Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 9. Mai ein umfassendes außen- und binnenwirtschaftliches Stabilisierungsprogramm beschlossen. Sie setzt damit ihren Stabilitätskurs konsequent fort.
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Dieses neue Programm ist notwendig geworden, weil sich in den letzten Monaten mehr und mehr zusätzliche außenwirtschaftliche Gefahren für unseren Geldwert abzeichneten. Dadurch wurden die Chancen für eine binnenwirtschaftliche Stabilisierung immer stärker gemindert. Der Erfolg der Maßnahmen vom Juli vorigen Jahres und der Maßnahmen der Bundesbank, ein Erfolg, der sich noch um die Jahreswende 1970/71 deutlich abzeichnete, wurde dadurch gefährdet.
Seit mehreren Monaten haben sich die Liquiditätszuflüsse aus dem Ausland verstärkt und den Handlungsspielraum von Bundesbank und Bundesregierung eingeschränkt. Schon im zweiten Halbjahr 1970 hatte die Bundesbank ihre zinspolitischen Restriktionsmaßnahmen mehrfach aus außenwirtschaftlichen Gründen auflockern müssen. Trotz der Diskontsenkungen ist der Zustrom an internationalem Geld in die Bundesrepublik nicht versiegt. Im Gegenteil, im Jahre 1970 stiegen die internationalen Devisenreserven in der ganzen Welt um insgesamt 12 Milliarden Dollar an. Davon hat die Deutsche Bundesbank allein die Hälfte, 6 Milliarden Dollar, verkraften müssen. Insgesamt sind die Liquiditätszuflüsse in die Bundesrepublik seit August vorigen Jahres bis Mai dieses Jahres auf rund 40 Milliarden DM angewachsen. Schon im März des Jahres - das ist die letzte statistische Angabe - lag die interne Geldmenge in der Bundesrepublik um 22,5 % über dem Vorjahresstand. Dadurch wurde die Bundesbandkpolitik unterlaufen, und dadurch wurden auch die Rahmenbedingungen für ein stabilitätsgerechtes Verhalten der autonomen Gruppen, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften, mehr und mehr geschwächt. Die Spielräume für Preis- und Lohnerhöhungen in diesem Jahr wurden damit vielmehr erneut wieder ausgeweitet. Aus binnenwirtschaftlichen wie aus außenwirtschaftlichen Gründen bleibt daher die Preisstabilität das zentrale wirtschaftspolitische Problem.
Das nach wie vor gute Abschneiden der Bundesrepublik bei den Lebenshaltungskosten im internationalen Vergleich ist für uns kein Trost. Der internationale Inflationstrend kann für die Bundesrepublik kein Maßstab sein. In zehn wichtigen Handelspartnerländern der Bundesrepublik hat sich der Preisanstieg von 3,7 % im Jahre 1966 auf 5,8 % im Jahre 1970 beschleunigt. In diesem Jahresvergleich 1970 gegenüber 1966 hat sich der Preisanstieg in der Bundesrepublik nicht verstärkt. Aber einem gleichzeitig zunehmenden inflationären Sog im Ausland kann sich ein Land mit offenen Grenzen, mit freiem Kapital- und Güterverkehr über die Grenzen und bei festen Wechselkursen allenfalls vorübergehend entziehen.
Die Bundesregierung war daher erneut zu schnellem Handeln verpflichtet. Sie stellt damit eindeutig klar, erstens, daß sie die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes sehr ernst nimmt, zweitens, daß sie den Bedingungen für ein gemeinsames stabilitätskonformes Bemühen des Staates und der großen gesellschaftlichen Gruppen eine neue feste Basis geben will.
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Die Bundesregierung hat sich ihre Entscheidung nicht leichtgemacht. Auch die Opposition weiß das; sie ist allein in fünf Konsultationsgesprächen am Meinungsbildungsprozeß der Bundesregierung beteiligt worden.
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Die Bundesregierung hat ihr Programm mit der Deutschen Bundesbank, den Vertretern der Wirtschaft und dem Sachverständigenrat. eingehend beraten, und sie hat entsprechend den Beschlüssen des Ministerrats vom 8./9. Februar 1971 auch die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu den währungspolitischen und binnenwirtschaftlichen Maßnahmen vorher eingehend konsultiert.
Wir haben in Brüssel zwar keinen völligen Konsensus erreichen können; wir haben kein Reformdekret für alle Mitgliedstaaten erreicht. Aber wir haben im Ministerrat gemeinsam ein Toleranzedikt beschließen können.
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Wir standen und stehen in unserem Bemühen um eine gemeinsame Lösung also nicht isoliert da. Wir wurden nicht zu einem Alleingang gezwungen, und wir werden nicht nachlassen, nach gemeinsamen Lösungen in den internationalen Währungsfragen zu suchen und auch das Ziel der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion energisch weiter zu verfolgen.
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Wer die ökonomischen Bewegungen im internationalen Währungsraum sorgfältig beobachtet hat, ist von der jüngsten Entwicklung nicht überrascht worden. Die Dollarflut der letzten Tage bis zur Schließung der Devisenbörsen am Mittwoch der vergangenen Woche war Ergebnis und Höhepunkt einer langen Entwicklung. Diese Gesamtentwicklung, die - wie gesagt - tief in das vorige Jahr hineinragte, kann nicht das Ergebnis eines einzigen Gutachtens oder einiger interner Konsultationen gewesen sein. Die eigentliche Spekulationswelle im Mai dauerte devisenbörslich genau einen Tag und eine Stunde. Die Währungsreserven der Bundesbank sind seit ihrem tiefsten Stand im Dezember 1969 bis Ende April 1971 - also lange vor der eigentlichen Schlußspekulationswelle - um rund 34,3 Milliarden DM auf rund 60 Milliarden DM angewachsen. Die spekulativen Gelder, die danach noch in die Bundesrepublik flossen, waren nur eine Fortsetzung des Trends, aber sie genügten, um das bis an den Rand gefüllte Faß mit internationaler Liquidität dann auch prompt zum Überlaufen zu bringen.
Die Freigabe des D-Mark-Wechselkurses ab 10. Mai hat zum Ziel, die Basis für eine binnenwirtschaftliche Stabilisierung zu erneuern und zu festigen. Der absehbare Konjunkturverlauf läßt der Bundesregierung genügend Handlungsraum für ein abgewogenes Dämpfungsprogramm. Die Gefahr des Übersteuerns besteht gegenwärtig nicht. Der Abbau der konjunkturellen Spannungen hat sich nur langsam und nicht ohne Unterbrechungen vollzogen. Die Auftragslage der deutschen Industrie ist noch immer günstig. Der private Verbrauch wird sich infolge der kräftigen Einkommensexpansion auch weiterhin dynamisch entwickeln. Entsprechend der lebhaften Nachfrageexpansion nimmt auch die Industrieproduktion bei uns wieder stärker zu.
Noch immer hat sich der Anstieg der Effektivverdienste nicht wesentlich abgeschwächt, und die Lage am Arbeitsmarkt ist nach wie vor angespannt. Angemessenes Wachstum und hoher Beschäftigungsstand in der Gesamtwirtschaft sind nicht in Gefahr.
Im übrigen sind wir dank unserer finanziellen Reservenmassen, nämlich Konjunkturausgleichsrücklage und Konjunkturzuschlag, zum Gegenhalten gegen etwaige Tendenzen der Rezession besser gewappnet als jede Bundesregierung vorher.
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Meine Damen und Herren, aus diesem kurzen Lagebericht folgt: Wenn wir die Stabilität im Innern ernsthaft wollen, müssen wir uns gegen den internationalen Preis- und Lohnzusammenhang und gegen die Liquiditätsüberschwemmung, in welche die Bundesrepublik seit Ende 1970 zunehmend geraten ist, abschirmen. Ohne außenwirtschaftliche Absicherung gibt es keine dauerhaften Fortschritte für die Stabilität, auch nicht, wenn der binnenwirtschaftliche Restriktionskurs hart und unerbittlich wäre. Ohne die währungspolitische Absicherung würden die geldpolitischen Instrumente der Bundesbank auf absehbare Zeit unwirksam bleiben.
Ohne diese Maßnahme wäre auch eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik des Staates erfolglos, und ein stabilitätsgerechtes Verhalten der autonomen Gruppen bliebe ohne außenwirtschaftliche Absicherung eine pure Illusion. Das Stabilitätskonzept der Bundesregierung ist deshalb ein Konzept von außen- und binnenwirtschaftlicher Symmetrie. Wir haben ein beidhüftiges Programm vorgelegt.
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- Herr Barzel kennt das Wort schon seit acht Tagen, als ich ihm zum erstenmal unsere Pläne darlegte.
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In der Tat, der Kampf gegen die Inflation und das Ringen um die Stabilität sind in einer integrierten Weltwirtschaft keine isolierte nationale Angelegenheit mehr. Darüber gab und gibt es keinen Zweifel, auch nicht in der Europäischen Gemeinschaft. Gerade deshalb haben sich die Mitgliedstaaten bei den Beschlüssen zur Wirtschafts- und Währungsunion am 9. Februar dieses Jahres einmütig auf unser Drängen hin zu einer Gemeinschaft der Stabilität und des Wachstums bekannt. Aber der Preis- und Kostenanstieg in den Mitgliedsländern steht heute eindeutig im Widerspruch zu den Zielen, die sich die Gemeinschaft schon in den Römischen Verträgen gesetzt hatte. Und er steht erst recht im Widerspruch zu den Zielen der Wirtschafts- und Währungsunion. Ganz im Einklang mit der Entschließung des Ministerrats vom 9. Februar dieses Jahres haben wir uns daher auf der letzten Tagung der Wirtschafts- und Finanzminister in Hamburg am 26. und 27. April in Europa um ein konzertiertes Vorgehen in den drängenden internationalen Währungsfragen bemüht.
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Die Beschlüsse verlangen, daß die Gemeinschaft als ganze bemüht bleibt, sich von einem nicht tolerablen internationalen Inflationstrend durch gemeinsame Aktionen abzuhängen. Das ist der Sinn der Beschlüsse vom 9. Februar. Und wir haben auch bei der Sondersitzung des Ministerrates in Brüssel um
eine gemeinschaftliche Lösung gerungen. Unsere Bedingungen für ein solches gemeinschaftliches Handeln waren: Aussicht auf Erfolg, Effizienz der Maßnahmen einerseits und marktwirtschaftliche Qualität der Maßnahmen andererseits. Ein gemeinsames, ein „konzertiertes Floating" aller Mitgliedsstaaten gegen dem Dollar für eine Übergangszeit wäre nach unserer Überzeugung ein optimaler Weg gewesen. Die Bundesregierung hat dazu am 8. Mai in Brüssel ihren monetären Beistand für das Intervenieren in Gemeinschaftswährungen angeboten. Und diese Offerte, meine Damen und Herren, wurde von anderen Mitgliedstaaten ausdrücklich gewürdigt. Durch ein solches Vorgehen wären manche aktuelle Probleme des Dollars gemildert und den USA bei der Überwindung ihrer Zahlungsbilanzprobleme geholfen worden. Eine solche Maßnahme hätte die Gemeinschaft im Innern, insbesondere den gemeinsamen Agrarmarkt, überhaupt nicht gestört. Und ich darf hinzufügen: Es wäre auch gewiß ein Schritt vorwärts gewesen in eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion.
Einige Mitgliedsländer haben die Chance dieses Augenblicks nicht genutzt. Die Gemeinschaft ist deswegen eben noch nicht so weit, ihre „eigene Währungspersönlichkeit" zu entwickeln. Aber niemand darf darüber hinwegsehen, daß eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als dauerhafte Integrationsgrundlage nur entstehen kann, wenn wir alle unser internes Stabilitätsproblem lösen. Das erfordert vielleicht auch ein Umdenken in den internationalen Währungsbeziehungen. John Maynard Keynes schrieb 1923 in seinem Traktat über die Währungsreform folgendes: „Nirgends hält man konservative Auffassungen für so angebracht wie in Währungsfragen; und doch ist nirgends die Notwendigkeit einer Neuorientierung dringender." Dieses Wort, so bedauerlich es für manchen sein kann, meine Damen und Herren, hat in einem halben Jahrhundert seine Gültigkeit nicht verloren.
So ist es in der Gemeinschaft nur zu einem teilkonzertierten Verhalten gekommen. Dennoch haben alle Mitgliedstaaten, einstimmig alle Mitgliedstaaten, zugestimmt, daß einzelne Länder ihren Wechselkurs für begrenzte Zeit freigeben können, wenn ihre Devisenposition dies erforderlich erscheinen läßt. Die Niederlande haben sich wie die Bundesrepublik für eine Freigabe entschieden, Belgien hat sein System des gespaltenen Kurses ebenfalls der neuen Lage angepaßt. Einige europäische Nicht-Mitgliedsländer haben sich der ganzen Bewegung angeschlossen und durch Paritätsänderung ebenfalls die währungspolitischen Gründe auf ihre Weise in Angriff genommen.
Die Bundesregierung verfolgt mit der zeitlich begrenzten Wechselkursfreigabe ein doppeltes Ziel: erstens Beseitigung des extremen Liquiditätsüberflusses in der Bundesrepublik und die Verhinderung neuer spekulativer Zuflüsse und zweitens einen preismäßigen Stabilitätseffekt für die Binnenwirtschaft.
Entsprechend einem Wunsch der Bundesbank und des Ministerrats in Brüssel wird die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark flankiert durch ein Ver6982
zinsungsverbot für Guthaben von Ausländern in der Bundesrepublik. Mengenmäßigen dirigistischen Kontrollen zur Abwehr der Auslandsgelder haben wir uns hier und in Brüssel erfolgreich und mit Nachdruck widersetzt. Die Erfolge unserer liberalen Handels- und Kapitalmarktpolitik, um die auch frühere Bundesregierungen ernsthaft und mühsam gerungen haben, darf niemand leichtfertig aufs Spiel setzen oder wegschenken.
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Mit einem Europa der Dirigismen wäre niemandem gedient, auch nicht Europa als ganzem.
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Denn solche dirigistischen Techniken kurieren nur an Symptomen und vertagen das eigentliche Problem auf später. Die Unterstützung, die ich bei der Ablehnung dirigistischer Maßnahmen auch in Ihren Reihen gefunden habe, meine Damen und Herren von der Opposition, hat mich in dieser Frage nur bestärken können.
Meine Damen und Herren, wir haben auch die hausgemachte Komponente der Preissteigerungen nicht verkannt. Entsprechend hat die Bundesregierung neue haushaltspolitische Maßnahmen beschlossen. Unter Berücksichtigung des § 6 des Stabilitätsgesetzes hat sie den Bundesminister der Finanzen zu einem restriktiven Haushaltsvollzug für den Haushalt 1971 ermächtigt.
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Die Bundesregierung erwartet davon eine Kürzung der Bundesausgaben um etwa 1 Milliarde sowie eine Beschränkung der Verpflichtungsermächtigungen um 2 bis 3 Milliarden DM. Auch von den Länderhaushalten wird eine entsprechende Politik im Sinne des § 6 des Stabilitätsgesetzes erwartet. Außerdem wird die Bundesregierung dem Konjunkturrat für die öffentliche Hand vorschlagen, das anfallende Mehr an Steuereinnahmen gegenüber der ursprünglichen Schätzung den Konjunkturausgleichsrücklagen von Bund und Ländern zuzuführen, und zwar wird diese Aufstockung insgesamt etwa his zu 1,7 Milliarden DM betragen können. Die Bundesregierung wird die Kreditaufnahme von Bund, Ländern und Gemeinden das ist der dritte binnenwirtschaftliche Punkt im fiskalischen Bereich - um einen Gesamtbetrag von etwa 2 bis 21/2 Milliarden DM gemäß §§ 19, 20 des Stabilitätsgesetzes beschränken. Das ist der sogenannte Schuldendeckel für die Kreditaufnahme der öffentlichen Hände.
Meine Damen und Herren, die haushaltspolitischen Überlegungen gehen natürlich auch über das Jahr 1971 hinaus. Die Notwendigkeit einer stabilitätsgerechten Anpassung, einer straffen Konsolidierung und einer stabilitätsgerechten Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung von 1972 bis 1975 wird niemand bestreiten wollen. Die neuen Maßnahmen für das Jahr 1971 verändern den gesamtwirtschaftlichen Rahmen für die Finanzplanung in der richtigen Richtung. Es ist daher ganz vernünftig, daß darüber im einzelnen erst im September von der Bundesregierung endgültig beschlossen wird, damit die Konsequenzen der heutigen Maßnahmen in ihrem Trend dann verwertet werden können.
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Meine Damen und Herren, das Stabilisierungsprogramm verändert natürlich auch die gesamtwirtschaftlichen Daten für die weitere Preis- und Lohnentwicklung. Weil unsere akuten Stabilitätsprobleme sowohl binnen- wie außenwirtschaftlich bedingt sind, ist unser neues Stabilisierungspaket - die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark sowie eine entsprechende restriktive Haushaltsführung bei Bund, Ländern und Gemeinden - eine präzise Offerte an die autonomen Gruppen, sich ihrerseits für einen stabilitätsgerechten Kurs in der Lohn-und auch in der Preispolitik zu entscheiden.
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Der Bundeswirtschaftsminister wird die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge im Hinblick auf die gegebene Situation im Rahmen der Konzertierten Aktion erläutern, wie der § 3 des Stabilitätsgesetzes es vorsieht. Der Bundeskanzler wird seine Autorität ebenfalls in diesem Sinne einsetzen.
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Meine Damen und Herren, es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, würde man die währungspolitische Entscheidung als Vergeltungsschlag gegen die preis-und lohnpolitische Fehlentwicklung in der Vergangenheit verstehen. Währungspolitik ist keine Strafjustiz.
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Es kann und darf in dieser Diskussion in allem nur um die Zukunft gehen. Auch für die Zukunft geht es hier nicht um Druck und Gegendruck, sondern um Einsicht in die ökonomischen Verflechtungen der internationalen Wirtschaft und um realistische Bedingungen für stabilitätsgerechtes Verhalten von Wirtschaft und Staat. Allerdings kann die angestrebte Stabilisierung des Preisniveaus auch und gerade nicht ohne den Beitrag der autonomen Gruppen gelingen. Aber ich bin überzeugt, daß Unternehmerverbände und Gewerkschaften diese neue Chance einer Stabilisierung erkennen und entsprechend verantwortungsbewußt handeln werden.
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Die vorübergehende Freigabe des D-Mark-Wechselkurses wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht mindern. Im Gegenteil, je mehr wir in unserer Stabilitätspolitik Erfolg haben, um so besser können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit sichern. Die Zahlen der außenwirtschaftlichen Entwicklung zeigen zudem auch schon im ersten Quartal dieses Jahres eine Tendenz zum wachsenden Überschuß. Von Januar bis März 1971 lag unser Handelsbilanzüberschuß mit rund 3,7 Milliarden DM etwa 25 % höher als in den gleichen Monaten des Vorjahres. Der Leistungsbilanzüberschuß stieg fast um 50%. Niemand wird sich also um unsere Zahlungsbilanz oder um unseren Export übertriebene Sorgen machen müssen.
Meine Damen und Herren, die Wechselkursfreigabe bedarf der Ergänzung durch Ausgleichsmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft. Zu diesem Punkt wird in Brüssel zur Stunde verhandelt. Wir haben auch in diesem Punkt eben nicht zu einseitigen, ungebilligten Maßnahmen im Alleingang gegriffen. Wir haben vielmehr in den Verhandlungen in Brüssel am 9. Mai einen Grundsatzbeschluß erzielt - gemeinsam und einstimmig. Der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft hat sich für die Zeit der Freigabe der Wechselkurse zu einem Grenzausgleich für die Landwirtschaft bereit-erklärt. Es gibt da also kein gefährliches Vakuum. Die Bundesregierung ihrerseits bekräftigt ihre Entschlossenheit zum Grenzausgleich. Wir brauchen dazu eine schnelle Regelung, damit den Bauern die Unsicherheit genommen wird. Das Verhandlungsziel für die deutsche Delegation in Brüssel ist sehr deutlich. Es heißt: Die währungspolitische Maßnahme vom 9. Mai wird nicht auf dem Rücken unserer Bauern ausgetragen werden.
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Die Beschlüsse der Bundesregierung stellen das gemeinsame Ziel einer Vertiefung und Erweiterung der Gemeinschaft nicht. in Frage. Die Entscheidung vom 9. Mai war eine Entscheidung für Fortschritte in der Stabilitätspolitik. Eine europäische Gemeinschaft ich sagte es schon - kann nur auf der Grundlage der Stabilität Bestand haben. Eine instabile Gemeinschaft wäre für Europa und auch für die gesamte freie Welt eine Gefahr; denn der Instabilität des Geldwertes folgt nur zu schnell auch die soziale und politische Instabilität.
Auch die europäische Wirtschafts- und Währungsunion würde höchstens durch eine inflationäre Eigenentwicklung und nicht an den Beschlüssen vom Sonntag in Brüssel scheitern; denn alle Länder müssen stabilitätspolitisch Erfolge aufzeigen, ehe wir später - nach drei Jahren, und das bleibt unverändert - den Schritt in die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion beginnen.
Wenn wir das Stabilitätsziel bis dahin verfehlen, wird sich am Ende die erste Stufe in die Wirtschafts- und Währungsunion als europäische Sackgasse erweisen. Die ,clause de prudence' - die Vorsichtsklausel würde sich dann gegen jedes instabile Mitgliedsland und damit gegen die Gemeinschaft als Ganze richten.
Bis dahin gehört es noch zur erklärten Politik in der Gemeinschaft, zeitweilig getrennt zu marschieren, wenn ein gemeinsamer Weg nicht gefunden wird und wenn das vitale Interesse eines Landes eben diesen Weg erforderlich macht. Wichtig bleibt nur, daß die Wege bald wieder zusammenführen. Unser Weg ist -- entsprechend den Orientierungsdaten im dritten mittelfristigen Programm der Gemeinschaften - eindeutig darauf gerichtet, daß wir uns diesen Orientierungsdaten der Gemeinschaft nähern und nicht, daß wir - wie andere Länder -mit inflationärer Selbstbeschleunigung davoneilen.
Der 9. Mai war ein Tag für die Stabilität - auch wenn wir keine raschen Erfolge erwarten dürfen; denn eine Reihe von Preissteigerungen in diesem
Jahr, meine Damen und Herren, sind aus dem Verlauf der Vergangenheit vorprogrammiert und damit unabänderlich. Der Erfolg des Programms für die Stabilität, der Erfolg des Programms für den Geldwert der Einkommen, der Renten, der Ersparnisse wird sich erst später abzeichnen.
Auf jeden Fall wollen wir mit diesem Programm verhindern, daß wir über die eingebauten Preissteigerungstendenzen noch hinausgeschleudert werden. Aber ohne die jetzigen Aktionen wäre die Anpassung an den internationalen Inflationstrend unausweichlich.
Wir erwarten jetzt keine Wunder. Der Weg zu mehr Stabilität wird auch weiterhin mühsam sein; aber das Stabilitätsziel ist auch keine Fata Morgana.
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Dieser 9. Mai war, recht verstanden, auch ein Tag für Europa.
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- Hören Sie einen Augenblick zu! Denn es ist zu hoffen, daß sich neue Initiativen und Kräfte entwikkeln, die die weltweite Inflation ais Herausforderung betrachten.
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Wir müssen in der Tat in Europa damit beginnen, auf einen konsequenten Kurs auf Stabilität zu gehen. Europa darf keine Inflationsgemeinschaft sein.
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Daß mehrere Staaten innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft mit uns ihre währungspolitische Position überprüft haben, muß uns doch ermutigen, nach gemeinsamen Wegen weiter auszuschauen.
Mit großer Freude habe ich auch am 8. Mai die Botschaft von zwölf bekannten amerikanischen Nationalökonomen erhalten, die sich für eine Freigabe des Wechselkurses der D-Mark im Interesse des Weltwährungssystems, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und im Interesse der USA ausgesprochen haben.
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Dieses Manifest von zwölf bedeutenden Geistern in Amerika
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ist ein deutliches Zeichen für das Interesse auch in den Vereinigten Staaten an einer Überprüfung und Weiterentwicklung der gegenwärtigen Ordnung un-sores Weltwährungssystems.
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Jemand hat in diesen Tagen behauptet, in der „Wahl zwischen Europa und dem Dollar" habe sich die Bundesregierung für den Dollar entschieden. Meine Damen und Herren, das heißt doch die Dinge auf den Kopf stellen.
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Wir haben vielmehr durch unsere Initiative eine
Teilantwort gegeben auf das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit, das unserem WeltwährungssyBundesminister Dr. Schiller
stem so schwere Probleme beschert. Denken Sie daran, daß im Jahre 1970 in der Statistik der offiziellen Reservetransaktionen das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit auf 10 Milliarden Dollar angewachsen ist. Wir haben in konzertierter Aktion mit fünf anderen europäischen Staaten eine europäische Antwort gegeben auf eine Politik des „benign neglect", der „wohlwollenden Nichtachtung" des dortigen Zahlungsdefizits. Und diese europäische Antwort ist kein rüder Vergeltungsschlag gegen den Dollar, sondern eine marktwirtschaftliche Antwort, nichts anderes.
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Denn sechs europäische Länder haben den Wert ihrer Währungen auf diese oder jene Weise entsprechend den Marktverhältnissen entweder direkt erhöht oder dem freien Marktspiel überantwortet. Ich sagte schon: Wir haben uns strikt geweigert, Devisenbewirtschaftung in unserem Lande oder in Europa generell einzuführen. Das wäre dann Devisenbannwirtschaft, und das wäre dann der staatlich ausgeführte Bannspruch gegen den Dollar gewesen. Auch einen solchen europäischen Bannspruch gegen den Dollar haben wir verhindert. Nur auf diese Weise haben wir durch unsere Anstoßwirkung die europäische Währungsposition in Wahrheit gestärkt.
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Das Ergebnis von Brüssel war, wie die Londoner „Times" sagt, „ein kluger und pragmatischer Kompromiß".
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Niemand, meine Damen und Herren, der die Sorge um unser Volk ernst nimmt, kann in diesem Hohen Hause abseits stehen, wenn es um die Stabilität unserer Währung geht. Durch die außenwirtschaftliche Absicherung haben wir doch neuen Handlungsspielraum für die Stabilitätspolitik des Staates, der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften erhalten. Damit auch die freien Kräfte in unserem Gemeinwesen ihre Verantwortung in dem neu gewonnenen Handlungsspielraum erkennen und übernehmen, wäre ein Ja zu diesem Regierungsprogramm von seiten der Opposition eine befreiende Tat für unser Volk.
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Die gemeinsame Verantwortung, das gemeinsame Interesse sollte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ein solches Wort des Ja sehr leicht machen, aber auch Ihr Bild in der öffentlichen Meinung würde doch dadurch nur gewinnen.
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Einige Persönlichkeiten, einige hochangesehene Persönlichkeiten in Ihren Reihen haben das auch voll erkannt.
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So ruft die Bundesregierung alle Kräfte auf, ja zu der befreienden Tat zu sagen. Wir alle sind aufgefordert, gemeinsam die neuen Stabilitätschancen zu nutzen für unser Land, für Europa.
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Präsident von Hassel: Ich danke für die Abgabe der Regierungserklärung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann. Die Fraktion der CDU/CSU hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den vergangenen Tagen ist deutlicher denn je geworden, daß Bundeskanzler Brandt mit seiner Regierung unserem Lande eine Stabilitätskrise beschert hat, wie wir sie bisher nicht gekannt haben.
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Die Bundesregierung hat durch unglaublichen Leichtsinn eine internationale Währungskrise hervorgerufen,
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im wahrsten Sinne des Wortes so unglaublich leichtsinnig, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn der Verdacht einer „Krise auf Bestellung" die Runde macht. Mit großer Sorge müssen wir feststellen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in eine tiefgreifende Vertrauenskrise gestürzt wurde.
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Monatelang hat die Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzler selbst die Mahn- und Warnrufe nicht ernst genommen, die von verschiedenen Seiten und insbesondere von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu hören waren. Noch in seiner Rede zum 1. Mai dieses Jahres waren diese Warnungen und Mahnungen für den Herrn Bundeskanzler nicht mehr als Panikmache.
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Der Preisauftrieb wurde als eine vorübergehende Erscheinung gekennzeichnet, deren Ende ja schon abzusehen sei, der Verfall des Geldwertes wurde bagatellisiert. Damit schuf die Bundesregierung ein Klima, in dem die Leistungskraft unserer Wirtschaft ständig überfordert wurde, sowohl durch die öffentlichen Hände als auch durch die Tarifpartner. Es ist nötig, in Erinnerung zu rufen, daß 1970 der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts 4,7 % betrug, während Löhne und Gehälter effektiv um über 19 % anstiegen. Ich sage das nicht im Sinne eines Vorwurfs an eine Seite der Tarifpartner. Beide Seiten haben die Marktsituation genutzt. Sie haben mit Duldung und mit Rückendeckung der Regierung Augenblicksvorteile in Anspruch genommen, mit deren Folgen wir uns jetzt herumzuschlagen haben.
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Die Tarifpartner haben ebenso wie die Verbraucher den weiteren Verfall des Geldwertes in ihre Dispositionen und Kalkulationen mit einbezogen, weil jeder angesichts dieser Regierungspolitik nur eine Verschlechterung der Situation erwarten konnte.
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I)as ist die berüchtigte Inflationsmentalität. Sie hat ihren Ursprung nicht, wie die Regierung es glauben machen will, in dem angeblichen Inflationsgerede, sondern in dein Vertrauens- und Autoritätsschwund dieser Bundesregierung.
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Nach allem, was wir jetzt an Erfahrungen hinter uns haben, klingt es nicht sehr überzeugend, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister heute von der „Fortsetzung der Stabilitätspolitik" dieser Bundesregierung spricht.
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Diese Bundesregierung hat den Ernst der Situation bisher doch mit allzu einseitig ausgewählten internationalen Vergleichen zu verschleiern versucht. Meine Damen und Herren, tatsächlich --- das muß eben jeder wissen - sind wir während des Jahres 1970 mit der gesamtwirtschaftlichen Preissteigerungsquote an die Spitze aller Industrienationen gerückt.
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Die CDU/CSU-Fraktion hat immer wieder - - im Grunde seit der Amtsübernahme dieser Regierung - aufeinander abgestimmte umfassende gesamtwirtschaftliche Aktivitäten von der Bundesregierung gefordert.
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Wir haben die Bundesregierung insbesondere aufgefordert, rechtzeitig von dem Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes Gebrauch zu machen und die Bundesbank zu entlasten.
Da Sie immer nach den Alternativen fragen, will ich Ihre Erinnerung etwas auffrischen. Im Dezember 1969 haben wir vorgeschlagen, alle ausgabewirksamen Gesetze - ganz gleich, von wem sie vorgelegt worden sind - bis zur Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung zurückzustellen. Im Zusammenhang mit der Aufwertung haben wir in den Monaten danach gefordert: flankierende Maßnahmen mit einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik bei Bund und Ländern, vermögenswirksame Anlage eines Teils der Besoldungs- und Lohnerhöhungen, gemeinsame Klärung eventueller Steuererhöhungen. Am 20. Januar 1970 forderten wir eine antizyklische Haushaltspolitik, eine zeitliche Verlagerung von Ausgaben, die Sicherung der Konjunkturausgleichsrücklage ohne Kreditfinanzierung, kombinierte Aktionen der öffentlichen Hände, einen Anreiz zu verstärkter Vermögens- und Sparbildung sowie die Zurückstellung aller Steuersenkungspläne. Meine Damen und Herren, bereits an diesem Tage warnten wir vor den Folgen der gegenwärtigen Kreditpolitik der Bundesbank.
({10})
Am 17. Februar, am 3. Juni, am 23. Juni, am 11. Jul!, am 7. Oktober 1970 haben wir unsere Vorschläge wiederholt und präzisiert. Am 28. Oktober haben wir einen neuen Vorschlagskatalog zur Konjunktur- und Wirtschaftspolitik unterbreitet, und während der Wintermonate haben wir die Regierung immer wieder aufgefordert, die Bremsmaßnahmen der Bundesbank auf ein breiter gefächertes Instrumentarium zur Wiedergewinnung der Stabilität zu verlagern. Alle diese Mahnungen und Warnungen sind in den Wind geschlagen worden. Die Last der Konjunkturpolitik blieb ausschließlich der Bundesbank überlassen. Dies festzustellen, ist gerade heute wichtig, denn die Hochzinspolitik hat die Dollarzuflüsse doch erst in die Wege geleitet.
({11})
Und eben dies ist eine Quelle der Schwierigkeiten an unserer außenwirtschaftlichen Flanke. Die Wahrheit ist, daß der Bundeskanzler die Dinge hat treiben lassen.
({12})
Seine Regierung hat keinen Mut, kein Konzept und auch keine Autorität gehabt.
({13})
Wer das noch nicht wußte, konnte es im „Spiegel" - sicherlich ein unverdächtiges Blatt - am Montag nachlesen.
({14})
Dort heißt es:
Nach anderthalb Jahren konjunkturpolitischen Experimenten, nach monatelangem
Lavieren mit wirkungslosen Instrumenten
und wochenlangem entnervenden Zögern
entdeckte der Kanzler das vitale Interesse
der Bundesrepublik an stabilen Preisen
und einer harten Mark.
Der „Spiegel" ist gewiß ein unverdächtiger Zeuge.
({15})
Meine Damen und Herren, nach einer langen und, wie wir heute alle spüren, verhängnisvollen Phase des konjunkturpolitischen Schlendrians - anders kann man das nicht bezeichnen ({16})
hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen nun eine überstürzte, mit niemandem abgestimmte und von dramatischem Theaterdonner begleitete Aktion in Szene gesetzt.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dorn?
({17}) Dr. Müller-Hermann ({18}) : Nein. ({19})
Als Ausweg aus dieser vorwiegend binnenwirtschaftlich verursachten Krise hat die Bundesregierung ein währungspolitisches Manöver vom Zaun
gebrochen, das jeder Kenner der Verhältnisse nur als ein Hasardspiel bezeichnen kann,
({20})
weil die Bundesregierung um eines sehr zweifelhaften Erfolges willen schwerwiegende ökonomische und politische Risiken in Kauf nimmt, Risiken, meine Damen und Herren, die deutlich machen, daß die Bundesregierung nicht die Kraft zum vorbeugenden und nach allen Richtungen hin überlegten Handeln hat.
Dreierlei möchte ich mit aller Deutlichkeit feststellen.
Erstens. Die Verantwortung dieser Bundesregierung für die heutige Situation ist ungeteilt und unteilbar.
({21})
Zweitens. Eine immer neue und im Grunde alte Erfahrung sagt, daß es eine gefährliche Sache ist, sich zur Steuerung der Binnenkonjunktur leichtfertiger währungspolitischer Manipulationen zu bedienen.
({22})
Diese Erfahrung hat die Bundesregierung bewußt außer acht gelassen.
Drittens. In einem sehr wesentlichen Punkt scheint heute zwischen Regierung, Opposition und offenbar auch unseren europäischen Partnern Übereinstimmung zu bestehen, nämlich darin, daß der Verfall des Geldwerts in der Bundesrepublik hausgemachte I Ursachen hat und die gegenwärtige Situation sowie die voraussichtliche Entwicklung der Zahlungsbilanzen keine Änderung der Paritäten rechtfertigen. Diese Feststellung jedenfalls ist in dem Brüsseler Kommuniqué vom 9. Mai auch von der Bundesregierung unterschrieben worden.
({23})
Ich erinnere nur daran, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Schiller mehrmals, zuletzt bei der Eröffnung der Hannoverschen Messe, erklärt hat: „Stability begins at home." Man müßte es ändern: „Stability begins in the Government", Stabilität beginnt bei der Regierung.
({24})
In diesem Punkt, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, ist diese Regierung ein eindeutiger Versager gewesen.
Alle Versuche, die Verantwortung für die Krisensituation jetzt anderen zuzuschieben, sind ein ausgesprochenes Ablenkungsmanöver. Schon mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1971 versuchte der ja immer hellseherische Bundeswirtschaftsminister, der in der Debatte Anfang Februar dem Oppositionssprecher Schwarzmalerei vorwarf, in seiner eleganten Manier die Tarifpartner schuldig zu sprechen, falls seine prophezeite Stabilitätsentwicklung mit 3 % Lebenshaltungskostensteigerung nicht eintreten sollte. Heute wird, unterschwellig zumindest, von der Regierung der Eindruck zu erwecken versucht, als habe die Bundesbank mit einem zu langen
Festhalten am hohen Diskontsatz die jetzigen Schwierigkeiten hervorgerufen, und unüberhörbar sind doch auch heute in den Ausführungen von Herrn Schiller die verbrämten Vorwürfe aus dem Regierungslager an die Adresse unserer europäischen Partner und an die Amerikaner gewesen.
({25})
Die konjunkturpolitische Misere nahm im Oktober 1969 ihren Anfang,
({26})
als sich die Bundesregierung auf die D-Mark-Aufwertung verließ und flankierende Stabilitätsmaßnahmen nicht als notwendig erachtete.
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Herr Schiller sagte damals vor dem Bundestag: Wir haben wieder freie Luft, freie Bahn für die Wirtschaftspolitik und freie Sicht für die deutsche Wirtschaft. Nun, 18 Monate später würde ich den Lagebericht etwa so formulieren: Dicke Luft, die Wirtschaftspolitik auf einer schiefen Bahn, Lebenshaltungskostenindexsteigerung bei 5 % und die deutsche Wirtschaft in dichtem Nebel.
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Im Jahre 1970 konnte sich die Bundesregierung allen Mahnungen zum Trotz zu Stabilitätsmaßnahmen nicht durchringen. Was sie tat, war zu wenig oder zu spät.
Ein Beispiel dafür - besonders aufschlußreich ist der Konjunkturzuschlag aus dem ,Juli 1970, dessen Wirkung offenbar doch gleich Null gewesen ist.
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Die Bundesbank wurde von dieser Bundesregierung im Stich gelassen. Zu dem Zeitpunkt, als wir eine Entlastungsaktion zugunsten der Bundesbank und für den Bundeshaushalt 1971 eine Unterteilung in einen Kern- und einen Eventualhaushalt forderten, da war die Antwort der Bundesregierung zum wahrlich ungeeignetsten psychologischen Zeitpunkt die Ankündigung von 12% Mehrausgaben für das Jahr 1971. Diese Ankündigung wurde doch mehr oder weniger zu Recht als das Signal für alle verstanden, in die Vollen zu gehen.
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Die Hochzinspolitik der Bundesbank wurde auch dann noch aufrechterhalten, als die amerikanische Regierung, aus ihrer binnenwirtschaftlichen Situation durchaus verständlich, eine Senkung des Zinsniveaus vornahm und sich damit das Zinsgefälle gegenüber der Bundesrepublik verstärkte. Meines Erachtens lag es durchaus nahe - und auch im Rahmen der gegebenen marktwirtschaftlichen Möglichkeiten -, wenn ein Teil der deutschen Wirtschaft sich mit Liquidität auf dem Eurodollarmarkt versorgte und damit praktisch die Bremswirkung der Bundesbank unterlief.
Die psychologischen Wirkungen, die von der Untätigkeit der Bundesregierung und dazu noch - das sollte man doch mal erwähnen - von den Vollbeschäftigungs- und Vollauslastungsgarantien des
Herrn Bundeskanzlers ausgehen mußten, haben offenbar sowohl der Herr Kanzler als auch der Herr Wirtschaftsminister unterschätzt, obwohl gerade von Herrn Schiller das im Grunde sehr richtige Wort stammt: „50 % der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik ist Psychologie."
({31})
Nach anderthalb Jahren der Rat- und Hilflosigkeit ist diese Bundesregierung offenbar am Ende ihres Lateins angelangt.
({32})
Aus dem „Aufschwung nach Maß", auf den wir ja nun alle so gehofft hatten, ist eine Inflation ohne Maß geworden.
({33})
Obwohl in einigen Wirtschaftsbereichen eine rückläufige Wirtschaftsentwicklung zu beobachten ist, ist ein Ende des Preisauftriebs entgegen allen tönenden Ankündigungen der Bundesregierung nicht abzusehen. Wir bewegen uns vielmehr auf eine Stagflation zu, wenn wir nicht schon in ihr drin sind. Ich finde, Herr Bundeskanzler, es ist im wahrsten Sinne des Wortes unglaublich, wenn Sie vorgestern angesichts dieser Situation vor dem Deutschen Fernsehen erklärten:
Die Bundesregierung ist für die immensen Dollarzuflüsse ebensowenig verantwortlich wie für die Preissteigerungen, die in fast allen Ländern höher liegen als bei uns.
({34})
Herr Schiller - ich muß immer wieder Herrn
Schiller zitieren - hat am 22. April 1971 bei der Eröffnung der Hannoverschen Messe einige dramatische Ausführungen mit dem Satz begonnen:
In dieser Stunde tut vor allem not, daß wir ehrlich miteinander reden.
Richtig!
({35})
Und er fügte hinzu: Weder leichtfertige Schönfärberei noch hysterische Dramatisierung nützen hier etwas. - Zur Wahrheit gehört: ein ganz wesentlicher Teil unserer aktuellen Preissteigerungen ist ein hausgemachtes Erzeugnis der jüngeren oder früheren Vergangenheit.
({36})
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich ernst genommen werden wollen von diesem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit, dann sollten Sie solche Erklärungen meines Erachtens nicht abgeben, nur urn die Hände in Unschuld waschen zu können.
({37})
Sie haben vor etwa einem Jahr erklärt, für die Bundesregierung wäre es Zeit zum Handeln, wenn der Preisauftrieb für die Lebenshaltungskosten die 4 %-Grenze erreicht hat. - Sie haben nicht gehandelt.
({38})
Jetzt, wo wir uns mit der Steigerung der Lebenshaltungskosten auf die 5 % zu bewegen, setzen Sie
eine Währungskrise in Szene, die die alten Probleme nicht löst, aber uns mit Sicherheit neue Probleme schaffen wird.
({39})
Es kann doch im Ernst niemanden verwundern, wenn im Ausland die Meinung vertreten wird, die internationale Währungskrise der letzten Woche sei nicht entstanden, sondern gemacht worden.
({40})
Dieser Vorwurf richtet sich doch an die Adresse der Bundesregierung. Ich muß sagen, die Bundesregierung hat alles getan, um diesen Eindruck hervorzurufen.
({41})
Das Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftswissenschaftlichen Institute wurde, wie wir wissen, am Montag, dem 3. Mai, veröffentlicht. Es empfahl der Bundesregierung die Freigabe der Wechselkurse, und zwar nach Meinung der Mehrheit der Institute ohne Befristung. Die Wirkung dieses Gutachtens bzw. seiner Veröffentlichung konnte doch gar nicht anders sein, und es mußte das eintreten, was dann auch eingetreten ist. Es wurde eine große Spekulationswelle um die D-Mark in Gang gesetzt. Mindestens 61/2 Milliarden Dollar sind in anderthalb Tagen in die Bundesrepublik geflossen.
Die Reaktion der Bundesregierung auf dieses Gemeinschaftsgutachten war ich muß jetzt meinen Ausdruck wirklich sehr wägen - ausgesprochen provokativ. Das Bundeswirtschaftsministerium hat das Gutachten in einem Kommuniqué als „nützlich" bezeichnet.
({42})
Bundeskanzler Brandt erklärte dann am folgenden Tag vor seiner eigenen Fraktion, die Bundesregierung werde im Laufe der Woche außenwirtschaftliche Maßnahmen ergreifen.
({43})
Die spekulative Diskussion über die währungspolitischen Absichten der Regierung mußte doch eine weltweite Turbulenz erzeugen, die die Spekulation um Dollar und D-Mark auf den Höhepunkt trieb.
({44})
Ich kann und will auch nicht die im Ausland gestellte Frage beantworten, inwieweit das Gemeinschaftsgutachten eine bestellte Arbeit des Bundeswirtschaftsministers gewesen ist.
({45})
Nun lassen Sie mich doch erst mal aussprechen!
({46})
Sicher ist, meine Damen und Herren, daß der wesentliche Inhalt dieses Gutachtens den interessierten Sachkennern zumindest in der Woche davor bekannt war und bekannt sein mußte. Der Bundeswirtschaftsminister wird sich doch gewiß nicht als einen so kontaktarmen Mann hinstellen und sagen wollen, daß er die Empfehlungen des Gutachtens und die sich daraus ergebenden effektiven Wirkungen nicht vorher hätte sehen und einkalkulieren müssen. Alles spricht dafür, daß das Gutachten, auch wenn es keine bestellte Arbeit gewesen ist, für den Bundeswirtschaftsminister doch offenbar eine sehr willkommene Zuarbeit gewesen ist.
({47})
In einer auch für seinen persönlichen Ruf als Wirtschaftsminister risikoreichen Situation mußte er in den Empfehlungen ein, ich wiederhole das Wort, „nützliches" Instrument erblicken, um vor allem im Kabinett selbst die Meinungsbildung zu steuern.
({48})
Der Bundeswirtschaftsminister nahm, so kann man. schlußfolgern, den Zugzwang in Kauf, unter den er sich durch die Veröffentlichung des Gutachtens selbst setzen ließ.
Hätte die Bundesregierung eine Spekulationswoge verhindern wollen, hätte sie unverzüglich nach Veröffentlichung des Gutachtens eine ganz eindeutige Erklärung abgeben müssen: entweder in Richtung auf eine sofortige Freigabe des Wechselkurses oder mit der unmißverständlichen Garantie, daß es zu keiner Paritätsänderung kommen würde.
({49})
Das Verhalten der Bundesregierung, meine Damen und Herren, war entweder dilettantisch oder makaber,
({50})
auf jeden Fall unverantwortlich.
({51})
Die Folge dieser Handlungsweise war eine Spekulation, die uns und anderen jetzt Probleme über Probleme aufgehalst hat. Wie man währungspolitische Probleme anpackt, das haben uns am Wochenende zwei andere europäische Staaten gezeigt.
({52})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat der Bundesregierung in den letzten Wochen wiederholt die konstruktive Mitarbeit an einem umfassenden Antiinflationsprogramm angeboten. Unsere Vorstellungen waren und sind
({53})
entsprechend den hausgemachten Ursachen des
Preisauftriebs vorwiegend binnenwirtschaftlich
orientiert mit einer außenwirtschaftlichen Absicherung als zusätzlichem Element.
({54})
Bisher hatte Herr Schiller - so muß man aus allem, was bekanntgeworden ist, schlußfolgern - eine ähnliche Meinung.
Die Bundesregierung hat nun ihr, wie sie es nennt, Stabilitätsprogramm auf außenwirtschaftliche Maßnahmen mit einer mageren binnenwirtschaftlichen Absicherung aufgebaut. Es enthält vorläufig nichts als vage Absichtserklärungen. Hier liegt natürlich ein fundamentaler Unterschied in der konjunkturpolitischen Strategie zwischen Regierung und Opposition, die sich aus einer unterschiedlichen Lageanalyse ergibt. Deshalb wäre es sicherlich gut und nützlich gewesen, man hätte sich die Zeit zu intensiven Gesprächen und Konsultationen zwischen Regierung und der derzeitigen Opposition genommen.
({55})
Sehr verehrter Herr Minister Schiller, wenn Sie heute vor diesem Hohen Hause davon gesprochen haben, daß es fünfmal Gelegenheit zu Konsultationen gegeben hätte, so muß ich das als eine völlig falsche, schiefe und unwahrhaftige Darstellung der Dinge zurückweisen.
({56})
Es hat Informationen gegeben, die haben wir auch dankbar entgegengenommen und begrüßt.
({57})
Sie selbst haben es nicht für nötig befunden, sich auch nur für wenige Minuten oder gar Stunden die Zeit zu einem ausgiebigen Gespräch mit der Fraktionsführung und den Experten unserer Fraktion zu nehmen.
({58})
Für die jetzt von Ihnen getroffenen Entscheidungen, bei denen Sie uns nicht konsultiert haben, müssen Sie schon die volle Last der Verantwortung übernehmen.
({59})
Offenbar haben Sie sich doch, weil Sie sich binnenwirtschaftlich hilflos fühlen, nun zu einer außenwirtschaftlichen Aktion bewogen gefühlt, mit deren Hilfe Sie, ohne sich allzusehr innenpolitisch die Finger schmutzig zu machen, auf die Unternehmer einen Druck ausüben wollen, um auf diesem Wege letztlich auch die Gewerkschaften gefügiger zu machen. Das ist doch die Strategie, auf die Sie es ausgerichtet haben.
In dieser Situation ständig nach Alternativen der Opposition zu fragen, ist einfach unehrlich.
({60})
Sie wollen uns für eine Situation mitverantwortlich
machen, die mit Sicherheit - das sage ich aus vollster Überzeugung - unter der Verantwortung einer
CDU/CSU-geführten Bundesregierung niemals zustande gekommen wäre.
({61})
Ihre Politik besteht aus aneinandergereihten Fehlern und Versäumnissen. Unsere Angebote und Vorschläge haben Sie nicht beachtet.
({62})
Und jedesmal, wenn Sie etwas falsch gemacht haben, fragen Sie uns, was wir denn anders gemacht hätten.
({63})
Die Frage nach den Alternativen ist eine Frage nach
der Alternative, nämlich der Ablösung einer Regierung, die sich in eineinhalb Jahren verbraucht hat.
({64})
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht. - Das allerdings wäre vielleicht die befreiende Tat, von der Herr Schiller gesprochen hat.
({0})
Das Gemeinschaftsgutachten hat die Bundesregierung vor die Alternative gestellt - ich zitiere -,
oh sie dem Auftrag des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes Vorrecht einräumen oder ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Partnerländern erfüllen will.
Ein verantwortlicher Politiker durfte sich nie vor diese Alternative stellen lassen.
({1})
Zumindest mußte doch der Herr Bundeswirtschaftsminister nach der EWG-Konferenz in Hamburg wissen, daß gemeinsame Paritätsänderungen derzeit nicht erreichbar sind. Schließlich hat doch die Bundesregierung vor wenigen Wochen Absprachen über die Bildung einer Wirtschafts- und Währungsunion mit unseren Partnern getroffen, in denen sie sich zur Verengung der Bandbreiten durch Gemeinschaftsinterventionen verpflichtet hat. Man mag darüber streiten, ob es gut und zweckmäßig ist, wenn eine Regierung das Vertrauen im eigenen Land verspielt; daß jetzt aber die Bundesregierung das Vertrauen zur Bundesrepublik Deutschland innerhalb und außerhalb der EWG aufs Spiel setzt, ist für uns alle eine ganz ernste Angelegenheit.
({2})
Ohne jetzt zu dramatisieren, müssen wir doch wohl mil einer anhaltenden Vertrauenskrise der Gemeinschaft rechnen,
({3})
die sowohl die Weiterentwicklung der Gemeinschaft als auch die Beitrittsverhandlungen zweifellos erschweren wird.
({4})
Manche in der Sache unausweichlichen Schwierigkeiten werden möglicherweise nun uns Deutschen angelastet.
({5})
Sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch vor allem bei der Bundesbank, aber auch in Kreisen der Wirtschaft und der Gewerkschaften, hat es bekanntlich Überlegungen gegeben, ob man zur Abwehr einer durch Spekulation verursachten Notsituation nicht auch mit anderen Maßnahmen als der Freigabe der Wechselkurse hätte zu Rande kommen können. Hätte man beispielsweise von vornherein die Anwendung des § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes ins Auge gefaßt, wozu man sich jetzt ohnehin durchgerungen hat, hätte man wahrscheinlich Zeit gewonnen, um eine einheitliche Meinung innerhalb der EWG zur Stabilitätspolitik und zur Spekulationsabwehr zu finden und möglicherweise auch mit den Vereinigten Staaten zu einer abgestimmten Aktion zu kommen.
({6})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt, sie lege Wert darauf, daß bei außenwirtschaftlichen Maßnahmen die europäische Integration und die Folgewirkungen
vornehmlich für die deutsche Landwirtschaft berücksichtigt und vorher gemeinsame Lösungen gefunden werden müßten.
({7})
Jetzt mag die Theoretiker oder die Historiker die Frage beschäftigen, ob man mit einer weniger orthodoxen Methodik der Spekulationswelle vielleicht wirksamer hätte entgegentreten können, und zwar ohne die EWG-Krise heraufzubeschwören.
Herr Minister Schiller, bestimmt wollen auch wir nicht ein Europa des Dirigismus. Wir wollen aber auch nicht, daß durch Orthodoxie der europäische Zusammenschluß in Gefahr gebracht wird.
({8})
Wir haben Ihnen bei den Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion den Rücken gestärkt. Aber in der jetzigen Politik der falschen Alternativen können Sie auf unsere Unterstützung nicht rechnen! Die Tatsache, daß die Regierung sich gestern doch zur Anwendung des § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes entschlossen hat, beweist ja auch, wie abwegig hier ein Theorienstreit gewesen ist.
({9})
Die Entscheidung der Bundesregierung im außenwirtschaftlichen Bereich ist für unsere Fraktion zunächst einmal ein Datum - allerdings ein Datum mit vielen offenen Fragen. Uns erschüttert einmal die Leichtfertigkeit, mit der man sich über die Gefah6990
ren für die politische Zukunft der EWG hinweggesetzt hat. Ich möchte auch den Eindruck vermieden wissen, Herr Minister, daß in Brüssel etwa ein echter Kompromiß zustande gekommen ist. Es ist eine Tolerierung der deutschen Absichten gewesen und nicht mehr.
({10})
Nun wird offenbar das Brüsseler Verhandlungsergebnis von den Partnern völlig unterschiedlich ausgelegt. Der Bundeswirtschaftsminister hat sich für eine unbefristete Freigabe der Wechselkurse ausgesprochen, der Kanzler hat am selben Tage über die Fernsehanstalten davon gesprochen, die Bundesregierung sollte den Wechselkurs für einige Zeit freigeben. Der französische Finanzminister wiederum hat deutlich gemacht, daß die deutsche Aktion bestenfalls für wenige Wochen toleriert werden könne.
Im Punkt 3 der Brüsseler Verlautbarungen wird der 1. Juli 1971 als Zeitpunkt genannt, bis zu dem der Ministerrat Maßnahmen zu ergreifen hat, um übermäßige Kapitalzuflüsse zu entmutigen und ihre Auswirkungen auf die innere monetäre Situation zu neutralisieren. Im Punkt 1 der Brüsseler Erklärungen wird von der Entschlossenheit der Mitgliedstaaten gesprochen, ihre Paritäten beizubehalten.
Jetzt steht die Frage im Raum, was die Bundesregierung letztlich mit der Freigabe der Wechselkurse erreichen will und was in Brüssel tatsächlich vereinbart wurde.
({11})
Der Bundeskanzler hat doch der Öffentlichkeit klarzumachen versucht, daß mit der Aktion auf außenwirtschaftlichem Gebiet ein Stabilitätseffekt erreicht werden sollte.
({12})
Das kann doch nur heißen, daß, wenn der Effekt von Bestand sein soll, eine Veränderung der DM-Parität angestrebt wird.
({13})
Unser Bundestagskollege Arndt hat das sehr deutlich gesagt, als er erklärte, am Ende dieser Aktion müsse oder werde eine aufgewertete D-Mark stehen. Folgt man dem Trend anderer Länder, vor allem 'Osterreichs, dann spricht ja auch sehr viel Wahrscheinlichkeit dafür.
Ist das aber der Fall, dann stellt sich die Frage, wie man einen Stabilitätseffekt denn nun wirklich erreichen will. Wir können ja auch nicht unbeachtet lassen, was der französische Finanzminister gestern erklärt hat: eine Rückkehr an den Verhandlungstisch über eine Wirtschafts- und Währungsunion setze voraus, daß die Bundesregierung zur alten Parität zurückfinde. Ist das aber der Fall, wie erwartet sich dann die Bundesregierung von ihrer Aktion (len erhofften Antispekulationseffekt? Diese Fragen stehen im Raum, und wir bitten die Regierung, dazu auch etwas zu sagen.
Die Bundesregierung hat sich unseres Erachtens in eine Zwickmühle begehen. Die Alternative, die im Gemeinschaftsgutachten angedeutet ist, droht jetzt in einem ganz anderen Sinne Wirklichkeit zu werden. Entweder wird trotz aller weltbewegenden Unruhe, die durch die Schritte der Regierung ausgelöst ist, der erwartete Stabilitätseffekt in Frage gestellt, oder aber die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere der Agrarmarkt, wird aufs schwerste erschüttert. Kehren wir zur alten Parität zurück, dann ist binnenwirtschaftlich außer Spesen nichts gewesen. Kommt die alte Parität nicht zustande, steht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vor einer Zerreißprobe.
Wir hatten die Bundesregierung mit gutem Grund gebeten, die heutige Regierungserklärung und die darauf folgende Debatte erst morgen stattfinden zu lassen, weil wir wissen wollten, was aus den Brüsseler Gesprächen über einen Grenzausgleich herauskommt. Die deutsche Landwirtschaft, meine Damen und Herren - das wissen wir alle, und ich hoffe. wir respektieren das auch bei unseren praktischen Entscheidungen -, hat die Aufwertung des Jahres 1969 noch nicht verkraftet.
({14})
Wir werden daher unter allen Umständen für einen vollen, unbefristeten Grenzausgleich für die deutsche Landwirtschaft eintreten. Niemand im Lande und außerhalb unseres Landes darf übersehen, daß schwere innenpolitische Auseinandersetzungen zu erwarten sind, wenn die deutschen Landwirte sich wiederum in ihrer Sorge bestätigt fühlen müssen, zum Prügelknaben der Wirtschaftspolitik zu werden.
({15})
Das binnenwirtschaftliche Programm der Bundesregierung kann in seinem Wert kaum besser charakterisiert werden als durch die Schnelligkeit, mit der es über den Kabinettstisch gejagt wurde. Wir behalten uns eine Prüfung der von der Regierung vorgelegten Zahlen vor. Derzeit ist es wichtig, festzuhalten, daß es sich hier um Globalziffern handelt und alles offengeblieben ist, wo und zu welchem Zeitpunkt Einsparungen bei den verschiedenen Ressorts vorgenommen werden. Die bombastischen Zahlen, mit denen man derzeit vor der Öffentlichkeit Eindruck zu machen sucht, müssen daraufhin geprüft werden, wieweit verschiedene Positionen doppelt oder sogar dreifach berechnet worden sind. Schließlich hängt ja die Steuerung dieses ganzen sogenannten binnenwirtschaftlichen Programms weitgehend davon ab, welche konjunkturellen Folgen sich aus dem außenwirtschaftlichen Teil der Aktion ergeben. Die im binnenwirtschaftlichen Programm vorgesehenen Aussagen oder abgegebenen Absichtserklärungen können daher meines Erachtens eine wirkliche Aussagekraft nicht beanspruchen.
Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Aktion auf eine gefährliche Gratwanderung begeben. Der Übergang von einer Politik des Schlendrians zu einer Politik des Hasardspiels droht uns jetzt neben den politischen Konsequenzen, die wir sehen müssen, zusätzliche wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen, ohne daß der Inflation tatsächlich Einhalt geboten wird. Ich will mich jetzt nicht in Prognosen ergehen. Aber ich warne die Regierung auch ihrerseits vor jeder neuen Euphorie. Diese BundesregieDeutscher Bundestag - (i. Wahlperiode Dr. Müller-Hermann
rung hat vom ersten Tage ihres Bestehens an dazu geneigt, der deutschen Öffentlichkeit immer wieder Wunschträume fur Realitäten anzubieten und maßlose Versprechungen zu machen.
({16})
Sie mußte im Laufe der Zeit immer wieder ihre Pflöcke zurückstecken. Soll ich hier vielleicht verlesen - ich will es schon der Zeit halber nicht tun -, was der Bundeswirtschaftsminister Schiller noch am 2. Februar vor einer Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht an Prognosen für 1971 von sich gegeben hat?
({17})
Auf meinen Hinweis, es gebe Anhaltspunkte dafür, daß der Preisauftrieb die 4 %-Grenze erreichen werde, haben Sie, sehr verehrter Herr Schiller, an Ihrer Prognose von 3 % Preissteigerung festgehalten und hinzugefügt, Sie hielten es kaum für möglich, daß es, wie Sie so schön sagten, „noch eine Art Subkultur" gebe, die außer den weisen Prognosen des Ministers mit Prognosen von 4 % aufwarten könne. Oder soll ich daran erinnern, meine Damen und Herren, mit welchen Gefälligkeiten nach allen Seiten der Herr Bundeskanzler mit der Abgabe seiner Regierungserklärung in die politische Arena eingestiegen ist und mit welchem wahrhaft kindlichen Gemüt die Bundesregierung der Öffentlichkeit vorzugaukeln versucht hat, sie könnte alle ihre inneren Reformen ohne Rücksicht auf Geldwert und Konjunktur verwirklichen?
({18})
Die Bundesregierung wird jetzt mit Recht in der Öffentlichkeit auf Zweifel stoßen. Wir, die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, werden sie und ihr Programm daran messen, inwieweit es tatsächlich Stabilität, Vollbeschäftigung und reales Wirtschaftswachstum zu sichern in der Lage ist.
({19})
- Sehr geehrter Herr Wehner, wenn der „Spiegel" - ich zitiere ihn nochmals - richtig berichtet, hat bei der Kabinettssitzung am vergangenen Freitag Herr Verteidigungsminister Schmidt nach einer Kabinettsdiskussion den Antrag gestellt, der Kanzler solle doch jetzt eine Weisung an die deutsche Delegation erteilen und einmal von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen.
({20})
Nun, meine Damen und Herren, es wäre gut gewesen, wenn sich der Herr Bundeskanzler früher ein Herz gefaßt und sich früher um die Stabilitätspolitik gekümmert hätte.
({21})
Dann hätten Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank und in der Koalition, viel Schaden vom deutschen Volk abwenden können,
({22})
Schaden, den unsere Wirtschaft insgesamt zu verkraften hat und der die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft am härtesten trifft,
({23})
Schaden, meine Damen und Herren, der nicht zuletzt darin besteht, daß die deutschen Steuerzahler mit Sicherheit einige Milliarden D-Mark Spekulationsgewinne zu zahlen haben werden.
({24})
Eine rechtzeitige, umfassende und kraftvolle Stabilitätspolitik der Bundesregierung hätte die jetzige Roßkur überflüssig gemacht, hätte uns und Europa viel Sorgen und Probleme erspart.
({25})
Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Abgeordneter Junghans. Für ihn hat seine Fraktion, die Fraktion der SPD, eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben eine Rede zu dem vom Bundeswirtschaftsminister vorgetragenen Stabilitätsprogramm gehört, wie sie zu befürchten war.
({0})
Sie deckt sich auch mit der Erklärung Ihres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Barzel, daß sich die CDU/ CSU-Fraktion außerstande sieht, ihre Zustimmung zu den Beschlüssen der Bundesregierung zur Stabilisierung von Preisen und Konjunktur zu geben. Und warum? Weil z. B. die Regierung - so sagte Herr Müller-Hermann hier - die Opposition angeblich nicht genügend informiert habe.
({1})
Soweit ich unterrichtet bin, ist Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Barzel, und sind nach bestimmten Usancen auch Sie selber in den letzten Tagen fünfmal über die Lage und die geplanten Maßnahmen informiert worden.
({2})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, können Sie mir einen ähnlichen Fall unter einem CDU-Bundeskanzler einmal nachweisen?
({3})
Und nun hat Herr Müller-Hermann hier eben erklärt: Über die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen ist die Bundestagsfraktion der CDU/CSU zwar informiert worden, es hat jedoch nicht ein einziges Konsultationsgespräch stattgefunden. ({4})
Aber, meine Damen und Herren, warum waren das
denn wohl keine Konsultationsgespräche, wie Sie
hier so fein zu nur Informationsgesprächen zu unterscheiden belieben? Ich kenne Sie doch, Herr MüllerHermann und Herr Barzel.
Wer hätte Sie denn eigentlich daran gehindert, aus Informationsgesprächen Konsultationsgespräche zu machen?
({5})
Ich will Ihnen die Antwort sagen: Weil Sie keine Vorschläge zu machen hatten.
({6})
Ja, meine Damen und Herren, Sie hatten und haben in Sachen Stabilitätspolitik nichts zu bieten, und das seit Jahren.
({7})
Die CDU/CSU kann sich nicht dazu aufraffen, die Bundesregierung bei ihren Stabilitätsmaßnahmen zu unterstützen. Wie im Juli 1970 -- ich erinnere einmal daran -- versagt sie sich auch diesmal der gemeinsamen Verantwortung für die deutsche Wirtschaft und die Arbeitnehmer.
({8})
Dabei hat sie in den vergangenen Wochen von der Bundesregierung lauthals die Verabschiedung eines Stabilitätsprogramms gefordert.
({9})
Nun, da dieses Programm auch vor Ihnen auf dem Tisch liegt, tun Sie wieder das Einfachste, wie das bei Ihnen so üblich ist; mit Ausflüchten und fadenscheinigen Argumenten versuchen Sie, um eine Zustimmung herumzukommen.
({10})
Die CDU/CSU solle sich in dieser Frage vor billigem Opportunismus hüten; das hat Ihnen vor wenigen Tagen ein prominentes Mitglied Ihrer Fraktion empfohlen. Ich kann hier nur feststellen: die CDU/CSU-Fraktion hat sich nicht gehütet. Es hat doch wenig Sinn, erst ein Handeln zu fordern - Sie sagen zwar auch nicht wie, aber immerhin haben Sie gesagt, wir sollten handeln -, und dann, wenn etwas getan wird, nein zu sagen und selbst eine Antwort schuldig zu bleiben.
({11})
Sie sollten sich darüber im klaren sein, daß Sie der deutschen Bevölkerung diese Antwort schuldig sind. Aber wie ich den Ablauf dieser Debatte aus vielen Erfahrungen der letzten Monate kenne und wohl richtig einschätze, werden Sie auch diese Antwort schuldig bleiben. Trotzdem muß ich Sie noch einmal auffordern: Legen Sie Ihr Alternativprogramm zur Bekämpfung der Preissteigerung hier auf den Tisch.
({12})
Sie sollen uns jetzt ohne Ausflüchte sagen, was Sie unter außenwirtschaftlicher Absicherung verstehen, Herr Müller-Hermann. Es hat keinen Sinn, hier nur über außenwirtschaftliche Absicherung zu reden. Plädieren Sie für eine Aufwertung, wollen Sie die Einführung der Devisenzwangswirtschaft?
Herr Professor Erhard, ist das nicht krasser Dirigismus, mit dem über Nacht alles verspielt würde, wie ein weiteres prominentes Mitglied es ausdrückte? Ich finde es beinahe grotesk, daß in einer solchen Situation ausgerechnet eine Partei, die nicht müde wurde, der SPD planwirtschaftliche Neigungen zum Dirigismus vorzuhalten, solche Vorstellungen überhaupt nur erwägt und - jetzt sage ich auch das andere - aus lauter Opportunismus erwägt, solche Maßnahmen zu treffen.
({13})
Die andere Alternative ist, Sie wollen überhaupt nichts zur außenwirtschaftlichen Absicherung tun.
({14})
Dann muß ich Ihnen allerdings entgegenhalten, daß Sie durch Nichtstun die Tatsache von Devisenzuflüssen nicht aus der Welt schaffen können.
({15})
- Dazu sage ich Ihnen gleich etwas, Herr Haase. Da hat der Bundeskanzler beschlossen: ab übermorgen kommen Dollar ins Land; so denkt sich Herr Haase die Geschichte.
({16})
- Herr Haase, Sie hätten besser etwas anderes als Volkswirtschaft studieren sollen, etwas, wovon Sie was verstehen. Sie können hier doch nicht solchen Quatsch erzählen. Das können Sie doch noch nicht einmal im Kindergarten erzählen, daß die Bundesregierung für die Devisenzuflüsse verantwortlich wäre. Wem wollen Sie denn das erzählen?
({17})
Meine Damen und Herren, auch zur binnenwirtschaftlichen Seite des Konjunkturprogramms vermissen wir Ihre Alternativen. Ich frage Sie direkt: Wollen Sie die Anwendung des § 26 Stabilitätsgesetz, also Steuererhöhungen zur Abschöpfung der Kaufkraft? Das müssen Sie hier und heute sagen. Oder wollen Sie bei den öffentlichen Ausgaben noch stärker bremsen, als das die Bundesregierung jetzt schon tun will.
({18})
Wir erwarten von Ihnen Antworten, damit diese Debatte einmal so geführt werden kann, wie es
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 121. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 1 i. Mai 171 6993
dem Ernst der Sache entspricht, nämlich auf sachlicher Grundlage.
({19})
Meine Damen und Herren, die Beschlüsse, die die Bundesregierung am Wochenende gefaßt hat, sind nach unserer Auffassung ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur Wiedergewinnung der Stabilität. Wir begrüßen die Entschlossenheit, mit der die Bundesregierung wieder einmal gehandelt hat.
({20})
- Ja, wie im Herbst 1969, als die Aufwertung der D-Mark beschlossen worden ist, und wie im Juli 1970, als ein binnenwirtschaftliches Konjunkturprogramm in Kraft gesetzt worden ist, hat die Bundesregierung auch diesmal konsequent das Stabilitätsgesetz angewendet, wie die Lage es erfordert. Entsprechend dem § 4 des Stabilitätsgesetzes hat sie zur außenwirtschaftlichen Absicherung für vorübergehend den Wechselkurs der Deutschen Mark freigegeben.
Dieses sage ich jetzt mit allem Ernst, meine Damen und Herren: Wir erwarten allerdings von der Bundesbank, daß sie entsprechend ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen, Interventionen im Zeitraum der Wechselkursfreigabe - man nennt das ja neudeutsch „floating" - nur im Einvernehmen mit der Bundesregierung vornimmt.
({21})
Außerdem hat die Bundesregierung den § 6 des Stabilitätsgesetzes angewendet, der den antizyklischen Haushaltsvollzug vorsieht und den Finanzminister ermächtigt, Verwaltungsausgaben und investive Ausgaben des Bundes, die über 60 bzw. 70 % der Haushaltsansätze für 1971 hinausgehen, von seiner Einwilligung abhängig zu machen.
({22})
Im Bundeshaushalt sollen auf diese Weise Minderausgaben um 1 Milliarde DM erreicht werden - ungeachtet der Verpflichtungsermächtigung.
({23})
Die Bundesregierung hat ferner gemäß §§ 15 und 7 des Stabilitätsgesetzes beschlossen, daß der Bund die zusätzlichen Steuereinnahmen bis zu einer Hohe von 1 Milliarde DM und die Länder bis zu einer Höhe von 700 Millionen DM den Konjunkturausgleichsrücklagen zuführen. Außerdem werden gemäß §§ 19 und 20 des Stabilitätsgesetzes die Kreditaufnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden für 1971 begrenzt.
Ich möchte für meine Fraktion hier erklären, daß wir dieses Konjunkturprogramm für ausgewogen halten.
({24})
Es ist flexibel und entspricht damit der (gegenwärtigen Situation, die durch Unsicherheit über die weitere Konjunkturentwicklung gekennzeichnet ist.
Mit dem außenwirtschaftlichen Teil ist eine Maßnahme getroffen worden, die die spekulativen Devisenzuflüsse eindämmt und auch nach innen die Preis- und Lohnerwartungen dämpft. Wir schaffen damit die Voraussetzungen dafür, daß die Bundesbank wieder stabilitätsorientierte Geldpolitik treiben kann. Durch den binnenwirtschaftlichen Teil des Programms werden für die gesellschaftlichen Gruppen neue und deutlich sichtbare Daten gesetzt.
Dieses Stabilitätsprogramm ist eine gute Sache. Es wird uns unserem Ziel ein Stück näherbringen. Ich möchte aber davor warnen, hiervon eine sofortige Wiederherstellung der Preisstabilität zu erwarten. Preisstabilität - und ich habe das von diesem Platz aus häufiger betont - kann nicht von heute auf morgen wiedererlangt werden.
({25})
Die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen schaffen aber die Voraussetzungen dafür, daß wir wenn alle gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik dieses Ziel gemeinsam verfolgen im Laufe dieses Jahres einen Umschwung in der Entwicklung einleiten.
Eines aber möchte ich noch deutlich machen: So wichtig für uns die Wiedergewinnung der Preisstabilität ist - ein Spiel mit der Vollbeschäftigung gibt es für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hierbei nicht.
({26})
Die beschlossenen Maßnahmen sind so dosiert, daß eine Gefahr für die Vollbeschäftigung daraus nicht entstehen kann.
Wenn Sie, Herr Müller-Hermann, - und Herr Barzel hat es ja auch schon gemacht - glauben, hier wieder eine alte Verunsicherungstaktik anwenden und die Gefährdung der Arbeitsplätze an die Wand malen zu müssen, dann weiß die deutsche Bevölkerung hoffentlich, was sie davon zu halten hat. Nach dem Aufwertungsbeschluß 1969 - ich habe es hier oft genug zitiert, ich will es Ihnen aber immer wieder vorhalten - haben Sie sich hier bemüht, Kassandra zu spielen, und haben prophezeit, daß die deutsche Wirtschaft wie Sie sich ausdrückten - mit dem Klotz einer überzogenen Aufwertung am Bein nicht lebensfähig sein würde. So ähnlich argumentieren Sie heute wieder bei der Freigabe des Wechselkurses. Die Entwicklung ist damals über Sie hinweggegangen, und jeder weiß, daß sie auch heute über Sie hinweggehen wird.
Meine Damen und Herren von der Opposition, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß ohne die Aufwertung 1969 die Preissteigerungen in der Bundesrepublik um ein paar Prozent höher gelegen hätten.
({27})
- Um 2 bis 3 %! Das haben Ihnen Fachleute gesagt,
das hat Ihnen Herr Blessing gesagt, das haben Ihnen
alle gesagt. Wir lägen heute bis 6 bis 7 % und
nicht 1 % unter dein internationalen Durchschnitt, wenn wir damals diese Sache nicht gemacht hatten. Die deutsche Bevölkerung täte also gut daran, auf diese falschen Propheten aus Ihren Reihen nicht mehr zu hören.
({28})
Wir wissen natürlich, daß es der Bundesregierung nicht leicht gefallen ist, die Entscheidung über diese Konjunkturmaßnahmen zu treffen. Dies gilt für die Freigabe des Wechselkurses, die von unseren europäischen Partnerländern Verständnis für unsere Lage verlangt hat. Dies gilt aber insbesondere auch für die binnenwirtschaftlichen Maßnahmen, die von uns wieder Opfer bei den öffentlichen Investitionen verlangen. Der weltweite Preisauftrieb und die Devisenspekulation, die ihre Ursache in der Dollarschwäche hat, haben der Bundesregierung aber keine andere Wahl gelassen, als hier und heute noch einmal ein deutliches Zeichen zu setzen. Um so mehr verdient die Entscheidung der Bundesregierung unseren Respekt. Ich möchte, hier für meine Fraktion erklären, daß wir die Bundesregierung bei der Durchführung dieses Stabilitätsprogramms voll unterstützen werden.
({29})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber auch nicht versäumen, namens meiner Fraktion dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, aber - und ich sage aber - insbesondere auch dem Herrn Bundesaußenminister Scheel zu danken für die zähe und innerhalb des Möglichen erfolgreiche Verhandlungsführung in Brüssel.
({30})
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ein Wort an die Opposition! Ich halte es für unerträglich, daß Sprecher der CDU/CSU kurz vor und während der für uns entscheidenden Verhandlungen in Brüssel Erklärungen abgaben, die der Bundesregierung wahrheitswidrig die Schuld an den Ereignissen der letzten Monate anlasten wollten.
({31})
Sie haben damit der deutschen Verhandlungsposition schwer geschadet
({32})
- ich sage das freimütig -, statt, wie es in anderen Ländern üblich ist und wie es der politische Stil auch in diesem Hause als selbstverständlich erfordern sollte, die Bundesrepublik bei internationalen Verhandlung unterstützen. Sie haben damit, meine Damen und Herren von der Opposition, dieselbe Methode des politischen Kampfes um jeden Preis angewendet, die wir in der Ostpolitik ja seit anderthalb Jahren von Ihnen kennen.
Meine Damen und Herren, die Ereignisse der letzten Woche, der Dollarzustrom in die Bundesrepublik und die schwierigen Verhandlungen in Brüssel mit
unseren EWG-Partnern, haben der Bevölkerung in unserem Lande deutlich gemacht, wo die Hauptursachen für die Preissteigerungen liegen, die wir seit einiger Zeit erleben.
({33})
Sie sind eben zum überwiegenden Teil nicht durch
eine binnenwirtschaftliche Überbeanspruchung- ({34})
- Herr Müller-Herrmann, schauen Sie sich einmal die Kapazitätsauslastung der Industrie an.
({35})
Es kann von einer binnenwirtschaftlichen Überbeanspruchung des Produktionsapparates keine Rede mehr sein.
({36})
Die Preissteigerungen sind also nicht mehr überwiegend hausgemacht, wie es die letzten Wochen gezeigt haben.
({37})
Wir stimmen in der Beurteilung mit den Sachverständigen und den Konjunkturinstituten überein: Es waren zum überwiegenden Teil Ursachen, deren Beseitigung nicht in der Macht der Bundesregierung liegt. Ich meine hiermit die Tatsache, daß wir seit einigen Jahren im westlichen Ausland eine Preissteigerungswelle erleben, die sich ständig verstärkt hat, und daß als Folge davon das Auslandsgeld immer stärker in die relativ preisstabile Bundesrepublik drängt.
({38})
Es ist doch offensichtlich, daß die Bundesrepublik als eine der größten Handelsnationen der Welt, die mit diesen Ländern wirtschaftlich eng verflochten ist, immer wieder vor der schwierigen Frage steht, wie sie sich dagegen abschirmt.
Besonders die Ereignisse der letzten Wochen auf dem internationalen Geld- und Devisenmarkt haben aber auch deutlich gemacht, wie dringend notwendig eine Reform des internationalen Währungssystems ist. Wie es gegenwärtig aussieht, werden wir uns vorläufig damit abfinden müssen, in einer Welt zu leben, die es mit der Preisstabilität nicht so ernst meint wie wir. Das ist sicherlich bedauerlich, da in einer Welt, in der die Währungen frei konvertibel sind, immer auch der in Mitleidenschaft gezogen wird, der sein eigenes Haus in Ordnung hält.
Eines sollte doch klar sein, das sollten auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU zum Kenntnis nehmen: daß die Dollars ausgerechnet in die Bundesrepublik geflossen sind, ist doch kein Zeichen dafür, daß die D-Mark eine besonders schlecht€ Währung ist.
({39})
Umgekehrt, es ist doch ein Zeichen dafür, daß die
D-Mark im internationalen Vergleich als besonders
harte Währung gilt. Wir haben doch keine D-MarkKrise, es gibt eine Dollar-Krise. Bei allen Komplikationen, die sich daraus ergeben könnten, sollten wir das nicht vergessen.
Die Verhandlungen in Brüssel sollten unserer Bevölkerung aber auch klargemacht haben, daß die Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik nicht mehr so selbständig handeln kann wie vor einigen Jahren. Wir befinden uns auf dem Weg zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, und die Bundesrepublik muß daher ihre außenwirtschaftlichen Entscheidungen mit ihren EWG-Partnerländern abstimmen. Wir bedauern, daß es nicht möglich war, mit den anderen Ländern zu einer gemeinsamen Stabilitätsaktion zu kommen. Dieses wäre zweifelsohne wer will das bestreiten? - die beste Lösung gewesen. Wir begrüßen jedoch, daß die Brüsseler Beschlüsse der Bundesrepublik den Spielraum gegeben haben, allein zu handeln, und daß sich auch noch andere angeschlossen haben. Wir stellen fest, daß die Bundesregierung diesen Handlungsspielraum im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entschlossen ausgeschöpft hat.
Lassen Sie mich hinzufügen - und darin unterstützen wir den Herrn Bundeswirtschaftsminister -, wir müssen unentwegt an der Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft arbeiten. Dies wird ein sehr schwieriges und langwieriges Geschäft. Das gilt insbesondere für die zu schaffende Wirtschafts- und Währungsunion. Es muß aber zugleich - auch darin unterstützen wir den Herrn Bundeswirtschaftsminister - Vorsorge getroffen werden, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht zu einer Inflationsgemeinschaft wird. Das liegt im deutschen Interesse.
Meine Damen und Herren, wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir die Entwicklung der Preise in der letzten Zeit für besorgniserregend halten. Es besteht aber kein Grund zur Panik. Die Bundesregierung hat gehandelt und damit neue Zeichen gesetzt.
({40})
Jetzt ist jeder, der es mit seinen Erklärungen zur Preisstabilität ernst meint, in seiner Verantwortung angesprochen.
({41})
Das gilt für alle gesellschaftlichen Gruppen. Das gilt selbstverständlich auch für die Tarifvertragsparteien, die erkennen müssen, daß solche Spielräume für die Preis- und Lohnpolitik, wie es sie 1970 gegeben hat, nicht mehr der gegenwärtigen Konjunkturlage entsprechen. Wir begrüßen daher die Erklärung des Präsidenten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Herrn Otto A. Friedrich, daß die Arbeitgeber bereit sein müßten, durch äußerste solidarische Preisdisziplin einen Stabilitätsbeitrag zu leisten.
({42})
Wir begrüßen genauso die Erklärung des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschchaftsbundes,
Herrn Vetter, daß die Gewerkschaft ihre Antwort nicht schuldig bleiben würde.
({43})
- Herr Barzel, daß jetzt jeder in seiner Verantwortung angesprochen wird, gilt aber auch für die Opposition.
({44})
An Sie, . meine Damen und Herren von der Opposition, möchte ich daher den dringenden Appell richten, auch in Ihrer Politik das Interesse der Gesamtheit obenanzustellen und uns in unseren Anstrengungen zur Wiedergewinnung der Preisstabilität zu unterstützen.
({45})
Es kann doch in dieser für uns alle wichtigen Frage nicht erstes Ziel der Opposition sein, der Bundesregierung so viel Schwierigkeiten wie möglich zu machen. Jetzt geht es doch darum, daß wir die Lage gemeinsam meistern. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie dienen der Sache nicht, wenn Sie wie im Juli - die Verantwortung einer Entscheidung scheuen und sich der Stimme enthalten. Sie dienen der Sache aber auch nicht, wenn Sie nur nein sagen und keine reale Alternative auf den Tisch legen.
({46})
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes. Seine Fraktion hat 30 Minuten Redezeit für ihn beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt die Beschlüsse der Bundesregierung zur Stabilisierung der Wirtschaftslage in der Bundesrepublik.
({0})
- Herr Kollege Rasner, diese Feststellung bitte ich zugleich als eine erste Antwort auf die Ausführungen des Kollegen Müller-Hermann aufzufassen, der mir, als ich die eine oder andere Passage seiner Rede hörte, als eine Art Lohengrin der Opposition vorkam. Streckenweise schien seine Rede unter dem schönen Motto zu stehen: „Nie sollst du mich befragen."
({1})
Die Preisauftriebstendenzen in den letzten Monaten haben den Anstoß dazu gegeben, die von den Koalitionsfraktionen verfolgte Stabilitätspolitik
({2})
noch einmal zu überprüfen und aus dieser Überprüfung die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
({3})
- Wir müssen heute feststellen, Herr Kollege Leicht,
daß die auf die Erhaltung der Stabilität unserer
Währung abgestellten Bemühungen der Bundesregierung und auch der deutschen Notenbank
({4})
in erheblichem Umfang mit der Refinanzierung auf dem Eurodollarmarkt durch einen Teil der Wirtschaft unterlaufen worden sind.
({5})
Hier zeigt sich sehr deutlich, daß ein betriebswirtschaftlicher Nutzen, der legitim in dieser Einstellung der Wirtschaft lag, nicht immer mit einem volkswirtschaftlichen Gewinn gleichzusetzen ist. Dieser Satz gilt umgekehrt genauso.
({6})
- Herr Kollege Leicht, ich fange ja erst an. Warten Sie doch bitte etwas ab, und wenn dann noch Fragen offen sind, stehen außer mir auch noch andere Kolleginnen und Kollegen bereit, Ihre Fragen zu beantworten.
Die Aufnahme kurzfristiger Kredite im Ausland in der Größenordnung von 16 bis 18 Milliarden DM hat zusätzlich zu einer außergewöhnlichen Aufblähung der inländischen Geldmenge geführt, bei der ein stabilitätsorientiertes Wachstum einfach nicht mehr möglich war.
Dazu kam die Spekulation. Lassen Sie mich dazu eines in aller notwendigen Offenheit sagen. Diese Spekulation wurde mit angelockt durch ein manchmal kaum noch zu ertragendes Gerede, das von Zeit zu Zeit meiner Ansicht nach sogar in ein Geschwätz ausartete, das nicht mehr zu verantworten war.
({7})
Mit der Freigabe der Wechselkurse haben Bundesregierung und Bundesbank ein Signal gesetzt, das die Voraussetzungen dafür schafft, daß nunmehr die auf Wiederherstellung der Stabilität gerichteten übrigen Maßnahmen greifen können.
Die FDP-Bundestagsfraktion dankt in diesem Zusammenhang den deutschen Vertretern im EWG-Ministerrat für ihren Einsatz und für den Erfolg, den sie dabei erzielt haben.
({8})
Außenpolitisch geht es jetzt darum, die Freigabe der Wechselkurse nicht zu einer wesentlichen Belastung der EWG auswuchern zu lassen. Daher wird die Bundestagsfraktion der Freien Demokraten alle Bemühungen unterstützen, die auch nur die geringste Chance haben, daß es doch noch zu gemeinsamen währungspolitischen Schritten aller EWG-Partner kommt.
Wir erkennen in diesem Zusammenhang die besondere Interessenlage Frankreichs und auch die besondere Interessenlage Italiens an. Wir beachten deshalb auch um so mehr, daß es gelungen ist, eine
auch der Interessenlage der Bundesrepublik entsprechende Lösung im EWG-Ministerrat zu finden.
Daran knüpft sich die Hoffnung, aber auch der Wille, daß auch der deutschen Landwirtschaft die ihr zustehende Hilfe voll zuteil wird. Ich will dieses Thema heute und hier mit Rücksicht auf die Verhandlungen, die, wie Sie wissen, zur Zeit geführt werden, nicht vertiefen.
Aber ich möchte auch eines sagen, Kollege MüllerHermann. Sie haben nicht allein das Recht für sich gepachtet, Sorge zu tragen für unser Volk und für Gruppen dieses Volkes. Wir fühlen uns dem genauso verpflichtet.
({9})
Die Freigabe der Wechselkurse ist eine vorübergehende Maßnahme, die sich in einer besonderen Situation als notwendig und unausweichlich aufgedrängt hat. Sie soll, langfristig gesehen, nicht zu einer Änderung der Paritäten führen. Die alte Parität kann jedoch um so eher wiederhergestellt werden, je schneller die von der Bundesregierung beschlossenen zusätzlichen konjunkturpolitischen Maßnahmen ziehen und je schneller das heiße Geld wieder ins Ausland abfließt. Dabei können uns unsere Partner, die wir in der Welt haben, wertvolle Hilfe leisten. Ich denke dabei nicht zuletzt auch an die Vereinigten Staaten von Amerika.
Die FDP-Fraktion bekundet ihre besondere Genugtuung darüber, daß die Bundesregierung nicht den § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes in der Form einer Devisenbannwirtschaft oder, wenn Sie wollen, auch einer Devisenzwangsbewirtschaftung anwenden wird.
({10})
Denn das wäre ein erheblicher dirigistischer Eingriff in unser marktwirtschaftliches System, ein Eingriff - davon bin ich fest überzeugt -, der eine Kette von weiteren unerfreulichen Reaktionen nach sich ziehen müßte. Das gilt besonders auch angesichts der negativen Erfahrungen, die andere europäische Staaten mit ihren dirigistischen Methoden gemacht haben.
Die Nichtverzinsung der Einlagen Gebietsfremder ist meines Erachtens nicht im eigentlichen Sinne des Wortes unter dem Begriff „Dirigismus" einzuordnen.
({11})
Die Marktwirtschaft muß - davon sind wir fest überzeugt - mit marktkonformen Mitteln in Ordnung gehalten werden. Der unmittelbare dirigistische Eingriff mit Hilfe des § 23 in das marktwirtschaftliche System ist aber nicht mehr marktkonform.
({12})
- Das gilt auch für alle jene Vorschläge, Herr Kollege Müller-Hermann, die in das Tarifgeschehen mit Zwangsmitteln eingreifen, d. h. die die Tarifautonomie aufheben wollen. Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Burgbacher?
Bitte, sehr verehrter Herr Professor.
Herr Kollege Mertes, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum wohl die Bundesrepublik mit 13 oder 14 Milliarden Dollar mit Abstand von allen anderen Ländern der freien Welt den Hauptanteil an den 50 Milliarden Dollar, die außerhalb der USA herumgeistern, gehabt hat, während die anderen Länder 3 bis 5 Milliarden hatten?
Sind Sie nicht der Meinung, daß, wenn wir 3 oder 5 Milliarden wie die anderen Länder hätten, die Debatte zu diesem Thema heute gar nicht stattfinden würde?
Meinen Sie nicht, man müßte sich überlegen, wie man Wiederholungen endgültig ausschließt, - auch auf die Gefahr hin, daß Sie die Maßnahmen mit dem „Freiheitsbewußtsein" abqualifizieren, daß Sie gerade so eindrucksvoll dargestellt haben?
Herr Kollege Burgbacher, wenn Sie Ihre Frage anders eingeleitet hätten, würde ich mit viel mehr Freude darauf antworten. Aber ich will Ihnen folgendes sagen. Wenn der Dollarzustrom in der Tat in dieser Größenordnung zu verzeichnen
(BI ist, dann - so möchte ich meinen - ist das darauf zurückzuführen, daß im Ausland trotz allem, was wir hier beklagen, immer noch ein kolossales Vertrauen gegenüber der Deutschen Mark, gegenüber der deutschen Wirtschaft in ihrer Gesamtheit und gegenüber dieser Bundesregierung vorhanden ist.
({0})
Ich war bei der Tarifautonomie - ich darf vielleicht zunächst einmal fortfahren - und habe festgestellt, daß wir auch keinen dirigistischen Einfluß auf diesen Sektor haben wollen. Die FDP-Fraktion lehnt auf Grund ihrer liberalen Grundhaltung jeden Eingriff in die Tarifautonomie oder gar die Beseitigung der Tarifautonomie ab. Das möchte ich mit aller Klarheit festgestellt haben.
({1})
Die FDP-Fraktion ist auch nicht gewillt, als Folge staatlicher Zwangsmittel die Bildung grauer oder schwarzer Märkte zu fördern. Staatlich verordneter Lohn- oder Preisstopp ist kein Mittel zur Sicherung der Preisstabilität. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig.
Das soll aber nicht bedeuten, daß wir damit auf die Herausgabe von Orientierungsdaten für die Lohn- und Preisentwicklung durch die Bundesregierung verzichten wollen. Wir sind vielmehr der Ansicht, daß derartige Orientierungsdaten für die Tarifpartner und für die Entscheidungen der Tarifpartner von unersetzlichem Wert sind. Dabei müssen sie aber in freier Verantwortung und im Bewußtsein aller Konsequenzen, die sich daraus ergeben, ihre Entscheidungen selbst treffen.
({2})
Vor diesem Hintergrund würde die FDP-Fraktion den Abschluß eines „Stabilitätspakts" zwischen den Tarifvertragsparteien, wie es der Bundeswirtschaftsminister einmal formuliert hat, begrüßen.
Meine Damen und Herren, die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, wie schnell manch einer beim Auftreten der ersten Schwierigkeiten bereit ist, bestimmte Grundpositionen der Marktwirtschaft zu opfern, wenn es gilt, in einer schwierigen Situation schmerzhafte und auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen und gravierende Einschnitte vorzunehmen.
({3})
Dennoch hat sich die Bundesregierung im vollen Bewußtsein aller möglichen Härten entschlossen, eine Anzahl von Maßnahmen zu ergreifen, die die Chance in sich bergen, in einer Welt der inflationären Entwicklung unserem eigenen Land die Stabilität der Preise wieder zurückzugeben und die Konjunktur in ein flacheres Fahrwasser einmünden zu lassen.
Wir wissen, daß in der Bevölkerung unseres Landes ein starkes Stabilitätsbewußtsein verankert ist, und zwar, wie ich meine, Herr Professor Erhard das sage ich auch in aller Offenheit, weil ich Sie hier vor mir sehe , nicht zuletzt dank Ihres persönlichen Wirkens in früheren Jahren. Daher wird lieber ein niedrigerer Anstieg der Löhne als die ständige Sorge z. B. um den Wert der Sparguthaben hingenommen. Hierin zeigt sich aber auch, daß die Politik der Bildung breitgestreuten Vermögens ihre Früchte trägt und die Stabilitätspolitik selbst unterstützt. Es zeigt sich also, daß die Vermögenspolitik an sich auch ein Stabilitätsfaktor ist.
({4})
Wir dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in anderen Ländern solche für die Marktwirtschaft günstigen Voraussetzungen häufig nicht bestehen und daß nicht in allen Ländern Westeuropas so starke Kräfte an der Erhaltung der Marktwirtschaft interessiert sind, wie das bei uns erfreulicherweise der Fall ist. Für uns Liberale bedeutet die soziale Marktwirtschaft die Garantie der Freiheit des einzelnen - man kann das nicht oft genug betonen -, und wir sind bestrebt, diesen Freiheitsraum des einzelnen ständig zu erweitern und nicht zuzulassen, daß er jemals wieder eingeengt wird. Wir hätten es begrüßt, meine Herren von der Opposition, wenn es im vergangenen Jahr gelungen wäre, eine gemeinsame Linie in der Konjunkturpolitik zwischen Regierung, Regierungsfraktionen und Opposition herzustellen, weil wir der Ansicht sind, daß unsere soziale Marktwirtschaft stets von allen Fraktionen dieses Bundestages und darüber hinaus von der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik verteidigt werden muß und daß es unverrückbare Positionen gibt, die es über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam zu erhalten gilt.
Wir haben jedoch zu unserem Bedauern in den letzten Monaten den Eindruck gewonnen, daß der Opposition mehr daran gelegen war, kurzfristige parteitaktische oder auch wahltaktische Erfolge zu erzielen,
({5})
als durch die Formulierung praktischer Vorschläge das gemeinsame Anliegen zu unterstützen.
({6})
Die Treibjagd in die Inflationsangst und in eine völlig ungerechtfertigte Angst vor dem Verlust des Eigentums sowie die Errichtung des Phantoms der Wirtschaftsfeindlichkeit dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen nützt niemandem etwas, auch nicht der Opposition, die wohl gehofft hat, dadurch mit bedenklichen Mitteln wieder an die Spitze des Staates zu gelangen.
({7})
Das ist kein faires politisches Spiel, meine Damen und Herren von der Opposition, und die Früchte müssen in diesem Fall sehr, sehr bitter sein.
({8})
Diese Regierungskoalition hat im vorigen Jahr alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen, um die aus den Fugen geratene Hochkonjunktur des Jahres 1969, Herr Kollege Müller-Hermann, wieder in den Griff zu bekommen; denn da begann die Geschichte, wenn Sie sich freundlicherweise einmal zurückerinnern wollen.
({9})
- Herr Kollege Leicht, die Opposition und Sie insbesondere als Vorsitzender des Haushaltsausschusses wissen, wie eng der Handlungsspielraum für die Bundesregierung bei der Reduzierung der Haushaltsausgaben ist.
({10})
Nichtsdestoweniger hat die Regierungskoalition, Herr Kollege Leicht, aus der Verpflichtung gegenüber dem Stabilitätsgesetz alle nur möglichen Haushaltsmittel eingespart und dazu auch Massenkaufkraft stillgelegt.
({11})
Bei der letzten Maßnahme hatten Sie auch keine Alternative. Sie konnten nicht sagen: Das, was gemacht wird, ist falsch. Nein, Sie haben sich verschämt der Stimme enthalten.
({12})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Kollegen Leicht?
Bitte sehr!
Wären Sie so freundlich, Herr Kollege Mertes, sich die 14 Anträge, die von uns zum Haushalt 1970 und 1971 gestellt und von der Regierungskoalition niedergestimmt worden sind, einmal daraufhin anzusehen, ob nicht ein Teil davon schon genau das beinhaltet hat, was die Regierung jetzt, zum Teil nur in geringerem Umfang, vornimmt?
({0})
Herr Kollege Leicht, Sie mögen die Zahl 14 vielleicht als quantitativ ausreichend ansehen. Ich muß Ihnen sagen: qualitativ enthielten Ihre 14 Anträge nicht sehr viel.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte zunächst in meinen Ausführungen fortfahren.
({0})
- Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Es ist noch
gar nicht so lange her, daß Herr Müller-Hermann die Beantwortung aller Zwischenfragen abgelehnt hat. Wir sind noch nicht am Ende der Debatte. Sie können hier am Rednerpult ja Farbe bekennen. Niemand würde sich darüber mehr freuen als ich, wenn Sie dabei zu konstruktiven Vorschlägen kämen. Aber ich glaube, dazu sind Sie auch heute nicht in der Lage. Sie wollen mit einem Aufwand von Worten, denen oft der entsprechende Inhalt fehlt, über diese für Sie peinliche Tatsache hinwegtäuschen.
({1})
Die Regierungskoalition beweist im Gegensatz zu Ihrem Verhalten und zu Ihrer Politik, meine Damen und Herren von der Opposition, auch in dieser Stunde wieder ihren Sinn für die Realität, wenn sie zuerst die Ausgaben beim Bund selbst und dann - ich möchte sagen - als selbstverständliche Konsequenz die Ausgaben im gesamten Staat, d. h. auch bei den Ländern und Gemeinden, einzuschränken versucht.
Wir sind uns dabei der Härte dieser Maßnahmen völlig bewußt, und wir wissen, daß dadurch insbesondere auch diejenigen Wirtschaftszweige getroffen werden, die vom Staat und dessen Funktion als Nachfragemonopolist abhängig sind. Wir müssen dennoch diesen Weg gehen, um wieder zu stabilen Preisen zurückzufinden, und wir werden die Preisstabilität wiederherstellen.
({2})
Das Bündel von Maßnahmen, das die Bundesregierung zu diesem Zweck anbietet, beweist, wie ernst
es ihr bei ihrem konjunkturpolitischen Bemühen ist.
Zur Zeit liegen bei der Deutschen Bundesbank Mittel in Höhe von 3 Milliarden DM aus der Konjunkturausgleichsrücklage, 4,1 Milliarden DM aus dem Konjunkturzuschlag zur Einkommensteuer sowie die hohen laufenden Guthaben von Bund und Ländern in Höhe von etwa 3,4 Milliarden DM.
({3})
- Herr Kollege Leicht, diese insgesamt 10,5 Milliarden DM, zu denen jetzt noch auf Grund der neuesten Beschlüsse der Bundesregierung eine weitere Geldabschöpfung tritt, werden gewährleisten, daß jeder außen- oder binnenwirtschaftlich bedingte Konjunkturrückgang im Griff gehalten werden kann.
Wenn man dazu noch die Erweiterung des Handlungsspielraums der Bundesbank als Folge der Freigabe der Wechselkurse hinzuzieht, können wir, so meine ich, zu Recht sagen, daß die Regierungskoalition über ein Instrumentarium verfügt, wie wir es noch in keiner konjunkturellen Situation gehabt haben. Damit ist die Sicherheit gegeben, daß sowohl das Ziel der Preisstabilität erreicht als auch ein übermäßiges Abgleiten der Konjunktur in eine Rezession verhindert werden kann.
Es gibt, auch wenn man das hier und da jetzt aus den verschiedensten Quellen hört, keine Gefährdung der Arbeitsplätze, es sei denn - diese Einschränkung ist notwendig -, daß bei den Beteiligten das Augenmaß für das verlorengeht, was in der Kalkulation kostenbezogen ist.
Die im Augenblick wichtigste Aufgabe wird es sein, die kurzfristig in der Bundesrepublik angelegten Mittel aus den Eurodollargeschäften wieder zum Abfluß ins Ausland zu veranlassen. Was die ausländische Spekulation betrifft, so bin ich der Meinung, daß sie sich diesmal ganz einfach verrechnet hat. Spekulation ist ein legitimes Mittel, um Geld zu verdienen. Sie kann ein ausgleichender Faktor sein; sie kann aber auch, wie wir es nun schon mehrfach erlebt haben, für ein Währungssystem voller Gefahren sein. Dann liegt es im legitimen Interesse des Staates, sich dagegen durch entsprechende Maßnahmen zu schützen. Dies ist durch die vorübergehende Aufhebung der Ankaufspflicht und die darauffolgende Freigabe der Wechselkurse geschehen.
Daß sich die Spekulation diesmal insgesamt verrechnet hat, liegt einfach daran, daß im Gegensatz zu 1968 und 1969 Bundesbank und Bundesregierung nicht vor der Notwendigkeit stehen, eine Aufwertung vornehmen zu müssen. Das ist von der Spekulation anscheinend übersehen worden. Ich halte es deshalb für außerordentlich wahrscheinlich, daß das in die Bundesrepublik eingeströmte heiße Geld schon in relativ kurzer Zeit wieder abfließt.
Ich fasse zusammen: Die Regierung und die Regierungskoalition haben in dieser Stunde erneut ihre Entschlossenheit bewiesen, unter zeitweiliger Zurückstellung wichtiger Vorhaben - das muß man hinzufügen, damit keine falschen Eindrücke entstehen - der Preisstabilität den obersten Rang einzuräumen. Die Opposition ist demgegenüber weiterhin zerstritten und kann sich auf kein klares Konzept einigen.
({4})
Sie lamentieren jetzt nach altbewährter Art über angebliche Gefahren, die die Maßnahmen der Bundesregierung und der Bundesbank für den Konjunkturverlauf haben könnten, nachdem Sie noch vor wenigen Tagen die Regierungskoalition zum Handeln aufgefordert haben. Die Alternativen von der Opposition sind aber nach wie vor nicht sichtbar. Ich frage mich deshalb was wäre wohl geschehen, wenn die jetzige Opposition in diesem Zeitpunkt in der Regierungsverantwortung gestanden hätte?
({5})
Ich meine, es ist an der Zeit, daß auch die Bürger im Lande und die deutsche Wirtschaft sich diese Frage stellen
({6})
und sich auch eine Antwort darauf geben.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand hat behauptet - und es kann wohl auch nicht gut behauptet werden -, daß die Regierung nicht gehandelt habe. Die Opposition versucht nachzuweisen, daß die Regierung nicht rechtzeitig gehandelt habe, und vielleicht werden wir dazu auch noch Gewichtigeres hören, als im ersten Beitrag der Opposition heute dazu zu hören war. Jedenfalls hat die Regierung nicht interessengebunden gehandelt, sie hat auch nicht isoliert gehandelt. Sie hat, so gut sie es versteht - ({0})
- Ja, aber was spricht für eine Überheblichkeit daraus, wenn man aufmuckt gegen die Demut eines Menschen mit politischer Verantwortung,
({1})
der sagt: jeder kann dem, was richtig ist, nur so nahe wie möglich kommen.
({2})
Mit dieser bewußten Einschränkung sage ich: die Regierung hat das Wohl des Ganzen im Auge gehabt, wie es ihre Pflicht ist. Ich habe am Sonntagabend gesagt und sage es auch hier: zwar sollten alle wissen, daß es für uns keine Insel der Stabilität gibt, aber bei allen Abhängigkeiten, in die wir eingebunden sind, darf es keinen Zweifel geben, daß wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und unserer Verantwortlichkeiten alles tun wollen und müssen, um das jeweils erreichbare Maß an Stabilität zu erreichen.
({3})
Wir brauchen mehr Stabilität. Die außenwirtschaftliche Absicherung reicht nicht aus, sie muß durch interne Anstrengungen ergänzt werden. Ich spreche bewußt zunächst nicht von der außenwirtschaftlichen Absicherung, sondern von diesem Aspekt unserer Politik.
Verehrte Kollegen, wer den dringenden Bedarf an öffentlichen Investitionen und Dienstleistungen und unsere Einstellung zur Frage der Infrastruktur, der Sozialleistungen und der Gemeinschaftsaufgaben kennt, der wird ermessen können, daß es uns nicht
leicht gefallen ist, ein - relativieren Sie es in der
Debatte; das kann Ihnen niemand verwehren -,
Mehr-Milliarden-Paket zu schnüren. Das ist, gemessen an subjektiven Erwartungen und an objektiven Notwendigkeiten in diesem Volk, ein Opfer. Dieses Opfer ist notwendig, weil es auch dazu gehört, wenn man mehr Preisstabilität erreichen will, und ich kann es nicht hinnehmen, daß dieser Beitrag, dieses Opfer, wie ich es noch einmal nenne, bagatellisiert wird. Wer das tut, der schwächt von vornherein ein aus mehreren miteinander verzahnten Elementen bestehendes Programm, das im Interesse der Gesamtheit erforderlich ist.
Alle Anstrengungen des Staates wären jedoch vergeblich, wenn sie nicht von den Frauen und Männern im Lande verstanden und wenn sie nicht in entscheidendem Maße von den großen sozialen Gruppen unterstützt würden. So kann ich nur hoffen, daß hier im Deutschen Bundestag und überall, wo es gehört werden soll, folgendes klar verstanden wird: Die Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft; ich meine, daß es dabei bleiben muß.
({4})
Aber ich sage auch in allem Freimut, daß dieser Autonomie die Verantwortung der Beteiligten für das Gesamtwohl entsprechen muß. Dies ist keine selbstgerechte und keine einseitige Mahnung. Worauf es ankommt, ist, daß sich jeweils beide Seiten bemühen, ihrer Verantwortung bewußt zu sein, daß sie durch adäquate, inhaltlich zueinander passende Maßnahmen die Anstrengungen um mehr Stabilität nachdrücklich unterstützen. Anders geht es nicht. Dies ist keine Verkleisterung von Interessengegensätzen, die in einer freiheitlichen Gesellschaft ausgetragen werden müssen. Dies ist auch kein Festschreiben von Gegebenheiten, die der Verwirklichung des demokratischen und sozialen Bundesstaates als Auftrag des Grundgesetzes noch im Wege stehen, sondern dies ist eine aktuelle und dabei sehr ernste Mahnung.
Kein Zweifel, die Freigabe der Wechselkurse bedeutet für zahlreiche Unternehmen einen nicht unerheblichen Kostendruck. Zu starke Steigerungen der Lohnkosten könnten in dieser Phase die Gefahr der Unterbeschäftigung hervorrufen.
({5})
Deshalb erschiene es mir sinnvoll, wenn jetzt bei Preisen und Lohnkosten eine Art Konsolidierungspause ernsthaft in Erwägung gezogen würde. Ich sage dies als einer, der sich vor einseitigen Urteilen oder gar Anklagen hütet. Und ich bin auch jetzt,
meine verehrten Damen und Herren, auf keinen Fall bereit, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zum Sündenbock zu machen oder machen zu lassen.
({6})
Doch muß ich auf folgendes hinweisen. So erfreulich es ist, daß die Realeinkommen im vorigen Jahr stärker gestiegen sind als in jedem anderen Jahr seit der Währungsreform - das ist eine Tatsache -, so sehr müssen wir die Gefahr sehen, daß bei einer ausufernden Kostenentwicklung ein wirtschaftlicher Rückschlag auf uns zukommen kann.
({7})
Dem gilt es vorzubeugen. Inzwischen haben wir alle, ob Opposition oder Regierung, auch die Sorgen zu bedenken, denen viele Sparer und Rentner in unserem Volk ausgesetzt sind.
({8})
Deshalb bitte ich die großen gesellschaftlichen Gruppen in unserem Volk um ihr überdenken der Lage,
({9})
um ihre Aufgeschlossenheit und Mithilfe. Mit der Preis-Lohn- und Lohn-Preis-Spirale ist der großen Masse nicht gedient. Deshalb meine Bitte, über ein möglichst stabilitätspolitisches Verhalten ernsthaft nachzudenken; denn mehr Stabilität wird dem ganzen Volk zugute kommen.
Stabilität erfordert, daß wir alle in manchem zunächst zurückstecken müssen, um eine bessere Ausgangslage für die weitere Entwicklung zu sichern.
({10})
Wir müssen verschiedene Interessen abwägen, dabei aber zu einer einheitlichen Linie finden. Lassen Sie mich ganz offen - über diesen Saal hinaus - sagen: diese einheitliche Linie finden wir nicht dadurch, daß wir am Arbeitsplatz höhere Löhne, am Familientisch niedrigere Preise und am Stammtisch niedrigere Steuern fordern. Diese drei Dinge gehen im Verhältnis zueinander nicht auf.
({11})
Mit Übertreibungen ist in diesem Lande niemandem gedient, und übersteigerte Polemik wird sich auch nicht auszahlen.
({12})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man wird unserem Volk ohnehin nicht einreden könen, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland plötzlich seit eineinhalb Jahren
({13})
eine Wirtschaftsordnung, in der die Regierung die Preise bestimmt. Das werden Sie der Bevölkerung nicht einreden.
({14})
Niemand wird guten Gewissens sagen können, wir hätten die immensen Dollarzuflüsse zu verantworten, gegen die etwas unternommen werden mußte. Sie, Herr Kollege Müller-Hermann, reden heute hier und Herr Kollege Barzel redet draußen von der Währungskrise, und Sie verschweigen dem Volk, daß es eine Krise des Dollars und nicht der D-Mark ist.
({15})
- Herr Strauß, Sie sind gerade wieder da; nun hören Sie doch einmal einen Augenblick zu! - Niemand wird freilich bestreiten können, daß wirtschaftliches Wachstum und Vollbeschäftigung überall in der Welt mit einem gewissen Maß an Preissteigerung verbunden sind und daß die meisten mit uns vergleichbaren Länder es mit einem höheren Grad an Instabilität zu tun haben,
({16})
- In einigen Fällen, Herr Kollege Leicht, mit der besonders kritischen Koppelung von hohen Preissteigerungsraten und außerdem noch hohen Arbeitslosenziffern.
Ich muß mich - um das gleich mit zu sagen - gegen die Legende wenden, als stünde bei uns in der Bundesrepublik Deutschland alles zum besten, wenn wir uns nur kein Reformprogramm vorgenommen, wenn wir es nur nicht eingeleitet hätten. Man soll hier die Dinge doch nicht durcheinanderbringen. Unsere stabilitätspolitischen Erwägungen und Maßnahmen - ich sage das in aller Klarheit - bedeuten keinen Abschied von notwendigen Reformvorhaben in diesem Staat.
({17})
Für diese notwendigen 'Reformvorhaben soll allerdings - wer wollte das bestreiten: das gehört genau in diesen Zusammenhang - eine solidere Basis gefunden werden,
({18})
als sie gegeben wäre, sicherten wir uns nicht gegen
die Gefahren ab, von denen ich gesprochen habe.
({19})
Es bleibt dabei, daß der Bundeshaushalt 1972 und die damit verbundene mittelfristige Finanzplanung am Schluß der Sommerpause eingebracht werden. Dann wird noch Zeit genug sein, um über Einnahmen und Ausgaben zu streiten und auch ohne Demagogie darüber zu reden, was der Staat vom Bürger erwarten muß, wenn der Bürger aus guten Gründen immer mehr vom Staat erwartet.
Mancher Kritiker meint - auch heute ist das schon im ersten Beitrag der Opposition angeklungen -, diese Regierung habe nicht genug getan, um einen überschäumenden Boom unter Kontrolle zu bringen. Wer wollte selbstgerecht darauf antworten! Ich will jedenfalls nicht bestreiten,
({20})
daß wir alle haben einiges hinzulernen müssen - übrigens nicht nur eine Seite des Hauses -, auch in bezug auf die exakte Vorausberechenbarkeit volkswirtschaftlicher Abläufe.
({21})
Verehrte Kollegen, nicht jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, sondern sich einmal daran erinnern, weswegen wohl die verehrte Opposition Ende des Jahres 1970 ihre Haltung zum Haushalt 1971 verändert hat! Sie haben sie auf Grund einer Einschätzung der wirtschaftlichen Lage verändert, die so nicht eingetreten ist - damit wir uns hier klar verstehen.
({22})
Aber wir sind nicht untätig geblieben. Das ist gesagt worden. Wir werden darauf zurückkommen. Ich will mir das jetzt schenken. Aber eines will ich Ihnen sagen: es ist wahr, daß die Bremsen - von der Aufwertung über die Konjunkturausgleichsrücklage, den Konjunkturzuschlag bis zur degressiven Abschreibung - nicht so hart gegriffen haben, wie wir es gewünscht hätten. Aber dies hat doch eben in hohem Maße auch damit zu tun, daß die weltweite Tendenz zur Instabilität auch unser Land nicht nur nicht verschont, sondern zunehmend mit erfaßt hat. Dieser Sachverhalt läßt sich in zwei Zahlen drastisch illustrieren. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung und der Notenbank wurden seit Anfang 1970 bis jetzt rund 24 Milliarden DM stillgelegt; gleichzeitig aber flossen 42 Milliarden DM aus dem Ausland in die Bundesrepublik. Dieser Inflationsimport erreichte Anfang voriger Woche einen dramatischen Höhepunkt.
({23})
- Das kommt, einen Augenblick! - Die Bundesregierung hat daraufhin innerhalb von Stunden gehandelt. Ich kann mich an eine andere Regierung erinnern, die länger dazu gebraucht hat.
({24})
Sie hat mit Zustimmung des Zentralbankrates zunächst eine Schließung der Devisenmärkte veranlaßt. Sie hat sich damit 'den Spielraum für die jetzt notwendigen Maßnahmen geschaffen.
({25})
- Wenn einer der Kollegen dazwischenruft, was er entweder selbst verbreitet oder in der Zeitung gelesen hat: Sie waren ja in London!, dann muß ich vor diesem Hause sagen dürfen: Dieser Entscheid des Bundeskanzlers und seiner Kollegen ist in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch gefallen. Daraufhin habe ich mit Zustimmung meiner Kollegen am
Mittwochmittag meine eintägige Reise nach London angetreten, um die Dinge durch eine Absage nicht weiter zu dramatisieren. Das, was zu entscheiden war, war in der Nacht vorher entschieden worden. Das ist die Wahrheit.
({26})
Meine Damen und Herren, bisher - vielleicht
hören wir ja noch anderes - habe ich in diesen Tagen zu wenig gehört von denen, die bei anderer Gelegenheit für die freie Marktwirtschaft sind und in dieser Situation doch offensichtlich mit dem Gedanken gespielt haben, anders als mit marktwirtschaftlichen Mitteln der Situation Herr zu werden.
({27})
- Jetzt wurde dazwischengesagt: Nein. Herr Kollege Müller-Hermann hat es schon vorgebracht: Aber § 23! Das darf man dann aber doch nicht in dieser für die Öffentlichkeit verwirrenden Einfachheit hier vorbringen. Denn von dem § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes ist doch lediglich das in Nr. 7 aufgeführte Verzinsungsverbot für Konten Gebietsfremder bei inländischen Banken durch Verordnung in Kraft gesetzt worden. Dazu waren wir, wie alle Kundigen wissen, immer bereit. Alle anderen Dinge, z. B. die Kreditaufnahme der Wirtschaft im Ausland, sind nach wie vor frei.
Was nun die Spekulation angeht, Herr Kollege Müller-Hermann, Herr Schiller hat schon gesagt: Jawohl, einen Tag und eine Stunde. Mir hat es nicht in den Kram gepaßt, daß die Institute mit ihrem Gutachten am letzten Montag kamen. Aber eins muß ich hier zurückweisen: erstens haben Sie eine Verlautbarung des Bundeswirtschaftsministers falsch wiedergegeben. Sie haben gesagt, darin heiße es, es handle sich um eine nützliche Stellungnahme. In Wirklichkeit heißt es - ich habe die Verlautbarung vor mir -: „Zusammen mit dem in Kürze zu erwartenden Gutachten des Sachverständigenrats wird die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute helfen, die Diskussion über die weitere Konjunkturpolitik zu versachlichen." Das steht dort.
({28})
Meine Damen und Herren, von währungspolitischen Absichten unsererseits ist in diesem Kommuniqué keine Rede. Und meine Kollegen in der sozialdemokratischen Fraktion - hier ist meine Äußerung vor dieser Fraktion zur Sprache gebracht worden - rufe ich miteinander zu Zeugen dafür auf, daß die Behauptung unwahr ist, ich hätte dort eine außenwirtschaftliche Maßnahme im Laufe der Woche oder auf kürzere Sicht angekündigt.
({29})
Aber jetzt, Herr Kollege Müller-Hermann, gehe ich einen Schritt weiter.
({30})
Vielleicht haben Sie auch Erfahrungen mit Leuten,
bei denen man etwas bestellt; so etwas soll es geben.
Ich muß jedenfalls unter Berufung auf die Freiheit der Wissenschaft diese Institute gegen die Verdächtigung in Schutz nehmen, der sie hier ausgesetzt worden sind.
({31})
Sie haben ihr Gutachten nicht für die Bundesregierung, sondern für die deutsche Öffentlichkeit erstattet.
Die Freigabe des Wechselkurses gibt der Deutschen Bundesbank die Möglichkeit, weitere spekulative Devisenzuflüsse zu verhindern und für einen Abfluß der stabilitätsgefährdenden Überliquidität zu sorgen. Die Bundesregierung - ich will das ausdrücklich hinzufügen - erwartet darüber hinaus von der Deutschen Bundesbank, daß sie dieses Instrument nutzt, um einen deutlichen Stabilitätseffekt auf den Binnenmärkten zu erzielen. Die Verbilligung der Einfuhren und die Dämpfung der Auslandsnachfrage werden nach der Überzeugung nicht nur der Bundesregierung, sondern auch der Mehrzahl der unabhängigen Experten zu der dringend notwendigen Beruhigung des Preisklimas beitragen.
Wir verkennen nun nicht, meine Damen und Herren, daß diese harten Stabilisierungsmaßnahmen hier und da zu Schwierigkeiten führen können, doch ohne gewisse Einbußen und Neuanpassungen ist die Wiedergewinnung der Stabilität nicht möglich. Zur Dramatisierung besteht auch dabei kein Anlaß. Die Bundesbank ist durchaus in der Lage, das Instrument des Wechselkurses felxibel zu handhaben, und auch der Bundesregierung stehen genügend Instrumente zur Verfügung, um ein Abgleiten der Konjunktur über die notwendige und gewünschte Entspannung hinaus aufzufangen.
Besonders schwierig - da schließe ich mich meinen Vorrednern an - ist die Lage für die Landwirtschaft wegen der Bindung ihrer Einkommen an den Grünen Dollar. Ich habe in allen Äußerungen der letzten Tage deutlich gemacht, daß nach Ansicht der Bundesregierung die aus der Spekulationswelle entstandenen Lasten nicht -- und hier greife ich das Wort von Karl Schiller auf - auf die Rücken unserer Bauern geladen werden dürfen. Wir haben diesen Gesichtspunkt in Brüssel vorgetragen und dort ein gewisses Verständnis gefunden. Der Ministerrat hat den Grundsatz anerkannt, daß ein Grenzausgleich eingeführt wird, um die deutsche Landwirtschaft vor Störungen zu schützen. Der Agrrarat berät zur Stunde über Einzelheiten, und ich möchte hier vor dem Hohen Hause noch einmal dem dringenden Wunsch der Bundesregierung Ausdruck geben, daß der Agrarrat in Brüssel, ob er nun einen Tag mehr oder weniger braucht, einen Weg findet, der unseren Sorgen Rechnung trägt. Dabei gehen wir davon aus - lassen Sie mich das mit demselben Nachdruck hinzufügen daß der gemeinsame Agrarmarkt als wichtiges Bindeglied der europäischen Integration erhalten bleibt.
Herr Kollege Müller-Hermann hat gemeint, ich hätte Kritikern unrecht getan, als ich ihnen Panikmache vorwarf. Nun kann man über Worte und ihre Zuspitzung immer streiten. Aber ich darf in aller
Offenheit sagen, Herr Kollege Müller-Hermann, auch Teile Ihrer heutigen Rede - das Wort von der Inflation ohne Maß, das Wort, wir setzten eine Währungskrise in Szene oder hätte sie in Szene gesetzt sind nicht nur unwahre, sondern panikmacherische Behauptungen.
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Dann ist mir wiederholt, so auch heute, vorgeworfen worden, ich hätte eine Vollbeschäftigungsgarantie oder, wie es heute hieß, eine Vollbeschäftigungsund Auslastungsgarantie ausgesprochen und damit, wie es an anderer Stelle hieß, ein unzweckmäßiges Verhalten gefördert. Erstens ist das ein Wort, das ich nie verwendet habe. Zweitens ist es keine Schande, sondern meine Pflicht, wenn ich, zumal vor dem Hintergrund des Jahres 1966, wiederholt daran erinnert habe, daß die Vollbeschäftigung eines der unverrückbaren Ziele des Stabilitätsgesetzes ist.
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Außerdem ist und bleibt es meine Überzeugung, daß ein Spiel mit der Sicherheit der Arbeitsplätze verwerflich ist.
Aber wir brauchten uns hier nicht auseinanderzureden, wir könnten uns leicht verständigen, wenn es darum ginge, daß die Ziele des Stabilitätsgesetzes gleichrangig nebeneinanderstehen.
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Nun ist die Bemerkung des Herrn Bundeswirtschaftsministers bezweifelt warden, daß die Opposition in starkem Maße informiert und in den Meinungsbildungsprozeß der Regierung einbezogen worden sei.
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Ich weiß, es gibt natürlich nichts, auch auf diesem Gebiet nichts, was vollkommen ist. Ich will, da das Thema angeschnitten wurde, nur folgendes sagen: Bevor ich am letzten Dienstag am späten Abend, in der Nacht, mit den zuständigen Kabinettskollegen entschieden habe, daß die Devisenbörsen am nächsten Tag dichtgemacht werden - wir wollten morgens nur noch mit dem Zentralbankrat darüber reden, aber in der Stunde war dann schon wieder mehr passiert -, hatte Herr Kollege Schiller den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion über unsere Überlegungen zum damaligen Stande informiert. Am Freitagmorgen hatte ich selbst das Vergnügen, Herrn Kollegen Barzel und zwei seiner Kollegen im Bundeskanzleramt für eine gute Stunde zu sehen. Ich habe den Kollegen vor der Kabinettssitzung zusammen mit dem Wirtschaftsminister über den Stand der Dinge berichtet. Am Sonntag, als die Herren aus Brüssel zurück waren und einige Stunden geschlafen hatten, hat Herr Staatssekretär Schöllhorn am frühen Nachmittag Herrn Kollegen Barzel über die schwierige Brüsseler Situation und die Verhandlungen von Samstag früh bis Sonntag früh unterrichtet. Am späten Sonntagnachmittag hat Herr Minister Ehmke in meinem Auftrag Herrn Kollegen Müller-Hermann über den Stand der Überlegungen im Kabinett zum
binnenwirtschaftlichen Teil unterrichtet, und am späten Sonntagabend erfolgte noch einmal eine Unterrichtung über die Beschlußfassung, wie sie sich dann abzeichnete.
Nun ist gesagt worden: Das war aber keine richtige Konsultation.
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Verehrte Kollegen, eines müßten Sie eigentlich zugeben: die Opposition hat viele Möglichkeiten - und sie nimmt diese Möglichkeiten mit gutem Recht wahr -, sich zu artikulieren, öffentlich oder nichtöffentlich. Niemand wird sagen können, daß Anregungen und Vorschläge der Opposition es schwergehabt hätten, den Weg zur Bundesregierung zu finden. Das kann man nicht behaupten.
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Meine Damen und Herren, ich möchte schließlich noch auf einen besonders wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Ich sage Ihnen in vollem Ernst: diese Bundesregierung hat weder ihre europäischen Pflichten vernachlässigt noch etwa den Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion gefährdet. Wenn das hier und da von ausländischen Zeitungen vorgebracht wird, kann man das nur mit Unkenntnis oder anderen Unzulänglichkeiten erklären. Bei uns in der Bundesrepublik kann man einen solchen Vorwurf guten Gewissens nicht erheben.
Die Bundesregierung hat wirklich - dafür stehe ich ein - alles in ihren Kräften Stehende getan, um zu gemeinsamen Aktionen mit ihren europäischen Partnern zu kommen. Dies ist leider nur teilweise gelungen. Ich danke Herrn Schiller und Herrn Scheel für die große Anstrengung in Brüssel. Es soll auch nicht untergehen - was wir hier sprechen, hören andere mit -, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Regierung an diesem ent- scheidenden Punkt ihren monetären Beistand angeboten hat, um zu einer gemeinschaftlichen Haltung aller Sechs zu kommen. Das ist ja wohl keine Kleinigkeit.
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Es ist nicht ganz gelungen, zu gemeinsamen Aktionen zu kommen. Aber wer wollte behaupten, wir stünden isoliert da? Steht man isoliert da, wenn Holland und Belgien sich konform verhalten, die Schweiz und Osterreich aufwerten und die Franzosen und Italiener das für uns Notwendige in einen Gemeinschaftsbeschluß einbinden? Wir müssen verstehen, wenn es uns auch manchmal schwerfällt, daß andere Länder andere Interessen und andere stabilitätspolitische Auffassungen haben. Wir müssen aber auch erwarten, daß unsere Partner Verständnis dafür aufbringen, daß außergewöhnliche Situationen auch bei uns außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. So sieht es aus.
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Erfreulicherweise haben wir dieses Verständnis bei den harten Verhandlungen in Brüssel gefunden, so daß unsere außenwirtschaftlichen Maßnahmen europäisch eingebunden werden konnten. Daß die
Brüsseler Beschlüsse gerade am 21. Jahrestag der Erklärung Robert Schumans gefaßt wurden, ist kein Zeichen der Schwäche der Gemeinschaft, wie einige Kommentatoren meinten, sondern zeigt im Gegenteil, daß diese Gemeinschaft bereits weit fortgeschritten ist und auch schwierige Situationen meistern kann und wird, ohne daß dadurch der Zusammenhalt erschüttert wird.
Die Entwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion wird durch unsere Maßnahmen nicht gefährdet, im Gegenteil - und ich will das beweisen -, die jüngste internationale Währungskrise hat allen Beteiligten noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie dringend notwendig Fortschritte in Richtung auf eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Währungspolitik sind. Die Bundesregierung ist und bleibt allerdings der Überzeugung, daß wir Europa nicht helfen, wenn wir unsere stabilitätspolitischen Ziele preisgeben, sondern daß unser Ziel eine europäische Stabilitätsgemeinschaft sein und bleiben muß. Wenn man zu einem gesunden Europa kommen will, braucht man eine gesunde europäische Wirtschaft:
Nun war zu hören, daß die Sachverständigenberatungen über die Wirtschafts- und Währungsunion verzögert würden. Das wäre bedauerlich, aber nicht so schlimm, als wenn die Weichen falsch gestellt würden.
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Außerdem ist es nicht so. Ich habe mich nicht nur durch Zeitungsnotizen, sondern amtlich sachkundig gemacht. Es kann keine Rede - ich sage das zu meiner Freude von einem leeren Stuhl Frankreichs sein, sondern Frankreich nimmt an den für den nächsten Monat vorgesehenen konjunkturpolitischen und sonstigen Beratungen teil.
Ich kann dem Hohen Hause bei gleicher Gelegenheit auch sagen, daß die heutigen Beratungen im Ministerrat über die Erweiterung der Gemeinschaft auf einigen Gebieten gewisse sachliche Fortschritte gebracht haben. Ich stütze mich dabei auch auf das, was der englische Verhandlungsführer als seine Meinung gesagt hat, und was er dazu meint, ist mindestens so wichtig wie das, was die Sechs dazu sagen.
Man sollte nun also nicht, gestützt auf mißverständliche Zeitungsmeldungen, auch hier noch der Bundesregierung etwas am Zeug flicken wollen. Die Dinge sind so, wie ich sie darstelle. Aber ich sage noch einmal: schlecht, am schlechtesten wäre es, wenn hier die Weichen falsch gestellt worden wären. Ich will nicht in der Geschichte der EWG herumkramen. Aber ich sage in allem Freimut, solange wir im Aufbau der Gemeinschaft nicht weiter sind, als wir sind, gilt die Berufung auf vitale Interessen nicht nur für andere, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland.
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An unserem ernsten Willen, die Wirtschafts- und Währungsunion zu verwirklichen, gibt es überhaupt keinen Zweifel. Wir haben alle unsere Partner in diesen Tagen dies noch einmal sehr ernst und nachdrücklich wissen lassen.
Es ist auch nicht einzusehen, weshalb die Währungsfragen die Verhandlungen über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft beeinträchtigen sollten. Wir hoffen sehr, daß die gegenwärtige Verhandlungsrunde in Brüssel zu weiteren sachlichen Klärungen führen wird. Unseren Beitrag haben wir in vielfältigen vorbereitenden Gesprächen geleistet. Ich hoffe auch, daß die bevorstehende Begegnung zwischen Präsident Pompidou und Premierminister Heath dieser wichtigen Sache dienlich sein wird. Diese Regierung und, ich glaube, die überwältigende Mehrheit dieses Hauses sind der Meinung, daß Westeuropa England braucht und daß die Zeit reif ist, und zwar noch in diesem Sommer, die dazu notwendigen Entscheidungen zu fällen. Dies ist wirtschaftlich vernünftig und politisch notwendig, meine Damen und Herren.
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Dann wird sich zeigen, daß die Europäische Gemeinschaft über manche Schwierigkeiten hinweg doch zu einem Rahmen wird, in dem Wachstum und angemessene Stabilität verwirklicht werden können.
Aber ich bleibe dabei, daß es nationaler Verantwortung und europäischem Realismus entspricht, wenn wir alles tun, um das eigene Haus in Ordnung zu halten. Der nächste Schritt heißt also: Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland ist notwendig auch wegen der Stabilität im westlichen Europa.
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Deshalb mußten wir die D-Mark aus dem internationalen Inflationsgeleitzug in diesem Augenblick für einige Zeit lösen, zum Nutzen der Stabilität in diesem Lande und langfristig zum Nutzen Europas.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel. Für ihn sind 45 Minuten angesagt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Erlauben Sie mir zunächst, Herr Bundeskanzler, darauf hinzuweisen, daß Sie sich offensichtlich von dem Wort „Panikmachen" nicht lösen können. Sie haben es meinem Kollegen Müller-Hermann soeben vorgeworfen. Damit haben Sie einen großen Teil dessen, was Sie sonst zur Sache gesagt haben wir haben Ihnen an einigen Stellen Beifall gegeben -, entwertet. Ich glaube, dies war, Herr Bundeskanzler, eine Entgleisung,
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und wer soll nach dieser Entgleisung glauben, daß Sie wirklich mit uns den Dialog und die Zusammenarbeit suchen?
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Der Herr Bundeskanzler hat zu Beginn gesagt: Niemand solle bestreiten, daß die Regierung gehandelt habe. Das tun wir nicht. Wir sagen nur: zu spät
.l und nur zum Teil richtig. Die Debatte wird dies im einzelnen ergeben, soweit sie es nicht schon ergeben hat. Sie sollten, Herr Bundeskanzler, glaube ich, andererseits nicht bestreiten, daß es Vorschläge von uns gab und gibt, und zum zweiten, daß Konsultation und Kooperation nicht zustande gekommen sind. Das sollten Sie auch nicht durch andere hier bestreiten lassen.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, ja zur Tarifautonomie gesagt haben, so stimmen wir dem zu. Das ist eine offene Tür, die Sie bei uns einrennen; das wissen Sie. Wir, diese Opposition, stimmen ausdrücklich dem Appell zu, den Sie an die beiden Sozialpartner von dieser Stelle aus gerichtet haben,
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so daß an dem wichtigsten Punkt der binnenwirtschaftlichen Probleme die von Ihnen immer nur global angesprochenen gesellschaftlichen Gruppen wissen müssen, daß dieser Appell des Kanzlers das ganze Haus hinter sich hat.
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Nur, Herr Bundeskanzler, dies Ganze wäre natürlich noch besser und noch glaubhafter, wenn Sie präzise zwei Dinge hinzugefügt hätten, wenn Sie nämlich gesagt hätten, daß eine der Hauptursachen der hausgemachten Inflation hier der Nachholbedarf an Produktivität ist, und wenn Sie zum zweiten auch in der Haushaltspolitik von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und hier eine Mitteilung über den realistischen Vollzug mittelfristiger Finanzplanung gemacht hätten.
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Dann, glaube ich, hätten Sie eine andere Position im Gespräch mit den Sozialpartnern.
Der Text kam uns ein bißchen bekannt vor, als der Bundeskanzler von den Sorgen hinsichtlich der Kosteninflation, hinsichtlich der Sparer und hinsichtlich der Rentner sprach. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß wir diese Sorgen teilen, und zwar nicht erst seit dieser Stunde.
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Nur: Solange wir davon sprachen, haben wir
Spott und Hohn geerntet und waren die „Panikmacher" - nach Ihren Worten, Herr Bundeskanzler.
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Sie haben gesagt - wir haben das so nie behauptet -, die Bundesregierung mache die Preise nicht. Aber Sie wollen doch sicherlich nicht bestreiten, daß sie auf die ökonomischen Abläufe Einfluß hat.
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Sonst hätten Sie jetzt nicht diese Maßnahmen mit der Preisbildung von übermorgen begründet. Herr Bundeskanzler, Sie können doch nicht vergessen machen, daß in Ihrer Bundesregierung Damen und Herren sitzen, die damals, als sie noch in der Opposition waren - wir wollen den Zettelkasten gar nicht aufmachen -, für jede geringfügige Preissteigerung allein die Regierung verantwortlich gemacht haben. Schlimmer ist noch, daß Sie einen Bundeswirtschaftsminister haben, der die Theorie
verkündet hat, er habe eine Politik und kenne Maßnahmen, um Preissteigerungen von 3 % in einem Jahr auf 2 5 im nächsten Jahr zu senken und sie dann für alle Zeiten bei 1 % zu halten. Das, meine Damen und Herren, können Sie nicht bestreiten.
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Nun möchte ich gern zu einem Punkt kommen, der für die Europapolitik sehr wichtig ist; es war der vorletzte Ihrer Einlassung, Herr Bundeskanzler. Dieses Haus sollte über die französische und die europäische Position in Sachen Wirtschafts- und Währungsunion wirklich Klarheit erhalten. Mein Kollege Müller-Hermann hat dies zur Sprache gebracht, und er hat sich dabei völlig korrekt auf den heutigen „Nachrichtenspiegel I" der Bundesregierung gestützt. Darin war heute morgen zu lesen:
Frankreich hat am Montag überraschend seine Mitarbeit beim Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion aufgekündigt, bis alle EWG-Länder wieder zu festen Wechselkursen zurückgekehrt sind.
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Derselben Meldung ist zu entnehmen, daß der Bundesaußenminister, dessen Worte vom „glücklichen Tag", das er in Warschau gesprochen hat, wir noch in Erinnerung haben, sofort erklärt hat: „Ich messe dieser Erklärung keine besondere politische Bedeutung bei."
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Meine Damen und Herren, ich hätte ihn gern danach gefragt; aber er ist nicht hier.
Was ist nun wirklich geschehen, Herr Bundeskanzler? Sie haben soeben eine Mitteilung gemacht, die das Ganze wohl entdramatisieren sollte. Sie haben das gleiche heute morgen gesagt. Auf dem Bogen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion heißt es über ihre heutige Rede:
Meldungen, nach denen Frankreich seine Mitarbeit in den Gremien eingestellt habe, die die Wirtschafts- und Währungsunion vorbereiten, bezeichnete der Bundeskanzler als falsch.
Damit haben Sie, Herr Bundeskanzler, etwas dementiert, was im „Nachrichtenspiegel" gar nicht stand, und das haben Sie auch vorhin getan. Der französische Finanzminister hat nämlich - wir haben uns nach Ihrer Erklärung bei zwei Stellen vergewissert - noch einmal verbindlich erklärt, die französischen Experten würden so lange ihre Tätigkeit einstellen, wie es keine feste Parität gebe. Das ist die Erklärung Frankreichs. Ihr Dementi betrifft offensichtlich einen ganz anderen Vorgang. Inzwischen liegt eine entsprechende Meldung der Deutschen Presseagentur aus Paris vor. Ich bekam sie, kurz bevor ich hier das Wort ergriff. Sehen Sie, Herr Bundeskanzler, das ist die Realität.
Wie haben Sie nun eigentlich die Fragen beantwortet, die Herr Müller-Hermann hier gestellt hat? Was ist wirklich in Brüssel verabredet worden?
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Ist in Brüssel, wie es in Ziffer i heißt, verabredet worden, daß man zu den alten Paritäten zurückkehren wird? Wie soll das nach der Freigabe der Wechselkurse erreicht werden? Wird es dann nicht eine zweite Spekulationswelle geben? Was ist wirklich verabredet worden? Diese Frage ist nicht beantwortet worden. Dieses Haus sollte darauf eigentlich eine Antwort bekommen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben auch noch einmal die Frage Information und Konsultation aufgegriffen und einige der Termine genannt. Nachdem Sie hier aus diesen Vorgängen berichten, werde ich sicherlich niemandem der Beteiligten zu nahe treten, wenn ich folgendes mitteile: Bei dem Gespräch von einer Stunde hei Ihnen am Freitag, von dem bekannt ist, wie die Zeitläufe gewesen sind 10 Minuten der Herr Bundeskanzler, was sehr wichtig war, denn es war seine Richtlinie; und 49 Minuten der Herr Bundeswirtschaftsminister, was sehr interessant und informativ war -, haben wir gesagt: Wann können wir eigentlich wenigstens kritische Fragen stellen oder unsere Überlegungen vortragen? Darauf haben Sie gesagt, Herr Bundeskanzler: Dann müssen wir uns wohl noch einmal treffen; ich schlage morgen vor.
So war das, Herr Bundeskanzler. Nun kann man doch aus diesem Vorgang, da Sie das doch selbst so gesagt haben, nicht das Gegenteil darstellen. Diese Einlassung vom Freitag dementiert sowohl die Rede, die hierzu der Kollege Schiller gehalten hat, wie die Behauptungen, die andere hier aufgestellt haben.
Wenn Sie das Gespräch in die Debatte einbeziehen, was ich bedaure, weil es darum ging es muß ja in diesem Hause, das wissen Sie alle, hin und her ein paar Sachen geben, die es nicht gibt: es muß Kontakte zwischen Kollegen geben können, über die nicht geredet wird, sonst kann es - ({12})
- Ob Sie, Herr Kollege, den Vorwurf aufrechterhalten, wenn Sie das hören, was ich jetzt sage? Der Herr Bundeskanzler hat eben mitgeteilt, daß es Kontakte mit Herrn Schiller gab. Natürlich, Richard Stücklen war dabei. Wir haben gesagt: wir sind bereit, unsere Überlegungen in einem Gespräch beim Kanzler in Anwesenheit des Bundesbankpräsidenten vorzutragen; und haben gefragt, ob wir von den Informationen, die Herr Schiller uns beiden gab, Kollegen gegenüber Gebrauch machen dürften. Es wurde die Bitte geäußert, wir sollten das geheimhalten. Das haben wir auch getan. Nur: Dann komme ich nach Hause und höre die Spätausgabe der Fernsehnachrichten mit der Mitteilung, der Bundeskanzler habe angekündigt, noch in dieser Woche werde er außenwirtschaftliche Maßnahmen treffen. Das sind die Realitäten. Ich glaube, Herr Tamblé, jetzt werden Sie Ihren Zuruf nicht mehr machen.
Wir haben alle - darauf braucht uns keiner anzusprechen - Verantwortung für die Stabilität des Geldes und die Sicherheit der Arbeitsplätze. Wenn der Bundeswirtschaftsminister von der „befreienden Tat" gesprochen hat, so ist darauf geantwortet
worden. Ich möchte aber daran erinnern, Herr Kollege Schiller, daß es zwei gute Sprichworte gibt, die mir hierzu einfallen. Das eine heißt: „Von nichts zu viel", und das andere heißt: „Es ist nie zu spät". Deshalb möchte ich jetzt für unsere Fraktion zunächst folgendes erklären:
Das Verhalten der Bundesregierung in den letzten eineinhalb Jahren, vor allem in den letzten Monaten und Wochen, hat sowohl für Europa wie für die Binnenwirtschaft ungünstige Fakten geschaffen. Europa ist geschwächt. Im Innern hat sich der Zielkonflikt der Wirtschaftspolitik zwischen Preisstabilisierung und Vollbeschäftigung weiter verschärft.
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Auf diesem Hintergrund und unter der Voraussetzung, daß die Bundesregierung, wie in Brüssel offenbar beschlossen und vom Bundesaußenminister gestern erneut in Brüssel zugesagt, zur alten Parität zurückkehrt, fordern wir die Bundesregierung auf: erstens den Bauern in der Zwischenzeit den vollen Einkommensausgleich sicherzustellen - wir weisen darauf hin, daß hier noch alte Probleme unerledigt sind -;
({14})
zweitens die inflatorischen Staatsausgaben nach einer klaren Prioritätenskala und in Abstimmung mit der Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank zu drosseln; drittens ein seriöses Reformprogramm in Gestalt einer volkswirtschaftlich realistischen mittelfristigen Finanzplanung vorzulegen; viertens unverzüglich eine konzertierte Aktion auf der Grundlage der Entschlossenheit der Bundesregierung anzustreben, die Stabilität im Innern wiederherzustellen, und fünftens energische Anstrengungen auf dem Weg zu einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, begleitet von einem Stufenplan zum Entstehen einer politischen Gemeinschaft Europas, zu unternehmen.
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- Es kommt noch mehr, Herr Kollege Apel!
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Die Erklärungen, die der Bundeswirtschaftsminister und der Bundeskanzler hier abgegeben haben, waren nicht nur unvollständig, weil die Agrarentscheidungen bisher in der Luft hängen. Je nachdem, wie diese Entscheidungen fallen werden, wird unser Blick auf Europa, auf die Bundesfinanzen oder auf beides noch trostloser sein. Herr Bundeskanzler, wir gehen davon aus, daß diese Opposition keinen Anlaß schaffen muß, um noch in dieser Woche in diesem Hause auch die agrarpolitischen Beschlüsse zu diskutieren. Wir gehen davon aus, daß Sie selbst diesen Anlaß unverzüglich schaffen werden.
({17})
Dieser Bericht ist aber auch unvollständig - und wir meinen, beide Erklärungen werden der Lage nicht gerecht -, weil immer noch beschönigt wird, weil es immer noch an der klaren Analyse fehlt, an
dem Dartun der Konsequenz aus Analyse, Maßnahme und Ziel.
Herr Bundeskanzler, ich weiß eigentlich nicht, aus welchen Gründen Sie schon wieder ausgerechnet den Tag dieser Debatte benutzen, um weiter Unsicherheit zu schaffen. Wenn ausgerechnet heute die Kommisson Ihrer Partei die Vorschläge zur Steuerreform vorlegt und das mit der Überschrift versehen wird: „Die Steuerreformkommission beim SPD-Parteivorstand wird voraussichtlich vorschlagen, im Zuge der Steuerreform das Gesamtsteueraufkommen zu erhöhen", dann schafft dies doch nicht Sicherheit und Klarheit, sondern produziert erneut Unsicherheit, und dies gerade am heutigen Tage!
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Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, heute vor Ihrer Fraktion erklären - ich zitiere es wieder nach dem eigenen Papier -, die Bundesregierung habe ihre Reformvorhaben nicht aufgegeben - wem wollen Sie dann eigentlich erzählen, daß alle Ihre Versprechungen wirtschaftlich vernünftig und finanziell abgesichert sind? Das glaubt doch kein Mensch!
({19}) Das produziert doch Unsicherheit.
Damit, Herr Bundeskanzler, ist diese Debatte heute wieder an dem Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die innenpolitische Kontroverse in diesem Bundestag zieht. Das Thema heißt im Grunde: Stabilität als die Voraussetzung solider Reformen. Dies und das europäische Problem sind die Fragen, um die es wirklich geht. Die Währungsfrage steht auch zur Debatte, aber sie ist doch nicht der Mittelpunkt dieses Problems; sie gehört dazu, aber sie ist keinewegs der Kern.
Hier müssen wir daran erinnern, daß dies eben von Anfang an so ging. Ob Sie, Herr Bundeskanzler, jetzt temperamentvoll reagieren oder nicht, Sie können nicht leugnen, daß wir Ihnen vor Ihrem Aufwertungsbeschluß vom Oktober 1969 nahegelegt haben, ein binnenwirtschaftliches Programm der Preisstabilisierung, der dauerhaften Absicherung der Agrarprobleme, der dauerhaften Lösung der Währungsprobleme und der sparsamsten Haushaltsführung vorzulegen.
Dies können Sie ebensowenig leugnen wie die Tatsache, daß Ihre Regierungserklärung vom 28. Oktober in allem genau das Gegenteil tat. Inzwischen hat Herr Kollege Wehner dies ja auch eingesehen und öffentlich als „Kinderkrankheiten" bezeichnet. Wir haben Sie in der ersten Debatte zu Ihrer Regierungserklärung, am 29. Oktober 1969, gefragt leider haben wir keine Antwort bekommen -, auf welche Zahlen, Analysen und Zielvorstellungen sich Ihre Versprechungen gründen. Wir haben Sie gefragt, ob es nicht besser wäre, die Anstrengungen zu fordern, die wir machen müßten, wenn wir ein modernes Land bleiben wollten. Wir haben uns gegen die Steuersenkungen ausgesprochen, und wir, die Opposition, haben schon damals vom steigenden Finanzbedarf gesprochen. Sie gingen über alles dies hinweg. Herr Müller-Hermann hat darauf hingewiesen, und wir könnten die Kette fortsetzen. Als
dann eine muntere Drauflosgesetzgebung hier auszubrechen drohte, haben wir am 26. November 1969 den Beschluß erzwungen, alles - mit drei Ausnahmen -, wie Sie sich erinnern, bis zur Vorlage einer mittelfristigen Finanzplanung zurückzustellen.
Ich habe hier für die Kollegen der Koalition, die das im einzelnen studieren wollen, 14 Anträge allein zum Haushalt mit unseren Vorschlägen aus den Jahren 1970 und 1971 mitgebracht, ,die sämtlich abgelehnt worden sind. Wer also fragt, welche Vorschläge wir bisher gemacht hätten, dem steht dies zur Verfügung. Herr Kollege Apel, vielleicht darf ich es Ihnen dalassen, weil Sie wohl bald hier sprechen werden.
Unsere späteren Vorschläge gingen dahin, die Bundesbank nicht allein zu lassen, weil die hohen Zinsen im Inland die Kosten steigern. Sehen Sie sich die Zahlen der Preissteigerungen im Straßenbau, im Wohnungsbau und im Hochbau doch an, die Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mit der Erklärung bagatellisieren können, die Kollege Müller-Hermann mit Recht kritisiert hat! Sehen Sie sich an, daß diese hohen Zinsen natürlich das Auslandsgeld anlocken! Alles wurde in den Wind geschlagen.
Herr Bundeskanzler. Sie erinnern sich doch, daß es im Ersten Fernsehen eine Sendung „Ein Jahr Koalition und ein Jahr Opposition" gab. Da wurden Fragen gestellt. Ich bekam dieselben wie Sie, und eine hieß: Was würden Sie jetzt ökonomisch tun? Ich habe gesagt: zuallererst mit der Bundesbank sprechen, damit aus den Gründen der Kosteninflation und den Gründen des hereinströmenden Geldes eine abgestimmte Fiskal- und Geldpolitik möglich wird. Dies können Sie doch alles nicht leugnen. Aber wir wurden damals wie jetzt auch abgekanzelt.
Dann haben wir vorgeschlagen, das Stabilitätsgesetz anzuwenden und die Konzertierte Aktion wirklich in Bewegung zu setzen. Alles dies wurde überhört. Es wurde überhört, als wir im Frühjahr und im Sommer sagten: es hat keinen Zweck, die Kaufkraft allein bei den Privaten abzuschöpfen; hier muß eine entsprechende Fiskalpolitik gemacht werden. Im Februar, zum Teil noch im März, vor wenigen Monaten, wurden die Anträge abgelehnt, die das zum Inhalt hatten, was die Bundesregierung jetzt zum Teil tun muß.
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Der Sachverständigenrat sagte am 6. Mai, daß der Haushalt 1971 so sind seine Worte keineswegs konjunkturneutral sei. Sie haben die Aufteilung in Kernhaushalt und Eventualhaushalt abgelehnt. Das alles, meine Damen und Herren, können Sie doch nicht vergessen machen.
Als wir dann Ende April die alarmierenden Ergebnisse dieser Politik auf den Tisch legten und uns nicht an Wünschen, sondern an Tatsachen orientierten und als wir Sie zum Handeln nach dem Stabilitätsgesetz aufforderten und als wir unsere Bereitschaft erklärten, dann auch mitzuwirken, weil es die Stunde der Not erfordere, und uns dem nicht zu verschließen, da war die Antwort: „Panikmache". Das Bundespresseamt gab noch am 20. April eine
Verniedlichung der Wahrheit heraus mit einer Broschüre zur Beschönigung, in der es hieß, wir befänden uns international in einer „beneidenswerten Position". Sie, Herr Bundeskanzler, haben noch am 9. März Ähnliches gesagt, als Sie im Fernsehen erklärten, die Preissteigerungen seien anderswo höher. Auch das stimmt ja so gar nicht. Wir bestreiten nicht, daß wir im Jahre 1970 bei den Lebenshaltungskosten geringfügig besser lagen als andere Länder. Inzwischen ist das anders. Und Sie können nicht bestreiten, daß die Preissteigerungen 1970, am gesamten Bruttosozialprodukt gemessen, 7,4 % betrugen und damit in der Spitzengruppe liegen. Das können Sie doch nicht bestreiten, meine Damen und Herren!
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Ich nehme an, inzwischen bestreiten Sie es auch nicht. Sonst hätten Sie ja hier nicht inzwischen Reden gehalten, wie wir sie seit Wochen halten und wie sie früher hier durch Sie verketzert wurden.
Ich möchte noch ein anderes in die Debatte einführen und gerne mit Genehmigung des Präsidenten ein Zitat des Bundeswirtschaftsministers bringen, weil er, so glaube ich aus unserem Überblick, eigentlich der erste war - Herr Kollege Wehner damals übrigens auch -, der von seiten der Koalition den Ernst der Lage auch öffentlich einzugestehen begann. Der Bundeswirtschaftsminister erklärte am 27. April das sollte in diesem Protokoll stehen - :
Stabilität in der FWG und in der Bunderepublik können wir nur erreichen, indem wir sowohl die hausgemachten Preis- und Kostensteigerungen bekämpfen und indem wir die neu in Erscheinung tretenden Störungen, die von außen kommen, die Liquiditätszuflüsse, die unsere Geldmenge erweitern, indem wir dagegen etwas tun auf diese oder jene Weise.
Zusatzfrage des Fernsehens: Was können wir gegen die hausgemachten Preisauftriebe tun? Antwort des Wirtschaftsministers Schiller:
Nun, da gilt unser Katalog: eine sparsame Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände, mehr Steuern, die einlaufen werden, durch die Preissteigerungen nämlich, sollen der Schuldentilgung dienen und nicht für neue, weitere Ausgaben verwendet werden und vor allen Dingen eine sehr harte, drastische Konsolidierung der mittelfristigen Finanzplanung für Bund, Länder und Gemeinden von 1972 bis 1975.
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Wir haben, Herr Bundeskanzler, am 30. April in einer öffentlichen Erklärung diese Analyse und diese Maßnahmen als auf der richtigen Linie liegend bezeichnet. Wir haben - Sie können dies unschwer in den Zeitungen vom 3., 4. und 5. Mai nachlesen ähnliche Forderungen erhoben. Ich habe hier die dpa-Meldungen z. B. über Bad Pyrmont, die ich Ihnen nicht vorlesen will. Nur, meine Damen und Herren, bei dem, was Kollege Schiller hier gefordert hat, fehlt der Punkt, den er als „dastisch" bezeichnet, vollständig, - nämlich die realistische mittelfristige Finanzplanung.
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Solange Sie dies, meine Damen und Herren, nicht ganz auf den Tisch legen, solange Sie in Sachen Versprechenskatalog der Bundesregierung nicht handeln, wird Ihnen niemand abnehmen, daß dieses Programm rund, daß es ganz ist und daß es am Schluß so gemeint ist, wie es hier dargestellt worden ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann die ganze Entwicklung nicht besser darstellen -und dies gehört in diese Debatte -, als sie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Mai 1971 dargestellt worden ist, einer Zeitung, die bekanntlich bei der letzten Wechselkursdiskussion wie in Sachen Marktwirtschaft eine ganz klare Position hatte. Sie schreibt:
Dieser ... Akt
- gemeint ist die außenwirtschaftliche Maßnahme kann als Notwehr unausweichlich werden ... Wenn er aber an jeder zweiten konjunkturellen Wegbiegung angewendet werden soll, weil man einer hausgemachten Inflation nicht mehr Herr wird, wenn man ein halbes Jahr lang die Konjunkturzügel schleifen läßt, wie der Bundeskanzler bis zum Juli 1970, wenn in dieser Zeit die ganze Bremslast ausschließlich bei der Bundesbank liegt und diese mit höchsten Diskontsätzen Auslandsgeld geradezu ins Land locken muß,
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wenn schließlich halben Herzens mit steuerlichen Mitteln gebremst und fiskalisch anschließend sogleich wieder Gas gegeben wird: wenn dies geschieht, wird man von den Nachbarn kein Verständnis für den integrationsfeindlichen Alleingang finden.
Das, meine Damen und Herren, ist eine Meinung, die jedermann ernst nehmen sollte.
Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, hier auftreten und wirklich ein Programm vorschlagen, dann müssen Sie doch den Mut zu einer Diagnose der Wahrheit haben, dann können Sie nicht daran vorbeigehen, daß die Inflationsrate dabei ist, stärker zu steigen als der Spareckzins und der Zuwachs der Renten,
({25})
dann können Sie hier nicht verschweigen, daß Ihre Regierung unter Reform-Versprechen angetreten ist und nun mit mehr Geld weniger Straßen und Schulen bauen kann, dann können Sie nicht verschweigen, daß Investitionen zurückgestellt werden und daß auf diese Weise sicherlich weder die Vollbeschäftigung noch die Modernität morgen zu sichern ist.
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Herr Bundeskanzler, ich glaube, wir alle sollten es ganz ernst nehmen, wenn in der Hauptversammlung
der Thyssenhütte am 27. April 1971, also vor kurzem, Herr Dr. Sohl erklärte -- ich zitiere einen Satz -:
Industrieausrüstungen haben sich außerordentlich stark verteuert. So war die 1 Milliarde DM, die wir in der Thyssen-Gruppe 1969/70 für unsere Investitionen ausgegeben haben, in tatsächlichen Zugängen von Maschinen, Ausrüstungen und Gebäuden gemessen, also real in Preisen des Vorjahres gerechnet, lediglich 800 Millionen DM wert. Das entspricht einer Preissteigerung von 25 % im Verlauf von nur einem Jahr.
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Das ist das Zitat; daran können Sie doch nicht vorbeigehen, Herr Bundeskanzler.
({28})
- Dies glaube ich Wort für Wort; denn dies ist ein Mann, dessen Rang in der internationalen Industrie und dessen Sachverstand und Unabhängigkeit niemand bestreitet, mit Ausnahme dieses Zwischenrufers.
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Herr Bundeskanzler, Sie müssen eine Antwort darauf geben, daß die Städte, die Gemeinden und die Kreise - ich bin jetzt sehr vorsichtig - am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten angekommen sind. Die 2,5 Milliarden DM, die seit der Finanzverfassungsreform der Großen Koalition den Kommunen zusätzlich zugewendet worden sind, sind allein von der Steigerung der Kosten im Hochbau verzehrt worden. Das ist die Lage, und das alles gehört hier auf den Tisch, wenn Sie wirklich Remedur schaffen wollen, Herr Bundeskanzler.
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Wir hätten Ihnen gerne gesagt, wenn Sie uns Gelegenheit dazu gegeben hätten, wo wir die Ursachen sehen. Die Analyse muß zuerst einmal stimmen, sonst stimmt nachher die Therapie nicht. Dann hätten wir Ihnen gesagt, daß wir drei Krankheitsursachen sehen:
Die erste ist die Spanne zwischen Lohnsteigerung und Produktivitätssteigerung. Wenn wir 1970 in der Produktivität bei etwas über 3 % und in der Lohnsteigerung bei 14 % sind, dann ist das eine Zahl, die jedermann ernst nehmen muß und die nicht dafür spricht, daß es Ihrer Regierung gelungen ist, die Politik der Konzertierten Aktion erfolgreich durchzuführen. Ich sage dies und erinnere noch einmal an die Zustimmung, die wir zu der Passage Ihrer Rede, die Sie eben nannten, gegeben haben, mit dein zweiten Hinweis.
Der zweite Punkt, Herr Bundeskanzler - und daran kommen Sie doch nicht vorbei -: Ihr Wirtschaftsminister hat an dieser Stelle im April des Jahres 1965 eine Theorie gebracht, die wir sehr interessant und richtig finden, die Theorie über die „inflationäre Lücke".
({31})
Er hat gesagt, die inflationäre Lücke, d. h. die Steigerung der Kosten und der Preise, käme dann zustande, wenn die Bundesausgaben mehr stiegen als der reale Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Wie waren die Zahlen 1970? Realer Zuwachs 4,9 %, Ausgabensteigerung des Bundes 12 0/o. Da haben Sie, Herr Kollege Schiller, Ihre „inflationäre Lücke", und Sie sollten dem Bundeskanzler diese Theorie nahebringen, damit er nicht länger hier mit dem nominalen Zuwachs des Bruttosozialprodukts arbeitet und die - durch die auf 1969 vorfinanzierten Dinge - manipulierten Zahlen der Ausgabensteigerung des Bundes hier in einzelnen vorträgt.
({32})
So vermissen wir eben in beiden Erklärungen der Regierung irgendeinen Hinweis darauf, daß Sie wenigstens den Versuch machen wollen, 1971 und in den folgenden Jahren diese „inflationäre Lücke" zu vermeiden und die Spanne zusammenzudrücken, um sich in der Nähe des realen Zuwachses des Bruttosozialprodukts zu orientieren. Davon haben wir weder in Worten noch in Taten etwas gehört.
Der dritte Punkt - so hätten wir Ihnen gesagt, Herr Bundeskanzler - betrifft Auslandsgeld und Spekulation. Ich muß dies sagen, weil Sie mich hier eben angegriffen haben, ähnlich wie Herr Kollege Junghans. Herr Bundeskanzler, wir haben immer gesagt und werden dies nie leugnen, daß hier ein Problem ist. Wir haben immer gesagt, wir schließen außenwirtschaftliche Maßnahmen als Notwendigkeit eines Anti-Inflations-Programms nicht aus. Aber auch hierzu geben Sie, Herr Bundeskanzler, ein schiefes Bild. Wenn Sie in Ihrer Ansprache im deutschen Fernsehen sagen, Sie seien nicht für den Dollarzustrom verantwortlich, dann ist dies wieder nur zum Teil richtig. Niemand in diesem Hause wird Sie für den Dollar und für die ökonomische Politik der USA verantwortlich machen. Aber manch einer hätte mindestens die Frage gestellt - und so hätten wir Sie gern gefragt -, ob dies nicht ein Anlaß wäre, auf höchster politischer Ebene mit den USA ein Gespräch über die Zinshöhe in den USA zu führen, und ob dies nicht ein politischer Anlaß sein könnte, die schwebenden Verhandlungen über den Ausgleich der Kosten und Belastungen durch die Truppen der USA in diesem Augenblick ein bißchen zu beschleunigen. Diese Frage hätten wir Ihnen gern gestellt und die Antwort gegeben. Die Bundesregierung kann nicht leugnen, Herr Bundeskanzler - und Herr Müller-Hermann hat dies dargetan -, daß Sie von einem Markt zum Handeln gezwungen wurden, den Sie selbst in Bewegung gesetzt haben. Wenn Sie hierfür ein Zeugnis brauchen, nehmen Sie die „Neue Zürcher Zeitung", die Ihnen erklärt - ({33})
- Das ist sehr wichtig, die Solidarität der Schweiz ist ein wichtiger Punkt, Herr Apel.
„Die mittelbare Ursache" - so heißt es dort -„für den Ausbruch der Krise ist indessen in den unbekümmerten, oft geradezu unverantwortlichen Äußerungen maßgebender deutscher Stellen über die Währungsfrage zu suchen." Soweit dieses Zitat.
({34})
Herr Bundeskanzler, über die Hochzinspolitik und deren Folgen haben wir gesprochen. Ich muß nun aber zu einem Vorgang kommen, den Sie bedauerlicherweise versuchten auf die Schultern Ihrer Fraktionskollegen abzuladen, indem Sie aus der Pressemitteilung Ihrer Regierung einen Satz vorlasen, den ich nicht bestreite. Diese Erklärung wurde an dem Montag abgegeben, an dem auch das Gutachten veröffentlicht wurde, in dem nicht nur die Freigabe der Wechselkurse, sondern auch das Hinweggehen über eine vertragliche europäische Verpflichtung empfohlen wurde.
({35})
Der erste Satz dieser Pressemitteilung lautet: „Der Bundesminister für Wirtschaft betrachtet die heute der Öffentlichkeit vorgelegte Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute als nützlichen Beitrag zur weiteren Meinungsbildung über die konjunkurelle Lage."
({36})
Herr Bundeskanzler, dieser Satz bestätigt auf den Millimeter ,das, was Herr Müller-Hermann hier vorgetragen hat.
({37})
Nachdem das dann so heiß war - immer bei offenen Devisenbörsen und in einer Situation, die Sie alle kannten -, gingen Sie am Dienstag darauf in Ihre Fraktion, die Sie eben beschworen haben, daß Sie dazu sich nicht geäußert hätten, und erklärten nach dem Papier Ihrer Fraktion - ich zitiere -: „Die Bundesregierung bemüht sich um eine gemeinsame europäische Haltung. Wenn das nicht zu erzielen ist, dann dienen wir nicht nur uns selbst, sondern auch der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Entwicklung am besten dadurch, daß wir unser eigenes Haus in Ordnung halten." Dies erklärte der Bundeskanzler wörtlich.
({38})
- Ich freue mich, daß Sie an dieser Stelle klatschen; nur können Sie dann wirklich nicht sagen, ,daß die ganze Presse von Mittwoch früh falsch war.
({39})
Die Presse hat völlig korrekt den Sinn und den Gehalt dessen wiedergegeben, was Kanzler und Wirtschaftsminister vor ihrer Fraktion erklärt haben. Dies war dann wohl auch gewollt, wie ich aus diesem Beifall jetzt schließen muß, meine Damen und Herren.
({40})
Herr Bundeskanzler und Herr Wirtschaftsminister, Sie sind schließlich dem Hause schuldig - vielleicht beteiligt sich auch der Kollege Möller an der Debatte; Herr Junghans hat vorhin vergessen, ihn zu loben ({41})
- Nein, Herr Kollege Wehner, es ist wirklich ein besonders wichtiger Punkt; nehmen Sie dieses ganz ernst. In der Ziffer 1 von Brüssel heißt es - ich möchte Ihnen dies noch einmal sagen -, daß eine Änderung ,der Paritäten nicht gerechtfertigt sei und
man die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten registriere, die Paritäten beizubehalten. Dem hat die Regierung zugestimmt.
Die Ziffer 2 beinhaltet, daß man für einige Zeit etwas machen könne. Nun erklären alle anderen, es sei nur in der begrenzten Zeit möglich, sich so zu verhalten, daß man am Schluß zu der Parität zurückkehre.
Herr Bundeskanzler, entweder ist dieses Kommuniqué ein Dissens - dann sagen Sie das -, oder es ist kein Dissens - dann sagen Sie, wie man da herauskommen will. Wenn Sie von § 23 so denken, wie Sie es eben getan haben, möchte ich Sie sehr herzlich bitten, ein bißchen vorsichtiger zu sein; denn ,die Bundesbank hat heute schon neue Erklärungen abgegeben, in denen sie doch weiter auf die Schwierigkeiten hinweist, überhaupt das Ziel zu erreichen, zum alten Kurswert zurückzukehren und neue Maßnahmen, die Sie als dirigistisch bezeichnen, anzuwenden.
Herr Bundeskanzler, wenn wir beginnen, über Dirigismus zu philosophieren, werden Sie nicht leugnen können, ,daß ein ,ganzes Stück mit ,einkalkuliert war - ich sage: mit einkalkuliert war! -: dieser Ablauf von Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, was ist das eigentlich anderes als gemacht, herbeigeführt, herbeidirigiert?
({42}) Diese Frage muß doch hier gestellt werden.
({43})
Wir möchten darauf hinweisen, daß dieses Gesamtpaket - das auch wir, Herr Bundeskanzler, wie ich ja sagte, zum Teil für richtig halten in diesem Augenblick eigentlich von keinem mit letzter Sicherheit endgültig verantwortet werden kann, mit Ausnahme der Herren, die mehr wissen als wir. Ich will sagen, worum es hier geht. Solange dieses Haus nicht weiß, was in der Agrarpolitik geschieht, kann hier sowieso niemand endgültig votieren. Deshalb hatten wir Ihnen vorgeschlagen, die Debatte erst zu führen, nachdem die Entscheidung gefallen ist.
Zweitens, Herr Bundeskanzler, kennen wir nicht den Grad Ihrer Entschlossenheit und den Grad der Bereitschaft der Tarifpartner, in der von Ihnen angeschnittenen Frage tätig zu werden. Das muß man als einen fundamentalen Bestandteil dieses Gesamtpakets wissen.
Und drittens, meine Damen und Herren, kann niemand leugnen, daß ein Zusammenhang zum mindesten zwischen dem Volumen des binnenwirtschaftlichen Programms und dem der außenwirtschaftlichen Maßnahmen besteht. Solange wir, Herr Kollege Schiller, nicht wissen, ob Sie, wie Sie in Brüssel unterschrieben haben, wirklich zum alten Kurs zurückkehren wollen, oder ob Sie meinen, das gehe wegen der Aufwertung in der Schweiz und in Osterreich oder wegen des Marktes hier nicht mehr, müßten wir wissen - und wenn wir es nur intern wissen müssen -, bei welchem Datum Sie die D-Mark am Schluß in der Parität festzuhalten gedenken. Sonst kann man zu dem Volumen im anderen BeDr. Barzel
reich, Herr Kollege Apel, verantwortlich ganz sicher nicht votieren.
Am Schluß möchte ich noch eine politische Berner-kung machen. Wir möchten zum Schluß zwei Dinge sagen. Einmal wollen wir noch einmal vor der Meinung warnen, man könne einseitig mit dem Wechselkurs Stabilitätspolitik betreiben. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei dem Halbsatz, in dem Sie die Sorge aussprachen, es könne auch umkippen, daran gedacht haben. Denn diese Sorge haben wir wegen der Arbeitsplätze. Was nötig ist, das ist ein Zurückschrauben der Ansprüche aller öffentlichen Hände und der Sozialpartner an das Sozialprodukt. Das ist es, worum es geht, und das steht im Mittelpunkt.
Das andere, Herr Bundeskanzler, betrifft Europa. Wir sehen, daß die europäische Solidarität die politische Frage ist, und wir haben erkannt, daß man, ob man nun die Frage europapolitisch, agrarpolitisch, währungspolitisch ansieht, an einem nicht vorbeikommt - damit sage ich uns allen nichts Neues; hoffentlich ist dann die Konsequenz auch einvernehmlich , nämlich daran, daß Europa, die Europäische .Gemeinschaft, sich in einem kritischen Stadium befindet. Es hat keinen Zweck, zu leugnen, daß Agrarmarkt und Grüner Dollar einmal eine erstklassige Integrationskraft hatten und alle sich vorstellten, es ginge schneller. Man muß aber jetzt sehen, daß hier sehr ernsthafte Probleme entstanden sind. Wir werden sie erörtern.
({44})
- Herr Kollege Wehner, ich habe gesagt, ich hoffe, daß wir uns hier auch in der Konsequenz finden. - Ferner darf niemand übersehen - und da sind wir sicher auch einig -, daß, wie die Lage jetzt zeigt, die Europäische Gemeinschaft noch nicht alle Kompetenzen hat, die sie brauchte, um eine solche Sache zu regeln, und die Nationen nicht mehr alle Kompetenzen haben, die sie brauchten, um eine solche Sache zu regeln. In diesem Zwischenstadium sollte es, so hoffe ich, der Wille von allen hier sein, diese Situation nach vorn und auf Europa hin zu überwinden.
Auch das notwendige Gespräch mit den USA setzt doch voraus - ob es die Währung oder die Hähnchen oder die Citrusfrüchte betrifft -, daß dieses Europa endlich mit einer Stimme zu sprechen imstande ist. Sonst wird das alles nicht gut gehen.
({45})
Deshalb möchten wir, Herr Bundeskanzler, hier sagen, daß dies alles nur gelingen wird, wenn ein Stufenplan und ein Datum für den Beginn einer politischen Gemeinschaft verbindlich verabredet werden. Wir haben Sie immer wieder ermuntert, als wir hier über den Werner-Bericht, über die Wirtschafts- und Währungsunion und den Stufenplan diskutierten, daß dies alles zu nichts führen würde, wenn es nicht von einem Stufenplan zur Erreichung der politischen Union begleitet sei.
Herr Bundeskanzler, wir bitten Sie, überprüfen Sie Ihre Konzeption, in der Sie doch sagen: für die
Wirtschaft die Gemeinschaft und für die Politik die Zusammenarbeit. Diese letzte Sache zeigt Ihnen, daß das nicht geht, daß wir in Europa nur nach vorne kommen, wenn die Politik mitkommt; sonst wird es eben Frustration geben.
Alle diese Vorgänge dieser Tage zeigen, daß es um zwei Dinge geht. Es geht erstens um Stabilität; ohne sie sind Reformen nicht zu haben. Und es geht zweitens um Europa, und das ist ohne politische Gemeinsamkeit nicht zu haben. Deshalb meinen wir, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich um diese beiden Dinge und auch um Entspannung vorwiegend kümmerten, dann trieben Sie nach innen und außen soziale und reale Friedenspolitik.
({46})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Erhard.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Schiller hat mich zwar nicht namentlich aufgerufen, aber, wie ich wohl annehmen darf, gemeint. Ich stehe zu meiner Überzeugung, daß eine echte Freigabe der Wechselkurse ein durchaus diskussionsfähiges und von mir anerkanntes Prinzip gewesen wäre, um der uferlosen Spekulation Einhalt zu gebieten.
({0})
Von welcher Situation gehen wir denn aus? Wir haben in Deutschland ein privat angespartes Kapital von 420 Milliarden DM. Nehmen Sie nur, Herr Kollege Schiller - nur! -, eine Inflationsrate von 5 % dann werden Sie nach Adam Riese zu dem Ergebnis kommen, daß dem deutschen Sparer, und zwar dem privaten Sparer, jährlich 21 Milliarden DM, das sind 21 000 Millionen DM, entschädigungslos entzogen werden.
({1})
Hier ist eine Schwelle erreicht, von der aus ein Deutscher Bundestag oder eine deutsche Bundesregierung und auch die Opposition nicht weiter schweigend zusehen können.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht in den Jargon des Kollegen Schiller vom Jahre 1966 verfallen. Er möge seine Bundestagsreden selbst nachlesen,
({2})
denn auch in der Politik müssen schlechte Beispiele nicht unbedingt gute Sitten verderben. Wir sind doch in einer Situation angelangt, die zum Teil hier schon gekennzeichnet wurde. Die Erträge aus Ersparnissen reichen nicht mehr hin, dem Inflationierungsprozeß auch nur einigermaßen gerecht zu werden. Nicht nur die Erträge aus dem Sparkapital verflüssigen sich, sondern auch die kompakte Masse des Kapitals selbst wird ja immer weiter aufgelöst und zerrinnt in nichts. Wir brauchen uns dann nicht zu verwundern, wenn das gesellschaftliche Auswirkungen hat. Es gibt kein sicheres Mittel, unsere
freiheitliche Gesellschaftsordnung zu zerstören, als wenn man einen inflationären Prozeß weitertreiben läßt.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn der einzelne Staatsbürger trotz allen Fleißes und aller Tugend des Sparens nicht mehr in der Lage ist, für sich selbst, für das Alter und seine Familie Vorsorge zu treffen, wird er rettungslos dem Kollektiv überantwortet, und wir werden die Zeche mit dem Verlust unserer Freiheit bezahlen.
({0})
Herr Kollege Erhard, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dorn?
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt auf die sogenannte Freigabe des Wechselkurses zurück. Heute wurde immer wieder von der Freigabe des Wechselkurses gesprochen. Ich möchte Sie fragen: Ist das nicht eigentlich eine Vokabel von gestern? Heute können Sie ernsthaft doch überhaupt nicht mehr von einer Freigabe des Wechselkurses sprechen.
({0})
Die Beschlüsse von Brüssel haben das aufgehoben. Sie sind nicht mit dem Schild, sondern auf dem Schild aus Brüssel zurückgekehrt.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dorn?
({0})
Ich habe mit keinem der wissenschaftlichen Institute gesprochen. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn die Herren damit hätten rechnen müssen, daß das, was in Brüssel vereinbart wurde, das Ergebnis ihres Freigabevorschlages gewesen wäre, d. h. daß die Aufwertung sozusagen nur für einige Wochen Gültigkeit haben soll, daß die Rückkehr zur alten Parität volle Anerkennung gefunden hätte und womöglich schon der Zeitpunkt dafür festgelegt worden wäre. So wird der Spekulation Tür und Tor geöffnet.
({0})
Man kann heute geradezu von einer Einladung zur
Spekulation sprechen. Wie die Dinge heute stehen,
wird die Spekulation regierungsamtlich sogar abgesichert. Man könnte sagen: Kauft Dollar, zu welchem Preis unter 3,63 DM auch immer;
({1}) wir geben euch jedenfalls die Garantie,
Abg. Haase [Kassel] : Daß wir sie zurücknehmen!)
daß wir diese Dollars am So und so vielten, wahrscheinlich schon früher, als ihr denkt, zum Kurs von 3,66 oder 3,63 in D-Mark umtauschen. - Meine Damen und Herren, die Freigabe der Wechselkurse, die ich mit befürwortet habe, wird unter dem Tatbestand der Brüsseler Beschlüsse zu einer Farce. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie zugeben müssen, daß Sie in Brüssel Ihre Bedenken angemeldet haben, aber damit nicht durchgedrungen sind. Ich habe auch keine Zweifel, daß Sie den Versuch unternahmen, eine gemeinsame Lösung der „Sechs" herbeizuführen. Das gelang nicht! Außerdem ist eindeutig der Beschluß gefaßt worden, daß eine Aufwertung nicht in Frage komme, weil die D-Mark nicht unterbewertet sei. Im übrigen haben auch die wissenschaftlichen Institute - wohlweislich, wie ich glaube - keine Aufwertung empfohlen, sondern eine Freigabe des Wechselkurses.
Bei einer Freigabe des Wechselkurses hätte sich folgende Situation ergeben. Die Spekulanten konnten nicht sicher sein, zu welchem Zeitpunkt die Bundesregierung unter Umständen wieder zu der offiziellen alten Parität des Dollars von 3,66 DM bzw. 3,63 DM zurückkehrt. Sie konnten nicht wissen, in welchem Ausmaß die Bundesbank interveniert und den Kurs stützt. Sie konnten überhaupt nichts wissen.
Wie sieht es aber heute aus? Heute liegen alle Zahlen und Daten sozusagen auf dem Tisch. Und da soll die Spekulation aufhören?! Ich kann nur jedem, der noch Dollars kaufen kann, raten: Tun Sie es, Sie werden sie zu höheren Preisen wieder los.
({2})
Nein, das war keine Lösung. Ich muß offen gestanden sagen, Herr Kollege Schiller: Wenn ich an Ihrer Stelle und in der gleichen Gesinnung in Brüssel gesessen hätte - denn eine Freigabe der Wechselkurse war durchaus sinnvoll gewesen -, dann hätte ich diese Bindung nicht akzeptiert, die dort beschlossen worden ist und der Sie zugestimmt haben. Übrigens auch der, daß bis zum 1. Juli zwangswirtschaftliche, dirigistische Maßnahmen beschlossen werden sollen. Ich weiß nicht, wie Sie sich da aus der Affäre ziehen wollen.
Ich brauche aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Ich bin nicht verdächtigt, dirigistische Neigungen zu haben, ganz bestimmt nicht. Ich bin das vor allen Dingen auch deshalb nicht abgesehen von der Gesinnung , weil ich bisher nirgends gefunden habe, daß ein Land, das mit dirigistischen Maßnahmen gearbeitet hat, zu einer besseren Ordnung hingefunden hätte.
Wenn ich ganz konsequent bin, dann muß ich sagen: Wenn ich schon in bezug auf die außenDr. Erhard
wirtschaftliche Absicherung dirigistische Maßnahmen, also Eingriffe des Staates, für erforderlich halte, dann müßte ich eigentlich zur binnenwirtschaftlichen Absicherung fordern, daß der Staat auch Einfluß auf die Freizügigkeit der Tarifpartner nimmt. Ich bin davon weit entfernt; im Gegenteil habe ich stets für die Freizügigkeit der Tarifpartner gekämpft.
Aber wie Sie da herauskommen wollen, wenn am 1. Juli die Tatsachen auf dem Tisch liegen werden, das mögen Sie uns sagen. Im Augenblick besteht jedenfalls eine völlige Unsicherheit und eine völlige Unklarheit. Die Auguren, die Wissenden, fühlen sich bewußt getäuscht. Es ist wohl auch kein Zufall, daß die ersten Meldungen aus Brüssel lauteten: unbefristete Freigabe. Jetzt auf einmal ist die Freigabe ganz deutlich befristet geworden.
Ich glaube, auch die Tatsache, daß bis zum 1. Juli weitere Entscheidungen fallen müssen, läßt darauf schließen, daß die Mehrheit unserer Partner im Ministerrat uns keine weitere Verlängerung zubilligt. Dann haben wir eine Schau von einer Freigabe der Wechselkurse aufgezogen, haben aber nur neue Unruhe und Unsicherheit hervorgerufen, ohne die gewollte - auch von mir gewollte - Wirkung zu erzielen. Ich glaube, das muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden und ich fühle mich insbesondere dazu verpflichtet; ich stehe nach wie vor zu meiner Überzeugung, daß eine Freigabe der Wechselkurse bei richtiger und konsequenter Anwendung und Anerkennung in Brüssel ein durchaus praktikables Prinzip gewesen wäre, um die fremde Spekulation abzuwehren. Das ist nun dahin, Herr Schiller; dessen sollten Sie sich bewußt sein.
Wir sollten auch nicht länger dem deutschen Volk das Märchen erzählen, es sei die Freigabe der Wechselkurse erfolgt. Das war einmal! Alles, was von heute an geschieht, ist doch schon mit der Sicherheit belastet, daß dies und das kommen wird: erstens, zweitens, drittens, genau wie es Kollege Barzel hier dargestellt hat. Das schafft eine völlig andere Situation. Wir haben es nicht mehr mit der Lage von gestern zu tun, auch nicht mehr mit der gleichen geistigen Auseinandersetzung, sondern wir stehen vor neuen Tatsachen; - die allerdings müssen sorgfältig durchdacht werden.
Meine Damen und Herren, mir geht es hier nicht um Anklage. Wir sollten uns Gedanken machen. Sicher, man kann darüber streiten, ob es eine Spekulation für die D-Mark oder gegen den Dollar war; wahrscheinlich mehr das letztere, wie ich gern zugebe. Wir sollten uns deshalb fragen und zwar nicht nur wir allein, sondern gemeinsam mit der, freien Welt -, ob das System von Bretton Woods noch völlig ausreicht, um zu einer gesunden internationalen Währungsordnung zu kommen.
({3})
Meine Damen und Herren, das System von Bretton Woods ist erdacht worden, als die ganze Welt im Zeichen einer Dollarlücke stand.
({4})
Auch bei uns haben Fünf Weise prognostiziert, daß die Dollarlücke in Europa eine ewige Krankheit bleiben müsse. Ich habe es nicht geglaubt. Es ist auch anders gekommen. Aber wenn ein System auf eine Dollarlücke ausgerichtet ist und sich die Wendung im Augenblick nach einer Dollarschwemme hin vollzieht, dann kann dieses Prinzip nicht völlig unangefochten weiter in Gültigkeit bleiben. Ich glaube, es liegt ebensosehr im Sinne der Vereinigten Staaten wie überhaupt der ganzen freiheitlich gesinnten Welt, daß wir uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir uns aus solchen Diskussionen freischwimmen können, die wir heute leider wieder zu führen gezwungen waren.
({5})
Das Wort hat Herr Bundesminister Schiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle haben den Worten des Herrn Altbundeskanzlers Ludwig Erhard aufmerksam gelauscht. Ich möchte mich, Herr Kollege Erhard, in erster Linie auf das konzentrieren, was heute und hier ansteht.
({0})
- Nein, nein, warten Sie ab! - Ich darf nur eines
im Rückblick auf die Jahre 1965/66 sagen: ich glaube, der Ökonom Erhard wird mir zustimmen, daß damals die außenwirtschaftliche Lage eine andere war als im Jahre 1971.
({1})
Das, was damals draußen an Preissteigerungen oder an Liquiditätsbewegungen entstanden war, entsprach nicht im Entferntesten der Lage im Jahre 1971, womit wir es heute und hier außenwirtschaftlich zu tun haben.
({2})
Nun ein Zweites, wenn ich Ihnen das in allem Freimut und aller Offenheit sagen darf. Ich stimme Ihnen zu: Sie kennen meine Präferenz für die Freigabe der Wechselkurse in dem Sinne, wie Sie es verstehen, wie es viele andere verstehen und wir auch in der Regierung. Nur: dieses Papier von Brüssel, Herr Kollege Erhard, - sicherlich ist es nicht das Maximum, was wir wollten ist ein Kompromiß, „pragmatisch und vernünftig", wie die „Times" gesagt hat.
({3})
- Jawohl. Ich möchte Ihnen eines sagen: natürlich
hätten wir bei dem Kampf in Brüssel mehrere Male die Aktendeckel zuschlagen und ohne eine solche gemeinsame Entschließung nach Hause gehen können. Bloß, dann hätten wir nicht die Ziffer 2 gehabt, das Tolerieren der Freigabe der Wechselkurse bei uns und anderen Ländern, und wir hätten nicht die Ziffer 4 bekommen, die Verpflichtung der Gemein7014 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 121. Sitzung. Bonn, Dienstag. den 11. Mai 1971
schaft für einen gemeinsamen landwirtschaftlichen Grenzausgleich. Wir wären ohne politische Absegnung zum Alleingang gezwungen, und das haben wir verhindert.
({4})
Dann, Herr Kollege Erhard, ich kann Sie beruhigen: es gibt weder intern noch verabredet noch auf irgendeine Weise sonst in dieser Welt in oder seit Brüssel einen Endtermin für die Zeitdauer des Floating.
({5})
Sie können da ganz unbesorgt sein. Wir haben allen, die irgendwelche zeitlichen Termine von uns haben wollten, gesagt: wir haben keine Termine, noch viel weniger können wir Termine eingehen; denn das wäre in der Tat eine Aufmunterung, eine Aufforderung an die Spekulation.
({6})
Nun verlangen Herr Barzel und vielleicht auch Sie eine Aussage darüber, was wohl am Ende der Zeit der Wechselkursfreigabe oder des Floating passieren wird. Dazu kann ich Ihnen beiden nur etwas sagen, worüber Sie staunen werden: In diesem Punkt halte ich die Ziffer 1 der Brüsseler Erklärung für ganz besonders gut. Wir stehen zu der in Brüssel bekundeten Entschlossenheit, denn sie ist das beste Mittel gegen die Spekulation. Wenn jetzt nämlich jemand von Ihrer oder von unserer Seite käme und offiziell erklärte - wir haben das nicht im Sinn , man habe am Ende der Floating-Periode etwas anderes im Auge, dann wäre genau das, Herr Kollege Erhard, eine öffentliche Einladung an die Spekulanten, „drinzubleiben" und auf die Aufwertung zu hoffen.
({7})
In diesem Punkt - es tut mir leid - haben Sie,
Herr Kollege Erhard, ich möchte sagen, ökonomisch falsch kalkuliert. Genau das wollen wir verhindern. Insofern halten wir die Ziffer 1 der Brüsseler Erklärung für richtig, weil sie jedem draußen die Hoffnung nimmt, durch das „Drinbleiben" im deutschen Markt eines Tages noch zusätzlich belohnt zu werden. In der Zwischenzeit kann jetzt die Spekulation „rausgehen", wenn sie ein paar Punkte gegen den Dollar und für die D-Mark realisiert, d. h. wenn sie in der Zwischenzeit ihre Gewinne machen kann. Das ist die Chance für die Spekulation. Eine andere gibt es nicht,
({8})
und genau in diese Situation wollen wir die Spekulation „hineintreiben", damit die Liquidität hinausgeht, mehr nicht.
Ich darf noch hinzufügen: Wir haben auch mit dem Hinweis auf den 1. Juli, der in dem Papier enthalten ist, keine dirigistischen Maßnahmen versprochen. Der Brüsseler Ministerrat weiß, daß wir „physische Kontrollen" ablehnen. Der einzige Punkt, den wir im Sinne der Ziffer 3 der Brüsseler Beschlüsse geregelt haben, ist das von uns ausgesprochene Verzinsungsverbot. Nichts anderes werden wir tun.
Herr Müller-Hermann hat heute vom § 23 gesprochen. Ich muß mich wie der Bundeskanzler gegen das verwahren, was Herr Müller-Hermann in diesem Zusammenhang gesagt hat. Wir haben tatsächlich von den sieben Nummern des § 23 die eine Hälfte der Nr. 7 in Kraft gesetzt. Nichts anderes haben wir auf diesem Gebiet vor. Das weiß man auch in Brüssel.
Herr Kollege Erhard, ich darf Ihnen zum Schluß sagen - hier bin ich ganz Ihrer Meinung, und das entspricht auch meinen Ausführungen zu Anfang der Debatte -: Wir wollen eine Bresche in das System von Bretton Woods schlagen; wir wollen die Tür aufstoßen und wollen das System elastischer machen. Genau aus diesem Grunde haben wir uns öffentlich zu den Vorschlägen der Exekutivdirektoren bekannt, die erneut zur Jahresversammlung des Weltwährungsfonds anstehen. Aber um eine Bresche für eine Reform des Systems von Bretton Woods schlagen zu können, mußten wir in Europa erst einmal die übrigen Mitgliedstaaten zu einer Einsegnung des deutschen Verhaltens bringen. Deshalb haben wir uns darum bemüht, die vier Punkte gemeinsam in Brüssel durchzubringen, damit wir bei der nächsten Versammlung des Weltwährungsfonds in Washington mehr Verbündete für eine Reform oder eine Auflockerung des Weltwährungssystems haben als bisher. Bisher standen wir allein. Hätten wir einen Alleingang gemacht, hätten wir vielleicht keinen Verbündeten beim Fonds. Jetzt haben wir eine ganze Reihe von Verbündeten. Das ist uns allerdings nur mit den vier Punkten des sicherlich unvollkommenen Kompromißpapiers von Brüssel gelungen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kienbaum.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Die Opposition hat durch ihren ersten Sprecher den Anspruch erhoben, besser zu regieren, besser speziell in der heute zur Aussprache stehenden Materie. Mir hat sie allerdings durch alle ihre Sprecher nicht verständlich gemacht, trotz des Aufwandes und trotz meines sorgfältigen Zuhörens nicht, was und wie sie es besser machen will oder besser gemacht hätte.
({0})
Lassen Sie mich bei diesem Thema noch einen Moment verweilen. Herr Dr. Müller-Hermann stellt beispielsweise fest, der Export dürfe nicht zum Prügelknaben werden.
({1})
Herr Dr. Barzel hat drei Punkte aufgeführt, die Differenz zwischen Lohn und Produktivität, das Auslandsangebot und die Spekulation. Aber er hat in
den letzten Tagen auch zum Ausdruck gebracht - das kam in seiner heutigen Rede auch wieder sehr deutlich zum Vorschein , daß er die Bundesregierung davor warnt, Maßnahmen zu treffen, durch die Arbeitsplätze gefährdet werden.
({2})
Professor Burgbacher hat sich mit einem Zwischenruf zu Wort gemeldet. Er läßt erkennen, daß er § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes lieber sähe.
({3})
Ich darf dazu feststellen: also staatlicher Dirigismus, ausgeübt durch Beamte als Schiedsrichter.
Herr Professor Erhard wies mit Recht auf eine gegenüber der Vorwoche veränderte Lage hin.
Herr Abgeordneter Kienbaum, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Burgbacher?
Nein, da heute die Beantwortung aller Fragen abgelehnt wurde.
({0})
- Bitte sehr!
Herr Kollege Kienbaum, die Ausführungen über § 23 und Dirigismus haben wir nun schon sehr oft gehört. Darf ich Sie fragen: Wissen Sie nicht, daß in den anderen Ländern der freien Welt ähnliche Vorschriften wie § 23 bestehen und daß der Grund bei uns die Dollarschwemme ist?
Nein, das weiß ich nicht nur nicht, sondern es entspricht nicht nicht den Tatsachen. Die Dollarschwemme hat ganz andere Gründe. Aber ich komme darauf gleich noch zurück.
Ich darf noch einmal auf die Äußerungen von Herrn Professor Erhard zurückkommen. Er hat die erwähnte Feststellung gemacht, aber er hat ein den Vorstellungen von Herrn Professor Burgbacher diametral entgegengesetztes Bekenntnis abgegeben: Er ist gegen Dirigismus.
Ich darf zu der besseren Regierungsarbeit zurückkommen. Sie verlangt Konzeptionen, allerdings der jeweiligen Tageslage angepaßt. Herr Dr. Barzel, Sie haben selber festgestellt, die Wiederherstellung der Stabilität gehe uns alle an, nicht nur uns hier, sondern alle beteiligten Gruppen draußen.
({0})
Das wird auch so sein, wenn Sie die Verantwortung tragen sollten.
({1})
Deshalb lassen Sie mich klarstellen, daß die Wiederherstellung der Stabilität Erwartungsverzichte erfordert.
({2})
- Sehr gut, ja. Ich will aber gleich zu Ihrer Überraschung sagen, welche auch: z. B. den Verzicht auf eine schnelle Änderung des Systems von Bretton Woods.
({3})
Sie wissen sehr gut, daß dieser Wunsch bzw. diese Forderung nicht von heute auf morgen verwirklicht werden kann, daß also die derzeit amtierende und Verantwortung tragende Regierung mit diesem System ihre Maßnahmen treffen muß.
({4})
Sie wissen auch, daß kein Teilbereich ausgenommen werden kann, kein Sektor im Binnenmarkt, keine Exportbranche und kein öffentlicher Aufgabenbereich.
Die Exportaufträge z. B. - das sollte deutlich gemacht werden - werden durch die Freigabe der Wechselkurse nicht gefährdet, Herr Dr. Müller-Hermann. Sie werden nicht gefährdet, es sei denn, sie sind zuvor bereits durch interne Kostenexplosionen in Gefahr gebracht worden.
Lassen Sie mich folgendes feststellen. Zahllose Firmen - das ist in der Abendveranstaltung des Wirtschaftsausschusses durch die Antwort des Bundesbankpräsidenten deutlich geworden - haben sowohl bei der freiwilligen Steigerung von Vergütungen als auch beim Hereinholen von Eurodollars leichtfertig gehandelt. Sie werden - das sollte hier klar gesagt werden - auf Konsolidierung in ihrem eigenen Firmenbereich umschalten müssen.
Keine Regierung kann Garantien für bestimmte Geschäfts- oder Berufstätigkeiten und erst recht keine Garantien für wirtschaftliche Ergebnisse geben, weder im Binnenmarkt noch im Export. In dieser Beziehung haben wir in Nordrhein-Westfalen einige bittere Erfahrungen sammeln dürfen. Hier in diesem hohen Hause stand die Garantie des Kohleabsatzes von 140 Millionen Tonnen zur Debatte, und die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, an der beteiligt zu sein ich die Ehre ,hatte, hat expressis verbis festgestellt: Wir können und wollen keine Garantie geben.
Deshalb darf ich Sie dringend darum bitten, aus dieser Diskussion über die Maßnahme der Bundesregierung keine neuen Erwartungen zu erwecken oder eventuell Tabus ungeschoren zu lassen.
({5})
- Es gab in dieser Richtung deutliche Anmerkungen.
({6})
Eine Regierung kann keine Garantien geben, schon gar nicht, wenn die Ergebnisse durch eine vorangegangene riskante Entscheidung oder durch eine Serie von Entscheidungen belastet werden.
Unsere Entscheidungen aber müssen von den verfügbaren und belegbaren Fakten und zusätzlich von unserer eigenen Bewertung der sichtbar werdenden Trends ausgehen. In bezug auf die belegbaren Fakten lassen Sie mich auf die Mitte des ver7016
gangenen Jahres zurückgreifen. Belegbares Faktum ist danach, daß seit Anfang 1970 mehr als 40 Milliarden DM neues Geld allein aus der Steigerung der Vergütungen in unseren wirtschaftlichen Kreislauf hineingebracht wurden. Belegbares Faktum ist ferner, daß zusätzlich 30 Milliarden DM als neue Liquidität und damit Kaufkraft aus dem Eurodollar-markt kamen.
Auf Grund der Meldungen der letzten Tage ist auch belegbares Faktum, daß sich das bislang vermerkte Nachlassen der Exportnachfrage umkehrt - offenbar eine Folge des Konjunkturaufschwungs in den USA. Schließlich ist ein Faktum, daß am Montag die Schweiz und Österreich aufgewertet haben. Von dieser Aufwertung ergeben sich erneut veränderte Wirkungen auf unsere Nachfrage in Deutschland.
Angesichts dieser nur wenigen aufgezeigten Fakten erscheint mir nach wie vor unklar, was die Opposition eigentlich an der Regierungsentscheidung - nicht an dem langen Gang der vorangegangenen Diskussion - zu bekritteln hat. Die zwei Maßnahmenpakete können Sie entweder bejahen oder ablehnen. Beim zweiten Paket können Sie vielleicht noch kritische Anmerkungen über die Größenordnungen machen; das wird bei der Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung und des Haushalts 1972 ohnehin erfolgen können.
Ich kann - ich muß es wiederholen - daher leider nicht erkennen, was in bezug auf die heutige Tageslage von Ihnen an besseren Vorschlägen und damit an Nachweis einer möglichen besseren Regierungstätigkeit zu erwarten ist.
({7})
Einen Vorschlag hat Herr Dr. Barzel deutlicher als früher angesprochen. Er unterstützt das Bemühen um eine Überzeugung der Tarifpartner in der Bundesrepublik, daß der Verteilungskampf zurückgeschraubt werden muß. Er läßt erkennen, daß er außerdem die Ausgaben der öffentlichen Haushalte abgebremst sehen möchte; mir ist nicht ganz klargeworden, ob als Startmaßnahme für eine dann folgende Kette weiterer Schritte und ein Nachziehen beispielsweise der Tarifpartner. Es ist mir auch nicht ganz klargeworden, welchen Umfang dieses Bremsen haben soll. Aber das werden wir mit Sicherheit ja bei der Diskussion über den Haushalt hören.
Leider ist mir aus Ihren Ausführungen überhaupt nicht klargeworden, ob Sie die außenwirtschaftliche Absicherung gutheißen oder nicht. Oder wollten Sie die Frage aufwerfen - von Behauptung will ich gar nicht reden -, ob CDU-Vertreter in Brüssel in der Ministerratssitzung mehr erreicht hätten? Das zu beweisen wird niemand in der Lage sein.
({8})
Herr Dr. Barzel wünscht neuerlich Analyse und Aufwertung und darauf aufbauend Therapie. Ihr Zeichen mit der Balance soll offenbar darauf hinweisen, daß Sie bereit sind, die jeweiligen Tagesfakten in Ihre Bewertung einzubeziehen. Dann allerdings dürfen wir wohl erwarten, daß davon auch wirklich ausgegangen wird - die Tageslage
läßt sich quantifizieren - und daß dann außer verbalen auch konkrete Vorschläge vorgelegt werden.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Analyse, Herr Kollege Dr. Barzel, sind wir zweifelsohne gar nicht so weit auseinander. Deswegen hat die Bundesregierung ja auch gehandelt. In der Tat war die Situation schwierig, und sie wurde schwieriger. Deswegen kam es darauf an, konjunkturell durchzugreifen, obwohl es wehtut. Wenn Sie allerdings meinen - sowohl Sie, Herr Dr. Barzel, als auch Herr Müller-Hermann -, diese Bundesregierung sei mitverantwortlich dafür, daß wir in die Währungsschwierigkeiten hineingelaufen seien,
({0})
dann müssen wir uns daran erinnern, daß am 31. März 1971 Herr Müller-Hermann hier im Hause gefragt hat - ich zitiere -, ob der Herr Bundesernährungsminister in seinem Hinterkopf schon Überlegungen im Hinblick auf eine mögliche neue Aufwertung habe. Daraufhin hat Herr Mertes dazwischengerufen: „Unverantwortlich!" Herr Dr. Klepsch dagegen fand das eine hochintelligente Bemerkung.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, man muß das in die Betrachtungen mit einbeziehen. Mehr ist dazu eigentlich gar nicht zu sagen.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu Herrn Professor Erhard machen, und zwar zu seiner Berechnung der Verluste der Sparer. Dazu muß man zweierlei sagen. Erstens hat es gerade in dieser letzten Phase sehr hohe Zinsen gegeben. Dies wurde von der Opposition ja auch angeprangert. Die Hochzinspolitik hat sich natürlich auch zugunsten der Sparer ausgewirkt.
({2})
Zweitens hat Herr Professor Erhard in seiner Zeit selber sehr hohe Preissteigerungsraten gehabt. Und man muß wenigstens dann vorsichtig sein, wenn man selber einmal im Glashaus gesessen hat.
({3})
Eine weitere Bemerkung. Herr Dr. Barzel, auch wenn Sie bei Herrn Kienbaum nicht wahrhaben wollten, Sie haben in Ihrer Rede, deren Wortlaut mir natürlich nicht vorliegt, den Eindruck erweckt. als sei die Vollbeschäftigung in unserem Lande doch in Gefahr. Wir sagen Ihnen: die Vollbeschäftigung ist nicht in Gefahr. Wir haben ein Alternativprogramm vorliegen, das wir notfalls antizyklisch einsetzen können. Insofern müssen wir das, was Sie hier gesagt haben, in der Tat auf das Konto „Panikmache" buchen.
({4})
Herr Kollege Barzel, wir bleiben bei der Überzeugung, daß wir in der Bundesrepublik in einer beneidenswerten Lage sind.
({5}): Sehr richtig!)
Es sind nämlich nicht die Zinsen gewesen, die die
vielen Dollars hereingelockt haben, sondern es war
die einmalige wirtschaftliche Lage dieses Landes.
Sie haben nun wieder auf die Preissteigerungsrate nach dem Index des Sozialprodukts hingewiesen. Dazu kann ich nur wiederholen, was ich in der letzten Woche gesagt habe: die Einführung in die Volkswirtschaftslehre nachlesen! Dort kann man erfahren, daß dieser Index nicht viel über Preissteigerungsraten aussagt. Dafür muß man andere Indizes verwenden.
({6})
Einige Bemerkungen zu dem Programm von Herrn Dr. Barzel. Meine Damen und Herren. Man konnte vor einigen Wochen in der Zeitung lesen, daß in Südafrika ein wundersames Ereignis eingetreten war. Ein Regenmacher hatte sich auf eine Lichtung gestellt und zelebriert, und siehe da: es fing an zu regnen! Dieser Regenmacher war ein ganz schlauer Mann: er hatte nämlich vorher hinter die Bäume geschaut und gesehen, was da an Wolken aufkam. So kommt mir Ihr Fünf-Punkte-Programm vor. Sie haben hinter die Bäume geschaut, Sie haben gesehen, was die Bundesregierung anbietet, und schlagen das als eigenes Programm vor. Sie sind der Regenmacher in der Konjunkturpolitik der Bundesrepublik! Mein Kompliment!
({7})
Denn, lieber Herr Kollege Barzel, die fünf Punkte, die Sie hier vorgetragen haben, sind ja in etwa die fünf Punkte der Bundesregierung mit der einen Ausnahme, daß der Herr Bundeskanzler zu Recht darauf hingewiesen hat, daß die mittelfristige Finanzplanung im Herbst dran ist und wir dann auch das von Ihnen geforderte seriöse Programm der inneren 'Reformen für den Rest der Legislaturperiode vorlegen werden.
({8})
Lassen Sie mich abschließend einige Bemerkungen zu Europa machen. Herr Müller-Hermann hat hier eine völlig falsche Alternative in die Debatte eingeführt - aber es ist ja in der Politik üblich mit falschen Alternativen zu arbeiten - nämlich die Alternative, innere Stabilität in der Bundesrepublik oder Fortentwicklung der Gemeinschaft. Ich brauche eigentlich dazu sehr wenig zu sagen, nachdem der Herr Bundeskanzler die Zusammenhänge sehr deutlich gemacht hat. Einen Aspekt will ich ergänzen. Europäische Integration kann doch wohl nur erreicht werden, wenn die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit diese Integration mit trägt. Das war auch über Jahrzehnte der Fall. Aber wenn Sie jetzt einmal nach draußen in die Versammlung gehen, merken Sie eine wachsende Antistimmung gegen die europäische Integration, weil man das Gefühl hat,
dies sei eine Inflationsgemeinschatt, und sie schade eigentlich mehr, als sie nütze. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß die Bundesregierung durch ihre Aktion klarmacht, daß wir diese Art von Europa nicht wollen, weil die Bürger sie nicht wollen. Wir müssen für alle Beteiligten sehr deutlich machen, daß ein Europa dieser Art nicht das Europa sein kann, das wir wollen: ein Europa der Gleichen und Starken, und das heißt ein Europa mit Stabilität und Wachstum.
Eine zweite Bemerkung: Herr Müller-Hermann, es ist falsch, wenn Sie meinen, das, was in Brüssel beschlossen worden sei, sei nationale Rückkehr. Herr Professor Schiller hat darauf aufmerksam gemacht, daß unser nationaler Währungsbeschluß in den Ministerratsbeschluß eingebunden ist. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wenn man sich diese vier Punkte genau ansieht, wird doch sehr deutlich - darüber haben wir ja auch debattiert -, daß wir durch diesen Beschluß in europäische Verbindlichkeiten eingebunden sind, z. B. bei der Agrarpolitik, aber auch bei anderen Punkten. Ich meine, durch diesen Beschluß sind, obwohl es sich vielleicht paradox anhört, erste Pflöcke auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion eingeschlagen worden. Die nationale Autonomie in der Währungspolitik geht unwiderruflich ihrem Ende entgegen, und um so wichtiger ist es, daß durch diesen Schritt deutlich gemacht wird, daß es jetzt darauf ankommt, etwas an gemeinsamer Politik zu tun und mehr zu tun als das, was wir bisher getan haben. Denn bisher haben wir doch die Politik Brüsseler Krisenkonferenzen gehabt, die den echten Durchbruch nach vorn eigentlich immer haben vermissen lassen. Diese Auseinandersetzung hat eben deutlich gemacht, daß die technokratischen Brüsseler Meisterwerke immer weniger den Belastungen der Wirklichkeit standhalten, daß Wirtschaftspolitik nur ein Teil der Gesamtpolitik ist, daß eine gemeinsame Währungspolitik in eine politische Integration eingebunden werden muß.
Herr Kollege Dr. Barzel, hier sind wir völlig mit Ihnen einer Meinung. Wir wollen die politische Union, aber, Herr Kollege Dr. Barzel, wir müssen Realisten sein und auch sehen, wie es nun in der politischen Landschaft in Zentral- und Westeuropa wirklich aussieht. Sie wissen ganz genau, daß dieser politische Zusammenschluß zur Zeit eben nicht zu haben ist, aber vielleicht durch diesen Schritt leichter wird.
Eine letzte Bemerkung. Ich bin Ihnen dankbar, daß keiner von Ihnen versucht hat, die Verhandlungen über den britischen EWG-Beitritt, die heute in ihr letztes, entscheidendes Stadium getreten sind, mit den Währungsentscheidungen zu verbinden.
({9})
Denn es wäre mißlich, wenn wir versuchen wollten, uns selbst den Schwarzen Peter zuzustecken. Die Verhandlungen über den britischen Beitritt sind durch die Entscheidungen des Ministerrats vom Sonntag nicht leichter, aber auch nicht schwerer
geworden. Die Probleme sind die gleichen geblieben. Vielleicht gibt es bei dem einen oder anderen Partner psychologische Anstöße, diesem Beitrittsbegehren doch jetzt positiver gegenüberzustehen. Das kann dann nur positiv vermerkt werden. Eines steht fest: Wir wollen diesen Beitritt ebensosehr, wie wir aus der europäischen Krisenpolitik heraus und in die politische Union hinein wollen.
Lassen Sie mich abschließen. Dies wird sicherlich nicht die letzte konjunkturpolitische Debatte in diesen Monaten und in diesem Jahr sein. Es wäre gut, wenn die Opposition neben ihren Forderungen an die Bundesregierung, die sie angemeldet hat, auch ein eigenes Konzept hätte. Das Regenmacherkonzept ist immerhin besser als keines.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können von unserer Fraktion aus nichts dafür, daß diese Diskussion heute und hier stattfindet. Wir hätten sie gern geführt, wenn die anstehenden, in Brüssel noch zu entscheidenden Probleme bereits verhandelt worden wären und das Ergebnis dieser Verhandlungen auf dem Tisch läge.
({0})
Herr Kollege Apel, ich darf, damit es eine parlamentarische Diskussion ist, zunächst auf einige Bemerkungen von Ihnen eingehen. Sie haben der Regierung Erhard hohe Preissteigerungsraten bescheinigt. Dieses Thema hat uns seinerzeit beschäftigt. Ich würde es an Ihrer Stelle nicht erwähnt haben; denn im Haus des Gehenkten redet man nicht gern vom Strick. Warum sage ich das? Damals, im Zusammenhang mit den Preissteigerungsraten der Jahre 1965/66 haben wir uns große Erkenntnisse und Lehren aus den Predigten der damaligen Oppositionspäpste wenn man das Wort in diesem Zusammenhang gebrauchen darf - Möller und Schiller anhören müssen.
({1})
- Ich versuche gerade zu beweisen, daß Sie nichts aus dem gelernt haben, was Ihre eigenen Redner damals gesagt haben.
Damals betrug die Steigerung der Lebenshaltungskosten, auf das Jahr 1966 insgesamt bezogen, 3,4 %. Sie hat vorübergehend, von Monat auf Monat bezogen, einmal die 4 %-Grenze überschritten; aber sie hat sich dann, auf das Jahr bezogen, auf 3,4 % beschränkt.
Ich muß auf einige Unterschiede hinweisen, Herr Kollege Apel, die zu würdigen Ihnen bei Ihrer Objektivität sicher nicht schwerfallen wird. Erstens sind die Preissteigerungsraten heute wesentlich höher, als sie damals waren. Sie liegen schon für
das Jahr 1970 mit 3,8 % höher, und was sich bisher für das Jahr 1971 abzeichnet, das steuert, wie Herr Müller-Hermann heute gesagt hat, eher der 5 %-Grenze zu, als daß sich etwa ein Abbau der Preiserhöhungsrate des Jahres 1970 abzeichnet.
Was ist der Unterschied? Auch ich bin der Meinung, daß diese Preissteigerungsraten - 3,4 % für das Jahr 1966, 3,8 % für 1970 und, jetzt überschaubar, 4,8 % für 1971 im Vergleich zu 1970; das endgültige Urteil wird sich erst in einigen Monaten geben lassen - kein allein zuverlässiger Index sind. Denn die sogenannten Lebenshaltungskosten - das heißt die Ausgaben der privaten Verbraucherhaushalte - sind ein nicht genügender Maßstab, wenn man nicht die Steigerung der industriellen Erzeugerkosten und ({2})
was noch viel gewichtiger zu Buche schlägt - die gewaltige Steigerung der Baukosten im Hoch- und Tiefbau, was sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor schwerstens zu Buche schlägt, in die Gesamtberechnung mit einbezieht. Dann liegen wir allerdings bei dem, was wir im Jahre 1970 zu verzeichnen haben und was Herr Barzel und auch andere Redner der CDU/CSU heute erwähnten: einem Zuwachs des realen Bruttosozialprodukts zwischen 4,5 und 5 und des nominalen Bruttosozialprodukts von über 12 %. Mit dieser Differenz zwischen unter 5 real - und über 12 % - nominal - liegen wir für das Jahr 1970 an der Spitze aller inflationär tendierenden Länder, einschließlich auch Japans und Nordamerikas.
Wenn Sie, Herr Kollege Apel, den Vergleich zum Jahre 1966 ziehen, werden Sie feststellen, daß im Jahre 1966 der Unterschied zwischen dein Zuwachs des realen und dem des nominalen Bruttosozialprodukts viel geringer war, als er im Jahre 1970 zu verzeichnen gewesen ist.
Eine zweite Bemerkung: Hat nicht der heutige Bundeswirtschaftsminister seinerzeit in gleicher Funktion bei der Großen Koalition in einem Dokument der Bundesregierung seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß für ihn Stabilität erst erreicht sei, wenn der Unterschied zwischen nominal und real nicht mehr als 1 % betrage? Das ist ein weiteres Kriterium zu dem, was Herr Barzel heute gesagt hat. Wenn Herr Schiller sagte, daß eine Differenz von höchstens einem Prozent zwischen realen und nominalem Zuwachs für ihn erst Stabilität bedeutet, wie müßte er das Ergebnis der Regierungspolitik bezeichnen, wenn sich eine Differenz von über 7 % zwischen nominal und real für das Jahr 1970 ergibt?
({3})
Ich möchte nur nebenbei erwähnen, daß bei den Preissteigerungen 1966 - es ist beinahe eine politische Vergangenheitsforschung - gerade im ersten halben Jahr wegen des schlechten Wetters die außerordentlich hohen Steigerungen der Lebensmittelkosten zu Buche schlugen, während damals die Steigerung der industriellen Erzeugerkosten, Herr Kollege Apel - wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht; ich habe die Statistik nicht bei mir -, bei
etwa 1,7 % gegenüber den 6 bis 7 % im Jahre 1970 liegt.
Dann darf ich noch das letzte in Ihr Stammbuch schreiben. Die Regierung Erhard hatte niemals das Stabilitätsgesetz als Instrumentarium der Stabilitätspolitik in der Hand.
({4})
Und warum nicht? Weil die für die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes erforderliche verfassungsändernde Mehrheit von der damaligen Sozialdemokratie in der Opposition nicht gestellt, sondern verhindert worden ist.
({5})
Das nur nebenbei erwähnt. Das war die Zeit, in der ich Herrn Schiller einen Postkutschenföderalismus vorgeworfen habe, als er nämlich als Ersatz für eine verfassungsändernde Mehrheit den Abschluß von Staatsverträgen Bleichlautenden Inhalts zwischen dem Bund und allen Ländern empfohlen hat.
({6})
Soviel aus dem Gedächtnis, Herr Kollege Apel, wenn Sie die angeblich hohen Preissteigerungsraten der Ara Erhard in Vergleich zu dem bringen, was heute Gegenstand unserer Unterhaltung ist. Dafür gibt es eben keine Vergleichsbasis, weil sich sowohl die Zahlen gewaltig unterscheiden als auch die Maßstäbe sich unterscheiden und die Mittel der Bekämpfung dieser Entartungserscheinungen damals wie heute verschieden sind. Damals hat man der Regierung das Instrumentarium verweigert; der heutigen ist es verschafft worden; aber sie macht keinen, einen falschen oder einen zu späten Gebrauch davon. Darin liegt der Unterschied.
({7})
Dann, Herr Kollege Apel, haben Sie von den falschen - ({8})
- Sie wissen, Herr Kollege Schäfer, daß ich für die
Verfassungsänderung war, um das Stabilitätsgesetz durchzusetzen, weil ich von dieser Art von Föderalismus, Staatsverträge zwischen Bund und Ländern in Sachen gemeinsamer nationaler Konjunkturpolitik abzuschließen, gar nichts halte.
({9})
- Ja sicher, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir.
({10})
Sie haben von falschen Alternativen gesprochen, Herr Kollege Apel. Man kann nur den Kopf schütteln, in welch kurzer Zeit sich die Fronten in diesem Hause ändern.
({11})
Ich habe seinerzeit bei einer wirtschaftspolitischen Diskussion den Herrn Bundeskanzler als den Kanzler der falschen Prognosen und der falschen Alternativen bezeichnet, weil noch bis vor kurzem der
Bundeskanzler die Preiserhöhungserscheinungen, die inflationären Erscheinungen verharmlost, Stabilität als garantiert oder demnächst wieder in vollem Umfange eintretend vorausgesagt und das, was eben an Preiserhöhungen eingetreten ist, als unvermeidlichen Tribut für die Vollbeschäftigung bezeichnet hatte, die ansonsten gefährdet wäre. Er hat damals die Alternativen aufgestellt, daß Preiserhöhung eben die unvermeidliche Begleiterscheinung einer Politik der Vollbeschäftigung sei, die auf keinen Fall gefährdet werden dürfe.
Heute hat Kollege Barzel darauf hingewiesen, daß natürlich jetzt die Summe aller Maßnahmen über längere Zeiträume hinweg die Frage des wirtschaftßlichen Wachstums, damit auch die Frage der Rezessionsgefahr und damit auch die Frage der Vollbeschäftigung aufwirft. Hier steht er in völliger Übereinstimmung mit so ziemlich allen in der praktischen Wirtschaftspolitik tätigen Verbänden, ob es der Deutsche Gewerkschaftsbund ist, der die gleichen Gefahren geäußert hat, ob es der Deutsche Industrie- und Handelstag ist, ob es der Bundesverband der Deutschen Industrie ist. Sie warnen alle seit geraumer Zeit davor, daß die Kumulation aller Erscheinungen - nicht eine einzelne Erscheinung, sondern die Summe, die Addition, die Kumulation , wie ja die bereits zurückgehende Investitionsneigung deutlich beweist, dieses Problem heraufbeschwören wird. Es ist nicht damit getan, dann, wenn die Situation da ist, sie festzustellen und nach Abhilfe zu schreien, sondern das Problem der Wirtschaftspolitik ist ja auch ein Problem der Wirtschaftsprognostik - schwach genug entwickelt allerdings -, nämlich festzustellen, wann der Bruch- I punkt kommt, der in der akuten Tageslage überhaupt nicht festzustellen ist, der aber dazu führt, daß eines Tages die von Barzel heute skizzierte Gefahr erscheint.
Sie sagen in einem bewundernswerten, offenbar von Gott Ihnen verliehenen Selbstvertrauen: die Vollbeschäftigung ist nicht in Gefahr. Ich gebe Ihnen recht. Die Vollbeschäftigung war in der ganzen Zeit, wo der Bundeskanzler mit dem Gespenst der Arbeitslosigkeit gedroht hat, bestimmt nicht das Thema bei den 600 000 offenen Stellen, bei den 2 Millionen Gastarbeitern, die wir haben, und bei den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt -, und sie ist auch heute nicht das aktuelle Problem. Aber langfristig gesehen wird die Kumulierung aller Maßnahmen
erst die Aufwertung, dann Freigabe der Wechselkurse, eine Kostenexplosion, zurückgehende Investitionsneigung - die durch künstliche Konjunkturaufblähung noch hinausgeschobene Problematik eines Tages nicht mehr verhindern können.
({12})
Nun haben Sie ein Programm des Kollegen Barzel erwähnt. Das ist ja ganz interessant. Denn heute haben wir immer gehört, daß der Barzel kein Programm habe, und Sie haben sich mit einem Programm von ihm beschäftigt.
({13})
- Ich komme darauf noch zu sprechen. Sie haben
gemeint, er sei der Regenmacher der Konjunktur.
Das hat mich etwas zu dem Bilde geführt: Wenn bei uns die Sonne scheint, dann war es bestimmt das Verdienst der Bundesregierung;
({14})
wenn es aber regnet, hat die Bundesregierung bestimmt mit dieser Erscheinung nichts zu tun, oder der Barzel ist es gewesen.
({15})
Ich fühle mich zu dieser Bemerkung deshalb veranlaßt, weil ja nicht nur heute, sondern schon bei früherer Gelegenheit - siehe Eröffnung des Landtagswahlkampfes in Rheinland-Pfalz der Herr Bundeskanzler gesagt hat: Wie kann man denn die Bundesregierung für die Preisentwicklung verantwortlich machen; da, wo die Preise gemacht werden, sitzen doch die Herren Stoltenberg und Strauß und Barzel viel näher daran. Ich habe mich damals schon mit dieser Problematik etwas beschäftigt, mit dieser Vorstellung von konspirativen Kräften in der Bundesrepublik, die zum Schaden der Bundesregierung ohne Rücksicht auf die Volkswirtschaft, ohne Rücksicht auf die sozialen Konsequenzen sozusagen in finsterer Konspiration die Preise hochtreiben, um dann endlich wieder an die ach so ersehnte Macht zu kommen. Das ist beinahe so wie: die Freimaurer oder die Juden sind an allem schuld.
({16})
Wenn aber der Herr Bundeskanzler heute wieder den Zusammenhang zwischen staatlicher Wirtschaftspolitik und der Gestaltung der Preise zu leugnen versucht, dann ist doch hier eine wunderbare geistige Metamorphose bei den gleichen politischen Kräften eingetreten. Denn früher hat man doch jede, aber auch jede in der Praxis nie zu vermeidende negative Einzelerscheinung der damaligen Bundesregierung angelastet und von ihr sofortige akute Abhilfe verlangt. Im übrigen, Herr Bundeskanzler, wenn die Bundesregierung nicht für die Preisentwicklung verantwortlich wäre, warum führen wir denn heute überhaupt eine Stabilitätsdebatte?
({17})
Wenn sich die Preise völlig unabhängig von den politischen Kräften, gewissermaßen durch autonome Naturereignisse innerhalb der Wirtschaft gestalten, dann wäre ja Ihr heutiger, doch sehr publikumswirksamer und dramatischer Auftritt mit dem beschwörenden Appell zugunsten der Stabilität völlig sinnlos gewesen, weil wir dann in einem falschen Theater über ein Thema reden würden, für das wir gar nicht zuständig wären.
Herr Kollege Apel, dann haben Sie gesagt, das Einströmen von Auslandsgeld sei der einmaligen wirtschaftlichen Lage dieses Landes zuzuschreiben.
({18})
- Doch, doch, das haben Sie wörtlich gesagt. Ich
habe es genau aufgeschrieben. Das müssen Sie im
Protokoll dann streichen, wenn Sie es gestrichen wissen wollen.
({19})
Ich bin durchaus einverstanden, denn das Wort „einmalig" klang mir so bemerkenswert in den Ohren, nicht zuletzt deshalb, weil ich vor einigen Wochen gelesen habe, daß der Sprecher Ihrer Fraktion oder Partei erklärt hat, daß die Bundesrepublik dank der Politik der Bundesregierung eine Traumkombination in Zielerfüllung erreicht hat. Ich habe mir unter Traum immer etwas anderes vorgestellt, als was wir heute in der Wirklichkeit als inflationäre Entwicklung zu verzeichnen haben.
({20})
- Nein, das war die „Traumkombination" eines
Miteinanders von a) Preisstabilität, b) Vollbeschäftigung und c) Wachstum und d) ausgeglichener Zahlungsbilanz. Wenn es die Traumkombination und die für Sie einmalige wirtschaftliche Lage des Landes sind, die das Auslandskapital hereingeholt haben, dann steht das einfach in Widerspruch zu der Tatsache, daß bei uns in gewisser Hinsicht die inflationären Entwicklungen größer sind als in anderen Ländern, wie vorher dargestellt.
Allerdings steht die Bundesrepublik im Kreise aller modernen Industrieländer noch in dem Rufe einer sehr raschen Expansion und einer relativ hohen Wachstumsquote, obwohl die Differenz zwischen realem und nominalem Wachstum erheblich zugenommen hat, obwohl die Produktivitätssteigerung wesentlich geringer als die Zunahme der Kosten ist. Aber es gibt einen gewissen Mythos der deutschen Wirtschaft, einen gewissen Mythos des gar nicht existierenden deutschen Wunders und der Deutschen Mark, der angesichts der Erscheinungen in anderen Ländern, wo wir Inflation mit Arbeitslosigkeit haben, was uns bisher erspart geblieben ist - ich sage ausdrücklich: bisher erspart geblieben ist , Geld hereinholt.
Sie können doch nicht bestreiten - Sie werden doch heute von Ihren eigenen Rednern eines Besseren belehrt -, daß die Hochzinspolitik der Bundesbank negativ außenwirtschaftliche Folgen auch in Abwägung der Übel und im Zielkonflikt in Kauf genommen hat. Es hat keinen Sinn, jetzt in moralischen Kategorien zu reden. Aber daß sich das Auslandskapital dort am schnellsten festlegt, wo der höchste Zinsgewinn zu erzielen ist, ist doch selbstverständlich. Sie wissen doch selbst, mit welchem Habenzinssatz allein kurzfristige Einlagen verzinst worden sind. Über viele Monate hinweg sind in der Bundesrepublik für relativ kurzfristige Festeinlagen von einem Vierteljahr bis zu einem Jahre Habenzinsen von 8 %, 9 % bis zu 10 % gezahlt worden. Erst jetzt hat die Bundesbank den Diskontsatz gesenkt, hat die Mindestreservenpolitik etwas gelockert, wodurch eine gewisse Änderung nach unten eingetreten ist. Man kann aber doch nicht einfach die Augen vor der Tatsache verschließen, daß die durch die Versäumnisse der Bundesregierung von der Bundesbank betriebene - und weil sie sich allein überlassen war, von ihrer Seite aus auch notStrauß
wendige - Restriktionspolitik die hohen Zinsen in
Kauf genommen und damit den Zustrom des hohen Auslandskapitals begünstigt hat.
Lassen Sie mich umgekehrt sagen, hätte hier wirklich eine konzertierte Aktion zwischen Bundesregierung und Bundesbank stattgefunden - und die Versicherung des Gegenteils ist doch einfach falsch; es hat doch keinen Sinn zu sagen, daß Bundesbank und Bundesregierung in idealer Kooperation zusammengewirkt hätten -, hätte sich nicht die Tatsache ergehen, daß die Bundesbank von der Bundesregierung weitgehend, vor allen Dingen in der entscheidenden Phase, alleingelassen war. Das aber hat die Bundesbank dazu bewogen, unter Abwägung der Übel und im Bewußtsein des Zielkonfliktes eine Hochzinspolitik beizubehalten, und zwar in dem ganz klaren Wissen, daß damit das Übel des Zustroms spekulativen Auslandskapitals noch verstärkt wird.
({21})
Alles andere ist doch dann wirklich Kindergartenerzählung.
Dann sagten Sie nicht zu Unrecht: Wir wollen kein Europa als Inflationsgemeinschaft, wir wollen ein Europa der gleichen und starken Länder, wir sind dafür, daß die nationale Autonomie auch auf dem Währungsgebiet zu Ende geht. Ich stimme Ihnen darin völlig zu, genauso wie ich Herrn Schiller zustimme, wenn er heute das gleiche Wort gebraucht hat: Europa darf nicht zu einer Inflationsgemeinschaft werden. Bis jetzt hat man aber in der deutschen Öffentlichkeit noch nicht den Eindruck, daß die inflationären Tendenzen mit ihren verheerenden sozialen Konsequenzen etwa europäische Importware sind. Bis jetzt hat man noch den Eindruck - wir wollen Ursache und Wirkung hier doch richtig darstellen -, daß es sich um eine hausgemachte Inflation handelt. Herr Schiller hat das in Hannover ehrlicherweise auch selbst zugegeben.
({22})
Es ist nur - hier muß ich eine kritische Anmerkung machen, und zwar sowohl an die Adresse des Herrn Bundeswirtschaftsministers als auch an Ihre Adresse - verständlicherweise nicht so, daß die anderen Partner in der EWG, vor allen Dingen die beiden größeren Partner Frankreich und Italien, nach der Vorstellung handeln, daß am deutschen Wesen die europäische Welt genesen könnte. Die Bundesregierung hat heute bedauert, daß die übrigen Partner sich nicht den Vorstellungen der Bundesregierung angeschlossen haben. Das wäre freilich eine sehr einfache Europapolitik, europäische Einigung jederzeit dann herzustellen, wenn alle anderen sich unseren Vorstellungen anschließen. Das ist eine gefährliche Vorstellung, Herr Kollege Apel. Auf diese Weise wird eine ganze Menge antideutscher Ressentiments erweckt. Wenn wir sagen: Wir schlagen die Bresche in das System von Bretton Woods; wir mußten hier mit gutem Beispiel vorangehen, damit endlich ein überholtes System aufgelockert und überwunden werden kann!, sind das genau die Töne, die man im Ausland mit großem Unbehagen
registriert und die dort dann zu Konsequenzen führen, die keiner von uns wünschen kann.
({23})
- Ich habe Herrn Schiller und jetzt Herrn Apel
gemeint.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
Bitte sehr!
Herr Strauß, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der EWG-Vertrag, den ja Herr Erhard unterschrieben hat, eindeutig festlegt, daß die Mitgliedsländer eine Politik unter Wahrung eines hohen Beschäftigungsstandes, eines stabilen Preisniveaus usw. zu treiben haben? Insofern kann nicht davon die Rede sein, daß am deutschen Wesen die Welt genesen soll. Es muß nur eben der EWG-Vertrag zum Zuge kommen. Halten Sie es nicht auch für ein legitimes Ansinnen der Bundesregierung, darauf aufmerksam zu machen und dieses zum politischen Impetus der Gemeinschaft werden zu lassen?
Strauß ({0}). Herr Kollege Apel, daß das Ansinnen legitim ist, werde ich Ihnen nie bestreiten. Ich habe vorher bestätigt, daß dies unsere gemeinsame Sorge ist und daß niemand mehr als wir in der CDU/CSU kein Europa der Inflationsgemeinschaft wünschen. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß gerade Ihre Frage eben meine Bedenken bestätigt: daß wir nämlich so tun, als ob wir im Besitz der alleinseligmachenden Auslegung des EWG-Vertrages wären, während die anderen ihn entweder nicht ernst nehmen oder im finsteren Irrtum verharren und durch uns erst eines Besseren belehrt werden müssen.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Apel?
Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß das, was Sie ansprechen, eigentlich gar nicht das Problem ist, sondern daß das Problem darin liegt, daß es keinen politischen Überbau und deswegen immer noch nationale Konjunkturpolitik gibt?
Auch hier unterscheidet uns nichts.
Dann verstehe ich wirklich nicht, Herr Strauß, warum Sie national abwertende Bemerkungen - im Stile: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen - in diese Debatte einführen. Sie gehören nicht in diese Debatte.
Herr Kollege Apel, auch in der Hinsicht unterscheidet uns nichts, daß das Fehlen eines politischen Überbaus eine gemeinsame Konjunkturpolitik verhindert. Ich bin auch der Meinung, daß die Freigabe der Wechselkurse durch alle Sechs einen Sinn hätte, allerdings - insofern möchte ich die Ausführungen von Herrn Erhard ergänzen nur unter der Voraussetzung, daß dann auch alle eine gleiche Konjunkturpolitik betreiben, was so lange Utopie bleibt, als keine zentralen Instrumente zur Erzielung und Durchführung dieser Konjunkturpolitik vorhanden sind. Bis dahin müssen wir mit festen Wechselkursen auskommen. Wir können nicht im Alleingang andere nachziehen, uns darauf berufend, daß es mehrere gewesen seien, aber dann eine einheitliche Beschlußfassung in der EWG ,durch Beharrung auf unserem Standpunkt verhindern. Das ist doch die Problematik, bei der sich eben leider alles im Kreise dreht.
Lassen Sie mich nun noch zu einigen weiteren Überlegungen einige Bemerkungen machen. Wir waren ja heute alle vielleicht nicht überrascht, aber befriedigt, daß der Bundeskanzler das Thema „Stabilität" in diesem Frühjahr mit einer besonderen Dringlichkeitsnote ausgestattet hat. Es wäre gut gewesen, wenn er dem Thema der Stabilität schon damals bei seiner Regierungserklärung und in den darauffolgenden neun Monaten die gleiche Präferenz und die gleiche Priorität gewidmet hätte.
({0})
Herr Kollege Apel, es hat keinen Sinn, daß wir in einen Dialog eintreten. Ich habe zwei Fragen beantwortet.
({1})
- Ich bin gern bereit zu antworten, aber dann nicht zu Lasten meiner Redezeit.
Herr Strauß, es soll auch wirklich die letzte Frage sein. Können Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß Sie bei der Aufwertung der D-Mark hier entschieden dagegen gesprochen haben und düstere Bilder einer Krise an die Wand gemalt haben und daß Sie es waren, der von Anfang an mit Ihrer Fraktion zusammen jede gemeinsame Konjunkturpolitik verhindert und hintertrieben hat?
({0})
Ich glaube, Sie sollten doch Ihre Gedächtnislöcher etwas füllen; denn sonst laufen Sie immer wieder Gefahr, sich, ich darf sagen: beinahe zu blamieren, Herr Kollege Apel.
({0})
- Es ist eine völlig falsche Darstellung, daß wir
währungspolitische Maßnahmen schlechthin abgelehnt hätten und daß wir die Beibehaltung der früheren Paritäten für ein nicht anzutastendes Tabu erklärt hätten. Wir haben nur zwei Dinge gesagt, und das wiederhole ich hier: erstens, daß Währungspolitik kein Ersatz für Konjunkturpolitik und kein Instrument der Konjunkturpolitik ist.
({1})
Wir haben doch schon vor sechs Monaten wieder höhere Zahlungsbilanzüberschüsse gehabt, als wir damals hatten, und die Bundesregierung hat vor sechs Monaten erklärt, an Aufwertung sei nicht zu denken. Jetzt ist sie in ihren geheiligten Auffassungen offensichtlich wieder etwas wankend geworden. Aber darüber wird noch zu reden sein.
Wir haben zweitens erklärt, daß der Druck nicht dauernd auf die D-Mark abgewälzt werden darf. Wenn man nämlich das Beispiel dafür gibt, daß man sich der Spekulation beugt, dann wird man sie immer wieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit und mit dem leisesten Windhauch ins Land holen.
({2})
Ich hätte einer allgemeinen Reorientierung der Währungsparitäten genauso wie meine gesamte Fraktion und der damalige Bundeskanzler nicht widersprochen, nur dem deutschen Alleingang, der schlecht vorbereitet war, der nicht ausgehandelt war und der dann auf dem Agrarsektor, was Sie hoffentlich nicht bestreiten werden, erhebliche Störungen und Verärgerungen und in einer gewissen Bevölkerungsschicht erhebliche Nachteile, die bis jetzt in keiner Weise voll augeglichen worden sind, hervorgerufen hat; und jetzt fangen wir schon wieder mit dem gleichen an, hier Verwirrungen, Unsicherheit und Nachteile zu schaffen, und sprechen von einem vollen Ausgleich, ohne daß der Ausgleich wegen der früheren Maßnahme bis jetzt auch nur einigermaßen zufriedenstellend gewährleistet worden ist.
({3})
Ich möchte nicht, Herr Kollege Apel, die Schlacht des Jahres 1969 jetzt noch einmal schlagen. Aber es ist doch auch kein Zweifel, daß Sie im Jahre 1969 blind auf die allein seligmachende Wirkung der Aufwertung vertrauten. Ich denke an die damaligen Heeresberichte und Siegesmeldungen, die von offiziellen Hauptquartieren ausgegangen sind, und an das, was dann in Wirklichkeit gekommen ist. Man bezeichnete die Aufwertung gewissermaßen als den Startschuß für die wiedererlangte wirtschaftspolitische Bewegungsfreiheit und sah damit das Problem der Stabilität und der Inflationsbekämpfung als erledigt an. Die Aufwertung damals man mag so oder so zu ihr stehen; meine Einstellung ist bekannt - war ein Schlag ins Wasser, weil man nicht mit ihr - was leider nicht geschehen ist - begleitende Maßnahmen zur Dämpfung der hausgemachten Inflation verbunden hat.
({4})
Da sind wir beim springenden Punkt, Herr Kollege Apel. Warum sind damals diese begleitenden Maßnahmen nicht mit der Aufwertung verbunden worden? Warum? Das ist der Kern der Probleme. Begleitende Maßnahmen hätten damals bedeutet: eine restriktive Haushaltspolitik für den Rest des Jahres 1969, sie hätten bedeutet eine restriktive Haushaltspolitik für das Jahr 1970, sie hätten beStrauß
deutet erhebliche Einschränkungen in der mittelfristigen Finanzplanung. Ferner hätten flankierende Maßnahmen bedeutet, bereits zum 1. Oktober oder spätestens zum 1. Januar, notfalls wegen der Rückzahlungsverpflichtung unter Änderung des Stabilitätsgesetzes, den zehnprozentigen Konjunkturzuschlag einzuführen. Sie haben heute gesagt: Sie haben es ja im Juli 1970 abgelehnt. Natürlich haben wir im Juli es zwar nicht abgelehnt, aber uns durch Stimmenthaltung nicht an der Verantwortung beteiligt.
({5})
Wenn nämlich einmal die Schwungmasse des Inflationsmotors in voller Bewegung ist, dann bedarf es wesentlich größerer Einwirkungen und einschneidenderer Maßnahmen, um sie wieder zu verlangsamen und zum Stillstand zu bringen, als es im Jahre 1969 um die Jahreswende auf 1970 bedurft hätte, als man mit relativ harmlosen und weniger fühlbaren Maßnahmen hätte vorgehen können.
({6})
Aber Sie konnten das ja gar nicht tun - lassen Sie mich das offen sagen -, weil Sie auf die vergangenen 20 Jahre hingewiesen haben, auf all die schrecklichen Versäumnisse, all die schrecklichen Fehler und was damals an Infrastruktur verpaßt worden sei, was an Reformen sozusagen verschlafen worden sei. Da haben Sie das Bild des modernen Deutschland, des Goldenen Zeitalters, der anbrechenden Zukunft, der neuen Zeitrechnung hingemalt, auf allen Gebieten mehr Geld, für individuellen Sozialkonsum mehr Geld, für kollektiven Sozialkonsum, für Gemeinschaftsinvestitionen mehr Geld. Sie konnten doch nicht gleichzeitig der Aufwertung durch flankierende Maßnahmen einen Sinn geben, weil Sie damit ja Ihre gesamten Ankündigungen - modernes Deutschland, neues Zeitalter, Reformen - von vornherein hätten unterlassen müssen.
({7})
Dann wäre der ganze Spuk überhaupt nicht entstanden. Der Luftballon ist sowieso geplatzt, aber Sie haben ihn eine ganze Zeit prächtig und farbenschillernd spazieren getragen, um damit die deutsche Öffentlichkeit mit großen Zukunftshoffnungen zu erfüllen. Die Brötchen, die heute der Herr Bundeskanzler gebacken hat, die waren schon viel bescheidener als die Riesenwecken, die er damals in Aussicht gestellt hat.
({8})
Ich brauche Sie wohl nicht mehr an das makabre Spiel zu erinnern, das in den gleichen Zusammenhang gehört, mit Steuersenkung und Steuererhöhung. Ich bin ja dem Sinn nach der Brunnenvergiftung bezichtigt worden, als ich damals sagte - sinngemäß sagte -: Die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrags wird noch lange Zeit nicht möglich sein. Jetzt wird sie ja kombiniert werden mit Maßnahmen, wo die linke Hand gibt und die rechte wieder nimmt oder umgekehrt, eher sagen wir: wo die rechte Hand gibt und die linke nimmt; das ist vielleicht der bessere Vergleich in dem Zusammenhang.
({9})
Die beabsichtigte Erhöhung des Einkommensteuertarifes, habe ich damals gesagt, macht sowieso den Wegfall der Ergänzungsabgabe überflüssig. Ihr Wegfall wird ja jetzt nur formell erfolgen, aber die Ergänzungsabgabe wird in den Gesamttarif eingebaut werden. Es steht doch heute nach Ihren Plänen, über die ich mich jetzt gar nicht äußern will, fest, daß nicht nur die 54,9 % vorgesehen sind, die wir jetzt als Spitzensatz haben, sondern Sie haben Pläne bis 56% und 58 %. Sie brauchen ja bloß an das zu denken, was Ihre Kommission nicht veröffentlicht hat in diesen Tagen, weil sie jetzt noch nicht die Katze aus dem Sack lassen will. Aber damals, als wir das sagten, sind wir der Brunnenvergiftung bezichtigt worden.
({10})
- Ja, das stimmt.
({11})
Steuersenkung und Steuererhöhung! Sie haben damals Steuersenkung versprochen auch als einen Teil der Reformen. Hernach fiel es Herrn Ahlers sehr schwer, zu erklären, daß die versprochenen Steuersenkungen - Arbeitnehmerfreibetragsverdoppelung, Wegfall der Ergänzungsabgabe - nicht Teil des Reformprogramms seien und daß ihre Unterlassung auch kein Brechen eines gegebenen Wortes sei.
({12})
- Ich könnte Ihnen noch einiges zu Ihrer Bemerkung sagen, Herr Kollege, aber das überlassen Sie mir bei passender Gelegenheit.
Aber damit kommen Sie um die Tatsache nicht herum, daß Sie in der Regierungserklärung dem Volke Steuersenkungen in Höhe von 2 Milliarden Mark, in Kraft tretend ab 1. Januar 1970, versprochen haben und damit den allgemeinen Taumel der Ausgabenfreudigkeit im öffentlichen Sektor wie im privaten Sektor begünstigt haben.
({13})
Haben Sie nicht uns, die CDU/CSU, damals im Finanzausschuß mit einer Stimme Mehrheit niedergestimmt, als wenige Tage vor den drei Landtagswahlen Herr Pohle für die Fraktion der CDU/CSU den Antrag stellte,
({14})
dieses Steueränderungsgesetz 1970, wie es hieß, bis auf weiteres zurückzustellen, weil es aus konjunkturpolitischen Gründen nicht zu verantworten sei? Sie haben bis zum Tage der Landtagswahlen in der Öffentlichkeit den Eindruck aufrechterhalten, daß am 1. Juli die Steuersenkung kommt. Sie haben in der Woche nach der Landtagswahl hier den Antrage gestellt, - Herr Schiller ist es gewesen für die Bundesregierung -, dieses Gesetz von der Tagesordnung abzusetzen, weil es konjunkturpolitisch nicht zu verantworten sei. Das ist der eigentliche Grund, warum Sie im Herbst 1969 nicht das Notwendige tun konnten. Sie haben es entweder nicht gesehen oder Sie haben es gesehen und wollten es nicht zugeben, weil damit der ganze
Schaum des Reformprogramms wiederum frühzeitig in sich zusammengebrochen wäre. Das ist doch die Wirklichkeit.
({15})
Heute haben wir vernommen, daß die Devisenzuflüsse nicht durch die Hochzinsen verschuldet, sondern der einmaligen wirtschaftlichen Lage unseres Landes zuzuschreiben seien. Der Bundesregierung könne wahrlich nicht die Verantwortung für die jetzige Währungskrise, wie sie etwas übertrieben genannt werde, aufgebürdet werden. Die früheren Redner der CDU/CSU haben Ursache und Wirkung heute bereits dargestellt. Ich lasse einmal völlig offen, wie die Gutachten zustande gekommen sind. Jedenfalls gab es hier ein ganz schönes Zusammenwirken von bestimmten Faktoren. Wenn die Bundesregierung Wert darauf gelegt hätte, eine durch die Gutachten geförderte, allmählich lawinenartig anschwellende Spekulationsstimmung zu verhindern,
({16})
hätte sie erklären müssen: Das ist eine interessante Meinung, aber die Bundesregierung denkt nicht daran, auf währungspolitischem Gebiet aufzuwerten oder eine Freigabe der Wechselkurse einzuführen.
({17})
Wenn die Bundesregierung diese Gutachten jedoch selber als einen „nützlichen Beitrag zur Meinungsbildung" bezeichnet und wenn - Herr Kollege Apel, Sie haben es doch heute und wahrscheinlich auch in der Fraktion selber gehört oder haben es gelesen - der Bundeskanzler den nationalen Alleingang der Bundesrepublik sozusagen als Opfergang im Interesse der übrigen Europäer verkündet, darf man sich nicht wundern, wenn nach dem Grundsatz „Geld ist scheu wie das Reh" Gelder angezogen werden, wieder abfließen und die Spekulation ins Land geholt wird. Das können Sie doch nicht bestreiten.
Da Sie von Europa gesprochen haben, lassen Sie mich in dem Zusammenhang dazu noch ein paar Bemerkungen machen. Wir werden sehen, wie die endgültige französische Haltung sein wird. Es ist ein unguter Zustand, wenn man immer wieder, sogar durch offizielle Papiere, nämlich durch den „Nachrichtenspiegel" des Bundespresse- und Informationsamtes, von Stunde zu Stunde andere Situationsberichte bekommt. Es heißt hier - der Bericht stammt von gestern -:
Frankreich hat am Montag überraschend seine Mitarbeit beim Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion aufgekündigt, bis alle EWG-Länder wieder zu festen Wechselkursen zurückgekehrt sind. Wirtschafts- und Finanzminister Giscard d'Estaing teilte diese scharfe Reaktion auf die Wechselkursfreigabe von D-Mark und Gulden auf einer EWG-Ministerkonferenz in Brüssel mit.
Dann heißt es weiter:
Durch die französische Entscheidung ist praktisch die weitere Vorbereitung der Währungsunion blockiert. Die Sitzung der EWG-Wirtschafts- und Finanzminister, die Mitte Juni im Rahmen der neuen Union die Konsultationen über die Konjunkturlage in der Gemeinschaft aufnehmen sollten, dürfte ausfallen, da sie nicht vorbereitet werden kann. Die EWG-Partner Frankreichs nahmen diese Erklärung mit großem Befremden auf. Bundesminister Scheel
- so heißt es in diesem Papier sagte in seiner Stellungnahme: „Ich messe dieser Erklärung keine besondere politische Bedeutung bei."
Wenn man die Franzosen veranlassen will, ihren Erklärungen eine besondere politische Bedeutung beizumessen, braucht man ihnen nur zu versichern, daß ihre Erklärungen unbedeutend seien und nicht weiter ernst genommen werden sollten.
({18})
Die französische Presseagentur AFP schreibt:
In Pariser Finanzkreisen betrachtet man die Erklärung des französischen Finanzministers als eine Stellungnahme, die alle Zweideutigkeiten beseitigen soll. Wenn die EWG-Länder diese Union wünschen, dann sollen sie sie auch verwirklichen. Die Angelegenheit ist indessen zu ernst, um in Expertenausschüssen so zu tun „als ob", während von einer Union doch nicht die Rede sein kann, wenn die Währungen der EWG-Länder frei pendeln.
So AFP vom 10. Mai dieses Jahres.
Interessant ist auch ein Blick in die britische Presse. Dort heißt es z. B., die Haltung der Bundesregierung bei der Brüsseler Konferenz in bezug auf die Freigabe der Wechselkurse sei ein Geschenk für die britische Zahlungsbilanz, „a bonusday for Britain". In einem anderen englischen Organ heißt es, das Ergebnis von Brüssel sei gewesen „agreement to disagree". Schon wesentlich gefährlicher ist eine weitere britische Wertung, in der es heißt, Frankreich sei infolge der Haltung der Bundesregierung der Unterlegene dieser Konferenz gewesen. Wir wissen, daß solche Erklärungen oder solche Publikationen geeignet sind, langfristige Verstimmungen auszulösen, für die uns eines Tages wieder die Rechnungen präsentiert werden. Weiter heißt es, die Bundesregierung habe Gemeinschaftsrealismus gegenüber dem Gemeinschaftsdogmatismus anderer Länder bewiesen.
Der „Guardian" schreibt, die westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft stünde vor der Frage: Integration oder Auseinanderbrechen. Der „Telegraph" meint, die Verwirrung sei noch verstärkt worden.
({19})
Aber interessant bei diesem Querschnitt der Meinungsbildung ist, was „Financial Times" schreibt: „Frankreich muß jetzt verstärkten Wert darauf legen, ein Gegengewicht gegen die Wirtschaftsmacht Deutschlands zu bekommen; deshalb steigt der Wert Großbritanniens als potentieller Partner
Frankreichs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft."
({20})
- Anscheinend nicht alle Ihre Kollegen. Es ist ganz
gut, wenn man sich auch einmal ({21})
- Wenn das für Sie nicht Politik ist, dann haben wir verschiedene Auffassungen von Politik. Aber das kann ja sein.
({22}). - Abg. Dr. Apel:
Zeitungen kann ich selber lesen!)
In „Le Monde" wird von einem Vertragsbruch gesprochen: „In der Geschichte der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sollte die Nacht von Samstag auf Sonntag mit einem schwarzen Stein markiert werden."
({23})
- Das können Sie sich ungefähr ausrechnen, wenn Sie mir zugehört haben. Ich schicke Ihnen den Artikel dann zu.
({24})
Wenn wir mit Frankreich die Wirtschafts- und Währungsunion schaffen wollen - ich bin der letzte, der für eine Kapitulation vor französischen Wünschen einträte , dann kann man das breite Stimmungsbild der französischen Presse, das ja meinungsbildend wirkt, nicht einfach als nicht zur Politik gehörig abqualifizieren.
({25})
Ich darf Ihnen eine ganz kurze Blütenlese aus Frankreich bieten. Der „L'Aurore" schreibt: Nach den Brüsseler Entscheidungen ist Europa blockiert. Die Deutschen haben es so gewollt." „Les Echos" schreibt: „Die Gemeinschaft dankt ab." „Paris Jour" schreibt: „Eine verschleierte Aufwertung der D-Mark; EWG in Frage gestellt." „La Nation" schreibt: „Ein schlechter Tag für Europa." Der „Combat" schreibt: „Europa in Fetzen."
Wenn ich auch selbstverständlich einräume, daß solche Überschriften über den wirklichen Stand der Meinungsbildung hinausgehen, so bleiben diese Überschriften im öffentlichen Bewußtsein Frankreichs und in der Haltung der französischen Regierung nicht ohne Reaktion. Das steht doch außer jedem Zweifel. Darum glaube ich nicht, daß man sich dem naiven Optimismus hingeben kann: wir haben gewissermaßend bahnbrechend für die anderen gewirkt, die anderen haben das noch nicht eingesehen, wir haben stellvertretend für die Interessen Europas gehandelt, um Europa vor dem Schicksal einer Inflationsgemeinschaft zu bewahren, und die anderen werden sich eines Tages aus ihrer Häresie ebenfalls schon zu der reinen Lehre unserer Wahrheit durchringen. Das habe ich gemeint, als ich von
dem Stil sprach: deutschen Wesen könne wieder
die Welt genesen.
({26})
- Es ist für Sie bezeichnend, wenn Sie sagen: aufhören. Das zeigt, welch ein schlechtes Gewissen und wie wenig demokratische Substanz Sie haben.
({27})
Denn das Wort „aufhören" haben wir schon immer dann gehört, nachdem mehr Demokratie, mehr Auseinandersetzung, mehr Argumentation, mehr Information, mehr Mitbestimmungsrecht versprochen worden ist. Auf der anderen Seite haben wir dann mehr Drohung, mehr Polemik und weniger an Argumentation gehört. Genauso ist es heute auch hier wieder.
({28})
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
({0})
Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, darf ich Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß Sie selbst einmal davon gesprochen haben - das war ein ganz böses Wort -, daß EWG-Zahlungen im Rahmen der Agrarstrukturpolitik versteckte Reparationen seien, und daß Sie nun wirklich keinen Grund haben, hier mit erhobenem Zeigefinger zu stehen?
({0})
Ich bin nach wie vor der Meinung, und zwar mit dem Agrarminister Ihrer Regierung - darauf bezogen sich meine Äußerungen -, daß Strukturmaßnahmen für die Landwirtschaft vornehmlich national finanziert werden sollen, weil die Mittel nicht ausreichen, um eine supranationale Strukturpolitik mit einem entsprechenden Anteil durch deutsche Finanzierung zu gewährleisten. Wenn Sie es schon hören wollen, ({0})
- Waren Sie nicht dabei, als Herr Mansholt im kleinen Kreise sozialistischer Abgeordneter erklärt hat: Die Deutschen haben den ersten und zweiten Weltkrieg ausgelöst und verloren; sie sollen jetzt auch dafür zahlen. Das ist doch gesagt worden. Darauf bezog sich meine Bemerkung.
({1})
Ich würde mich an Ihrer Stelle sehr hüten. Ich bitte Sie, in Ihren eigenen Reihen zu forschen. Darüber gibt es ja bei Ihnen eine Aufzeichnung. Eine dürfte auch der damalige Bundeslandwirtschaftsminister haben. Mit Bezug darauf habe ich erklärt, daß wir nicht bereit sind, unter diesem Motto Zahlungen zu
leisten. Ich kann mich völlig dem Bundeskanzler anschließen, der heute sagte: Auch für uns, nicht nur für andere, gibt es nationale Realitäten, die wir vertreten dürfen.
({2})
Der italienische Schatzminister hat die deutsche Entscheidung unter dem Zeichen gewertet, daß durch ein etwaiges Anziehen der Wechselkurse der DM und des holländischen Guldens die italienische Exportwirtschaft profitieren könnte.
Relativ am wenigsten interessiert gezeigt haben sich die Amerikaner. Die schwedische Presse hat von einer offensichtlichen Belastung der EWG-Zusammenarbeit gesprochen und hat diesen Beschluß von Brüssel als den denkbar schlechtesten Ausgangspunkt für die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion bezeichnet. Ähnlich liegt es mit der norwegischen Presse.
Die Basler „Nationalzeitung", von der man nicht gerade sagen kann, daß sie CDU- oder CSU-freundlich ist, schreibt:
Wenn die Stimmung auf dieser Tagung in Brüssel vielfach unerfreulich war, dann wohl nicht zuletzt deswegen, weil Paris ({3}) den Eindruck hatten, diese Krisensituation sei aus innenpolitischen Gründen bewußt vom deutschen Wirtschaftsminister Professor Schiller herbeigeführt worden.
({4})
Wir haben uns diese Behauptung nicht zu eigen gemacht.
({5})
Aber wenn Sie schon sagen, Sie würden diese Pressemeldungen kennen und hätten sie alle gelesen, darf ich wohl von den Zitaten aufzeigen, daß man unter diesen deutschen Maßnahmen im Zusammenhang mit der sogenannten Währungskrise auch ganz bestimmte, sowohl personell als auch koalitionspolitisch und innenpolitisch bedingte Maßnahmen vermutet, die mit den realen, objektiven Fakten der Währungssituation nur relativ wenig zu tun haben.
Es ist doch auch von mir und von den vorigen Rednern der CDU/CSU schon mehrmals betont worden: Warum tragt ihr denn im Frühjahr 1971 auf einmal als Mode die Stabilität? Warum nicht im Herbst 1969? Warum nicht in dem entscheidenden ersten Halbjahr 1970? Warum spricht man jetzt von Stabilität, während man damals unsere mahnenden Worte im Zusammenhang mit der verlorengehenden Stabilität als Panikmache, Angstgeschrei, Hysterie, demagogische Agitation und Inflationshetze bezeichnet hat? - Jetzt kommt man mit genau demselben Thema, aber zum falschen Zeitpunkt, nämlich wesentlich zu spät.
Dann fragt man uns - das wollen Sie doch von uns hören -: Wo ist denn eure Alternative? - Meine Damen und Herren von der Koalition, ich möchte Sie nicht mit dem konfrontieren, was Ihre Redner damals in der Opposition gesagt haben. Wir haben in erster Linie die Aufgabe, der Regierung
auf die Finger zu sehen, sie zu kontrollieren, ihr auf die Finger zu klopfen, wenn sie etwas falsch macht. Wir haben aber nicht die Aufgabe, immer Alternativen aufzuzeigen, die dann von Ihnen, weil sie punktuell sein müssen, zu ganz demagogischen Angriffen gegen die Opposition mißbraucht werden.
({6})
Wie war es denn, als wir damals im Lande draußen diese Steuersenkungen als verfehlt bezeichnet haben? Haben Sie nicht in den Landtagswahlkämpfen landauf und landab gesagt: Wie gut ist es, daß wir dran sind. Wenn diese böse Opposition heute an der Regierung wäre, was würde euch dann blühen! Die schönen Geschenke würden euch verweigert werden, weil sie euch nicht gegönnt werden! - Kaum war die Wahl vorbei, hat es geheißen: April, April für euch! - So ist es doch ursprünglich gewesen.
({7})
Glauben Sie, Her Apel, ich sei so jung in dem Geschäft, daß Sie mich dahin brächten zu sagen: Weniger Geld für Verkehrsbauten, weniger Geld für Bildungsbauten, weniger Geld für Gesundheitswesen, weniger Geld für Umweltschutz? - Dazu werden Sie uns nicht bringen. Ich sage Ihnen, daß unter einer CDU/CSU-Regierung mit wesentlich bescheideneren Zielsetzungen bei einer wesentlich geringeren Geldentwertungsrate wesentlich mehr an wirklichen Reformen herausgekommen wäre als bei Ihnen.
({8})
Damit haben Sie auch meine Antwort auf die Frage nach der Alternative der Opposition. Wenn ein Arzt einen Patienten verkorkst hat, kann er nicht seinen Kollegen fragen: Was ist jetzt Ihre Alternative, damit der Heilungsprozeß richtig verläuft?
({9})
Sie kümmern sich keinen Deut um die Meinung der Opposition, wenn Sie im Besitz Ihres Machtgefühls, Ihrer triumphalen Situation vor das deutsche Volk hintreten. Haben Sie eine Bauchlandung gemacht, sprechen Sie von Solidarität, Gemeinschaftsgefühl, Verantwortungsbewußtsein und vom Zusammenhalten in nationalen Schicksalsfragen. Das ist bisher immer Ihre Taktik gewesen.
Noch ein letztes Wort zu den binnenwirtschaftlichen Begleitmaßnahmen, zu der binnenwirtschaftlichen Begleitmaßnahme, eine Milliarde einzusparen. Ich möchte erstens einmal wissen, wo sie denn beim Bund eingespart werden soll. Dank der durch diese Regierung mitverschuldeten inflationären Entwicklung schlägt heute jede Einsparung bei den öffentlichen Investitionen noch viel schmerzlicher zu Buche, als es bei rechtzeitiger Reduktion des Haushaltsvolumens gewesen wäre.
({10})
Ich sage Ihnen noch das: wir werden sehr genau darauf achten, daß diese Einsparungen nicht da stattfinden, wo sie sich nach jahrzehntealter Erfahrung
ohnehin als Haushaltsreste ergehen. Darauf werden wir sehr genau achten.
Ein Zweites: da ist die Rede von einer Erhöhung der Konjunkturausgleichsrücklage aus Steuermehreinnahmen. Herr Bundeskanzler, woher wissen Sie denn, daß es in diesem Jahr Steuermehreinnahmen gibt? Bloß weil das Bild in den ersten drei Monaten infolge gewisser Nachzahlungen sich günstiger gestaltet hat? Da wird der Eindruck erweckt, aus Steuermehreinnahmen werde nunmehr Stabilitätspolitik betrieben, indem sie stillgelegt werden. Das haben wir doch als selbstverständlich vorausgesetzt: Steuermehreinnahmen, die über die Haushaltsansätze hinausgehen, werden nicht in den Kreislauf eingeführt, sondern stillgelegt.
({11})
Auch die Verminderung der Kreditaufnahme ist eine Augenauswischerei. Sie haben doch die Notwendigkeit dieser hohen Kreditaufnahme durch überzogene Versprechungen geschaffen und machen jetzt einen ganz kleinen Rückzieher um einige Milliarden. Was wir an Kaufkraft insgesamt zuviel haben, ist ein Vielfaches dessen, was durch dieses binnenwirtschaftliche Programm an Kaufkraft stillgelegt werden soll. Darum sind wir nicht bereit, dem zuzustimmen.
Diese „befreiende Tat", Herr Bundeswirtschaftsminister, ist nicht etwa ein Ja, eine Zustimmung zu Ihrem Programm. Man kann unsere Zustimmung nur dann erwarten, wenn man uns rechtzeitig fragt, die in Betracht kommenden Maßnahmen mit uns gemeinsam überlegt und abstimmt und auf diesem Wege auch unsere Mitverantwortung herbeiführt. Die einzige „befreiende Tat" wäre eine andere Bundesregierung!
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt ({0}). Seine Fraktion hat eine Redezeit von 30 Minuten für ihn angemeldet. - Herr Abgeordneter Arndt, das sind noch Manuskripte des Herrn Kollegen Strauß. Aber Sie werden das sicher sofort erkennen.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war ein sehr gutes Wort. Selbstverständlich werde ich nicht nur langsamer reden als der Kollege Strauß ({0}), sondern ich werde auch etwas anders reden.
Man muß bei der Debatte tatsächlich auf die Frage eingehen, mit der Sie geendet haben, Herr Strauß: Welche Politik auf dem Gebiet der Konjunktursteuerung soll in diesem Landes geführt werden, und von wem soll sie geführt werden? Wenn ich die Reden, die Sie und Herr Barzel heute gehalten haben, einmal nicht auf Alternativen abklopfe - Sie sagen, Sie können sie nicht geben -, aber auf Ihre Position zur Freigabe der Wechselkurse, muß ich sagen: es ist mir nicht möglich gewesen, Ihre Position in dieser nicht unbedeutenden, ich würde
sagen: zentralen Frage zu erkennen. Ob Sie dafür sind, ob Sie dagegen sind, unter welchen Bedingungen Sie dafür sind, unter welchen Bedingungen Sie dagegen sein müssen, ist mir ebenso wie anderen Rednern der sozialdemokratischen Fraktion, wie auch dem Kollegen Kienbaum nicht klargeworden.
Lassen Sie mich bitte einmal eine Deutung Ihrer konjunkturpolitischen Stellungnahmen vom Anfang dieser Legislaturperiode an geben. Sie haben in einem recht gehabt: der Aufschwung 1970 ist unterschätzt worden. Die Aufwertung - so dimensioniert, wie sie nun einmal war - reichte nicht aus, um uns von dem internationalen Preisauftrieb dieses Jahres entscheidender abzuhängen, als das geschehen ist. Das hatte die Konsequenzen, daß wir mit unseren Reformprogrammen - das soll man durchaus ehrlich sagen - die Lücke in der Gesamtnachfrage nicht fanden, die man nach dem hohen Aufsatz zunächst vermuten mußte. Die ja auch Sie vermutet haben, denn Ihre erste Reaktion nach der Aufwertung war ja die: ein abnorm hoher Satz, und jetzt müssen wir etwas für die Werften, die Reedereien, den Fremdenverkehr usw. tun! Danach hat aber diese Bundesregierung eigentlich sehr konsequent Stabilitätspolitik getrieben, sowohl was die öffentlichen Ausgaben anbelangt - die Zuwachsrate des Jahres 1970 war mit 7 % an Ausgabensteigerung nicht sehr hoch ({1})
als auch mit der Maßnahme, der Sie sich im Sommer aus den von Ihnen angeführten, aber nicht plausiblen Gründen versagen mußten: dem Konjunkturzuschlag zu den Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuern.
Nun zu der Deutung. Für Sie ist Stabilitätspolitik hier im Parlament und draußen in der Öffentlichkeit ein Mittel zur Einschränkung der öffentlichen Ausgaben unter den erträglichen Punkt, gleichzeitig zur Diskutierung der fehlenden Reformen und drittens zum Versuch, die Regierung allein auf die Position einer binnenwirtschaftlich orientierten Konjunkturpolitik zu manövrieren; denn außenwirtschaftliche Absicherung haben Sie in keinem einzigen Fall seit der Aufwertung von der Regierung verlangt. Ihre Programme und auch das des heutigen Tages gingen immer wieder nur auf Drosselung von Haushaltsausgaben. Wir wissen alle, und Sie wissen das auch, daß das unter einem gewissen Punkt nicht möglich ist. Es genügt nicht, nur Autos zu bauen, Lkws frei produzieren zu lassen, es müssen auch die Straßen dazukommen. Der Staat ist ein Dienstleistungsunternehmen, das komplementäre Investitionen in einem gewissen Ausmaß zur Verfügung stellen muß, und wenn er dazu nicht in der Lage ist, dann soll er sie privatisieren, und dann wären es auf einmal „gute Investitionen", Investitionen der Wirtschaft, von denen
({2})
Herr Barzel beklagt, daß sie zur Zeit zurückgestellt werden. Ihr Fraktionsvorsitzender schafft es, in einer Rede zu sagen: „Mehr Stabilität!" und ein paar Sätze weiter: „Investitionen der gewerblichen Wirtschaft werden schon zurückgestellt."
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Waren Sie bereit, zuzugestehen, daß Ihre Analyse, was die Ausgabensteigerung des Jahres 1970 betrifft, insofern nicht vollständig war, als im ersten Halbjahr die Steigerungsrate - auf die es ja nach Ihren eigenen Aussagen ankommt - bedeutend höher als 7 % war, nämlich über 10 %, und sind Sie bereit, zuzugestehen, Herr Kollege Dr. Arndt, daß im Frühjahr 1970 bei der Lesung des Haushalts 1970 der Vorschlag der Opposition, 1,5 Milliarden DM zu streichen, nützlicher gewesen wäre als der jetzige Vorschlag der Regierung, in dieser Situation zwangsläufig zu Einsparungen - nach Ihrer Meinung - von 1,5 Milliarden DM kommen zu müssen?
Herr Leicht, darauf kann ich ganz leicht antworten, denn selbstverständlich muß, wenn die Zuwachsrate im zweiten Halbjahr unter 7 % lag und der Jahresdurchschnitt 7 % betrug, die Zuwachsrate im ersten Halbjahr über 7 % gewesen sein. Was tangiert das denn das Urteil über das gesamte Jahr? Wir teilen doch die Zeit nun einmal etwas willkürlich ein; wir reden von einem Kalenderjahr, wir haben Haushaltsjahre. Da können Sie doch nicht irgendeinen bestimmten Zeitabschnitt herausfischen und sagen: Da waren es mehr als 10 %. Das hat doch gar keinen Sinn.
({0})
- Nein, nein! Dann habe ich mich in diesem Punkt so ausgedrückt, daß Sie mich vielleicht mißverstehen mußten. Die Haushaltsausgaben des ganzen Jahres 1970 des Bundes und weitgehend auch der Länder waren im Rahmen dessen, was konjunkturpolitisch einigermaßen verkraftet werden konnte. Die Ausgaben des ersten oder zweiten Halbjahres 1970 oder des ersten, zweiten, dritten und vierten Quartals sind konjunkturpolitisch doch gar nicht so wichtig; sie müssen doch den Aufträgen und der Produktion zugerechnet werden. Da gibt es doch Zahlungsverschiebungen; da können wir doch nur in größeren Zeiträumen rechnen. Zur außenwirtschaftlichen Absicherung gab es immer Negativa von der Opposition, es gab heute kein Ja.
Herr Strauß, ich bin in einem Punkt völlig anderer Meinung. Währungspolitik ist Konjunkturpolitik, und Konjunkturpolitik ist nicht ohne Währungspolitik zu machen. Ich muß offen bekennen, an dem Punkt haben wir keine Gemeinsamkeit. Dies ist ein Akt der Abgrenzung, in modernster Sprache, wenn Sie so wollen. Die Position der Forschungsinstitute und auch meine Position ist bekannt. Ohne eine Freigabe der Wechselkurse und die Regierung hat sie erreicht, sie ist in der Aktion - ist nicht zu einer Stabilitätspolitik im Innern zu kommen.
Was „floating" ist, wissen wir nun alle: dank der Diskussion der letzten Woche. Ich habe auch einmal im Wörterbuch nachgeschlagen. Im englischen Wörterbuch wird beschrieben, was floating im ursprünglichen Sinne meint: Man bindet ein Floß oder ein Boot an eine Boje; es kann dann mit den Gezeiten und den Wellenbewegungen mitschwanken - wie der Wechselkurs. Ich fand aber noch mehr. Was ist ein „floater"? Das ist erstens jemand, der sich von Ort zu Ort bewegt - schon sehr gut -, der nicht mehr als sitting duck, als manövrierunfähige Konjunkturpolitik die gesamte Last der internationalen Inflationierung auf sich zu vereinigen hat. Zweitens ist es eine Versicherungspolice gegen ungewisse Risiken. Das ist ein „floater". Beides ist für die konjunkturpolitische Steuerung der nächsten Monate wichtig.
Wir wissen, daß die amerikanische Regierung ihren Führungsbeitrag in der ökonomischen Steuerung in der Welt zur Zeit nicht leisten kann. Aus welchen Gründen auch immer, sie kann ihn nicht leisten. Nicht umsonst zirkulierte in den Monaten des vergangenen Winters in den europäischen Hauptstädten ein Papier eines Wissenschaftlers der Brookings Institution mit dem anheimelnden Namen Krause. Hier wurde das amerikanische Dilemma voll ausgebreitet. Eine konsequente Deflationspolitik - sagen wir einmal: eine Politik der gewollten Rezession hat in Amerika nach zwei Jahren 6 % Arbeitslose gebracht, ohne die Preissteigerung am Ende der zwei Jahre, nämlich Herbst 1970, unter 6 % zu bringen; erst danach wurde es weniger. Darauf ging die US-Regierung auf Gegenkurs, auf Durchstarten, würde man sagen. Bei Lebenshaltungskosten von oberhalb 5 % heißt das, daß auf längere Frist nicht damit zu rechnen ist, daß die amerikanische Preis-Kosten-Entwicklung nennenswert unter 4 % kommt. Die amerikanische Wirtschaft ist stark genug, diese Preis- und Kostenentwicklung über die Export- und Importmärkte der übrigen Welt aufzuzwingen, unsere Unternehmen dazu zu veranlassen, Kosten zu machen, nicht mit spitzem Bleistift zu rechnen, sondern Kosten im Preis wiederzukriegen. Mr. Krause zog daraus folgende Konsequenz: Wir - die USA - müssen unsere Zahlungsbilanz ignorieren, und es bleibt bei den Europäern, ob sie entweder noch schneller inflationieren als wir - und damit kommt unsere Zahlungsbilanz langfristig wieder in Ordnung oder ob sie aufwerten und damit unseren Dollar abwerten. Das bleibt bei ihnen, diese Wahl lassen wir. -Ich halte das nicht für eine Position des Zynismus, ich halte das für die Position der Not, in der sich dieses Land zur Zeit befindet.
Herr Kollege Arndt, sind Sie sich darüber im klaren - ich möchte die Frage von vornherein mit ja beantworten, aber ich bitte Sie um Ihre Antwort -, daß erstens durch die einseitige Freigabe der Wechselkurse, Floating - wir danken für die philologische Belehrung -, bei der die holländische Regierung nachgezogen hat, die Ergebnisse vom Frühjahr dieses Jahres über die Herstellung einer verringerten Bandbreite der Währungen der EWG-Länder zwecks Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion ad absurdum geführt werden und daß zweitens nach Ihren Ausführungen eine Rückkehr zur alten Parität dann ausgeschlossen erscheinen muß, wenn man Sie so verstanden hat, wie man Sie verstehen mußte?
Ich wollte auf beide Probleme noch eingehen, aber ich will nicht so unhöflich sein, nicht direkt zu anworten.
Erstens. Wenn eine Währungsunion nur unter Dirigismen aller Art zu haben ist und dieses Land in die Fäulnis der Planifikation führt, dann kann sie ruhig noch ein paar Monate warten. Das ist Punkt eins.
({0})
Punkt zwei. Ich will mich nicht zu den Interpretatoren der berühmten Ziffer 1 der Beschlüsse von Brüssel gesellen. Das ist nicht meine Aufgabe. Dazu kann ich nichts sagen. Ich verlasse mich auf Ziffer 2: Der Wechselkurs ist frei. In Ziffer 4 ist der besonders allergische Punkt der Landwirtschaft abgesichert. Alles andere liegt jetzt bei der Regierung und vor allen Dingen bei der Bundesbank. Ich möchte mir erlauben, darauf nachher zurückzukommen.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege Arndt, nehmen Sie es mir übel, daß ich von dieser ausweichenden Antwort sehr enttäuscht bin? Sind Sie sich darüber im klaren, daß die Brüsseler Konferenz geplatzt wäre, mit einem Eklat geendet hätte, wenn sich nicht die Bundesregierung verpflichtet hätte, dem Teil der Beschlüsse zuzustimmen, in dem die Wiederherstellung der alten Paritäten und eine nur vorübergehende Freigabe als gemeinsamer Beschluß niedergelegt worden sind?
Ich habe, glaube ich, Ihre Frage sehr gut verstanden. Ich halte mich an das Kommuniqué und an den Punkt, daß die Wechselkurse frei sind, und mache keine Prognose darüber, was am Ende der Freigabe steht.
({0})
- Ich komme aber auf das Problem noch zurück. Sie müssen sich noch einen Moment gedulden.
({1})
- Die Frage von Herrn Müller-Hermann muß ich leider ablehnen. Nehmen Sie bitte an, weil ich sie nicht beantworten kann.
Das amerikanische Dilemma war geschildert. Wir haben ein Vakuum an economic leadership, an ökonomischer Führerschaft in einer Weltwirtschaft, die auf diese Führung angewiesen ist. Wer soll dieses Vakuum übernehmen. Soll die Welt weiter mit 4, 5 oder 6 % Preissteigerung in den kommenden Jahren dahintreiben, weil das amerikanische Dilemma von den USA nicht selbst lösbar ist? Soll man das nur zu wilden Anklagen gegen die Vereinigten Staaten benutzen, eine Macht, mit der wir befreundet sind, ein Volk, dem wir alles Gute wünschen, ein Land, auf das wir sogar angewiesen sind? Ich bin Berliner, wie Sie wissen. Das hat doch keinen Zweck. Da muß doch ein anderer eingreifen. Wenn Frankreich sich
nicht stark genug fühlt - so müssen wir doch die Position von d'Estaing verstehen -, in diese Sache hineinzugehen, muß eben die zweitstärkste Handelsmacht in der Welt - das ist nun mal, dank der Verdienste auch früherer CDU/CSU-Regierungen, die Bundesrepublik Deutschland - vorübergehend in dieses Vakuum hinein, und dann muß das geschehen. Alles andere funktioniert nicht.
({2})
Sie mögen sagen, das sei vielleicht eine Neuauflage von „The germans to the front"; aber das ist auf alle Fälle eine gute Front: die Front der Stabilität und die Front eines guten Wachstums.
Der Wechselkurs ist ein Preis. Wenn man ihn wie in einer Planwirtschaft als unverrückbar und starr behandelt, wird man am Ende in den Problemen einer Planwirtschaft landen. Damit sind wir schon beim § 23. Wir kennen ihn alle. Er hat ganz vernünftige Maßnahmen: Verzinsungsverbot; aber er hat auch das Verbot und die Genehmigungspflicht, Darlehen im Ausland aufzunehmen, sich Zahlungsziele geben zu lassen, Grundstückskäufe und dergleichen zu tätigen. Wir alle, die etwas mit Wirtschaft zu tun haben, wissen: So etwas kann in einer quicken Wirtschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland einfach nicht funktionieren. Die Zahl der Umgehungen wäre Legion.
Herr Abgeordneter Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Bitte!
Herr Kollege Arndt, bevor Sie zu diesem interessanten Thema des § 23 übergehen, noch einmal eine Frage, um hier ganz klare Verhältnisse zu schaffen, da wir hier über ein Programm der Bundesregierung diskutieren. Muß man nicht aus Ihrer Argumentation schlußfolgern, daß Sie am Ende dieser Freigabeperiode eine aufgewertete D-Mark erwarten oder für notwendig halten, wenn überhaupt ein Dämpfungseffekt erreicht werden soll? Daran schließt sich die Frage an: Wo soll der Dämpfungseffekt bleiben, mit dem die Bundesregierung in ihrem Stabilitätsprogramm jetzt an die Öffentlichkeit geht, wenn die Bundesregierung in Erfüllung der Brüsseler Kompromisse auf eine Wiederherstellung der Parität hinarbeitet?
Herr Müller-Hermann, es tut mir schrecklich leid. Ich würde es gern sein, aber ich bin nicht Ihr Anlageberater. Diesen Rat müssen Sie sich woanders holen,
({0})
Was den § 23 angeht: Wir wissen doch, daß jedes Loch, das die neuentstehende Bürokratie verstopfen würde, zu einem neuen an einer anderen Stelle führen würde. In einer zivilisierten Welt - und wir gehören zur zivilisierten Welt - läßt sich das Wirtschaftsleben nicht mit Geboten, Verboten und Strafen lenken, sondern durch Preise. Aber Herr Minister Schiller hätte sich ja auf den Standpunkt stel7030
Dr. Arndt ({1})
len können: Da sind einige scharf auf die Devisenbewirtschaftung. Das wird ja nicht funktionieren; aber lassen wir doch der Taunusanlage das Spielzeug. In der Opposition ist ja anscheinend dieser § 23 auch beliebt, ebenso bei einigen Banken, bei der Industrie. Lassen wir ihnen doch das Spielzeug! Das wird ja nicht klappen. Was kann da für meine Marktwirtschaft schon passieren? Ein paar Bürokraten spielen mit mehr Formularen in der Wirtschaft herum, und da kommen auch einige, die sich dann in den Unternehmen ein bißchen umgucken. Was ist das schon schlimm?
Ich kann Ihnen sagen, was schlimm ist, wenn wir uns auf den Weg von Kontrollen, ob es solche sind oder Lohnkontrollen oder Preiskontrollen, begeben und dann in dieses Thema hineinkommen, unter dem andere, befreundete Länder leiden: Wir kommen weg von einer Wirtschaft und einer Gesellschaft mit Autonomien, wo Unternehmen sich um ihre Unternehmen kümmern, wo der Staat sich um die hoheitlichen Aufgaben kümmert, wo er daran interessiert ist, Steuern zu bekommen, aber nicht daran interessiert ist, sich mit den Unternehmen so zu verflechten und zu verfilzen, daß den dann entstehenden Brei niemand mehr auseinanderhalten kann in den Komitees der Planification, in den Herrenklubs und Reh-Abschußvereinigungen und was es sonst alles in dieser Welt gibt, wo Big Labor, Big Business und der Staat zusammen es dann schaffen, aus vernünftigen und gut geführten Unternehmen Subventionswirtschaften zu machen. Denn der Typ des Unternehmers, der nach fünf oder zehn Jahren aus einer solchen Wirtschaft herauskommt, ist nicht mehr der Typ, den wir jetzt gewohnt sind, und der Typ der Beamten und der Politiker ist auch nicht mehr derjenige, den wir jetzt unter uns haben.
({2})
Deswegen kann die Regierung nicht sagen: Da habt ihr euer Spielzeug; Hauptsache, wir kriegen ebenfalls das, von dem wir wissen, daß es funktioniert, sondern da darf man nicht schwanken, da darf man nicht sagen: Wir kennen doch alle die Herren von der Wirtschaft, und das ist ja mit den Stahlkartellen alles so gut gelöst. Übrigens fällt mir da ein: Herr Barzel sagte vorhin, die Thyssen-Gruppe habe jetzt 1 Milliarde DM für Investitionen gezahlt, die 800 Millionen DM wert waren. Na ja, wer hat denn die Stahlpreise 1969 so hochgejagt? Daß sie jetzt in Form von Anlagen-Preisen auch wiederum an die Thyssen-Hütte zurückkommen kein Wunder!
({3})
Und dann sich hinstellen und jammern, daß keine Stabilität sei, daß der Staat keine Autorität habe und nicht durchgreife! Aber jetzt hat er sie ja, jetzt ist er ja in der Bewegung.
({4})
Und jetzt kommt die Frage: Welches sind die Ziele, Herr Müller-Hermann, die in dieser Periode freier Kurse erreicht werden müssen?
Erstens Ruhe an der Kostenfront. Das schließt die Löhne ein. Das ist, wenn dieses Floating von der Bundesbank richtig gemacht wird, eine Form, wo Sie durch den Markt den spitzen Bleistift in die Kostenrechnung hineinkriegen, ob es Kostenrechnungen für Personalkonten oder für Sachkonten sind. Und wenn es richtig gemacht wird, kriegen Sie sogar auch die entsprechende Ruhe an der Tariffront. Dann haben Sie nämlich die Bedingungen, unter denen jeder erst einmal einhalten muß, und dann kann man auch von der Regierung erwarten, daß sie diese Bedingungen den Tarifpartnern so vor Augen führt, daß das auch funktioniert.
Das zweite Ziel - jetzt kommen wir schon Ihrer Anlagefrage näher - ist die maximale Entlastung des Dollars. Wir haben ein Interesse daran, daß die wirtschaftliche Führung in dieser Welt wieder von der wirtschaftlich stärksten Nation übernommen wird. Wir haben ein Interesse daran, daß die amerikanische Zahlungsbilanz möglichst bald in Ordnung kommt, d. h. Amerika in der Welt wieder wettbewerbsfähig ist und so viel an Ausfuhrüberschüssen verdient, daß es seine laufenden Verpflichtungen bezahlen kann. Maximale Entlastung des Dollars heißt also entweder maximale Inflationierung der anderen - das sind also auch wir, aber das schalten wir durch das Floating aus -, oder es heißt - und jetzt sind wir wieder bei einer richtig geführten Politik des Floating - eine maximale Entlastung der Dollarparitäten durch alle Länder. Auch das ist nicht unabhängig von den Aktionen der ersten Wochen in Frankfurt am Main. Das dritte - es wäre sehr schön, wenn das auch noch herauskäme - ist eine Reform des Weltwährungssystems. Davon hat aber die Opposition auch gesprochen, daß dies gut wäre, daß es aber noch lange dauern würde.
Lassen Sie mich zu dem Problem noch etwas sagen. Was heißt „richtig geführte Politik im Rahmen des Floating", während doch die Devisenkurse frei schwanken, während wir aus dem Lexikon wissen, daß da doch irgendwelche Bojen sind, daß es nicht beliebig und nicht uferlos geschehen kann? Ich muß mich an diesem Punkt einfach an einen hier nicht Anwesenden, an die Deutsche Bundesbank wenden. Sie hat es in den nächsten Wochen in der Hand, obwohl sie sich mehrheitlich, wie man lesen konnte, für die Planification entschieden hat und obwohl sie, wie ich inzwischen auch gelesen habe, im vorigen Jahr der Bundesregierung bei einer ähnlichen außenwirtschaftlichen Absicherung in den Arm gefallen ist, ob die Autonomie der Notenbank auch in Autonomie genutzt wird,
({5})
ob die Bundesbank im späteren Europa ein Teil dieser internationalen Notenbankbürokratie wird, die wir in anderen Ländern haben, nämlich sozusagen Verlängerung der Abteilung für Geld und Kredite der Regierung, oder ob sie zu der wahrhaft freien Form aufläuft, wie sie das Federal Reserve System in den Vereinigten Staaten aufweist, wie sie auch die Bundesbank ich nenne nur einen Namen - unter Präsident Vocke hatte. Das hat sie in der Hand, denn zur Autonomie gehört nicht nur die juristische Ermächtigung, im Rahmen des Gesetzes etwas tun zu können, dazu gehört auch die Fähigkeit und die Entschlossenheit, entsprechend zu handeln und die Führungsrolle vernünftig wahrzunehI men.
Dr. Arndt ({6})
Daß Sie natürlich davon nichts wissen wollen, daß Sie nach wie vor dafür sind, daß möglichst wenig an Konjunkturpolitik passiert, daß Sie die Regierung weiter in der Ecke haben wollen: einerseits keine Stabilität, andererseits noch nicht genug Reform, ist klar. Das ist ja legitim. Aber ist alles, was legitim ist, - ({7})
Ich stimme schon mit dem Wort von Staatssekretär
Ahlers: „verweigern sich dem Staat" sehr überein.
({8})
Ich glaube, nicht die Politik der Fraktion als Ganzes, aber die Politik, die von Ihrem Vorsitzenden geführt wird, ist ein bißchen eine Politik der Behinderung der Regierung, der verbrannten Erde, des Immobilismus. Das hat sich komischerweise bei Wahlen sogar ausgezahlt.
({9})
- Doch, das sage ich. Aber mir ist der Staat dazu
zu schade, daß er in Ihre Mühle gerät.
({10})
- Warum vor 22 Jahren?
({11})
- Ich beziehe mich nicht auf die Zeit vor 22 Jahren, sondern darauf, daß ich den Staat als Instrument für sehr wichtig halte.
({12})
- Was ist denn in den 50er Jahren gewesen? ({13})
- Sie können doch in den 60er oder jetzt in den 70er Jahren nicht mit Dingen kommen, die Ihnen in den 50er Jahren nicht gefallen haben, auch nicht mit falschen Positionen aus jener Zeit. Was ist denn z. B. aus Ihrer sozialen Marktwirtschaft geworden? Das ist ein Begriff, der durch Ludwig Erhard und durch Müller-Armack zu Ehren gekommen ist.
({14})
.letzt liebäugeln Sie mit zwangswirtschaftlichen Maßnahmen.
({15})
- Aber natürlich!
({16})
Aus einem stolzen Begriff in Ihrer Parteigeschichte ist ein Dreigroschenstück geworden. So würde ich es nennen.
({17})
Die Sozialdemokraten haben in den letzten Jahren (1 zusammen mit der FDP die marktwirtschaftliche Ordnung verteidigt, und die Sozialdemokraten waren auch stark genug, die marktwirtschaftliche Ordnung in der Großen Koalition zu verteidigen und nach vorn zu bringen. Damals spielte auch der Wunsch nach dem § 23 eine Rolle. Statt dessen sind damals die Zinsen freigegeben worden. Wir haben begriffen, daß marktwirtschaftliche Ordnung etwas Gutes für den kleinen Mann ist, und davon gehen wir auch nicht ab.
({18})
- Das lernen sie auch; da habe ich gar keine Angst.
({19})
- Nein, wir benutzen diesen Begriff nicht. Wir sagen „marktwirtschaftliche Ordnung", wie es auch im Stabilitätsgesetz steht. Sie nehmen wir erst, und das ist auch ein wichtiger Punkt der Abgrenzung der Regierungsfraktionen gegenüber Ihrer Fraktion.
({20})
- Da haben Sie völlig recht. An diesem Punkt muß man nämlich mitunter gegenüber den Interessen der Wirtschaft und auch den Interessen der Gewerkschaften einen klaren Strich ziehen. Das fällt natürlich nicht immer leicht. 1966 waren Sie ja drauf und dran, sich so etwas wie eine soziale Marktwirtschaft zweiter Stufe - ich habe es noch dunkel in Erinnerung - auszudenken. Diese Konzeption konnte ja nur eine 'Reduzierung der Elemente der sozialen Marktwirtschaft beinhalten - im Verhältnis zu dem, was Wirtschaftsminister Erhard zu der Zeit, als er noch nicht Kanzler werden wollte, an marktwirtschaftlichen Errungenschaften in diesem Lande tatsächlich durchgebracht hat. Dieses Werk haben wir fortgesetzt. Wir sind auch sehr stolz darauf. Vor allen Dingen haben wir die richtigen Männer dazu auf der Regierungsbank.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bismarck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind heute, wie wir eben gesehen haben, alle Zeugen eines in vieler Hinsicht sehr geschickt angelegten, wenn auch in manchen Szenen reichlich dreist durchgeführten Ablenkungsmanövers.
({0})
Herr Arndt hat hier den Eindruck erweckt, als ob die SPD der Hüter der Marktwirtschaft sei
({1})
und als ob sie nicht in den letzten anderthalb Jahren das eigentliche Kleinod der Marktwirtschaft, die Stabilität, verwirtschaftet hätte. Wir können es sehr gut begreifen, meine verehrten Kollegen auf der linken Seite, daß Sie von diesem katastrophalen Mißerfolg Ihrer Versuche, Marktwirtschaft zu praktizieren, ablenken wollen.
({2})
Aber ich glaube, das wird Ihnen in den Augen des deutschen Bürgers nicht gelingen.
({3})
Sie haben sogar versucht, einen „Marktwirtschaftler" in Schleswig-Holstein zum Ministerpräsidenten zu machen. Die Quittung haben Sie bekommen.
({4})
Wir können Ihnen nur abraten, daß Sie den Versuch machen, die Federn vom Hute Ludwig Erhards zu pflücken und sich ins Knopfloch zu stecken. Ludwig Erhard, den Sie auch in der jetzigen Situation als Alibi benutzen wollten, hat Ihnen heute die gebührende Antwort gegeben.
({5})
Ich möchte am Schluß dieser Debatte von unserer Seite eine Sache völlig klarstellen. Es geht uns nicht darum, in diesem Augenblick, wo Sie uns die Möglichkeit zu einer echten Zusammenarbeit nicht gegeben haben, über die Folgen zu rechten, die aus dem, was Sie eingeleitet haben, entstehen werden. Aber es muß uns darum gehen, hier festzuhalten, daß diese Bundesregierung sowohl an dem übergroßen Dollarzufluß in die Bundesrepublik als insonderheit für die Sturmflut der letzten acht Tage der Haupt-und, ich möchte beinahe sagen: wie ich aus dem Referat von Herrn Arndt ersehe, der Alleinverantwortliche ist.
({6})
Wenn man den Stolz durchgehört hat, mit dem der Kollege Arndt seine hochintelligenten Ausführungen vorgetragen hat,
({7})
so kommt man doch nicht darum herum, daß die Vermutungen des Auslands, daß der Wirtschaftsminister, enttäuscht über die mangelnde Unterstützung seiner Fraktion, nunmehr den großen Hund losgelassen habe, nur allzu berechtigt sind.
({8})
Wir müssen uns dagegen verwahren, daß die Kollegen seit eineinhalb Jahren den Versuch machen, von ihrem Versagen dadurch abzulenken, daß sie uns immer wieder fragen: Was habt Ihr denn? Dabei vergessen Sie, meine verehrten Kollegen, alles, was sich hier in diesem Hause abgespielt hat. Haben Sie schon vergessen, daß wir ein Vermögensbildungsgesetz vorgelegt haben, das den noch nicht Sparfähigen sparfähig machen sollte? Haben Sie vergessen, daß wir Sie gezwungen haben, ein Zonenrandförderungsgesetz vorzulegen?
({9})
- Das lesen Sie bitte alles in Ihren eigenen Unterlagen nach! Herr Wehner, lesen Sie es in Güte nach, damit Sie sich nicht ins Unglück reden.
({10})
Haben Sie vergessen, daß wir Ihnen eine Alternative zum Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt haben?
({11})
Und ständig wiederholen Sie das alte Märchen - damit Sie Ihre Wunderwaffe in der Hand behalten, die anderen seien nichts -, wiederholen Sie die völlig falsche These, daß Sie allein Vorlagen machen. Meine Damen und Herren, dieses Verfahren der Ablenkung ist ein Täuschungsmanöver.
({12})
Ich kann Ihnen nur raten, das deutsche Volk nicht für so unintelligent zu halten, daß es Ihnen das noch weitere Jahre abnimmt.
({13})
Lassen Sie mich jetzt noch einmal sehr genau zu den Vorgängen der letzten zehn Tage kommen. Wenn The Bundesregierung, wie sie sagt, von dem Gutachten erst Kenntnis bekommen hat, als es in der Öffentlichkeit war, dann muß man fragen: Wie kommt es, daß sie die Auffassung der Institute, die nicht neu ist, erst so spät zur Kenntnis nahm? Wie kommt es, daß sie sich nicht darauf eingerichtet hat, daß eine solche Veröffentlichung kommen würde, von der sie mindestens so früh wie das „Handelsblatt" Kenntnis hatte, und wie kommt es dann, daß sie nicht die Schritte unternommen hat, die die Solidarität mit den Europäern ihr vorgeschrieben hätte, sich nämlich vor einer Panik mit den Europäern über die notwendigen Schritte, insonderheit in bezug auf die Landwirtschaft, abzustimmen? Diese Differenzen zwischen dem, was hätte geschehen sollen, und dem, was wirklich geschehen ist, verehrte Kollegen von der Sozialdemokratie, das sind die Gründe, warum das Ausland den Verdacht ausspricht, der hier vorhin genannt wurde. Es ist Sache der Bundesregierung, nachzuweisen, daß dieser Verdacht falsch ist. Beweise haben wir heute nicht gehört,
({14})
im Gegenteil, wir haben nur gehört, daß Ihre eigenen Leistungen gepriesen wurden.
Ein Punkt, den ich soeben berührt habe, muß noch erwähnt werden, weil er völlig klargestellt werden sollte. Wenn man Zusammenarbeit will, dann sind drei Vorbedingungen zu erfüllen: volle Information, offene Diskussion und die Bereitschaft, bei Lösungsmöglichkeiten zu kooperieren.
({15})
Damit Sie alle wissen und im Gedächtnis behalten, wie die Praxis dieser Sache aussieht, rufe ich in Ihr Gedächtnis, wie sich das bei den polnischen Verhandlungen abgespielt hat. Sie haben uns in der Öffentlichkeit eingeladen, mitzufahren. Sie haben uns weder die Vorverhandlungen zur Kenntnis gegeben, wir sollten nicht am Tisch sitzen, und Sie haben uns schriftlich mitgeteilt, daß Sie nicht in der Lage seien, Ihren Standpunkt zu überprüfen. Das ist
die Wirklichkeit und die Praxis bei Ihrer nach außen so häufig präsentierten Bereitschaft, mit uns zu kooperieren.
({16})
Wenn Sie diese Fairneß anwenden wollten und wenn Sie uns die Gelegenheit geben wollten, mit Ihnen in Verschwiegenheit über Lösungsmöglichkeiten zu reden um z. B. aus einer solchen Krise zu kommen -, dann hätten wir eine völlig andere Situation. Aber die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern, warum Sie diese Taktik verfolgen: Sie wollen, daß die Opposition in der Ecke steht, als hätte sie nichts zu sagen und wäre, wie Herr Arndt sagt, für Immobilismus. Verehrter Kollege Arndt, Sie sind den Beweis für die Behauptung, die Sie soeben gegenüber dem Herrn Vorsitzenden der Fraktion ausgesprochen haben, schuldig geblieben. Wenn Sie sich einmal vergewisserten, was der Herr Fraktionsvorsitzende in den letzten anderthalb Jahren an Vorschlägen gemacht hat, dann würden Sie wohl fairerweise diese Aussage zurücknehmen.
({17})
Im übrigen verstehe ich nicht, woher Sie den Mut nehmen, uns zu unterstellen, wir hätten uns in den letzten Tagen gegen außenwirtschaftliche Absicherungsmaßnahmen ausgesprochen. Wir haben am 4. Mai in aller Deutlichkeit gesagt, welche Vorbedingungen wir erfüllt sehen müssen, nämlich die Klärung der europäischen Fragen und die Klärung der landwirtschaftlichen Absicherung. Wir haben hinzugefügt: bevor außenwirtschaftliche Absicherungsmaßnahmen ergriffen werden. Wie können Sie da behaupten, daß wir uns in dieser Sache immobil gestellt hätten?
An alledem sieht man, daß es hier nur darauf ankommt, von der wirklichen Fehlleistung bezüglich der Stabilität seit dem Oktober 1969 abzulenken. Herr Arndt, Sie haben die Dinge wirklich sehr unsachlich dargestellt. Sie haben gesagt, das sei ein Musterbeispiel von verteidigter Stabilität. Dann frage ich Sie: warum haben Sie denn Ende Februar, Anfang März 1970 sich mit den Vorschlägen derer, die rechtzeitig noch Stabilitätsmaßnahmen vorschlugen, nicht durchgesetzt? Wer war denn derjenige, der das verhindert hat gegen die Vorschläge aller Sachverständigen? Sie wußten damals im übrigen ganz genau, daß wir Ihnen unsere Hilfe nicht versagt haben würden; dies ist auch dokumentarisch festgestellt. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie davon Abstand nähmen, weiter in Fragen der Stabilität Märchen in die Welt zu setzen.
({18})
Diese Regierung hat zunächst die Stabilität und nun auch die Solidarität aufs Spiel gesetzt, und sie hat damit auch diese Vertrauensprüfung nicht bestanden.
Herr Junghans, Sie haben heute gesagt, die Regierung habe erneut mit Entschlossenheit gehandelt.
({19})
Sie hat mit Entschlossenheit gehandelt, als das
Feuer lichterloh brannte. Sie hat die Entschlossenheit vermissen lassen, dieses Feuer zu verhindern,
({20})
und damit die europäische Integration in einer Weise gefährdet, die uns allen die größte Sorge machen muß.
Schließlich ein Letztes! Es ist ein großes Unglück zu nennen - das muß hier klargestellt werden -, daß eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers in die Öffentlichkeit gelangt ist, wir könnten nicht immer die „nice boys" sein.
({21})
Meine Damen und Herren, diese Bemerkung in dieser Stunde, in dieser Sprache und angesichts der Propaganda, daß der Dollar, wie wir heute den ganzen Tag gehört haben, schuld sei, halte ich für eine ernste Gefährdung unserer atlantischen Situation.
({22})
Ich würde es für gut halten, Herr Kollege Wehner, wenn Sie dafür wirkten, daß der Herr Bundeskanzler, der nicht mehr anwesend ist,
({23})
in dieser Sache klar spricht und den in diesem Wort enthaltenen Vorwurf, den man bereits aus Amerika zurückschallen hört und der zum Gebrauch sehr schlimmer Vokabeln führen kann, im Namen der Bundesrepublik. Deutschland wieder zurücknimmt. Wir sollten nicht so reden, wie es Herr Arndt getan hat, sondern dankbar sein für das, was wir von diesem unserem Bundesgenossen bisher bekommen haben. Wir sollten uns in unserer Redeweise nicht denen zugesellen, die schon seit langem die Behauptung aufstellen, die Amerikaner beuteten uns aus.
({24})
Ich halte es für dringend erforderlich, daß Sie sich, bevor dieser Tag zu Ende geht, vornehmen, diesen Makel von der Bundesrepublik wieder zu nehmen.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege von Bismarck hat gesagt, daß die CDU zwar eingeladen worden sei, daß man sie aber nicht eingeladen habe, mit am Tisch zu sitzen. Er hat das sehr bedauert. Ich kann dazu nur sagen, Herr Kollege von Bismarck, eine solche Einladung konnte die CDU in dieser Situation eigentlich auch gar nicht mehr erwarten. Die Bundesregierung hat nämlich in den vergangenen Monaten mehrfach den Wunsch geäußert, daß sich die Opposition mit an den Tisch setzen möge. Sie hat sie eingeladen, mit nach Moskau und nach Warschau zu fahren. Alle Einladungen, sich mit an den Tisch zu setzen, hat die Opposition abgelehnt.
({0})
Ich war also nicht sehr überrascht, daß in dieser
Situation nichts anderes geschehen ist. Ich meine,
man kann der Regierung als Opposition nicht permanent vorwerfen, was einem gerade paßt, und man kann es der Regierung nicht anlasten, ob eine Einladung angenommen oder nicht angenommen wird.
Zu dem, was Herr Kollege Strauß vorgetragen hat, könnte man in Anlehnung an ein Zitat aus der Landwirtschaft sagen: „Aus schwarzen Landen frisch aus dem Busch".
({1})
Damit hat er versucht, uns einiges an neuen Erkenntnissen beizubringen. Herr Kollege Strauß, ich werde nachher Gelegenheit haben, Sie mit einigen Zitaten aus der jüngsten Vergangenheit zu konfrontieren. Dann werden Sie sehr schnell feststellen, daß Sie wahrscheinlich doch einige Protokolle der letzten Monate übersehen haben. Es ist nämlich noch nicht allzu lange her, daß Sie von dieser Stelle aus genau das Gegenteil von dem verkündet haben, was Sie heute hier vorgetragen haben.
({2})
- Herr Kollege Leicht, ich habe mir die Protokolle Gott sei Dank heraussuchen lassen. Sie kommen noch in den Genuß ,dieser Zitate. Nur keine Sorge!
Wenn man die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion heute argumentieren hörte, hatte man manchmal den Eindruck, als ob sie sich dagegen wehren müßten, wie eine Maus von der „Dampfwalze" Regierung und ihrer Konzeption überrollt zu werden.
({3})
- Ich werde Sie nicht vergessen, Herr Kollege Müller-Hermann. Nur keine Sorge! - Auf der anderen Seite haben sich diese Kollegen so aufgespielt, als ob sie allein im Besitz der Weisheit und der richtigen Konzeption seien.
({4})
- Der Kollege Strauß hat erklärt, daß, wenn die
CDU regierte, alles anders wäre; sie würde mit weniger Geld mehr Reformen realisieren. Das und ähnliches mehr kennen wir aus langen Diskussionen. Leider hat er uns nicht gesagt, wo er das Geld einsparen würde. Genauso ist das zu werten, was der Kollege Barzel hier vorgetragen hat. Der Kollege Apel hat seine Ausführungen schon charakterisiert. Eines hat mir besonders imponiert, Herr Kollege Barzel. Sie haben in Ihrer Rede fünfmal wiederholt: Herr Bundeskanzler, wir hätten Sie gerne gefragt. Dann haben Sie angeführt, was Sie gern gefragt hätten.
Nun frage ich mich allerdings, Herr Kollege Barzel, da Sie ja selber und auch der Kollege Müller-Hermann, wie wir heute mehrfach gehört haben, vor den Entscheidungen und Kabinettssitzungen immer wieder angesprochen worden sind ({5})
- Natürlich! Der Bundeskanzler hat heute nachmittag noch einmal ausdrücklich vorgetragen, daß Sie vor der entscheidenden Kabinettssitzung noch einmal informiert worden sind.
({6})
- Aber, Herr Kollege Müller-Hermann, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Vertreter der Bundesregierung mit Ihnen ein Gespräch führen und Sie dabei nicht in die Lage kommen können, Fragen zu stellen.
({7})
Das scheint mir völlig ausgeschlossen zu sein.
({8})
Deswegen meine ich, es wäre besser gewesen, Sie hätten die Fragen, die Sie alle stellen wollten, auch zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem Sie sinnvoller weise diskutiert worden wären. Dann hätte man Ihnen mit Sicherheit auch die entsprechenden Antworten gegeben.
({9})
- Herr Kollege Müller-Hermann, es ist immer etwas schwierig. Das weiß ich.
Herr Kollege Strauß hat dann einem Sprecher der Koalitionsfraktionen widersprochen, der sagte, die Spekulationswelle sei auch mit ausgelöst worden durch die Festigkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Ich glaube, der Kollege Dr. Apel hat das vorgetragen. Herr Kollege Strauß hat das ganz entschieden bestritten. Nun ist es ja nicht uninteressant, sich noch einmal das Protokoll der Bundestagssitzung vom 14. Mai 1969, als es um ein ähnliches Problem in diesem Hause ging, zu Gemüte zu führen.
In diesem Zusammenhang darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Rede des früheren Bundeskanzlers Dr. h. c. Kiesinger folgende Sätze zitieren. Kiesinger sagte damals auf den Vorwurf, der ihm in ähnlicher Weise wie der heutigen Regierung gemacht wurde:
Das Entscheidende ist dies. Eben wurde gesagt, die Haltung der Regierung habe diese Spekulationswelle erzeugt. Was für ein Unsinn. Diese Spekulationswelle ist erzeugt worden durch die Festigkeit unserer wirtschaftlichen Verhältnisse.
({10})
- Herr Kollege Strauß, das war damals. Da waren Sie an der Regierung.
({11})
- Darauf komme ich noch zu sprechen.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Nein.
({0})
Herr Abgeordneter Leicht, der Redner kann eine Zwischenfrage ablehnen.
Ich darf ,darauf zu sprechen kommen, was Bundeskanzler a. D. Ludwig' Erhard hier vorgetragen hat.
({0})
Es ist heute von Herrn Strauß gesagt worden, die Brötchen, die gebacken werden, werden sehr viel kleiner. Herr Kollege Strauß, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine vierseitige Anzeige vom 22. August 1965. Damals hatten Sie wahrscheinlich noch nicht die Finanzsituation, die Sie heute in der Partei haben. In der Anzeige wird für Ludwig Erhard geworben. Im Gegensatz zu Willy Brandt wird er als ein großer Mann dargestellt. Dort hieß es unter anderem:
Autos, Fernsehen, Spülmaschinen und Fertighäuser werden billiger. In zehn Jahren gibt es in der Bundesrepublik 17 Millionen Fahrzeuge und über 6 Millionen Einfamilienhäuser.
({1})
Die Wirtschaft wird sich von 1965 bis 1975 noch besser entwickeln als in den vergangenen zehn Jahren.
Es heißt weiter:
Bundeskanzler Erhard hat erklärt, wie man den Fortschritt sichern kann. Die Kultusminister der deutschen Länder brauchen für Erziehung und Wissenschaft bis 1970 52,5 Milliarden DM.
Interessant, wenn man sich so an die Beratungen der Bund-Länder-Kommission der letzten Monate erinnert, Herr Kollege Wehner, und wenn man an das denkt, was man dort von den Kollegen der CDU/ CSU aus den Ländern zu hören bekam.
Es heißt weiter:
Die deutschen Städte fordern für ihre Aufgaben bis zum gleichen Jahr 170 Milliarden DM, die Straßenbaukosten der nächsten zehn Jahre werden 99 Milliarden DM betragen, und auf 260 Milliarden DM schätzt das Statistische Bundesamt den gesamten Bedarf der nächsten zehn Jahre für die großen gemeinsamen Aufgaben. Das ist ein Plan, der die Zukunft sichert. Er wird bezahlt von Ludwig Erhard und der CDU. Sie wählen zwischen Brandt und Ludwig Erhard. Es geht um Deutschland. Die SPD macht Versprechungen, die CDU hält sie.
({2})
Wie sich das alles wandelt! Wenn wir heute über diese Summen sprechen, müßte man sich auch darüber unterhalten, was davon ausgegeben und an wirklichen Reformen realisiert worden ist. Dann kommt man zu hochinteressanten Ergebnissen "aus dem Jahre 1966.
Herr Abgeordneter Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mischnick?
({0})
Herr Kollege Dorn, würden Sie vielleicht auch noch daran erinnern, daß damals von der CDU die 35-Stunden-Woche in Aussicht gestellt worden ist?
({0})
Es ließe sich ein großer Katalog weiterer damals gemachter Versprechungen anführen, die auch von der CDU nicht gehalten werden konnten, weil sie nicht mehr an der Regierung ist. Wenn sie heute an der Regierung wäre,
({0})
hätten wir - davon sind wir alle überzeugt - längst die 35-Stunden-Woche. Darüber gibt es gar keinen Zweifel.
({1})
Nun darf ich wieder auf ein Zitat von Herrn Strauß zurückkommen. In der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung führte der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß am 15. Dezember 1966 folgendes aus:
Aber ohne Zweifel haben die kontraktiven Entwicklungen der Wirtschaftspolitik der letzten Zeit, wie sie nicht so sehr von der Finanzpolitik verursacht worden sind als von der Bundesbank unter ganz gewissem Zwang, unter dem sie stand, eingeleitet worden sind, eine starke Verlangsamung des Wachstums mit sich gebracht und damit die Gefahr heraufbeschworen, daß wir Stabilität wollen und Stagnation erreichen, ohne das Ziel der Stabilität wirklich zu bewältigen.
Nun könnte man sich fragen, meine Damen und Herren von der CDU, wer damals eigentlich für die Wirtschaftspolitik verantwortlich war.
({2})
- Wenn ich mich recht erinnere, war das Kollege Schmücker von Ihrer Fraktion.
({3})
- Entschuldigung, Strauß sprach von der Vergangenheit, die vor dieser Regierungsbildung 1966 lag, und zu dieser Zeit war ja, wenn ich mich ebenfalls recht erinnere, Ludwig Erhard Bundeskanzler dieser Regierung.
Nach der Erklärung, die Ludwig Erhard heute hier abgegeben hat, möchte ich ganz gern einiges dazu sagen. Das erklärt auch, warum ich keine Zwischenfrage zulasse, Herr Kollege Leicht.
({4})
- Keine Zwischenfrage von der Opposition, weil ich heute zweimal dasselbe Echo bekommen habe.
Ludwig Erhard hat hier vorhin vorgetragen, daß bei einer Sparrate von zur Zeit 400 Milliarden DM
ein Verlust von 5 % gleichbedeutend ist mit einem
Verlust der Sparer in Höhe von 20 Milliarden DM.
({5})
- Gut, 21 Milliarden DM. Herr Kollege Strauß, keine Sorge, ich komme auch auf die anderen Seiten zu sprechen. Nur hat Herr Kollege Erhard uns leider verschwiegen, daß zu jener Zeit, da er die Verantwortung trug, die Sparer jährlich über 18 Milliarden DM - unter demselben Rechnungsmodus, den er gebrauchte - verloren haben.
({6})
- Natürlich, darüber kommen Sie gar nicht hinweg. Das ist an Hand der Zahlen des Statistischen Bundesamtes eindeutig nachzuweisen. Wenn Sie den gleichen Rechnungsmodus verwenden, ist unter der Kanzlerschaft von Ludwig Erhard dem Sparer jährlich ein Verlust von 18 Milliarden DM entstanden.
({7})
Das, was ich gesagt habe; denn es ist beweisbar.
({8})
- Ich habe ja gesagt: ich beziehe mich auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Ich habe mir das ganz genau angesehen.
({9})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verstehe ja, daß Ihnen das unangenehm ist. Aber Sie können doch in der heutigen Zeit, ob es Ihnen paßt oder nicht, auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik von den Menschen dieses Landes nicht so schlecht eingeschätzt werden kann, wie Sie es permanent darstellen. Sonst würden nicht 400 Milliarden DM auf den Sparkonten liegen. Ein Mindestmaß an Vertrauen muß doch bei den Menschen in diesem Lande vorhanden sein.
({10})
- Herr Müller-Hermann, mit Ihren Zwischenbemerkungen kommen Sie doch bei mir nicht zum Zuge. Ich werde Ihnen nachher einen glaubwürdigen Zeugen vorführen, der aus Ihrer eigenen Partei kommt. Vielleicht glauben Sie es dann, weil er es von dieser Stelle im Deutschen Bundestag verkündet hat.
({11})
Ich erinnere mich an die Zeit des Jahres 1966, als Ludwig' Erhard nach Amerika flog und ein Stationierungsabkommen in Höhe von 5,2 Milliarden DM schloß, ohne das Kabinett, ohne die Koalitionsfraktionen vorher darüber zu informieren. Hinterher haben wir dann im Koalitionsausschuß zusammengesessen - ich selbst war einer der Beteiligten -, um zu überlegen, wie wir diesen Betrag von 5,2 Milliarden DM abdecken könnten. Dann kam die Regierungskrise des Jahres 1966. Wir Freien Demokraten haben damals alles versucht, was in unseren Kräften stand, um Sie davon zu überzeugen, daß primär die Stabilität erreicht werden könne, wenn wir zu erheblichen Einsparungen im Haushalt kämen. Wir
haben Ihnen einen Katalog von 92 Einzelpositionen aus dem Haushalt vorgelegt, die wir erarbeitet hatten. Er fand nicht Ihre Zustimmung, und dann ging die Diskussion weiter.
Aber ich weiß ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie in der Versuchung stehen, mir wenig zu glauben,
({12})
obwohl ich, Herr Kollege van Delden, bisher immer noch den Beweis für das, was ich gesagt habe, erbringen konnte.
({13})
- Sie können das Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes jederzeit einsehen.
({14})
- Ich habe mir die Zahlen soeben noch einmal von meinem Hause durchgeben lassen, um festzustellen, ob sie stimmen.
({15})
- Herr Kollege Müller-Hermann, reden wir doch nicht immer darum herum! Lassen wir einen Mann Ihrer Partei sprechen, lassen wir den früheren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger sprechen, der in der Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Dezember 1966 u. a. folgendes erklärte:
In den kommenden Jahren bietet die Finanzlage des Bundes ein noch düsteres Bild. Im Jahresdurchschnitt drohen Deckungslücken, die etwa so groß sind wie das gesamte Haushaltsvolumen eines der finanzstärksten Länder der Bundesrepublik, und dies trotz der vom Hohen Hause inzwischen verabschiedeten drei Gesetze.
Nicht uninteressant! Sie kennen ja das Finanzvolumen z. B. von Bayern oder von Nordrhein-Westfalen, die ja zu den finanzstärksten Ländern gehören. Kurt Georg Kiesinger fährt dann fort:
Wie kam es zu dieser Entwicklung? 1. Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden.
({16})
- Herr Kollege, das Thema hätten Sie in der vorigen Legislaturperiode bis zum Tezett hier erleben können. Wir haben damals eindeutig nachgewiesen, daß der damalige Finanzminister Dahlgrün bereits im Mai des vorhergehenden Jahres den Bundeskanzler in einem ausführlichen Schriftwechsel darauf hingewiesen hat, was kommen werde. Das ist alles eindeutig geklärt. Ich erwähne es nur noch einmal um der historischen Klarheit willen. Im übrigen werDorn
den Sie sich den Rest weiter anhören müssen, auch wenn er Ihnen noch so wenig gefällt.
({17})
Aber die in der Hochkonjunktur anschwellenden Staatseinnahmen, eine überalterte Haushaltspraxis,
({18})
die verwirrende Vielfalt der öffentlichen Aufgaben, aber auch zu große Nachgiebigkeit gegenüber Interessengruppen und Überschätzung unserer Möglichkeiten haben dazu verführt, Jahr für Jahr neue fortlaufende Ausgaben und fortwirkende Einnahmeverminderungen zu beschließen, ohne ihre Folgen für die Zukunft genügend zu bedenken.
2. Noch 1965 wurden die Bundeshaushalte durch Einnahmeverzichte und Ausgabeerhöhungen zusätzlich mit insgesamt 7,2 Milliarden DM belastet. Die beiden Steueränderungsgesetze führten für Bund und Länder zu Einnahmeverlusten in Höhe von 3,1 Milliarden DM; zusätzliche Ausgaben in Höhe von 6 Milliarden DM wurden beschlossen. Hinzu kommt, daß sich 1965 erstmals die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt ruit einem vollen Jahresbetrag von rund 2,8 Milliarden DM auswirkte.
({19})
Die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes und auch die unbegründete Furcht vor der Ungunst der Wähler haben eine Korrektur dieser Entscheidung vor den Bundestagswahlen verhindert.
Soweit Kurt Georg Kiesinger.
({20})
Dann fährt er fort - und jetzt kommt das Interessantere
({21})
Auch nach den Wahlen gelang es nicht, den eingeschlagenen Weg ins Defizit zu verlassen.
({22})
Das Haushaltsicherungsgesetz war eine Krücke, die nur über die Schwierigkeiten eines einzigen Jahres hinweghalf. Von 3,1 Milliarden DM Ausgabekürzungen waren nur rund 400 Millionen DM Dauereinsparungen; die übrigen Ausgaben wurden lediglich um 1 bis 2 Jahre verschoben.
Das ist die Wahrheit, die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volk nicht vorenthalten dürfen.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen und Sozialen Union!
({24})
- .Ta, natürlich, auch Ihre Vergangenheitsbewältigung gehört dazu, denn Zukunftsprognosen haben
Sie ja leider heute nicht gegeben, konkrete Vorschläge haben Sie nicht unterbreitet.
({25})
Wir können Sie nur an dem messen, was Sie wirklich geleistet haben, und das war mehr als mager.
({26})
Das Wort hat der Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bilde mir ein, ein unverdächtiger Zeuge des Jahres 1965 zu sein, weil ich in diesen Jahren - es sitzen hier einige Kollegen, die das bestätigen können - zusammen mit anderen Kollegen meiner Fraktion und aus anderen Fraktionen, soweit sie von dem damaligen Geschehen beeindruckt waren und daraus gewisse Folgerungen zu ziehen versuchten, versucht habe, die Ausgabenflut im Wahljahr 1965 einzudämmen. Nur muß man auch ehrlicherweise zugestehen, Herr Kol- lege Dorn - und das hätten Sie dazusagen müssen, wenn Sie ehrlich sein wollen -: diese Ausgabenflut wurde in der damaligen Zeit in erster Linie durch dieses Parlament ausgelöst,
({0})
und die Beschlüsse, die gefaßt worden sind, hat jeder hochgeschaukelt, meine Herren. Dieses Parlament hat auch viele Fakten geschaffen, die dazu beigetragen haben, daß, und zwar mit Recht - ich habe es damals vor der Wahl schon gesagt -, dann Haushaltsicherungsgesetze und Finanzanpassungsgesetze hier erlassen werden mußten.
Jetzt lassen Sie mich noch ein Wort sagen. Es wird hier immer wieder gesagt, die Opposition hat nur zu nörgeln, sie sagt nichts. Bitte, seien Sie jetzt einmal so freundlich und folgen Sie. Soweit es zumindest die Haushaltsituation betraf, haben wir vielleicht Glück gehabt, vielleicht haben wir auch ein bißchen davon verstanden, als wir im Jahre 1970 hier Anträge gestellt haben, erstens Ensparungen vorzunehmen,
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- ich werde gleich etwas dazu sagen - zweitens die Versicherungsermächtigungen zurückzuschrauben, nicht um 2 bis 3 Milliarden DM, wie jetzt die Regierung vorhat, sondern um 5 Milliarden DM. Ich nenne nur die zwei Anträge, weil sie wesentlich sind. Sie wurden hier abgelehnt.
Herr Kollege Haehser, Sie sagen: Straßenbau. Da muß ich Ihnen jetzt deutlich machen, damit es ausgesprochen ist, daß Sie dem Antrag im Haushaltsausschuß, der Anregung, 200 Millionen DM, die von der Regierung gesperrt waren, freizumachen und an anderer Stelle zu sperren, zugestimmt haben. Nur weil Sie diesen Zwischenruf machten: es sollte wohl unwahr klingen, so als ob wir Straßenbau
verhindert hätten. Ihre Regierung hat das doch gemacht, und sie hat es mit Recht gemacht. Nur hat sie es nicht in genügender Höhe gemacht, nicht nur im Straßenbau, sondern bei den Kürzungen insgesamt.
Herr Kollege Leicht, können Sie bestätigen, daß die Opposition Vorschläge gemacht hat, die, wenn man sie bedacht hätte, dazu geführt hätten, daß sowohl im Tiefbau als auch im Hochbau keinerlei neue Bauvorhaben in Angriff genommen worden wären?
Nein, das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Ich muß Ihnen die Zahl zurückgeben, die die Regierung jetzt vorschlägt: Streichung von 1,5 Milliarden DM. Jetzt frage ich Sie ich nehme an, Sie sind ja als Koalitionsfraktion unterrichtet -, können Sie mir sagen, wo im einzelnen die Regierung diese Mittel streichen will, bei welchem Titel, vielleicht z. B. beim Straßenbau? Vielleicht sagt es uns auch der Finanzminister hier, wo sie gestrichen werden. Dann reden wir weiter über unsere Vorschläge.
Als wir damals den Antrag global - das gebe ich zu gestellt hatten, haben Sie vielleicht gefragt - jetzt will ich einmal sagen, nicht ganz zu Unrecht -: Wo wollt ihr es denn im einzelnen kürzen? - Dann haben wir unsere Begründung gegeben, damit Sie nicht draußen herumlaufen können und erklären: Ihr habt gesagt, dort und dort streichen, und wir sind die feinen Maxen und sagen nein.
Wir fragen heute die Regierung, in welchem Titel sie denn ihren Globalbeschluß mit 1,5 Milliarden DM - das heißt, eine Milliarde oder 900 Millionen des Bundes, das andere betrifft die Länder - verwirklichen will. Die Regierung hat uns nichts gesagt, Herr Schwabe; das wäre hier Zeit gewesen.
Jetzt muß ich zu den 2 bis 3 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen zurückkommen. Dazu wurde hier von den Sprechern der beiden Koalitionsfraktionen erklärt: Utopie! Wie kann man so etwas bei Bindungsermächtigungen von 26 Milliarden DM - wenn ich die Zahl noch richtig im Kopf habe - und vor Beginn eines in Kraft gesetzten Haushalts machen? Wir sind ja mitten im Jahr. Jetzt will man plötzlich auch 2 bis 3 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen. - Ich sage, das ist der wirksamste aller Vorschläge der Regierung, wenn es durchgesetzt wird. Das will man jetzt machen.
Herr Kollege Dorn, ich bin eigentlich Ihretwegen gekommen. Da ich jetzt das Wort habe, lassen Sie mich einen Schlußsatz sagen. Der Kollege Arndt hat hier sehr eindringlich versucht, gewisse Entwicklungen in der Welt, insbesondere in Amerika, darzustellen. Er hat sich vor allen Dingen so etwa als der Hüter der sozialen Marktwirtschaft hingestellt. Mir liegen nun aus eigener Erfahrung einige Dinge in den Ohren, Herr Kollege Arndt, worin sich das, was Sie heute gesagt haben, nicht mit dem deckt, was noch vor einiger Zeit von Ihnen gesagt worden ist. Ich erinnere mich auch noch daran, daß es
einmal die Fraktion der SPD gewesen ist, die dem von Ihnen viel gepriesenen Ludwig Erhard damals als Wirtschaftsminister hier das Gehalt streichen wollte, weil er mit seinen Ideen untauglich und damals für Sie unerträglich gewesen ist.
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- Das könnte ich Ihnen einmal privat erklären, Herr Haehser.
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Das zweite, das ich feststellen möchte: Mich haben die Ausführungen von Herrn Arndt sehr bedenklich für die Zukunft gestimmt. Ich will Ihnen sagen, warum - wenn ich sie richtig verstanden habe. Er hat keine Antwort auf die Frage gegeben: Was steht denn eigentlich mit der Verpflichtung, nach Ablauf einer gewissen Zeit zur Parität zurückzukommen, fest? Er hat diese Antwort bewußt hier nicht gesagt; aber er hat sie vor wenigen Tagen im Fernsehen gegeben - ich meine nur, er hätte sie auch hier sagen können -: daß er nämlich überzeugt ist, daß am Schluß die Aufwertung steht. So hat er sich ausgedrückt. Vielleicht liest er es noch einmal nach.
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Aber das war nicht das Schlimmste. Wenn ich es recht verstanden habe, hat er es so begründet -jetzt bringe ich es mit meinem einfachen Verstand; ich bin kein Volkswirt und kann es nicht so ausdrücken wie Sie -:
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In Amerika laufen die Preise davon; das wird noch lange Zeit so gehen; diese Entwicklung wird sich bei uns immer wieder auswirken, und dann muß bei uns etwas geschehen, denn den Amerikanern - über alles das kann man reden kann man in dieser Situation nicht zumuten, das selber zu machen.
Herr Arndt, wenn das stimmt, was Sie sagen - man sollte es vielleicht einmal ganz ernsthaft diskutieren -, erhebt sich für mich eine Frage. Ende 1969 hatten wir eine Aufwertung - aus anderen Gründen, aber auch mit verursacht von Amerika her; Sie haben es selber gesagt -; wir haben jetzt, eineinhalb Jahre später, wiederum eine Währungs - na, wie soll ich jetzt sagen; ich will noch gar nicht „Änderung" sagen -, ein Vor-sichGehen in der Währung. Wenn das stimmt, was Sie hier sagten, muß ich fragen: Müssen wir damit rechnen, in einem Dreivierteljahr oder einem Jahr wieder soweit zu sein?
Das ist die ernste Frage, die ich stelle. Insofern habe ich gesagt, daß mir diese Ausführungen ({4})
man sollte sie noch einmal sehr sorgfältig lesen und prüfen - große Sorgen für die Zukunft machen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Leicht bedürfen einiger Entgegnungen. Herr Leicht sprach von der Ausgabenpolitik im Jahre 1965. Ich darf daran erinnern, daß am 7. Februar 1965 hier in diesem Hause über den Haushaltsplan 1965 entschieden wurde. Der damalige Sprecher der SPD-Fraktion, der Abgeordnete Dr. Möller, hat damals namens der SPD-Fraktion alle ausgabenwirksamen Anträge zurückgenommen, die Regierung ermuntert, ihrerseits das gleiche zu tun, und in diesem Hause deutlich gemacht, wohin der Weg führen müßte, wenn man den Gesetzentwürfen, die die Regierung Erhard in diesem Hause als Regierungsentwürfe eingebracht hat, folgen würde. Den Erfolg - lassen Sie es sich vollends sagen - kennen Sie ganz genau. Aber es ist üble Legendenbildung was Sie hier machen; denn Sie wissen ganz genau, daß nach der Wahl 1965 diese CDU ein sogenanntes Haushaltssicherungsgesetz einbringen mußte und daß Sie alle diese Wahlgeschenke, die Sie 1965 im Frühjahr beschlossen haben, wieder zurücknehmen mußten.
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Das war die Politik, bei der Sie persönlich, Herr Leicht Sie persönlich; ich erinnere mich -, sich um Ausgabenbeschränkung bemüht haben, aber Ihre Fraktion genau das Gegenteil getan hat. Stellen Sie sich bitte heute nicht hierhin und tun Sie nicht so, als wenn das Gegenteil wahr wäre.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte an und für sich nicht die Absicht, heute abend noch zu sprechen; aber da offenbar Vereinbarungen in diesem Hause nichts gelten, möchte ich nun doch noch eines hinzufügen, zumal das, was Herr Kollege Leicht gesagt hat, auch in anderer Hinsicht noch einer Erwiderung bzw. Richtigstellung und Klarstellung bedarf.
Herr Kollege Leicht hat hier
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unter anderem an die Auseinandersetzung angeschlossen, die wir im vergangenen Jahr über die Frage der Verpflichtungsermächtigungen gehabt haben. Zunächst einmal ist richtig, daß Sie - bewußt oder unbewußt - damals hier Dinge hochgespielt haben, die gar nicht hochzuspielen waren. Sie sind hier und überall mit der Behauptung hausieren gegangen, die Verpflichtungsermächtigungen seien 10 Milliarden DM höher als 1969. Ich spreche hier in runden Summen. Das war rein numerisch richtig, hing aber mit der Umstellung der Haushaltsordnung zusammen. Wir haben Ihnen ,das damals nachgewiesen. Als Sie ,dann, als es zur dritten Lesung kam, den Antrag stellten, gezielt Verpflichtungsermächtigungen, die noch etwas höher waren, nicht zu bewilligen, haben wir Ihnen nachweisen müssen, daß das gar nicht ging, weil diese neue Erhöhung z. B. mit einem Objekt, für das Sie sich selbst, auch bei den Beratungen im Haushaltsausschuß, eingesetzt haben, Herr Kollege Strauß, mit dem Airbus-Objekt, zusammenhing. Das nur zur Erinnerung!
Herr Kollege Leicht, Sie haben auch keine konkreten Streichungsanträge im vergangenen Jahr gestellt. Sie wollten global 1,5 Milliarden DM einsparen.
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Sie sind jeder Definition, jeder Bestimmung ausgewichen. Und heute ist es von einem Ihrer Sprecher - ich glaube, es war der Kollege Strauß - ja ganz ,deutlich gesagt worden; er sagte: halten Sie uns doch nicht für so dumm, daß wir hier konkret sagen, wir wollen das oder das oder das weniger haben.
Wenn ich das Fazit Ihrer heutigen Diskussionsbeiträge ziehe, meine Damen und Herren, dann haben Sie hier eigentlich dafür plädiert, daß man der Opposition immer den Status der Obstruktion geben solle.
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Lassen Sie mich nun doch noch einige allgemeine Bemerkungen anschließen, nachdem die Vereinbarung, die Debatte nach der Runde vorhin abzuschließen, nicht eingehalten worden ist; aber nur ganz wenige Worte.
Herr Kollege Strauß, Sie haben heute hier so leicht und bescheiden von den Tönen gesprochen, die im Ausland Unbehagen hervorrufen könnten. Herr Strauß, ich wünschte nur, daß Sie solche Ermahnungen gelegentlich auch einmal bei Ihren eigenen Parteifreunden und bei anderer Gelegenheit und in anderem Zusammenhang vorbringen würden.
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Ich glaube, wenn es um Töne geht, die im Ausland Unbehagen hervorrufen, können wir allerdings mit Ihnen und Ihnen Nahestehenden bei weitem nicht konkurrieren.
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Herr Kollege Strauß hat von der Aufwertung 1969 natürlich sehr weit gesprochen, und der Kollege Arndt hat es hier wohl auch schon gesagt: Bei aller Interpretationsbereitschaft gibt es bis heute weder in der heutigen Rede des Kollegen Strauß noch in früheren Erklärungen des Kollegen Strauß oder irgendeines Ihrer Politiker irgendeinen Punkt, wo man sagen könnte: die CDU/CSU ist für oder ist gegen die Aufwertung. Ich habe bis jetzt noch niemals gehört, daß sich die CDU an sich zur Aufwertung von 1969 bekannt hat. Interessant war in diesem Zusammenhang nur, Herr Kollege Strauß, daß Sie davon gesprochen haben, Sie seien im Herbst 1969 gegen die Aufwertung gewesen, weil die Bundesregierung nicht sofort ein binnenwirtschaftliches, flankierendes Programm - und jetzt kommt es - gegen die hausgemachte Inflation vorgelegt habe. Genau das haben Sie gesagt. Sie werden es ja soeben gerade durchgelesen haben. Nun frage ich Sie nur eins, Herr Kollege Strauß. Wenn Sie am Tage der
Aufwertung 1969 - und das war bekanntlich die erste Maßnahme dieser Bundesregierung - ein Programm gegen hausgemachte Inflation verlangten, dann frage ich Sie: Wer hatte - ich behaupte gar nicht, daß wir sie hatten -, wer hätte in diesem Falle diese hausgemachte Inflation wohl zu verantworten und hinterlassen gehabt?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Strauß?
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen bewußt, daß Sie hier zwei verschiedene Phasen verwechseln bzw. durcheinandergeworfen haben? Ist Ihnen entgangen, daß ich gesagt habe, man mag zur Aufwertung so oder so stehen meine Position ist bekannt -, aber ich sei damals gegen ein einseitiges deutsches Vorgehen gewesen, ohne Abstimmung mit den anderen und ohne vorherige Regelung der agrarpolitischen Fragen? Das war das Problem im Mai 1969. Und ist Ihnen entgangen, daß ich im zweiten Takt, im Herbst 1969, gesagt habe, bei dem blinden Glauben an die alleinseligmachende Wirkung der Aufwertung hat die damalige Bundesregierung im Taumel ihrer Versprechungen völlig übersehen, daß die Gefahr eine hausgemachte Inflation ist und nicht eine importierte Inflation, weshalb die Aufwertung ohne ein begleitendes binnenwirtschaftliches Programm ein Fehlschlag sein muß?
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Herr Kollege Strauß, ich hatte erst den Eindruck, Sie hätten Ihre Ausführungen auswendig gelernt, weil Sie sie nämlich fast genau wiederholten. Nur in dem entscheidenden Punkt haben Sie sich natürlich nicht korrekt zitiert. Sie haben gesagt - es wird ja nachzulesen sein, nämlich genau das, was ich verstanden habe , Sie hätten im Oktober 1969 ein binnenwirtschaftliches Ergänzungsprogramm gegen eine hausgemachte Inflation verlangt; diese Forderung aufzustellen, setzt voraus, sie für diesen Zeitpunkt bereits als gegeben anzusehen. Wer anders hätte - ich bestreite, daß wir sie hatten - dann die Verantwortung dafür gehabt als die von Ihrer Partei geführte Regierung?
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Junghans?
Bitte schön!
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen bekannt, daß entgegen dieser heutigen Äußerung von Herrn Strauß damals, nach der Aufwertung 1969, derselbe Strauß nicht ein binnenwirtschaftliches Programm, sondern ein Ankurbelungsprogramm verlangt hatte?
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Es ist sicherlich schwierig, die verschiedenen unterschiedlichen Auffassungen des Kollegen Strauß immer gleichzeitig alle parat zu haben,
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wie ja überhaupt, meine Damen und Herren - lassen Sie mich damit dann zum Schluß kommen -,
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die CDU - ich erinnere hier an die Auseinandersetzung, die wir auch heute gehabt haben: Stabilität, Europa usw. - eine Meisterschaft entwickelt - eine Meisterschaft unter anderen; sie hat noch eine andere Meisterschaft, die Meisterschaft der Panik- und Angstmache -, im Aufstellen von Unvereinbarkeiten. Ich glaube, das muß man dabei berücksichtigen.
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Dabei legt sie sich nie im einzelnen fest, damit sie immer dann, wenn die Regierung etwas tut, dagegen sein kann; denn würde sie vorher bei etwas Farbe bekennen, könnte sie nachher schlecht dagegen sein.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat sich eben zu Ihrem Kummer, würde ich nach dem Verlauf der heutigen Debatte sagen, in den Brüsseler Verhandlungen - das ist hier heute schon wiederholt gesagt worden - energisch und erfolgreich für die deutschen Interessen eingesetzt.
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Herr Kollege Apel hat vorhin vom Regenmacher gesprochen. Ich würde ein anderes, vielleicht etwas abweichendes Bild wählen, wenn ich mir die konjunkturpolitischen Debatten der letzten anderthalb Jahre in die Erinnerung rufe. Ich habe den Eindruck, daß sich die CDU hier zum stabilitätspolitischen Suppenkasper entwickelt hat;
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denn draußen simuliert sie Stabilitätshunger, gewinnt damit zum Teil sogar Landtagswahlen, und hier hören wir immer, wenn wir mit konkreten Maßnahmen dieser Regierung kommen, die diese Koalition zu decken bereit ist: Nein, diese Suppe eß' ich nicht, diese Suppe mag ich nicht!
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Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 12. Mai 1971, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.