einer einvernehmlichen Lösung unter den drei - nicht unter den zwei, die hier miteinander reden, sondern unter den drei - genannten Partnern zu kommen, nämlich um es noch einmal zu wiederholen - den Ländern und dem Bund, aufgeteilt in Bundeskoalition und Bundesopposition.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Grüner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich möchte in Anlehnung an das, was Herr Pfeifer in seinem Beitrag gesagt hat, nicht etwa den hier gängigen Schiller zitieren, sondern auf ein geflügeltes Wort zurückgreifen, dessen Autor mir unbekannt ist. Ich habe den Eindruck, Herr Pfeifer, daß Sie nach der Methode: „Haltet den Dieb!" argumentiert haben; daß Sie nach dieser Methode argumentiert haben, weil aus Ihren Ausführungen - mindestens für den unbefangenen Hörer - der Eindruck entstehen mußte, als ob das Ausmaß der Verantwortlichkeit der Länder - und gerade der Länder, deren Politik von Ihnen maßgeblich bestimmt wird - in dieser Diskussion, in der wir uns gemeinsam befinden, überhaupt. keine Rolle zu spielen habe. Aus den Worten von Minister Leussink ist sehr deutlich geworden, wie sehr diese Verantwortung eine gemeinsame Verantwortung ist und wie sehr wir mit dem, was wir als Regierungskoalition tun können, von dem abhängig sind, was in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung tatsächlich erarbeitet wird und dann auf einem gemeinsamen Consensus beruhend verwirklicht werden kann. Ich würde sagen insofern ist der Termin der heutigen Debatte nicht besonders glücklich gewählt, weil er meiner Ansicht nach nicht mehr bieten kann als eine Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Diese Zwischenbilanz sieht für die Planungskommission von Bund und Ländern und auch für diese Regierung nach meiner Ansicht sehr erfreulich aus; denn zum erstenmal ist eine langfristige gesamtstaatliche Bildungsplanung in Gang gekommen. Sie hat trotz aller Schwierigkeiten eines der wichtigsten Reformvorhaben dieser Regierung erfolgreich in Angriff genommen. Nur mit Hilfe eines gemeinsam von Bund und Ländern durchgeplanten Programms kann es gelingen, einen Ausweg aus der Bildungsmisere der 50er und 60er Jahre zu finden und eine umfassende Reform des Bildungswesens einzuleiten. Skeptiker aller Schattierungen sind widerlegt; denn es gibt nun klare Ansätze für eine von Bund und Ländern gemeinsam geplante und auch gemeinsam zu tragende Bildungspolitik, Ansätze, die nicht rückgängig zu machen sind, trotz der Schwierigkeiten, die sich ergeben haben und auch in der Zukunft wahrscheinlich noch in verstärktem Maße auftreten werden.
Wir haben nie zu denen gehört, die die Möglichkeiten langfristiger und programmierter Planung überschätzt haben. Aber es ist trotz aller Abneigung und aller Vorbehalte gegenüber einer Planungsperfektion gelungen, einen Bildungsgesamtplan in Grundzügen sichtbar zu machen, der die Gestalt des künftigen Bildungswesens bis 1985 festlegt. Der Bund und alle Länder haben sich für die Entwicklung und den Ausbau eines grundsätzlich gestuften Bildungswesens entschieden. Auch wenn eine Minderheit der Länder, nämlich die CDU-regierten Länder, nicht wie wir Freie Demokraten für die schrittweise Einführung der integrierten Gesamtschule und Gesamthochschule eintritt, so muß doch die gemeinsame Planung nicht hinfällig werden, da alle unsere Planungen in der Bund-Länder-Kommission insofern übereinstimmen, als sich der innere und entscheidende Umbau über lange Fristen erstrecken wird und sowohl im Schul- wie im Hochschulbereich auf ein Gesamtsystem ausgerichtet ist. Wir sind davon überzeugt - oder hoffen es mindestens; so möchte ich etwas vorsichtiger sagen -, daß auch die CDU und die von ihr regierten Länder schließlich nachfolgen werden und die unausweichliche Entwicklung zu offenen und horizontal gestuften Schul- und Hochschulsystemen nachvollziehen werden.
Schließlich ist der Verzicht auf die Konfessionsschule -- ich spreche hier als Baden-Württemberger und denke etwa an unsere Verhältnisse in Baden-Württemberg - ein hoffnungsvolles Zeichen für die Bereitschaft der CDU, notfalls auch einmal langgehegte, liebgewordene Vorstellungen über Bord zu werfen.
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- Das hat sehr viel damit zu tun. Es hat nämlich mit meiner Hoffnung zu tun, daß Sie manche überholte Bildungsvorstellung im Laufe der Zeit über Bord werfen werden. Ein hoffnungsvolles Zeichen ist nach meiner Ansicht auch, daß die junge GeneGrüner
ration, in der CDU etwa durch den Ring Christlich-Demokratischer Studenten repräsentiert, sich schon sehr nachdrücklich zu Wort gemeldet hat und andere Vorstellungen vertritt, als sie zum Teil hier von Ihnen vertreten werden.
Herr Kollege Grüner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeifer?
Herr Kollege Grüner, nachdem Sie den Wegfall der Konfessionsschule noch einmal angesprochen haben, möchte ich Sie folgendes fragen: Glauben Sie nicht, daß es uns in BadenWürttemberg leichter gewesen wäre - wir waren ja damals noch gemeinsam mit Ihrer Partei in einer Koalition , diesen Weg zu gehen, wenn nicht ausgerechnet zu dieser Zeit in Niedersachsen eine SPD/FDP-Koalition die Konfessionsschule noch einmal zementiert hätte?
({0})
Herr Kollege Pfeifer, ich glaube, daß Sie mit dieser Zwischenfrage erneut Ihre bewährte Taktik des „Haltet den Dieb" verfolgt haben. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, Ihnen sehr deutlich zu sagen, daß die CDU in Baden-Württemberg erst in dem Augenblick auf die geheiligten Grundsätze der Konfessionsschule zu verzichten bereit war, als sie in der Gefahr stand, aus der Regierung herauszufliegen. Das kann uns ja auch für die Zukunft mit einer gewissen politischen Hoffnung erfüllen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Raffert?
Herr Kollege Grüner, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß Ihre Kollegen in Niedersachsen, insbesondere der Kollege Graaff, im Zusammenhang mit dem Konkordatsabschluß den Mut hatten, auf ihre Ministersessel zu verzichten, und sind Sie bereit, mir weiter zu bestätigen, daß jetzt, Jahre nach dem Abschluß des Konkordats in Niedersachsen, nicht einmal mehr 20 % der vor dem Konkordat bestehenden Konfessionsschulen existieren?
({0})
Ich kann das nur bestätigen, was Herr Kollege Raffert hier ausgeführt hat. Ich betone noch einmal, daß ich den Lernprozeß der Opposition günstig beurteile und daß ich auf politische Entwicklungen hoffe, die diesen Lernprozeß beschleunigen werden.
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Das bisherige Schulsystem hat die Entwicklung der Selbstbestimmung weitgehend verhindert. An keiner Stelle durften die Schüler über ihren Bildungsgang bestimmen. Die Funktion des Entscheidens wurde in der Schule ignoriert. Hierbei hat das gesamte Bildungssystem eine „entscheidende" Aufgabe. Es muß dafür sorgen, daß sich die Menschen mit zunehmendem Alter auch in zunehmendem Maße selbständig Ziele setzen und sie verfolgen können. Kinder und Jugendlichen müssen befähigt werden, auf ihren Bildungsgang in eigener Verantwortung nach dem Maße ihrer Einsicht einzuwirken. Voraussetzung hierfür ist eine umfassende Information und die Fähigkeit, sich diese Information zu beschaffen und sie auch zu verarbeiten. Selbstverständlich sind der Autonomie durch Sachzwänge der technischen Zivilisation und durch diejenigen Bereiche Grenzen gesetzt, die einer gemeinsamen Vereinbarung unterliegen. Dabei ist jedoch stets die Frage zu stellen, wo diese Grenzen liegen, wer sie setzt und ob sie nicht zugunsten einer erweiterten Selbstbestimmung ausgedehnt werden können.
Ein weiterer wichtiger, in diese Zwischenbilanz einzubeziehender Fortschritt ist, daß die im Entwurf des Bildungsgesamtplans niedergelegten Zielsetzungen nun nicht mehr allein als programmatische Aussagen gemacht werden, sondern daß sie Punkt für Punkt in Einzelmaßnahmen aufgegliedert, in Personal-, Raum- und Sachbedarf „quantifiziert" und Jahreszahlen für ihre Verwirklichung festgelegt sind. Im Augenblick liegen drei unabhängig voneinander entwickelte und programmierte Kostenmodelle vor. Sicher werden auch diese Modelle überprüft und korrigiert werden müssen. Eines ist aber jetzt schon deutlich und für unsere Debatte wichtig: Die harten Zahlen führen die öffentliche Diskussion aus dem Stadium der Deklamation des bildungspolitisch Wünschbaren heraus und zwingen sie in die Konfrontation mit dem finanziell Möglichen hinein.
Es ist ein entscheidender Erfolg dieser Planungsarbeit, daß sie - ich betone das - von Anfang an den Zusammenhang zwischen Planung einerseits und Finanzbedarf andererseits deutlich gemacht hat und daß der Überblick über die geplanten Maßnahmen auch besser als bisher die Möglichkeit eräftnet, den Nachweis der sparsamen Verwendung der öffentlichen Mittel zu fordern und auch zu kontrollieren. Die Effektivität der Bildungsfinanzierung muß gesichert sein, wenn die Öffentlichkeit für das Reformprogramm im Bildungswesen nachhaltig gewonnen werden soll. Wir sind davon überzeugt, daß der bisher betriebene Aufwand in manchen Bereichen reduzierbar ist, wenn erst einmal die Bedarfsermittlung abgeschlossen ist. Solange das jedoch noch nicht der Fall ist, ist es sinnlos, von Steuererhöhungen für den Bildungsbereich zu sprechen, zumal zu einem Zeitpunkt, wo die öffentlichen Haushalte aus konjunkturellen Gründen zur Zurückhaltung gezwungen sind.
Die Diktatur der leeren Kassen ist zwar sicher mittel- und langfristig nicht die geeignete Grundlage der Bildungsfinanzierung, aber doch ein sicheres Mittel, das Vorprellen anderer wichtiger öffentlicher
Ausgabenbereiche mit allen Folgelasten zu verhindern. Bei der Finanzierung der Bildungspolitik werden sich daher zwei Aufgaben mit gleicher Dringlichkeit stellen:
das Setzen von Prioritäten und die optimale Ausnutzung der durch die Investitionen geschaffenen Einrichtungen und
die Reduzierung des bisherigen Aufwandes in der Relation zum Nutzen dieses Aufwandes.
Dabei lassen wir Freien Demokraten uns in der mittel- und langfristigen Finanzplanung von der Überzeugung leiten, daß bei uns ein zu geringer Teil des Bruttosozialprodukts in Bildung und Ausbildung investiert wird. Zugegebenermaßen ist die Bildungsfinanzierung der schwierigste Teil des Planungsgeschäftes. Es muß gelingen, die öffentliche Meinung und die fortschrittlichen Wähler von der Notwendigkeit der Finanzierung der Bildungsreform zu überzeugen und deutlichzumachen, daß es sich hier um Zukunftsinvestitionen handelt, die auch im wirtschaftlichen Sinne für die Steigerung unserer Produktivität unerläßlich sind.
Wenn die CDU/CSU-Opposition in ihrem Antrag zu den Finanzperspektiven der Bildungsplanung Angaben im Detail von der Regierung verlangt hat, so zeigt sie damit zum jetzigen Zeitpunkt, daß sie einer Planungsgläubigkeit zu verfallen scheint, die vielleicht mit dem Wunsch zu erklären ist, der Regierung und den sie tragenden Parteien nachzuweisen, daß die Bildungspolitik eben nicht zu finanzieren sei. Hier wird nach der Methode verfahren: wir wollen erst einmal wissen, was das kostet, und dann können wir planen.
Demgegenüber verfolgt die Koalition das Rezept fortschrittlicher Reformer. Niemand bestreitet, daß Bildungsreform und ihre Planung nicht im luftleeren Raum betrieben werden können. Deshalb ist es klar, daß Bildungsplanung und Bildungsfinanzierung für einen Zeitraum von 15 Jahren nicht in einem Anlauf zu erledigen sind, sondern sich in einem Prozeß vollziehen müssen, in dessen Verlauf verschiedene Möglichkeiten und Alternativen berechnet und zur Diskussion gestellt werden. Vor Perfektionismus sei hier eindringlich gewarnt. Niemand von uns kann die künftige Wirtschafts- und Finanzentwicklung klar kalkulieren. Niemand von uns kann heute wissen, welche erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisse die Bildungspolitik von morgen bestimmen werden. Deshalb ist die Bildungsplanung ein ständiger, fortdauernder, mühseliger Prozeß und keine einmalige Mitteilung ex cathedra einschließlich finanzieller Auswirkungen.
({1})
- Sollte ich mir einen Popanz aufbauen - ich bin
nicht der Meinung, daß ich es tue -, dann hätte ich unbeabsichtigt nach der Methode der Opposition verfahren.
({2})
- Das wäre allerdings ein unerfreulicher unbewußter Lernprozeß. Ich hoffe nicht, daß ich ihm verfallen bin, Herr Dr. Martin.
({3})
Es wäre wünschenswert, wenn darüber, daß Bildungsplanung ein fortdauernder, mühseliger Prozeß ist, Einverständnis mit der Opposition erzielt werden könnte und auf Scheingefechte verzichtet würde, die nur das Ergebnis haben können, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erzeugen, die Bildungsplanung der Regierung und ihre Finanzierung sei ein Abenteuer mit nicht kalkulierbaren Risiken; und genau diesen Eindruck, meine Damen und Herren von der Opposition, wollen Sie gern immer wieder in der Öffentlichkeit erwecken, obwohl gerade das, was Herr Minister Leussink zu diesem Thema gesagt hat - nämlich zu der Tatsache, welche Kostenentwicklungen wir auf dem Gebiet von Bildung und Wissenschaft auch ohne Reformen zu erwarten haben - sehr deutlich macht, auf welch schwacher tatsächlicher Basis ein solcher Eindruck steht. Wir können vor solchen Zungenschlägen nur eindringlich warnen. Denn Bildungsfinanzierung ist nur möglich, wenn die öffentliche Meinung für sie gewonnen wird. Auch die CDU/CSU kann kein Interesse daran haben, die Grundlage für die Reformbereitschaft in unserer Bevölkerung zu zerstören. Sie muß deshalb mit Nachdruck denen in ihren Reihen auf die Finger klopfen, die aus kurzfristigen, parteitaktischen Überlegungen auch auf dem Gebiet der Bildungsplanung die Verunsicherungstaktik zum Prinzip ihrer Politik zu machen scheinen.
({4})
- Das ist keine Unterstellung, sondern es ist genau die Methode, die in Ihr Konzept paßt, nämlich in das Konzept, auf allen Gebieten, wo diese Regierung handelt, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als ob diese Politik auf einer unsoliden, einer nicht ausreichenden finanziellen Basis stünde.
({5})
Wir müssen uns gerade auf dem Gebiet der Bildungsfinanzierung
({6})
mit großem Nachdruck gegen diesen Eindruck zur Wehr setzen, weil wir weit über die Existenz dieser Koalition hinaus die Notwendigkeit sehen, auf dem Gebiet der Bildungspolitik zu einem Konsensus mit der Opposition zu kommen, weil das, was an Reformwilligkeit durch derartige Eindrücke in der breiten Offentlichkeit zerstört wird, nicht wiedergutzumachen ist und weil es uns alle treffen wird, die wir hier in diesem Hause die Priorität der Bildungspolitik anstreben.
({7})
Dieses Gebiet ist für eine solche Taktik um so weniger geeignet, als die Verantwortung und die
Mitwirkung der CDU-regierten Länder unverkennbar ist. Wer also eine gesamtstaatliche Bildungsplanung will, der muß auch bereit sein, die Verantwortung für diese Planung mit zu übernehmen, und darauf verzichten, Meinungs- und Stimmungsmache gegen ein Vorhaben zu betreiben, dessen Schwierigkeit und dessen Risiken Sie, die Sie sich in diesem Hause mit diesen Fragen befassen, ebenso klar sehen wie wir.
Wir haben keinen Grund, uns in die Defensive drängen zu Iassen; im Gegenteil. Innerhalb Jahresfrist hat die Bildungsplanung einen guten Schritt nach vorn getan, und wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß dieser Fortschritt auch der Öffentlichkeit bewußt wird. Sicherlich liegt die entscheidende Etappe zur Verwirklichung der Bildungsreform noch vor uns. Unsere politischen Entscheidungen müssen das Programm zur Realität machen. Wünschbar ist vieles; wir werden gemeinsam versuchen müssen, das Notwendige möglich zu machen. Dabei haben die Bildungspolitiker auch die anderen großen Aufgaben unseres Gemeinwesens zu sehen: Gesundheitsfürsorge, Umweltschutz und Sicherheit. Der Kampf für die Priorität der Bildungspolitik muß zum Ergebnis haben, daß die Wachstumsraten in diesem Bereich die Zukunftsinvestitionen sichern, schon weil die Ausgaben in anderen Bereichen sonst auf lange Sicht unwirksam bleiben müssen.
Wenn im Jahre 1970 etwa 27 Milliarden DM für Bildung und Wissenschaft ausgegeben wurden und diese Kosten nach den bisherigen vorläufigen Berechnungen auf 51 Milliarden DM im Jahre 1975 steigen werden, so sollen diese vorläufigen Zahlen doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kostensteigerungen nicht ausschließlich und auch nicht einmal in erster Linie - Herr Minister Leussink hat darauf hingewiesen - auf die angestrebten Reformen zurückzuführen sind. Der weitaus überwiegende Teil entsteht durch die Notwendigkeit zu quantitativer Expansion. Reform heißt also nicht unbedingt Kostensteigerungen. Reform bedeutet auch, daß es Möglichkeiten gibt, in Abweichung vom bisherigen System zu Einsparungen zu kommen. Reform bedeutet schließlich, daß wir Rationalisierungserfolge anstreben müssen. Gerade deshalb genügt es auch nicht, einzelne Schwerpunkte der Reform herauszugreifen und sie vorweg in Angriff zu nehmen, sosehr die Prioritäten eines Gesamtkonzepts von uns bejaht werden. Wir müssen auf einem Gesamtkonzept bestehen, damit Fehlinvestitionen größeren Ausmaßes vermieden werden.
Wir Freien .Demokraten unterstützen daher die Bundesregierung nachdrücklich in ihren Bemühungen - ({8})
- wenn Sie gut zugehört haben, haben Sie einige kritische Anmerkungen nicht überhören können.
({9})
- Ich sehe 'das rote Licht, Herr Dr. Martin. Ich bin aber gern bereit, Ihnen noch ein Privatissimum zu erteilen,
({10})
obwohl ich nicht glaube, daß Sie das nötig haben.
Wir unterstützen die Bundesregierung in ihren Bemühungen, die Verwirklichung der im Bildungsbericht dargestellten Ziele zu erreichen. Wir fordern sie gleichzeitig auf, die Arbeiten am Gesamtbildungsbudget voranzutreiben und möglichst bald die Bedarfsermittlung des Finanzplanungsrats vorzulegen.
Die bildungspolitischen Versäumnisse und Verspätungen in unserem Lande sind offenkundig und wohl auch weitgehend unbestritten. Um so wichtiger ist es, die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der Bildungsreform voranzutreiben, die ein wichtiger Bestandteil einer gesicherten Wachstumspolitik ist.
({11})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Verlauf der Debatte vorn heutigen Tage verfolgt hat, dann muß man nach dem letzten Beitrag ,der Opposition den Eindruck gewinnen, daß man die Schreckenskammer des Herrn Wohlrabe verlassen hat, aber nur, um in die Schatten- und Jammerkammer von Herrn Pfeifer einzutreten.
({0})
Nachdem mein Kollege Raffert ausführlich den Bildungsbericht in 'seinen Zielsetzungen gewürdigt und klargemacht hat, warum wir die Bundesregierung nachdrücklich auffordern, in der Verwirklichung dieser Zielsetzung fortzufahren, kann ich mich darauf beschränken, Ihre Begleitmusik noch einmal mit einigen zusätzlichen Takten zu versehen. Ich meine die von Ihnen eingebrachten Anträge zum Bildungsgesamtplan und zum Bildungsbudget, wo es um den Bildungsbedarf, den Lehrermangel und die vorschulische Erziehung geht. Im Ausschuß haben wir diese Anträge der Opposition sämtlich abgelehnt, und ich meine, aus guten Gründen. Ich will versuchen, Ihnen das darzulegen, und zwar ohne auf die vielen Einzelheiten einzugehen, die Herr Pfeifer hier noch einmal referiert hat.
Wir sind der Überzeugung, daß Inhalt und Zielsetzung der Oppositionsanträge nicht dazu beitragen können, die Vorlage eines Bildungsgesamtplanes und eines Bildungsbudgets zu beschleunigen oder gar entscheidend zu verbessern. Wir waren und sind außerdem der Meinung, daß es müßig ist, sich mit Inhalt und Zielsetzung der Anträge der CDU/CSU noch im einzelnen auseinanderzusetzen. Sämtliche Anträge datieren vom 13. Oktober 1970. Inzwischen sind die Dinge weitergegangen, und das dürfte auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht ganz verborgen geblieben sein. Es ist doch unbestreitbar, daß die im Bildungsbericht genannten Zielvorstellungen der Bundesregierung für die Reform im Bildungswesen in der Bund-Länder-Kommission durch gemeinsame Bemühungen nicht nur konkretisiert worden sind, sondern auch entscheidende Fortschritte gemacht haben. Die konstituierende Sitzung fand am 29. Juli 1970 statt. Seither haben vier Ausschüsse mit 14 Arbeitsgruppen
und verschiedenen Arbeitskreisen ein beträchtliches Arbeitspensum hinter sich gebracht. Allein die beiden Ausschüsse für den Bildungsgesamtplan und das Bildungsbudget tagten bisher über hundertmal. Am 4. Mai dieses Jahres wurde ein dritter Entwurf für einen Bildungsgesamtplan vorgelegt. Die Bemühungen um die Bedarfsermittlung im Bildungswesen sind ein Dauerprozeß und gehen weiter. Es wird daran gearbeitet. Die Regierungschefs der Länder haben noch am 4. Juni dieses Jahres erklärt, daß sie die beschleunigte Fortführung dieser Arbeiten wünschen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können also nicht so tun, als sei nichts geschehen oder als geschehe nichts. Die von Ihnen gewünschten Prioritäten waren z. B. doch schon im Bildungsbericht der Bundesregierung genannt.
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Bei diesem Stand der Dinge fällt es in der Tat schwer, die Anträge der CDU/CSU-Opposition zur Bildungspolitik als Anregung oder gar Hilfe für die konkrete Reformarbeit zu werten, so wie das im Ausschuß z. B. von Herrn Dr. Martin gesagt worden ist. Die bloßen Deklamationen helfen uns in der Sache nicht weiter.
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Wenn es allerdings Ihre Absicht war - und das wiederum war von einem Ihrer Mitglieder im Ausschuß auch sehr deutlich zu hören -, über die Anträge zum aktuellen Planungsprozeß erneut die Grundprinzipien der im Bildungsbericht dargestellten Zielvorstellungen der Bundesregierung für die Reform unseres Bildungswesens insgesamt in Frage zu stellen, so müssen wir hier unmißverständlich erklären, daß diese Grundprinzipien von unserer Fraktion nachdrücklich unterstützt werden. Eine Diskussion darüber könnte nur zur Wiederholung der in der Bildungsdebatte vom 14. Oktober 1971 von uns und von Ihnen vorgetragenen Argumente führen, wie es soeben in dem Beitrag von Herrn Pfeifer im wesentlichen geschehen ist.
Über die Richtigkeit der Zielsetzungen des Bildungsberichts ist mit uns also nicht mehr zu streiten. Für uns geht es jetzt nicht mehr um grundsätzliche Erwägungen, sondern einzig und allein um die Präzisierung, Konkretisierung und Realisierung des von der Bundesregierung und von den Fraktionen der SPD/FDP-Koalition Gewollten.
Über die Versäumnisse in der Vergangenheit ist schon genug gesagt worden. Aber Sie wissen so gut wie wir, daß es kaum Vorarbeiten für notwendige Planungen gegeben hat. Wir beraten ja nicht umsonst in diesen Tagen ein Hochschulstatistikgesetz, das notwendige Voraussetzungen für die Bedarfsermittlung im Hochschulbereich erst liefern soll; daran können wir doch nicht vorbeigehen. Wir haben in der Bildungsplanung vom Bund her Neuland betreten, auf dem sich zu bewegen alle Beteiligten erst lernen mußten.
Die von Ihnen eingebrachten Anträge bringen nicht nur nichts Neues, nichts, was nicht schon von den Partnern des Bildungsprozesses gesehen wurde und Berücksichtigung findet, sondern mit solchen Anträgen und Anfragen binden Sie unnötig Arbeitskapazität, die besser und fruchtbringender verwendet werden könnte, um Lösungen in Teilbereichen zu erarbeiten und Vorarbeiten für notwendige längerfristige Strukturreformen zu leisten. Es kommt dem konkreten Planungsprozeß jedenfalls nicht zugute, wenn Sie durch solche Anträge und Anfragen ständig Material aus den beteiligten Gremien herauspressen wollen. Ich meine, es wäre sogar wichtig, den Beamten und Angestellten, die in allen Planungsgremien tätig sind, für ihre Arbeit, die sie bisher geleistet haben, an dieser Stelle einmal zu danken.
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Lassen Sie mich, meine Damen und Herren von der Opposition, noch etwas zu Ihren Anträgen sagen. Die Bildungsplanung .ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern - das muß noch einmal unterstrichen werden -, bei der der Bund nur beschränkte Kompetenzen hat. Herr Pfeifer hat offenbar das gewollt - wenn ich ihm vorhin richtig zugehört habe -, was Herr Bundesminister Leussink in der Debatte vom 14. Oktober vorigen Jahres ausdrücklich zurückgewiesen hat. Er hat nämlich gesagt: Der Bund will nicht der zentralistische Moloch sein, der die Länder frißt. Bei Ihnen hatte man den Eindruck, daß Sie jetzt doch auf diese Linie einschwenken wollen. Diese Gemeinschaftsaufgabe kann aber nur im Geiste 'des kooperativen Föderalismus gelöst werden.
Nun hört man von Ihnen auch, daß Ihre Fraktionsvorsitzenden diese Gemeinschaftsaufgabe wieder vom Tisch bringen wollen. Ich kann nur hoffen, daß .sie dabei in Ihrer Partei überstimmt worden sind.
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Deshalb ist die Bundesregierung -das bleibt nochmals zuunterstreichen - natürlich nicht der einzige und nicht der voll richtige Adressat für Ihre Anträge. Die Vertreter der Länder, in denen die CDU/CSU die Mehrheit hat, arbeiten in der BundLänder-Kommission an der Konkretisierung des Gesamtbildungsplanes und des Bildungsbudgets mit. Deshalb 'ist es zumindest widersprüchlich, wenn Sie einerseits durch Ihre Vertreter ein der Bund-LänderKommission an .der Verwirklichung der Zielsetzung der Bildungsplanung mitwirken, aber andererseits gleichzeitig von der Bundesregierung verlangen, daß sie die Ergebnisse der Beratungen in dieser Korn- mission durch die Antworten auf Ihre Anträge und Anfragen vorwegnimmt.
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- Wir hatten uns ja darauf geeinigt, in dieser Debatte nicht zu viele Fremdwörter zu verwenden.
Ihre Haltung entspricht jedenfalls nicht den notwendigen partnerschaftlichen Bemühungen in der Bund-Länder-Kommission.
Daß Sie als Opposition in diesem Hause in Fragen der Bildungsreform anderer Meinung sind als die Bundesregierung und die Fraktionen der SPD/ FDP-Koalition, ist legal. Aber legitim ist diese Haltung nur insoweit, als die von der CDU und der CSU geführten Länderregierungen sich in deni Bemühen um die Lösung der gemeinsamen Aufgabe kooperationsbereit zeigen. Ihre Anträge mögen gut gemeint sein, verlieren aber an Glaubwürdigkeit, wenn Sie nicht hier im Bundestag und in der BundLänder-Kommission mit gleicher Zunge reden.
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Die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Kritik der CDU/CSU muß außerdem gemessen werden an dem Maß Ihrer Selbstkritik an Ihrem früheren und jetzigen Verhalten in den Ländern und in diesem Parlament.
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Insofern bedeuten die von Ihnen gestellten Anträge weder eine Entscheidungshilfe für die Regierung noch eine Unterstützung der Arbeit in der BundLänder-Kommission. Die in Ihren Anträgen enthaltenen Vorschläge sind nicht geeignet, die Durchsetzung der von der Bundesregierung genannten bildungspolitischen Zielvorstellungen in irgendeiner Weise besser voranzutreiben, als es ohnehin geschieht.
In diesem Zusammenhang darf ich Sie, sehr geehrter Herr Kollege Martin, an das erinnern, was Sie am 14. Oktober 1970 in der Debatte zum Bildungsbericht im Namen Ihrer Fraktion erklärt haben - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Wir sind bereit, die Fortentwicklung des Bildungswesens ohne Vorurteile auf dem Boden von Wissenschaft und Erfahrung mit Ihnen zu diskutieren. Dies wird um so eher möglich sein, je mehr wir in der Lage sind, uns von unseren Vorurteilen zu trennen.
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Wir würden uns freuen, wenn Sie in Zukunft exemplarisch danach handelten.
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Es gibt ja ein Beispiel, auf das ich hinweisen kann. Das war im Ausschuß die Beratung des Antrags über die soziale Lage der verheirateten Studenten. Damals haben Sie offensichtlich eingesehen, daß dieses Grundsatzproblem nur im Kontext des Bildungsgesamtplanes gesehen und gelöst werden kann.
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- Gut. Ich habe von exemplarisch gesprochen, Herr Dr. Martin, und da einen gewissen Transfer gesehen für die Zukunft, was Ihr Verhalten angeht.
Das gleiche gilt nämlich auch für alle anderen Einzelfragen der Bildungsreform, die in Ihren Anträgen angesprochen werden, wie Lehrermangel, Bildungsbedarf oder vorschulische Erziehung, weil nüimlich die Aufeinanderfolge von Einzellösungen ini Gesamtzusarnmenhang des komplexen Bedingungs- und Bezugsgeflechts alle Reformmaßnahmen sprengen würde. Die Reform des Bildungssystems ist ein Ganzes, in dein alle Teile strukturell aufeinander bezogen sind. Das muß bei der Einleitung von Maßnahmen zur Beseitigung von akuten Notständen ebenso berücksichtigt werden wie bei der längerfristigen Durchführung der notwendigen Strukturmaßnahmen.
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Ich darf zusammenfassen, was ich der Verdeutlichung halber zu Ihren Anträgen zu sagen habe. Wir haben mit Recht und aus guten Gründen diese Anträge abgelehnt, denn:
Die Anträge sind erstens durch die Entwicklung überholt. Sie enthalten nichts, was in den Planungsgremien in Ministerien und in der Bund-LänderKommission nicht schon seit längerem gesehen und berücksichtigt wird.
Die Anträge sind zweitens an den falschen Adressaten gerichtet. Bildungsplanung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und ist nur partnerschaftlich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu lösen. Also sollten die dazu enthaltenen Vorschläge zumindest auch an die CDU CSU-regierten Länder gerichtet sein.
Drittens. Die Anträge der Opposition binden unnötig Arbeitskapazität. Diese Arbeitskapazität sollte besser der beschleunigten Fortführung der Reformen nutzbar gemacht werden. Hier wird Ablenkung vom Eigentlichen betrieben, Herr Dr. Martin.
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Die Anträge verlangen viertens von der Bundesregierung, Entscheidungen vorwegzunehmen, die in der Bund-Länder-Kommission erst erarbeitet werden sollen.
Fünftens übersehen die Anträge, daß alle Teilprobleme der Bildungsreform nicht einzeln und nacheinander zu lösen sind, sondern nur im Zusammenhang des Bezugsgeflechts aller Reformmaßnahmen.
Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, daß eine ins einzelne gehende Auseinandersetzung mit diesen Anträgen nur zur Wiederholung der bekannten Argumente führen kann.
Damit komme ich zum Schluß. Wenn es der CDU/CSU mit der von ihr vorgebrachten Kooperationsbereitschaft wirklich ernst ist, dann sollte es ihr nicht schwerfallen, für unseren Antrag auf Drucksache VI/1279 zu votieren. Denn dann müßten Sie mit uns dafür sein, daß eine Beschleunigung der Arbeit des Finanzplanungsrates angestrebt wird, um den Finanzbedarf nach dem Bildungsbericht in den Rahmen des gesamtstaatlichen Bedarfs einzuordnen. Sie sollten mit uns dafür sein, daß dem Bundestag über den Fortgang und über die Entscheidungskriterien bei der Arbeit am Bildungsgesamtplan und am Bildungsbudget regelmäßig berichtet wird, und Sie sollten schließlich dafür sein, daß weit7280 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Hansen
gehend Transparenz und damit. Demokratisierung der Entscheidungsfindung in der Bund-Linder-Kommission herbeigeführt wird. So darf ich Sie zum Abschluß fragen: Was hindert Sie, diesem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP zuzustimmen?
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Das \Tort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gölter.
Herr Prasident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Leussink hat von drei Partnern gesprochen, um die es derzeit gehe. Wenn ich die Rede des Herrn Kollegen Hansen als repräsentativ für die sozialdemokratische Fraktion nähme - was ich nicht tue - -, gäbe es in der Tat vier Partner: nicht nur die Länder und die Bundesregierung, sondern auch hier die Opposition und die Regierungsfraktionen.
Eine kurze Bemerkung zu dem Vorwurf, Herr Grüner, den Sie in Ihrer Rede erhoben haben, wir wollten mit unserer Kritik nur nachweisen, daß Bildungsreform nicht möglich sei. Herr Grüner, glauben Sie uns: die Bildungspolitiker innerhalb der Regierungskoalition wie auch in der Opposition sind auf Erfolge angewiesen, und sie werden gleichermaßen in wenigen Jahren gefragt werden: Was habt ihr aus euren Ansätzen heraus nicht nur verbal, sondern in der Praxis verwirklicht?
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Wenn wir hier nicht wirkliche Fortschritte machen, können wir uns in einigen Jahren nicht sehen lassen, auch nicht vor denjenigen, denen gegenüber wir in der Verpflichtung stehen, und das ist die junge Generation. Dann können sich allenfalls einige Finanzpolitiker sehen lassen. Aber, Herr Grüner, so ist es in der Tat nicht, und deshalb sollten Sie diesen Vorwurf nicht erheben.
Was wir wollen, ist doch nichts anderes, als daß keine ungerechtfertigten Erwartungen geweckt werden sollten, weil das zu schwerwiegenden Enttäuschungen führen würde. Solche Erwartungen werden aber nicht geweckt, wenn man von vornherein ein realistisches, finanziell abgesichertes und in Stufen zu verwirklichendes Reformprogramm in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt.
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Genau deshalb sind wir der Auffassung - und dabei bleiben wir -, daß diese Bundesregierung der bildungspolitischen Landschaft mit ihrem Bildungsbericht geschadet hat. Es war eben nicht zu verantworten, ein neues großes Papier zu veröffentlichen und die entscheidende Frage, die dann gestellt wird, wenn die Erwartungen einsetzen, lediglich mit eineinhalb Seiten zu beantworten - eine Antwort, die zusätzlich von Bildungsrat und Wissenschaftsrat übernommen und keineswegs irgendwie abgesichert war.
Ich möchte hier einmal an die Debatte vom 14. Oktober vergangenen Jahres erinnern und darf vielleicht dem einen oder anderen interessierten Kollegen der Regierungsfraktionen empfehlen, noch einmal nachzulesen, was Herr Hahn in der Kontroverse vor mehr als einem halben Jahr gesagt hat - das ist eine sehr lesenswerte Lektüre - und was die Vertreter der Bundesregierung damals gesagt haben. Ich gehe sicher nicht fehl in der Annahme, daß diese Debatte hier und heute, ein Dreivierteljahr später, etwas anders ablaufen würde, und ich gehe schon gar nicht fehl in der Annahme, daß Herr von Dohnanyi die Rede, die er im Frühjahr dieses Jahres in der Debatte über die inneren Reformen gehalten hat, heute nicht mehr halten würde. - Herr von Dohnanyi, ich glaube nicht, daß diese Rede noch einmal so gehalten werden könnte, und zwar ganz einfach deshalb nicht, weil Sie sich dann in einen eklatanten Widerspruch zu Ihren Finanzministern hineinbegeben würden. Wir wissen mittlerweile ja auch, was sich in diesen Tagen in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung vollzogen hat. Hier muß doch noch einmal festgestellt werden, daß das, was wir hier vorbringen, von uns seit Beginn dieser Legislaturperiode genauso gesagt wird und daß wir heute die gleiche Position vertreten. Der Positionswechsel ist doch nicht bei uns vollzogen worden. Der Beschluß der Finanzminister, der einhellig gefaßt worden ist und den der Vertreter der Bundesregierung am Freitag vor Pfingsten voll und ganz verteidigt hat, beinhaltet nichts anderes als das, was unsere Kultusminister seit mehr als einem halben Jahr in der Kommission verlangen,
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und er beinhaltet nichts anderes, Herr Kollege Hansen, als das, was wir hier seit eineinhalb Jahren immer wieder vortragen: daß wir ein Konzept brauchen, das, in Stufen verwirklichbar, finanziell abgesichert ist, daß wir uns im Rahmen dieses Konzepts für Prioritäten entscheiden müssen, für Prioritäten, die der Kollege Pfeifer hier noch einmal vorgetragen hat. Wir sind ja jetzt, Gott sei Dank, insgesamt an einem Punkt, wo es hier ein hohes Maß an Übereinstimmung gibt.
Meine Damen und Herren, wir müssen einfach darauf verweisen, daß die Anträge Nummer 1269 bis 1272 vor dem Hintergrund der Diskussion im Herbst des letzten Jahres zu sehen sind. Damals war die Bundesregierung nicht bereit, das zu leisten, was sie vorher angekündigt hatte, nämlich ihre Bildungsplanung in den Gesamtrahmen der öffentlichen Ausgaben einzuordnen; sonst wäre dieser Antrag unsererseits überhaupt nicht gestellt worden. Damals lag der Bildungsbericht vor, der - unter dem Gesichtspunkt der Verwirklichung - zunächst einmal nichts anderes ist eine amorphe Addition von bildungspolitischen Maßnahmen, die mehr oder minder richtig sind. Wir streiten gar nicht ab, daß wir uns mit vielen Punkten in völliger Übereinstimmung befinden. Aber die entscheidende Aufgabe, die dann auch im Bildungsbericht zu leisten war, ist nicht geleistet worden. Deshalb ist es dazu gekommen, daß diese Anträge gestellt worden sind. Diese Anträge sind ein Programm. Es fehlt ein Antrag, den wir damals bewußt nicht gestellt haben, im Zusammenhang mit dem Ausbau des berufsbildenden Schulwesens. Aber wir haben hier die Prioritäten genau aufgezeigt, die wir in den komDr. Gölter
menden Jahren für verwirklichbar halten, um - da komme ich auf das zurück, was ich einleitend gesagt habe - Anspruch und Wirklichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der bildungspolitischen Verantwortung nicht auseinanderklaffen zu lassen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat während der Debatte, die wir heute miteinander führen, einen personellen Schichtwechsel vorgenommen, so daß die beiden ersten Redner, die ich gern noch mit einer kleinen Replik bedenken möchte, zu meinem Bedauern nicht mehr im Saal sind. Gleichwohl wird es nicht zu vermeiden sein, auf zwei Anmerkungen der beiden ersten Redner der Opposition noch einmal kurz einzugehen.
Der Kollege Wohlrabe hatte sich erlaubt, den Bundeskanzler auf seine Art zu zitieren und anzumerken, daß der Bundeskanzler eine Aktionseinheit von Sozialdemokraten und Kommunisten im Rahmen der Zusammenarbeit auf der studentischen Seite für möglich halte. Das Interview, das der Bundeskanzler zu diesem Thema gegeben hat, liegt mir vor. Da heißt es, es liege ein relativ knapp formulierter Beschluß des sozialdemokratischen Parteirats zum Verhältnis der SPD zu den Kommunisten vor. Dann sagt der Kanzler wörtlich:
Mich hat ein junger Sozialdemokrat gefragt, ob ihn ein solcher Beschluß daran hindere, einer Studentenvertretung anzugehören, in die auch jemand von der kommunistischen Seite hineingewählt worden sei.
Dies ist die wörtliche Äußerung des Bundeskanzlers. Vergleichen Sie das einmal mit dem, was Herr Wohlrabe hier in seiner Rede daraus gemacht hat, und Sie haben ein schönes Beispiel für die Art von Polemik, mit der die Opposition heute morgen die Debatte eingeleitet hat.
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Das zweite Beispiel, das man nicht mit einer bloßen Richtigstellung aus der Welt schaffen kann, ist folgendes. Der Kollege Rollmann ist, wie ich finde, auf den geschmacklosen Gedanken gekommen, uns - die Sozialdemokraten - darauf aufmerksam zu machen, daß wir vielleicht aus zu spät erwachender politischer Aufmerksamkeit eines Tages mit ihm gemeinsam in Konzentrationslagern landen könnten. Ich muß sagen, meine Damen und Herren, das Wort Konzentrationslager und das, wofür es in der deutschen Geschichte der letzten Jahrzehnte steht, sollte im Zusammenhang mit einer Debatte um sachliche politische Fragen in dieser Weise nicht verwendet werden.
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Ich möchte dem noch eines hinzufügen. Man kann - ich würde diesen Standpunkt teilen - davon ausgehen, daß unter den Sprechern des VDS mehr als ein Dutzend sind, die kühl kalkulierende, auch machtpolitisch bis zum letzten entschlossene Kommunisten, Stalinisten sind. Aber ich glaube, man täte der linken studentischen Generation bis weit in den Spartakus-Bund hinein zutiefst Unrecht, wenn man sie nicht vor dem Vorwurf in Schutz nehmen wollte, daß im Ende ihres politischen Weges etwa Konzentrationslager stehen könnten und sollten.
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Ich möchte dies sagen, einfach um die menschliche Atmosphäre bei allen politischen Auseinandersetzungen, die auch wir mit der jungen Linken an den Universitäten haben, sauber zu halten, und damit deutlich machen, wie wir diese saloppe Anmerkung des Kollegen Rollmann bewerten.
Nun zu dem, was der Kollege Pfeifer gesagt hat. Herr Kollege Pfeifer, es ist immer das gleiche Rezept, mit dem Sie vorgehen. Der Kollege Grüner hat Sie schon darauf aufmerksam gemacht. Allen Ihren Vorstößen im Parlament liegt zugrunde, den Leuten einzureden, es handele sich um politische Aktionen auf sandigem Boden, die die Regierung unternehme, gleich, ob in der Ost- oder Deutschland-Politik, in der Bildungspolitik, in der Währungspolitik oder wo immer. Das Rezept ist, die Regierung zu fragen, dann das, was die Regierung antwortet, für falsch zu erklären, ohne den Bürgern zu sagen, was die Opposition selber will.
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Nach diesem einfachen Grundschema verfahren Sie in allen Bereichen der Politik, und Sie glauben, das sei eine befriedigende Form der Diskussion. Ich meine das nicht.
Wir haben in den Ausschußberatungen viele Anregungen der Opposition im einzelnen mit aufgenommen. Aber wir haben in den Ausschußberatungen genauso wie heute morgen nicht eine einzige Andeutung von der Opposition gehört, wie sie sich denn eine entsprechende Struktur der öffentlichen Haushalte in bezug auf das Bildungswesen vorstellt, sondern wir hören immer nur: die Regierung muß es tun, die SPD muß es tun, die FDP muß es tun. Aber wir hören nirgendwo auch nur die Andeutung einer klaren Strukturangabe oder gar von Zahlen von seiten der Opposition. Das war im Ausschuß so, und das hat sich leider heute morgen hier wiederholt - im Gegensatz zu den klaren Angaben, die Herr Leussink in der Debatte gemacht hat.
Wir lesen dann weiter in der Presse, daß das Gremium der Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU die Absicht haben soll, das mühsam geschaffene Institut der Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern verfassungsrechtlich wieder in Frage zu stellen und zu dem alten Dualismus von Bund und Ländern in allen Bereichen zurückzukehren, d. h. von dem Schritt über einen kooperativen zu einem allmählich koordinierten Föderalismus wieder zurückzufallen in die partikularistische Form des Föderalismus, die wir 20 Jahre lang in diesem Staat unter Ihrer politischen Führung praktiziert haben.
Aber dazu sagen Sie hier kein Wort. Wir wissen nicht einmal, wie der doch wohl wichtigste Frak72$2
tionsvorsitzende in diesem Kreis, Herr Dr. Barzel als Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union, sich zu diesem Thema eingestellt hat oder einzustellen gedenkt, ob die Bundestagsfraktion der CDU/CSU notfalls gewillt wäre, sich auch über ein Mehrheitsvotum der Länderfraktionsvorsitzenden hinwegzusetzen, um diesen Weg zu einer kooperativen Gemeinsamkeit von Bund und Ländern beizubehalten, den wir in vieler Hinsicht in den letzten Jahren gemeinsam freigeschaufelt haben, vor allen Dingen im Bereich der Bildungspolitik.
Ich will ein anderes Beispiel erwähnen. Die Reden der Kollegen Pfeifer und Gölter erwecken den Eindruck einer Scheineinheit der Opposition. Diese Einheit besteht aber nur im Widerstand gegen das, was die Regierung und die Koalition praktisch vorschlägt. Sie besteht nicht einmal in Ihrer Fraktion, wie wir ja aus den Ausschußberatungen wissen. Ich könnte Ihnen, wenn wir mehr Zeit hätten und wenn ich mehr Lust dazu hätte, ohne Schwierigkeiten darstellen, daß die Fraktion der CDU/CSU allein in unserem Ausschuß in mindestens drei Gruppierungen zerfällt, manchmal sogar in vier.
({4})
Ich will mir versagen, das zu tun.
({5})
Es ist aber doch klar, daß man, faßt man die Bundes-CDU ins Auge, auf der einen Seite von Rheinland-Pfalz oder von Schleswig-Holstein reden kann, und zwar von einer gewissen Nähe zur Mehrheit der CDU hier im Hause in Fragen der Bildungspolitik, und daß weit abgeschlagen, ganz rechts abseits, die CSU, die saarländische CDU und die baden-württembergische CDU bleiben.
({6})
- Das ist ja das Schlimme, Herr Probst, daß dieser Widerspruch schon so lange besteht und daß immer noch nicht erkennbar ist, daß Sie ihn überwinden.
({7})
- Herr Probst, gibt es das verbriefte Vetorecht der CDU-Landesgruppe in der Fraktionsvereinbarung mit der CDU, daß die CDU nicht gegen den Willen der CSU in bildungspolitischen Fragen hier in diesem Hause etwas durchsetzen kann, oder gibt es dieses Veto nicht?
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- Nein? Ich bringe Ihnen gerne einige Zeugen aus der CDU/CSU, die Ihnen das bestätigen werden, daß dieser Klotz am Bein, die CSU, die Mehrheit Ihrer Fraktion daran hindert, hier über verbale progressive Bemerkungen hinaus zu ernsthaften Konsequenzen zu kommen.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein letztes sagen. Ich habe mich gewundert, daß nach der Ankündigung der Opposition in der letzten Debatte, man werde die Entwicklung der Bremer Universität genau verfolgen und bei nächster Gelegenheit auf dieses Thema hier im Parlament zurückkommen, diese Ankündigung heute nicht wahr-gemacht worden ist, was mir leid tut, denn ich hätte gerne die Gelegenheit benutzt, auch dazu einige klarstellende Bemerkungen zu machen.
({10}) - Bei nächster Gelegenheit, denke ich.
({11})
Im ganzen, meine Damen und Herren, finden wir, ist es wie in den vergangenen bildungspolitischen Debatten auch: Sie haben sich den, wie ich meine, wirklich gut überlegten und insoweit wirklich großen Entwurf der Bundesregierung, den sie im Bildungsbericht niedergelegt hat, zwar zum Teil zu eigen gemacht; sie kommen aber nicht über den Punkt hinweg, wo Sie einerseits sachlich zugeben müssen und auch zugeben wollen, daß die politischen Zielmarkierungen dieses Berichts wohl im großen und ganzen richtig sind, und wo Sie andererseits das Bedürfnis haben, trotzdem hier Gegensätze oder Scheingegensätze zu demonstrieren, die Sie, gemessen an dem Bildungsbericht und seinen Zielen, gar nicht durchhalten können, es sei denn, Sie würden eine inhaltliche Alternative dazu entwickeln. Weder dies ist geschehen noch haben Sie in bezug auf die Verwirklichung der einzelnen Zielpositionen des Bildungsberichts nennenswerte Alternativen auf den Tisch gelegt. Uns blieb deswegen im Wissenschaftsausschuß nach ausgiebigen Debatten mit Ihnen, wie Sie wohl wissen, gar nichts anderes übrig, als mit der Mehrheit dafür zu sorgen, daß eine klare politische Zielmarkierung von seiten des Parlaments den Bemühungen der Regierung zur Seite gestellt wird. Meine Bitte hier an unsere Kollegen im Plenum geht dahin, sich diesem Votum der Mehrheit des Wissenschaftsausschusses anzuschließen und damit von seiten des Parlaments der Regierung grünes Licht bei der Realisierung der Ziele ihres Bildungsberichts zu geben.
({12})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Martin.
Dr. Martin ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz kurz auf die Einlassung meiner Kollegen aus der Koalition antworten. Herr Lohmar hat noch einmal das Thema des SHB und des VDS aufgegriffen. Herr Lohmar, ich möchte Ihnen sagen, daß unser Motiv bei dieser Großen Anfrage eine Sorge war, die durch die Vorgänge in Heidelberg, in Bremen und in Berlin mehr als begründet erscheint. Wir sollten uns darüber
einig sein, daß die Freiheit von Forschung, Lehre und Lernen auch in der Verantwortung des Bundestagen und der Bundesregierung liegt und es legitim ist, die Regierung mit Fakten und Zahlen auf Entwicklungen hinzuweisen, wie wir das heute getan haben.
Im übrigen möchte ich sagen, daß die heutige Debatte eine deutliche Wendung zum Realismus herbeigeführt hat. Ich halte das nach den Signalen, die in den letzten Wochen gewechselt worden sind, auch für wichtig. Herr Raffert hat in seiner Rede auf die Etikettierung und - wenn ich so sagen darf - auf die Vorworte verzichtet und statt dessen über die Kriterien der Bildungsreform diskutiert. Das entspricht auch unseren Vorstellungen; so kommen wir weiter.
Der Herr Minister hat in diesen Tagen ein Zitat der GEW gebracht, in dem es heißt, daß die integrierte Gesamtschule kein Patentrezept sei und daß man versuchend und experimentierend dein Problem der Durchlässigkeit nahekommen müsse. Das ist die richtige Methode, um echte Bildungsreformen voranzutreiben. Es geht um die horizontale und vertikale Durchlässigkeit, und je schneller wir sie - in welchem Schulsystem organisatorisch auch immer - verwirklichen, um so besser ist es.
Ich möchte glauben, daß die Rede, die Herr Minister Leussink hier gehalten hat, im Interesse des Fortganges der Bildungsreform in Deutschland gewesen ist. Ich habe das mit meinen Freunden so aufgefaßt. Aber, Herr Minister, Sie haben von drei Partnern gesprochen. Ich möchte für uns alle lesthalten, daß die Bundesregierung mit der Vorlage des Bildungsplanes und allem, was dazugehört, natürlich eine große Verantwortung übernommen hat. Die Bundesregierung ist die Inhaberin der Finanzhoheit und dafür verantwortlich, daß Aufgaben, die im Gesamtstaat zu lösen sind -- und das sind die Bildungsaufgaben -, auch finanziert werden. Von dieser Verantwortung können wir uns als Bundestag und Bundesregierung nicht befreien.
Damit sind wir bei den Fragen angelangt, denen wir uns eigentlich nähern müßten, nämlich den Fragen, die von Herrn Filbinger und Herrn Osswald in der Öffentlichkeit gestellt werden. Ich will heute keinen Vorschlag und auch keine Antwort hören, sondern nur sagen, daß es auch in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, das Anliegen: „Umsatzsteuer plus 10 % so oder so zu beantworten und auch die Frage zu beantworten, wie dann die Lücke im Bundeshaushalt geschlossen werden kann.
({1})
Ich sage das, Herr Lohmar, weil Sie nach den konkreten Vorschlägen gefragt haben. Die Anträge, die hier behandelt worden sind, stammen vom Oktober. Ich glaube, daß die Diskussion inzwischen dazu geführt hat, daß wir in diesem Hause einen Prioritätenkatalog haben, der von Herrn Minister Leussink und uns gleichsinnig, aber nicht ganz gleichrangig behandelt worden ist. Es geht auch in dieser Aktion, die Kulturpolitik und die Reform vorwärtszubringen, nicht darum, dem einen oder anderen seine Vorstellungen zu rauben, sondern darum, das, was durchdiskutiert und abgesichert und dessen Prioritäten erkannt ist, jetzt und nicht übermorgen in Angriff zu nehmen und durchzuführen. Das ist das Anliegen, das hier aufgenommen worden ist.
Ich bin auch noch für ein letztes dankbar, wovon ich hoffe, daß es nicht überinterpretiert ist. In den letzten 14 Tagen wurde gesagt, der Finanzminister habe in den einschlägigen Verhandlungen geäußert, er mache jetzt Reformen, die kein Geld kosteten. Herr Minister Leussink hat heute deutlich gemacht, daß es diese Reformen nicht gibt. Er hat in einer sehr detaillierten Rechnung aufgezeigt, daß die Reform Geld kostet. Das ist auch die Meinung der CDU/CSU. Da liegen wir sehr nahe beieinander.
Der Denkprozeß ist im Gange. Was wir jetzt weiter leisten müssen und was Herr Minister Leussink mit seinem Hause in den letzten 14 Tagen schneller leisten konnte als wir, ist die noch schärfere Projektierung von Stufen und Prioritäten mit Rückbezug au! die Haushalte in Bund und Ländern. Das ist eine Aufgabe, die zu leisten ist.
Ich darf feststellen, daß wir uns heute hier darüber einig geworden sind, daß das Angebot, zwischen Regierungsparteien und Oppositionspartei ein realistisches Programm zu erarbeiten, akzeptiert worden ist. Wir stellen das mit Dankbarkeit fest. Wir möchten, daß diese Wendung zum Realismus dazu führt, daß wir wegkommen von der kulturpolitischen Deklamation zur politischen Aktion. Was wir vorschlagen, meine Damen und Herren, ist nicht eine Reduktion der Reform, sondern ihre Konzentration auf das, was jetzt möglich ist.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lohmar, Sie haben eben ein paar Behauptungen über den Inhalt der Vereinbarungen aufgestellt, die zwischen der CDU und der CSU bei der Bildung der Fraktion der CDU/ CSU getroffen worden sind. Diese Behauptungen sind ihrem Inhalt nach unzutreffend, falsch. Was dort vereinbart ist, liegt bei mir deponiert. Ich will es hier nicht veröffentlichen, aber ich sage, daß Ihre Behauptung falsch ist
({0})
- Das ist unsere Sache und nicht Ihre. Ich sage, daß die Behauptungen falsch sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie Zwischenfragen?
- Zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Kollege Rasner, halten Sie es nicht für korrekt und richtig, daß, wenn sich zwei Parteien zu einer Fraktion zusammenschließen, die Bedingungen, die dabei vereinbart wurden, diesem Hause bekanntgegeben werden?
Nein, das halte ich nicht für notwendig.
({0})
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Dr. Lohmar.
Herr Kollege Rasner, darf ich mir erlauben, Ihnen die Namen zweier Kollegen der CSU-Landesgruppe zuzuleiten - nicht im Plenum, sondern bei anderer Gelegenheit -, auf die ich meine Informationen stüze? Wir werden uns dann bei nächster Gelegenheit darüber weiter öffentlich auseinandersetzen.
Ich bin gern bereit, weiter zu gehen. Schönen Dank dafür, daß Sie mir die Namen nennen wollen. Herr Kollege Lohmar, ich bin - weil ich sicher bin, daß Sie ein gegebenes Wort halten - bereit, Ihnen die Passage, die Sie meinen und die ganz anders lautet, persönlich vertraulich zu zeigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Herr Kollege Rasner, ist es nicht richtig, daß in dem Abkommen zwischen beiden Gruppen steht - diese Formulierung weicht von der des Herrn Kollegen Lohmar ab -, daß die CDU in Fragen der bundesstaatlichen Ordnung die CSU nicht majorisieren werde?
Auch das ist in dieser Form nicht richtig.
({0})
- Nein, nicht richtig! Aber, wenn Sie wollen: Sie liegen mit dieser Ihrer Formulierung, Herr Kollege Schäfer, der Wirklichkeit schon wesentlich näher als Herr Kollege Lohmar.
({1})
Im übrigen werden Sie mir zugeben, Herr Kollege Lohmar - bei Ihnen, das will ich sagen, hat man im Grunde, wenn es um Fairneß ging, nie vergebens appelliert -, daß das ein großer Unterschied ist.
Ich wiederhole: Sie, Herr Lohmar, nennen mir unter uns die beiden Kollegen, die diese Behauptung aufgestellt haben; ich nehme Ihr Angebot an. Und ich bin bereit, Ihnen vertraulich diese Passage zu zeigen.
({2})
- Herr Kollege Schäfer, einer genügt. Wenn Herr Lohmar Ihnen sagt, er habe sich überzeugt, muß Ihnen das auch genügen. Ich finde mein Angebot gegenüber dem kulturpolitischen Sprecher Ihrer
Fraktion fair. Bis zur Klärung bitte ich solche falschen Behauptungen, wie sie hier aufgestellt worden sind, zu unterlassen.
({3})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Damit ist Punkt 32 a) - Große Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Wohlrabe, Dr. Marx ({0}) und der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache VI/2018 - erledigt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über Punkt 32 b). Der Antrag des Ausschusses in Drucksache VI/1922 ({1}) lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag nimmt den Bildungsbericht der Bundesregierung zustimmend zur Kenntnis und fordert die Bundesregierung auf, ihre Bemühungen um die Verwirklichung der im Bildungsbericht dargestellten Ziele nachdrücklich durchzusetzen.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! ({2})
Danke. - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, damit ist der Antrag des Ausschusses angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 32 c). In Drucksache VI/2070 liegt folgender Antrag vor:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Zuge der Erstellung und anschließenden Teilüberprüfung des Bildungsgesamtplanes die soziale Lage verheirateter Studenten zu untersuchen und im Gesamtplan oder später in detaillierter Form bis zum 15. Oktober 1971 unter besonderer Berücksichtigung der im Antrag aufgeführten Punkte zu berichten.
Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zu Punkt 32 d). Es liegt hier ein Antrag des Ausschusses in Drucksache VI/2179 vor. Den Antrag brauche ich wohl nicht noch einmal zu verlesen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! ({3})
- Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zu Punkt 32 e). Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft betreffend europäische Hochschulpolitik liegt Ihnen auf Drucksache VI/2222 vor. Ich erinnere daran, daß die Frau Berichterstatterin darauf hingewiesen hat, daß in Ziff. 2 des Antrags des Ausschusses hinter ,,der akademischen Zeugnisse" - wie in Ziff. 1 - zu ergänzen ist: „und der Staatsexamina". Der
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Antrag wird in dieser Form jetzt zur Abstimmung gestellt. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe Punkt 33 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes
- Drucksache V1/2255 Von der Bundesregierung wird das Wort nicht begehrt.
Wir treten in die erste Beratung ein. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Finanzausschuß und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. - Keine Änderungsanträge. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Plenarsitzung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Juni 1971, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.