Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/24/1971

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Wilhelm Nölling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung vor, daß die ausländischen Arbeitnehmer bei Verlassen der Bundesrepublik rechtswirksam den Antrag auf Rückerstattung stellen können? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Frage wird im Augenblick noch geprüft. Ich werde das weiter untersuchen und Ihnen dann schriftlich Antwort geben. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Kiechle auf. Ist der Fragesteller im Saal? - Er ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Dr. Wörner auf: In welchem Stadium befinden sich die Vorbereitungen für ein Steuerbeamtenausbildungsgesetz, und wann ist mit der Vorlage des entsprechenden Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung zu rechnen? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung bereitet zur Zeit den Entwurf einer Novelle zum Steuerbeamten-Ausbildungsgesetz vom 16. Mai 1961 vor. Der Entwurf soll möglichst unmittelbar nach der diesjährigen Sommerpause den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf: Wie hoch ist der Münzgewinn, den der Bund von 1949 an bis einschließlich 1970 durch die Ausgabe von Bundesmünzen erzielt hat, und wofür wurde dieser Münzgewinn verwendet? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Im Jahre 1949 ist kein Münzgewinn vereinnahmt worden, da der Bund erst seit 1950 Münzen prägt. Von 1950 bis 1970 hat der Bund durch die Ausgabe von Bundesmünzen insgesamt einen Netto-Münzgewinn von 2,4 Milliarden DM erzielt. Das sind im Jahresdurchschnitt 113 Millionen DM. Olympiamünzen sind hierbei nicht berücksichtigt. Die Ausprägung von Bundesmünzen ist im Gesetz über die Ausprägung von Scheidemünzen vom 8. Juli 1950 - Bundesgesetzblatt 31 vom 15. Juli 1950, Seite 323 - geregelt. Dieses Gesetz sah in seiner ursprünglichen Fassung vor, daß der Münzgewinn zur Finanzierung des Wohnungsbaues zu verwenden sei. Durch Änderungsgesetz vom 18. Januar 1963 wurde diese Bestimmung jedoch gestrichen Der Münzgewinn fließt seither ohne Zweckbindung in den allgemeinen Haushalt. Von 1950 bis 1962, also in der Zeit, in der eine Zweckbindung bestand, wurde ein Münzgewinn von insgesamt 1,4 Milliarden DM erzielt. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Die Frage 17 des Abgeordneten Meister wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Meine Damen und Herren, wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Es geht in der Fragestunde zu schnell voran. Ein Teil der Fragesteller ist noch nicht Präsident von Hassel da. Ein Teil der antwortenden Parlamentarischen Staatssekretäre ist noch nicht da; inzwischen ist einer gekommen. Herr Kollege Matthöfer, ich bin bereit, Ihre Frage noch einmal aufzunehmen, weil ich die Sitzung sonst unterbrechen müßte. Ich rufe also die Frage 11 des Abgeordneten Matthöfer noch einmal auf: Wie hoch ist nach Schätzung der Bundesregierung der Steuerausfall, der durch die Möglichkeit der Absetzung von Bestechungszahlungen bei Außenhandelsgeschäften als Betriebsausgaben jährlich entsteht? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Unterlagen über die Zahlung von Bestechungsgeldern bei Außenhandelsgeschäften liegen nicht vor. Es ist deshalb nicht möglich, die Steuermindereinnahmen durch die Geltendmachung solcher Zahlungen als Betriebsausgaben zu ermitteln. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Finden Sie es nicht auch merkwürdig, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß man zwar für die Arbeitnehmer Verdienste und Steuern nach Geschlecht, Tarifgruppe, Tarifgebiet, Industriezweig usw. aufschlüsselt bis auf Pfennige genau ausrechnet, daß aber jedesmal, wenn es um Arbeitgeber- oder Unternehmersteuern geht - auch wenn es sich um Hunderte von Millionen D-Mark handelt , keine Angaben zur Verfügung stehen? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Es ,stehen deswegen keine Angaben zur Verfügung, weil die Betreffenden den ausländischen Empfänger gar nicht anzugeben brauchen. Sie müssen nur nachweisen, daß sie die Summen bezahlt haben. Wir haben aber keine Statistik darüber. Es tut mir leid, ich kann diese Angaben nicht beschaffen. . Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe dann auch die Frage 14 des Abgeordneten Kiechle, der inzwischen eingetroffen ist, noch einmal auf: Sind die in der Zeitschrift „Der Volkswirt" ({0}) erwähnten Pläne zutreffend, nach denen die Bundesregierung bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung 1971 bis 1975 wesentliche Teile der Ausgaben für die nationale Agrarpolitik und insbesondere für die landwirtschaftliche Unfallversicherung, Gasölbeihilfen, allgemeine Agrarstruktur und Küstenschutz zu kürzen oder ganz zu streichen beabsichtigt? Damit würden wir diesen Geschäftsbereich dann beenden. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die in Nr. 9 der Zeitschrift „Wirtschaftswoche" vom 26. Februar 1971 erwähnten Maßnahmen sind nicht Gegenstand von Erörterungen der Bundesregierung gewesen. Deshalb kann nicht bestätigt werden, daß die Bundesregierung beabsichtigt hat, wesentliche Teile der Ausgaben für die nationale Agrarpolitik und insbesondere für die landwirtschaftliche Unfallversicherung, für Gasölbetriebsbeihilfen oder für die allgemeine Agrarstruktur und den Küstenschutz zu kürzen oder ganz zu streichen. . Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle. .

Ignaz Kiechle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001091, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß eine derartige Absicht auch nicht besteht? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Jawohl, Sie können sie so verstehen. Präsident von Hassel: Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich die übergangenen Fragen von Kollegen, die inzwischen eingetroffen waren, nur deshalb noch einmal aufgerufen habe, weil wir sonst nicht hätten fortfahren können. Das ist kein Präzedens für künftige Fälle. Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, und zwar zunächst zu Frage 18 des Abgeordneten Löffler. - Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Dann werden die Fragen 18 und 19 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Lenzer auf: Welche Konsequenzen ergeben sich für die deutsche Luftfahrtindustrie aus dem Zusammenbruch der englischen Firma Rolls-Royce und den damit verbundenen Schwierigkeiten der Triebwerkbeschaffung für deutsche Flugzeugprojekte ({0})? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal. Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Lenzer, in Ihrer Frage sagen Sie „usw.". Im Entwicklungsbereich gilt dies nur für das zivile Strahlverkehrsflugzeug VFW 614 wegen Triebwerk Mars 45 H und das Mehrzweckkampfflugzeug MRCA wegen Triebwerk RB 199. Es ist mit einer Teilverstaatlichung von RollsRoyce in diesem Jahr zu rechnen, soweit wir von der englischen Regierung informiert sind. Wir haben von der englischen Regierung Zusagen, daß die internationalen Programme, also auch die Produktion der von Ihnen angesprochenen Triebwerke, weitergeführt werden. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, 'können Sie aber bestätigen, daß sich hinsichtlich der Kostensituation bei den beiden von Ihnen genannten Triebwerken - RB 199 34 und M 45 H - doch einiges geändert hat, auch als Konsequenz der dortigen Ereignisse? Und können Sie bestätigen, daß beispielsweise bei dem Triebwerk für das MRCA zusätzliche Forderungen von 0,8 Milliarden DM bis etwa 1 Milliarde DM gestellt wurden und daß bei dem anderen Triebwerk, M 45 H, die Situation so aussieht, daß wir heute bei Kosten von 282 Millionen DM angelangt sind, gegenüber 184 Millionen DM, die anfangs geschätzt wurden, worauf ja auch schon Zahlungen geleistet worden sind? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich kann die Forderungen nicht so genau beziffern, wie Sie es hier getan haben. Aber ich weiß, daß sich Forderungen stellen und daß diese Gegenstand von Verhandlungen sind. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich in diesem Zusammenhang noch fragen, ob es stimmt, was beispielsweise das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" über Ihren Kollegen Rohwedder berichtet hat - es war Nr. 13 von dieser Woche , daß es praktisch auf dem Gebiet der Triebwerkbeschaffung für diese beiden Projekte keine Alternative gibt. Es wurde wörtlich gesagt: „Wir sitzen am kürzeren Ende, weil wir kein anderes Triebwerk haben." Präsident von Hassel: Verehrter Herr Kollege, es ist zwar ungemein interessant, was Sie fragen. Das Gros versteht es aber nicht, genau wie ich, und vor allen Dingen entspricht es nicht den Richtlinien. Sie müssen sehr kurz fragen. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich werde mich bemühen, Herr Präsident. Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich glaube, es wäre gerade im Sinne der Verhandlungen, die ja, wie Sie selbst sagen, von großer Wichtigkeit für unsere Flugzeugindustrie sind, nicht richtig, wenn man jetzt die Stärkepositionen der einzelnen Verhandlungspartner zu sehr verdeutlichen würde. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. - Ist die Frage 21 damit schon beantwortet? - Noch nicht. Dann, bitte schön, die Antwort auf die Frage 21, Herr Staatssekretär: Wie beurteilt die Bundesregierung die Chance einer europäischen Kooperation auf dem Gebiet der Triebwerkentwicklung? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Lenzer, zwischen deutschen, französischen und italienischen Triebwerkfirmen besteht bereits eine Zusammenarbeit sowohl in dem Entwicklungs- als auch in dem Fertigungsprogramm, z. B. bei der RB 199. Es laufen weiterhin Gespräche für eine Intensivierung dieser Zusammenarbeit. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Ihrem Hause die Meinungen der eventuell dafür in Frage kommenden deutschen Firmen bekannt? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Darf ich noch einmal um diese Frage bitten.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind in Ihrem Hause die Stellungnahmen der deutschen Firmen, die für eine solche Kooperation auf europäischer Ebene in Frage kommen, bekannt? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Darf ich Sie bitten, diese „Stellungnahme" etwas zu präzisieren, damit ich Ihnen keine vage Antwort gebe. Stellungnahmen in welcher Richtung?

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stichwort vielleicht „Europäische Auffanggesellschaft" oder „Europäische Triebwerksunion". Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister füre Wirtschaft: Ja, diese sind uns bekannt, und die Bundesregierung begrüßt eine solche Zusammenarbeit und würde sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten fördern. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf: Trifft es zu, daß die Einfuhr von Kalkstickstoff aus Polen bis zum Abschluß eines von der chemischen Industrie beantragten Preisprüfungsverfahrens nicht möglich ist? Bitte, Herr Staatssekretär! Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege von Alten-Nordheim, das trifft nicht zu. Zwar sind während des Preisprüfungsverfahrens die polnischen Kalkstickstoff-Lieferungsanträge sorgfältig geprüft worden, inzwischen ist aber auch der letzte in voller Höhe genehmigt. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete von Alten-Nordheim. von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, um welche Mengen es sich etwa dabei handelt? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr von AltenNordheim, ich glaube, die Einfuhr aus Polen umschließt fast 95 % der gesamten Einfuhr. Das ist aber nur 0,35 % der Produktion. Präsident von Hassel: Noch eine Zusatzfrage. von Alten-Nordheim ({1}) : Können Sie das in absoluten Zahlen sagen? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege von Alten-Nordheim, ich habe zwar ein gutes Gedächtnis, aber ich werde sie Ihnen lieber schriftlich nachreichen. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf: Zu welchen Ergebnissen ist der ans 11. Dezember 1970 eingesetzte interministerielle Arbeitskreis gekommen, der auf meine Frage vom 11. Dezember 1970 ({2}) und die weitere Frage des Abgeordneten Peters ({3}) vom 18. Dezember 1970 ({4}) angekündigt wurde, um die Lane auf dem Düngemittelmarkt zu untersuchen? Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege von Alten-Nordheim, der Arbeitskreis aus Vertretern des Bundesministeriums für Landwirtschaft, des Bundeswirtschaftsministeriums, des Kartellamts und des Statistischen Bundesamts, über den ich Ihnen in einer früheren Fragestunde schon einmal Auskunft gegeben habe, hat sich am 11. Dezember, am 11. Januar und am 26. Februar getroffen. Er hat das gesammelte Material, insbesondere betreffend das Düngemittel Kalkammonsalpeter, das, wie ich annehme, Sie besonders interessiert, diskutiert und am 19. März ein Hearing mit den beteiligten Verbänden veranstaltet. Das Ergebnis dieses Hearings wird im Arbeitskreis am 2. April diskutiert. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Alten-Nordheim. von Alten-Nordheim ({5}): Darf ich daraus entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie zur Zeit noch keine Angaben machen können oder machen wollen? Rosenthal: Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr von Alten-Nordheim, die Beteiligten und gerade auch der Bauernverband, also ein Verband, dessen Interessenlage Sie teilen, wie ich annehme, hat ausdrücklich darum gebeten, daß vor dem Abschluß der Untersuchungen keine Teilergebnisse bekannt gegeben werden. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Maucher auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 25. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, zuerst zur Frage 50 des Abgeordneten Krall. - Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frage 51 des Abgeordneten Fiebig: Ist die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um höhere Wehrgerechtigkeit gewillt, auch Theologiestudenten zum Wehrdienst einzuberufen, da erstens nach Artikel 6 des Reichskonkordats von 1933 nur Kleriker und Ordensleute, nicht aber Theologiestudenten vorn Wehrdienst ausgenommen sind, und zweitens diese bei der gegenwärtigen Praxis das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht wahrzunehmen brauchen, also einer Gewissensentscheidung enthoben sind? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan. Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt zur Zeit nicht, von der bisherigen Übung abzugehen, Theologiestudenten, die sich auf das geistliche Amt vorbereiten, auf Antrag vom Wehrdienst zurückzustellen. Sie fühlt sich auf Grund einer Zusatzvereinbarung zum Reichskonkordat zu diesem Verfahren verpflichtet. Der Paritätsgrundsatz, der den Staat zur Gleichbehandlung der Kirchen verpflichtet, gebietet es, evangelische Theologiestudenten hinsichtlich des Wehrdienstes so zu behandeln wie die katholischen. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, Herr Kollege Fiebig, so ist es den Theologiestudenten unbenommen, einen Antrag auf Zurückstellung einzureichen oder aber auch nicht einzureichen. Im übrigen hat die verhältnismäßig kleine Zahl der zurückgestellten Theologiestudenten - jährlich sind es etwa 400; in Zukunft mögen es weniger als 400 werden, da wir einen Rückgang der Zahl der Theologiestudenten zu verzeichnen haben - unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit keine allzu große Bedeutung. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Fiebig.

Udo Fiebig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000539, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß sich immer mehr Studenten in zwei Fakultäten einschreiben lassen, unter anderem auch in der theologischen Fakultät, um auf diese Art und Weise automatisch dem Wehrdienst zu entgehen? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das ist zwar bekannt, Herr Kollege. Aber es ist sichergestellt, daß die Zurückstellungen so kontrolliert werden, daß bei einem Übergang in ein anderes Studium die Studenten genau wie die übrige junge Generation ihres Jahrgangs zur Wehrpflicht aufgerufen werden. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Bay auf. - Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage Präsident von Hassel wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frage 53 des Abgeordneten Schiller ({0}) : Wie hoch ist der Prozentsatz der uneingeschränkt tauglich Gemusterten, die auf Grund erst bei der Truppe festgestellter Krankheiten wieder entlassen werden müssen? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, beantworte ich die Fragen 53 und 54 gemeinsam. Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann rufe ich die Frage 54 ebenfalls auf: Wie kann vermieden werden, daß solche Wehrpflichtige eingezogen werden, um Schwierigkeiten für die Ausbilder zu verhindern? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Der Prozentanteil der uneingeschränkt tauglich Gemusterten, die auf Grund der Einstellungsuntersuchung wegen eines veränderten Tauglichkeitsgrades wieder entlassen werden müssen, lag bisher durchweg bei 5 %. Im Jahre 1970 waren es beispielsweise 5,1 %. Dieses im Grunde unerfreuliche Ergebnis hat verschiedene Ursachen. Zwischen der Musterung und der Einberufung liegt immer eine mehr oder weniger lange Übergangszeit, während der der Wehrpflichtige erkranken oder gar verunglücken kann. Trotz eingehender Belehrung und schriftlicher Befragung des Gemusterten vor der Einberufung werden die Krankheits- bzw. Unfallfolgen den Kreiswehrersatzämtern zum Teil nicht bekanntgegeben. Es kommt auch vor, daß bei der Musterung vergessene Krankheitsangaben bei der Einstellungsuntersuchung von den Wehrpflichtigen nachgeholt werden, was dann unter Umständen zu einer Änderung des Tauglichkeitsgrades führen kann. Mitunter mußten bei der Einstellungsuntersuchung sogar noch bewußt verschwiegene Erkrankungen festgestellt werden. Das Ergebnis der erst nach Dienstantritt durchgeführten Röntgenuntersuchungen kann den Tauglichkeitsgrad ebenfalls beeinflussen. Letztlich liegt eine unterschiedliche Beurteilung aber auch bei den Ärzten, weil sie einen ihnen zugebilligten Ermessensspielraum haben. Eine Änderung ist nur durch baldmögliche Schaffung weiterer Musterungszentren zu erreichen. Bis dahin müssen sich die Musterungsärzte mit einer Konsultation privater Fachärzte behelfen. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schiller ({1}).

Christoph Schiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001967, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gibt es Truppenteile, in denen dieser Prozentsatz bis zu 20 % beträgt? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Schiller, ich habe so etwas gehört, aber ich habe in der kurzen Zeit natürlich keine Gelegenheit gehabt, das nachzuprüfen. Immerhin will ich Ihnen ganz offen zugeben, daß mich eine Zahl von 20 % erstaunt und mir fast unwahrscheinlich vorkommt. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schiller ({0}).

Christoph Schiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001967, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen bei Gelegenheit einmal solch eine Einheit nennen, und können Sie das dann nachprüfen? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Selbstverständlich, Herr Kollege Schiller. Sie werden verstehen, daß ich nicht erfreut bin, wenn die Angaben, die Sie mir machen, den Tatsachen entsprechen. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie die Zahl der uneingeschränkt tauglich Gemusterten, die wieder entlassen wurden, mit 5 % angegeben haben, möchte ich Sie fragen, ob sichergestellt ist, daß alle eingezogenen Wehrpflichtigen bei der Truppe einer Nachuntersuchung unterzogen werden. Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Josten, hoffentlich können Sie mir keinen Fall nennen, wo das nicht der Fall gewesen ist. In der Regel muß der Eingezogene durch einen Arzt nachuntersucht werden. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem ich bei meiner ersten Frage darauf hinweisen wollte, daß wir bei der Truppe auch einen Ärztemangel haben, möchte ich Sie fragen, ob nicht dadurch die Nachuntersuchungen in Frage gestellt werden. Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, Herr Kollege, bisher ist es gelungen, für diese Nachuntersuchungen ausreichend Ärzte zur Verfügung zu haben. Präsident von Hassel: Keine weiteren Zusatzfragen? - Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Jung auf: Hat die Bundesregierung Möglichkeiten für die Einrichtung einer Betriebskrankenkasse für die Bundeswehr - etwa vergleichbar mit denen von Bahn und Post - untersucht, und zu welchen Ergebnissen ist sie gekommen? Zur Beantwortung Herr Staatssekretär, bitte! Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Eine Bundeswehrkrankenkasse, Herr Kollege Jung, würde für die Soldaten keine Vorteile bringen. Zu diesem Ergebnis muß man kommen, wenn man sich folgende Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan Gegebenheiten vor Augen hält. Während der Dienstzeit haben alle Soldaten - Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und Berufssoldaten- Anspruch auf unentgeltliche truppenärztliche Versorgung; einer zusätzlichen Krankenversicherung des Soldaten bedarf es daher während der Dienstzeit nicht. Eine Bundeswehrkrankenkasse käme nur für ausgeschiedene Soldaten in Frage, die keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen. Dieser Personenkreis ist zahlenmäßig gering. Darüber hinaus stehen diese Männer meist im fortgeschrittenen Alter; die Krankheitshäufigkeit ist deshalb größer. Das abzudeckende Krankenkostenrisiko wäre unverhältnismäßig höher als das einer sonstigen privaten oder auf vergleichbarer Ebene wirtschaftenden Krankenversicherung. Die Beiträge der Versicherungsnehmern an eine Bundeswehrkrankenkasse müßten daher erheblich höher sein als an Versicherer mit einem ausgewogenen Versichertenbestand. Dieses Ergebnis ließe sich selbst dann nicht wesentlich verbessern, wenn eine Bundeswehrkrankenkasse auch für die Familienangehörigen der Soldaten und für die zivilen Angehörigen der Bundeswehr offenstünde. Das potentielle Versichertenaufkommen wäre auch in diesem Falle noch zu gering, um eine Bundeswehrkrankenkasse mit vertretbaren Prämien selbst bei angemessenem Bundeszuschuß tragen zu können. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie wissen, weshalb ich die Frage gestellt habe: weil nämlich die Familienangehörigen, die Sie zuletzt erwähnten, in die Heilfürsorge nicht einbezogen sind und weil die Soldaten für ihre Familien zusätzlich Krankenversicherungen abschließen müssen, deren Prämienhöhe genauso viel beträgt, als wären sie meinetwegen selbst in einer solchen Krankenkasse. Dies ist eine Belastung insbesondere für untere Dienstgrade. Deswegen wiederhole ich meine Frage: Welche Möglichkeiten gibt es außerdem, eine Krankenfürsorge für die Familien zu vertretbaren Kosten sicherzustellen? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Jung, in der Regel ist der junge Mann, bevor er zur Bundeswehr einberufen wird, berufstätig. Das heißt, in der Regel wird auch sein Einkommen so sein, daß er versicherungspflichtig ist und er einer Pflichtkrankenkasse angehört. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, ich kann nicht verstehen, mit welcher Leichtfertigkeit junge Männer diesen Anspruch aufgeben, nur um in der Zeit, in der sie freie Heilfürsorge als Zeit- oder auch als längerdienende Soldaten zu beanspruchen haben, ein paar Mark bei der Versicherung zu sparen. Ein paar Jahre später heiraten sie dann, und normalerweise wäre ihre Ehefrau dann ebenfalls in der Pflichtversicherung. Aber ich weiß keinen Ausweg, wie wir derartigen Zufällen des Lebens als Gesetzgeber oder als Dienstherr vorbeugen können. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jung.

Kurt Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001038, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß solche Soldaten, von denen Sie soeben sprachen, plötzlich vor der Tatsache standen, daß die Versicherungsgesellschaften oder die Ersatzkassen kurzfristig ,die Verträge aufgekündigt bzw. kurzfristig drastische Erhöhungen eingeführt haben, was die Soldaten in eine besonders schwierige Situation brachte? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Nein, das gilt nicht nur für Soldaten. Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge sind generell. Neben mir sitzt ein Sachverständiger, und vor mir sitzt ein Sachverständiger, und ich würde Sie wirklich bitten, mit den Fachleuten des zuständigen Ministeriums diese Fragen zu besprechen. Ich selbst fühle mich im Moment überfragt, Herr Kollege Jung. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Jung auf: Räumt die Bundesregierung solchen Soldaten auf Zeit, die sich für vier Jahre verpflichten und als Unteroffiziersanwärter die notwendigen Lehrgänge nicht bestehen, die Möglichkeit ein, qqf. eine Änderung der Verpflichtungszeit vorzunehmen? Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, das Anliegen Ihrer Frage ist bereits durch einen Erlaß geregelt. Hiernach muß sich der Bewerber für die Einstellung als Unteroffiziersanwärter grundsätzlich für eine Mindestdienstzeit von vier Jahren verpflichten, wobei er in der Regel zunächst für eine Dienstzeit von sechs Monaten, die wir Probezeit nennen, in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen wird. Nach Bewährung wird die Dienstzeit von sechs Monaten auf zwei Jahre und nach erfolgreichem Abschluß zum Unteroffizier erst auf die volle Verpflichtungszeit von vier Jahren verlängert. Dieser Verlängerung kann der Soldat nicht widersprechen. Erreicht der Soldat das Ziel der Unteroffiziersausbildung nicht, kann die Dienstzeit auf die volle Verpflichtungszeit nur mit seiner Zustimmung festgesetzt werden. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfragen. Sie sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Frage 2 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Erfahrungen, die die Wintersportler der Bundesrepublik Deutschland durch ihre Teilnahme an den vorolympischen Spielen in Sapporo im Hinblick auf die Spiele der XI. Winterolympiade 1972 in Sapporo gewonnen haben, und ergehen sich aus der Sicht der Bundesregierung Konsequenzen für die weiteren Forderungsmaßnahmen? Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dorn. Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Müller, in der Parlamentarischer Staatssekretär Dorn Zeit vom 4. bis 14. Februar 1971 hat eine große Zahl von Angehörigen der olympischen Kader der Wintersportverbände an den vorolympischen Spielen in Sapporo teilgenommen. Die Erfahrungen, die die Sportler der Bundesrepublik hierbei gewonnen haben, sind von den Sportverbänden zum Teil schon ausgewertet worden. Eine eingehendere Analyse hat der Bundesausschuß zur Förderung des Leistungssports des DSB vorwiegend unter dem Blickwinkel der Adaption an Klima, Zeitumstellung, Milieu und Sportanlagen erstellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, daß die Konzentration, das körperliche Gesamtbefinden und die seelisch-geistige Verfassung des Sportlers während der ersten fünf Tage des Aufenthaltes in Sapporo verhältnismäßig stark beeinträchtigt worden sind. Diese Beobachtungen haben naturgemäß Auswirkungen auf die Frage des Anreisetermins zu den Olympischen Winterspielen. Von besonderer Bedeutung sind auch die Feststellungen, die hinsichtlich der Sportanlagen getroffen worden sind. Sie werden maßgeblich die Art der Vorbereitung auf die Winterspiele und wegen der Notwendigkeit, das Training möglichst den Bedingungen der Sportanlagen in Sapporo anzupassen, die Auswahl der Trainingsstätten - z. B. Grenoble für das vorbereitende Training der Rennrodler - beeinflussen. Die danach erforderlichen Maßnahmen können durch Eigenmittel der Verbände und durch die im Rahmen der Finanzplanung des Bundes vorgesehenen Zuwendungen für zentrale Maßnahmen der Bundessportfachverbände finanziert werden, so daß sich aus der Sicht der Bundesregierung keine Konsequenzen für weitere Förderungsmaßnahmen ergeben müssen. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Becker ({1}) auf: Ist die Bundesregierung bereit, eine erneute Überprüfung von Regelungen ähnlicher Art, wie sie der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen am 25. September 1970 betr. die Zulassung von Beamten des mittleren zur Laufbahn des gehobenen Dienstes vorgesehen hat, in anderen Laufbahnen - auch unter dem Gesichtspunkt der Zahlung von Zulagen - vorzunehmen? Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Becker, der Bundesregierung sind keine in anderen Bereichen der Bundesverwaltung getroffenen Regelungen bekannt, die den von Ihnen erwähnten Regelungen bei der Deutschen Bundespost entsprechen oder ihnen ähnlich sind. Darüber hinaus gibt mir Ihre Frage Gelegenheit, klarzustellen, daß die Grundsätze für den Aufstieg aus der einen in die nächsthöhere Laufbahn Bestandteil des allgemeinen Laufbahnrechts sind. Im Rahmen dieser allgemeinen Vorschriften regeln die zuständigen obersten Bundesbehörden die näheren Einzelheiten durch laufbahngestaltende Maßnahmen und durch die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen. Um derartige Regelungen handelt es sich bei der Verfügung der Deutschen Bundespost vom 25. September 1970 als einmalige Sonderaktion. Ich möchte noch hinzufügen, daß die Bundesregierung den Aufstieg als wesentlichen Teil eines flexiblen, durchlässigen Laufbahnsystems ansieht. Sie ist daher darauf bedacht, daß er auch künftig gefördert werden kann. Für die Gewährung von Zulagen - quasi als Ersatz für das Aufsteigen -- wäre eine Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes notwendig. Ihnen ist sicher noch geläufig, daß hierüber in der interfraktionellen Arbeitsgruppe Erörterungen stattgefunden haben. Das Ergebnis ist aber gewesen, daß die Einführung einer besonderen Zulage schon aus Gründen der Besoldungs- und Laufbahngerechtigkeit nicht zu vertreten gewesen wäre. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Becker.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie es für denkbar halten, daß die für die Bundespost getroffene einmalige Regelung auch andere Verwaltungen veranlassen könnte, in die Prüfung der Frage einzutreten, ob es nicht auch in ihrem Bereich zweckmäßig wäre, eine solche einmalige Übergangsmaßnahme zu treffen, wenn man schon keine Zulagen zahlen kann? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Falls sieht das Bedürfnis in anderen Bereichen ergibt, wird die Bundesregierung jederzeit bereit sein, das zu überprüfen. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf: Wird die Bundesregierung bei einer künftigen Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes den Strafrahmen in den §§ 38 und 39 für Strafen hei fahrlässigen und vorsätzlichen Verstößen - insbesondere durch Androhung drastischer Geldbußen - verschärfen, da die Verschmutzung des Wassers durch private und kommunale Fmittenten immer noch als „Kavaliersdelikt" betrachtet wird, wie das dritte Hearing über Fragen des Umweltschutzes ergeben hat? Der Fragesteller ist anwesend. Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Gruhl, mit Ihnen und in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Anhörung der Ausschüsse über Fragen des Umweltschutzes ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Verschmutzung des Wassers nicht als Kavaliersdelikt betrachtet werden darf. Eine Verbesserung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes ist im Bundesinnenministerium in Vorbereitung. Die Bundesregierung wird diese Verbesserung im Rahmen einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz im Sommer dieses Jahres vorlegen. Die Verbesserung der wasserrechtlichen Straf- und Bußgeldvorschriften betrifft zunächst die Tatbestände der §§ 38 und 39 des Wasserhaushaltsgesetzes. Durch eine Neufassung des § 38 soll erreicht werden, daß jede schädliche Verunreinigung eines Gewässers geahndet werden kann. Durch die Neufassung des § 39 sollen die dort angegebenen Qualifizierungstatbestände insbesondere auf die Gefährdung der Parlamentarischer Staatssekretär Dorn öffentlichen Wasserversorgung und staatlich anerkannter Heilquellen erweitert werden. In Zusammenhang mit der Änderung der Straf- und Bußgeldtatbestände werden die Straf- oder Bußgeldrahmen zumindest teilweise anzuheben sein. Nach den §§ 38 und 39 des Wasserhaushaltsgesetzes können allerdings unter den Voraussetzungen des § 27 a StGB schon heute Geldstrafen bis zu 100 000 DM verhängt werden. Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 41 des Wasserhaushaltsgesetzes, für die heute Geldbußen bis zu 10 000 DM angedroht sind, kann diese Höchstsumme ebenfalls überschritten werden, wenn der Täter aus der Tat einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen hat. Zugleich erscheint es mir aber wichtig, daß sich in der Öffentlichkeit, insbesondere bei denjenigen, die Einleiter von Abwässern in dieser Richtung sind, die Überzeugung durchsetzt, daß die Verschmutzung des Wassers ein kriminelles Delikt ist. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gruhl.

Dr. Herbert Gruhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in dem eben zitierten Entwurf, und zwar in der Neufassung des § 38, vorgesehen ist, daß eine fahrlässige Verschmutzung in Zukunft nicht mehr als ein Verstoß mit der Androhung von zwei .Jahren Gefängnis, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit mit der Androhung einer Geldstrafe behandelt werden soll? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Gruhl, eine Fülle von Überlegungen hat dazu geführt, die Diskussion in dieser Richtung anzureichern. Noch liegt kein Entwurf vor, der die Zustimmung der Bundesregierung gefunden hat. Die Bundesregierung wird also bei all den Fragen, die jetzt noch anstehen, zu prüfen haben, in welcher Form eine Kabinettsvorlage verabschiedet werden kann und was materiell-rechtlich darin geregelt wird. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Gruhl.

Dr. Herbert Gruhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben die Frage nicht genau beantwortet, darum möchte ich sie in etwas erweiterter Form stellen und fragen: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Strafen teilweise auch zu verringern statt zu verschärfen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ob das im Einzelfall bei einer Vorlage, die an das Kabinett geht, eintreten kann, kann heute noch nicht konkret gesagt werden. Deswegen habe ich gesagt, es liegt noch keine Vorlage vor, die dem Kabinett als entscheidungsreif vorgelegt werden kann. Was bisher an Meinungen und Stellungnahmen einzelner Häuser und auch in unserem Hause dazu erarbeitet worden ist, hat sich noch nicht zu einer Kabinettsvorlage verdichtet. Daran mögen Sie erkennen, daß die Fragen, die jetzt auch von Ihnen angesprochen worden sind, durchaus bei einer entsprechenden Regelung noch berücksichtigt werden können. Ich kann Ihnen noch nichts Endgültiges sagen, weil die Bundesregierung in dieser Frage noch nicht entschieden hat. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Vogt.

Wolfgang Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002384, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wie Sie sagten, liegt der Bundesregierung keine Vorlage vor. Welche Meinung vertritt Ihr Haus in dieser Angelegenheit? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich kann hier nur die Stellungnahme der Bundesregierung vertreten, Herr Kollege. Präsident von Hassel: Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Franke.

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie denn angesichts der großen Umweltverschmutzung eventuell bereit, die Strafbestimmungen zu verschärfen, d. h. den Standpunkt. Ihres Hauses mit in die Debatte einzuführen? Born, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Stellungnahme unseres Hauses wird genauso wie die Stellungnahme jedes anderen Ressorts bei den Beratungen der Bundesregierung eine Rolle spielen. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Riedl ({0}) auf: Ist die Bundesregierung bereit, sich an den Investitionskosten der Landesleistungszentren des Sports mit mindestens 30 v. H. zu beteiligen, und in welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung, die Folgekosten dieser Landesleistungszentren zu tragen? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Dr. Riedl, die Bundesregierung ist bereit, auch künftig die Errichtung von Landesleistungszentren des Sports mitzufinanzieren. Voraussetzung ist, daß die Zentren für den Spitzensport genutzt werden; für eine Förderung in anderen Fällen würde es an einer verfassungsrechtlichen Grundlage fehlen. Der Finanzierungsanteil des Bundes wird ebenso wie bei den Bundesleistungszentren nach einer im Einzelfall zu ermittelnden Interessenquote bemessen. Diese richtet sich im wesentlichen nach der voraussichtlichen Inanspruchnahme der Anlage für bundeszentrale Zwecke, vor allem für die Lehrgangs- und Trainingsarbeit der Bundessportfachverbände. Soweit die Inanspruchnahme für bundeszentrale Zwecke unter 30 % liegt, ist auch der Finanzierungsanteil des Bundes entsprechend geringer. Hinsichtlich der Folgekosten geht die Bundesregierung davon aus, daß bei den Landesleistungszentren wie bei den Bundesleistungszentren von den Benutzern nach Möglichkeit kostendeckende Benutzungsentgelte erhoben werden. Die Bundesregierung 6386 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Parlamentarischer Staatssekretär Dorn stellt den Bundessportfachverbänden die für die Benutzung von Landesleistungszentren erforderlichen Mittel zur Verfügung. Die Frage, wie hinsichtlich der Zentren zu verfahren ist, bei denen die Folgekosten durch Einnahmen nicht voll gedeckt werden können, ist unter anderem Gegenstand von gegenwärtig geführten Gesprächen mit den Ländern über die Abgrenzung der Finanzierungskompetenzen zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Sportförderung. Dabei zeichnet sich eine Übereinstimmung dahin gehend ab, daß etwaige Kostendefizite der Landesleistungszentren von den Ländern getragen werden. Maßgebend für diese Regelung ist die Überlegung, daß gegenüber der Benutzung der Zentren für bundeszentrale Zwecke die Nutzung für regionale Zwecke regelmäßig weitaus im Vordergrund steht. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Strohmayr auf. - Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage zum Sitzungsbericht abgedruckt. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Wagner ({1}) auf: Hält es die Bundesregierung für wünschenswert, daß möglichst viele Beamte das Diplom einer Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie erwerben, und ist sie bereit, hierfür im Wege der Besoldungsgesetzgebung einen besonderen Anreiz zu schaffen. Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär. Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Wagner, bei der Bedeutung, die der Fortbildung auch im öffentlichen Dienst zukommt, begrüßt es die Bundesregierung, wenn möglichst viele Beamte die Möglichkeit nutzen, eine Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie zu besuchen. Daneben gewinnen ja auch andere Fortbildungsmöglichkeiten an Bedeutung, unter ihnen Fortbildungsveranstaltungen der Dienstherren selbst und die Kurse, die bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung durchgeführt werden. Nach ausdrücklicher Vorschrift der Bundeslaufbahnverordnung sind Beamte, die ihre fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten durch Fortbildung nachweislich wesentlich gesteigert haben, zu fördern, vor allem indem ihnen nach Möglichkeit Gelegenheit gegeben wird, ihre Fachkenntnisse in höher bewerteten Dienstgeschäften anzuwenden und hierbei ihre besondere fachliche Eignung nachzuweisen. Als ein solcher Nachweis besonderer fachlicher Kenntnisse ist das Diplom einer Verwaltungs- und WirtschaftsAkademie mit erwähnt. Mit dieser Verstärkung der beruflichen Entwicklungschancen ist ein besonderer Anreiz für die Fortbildung geschaffen worden. Für Beförderungen und für den Aufstieg kann allerdings immer nur die individuelle dienstliche Leistung und praktische Bewährung maßgebend sein. Es erscheint zu weitgehend, etwa allgemein davon auszugehen, daß schon der Besuch der Verwaltungsakademie und der Besitz des Diploms von vornherein zu einer deutlichen Verbesserung der tatsächlichen fachlichen Leistungen des Beamten führt. Die Umsetzung neuer Qualifikationen in die Praxis stellt zusätzliche Anforderungen, die zur Gesamtbewertung der Leistung gehören und letztlich ausschlaggebend sind. Diese Leistungsgesamtbewertung ist Grundlage für die laufbahn- und damit besoldungsmäßige Förderung des Beamten. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Sperling auf: Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 26. August 1969 - Az. 12 RJ 430/68 - eine Änderung in der Rentenversicherung für Arbeiter dahin gehend vorzunehmen, daß Lehrgänge an einer Heimvolkshochschule als Ausfallszeit angerechnet werden? Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorschriften, nach denen in den gesetzlichen Rentenversicherungen Zeiten einer weiteren Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung unter bestimmten Voraussetzungen und in einem bestimmten Umfang als Ausfallzeiten angerechnet werden, sind sehr abstrakt gefaßt. Diese abstrakte Gesetzesfassung hat es erforderlich gemacht, bestimmte Kriterien dafür aufzustellen, wann Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten anerkannt werden können. Die von den Rentenversicherungsträgern und den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit erarbeiteten Abgrenzungsmerkmale werden den Interessen der betroffenen Einzelpersonen und den Belangen der Versichertengemeinschaften im allgemeinen gerecht. Für die Teilnahme an einem Lehrgang an einer Heimvolkshochschule hat das Bundessozialgericht in einem Urteil vom Juli 1969 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anrechnung dieser Zeit als Ausfallzeit verneint. Anregungen, in der Rentenversicherung weitere Schul- und Ausbildungszeiten rentensteigernd zu berücksichtigen, sind wiederholt an die Bundesregierung herangetragen worden. Sie werden als Ganzes zusammenhängend geprüft. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie ist es möglich, sowohl der Rentenversicherungsanstalt als auch den Richtern verständlich zu machen, daß die Kriterien, die etwa bei diesem Urteilsspruch angewandt wurden, heute für bestimmte Ausbildungsbereiche gar nicht mehr gelten? Wie ist es möglich, den schnellen Wandel im Bildungswesen auch für die Rechtsprechung verständlicher zu machen, die recht oft an veralteten Auffassungen hängenbleibt?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr PräsiStaatssekretär Dr. Auerbach dent, die Urteilsschelte steht auch uns als Privatpersonen zu. Aber in unserer Stellung als Dienstaufsichtsbehörde sind wir sehr zurückhaltend. Zutreffend ist, daß im Bildungswesen der Wandel so rasch vor sich geht, daß ihm zum Teil auch die Bildungsfachleute nicht mehr folgen können. Wir werden aber Ihre Anregung aufnehmen und den Richtern das neueste Material zur Verfügung stellen, soweit es neues Material gibt, das nicht durch den schnellen Wandel, von dem Sie sprachen, bereits überholt ist. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Abgeordneten Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnte man dabei berücksichtigen, Herr Staatssekretär, daß hier ein Beitrag zur Umgestaltung unseres Bildungswesens im Sinne der Ermöglichung eines lebenslangen Lernens vorliegt? Und könnte die Bundesregierung vielleicht durch eine entsprechend klarere und präzisere Fassung von Durchführungsverordnungen dafür Sorge tragen, daß die Gerichte für ihre Entscheidungen in Zukunft bessere Leitlinien bekommen?

Not found (Staatssekretär:in)

Der Gesetzgeber, d. h. dieses Hohe Haus, hat diesen Paragraphen so abstrakt gefaßt, weil auch z. B. im Bereich der Heimvolkshochschulen schon seit etwa 20 Jahren ein tiefgreifender Wandel zu verzeichnen ist. Es ist außerordentlich schwierig, jetzt eine Gruppe von Ausbildungsstätten wie die Heimvolkshochschulen herauszugreifen und andere neue Entwicklungen draußen zu lassen. Das war der Grund für die bisherige Zurückhaltung. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre die Bundesregierung bereit, einen Entwurf vorzulegen, der diese abstrakten Fassungen etwas konkreter macht?

Not found (Staatssekretär:in)

Das Bundesarbeitsministerium als das hier federführende Ministerium muß erst einmal feststellen, was zu konkretisieren ist. Wir sind seit etwa einem Jahr bei der Arbeit und erhalten aus der Fülle der Anregungen so viel Material, daß jetzt für die Gesetzgebung noch kein Vorschlag gemacht werden könnte. Präsident von Hassel: Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Pawelczyk auf: Hat in den letzten Jahren die Häufigkeit von Klagen gegen Rentenbescheide zugenommen? Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Auerbach.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, darf ich die Fragen 35 und 36 zusammen beantworten? Präsident von Hassel: Bitte schön! Ich rufe also auch die Frage 36 des Abgeordneten Pawelczyk auf: In welchem Umfang haben diese Klagen Erfolg gehabt?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Klagehäufigkeit in Angelegenheiten der sozialen Rentenversicherung hat in den letzten Jahren nicht zugenommen. Sie zeigt vielmehr eine sinkende Tendenz. Die Zahl der Klagen fiel von rund 90 000 im Jahre 1967 auf rund 80 000 im Jahre 1970. In diesem Zeitraum hatten ziemlich konstant ungefähr 22 % aller Klagen vollen Erfolg, davon etwa 5 % aller Klagen durch Urteil und rund 17 % durch Anerkenntnis des Versicherungsträgers. Weitere 10 bis 11 % der Klagen führten zu einem Ergebnis, das teilweise zugunsten des Klägers ausfiel, davon in etwa neun Zehnteln der Fälle auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs. Präsident von Hassel: Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Pawelczyk.

Alfons Pawelczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie den Eindruck, daß der Klageweg vielfach vorsorglich, d. h. also aus Uninformiertheit, beschritten wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Ja, den Eindruck haben wir. Aus diesem Grunde ist ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgelegt worden. Durch diesen Entwurf wird eine Stelle vorgeschaltet. Es handelt sich um eine Art Vorverfahren, das bisher nicht in allen Fällen möglich war. Wir nehmen an, daß die Zahl der Klagen dadurch zurückgeht und, was für uns sehr wichtig ist, auf diese Art und Weise das Verfahren auch beschleunigt werden kann. Präsident von Hassel: Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Pawelczyk.

Alfons Pawelczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnte eventuell die Zahl der Beratungsstellen vermehrt und die Möglichkeit, sich Rat zu holen, publiziert werden, damit sich auf diesem Weg ohne ein Gerichtsverfahren jeder Betroffene Klarheit und damit Sicherheit verschaffen kann?

Not found (Staatssekretär:in)

Bei den Trägern der Rentenversicherung werden die Stellen für ein Vorverfahren vermehrt werden. Praktisch läuft es jedenfalls darauf hinaus. Man muß damit rechnen, daß nach Verkündung des Gesetzes sechs bis sieben Monate nötig sind, bis sich alles herumgesprochen hat. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Schedl auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit zu lockern, zu verstärken oder aufzuheben? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft beantworte ich Ihre Frage wie folgt. Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, daß der Schwarzarbeit wirksam begegnet werden muß. Diese Beurteilung wird von den Arbeitsministern und -senatoren der Länder geteilt, die auf ihrer 41. Arbeitsministerkonferenz die Schwarzarbeit aus sozial- und arbeitsmarktpolitischen Gründen ausdrücklich mißbilligten. Zur Zeit wird bei der Vorbereitung eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch geprüft, inwieweit Vorschriften, die - wie das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit - nur Geldstrafen vorsehen, mit der neuen Systematik des Strafrechts vereinbar sind. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schedl.

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir die Zahl der Anzeigen bzw. Verurteilungen auf Grund dieses Gesetzes in den letzten beiden Jahren nennen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe einige Stichproben hier, die aber wohl nichts besagen. Wie der Name schon sagt, ist Schwarzarbeit eine Angelegenheit, die sich im Dunkeln abspielt. Infolgedessen gibt es Dunkelziffern, von denen ich einige nennen könnte; Aussagewert haben sie nicht. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Schedl auf: Welche neueren Erfahrungen kann die Bundesregierung Tiber die Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit darlegen? Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Die Bundesregierung besitzt keinen genauen Überblick über die Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Wir haben keine zuverlässigen Erfolgsquoten zu melden, weil wir nicht wissen, wieviel Schwarzarbeit es gibt, und weil ein großer Teil der Schwarzarbeit nicht angezeigt wird. Die Bundesregierung kennt aber aus jüngerer Zeit zahlreiche Einzelfälle von Schwarzarbeit - eine Liste darüber kann Ihnen zur Verfügung gestellt werden, Herr Abgeordneter , die durch Geldstrafen nach dem Schwarzarbeitsgesetz und durch Geldbußen nach sonstigen gesetzlichen Regelungen geahndet wurden. Insgesamt läßt sich feststellen, daß sich die Initiativen, welche die einzelnen Ressorts in enger Fühlungnahme mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks in den letzten Jahren ergriffen haben, wahrscheinlich günstig auswirken. Lassen Sie mich abschließend noch bemerken, daß die Bundesregierung im Interesse eines Zurückdrängens der Schwarzarbeit den Versuchen einiger Gewerbezweige besondere Bedeutung beimißt, die durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit wie etwa die Einführung von Gemeinschaftsdiensten dem großen Bedarf insbesondere an kleinen Reparaturleistungen besser gerecht werden. Denn dadurch wird eine Befriedigung jenes Bedarfs an gewerblichen Leistungen möglich, der bisher vielfach noch durch Schwarzarbeit gedeckt wurde und gedeckt wird. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die Errichtung von Reparaturleitstellen im Rahmen der Gewerbeförderung. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schedl.

Albert Schedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001948, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir angeben, wie hoch die Bundesregierung etwa die Ausfälle an Steuer- und Sozialversicherungszahlungen auf Grund der Schwarzarbeit schätzt?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich kann nur sagen, daß mir kein Material bekannt wurde. Aber ich habe auf Landesebene all diese Versuche mitgemacht. Als die damalige Bundesregierung durch Herrn Minister Katzer die Länder aufforderte, entsprechende Schätzungen anzugeben, hat es ein allgemeines Hohngelächter in der Arbeitsministerkonferenz gegeben, weil gesagt wurde: Jetzt fordern die uns Schularbeiten ab, die wir einfach nicht leisten können, weil es keine Unterlagen gibt, weil es eben Schwarzarbeit ist. - Die entscheidende Frage ist, wie man Schwarzarbeit teilweise durch diese Reparaturleitstellen verhindern kann. Ganz ausrotten können Sie sie nicht, weil beide Seiten, der Auftraggeber und der Auftragnehmer, Wert darauf legen, sie vertraulich zu halten. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß durch die Schwarzarbeit hohe Steuerausfälle entstehen, darf ich Sie fragen: Hält die Bundesregierung eine Verstärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit gerade deshalb für notwendig?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, nicht gerade deshalb, aber auch deshalb. Wir suchen alle noch nach einem Instrument, das wirksamer ist als die Instrumente, die wir heute haben. Eines habe ich erwähnt, die Reparaturleitstellen. Die gibt es in vielen Städten. Dort scheint die Schwarzarbeit zurückgegangen zu sein. Ich will Fälle der Förderung von Schwarzarbeit hier nicht aufführen, weil wir nicht wissen, ob das Einzelfälle sind. Oft wird aber Schwarzarbeit auch von Stellen gefördert, die die Bekämpfung der Schwarzarbeit fordern. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Rainer auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 40. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Dr. Aigner auf. - Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 42. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Konrad auf: Hat das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin seine Tätigkeit aufgenommen, und wie ist verneinendenfalls der Stand der Vorbereitungsarbeiten? Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär Dr. Auerbach.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft beantworte ich die Frage wie folgt. Das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin hat seine Arbeit aufgenommen. Am 24. Februar 1971 wurde der zum Präsidenten gewählte Professor Dr. Hans Joachim Rosenthal in sein Amt eingeführt. Das Institut verfügt zur Zeit über 56 Mitarbeiter. Das Forschungsprogramm des Instituts für dieses und das folgende Jahr wurde im März beschlossen. Es darf nunmehr noch nach § 64 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes der Genehmigung der beiden Bundesminister für Arbeit und für Wirtschaft. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Konrad.

Klaus Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, entspricht die Zahl der Mitarbeiter den vorhandenen Planstellen des Instituts?

Not found (Staatssekretär:in)

Es ist noch nicht gelungen, sämtliche Planstellen zu besetzen, weil es schwierig ist, erstklassige Fachkräfte - und nur solche kann man als wissenschaftliche Mitarbeiter gebrauchen - zu gewinnen. Aber die Besetzung geht tatsächlich zügig voran. Ich bin selbst in Berlin gewesen und habe mich davon überzeugt. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Konrad.

Klaus Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bedauern Sie mit mir, daß nicht hinreichend bekannt ist, daß das Institut seine Arbeit aufgenommen hat, und daß insbesondere im Bonner Almanach keine Stichwortnotiz auf seine aufgenommene Arbeit hinweist?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich möchte die Redaktion des Bonner Almanachs nicht kritisieren, solange ich nicht weiß, wann dort Redaktionsschluß war. Ich nehme aber an, der Redaktionsschluß war irgendwann im vorigen Jahr, und damals konnte darüber noch nicht berichtet werden. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller ({0}).

Johannes Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001554, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang Auskunft geben, inwieweit die Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung noch Aufgaben durchführt, die vom Gesetzgeber eigentlich dem Institut zugedacht waren?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, die Lage ist wie folgt. Die bisherigen Träger der ABB, also der Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung, haben sich durch Vertrag gegenüber dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung verpflichtet, die Arbeitsstelle längstens bis zum 30. September dieses Jahres fortzuführen. Das Arbeitsprogramm der ABB wird im Einvernehmen mit dem Institut festgelegt. Für die Zeit der Weiterführung erfolgt eine Kostenerstattung gegenüber den Trägern durch das Bundesinstitut. Ein Teil der Fachkräfte der ABB wird vom Bundesinstitut übernommen werden. Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Dr. Böhme auf: Hält es die Bundesregierung für mit den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes vereinbar, wenn der Vorstand als Führungsinstrument Gesprächskreise für den vom Betriebsverfassungsgesetz nicht erfaßten Personenkreis einrichtet, und würde die Bundesregierung ein solches Vorgehen unterstützen? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Vorschriften des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes die Errichtung von Gesprächskreisen für leitende Angestellte durch den Vorstand eines Unternehmens jedenfalls insoweit nicht untersagen, als dadurch tatsächlich nur solche Personen erfaßt werden, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht als Arbeitnehmer gelten. Die Bundesregierung sieht allerdings keine Veranlassung, die Errichtung solcher Gesprächskreise zu unterstützen, denn die sozialpolitische Zweckmäßigkeit solcher Gesprächskreise, aus denen sich Sondervertretungen der leitenden Angestellten entwickeln können, ist zur Zeit außerordentlich umstritten. Diese Haltung der Bundesregierung ergibt sich schon aus dem von ihr vorgelegten Entwurf eines neuen Betriebsverfassungsgesetzes, der im Gegensatz zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion keine Sondervertretung für leitende Angestellte vorsieht. Dieses Hohe Haus wird über diese unterschiedliche Meinung entscheiden. Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Böhme auf: Hält es die Bundesregierung mit den geltenden Prinzipien der Friedenspflicht und der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Betriebsrat für vereinbar, daß Streikmaßnahmen angekündigt und durchgeführt werden, wenn der Vorstand von seinem Recht, das Unternehmen in eigener Verantwortung zu leiten ({0}), Gebrauch macht?

Not found (Staatssekretär:in)

Nach § 49 Abs. 2 des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes und dem dieser Vorschrift insoweit entsprechenden § 74 Abs. 2 des Entwurfs der Bundesregierung für ein neues Betriebsverfassungsgesetz sind Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Im Rahmen der mit Ihren Fragen offensichtlich angesprochenen Vorgänge bei der Ruhrkohle-AG haben die Betriebsräte und die Gewerkschaften diese Rechtslage anerkannt. Nach den uns vorliegenden Informationen haben sie sich darüber hinaus mit Erfolg darum bemüht, spontane Arbeitsniederlegung zu verhindern. Präsident von Hassel: Bitte schön, eine Zusatzfrage.

Hans Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß Streikmaßnahmen der Organisationen nicht die Friedenspflicht des Betriebsrates stören?

Not found (Staatssekretär:in)

In diesem Zusammenhang spielt das jedoch, glaube ich, keine Rolle. Präsident von Hassel: Wir kommen damit zur nächsten Frage. ({0}) - Verzeihung, ich hatte gefragt, ob Zusatzfragen gestellt werden, und Sie hatten erklärt: Nein. Wir kommen zu Frage 46 des Abgeordneten Härzschel: Ist die Bundesregierung der Meinung, daß deutsche Sprachkurse für Gastarbeiter durch das Arbeitsförderungsgesetz gefördert werden können?

Not found (Staatssekretär:in)

Im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes, Herr Abgeordneter, wird die berufliche Fortbildung und Umschulung von ausländischen Arbeitnehmern grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen und in gleichem Umfange wie die von deutschen Arbeitnehmern gefördert. Von ausländischen Arbeitnehmern, die nicht Staatsangehörige eines EWG-Staates sind, wird lediglich gefordert, daß sie mindestens ein Jahr im Geltungsbereich des AFG eine entsprechende berufliche Tätigkeit ausgeübt haben. Wird also im Rahmen einer beruflichen Bildungsmaßnahme - sei es Fortbildung, sei es Umschulung - deutscher Sprachunterricht erteilt, so bestehen deswegen gegen die Förderung keine Bedenken. Darüber hinaus kommt eine Förderung der Teilnahme an Sprachlehrgängen in Deutsch für Ausländer im Rahmen der beruflichen Fortbildung in Betracht, wenn der ausländische Arbeitnehmer sonst die gegenwärtige oder eine arbeitsmarktpolitisch erwünschte künftige berufliche Tätigkeit wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht ausüben könnte: Voraussetzung ist allerdings, daß der Lehrgang in ausreichender Weise berufsspezifische Sprachelemente vermittelt. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, daß ausreichende Sprachkenntnisse u. a. auch für die Unfallverhütung von Bedeutung sind. Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Härzschel.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Sprachkenntnisse für die Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer in einen Betrieb und für die berufliche Entfaltung wie für die Unfallverhütung eine Voraussetzung sind und daß deshalb eine Förderung grundsätzlich möglich sein sollte?

Not found (Staatssekretär:in)

Die Förderung ist - mit der Beschränkung, die ich erwähnt habe - grundsätzlich möglich. Die Bundesregierung hat aber darüber hinaus besondere finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um Sprachkurse für Ausländer zu fördern. Ein Teil dieser Sprachkurse für Arbeiter aus der Türkei, aus Jugoslawien und aus Tunesien ist jetzt schon in die Heimatländer verlegt, damit man bereits dort anfangen kann. Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Härzschel.

Kurt Härzschel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000779, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, eine detaillierte Klarstellung vorzunehmen, damit in Zukunft deutlich wird, welche Kurse gefördert werden und welche nicht?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich nehme an, Sie meinen damit beide Seiten, Arbeitnehmer und Veranstalter. Wir werden das veranlassen. Präsident von Hassel: Wir sind am Ende der für die Fragestunde vorgesehenen 60 Minuten angelangt; ich habe sie schon um zwei Minuten überzogen. Die anderen drei Fragen zu diesem Geschäftsbereich können wir daher nicht mehr aufrufen; ich bitte dafür um Verständnis. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär. Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Präsident von Hassel a) Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses ({0}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung Berichterstatter: Abgeordneter Hansen b) Beratung der Sammelübersicht 17 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 28. Februar 1971 eingegangenen Petitionen - Drucksache VI/1923 - c) Beratung der Sammelübersicht 18 des Petitionsausschusses ({2}) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen - Drucksache VI/1965 Ich danke zunächst einmal dem Berichterstatter zu Punkt 2 a und erteile ihm das Wort. Bitte schön, Herr Kollege!

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Prasident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt die Drucksache VI/1923 mit einer systematischen Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 28. Februar 1971 eingegangenen Petitionen vor. Vergleicht man die Übersicht mit der über den entsprechenden Zeitraum der 5. Wahlperiode, so ergibt sich weitgehende Übereinstimmung. Die Gesamtzahl der Eingaben ist zwar wesentlich, nämlich um 15 % gestiegen, die Verteilung auf die einzelnen Sachgebiete - so z. B. auf die Gebiete des Lastenausgleichs, der Verteidigung und des Post- und Fernmeldewesens - ist jedoch relativ weitgehend konstant geblieben. Nach wie vor gehen die meisten Eingaben zum Sachgebiet „Sozialversicherung" ein. Nach wie vor liegen die Sachgebiete „allgemeine innere Verwaltung" sowie „Rechtspflege einschließlich Zivil- und Strafrecht", was die Zahl der Eingaben angeht, mit an der Spitze. Auffallend ist der nach wie vor hohe Anteil der zur parlamentarischen Prüfung durch den Deutschen Bundestag ungeeigneten Eingaben. Es sind dies z. B. diejenigen Petitionen, für deren Behandlung die Volksvertretungen der Länder zuständig sind - 17,64 % -, und die Eingaben, mit denen Beschwerden in schwebenden oder zu abgeschlossenen Gerichtsverfahren erhoben werden - 4,92 % -. Diese Eingaben sind zur parlamentarischen Prüfung deshalb ungeeignet, weil gerichtliche Entscheidungen vom Deutschen Bundestag oder einer Volksvertretung der Länder weder aufgehoben noch abgeändert werden können. Hier wäre eine bessere Aufklärung aller Bundesbürger über ihre verfassungsmäßigen Rechte und ,die richtigen Adressaten ihrer Beschwerden dringend notwendig. Der Anteil der positiv erledigten Eingaben ist gegenüber dem Vergleichszeitraum mit 2,19 % nahezu unverändert geblieben. Dieser Prozentsatz könnte zweifellos erhöht werden, wenn der Ausschuß die Möglichkeit hätte, die ihm vorgelegten Sachverhalte genauer zu überprüfen und, wo notwendig, auch die Betroffenen dazu zu hören. Dies soll unter anderem durch die Verabschiedung eines Gesetzes über die Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses ermöglicht werden. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, daß dieses Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann. Es würde nicht nur die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Exekutive stärken, sondern auch vielen Bürgern in unserem Lande zugute kommen. Im Petitionsausschuß haben wir es häufig mit nach Auffassung der Mitglieder des Ausschusses berechtigten Eingaben zu tun, die aber auch nach der Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses negativ beschieden werden müßten, weil geltende Gesetze einer anderen Entscheidung entgegenstehen. Das auf liberaler Staatsauffassung beruhende Rechtsstaatsprinzip zwingt den Gesetzgeber dazu, Gesetze perfektionistisch zu fassen, so daß dem Ermessensspielraum der Verwaltung enge Grenzen gezogen sind. Die zwangsläufig für den einzelnen daraus erwachsenden Härten, z. B. durch Fristen, Termine und Stichtage, zeigen sich erst bei der Durchführung der Gesetze in der Praxis. Nach der grundgesetzlichen Verpflichtung zum Sozialstaat hat der Gesetzgeber aber die Aufgabe, solche Unebenheiten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Deshalb wäre zu prüfen, ob zur Lösung dieser Problematik nicht ein allgemeiner Härtefonds zu schaffen wäre, damit in Not- und Härtefällen schnell und wirksam geholfen werden kann. Meine Damen und Herren, es gibt immer wieder Eingaben, denen man nur durch Gesetzesänderungen oder -ergänzungen gerecht werden könnte. Unter den im Berichtszeitraum vorgelegten Petitionen gilt dies besonders für eine Gruppe von Personen, denen im nationalsozialistischen Unrechtsstaat schwerer körperlicher und seelischer Schaden zugefügt wurde und die noch heute keinen Anspruch auf Entschädigung haben. Die gängige Rechtsprechung sanktioniert vielmehr das geschehene Unrecht durch Annahme einer sogenannten Rechtskontinuität. Zwischen 1934 und 1945 sind im Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches schätzungsweise 350 000 Personen auf Grund des sogenannten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 zwangsweise sterilisiert worden. Ein Teil dieser Personen - in der 5. und 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages bisher 80 - hat sich an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gewandt. Diese Personen empfinden das, was man ihnen angetan hat, als Unrecht und erwarten vom Bundestag eine besondere gesetzliche Entschädigungsregelung. Einem Teil der Petenten geht es weniger um finanzielle Wiedergutmachung als darum, endlich rehabilitiert zu werden. Auf Grund dieser Eingaben hat sich der Petitionsausschuß wiederholt und eingehend mit der Frage einer besonderen gesetzlichen Entschädigungsregelung für den Kreis der Zwangssterilisierten befaßt. Mit Beschluß vom 21. Januar 1971 hat er schließlich eine der vorliegenden Bitten um eine besondere gesetzliche Entschädigungsregelung als erwägenswerte Anregung zur Kenntnis genommen. Dabei ging er von der Annahme aus, daß in einer nicht unerheb6392 lichen Zahl von Fällen durch die Erbgesundheitsgerichte die zwangsweise Unfruchtbarmachung von Personen angeordnet wurde, „bei denen die Voraussetzung für die Sterilisation nach § 1 Abs. 2 des Erbgesundheitsgesetzes - eine Erbkrankheit im Sinne dieses Gesetzes - nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht bejaht werden kann oder" - eine zweite Gruppe - „bei denen eine Erbkrankheit nur der vorgeschobene Grund für die Anordnung und Durchführung der Sterilisation gewesen ist, während die Unfruchtbarmachung tatsächlich aus rassischen oder politischen Gründen erfolgte". Diese Personen gilt es durch eine besondere gesetzliche Regelung zu entschädigen. Ihnen ist objektiv Unrecht widerfahren, das nach Wiedergutmachung verlangt. Bei der vorgeschlagenen Entschädigungsregelung mag dahingestellt bleiben, ob das Erbgesundheitsgesetz, wie die sogenannte herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur meint, tatsächlich kein typisch nationalsozialistisches Unrecht war. ({0}) Sicher ist jedenfalls, daß es sich um eine in der Hand der Nationalsozialisten in einem hohen Maße suspekte Regelung handelt, ({1}) daß es nur wenige Staaten der Welt gibt, die eine zwangsweise Unfruchtbarmachung aus eugenischer Indikationkennen. Nirgends ist die zwangsweise Unfruchtbarmachung in so rigoroser Form durchgeführt worden wie in Deutschland in der Zeit von 1934 bis 1939, in der allein jährlich durchschnittlich 58 300 Menschen unfruchtbar gemacht wurden. Sicher erscheint mir auch, daß eine derartige Regelung, wie sie das Erbgesundheitsgesetz enthält, wäre sie nach unserer Verfassung zulässig, heute von den gesetzgebenden Körperschaften auf keinen Fall verabschiedet würde. Auch sollte man in der Rechtsprechung Nazigerichte nicht mit bundesdeutschen Gerichten durch die erwähnte Annahme einer sogenannten Rechtskontinuität auf eine Stufe stellen. Hier muß ein scharfer Trennungsstrich gezogen werden. Es bleibt festzustellen, daß es im Bundesentschädigungsgesetz keine Entschädigungsregelung für Personen gibt, deren Unfruchtbarmachung tatsächlich aus politischen oder rassischen Gründen durch Beschluß des Erbgesundheitsgerichts angeordnet wurde, oder für solche, bei denen eine Erbkrankheit tatsächlich nicht vorlag. Ich will diese Feststellung mit einem Beispiel begründen. Es ist die Petition einer Bonner Bürgerin, die als junges Mädchen aktives Mitglied der kommunistischen Arbeiterjugend war und ein Kind von einem Halbjuden hatte, den sie später auch heiratete. Die Petentin wurde 1934 von einem Kriminalbeamten verhaftet und in ein Heim nach Düren gebracht. Von hier aus wurde dann der Antrag auf Unfruchtbarmachung beim Erbgesundheitsgericht Aachen gestellt. Das Erbgesundheitsgericht lehnte den Antrag jedoch ab, weil es die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Sterilisation nicht als gegeben ansah. Auf die Beschwerde des damaligen SS- und Kreisarztes ordnete das Erbgesundheitsobergericht Köln jedoch die Sterilisation der Petentin mit Beschluß vom 12 Oktober 1934 an. Als Grund für die Sterilisation wurde - man höre! - „moralischer Schwachsinn" angegeben. Im Jahre 1956 betrieb die Geschädigte vor dem Erbgesundheitsgericht Köln ein Wiederaufnahmeverfahren. Nach Erstattung eines Gutachtens durch Professor Gruhle von der Universitätsnervenklinik Bonn, in dem besonders hervorgehoben wurde, daß die Geschädigte niemals an Schwachsinn gelitten habe, weder an angeborenem noch an erworbenem, und daß der Begriff „moralischer Schwachsinn" außerhalb der wissenschaftlichen Sphäre liege und diese Begriffsbildung nicht erläutert werden könne, hob das Erbgesundheitsgericht Köln durch Beschluß vom 20. Februar 1957 den früheren Beschluß des Erbgesundheitsobergerichts Köln auf. Die Frau, deren Fall ich Ihnen eben geschildert habe, hat jedoch bisher weder eine Wiedergutmachung nach dem Bundesentschädigungsgesetz noch eine Entschädigung nach anderen Rechtsvorschriften erhalten, ({2}) obwohl sie diesbezügliche Anträge rechtzeitig gestellt hat. Ihr Antrag auf Wiedergutmachung wurde mit der Begründung abgelehnt, daß die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz nicht gegeben seien. Dieser Entscheidung liegt die Annahme zugrunde, daß eine durch die Sterilisation bedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 % nicht gegeben sei. Tatsächlich sieht das Bundesentschädigungsgesetz für Körperschäden eine Rente und Kapitalentschädigung nur vor, wenn die Erwerbsfähigkeit des Geschädigten durch die Verfolgung um mindestens 25 % gemindert ist. Meine Damen und Herren, die Frau, deren Schicksal ich Ihnen hier vorgetragen habe, und andere, die Ähnliches erlitten haben, sind verbittert und zweifeln an der Gerechtigkeit. Sie fühlen sich in ihrer Menschenwürde gekränkt und erniedrigt. Sie fühlen sich gesundheitlich und in ihrer Persönlichkeitsentfaltung geschädigt. Sie erwarten nun endlich, fast 22 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, eine Wiedergutmachung. Wir verkennen nicht die Bedenken und Schwierigkeiten, die einer besonderen gesetzlichen Entschädigungsregelung für den bisher angesprochenen Kreis der Zwangssterilisierten entgegenstehen, meinen jedoch, daß sie überwunden werden können, und dafür bitten wir um Ihre Hilfe. Abschließend bitte ich Sie, den in den Sammelübersichten 17 und 18 enthaltenen Anträgen zu Petitionen zuzustimmen. ({3}) Präsident von Hassel: Ich danke dem Herrn Berichterstatter des Petitionsausschusses. Präsident von Hassel Wir kommen zu der Entscheidung über die Drucksachen VI/1923 und VI/1965. Der Ausschuß beantragt Zustimmung. - Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Worte zu den gestrigen Ereignissen in Brüssel sagen. Sie gehen uns alle an; denn sie verweisen auf eines der schwierigsten Wirtschafts- und Strukturprobleme Europas und auch unseres Landes. Die Bundesregierung beklagt die Opfer dieser Demonstration; sie bedauert, daß es zu solchen Ausschreitungen gekommen ist, durch die niemandem geholfen wird. Gewalttätigkeiten schaden der Sache der Bauern und erschweren nur die Lage. Aber ich erkläre im gleichen Atemzug, daß wir Verständnis für die Sorgen und die Schwierigkeiten der Landwirtschaft und auch dafür haben, daß sich dieser Berufsstand zu Wort meldet. Er sieht sich weitgehend existentiell bedroht, weil die Landwirtschaft ja nicht nur hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückgeblieben ist, sondern weil sie von den raschen technischen und wirtschaftlichen Veränderungen am stärksten betroffen ist. Die Politik muß Situationen vermeiden helfen, in denen für die betroffenen Menschen scheinbar ein Zwang besteht, auf die Straße zu gehen. Ich möchte ausdrücklich Minister Ertl danken, der sich bei den Verhandlungen in Brüssel für die Belange der deutschen Landwirtschaft hartnäckig einsetzt. ({0}) Ich hoffe, daß diese Verhandlungen schließlich doch noch zu einem erträglichen Ergebnis kommen. Die Lösung der großen landwirtschaftlichen Strukturprobleme ist eine europäische und eine nationale Aufgabe. Hier zeigt sich auch, zu welchen materiellen und seelischen Belastungen verzögerte Reformen führen können. ({1}) Herr Präsident, ich komme zum eigentlichen Inhalt meiner heutigen Erklärung. Wir erleben gegenwärtig eine, im ganzen gesehen, erfreuliche öffentliche Debatte über innere Reformen. Dabei geht es zunächst um konkrete Vorschläge und Maßnahmen der Bundesregierung. Zugleich geht es aber um die Bedingungen und Möglichkeiten eines modernen Staates und seiner Regierung. Das erste Thema wird notwendigerweise kontrovers zu behandeln sein. Die Regierung und die sie tragende Koalition werden jedenfalls ihre Leistungen nicht schmälern lassen. Zum zweiten Thema hat dieser Tage ein kluger Beobachter darauf hingewiesen, im Bewußtsein der Bürger sei noch zuwenig haften geblieben, daß mittlerweile alle entscheidenden politischen Kräfte in unserem Lande - auch in ihren Programmen - von der Notwendigkeit innerer Reformen ausgehen. Er hat denn auch geraten, nicht „jenes zarte Pflänzchen öffentliches Reformbewußtsein" zu zertreten, auf das beide Seiten im Bundestag angewiesen sind. Erinnern wir uns: In den fünfziger Jahren hat das deutsche Volk in der Bundesrepublik in einem stürmischen und erfolgreichen Wiederaufbau aus einer Trümmerlandschaft eine der leistungsfähigsten Industrienationen der Welt geschaffen. ({2}) Große Anstrengungen aller Schichten unseres Volkes waren dazu nötig. ({3}) - Gewiß, und der Regierungen. - So wurden überragende wirtschaftliche Leistungen erzielt. Unsere eben erst neu geschaffene gesellschaftliche und politische Ordnung hat sich in dieser Phase weithin bewährt. Inzwischen sind Wirtschaft und Gesellschaft längst über die Phase des Wiederaufbaus hinausgewachsen. Erst jetzt - zehn Jahre danach - stellen viele in unserem Lande mit einer gewissen Bestürzung fest: in der Wiederaufbauphase ist vieles liegengeblieben; die gesellschaftlichen Strukturen entsprechen in vielen Bereichen nicht mehr den veränderten Bedingungen und Anforderungen; die technische und wirtschaftliche Entwicklung ist der staatlichen Verwaltung und der Gesamtschau davongelaufen; die Menschen nehmen in sehr unterschiedlichem Maße am wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt teil. ({4}) Seit über zehn Jahren weiß man, daß die Vermögensbildung höchst unbefriedigend verläuft, daß mehr getan werden muß für Bildung und Ausbildung, daß das Angebot an öffentlichen Leistungen nicht ausreicht, daß wir den Umweltschutz vernachlässigt haben. Inzwischen beginnt sich die Erkenntnis stärker durchzusetzen, daß nachträgliche Reparaturen den Steuerzahler mehr kosten als rechtzeitige Planung. Aber das langjährige Fehlen jeglichen Vorausdenkens des Entwicklungsprozesses macht sich nun überall bemerkbar. Dabei ist klar: So wie in der hochindustrialisierten Welt Unternehmen weit vorausschauend disponieren müssen, bedarf auch die Politik eines weiten Zeithorizonts. Nur sind die Wirkungszusammenhänge, die sie zu berücksichtigen hat, noch viel komplexer. Aus mangelnder Ubersicht und fehlender Vorausschau, mit denen man es weithin zu tun gehabt hatte, wurden von der Regierung der großen Koalition erste Konsequenzen gezogen. Ich denke dabei z. B. an die mehrjährige Finanzplanung und die mittelfristige Zielprojektion. Diese Ansätze haben wir weiterentwickelt. Die Bundesregierung ist jetzt dabei, das verbesserte Instrumentarium zur mittelfristigen Planung mit der erforderlichen langfristigen Aufgabenplanung zu verknüpfen. Lassen Sie mich jedoch gleich hinzufügen, meine Damen und Herren: Politische Planung im demokratischen Staat kann kein auf Jahre festgeschriebenes Programm sein. Sie muß als ein Instrument verstanden werden, das es ermöglicht, Probleme frühzeitig zu erkennen und alternative Lösungen zu erarbeiten. Sie erfordert Flexibilität und damit die Bereitschaft, Planung dort zu revidieren, wo es notwendig ist. Manche Kritiker scheinen der Auffassung zu sein, wir sollten oder wollten von der Vorstellung einer umfassenden Totalplanung ausgehen. Das wäre wirklichkeitsfremd und würde unserer Vorstellung von moderner demokratischer Politik widersprechen. Der Begriff der inneren Reformen, wie er in meiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 verwendet wurde, sollte und soll deutlich machen, daß wir uns zu schrittweisen Anpassungen und Veränderungen unserer staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit bekennen. Die Gesellschaft voranzubewegen, heißt doch, eine Vielzahl von Regelungen zu ändern, die die Lage der Menschen in unserem Lande bestimmen. Die Arbeit an Reformen muß sich auf ein Gesamtkonzept stützen, aber sie ist dabei in hohem Maße Arbeit am Detail. In einer modernen Gesellschaft kann es kein allumfassendes Patent-Reformwerk geben. Nur durch schrittweise Erneuerungen kann die Angst vor der Zukunft gebannt, kann Sicherheit über den Tag hinaus erreicht werden. Unsere Reformen sind an Zielvorstellungen zu messen, die ich für die Bundesregierung noch einmal nennen möchte: mehr Humanität in unserer Gesellschaft gleiche Lebenschancen, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Freiheit für den einzelnen, Sicherheit im Inneren und nach außen, mehr Mitwirkung für den Bürger in unserem Gemeinwesen. Meine Damen und Herren, für eine sinnvolle Zukunftsorientierung und die dafür notwendige Planung brauchen wir keine Schwärmer, Fanatiker oder Weltverbesserer, noch helfen uns solche Kritiker, deren Versäumnisse von gestern das Dilemma von heute sind. ({5}) Schwärmerei und bloßes Beharren - beides geht an der Wirklichkeit vorbei; beides hilft nicht weiter. Die Bundesregierung meint, daß es gut wäre, wenn wir bei allem, was umstritten ist und worüber gestritten werden muß, zu einem Einverständnis, zu einer Art Abmachung, über einige wesentliche Vorfragen gelangen könnten. Erstens sollten wir, meine ich, nicht jene schelten, die bereit und fähig sind, Neues zu denken, Alternativen zu entwickeln und uns die Notwendigkeiten der Zukunft nahezubringen. Das ist das eine Element. Ebenso sollten wir - zweitens miteinander alle jene Bürger unseres Landes in Schutz nehmen, die ihre ganze Kraft in den Wiederaufbau unseres Landes gesteckt haben und die sich weder engstirnigen Materialismus noch Spießertum vorwerfen zu lassen brauchen. ({6}) Diese Mehrheit unseres Volkes hat ihre eigenen Erfahrungen gemacht und ihre eigenen Leistungen vollbracht; das muß auch die junge Generation verstehen. ({7}) Vielleicht, meine Damen und Herren, können wir uns noch in einem dritten Punkt einigen; auch damit würde unserem Land geholfen. Ich meine folgendes. Reformen bestehen nicht in der Befriedigung von Gruppenegoismen, sondern in Veränderungen, die uns im Ganzen voranbringen. In einer arbeitsteiligen, hochspezialisierten Gesellschaft müssen sich alle Bürger ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewußt werden. Im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft muß die Solidarität Vorrang gewinnen vor engem Gruppendenken. Im vorigen Jahr sagten und schrieben viele, bei uns hier in Bonn, bei denen, die in Bonn Regierungsverantwortung tragen, sei wohl in Vergessenheit geraten, daß wir uns in die Pflicht einer „Regierung der inneren Reformen" begeben hätten. Inzwischen hört und liest man, zum Teil von denselben Kritikern, diese Regierung habe sich zu viel vorgenommen. Nun, niemand, der die Übersicht über das Arbeitsprogramm dieser Regierung objektiv liest, wird bestreiten können, daß wir schon eine ganze Menge positiver Leistungen hinter uns gebracht haben, in vielen Fällen auch, meine Damen und Herren, nach ursprünglichem Streit dadurch, daß wichtige Gesetze dann schließlich mit breiter Mehrheit in diesem Hause verabschiedet worden sind. Mit dem, was als „bisherige Ergebnisse" - in, wohlgemerkt, wenig mehr als einem Jahr - zu registrieren ist, können wir uns sehen lassen. Strukturverbesserung und Dynamisierung der Kriegsopferrenten, Öffnung der sozialen Krankenversicherung für alle Angestellten, weitere konkrete Maßnahmen zugunsten der Volksgesundheit, das Dritte Vermögensbildungsgesetz - ist das nichts? Eine erste Gesamtkonzeption für die Reform unseres Bildungswesens und damit der Einstieg des Bundes in die bildungspolitische Mitverantwortung - ist das etwa nichts? So könnte ich fortfahren und auf die beiden Sofortprogramme für den Umweltschutz und die Verbrechensbekämpfung verweisen. Oder auf die Maßnahmen, die im Verteidigungs-Weißbuch angekündigt wurden und zügig durchgeführt werden. Oder auf die beratungsreifen Teile der Strafrechtsreform. Aber niemand wird, wenn ich diese Beispiele nenne, daraus eine neue Prioritätenliste machen dürfen. ({8}) Wir werden sachlich und zügig weiterarbeiten, wohl wissend, daß wir nicht mehr Geld ausgeben können, als wir haben. Manches, was notwendig ist, wird natürlich mehr Zeit erfordern, als einem lieb sein kann. Viele Vorhaben reichen ohnehin über den zeitlichen Rahmen einer Legislaturperiode wesentlich hinaus. Da kommt es um so mehr darauf an, alle Vorbereitungen zu treffen. Im übrigen ist klar, daß wir auch nach 1973 noch viel Arbeit vorfinden werden. Es ist, meine Damen und Herren, das erste Mal, daß dem Bundestag ein detailliertes innerpolitisches Arbeitsprogramm unterbreitet worden ist. Dieses Programm zeigt auf der Grundlage der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 und der inzwischen dem Bundestag erstatteten Berichte auf, was die Regierung in dieser Legislaturperiode anpackt, was sie vorbereitet und was sie einleitet. Gelegentlich wird behauptet, wir hätten mit der Regierungserklärung zu hohe Erwartungen geweckt. Viele Menschen in unserem Lande mögen in der Tat gehofft haben, die neue Regierung könne die Probleme im Handumdrehen lösen. Das ist natürlich nicht der Fall, zumal - das muß ich offen sagen -diese Regierung wenig Vorarbeiten für eine vorausschauende Tätigkeit vorgefunden hat. Das Arbeitsprogramm, das wir dem Bundestag zur Kenntnis gebracht haben, enthält keine unerfüllbaren Vorhaben. Wir haben niedergelegt, was in dieser Legislaturperiode vorrangig bearbeitet werden soll. Innerhalb des Programms gibt es jedoch keine einfache zeitliche oder sachliche Rangfolge, etwa von Nr. 1 bis Nr. 42. Festlegungen in dem Sinne, daß Punkt 2 erst begonnen werden kann, wenn Punkt 1 abgeschlossen ist, gingen an der Wirklichkeit vorbei. Es wäre doch wohl unsinnig, etwa festzulegen, daß die Justizreform erst angepackt werden darf, wenn eines Tages die Bildungsreform abgeschlossen sein wird, ({9}) oder daß der Umweltschutz, auch wo ihm ohne Riesensummen Rechnung getragen werden kann, warten muß, bis unser Programm zur Gesundheitsvorsorge im übrigen verwirklicht ist. Soweit Reformvorhaben ausgabewirksam sind, sind sie natürlich von ihrer finanziellen Bedienung abhängig. Daß wir insofern im Rahmen des jetzt Möglichen Schwerpunkte gesetzt haben, weiß jeder, der die Beratungen zum Haushalt 1971 hier mitgemacht hat. Ich sehe wenig Sinn darin, kaum einen Monat später oder ein paar Monate später dies jetzt nachzuholen oder zu wiederholen. ({10}) Nun ist bemängelt worden, wir hätten in unserer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU, die ja nachher zur Sprache kommt, wie ich es an einer Stelle gelesen habe, „nicht einmal die Grundzüge" der großen Steuerreform erläutert. Ein solcher Vorwurf oder Hinweis kann nun wirklich nur auf Unkenntnis beruhen. ({11}) --- Der kommt von der Mittelstandsvereinigung der Union, Herr Kollege Barzel, die auch ernst zu nehmen ist, auch wenn sie als Gliederung hier im Hause nicht unmittelbar vertreten ist. Ich möchte dazu festhalten: Die noch von der vorigen Regierung berufene Kommission wird mir ihren Bericht am 30. März, also am kommenden Dienstag, überreichen. Tags darauf - und früher geht es nun wirklich nicht - wird die Bundesregierung in eine erste Erörterung hierüber eintreten. Ich hoffe, daß wir dann sehr bald in der Lage sein werden, unsere Grundsätze unter Berücksichtigung dessen, was die Kommission vorschlägt, zu formulieren und jene Eckwerte deutlich zu machen, mit denen es die Steuerzahler unserer Meinung nach in den kommenden Jahren zu tun haben werden. Denn wenn auch die große Steuerreform auf Grund der Beratungen von Bundestag und Bundesrat nach unseren Vorstellungen in ihren wesentlichen Bestandteilen erst am 1. Januar 1974 in Kraft treten soll, hat doch die Wirtschaft ein berechtigtes Interesse daran, die Vorstellungen der Regierung rechtzeitig kennenzulernen, um sie bei ihren Dispositionen berücksichtigen zu können. Auf mittlere Sicht wird die Aufgaben- und Finanzplanung natürlich von der Steuerreform berührt werden. Wenn das Kabinett seine Meinung bildet, werden auch die in der Regierungserklärung angekündigten, dann aber, wie wir alle wissen, im vorigen Jahr aus stabilitäts- und finanzpolitischen Gründen zurückgestellten Fragen des Arbeitnehmerfreibetrages und der Ergänzungsabgabe einzubeziehen sein. Auch das Ergebnis der Finanzverhandlungen zwischen Bund und Ländern wird mittelfristig große Bedeutung haben. Ich wiederhole die früheren Erklärungen der Bundesregierung, daß es in diesem Jahr keine Steuererhöhungen geben wird und daß der Konjunkturzuschlag, der im Juni ausläuft, selbstverständlich zurückgezahlt wird. Falls sich für die Zeit nach Ende dieses Jahres bis zum vorgesehenen Inkrafttreten der großen Steuerreform am 1. .Januar 1974 Einnahmeverbesserungen des Bundes als unbedingt notwendig herausstellen sollten, werden wir darüber im Zusammenhang mit dem jeweiligen Bundeshaushalt befinden und klarmachen, für welche Aufgaben diese Gelder erforderlich sein würden. Neben den in der Sache liegenden Schwierigkeiten beim Planen und Durchsetzen von Reformen, meine Damen und Herren, stellt sich natürlich die Frage ihrer Finanzierung und ihrer gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen. Eine punktuelle Steuerdebatte heute und hier, die sich gar nicht auf die einzelnen Reformvorhaben bezieht, erschiene mir unangebracht. ({12}) Denn erstens werden Entscheidungen über die Anpassung und Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung im Herbst 1971 getroffen. Zweitens dürfen Steueränderungen nicht rein unter dem Einnahmeaspekt entschieden werden. Sie müssen vielmehr im engsten Zusammenhang mit der Steuerreform gesehen werden. Ich halte aus diesem Grunde nichts davon, mit Phantasiezahlen über vermutete Deckungslücken des Bundeshaushalts zu operieren. Es wäre überhaupt hilfreich, auf diesem Gebiet wie auf anderen, wenn man sich dazu verstehen könnte, Schreckgespenster aus dem politi6396 schen, auch aus dem wirtschafts- und finanzpolitischen, Meinungsstreit herauszunehmen. ({13}) Meine Damen und Herren, was die vermuteten Deckungslücken des Bundeshaushalts angeht: Wer kann denn wirklich, ob Regierung oder Opposition, ob Praxis oder Wissenschaft - auf die Wirtschaft bezogen -, den konjunkturellen Verlauf so genau voraussagen, daß er exakt weiß, welche Folgerungen sich daraus für das Steueraufkommen im nächsten und im übernächsten Jahr ergeben? ({14}) Im übrigen sind wir in diesem Herbst ebenso wie in den kommenden Jahren frei und verpflichtet zugleich, jene Entscheidungen zu fällen, die sich für den jeweils nächsten Haushalt ergeben, und darüber zu befinden, was daraus für die mittelfristige Finanzplanung abzuleiten ist. Natürlich kosten die meisten Reformen Geld, und dieses Geld muß natürlich von den Steuerzahlern - von wem sonst? - aufgebracht werden. Sie, die Steuerzahler, können davon ausgehen, daß wir sie nicht überfordern werden, daß wir auf die stabilitätspolitischen Erfordernisse Rücksicht nehmen und daß wir die gesamtökonomischen Kosten bedenken, damit unsere Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Aber man soll nun bitte auch nicht übersehen, daß es eine Reihe bedeutsamer Reformvorhaben gibt, die keine oder kaum Kosten verursachen, sondern bei denen es vor allem des politischen Willens bedarf, auf längst vollzogene Entwicklungen eine angemessene Antwort zu geben. Ich nenne als Beispiel das Betriebsverfassungsgesetz. Ich könnte auch Reformen im Bereich des Rechts nennen, ich könnte das Arznei- und Lebensmittelgesetz nennen oder die in Aussicht genommene Novelle zum Kartellrecht. In jenen Bereichen, in denen die Verwirklichung von Reformen mit der Inanspruchnahme zusätzlicher ökonomischer und finanzieller Ressourcen verbunden ist, werden Ausmaß und Tempo der Reformpolitik selbstverständlich von der jeweiligen Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft bestimmt sein müssen. Gerade deshalb ist ja flexible Planung geboten. Gleichzeitig wissen wir aber, daß das wirtschaftliche Wachstum selbst vom Wirksamwerden reformpolitischer Maßnahmen entscheidend beeinflußt wird. Ich denke hier z. B. an den Rückstand im Ausbau der Infrastruktur, der mit Nachdruck aufgeholt werden muß, wobei ich wohl weiß, daß wir es mit Aufgaben dieses Jahrzehnts und darüber hinaus zu tun haben. Ich denke an die Notwendigkeit, zukunftsorientierte Stätten der Bildung und Ausbildung zu schaffen, für befriedigende Wohnverhältnisse und Umweltbedingungen zu sorgen, ein funktionierendes Verkehrssystem zu verwirklichen. Alles das erfordert eine planende Vorausschau, die sich des Zusammenhangs zwischen stabilem Wachstum und Reform bewußt ist. Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung ist elastisch genug angelegt, um verschiedenen Entwicklungen Rechnung tragen zu können. Es ist mit der geltenden mittelfristigen Finanzplanung verzahnt. Die Bundesregierung wird die Fortschreibung wegen der dann besseren Ubersicht über die wirtschaftliche Entwicklung zusammen mit der Aufstellung des Haushaltsplans für 1972 im Frühherbst dieses Jahres vornehmen. Das ist nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich wäre es, würde die Bundesregierung wegen des Termins einer Großen Anfrage ihrer besseren Einsicht zuwider die Fortschreibung zeitlich vorgezogen haben. ({15}) Nun kann man aber Reformen nicht nur „von der Kasse her" machen, auch wenn diese stimmen muß. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat vor ein paar Monaten in Düsseldorf gesagt, es sei wahr - ich darf ihn zitieren -, „daß der investive Teil der öffentlichen Ausgaben des Bundes nicht genügend ansteigt". Und er hat - aus meiner Sicht - zutreffend hinzugefügt: „Unterlassene Investitionen heute schmälern unsere Wirtschaftskraft morgen". Dem ist zuzustimmen. Trotzdem sage ich hier als Bundeskanzler: Dies ist eine Situation, meine Damen und Herren, in der wir, auch was die Ausgaben der öffentlichen Hand angeht, dem Ringen um mehr Geldwertstabilität einen besonders hohen Rang einzuräumen haben. Ich teile allerdings nicht die Meinung derer, die sagen, daß wir deshalb die Sorge um einen hohen Beschäftigungsstand vernachlässigen dürften. Für diese Bundesregierung kann es jedenfalls kein Spiel mit der Sicherheit der Beschäftigung geben. ({16}) Aber notwendig ist, daß von den Unternehmern, von den Gewerkschaften und von den verbrauchsintensiven Bereichen des Staates verstanden wird, was die Orientierungsdaten der Bundesregierung aussagen und was wir im Interesse der Stabilität voneinander erwarten müssen. ({17}) Das ist im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung geschehen. Wer Anfang 1971 nicht auf die Ratschläge hört, die ihm im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung gegeben wurden, darf sich Ende des Jahres nicht darüber wundern, wenn wir es mit einem weiteren Anstieg der Preissteigerungsrate zu tun haben sollten. ({18}) Meine Damen und Herren, weil wir den vorgezeichneten Stabilitätskurs fortsetzen, achtet der Bundesfinanzminister auf eine restriktive Abwicklung des Haushalts. Deshalb stimmen er und ich mit dem Bundeswirtschaftsminister darin überein, daß wir vorläufig jeder Mehrausgabe und jeder zusätzlichen Belastung zuwiderstehen haben. Deshalb finden Sie in dem von der Regierung unterbreiteten Arbeitsprogramm wiederholt den „stur" anmutenden Vorbehalt, an dem mancher Anstoß genommen hat, daß der geltende Finanzplan des Bundes wie jedes Jahr im Herbst 1971 im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die gegebenen Deckungsmöglichkeiten überprüft und fortgeschrieben wird. Ich muß den Bundestag bitten, diesen Gesichtspunkt auch in seiner eigenen Arbeit ganz ernst zu nehmen. Um es schon jetzt in aller Offenheit zu sagen: Die steigenden Personalausgaben stellen Bund, Länder und nicht zuletzt Gemeinden vor die schwierigsten Probleme. Auch im öffentlichen Dienst werden wir im nächsten Jahr nicht in der Lage sein, die Steigerungsrate dieser Ausgaben aus den letzten zwei Jahren fortzusetzen. Meine Damen und Herren, uns kann es nicht um Reformen an sich gehen, sondern um solche, die dem einzelnen Menschen dienen. Wir haben bei den Alltagsproblemen anzusetzen. So ist es wichtig, daß die Arbeitnehmer, die mit ihrer Arbeitskraft unsere Wirtschaft entscheidend tragen und die mit ihren Steuergeldern einen maßgeblichen Anteil der öffentlichen Einnahmen erbringen, durch die Reformpolitik Schritt für Schritt, nach und nach Antworten auf ihre Probleme erhalten. Dies ist um so wichtiger, wenn wir ehrlich sagen müssen, daß der Zuwachs an Lohn und Gehalt sich nicht an den Ziffern des vergangenen Jahres orientieren kann. Nun haben wir uns z. B., wenn es um die Arbeitnehmer geht, die Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung zum Ziel gesetzt. Das gilt nicht als großes „politisches" Thema. Aber für den einzelnen Arbeitnehmer und seine Familie geht es dabei um sehr viel. Im Bereich der Betriebsverfassung haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der jetzt im Bundestag beraten wird und von dem wir überzeugt sind, daß er die Stellung und die Rechte der Arbeitnehmer wesentlich verbessern wird. Wir haben ein Aktionsprogramm vorgelegt, das sich der Probleme der beruflichen Bildung annimmt und Wege für eine Verbesserung der beruflichen Aus- und Fortbildung weist. Das Gesetz zur Vermögensbildung haben wir wesentlich verbessert, und viele Millionen mehr als früher partizipieren daran. Ich hoffe, daß wir auf diesem Gebiet im Zusammenhang mit der Steuerreform - denn das ist der richtige Zusammenhang - einen weiteren Schritt nach vorn tun können. Die Frage der flexiblen Altersgrenze, deren Prüfung wir in der Regierungserklärung zugesagt haben, findet viel Interesse. Wir sind dabei, eine Konzeption zu erarbeiten. Über konkrete Schritte wird erst noch zu entscheiden sein, und es ist selbstverständlich, daß dabei der gesamtwirtschaftliche Zusammenhang - vor allem auch in Form eines Vergleichs von Kosten und Nutzen - nicht aus dem Auge verloren werden darf. Ich habe die Arbeitnehmer genannt. Wir meinen, daß gerade auch die Frauen spüren sollten, was die Reformvorhaben des Staates für sie bedeuten. Die älteren unter ihnen haben in der Wiederaufbauphase voll, wenn man es so nennen darf, ihren Mann stehen müssen. ({19}) Ein großer Teil von ihnen lebt allein; die Ehemänner und Verlobten vieler sind im Krieg gefallen. Alle dürfen erwarten, daß die Gemeinschaft sie nicht sich selbst überläßt. Das ist ja mit ein Grund dafür, daß wir im letzten Jahr die Renten für die Kriegerwitwen verbessert haben, und darum sind wir allgemein um die Alterssicherung bemüht. So arbeiten wir bekanntlich an der Öffnung der Rentenversicherung für die nicht berufstätige Frau auf freiwilliger Basis. Durch die kostenlosen Voruntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten wollen wir mithelfen, die Sorge um die Gesundheit zu mindern. Die jüngeren Frauen, die mit Familie und Kindern vielfach am Stadtrand wohnen, aber nicht nur diese, warten auf Kindergärten und auf eine bessere Stadtplanung. Das Städtebauförderungsgesetz, die Verkehrsplanung, die Planung für vorschulische Erziehung - all dies sind Vorhaben, die Millionen von Familien unmittelbar angehen. ({20}) Die berufstätige Frau, die für gleiche Arbeit vielfach immer noch einen niedrigeren Lohn erhält als ihr männlicher Kollege, die trotz gleicher Tätigkeit schlechtere Aufstiegschancen hat als die männliche Konkurrenz, erwartet eine Beseitigung dieser Ungerechtigkeit. Mit wohlmeinenden Worten über die Würde oder die Emanzipation der Frau ist es nicht getan. ({21}) Der rechtliche Status im Arbeitsleben muß verbessert, die Diskriminierung in Bildung und Ausbildung muß abgebaut werden. Erst dann wird man von Gleichberechtigung sprechen können. ({22}) Ich möchte jetzt an zwei Beispielen, nämlich an denen der Gesundheitssicherung und des Umweltschutzes, zeigen, wie unterschiedlich die Ausgangslage in verschiedenen Bereichen ist und mit wie differenzierten Planungs- und Abstimmungsverfahren wir es zu tun haben. Niemand wird heute bestreiten, daß der technische Fortschritt, die höhere Lebenserwartung und die zunehmenden Umweltbelastungen neue Anforderungen an die Gesundheitssicherung stellen. Konkret bedeutet dies: wir brauchen ein wirtschaftlich gesichertes und nach den Erkenntnissen der modernen Medizin ausgestattetes Krankenhaussystem. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser soll - ich weiß um all die Schwierigkeiten, die uns da noch bevorstehen - auf diesem Wege voranhelfen. Wir brauchen gut geschultes wissenschaftliches und technisches Personal. Die Bundesregierug hat mit der neuen Approbationsordnung für Ärzte und dem Gesetzentwurf über die technischen Assistenten in der Medizin eine Ver6398 besserung und Straffung der Ausbildung in den medizinischen Berufen eingeleitet. Wir brauchen eine Ausweitung bei den sozialen Krankenversicherungen nicht nur durch ein Mehr an Leistungen, sondern auch durch die Einbeziehung weiterer Bevölkerungskreise. Wir haben mit dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz die soziale Krankenversicherung für alle Angestellten geöffnet und durch eine Erweiterung des Leistungskatalogs eine vorbeugende Gesundheitssicherung für die Mitglieder der sozialen Krankenversicherung ermöglicht. Wir brauchen - auch das gehört hierher - eine grundlegende Neuordnung des Lebensmittelrechts, die nicht nur im Zusammenhang mit dem Gesamtprogramm für Umweltschutz und Umweltgestaltung steht, sondern auch mit entsprechenden Bemühungen im Bereich der Europäischen Gemeinschaft abgestimmt werden muß. Die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser ist nicht möglich ohne die Abstimmung mit strukturpolitischen Vorhaben. Und sie berührt die schwierige Frage der Aufgaben- und Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Eine Verbesserung der Ausbildung in den medizinischen Berufen ohne eine Abstimmung mit den Planungen auf dem Gebiet der Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken und Lehrkrankenhäuser würde neue Ungleichgewichte erzeugen. Deshalb ist auch hier eine Verzahnung der Einzelbereiche notwendig. Bei der Öffnung der sozialen Krankenversicherung für alle Angestellten mußten die gesamtwirtschaftlichen Belastungen berücksichtigt werden. - Es geht also um die Verzahnung mehrerer Bereiche und um die sachliche und zeitliche Abstimmung zahlreicher Gesetzgebungsverfahren. Zum anderen ein Beispiel für einen Bereich, bei dem weder die bisher erarbeiteten Problemanalysen noch die bis jetzt bekannten Lösungsmöglichkeiten ausreichen. Ich meine den Bereich des Umweltschutzes und der Umweltgestaltung. Wir müssen heute teilweise erst die Grundlagen schaffen, um zu Grunddaten für die künftige Gesetzgebung zu kommen, weil - ich muß es offen sagen - in den vergangenen Jahren kaum etwas geschehen ist. Wenn man mit dieser Arbeit mindestens vor zehn Jahren begonnen hätte - und der eine oder andere hat darauf hingewiesen -, dann brauchte sich die Bevölkerung heute weniger Sorgen um Luftverschmutzung, Bodenverunreinigung, Lärmbelästigung, Abfall- und Abwasserbeseitigung zu machen. ({23}) Die Bundesregierung hat im September vergangenen Jahres ein Sofortprogramm für den Umweltschutz beschlossen, das zunächst vor allem der Bestandsaufnahme und der Einleitung von Forschungsmaßnahmen dienen soll. Trotz der Dringlichkeit der Aufgaben können und wollen wir nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Wir wollen zunächst die Probleme ordnen und wollen überlegen, was sich auch mit begrenzten Mitteln sinnvoll tun läßt. Nur so können wir verhindern, daß weiter nur am Symptom herumkuriert wird. Die Bundesregierung wird in absehbarer Zeit ein Gesamtprogramm vorlegen, das die wichtigsten Aspekte der Umweltgefährdung erfaßt. Zur Verwirklichung der erforderlichen Maßnahmen werden die Zuständigkeiten und die Fragen der Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geregelt werden müssen. Außerdem muß der Umweltschutz mit anderen Aufgabenkomplexen - wie Gesundheitssicherung, Raumordnung, Städtebau, Strukturpolitik - verzahnt werden. Dabei ist zugleich über die Anwendung des Verursacherprinzips und die Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Träger zu entscheiden. Mir scheint klar zu sein, daß diejenigen, die für Umweltschädigungen verantwortlich sind, jeweils auch einen Teil der Last zu tragen haben werden. ({24}) Auf dem Gebiet, über das ich hier spreche, geht es also im wesentlichen zunächst um konzeptionelle Arbeit, während wir auf anderen Gebieten dabei sind, die künftige Kooperation zwischen Bund und Ländern zu erproben. Dies gilt ja jetzt vor allem auch für die Bildungspolitik. Die Planungen auf den drei Gebieten der Gemeinschaftsaufgaben - Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Verbesserung der Agrarstruktur mit dem Küstenschutz, der dort einbezogen ist, und Förderung des Hochschulbaus - erfordern einen engen Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswegeprogramm, dem Bundesfernstraßenbau, der allgemeinen Raumordnungs- und Strukturpolitik. Ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zu einer funktionsfähigen Stadterneuerung und -entwicklung und, wie ich hoffe, zu einer Reform des Boden- und Planungsrechts wird mit dem Städtebauförderungsgesetz gelingen, das nach vergeblichen Versuchen in der vorangegangenen Legislaturperiode nunmehr hoffentlich vor seiner Verabschiedung steht. Lassen Sie mich sagen, daß die Regierung bei ihren Überlegungen und Planungen natürlich nicht nur die Probleme der Großstädte und der Ballungsräume im Auge hat, sondern auch die Sorgen der übrigen Gemeinden und der ländlichen Gebiete. Meine Damen und Herren, wir kennen alle die These vom zunehmenden Auseinanderklaffen zwischen privatem Wohlstand und öffentlicher Armut. Alle westlichen Industriestaaten sehen sich dem Dilemma gegenüber, daß die mit steigendem Einkommen bewirkte Wohlstandssteigerung durch fehlende oder unzureichende Bereitstellung von Gemeinschaftsleistungen beeinträchtigt wird. Gerade um Sicherheit und Wohlstand des einzelnen zu schützen, werden in Zukunft größere öffentliche Leistungen erforderlich werden, und dazu wird es höherer finanzieller Opfer bedürfen. Der einzelne Steuerzahler muß aber wissen, daß es dabei um die Behebung seiner eigenen Sorgen und Nöte gehen wird. ({25}) Das gilt in ganz besonderem Maße für die sozial Schwächeren in unserer Gesellschaft. Öffentliche Armut ist nämlich zuallererst die Armut derer, die diesseits vom Überfluß leben. ({26}) Wenn der Staat die öffentliche Armut bekämpft, dann wird damit allen und zugleich besonders den sozial Schwächeren geholfen. Was den Bürgern dient, ist ohne Leistung der Bürger nicht zu haben. Ich zweifle nicht an der Opferbereitschaft unserer Bevölkerung. Aber hier handelt es sich im eigentlichen Sinne des Wortes gar nicht um Opfer, sondern darum, die Erfüllung der allgemeinen Bedürfnisse, die ja jedem einzelnen zugute kommt, so zu finanzieren, daß der individuelle Spielraum und die Leistungkraft der Wirtschaft nicht über Gebühr beeinträchtigt werden. Wir betreiben keine Politik im luftleeren Raum, keine l'art pour l'art der Reformen. Wir stehen auch in diesem Bereich auf dem Boden der Tatsachen. Wir wissen, daß Reformpolitik gesamtwirtschaftlich abgesichert und konjunkturell richtig placiert sein muß. Und - ich sage es noch einmal - wir erkennen den hohen Rang an, den die Stabilität auch aus sozialen Gründen haben muß. Mit anderen Worten: So richtig es ist, daß Reformen notwendig sind, um - als rentable Investitionen - das wirtschaftliche Wachstum zu sichern, so notwendig ist es andererseits, daß wir unsere Wirtschaft nicht überfordern und daß wir gleichzeitig mit den Reformen Fortschritte in Richtung auf Stabilität erzielen. Lassen Sie mich unterstreichen: Diese Regierung wird auch nichts tun, was die Solidität der Finanzwirtschaft in Frage stellen könnte. Die Freiheit der Entscheidung bezieht sich darauf, was wann wie und in welchem Zeitraum geschieht. Aber fast nichts braucht länger zu dauern, als der jeweils hinter uns liegende Zeitraum an Versäumnissen. Das muß ich auch hinzufügen. ({27}) Die Bundesregierung kann für das erste Drittel der Legislaturperiode eine positive Bilanz vorweisen. ({28}) Sie hat das Programm der inneren Reformen angepackt. Sie hat in kurzer Zeit Grundlagen für ein freiheitliches Planungsverfahren erarbeitet und wird dies Schritt für Schritt ausbauen. Damit werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir die langfristigen Probleme bewältigen können. Die Einsicht in das Notwendige beginnt sich durchzusetzen. Mancher, der noch vor wenigen Jahren das Drängen nach Reformen als ein besorgniserregendes Revolutionsgespenst betrachtete, kritisiert heute, daß die Politik der Erneuerung nicht rasch genug vorankommt. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung. ({29}) Reformen gehen ja nicht die Regierung oder die Regierungsparteien allein an, sondern sie sind für uns alle da. Aus diesem Grunde sollten wir zwar immer wieder über die Inhalte diskutieren, aber nicht länger - wie in vergangenen Jahren - darüber streiten, daß Reformpolitik neben der Politik der Sicherung des Friedens die große Herausforderung ist, vor die wir gestellt sind. ({30}) Diese Regierung ist immer offen für Anregung und Kritik. Aber sie muß denjenigen eine klare Absage erteilen, deren Bestreben beharrlich auf eine Verhinderung längst überfälliger Reformen zielt. Ich will hier abschließend sagen: Die Bundesregierung wird ihr Reformprogramm immer wieder überprüfen. Sie wird es ergänzen und den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Aber sie wird sich nicht davon abbringen lassen, es Schritt für Schritt zu verwirklichen. ({31}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren, Sie haben die Regierungserklärung gehört. Ich danke dem Herrn Bundeskanzler. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß die drei Fraktionen damit einverstanden sind, daß wir Punkt 3 der Tagesordnung - Abgabe der Regierungserklärung - und den Punkt 4 - Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU - in der Aussprache miteinander verbinden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe also gleichzeitig den Punkt 4 der Tagesordnung auf: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu innenpolitischen Vorhaben - Drucksachen VI/1620, VI/ 1953 Ich erteile das Wort dem Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Stoltenberg. Für ihn sind 50 Minuten beantragt.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte über die Große Anfrage unserer Fraktion zum Arbeitsprogramm der Bundesregierung für die inneren Reformen findet in der deutschen Öffentlichkeit ein besonderes Interesse. In unzähligen Artikeln und Kommentaren der letzten Wochen ist deutlich geworden: nach fast 18 Monaten Regierungszeit der SPD/FDP-Koalition, einer Fülle an Versprechungen und wir haben ja eben alte gehört und zum Teil neue zusätzlich vernommen -, aber auch an Widersprüchen und Enttäuschungen wünscht unser Volk jetzt mehr Klarheit über die konkreten Pläne dieser Regierung, ({0}) vor allem aber auch über die Wege und Mittel der Verwirklichung, über die Prioritäten und den Preis, der dafür gezahlt werden soll. ({1}) Hinter diesen von der Regierung selbst in ihren eigenen Verlautbarungen geweckten Erwartungen ist die schriftliche Antwort der Bundesregierung und, ich darf dies sagen, auch die Erklärung des Bundeskanzlers deutlich zurückgeblieben. ({2}) Die Vorlage, die Antwort der Regierung, hat in den führenden Zeitungen unseres Landes mit seltener Einmütigkeit scharfe Kritik ausgelöst. ({3}) - Sie fragen nach den führenden Zeitungen. Das gilt nicht nur für jene Zeitungen, die auch sonst dieser Regierung mehr kritisch gegenüberstehen, es gilt selbst für die treuesten publizistischen Wegbegleiter dieser Koalition, wie Sie im „Spiegel", in der „Frankfurter Rundschau", im „Kölner Stadtanzeiger" und woanders nachlesen können. ({4}) Gleichsam einen letzten Appell an den Regierungschef konnten wir heute morgen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" lesen. Ich zitiere aus dem Kommentar: Es ist schwer zu begreifen, daß die Regierung sich hier die Chance versagen will, als glaubwürdig und realistisch dazustehen, ({5}) indem sie der Anfrage nicht ausweicht, sondern wenigstens eine grobe Reihenfolge ({6}) formuliert. Vom Bundeskanzler wird ein klares Wort erwartet. ({7}) Dieses klare Wort ist heute, was die konkrete Programmatik, die Prioritäten und die Mittel der Verwirklichung betrifft, nicht gesprochen worden, ({8}) ungeachtet der Bekräftigung guter Grundsätze, allgemeiner Betrachtungen zur Reformpolitik, denen wir weithin zustimmen können, und der exemplarischen Verdeutlichung bestimmter wichtiger Einzelsektoren, von denen wir allerdings auch nicht die Frage nach der Finanzierung - etwa des Gesundheitsprogramms - beantwortet erhielten. Am 23. Oktober 1970 hat Bundeskanzler Brandt vor der Bundespressekonferenz erklärt - und dies war der Ausgangspunkt unserer Großen Anfrage -, die Bundesregierung verfüge jetzt über ein „internes Arbeitsprogramm", in dem sie „sich über die weitere Arbeit bis Ende der Legislaturperiode bis ins einzelne verständigt" habe und das der „Konkretisierung und Verwirklichung der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969" diene, das jetzt „sachlich verzahnt, zeitlich geplant und finanziell durch die bis 1974 fortgeschriebene Finanzplanung abgesichert" sei. Am 3. Februar hat er vor diesem Hohen Hause ausgeführt, die Bundesregierung werde bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage wegkommen „von den vagen, allgemeinen Formulierungen hin zu möglichst straffen Formulierungen und quantifizierten Feststellungen". Sie wolle die Gelegenheit dieser Debatte benutzen, um deutlich zu machen, was in den großen Bereichen der Innenpolitik konkret zu verwirklichen sei. Das ist nicht geschehen, auch nicht in der Rede, die wir soeben gehört haben. ({9}) Wo sind die, Herr Bundeskanzler, von Ihnen am 3. Februar für diese Diskussion versprochenen Quantifizierungen, d. h. die finanzpolitischen Aussagen und Klarstellungen, geblieben? Wir haben nicht eine einzige Zahl in Verbindung mit einem Programm oder einer Absicht hier vernommen, ({10}) die uns eine solidere Grundlage für die Diskussion und Meinungsbildung geben könnte, als wir sie jetzt besitzen. Wo sind die klaren Prioritäten? Im übrigen hat der Herr Bundeskanzler eine Absage an diejenigen ausgesprochen, deren Bestreben dahin gehe; auf eine Verhinderung überfälliger Reformen hinzuwirken. Ich weiß nicht, wer damit gemeint war, meine Damen und Herren. Wir streiten nicht darüber - ich möchte das ganz deutlich machen -, ob Reformen nötig sind, wir haben auch in der Vergangenheit nicht darüber gestritten, sondern wir sorgen uns darüber, daß aus dem wachsenden Widerspruch zwischen Ankündigung und Taten eine Reformmüdigkeit und eine Verwirrung der Öffentlichkeit entstehen könnte. ({11}) Insofern war es unsere Absicht, mit dieser Debatte eine realistische, in sich abgestimmte Konzeption zu verdeutlichen in der Aufforderung an die Regierung, die der weiteren Arbeit in diesem Bundestag dienen kann. Jetzt müssen wir uns in der vorliegenden Antwort sagen lassen, daß unsere wörtliche Bezugnahme in einer Frage auf diese Ankündigung des Regierungschefs offenbar von einem „falschen Planungsbegriff", einem „System umfassender Detailplanung" ausgehe. Es folgt dann der lapidare Satz: „Die Bundesregierung lehnt dies ab." Daß dieses Kabinett ablehnt, was es gestern angekündigt und versprochen hat, gehört offenbar zu den festen Elementen des neuen Regierungsstils. ({12}) Millionen Menschen haben dies erfahren müssen, als die in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 mit festen Fristen zum 1. Januar 1970 und 31. Januar 1970 versprochenen Steuersenkungen für die Arbeitnehmer und den Mittelstand in einem wenig schönen Verfahren ratenweise vertagt und schließlich gestrichen wurden. Ich weiß nicht, Herr Bundeskanzler, ob es sehr klug war, daß Sie in Ihrer heutigen Regierungserklärung in Aussicht gestellt haben, daß das doch etwa in dieser Form geschehen solle. Denn es gibt schon wieder einen anderen Kabinettsbeschluß, den Sie dann erneut ändern müssen, in dem Sie einen Teil der Ergänzungsabgabe, die der Mittelstand tragen soll, für die Bildungsfinanzierung vorgesehen haben. Ich glaube, daß diese ständige Veränderung eigener Aussagen die Regierung und ihr Konzept in diesen neuralgischen Punkten nicht glaubwürdiger macht. ({13}) Die Bürger dieses Landes mußten es erfahren, als statt der versprochenen Stabilisierung der Preise bis zum Ende des Jahres 1970 das Jahr 1971 mit einem sich beschleunigenden Preis- und Kostenauftrieb begann. Es wundert mich schon sehr, daß nach solchen Vorgängen die Regierung in ihrer Antwort lapidar schreibt: Grundlage für Planung und Durchführung der Regierungsarbeit ist die Regierungserklärung... In ihr sind die politischen Ziele der Regierungspolitik klar und verbindlich niedergelegt. Wir klar und verbindlich, haben die soeben erörterten Beispiele gezeigt. In einer großen Sonntagszeitung lasen wir vor 10 Tagen die Schlagzeile: „Karl Schiller: So kann es nicht weitergehen". Aber wie es weitergehen soll mit der Wirtschaft, den Preisen, den inneren Reformen, den Finanzen, das wollen die Menschen dieses Landes nun endlich wissen, und wer anders soll die Antwort geben als die verantwortliche Bundesregierung, die ihre Zuständigkeiten in diesen Sektoren nicht wahrnimmt? ({14}) Ich möchte den Vorwurf zurückweisen, daß wir hier unangemessene Ansprüche gestellt hätten; denn der Kern unserer Fragen bezieht sich wörtlich auf die vielfältigen vorherigen Ankündigungen und Aussagen der Regierung selbst. ({15}) Sie wird - wie jedermann in der politischen Auseinandersetzung - sich fairerweise an den Maßstäben messen lassen müssen, die sie selbst gesetzt hat. ({16}) Neben der Bekräftigung guter Grundsätze und interessanter prinzipieller Überlegungen zu Fragen der Reformpolitik liegt in der erneuten Minderung, der Herabstufung der eigenen Ansprüche über Planung, abgestimmte Programme, Prioritäten, finanzielle Absicherung und Koordination mit den Ländern der eigentliche politische Aussagewert der Antwort. Herr Bundeskanzler, wir sind ja in den Fragen der sicheren Möglichkeiten der Prognose, so in Daten bis auf Ziffern hinter dem Komma, schon seit langem in einer gewissen Differenz mit Ihrem Wirtschaftsminister und Ihrer Partei. Auch hier ist durch die bitteren Erfahrungen der letzten Zeit der eigene Anspruch dieser Regierung herabgestuft. Aber daß Sie heute in Ihrer Rede sagen, einer der Gründe dafür, daß man keine Projektionen mitttelfristiger Art über 1974 hinaus vornehmen könne, sei der Umstand, daß niemand die Konjunkturentwicklung vorhersehe, das ist nun doch ein Abweichen von den Mindesterfordernissen einer modernen Prognostik und der Verantwortung, die die Regierung dabei trägt. ({17}) - Sicher, wer die Texte und Anlagen aufmerksam liest, wird ihnen eine Reihe interessanter Detailinformationen entnehmen können. Aber die entscheidenden Punkte sind offen und unverbindlich geblieben. Sie bleiben sogar weithin hinter dem zurück, was der Bundeskanzler und seine Minister z. B. zu der Frage der Steuererhöhungen in Fernseh- und Rundfunkinterviews zu erkennen geben. ({18}) Unter den inneren Reformen versteht die Bundesregierung „schrittweise Veränderungen unserer staatlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich an den für eine freie, fortschrittliche Gesellschaft im sozialen und demokratischen Rechtsstaat bestimmenden Grundwerten orientieren". Auf diese sehr allgemeine Begriffsbestimmung können wir uns sicher in diesem Haus verständigen - allerdings mit einer Einschränkung. Nicht jede punktuelle Veränderung in einem einzelnen Bereich unserer vielfältigen gesellschaftlichen Wirklichkeit, unseres vielfältigen Rechtssystems verdient den anspruchsvollen Namen „Reform". ({19}) Dies zu unterstreichen scheint mir nach einer Periode von 16 Monaten notwendig zu sein, in der dieses große Wort leider zu sehr in den allgemeinen Verschleiß der Begriffe und Werte einbezogen wurde. ({20}) Der Kollege Wischnewski hat dafür - neben anderen - einen besonders aufschlußreichen Beitrag geliefert. Er hat am 22. August vergangenen Jahres gegenüber der deutschen Presseagentur erklärt - ich zitiere -: Das, was jetzt vorliegt, bedeutet, daß in den vier Monaten bis zum Jahresende wöchentlich mehr als drei Reformvorhaben im Kabinett und im Parlament entscheidungsreif werden. ({21}) Auch innenpolitisch hält die Bundesregierung also das Arbeitstempo, das zur Erfüllung der Forderungen des Regierungsprogramms notwendig ist. In den folgenden Wochen, meine Damen und Herren, hat sich dieses rasante Tempo offensichtlich noch beschleunigt; denn der Planungschef im Bundeskanzleramt, Professor Jochimsen, teilte am 30. Oktober erstaunten Bonner Journalisten mit: Bis zum Ende der Legislaturperiode will die Bundesregierung 455 innenpolitische Reformvorhaben bewältigen oder einleiten. ({22}) Solche Berechnungen bringen in einer Fleißarbeit von Beamten offensichtlich alle rein administrativen Maßnahmen auf dem Gebiete der Folgegesetzgebung, der Rechtsverordnungen bis hin zur Verbesserung der statistischen Methoden bei der Obstbaumzählung unter dem großen Begriff „Reformen", meine Damen und Herren. ({23}) Die Sprecher der Koalition erweisen damit der Sache, um die es wirklich geht, und auch dem öffentlich Verständnis der Größe und Schwere dieser Aufgaben keinen guten Dienst; denn mit der Inflatonierung dieses Begriffs wird ja die Bedeutung der eigentlichen Aufgaben verkannt, ({24}) ein psychologischer Rückschlag fast unvermeidlich und damit entweder die Gleichgültigkeit und die Reformunwilligkeit oder aber die Entfremdung durch Enttäuschung verursacht. Herr Kollege Wehner ist dann nach der Einbringung unserer Großen Anfrage und in offensichtlich intensiven Debatten im Kreis der Koalition in einem Interview im „stern" am 7. März 1971 zu einer ganz anderen Beurteilung gekommen. Ich zitiere ihn: In einer Legislaturperiode muß man sich in Zucht nehmen. - Ein guter Grundsatz auch für dieses Haus hier, meine Damen und Herren ! ({25}) Man kann über zwei, allerhöchstens drei Reformen reden, die man durchsetzt, nicht mehr. Die Regierung hat weder einen Bauchladen, noch ist sie ein Supermarkt, in dem sich jeder holen kann, was ihm gerade in die Augen sticht. ({26}) Drei Reformen pro Woche mit Wischnewski oder zwei bis drei in der Wahlperiode mit Wehner, meine Damen und Herren: In der beträchtlichen Bandbreite dieser Aussagen wird deutlich, wie dringend notwendig der Klärungsprozeß ist, den wir mit unserer Großen Anfrage einleiten wollten, ({27}) der allerdings nach unserem Eindruck immer noch nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt hat. Herr Bundeskanzler, ich hatte den Eindruck, Sie lagen etwas näher bei Herrn Wehner, aber Sie gingen doch noch ein ganzes Stück darüber hinaus, und ich würde auch prinzipiell nicht ausschließen, daß es vielleicht sogar mehr als zwei oder drei Reformen sein könnten. Nur setzt das die Klärung einer Reihe von Fragen voraus, die auch in Ihrer Rede nicht beantwortet worden sind. Meine Damen und Herren, Veränderungen in unserer Gesellschaft sind nicht nur geboten; sie erfolgen auch ohne unser Zutun. Naturwissenschaft und Technik haben den industriellen und sozialen Prozessen eine derartige Dynamik, ein derartiges Eigengewicht verliehen, daß wir alle Mühe haben, die Veränderungen, die sich ereignen, rechtzeitig zu begreifen, zu beeinflussen und damit so zu gestalten, daß sie der produktiven, der geistigen und seelischen Entfaltung des Menschen dienen, daß sie den Strukturen unserer Gesellschaft und des Staates dienen, statt sie zu bedrohen und zu zerstören. ({28}) Deshalb gibt es die so oft verkündete Scheinalternative - die auch in einigen Wendungen des Bundeskanzlers anklang - von Beharrung oder Wandel als politische Entscheidungsmöglichkeiten in unserer Zeit überhaupt nicht mehr. Wer so argumentiert oder den Politiker in der Rolle eines souveränen Sozialingenieurs in einer vorgegebenen, seinen Ideologien und Willensentscheidungen unterworfenen statischen Welt sieht, der verkennt, wie ich glaube, die Grundbedingungen menschlicher, sozialer und politischer Existenz in unserer Zeit. ({29}) Die rasch steigenden materiellen Mittel, höhere Wirtschaftskraft, technischer Fortschritt vergrößern ohne Zweifel die Aufgaben des Staates. In dieser Grunderkenntnis sind wir uns fraglos mit der Bundesregierung einig. Er muß die Bedingungen für mehr Chancengleichheit, für wirkungsvollere öffentliche Einrichtungen und Dienste für die Burger, für mehr soziale Gerechtigkeit ständig verbessern, ohne allerdings in unserer liberalen Demokratie die Eigenverantwortung zu ersticken und die Freiheitsräume für die persönliche Lebensgestaltung in gefährlicher, unzumutbarer Weise einzuschränken. ({30}) Diese Erfordernisse, die wir nachdrücklich bejahen, bestehen 1971 zweifellos in einer anderen und zum Teil auch noch verstärkten Weise als 1949. Aber Reformpolitik, meine Damen und Herren, begann in der Bundesrepublik Deutschland nicht erst mit dem sogenannten Machtwechsel 1969 oder der Bildung der Großen Koalition 1966. ({31}) Sie setzte in der Nachkriegszeit ein mit der politischen Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft gegen harte politische Widerstände, ({32}) der dynamischen Entfaltung von gesellschaftlichen, individuellen und politischen Kräften, die zur Neugestaltung in Gesellschaft und Staat drängten. ({33}) - Ja, das ist ein großes Verdienst Ludwig Erhards; ich unterstreiche das gern auf Grund Ihres Zwischenrufs, Herr Kollege Wehner. ({34}) - Ja, ich bedanke mich, aber vergessen Sie Ihr Wort von der Zucht im Parlament nicht, das ich vorhin zitiert habe. ({35}) Wenn man Ihr Godesberger Programm nachliest, könnte man meinen, daß Sie diesem Satz, der Sie ärgert, gar nicht mehr widersprechen. Aber Sie gehören offenbar auch zu denjenigen, die sich allmählich wieder davon absetzen. ({36}) Lassen Sie es mich offen sagen: Zu den peinlichen, für die Beziehung der Parteien nicht förderlichen Vorgängen der letzten 16 Monate gehört der ständige Versuch dieser Koalition, die politischen Leistungen der beiden vergangenen Jahrzehnte zu vermindern oder herabzusetzen. ({37}) Was wir hier erleben - auch in einer Reihe von Formulierungen der vorliegenden Antwort -, ist kein Zeichen von Souveränität oder Selbstbewußtsein. ({38}) Hier wird vielmehr der Versuch unternommen, die immer stärkere, für unser Volk immer beunruhigendere Kluft zwischen zu großen Versprechungen einerseits und unzulänglichen Taten andererseits generell auf die angeblichen Versäumnisse der Vorgänger abzuwälzen. ({39}) Draußen im Lande sagt man es dann noch massiver als hier in Texten und Reden. Ich las in einer sozialdemokratischen Schrift für junge Menschen vor den Landtagswahlen - ich zitiere -. ({40}) „Die von der SPD geführte Bundesregierung kann das", was im kapitalistischen System ungerecht ist, „nicht so schnell ändern. Sie muß erst den Schutt wegräumen, den zwanzig Jahre CDU-Herrschaft hinterlassen haben". ({41}) - Ich bedanke mich dafür, daß eine kleine Minderheit von zum Teil wohlbekannten Abgeordneten hier klatscht, meine Damen und Herren. ({42}) Sie setzen sich damit in deutlichen Widerspruch auch zu bestimmten Passagen der Rede des Bundeskanzlers. ({43}) Aber das ist bezeichnend für die Verfassung der Partei, mit der wir es als unserem Gegner hauptsächlich zu tun haben. ({44}) Nein, meine Damen und Herren, den Schutt, den Adolf Hitler uns hinterlassen hat, haben wir durch den Fleiß der Menschen in diesem Lande und eine richtige Politik unter Federführung der CDU/CSU in den 50er Jahren weggeräumt. ({45}) Diese Entgleisungen außerhalb und auch innerhalb des Hauses sind ja nicht zufällig. ({46}) - Sie sind ein Teil der vielfältigen Bemühungen radikaler Kräfte, Herr Kollege Apel, die Nachkriegsgeschichte Deutschlands negativ umzuschreiben in eine Periode der bloßen Restauration, der Herrschaft weniger Privilegierter und der massiven sozialen Ungerechtigkeit. Die Wirkung einer solchen Propaganda spüren wir sehr deutlich in wichtigen Bereichen unserer Gesellschaft, in wachsenden politischen Spannungen und nicht zuletzt auch in den zunehmenden Kontroversen innerhalb der Sozialdemokratischen Partei. ({47}) Ich glaube, hier muß ganz deutlich gesagt werden, ({48}) daß ein glaubwürdiges Reformkonzept auch klare Aussagen zu den gesellschafts- und ordnungspolitischen Punkten bringen muß. Wollen wir in der Bundesrepublik unser politisches System der liberalen Demokratie und unser ökonomisches System der sozialen Marktwirtschaft konsequent auf neue Erkenntnisse hin weiterentwickeln und ausrichten oder durch systemsprengende Reformen zerstören oder, wie man unter Vermeidung dieses Reizwortes neuerdings sagt, überwinden? Das ist die Fragestellung für alle Parteien in diesem Hause. ({49}) Hierüber gibt es eben in der größten Regierungspartei zunehmend fundamentale Differenzen. Ich glaube, daß diejenigen recht haben, die, wie die Kollegen Klaus-Peter Schulz, Günther Müller, Hermann Schmitt-Vockenhausen und andere, ({50}) in den letzten Wochen öffentlich eine grundsätzliche Klärung dieser Frage verlangt haben und sich mit verbalen Beteuerungen oder abstrakten Resolutionen nicht mehr begnügen wollen. ({51}) Denn draußen im Lande werden zu diesen Fragen zum Teil ganz andere Konzepte vertreten, als wir sie vorhin vom Regierungschef und Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gehört haben. ({52}) Die deutsche Politik der 50er und der beginnenden 60er Jahre war von Anfang an darauf angelegt, neue zukunftsweisende Lösungen zu verwirklichen, in der inneren Entwicklung unseres Landes ebenso wie in der Überwindung der jahrhundertealten nationalen Gegensätze in Europa. Nimmt man einmal den Maßstab des Kollegen Wehner, daß in einer Wahlperiode zwei bis drei bedeutendere Reformen möglich sind, dann haben unsere Vorgänger in diesem Hohen Haus und auch die früheren Regierungen ihn erheblich übertreffen können. ({53}) Zu den großen Entscheidungen jener Zeit, die den anspruchsvollen Namen „Reformen" wirklich verdienten, gehörten u. a. in den ersten beiden Wahlperioden dieses Hauses das Gesetz über die Kriegsopferversorgung vom Dezember 1950, das Lastenaugleichsgesetz vom August 1952, das Wohnungsbaugesetz vom August 1953, das Landwirtschaftsgesetz vom September 1955, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom Juli 1957, die Einführung der Mitbestimmung in der Montanindustrie vom Mai 1951. ({54}) - Wenn der Bundeskanzler hier geringere Leistungen dieser Regierung verliest, lasse ich es mir nicht nehmen, einige der großen Reformleistungen der Vergangenheit ({55}) einmal kurz exemplarisch anzuführen, damit die These vom Schuttausräumen in der richtigen Dimension beleuchtet wird. ({56})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein! - Die Einführung der Mitbestimmung in der Montanindustrie vom Mai 1951, das Betriebsverfassungsgesetz vorn Juli 1952 bis hin zur Rentenreform im Februar und Mai 1957 - -({0}) - Die Rentenreform ist nicht überholt, meine Damen und Herren, sie ist durch eine inflationäre Politik gefährdet, die die Rentner trifft. ({1}) Die Überwindung der Besatzungsherrschaft erfolgte nicht in einer Rückkehr zum isolierten Nationalstaat, sondern durch die zukunftsweisende Konzeption der Verbindung gleichberechtigter Partner in einer schrittweise entstehenden europäischen Ordnung mit den Gesetzen über den Beitritt zum Europarat, zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Mitgliedschaft in der Westeuropäischen Union und dem Atlantikpakt, dem Deutschlandvertrag, der EWG und der Europäischen Atomgemeinschaft. ({2}) - Meine Damen und Herren, auch ohne Ihre irritierten Zwischenrufe hatte ich es nicht vor, diese Linien im einzelnen bis 1969 weiterzuziehen. ({3}) Auch die folgenden Regierungen und Parlamente haben die von Herrn Wehner neu gesetzten Maßstäbe, wie ich glaube, deutlich überschreiten können, wobei es allerdings in dieser Zeit vor allem in der europäischen Entwicklung nicht an erheblichen Spannungen fehlte. Woraum es heute geht - deswegen war, glaube ich, dieser Rückblick notwendig -, ist eine ehrliche Zwischenbilanz ohne Legendenbildung über die Vergangenheit, ohne Schwarzmalerei und auch ohne Schönfärberei als Ausgangspunkt für ein realistischeres Zukunftsprogramm zur Lösung der neuen großen Aufgaben und zur Herausarbeitung abgestufter Ziele und Prioritäten. Niemand wird bestreiten, daß es weithin einen großen Nachholbedarf gibt. Wir können auch absolut offen über konkrete Einzelversäumnisse sachlich diskutieren. Wenn aber zum Beispiel der Bundeskanzler hier Kritik geübt hat, daß früher auf dem Gebiet des Umweltschutzes nichts geschehen sei - ich würde sagen, es ist zu wenig geschehen; man kann nicht sagen, daß nichts geschehen sei -, kann es natürlich nicht befriedigen, wenn er in seiner Konzeption für die Zukunft zunächst nur das „Sammeln und Ordnen von Ideen und Vorlagen" ankündigt. ({4}) Die Regierung hat dabei auch im einzelnen, wie ich glaube, in ihrer Antwort tiefgreifende Widersprüche deutlich gemacht. Auf der einen Seite sagt sie: „Wir haben 16 große detaillierte Berichte vorgelegt und damit genaue Planungen für alle wesentlichen Bereiche unserer politischen Arbeit; wir verfügen also über ein exaktes Arbeitsprogramm". Wenn man dann nach den konkreten Mitteln und Wegen der Verwirklichung dieses Programms fragt, wird plötzlich erklärt: "Wir haben ja ein so schiechtes Erbe übernommen, daß man von uns derartig detaillierte Auskünfte überhaupt nicht verlangen kann; dazu fehlt es an allen Voraussetzungen, den Planungstechniken einer entsprechenden modernen Regierungsorganisation." Eine der beiden Versionen, meine Damen und Herren der Koalition, kann ja nur stimmen. Sie können sie nicht beliebig auswechselbar verwenden. ({5}) Wenn das Kabinett mit den genannten Berichten und Vorhaben seine Regierungserklärung wirklich im einzelnen konkretisiert hat - das ist ja der Anspruch -, wenn es detaillierte Planungen besitzt - und das wird ja gesagt -, dann ist es nicht eine Frage der Technik, sondern der politischen Entscheidungskraft, aus der vorliegenden Wunschliste ein realisierbares Konzept zu machen. ({6}) Das System der Regierungsarbeit und -planung bedarf der ständigen Verbesserung. Darin stimmen wir dem Bundeskanzler zu. Die schriftliche Antwort bringt einige interessante Hinweise auf neue Entwicklungen. Aber die zunehmende öffentliche Kritik an den erkennbaren schweren Mängeln geht doch vor allem auch auf die gefährliche Schwächung wichtiger Teile der Bundesverwaltung durch eine rücksichtslose Politisierung und einseitige Personalpolitik zurück, vor allein im Amtsbereich des Ministers Ehmke, meine Damen und Herren. ({7}) Das ist in der Stellungnahme des Personalrats des Bundeskanzleramtes vom 4. Februar 1970 deutlich ausgesprochen worden - ich zitiere -: Manches, was sich seit Oktober 1969 in diesem Hause ereignet hat, scheint uns weniger an eine preußische Verwaltung, sondern eher an das amerikanische „spoil system" oder eine römische Prokuratur zu erinnern, wo der Satz gilt: Wehe dem Besiegten! Dieser Text - man könnte beliebig auch neuere Texte von den gewählten Personalvertretungen der Bundesregierung - und die sollten Sie, Herr Apel, nach Ihrer Grundeinstellung doch ernst nehmen - vorlegen, spricht für sich selbst. ({8}) Sie können noch so viel Planungstechniken einführen und Computersysteme beschaffen. Wenn die Personalpolitik für die zentralen Organe des Bundes nach dem Muster der Dortmunder städtischen Kommunalbetriebe oder neuerdings der Bremer Universität gehandhabt wird, dann kann nur ein ständiger Leistungsabfall die Folge sein. ({9}) Im Text der Antwort heißt es - ich zitiere -: In ihrem Arbeitsprogramm hat die Bundesregierung die Aufgaben zusammengefaßt, die sie in dieser Legislaturperiode lösen oder deren längerfristige Lösung sie in dieser Legislaturperiode voranbringen bzw. vorbereiten will. In diesem Satz sind drei ganz deutliche zeitliche und sachliche Abstufungen. Dann wird jedoch gesagt: Die Bereiche des Arbeitsprogramms stehen gleichrangig nebeneinander. Der Bundeskanzler hat das hier bekräftigt: Innerhalb des Programms - so erklärte er in seiner Regierungserklärung gibt es keine einfachen zeitlichen oder sachlichen Rangfolgen. Aber der vorherige, von mir zitierte Satz macht doch deutlich, daß die Bundesregierung selbst drei klar unterschiedene Prioritäten setzt. Sie sagt, daß sie die Aufgaben in dieser Legislaturperiode entweder lösen - das ist offenbar die erste Priorität -, voranbringen - das ist die zweite Priorität oder vorbereiten will. ({10}) Dieser Widerspruch kann doch so nicht stehenbleiben, meine Damen und Herren. ({11}) Der Hinweis, Herr Bundeskanzler, daß das in den einzelnen großen Bereichen nicht alles nacheinander geschehe - die Justizreform nicht nach der Bildungsreform , ist doch keine Antwort. Das erwartet doch niemand ernsthaft, sondern jedermann erwartet, daß nach Ihren Ankündigungen und der hier selbst erkennbaren Gliederung nun präziser gesagt wird, was die Bundesregierung bis 1973 tun, bis 1973 einleiten oder bis 1973 für 1980 oder später vorbereiten will. Diese Frage müssen Sie nach unserer Überzeugung doch beantworten. ({12}) Herr Ahlers hat die auch in der Presse nachdrücklich erhobene Forderung nach klareren Prioritäten mit der Bemerkung zurückgewiesen, es gebe keine Prioritäten, sondern Schwerpunkte. ({13}) Diesen feinen Unterschied den vielen, die ihn nicht genau verstanden haben, einmal näher zu erklären, wird er sicher auf einer seiner nächsten Pressekonferenzen Gelegenheit haben. Meine Damen und Herren, nach diesen widerspruchsvollen Sätzen weiß eben niemand, ({14}) was in den nächsten Jahren geschieht. Das ist eine für die Öffentlichkeit und dieses Parlament unbefriedigende Bilanz.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) - Meine Damen und Herren, wir hatten hier keine Möglichkeit, bei der Regierungserklärung Zwischenfragen zu stellen, obwohl es einem guten parlamentarischen Brauch und den früheren Absprachen der Fraktionen entsprochen hätte, daß zunächst wir die Chance der Begründung haben, ({1}) Wir nehmen hier das gleiche Recht für uns in Anspruch, das Sie für sich handhaben. ({2}) Derartige widerspruchsvolle Aussagen -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Stoltenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Renger?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn mein Hinweis nicht gereicht hat, die Zwischenfrage zu vermeiden, würde ich diese eine Zwischenfrage gerne akzeptieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001821, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Ältestenrat vor 14 Tagen vereinbart worden war, daß zuerst der Bundeskanzler spricht, und danach Ihr Fraktionsgeschäftsführer die Sache erst verändert hat?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Bericht, den wir haben, Frau Kollegin Renger, ist ein ganz anderer. Es wurde gesagt, daß die Bundesregierung trotz anderer Absprachen, die natürlich nur ein Gentleman's Agreement sein können, ihr verfassungsmäßiges Recht nutzen werde und hier unter Berufung auf die Verfassung sprechen wolle. Diesem Tatbestand haben wir uns gebeugt. Ich glaube, es ist fair, daß wir in der gleichen Zeitdauer und in der gleichen Methodik, d. h. in der Form einer einführenden Rede, so sprechen können, wie es auch die Regierung getan hat. ({0}) Derartige Widersprüche, wie sie in diesen Zitaten sichtbar werden, vergrößern auch die finanzpolitische Unsicherheit. Ein Vergleich der Hauptposition der geltenden Finanzplanung bis 1974 und der wichtigsten Punkte des sogenannten Arbeitsprogramms macht nämlich deutlich: eine kleine Zahl der beabsichtigten Vorhaben des Programms ist bis 1974 voll berücksichtigt. Ein etwas größerer Teil der neuen Projekte wird teilweise bis 1974 in seinen finanziellen Konsequenzen eingeplant. Die wichtigsten Zielvorstellungen, etwa in der Gesundheits- und der Bildungspolitik, haben in der geltenden Finanzplanung überhaupt noch keine tragfähige Basis. Allein dieser nachprüfbare Sachverhalt müßte eine um offene Auskunft bemühte Regierung veranlassen, auch in ihren Sachaussagen hier nun endlich die notwendigen Prioritäten zu setzen. ({1}) Aber statt dessen ist man offenbar nach dem in einer Zeitung wiedergegebenen Ausspruch des Kollegen Ehmke verfahren: „Wir wollen uns von denen doch nicht in die Küche gucken lassen." Nein, meine Damen und Herren, man braucht nicht in die Töpfe zu schauen; der brenzlige Geruch dieser politischen Kochkünste dringt schon bis in die gute Stube. ({2}) - Man kann es auch unfreundlicher sagen; aber ich will mir das versagen. Ich bemühe mich, mich dem Sprachgebrauch des Kollegen Ehmke anzupassen, und da sagen Sie, das sei sehr billig; das tut mir sehr leid. ({3}) Wir sind von der Regierung gerügt worden, weil wir von einer finanziellen Planung oder Perspektive über 1974 hinaus gesprochen haben. Aber stimmt es denn nicht, Herr Bundeskanzler, daß in Ihren eigenen Arbeitsunterlagen bei der Kabinettssitzung vom 25. Februar die sich abzeichnende Finanzlücke bis 1975 auf 27,5 Milliarden DM beziffert wurde? Wenn es neuere Zahlen oder Erkenntnisse gibt, sollte man sie hier nennen, anstatt Berechnungen, die in der Wirtschaftspresse in allen Einzelheiten wiedergegeben wurden, die in Fernsehinterviews von Mitgliedern dieser Regierung zustimmend oder kritisch erörtert werden, hier einfach zu dementieren. Ich glaube nicht, daß das ausreicht. ({4}) Der Hinweis auf die Begrenzung der Finanzplanung auf die Zeit bis 1974 kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Regierung in ihren langfristigen Sachprogrammen -- ein Blick in die 16 Berichte macht das ganz klar - davon ausgeht, daß es Planungen und Vereinbarungen bis 1980 geben soll. Dies erfordert zwingend, vor allem im Bereich der Kooperation von Bund, Ländern und Gemeinden auch entsprechende langfristige Finanzperspektiven. ({5}) Das ist eine schwierige Aufgabe. Aber sie ist nicht neu. In den Berechnungen zur Finanzierung zur Rentenversicherung für die kommenden 15 Jahre, in entsprechenden Projektionen für die Straßenbauplanung und -finanzierung, für die Verwirklichung großer naturwissenschaftlich-technischer Programme sind Beispiele für solche Planungen in einzelnen Sektoren aus früheren Wahlperioden vorgegeben, die natürlich ständig fortgeschrieben und auf andere Bereiche erweitert werden müssen. Dies erfordert, wie ich glaube, das politische Vorgehen der Bundesregierung ganz zwingend. Der Versuch, im Verantwortungs- und Finanzbereich der Länder und Gemeinden, vor allem in der Bildungs- und Gesundheitspolitik, in Kürze zu verbindlichen Festlegungen für das nächste Jahrzehnt zu kommen, erlaubt es nicht, sich auf die befristete Dauer der geltenden Finanzplanung bis 1974 oder bis 1975 hinauszureden. Daß mit wachsendem zeitlichem Abstand der Unsicherheitsfaktor solcher Berechnungen zunimmt, daß die Flexibilität größer sein muß, darauf hat der Bundeskanzler hingewiesen. Das ist zwischen uns unbestritten. Aber Sie können nicht in einem Bildungsbericht der Bundesregierung ganz detaillierte Zielvorstellungen für 1980 oder 1982 formulieren, die eine Steigerung der jährlichen Ausgaben der Länder und Gemeinden von jetzt fast 25 Milliarden auf fast 100 Milliarden DM im Jahr bewirken sollen, und uns dann sagen, über das Jahr 1974 hinaus wolle man über Finanzierungsprobleme hier nicht reden. Wenn Sie diesen Standpunkt wirklich durchhalten wollen, ist es nicht möglich, in den großen in Ihren Berichten genannten Bereichen zu langfristigen Sachplanungen und Festlegungen zu kommen. Dieses Auseinanderklaffen zwischen Sachentscheidungen und fehlenden Finanzperspektiven hat bereits zu sehr unangenehmen politischen Vorgängen geführt. Ich verweise auf die heftige Kontroverse über die bekanntgewordenen Protokolle der sozialDr. Stoltenberg demokratischen Parteikommission zur Bildungspolitik vom 3. März. Hier heißt es von einer Konferenz der Kultusminister der SPD, führender Bundespolitiker dieser Partei und auch des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bildungsministerium über den öffentlich von der Regierung gepriesenen ersten Entwurf eines Bildungsplans unter anderem - ich zitiere -: Die Anwesenden sind sich darüber einig, daß der vorliegende Bildungsgesamtplan in seinen Quantifikationen und Zeitangaben unrealistisch, problematisch und nicht entscheidungsreif sei, deshalb überprüft werden sollte und vor allem auch Alternativen gegeben sein müssen. Es folgt dann der peinliche Satz: Wegen des Terminplans kam man überein, daß der Versuch unternommen werden sollte, bis Juni den Bildungsgesamtplan durchzuziehen, obwohl sich alle darüber im klaren waren, daß wegen der erforderlichen Alternativen, der Rückkoppelung mit dem Bildungsbudget bzw. der bis dahin geleisteten Arbeit die Einhaltung des vorgesehenen Termins fraglich sei. ({6}) Meine Damen und Herren, diesen Satz möchte ich auf die Aussage des Herrn Bundeskanzlers hier beziehen: „Eine erste Gesamtkonzeption für die Reform unseres Bildungswesens, ist das nichts?" - Nein, das ist nichts, Herr Bundeskanzler; das hat, glaube ich, das Protokoll Ihrer Parteikommission sehr klar gezeigt. ({7}) Das sollte man dann auch hier in diesem Hause von Ihrer Seite mit der gleichen Offenheit, zumindest mit dem gleichen Problembewußtsein behandeln. Es glaubt doch niemand im Ernst, daß auf diesen unseriösen Wegen mit derartigen Methoden die erforderliche Mehrheit für eine gesamtstaatliche Bildungsplanung erreichbar ist. Sie kann nach den geltenden Bund-Länder-Vereinbarungen spätestens in der Konferenz der Ministerpräsidenten nur durch Zustimmung aus beiden großen Parteien erreicht werden. Die Länder und Gemeinden haben einen Anspruch darauf, von der Bundesregierung nicht nur ein gigantisches, teilweise leider von den Empfehlungen des Bildungsrates abweichendes Sachkonzept, sondern auch ein Finanzierungsprogramm in fairer und glaubwürdiger Weise vorgelegt zu bekommen. ({8}) Sonst wird das Kabinett hier und in den anderen Punkten der bundesstaatlichen Zusammenarbeit scheitern müssen. Ich bedaure, offen gesagt, Herr Bundeskanzler, daß Sie diesen zentralen verfassungspolitischen, finanziellen und praktischen Punkt der Kooperation im Bundesstaat von Bund, Ländern und Gemeinden nicht behandelt haben, obwohl fast ausnahmslos alle Beispiele, die Sie gebracht haben, in dieser Sphäre unterschiedlicher, gemeinsamer Verantwortung liegen. ({9}) - Wer sich um die Gemeinden gekümmert hat, Herr Schäfer? Wir in der Großen Koalition mit einer Gemeindefinanzreform, die den Gemeinden 21/2 Milliarden DM mehr gebracht hat, denen nach den Feststellungen Ihres Parteifreundes Dr. Vogel jetzt 5 Milliarden DM allein durch die Geldentwertung des Jahres 1970 weggenommen wurden. ({10}) Der Sachverständigenrat hat diesen Rückgang der realen Investitionen für Reformen in seinem letzten Gutachten mit unmißverständlicher Deutlichkeit angesprochen - ich zitiere -: Zwar erhöhten die Gebietskörperschaften 1970 ihre Ausgaben für Sachinvestitionen im Vergleich zum Vorjahr um knapp 13 % und somit stärker als ihre Ausgaben, doch reicht das angesichts der beträchtlichen Preissteigerungen nicht aus, die Ausgaben für öffentliche Investitionen real auch nur auf dem gleichen Niveau zu halten wie 1969. Im ersten Regierungsjahr dieses Kabinetts und dieser Koalition sind also die angeblich und vielleicht auch wirklich nicht ausreichenden Investitionsleistungen früherer Regierungen nicht gestiegen, sondern zurückgegangen. ({11}) Mit diesem Tatbestand müssen Sie sich auch auseinandersetzen, wenn Sie von Versäumnissen der Vergangenheit und von einer Eröffnungsbilanz reden. ({12}) Ohne die schnelle Wiedergewinnung der schwer erschütterten Stabilität gibt es keine wirksame Reformpolitik, ({13}) keine beschleunigte Modernisierung unseres Landes, sondern nur eine weitere Verlangsamung des Tempos. Das aber führt zweifellos zu einer Verschärfung vorhandener struktureller Ungleichgewichte in unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft, wie wir an der Zuspitzung der Situation der Landwirtschaft in den agrarpolitischen Diskussionen und Auseinandersetzungen deutlich spüren. ({14}) - Nein, das liegt nicht an der Demagogie, sondern an der Sorge - -({15}) - Ja, ja. Denken Sie einmal an das Wort von der Zucht, und erziehen Sie sich auch selbst zur Zucht, Herr Wehner! ({16}) Nein, nein, der Bundeskanzler hat in seinen sehr ernsten Eingangsworten darüber ganz anders gesprochen als Sie in Ihren unqualifizierten Zwischenrufen, ganz anders. ({17}) Und was er zu diesem Punkt gesagt hat, können wir - mit einer Einschränkung, die ich erwähnen möchte - voll unterstreichen, auch in den Bemerkungen zu den dramatischen und bedauerlichen Vorgängen, die sich gestern in Brüssel ereignet haben. Wenn aber gesagt wird - und das ist der eine Punkt, wo ich abweiche -, dies sei eine Folge verzögerter Reformen, ({18}) so muß man Ihnen sagen, daß heute die auf dem modernsten Leistungsstand befindlichen Betriebe in roten Zahlen sind. ({19}) Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß das die Situation von Betrieben der Landwirtschaft ist, die die modernsten reformerischen Erkenntnisse verwirklicht haben. Das heißt, daß zu überkommenen strukturellen Spannungen, die es auch in unserer Regierungszeit gegeben hat, für die man uns kritisieren kann, hinzugekommen sind die Folgen einer falschen Wirtschaftspolitik und auch der Tatsache, daß man die Aufwertung der Deutschen Mark ohne eine europäische Absicherung vollzogen hat, ({20}) daß man nicht in der Lage war, das durchzusetzen, was Frankreich durchgesetzt hat - ich darf Ihre Frage beantworten -, was Frankreich wenige Monate vorher bei seiner nationalen währungspolitischen Entscheidung erreicht hat, nämlich eine Grenzausgleichsabgabe, um diesen verhängnisvollen Verdrängungsprozeß zu unterbrechen. ({21}) Herr Kollege Schiller hat vor kurzem mit großem Ernst auf die Gefahr einer wachsenden Inflationsmentalität hingewiesen, einen Punkt, den wir schon im vergangenen Jahr unter heftigem Widerspruch hier angesprochen haben. Dies wird nicht nur in Preisentscheidungen der Unternehmer und in Tarifforderungen der Gewerkschaft sichtbar, sondern auch in dem weiter verstärkten Drang nach immer mehr Staatseingriffen, im Nachlassen der spontanen gesellschaftlichen und persönlichen Aktivität, der Bereitschaft, zumutbare Risiken einzugehen, von der ein freiheitlicher Staat lebt. Dieser Prozeß macht auch Ergebnisse der neuen Gesetzgebung zunichte, von denen der Bundeskanzler hier gesprochen hat. Man betrachte einmal die gesellschaftspolitische Situation in der Sparentwicklung, in der Vermögensbildung - trotz der Verdoppelung des Betrages im 312-DM-Gesetz -, man sehe sich die Situation der Rentner und Kriegsopfer an - trotz der Verbesserungen, die wir in diesem Hause beschlossen haben -, ({22}) dann wird deutlich sichtbar, daß Stabilität und Reformpolitik eng zusammenhängen. Die Fragen der inneren Reformen sind also nicht ausschließlich mit der staatlichen Finanzplanung verbunden. Aber auch in den anderen Bereichen reformerischer Bemühungen können die bisherigen Ergebnisse nicht befriedigen. Das gilt für den Wechsel unüberlegter Entwürfe in der Justizpolitik, die tiefgreifenden Widersprüche in den qualifizierten Zielvorstellungen der Bildungsplanung. Soll nun der Numerus clausus an den Hochschulen beseitigt werden, wie die Bundesregierung verkündet, oder sollen im Jahre 1980 nur noch 50 % statt heute fast 90 % eines Abiturientenjahrganges an die Hochschulen kommen, wie die gleiche Bundesregierung, das gleiche Ressort, in anderen Papieren erklärt? In diesen elementaren Fragen, die mit den Lebensentscheidungen junger Menschen zusammenhängen, brauchen wir doch endlich Klarheit und verläßliche Unterlagen für die Meinungsbildung auch in diesem Hause. ({23}) Wir haben als Fraktion in den letzten Monaten zahlreiche wichtige Reformvorschläge für die weitere Modernisierung unseres Landes hier eingebracht. Einige von ihnen - wie der zur Erweiterung der Bundeszuständigkeit im Hochschulwesen oder der zur Neuordnung des Besoldungsrechts - haben nach anfänglicher Kritik Mehrheiten gefunden; sie sind geltendes Recht geworden. Andere - wie unser Gesetzentwurf zum Beteiligungslohn als Kernstück einer modernen Vermögenspolitik - sind seit langem in den Ausschüssen, ohne daß es trotz des Hinweises des Bundeskanzlers auf die Wichtigkeit der Vermögenspolitik bis heute eine Stellungnahme und eine entsprechende Konzeption der Regierung gibt. ({24}) Zu weiteren Themen - Städtebauförderung, Betriebsverfassung, Umweltschutz, Krankenhausreform - stehen unsere Vorlagen in einem konstruktiven Wettbewerb mit denen der Regierung. Es wird weiter Bereiche grundsätzlicher Meinungsgegensätze geben, in denen Mehrheiten entscheiden müssen. Aber niemand, meine Damen und Herren, sollte übersehen, daß bestimmte große Aufgaben in unserer bundesstaatlichen Ordnung von der Verfassung oder von der Sache her nur durch Zusammenarbeit gelöst werden können. Die 'Regierung, die Mehrheit muß diese Punkte, wie ich glaube, deutlicher erkennen und ihre Politik auch darauf einrichten. Vor allem aber hat sie endlich auf die zentralen Fragen nach den politischen und finanziellen Voraussetzungen für eine reale Reformpolitik zu antworten, die zum Schaden der Sache und entgegen den vorherigen Ankündigungen bis heute nicht beantwortet wurden. ({25})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister. Dr. h. C. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Große Anfrage über das Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu innenpolitischen Vorhaben eingereicht und soeben durch Herrn Kollegen Stoltenberg begründen lassen. Ich muß sagen, wer die Antwort der Bundesregierung -- das, was die Bundesregierung zu ihrem Arbeitsprogramm aussagt, und die anschließende Ubersicht - aufmerksam studiert, wird objektiv zugeben müssen, daß es in diesem Hohen Hause noch keine so eingehende, in der Sache präzise und überzeugende Antwort gegeben hat wie die, die die Bundesregierung hier vorlegt. ({0}) Wenn Sie sich diese Dokumentation von 24 Druckseiten ansehen, werden Sie mir zugeben müssen, daß vielleicht sogar - das wäre eine Entschuldigung - den vorangegangenen Bundesregierungen die technischen Voraussetzungen gefehlt haben, um überhaupt eine solche Konzeption des innenpolitischen Programms nach 16monatiger Tätigkeit vorzulegen. ({1}) Nun, die Opposition wird nicht müde, der Bundesregierung zu unterstellen, ihr Arbeitsprogramm sei finanziell nicht abgesichert. ({2}) Deswegen ist es sehr natürlich, daß ich mich jetzt mal melde, um zunächst einmal zu diesem Teil der Antwort einiges zu sagen. Die Antwort der Bundesregierung hat sich ja des öfteren auf den Finanzplan bezogen und in diesem Punkt Aussagen fixiert, zu denen man noch einige erklärende Bemerkungen machen muß. Ich bitte Sie sehr, sich zu bemühen, auch diese finanzwirtschaftliche Seite einmal so objektiv zu würdigen, wie sie die Bundesregierung betrachten muß. Die Finanzplanung, mit der wir uns hier im Herbst zu befassen haben, ist jener regierungsinterne Abstimmungsprozeß, in dem die für einen Planungszeitraum zu erwartenden Einnahmen ermittelt und nach den politisch-programmatischen Vorstellungen den verschiedenen staatlichen Aufgabenbereichen zugeordnet werden. Die bloße Bewältigung der anstehenden Finanzierungsprobleme reicht jedoch nicht aus. Sie muß von einer inhaltlichen und zeitlichen Koordinierung der einzelnen Arbeitsabläufe begleitet sein. Diesem Zweck dient unser Arbeitsprogramm. Als die Bundesregierung am 22. Oktober vorigen Jahres dieses Programm, auf das auch Herr Kollege Stoltenberg hingewiesen hat, aufstellte, hat sie keinerlei zusätzliche, im geltenden Finanzplan nicht berücksichtigte ausgabenwirksame Reformvorhaben beschlossen. Es wurde vielmehr ausdrücklich festgelegt, daß die einzelnen Reformvorhaben nur in dem Umfang Bestandteil des Arbeitsprogramms werden, als sie im Finanzplan 1970 bis 1974 abgesichert sind. Was darüber hinausgeht, sind lediglich Entwürfe und Konzepte, über deren etwaige Realisierung erst bei einer Fortschreibung des Finanzplans entschieden werden kann. Wenn immer wieder behauptet wird, das Arbeitsprogramm sei finanziell nicht abgesichert, so kann das lediglich im Sinne der Binsenwahrheit gemeint sein, daß der Finanzplan 1970 bis 1974 in seinem Zahlenmaterial selbstverständlich Veränderungen unterliegt. Diese Feststellung kann nur jene überraschen, die sich vom Wesen der Finanzplanung unzutreffende Vorstellungen machen. Da viele wichtige Einnahme- und Ausgabeansätze durch Gesetz und Vertrag bestimmt werden, sind sie auch bei unverändertem Recht angesichts der Verschiedenartigkeit der grundlegenden Wirtschaftsfaktoren reine Erwartungsgrößen. Sie entziehen sich damit der Gestaltung durch die Bundesregierung. Die Steuereinnahmen werden ebenso mit einem Schätzungsrisiko ermittelt wie die Ausgaben im Bereich der Sozialpolitik, der Sparförderung oder der landwirtschaftlichen Marktordnung, um nur einige wichtige Beispiele zu nennen. Daher kann das Zahlenbild des Finanzplans letztlich nur am Tag seiner Verabschiedung in allen Details stimmen. In der Distanz von Monaten oder gar ein Dreivierteljahr später besitzen wir neue Erkenntnisse über die Daten, von denen Einnahmen und Ausgaben abhängen. Auch wenn wir dann im geltenden Finanzplan die überholten Zahlen durch aktuelle ersetzten, wäre es reiner Zufall, wenn die jährlichen Einnahmen mit den Ausgaben in Einklang stünden. Ein solcher Zufall ist in der Bundesrepublik, seit Finanzpläne aufgestellt werden, noch nicht eingetreten. Aus eben diesem Grunde hat der Gesetzgeber die Regierung beauftragt, den Finanzplan jährlich anzupassen und fortzuschreiben. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie uns nun die Alternative aufzwingen wollen, entweder den Finanzplan gewissermaßen täglich anzupassen oder uns dem Makel unsolider Finanzwirtschaft auszusetzen - diese Unterstellung könnte man hinter der einen oder anderen Aussage von Ihnen vermuten -, so muß ich mit aller Entschiedenheit sagen, daß immer nur der jeweilige Haushaltsplan für Parlament und Regierung bindend sein kann. Ich würde den Sorgen der Opposition gewiß jedes gewünschte Gewicht beimessen, wenn sie mir in der Vergangenheit nicht vielfach Anlaß gegeben hätte, an der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Prophezeiungen zu zweifeln. Seit nämlich die Koalition aus SPD und FDP in Bonn die Regierung stellt, hagelt es Unterstellungen. Erstens. Wir haben von der Opposition bezüglich des Bundeshaushalts 1970 immer wieder zu hören bekommen, daß er preistreibende Wirkungen habe. Man ging sogar so weit, von einem prozyklischen Trend zur Erhöhung der Staatsausgaben, von einer Ausgabeneuphorie, ja, vom Bundeshaushalt 1970 als dem einzigen und alleinigen Inflationsmotor zu sprechen. Wie stellt sich dagegen die tatsächliche Entwicklung dar? Mit Rücksicht auf die konjunkturelle Lage Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller steuerte die Bundesregierung einen stabilitätsorientierten haushalts- und finanzpolitischen Kurs. Das vorgesehene Ausgabenvolumen von 91,4 Mililarden DM wurde um 2,1 Mililarden DM auf 89,3 Milliarden DM gekürzt. Zusätzliche Haushaltssperren von 440 Millionen DM verringerten die Wachstumsrate des Haushaltssolls auf 9 v. H. gegenüber einer Bruttosozialproduktsteigerung von mehr als 12 v. H. Von einem nicht stabilitätsorientierten Ausgabenvolumen, wie es die Opposition in ihren wiederholten Vorwürfen betonte, konnte also von Anfang an nicht die Rede sein. Die zusätzliche restriktive Haushaltsführung 1970 brachte uns ein HaushaltsIst-Ergebnis, das mit einem Volumen von 87,2 Milliarden DM und einer Steigerungsrate von rund 7 v. H. noch wesentlich niedriger als die geplante Zuwachsrate lag. Vom Ergebnis her gesehen betrieb also die Bundesregierung eine erfolgreiche restriktive Ausgabenpolitik, die alle düsteren Prophezeiungen untergehen ließ. Zweitens. Nicht viel anders verhielt es sich mit den Anschuldigungen der Opposition, als es um die Einbringung des Bundeshaushalts 1971 ging.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht? - Bitte!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, würden Sie mir zustimmen, daß gerade das Ergebnis des Haushaltsjahres 1970, das sicherlich mit Ihr Verdienst ist, von der Opposition in den Zahlen bereits zu Beginn des Jahres 1970 gefordert wurde, aber von Ihnen und der Koalition als unmöglich durchführbar abgelehnt wurde? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Sie haben bestimmte Entschließungsanträge in der dritten Lesung des Bundeshaushalts 1970 gestellt, ({0}) die von der Koalition abgelehnt worden sind und, wie ich meine, zu Recht abgelehnt worden sind, weil eben der Rest der Entwicklung des Jahres 1970 nicht so voraussehbar war, wie Sie das von Ihrer Antragstellung aus vermutet haben. ({1}) Deswegen, Herr Kollege Leicht, ist ein Entschließungsantrag angenommen worden, der im Grundsatz dieselben Aufforderungen an die Bundesregierung enthielt, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag im einzelnen aufgeführt haben. Aber wenn Sie sagen, Herr Kollege Leicht, Sie hätten recht gehabt mit dieser Ihrer Vorstellung, dann sind wir nicht sehr weit auseinander. Sie haben immer behauptet, Sie würden mit einer solchen Prognose recht behalten, aber die Bundesregierung und ihr Bundesfinanzminister wären nicht in der Lage, eine solche restriktive Haushaltsführung im Jahre 1970 durchzusetzen. Das ist doch der entscheidende Punkt, der uns im Jahre 1970 in Streitgespräche gebracht hat. Hier festzustellen, daß wir uns konjunkturgerecht verhalten haben, ist notwendig, um einmal klarzustellen: ist die Finanzplanung, ist die finanzwirtschaftliche Arbeit der Bundesregierung seriös oder nicht? Denn die Beantwortung dieser Frage hängt auch zusammen mit dem, was Sie mit Ihrer Großen Anfrage zum Ausdruck bringen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer? -- Bitte!

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, ist Ihnen bekannt, daß im Februar-Bericht der Deutschen Bundesbank festgestellt wird, daß die öffentlichen Haushalte nicht konjunkturneutral, sondern konjunkturerhitzend waren? Und ist Ihnen weiter bekannt, daß durch das Verhalten der Bundesregierung im Finanzplanungsrat die anderen Bereiche - Länder und Gemeinden - dazu veranlaßt worden sind, sich so zu verhalten? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Nein, Herr Kollege Althammer, das entspricht nicht den Realitäten, was Sie sagen. Wenn Sie von diesem Bericht der Bundesbank ausgehen, müßten Sie festhalten, daß die Bundesbank das Verhalten des Bundes und die konjunkturgerechte Haushaltsführung des Bundes nicht zu beanstanden vermag, daß sie aber einiges auszusetzen hat an der Haushaltsführung der Länder und Gemeinden, und das hat sich bis zum heutigen Tage noch nicht geändert. Wir werden uns irgendwann auch im Hinblick auf die Beratungen im Finanzplanungsrat damit zu beschäftigen haben, wie wir in bestimmten konjunkturpolitischen Phasen in der Lage sind, einen stärkeren, bindenderen Einfluß auf die Haushaltsführung der Gemeinden zu sichern, als das im bisherigen Ablauf der Fall war. Aber nun wieder zum Bundeshaushalt 1971. Damals hieß es, ein Etat von 100 Milliarden DM sei geradezu abenteuerlich. Die geplante Steigerungsrate von 12 % wurde in Grund und Boden verdammt und der Haushalt 1971 als eine Inflationsquelle erster Ordnung hingestellt. Angesichts der ersten erkennbaren Zeichen, daß die von der Bundesregierung im Juli 1970 eingeführten steuerlichen Stabilisierungsmaßnahmen konjunkturelle Erfolge zeitigten und die Gefahr einer stärkeren Konjunkturabschwächung für 1971 nicht ausgeschlossen werden konnte, forderte die Opposition eine Aufteilung des geplanten 100-Milliarden-Etats in einen Kern- und einen Eventualhaushalt. Die Opposition hielt es für völlig unverantwortlich, einen Haushaltsentwurf einzubringen, der schon vorausschauend auf die möglichen konjunkturellen Entwicklungen des Jahres 1971 abgestellt war. Bei der Einbringung des Haushalts 1971 im September 1970 habe ich hier im Hohen Hause erklärt, daß sich die Bundesregierung die Prüfung der gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen für die angestrebten AusgabensteigeBundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller rungen vorbehalte und daß die Gestaltung und Abwicklung des Haushalts 1971 naturgemäß von der Konjunkturlage dieses Jahres abhänge. Aber davon wollte die Opposition damals einfach keine Kenntnis nehmen. Als es dann um die Verabschiedung des Haushalts 1971 ging, paßte er auch für die Opposition in die konjunkturelle Landschaft, und von einer Teilung in Kern- und Eventualhaushalt sowie einer Senkung der Zuwachsrate war keine Rede mehr. Auch hier zeigt sich wieder: Die Opposition richtet sich in ihrer Kritik an der Bundesregierung lediglich an den jeweiligen Gegebenheiten aus. Andern diese sich kurzfristig, so schwenkt sie einfach um. Das beste Beisiel dafür liefert das plötzliche Einschwenken der Opposition auf den 100-Milliarden-Etat zu dem Zeitpunkt, als die Gemeinschaftsdiagnose der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute und das Sachverständigengutachten vorlagen, worin mit einer Konjunkturabschwächung für 1971 gerechnet wurde. Wurden im vergangenen Jahr die Ausgabenseite und ihre Steigerungsrate im Bundeshaushalt kritisiert, so betreffen die Vorwürfe der Opposition heute auch die Einnahmeseite. Dies gilt z. B. für die Frage der Kreditfinanzierung. Die Opposition erklärt immer wieder, welche schädlichen Auswirkungen die Kreditaufnahme des Staates unter konjunkturellen und finanzwirtschaftlichen Aspekten habe. Die hohe Sparquote von 14,2 % im zweiten Halbjahr 1970 hat unsere bisherige Auffassung bestätigt, daß mittelfristig mit einer höheren Geldvermögensbildung gerechnet werden darf, und zwar auf Grund der von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen zur Vermögensbildung und des weiteren Ansteigens der Sparfähigkeit breiter Schichten. Ich benutze die Gelegenheit, um das Hohe Haus noch einmal daran zu erinnern, daß wir im vorigen Jahr einige Male in diesem Hohen Haus Diskussionen darüber geführt haben, ob die Sparquote absinken würde oder ob sie sich halten bzw. sogar erhöhen könnte. Während wir der Auffassung waren, daß wir sicher damit zu rechnen hätten, daß sich die Sparquote in etwa konstant hält und sich später nach oben entwickelt, waren Sie völlig anderer Meinung. Auch hier ist das Schlußergebnis per 31. Dezember 1970 völlig in unserem Sinne überzeugend. ({0}) Gerade das Ansteigen der Sparquote und die Beibehaltung auf einem hohen Niveau werden es uns ermöglichen, einen Teil der Infrastrukturausgaben mit Kredit aus echtem Sparkapital und somit preisneutral zu finanzieren. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, welche Ausgaben und Steuerausfälle dem Bund und den Ländern nur durch die Novellierung des Gesetzes zur Vermögensbildung entstehen. Wir rechnen im Jahr 1971 mit Steuermindereinnahmen in Höhe von 1550 Millionen DM und mit Prämienmehrausgaben in Höhe 440 Millionen DM auf Grund des Gesetzes zur Vermögensbildung. Das ist allein für das Jahr 1971 ein Betrag von rund 2 Milliarden DM, mit dem wir diesen Sparvorgang fördern und der uns auch zu diesem Optimismus hinsichtlich der Bildung echten Sparkapitals ermutigt. Also auch in diesem Punkt ist das ständige Gerede von einer inflationsfördernden Staatsfinanzierung schlicht gesagt falsch. Abschließend muß ich feststellen: Die KassandraRufe der Opposition zu den beiden Haushalten 1970 und 1971 sind verhallt; die Opposition sollte sich nun entschließen, davon abzugehen, an allem, was die Regierung tut, Kritik zu üben, um damit Unsicherheit und Mißtrauen zu erzeugen. Bei dieser Kritik handelt es sich leider sehr oft nicht um das gesunde Mißtrauen, das durchaus in einem offenen demokratischen Staat gerechtfertigt sein kann. Es überrascht mich, daß die Opposition einen so außerordentlichen Eifer an den Tag legt, wenn es darum geht, unsere Planungen bis in die fernste Zukunft auf alle möglichen Risiken abzuklopfen. Als sie selbst noch die Regierung stellte, hat sie jahrelang das Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben den Beschwernissen einer sorgfältigen Planung vorgezogen. ({1}) In der Tat braucht derjenige, der überhaupt keine Planung betreibt, auch in diesem Punkt keine Kritik zu fürchten. Insofern ist Planlosigkeit sicher ein Vorteil. Nun hat aber inzwischen doch wohl ein Lernprozeß stattgefunden, den wir alle begrüßen. Wie wenig fundiert jedoch die wiederholten Beschwörungen immer neuer und möglichst hoher Deckungslücken sind, zeigt die erstaunliche Bandbreite der genannten Zahlen. Ich darf dazu bemerken: Soweit die in Umlauf gesetzten Zahlen auseinanderklaffen, vermögen sie weder in der einen noch in der anderen Größenordnung etwas über die Finanzlage des Bundes auszusagen. Die Arbeiten zur Anpassung und Fortschreibung des geltenden Finanzplanes sind seit einiger Zeit im Bundesfinanzministerium angelaufen - übrigens früher im Jahre als je zuvor. Wir haben zu diesem Zwecke Zwischenbilanzen aufgestellt, die jeweils Momentaufnahmen von Planungsprozessen darstellen. Daß dabei schwerwiegende Probleme auf der Einnahmen- und Ausgabenseite des Finanzplanes sichtbar geworden sind, will ich ohne jeden Abstrich von dieser Tatsache feststellen. So ergab die nicht von mir zu verantwortende Steuerschätzung vom 8. Februar dieses Jahres unter dem Eindruck des im vergangenen Jahr hinter den Ansätzen zurückgebliebenen Steueraufkommens für den Bund eine Reduzierung auch der Schätzungen für die Jahre 1972 bis 1974 um jeweils 11/2 bis 2 Milliarden DM pro Jahr. Diese Entwicklung ist zweifellos unerfreulich, kann jedoch angesichts eines Gesamtsteueraufkommens des Bundes von durchschnittlich rund 100 Milliarden DM jährlich nicht zur Panikmache Anlaß geben. Durch einige wahrscheinlich auf uns zukommende Maßnahmen wird die Einnahmenseite des Finanzplanes ebenfalls berührt. Die Finanzbeziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften werden auf eine neue Grundlage ge6412 Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller stellt. Die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Einnahmenseite lassen sich gegenwärtig noch nicht mit hinreichender Klarheit erkennen. Ein Weiteres. Die Steuerreform liegt vor uns, die zwar grundsätzlich keine Verminderung der Steuereinnahmen ergeben soll, aber z. B. durch die angestrebte Reform des Familienlastenausgleichs und der Vermögensbildung durchaus zu finanziellen Verschiebungen zwischen Einnahmen- und Ausgabenseite des Haushaltes führen kann. Auch die Ausgabenseite des geltenden Finanzplanes ist mit Risiken belastet. Der Mehrbedarf gegenüber den Ansätzen im Finanzplan ergibt sich schon allein auf Grund des geltenden Rechts, wobei ich in diesem Zusammenhang an die mit der Wirtschaftsentwicklung automatisch verknüpften Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger, die Dynamisierung der Kriegsopferversorgung und die teilweise Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens für den Straßenbau erinnern möchte. Die Anschlußabkommen zum Devisenausgleich sowie die Finanzsituation von Bahn und Post oder die sehr begrüßenswerte starke Inanspruchnahme des Vermögensbildungsgesetzes werden zusätzliche Ausgaben für den Bundeshaushalt mit sich bringen, denen wir uns nicht entziehen können. Auch die deutsche Landwirtschaft wollen wir doch gemeinsam in ihrer derzeitigen Situation nicht sich selbst überlassen. Daß auch darüber hinaus noch viele Wünsche vorgetragen werden - wer weiß das nicht in diesem Hohen Haus! Aber war das je anders, wenn ein Haushalt, wenn ein Finanzplan aufgestellt wurde? Es ist völlig klar - ich spreche diese Tatsache offen aus -, daß nicht alle diese Ausgabenwünsche noch neben den im geltenden Finanzplan enthaltenen oder auf Grund von Verpflichtungen zusätzlich einzustellenden Maßnahmen finanziert werden können. Die Darstellung des Mehrbedarfs ist im übrigen nur die halbe Wahrheit, denn einmal ergeben sich immer wieder im Haushalt auch Einsparungsmöglichkeiten, zum anderen hat die Bundesregierung bei Aufstellung des geltenden Finanzplans für auftretenden zwangsläufigen Mehrbedarf eine Verfügungsreserve gebildet. ({2}) Aus der dennoch erforderlichen Zurückstellung mancher wünschenswerten, aber nicht unabweisbaren neuen Maßnahmen den Schluß zu ziehen - wie Sie es vielleicht tun -, die Finanzkatastrophe sei da, ist ganz sicher unberechtigt. Sie wissen selbst, daß mit der beinahe naiv anmutenden Auswertung bunter Wunschlisten keine zutreffende finanzwirtschaftliche Lageskizze entsteht. Das manchmal von Ihnen gezeichnete Bild der Bundesfinanzen enthält oft falsche Farben, zuviel schwarz, was natürlich naheliegt. Eines verstehe ich allerdings nicht: daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, aus dem von Ihnen gemalten düsteren Bild der Bundesfinanzen nicht die in einem solchen Falle einzig richtige Konsequenz ziehen: Sie sollten darauf verzichten, im Bundestag immer wieder neue Gesetzesvorlagen und Anträge einzubringen, die zusätzliche Belastungen bedeuten, ({3}) weil sie im geltenden Finanzplan nicht enthalten sind und diskutable Umschichtungsmöglichkeiten von Ihnen nicht genannt werden. ({4}) Ich denke da z. B. an Ihre Anträge zur Krankenhausfinanzierung, ({5}) zur Altershilfe für Landwirte und zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes sowie des Aufwertungsausgleichsgesetzes. - Nein, Herr Stoltenberg, es handelt sich hier um unsere Meinungsverschiedenheit, ob wir diesen Weg wählen, der ja kein neuer Weg ist - sonst hätten wir nicht die Öffa -, oder ob wir mit Zuschüssen, also dadurch, daß wir selbst entsprechende Mittel am Kapitalmarkt aufnehmen, die Finanzierung übernehmen. ({6}) Wir haben uns der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe folgend zu dem Weg entschlossen, den Sie aus unserem Gesetzentwurf kennen. Nun ein Wort, Herr Kollege Stoltenberg, zur Frage der Bildungsreform und des Bildungsplans. Sie wissen, daß die Bildungsreform nicht vom Bund allein gemacht wird, sondern sie muß gemeinsam von Bund und Ländern geplant und verwirklicht werden. Die auf Grund des Bund-Länder-Abkommens vom 25. Juni 1970 eingesetzte Bildungsplanungskommission befaßt sich zur Zeit mit der Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsgesamtplans einschließlich eines gemeinsamen Bildungsbudgets, was ja dazugehört. Innerhalb welcher Fristen die gemeinsam festzulegenden Ziele verwirklicht werden und welchen Maßnahmen der Vorrang einzuräumen ist, hängt nicht zuletzt von den Finanzierungsmöglichkeiten ab. Daher können die Realisierungsfristen und die Realisierungsquoten für die einzelnen Maßnahmen nur in ständiger Wechselwirkung mit den Arbeiten zur Aufstellung des Bildungsbudgets festgelegt werden. ({7}) Wie die Fraktion der CDU/CSU in ihrem Antrag betreffend Finanzperspektiven für die Bildungsplanung für die Jahre 1971 bis 1980 - Drucksache VI/1269 - zutreffend feststellt, setzt die Aufstellung des Bildungsbudgets Klarheit darüber voraus, welche Beträge im öffentlichen Gesamthaushalt, also von Bund, Ländern und Gemeinden, für die Finanzierung der Bildungsreform längerfristig zur Verfügung gestellt werden können. Diese Daten werden zur Zeit im Finanzplanungsrat von einer besonderen Expertenkommission ermittelt. Diese Expertenkommission ist im Herbst vergangenen Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Jahres auf Grund einer Vereinbarung des Herrn Bundeskanzlers mit allen Ministerpräsidenten eingesetzt worden, und in ihr sind Bund, Länder, kommunale Spitzenverbände, Sachverständigenrat, Bundesbank und die wirtschaftswissenschaftlichen Institute vertreten. Die Bundesregierung kann auf diese Vorarbeiten ebensowenig verzichten wie die Länder, und wenn sie abgeschlossen sind, werden wir zu einem gesamtwirtschaftlich und finanziell abgestimmten längerfristigen Gesamtkonzept von Bund, Ländern und Gemeinden kommen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Bitte schön! ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da mich der Bundesfinanzminister angesprochen hat, möchte ich ihm folgende Frage stellen. Bedeutet diese Darstellung, daß das im vergangenen Jahr formulierte Ziel, im Juni oder spätestens im Sommer dieses Jahres zu einer verbindlichen Finanzperspektive für das Bildungswesen im Bildungsplan zu kommen, nicht mehr erreichbar erscheint? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Ich hoffe, daß wir dieses Ziel erreichen; denn die Arbeiten am Bildungsplan und Bildungsbudget sind auch in der Expertenkommission des Finanzplanungsrates vorgezogen worden. Hier erfolgt eine entsprechende Abstimmung. Aber wir sind uns sicherlich in der Feststellung einig, daß man diesen Bereich nicht allein sehen darf, sondern daß er im Gesamthaushalt eine wesentliche Rolle spielt. Das war auch Gegenstand des Gesprächs zwischen dem Herrn Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten, nämlich daß es darauf ankommt, durch diesen Expertenstab eine Bedarfsermittlung der öffentlichen Hand vorzunehmen, damit wir von exakten Zahlen ausgehen können. Man hat diese Zusammensetzung des Expertenstabs gewählt, um von vornherein die Mitarbeit aller an diesem Werk interessierten Kräfte sicherzustellen. Meine Damen und Herren, dann ist noch eine Bemerkung zu den Gemeinden und zur Frage der Gemeindefinanzierung gemacht worden. Ich möchte hier doch feststellen, daß sich der kleinere Partner in der Großen Koalition, nämlich die SPD, ganz besonders um die Gemeindefinanzreform bemüht hat und daß wir wahrscheinlich in der Finanzreform der Gemeinden schon ein Stück weiter wären, hätten Sie damals die Entschlossenheit gezeigt, die in letzter Zeit in verschiedenen Reden und Aussagen in diesem Hohen Hause erkennbar geworden ist. ({0}) - Ja, meine Herren, da hat sich doch einiges geändert! Sie wissen, daß wir uns bei der Finanzreform, um ein Beispiel zu nennen, im Vermittlungsausschuß bemüht haben, nicht nur die Universitäten, sondern alle Hochschulen in das Institut der Gemeinschaftsaufgaben hineinzubringen. Das ist doch schließlich nicht am Widerstand der SPD gescheitert. Mehr will ich dazu nicht sagen. ({1}) Es gibt darüber ein sehr interessantes Protokoll einer Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in der 5. Legislaturperiode. Lesen Sie bitte nach, welcher Minister in dieser Sitzung des Rechtsausschusses Wert darauf gelegt hat, daß z. B. die Fachhochschulen von dem Institut der Gemeinschaftaufgaben nicht erfaßt werden. Hier hat sich in der Willensbildung einiges vollzogen, und das wird von uns selbstverständlich begrüßt. Wir haben jedenfalls mit diesem Teil der Gemeindefinanzreform im Jahre 1970 eine Umverteilung der Steuern zu Lasten des Bundes, zum kleineren Teil zu Lasten der Länder, in einer Höhe von immerhin 21/2 Milliarden DM erreicht. Diese 21/2 Milliarden DM haben die Gemeinden in der Hauptsache vom Bund und zusätzlich von den Ländern erhalten. Dabei sind wir durchaus bemüht, die Gemeindefinanzreform noch in dieser Legislaturperiode fortzuführen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht.

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Finanzminister, die positiven Auswirkungen der Finanzreform werden anerkannt. Aber muß man nicht gleichzeitig auch sagen, daß diese günstigen Auswirkungen der Finanzreform gerade im Bereich der Gemeinden durch die wirtschaftliche Entwicklung - Preissteigerungen usw. - leider wieder voll aufgehoben worden sind? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Ich hatte mir vorgenommen, heute in meinen Ausführungen nicht auf Ihre alte „Sünde" zurückzukommen, die D-Mark-Aufwertung zu spät vorgenommen zu haben, und nicht die damit verbundenen Konsequenzen aufzuzeigen. ({0}) - Ja, ich wollte es nicht tun. Aber darüber, daß das eine Konsequenz ist, Herr Kollege Leicht, haben wir so oft diskutiert, daß auch eine weitere Diskussion unsere Standpunkte in dieser Frage sicherlich nicht ändern wird. ({1}) - Natürlich, dann müssen wir auch über die Unmöglichkeit reden, etwa das System der Grenz6414 Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller abgaben durchzusetzen. Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen doch ganz genau, daß das einfach im EWG-Raum nicht möglich ist - ({2}) - Aber, Herr Kollege Leicht, „die Franzosen haben es" : sie sind auch in einer ganz anderen Situation. ({3}) Übersehen Sie doch nicht, daß bei den Franzosen eine Abwertung und bei uns eine Aufwertung vorgenommen ist und daß es nun einmal bei den Ländern so aussieht, daß diejenigen als arm gelten, die abwerten, und diejenigen als reich gelten, die aufwerten. Daran kommen Sie nicht vorbei. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sprachen davon, daß sich im Rechtsausschuß in der Frage der Fachhochschulen ein Minister dagegen gewandt habe. Ich hätte gerne gewußt, welcher Minister das war. Das wäre doch sehr interessant für dieses Haus. ({0}) Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Das war mein verehrter Herr Vorredner. ({1})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg? Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Selbstverständlich.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da diese Frage, die meiner Auffassung nach mit der Gemeindefinanzsituation nichts zu tun hat, hier eine Rolle spielt, darf ich Sie fragen, Herr Kollege Möller, ob Ihnen auch bekannt ist, daß der damals zuständige Minister dies auf Grund eines einstimmigen Kabinettsbeschlusses getan hat, der vor allem von dem damaligen Bundesratsminister, Herrn Professor Schmid, im Interesse der Zusammenarbeit mit den Ländern dringend empfohlen wurde. ({0}) Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dieser Vorgang ist mir unbekannt, ({1}) da unsere Regierungsmitglieder nicht in der Lage waren, sich über Kabinettsbeschlüsse laufend zu informieren. Ich kenne den Vorgang nur aus dem Vermittlungsausschuß, und Sie wissen, daß wir uns im Vermittlungsausschuß um eine Lösung bemüht haben, wie wir sie jetzt nachträglich erfreulicherweise vollziehen konnten. Wir sind da also ein Stück weitergekommen, und wir werden wahrscheinlich auch in der Gemeindefinanzreform ein Stück weiterkommen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der allgemeinen Situation der Steuerumverteilung machen. Sie wissen ja, daß die Länder an der Mehrwertsteuer jetzt mit einem Anteil von 30 % beteiligt sind. Der Bund hat einen Anteil von 70 % Wenn man sich nun beispielsweise den Finanzplan des Freistaates Bayern ansieht, wird man feststellen, daß der Freistaat Bayern für das Jahr 1972 bereits einen höheren Anteil der Mehrwertsteuer für sich in Anspruch nimmt. Ich habe schon im Bundesrat darauf hingewiesen, daß wir so keine gemeinsame Finanzpolitik machen können. Es ist übrigens nicht nur der Freistaat Bayern, sondern leider auch das Land, aus dem ich komme, Baden-Württemberg, das eine ähnliche Finanzplanung vorgenommen hat; dort geht man auf 35 %, dann auf 37,5 %, dann auf 40 %, und zwar ohne jede Rechtsänderung. So kann man nicht zusammenarbeiten, und man kann so vor allen Dingen keinen Anspruch darauf erheben, einen Finanzplan zu vertreten, der seriös ist. Ich sage das von diesen Ländern. Meine Damen und Herren, wir stehen gegenwärtig in einem Zwischenstadium in der Fortschreibung des Finanzplans, in dem wir die konkreten, fast haushaltsmäßigen Auskünfte, die Sie fordern, nicht geben können. Ich will Ihnen die Berechtigung dieser Feststellung an den Ansätzen für die Steuereinnahmen nachweisen. Das Steueraufkommen für die Fortschreibung der mehrjährigen Finanzpläne wird jeweils auf der Grundlage der Daten der gesamtwirtschaftlichen Zielprojektion vom Arbeitskreis Steuerschätzungen ermittelt. In dem Finanzplan werden für das erste Jahr die Ansätze des laufenden Haushalts, für das zweite Jahr die Ansätze im Entwurf des nächsten Haushalts übernommen. Die voraussehbare konjunkturelle Entwicklung findet auf diese Weise einen Niederschlag in der Finanzplanung. Bei den Ansätzen für die drei letzten Jahre eines Planungszeitraums handelt es sich dagegen um Schätzungen, die auf dem projizierten stetigen mittelfristigen Wirtschaftswachstum basieren. Mögliche konjunkturelle Einwirkungen sind dabei nicht berücksichtigt, weil wir sie noch nicht kennen. Wenn ich sage, wir befinden uns gegenwärtig in einem Zwischenstadium der Fortschreibung, so will ich damit daran erinnern, daß wir eine hinreichend verläßliche Konjunkturprognose für das Jahr 1972 erst im weiteren Verlauf des Jahres werden erstellen können. Der Arbeitskreis Steuerschätzung wird im Herbst nochmals zusammentreten, um unter den dann erkennbaren konjunkturellen Aspekten die Steuereinnahmen für den Entwurf des Bundeshaushalts 1972 zu schätzen. Außerdem wird er eine neue mehrjährige Steuerschätzung bis 1975 auf der Grundlage der bis dahin sich abzeichnenden gesamtwirtschaftlichen Perspektiven mit allen Risiken vornehmen. Auch die Entwicklung der Steuereinnahmen 1971 dürfte dann Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller klarer erkennbar sein, so daß die bei der Fortschreibung des Finanzplans anzusetzenden jährlichen Steuereinnahmen sowohl in konjunktureller Hinsicht als auch von der kassenmäßigen Entwicklung her besser abgesichert sein werden. Schon jetzt möchte ich allerdings darauf hinweisen, daß die beiden letzten Jahre des kommenden Finanzplans wegen des für den 1. Januar 1974 vorgesehenen Inkrafttretens der Steuerreform ungewöhnlich hohe Schätzungsrisiken enthalten werden. Man muß sich noch darüber unterhalten, wie wir diese Schätzungsrisiken am besten mindern. Ich persönlich meine allerdings, daß für die letzten Jahre eines jeden Planungszeitraums mit gewissen Verzerrungen gerechnet werden muß. Zur Illustration darf ich die Steuereinnahmen des Jahres 1971 im jeweils geschätzten Ansatz und im tatsächlichen Aufkommen gegenüberstellen. Im ersten Finanzplan von 1967 bis 1971 belief sich die Schätzung auf 75,2 Milliarden DM, im zweiten Finanzplan von 1968 bis 1972 auf 77,9 Milliarden DM. Das tatsächliche Aufkommen betrug 83,6 Milliarden DM. Ob sich eine solche Entwicklung künftig wiederholen wird, hängt, wenn wir von Steuerrechtsänderungen absehen, vom weiteren Konjunkturverlauf ab. Die mit der Steuerschätzung verbundenen Risiken sollten daher nicht dramatisiert, sondern relativiert werden. Meine Damen und Herren, ein wichtiges Problem, mit dem wir uns zu befassen haben, besteht darin, daß die immer schneller wachsenden Anforderungen an den Staat mit den finanziellen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden müssen. Wir können dabei zwei Wege beschreiten: indem wir entweder das Leistungsangebot der öffentlichen Hand an den vorhandenen Mitteln orientieren oder die Finanzmasse unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Erfordernisse so weit verstärken, daß sie eine angemessene Versorgung der Bürger mit öffentlichen Leistungen besser sicherstellt als bisher. Die erste Alternative ist zweifellos bequemer. Sie wäre aber unsozial, weil sie vornehmlich die wirtschaftlich Schwachen treffen würde. Außerdem hätten wir das Problem damit nur auf kurze Sicht gelöst, weil Staatstätigkeit und Wirtschaftswachstum langfristig gekoppelt sind. Daß sich der Anteil des Staates am Sozialprodukt erhöht, ist eine Erfahrung, die alle hochentwickelten Industrieländer in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. Man kann den Staat heute nicht mehr auf die passive Rolle beschränken, die ihm im System des 19. Jahrhunderts zugewiesen war. Einmal sind die Ansprüche der Bürger an den Staat wegen der gesellschaftspolitischen Entwicklung in starkem Maße gestiegen, zum anderen bestehen in vielen Bereichen enge Wechselwirkungen zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft. Die öffentliche Leistungserstellung wird - wer will diese Tatsache bestreiten? - immer mehr zur entscheidenden Voraussetzung für eine produktivitätsorientierte privatwirtschaftliche Tätigkeit. Angesichts solcher Zusammenhänge erscheint es geradezu bedenklich, daß der Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt in unserem Land im Jahre 1970 mit rund 28 v. H. infolge der restriktiven Haushaltsführung auf den niedrigsten Stand in den vergangenen 10 Jahren zurückgefallen ist. Die hiermit verbundene Vernachlässigung des Ausbaus der Infrastruktur beeinträchtigt die Wachstumsmöglichkeiten unserer Wirtschaft auf längere Sicht und wirkt sich insofern doppelt negativ auf das Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft aus. Versäumnisse in der Vergangenheit und die notwendige Zukunftssicherung machen einen relativ ansteigenden Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt notwendig. An dieser Tatsache kommt heute niemand mehr vorbei. Dabei wird keinesfalls daran gedacht, den privaten Verbrauch nunmehr drastisch zu beschneiden. Es geht vielmehr darum, in Zukunft aus dem jährlichen Einkommen einen steigenden Anteil zur Finanzierung der Staatsleistungen freizustellen. Ein ausgeglichenes und kräftiges Wirtschaftswachstum erleichtert uns die Realisierung dieses Ziels. Der einzelne Bürger erkennt immer mehr, welche verhängnisvollen Wirkungen eintreten würden, wenn die notwendigen Reformen nicht verwirklicht werden. Er weiß, daß verstärkte öffentliche Ausgaben nicht einem anonymen Staatsgebilde, sondern jedem einzelnen von uns zugute kommen. Der größte Teil der Infrastrukturausgaben schafft erst die Voraussetzung für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum unter sozial befriedigenden Bedingungen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Ausweitung der öffentlichen Leistungserstellung den Wohlstand der Gesellschaft stärker zu erhöhen vermag als das weitere überproportionale Ansteigen des privaten Konsums im herkömmlichen Sinne. Die Bundesregierung hat aus diesen Erkenntnissen die notwendigen Folgerungen gezogen. Sie wird sich auch bei der Fortschreibung des Finanzplans im Herbst von dieser Tatsache leiten lassen und sie berücksichtigen und deswegen die dann der Lage gemäßen Schritte einleiten. Sie muß dafür aber die weitere wirtschaftliche und konjunkturelle Entwicklung besser überblicken, als das heute der Fall ist. Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es hat sich immer wieder gezeigt, daß ein gerade geltender Finanzplan durch zusätzliche berechtigte Ausgabenwünsche belastet wird. Bei der Fortschreibung des Finanzplans muß dann darüber entschieden werden, ob überhaupt und wie diese neuen Ausgabenwünsche erfüllt werden können. Auch wir haben uns in den kommenden Monaten mit solchen Fragen zu befassen, wobei ich einräume, daß die nach dem letzten Stand der Steuerschätzung absehbare Entwicklung uns diesmal besondere Schwierigkeiten bereitet. Solche Sorgen hat es aber auch früher gegeben. Herr Kollege Strauß wird sich sicher daran erinnern, daß sich während seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister zusätzliche Ausgabenwünsche zum großen Teil dadurch realisieren ließen, daß bei der Fortschreibung des Finanzplans die Einnahmen gegenüber der Schätzung im vorausgegangenen Finanzplan höher angesetzt werden konnten. Mit einer so erfreulichen Entwicklung kann ich in diesem Jahr nicht rechnen, obwohl die bisherigen Steuereingänge eine kleine Hoffnung anzeigen. Die Situation ist, wie ich schon sagte, wahrscheinlich komplizierter als in Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller den anderen Jahren vorher. Ich bin aber sicher, daß wir auch diesmal eine zufriedenstellende Lösung finden werden. Es dient jedoch ganz gewiß nicht der Sache, wenn wir Hals über Kopf versuchen würden, ohne hinreichend verläßliche Daten, gleichsam im luftleeren Raum, hier und heute unseren Finanzplan fortzuschreiben. Im Interesse unserer Bürger sollten wir uns alle verpflichtet fühlen, in einer so wichtigen Frage die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Um diese Unterstützung muß ich alle Mitglieder dieses Hohen Hauses aus der Verpflichtung meines Amtes im Zeichen unserer gemeinsamen Verantwortung für diesen demokratischen Staat bitten. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Althammer. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 20 Minuten angemeldet.

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 19. Februar 1971 hat die Sozialdemokratische Partei folgende Meldung veröffentlicht: Das Bundeskabinett wird auf einer Klausurtagung am nächsten Donnerstag über die zum Kardinalproblem gewordene Frage entscheiden, welche Vorhaben der innenpolitischen Reformprogramme noch finanziert werden können. ({0}) Das Finanzkabinett hat bereits am Dienstag wesentliche Vorarbeiten für die entscheidende Kabinettssitzung geleistet. Am Freitag erörtert der Finanzplanungsrat die finanzielle Situation der öffentlichen Hand insgesamt. Nach den Beratungsergebnissen dürfte zu erwarten sein, daß das Kabinett auf seiner Klausurtagung in der nächsten Woche den Kern des finanziell Möglichen in den Reformarbeiten herausarbeiten wird. Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Karl Schiller hat bereits die notwendigen Vorarbeiten für dieses Votum geleistet, wobei alle notwendigen Aspekte ins Auge gefaßt worden sind. Wenn wir damit vergleichen, was diesem Hohen Hause nun vorgelegt worden ist, dann müssen wir sagen: diese Aufgabe ist nicht geleistet worden. ({1}) Wir hatten noch die leise Hoffnung, daß entweder der Herr Bundeskanzler oder der Herr Finanzminister wenigstens in der heutigen Debatte das nachtragen würde. Ich stelle fest, weder der Bundeskanzler noch der Finanzminister, der einen Rückgriff auf eine bereits abgeschlossene Haushaltsdebatte vorgenommen hat, hat etwas Derartiges getan. Ich meine aber, daß diese Regierung und die Regierungsfraktionen nicht von der Frage befreit werden können: Was an Reformen ist finanzierbar und realisierbar, und was daran ist Illusion? ({2}) Die Öffentlichkeit stellt sich einfach die Frage: Gibt es 455 Reformen oder, wie Herr Wienand letzte Woche geschrieben hat, 200 Reformen, oder gibt es drei oder vier Reformen in einer Legislaturperiode? Hier müssen wir die Frage stellen: Will diese Regierung das vermeiden, was Herr Wehner auch in seinem „Stern"-Interview gesagt hat, nämlich nicht mitten im Sommer Weihnachtsbäume aufstellen, oder handelt diese Regierung und ihre Mehrheit nach dem Prinzip „alle Tage Weihnachten"? ({3}) - Herr Kollege Wehner, ich darf Ihnen eines sagen: ({4}) Sie haben in Ihrem Interview schon ein gutes Gespür dafür gehabt. Ihnen wird das Lachen noch vergehen ({5}) hinsichtlich dessen, was Sie hier an Reformen angepriesen haben und was Sie verwirklichen wollen. ({6}) - Herr Kollege Wehner, lassen Sie sich das Fernsehspiel „Alle Tage Weihnachten" noch einmal vorführen, wenn Sie es nicht gesehen haben; dann werden Sie sehen, zu welchem Irrsinnsalptraum so etwas werden kann. Sehen Sie sich das an, was diese Regierung aus dem Begriff „Reformen" gemacht hat, so daß heute draußen schon darüber gelacht wird. ({7}) - Herr Kollege Wehner, einmal ganz ernsthaft: das ist eine Frage, die unseren Staat und die Achtung, die unser Volk vor Zusagen jeglicher Regierung hat, im Kern berührt. ({8}) Ich werde Ihnen dafür jetzt ein Beispiel vorführen. Die Opposition hat versucht, dieser Regierung ein Rettungsseil zuzuwerfen, aber die Regierung hat das nicht in Anspruch genommen. ({9}) Sie hat heute wieder einmal den Versuch unternommen, die Stunde der Wahrheit hinauszuschieben. In dieser Koalition wird die Zeit der inflationistischen Versprechungen zu Ende gehen müssen. Wir haben heute den Eindruck, als verhalte sie sich wie ein überschuldeter Kaufmann, der den Tag des -Konkurses immer wieder hinausschiebt. ({10}) Aber am Schluß ist dann keine Konkursmasse mehr vorhanden. ({11}) - Bitte, Herr Kollege Wehner, beherzigen Sie doch das Wort von Herrn Stoltenberg mit dem In-ZuchtNehmen. ({12})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil wir um 13 Uhr zum Schluß kommen wollen. ({0}) Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat heute von dem Schreckgespenst einer Finanzlücke gesprochen, das gemalt würde. Ich darf feststellen, es war das Finanzkabinett dieser Regierung, das festgestellt hat, daß im Zeitraum der mittelfrisigen Finanzplanung eine Finanzlücke von 27 Milliarden DM entstanden ist. Wir haben dann lediglich die Frage gestellt, welche weiteren Risiken dazukommen, und wir sind leider Gottes auf eine wesentlich höhere Summe gekommen, die zwischen 35 und 40 Milliarden DM liegt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

I Herr Abgeordneter Dr. Althammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hermsdorf?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle hier die Frage: Warum hat eigentlich der Bundesfinanzminister in den Kabinettssitzungen einen Kürzungsvorschlag gemacht, der nun auch in Zeitungen nachzulesen war, und Einsparungen von 33 Milliarden DM in Idiesem mittelfristigen Zeitraum und von weiteren 14 Milliarden DM zur Diskussion gestellt? Es stand auch in den Zeitungen zu lesen, daß das Kabinett seinen Finanzminister mit diesem Vorschlag wieder nach Hause geschickt hat und daß im Mai darüber weiter beraten werden soll.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Walter Althammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gestatte keine Zwischenfrage. ({0}) - Herr Kollege Apel, ich bin gern bereit, Zwischenfargen zuzulassen, aber ich weiß, daß der Herr Präsident mir 5 Minuten nach 1 Uhr sagen wird, ich möchte zum Schluß kommen. Diese Situation möchte ich vermeiden. ({1}) Ich möchte Ihnen aber eines vorhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben im Jahre 1970 die gleiche Situation erlebt: Vor den Landtagswahlen hat man Versprechungen gemacht - Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und Abschaffung der Ergänzungsabgabe -, ({2}) und hinterher, nachdem die Wahlen zu Ende waren, hat man diese Dinge einkassiert. Genau dieselbe Situation erleben wir jetzt wieder. Jetzt wird nicht von notwendigen Kürzungen gesprochen, jetzt wird nicht von der Frage gesprochen, was noch vor der großen Steuerreform auf dem Steuersektor in bezug auf Erhöhungen geschehen muß, aber im Mai, wenn die Wahlen vorbei sind, soll hier offenbar auch etwas geschehen. ({3}) Ich möchte ganz kurz einige Kernreformen ansprechen, um die es hier geht. Da ist in erster Linie die Bildungsreform. Hier ist im Jahre 1969 ein Gesamtbetrag von 20 Milliarden DM aufgebracht worden für den Sektor Wissenschaft und Bildung, und zwar allein im Bildungsbereich, davon 67 % von den Ländern, 27 % von den Gemeinden und 6 % vom Bund. ({4}) Es reicht deshalb nicht aus, wenn gesagt wird, der Bund wird seine Anstrengungen erhöhen. Wir müssen vielmehr fragen: Wie sollen diese 80 Milliarden DM, die für das Jahr 1980 errechnet worden sind, von den Ländern und den Gemeinden aufgebracht werden? Dabei wissen wir doch heute schon, daß der Betrag von 80 Milliarden DM weit, weit untersetzt ist, daß wir mit einem Betrag von 100 bis 140 Milliarden DM rechnen müssen. Genau hier liegt die Frage, die auch der Herr Finanzminister vorhin berührt hat. Die Ministerpräsidenten der Länder verlangen eine bessere finanzielle Ausstattung, ({5}) und diese Regierung muß uns eine Antwort geben auf die Frage, wie die Umsatzsteuer ab 1. Januar 1972 verteilt werden soll. Es ist einfach unrealistisch, es ist unwahrhaftig, den Ländern und den Gemeinden die finanziellen Lasten aufbürden zu wollen und über die Frage, wie die Mittel für 94 % der Ausgaben aufgebracht werden sollen, von seiten dieser Regierung keine Aussage zu machen. ({6}) - Wir werden Gelegenheit haben, uns noch in dieser Woche im Ausschuß über die Realität der Finanzierungsvorschläge zu unterhalten. ({7}) Nehmen Sie einen anderen konkreten, sehr wichtigen Fall, nämlich das Problem des Wohnungsbaus! Die abfallende Tendenz im Wohnungsbau ist erschreckend. Im Jahre 1965 sind noch 600 000 Wohnungseinheiten erstellt worden. Im Jahre 1969, nachdem der SPD-Minister Lauritzen dieses Amt mehrere Jahre hatte, waren es nicht einmal mehr 500 000 Wohnungen. Noch schlimmer sieht die Situation im sozialen Wohnungsbau aus. Im Jahre 1960 eine Rekordziffer von 236 000 Wohnungseinheiten, im Jahre 1969 - der letzte Stand - eine Zahl von 131 000 Wohnungseinheiten. ({8}) Hier sagen nun alle Fachleute, angesichts einer Preissteigerung von rund 20 % - in Ballungszentren, wo die Wohnungsnot besonders groß ist, beträgt die Preissteigerung bis zu 50 % - ist es eine Illusion, zu glauben, mit diesen Vorschlägen, die die Regierung unterbreitet hat, auch nur auf den Stand zu kommen, den die CDU/CSU früher erreicht hatte. ({9}) - Sie kennzeichnen sich durch diese Haltung selbst. Das hören Sie nicht gern; ich weiß es. Nehmen wir einen anderen Bereich! Nehmen wir den Bereich des Umweltschutzes! Im Umweltschutz war es so wie in anderen Bereichen: ({10}) Im Fernsehen hat der Bundeskanzler Dinge gesagt, von denen er hier nicht gesprochen hat. Überhaupt, wenn man das Interview des Herrn Bundeskanzlers im Zweiten Deutschen Fernsehen nachliest. ({11}) hat man dort - in der Sendung „Bilanz" - die Auskünfte, die hier zur Frage der Finanzierung nicht gegeben worden sind. ({12}) Dort war die Frage gestellt: Sind das Reformen, die man eventuell auf Sparflamme kochen kann? ({13}) Antwort des Bundeskanzlers: Ja, da ist z. B. das Gebiet des Umweltschutzes. ({14}) Das also soll offenbar auf Sparflamme gekocht werden. Und das zeigt sich auch am sogenannten Sofortprogramm: keinerlei konkrete, auch finanzierbare und realisierbare Aussagen. ({15}) Die Summen, um die es dabei geht, sind enorm; hier kann man nicht auf die mittelfristige Finanzplanung verweisen, wenn es sich um etwa 250 Milliarden DM bis zum Jahre 1980 handelt ({16}) und uns dann die Regierung sagt, in der Beantwortung dieser Frage solle man auf die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahre 1974 sehen, in der aber zu diesen Dingen überhaupt keine Zahl enthalten ist. ({17}) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt ein noch viel krasseres Beispiel, das ich Ihnen hier auch vorführen möchte, nämlich das Beispiel des Straßenbaus. Im Haushaltsausschuß haben uns vor kurzem die Gesetzesvorhaben im Straßenbau vorgelegen, darunter auch die Bedarfsplanung von 1971 bis 1985. In dieser Bedarfsplanung ist festgehalten: nach dem Preisindex von 1969 werden 125 Milliarden DM benötigt. ({18}) Nach der Auskunft der Regierung stehen für diesen Zeitraum 72 Milliarden DM zur Verfügung. Wenn Sie dies nun weiterrechnen und den Preisindex von 1970 - 20 % mehr - hinzunehmen, dann haben Sie weitere 25 Milliarden. Wenn Sie für 1971 nur 10 % Preissteigerung hinzurechnen, haben Sie wiederum 15 Milliarden, und wenn Sie dann so, wie der Bildungsplan es tut, für die künftigen Jahre nur 3 % pro Jahr rechnen, kommen Sie auf weitere 35 Milliarden und haben dann einen Bedarf von 200 Milliarden. ({19}) Nun sagt die Regierung dazu, in § 2 dieses Gesetzes stehe ja - und der Herr Bundeskanzler hat das heute in vielen Fällen so gesagt , daß sich das alles nach den finanziellen Möglichkeiten richte. ({20}) Wenn das so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, verstehe ich nicht, warum der Herr Bundesverkehrsminister in unserer ganzen Bevölkerung eine Broschüre verbreitet, in der er definitiv feststellt, daß bis zu diesem Jahre 1985 „fast dreimal mehr Autobahnen für nicht einmal doppelt so viele Kraftwagen" vorhanden sein werden. ({21}) Er hat dann gesagt, 95 % der Bevölkerung werden nicht weiter als 25 km von der nächsten Autobahn entfernt leben; er hat das abgestuft: 70 % soundso viele Kilometer entfernt usw. - Man muß hier doch folgendes sagen: Die Bevölkerung nimmt ja wohl solche Aussagen seitens der Regierung ernst? ({22}) - Man sollte davon ausgehen, daß die Leute draußen im Lande diese Dinge zunächst einmal noch ernst nehmen. Und hier komme ich auf diese Sorge zurück: Wenn sich diese Enttäuschung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ({23}) auf diesem Sektor durchsetzt, dann geht es eben nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer Partei in diesem Lande, ({24}) sondern dann ist das Problem angeschnitten, ob unsere Bevölkerung überhaupt noch auf verbindliche Aussagen einer Regierung vertrauen kann. ({25}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre hier notwendig gewesen - und das wäre die Aufgabe des Bundeskanzlers oder seines Finanzministers gewesen -, klar zu Fragen Stellung zu nehmen. Ich möchte diese Fragen noch einmal formulieren: Erste Frage. Ist es richtig, was der Herr Bundesfinanzminister Möller draußen, aber nicht hier gesagt hat, daß nämlich die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages und die Abschaffung des Ergänzungszuschlages erst 1974 erfolgen sollen? So haben wir es in den Zeitungen gelesen. ({26}) Ich frage hier: soll das so sein, oder soll das nicht so sein? ({27}) Ich stelle die zweite Frage: Ist es richtig, was Staatssekretär Reischl nach Pressemeldungen draußen gesagt hat, daß nämlich ab Oktober dieses Jahres die rund 6 Milliarden DM Konjunkturzuschlag -- ich sage dazu: ohne Rücksicht auf die Konjunktursituation - zurückgezahlt werden sollen? ({28}) Wir stellen diese Fragen hier, und auf diese Fragen möchten wie eine Antwort haben. ({29}) - Herr Kollege Wehner, das ist eine üble Unterstellung. ({30}) Ich stelle drittens die Frage: Wird der Herr Bundeskanzler diesen Vorschlag seines Finanzministers auf Einsparung von 33 Milliarden DM unterstützen, oder wird er ihn nicht unterstützen? Wir stellen viertens die Frage: Wie sind diese ewigen Ankündigungen zu verstehen, ({31}) daß die Steuerlastquote abgesunken sei und deshalb noch vor 1974 auf diesem Gebiet etwas geschehen solle? ({32}) Unsere Bevölkerung, die Öffentlichkeit, die Wirtschaft wollen Klarheit, nicht aber von Monat zu Monat ({33}) Unsicherheit darüber haben, ob es nun zu Steuererhöhungen kommt oder ob es nicht dazu kommt. ({34}) Dazu liegen klare Aussagen nicht vor. Eine weitere Frage: Soll der Fluchtweg der massiven Verschuldung beschritten werden? Der Herr Bundeskanzler hat hierzu im Fernsehen erklärt, daß man sich - natürlich im Rahmen des international Üblichen usw. - kräftig neu verschulden könne. ({35}) - Herr Kollege Haehser, man muß sich hier aber vor Augen halten, daß wir bis 1974 bereits eine Verschuldung der öffentlichen Hand in Höhe von 50 Milliarden DM eingeplant haben. Sie sollten einmal nachlesen, was z. B. das Breuer-Institut zu diesem Problem der Verschuldung sagt, daß nämlich eine Verschuldensfinanzierung um 65 bis 75 % teurer ist als eine Finanzierung aus laufenden Einnahmen, daß eine Verschuldensfinanzierung zu einer Umverteilung des Vermögens zugunsten der finanziell begünstigten Schichten unseres Volkes führt, ({36}) daß eine Verschuldensfinanzierung auch das Problem einer Inflationsentwicklung mit sich bringt. Die Bundesbank hat deutliche Warnungen in dieser Hinsicht ausgesprochen. ({37}) Und schließlich haben Sie bei einer Verschuldensfinanzierung keine Reserven mehr für den Fall einer Rezession. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß künftige Generationen diese Lasten mit übernehmen müßten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen Sie sich einmal die Zahlen an, die für die Reformvorhaben in den 80er Jahren genannt worden sind. Die künftigen Generationen haben dann weiß Gott genug damit zu tun, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns nun vorhin wegen unserer Vorschläge zu einer Alternativrechnung und zu einem Eventualhaushalt angegriffen. Herr Bundesfinanzminister, lesen Sie einmal das Interview nach, das Ihr Herr Bundeskanzler dem Zweiten Deutschen Fernsehen gegeben hat. Dort können Sie lesen, daß diese Bundesregierung jetzt Alternativrechnungen anstellen will. Als wir darauf drängten, ist das in Kampfabstimmungen zweimal abgelehnt worden. ({38}) Bei solchen Alternativrechnungen stellt sich selbstverständlich auch die Frage eines Eventualbudgets für solche Finanzierungsmaßnahmen. ({39}) Hier besteht einfach die Schwierigkeit, daß die eine Hand offenbar nicht weiß, was die andere tut und daß keine Klarheit über die Finanzierung dieser Vorhaben besteht. Man hat versucht, das bis zum Oktober aufzuschieben. Man wird aber aus diesem Dilemma nicht herauskommen. Und schließlich - auch darauf hat Kollege Stoltenberg schon hingewiesen - werden all die Kräfte, die nicht mehr von systemverändernden Reformen, sondern von systemüberwindenden Reformen sprechen, ihre Argument aus diesem Fiasko der Versprechungen einerseits und der realen finanzielden Möglichkeiten andererseits ziehen. Die Fraktion der CDU/CSU hat deshalb so massiv und nachdrücklich darauf bestanden, daß mit solchen Planungen die Frage der finanziellen Realisierbarkeit verbunden wird, weil wir Reformen möchten, die dann auch verwirklicht werden können, und weil wir die Gefahr vermeiden möchten, daß ein krasser Zwiespalt zwischen den angekündigten Reformen und dem, was realisierbar ist, besteht. Ich habe die große Befürchtung, daß diese Regierung, so wie sie sich in der Frage der Finanzierung dieser Reformen verhalten hat, nicht als die Regierung der inneren Reformen, sondern als die Regierung der leeren Versprechungen bezeichnet werden muß. ({40})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Nach der Mittagspause ist als erster Redner der Abgeordnete Hermsdorf vorgemerkt. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Bundesfinanzministers in einer ausführlichen Darstellung der Finanzrisiken und der Finanzierungsmöglichkeiten kann ich mich zu diesem Punkt verhältnismäßig kurz fassen. Aber ich möchte ein paar Bemerkungen auf die Ausführungen des Kollegen Stoltenberg und des Kollegen Althammer machen. Zunächst muß ich feststellen, daß in beiden Reden zwar sehr massive Kritik an der Regierung geübt worden ist, daß ich aber weder in den Bemerkungen des Kollegen Althammer noch in denen des Kollegen Stoltenberg eine Alternative zu den Vorschlägen dieser Regierung gesehen habe. ({0}) Ich stelle das deshalb fest, weil es in der Sache nicht weiterführt, daß man hier immer wieder den Versuch macht, an der Regierung Kritik zu üben, sie teilweise sogar zu verteufeln, aber selbst nicht aufzeigt, wo die Prioritäten der Opposition sind und wo die Finanzierungsmöglichkeiten der Opposition liegen. Ich möchte zunächst auf die Frage des Kollegen Stoltenberg eingehen: Wie groß muß eine Reform oder eine Maßnahme sein, um von der Opposition als Reform anerkannt zu werden? Dies war ein Tenor in seiner Rede. Gleichzeitig hat er gesagt, er möchte wissen, wo die Prioritäten liegen. Nun, ich verstehe dies überhaupt nicht mehr. Wir haben praktisch, seitdem diese Regierung besteht, in den Haushaltsdebatten und in den laufenden Debatten an Hand des geschriebenen Haushalts durch Fakten und Zahlen nachgewiesen, wo die Prioritäten sind. Wir haben uns mit ihnen auseinandergesetzt. Wir haben in Berichten und in Diskussionen über Große und Kleine Anfragen in diesem Hause immer wieder gesagt, wo die Schwerpunkte sind. Es wird hier so diskutiert, als sei das alles nicht gesagt worden. ({1}) Ich halte es für einen ganz schlechten Stil, daß wir uns hier immer wiederholen müssen. ({2}) Herr Stoltenberg - das habe ich aus seinen Ausführungen herausgelesen und herausgehört - hat zumindest die Antwort auf die Große Anfrage gelesen. Beim Kollegen Althammer bin nicht ganz sicher; aber darauf komme ich noch. Hier hat Herr Kollege Stoltenberg ganz klar die Formulierung der Regierung herausgepickt und gesagt: Das kann gemacht werden, das wird gemacht werden, und darüber werden sozusagen Konzepte erarbeitet. Allein aus diesen drei unterschiedlichen Formulierungen wird doch klar, was angefangen worden ist, was weiter entwickelt wird und was erst durchdacht werden muß. Allein schon aus dieser Formulierung ist doch zu sehen, was als zunächst notwendig anerkannt wird. Es ist keine Frage, Herr Stoltenberg, daß diese Regierung klar gesagt hat - das werden Sie nicht bestreiten wollen, und das finden Sie auch in den Haushaltszahlen -, daß Bildung und Wissenschaft Hermsdorf ({3}) z. B. eine sehr wesentliche Priorität haben. Sie als ehemaliger Wissenschaftsminister wissen aber genauso gut wie alle in diesem Hause, daß ein bis zum letzten entwickeltes Reformkonzept nicht in einer Legislaturperiode, wahrscheinlich nicht einmal in zwei Legislaturperioden zu machen ist, wenn der Bund, die Länder und die Gemeinden einbezogen werden sollen. ({4}) Sie können nicht von einer Regierung verlangen, daß sie diese Reform bis 1980 und darüber hinaus in den einzelnen Zahlen bis auf Stellen hinter dem Komma heute und hier darstellt. Sie kann nur für den jeweiligen Haushalt Zielsetzungen geben und sagen: Das wird in diesem Jahr gemacht und das im nächsten, und dann können wir darüber streiten, ob wir das für zuwenig halten oder für zuviel. Aber wenn Sie es für zuwenig halten, müssen Sie sagen, wo Sie mehr Mittel hernehmen wollen, und halten Sie es für zuviel, dann müssen Sie sagen, wo Sie es hinbringen wollen. ({5}) Das haben Sie bis heute nicht gemacht. Eines hat mich nun doch ein bißchen empört. Seien Sie mir nicht böse; ich verstehe auch, daß Sie den Punkt noch einmal aufgegriffen haben. Wir sind uns doch einig, daß Ihre Funktion in Schleswig-Holstein und Ihre Funktion hier ein bißchen zusammenspielen. Das mit der Agrarpolitik und der Absicherung hinsichtlich der Aufwertung hätten Sie nicht sagen sollen, Herr Stoltenberg. Sie wissen genauso wie wir, daß wir in einer Reihe von Dingen durch die EWG gebunden sind, die nicht wir zu verschulden haben, aber die wir jetzt vollziehen müssen, wo wir sozusagen das Erbe angetreten haben. Ich mache jetzt der früheren Regierung überhaupt keinen Vorwurf daraus, daß das in der EWG so gegangen ist; aber es kann sich in diesem Hause doch niemand ernsthaft hinstellen und sagen, die Situation der Landwirtschaft, in der sie sich heute befindet, sei eine Situation, die während der 16 Monate Amtszeit dieser Regierung entstanden sei. Das glaubt doch nun wirklich niemand mehr! ({6}) Oder wollen Sie behaupten, Sie hätten in 20 Jahren eine so vernünftige Landwirtschaftspolitik gemacht, daß die Bauern immer zufrieden gewesen wären! Oder sind Sie etwa nicht der Auffassung, daß die Bauern die ganze Zeit schon - und nicht erst in diesen 16 Monaten - gesagt haben: Es ist unmöglich, wie mit uns verfahren wird. ({7}) - Ich gestatte nur eine Zwischenfrage, entschuldigen Sie bitte. Ich möchte dazu eine Bemerkung machen. Heute morgen wurde von beiden Sprechern der Opposition laufend gesagt: keine Zwischenfragen. Die Regierung hatte Zwischenfragen zugelassen. Ich lasse jetzt ebenfalls eine Zwischenfrage zu, sage aber: So, wie Sie es heute morgen hier durchgeführt haben, ist das unüblich. ({8}) Bitte sehr, Herr Struve!

Detlef Struve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hermsdorf, darf ich fragen, ob Sie mit mir nicht darin übereinstimmen, daß seit Übernahme der Regierung durch die derzeitige Koalition zum ersten das Preis-KostenVerhältnis, durch die Aufwertung bedingt, zum zweiten der Absturz der Erzeugerpreise und zum dritten die Zurücknahme der Mittel im Haushalt des BML diesen katastrophalen Einbruch in die Einkommenspolitik bewirkt haben. ({0})

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Struve, dieser Auffassung kann ich mich nicht anschließen. Ich bezweifle keinesfalls, daß auch durch diese Faktoren, die Sie genannt haben, eine Erschwerung erfolgt ist; aber es ist nicht zu bestreiten - durch niemanden in diesem Hause, der einigermaßen objektiv ist -, daß sämtliche Strukturversäumnisse und die ungezielte Landwirtschaftspolitik innerhalb von 20 Jahren ({0}) jetzt zusammenkommen und uns in diese Schwierigkeiten bringen. Das ist doch der Kernpunkt. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte keine weitere Zwischenfrage mehr. Der nächste Punkt ist der folgende. Herr Stoltenberg, Sie haben das völlig vergessen, und auch Herr Struve hat es jetzt bei seiner Zwischenbemerkung wieder unterschlagen: Wir haben - ich will den Streit „Aufwertung - ja oder nein" gar nicht mehr aufführen -- im Wahlkampf, als wir noch in der Großen Koalition waren und für die Aufwertung eintraten, den Bauern gleichzeitig auch gesagt, daß wir bereit sind, einen Aufwertungsausgleich für sie durchzusetzen. Ich muß Ihnen sagen, diese Regierung hat, als sie die Aufwertung durchführte, 1,7 Milliarden DM für die Landwirtschaft in den nächsten vier Jahren eingesetzt. Ist das nichts, meine Herren! Nun muß ich sagen: 1,7 Milliarden DM kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Sie tun so, als sei da gar nichts geschehen. Ich könnte jetzt weiter aufführen, was wir noch alles gemacht haben, aber ich will das nicht tun, weil wir wieder in die alte Debatte vom Haushalt kämen. Das möchte ich nicht. Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, Herr Stoltenberg, der mich auch empört hat. Auch wenn Sie es wiederholen, es wird nicht richtiger. Sie sagen, diese Regierung habe eine rücksichtlose Personalpolitik getrieben. Herr Stoltenberg, erstens wissen Sie, daß man personalpolitisch nur dort etwas ver6422 Hermsdorf ({0}) ändern kann, wo es um politische Beamte geht. Dies können Sie wohl nicht bestreiten. Zweitens hat die Regierung nicht einmal in all den Fällen, in denen sie das konnte, personalpolitische Veränderungen vorgenommen. Aus der Sicht einer 20jährigen Opposition muß ich Ihnen allerdings sagen: Wenn Sie hierher treten und behaupten wollen, Sie hätten in diesen 20 Jahren keine Personalpolitik gemacht, kann man nur sagen: da lachen nun wirklich die Hühner; denn rücksichtsloser, als Sie Personalpolitik betrieben, konnte sie überhaupt nicht gemacht werden. ({1}) - Ich freue mich, Herr Kollege Althammer, daß Sie gleichzeitig lächeln, wenn Sie „unerhört!" rufen. ({2}) Sie wissen doch ganz genau, wie Ihre Personalpolitik ausgesehen hat. Sie haben nicht einmal Ihre Koalitionspartner ,berücksichtigt. ({3}) Oder soll ich hier mal fragen, wo denn in der auswärtigen Politik ein Sozialdemokrat als Botschafter zu sehen war, ({4}) und ähnliche andere Dinge mehr. Tun Sie hier doch nicht so, als seien Sie die Heiligen in Person. Unsere Personalpolitik ist, gemessen an dem, was Sie uns in 20 Jahren vorpraktiziert haben, ein Kinderspiel. Ich will gar nicht davon reden, wie Sie über die Ministerien hinaus durch die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise und ähnliche Dinge die Personalpolitik noch verlängert haben. ({5}) Werfen Sie uns also nicht solche Sachen vor! ({6}) - Entschuldigen Sie bitte, ich werde hier wohl auf das antworten können, was fälschlicherweise von Herrn Stoltenberg behauptet worden ist. ({7}) Jetzt komme ich zum Kollegen Althammer. Er verlangt z. B. von der Regierung, daß sie sich hier über die Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern äußern solle. Nun sind wir beide mit diesen Dingen ein wenig im Haushaltsausschuß befaßt gewesen. Herr Kollege Althammer, es hat bisher noch keine Regierung gegeben - und ich würde ihr das auch nicht raten, Sie hätten das früher auch nicht getan -, von der verlangt wurde, daß solche schwierigen Verhandlungen wie z. B. die über die Neuverteilung des Steueraufkommens hier im Parlament ausgetragen werden sollten. Die Regierung würde sich doch jede Basis entziehen. Sie haben mit uns im Haushaltsausschuß immer den Standpunkt vertreten -- darüber waren wir uns eigentlich alle einig, und ich wüßte nicht, warum sich das nun ausgerechnet heute ändern sollte -, daß es das Bestreben der Länder war, Aufgaben dem Bund zuzuschieben, aber mehr Geld einzunehmen. Da der Kuchen für die Verteilung zwischen Bund und Ländern niemals größer geworden ist, sondern immer derselbe geblieben ist, ist es für eine Regierung völlig ausgeschlossen, daß sie den Standpunkt akzeptieren könnte: wir übernehmen mehr Aufgaben, aber wir schieben mehr Geld den Ländern und Gemeinden zu. Dies geht nicht. Ich meine, im Interesse des Bundes und insbesondere dort, wo wir jetzt durch die konkurrierende Gesetzgebung die Gemeinschaftsaufgaben 'haben, müßte das ganze Haus daran interessiert sein, daß eine Position bezogen wird, die auch dem Bund die Möglichkeiten gibt, die Aufgaben zu finanzieren. Der nächste Punkt bezieht sich auf die Frage des Wohnungsbaus. Hier haben Sie gesagt, die früheren Regierungen hätten alle mehr Wohnungen gebaut als die jetzige Regierung. ({8}) Sie haben gesagt - Sie bringen mich hier nicht aus der Ruhe, da haben Sie sich getäuscht -, es seien früher mehr Wohnungen gebaut worden als von dieser Regierung. Herr Althammer, ich gebe Ihnen recht, daß man in 20 Jahren mehr Wohnungen bauen kann als in 16 Monaten. Aber haben wir nicht hier über sehr viele Jahre eine Debatte geführt, weil Ihre frühere Regierung durch die Freigabe des Wohnungsbaues immer mehr den sozialen Wohnungsbau vernachlässigt hat? Dies war über Jahre eine heftige Kritik an den damaligen Regierungen. ({9}) Sodann haben Sie die fantastische Zahl von 50 % Mietsteigerungen genannt. Ich muß mich in diesem Fall sogar auf einen Artikel beziehen, den Kollege Heck geschrieben hat, wobei aber klargestellt wird, wie die Mietsteigerung in den Jahren 1960 bis 1970 verlaufen ist. ({10}) Augenblick, Herr Althammer! Auch im Ballungsgebiet, wenn wir hier redlich bleiben wollen, kann das nur punktuell in diesem oder jenem Fall zutreffen, aber es kann nicht gesagt werden, daß 50 % Mietsteigerungen in Ballungsgebieten vorhanden sind. Dies haben Sie hier behauptet. Aber ich muß trotzdem ein paar Daten nennen: 1960 hatten wir eine Mietsteigerung von 6,1 %, 1961 von 8,6 %, 1965 von 5,8 %, 1966 von 9,4 %, 1967 von 6,6 % 1968 von 7,4 %, 1969 von 9,1 % und 1970 von 4,0 %. Dies ist der Tatbestand im Durchschnitt. Man kann hier also nicht sagen, daß Mietsteigerungen im Schnitt von 50 % vorhanden wären. So kann man die Fakten nicht verdrehen. Ferner haben Sie von Verschuldung gesprochen und gesagt, die Regierung sei in Gefahr, sich zu sehr zu verschulden. Auch dieses Thema ist in mehreren Debatten schon angesprochen worden. Ich erlaube mir deshalb, heute noch einmal zu zitieren, was der Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Hermsdorf ({11}) Kollege Strauß zur Verschuldung gesagt hat. Er hat nämlich als ehemaliger Finanzminister gesagt: Wir haben nicht den geringsten Grund und um der gemeinsamen Verantwortung willen auch nicht das Recht, dem Bundesbürger von heute das Gruseln vor der Verschuldung beizubringen. Die Erhöhung der Kreditfinanzierung bedeutet die Nutzbarmachung der zur Verfügung stehenden Kreditmittel für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Was Herrn Strauß recht war, ist uns billig; darüber gibt es wohl keinen Zweifel. Niemand hat das Recht zu sagen: Das, was ich als Mitglied der Regierung erklärt habe, gilt heute, wo ich in der Opposition bin, nicht mehr. Das können wir nicht zulassen. Wenn Sie außerdem einmal nachlesen, was der Kollege Leicht als Staatssekretär zur mittelfristigen Finanzplanung und zur Verschuldung im Juli 1969 vor dem Haushaltsausschuß ausgeführt hat, kommen Sie zu demselben Resultat. Es besteht doch kein Zweifel daran, daß die Verschuldung auch damals bereits bei 22,5 Milliarden DM lag. Das war von Herrn Strauß in die mittelfristige Finanzplanung hineingeschrieben worden. Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, den Sie angeschnitten haben. Sie haben gesagt, die Regierung tue so, als sei alle Tage Weihnachten. Dazu will ich Ihnen folgendes sagen. Genau das ist es, was ich am Anfang bemängelt habe. Sie können uns nicht auf der einen Seite vorwerfen, wir gäben zuviel aus, auf der anderen Seite aber erklären, wir täten zuwenig. ({12}) Augenblick, Herr Kollege Leicht! Ich komme gleich darauf. Ich möchte Sie nur einmal fragen, wie Sie Ihre Kritik mit den Gesetzentwürfen in Einklang bringen wollen, die Sie vorgelegt haben. ({13}) Ihre Gesetzentwürfe würden für das Jahr 1971 Mehrausgaben von 2,9 Milliarden und Mindereinnahmen von 1,1 Milliarden DM - das sind 4 Milliarden DM - bedeuten, 1972 wären es 3,7 bis 4,1 Milliarden Mehrausgaben und 1,5 Milliarden DM Mindereinnahmen - das sind 5,6 Milliarden DM -, 1973 würden die Mehrausgaben 4 Milliarden und die Mindereinnahmen 2 Milliarden DM das sind 6 Milliarden DM - betragen, und 1974 würden die Mehrausgaben eine Höhe von 3,8 Milliarden und die Mindereinnahmen 2,6 Milliarden DM das sind 6,4 Milliarden DM - erreichen. Entweder ziehen Sie, meine Damen und Herren, Ihre Anträge zurück und sagen: das geht nicht oder aber Sie tun es nicht und erklären: Die Regierung ist solide genug, wir können ihr das noch zumuten. Es gibt nur einen dieser beiden Wege, oder Sie machen sich selbst unglaubwürdig. ({14})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Leicht, bitte!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hermsdorf, wären Sie so freundlich, uns jetzt einmal die Rechnung über das aufzumachen, was die Regierung für die nächsten Jahre versprochen hat.

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verzeihung, genau auf diesen Punkt komme ich noch. Nur muß ich Ihnen dann auch folgendes sagen, Herr Kollege Leicht. Nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Partei haben wir, wenn wir auf einem Parteitag ein Wahlprogramm aufgestellt haben, im Gegensatz zu Ihnen immer gleichzeitig eine Finanzierungsmöglichkeit aufgezeigt. ({0}) - Augenblick! Wir haben gesagt, wie eine Sache finanziert werden soll; Sie können es nachlesen. Erstens habe ich die Vorlage eines Finanzierungsprogramms in Düsseldorf vermißt. Zweitens habe ich mir mit großem Interesse das Programm des künftigen Oppositionsführers in Schleswig-Holstein ({1}) angesehen. Darin habe ich nur einen Satz über die Finanzierung gefunden, Herr Stoltenberg. ({2}) Das ist allerdings ein bißchen zu dürftig. Ich bin bereit, mich darüber einmal mit Ihnen zu unterhalten. So kann man das natürlich nicht machen. ({3}) Jetzt komme ich zum entscheidenden Punkt. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?

Hans Hermsdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000883, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht mehr. Diesen Punkt, den der Kollege Althammer angesprochen hat, halte ich wirklich für entscheidend. - Nein, ich muß vorher noch etwas anderes sagen, nämlich zu der Bemerkung, die Sie hinsichtlich Herrn Reischl gemacht haben. Vielleicht kann mir Herr Stoltenberg dabei helfen. Ich würde zunächst freimütig zugeben - ich empfinde das selber als ein gewisses Ärgernis -, daß einzelne Ressortminister mitunter zuviel reden. Darin bin ich mit Ihnen einig. Aber der zweite Punkt ist folgender. Man kann eben das gilt sowohl für die Opposition als auch für die Regierung - leider nicht immer das für bare Münze nehmen, was in der Zeitung steht. ({0}) - Ja, gut! Da ich darüber genau im Bilde bin, erlauben Sie mir folgende Aussage. Herr Stoltenberg wird festgestellt haben, daß die schleswigholsteinischen Zeitungen und die norddeutschen Hermsdorf ({1}) Zeitungen überhaupt völlig anders als etwa „Die Welt" berichtet haben und auch anders, als es über dpa gelaufen ist. Herr Reischl hat in einer Versammlung auf die Frage, ob der Konjunkturzuschlag zurückgezahlt werde - daß hier eine gewisse Unsicherheit, nicht zuletzt auch auf Grund der dauernden Unkenrufe, vorhanden ist, ist klar -, eindeutig geantwortet: Es steht im Gesetz, daß bis zum 31. März 1973 zurückgezahlt wird; wir, die Regierung, überlegen uns, ob wir früher oder teilweise früher zurückzahlen können. Wir würden das gern tun, das hängt aber davon ab, ob das konjunkturpolitisch jeweils möglich ist oder nicht. - Dies ist eine korrekte Aussage, gegen die nichts gesagt werden kann. Aber wenn sie dann so verdreht wird - -({2}) - Das habe ich klargestellt. Außerdem steht heute sogar ein Dementi in der „Welt", daß das von ihrem Korrespondenten falsch verstanden worden sei. Nun zum letzten Punkt, was finanzierbar ist, was nicht finanzierbar ist und daß die Stunde der Wahrheit vertagt sei. Der Herr Kollege Leicht hat einmal, als er noch Staatssekretär war, in Ausführungen zur mittelfristigen Finanzplanung gesagt, daß es da viele Risiken gibt und daß diese Risiken noch nicht ganz überschaubar sind ({3}) - einen Augenblick! -, man müsse das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal erörtern und nachtragen. Der Bundesfinanzminister hat heute hier zu Ihren Aussagen zum Haushalt 1970/71 und zum Teil zu Ihren Fehlprognosen Stellung genommen. Was können Sie eigentlich von einer Regierung noch mehr erwarten, als daß sie den Versuch macht, in ihren Aufstellungen zum Haushalt 1972 und in der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung so nahe an eine zuverlässige Übersicht hinsichtlich der konjunkturellen Daten kommen zu können, wie das überhaupt möglich ist? Was ist eigentlich dagegen zu sagen? Und was ist eigentlich dagegen zu sagen, daß die Regierung sagt, wir bewegen uns jetzt im März noch auf ziemlich unsicherem Boden? Daß wir uns noch auf unsicherem Boden bewegen, geht aus Ihren eigenen Aussagen hervor. ({4}) - Augenblick, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. - Das geht aus Ihren eigenen Aussagen hervor, denn Sie haben gesagt, wir würden in eine Rezession kommen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß das nicht so ist, sondern es wird einen Konjunkturablauf geben, wie er allerdings ursprünglich nicht eingeschätzt worden ist. Und wenn dann diese Regierung sagt, wir haben im Kabinett mehr Anforderungen, als uns lieb ist, dann jault alles und fragt: Wie wollt Ihr das finanzieren? Ich erinnere mich an Zeiten, als Adenauer noch Bundeskanzler war, der damals sagte: Es sind zwölf Milliarden DM mehr angefordert, als ich ausgeben kann. Das hat ja jeder Mensch zur Kenntnis genommen, und keiner hat darüber geredet. Die Anforderungen der Ressorts werden immer zunächst höher sein als das, was ausgegeben wird. Nun hat die Regierung am 25. Februar in der Kabinettsitzung, in der das beschlossen worden ist, gesagt: Wir bewegen uns so, daß wir im Spätsommer den Versuch machen können, die Haushaltsvoranschläge der einzelnen Ressorts zu bekommen, und wir werden Anfang September oder, wenn es geht, schon Ende August den Versuch machen, auf Grund der Daten und Übersichten, die dann vorliegen, den Haushalt 1972 im Kabinett zu verabschieden und die mittelfristige Finanzplanung fortzuschreiben. Was wollen Sie eigentlich mehr? Ich meine, das ist die Grundvoraussetzung der Solidität, daß man nämlich Daten nimmt, die einigermaßen überschaubar sind, und nicht heute bereits von 1980 und anderen Dingen redet. Die Stunde der Wahrheit wird bei der Verkündung des Haushalts 1972 kommen. Dort steht es dann drin. ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Kirst. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich bemühen, mich auf das Thema der Anfrage zu beschränken, wenngleich wir ja etwas in Gefahr geraten, daß sich diese Anfrage als das erweist, was sie vielleicht sein sollte, eine Möglichkeit zur Fortsetzung der Haushaltsberatung mit anderen Mitteln. ({0}) Der erste Redner der Opposition hat es nun allerdings heute morgen, jedenfalls über nicht wenige Passagen seiner Rede, mühelos geschafft, den Anschluß an den nächsten Landtagswahlkampf in der Bundesrepublik zu finden. Nur, Herr Kollege Stoltenberg, das, was Sie gesagt haben, spricht nicht dafür, daß Sie mit viel Optimismus in diesen Wahlkampf gehen. Denn ein designierter Ministerpräsident, der wirklich damit rechnet, das zu werden, hätte vielleicht besser daran getan, hier an die Regierungstätigkeit weniger solcher Forderungen zu stellen, mit denen er sehr bald selbst konfrontiert sein könnte. ({1}) Meine Damen und Herren, es war wohl kurz vor Weihnachten, als diese Große Anfrage beschlossen wurde und in Druck ging. Als ich sie las, war mein erster Eindruck - ich sage das, ohne jemand zu nahetreten zu wollen -: In welcher Welt, in welcher Vorstellung von Möglichkeiten leben eigentlich Menschen, die solche Anfragen produzieren? Ich darf mich dabei besonders z. B. auf die Fragen C II und D I beziehen, die doch sicher - es gibt andere Fragen in dieser Anfrage, die durchaus vernünftig sind - weit über das denkbare Ziel, über das vernünftig denkbare Ziel einer solchen Anfrage hinausschießen. Ich frage mich: was ist eigentlich das Motiv dieser Anfrage gewesen, wenn nicht nur das, hier eine neue Debatte mit anderen Mitteln, wie ich eben sagte, zu ermöglichen? Soll diese Anfrage in dieser Form eigentlich für Sie ein Gesinnungswandel von, wie ich es einmal formulieren möchte, völlig. apathischer Einstellung zu Prognosen und Perspektiven, ja, beinahe fatalistischer Hinnahme von Entwicklungen jetzt zu einem Wunderglauben an mögliche Quantifizierung und Determinierung gesellschaftlicher Abläufe sein bis zur letzten Kommastelle? Denn daß Sie die letzte Kommastelle nicht wollen, haben Sie hier nur in Zwischenrufen deutlich gemacht. Oder aber - das könnte ja vielleicht auch die Absicht sein; dann wäre sie begrüßenswert - sollte durch eine fast bis zur Karikatur überzeichnete Darstellung ein solcher Wunderglaube an Möglichkeiten der Bestimmung hier ad absurdum geführt werden? Welche Motive Sie letztlich haben, können wir natürlich nur vermuten. Das kann man nicht beweisen. Ich meine, sicherlich - ich will auch damit niemandem zu nahetreten - mag manchmal der Zweck die Mittel heiligen, aber ich glaube doch nicht, daß das soweit gehen darf, daß man auch jede ungeeignete Methode damit qualifiziert, und ich meine, vieles, was in dieser Anfrage steckt, ist eine ungeeignete Methode. Denn sicherlich kann man Fragen subjektiv beliebig spekulativ ausdehnen. Hier sind Grenzen nur durch die Phantasie der Fragesteller gesetzt, aber bei den Antworten - das ist hier die unterschiedliche Position zwischen Opposition und Regierung - gibt es objektive Grenzen, die man nicht überschreiten kann und an denen man nicht vorbeikommt. Ich will hier gar nicht - weil es vielleicht nicht parlamentarisch wäre - ein Sprichwort erwähnen, das es auch für diese Problemstellung gibt. Vielleicht fällt es dem einen oder anderen auch so ein. Ich möchte eigentlich dem Kollegen Stoltenberg, der hier die Antwort der Regierung auf diese Anfrage so sehr bemängelt hat, fragen: Sind Sie in der Lage, ein Beispiel irgendwo auf dieser Erde zu nennen, wo eine Regierung in der Lage gewesen wäre, solche Antworten zu geben, wie Sie sie von dieser Regierung verlangt haben? ({2}) Nach unserer Auffassung haben die Antwort der Regierung und die Rede des Bundeskanzlers in überzeugender Weise eben die Grenzen aufgezeigt, die solchen Planungen - wie sie hier verlangt werden - staatlicher Vorhaben nun einmal gesetzt sind. Es ist auch sehr deutlich gemacht worden, was wir an sich alle wissen - aber anscheinend gilt für manche doch der Spruch, daß nur die Wiederholung die Mutter der Weisheit ist -, daß man bei Reformvorhaben auch die verschiedenen Phasen unterscheiden muß und daß wir eben bei vielen Punkten, wo wir ganz im Anfang stehen, wo wir auch nichts übernehmen konnten, erst einmal in der Phase der Vorbereitung, der Bestandsaufnahme sind. Ich möchte dies, meine Damen und Herren, gern mit einigen grundsätzlichen Klarstellungen verbinden. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß jede Planung, sei sie nun der einjährige Haushalt, sei sie die vierjährige bzw. - wenn Sie das Referenzjahr hinzunehmen - fünfjährige mittelfristige Finanzplanung, seien es darüber hinausgehende Programme oder wie immer man es bezeichnet, immer nur eine Momentaufnahme der Ausgangsbasis und der derzeit möglichen Erkenntnisse über Zielvorstellungen sein kann. Für viele dieser Planungen trifft zu, was ich jetzt sicher übertrieben sage: daß die ihnen zugrunde liegenden Daten, noch bevor die Druckerschwärze getrocknet ist, zum Teil schon überholt sind. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele nennen. Wir haben vor etwa zehn Tagen in der deutschen Presse interessanterweise feststellen können, daß sich unsere Bevölkerungsstatistiker in ihren Voraussagen ganz erheblich geirrt haben. Auf Grund des jetzigen Datenmaterials wird unsere Bevölkerung im Jahre 2000 nicht, wie ursprünglich angenommen, 70 Millionen, sondern nur 62 bis 63 Millionen Menschen umfassen, mit einer entsprechenden Rückschreibung der Zahlen bis zu diesem Zeitpunkt. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, was solche nicht erwarteten Entwicklungen, was solche Datenänderungen für Planungen aller Art im staatlichen Bereich, z. B. für die Bildungsplanung - und da schon sehr schnell: in sechs oder sieben Jahren -, bedeuten werden. Wir wissen - der Finanzminister hat vorhin auch darüber gesprochen -, daß sich die Erwartungen des Jahres 1970 nicht erfüllt haben, während auf der anderen Seite im Januar/Februar 1971 eine erfreuliche Zuwachsrate in den Steuereingängen zu verzeichnen ist. Dabei bin ich gar nicht so leichtfertig, zu sagen, daß damit das Ergebnis des Jahrgangs 1971 nun schon endgültig bestimmt ist. Wir wissen alle, daß die großen Steuertermine März, Juni usw. dafür viel entscheidender sind. Aber immerhin ist auch dies ein Beispiel dafür, wie schnell sich Vorausschätzungen und Daten ändern können. Das zweite, was mir in diesem Zusammenhang wichtig zu sein scheint, ist, hier einmal sehr deutlich etwas über das Verhältnis zwischen Regierungsprogramm, Regierungserklärung und Initiativen einzelner Ressorts zu sagen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen - das ist deutlich und wiederholt genug hier und anderswo erklärt worden -: das Regierungsprogramm, die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ist verbindlich, sie kann realisiert werden. Ihre Realisierung ist auch finanziell gesichert. Das ist auch in der Antwort der Bundesregierung Drucksache VI/1953 dargestellt. Aber darüber hinaus ist es sicherlich die selbstverständliche Aufgabe der Ressorts - man muß das in seiner Bedeutung nur richtig einordnen -, angefangen vom Minister über die zuständigen Beamten - dafür werden sie schließlich bezahlt -, sich Gedanken über die Entwicklung ihrer Ressorts zu machen, beginnend mit Bestandsaufnahmen bis zur Entwicklung sicher auch von Ideal-, wenn nicht von Maximalvorstellungen. Nur ist der Trugschluß, der dann immer begangen wird, an dem diese Leute selbst eigentlich unschuldig sind, doch der, daß man aus der Addition solcher in Ressorts entstandenen Vorstellungen meint ein verbindliches Regierungsprogramm ableiten zu können. Das ist natürlich nicht möglich. Sie können sicherlich nicht - das geschieht ja teilweise seitens der Opposition und anderer - eine Rechnung aufmachen, in der Sie die Einnahmeschätzungen der Regierung den Ressortwünschen aller Art gegenüberstellen. Das ergibt natürlich ein schiefes Bild und muß zu solchen phantastischen Zahlen führen ({3}) - Herr Kollege Leicht, ich komme später darauf zurück -, wie Sie sie gelegentlich der Öffentlichkeit zur Verunsicherung unterbreiten. Natürlich entwickeln auch Ressorts Vorstellungen. Nur sollten sie dann immer so ehrlich sein, zu sagen: Das sind noch nicht von der Regierung insgesamt abgesegnete Vorstellungen. ({4}) Vielleicht verschafft uns diese Unterrichtung des Parlaments und der Öffentlichkeit das, was wir nicht haben - wir bemängeln das manchmal -, nämlich Alternativen der Entscheidung. Oder will etwa die Opposition oder will die Öffentlichkeit immer nur mit der bereits völlig abgedeckten und völlig abgesegneten Meinung der gesamten Regierung konfrontiert werden? Ich glaube, das würde sicherlich auch nicht im Sinne eines Meinungsbildungsprozesses und einer offenen Gesellschaft sein, in der wir nun einmal leben und wohl alle leben wollen. Dann kommt ständig die Aufgabe der Abstimmung der Prioritäten, grundsätzlich, mittelfristig in der Finanzplanung, kurzfristig für die jeweiligen Haushaltsjahre. Weil Sie mich gerade so skeptisch ansehen, Herr Kollege Leicht: auch die Addition der Einzelprogramme der Opposition, wie sie sich in Veröffentlichungen oder in Reden zu Einzelplänen hier bei der Haushaltsberatung dokumentiert, gibt sicherlich nicht das gesamte Alternativprogramm der Oppisition wieder und ist sicherlich auch nicht zu realisieren. Aus dieser Tätigkeit der Ressorts, die man in den nötigen Grenzen sehen muß, ergibt sich das, was als Ankündigungseffekt bezeichnet und gern der Regierung und der Koalition zur Last gelegt wird; das hat auch hier in der Debatte eine große Rolle gespielt. Dabei sind wir uns wohl darüber im klaren, daß diese Ankündigungseffekte zum Teil reine Suggestionen seitens der Opposition sind oder sein sollen. Aber davon unabhängig sind sie sicher vorhanden. Ich meine, wir müßten einmal grundsätzlich sehen, wie solche Ankündigungseffekte entstehen, wer dafür verantwortlich ist. Sicherlich nicht nur die Politiker. Das, was ich dazu festzustellen habe, könnte eigentlich unsere gemeinsame Auffassung sein. Wir stoßen bei diesen Ankündigungseffekten auf etwas, was ich einmal als das Phänomen der Schlagzeile bezeichnen möchte. Dabei sind drei Beteiligte festzustellen. ({5}) - Nein, ich will jetzt keine Personen nennen, Herr Kollege Hermsdorf, sondern, wenn Sie so wollen, Kategorien von Menschen. Da sind einmal diejenigen, die die Schlagzeilen erzielen wollen; das sind natürlich auch Minister, immer und überall, unabhängig davon, wer gerade wo regiert. Auch andere Politiker wollen das sehr gern. Da sind zweitens diejenigen, die die Schlagzeilen drucken oder produzieren wollen, die sie manchmal auch provozieren, nämlich die Journalisten. Da sind letztlich diejenigen, die die Schlagzeilen verkaufen wollen, weil sie davon leben, nämlich die Verleger. Ich glaube, diese drei Gruppen müssen wir einmal sehen, wenn wir das Phänomen der Ankündigungseffekte in diesem Staat und überall richtig beurteilen wollen. ({6}) Es sollte sicher eine Informations- wenn nicht sogar Erziehungsaufgabe der Journalisten sein, sowohl gegenüber den Agierenden - das ist die erste Kategorie - als auch gegenüber den von ihnen zu Unterrichtenden - das sind die Leser, die Zuschauer, die Hörer - durch peinlich genaue Darstellung der Zusammenhänge klarzumachen, daß alles, was sich gelegentlich einmal in Schlagzeilen darstellt, noch - um nun ein modernes Wort zu gebrauchen - des langen Marsches durch die Institutionen bedarf. Ich glaube, dafür sollte bei der Berichterstattung immer Verständnis geweckt werden, das sollte sehr deutlich dargestellt werden, damit nicht durch eine dies nicht berücksichtigende Berichterstattung in der Tat bei der Masse der Bevölkerung falsche Eindrücke, falsche Ankündigungseffekte entstehen. Auch das Parlament sollte insgesamt Wert darauf legen, daß nicht Pläne, von wem und wo sie immer publiziert werden, als feststehende Tatsachen berichtet werden - ich hätte beinahe gesagt: kolportiert werden -, sondern daß in der Regel immer nur Parlamentsentscheidungen feststehende Tatsachen sein können. Ich glaube, hier liegt ein gemeinsames Interesse des Parlaments vor, das einmal deutlich darzustellen. Aber man kann und sollte, glaube ich, das gar nicht verhindern; denn wir leben - ich sagte es schon - in einer offenen Gesellschaft mit Rede- und Informationsfreiheit, die zwangsläufig eben auch eine ständige Diskussion bedeutet. Es wäre sicher nur eine Fleißarbeit - ich denke jetzt an die Dokumentation der CDU/CSU-Fraktion vom 18. März 1971, die ja auch nicht mehr als eine Fleißarbeit ist, ohne Beweiswert -, solche Dinge überall und für alle Zeiten festzustellen. Diese Dokumentation ist ein Sammelsurium solcher Äußerungen, mit denen das, was bewiesen werden soll, in keiner Weise zu beweisen ist. Vielleicht ist das alles nicht schön, vielleicht ist das alles unbequem. Aber machen wir uns doch einmal klar, was denn die Alternative zu einer solchen Situation wäre! Das wäre doch jene Nacht- und Nebelalternative totalitärer Systeme, in denen die Öffentlichkeit die Dinge immer erst dann erfährt, wenn sie perfekt sind. Das aber wollen wir doch auch nicht. ({7}) Wir müssen eben, glaube ich, damit fertig werden. Nur eignet sich das, meine ich, nicht dazu - und die geringe Beteiligung hier heute nachmittag spricht wohl dafür, daß ich da recht habe -, nun große politische Auseinandersetzungen zu führen. Wir müssen eben mit dieser Erscheinung fertig werden. Bundesregierung und Bundeskanzler haben in der Antwort und in der Regierungserklärung noch einmal den Reformgedanken klar abgegrenzt und verdeutlicht. Ich kann mich hier auf das beziehen, was ich bei der ersten Lesung des Haushalts 1971 im September - ich will das nicht wiederholen - dazu im Anschluß an die damalige Debatte gesagt habe, die mit der Einbringung des Haushalts 1970 begann und die unter der für meine Begriffe falschen totalen Alternative zwischen Reform und Geldausgeben geführt worden ist. Diese Regierung ist - das möchte ich in dem Zusammenhang noch einmal betonen - als solche auch schon Reform. ({8}) Ich glaube, das sollten die Kritiker dabei nicht vergessen. Nun die große Streitfrage - und darauf haben sowohl Herr Stoltenberg als auch Herr Althammer abgestellt -: Hätte die Antwort der Bundesregierung im Detail quantifizierter ausfallen können oder müssen? Wer die Dinge objektiv sieht, wird diese Frage nur eindeutig verneinen können. Denn der Hinweis auf die geltende Finanzplanung in der Antwort der Bundesregierung ist absolut richtig. Der Zeitpunkt für eine Fortschreibung der Finanzplanung ist noch nicht gekommen. Ich frage mich, ob die Opposition vielleicht eine tägliche Fortschreibung der Finanzplanung für ihren Hausgebrauch wünscht. Es war sicherlich richtig, daß die Regierung nicht, nur weil diese Große Anfrage kam, von der normalen Termingestaltung der Fortschreibung abgegangen ist, ganz abgesehen davon, daß - ich glaube, Kollege Hermsdorf hat es schon erwähnt - sachliche Gesichtspunkte dafür sprechen, diese Fortschreibung erst vorzunehmen, nachdem wir mindestens zwei große Steuertermine dieses Jahres 1971 gehabt haben. Dabei wird sicher auch die fortgeschriebene Finanzplanung 1971 bis 1975, die wir mit dem Haushalt im Herbst zu erwarten haben, unter genau denselben Einschränkungen zu beurteilen sein, die ich vorhin generell für solche Planungen aufgezeigt habe. Insofern, Kollege Leicht - Sie haben das am 5. März irgendwo erklärt -, kann die Entscheidung der Bundesregierung vorn 25. Februar nicht als eine Vertagung von Finanzproblemen angesehen werden. Das ist ein falscher Vorwurf, der nur dann zuträfe, wenn ohne finanzpolitische Absicherung verbindlich - ich unterstreiche: verbindlich durch Regierungsbeschluß, und nicht durch Programme, Ankündigungseffekte oder Schlagzeilen einzelner, Ausgaben festgelegt würden, für die keine Deckung vorhanden ist. Das ist nicht der Fall. Regierung und Parlament haben die nötige Entscheidungsfreiheit. Auch Ihre Rechnung, Herr Kollege Leicht, die, glaube ich, in derselben Veröffentlichung enthalten ist. und bei einem Risiko in Höhe von 40 Milliarden DM endet, ist natürlich dadurch falsch, daß Sie als Ausgangspunkt einen Betrag von 25 Milliarden DM genommen haben. Dieser Summe fehlt jede Verbindlichkeit, weil sie eben einfach eine Addition von Ressortwünschen ist, die noch nicht endgültig beschlossen sind. Ressorts können wünschen, soviel sie wollen. Verbindlich für solche Berechnungen sind die Entscheidungen der Regierung bzw. die durch das Parlament bestätigten Entscheidungen der Regierung.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön, Herr Leicht!

Albert Leicht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001309, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege Kirst, daß die von mir genannte Summe von 25 Milliarden DM, d. h. die vom Finanzkabinett festgestellte Summe von 25 Milliarden DM für vier Jahre bzw. von 4 bis 8 Milliarden DM pro Jahr, ohne die Anforderungen errechnet worden ist, die die Ressorts demnächst stellen werden, und ohne die normalen Risiken festgelegt worden ist - Devisenausgleich usw. -, wie sie der Herr Finanzminister heute morgen selbst aufgezeigt hat?

Victor Kirst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Leicht, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen haben. Nach meiner Kenntnis der Dinge stimmt das so nicht. ({0}) - Selbstverständlich werden wir uns damit auseinandersetzen, Herr Kollege Leicht. Wenn wir die endgültigen Zahlen bei der Vorlage der mittelfristigen Finanzplanung des Haushalts erfahren, werden wir ja feststellen können, wer recht gehabt hat. Jedenfalls kann man Bedarfsanmeldungen der Ressorts, ({1}) denen die politische Verbindlichkeit fehlt, nicht zum Ausgangspunkt solcher Berechnungen machen. Aber umgekehrt werden Sie mir zustimmen, daß man natürlich erst einmal die Bedarfsanmeldungen kennen muß, wenn man Prioritäten setzen will. Bedarfsanmeldungen als solche sind sicherlich keine Sünde. Wir haben ja sicherlich auch alle schon die Erfahrung gemacht, daß Wunschzettel von Familienmitgliedern noch kein Familienbudget darstellen. Ich meine also, daß wir im Gegensatz zu den Spekulationen und der Panikmache, die nicht zuletzt immer wieder als Motiv hinter dieser Debatte steht, feststellen müssen - ich kann an das anschließen, was der Finanzminister heute morgen dazu kurz gesagt hat -: Der Haushalt 1970 war sparsam und konjunkturgerecht - die Ausgaben sind um sieben Prozent gestiegen -, der Haushalt 1971 ist konjunkturgerecht und ausgeglichen, er ist verabschiedet worden, und wir zweifeln nicht daran, daß der Haushalt 1972 und die Fortschreibung ebenso solide sein werden. Dafür werden die Regierung und die Mehrheit in diesem Parlament mit Sicherheit sorgen. ({2}) Ich will im einzelnen nicht noch einmal zur Finanzierung der Reformen Stellung nehmen, auch wenn heute morgen wieder der Versuch einer Verunsicherung des Steuerzahlers gemacht wurde. Ich darf an das erinnern, was ich im Februar bei der zweiten Lesung des Haushalts zum Einzelplan 08 in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht habe. An den Feststellungen, die wir damals getroffen haben, hat sich nichts geändert. Ich kann insoweit darauf verweisen. Ich möchte nur folgendes sagen. Was der Kollege Althammer heute morgen über die gesellschaftspolitische Bedeutung der staatlichen Verschuldung gesagt hat, habe ich beim besten Willen nicht verstehen können. Ich habe hier klargestellt - nur diesen einen Punkt will ich wiederholen -, daß wir der Auffassung sind, es sei auch und gerade gesellschaftspolitisch besser, wenn der Staat zusätzliche Aufgaben, soweit das möglich ist - und es besteht kein Zweifel, daß der Spielraum dafür zumindest beim Bund vorhanden ist -, durch zusätzliche Anleihen anstatt durch mehr Steuern finanziert, weil nämlich, Herr Kollege Leicht, der Bürger, der die Erfüllung dieser Aufgaben auf dem Wege der Anleihen finanzieren hilft - es sind in der Tat Aufgaben, aus deren Verwirklichung weitere Generationen Nutzen ziehen werden -, zugleich seiner eigenen Vermögensbildung dient, wenn er das durch Anleihen tut. Wenn die Finanzierung dagegen durch zusätzliche Steuern erfolgt, sind diese bekannterweise vom Steuerzahler nicht wiederzubekommen. Ich stelle abschließend fest, daß Regierung und Koalition - der bisherige Verlauf der Debatte spricht wohl für diese Feststellung - der Opposition für diese Anfrage eigentlich bis zu einem gewissen Grade dankbar sein sollten, weil Sie uns eine zusätzliche Gelegenheit geboten haben, heute erneut - und das wird noch fortgesetzt werden - eine überzeugende Zwischenbilanz dieser Regierung nach etwa 16 Monaten zu dokumentieren. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär von Dohnanyi. Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir liegt daran, hier einige Dinge zurechtzurücken, die heute morgen von den Vertretern der Opposition vorgetragen worden sind. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben gesagt, es fehle der Bildungspolitik an einem tragfähigen Budget. Ich möchte hier nur feststellen, daß wir in der mittelfristigen Finanzplanung eine Steigerung der Mittel von 3 Milliarden DM im Jahre 1970 - im Jahre 1969 waren 2,1 Milliarden DM in Ihrem Haushalt eingesetzt - auf 9 Milliarden DM im Jahre 1974 vorgesehen haben. Herr Kollege Stoltenberg, wir haben bei Regierungsbeginn alles andere als eine tragfähige Finanzplanung Ihrerseits vorgefunden. Sie hatten z. B. kurz zuvor in der Planung für das Jahr 1973 41/2 Milliarden DM eingesetzt, während von uns für das Jahr 1973 in der mittelfristigen Finanzplanung heute 7,1 Milliarden DM vorgesehen sind. Daran sieht man, daß man wirklich nicht davon ausgehen kann, daß es an einer tragfähigen Grundlage fehle. ({0}) Meine Damen und Herren, die Regierung soll an der Regierungserklärung und nicht an dem gemessen werden, was die Opposition in diese Regierungserklärung hineinzuinterpretieren versucht, etwa in der Weise, wie Herr Althammer das heute morgen getan hat. Herr Althammer, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie im Zusammenhang mit dem Umweltschutz die immense Summe von 240 Milliarden DM genannt, ({1}) - Milliarden! Dadurch werden doch draußen die Erwartungen geweckt. Solche Zahlen führen doch zu der Debatte, um die es geht. ({2}) - Herr Althammer, lassen Sie mich noch ein Stück fortfahren. Dann beantworte ich Ihre Frage gerne. ({3}) Meine Damen und Herren, wir wollen an der Regierungserklärung gemessen werden. Der Bundesfinanzminister hat hier heute morgen schon zu einem Punkt der Regierungserklärung aus dem Bereich von Bildung und Wissenschaft, nämlich zur Frage der gemeinsamen Planung von Bund und Ländern, zum Stand der Beratungen in der Bund-LänderKommission Stellung genommen. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben ein internes Protokoll der SPD zitiert. In gewisser Weise ist das natürlich auch ein Beitrag zur Erfüllung der Regierungserklärung, in der von mehr Transparenz die Rede war. Ihnen ist hier also etwas zugänglich geworden, was sonst vielleicht nicht zugänglich wäre. ({4}) - Aber der Erfolg, Herr Kollege Stoltenberg, von dem Sie immer sprechen, soll doch zählen. Sie haben die Information. Lassen Sie mich zu dem Protokoll ein paar Worte sagen. Das Protokoll behandelt einen ersten Entwurf eines Unterausschusses der Bund-Länder-Kommission. Herr Kollege Stoltenberg, Sie sind einfach falsch informiert: Niemand in dieser Bund-LänderKommission, kein Minister irgendeines der Länder hat irgendeine dieser Quantifizierungen in dieser Sitzung akzeptiert. Wir haben vielmehr alle einstimmig gesagt, daß es in dieser Sitzung nur um die Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi Fragen langfristiger Strukturen und nicht um die Quantifizierungen im einzelnen gehen kann. So ist es beschlossen worden, und so steht es in den Protokollen. Wir haben übrigens von der Bundesregierung her darauf gedrängt, daß in Zukunft auch der Deutsche Bundestag mittels der Protokolle über die Ergebnisse der Beratungen der Bund-Länder-Kommission informiert wird. Sie werden hier also in Zukunft etwas mehr wissen können. Herr Kollege Stoltenberg, wie Herr Kirst schon gesagt hat, gibt es eben in der Zwischenzeit eine Reihe von Entwicklungen - z. B. die rückläufige Geburtenrate, aber auch bestimmte Probleme in der Planung der Ganztagsschulen -, die uns erkennen lassen, daß jeweils eine Zahlenreihe, die dieser Unterausschuß für die verschiedenen Problembereiche erarbeitet hat, eben noch nicht entscheidungsreif ist. Mehr steht zu dieser Frage nicht im Protokoll. Ein weiterer Punkt sind die Termine. Herr Kollege Stoltenberg, wir gehen davon aus - der Herr Finanzminister hat das heute morgen noch einmal bestätigt -, daß durchaus die Möglichkeit besteht, in diesem Sommer einen Bildungsplan und das dazugehörige Bildungsbudget zu verabschieden. Aber nicht von allen Ländern, z. B. nicht von RheinlandPfalz, liegt eine mittelfristige Finanzplanung auch nur bis 1974 vor, und insofern haben wir in der Vorbesprechung gesagt - -({5}) - Sie meinen, es gibt einen neuen Finanzminister? Ich dachte, Sie hätten dort ein Angebot gemacht. ({6}) Aber wie dem auch sei, Herr Kollege Leicht: Es sieht so aus, daß wir in der mittelfristigen Finanzplanung der Länder nicht auf dem letzten Stand sind. Da es aber darauf ankommt, eine gemeinsame Grundlage zu finden, haben wir gesagt, man müsse den Versuch machen, den Termin dennoch weiter im Auge behalten und trotz dieser Tatsachen heute nicht etwa Defaitismus hinsichtlich der Termine verbreiten. Ein weiterer Punkt aus der Regierungserklärung! Wir haben gesagt: wir bedürfen einer zusammenfassenden Konzeption der Entwicklung unseres Bildungswesens. Herr Kollege Stoltenberg, die Mitglieder Ihrer Fraktion haben dem Bildungsbericht der Bundesregierung im Ausschuß ihre Zustimmung versagt, obwohl die Ziele, die im Bildungsbericht formuliert worden sind, in der ganzen fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit nur Anerkennung gefunden haben. ({7}) Das heißt: Sie haben sich hier, Herr Kollege Stoltenberg, in der Frage wirklicher Entscheidungen wiederum abstinent und als nicht in der Lage gezeigt, eine Entwicklung aufzugreifen, die in der öffentlichen Debatte schon weit vorangetragen worden ist. Das ist, Herr Kollege Stoltenberg, etwa ebenso wie beim Hochschulrahmengesetz, wo wir in der Regierungserklärung geschrieben haben, daß wir einen solchen Entwurf vorlegen werden. Er wurde vorgelegt im Dezember, und er wurde hier eingebracht im März. Ein weiterer Punkt! Wir haben in der Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß Hochschulen und staatliche Forschungszentren wirksamer in ihrer Organisation, d. h. durch Abbau ihrer hierarchischen Strukturen verändert werden müssen. Wir haben die Leitlinien vorgelegt. Sie wissen, daß an einigen Instituten auf der Grundlage der Leitlinien sogar bereits entsprechende Veränderungen eingetreten sind. ({8}) - Herr Kollege Althammer, sicherlich wurde das kritisiert. Reformer kriegen immer Prügel von beiden Seiten. Ihr Problem ist nur, daß Sie bei Ihren Vorschlägen auch noch Prügel aus der Mitte bekommen. Das ist der Unterschied. ({9}) Ein weiterer Punkt! Wir haben in der Regierungserklärung gesagt: wir müssen ein Schnellbauprogramm machen, ({10}) um möglichst schnell den Numerus clausus anzugegehen. In der Zwischenzeit sind, wie Sie wissen, auf der Grundlage dieses Programms mit Investitionen von etwa 500 Millionen DM über 30 000 studentische Arbeitsplätze geschaffen worden. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben heute morgen mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Teil dieser Investitionen in der Tat durch Preissteigerungen wieder aufgefressen worden ist. Das ist unbestritten. Aber wenn ich auch die Debatte über die Vergangenheit hier nicht wieder aufgreifen will, so muß ich doch feststellen, daß wir diese Preissteigerungen von 1970 ja vorausgesehen haben. ({11}) Sie haben auf jeden Fall, Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben - -({12}) - Wir haben gewarnt, Herr Kollege Barzel - ich komme auch gleich zu Ihnen -, wir haben gewarnt im Jahre 1969. Sie haben, Herr Kollege Stoltenberg - ich zitiere die „Kieler Nachrichten" vom 22. September 1969 - damals von angeblich bevorstehenden Preissteigerungen gesprochen. ({13}) Herr Kollege Barzel, ich zitiere Sie aus einem Interview vom 21. August 1969. Da haben Sie gesagt: In der Industrie verspürt man bereits ein erstes Nachlassen der Auftriebskräfte, insbesondere 6430 Deutscher Bundestag -- G. Wahlperiode Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi der Nachfrage aus dem Ausland. Man sucht wohl vergeblich nach sachlichen Argumenten, die hier eine Rechtfertigung für düstere Prognosen in der Preisentwicklung geben sollen. Auch Minister Schiller hat erkennen müssen, wie begrenzt die prognostische Kraft ist. Herr Kollege Barzel, so haben Sie noch im August 1969 gesprochen, während wir auf die Gefahr gerade auf dem Bausektor hingewiesen haben, die durch Ihre Fehlentscheidungen eben nicht eingedämmt werden konnten. ({14}) Wir haben in der Regierungserklärung ferner gesagt: die Bundesregierung wird prüfen, wie man den Ländern bei der Überwindung des Numerus clausus helfen kann. Der Rahmenplan, Herr Kollege Stoltenberg, wird zum 1. Juli 1971 vorgelegt werden. Sie haben, Herr Kollege Stoltenberg, heute morgen in einer mir unverständlichen Naivität, wenn ich das sagen darf, von der Frage gesprochen, wie es möglich sei, daß diese Regierung den Numerus clausus abbauen wolle und zugleich davon spreche, daß nur für 50 % der Abiturienten Zugang zu den Hochschulen geschaffen werden solle. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben heute morgen positiv auf die Empfehlungen des Bildungsrats und des Wissenschaftsrats Bezug genommen. Ich muß Ihnen sagen, soviel Unbildung in Bildungspolitik sollte man eigentlich nicht haben. ({15}) Denn in diesen Empfehlungen steht drin, daß es in Zukunft einen Abschluß in der Sekundarstufe II geben wird, der eben nicht notwendigerweise für alle auch in die Hochschulen führen wird. Dies ist die Grundlage der Abschlußempfehlungen des Bildungsrats und der Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Das sollte man wissen, Herr Kollege Stoltenberg. Deswegen war die Frage, so scheint mir, überflüssig. Ich will mir die anderen Punkte ersparen, die deutlich zeigen, wie diese Regierung in der Frage der Grundlagenforschung, in der Frage der Reform der Entscheidungsmechanismen und Beratungsgremien Fortschritte gemacht und in der Frage der Datenverarbeitung mit Steigerungen beachtlichen Umfangs vorangegangen ist. Nur einen Punkt, Herr Kollege Stoltenberg. Sie haben verschiedentlich darauf hingewiesen, daß wir die europäische Arbeit hier vielleicht nicht so vorantreiben, wie das hätte geschehen sollen. Dieser Regierung ist es immerhin gelungen, in der Frage der Reform von Euratom ({16}) Grundlagen für eine mögliche gemeinsame europäische Forschungspolitik aus einem neu strukturierten Forschungszentrum zu schaffen. Jedenfalls haben alle Mitgliedstaaten der EWG diese Lösung, Herr Kollege Stoltenberg, akzeptiert. Ich muß sagen, ich hatte diese Lösung Ihnen etwa zwei oder anderthalb Jahre, bevor wir die Regierung übernahmen, mehrfach nahegelegt. Aber Sie konnten sich dazu nicht entschließen. ({17}) - Herr Kollege Stoltenberg, Sie rechnen uns alles einzeln vor. Dann lassen Sie auch mit sich einzeln abrechnen. Nur so kann man hier eine Grundlage schaffen. ({18}) Dann haben Sie erklärt, wir hätten in der Regierungserklärung gesagt, die Ministerien müßten in ihren Strukturen modernisiert werden. Wir haben den Versuch dazu gemacht durch Planungsstab, Umgliederung und Ausgliederung, und ich glaube, einige Erfolge sind dort zu spüren. Wir haben auch den Versuch gemacht, das so weit verbreitete Schlagwort von „mehr Demokratie" ({19}) - ja, Herr Wohlrabe, haben Sie doch einen Augenblick Geduld! - wirklich zu exerzieren. ({20}) Das Verfahren etwa, wie das Hochschulrahmengesetz entwickelt worden ist, war öffentlicher, als Gesetze sonst diskutiert werden. Wir haben auch, was in früherer Zeit sicherlich ungewöhnlich gewesen wäre, den Vorsitzenden der Oppositionsfraktion gebeten, uns in die Beratungen zur Entwicklung eines zweiten Datenverarbeitungsprogramms, bevor die Regierung dieses Programm verabschiedet, einen Abgeordneten Ihrer Fraktion zu entsenden. ({21}) Daß kein Abgeordneter Ihrer Fraktion Zeit dafür gefunden hat und Sie uns dafür Herren Ihres Planungsstabs geschickt haben, die wir selbstverständlich auch an allen Beratungen teilnehmen lassen, Herr Kollege Barzel, ist ein Problem Ihrer Fraktion und nicht der Bundesregierung. ({22}) Ein weiterer Punkt, der heute morgen in dem anklang, Herr Kollege Stoltenberg, was Sie in Ihrer Kritik gegenüber der Regierung vorgebracht haben, ist die Frage der Leistungsfähigkeit der Beamtenschaft durch Demokratisierung. Ich hoffe, ich habe Sie hier mißverstanden. Wir haben in der Tat im Ministerium begonnen, eine Diskussion auf viel breiterer Basis zu führen, als das früher möglich war. Ich glaube nicht, wenn ich die Leistungskraft unserer Beamten heute betrachte, daß diese durch mehr Mitwirkung und mehr Einfluß auf die Entscheidungen der Spitze etwa an Leistungswillen oder Leistungsfähigkeit nachgelassen hätten. Ich wollte das nur generell zur Frage der Demokratisierung im öffentlichen Bereich sagen. - Bitte sehr.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr von Dohnanyi, darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich überhaupt nicht über dieses Problem der Leistungssteigerung durch Demokratisierung gesprochen habe, wie Sie auch sonst - Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Doch, Sie haben auf Dortmund hingewiesen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe auf parteipolitische Personalpolitik hingewiesen. Das ist etwas ganz anderes. Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Nein, Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben gesagt: Dortmund, Mitbestimmungsmodelle, - wenn Sie das auf die Verwaltung übertragen - so haben Sie gesagt , dann kann das auch zu einem Leistungsabfall führen. So habe ich Sie jedenfalls verstanden. Das ist auf jeden Fall, glaube ich, bei uns nicht so. Schließlich geht es um eine Reihe grundsätzlicher bildungspolitischer Zielsetzungen. Hier möchte ich doch darauf hinweisen, daß das, was in unserem Hause, von dieser Bundesregierung inzwischen im Bereich des Hochschulausbaues geschehen ist, Herr Kollege Stoltenberg, auch quantitativ weit über das hinausgeht, was frühere Bundesregierungen auch nur eingeplant hatten. Sie hatten für den Hochschulausbau für 1972 eine Planung von 900 Millionen DM; unsere Mittel für den Hochschulausbau - gesichert in der mittelfristigen Finanzplanung - liegen jetzt bei 1,6 Milliarden DM. Ich bitte Sie, diese Zahlen zu vergleichen und zu fragen, ob man hier nicht in der Tat eine Grundlage für eine tragfähige bildungspolitische Konzeption geschaffen hat. Aber in der Debatte spielt ein Punkt die entscheidende Rolle, nämlich die Frage nach der bildungspolitischen Konzeption, die hier zugrunde liegt. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie weiterhin statt einer reformierten Gesamthochschule eine gegliederte Hochschule, auch in Zukunft die künstliche - und nicht nur bildungspolitisch, sondern auch investitionspolitisch -, falsche Trennungen zwischen den verschiedenen Hochschulbereichen aufrechterhalten. Sie haben das heute morgen hier nicht erwähnt - das ist richtig -, aber man muß ja, wenn man über die Mittel in der Bildungspolitik diskutiert, natürlich auch diese Frage sehen. Wir haben im übrigen als Grundlage eine Konzeption, die neben dem physischen Ausbau der Hochschule auch die Entwicklung des Hochschulnachwuchses sieht. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben in der ersten Numerus-clausus-Debatte, die dieses Haus im November 1966 geführt hat, darauf hingewiesen, daß die Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Zukunft der Hochschule eine entscheidende Rolle spielt. In der mittelfristigen Finanzplanung aber, die wir vorgefunden haben, waren dafür nur Mittel in Höhe von 4 oder 5 Millionen DM für die Jahre 1971 beziehungsweise 1972 vorgesehen. Wir haben jetzt in der Verbindung mit dem Graduiertenprogramm eine Planung in Höhe von 51 Millionen DM bzw. 90 Millionen DM für die von mir genannten Jahre. Also auch hier ist eine tragfähige Grundlage gegeben. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie verlangen von dieser Regierung alles auf einmal. ({0}) Wir sollen alle Dinge, die in der Regierungserklärung stehen, gleichzeitig und nebeneinander durchführen. Ich bestreite nicht, Herr Kollege Leicht, daß auch frühere von der CDU geführte Regierungen, wenn sie uns auch wenig Basis für Planungen hinterlassen haben, in die Zukunft geblickt haben, aber eben nicht - und das auch für die heutige CDU/CSU-Opposition - entschlossen zu planvollem Handeln, sondern, meine Damen und Herren, letzten Endes bestimmt von Furcht. Die Forschungspolitik von Herrn Stoltenberg - ich könnte das hier im einzelnen belegen - basierte nicht auf einer gesellschaftspolitischen Konzeption, sondern in erster Linie auf Aspekten wie Bedrohung durch internationalen Wettbewerb, auf der Angst, zurückzubleiben, auf der Furcht vor der technologischen Lücke. ({1}) Herr Stoltenberg, Sie haben das heute morgen selber noch einmal begründet, indem Sie gesagt haben, der wissenschaftlich-technische Fortschritt habe ein Eigengewicht, auf das man gewissermaßen defensiv reagieren müsse. Wir meinen, man kann auf diesen Fortschritt nicht defensiv, sondern nur planvoll und nach vorn gerichtet reagieren und nicht ein Eigengewicht des technischen Fortschrittes akzeptieren. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

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Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Dohnanyi, darf ich Sie darauf hinweisen, daß Sie mich erneut - wie jetzt schon fünfmal - falsch zitieren. In meiner Rede findet sich nichts von einer defensiven Reaktion, sondern von der Aufgabe, vorausschauend diesen Prozeß so zu beeinflussen, daß er den Menschen dient. Ich möchte das nur noch klarstellen. ({0}) Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben davon gesprochen, daß man sich diesem Prozeß, der ein Eigengewicht hat, gewissermaßen anpassen müsse. ({1}) - Aber so waren Sie zu verstehen. So ist viel zu erklären, was in Ihrer Konzeption, Herr Kollege Stoltenberg, gestanden hat. Ich möchte darauf hinweisen, daß eben diese reaktive Haltung für uns in der Tat einen der großen Unterschiede zwischen dieser Regierung, die den Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi Versuch macht, planvoll zu arbeiten, und Ihnen ausmacht. ({2}) - Sie wollen ja von uns Planung. Jetzt stehen Sie wieder in einem Widerspruch, Herr Leicht. Sie sagen, wir sollten Planung machen. Machen wir das, dann sagen Sie: verplanen Sie sich nicht. ({3}) Sie haben, Herr Kollege Stoltenberg, heute morgen darauf hingewiesen, Sie hätten sich auf Herrn Vizepräsidenten Schmid, damals Minister für Bundesratsangelegenheiten, abgestützt, als Sie in den Ausschußberatungen in der Tat derjenige waren, der nach einer vorliegenden Definition, wonach alle Hochschulen in den 91 a einzubeziehen seien, dafür gesorgt hat, daß nur wissenschaftliche Hochschulen einbezogen wurden. Sie haben dann aber, kaum waren Sie in der Opposition, den Gegenstoß geführt. Das ist eben die Art von Konsequenz, mit der hier von Ihnen gearbeitet wird. Erst im Ausschuß als Regierung die Dinge so und dann als Opposition anders. ({4}) - Meinen Sie, Herr Kollege Althammer, daß dieser Kabinettsbeschluß ohne den Willen und die Zustimmung von Herrn Stoltenberg zustande gekommen wäre? Das kann ich mir kaum vorstellen. Es war, Herr Kollege Stoltenberg, statt einer nach vorn gerichteten Politik eine furchtsame Politik gegenüber den Ländern. Sie haben einen Konflikt gescheut, den man manchmal durchstehen muß, wenn man hier Politik machen will. ({5}) In dieser Weise ließe sich die Abrechnung fortsetzen. Ich will nur einen weiteren Punkt aufgreifen. Auf dem Kulturkongreß der CDU/CSU im Jahre 1969 haben Sie, Herr Stoltenberg, gesagt - Herr Präsident, ich darf zitieren -: 1965 wurde schließlich unter dem Vorzeichen der angeblich drohenden Bildungskatastrophe von Edding, Picht und anderen erklärt, wir hätten einen unbegrenzten Mehrbedarf an Akademikern in allen Berufen. Aber bereits 1967 war in vielen Disziplinen für die Absolventen von Hochschulen ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage erreicht. Neulich in der Debatte bei der Einbringung des Rahmengesetzes hat Kollege Martin erneut den gleichen Punkt aufklingen lassen, nämlich die Furcht vor dem akademischen Proletariat. Durch die Bagatellisierung des Problems der Bildungsexpansion einerseits und die Dramatisierung dieser Frage des akademischen Proletariats andererseits, Herr Kollege Stoltenberg, haben Sie sich - ich will das hier einmal ganz klar sagen - gemeinsam mit Ihren Kollegen im Finanzministerium, aber auch im Innenministerium damals mit zu einem der Väter des Numerus clausus gemacht, der bereits 1966 hier diskutiert und dann von früheren Bundesregierungen nicht entsprechend bekämpft wurde. Das ist doch der Punkt. ({6}) - So ist es gewesen, Herr Kollege Gölter. Das hat mit Edelmann gar nichts zu tun. So ist doch das Faktum! 1966 war hier eine Numerus-clausus-Debatte, und dann wurden in vier Jahren die Mittel für den Hochschulbau um 200 Millionen DM gesteigert. Wir haben in einem Jahr die Mittel für den Hochschulbau um 300 Millionen DM gesteigert. Das ist doch, Herr Kollege Stoltenberg, was man hier sehen muß. Deswegen sind Sie mit schuldig an dem, was dort geschieht. ({7}) - Nein, Herr Kollege Stoltenberg, ich möchte jetzt abschließen. Es tut mir leid. ({8}) - Gut. Bitte sehr, Herr Kollege Stoltenberg!

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr von Dohnanyi, Sie haben gesagt, Sie hätten in vier Jahren die Mittel um 200 Millionen DM gesteigert. Darf ich darauf hinweisen, daß die Ist-Ausgaben des Jahres 1965 280 Millionen DM waren, der Haushaltsansatz 1969 750 Millionen DM, die Mittel aber nicht voll ausgegeben werden konnten, weil die Länder nicht in der Lage waren, ihren Komplementäranteil aufzubringen. Wollen Sie weiterhin mit Fakten und Zahlen so leichtfertig und demagogisch umgehen, wie Sie das hier tun? ({0}) Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Stoltenberg, ich gehe mit Fakten nicht demagogisch um, wenn ich hier noch einmal wiederhole, daß im Jahre 1969 unter Ihrer Führung des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung die Mittel für den Hochschulbau zurückgegangen und nicht gesteigert worden sind. ({1}) Das ist ein Faktum, das müssen Sie akzeptieren. So war es.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

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Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese Mittel im wesentlichen auf Grund von Empfehlungen des Wissenschaftsrates eingestellt worden sind, und zwar zu einer Zeit, als Herr Leussink Vorsitzender des Wissenschaftsrates war? ({0}) Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das letztere ist nicht richtig. Was immer man über Herrn Leussink als Vorsitzenden des Wissenschaftsrates sagen kann, ({1}) muß man wenigstens prüfen, in welchen Jahren Herr Leussink Präsident des Wissenschaftsrates war. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates, auf denen die Äußerungen von Herrn Stoltenberg - das wird er mir bestätigen können - basierten, sind vor der Zeit von Herrn Leussink vom Wissenschaftsrat verabschiedet worden. ({2}) - Herr Kollege Martin, ich möchte jetzt wirklich zum Schluß kommen. ({3}) - Nein, es tut mir leid. Jetzt müssen Sie mir die Geschäftsordnung schon zugute halten. ({4}) Meine Damen und Herren, fast alles, was wir hier von Ihnen hören, beruht eben auf der Politik der Furcht. Was wir hören, sind Warnungen, Sorgen und Bedenken, aber keine Vorschläge, keine Pläne, keine Alternativen. Die Opposition in diesem Bundestag schuldet dem deutschen Volk, so scheint mir, mehr Mut. ({5}) Denn wer selber Furcht vor der Zukunft hat, der muß auch bei anderen Furcht erzeugen. ({6}) Deswegen, meine Damen und Herren, ist es politische Schwäche, wenn Sie versuchen, mit starken Worten, mit Inflationshysterie und Ausverkaufsgerede, Angst in unserem Volk zu verbreiten. Es ist nicht Ausdruck Ihrer Stärke, sondern Ihrer politischen Schwäche, daß Ihre Politik eine Politik der Furcht ist. ({7}) Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind heute die Minderheit in diesem Hause, weil das Volk auf die notwendigen Reformen zu lange warten mußte. Das Volk hat deswegen mit Mehrheit die Reformer in diesen Deutschen Bundestag gewählt, ({8}) und die Mehrheit in diesem Hause - dessen bin ich sicher wird dafür sorgen, daß die Furchtsamen und Zaghaften in den kommenden Monaten und Jahren Reformen in diesem Lande nicht wieder aufhalten können. ({9})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Katzer. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 35 Minuten erbeten.

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Dohnanyi, Sie beziehen sich auf die Regierungserklärung und sagen, Sie wollten sich an dem messen lassen, was in der Regierungserklärung steht. Dafür sind wir Ihnen sehr dankbar. Genau das tun wir, und deshalb führen wir hier und heute diese Debatte. ({0}) Wenn Sie dann aber sagen, Herr von Dohnanyi, wir verwendeten das weit verbreitete „Schlagwort": Mehr Demokratie!, geben Sie damit zu, daß Sie die Regierungserklärung nicht richtig gelesen haben, denn darin steht just dieses Wort. ({1}) Ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen, was er eigentlich dazu sagt, daß Sie das als Schlagwort bezeichnen. Dazu sollte sich der Herr Bundeskanzler hier einmal klipp und klar äußern. ({2}) Meine Damen und Herren, zu Beginn der Rede des Herrn Bundeskanzlers hörten wir einen bemerkenswerten Satz, der lautete: „In den fünfziger Jahren hat das deutsche Volk in der Bundesrepublik in einem stürmischen und erfolgreichen Wiederaufbau aus einer Trümmerlandschaft eine der leistungsfähigsten Industrienationen der Welt geschaffen." ({3}) Nun, meine Damen und Herren, diesen Satz hätte ich gern damals, als es um die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft ging, von Ihnen gehört. Ich habe die betreffende Debatte in sehr guter Erinnerung. Ich weiß, daß damals Herr Agartz unser Gegenpart war und daß wir gegen den Willen der Sozialdemokraten die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt haben. ({4}) Das hätte, glaube ich, mit dazugehört. ({5}) Heute hört man unterschwellig: Na ja, jetzt wollen wir euch mal akzeptieren, den wirtschaftlichen Aufstieg habt ihr geschafft, die Zeit liegt lange genug hinter uns; aber bei den Reformen hätte mehr getan werden müssen. Das ist das Thema, um das es heute geht. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß nicht nur die finanzpolitische Situation die Ursache für eine zunehmende Enttäuschung bei einer anfangs erwartungsvollen Öffentlichkeit ist. Mehr noch ist es das Fehlen einer geistigen Konzeption der von dieser Regierung propagierten Reformpolitik. ({6}) Meine Damen und Herren, nach der Bilanz dieser anderthalb Jahre Regierung haben sich in der Bevölkerung geweckte Erwartungen ganz sicher nicht erfüllt, im Gegenteil - hier unterstreiche ich ganz nachdrücklich, was heute morgen Kollege Stoltenberg gesagt hat -, Sie haben mit dem Wort „Reform" Schindluder getrieben, und das ist sehr zu bedauern; denn es verbreitet sich eine weitgehende Abnutzung des Wortes Reform, und es besteht die Gefahr, daß sich diese Abneigung gegen das Wort eines Tages auch gegen Reformen selbst wenden könnte. ({7}) Ubersteigertes Reformgerede nutzt nichts, sondern schadet. Damit haben Sie der Sache einen schlechten Dienst erwiesen. Gesellschaftspolitische Reformen bedeuten immer eine Anpassung der inneren Ordnung an neue gesellschaftliche Entwicklungen und Strukturen. Aber nur der kann gestalterisch wirken, der gesellschaftspolitische Entwicklungen sieht und sie auch der Bevölkerung gegenüber deutlich zu machen versteht, was Ihnen weiß Gott nicht gelungen ist. Das erfordert nicht nur eine klare Sicht der Dinge, sondern auch den Mut, unter Umständen unbequeme Wahrheiten zu sagen. Daran haben Sie sich hier und heute vorbeigemogelt - bis jetzt jedenfalls. ({8}) Wer die Regierungserklärung von 1969 aufmerksam liest, stellt fest, daß es sich dabei - das haben wir damals schon gesagt - und eine Summe von Einzelvorhaben handelte. Wo aber, meine Damen und Herren, finden wir beispielsweise die geistige Auseinandersetzung mit der Tatsache, daß eine zunehmende Zahl unserer Mitbürger von selbständiger zu unselbständiger Tätigkeit hinüberwechselt, ({9}) wo eine Antwort auf die Frage der Auswirkung einer zunehmend komplizierter werdenden Verwaltung in allen Bereichen unseres Lebens, sei es im öffentlichen, sei es im privaten Bereich, ({10}) wo eine Antwort auf die offenen Fragen, die sich mit einer zunehmenden Freizeit stellen, wo eine Antwort auf die zunehmende Anonymisierung und Verfremdung vieler Lebensbereiche? ({11}) Wo liegen denn die Ursachen dieser Erscheinungen, die viele Menschen in unserem Lande beunruhigen? Ist der technologische Fortschritt die Ursache dieser Erscheinungen? Oder liegt die Ursache tiefer? Herr von Dohnanyi, Sie machen es sich doch einfach zu leicht, wenn Sie nur sagen, der technische Fortschritt müsse vorwärtsgetrieben werden. Sicher, dieser technische Fortschritt wird selbstverständlich vorwärtsgetrieben, aber es gibt auch Sorge vor diesem anonymen technischen Fortschritt, wie ihn die Menschheit und unsere Bevölkerung sieht. ({12}) Wir wollen uns nicht seelenlosen Apparaturen ausgeliefert sehen, sondern wir wollen diese Gestaltungsprozesse mit beeinflussen helfen. Wer reformieren will, muß die Wandlungen, die im Zusammenleben und in der Ordnung unserer Gesellschaft unwiderruflich im Gange sind, sehen. ({13}) - Nein, wir kommen nicht mit der Pferdebahn. Ich werde Ihnen das nachher noch sehr deutlich zeigen. Ohne den Fortschritt, den die Christlich-Demokratische Union gegen Sie erreicht hat, hätten Sie gar nicht die Chance, heute solche Zwischenrufe zu machen. ({14}) Meine Damen und Herren, besonders die jüngere Generation stellt vieles in Frage, auch wirtschaftliche und soziale Institutionen. Die Bereitschaft zu tiefgreifenden Reformen ist ausgeprägt. Das spontane Interesse an den Fragen unseres politischen Gemeinwesens und an unserem weiteren Weg ist unverkennbar. Ich sage noch einmal, der Mensch - Sie sehen das offenbar in Ihrer Planungsfreudigkeit nicht - sieht sich - und das ist doch der Tatbestand, über den wir zumindest diskutieren und über den Sie nicht lächeln sollten - eben weitgehend einem anonymen Schicksal ausgeliefert. ({15}) Technische und wirtschaftliche Sachzwänge bedrücken ihn. Es gibt ein neues Problem der Entfremdung und der Einsamkeit des Menschen in dieser industriellen Gesellschaft, Herr von Dohnnanyi. Das wissen Sie ganz genau. ({16}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch das hinzufügen, es gibt in dieser Auseinandersetzung wichtige positive Ansätze, die die Gesellschaftspolitik zu beachten hat. Besonders die junge Generation wehrt sich gegen ein einseitiges und ausschließliches Erfolgs- und Nützlichkeitsdenken. Sie fragt mehr und mehr nach dem Sinn dieses Lebens und nach dem Sinn der gesellschaftlichen Entwicklung. Das sollten wir begrüßen, und dafür sollten wir dankbar sein. ({17}) - Ich wünschte sehr, daß sich die sozialdemokratische Fraktion etwas mehr mit dieser Philosophie, etwas mehr mit dem konkreten Menschen, wie es der Münchner Oberbürgermeister einmal ausgedrückt hat, auseinandersetzen würde und nicht mit Utopien, mit denen Sie das Volk speisen möchten, meine Damen und Herren. ({18}) Die Antwort auf die Frage: „Welche Politik?" kann auch eine Antwort auf die Fragen des wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandels und eines zunehmenden gesellschaftlichen Bewußtseins sein. Sie kann auch auf diese Fragen, die Sie ja gar nicht stellen, eine Antwort geben. ({19}) Eine Antwort kann sicherlich nicht die Sozialpolitik oder die Wirtschaftspolitik oder die Kulturpolitik allein geben. Die traditionelle Fachpolitik, die einzelne Aspekte verabsolutiert, bekommt die Probleme nicht in ihrer vollen Tragweite in Sicht, insbesondere gibt sie keine zureichenden Lösungen. Die moderne Industriegesellschaft braucht Leitbilder, mit denen sich die Menschen draußen identifizieren können und mit denen sie die Nur-Konsumgesellschaft überwinden. Sie müssen der Orientierung des Menschen in seiner neuen Welt dienen und seiner Befähigung und Bereitschaft zu selbständigem Denken und der Entwicklung seiner schöpferischen Kräfte dienen. Der Mensch in der industriellen Gesellschaft braucht viele Felder der persönlichen Entfaltung, der persönlichen Entwicklung. Lassen Sie mich das hier mit allem Nachdruck sagen: zu diesen Leitbildern gehört nicht zuletzt das Bild der Persönlichkeiten, das wir, die Politiker, geben, und gehört nicht zuletzt der Stil der Auseinandersetzung, wie er hier im Hause von uns geprägt wird. ({20}) Auf all diese Fragen, meine Damen und Herren, gibt die Regierung keine Antwort. .Ja, sie versucht noch nicht einmal, die Fragen zu stellen. Aber nur wer diese Fragen sieht, wird gesellschaftspolitisch überzeugende Lösungen finden. Wer reformieren will, muß den Boden erkennen, auf dem das Reformwerk errichtet wird. ({21}) Reformen setzen Kenntnis und Bewußtsein der geschichtlichen Entwicklung voraus. ({22}) - Herr Wehner, wenn Sie zuhörten, würde es Ihnen vielleicht nützen. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wer Reformen will, muß das geschichtlich Gewordene annehmen. Nur der kann es verändern. ({23}) Wer nicht so handelt, wird entweder unbewußt ein Gefangener gerade der Tradition, oder sein Wollen bleibt im bloßen Gefühl, daß etwas verändert werden müsse, stecken. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies an wenigen Sachpunkten deutlich zu machen versuchen: Erstens. Eine bedenkliche Erscheinung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ist die ungleichgewichtige Verteilung des Produktivvermögens. In unseren Überlegungen zum Beteiligungslohn, die unter dem Namen ,,Burgbacher-Plan" der Öffentlichkeit draußen bekannt sind, haben wir nachgewiesen, daß nach unserer gegenwärtigen Wirtschaftsfinanzierung der Zugang zum Produktivvermögen für alle gar nicht möglich wäre. Das Verhältnis zwischen Fremdfinanzierung und Finanzierung, die eine Eigentümerposition verschafft, muß verändert werden. Hier hat sich durch die gesellschaftliche Entwicklung eine Verzögerung gebildet, die aufgeholt werden muß. Die Bundesregierung hat es bisher bei einer Verdoppelung des geförderten Sparbetrages bewenden lassen. Wie der Herr Bundeskanzler dies als eine Verdoppelung der Vermögensbildung bezeichnen kann, ist mir völlig unverständlich.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

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Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, gern. ({0}) - Das haben Sie nötig, Herr Kollege!

Hans Jürgen Junghans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Katzer, Sie sprachen soeben vom Burgbacher-Plan. Ich frage Sie, gehört der Burgbacher-Plan zu den Düsseldorfer Beschlüssen Ihrer Partei?

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, er gehört dazu. Wenn Sie die Beschlüsse nachlesen, werden Sie das feststellen. Herr Kollege, Sie können ganz beruhigt sein. Aber gerade von einer Regierung, die sich der Schwachen annehmen will, hätte man erwartet, daß sie denjenigen unter die Arme greift, die bisher überhaupt nicht sparfähig sind. Statt dessen werden ohnehin gut Verdienende doppelt gefördert und doppelt privilegiert. Das halten wir nicht für sinnvoll. ({0}) An der Verteilung des Produktivvermögens ändert die Verdoppelung der vermögenswirksamen Anlage auf 624 DM gar nichts. Das gleiche wäre nach dem unausgegorenen Papier von vier Staatssekretären der Fall, das vor einiger Zeit bekanntwurde, aber schnellstens wieder in der Versenkung verschwand. Denn auch dort war doch die entschei6436 dende Frage der Anlage in Beteiligungen nicht gelöst. Die vorliegende Antwort enthält keinerlei Lösungsvorschläge, so wie wir sie mit dem Beteiligungslohngesetzentwurf in den Gang des Gesetzgebungsverfahrens gebracht haben. Nicht einmal andeutungsweise ist davon die Rede, was die Bundesregierung hier zu tun gedenkt. Wieder einmal wird dagegen der Vermögensbildungsbericht angekündigt. Die Regierungserklärung, auf die Sie, Herr von Dohnanyi, abheben, versprach diesen Bericht schon für die Zeit nach den Parlamentsferien 1970. Vor Wahlen hört man dann andere Töne. Auf einer Arbeitnehmerkonferenz der SPD in Schweinfurt - es ist immerhin interessant, daß die Arbeiterpartei von gestern zur Beruhigung des Unmuts der Arbeitnehmer in ihrer eigenen Partei heute eine Arbeitnehmerkonferenz durchführen muß ({1}) erklärte just vor den hessischen Landtagswahlen der Bundesarbeitsminister im Oktober 1970 ({2}) - das hat schon einmal einer gesagt; zitieren Sie nicht weiter, es kann sehr teuer werden -: ({3}) Großen Raum in den Überlegungen der Bundesregierung über eine gerechtere Vermögensbildung nimmt die überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer ein. Dazu hat der Bundesarbeitsminister dem Bundeskanzler konkrete Vorschläge gemacht. Herr Arendt fährt fort: Willy Brandt hat es sich vorbehalten, diese Vorschläge den Arbeitnehmern selbst bekanntzugeben. Ihr werdet verstehen, daß ich dem Kanzler nicht vorgreifen möchte. ({4}) Nun, das haben wir verstanden. Heute, ein halbes Jahr später, sagt der Herr Bundeskanzler zu dieser entscheidenden gesellschaftspolitischen Frage nichts. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Bundesregierung gerade in dieser Frage keineswegs auf der grünen Wiese beginnen mußte. Die Regierung der Großen Koalition hat Grundsätze und Modelle - Herr von Dohnanyi, Sie waren da beteiligt; Sie müssen das wissen - für die Beteiligung aller am Produktivvermögen entwickelt. Sie sind in einer Broschüre unter dem Titel „Vermögenspolitik in einer wachsenden Wirtschaft" unter der Federführung des Arbeitsministers veröffentlicht worden. Meine Damen und Herren von der Koalition, hier hätten Sie eine Basis für eine Konzeption, die auch die Ergebnisse einer langjährigen Debatte in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit enthält. Lassen Sie mich zu diesem Punkt zweierlei sehr deutlich sagen. Erstens. Wenn die Regierung hier keinen Mut oder keine Kraft findet, dann wäre sie gut beraten, wenn der Beteiligungslohngesetzentwurf der CDU/ CSU-Fraktion im Ausschuß endlich behandelt würde. ({5}) Zweitens. Ich glaube, es geht nicht an, bei Wahlkämpfen draußen im Lande die einseitige Vermögensbildung zu beklagen ({6}) und hier im Hause den vorliegenden Gesetzentwurf zu blockieren. Das steht nicht miteinander in Übereinstimmung. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

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Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Katzer, Sie wissen doch, daß nach dem bisher nach dem 312-DMGesetz praktizierten Verfahren ({0}) - ich frage ja - Millionen von Arbeitnehmern gar keinen Nutzen von der Vermögensbildung hatten. Jetzt wird diesen Arbeitnehmern eine Sparzulage gewährt - es sind mehrere Millionen -, und zwar genau denen, die besonders einkommensschwach sind. Nun will ich nicht beanspruchen, daß das eine Reform ist. Aber halten Sie es wenigstens für einen wesentlichen Fortschritt?

Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin schon dankbar für Ihre Bemerkung, daß das keine Reform ist. Streichen Sie das einmal aus Ihrem Reformkatalog, den Sie dem Hohen Hause immer wieder vorlegen. ({0}) - Ich habe schon mehrfach gesagt, daß man nicht dagegen sein kann. Es war auch in der genannten Broschüre schon vorgeschlagen. ({1}) - Aber lieber Herr Kollege, Sie wissen doch selbst, daß es um die Frage geht, ob wir dem Personenkreis, der 624 DM festlegen kann - das sind doch nicht die Ärmsten -, die höheren Prämien geben oder ob wir statt dessen bei denjenigen, die nicht sparfähig sind, die Sparfähigkeit herstellen. Darauf kommt es an. Das war doch früher ein Programmpunkt, der auch auf Ihrer Seite stand. ({2}) Lassen Sie mich zusammenfassend zwei Punkte ganz klar hier sagen. Ich wiederhole: Sie können sich draußen nicht beschweren, wenn Sie hier unseren Gesetzentwurf nicht beraten. Ich möchte auf eine Bemerkung des Kollegen Schellenberg bei der damaligen Debatte klar sagen: Wer hier sagt, er wolle kein Zwangssparen, aber durch die Politik des leichten Geldes gerade den kleinen Mann zum Zwangssparen über den Preis zwingt, dem kann ich nur antworten, das ist unsozial und das Gegenteil von Eigentumsbildung. Das sollten Sie nicht miteinander verbinden. ({3}) Zweitens. Zum sicheren Boden einer effektiven Reformpolitik gehört die Solidität von Wirtschaft und Finanzen. Ich sage dies im Blick auf die Rentner, die durch die gegenwärtigen Preissteigerungen besonders hart getroffen werden. Ich erhalte täglich eine Fülle von Briefen aus der ganzen Bundesrepublik, in denen sich die Rentner mit Recht darüber beklagen, daß die Rentenerhöhung vom Januar 1971 durch die im Jahre 1970 eingetretenen Preissteigerungen fast völlig aufgezehrt worden sei. Durch die hohe Preissteigerungsrate haben wir damit den Fall, daß eine reale Rentenerhöhung praktisch ausfällt. Es ist dies das erste Mal seit der Rentenreform des Jahres 1957. ({4}) Die Rentenreform - das war ein Reformgesetz, das unter diesem Namen rubriziert werden kann. Ich glaube, die Bundesregierung hätte allen Anlaß, diese Tatsache sehr ernst zu nehmen. Herr Kollege Spitzmüller und Herr Kollege Schellenberg, wir haben es in den letzten zehn Jahren so gehalten, daß wir in dieser entscheidenden Frage der Rentenversicherung, die das Kernstück unserer sozialen Sicherung bleibt, ein möglichst großes Maß an Gemeinsamkeit erzielten. Eckpfeiler dieses Sicherungswerks sind Solidität, Solidarität und Stabilität. Jeder muß sicher sein, daß er erstens seine Rente überhaupt und zweitens eine genügend hohe Rente erhält. ({5}) Deshalb haben wir auf die Sicherung stabiler Finanzen der Rentenversicherung durch das Dritte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz so großen Wert gelegt. ({6}) Ich wiederhole: es ehrt dieses Parlament, daß wir damals vor den Bundestagswahlen den Beitragssatz ab Januar 1973 auf 18 % festgelegt haben, und zwar einmütig, einschließlich der Opposition, was ich damals als Arbeitsminister der FDP hoch angerechnet habe. Ist nun die Solidität bei den kürzlich bekanntgewordenen neuen Vorausschätzungen gegeben? Ich will diese Frage nicht a priori verneinen. Aber der Herr Bundesarbeitsminister, der in der Öffentlichkeit unentwegt von flexibler Rente spricht, sollte sich heute und hier von diesem Platz aus dazu einmal klar und verbindlich äußern. ({7}) Er wird sich fragen lassen müssen, ob alle Annahmen realistisch und vollständig sind. Ist beispielsweise die Annahme richtig, daß wir im Jahre 1985 2,5 Millionen ausländische Arbeitnehmer haben werden? Wäre es nicht solider, mit vorsichtigeren Margen zu arbeiten? Denn, meine Damen und Herren - das habe ich eindrucksvoll erfahren -: Was die Rentner vor allem anderen brauchen, ist Sicherheit auf lange Sicht. ({8}) Wir möchten auch Antwort haben auf die Frage des erheblichen Rückgangs der Geburten. Das muß Anlaß zur Überprüfung der Vorausschätzungen sein. In der „Welt" ist zu lesen, daß im Jahre 1985 der Anteil der Fünfzehnjährigen nicht, wie in unseren Berechnungen angenommen - Herr Kollege, Sie verstehen doch etwas von Zahlen -, 23,4 %, sondern nur 19,8 % beträgt. Das hat doch selbstverständlich in starkem Maße Auswirkungen auf die Rentenversicherung. Wir möchten dann doch von dieser Regierung eine Antwort haben auf die Frage, welche Auswirkungen das hat und wie das aussieht. ({9}) Und schließlich dies - bis jetzt habe ich das nur von dem Kollegen Schellenberg gehört, aber ich hätte es gern vom Herrn Arbeitsminister dieser Bundesregierung gehört -: Das Rentenniveau wird in diesem Jahr und im kommenden Jahr mit 42,5 % der Bruttoverdienste den niedrigsten Stand haben, der jemals erreicht wurde. ({10}) Noch nie seit der Rentenreform waren die Renten im Vergleich zum Einkommen der Aktiven so niedrig wie heute. ({11}) - Das wird den Rentner sehr wenig beruhigen. Herr Kollege Schäfer, weshalb hat denn der Kollege Arendt damals ein Weihnachtsgeld empfohlen? Doch eben deshalb, weil er selber das Gefühl hatte, daß die Rentner zurückbleiben und daß hier etwas nachgeholt werden muß. Das ist doch aus seinem eigenen Munde gekommen. ({12}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. ({13}) - Herr Kollege Schäfer, das weise ich nachdrücklich zurück. Ich spreche hier aus der Verantwortung für die Solidität und die Sicherheit unserer Rentenversicherung. Die scheint mir mehr wert zu sein als Ihre Bemerkungen. ({14})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

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Hans Katzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Augenblick! Ich möchte den Gedanken zu Ende bringen. Um nicht falsch verstanden zu werden, Herr Kollege Schäfer, möchte ich Ihnen hier sagen: Wir halten eine flexible Altersgrenze für sozialpolitisch notwendig und haben das in unserem Düsseldorfer Programm klar gesagt. Aber massive Ankündigungseffekte halten wir für gefährlich. Wir möchten, daß die Öffentlichkeit weiß, welcher Preis dafür gezahlt werden muß. ({0}) Und das niedrige Rentenniveau ist ein Preis dafür. Das muß man wissen, und das muß abgewogen werden. Wer hier reformieren will, meine Damen und Herren, wird nur dann keine Fehlentscheidungen treffen, wenn er über eine Gesamtschau der hier anstehenden Probleme verfügt. ({1}) Ich nenne hier die wichtige Frage der Öffnung für Selbständige, ich nenne die Frage der Sicherung der Frau. ({2}) Wir haben dazu von dem Herrn Bundeskanzler heute ein paar Worte gehört. Aber, Herr Bundeskanzler, vielleicht darf ich mir erlauben, noch dies zu sagen: Ich glaube, Sie unterschätzen doch die Wachsamkeit unserer Frauen, insbesondere auch der Hausfrauen. Die wissen sehr wohl, was mit dem Gelde los ist, und sie würden gerne hier und heute hören, wie es mit ihrem Haushaltsgeld und mit den Preissteigerungsraten für die Zukunft aussieht. Das sind die Fragen, die sie in entscheidender Weise beschäftigten und die beantwortet werden müssen. ({3}) Ich nenne als ein weiteres Problem die Frage der Kleinrenten. Hier haben wir ein sozialpolitisches Anliegen von besonderer Dringlichkeit. Wir haben mit unserem Gesetzentwurf über die Nichtanrechnung eines Teils der Rente bei der Sozialhilfe einen Schritt zur Lösung des Problems getan. Wir geben uns damit nicht zufrieden. Ferner steht die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige an. Von der Bundesregierung sind hierzu Vorstellungen bekanntgeworden, deren Durchführung den Selbständigen keine Sicherung für das Alter bringen, wohl aber die Rechte und Pflichten in der Rentenversicherung ungleich verteilen würden. Die CDU/CSU-Fraktion wird in den kommenden Wochen einen Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige einbringen, der eine systemkonforme und den Anliegen der Selbständigen entsprechende Regelung enthalten wird. Die Verlautbarungen der Regierung lassen eine solche Gesamtschau vermissen. Bezüglich der Kleinrentner hat diese Regierung offenbar nichts im Sinn ({4}) eine merkwürdige Haltung für eine Regierung, die angeblich gerade dem schwachen und im Schatten stehenden Leben ihr besonderes Augenmerk widmen will. ({5}) Sie will die Verantwortung in diesem Punkt offenbar dem Parlament zuschieben. Ich glaube, Sie sollten keine Sorge haben, daß auch wir diese Verantwortung tragen. Mehr als widersprüchlich - darauf hätten wir von dem Herrn Arbeitsminister ebenfalls gern eine Antwort gehört - sind die Äußerungen zur Rentenhöhe. Während der Bundesgeschäftsführer der SPD, Herr Wischnewski, öffentlich erklärt, die Regierung prüfe eine Verkürzung des time-lag in der Rentenversicherung auf zwei Jahre, antwortet die Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage, sie stelle eine solche Prüfung nicht an und werde sie auch in absehbarer Zeit nicht anstellen. Noch verwirrender sind die Äußerungen zur flexiblen Altersgrenze. Das Bundesarbeitsministerium läßt verlauten, daß bei einem früheren Rentenbezug an sogenannte versicherungsmathematische Abschläge in Höhe von 5 bis 6 0/o pro Jahr nicht gedacht sei. Der Kollege Spitzmüller und Frau Kollegin Funcke halten dagegen gerade solche Abschläge für notwendig. Ich meine, es ist dringend erforderlich, daß hier Klarheit in die Haltung der Regierung gebracht wird. Ich wiederhole: Wir sind für eine individuelle Altersgrenze, aber nur, wenn vorher - ich sage „vorher", Herr Kollege Schellenberg, und nicht, wie Sie gemeint haben, „nachher" - alle damit zusammenhängenden Fragen - einige davon habe ich genannt - klar und befriedigend beantwortet sind. Lassen Sie mich ein Wort zur betrieblichen Altersversorgung sagen. Für die arbeitenden Menschen ist es von außergewöhnlichem Interesse, ob ihre betriebliche Zusatzversorgung verlorengeht, wenn die Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten, ob sie ihren Arbeitsplatz wechseln können und ihre Ansprüche am neuen Arbeitsplatz fortgelten - um nur einige Probleme zu nennen. Es hatte zunächst den Anschein, daß diese Regierung auf dem von mir begonnenen Wege weitergehen würde. In der Antwort der Bundesregierung, die wir bekommen haben, wird diese Frage, die Millionen von Arbeitnehmern bewegt, mit keinem Wort mehr erwähnt. ({6}) Drittens. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung konkreter Art machen, insbesondere weil der Herr Bundeskanzler in dieser Frage keine Aussage gemacht hat. Ich meine die Familienpolitik. Die Familie als erste und wichtigste Heimat persönlicher Bindungen verdient - ich füge hinzu: und braucht - den Schutz und die Förderung des Staates. ({7}) Für die Entwicklung gerade der Kinder in den ersten Lebensjahren ist es von besonderer Bedeutung, daß sie in gesicherten Familienverhältnissen aufwachsen. Auch auf die Gefahr hin, daß der eine oder andere von Ihnen das für antiquiert hält, bekenne ich mich dazu - ich sage das nachdrücklich -, daß die Erziehungskraft der Familie durch nichts Gleichwertiges ersetzt werden kann. ({8}) Auch hier muß deutlich gesagt werden, daß die Preissituation neben den Rentnern die kinderreiçhe Familie am härtesten trifft. Die Verbesserung des Kindergeldes für das dritte Kind durch diese Bundesregierung ist unzureichend. Wir haben Vorschläge zur Verbesserung des Familienlastenausgleichs gemacht, die von dieser Koalition abgelehnt wurden. Wir haben es uns nicht leichtgemacht, sondern gleichzeitig Deckungsvorschläge unterbreitet, die Sie dann selbst nicht mehr wahrnehmen konnten, weil Sie die Aufhebung der Ergänzungsabgabe und die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages zwar versprachen, aber nicht realisierten. Lassen Sie mich schließlich als Beispiel für den Willen der Union zu realistischen Reformen auf unseren Initiativantrag zur Krankenhausreform hinweisen. Unsere Fraktion hat sich bemüht. mit ihrem Antrag zur Krankenhausreform, den wir hier am vorletzten Freitag in erster Lesung behandelt haben, das Problem von Grund auf anzugehen. Wir haben damit eine klare Alternative zum klassenlosen Krankenhaus vorgelegt. Ich kann nur mein Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie draußen in den Wahlkämpfen - insbesondere in Hessen - unentwegt vom klassenlosen Krankenhaus sprechen, aber hier in der Sachdebatte diesen Begriff noch nicht einmal erwähnen. ({9}) - Sie haben meine Parteitagsreden schlecht gelesen. Ich werde Ihnen eine zustellen, damit Sie das vergleichen können, Herr Kollege. Es lohnt sich für Sie. Sie können heute in Ihrer Partei das ja gar nicht mehr sagen, was wir auf unserem Parteitag diskutiert haben. ({10}) Die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung sowie die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers haben, glaube ich, hinreichend deutlich werden lassen, daß die Regierung die allgemeine Reformbereitschaft, die zweifellos vorhanden ist, nicht mit konkretem Inhalt zu füllen vermochte. Sie rufen ja bei jedem zweiten Wort der Opposition: Alternative, Alternative! Wir von der Opposition haben im gesellschaftspolitischen Feld vier, fünf große Alternativen aufgezeigt, und zwar Alternativen, die zugleich Reformcharakter haben. ({11}) Wir wären dankbar - lassen Sie mich damit zum Schluß kommen - ({12}) - Ich kann mir vorstellen, daß Sie darüber sehr glücklich sind. ({13}) - Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, es gibt in Ihren Reihen den einen oder anderen, mit dem ich seit längerem auch persönlich näher bekannt bin. Ich kann nicht behaupten, daß die Betreffenden sich in dieser Koalition wohler fühlten als etwa zu der Zeit, als wir gemeinsam in der Großen Koalition gearbeitet haben. ({14}) - Dann sind sie alle nicht hier. ({15}) Es ist vielleicht auch bezeichnend, daß sie alle nicht hier sind. ({16}) - Es müssen aber doch viele sein, denn die Mehrzahl von Ihnen ist ja heute nicht da. Diese Tatsache scheint mir angesichts des Themas bemerkenswert zu sein. Es ist bezeichnend, mit welchem Ernst Sie sich diesem Thema in diesem Hohen Hause stellen. ({17}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich meine, Sie sollten weniger über Reformen reden und mehr für Reformen tun. ({18})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg. Seine Fraktion erbittet für ihn eine Redezeit von 40 Minuten.

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Katzer hat das Wort „Alternativen" in den Mund genommen, aber keine Alternativen entwickelt. ({0}) Das ist ein prinzipieller Unterschied zu den Leistungen der sozial-liberalen Koalition. ({1}) - Ich gehe auf alles ein; deshalb habe ich auch uni verlängerte Redezeit gebeten. Zu Beginn der Arbeit dieser Legislaturperiode hat die CDU/CSU im August 1969 ein Schwerpunktprogramm veröffentlicht. Es heißt darin: Die CDU/ CSU-Fraktion hat keine Veranlassung, in der Sozialpolitik umwälzend neue Programme vorzulegen. - Die CDU führte ferner aus: „Die Leistungen in unserem sozialen Sicherungssystem sind so hoch und im ganzen so ausgewogen, daß wir keine aufwendige strukturelle Leistungsverbesserung anstreben wollen." ({2}) Das war Ihre Ausgangsposition. Das war ein Programm der Selbstgefälligkeit, ({3}) das nicht den Erfordernissen der heutigen Industriegesellschaft entspricht. Demgegenüber hat die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung und in der Antwort auf die Große Anfrage nicht nur Reformen angedeutet, sondern es sind in wichtigen Bereichen schon Reformen 6440 Deutschei Bundestag - 6. Wahlperiode Dr. Schellenberg durchgeführt worden. Das will ich Ihnen an einigen gesellschaftspolitischen Tatsachen beweisen. ({4}) Erstens. Die Gewährung gleicher Lebenschancen für alle jungen Menschen ist für die Bundesregierung eine Leitlinie ihrer Politik. Diesem Ziel dient die Ausbildungsförderung. Meine Fraktion hat hierzu schon im Jahre 1958 einen Initiativantrag eingebracht. Mehr als ein Jahrzehnt hat die CDU sich gegen eine solche Ausbildungsförderung gesträubt. Noch in der allerletzten Phase, Herr Kollege Barzel, nämlich am 9. September 1968, haben Sie wörtlich erklärt: ({5}) „Die Ausbildungsförderung kostet 3 Milliarden jährlich." Auf diese Weise wollte die CDU durch Zugrundelegung von Berechnungen einer Maximallösung ({6}) den Einstieg in die Ausbildungsförderung verhindern. Aber das war historisch gesehen 1968 schon zu spät. Nach dem kläglichen Scheitern des CDUGießkannen-Pennälergesetzes - Herr Kollege Stoltenberg?!

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Eine Zwischenfrage.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Professor Schellenberg, glauben Sie, daß es den Erwartungen der Öffentlichkeit über zukünftige Reformkonzepte entspricht, wenn Sie in der Art Ihres Kollegen von Dohnanyi jetzt zum Teil falsche Behauptungen über die Vergangenheit hier weiter anstellen? ({0})

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stoltenberg, ich stelle für die Ausbildungsförderung die Tatsache fest, daß die CDU sie bis in die letzte Phase zu verhindern suchte, und daß dann, nachdem die Gesetzentwürfe der FDP - damals Opposition - und der Sozialdemokraten von der Öffentlichkeit getragen wurden - nach Scheitern des Pennälergehalts -, die CDU schnell noch einen Referentenentwurf des damaligen Familienministeriums einbrachte. Das war genau 10 Jahre und 5 Monate nach unserer ersten Initiative zur Ausbildungsförderung. Das hat dann endlich den Weg frei gemacht zur Verabschiedung des Ausbildungsförderungsgesetzes, das am 1. Juli 1970 endlich in Kraft getreten ist. ({0}) - Diese Bundesregierung ist auf dem Wege der Ausbildungsförderung weitergegangen. ({1}) - Nein, Herr Kollege Martin, ich möchte Ihnen jetzt nicht antworten. Ich möchte meine Gedankengänge zu Ende führen, weil ich noch einige Tatsachen sagen will. Der Entwurf des neuen Bundesausbildungsförderungsgesetzes, der in dieser Woche auf der Tagesordnung steht, ist ein weiterer großer Schritt auf dem Wege der Verwirklichung gleicher Lebenschancen für alle jungen Menschen. Diese Regierungsvorlage, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie hoffentlich gelesen haben, ist ein vorläufiger Höhepunkt des Bemühens um Verwirklichung gleicher Ausbildungschancen für alle jungen Menschen. Sie wird 300 000 jungen Menschen aus den breiten Schichten unseres Volkes einen Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung gewährleisten. Nun, Herr Katzer, zum Familienlastenausgleich. Beim Familienlastenausgleich hat die Bundesregierung begonnen, Versäumnisse der Vergangenheit abzubauen. Die Novelle zum Kindergeldgesetz vom November 1970 hat erstmals seit 1964 für 21/2 Millionen Familien das Kindergeld mit Wirkung vom 1. September vergangenen Jahres erhöht. Dieses Gesetz ist aber nur der Beginn zu einem familienpolitischen Reformwerk, das sich die Bundesregierung - und zwar mit Recht - im Zusammenhang mit der Steuerreform vorgenommen hat. Die Koordinierung von Familiengeldleistungen und Steuerreform ist nämlich für ein großes Konzept unausweichbar erforderlich. Die CDU, Herr Kollege Katzer, hat weder als Regierungspartei noch als Opposition eine eigene Konzeption für eine grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs eingebracht. Sie haben Anträge gestellt, mal diesen Betrag, mal jenen Betrag zu erhöhen. Aber ein Konzept für eine große Reform des Familienlastenausgleichs hat die CDU nicht vorgelegt. Ich habe die Auffassung, daß Ihre Fraktion, Herr Kollege Katzer, hier voll auf die Arbeit der Bundesregierung - Neuordnung des Familienlastenausgleichs im Zusammenhang mit der Steuerreform - vertraut. Und das mit gutem Recht. ({2}) Nun, meine Damen und Herren, zu einem zweiten Punkt der Gesellschaftspolitik. Die gesundheitliche Sicherung aller Bürger ist ein weiterer Schwerpunkt der inneren Reformen. Auch in diesem Bereich hat die CDU viele Jahre den sozialen Fortschritt behindert. Sie wollte nach antiquierten Vorstellungen den in der sozialen Krankenversicherung geschützten Personenkreis entscheidend begrenzen. Wenn es nach dem CDU/CSU-Entwurf in der letzten Phase der letzten Legislaturperiode gegangen wäre, hätten heute weniger als ein Drittel aller Angestellten als Pflichtversicherte den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist die Tatsache. ({3}) Und was hat die neue Bundesregierung getan? Nachdem die Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten im Krankheitsfall durch die Lohnfortzahlung erreicht war - dafür haben wir hier im Hause mit vielfältigen Initiativen seit 1955 geDr. Schellenberg kämpft -, wurde durch die Regierung der sozialliberalen Koalition zielstrebig der Krankenversicherungsschutz der Angestellten grundsätzlich neu geregelt. Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben erstmals in der deutschen Sozialgeschichte alle 7 Millionen Angestellten ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Gehalts einen Rechtsanspruch auf den Arbeitgeberanteil. Das ist ein wichtiger sozialpolitischer Fortschritt für die Angestellten und ihre Familien. Denn sie sind durch die gesetzliche Neuregelung jetzt auch erstmalig bei Krankheit in der von ihnen frei gewählten Versicherung geschützt. ({4}) Eine weitere Tatsache, Herr Kollege Katzer: Unfallversicherung der Schulkinder. Vor über drei Jahren, am 17. Januar 1968, haben wir Sozialdemokraten hierfür einen Antrag eingebracht. Er wurde dann vom Plenum angenommen, und die Bundesregierung erhielt den Auftrag, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Der damalige Arbeitsminister Katzer hat diesen Auftrag des Parlaments nicht erfüllt; 1968 von diesem Hause beschlossen, nicht erfüllt. Erst die Regierung der sozial-liberalen Koalition entsprach dem Auftrag des Parlaments. Vom 1. April dieses Jahres an werden alle Schüler, Studenten, Kinder in Kindergärten - das sind über 10 Millionen junge Menschen - in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen. ({5}) Damit, meine Damen und Herren, wird ein Wandel in der Struktur der gesetzlichen Unfallversicherung, ({6}) die bisher grundsätzlich auf den Zusammenhang von Unfall und Erwerbsarbeit begrenzt war, für 10 Millionen Kinder erreicht. ({7}) - Nein, ich möchte jetzt Fragen nicht beantworten. Herr Kollege Franke, Sie können sich nachher gern melden, und ich werde Ihnen dann in der weiteren Debatte antworten. Jetzt möchte ich meine Konzeption im Zusammenhang vortragen. Herr Kollege Katzer, Sie waren in Ihren Ausführungen sehr stolz auf Ihren Antrag zur Krankenhausfinanzierung. Herr Kollege Katzer, in einem Zeitpunkt, in dem hier im Hause ein Gesetzentwurf zur Krankenhausfinanzierung mit allen Schwierigkeiten des Details vorliegt, kam der CDU-Antrag Jahre zu spät; ein Antrag mit allgemein gehaltenen, mehr oder weniger unverbindlichen Vorstellungen. Herr Kollege Katzer, das werden auch die Ausschußberatungen zeigen und das werden, wenn Hearings stattfinden, auch die Sachverständigen sagen. Es kommt nämlich jetzt auf die konkrete Lösung der Probleme der Krankenhausfinanzierung und nicht auf allgemeine Zielsetzungen an. Meine Damen und Herren, die Frau Gesundheitsminister Strobel hat erstmals in unserer Geschichte einen Gesetzentwurf zu den schwierigen Krankenhausfragen vorgelegt und damit einen wichtigen Beitrag zur Gesundung unserer Krankenhäuser geleistet. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nimmt auch mit Befriedigung davon Kenntnis, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Einbeziehung aller Landwirte in den Schutz der Krankenversicherung vorbereitet, bei dem - und das hat große gesellschaftspolitische Bedeutung - alle alten Landwirte genauso wie die Rentner beitragsfrei Krankenversicherungsschutz erhalten sollen. Nun zum dritten Punkt, zur sozialen Sicherung. Herr Kollege Katzer, Sie haben das aufgenommen, was Herr Barzel Anfang dieses Monats in einer Presseerklärung gesagt hat, nämlich das Rentenniveau sei auf 42,5 °/o des Lohnniveaus gesunken. Herr Kollege Katzer, diese Behauptung haben Sie entweder von Herrn Barzel übernommen, oder Sie haben sie für Herrn Barzel konzipiert. Ich stelle fest, diese Behauptung der Herren Katzer, Dr. Barzel ist irreführend. Ich weise sie energisch zurück, und ich will dies begründen. ({8}) Augenblick, ich begründe es Ihnen genau. a) Renten sind Nettoeinkommen und lassen sich deshalb nur mit Nettoeinkommen der Arbeitnehmer vergleichen. ({9}) b) Da nicht nur Beitragszeiten, sondern in großem Umfang auch beitraglose Zeiten sich rentensteigernd auswirken, ist bei einem vollen Arbeitsleben nicht von 40, sondern von 49 und bei älteren Menschen von 50 Versicherungsjahren auszugehen. c) Es ergibt sich bei einem vollen Arbeitsleben ein durchschnittliches Altersruhegeld nicht - wie Sie und Herr Katzer behauptet haben - von 42,5, sondern von 67,5 % des Nettoverdienstes eines versicherten Arbeitnehmers. Das werden wir, wenn wir den Rentenanpassungsbericht demnächst zu beraten haben, dem Ausschuß und der Öffentlichkeit beweisen. ({10}) Im übrigen, Herr Kollege Katzer, sollte Ihnen doch in Ihrer Eigenschaft als stellvertretender Fraktionsvorsitzender nicht unbekannt sein, daß dem Deutschen Bundestag kürzlich vom Deutschen Beamtenbund ein Gutachten von Herrn Dr. Heubeck, einem bekannten Versicherungsmathematiker, zugegangen ist, in dem nachgewiesen wird, daß die Renten der Sozialversicherung den Nettobeamtenpensionen entsprechen. Es wird sogar in den Gutachten dargelegt, daß bei Berücksichtigung der beitragsfreien Krankenversicherung es nicht selten vorkommt, daß die Sozialversicherungsrenten die gleichartigen Beamtenpensionen übersteigen. Gutachten Dr. Heubeck! Herr Ruf, Sie sind doch auf Herrn Heubeck immer sehr stolz gewesen. Schließlich empfehle ich Herr Kollegen Katzer, wenn er hier von 42,5 % Rente spricht, sich doch einmal mit den Beamtenvertretern Ihrer Fraktion über deren Meinung zu Beamtenpensionen und Renten der Sozialversicherung zu unterhalten. ({11}) Meine Damen und Herren, noch eine weitere Bemerkung: Herr Barzel hat in der Presseerklärung von „leichtfertig genährten Hoffnungen" in Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Rentenversicherung gesprochen. Herr Kollege Katzer hat das nicht so stark, wie Herr Barzel betont, aber auch dieses Thema aufgenommen. Ich muß eine Behauptung von leichtfertig genährten Hoffnungen zurückweisen. ({12}) Ich muß sie zurückweisen, Herr Kollege Katzer. Da wende ich mich insbesondere an Sie als früheren Arbeitsminister. ({13}) - Sie waren der frühere Arbeitsminister, mit dem ich damals intensiv zusammenzuarbeiten hatte, zuerst als Sprecher der Opposition und dann als der Arbeitsminister unserer gemeinsamen Regierung. ({14}) Es war Schuld der CDU/CSU, daß beim Beginn der Rezession nicht für eine ausreichende Liquidität der Rentenversicherung gesorgt war, sondern daß der Rentenversicherung damals über 6 Milliarden DM Schuldbuchforderungen auferlegt waren. Herr Kollege Katzer, schon als die ersten Rentenversicherungsträger ins Defizit gerieten, haben Sie am 2. September 1966 als damaliger Arbeitsminister die Rentenversicherung veranlassen wollen, eine dreiviertel Milliarde DM Mobilisierungspapiere zur Finanzierung von Stationierungskosten zu übernehmen. Das war der Tatbestand. ({15}) - Das kann ich dokumentarisch beweisen! ({16}) Meine Damen und Herren, die schweren Fehler der CDU haben dann zu Eingriffen in die Rentenversicherung geführt, zu einer Beeinträchtigung des Vertrauens unserer Bürger in die gesetzliche Altersversicherung. Herr Kollege Katzer, Sie erhielten damals einen Auftrag von Herrn Kiesinger als damaligem Bundeskanzler, zu berechnen, was die Beseitigung der bruttolohnbezogenen Rente, der Übergang zur nettolohnbezogenen Rente an Einsparungen bringen würde. Sie haben mit Schreiben vom 17. März 1967 den Auftrag erhalten, zu berechnen, welche finanziellen Ergebnisse eine Heraufsetzung der Altersgrenze von 65 auf 66 Jahre haben würde. Solche Leistungssenkungen konnten zwar verhindert werden, aber es wurde der Rentnerkrankenversicherungsbeitrag als Kürzung der Renten beschlossen. ({17})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, den Redner ungestört sprechen zu lassen und Zwischenfragen am Mikrofon zu stellen.

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Katzer, Sie haben hier sehr stolz vom Rentenfinanzierungsgesetz gesprochen. ({0}) Ich muß Sie daran erinnern, Herr Katzer, daß Ihre Vorlage damals einen Deckungsabschnitt für die Rentenversicherung von nur vier Jahren vorsah. ({1}) Sie waren noch im Juni 1968, als Sie als Minister in den Ausschuß kamen, nicht über die tatsächliche Entwicklung des Rentenberges unterrichtet, sondern mußten auf unsere Kritik hin ein halbes Jahr später berichtigte Zahlen vorlegen. ({2}) Im Ausschuß haben wir, CDU, SPD und FDP gemeinsam, jenes Rentenfinanzierungsgesetz erarbeitet, das die Rentenfinanzierung für 15 Jahre im voraus vorschreibt und mit allen nur denkbaren Sicherheitsregelungen ausstattet. Auf Grund dieser gesetzlichen Regelung kann ein solches Finanzdesaster der gesetzlichen Rentenversicherung, wie es sich in der letzten Rezession ergeben hat, nicht mehr eintreten. ({3}) Nachdem im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik eine Konsolidierung der Rentenversicherung erreicht war, hat die sozial-liberale Koalition - das war eine ihrer ersten Maßnahmen - den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag von 2 % beseitigt und damit die volle bruttolohnbezogene Rente wiederhergestellt. ({4}) Der nächste gesetzlich vorgeschriebene Rentenanpassungsbericht, der zum 31. März dem Hause vorzulegen ist und dessen Zahlenmaterial mit der Deutschen Bundesbank, den Rentenversicherungsträgern und dem Bundesrechnungshof abgestimmt ist, wird zeigen, daß bei voller lohnbezogener Rente ungeachtet des Rentenberges nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen beachtliche Überschüsse erzielt werden. Jeder Politiker, der die Rücklagen der Rentenversicherung nicht als Selbstzweck, sondern als ein Instrument sicherer Leistungsgestaltung für Gegenwart und Zukunft betrachtet, hat sich, wenn die Reserven überproportional steigen das ist der Fall -, zu überlegen, wie diese Reserven sinnvoll einzusetzen sind. Damit, meine Damen und Herren, steht die Regierung nach vier Jahren - vor vier Jahren schrieb Herr Kiesinger an Herrn Katzer jenen Brief bezüglich der Berechnungen über Heraufsetzung der Altersgrenze -({5}) vor einer neuen Aufgabe, eine wohlabgewogene Verbesserung zu überlegen. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht erklärt, daß sie an einer Konzeption für eine flexible Altersgrenze arbeitet. ({6}) - Sie sagt, daß sie an einer Konzeption arbeitet. Meine Damen und Herren, die flexible Altersgrenze berücksichtigt nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen in der modernen Industriegesellschaft. Eine flexible Altersgrenze trägt auch dem - trotz aller gesundheitlichen Maßnahmen -viel zu frühen Verschleiß der Leistungskraft vieler Arbeitnehmer Rechnung. Eine flexible Altersgrenze entspricht in besonderer Weise dem Grundsatz der inneren Reformen: mehr Freiheit für den einzelnen und mehr soziale Gerechtigkeit, vor allen Dingen auch im Vergleich zu anderen Berufsgruppen, für die die flexible Altersgrenze seit langem eine Selbstverständlichkeit ist. Meine Damen und Herren, die CDU hat noch zu Beginn dieser Legislaturperiode erklärt, sie halte eine Herabsetzung der Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht für vertretbar. Wir freuen uns, daß sie ihre Auffassung wohl wandeln will. Meine Damen und Herren, die flexible Altersgrenze wäre eine sehr bedeutsame Leistungsverbesserung, die vielfältige Auswirkungen hat. Deshalb ist es gut, daß die Bundesregierung alle sozialen, finanziellen und volkswirtschaftlichen Tatbestände besonders sorgsam prüft, damit zu gegebener Zeit dem Hause ein entsprechender Gesetzentwurf mit den selbstverständlich erforderlichen langfristigen Berechnungen vorgelegt werden kann. Da es sich hier um einen gesellschaftspolitischen Fortschritt großen Formats handelt, sind wir uns darüber im klaren, daß eine so große Zielsetzung nur schrittweise verwirklicht werden kann. Ich möchte aber die Gelegenheit benutzen, dem Bundesarbeitsminister für die besondere Tatkraft zu danken, mit der er sich für diese Reform einsetzt. ({7}) Dem Bundesminister der Justiz ({8}) gebührt Dank dafür, daß er die Notwendigkeit einer sozialen Sicherung für nicht erwerbstätige Frauen in die öffentliche Diskussion gebracht hat. Dabei handelt es sich auch um eine gesellschaftspolitische Aufgabe von großer Bedeutung, zu der ich einige Bemerkungen machen möchte. Im Jahre 1968 haben wir dafür gesorgt, daß die Beitragsrückerstattung bei Eheschließung abgeschafft wurde. Das sichert den Frauen bei Heirat ihre erworbenen Rentenansprüche. Als zweiten Schritt haben wir dann aus dem Ausschuß heraus durchgesetzt, daß Frauen durch Nachentrichtung früher erstatteter Beiträge ihre Ansprüche wieder aufleben lassen können. Es ist ein dritter Schritt im Interesse der sozialen Sicherung nicht berufstätiger Frauen, wenn die Bundesregierung in Verdeutlichung der Regierungserklärung jetzt ausdrücklich sagt, daß bei der Erarbeitung der Konzeption für die Öffnung der Rentenversicherung nicht berufstätige Frauen einbezogen werden sollen. Das ist eine bemerkenswerte Erklärung in dem vorliegenden Bericht der Bundesregierung -. Im Hinblick auf die große Bedeutung der sozialen Sicherung für Frauen sollte die Bundesregierung ferner prüfen, ob und inwieweit für Zeiten der Kindererziehung sozialversicherungsrechtliche Nachteile bei Frauen schrittweise beseitigt werden können. ({9}) Mit all diesen Schritten sind wir auf dem richtigen Wege zu einem ganz großen Ziel. Meine Fraktion hält es für sozialpolitisch, finanzpolitisch und volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn die Bundesregierung die angesprochenen Rentenprobleme, zu denen auch die soziale Sicherung der Selbständigen gehört, in ein Gesamtkonzept bringt. Lassen Sie mich zu dieser sozialen Sicherung der Selbständigen wenige Bemerkungen machen. Seitdem alle Angestellten in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen sind, ist es ein unerträglicher Mißstand, daß Selbständige, die sich oft in einer schwierigeren sozialen Lage als Arbeitnehmer befinden, keine Möglichkeit haben, der gesetzlichen Rentenversicherung beizutreten. Herr Katzer, Sie haben als Arbeitsminister von diesem Hause am 8. Dezember 1967 den Auftrag erhalten, baldmöglichst eine Gesetzesvorlage über die Ausdehnung der gesetzlichen Rentenversicherung auf Selbständige vorzulegen. Sie haben auch diesen Auftrag des Parlaments nicht erfüllt. ({10}) Das ist ein politisches Verschulden des damaligen Arbeitsministers Katzer. Die Erklärung der Bundesregierung, daß sie an einer Konzeption für die Öffnung der Rentenversicherung für die Selbständigen arbeitet, begrüßen wir. Wir nehmen davon Kenntnis, daß die Bundesregierung jetzt durch ihre Erklärung einer Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige auf freiwilliger Basis ihr Konzept präzisiert. Wir begrüßen es schließlich, daß durch die Öffnung der Rentenversicherung nach Meinung der Bundesregierung Mehrbelastungen für Pflichtversicherte ausgeschlossen werden sollen. Meine Damen und Herren, wenige Bemerkungen zu einem anderen Thema der sozialen Sicherung. Es war ein unwürdiger Zustand, daß, solange die CDU CSU die Bundesregierung führte, die Kriegsopfer wegen der Anpassung ihrer sozialen Sicherung an die wirtschaftliche Entwicklung immer wieder zu Protesten genötigt wurden. Schon wenige Wochen nach Bildung der neuen Bundesregierung hat clie sozial-liberale Koalition eine grundlegende Neugestaltung des Kriegsopferrechts verwirklicht und damit für die Kriegsopfer mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen. Über eine beträchtliche Erhöhung aller Geldleistungen und strukturelle Verbesserungen insbesondere zugunsten der Witwen hinaus wurden die Renten dynamisiert. Die jährliche Anpassung der Leistungen der Kriegsopferversorgung an die wirtschaftliche Entwicklung entsprechend dem bewährten System der bruttolohnbezogenen Rente ist eine große Leistung der neuen Bundesregierung. Das ist ein entscheidender Wendepunkt in der Versorgung unserer Kriegsopfer. ({11}) Meine Damen und Herren, im Anschluß an das, was Herr Stoltenberg gesagt hat und was auch Herr Katzer hat anklingen lassen, möchte ich einige konkrete Bemerkungen zur Frage der Rentenerhöhung und der Preisentwicklung machen. Seit Oktober 1969, ({12}) also seit Übernahme der Bundesregierung, ist der Lebenshaltungskostenindex der Rentner um 5,7 % gestiegen. Die Beschädigtenrenten in der Kriegsopferversorgung sind im gleichen Zeitraum um 22 %, die Witwenrenten der Kriegsopferversorgung im gleichen Zeitraum um 32 % erhöht worden. ({13}) Selbst bei den Renten der Rentenversicherung beträgt, obwohl sich durch die von der CDU verschuldete Rezession gegenwärtig ein relativ niedriger Anpassungssatz ergibt - das liegt in der Rentenformel des Jahres 1957 -, die Steigerung aller Renten seit Übernahme der Regierung durch die sozialliberale Koalition 14,5 %. Die Rentenanpassungen sind somit weit höher als die Preisentwicklung. Deshalb ist die Behauptung von Herrn Stoltenberg, die Rentner würden durch die Preisentwicklung um ihre Rentenerhöhung gebracht, falsch. Ich muß sie nachdrücklich zurückweisen. ({14}) Es war ein schlechter politischer Stil, durch eine solche Behauptung zu versuchen, bei Kriegsopfern und Rentnern Unruhe zu wecken. ({15}) Viertens. Einige Bemerkungen zu der Frage der Vermögensbildung. Ungeachtet der Tatsache - das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort erklärt -, daß die Vermögensstruktur noch ungerecht ist, hat die Regierung mit dem Dritten Vermögensbildungsgesetz einen wesentlichen Durchbruch in Richtung auf Vermögensbildung für alle erreicht. Was Herr Katzer dazu gesagt hat, entspricht in dieser Form keineswegs den Tatsachen. Er hat nur ein Teilproblem angeschnitten. Das Zentralproblem hat Herr Katzer nicht gewürdigt. Im Interesse der Arbeitnehmer wurde die unsoziale Befreiung von Lohnsteuer und Sozialabgaben durch eine familiengerechte Sparzulage ersetzt, der Förderungsrahmen verdoppelt und durch Einkommensgrenzen das Sparen für Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen gezielt gefördert. Das war eine große sozialpolitische Leistung. Ich will das Ausmaß des Erfolges dieses Gesetzes der neuen Regierung in Zahlen belegen. 1969 haben 5,7 Millionen Arbeitnehmer vermögenswirksam gespart. Heute sind es bereits 14,5 Millionen Arbeitnehmer; das sind 70 % der gesamten Arbeitnehmerschaft. Dies erreicht zu haben, ist ein großer gesellschaftspolitischer Erfolg. ({16}) Meine Damen und Herren, dennoch geht es um mehr. Es geht um eine umfassende Reform der Sparförderung auch in Richtung auf eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am wachsenden Produktivvermögen. Die Bundesregierung hat mit Recht unterstrichen, daß die Lösung dieser Aufgabe in Zusammenhang mit der Steuerreform erfolgen muß. Das ist ein realistischer Schritt auf dem Wege zur Vermögensbildung für alle. Herr Kollege Katzer und auch Herr Stoltenberg haben auf den Gesetzentwurf, der den Namen „Burgbacher-Plan" trägt, hingewiesen. Was die CDU-Sprecher hierzu sagten, zeigt eine erstaunliche Unkenntnis der Fakten. Ich will das erklären. Weder Herr Katzer noch Herr Stoltenberg, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende sind, haben den Schriftlichen Bericht über die Beratungen des Dritten Vermögensbildungsgesetzes, dessen Entwurf von der Bundesregierung eingebracht wurde, gelesen. Aus den detaillierten Berechnungen, die mit Vertretern der CDU/CSU abgestimmt worden sind, ergibt sich, daß der CDU/CSU-Plan für Bund und Länder im Jahre 1971 Mehrkosten von 5,26 Milliarden DM erfordert. Selbst wenn man berücksichtigt, daß sich durch das Dritte Vermögensbildungsgesetz der Aufwand infolge der Einführung des Zulagesystems etwas vermindert, verbleibt nach den Berechnungen, die ich mir in den letzten Tagen habe erstellen lassen, für den CDU/CSU-Gesetzentwurf immer noch ein Mehraufwand von rund 5 Milliarden DM für dieses Jahr. Das war wohl der Grund, weshalb die Abgeordneten der CDU/CSU aller beteiligten Ausschüsse seit dem 26. Mai vergangenen Jahres niemals einen Antrag gestellt haben, diesen Gesetzentwurf auch nur auf die Tagesordnung eines Ausschusses zu setzen. Es ist kein solcher Antrag von CDU-Abgeordneten gestellt worden. ({17}) Eigentlich müßten ja Herr Stoltenberg und Herr Katzer dies wissen. Oder wollten Sie heute eine Initiative ankündigen, daß Mehrausgaben, die für 1971 mit 5 Milliarden DM berechnet sind, noch nachträglich im Haushalt eingeplant werden sollen? Das sind die Fakten, um die es heute beim BurgbacherPlan geht. Fünftens. Meine Damen und Herren, eine wichtige Zielsetzung unserer Politik der inneren Reformen ist es, mehr Demokratie im Arbeitsleben zu schaffen. Obwohl das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 seit langem nicht mehr unserer gewandelten Arbeitswelt entsprach, hat die CDU/CSU in den 18 Jahren, in denen sie den Bundeskanzler und den Arbeitsminister stellte, keinen Gesetzentwurf zur umfassenden Neugestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes zustande gebracht. Ein Wandel trat erst nach Bildung der sozial-liberalen Koalition ein. Die CDU/ CSU wollte diesen Wandel nicht wahrhaben. Deshalb hat sie am 13. November 1970 das Gesetz über die Verlängerung der Amtszeit der Betriebsräte, den unerläßlichen Einstieg in die Reform der Betriebsverfassung, abgelehnt. Das war Opposition um der Opposition willen. Mit dieser Ablehnung wollte die CDU ihre Verdächtigungen stützen, die Bundesregierung sei zu der in der Regierungserklärung angekündigten Reform der Betriebsverfassung überhaupt nicht fähig. Wenige Wochen später befand sich aber der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der Betriebsverfassung bereits in der Gesetzgebung. Allen Unkenrufen der CDU/CSU zum Trotz! Noch in diesem Jahr wird ein neues Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet. ({18}) Anfang nächsten Jahres werden in weit mehr Betrieben als jemals zuvor Betriebsräte und Jugendvertreter nach dem neuen Recht gewählt, am 1. Mai 1972 werden die neu gewählten Repräsentanten der Arbeitnehmer im Betrieb ihre erweiterten Aufgaben übernehmen, und der Freiheitsraum des Arbeitnehmers wird erweitert sein. ({19}) Es ist eine entscheidende Leistung der Bundesregierung, trotz der vielfältigen Probleme diese Gesetzesvorlage eingebracht zu haben. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner - das lassen Sie mich zum Schluß sagen - werden wir unsere erfolgreich begonnene Gesellschaftspolitik fortführen. Das wird die soziale Landschaft verändern. Wir werden damit erreichen, was der Bundeskanzler heute morgen umriß: mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit, mehr Demokratie und mehr Humanität in unserer Gesellschaft. ({20})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In den vergangenen Stunden ist hier eine Fülle von Versäumnissen vorgetragen worden, die diese Regierung begangen haben soll, von Versäumnissen, die in der Vergangenheit bis zurück in das Jahr 1949 liegen. Es ist gesagt worden, daß das Wort „Reform" zu oft und zuviel gebraucht worden sei und daß man konkrete Lösungen anstreben müsse, daß durch Ankündigungen Erwartungen in weiten Teilen der Bevölkerung erzeugt worden seien, die nicht erfüllt worden seien. Wenn wir selbstkritisch sind, können wir sagen: all das kann jeder dem anderen vorhalten. Auch die CDU hat Ankündigungseffekte erzielt und die Erwartungen nicht erfüllt. Ankündigungseffekte sind aber von dieser Regierung in der Regierungserklärung nicht verursacht worden, bei denen die Erwartungen nicht zu erfüllen wären. Denn man muß beim Lesen der Regierungserklärung sehr deutlich unterscheiden zwischen dem, was die Bundesregierung als Reformen angekündigt hat, die sie anpacken und durchführen will, und den Reformvorhaben, die sie prüfen und einer Lösung entgegenführen will. ({0}) Man muß doch ehrlich feststellen, daß keine Regierung je zuvor in einem solchen Umfang und mit einer solchen Intensität die Öffentlichkeit an der Diskussion ihrer Reformvorhaben beteiligt hat, sogar an der Diskussion erkannter Detailprobleme. ({1}) Diese Regierung hat eine Fülle von Berichten vorgelegt, die zunächst einmal eine ganz massive Bestandsaufnahme zum Inhalt haben, damit die Fakten, von denen man ausgehen kann, nicht nur im Parlament, sondern in der ganzen Öffentlichkeit bekannter sind, und sie hat an diese Berichte Zukunftsperspektiven - ausdrücklich mit allen Vorbehalten versehen - geknüpft, um die Diskussion anzureichern und die Öffentlichkeit am politischen Leben und an der Gestaltung der politischen Diskussion teilnehmen zu lassen. Das ist doch, wahrhaftiger Gott, ein Demokratisierungsfortschritt ohnegleichen. Aber ein solcher Demokratisierungsfortschritt verwirrt offensichtlich jene politischen Kräfte in der CDU/CSU, die es gewohnt waren, wegen der eklatanten inneren Gegensätze in der eigenen Partei unter der Decke etwas auszumuscheln und dann mit den so erzielten Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu treten und diese zu überraschen. So beispielsweise mit dein BurgbacherPlan, den Herr Kollege Katzer hier angesprochen hat. Dazu nur ein Wort, nur für den Notfall, zur Erinnerung an die Anhörung im Ausschuß. Herr Dr. Irmler hat dazu erklärt: Ich halte es nur für eine Kapitulation des Gesetzgebers, wenn er die Beteiligungsrechte in den Vordergrund schiebt und das andere deklassiert einstuft; denn der Arbeitnehmer hat zunächst einmal das Interesse, eine im gegebenen Fall auch einmal auflösbare Vermögensanlage zu machen, damit er sich etwas dafür kaufen kann. Nur das dazu. - Herr Kollege Burgbacher, eine Frage? - Gern. Aber vielleicht können wir uns kurz fassen. - Bitte schön!

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Burgbacher zu einer Zwischenfrage.

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen der Unterschied zwischen Beteiligungssparen und Geldsparen in der laufenden Ökonomie bekannt, und wissen Sie, daß auch die Anhänger des Beteiligungslohngesetzes zunächst das Geldsparen bei allen haben wollen, damit sie verfügbare Mittel haben, daß aber mit dem Geldsparen die vorhandene Dissonanz in der Verteilung des Produktivkapitals nicht verkleinert, sondern vergrößert wird? Ist Ihnen das bekannt? ({0})

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dr. Burgbacher, mir ist nicht nur alles das bekannt, was Sie hier ausführen, sondern mir ist auch alles bekannt, was in der Anhörung der Sachverständigen ausgeführt wurde. Mir ist auch bekannt, welche Argumente in der Wirtschaft vorgebracht werden: zu welch ungeheuren Belastungen es gerade in den kleinen und mittleren, lohnintensiven Betrieben führen würde, wenn Ihr Plan verwirklicht würde, und daß es außerordentlich schwierig wäre, das Geld in den ersten Jahren überhaupt am Aktienmarkt unterzubringen. Herr Kollege Burgbacher, ich überlasse es Ihnen, Ihren Plan in mittelständischen Kreisen zu vertreten. Die von uns gefundene Form der Umwandlung des 312-DM-Gesetzes in ein 624-DMGesetz - nicht mehr steuerfrei, sondern mit Zulagensystem, mit erhöhten Zulagen für Kinderreiche - halte ich im Augenblick für die einzig mögliche, bessere und sofort gangbare Form. Deshalb haben wir diese Form gewählt und in Gesetzeskraft umgesetzt mit der Wirkung, daß viele an dieser Vermögensbildung schon teilnehmen können, während Ihr Plan, wenn er verwirklicht werden sollte, vielfältige Änderungen erfahren müßte, weil er sonst überhaupt nicht durchsetzbar wäre und auch den Betroffenen nichts nützte in dem Sinne, wie es sich viele auf Grund der Ankündigungseffekte vorstellen, die Sie hervorgerufen haben. Aber bitte, Herr Kollege Burgbacher, wir wollen uns nicht weiter über Ihren Plan unterhalten. Ich will das hier nur einmal in die Debatte hineinstellen. Wir können uns später weiter unterhalten. Ich bitte um Verständnis, daß ich Ihnen keine weitere Zwischenfrage geben kann. Aber wenn Sie in der Frageform etwas richtigstellen wollen, bitte schön. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie die Zwischenfrage?

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte schön!

Dr. Fritz Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muß also tragen. Zunächst muß ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß es eigentlich keine „lohnleichten" und ,,lohnschweren" Betriebe gibt, weil bei den „lohnleichten" die Lohnschwere in dem anteiligen Lohn aller Investitionen genauso enthalten ist, so daß diese Unterscheidung unwissenschaftlich ist? Und wissen Sie auch, daß sich Herr Irmler in dem Hearing das Erstaunliche erlaubt hat, die Kredite als „Beteiligungswerte" zu bezeichnen, und wissen Sie, daß das in der ökonomischen Wirkung völlig daneben ist?

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Burgbacher, ich überlasse es Ihnen, sich mit Herrn Irmler über diese wissenschaftliche Frage auseinanderzusetzen. Für mich ist das praktische Ergebnis entscheidend, und das praktische Ergebnis wäre eben für viele Klein- und Mittelbetriebe eine außerordentliche Belastung. Damit möchte ich diesen Punkt abschließen. Ich möchte weitergehen und sagen: die Bundesregierung müßte, wenn sie dem, was Sie in dieser Großen Anfrage formuliert haben, wenn sie Ihren Forderungen im einzelnen nachginge und nachgäbe, mehr oder weniger zu einer zentral gelenkten Planwirtschaft kommen. Sie könnte dann alle Fragen beantworten; die Frage wäre nur, ob eine so geartete Finanzplanung zu den erwünschten Zielen führen würde. Meine Damen und Herren, die Fragen stellende Opposition weiß ganz genau, daß durch die Form der Fragestellung Teile von Aussagen in einen Sachzusammenhang gerückt werden, der dem Inhalt und Sinn der zitierten Erklärungen nicht entspricht. Es handelt sich für mich dabei um ein Paradebeispiel besonderer Dialektik, mit der von den Dingen abgelenkt werden soll, um die es wirklich geht: von der Tatsache, daß diese Regierung eine ganze Fülle von Dingen vorzuweisen hat, die ich nicht mehr aufzuzählen brauche. Für den sozialpolitischen Bereich hat Herr Kollege Schellenberg hier bereits außerordentliche Leistungen aufgezeigt. Meine Damen und Herren, die Rede des Kanzlers hat deutlich gemacht, daß diese Regierung eine planende Vorausschau betreibt, aber nicht als fixe, statische Größe, sondern elastisch, in Anpassung an das, was volkswirtschaftlich verkraftbar und verantwortbar ist. Wenn Herr Kollege Katzer nun in einer leidenschaftlichen Rede die Fragen der Gesellschafts- und Sozialpolitik angesprochen hat, so meine ich mit Ihnen, Herr Kollege Katzer, daß viele der Punkte, auf die Sie eingegangen sind, Dinge betreffen, über die man sprechen muß. Aber ich hatte ein bißchen den Eindruck, daß es an der Debatte vorbeiführt, wenn Sie so ungefähr die Rundumerneuerung des abendländischen Menschen mit in diese Fragen eingeführt haben. ({0}) Denn darauf lief doch manches hinaus, was Sie angesprochen haben. ({1}) Herr Kollege Althammer hat heute morgen erklärt, diese Regierung sei - ein sehr hartes Wort - eine Regierung der leeren Versprechungen. Nun, diese Regierung ist 16, 17 Monate im Amt. Man kann eine Zwischenbilanz ziehen, und diese Zwischenbilanz ist außerordentlich positiv. Ich bedaure eigentlich, daß wir hier nicht das System des amerikanischen Repräsentantenhauses haben, in dem man bestimmte Akten zu Protokoll geben kann; sonst könnte ich nämlich jetzt einmal eine AusSpitzmüller arbeitung des wissenschaftlichen Dienstes zu Protokoll geben, in der deutlich gemacht wird, was alles eingeleitet und realisiert wurde oder in den nächten Jahren zur Realisierung ansteht. Eines aber kann man doch klarmachen: die Leistungen einer Regierung kann man an zwei wesentlichen Kriterien messen, an dem, was sie sich selbst vorgenommen hat und was sie voranbringt, und an dem, was ihre Vorgängerinnen in vergleichbaren Zeiträumen angekündigt und geleistet haben. In diesem Punkte war die Rede von Herrn Kollegen Stoltenberg heute morgen für mich hochinteressant. Er hat eine Fülle von Reformen der Jahre 1950 bis 1957 aufgeführt; er hat dann abgebrochen. Das kann Zufall sein, aber ich glaube, es war nicht Zufall. Denn im Jahre 1957 war eine gewisse Aufbauphase nach dem Kriege beendet, und nach dieser Aufbauphase hatte die CDU/CSU - nicht zuletzt dank der großartigen Ankündigungseffekte beim Rentenreformgesetzentwurf - die absolute Mehrheit bekommen. Mit dieser absoluten Mehrheit hat sie vier Jahre regiert, hat eine Fülle von Reformen angekündigt und nicht eine einzige davon verwirklicht. An die Verwirklichung der angekündigten Reformen ist sie erst gegangen, nachdem sie mit der FDP oder dann mit der SPD jeweils einen Koalitionspartner hatte, der sie befähigte, das, was sie angekündigt hatte, wenigstens vier, sechs, acht oder neun Jahre später in die Wirklichkeit umzusetzen. Manches davon ist bis heute noch nicht umgesetzt. ({2}) I Herr Kollege Katzer, wenn Sie vorhin die Frage angeschnitten haben, die die Selbständigen betrifft, wenn Sie gesagt haben, daß die Zahl der Selbständigen bei den Landwirten immer mehr zurückgeht und daß man diesen Menschen helfen muß, dann kann ich nur sagen: absolut Ihrer Meinung, aber das Problem ist nicht neu. Herr Dr. Adenauer hatte hier bereits im Jahre 1957 die Umbenennung des Ministeriums für Arbeit in Ministerium für Arbeit und Sozialordnung damit begründet, daß sich das Ministerium dieser besonderen Belange annehmen solle. Sie selbst haben mit Ihrer Rede deutlich werden lassen, daß Sie bis heute - nachdem Sie, als CDU/CSU, nicht Sie als Person, das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung von 1957 bis 1969 innehatten - diesen Wunsch, den die Union damals geäußert hat, nicht erfüllen konnten. Meine Damen und Herren, wem so etwas beispielhaft, nur punktuell für vieles andere, nachzuweisen ist, der sollte in der Kritik an den 16 Monaten Reformarbeit und Reformansätzen dieser Regierung etwas zurückhaltender sein. Meine Damen und Herren, in der Zeit, als die CDU/CSU die absolute Mehrheit hatte, ist in der Finanzreform, die auch angekündigt war, dann aber nicht vollzogen wurde, noch nicht einmal der sogenannte Mittelstandsbauch entfernt worden. Das geschah dann erst vier Jahre später mit Hilfe des Koalitionspartners FDP. Wir haben die Umstellung der Finanzierung des Kindergeldes von lohn- auf kopfbezogene Abgaben erreicht. Es war schwer, das zu erreichen. Die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten haben im Jahre 1957 gefordert, die Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Hausfrauen und für Selbständige zu belassen. Sie ist von Ihnen abgeschafft worden. Herr Kollege Katzer, Sie haben von der einseitigen Vermögensbildung mit dem Blick auf das Produktivvermögen gesprochen. Diese Entwicklung ist nicht in den 16 Monaten dieser Regierungskoalition, sondern in den 20 Jahren des Wiederaufbaus nach dem verlorenen Krieg eingetreten. Auch in dieser Hinsicht sollte man etwas bescheidener und zurückhaltender auftreten. Man sollte sich deutlich machen, daß wir die Pflicht haben, auf dem Wege über gemeinsame Anstrengungen und nicht über gegenseitige Verdächtigungen bessere Situationen zu erreichen. Um die Ziele, die sich diese Regierung gesetzt hat, durchsetzen zu können, bedarf es nicht nur der politischen Einsicht der Mehrheit der Koalitionsfraktionen, sondern auf vielen Gebieten auch der politischen Einsicht und der Mitwirkung der Opposition. In vielen Bereichen müssen wir durch Verfassungsänderungen überhaupt erst die notwendige Zuständigkeit erreichen. Ich denke hier an das Problem der Länderneugliederung und an das Problem des Umweltschutzes. Mir scheint in dieser Debatte das von der Opposition vorgebrachte Argument bemerkenswert zu sein, daß sich das Reformprogramm der Koalition ire Laufe des letzten .Jahres mehrfach geändert habe. Ursprünglich stand doch die Behauptung der Opposition im Vordergrund, daß diese Koalition entgegen ihren Erklärungen zuwenig Reformen in Angriff nehme. Nun sind es plötzlich zu viele. Sie verlangen von uns detaillierte Angaben, die mit Heller und Pfennig und mit Daten versehen sind. Anscheinend kommt die Opposition mit der von der Koalition vorgelegten Dynamik nicht immer mehr mit. Zur Zeit steht bei der Opposition die Behauptung im Vordergrund, das Reformprogramm der Bundesregierung habe entsetzliche finanzpolitische Auswirkungen. Der Bundeskanzler und die Sprecher der Koalitionsfraktionen haben hier eindeutig erklärt, dull wir auf dem Teppich des volkswirtschaftlich Vertretbaren und Verantwortbaren bleiben werden. Ein Blick auf den Finanzplan zeigt doch eindeutig, daß das von der Regierung verkündete Reformprogramm Stück für Stück angepackt und der Verwirklichung entgegengeführt werden wird. Wenn Sie die Drucksache VI/1953 zur Hand nehmen, werden Sie feststellen, daß im Hinblick auf die Finanzierung vielfach gesagt ist, daß die Entwicklung und die gegebenen Deckungsmöglichkeiten im Herbst 1971 überprüft bzw. fortgeschrieben werden. Das bedeutet doch, daß nicht schon im März eine klare Antwort auf alle Fragen gegeben werden kann, weil diese Antwort eben auch im Gesamtzusammenhang mit der Haushaltsplanung 1972 und der Fortschreibung der längerfristigen Finanzplanung gesehen werden muß. Ich darf nur noch einmal erwähnen: die Opposition scheint Schwierigkeiten beim Lesen des Regierungsprogramms zu haben. Ich möchte sie dringend bitten, zwischen dem zu unterscheiden, was im Regierungsprogramm als beschlossene Reformmaßnahme verkündet worden ist, und dem, was geprüft werden soll, d. h. den Reformaspekten, die in dieser Koalition noch untersucht und abgestimmt werden müssen und deren Verwircklichung gleichzeitig von der finanz- und konjunkturpolitischen Situation abhängt. Dabei handelt es sich selbstverständlich um eine Reformreserve. Aber diese Debatte hat eines deutlich gemacht - und das sollten wir doch dankbar feststellen -, daß diese Regierung es ablehnt, planwirtschaftlichem Denken mit vorfixierten Terminierungen irgendwie das Wort zu reden. Ferner hat sie deutlich gemacht, daß diese Regierung in die von Ihnen in dieser Hinsicht gestellten Fallen nicht hineingelaufen ist, sondern sich ganz klar und eindeutig zur Marktwirtschaft, zur Leistungsgesellschaft, zur Reformpolitik mit Schritten im Rahmen des volkswirtschaftlich Möglichen bekannt hat. Die Regierung hat das Gerede der Opposition erfolgreich zurückgewiesen, das Gerede nämlich, daß gestern die Inflation ausgebrochen sei, heute die Arbeitslosigkeit folge und morgen womöglich die Russen einmarschieren würden. ({3}) Das ist doch der Tenor, mit dem Sie gelegentlich auf diese Regierung und auf diese Reformprogramme losgehen. Was ist gegeben? Gegeben sind fundierte Berichte und Unterlagen für ebenso fundierte Gesetze, die brauchbar sind. Gegeben sind Reform- und Ergänzungsgesetze im Kriegs- und Kriegsfolgenbereich, die lange verschleppte Probleme klären und überwinden helfen, Gesetze, die den heutigen und künftigen Erfordernissen Rechnung tragen, wie das Ausbildungsförderungsgesetz, das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz; ferner Kommissionen, die nicht eingesetzt werden, um Probleme zu neutralisieren, zu vertagen oder ihnen ein Staatsbegräbnis erster Klasse zu besorgen, sondern zur Klärung umstrittener und unbekannter Fakten zu führen. Vielleicht Herr Kollege Katzer, hatten Sie recht in der vergangenen Woche, als Sie sich darüber beschwerten, daß man im Ausschuß mit der Arbeit überfordert sei. Aber diese Klage beweist doch, daß diese Regierung handelt, ({4}) daß diese Regierung die Abgeordneten zwingt, Punkt für Punkt bei einem Gesetz nicht Ankündigungseffekte zu erreichen, sondern Taten zu vollbringen, Taten, die die Bürger in wenigen Monaten zu spüren bekommen. Es wäre zuviel verlangt, daß wir uns nach den Alternativen der Opposition richten sollten. Denn Alternativen, die in Gesetze umgewandelt werden können, die auch als vernünftig bezeichnet werden, haben Sie weder heute noch in den vergangenen Monaten hier auf den Tisch des Hauses gelegt. Was Sie heute geboten haben, ist mir bei der Begründung ein bißchen vorgekommen wie eine von der Opposition verabreichte DiätWasserschleimsuppe. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Ausführungen zu dem allgemeinen Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Katzer machen. Ich muß sagen, ich hatte den Eindruck - bei diesem allgemeinen Teil der Ausführungen -, daß der klassenpolitische Durchbruch, den die Herren Kollegen Strauß, Dregger und Stoltenberg auf dem CDU-Parteitag in Düsseldorf erzielt haben, offenbar die Sozialausschüsse der CDU in ihrem Selbstverständnis getroffen hat. ({0}) Herr Kollege Katzer hat zwar eine Konzeption gefordert, aber ich muß sagen: was er hier vorgetragen hat, war im Grunde nur ein konservatives Weltbild. Ich würde sagen: es war eine Art Negativabzug der Lesebuchbilder aus der heilen Welt. Natürlich geht es immer um den Menschen, und es ist sicher richtig, daß in der modernen Gesellschaft der Mensch einsam sein und in der Gefahr stehen kann, den Apparaturen oder den sogenannten Sachzwängen ausgeliefert zu werden. Aber von dieser Einsicht darf man sich nicht forttreiben lassen in einen Kulturpessimismus, der genau zu der defensiven Haltung führt, die Herr Kollege von Dohnanyi an der Politik früherer CDU-Regierungen gerügt hat. Es geht bei diesem Problem nicht, wie manche meinen, um einen Mangel an Moral, sondern um einen Mangel an Politik. Der Mangel an Politik in früheren Zeiten hat dazu geführt, daß die Gefahr besteht, daß Sachzwänge uns beherrschen, statt daß umgekehrt wir die Sachzwänge unter Kontrolle bringen. Herr Kollege Katzer hat von der Einsamkeit des Menschen gesprochen und hat dann gesagt, es sei auch die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten. Herr Kollege Katzer, ich glaube, wir beide können uns schnell einigen. Wenn die Frage im theologischen Sinn gemeint ist, dann sind wir sicher einig, daß die Politik nicht in der Lage ist, diese Frage zu beantworten, und sich auch nicht anmaßen sollte, eine solche Antwort zu versuchen. ({1}) Es geht vielmehr darum, die Situation der Gesellschaft, die u. a. zur Vereinsamung des Menschen führen kann, zu ändern. Da sind wir genau bei der Reformpolitik. Wenn Sie, Herr Kollege Katzer, uns gewissermaßen ein technisches Verständnis der Reform vorwerfen, ist das doch nicht wahr. Wir wollen doch einmal feststellen, wieviel - -({2}) - Ich glaube nicht, daß wir das tun. - Der Herr Bundeskanzler hat zur Reformpolitik am Beispiel der Frauen gesagt, was wir für die älteren Frauen tun. Das machen wir doch nicht um einer „Reform an sich" willen oder um irgend etwas vorzuweisen, sondern um diesen Frauen zu helfen. Und den jungen Frauen zu helfen mit Kindergärten und Städtebau und Bildung. Wenn wir Bildungsreform sagen, so machen wir das doch nicht, damit der Wissenschaftsminister dafür einen Orden kriegt, sondern um die Jugend durch Erziehung und Bildung in die Lage zu versetzen, die immer komplexeren Zusammenhänge unserer Gesellschaft zu verstehen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, daß die jungen Menschen sich nicht einsam fühlen, sondern ihre Fähigkeiten entwickeln und sich als Teil dieser Gesellschaft verstehen können. Gerade das Nicht-Übersehen-Können, Herr Kollege Katzer, führt doch zur Einsamkeit im nicht-theologischen Sinn, zu der Vereinzelung und zu den Kurzschlüssen, die daraus folgen müssen. Ich muß Ihnen sagen, ich bin nicht der Meinung, daß diese Gesellschaft „Leitbilder" braucht. Ich halte das für einen sehr konservativen Topos. Diese Gesellschaft muß sich insgesamt in freier Diskussion darüber klarwerden, wie die Ordnung der Gesellschaft aussehen muß, die es dem einzelnen ermöglicht, Freiheit und Übersicht zu gewinnen. ({3}) Herr Kollege Katzer, Sie haben dann gesagt, die Bundesregierung - ich hoffe, Sie nicht mißverstanden zu haben - gehe auch nicht auf die Tatsache ein, daß immer mehr Selbständige in unselbständige Berufe übergehen müßten. Herr Katzer, das ist doch ungerecht. Wenn wir ein Aktionsprogramm für Berufsbildung machen, wenn wir in den Förderungsgesetzen und in den Bildungsplänen das Problem der Umschulung anfassen, dann ist das doch genau das, was konkret für diese Leute getan werden muß. Da lag früher - vielleicht ist das inzwischen anders - einer der großen Unterschiede zwischen uns. Jahrelang - wir haben heute morgen am Anfang über die Landwirtschaft gesprochen - ist z. B. eine Politik gemacht worden, die den selbständigen Landwirten einzureden versuchte, sie könnten so lange auf ihrer „Scholle" bleiben, wie sie nur wollten, wenn nur die richtige Politik gemacht werde. Da kommt doch ein Teil des Dilemmas her. ({4}) Wir alle wissen heute: Nein, so geht es nicht, ein Teil wird unselbständig werden. Das ist hier leicht gesagt. Ich weiß genau, für denjenigen, der den Hof verlassen muß, auf dem die Familie jahrhundertelang gesessen hat, ist das hart, so hart, daß der Städter es sich gar nicht vorstellen kann. Trotzdem hat es keinen Zweck - was Sie zu lange gemacht haben, zu sagen: Du könntest schon bleiben, wenn wir da etwas mit Subventionen helfen. ({5}) Das heißt, dieses Problem des Übergangs vorn Selbständigen zum Unselbständigen nehmen wir doch, auch mit dem, was Herr Kollege Schiller in der Großen Koalition mit der Struktur- und der Regionalpolitik begonnen hat, gerade in Angriff. ({6}) Sie sagen, wir scheuen uns, Unbequemes zu tun. Herr Kollege Katzer, ich kann nur sagen: die Situation in der Agrarpolitik wie die Situation im Kohlengebiet beruhte darauf, daß frühere CDU-Regierungen nicht den Mut hatten, den Leuten die Wahrheit zu sagen, wie es weitergehen kann. ({7}) Wenn die Wahrheit früher gesagt worden wäre, hätten wir auf diesen Gebieten nicht diese Probleme. Und wo wir bei Unbequemheit sind: Sie haben vom Herbst 1969 an nach Stabilität gerufen. Aber als es unbequem wurde, als die Regierung nämlich im Sommer 1970 ihr Stabilitätsprogramm vorlegte, da haben Sie sich der Stimme enthalten. Natürlich war das Programm unpopulär. Ich kann mich sehr gut an die Diskussionen erinnern, die wir mit ,den Gewerkschaften und in den Betrieben gehabt haben, um klarzumachen, warum der Konjunkturzuschlag notwendig ist. Aber Sie können doch wirklich nicht dieser Regierung vorwerfen, Herr Kollege Katzer, vor unpopulären oder unbequemen Maßnahmen zurückzuscheuen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Im Augenblick nicht; ich würde dies gern zu Ende führen, Herr Kollege Stoltenberg. - Wenn Sie sagen, Herr Kollege Katzer, es dürfe nicht bei der Konsumgesellschaft bleiben: darüber haben wir doch lange, lange diskutiert. Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen gesagt, nach der Wiederaufbauphase, die natürlich ungeheuer viel Kräfte gefordert hat, haben wir zu lange gewartet, nicht nur den Konsum und den individuellen Wohlstand zu sehen, sondern auch die strukturellen Voraussetzungen im öffentlichen Sektor für individuellen Wohlstand zu schaffen. Denn individueller Wohlstand ist in zunehmendem Maße von den Leistungen der öffentlichen Hand abhängig. Ich könnte nun, wenn wir heute über Planung und Ihre Anfrage diskutieren, natürlich eine endlose Zitatensammlung über das ausbreiten, was von Ihrer Seite jahrelang gegen Planung gesagt worden ist. Ich will das nicht tun. Aber Sie geben mir doch zu, daß die Krise von 1966/67 ein Ergebnis nicht genügender Voraussicht und Planung war. Ihr Parteivorsitzender, Bundeskanzler Kiesinger, hat es doch damals hier vor der deutschen Öffentlichkeit in seiner Regierungserklärung gesagt. Er hat gesagt: Das Scheitern der CDU-Regierung ist das Ergebnis einer langen schwelenden Krise und von Versäumnissen, die Jahre zurückliegen. Das waren doch Ihre Versäumnisse und nicht unsere. Darüber soll6450 ten wir uns doch einigen können und sollten jetzt eher den Blick nach vorn richten, statt bei dem Versuch, das nicht zu wiederholen, nun so zu tun, als ob in der Zwischenzeit nichts geändert worden wäre. Wir haben die Ubersicht über das Programm. Die Ubersicht über die neuen steuerlichen und die stabilitätspolitischen Möglichkeiten werden wir im Herbst schaffen. Dann wird man beides wieder in Abstimmung bringen müssen. Aber eines darf ich sagen - und das ist einer der großen Unterschiede zwischen der CDU-Regierung 1966 und der Regierung der sozial-liberalen Koalition 1971 -: Sie hat diese Ubersicht und kann sich jetzt überlegen, was sie strecken und was sie nicht strecken muß. Ich habe gestern in den Zeitungen mit großer Sorge gelesen, daß die CDU als Partei so große Finanzierungsprobleme hat. Offenbar haben Sie die Übersicht jedenfalls insofern - auch heute noch nicht. ({0}) - Nein, dann waren vielleicht die Meldungen falsch, Herr Rasner, was mich freuen sollte, weil ich mir wünsche, daß alle demokratischen Parteien finanzstark und leistungsfähig sind. Ich bin nur der Meinung, die andere Seite muß dann auch nicht nur so negativ argumentieren, wie Sie es hier getan haben. ({1}) Sicher, man wird in einigem vielleicht strecken müssen, man wird vielleicht Bauprogramme strecken müssen - je nach Konjunktur- und Haushaltslage -, aber wir sollten uns doch nichts vormachen: das ist doch nicht eine Frage des Alles oder Nichts. ({2}) - Ja sicher, Herr Kollege Barzel, man muß ein Programm haben, man muß wissen, wie das von der Sache her realisiert werden kann, und dann muß man die stabilitäts- und haushaltsmäßigen Erfordernisse dazutun. ({3}) - Aber, Herr Kollege, dann hätten Sie hinhören sollen; das ist in der Rede des Bundeskanzlers mehrfach gesagt worden, und Sie reagieren darauf so: Aha, nun gehen keine Reformen. - Es hat doch wirklich keinen Zweck, so zu diskutieren Es ist nicht die Frage des Alles oder Nichts, es ist die Frage, was man wann mit welchen Mitteln in welchem Zeitraum verwirklichen kann. ({4}) - Ich freue mich über Ihre Zustimmung; ich sehe, wir werden, noch bevor ich zu Ende bin, zusammenkommen. Denn dann müssen Sie auch diese rein negative Kritik aufgeben und dürfen nicht so tun, als ob die Regierung entweder überhaupt nichts für Reformen getan hat oder viel zuviel tut. ({5}) S i e stehen vor einem Problem. Sie müssen sich heute nach dieser Debatte entscheiden, was Sie der Regierung eigentlich vorwerfen, ob Sie ihr vorwerfen - wie der Kollege Stoltenberg es getan hat -, daß sie in bezug auf Reformen zuviel tut, oder ob Sie ihr vorwerfen wie der Kollege Katzer es getan hat -, daß sie auf diesem Gebiet zuwenig tut. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Herr Stoltenberg, im Augenblick nicht. ({0}) Das ist nicht die Frage des Alles oder Nichts. Darüber sollte man sich doch einigen können und nicht die Pferde scheu machen. Sie sind dann auf die Frage der Prioritäten gekommen. Ich sage noch einmal: Die Regierung hat herausgestellt, was sie vorrangig in dieser Legislaturperiode behandeln will. Natürlich kann es - ich wiederhole, was der Bundeskanzler gesagt hat keine Einzelprioritäten etwa zwischen Gesundheitsvorsorge und Umweltschutz geben, es sei denn in der finanziellen Bedienung, und die erfolgt beim jeweiligen Haushalt. Sie haben ja erlebt, auf welchen Gebieten wir da Prioritäten setzen. Im übrigen muß man flexibel sein. Wenn man jetzt von dieser ganz natürlichen Tatsache, daß man flexibel sein muß - Sie haben die Diskussion ja so gewählt, daß wir auf die Finanzfortschreibung noch keine Antwort geben können; das ist Ihr gutes Recht -, wenn man von diesem taktischen Vorteil einmal absieht, dann ist doch die Antwort, daß das flexibel gestaltet werden muß, ganz klar. Ich sage nur: Ihre Prognosen für 1970 waren falsch, Ihre Prognosen für 1971 waren falsch, Ihre Prognosen für 1972 werden auch falsch sein. ({1}) Man kann jetzt natürlich der Regierung sagen: Nun gut, Ihr habt uns hier diese Ubersicht gegeben; wir sehen, in welcher Richtung es weitergehen soll; aber werdet ihr das wirklich machen? Ich bin der Meinung, die Menschen draußen sollten diese Frage am besten nach dem beurteilen, was schon getan worden ist. Sie brauchen nicht auf Versprechungen zu hören. Wenn diese Leute sich ansehen, was diese Regierung in diesen 18 Monaten gemacht hat, ({2}) dann werden sie sagen: Sie hat in diesen ersten 18 Monaten mehr gemacht als irgendeine andere Regierung vorher in 18 Monaten. ({3}) Herr Kollege Rasner, ich bin über Ihren Zwischenruf sehr erstaunt; denn Tatsache ist doch, daß Sie nach vorheriger vehementer Kritik aus Ihren Reihen mit ganz wenigen Ausnahmen fast allen großen Reformgesetzen dieser Koalition zugestimmt haben. ({4}) Das gilt für die Kriegsopferversorgung, das gilt für die Änderung der Krankenkassenversicherung, das gilt für die Vermögensbildung, ({5}) das gilt für das Wohngeld, das gilt für das Kindergeld. Meine Damen und Herren, wenn Sie so und fast immer einstimmig der Politik dieser Regierung am Ende zustimmen, dann kann diese Politik doch wohl so schlecht nicht sein. ({6}) Ich bin der Meinung, Sie sollten doch Ihr Abstimmungsverhalten im Bundestag, das ich als verantwortliche Politik hochschätze, in Übereinstimmung bringen mit Ihren öffentlichen Äußerungen über die Reformpolitik dieser Regierung. Ich fände es jedenfalls gut, wenn wir in diesen zweifachen Problem vom Programm der jeweiligen Regierung einerseits und den Bedingungen modernen Regierens andererseits dorthin kämen, daß wir das eine im sachlichen Gegeneinander und das andere im nationalen Miteinander machen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat Abgeordneter Dr. Martin.

Dr. Berthold Martin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001426, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Der Herr Minister Ehmke hat hier mit bemerkenswertem Mut von dem Erfolg seiner Regierung gesprochen und damit glatt ins Angesicht der ganzen öffentlichen Meinung geredet, denn daß das, was er hier gesagt hat, nicht stimmt, ist nicht nur die Meinung der Opposition, sondern es ist, glaube ich, die Meinung der gesamten Öffentlichkeit und der wesentlichen Träger der öffentlichen Meinung. ({0}) - Ich werde das gleich nachreichen. ({1}) Ich möchte auf einige Punkte, die er angeschnitten hat, antworten, weil der Bundestag ja dazu da ist, zu diskutieren. Ich habe es bedauert, daß auf die substantiellen Äußerungen über das Selbstverständnis des Menschen von Herrn Katzer mit der etwas schnöden Bemerkung von der Rundumerneuerung des abendländischen Menschen von der FDP reagiert wurde. ({2}) Ich finde das nicht sehr gut. Ich kann auch Herrn Ehmke nicht folgen, wenn er sagt, die Politik brauche keine Leitbilder, sondern es gehe darum, in der Gesellschaft frei zu diskutieren. Meine Damen und Herren, so einfach ist es nicht. ({3}) - Ich kann mich gern korrigieren; ich glaube doch, daß es so gesagt worden ist. - Meine Damen und Herren, eine Politik, die nicht von einem bestimmten Selbstverständnis des Menschen ausgeht, wird direktionslos. ({4}) Die Alternative hier Mensch und dort Gesellschaft ist ja nicht wahr. Das Entscheidende ist, daß sich der Mensch in der Gesellschaft jeweils begegnet, daß er sie hervorbringt und sie wieder zurücknimmt und daß er als Mensch und Politiker gerade für die Zustände in dieser Gesellschaft verantwortlich zeichnet. Ich würde diese Grundsätze nicht geringschätzen, sondern empfehlen, einmal darüber nachzudenken. Das ist auch nicht allein meine Meinung. Wer einmal Heisenbergs Betrachtungen in seinem letzten Buch nachliest, der sieht, daß das Ausgehen vom Menschen unabdingbar ist. Ich komme jetzt zu den Ausführungen von Herrn von Dohnanyi. Ich hatte nach seiner Wortmeldung erwartet, daß er eine Antwort auf die dringenden Fragen der Bildungsreform geben würde, zumal der Minister, der leider erkrankt ist, heute dazu nicht in der Lage ist und auch der Bundeskanzler die eigentliche Frage und auch die Fragen von Herrn Ehmke, was heute und morgen wie und mit welchen Mitteln getan werden soll, einfach nicht beantwortet hat. Auch Herr Ehmke hat das nicht getan. ({5}) Herr von Dohnanyi hat sich dadurch aus der Klemme gezogen, daß er in recht unqualifizierter Weise Herrn Stoltenberg angegriffen und sich wieder auf einen Ritt in die Zukunft begeben hat. Meine Damen und Herren, der Angriff auf Herrn Stoltenberg war in zweifacher Weise unberechtigt und falsch. Wer die Geschichte jener Zeit und die Änderungen der Verfassung kennt, die damals intendiert und durchgeführt worden sind, der weiß, daß unter Herrn Stoltenberg die Phase einer neuen Aktivität in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik durch den Bund eingeleitet worden ist. ({6}) Alles, was jetzt geschieht, und die Handlungsmöglichkeit, die die Bundesregierung hat, basieren auf der Vorarbeit, die dieser Minister für dieses Haus und für die deutsche Politik geleistet hat. ({7}) Es wäre fair gewesen, das zu sagen. Es wäre auch fair gewesen, Herr von Dohnanyi, zu sagen, ({8}) daß während der Krise, des Rückgangs, die Mittel für die Wissenschaftspolitik Jahr für Jahr durch Herrn Stoltenberg überproportional erhöht worden sind, z. B. um 23 % bei Zuwächsen in anderen Bereichen von 7, 6 und 5 %. Wir wissen heute, daß das damals auch Ihren Beifall gefunden hat und als Fortschritt gewertet wurde. Auch das hätte man sagen müssen. Drittens hätte man sagen müssen, daß wir damals Zug um Zug den Vorschlägen und Empfehlungen des Wissenschaftsrates gefolgt sind. Wir sind hinter seinen Empfehlungen nicht zurückgeblieben. Der damalige Präsident des Wissenschaftsrates ist der heutige Wissenschaftsminister. In einem Jahr waren die Mittel geringer. Es wäre fair gewesen, die Gründe dafür zu nennen. Sie lagen darin, daß zwei sozialdemokratisch regierte Länder nicht in der Lage waren, die Mittel abzurufen, die ihnen der Bund zur Verfügung gestellt hatte. ({9}) Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren, und es wäre gut gewesen, das hier zu sagen. ({10}) Hier ist wieder der Eindruck erweckt worden, als ob die Steigerungen im Bundeshaushalt, die ich ohne weiteres anerkenne, das Problem lösten. So wie es Herr von Dohnanyi darstellt, redet er elegant und perfekt an der Situation vorbei. Diese Mittel machen 6 O/ dessen aus, was wir brauchen. Die Zusage, die wir hatten, lautete nicht, diese 6 % „fülliger" zu machen, sondern sie lautete in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers: Wir werden die Länder instand setzen, ihre großen Aufgaben durchzuführen. ({11}) Davon kann bis zur Stunde überhaupt keine Rede sein. ({12}) Herr Bundeskanzler, im Oktober waren zwei Ministerpräsidenten, Herr Filbinger und Herr Osswald, bei Ihnen, und zwar aus folgendem Grunde. Die Bundesregierung hat auf Grund der neuen Zuständigkeiten und auf Grund der Ausführungen von Bildungsrat und Wissenschaftsrat ein Programm von 100 Milliarden DM angekündigt, das die Länder durchzuführen hätten. Die Ministerpräsidenten haben Sie, Herr Bundeskanzler, gefragt, wie das denn vor sich gehen solle, ob Sie die Steuerverteilung ändern oder den Ländern direkt helfen wollten oder wie das sonst geschehen solle. Es entbehrt nicht der Komik - ich darf die Geschichte, die damals passiert ist, vielleicht einmal erzählen -, wie dieses Problem gelöst worden ist. Herr Lauritzen hat gesagt: Das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern ist so wie zwischen einem armen Jungen und einem armen Mädchen, die sagen: Also laßt uns heiraten. Das war die Antwort, die damals gegeben wurde. Die Zusage, an der die gesamte Bildungsreform hängt, nämlich die Länder instand zu setzen, ihre Aufgaben durchzuführen, ist nicht eingehalten worden, und es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, daß das geschehen wird. ({13}) Ein Zweites, meine Damen und Herren. Heute ist uns wieder als letzte Weisheit und als letztes Konzept die integrierte Gesamtschule und die integrierte Gesamthochschule vor Augen geführt worden. Hier legt sich die Regierung ohne Not fest und führt sich selbst aus der Bildungsdiskussion heraus. Sie haben sicher gestern und vorgestern gelesen, daß ein so guter Kenner wie Herr Professor Hitpass, der dem gegliederten Schulsystem kritisch gegenübersteht, gesagt hat - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten , daß nicht nur „die voreilige Expansion und Zementierung der Gesamtschule ein funktionsfähiges Bildungswesen zerschlägt, sondern daß dadurch auch sinnvolle und notwendige Innovationen und Reformen zunichte gemacht werden". Das ist ein Zitat aus der „Welt", meine Damen und Herren. Sie haben sicher gestern gelesen, daß die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nun plötzlich dahinterkommt, daß Sie in Hessen allein 12 800 Lehrer für die Sekundarstufe 1 und 6 000 Lehrer für die Förderstufe brauchen. Das heißt, die Maßnahmen, die hier eingeleitet werden, verschärfen die Krise des gegenwärtigen Bildungs- und Wissenschaftssystems ohne Not, weil man mit dogmatischen Vorurteilen definitiv an die Dinge herangeht. Meine Damen und Herren, demgegenüber hat hier Herr Ehmke wieder versucht, uns in die konservative Ecke zu stellen. Ich möchte dazu sagen, die CDU hat hier und andernorts ein geschlossenes Konzept der Bildungs- und Wissenschaftspolitik vorgetragen, ein Konzept, das in die Zukunft führt und das in der Lage ist, die großen Ziele der Bildungspolitik, Chancengleichheit, Steigerung der Leistungen, auch zu garantieren und ein modernes Bildungswesen zu entwickeln. ({14}) Wenn Herr Dohnanyi hier gesagt hat, wir säßen in der Opposition, weil wir nicht genug Reformen gemacht hätten, kann ich ihm folgendes sagen: Er hat sich in Rheinland-Pfalz als Erneuerer und Reformer angeboten. Das Volk in Rheinland-Pfalz hat sich höflich bedankt; Sie werden uns also hier erhalten bleiben. ({15}) Das war es, was dazu zu sagen war. Wir hätten erwartet, daß nach der Bildungskommission und nach den Peinlichkeiten, die durch die Protokolle entstanden sind, hier eine Antwort kommt. Tatsache ist aber, daß in dieser Sitzung die Leute, nämlich Herr Leussink und Herr Lohmar, die draußen die großen Konzepte vortragen müssen, nicht anwesend waren. Es sieht so aus, als ob sich die Affäre Evers noch einmal wiederholte, daß der große Prediger der Reform in die Wüste geht. ({16})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.

Joachim Raffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001765, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Martin hat gesagt, Klaus von Dohnanyi habe sich unqualifiziert gegenüber Herrn Stoltenberg geäußert. Ich hoffe, Ihnen nachweisen zu können, daß eine Reihe von Punkten - ich will nur wenige nehmen - auch Ihrer Ausführungen nicht die Qualität haben, die Sie in ihnen vermuten. Sie haben sich in verschiedenen Punkten geirrt, obwohl Sie inzwischen Zeit gehabt haben, nachzurechnen, was Kollege von Dohnanyi Ihnen vorgelegt hat. Ich will ganz absehen von der Bemerkung, daß auch schon, bevor wir angetreten sind und bevor Herr Stoltenberg - übrigens mit uns - in der Großen Koalition diese Grundgesetzänderung bei Art. 91 b zustande gebracht hat, Gelegenheit gewesen wäre, die Länder in ausreichendem Maße zu entlasten und von seiten des Bundes tätig zu werden. ({0}) Wir entlasten die Länder heute schon. Sie können das gar nicht bestreiten. Sie brauchen sich nur die Etatposten für Großforschungsanlagen anzusehen, wo nachweisbar ist, daß wir von Jülich bis hin zu anderen Einrichtungen die Beteiligungsverhältnisse des Bundes geändert ({1}) und allein 110 Millionen DM im Haushalt 1971 aufgebracht haben, um die Länder zu entlasten. Das ist aber in der Bemerkung - nicht von Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg, aber von Herrn Dr. Martin - bestritten worden. Dies kann man nur schlicht und einfach zurückweisen. ({2}) Der letzte Punkt. Ich will nur noch auf diesen eingehen. Sie können nicht behaupten, wir hätten in dieser Zeit nicht mehr getan als Sie. Sie haben es in vier Jahren fertiggebracht, die Haushaltsmittel für den Hochschulbau um 200 Millionen DM zu erhöhen; wir haben es fertiggebracht, diese Haushaltsmittel in einem Jahr um 300 Millionen DM zu erhöhen. Wenn Sie allein diese beiden Zahlen nebeneinandersetzen, werden Sie sehen, daß das Zahlenspiel, das Sie hier vorgeführt haben, nicht den Realitäten entspricht, in denen wir uns bewegen. Sie können sicher sein und werden es erleben, daß wir beim Abschluß des Gesamtbildungsplans und bei der Vorlage des Bildungsbudgets die richtigen Zahlen auf dem Tisch haben werden. Leider haben Sie nicht alle Protokolle zu Händen, die bei uns gemacht worden sind; sonst wüßten Sie, daß in der Ministerbesprechung, in der diese Dinge mit Herrn Leussink und unseren Länderministern besprochen worden sind, Einstimmigkeit geherrscht hat. Die wird auch herrschen, wenn wir den Gesamtbildungsplan und das Gesamtbildungsbudget vorlegen. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meines Erachtens hat die Bundesregierung eine große Gelegenheit versäumt. Sie hätte heute Gelegenheit gehabt, die Opernaufführung, die Premiere, vom 29. Oktober 1969 als schlichtes Volksstück zu wiederholen. Mehr ist es nämlich nie gewesen. ({0}) Herr Bundeskanzler, kürzlich haben Sie bei einer der letzten Debatten erklärt, Sie würden heute einiges anders schreiben, als es damals in der Regierungserklärung war. Sie haben einige tippelnde Schritte auf dem Pfade der Tugend gemacht. In der Zwischenzeit ist das alles wieder vorbei. Sie sollten sich an die Bibel erinnern: Über einen reuigen Sünder ist im Himmel mehr Freude als über einen Gerechten. ({1}) - 90? Ich wollte nicht so weit gehen. ({2}) Die Experten der verschiedenen Fraktionen, vor allem der Opposition, haben die finanzielle Seite dieses Reformprogramms dargelegt. Da Ihnen nun der Geldwert zwischen den Händen wegschmilzt, besteht nicht die geringste Aussicht, daß Sie auch nur einen anständigen Teil von dem werden erfüllen können, was Sie damals versprochen haben. Es wäre ein gute Sache gewesen - und die Öffentlichkeit hätte Verständnis dafür -, wenn Sie heute hier hergetreten wären und gesagt hätten: „Wir haben uns getäuscht, die Entwicklung war anders, wir müssen es einschränken", und wenn Sie ein realistisches Programm vorgelegt hätten. Das wäre sehr gut gewesen und wäre Ihnen auch sehr gut bekommen. Aber gut, es ist Ihre Entscheidung. Ich möchte auf einen anderen Gesichtspunkt zu sprechen kommen: den Umgang mit der deutschen Sprache. Ganz einfache, alltägliche Routinevorgänge mit dem Etikett „Reformen" zu versehen, das ist kein ordentlicher, sondern ein schludriger Umgang mit der Sprache. Das sind kleine Novellen, ganz kleine Aktenvorgänge. Ich bezweifle ja gar nicht, daß Sie in diesen 18 Monaten auch etwas getan haben. Wir gehen nicht so weit, das zu heugnen. Sie haben bloß nicht das getan, was Sie versprochen hatten. ({3}) Herr Bundeskanzler, es wäre ja noch schöner, wenn Sie in den 18 Monaten, die Sie in der Regierung sind, überhaupt nichts geleistet hätten. Das wäre ja noch schöner! Aber das wenige, was Sie getan haben, verdient nicht den anspruchsvollen Namen „Reform". Unter „Reform" gehören Vorgänge wie z. B. die Rentenreform vom Jahre 1957, ({4}) wie das Ausbildungsförderungsgesetz, ({5}) wie die soziale Marktwirtschaft in ihrem ganzen Prozeß. ({6}) Sie haben einen Lernprozeß von zehn Jahren durchmachen müssen, um die nicht mehr zu übersehenden Ergebnisse anzuerkennen und sie heute mühselig gegen Ihren linken Flügel zu verteidigen. Das wa6454 ren Reformen, im geistigen Gehalt, in der Wirkung und im Ergebnis. Wer dieses anspruchsvolle Wort gebraucht und wer im Umgang mit der Sprache nicht die Delikatesse bewahrt, der verrät eigentlich eine ganz gefährliche und bedenkliche Einstellung. Es ist nicht anders als z. B. bei der Konzertierten Aktion. Meine Damen und Herren, was ist Aktion? Das ist ein bedeutender und großer Vorgang mit Wirkungen. Das hier sind doch nur unverbindliche Kaffeegespräche. ({7}) Herr Professor Schiller traut sich nicht einmal zu sagen, daß seine Zahlen Leitlinien sind, weil der zweite Vorsitzende der IG Metall ihm vor einigen Tagen eine kleine Abreibung verpaßt hat. Das soll eine Aktion sein? Das alles sollen Reformen sein? Seien wir bescheidener, seien wir ehrlicher! ({8}) Sie bemühen sich - das bestreitet gar niemand -, Dinge fortzuentwickeln. Das ist alles. Das hat man früher als Novelle bezeichnet. Sie machen auf eine Flasche, in der Sauerampfer ist, ein Etikett „Tafelwein". Das ist doch der Vorgang, meine Damen und Herren. ({9}) So geht es nicht. Sie haben diese Debatte auch gar nicht angenommen. Sie haben sich gar nicht darauf eingelassen. Warum? Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben. Sie haben halt einmal zuviel versprochen. Sie waren ja drei Jahre in der Regierung. Viele haben den gleichen Stuhl beibehalten. Es ist ja nicht so, daß Sie nicht gewußt hätten, wie die Lage ist, was möglich ist und was Sie ausführen können. ({10}) Aber wenn Sie im Vollgefühl dieses Mini-Koalitions-Ereignisses den Mund so voll nehmen, dann stellen Sie sich hin und gehen es zu! Das ist besser für Sie, für uns und vor allem für die Öffentlichkeit, für unser Volk. ({11}) Was marschiert nun alles unter dieser Fahne „Reform" ? Ich nenne das Vermögensbildungsgesetz. Es ist zweifellos eine gute Sache, aber doch keine Reform. Das ist eine ganz einfache Multiplikation mal zwei plus eine kleine Prämie. Das ist alles. Das hat man früher als Novelle bezeichnet. Zum „Stabilitätskurs". Was Sie sagten, hätte ich an Ihrer Stelle nicht erwähnt. Sie haben das beste Instrumentarium. Sie waren sehr stolz darauf. Es ist in der Zeit der Großen Koalition eingeführt worden. Sie haben kein Glück mit der Stabilität und kein inneres Verhältnis zu ihr. Sie wollen Geld ausgeben, ({12}) und Sie wollen sich beliebt machen. Das verträgt sich eben mit Stabilität nicht. Die Bildungsproblematik ist bereits wiederholt behandelt worden. Das ist eine Fortsetzung all der Dinge, die dem Grunde und der Entwicklung nach längst in anderen organisatorischen Formen in der Gesetzgebung während der Großen Koalition eingeleitet worden sind. Es ist ein organisatorischer, technischer Vorgang, aber doch nicht irgendwie ein Geistesblitz, der sich hier entfaltet und wirklich den anspruchsvollen Namen „Reform" verdient hätte. Bezüglich des Betriebsverfassungsgesetzes darf ich Sie, Herr Wehner, an Ihren letzten Artikel in der „Welt der Arbeit" erinnern. Sie haben selbst erklärt: „Es ist eine miserable Sache. Das hätten wir gar nicht gemacht. Wir wurden von unserem kleinen Koalitionspartner gebremst." ({13}) -- Gut. Ich bin gar nicht süchtig. Das war dem Sinne nach, Herr Wehner, ein Eingeständnis, daß Sie mit der Lösung natürlich nicht zufrieden waren. Sie haben nicht den Mut gehabt, unserer Vorlage zuzustimmen, die in der Frage der Mitbestimmung einen sehr interessanten Fortschritt beinhaltet. ({14}) Diesen Mut haben Sie nicht aufgebracht. Ihre Koalition ist so fragil, so zerbrechlich, daß Sie fortgesetzt Rücksicht nehmen müssen. Ich verstehe das. Aber Sie nehmen Rücksicht auf Kosten wichtiger Interessen. Regierungsverantwortung ist eben, auch das Unangenehme durchzusetzen. ({15}) An diesem Geburtsfehler leiden Sie eben. Er befähigt Sie nicht zum Handeln, auch nicht zum notwendigen Handeln. Sie sprachen von der Steuerreform. Nun, dafür war in der Großen Koalition alles vorbereitet. Es wurden Kommissionen eingesetzt. Nur, wir haben noch nichts. Wir haben zunächst ein Gutachten. ({16}) Wir werden uns überraschen lassen. Vielleicht wird es eine Reform. Es gibt Leute, die diese Reform bereits fürchten, und zwar aus guten Gründen. Was die Justizreform betrifft, so wissen Sie ja, Herr Kollege Wehner, daß sich Herr Kollege Jahn damit große Mühe gegeben hat. Die wirklich echten Gedanken sind bei seinen Vorschlägen zum Vorschein gekommen. Sie haben sie wieder verjagt, weil sie nicht in die Wahllandschaft gepaßt haben. Das war es doch. Aber das Echte ist schon zum Vorschein gekommen. Nun zur Post. Auch die Post wird uns in dem Reformprojekt vorgestellt. Ich erinnere mich sehr deutlich an unerhörte Defizite, die uns Hunderte von Millionen kosten und sich demnächst in dem neuen Gebührenkatalog niederschlagen. Das andere, die organisatorische Umwandlung, ist ja längst bereits unter Stücklen vorbereitet und durch eine Kommission begutachtet worden. Das soll eine Reform sein? Nein, das ist eine Gesellschaftsumwandlung, ein ganz einfacher rechtlicher Vorgang. Dabei konnten Sie Ihre Mitbestimmungsabsichten gar nicht verwirklichen; das konnten Sie sich alles nicht gestatten. Auch hier sind Sie - Bitte schön, Herr Dorn!

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Höcherl, nachdem Sie uns so demonstrativ klarzumachen versuchen, daß wir eigentlich nur die Politik fortsetzen, die Sie früher schon eingeleitet haben, frage ich mich, ob Sie dann die kritischen Bemerkungen gegenüber dieser Politik nicht mit auf sich selbst beziehen müßten.

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dorn, Sie irren völlig. Ich halte mich darüber auf, daß Sie etwas als Reform bezeichnen, was eine Fortentwicklung längst vorbereiteter, eingeleiteter Maßnahmen ist. Das ist es doch. Die Art, wie Sie mit der Sprache und den Begriffen umgehen, ist es, was beanstandet werden muß. Das ist eine Werbesprache - der Duft der großen weiten Welt -, ({0}) die draußen ankommen soll. Da werden harmlose, bescheidene, selbstverständliche Routineangelegenheiten als Reform etikettiert, und das ist eine innere Unwahrhaftigkeit. Nennen Sie die Dinge beim Namen, dann werden wir uns sehr rasch verständigen. ({1}) Es kommt das Kartellrecht. Ich glaube, es ist der vierte oder fünfte Entwurf, der nun in der Mache ist, und demnächst sollen wir überrascht werden. Ich bin sehr gespannt. Das Kartellrecht war einmal eine große Reformidee in den fünfziger Jahren. Bisher hat es im Jahre 1962 noch eine Novelle gegeben, dann war es aus. Sie probieren ständig und feilen ständig an einer neuen Novelle. Vielleicht gibt es einige positive Dinge, in denen wir sogar übereinstimmen. Aber von einer Reform kann doch nicht die Rede sein. Arznei- und Lebensmittelgesetz, Unfallschutz und die Krankenhausfinanzierung. ({2}) Ich habe zur Krankenhausfinanzierung gelesen, daß alle Beteiligten dagegen sind. Nur der Gewerkschaftsbund hat eine schwächliche Pflichtübung geleistet und gesagt, das wäre gerade noch etwas. Alle anderen Beteiligten haben es als ungenügend abgelehnt. Das sind merkwürdige Reformen. Dann kommen die Gemeinschaftsaufgaben. Das hat es alles schon gegeben, nur in einem anderen organisatorischen Gewand. Zusammenfassend möchte ich sagen: ({3}) Sie haben hier im Hause und in der Öffentlichkeit wiederholt erklärt, daß Sie ein vollständiges, finanziell ausgestattetes, zeitlich geordnetes Reformprogramm hätten. Heute haben wir darauf gewartet; Sie sollten es auf den Tisch legen. Sie haben es nicht auf den Tisch gelegt, Sie haben sich in allgemeinen Redensarten ergangen, und Sie haben die Debatte nicht angenommen. ({4}) Aber ich will Ihnen zum Schluß eines sagen: e i n Reformprogramm haben Sie noch, nämlich die Reform der Bundesregierung. Die ist dringend nötig. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Ott.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man heute hier und draußen im Lande die Regierungsvertreter hört, dann gewinnt man den Eindruck, daß so viel Schutt wegzuräumen war, daß nichts anderes an Positivem geschehen konnte. Da anscheinend verschiedene Leute in diesem Lande in den letzten zwanzig Jahren in einer Art innerer Emigration geblieben sind, weil sie von 1949 bis 1969 diese Regierungspolitik nicht getragen haben, möchte ich einige Zahlen in den Raum stellen, um zu zeigen, was alles geschehen ist. ({0}) - Sie waren nur zeitweise dabei. Sie werden aber sicherlich auch froh sein, wenn Sie das hören, was geschehen ist. Zunächst ist von 1949 bis 1969 -- in der Zeit, in der die CDU/CSU den Regierungschef gestellt hat - der Bestand an Wohnungen immerhin um 9,8 Millionen angewachsen. Der Bestand an Sozialwohnungen wurde in dieser Regierungszeit von uns um 5 Millionen erhöht. Der Bestand an Kraftwagen bei Arbeitnehmern ist von sage und schreibe 44 000 auf 8,3 Millionen angewachsen. Die Autobahnen sind in dieser Zeit von 2 000 auf 4 000 km gewachsen. Dank unserer Politik ist es so gekommen, daß Sie heute mit dem Straßenbau gar nicht nachkommen, weil wir in diesen zwanzig Jahren durch unsere Politik dafür gesorgt haben, daß in diesem Land insgesamt 11 Millionen Kraftwagen mehr zur Verfügung standen. ({1}) Draußen im Lande stehen die Brückenfundamente, ohne daß Sie die Straßen bauen können; das ist Ihr Werk von zwei Jahren. Wir haben nicht Steine gegeben, wie Sie es manchmal mit Ihren Versprechungen tun, sondern wir haben tatsächlich Brot gegeben. Verfolgen Sie bitte die Zahlen der für den Kauf von Lebensmitteln und anderen Produkten aufzuwendenden Arbeitsminuten im Jahre 1949 und 1969, als wir von ihnen abgelöst wurden. Für ein Kilo Butter mußte ein Arbeitnehmer 1949 253 Minuten arbeiten, 1969 83 Minuten, für einen Liter Milch 1949 17 Minuten, 1969 8 Minuten, für ein Kilo Kotelett 1949 257 Minuten, 1969 89 Minuten, für ein Kilo Brot 1949 23 Minuten, 1969 13 Minuten, für einen VW-Standard - das ist vielleicht besonders interessant - 1949 236 000 Arbeitsminuten, 1969 nur noch 50 000 Arbeitsminuten; das heißt, 20 % von dem, was er im Jahre 1949 arbeiten mußte, mußte er dafür noch arbeiten, als Sie uns abgelöst haben und mit Ihren Wunderversprechungen kamen. Das sind Zahlen, die sich immerhin sehen lassen können. Für ein Herrenoberhemd mußte gearbeitet werden 1949 314 Minuten und 1969 204 Minuten. Und man höre: Gleichviel arbeiten muß er immer noch für einen Gewerkschaftsbeitrag; für den muß er noch genauso sechzig Minuten arbeiten wie zwanzig Jahre zuvor.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Ott, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zander?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Karl Fred Zander (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002581, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie uns bitte auch mitteilen, wieviel Prozent des Vermögens in dieser Gesellschaft sich im Jahre 1950 in den Händen von wieviel Prozent der Bevölkerung befanden und wie das Verhältnis heute ist?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich bin durchaus in der Lage, Ihnen darauf die Antwort zu geben, die niemand in diesem Hause geben kann und die auch Sie selbst nicht geben können. Die Zahl, die im Jahre 1960 einmal genannt worden ist, daß angeblich 1,7 % der Bevölkerung 70 % der Produktionsmittel hätten, ist durch gar nichts beweisbar. Hier in diesem Hause sind Anfragen gestellt und bearbeitet worden. Ich habe dieses Material beisammen. Weder von der Vermögensteuerseite noch von sonstigen Statistiken her haben Sie überhaupt eine stichhaltige Unterlage dafür, wie sich die Vermögensverteilung entwickelt hat. ({0}) - Meine Damen und Herren, Sie werden doch nicht sagen, daß eine Vielzahl von Bausparbriefen, daß beispielsweise die Zahl von 3,7 Millionen Eigenheimen nicht auch ein Beweis für Vermögensbildung in der breiten Masse sind? Oder sind das jene angeblichen 1,7 %, von denen Sie sagen, daß sie die Produktionsmittel in Händen hätten? ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Ott, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zander?

Karl Fred Zander (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002581, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie es als einen ausreichenden Beweis für die einseitige Verteilung ansehen, daß diese Zahl in einer Rede Ihres Kollegen Katzer hier in diesem Haus wiederholt genannt wurde? ({0})

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will Ihnen folgendes sagen. Die Zahlen, die der Herr Kollege Katzer genannt hat, sind genauso auf Schätzungen und Mutmaßungen aufgebaut, ({0}) weil es bisher nämlich nirgends - das ist gar kein Abrücken - Statistiken gibt. Es tut mir leid, daß es so ist. Aber Sie können mich nicht dafür verantwortlich machen, daß statistische Zahlen hierüber nirgends zu erhalten sind.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ({0})?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Heinrich Franke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000571, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ott, lassen wir einmal dahingestellt, ob die Zahlen in dem Krelle-Gutachten richtig sind oder nicht! Ist Ihnen bekannt, was diese Regierung tut, um die Verhältnisse, die hier von dem Kollegen Zander kritisiert werden, zu verändern? ({0})

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf Ihnen noch folgende Zahlen sagen: Die Sparguthaben haben sich vom Jahre 1949 bis zum Jahre 1969 von 3 Milliarden DM auf 186 Milliarden DM erhöht. Ich glaube, daß das immerhin der Ausdruck einer Vermögensbildung ist, die sich sehen lassen kann. Wenn Sie, meine Damen und Herren, in zwanzig Jahren das fertigbringen, was wir in zwanzig Jahren fertiggebracht haben, dann können wir dem deutschen Volk bloß gratulieren. Wenn Sie aber so fortfahren wie in den letzten sechzehn Monaten, werden Sie in zwei Jahren das verwirtschaften, was wir in zwanzig Jahren aufgebaut haben. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Ott, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Junghans?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Hans Jürgen Junghans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ott, Sie beklagen den Mangel an statistischen Unterlagen. Ist Ihnen bekannt, daß die Anträge unserer Fraktion auf die Durchführung einer Einkommens- und Vermögensstatistik bisher immer von der CDU/CSU abgelehnt worden sind, um hier den Schleier zu behalten?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das kann gar nicht stimmen, weil nämlich nicht der Beschluß dieses Hauses diese Statistik zustande bringt, sondern weil dann in der Finanzverwaltung nach ganz anderen Maßstäben steuerliche Erklärungen abgegeben werden müßten. Sie haben eine Vielzahl von gewerblichen Gewinnen. ({0}) Diese Gewinne, die in der Statistik als gewerbliche Gewinne laufen, beinhalten den Unternehmerlohn, sie beinhalten die Kapitalverzinsung, und sie beinhalten die Überschüsse aus der Vermietung und Verpachtung von Gebäuden und Grundstücken. Das Arbeitnehmereinkommen teilt sich auf in Arbeitseinkommen, zum zweiten in Kapitaleinkünfte und zum dritten in die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Im übrigen ist Ihnen ja heute mit der Post eine Aufschlüsselung des Bundesfinanzministeriums darüber zugegangen, in welcher Weise die angebliche Mehrbelastung der Arbeitnehmer über die Lohnsteuer gewachsen sei oder nicht. Lesen Sie das einmal genau durch! Ich will es Ihnen bloß andeuten. Man hat bisher mit dem Argument gearbeitet, daß die Arbeitnehmer mehr Steuern zahlen müßten als die Selbständigen. Wenn Sie diese statistischen Unterlagen lesen, stellen Sie fest, daß bis zu 9 Milliarden DM Lohnsteuer, die in der Lohnsteuer vereinnahmt worden sind, zu Lasten der Einkommensteuer zurückgezahlt worden sind, so daß sich auf diese Weise völlig verzerrte Zahlenverhältnisse ergeben haben. Sie können so also nicht arbeiten. Bitte lesen Sie das durch, was Sie hier heute zur Verfügung bekommen haben!

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Ott, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn es mir nicht angerechnet wird, sehr gern.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Nein, es wird nicht angerechnet.

Alfred Ollesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001647, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ott, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß die Aneinanderreihung von Zahlen, die sicherlich sehr interessant ist - vielleicht könnte man sogar den Vergleich noch ausdehnen auf die Anzahl der Bundestagsabgeordneten; die hat sich ja von 1969 bis heute auch nicht erhöht; und vielleicht könnte man diese Nichterhöhung der Regierung als Minderleistung ankreiden -, dieser Debatte heute nicht besonders dienlich ist?

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ollesch, ich kann verstehen, daß es Ihnen sehr unangenehm ist, wenn Sie einmal den Schleier von dem, was Ihre Regierung gegenwärtig behauptet, weggerissen und Tatsachen vorgelegt bekommen. Bei Ihrer Regierungskoalition hat man draußen im Lande den Eindruck, als ob Sie bloß Schutt wegräumen müßten, als ob Sie Schuttarbeiter wären, Straßenkehrer, Müllader usw. Dabei ist das gar nicht der Fall; im Gegenteil, wenn gewisse Dinge in diesen 20 Jahren ({0}) vielleicht nicht getan worden sind, so doch deshalb, weil die anderen Dinge auch uns so groß gemacht worden sind, daß einiges am Rande unerledigt geblieben ist. Und wenn Sie 20 Jahre regieren, dann, davon sind wir überzeugt, wird viel mehr liegen geblieben sein als bei uns in 20 Jahren, ({1}) weil Sie, meine Damen und Herren, doch kein Verhältnis zum Geld haben. Sie werden doch nicht sagen, daß Sie dann mehr geben, wenn Sie mehr Geld geben. Das haben Sie doch längst begriffen. Nun will ich aber noch einige Zahlen nennen, die beweisen, daß wir in diesen 20 Jahren wirklich etwas gegeben haben; damit möchte ich schließen. Weil Ihnen die Zahlen so unangenehm sind, ({2}) scheint ja doch etwas dran zu sein. Auch das beweist, daß wir in diesen 20 Jahren etwas getan haben und daß Sie nicht nur Schutträumer geworden sind. Der Verbrauch je Einwohner ist in der Bundesrepublik vom Beginn unserer Regierungszeit bis zur Ablösung durch Sie folgendermaßen gewachsen: beim Rindfleisch von 11 auf 20 Kilogramm, ({3}) - meine Herren, Ihr Ernährungsminister hat meines Wissens sogar Prämien dafür gezahlt, daß mehr Kühe geschlachtet werden; also muß auf der anderen Seite wohl jemand dagewesen sein, der das Fleisch in dieser Zeit kaufen konnte -, beim Geflügel von 1 auf 7 Kilogramm, beim Frischobst von 65 auf 178 Kilogramm, bei Kondensmilch von 2 auf 7 Kilogramm und bei Kaffee von 0,6 auf 4 Kilogramm. Ich könnte Ihnen noch viel Zahlenmaterial geben. Dieses Zahlenmaterial stammt übrigens vom Wissenschaftlichen Dienst ({4}) - Sie können es dort nachprüfen lassen , weil ich nämlich, da Sie die ganze Zeit so tun, als ob nichts geschehen wäre, Ihnen das einmal gesagt haben wollte. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie hatten auf Ihren Plakaten vor der Bundestagswahl den Slogan: Wir haben die richtigen Männer. - Wir sollten das nicht vergessen. Ich meine, das Volk beginnt allmählich daran zu glauben, daß dieser Slogan falsch war, denn wenn wir das, was uns in diesen 16 Monaten auf allen Gebieten der Politik geboten worden ist, beurteilen, müssen wir sagen, meine Herren von der Regierungskoalition: die richtigen Männer haben Sie nicht - die haben wir 20 Jahre lang gehabt. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Was soll eigentlich diese Aufzählung, wieviel Kondensmilch der Bundesbürger inzwischen im Durchschnitt verbraucht? ({0}) Was soll eigentlich diese mir unverständliche und, Herr Ott, rechthaberische Vorweisung der Lebensstandardsteigerung der breiten Massen in unserem Volk? Die Produktivitätssteigerungen, die es in der Bundesrepublik gegeben hat und die niemand bestreitet, müssen allen zugute kommen, wenn wir dem Anspruch halbwegs gerecht werden wollen, daß das, was erarbeitet wird, auch gerechter verteilt werden soll. Es sind doch keine Geschenke an die Arbeitnehmer. ({1}) Hier rechnet doch auch niemand vor, wie viele Arbeitstage man heute braucht, um sich einen Mercedes 280 zu kaufen; da wird immer nur mit Butter und mit Käse und bei Ihnen sogar noch mit Kondensmilch argumentiert. ({2}) Das ist doch unwürdig! ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Porzner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte!

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Porzner, Sie können auf andere Fragen antworten. Bestreiten Sie die Tatsache, daß die Lebenshaltungskosten in unserer Regierungszeit jährlich um durchschnittlich 2,1 % und daß sie während der Zeit dieser Regierung um 3,8 % jährlich angewachsen sind? ({0})

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bestreite nicht die Tatsache, daß die Lebenshaltungskosten, wenn ich das jetzt aus dem Gedächtnis sagen darf, seit 1948, gerechnet etwa in Fünf-Jahres-Zyklen gestiegen sind, unabhängig davon, wer regiert hat. In diesen Abschnitten hat sich die Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten erhöht. Das hängt mit der Veränderung des Angebots an Arbeitskräften und auch an Kapital zusammen. Übrigens gilt das auch für andere Volkswirtschaften, nicht nur für die Bundesrepublik. ({0}) Es kann doch niemand bestreiten, daß sich seit 1950 die durchschnittliche Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten - von den jährlichen Schwankungen abgesehen - erhöht hat. Herr Höcherl, obwohl wir Ihren Humor hier schätzen, muß ich Ihnen doch eines sagen. Ich will versuchen, das nicht schulmeisterlich zu tun. Seitdem Sie nicht mehr Minister sind, werden Sie in allem, was Sie hier sagen, immer lässiger. Sie beschäftigen sich immer weniger ernsthaft mit den politischen Fragen, die uns alle angehen. ({1}) Diese lässige Distanz läßt nicht zum Ausdruck kommen, daß Sie das, was Sie sagen, überhaupt ernst nehmen. Deswegen werden Sie nicht einmal mehr in Ihrer eigenen Fraktion ernstgenommen. ({2}) Sie sagen, es gebe Leute, die sich vor der Steuerreform fürchteten. Wir haben diese Reform doch gemeinsam begonnen. Hat nicht ein Minister, der Ihrer Partei angehört, die Vorbereitungen für eine Steuerreform in der vergangenen Legislaturperiode mit begonnen, natürlich nicht mit Lust. Sie kritisieren hier, daß es mit der Steuerreform nicht vorangehe. Wenn der damalige Finanzminister und der damalige Bundeskanzler die Steuerreformkommission früher eingesetzt hätten, wenn sie nicht ein ganzes Jahr hätten verstreichen lassen, dann hätten auch die Ergebnisse früher vorliegen können. Der damalige Finanzminister Strauß hat bei der Einsetzung der Kommission den Wunsch geäußert, daß diese Kommission das Gutachten spätestens Mitte 1970 vorlegt. Das war nicht möglich. Die Steuerreformkommission wird erst in der nächsten Woche ihren Bericht vorlegen. Weil wir solide Arbeit leisten müssen, ({3}) wird es mindestens ein halbes Jahr dauern, bis die Gesetzentwürfe im Finanzministerium ausgearbeitet sein werden. ({4}) - Ich rede davon, Herr Dr. Schmidt, daß der Finanzminister der Großen Koalition, Herr Strauß, durch sein Verhalten vieles verzögert hat. Die Arbeit der Kommission hat viel Zeit in Anspruch genommen. Trotzdem muß die Regierung all die schwierigen Fragen sorgfältig prüfen. Sie muß tiefgründig arbeiten und kann nicht mit Gesetzentwürfen vor den Bundestag und den Bundesrat treten, die dann eventuell nicht akzeptiert werden. Herr Höcherl, Sie meinten, es gebe Leute, die sich vor einer Steuerreform fürchteten, und diese Leute hätten sogar recht. Der Bundesfinanzminister hat gesagt, er wolle ein einfacheres, überschaubareres und gerechteres Steuersystem. Das Steuersystem müsse mehr nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit gestaltet werden, und der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit müsse mehr berücksichtigt werden. - Davor braucht sich niemand zu fürchten. Nach diesen Grundsätzen wird die Bundesregierung auch arbeiten. Es ist unverantwortlich, hier über eine Arbeit, die seit langem ansteht, in dieser Weise zu sprechen. Es geht um eine Reform, die von vielen gewünscht wird, freilich nicht von denen, die privilegiert sind. Viele, die auf diese Reform warten, wollen Sie nur verstören. Sie wollen sie verängstigen, damit ein solches Reformwerk von vornherein jene Bewertung bekommt, die Ihnen lieb ist. Oder fürchten Sie sich vor dem, Herr Höcherl, was Minister Strauß damals sagte, als er die Reformkommission einsetzte? Nämlich: Die Kommission erhält den Auftrag, ein Gutachten zur Vorbereitung einer umfassenden Steuerreform auszuarbeiten und dabei Zielsetzungen einer modernen Finanzpolitik gerecht zu werden sowie den Grundsatz der Gleichmäßigkeit und sozialen Gerechtigkeit der Besteuerung zu berücksichtigen. Ich wiederhole: es ist unverantwortlich, was Sie dazu sagen. Diese Steuerreform wird von zwei Seiten her attackiert, einmal von Leuten wie Sie, die allen Angst machen wollen, zum anderen von jenen, die Hoffnungen auf allgemeine Steuersenkungen wekken. Ich möchte für meine Fraktion sagen - ohne daß wir es diskutiert haben; es ist eine Selbstverständlichkeit allerdings, aber es ist nötig, das zu sagen -: diese Steuerreform kann nicht allgemeine Steuersenkung bedeuten, und jeder, der das erwartet, muß enttäuscht sein. ({5}) Die Steuerreform muß zwar unser Steuersystem gerechter gestalten. Aber sie darf nicht zu Milliardenbeträgen von Steuerausfällen führen. Man kann auch nicht zig Milliarden Steuerausfälle bei den direkten Steuern allein durch Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgleichen wollen. Das ist kein Weg, den diese Koalition gehen wird. Wir haben trotzdem, Herr Dr. Schmidt, noch genug Zeit. Wir können ja auch im Finanzausschuß, wie andere Ausschüsse es machen, sitzungsfreie Wochen des Bundestages verwenden, um die Gesetze, die vorgelegt werden, in Ruhe und sachverständig, ohne Zeitdruck zu beraten. Wir lessen uns nicht, Herr Höcherl, durch Reden, wie Sie sie halten, von dem abbringen, was wir uns vorgenommen haben und was diese Regierung zu ihrem Programm gemacht hat, nämlich: auf diesem Gebiet, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, Reformvorschläge vorzulegen, die dem Grundsatz sozialer Gerechtigkeit näherkommen und ihn verwirklichen helfen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Porzner, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0})?

Dr. Otto Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002015, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Porzner, haben Sie die Antwort der Regierung auf unsere Kleine Anfrage gelesen, daß die Umsatzsteuernovelle immer noch nicht erwartet werden kann, die wir seit Jahresfrist erwarten? Wie lange sollen wir uns denn mit der Umsatzsteuernovelle befassen, wenn wir uns mit den Reformgesetzen zu beschäftigen haben?

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Bundesregierung die Novelle zur Umsatzsteuer möglichst bald vorlegen sollte, und ich stimme mit Ihnen persönlich darin überein, daß an der Umsatzsteuer möglichst wenig geändert werden sollte.

Dr. Otto Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002015, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn dieser Grundsatz gelten soll, dann hätte uns die Regierung vor einem Jahr die Umsatzsteuernovelle vorlegen sollen, dann wäre sie längst über die Bühne. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Schmidt, ich darf Sie bitten, Fragen zu stellen und nicht im Indikativ zu sprechen. Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.

Dr. h. c. Werner Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001483, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Porzner, können Sie sich an eine Rede des Kollegen Schmidt erinnern, eine Rede in bezug auf einen Antrag meiner Fraktion Ende 1968, der eine Novellierung des Mehrwertsteuergesetzes vorsah, eine Rede, in der Herr Kollege Schmidt die Meinung vertreten hat, man müsse noch einige Jahre zuwarten und Erfahrungen sammeln, bevor man an eine Novellierung des Mehrwertsteuergesetzes herangehen könne? ({0})

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesregierung wertet alle Erfahrungen, die bisher in der Wirtschaft und in der Finanzverwaltung gemacht wurden, sorgfältig aus. Die Bundesregierung wird hoffentlich eine Novelle vorlegen, die nicht so ausführlich sein wird, Herr Dr. Schmidt, daß wir damit viele Monate beschäftigt sein müssen. Alle diejenigen, die damals die Mehrwertsteuer gemacht haben, die ja beispielhaft für alle übrigen Länder in Europa ist, sind daran interessiert, daß Mängel beseitigt werden. Aber wir dürfen das System der Mehrwertsteuer nicht aushöhlen, aus verschiedenerlei Gründen. Dieses Gesetz hat sich insgesamt gut bewährt. Je mehr Erfahrungen Wirtschaft und Verwaltung damit gemacht haben, desto geringer ist ja auch die Kritik an der Mehrwertsteuer geworden. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Schluß der Debatte über die Große Anfrage halten wir fest, daß die Bundesregierung im Grunde in ihrer Drucksache die Antwort verweigert hat und daß sie auch im Laufe des Tages die vielen Fragen, die hier von den Kollegen gestellt worden sind, nicht beantwortet hat. Der Kollege Ehmke hat in dem sachlichen Teil seiner Ausführungen mitgeteilt, daß dies im Herbst bei Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung erfolgen werde. Das heißt, diese Debatte ist damit auf den Herbst vertagt. ({0}) Herr Bundeskanzler, sollte sich darin die Hoffnung auf einen goldenen Herbst ausdrücken, einen Herbst, der Ihnen die Entscheidung, die Sie diesmal vor sich hergeschoben haben, erspart, nämlich entweder zum Kotstift zu greifen oder die dringendste aller Reformen endlich diesem Hause mitzuteilen? Die dringendste aller Reformen ist das Zusammenstreichen des Versprechenskatalogs Ihrer Bundesregierung. Das ist das, worum es geht. ({1}) Wenn Sie glauben, bis zum Herbst warten zu können, Herr Bundeskanzler, dann ist dies Ihre Sache. Nur, wer glauben sollte, es würde einen so glücklichen Herbst geben in der Bundeskasse, bei den Preisen, bei den Steuereingängen und bei der Beschäftigungslage, der müßte dann schon sagen, woher er diesen Optimismus zu dieser Stunde nimmt. Wir halten fest, meine Damen und Herren, daß die Ungewißheit, die draußen im Lande wegen täglich neuer Versprechungen und Finanzausgaben herrscht, die unrealisierbar sind, die Bürger des Landes, die Gemeinden des Landes, die Unternehmen des Landes berührt. Kaum ein Vorhaben irgendeines unserer Mitbürger, einer der Gemeinden oder einer der Unternehmungen ist nicht durch irgendeinen der Pläne dieser Bundesregierung berührt oder beeinträchtigt. Keiner weiß sich auf das einzurichten, was morgen sein wird. Sie haben, Herr Bundeskanzler, nicht nur die Chance vertan, von der Hermann Höcherl hier übrigens sehr ernsthaft gesprochen hat, sondern Sie haben unseren Bürgern nichts gelassen als andauernde Ungewißheit auf den Herbst. Das muß hier festgehalten werden. ({2}) Wir haben mit einer gewissen Spannung in dieser Debatte auf den Beitrag des Kollegen Wehner gewartet, der ausgeblieben ist; denn dies wäre nötig gewesen. Das, was hier heute zur Debatte stand und steht, ist der rote Faden der innenpolitischen Kontroverse schlechthin vom ersten Zeitpunkt der Bildung dieser Regierung an. Noch vor der Abgabe Ihrer Regierungserklärung, vor Ihrem Aufwertungsbeschluß, hatten wir Ihnen den Rat gegeben, der hier oft erörtert worden ist, das durch ein Programm binnenwirtschaftlicher Maßnahmen zu begleiten: Preisstabilität, sparsamer Haushalt, dauerhafte Absicherung der agrarpolitischen Beschlüsse. Sie kamen dann am 28. Oktober hierher und machten deutlich, daß Sie in allen diesen Fragen das Gegenteil tun werden. Daraufhin fragten wir Sie am 29. Oktober, auf welche Zahlen, auf welche Erwartungen, auf welche Finanzlage Sie all diese Versprechungen gründeten, und sagten, das sei eine Regierung, die mit leichter Hand beginne, erst einmal einen ausgebe und nicht die Anstrengungen fordere, die unser Land machen müsse. ({3}) - Das haben wir gesagt als Antwort auf die erste Regierungserklärung. An dieser Stelle haben Sie damals so böse reagiert wie jetzt eben auch, Herr Wehner. ({4}) Das waren unsere Fragen, Herr Kollege Wehner. Inzwischen - und deshalb wollte ich eigentlich, daß Sie ein Wort dazu sagen - hat Herr Kollege Wehner in dem berühmten, hier schon öfter zitierten Interview vom 7. März anerkannt, daß die von ihm als Fraktionsvorsitzenden mitverantwortete Startposition dieser Koalition so ist es doch nun einmal im parlamentarischen Leben, wie wir es hier kennen - eine „Kinderkrankheit" gewesen sei. Herr Kollege Wehner, wenn Sie diese Versprechungen mit den Steuersenkungen als „Kinderkrankheit" betrachten und dies öffentlich sagen, aber nicht hier im Hause dazu stehen und dann Ihr Bundeskanzler kommt und diese Kinderkrankheit-Versprechungen nochmals wiederholt, ohne sie zu revidieren, dann übernehmen Sie doch die Verantwortung für auszehrende Schwindsucht, um in Ihrer Sprache zu bleiben, Herr Kollege Wehner. ({5}) Meine Damen und Herren, wir halten fest: Diese Debatte hat nicht zur Antwort auf unsere Fragen geführt. Diese Debatte wird erneut spätestens im Oktober dieses Jahres stattfinden. Herr Bundeskanzler, lassen Sie mich Ihnen nochmals sagen: Wenn Sie glauben, allein auf einen goldenen Oktober warten zu können, übernehmen Sie eine schwere Verantwortung. Sie verunsichern die Bürger; Sie verunsichern die Unternehmungen; ({6}) Sie verunsichern, meine Damen und Herren, indem Sie eine Chance, Stabilität zurückzugewinnen, hier vertan haben. ({7}) Lassen Sie mich, Herr Bundeskanzler, noch eins hinzufügen: Die Tatsache, daß Sie Ihre Versprechungen heute nicht eingeschränkt, zurückgenommen, sondern ausgedehnt haben, erzeugt doch draußen im Lande Hoffnungen, die keiner realisieren kann. Es sollte keiner den Eindruck erwecken, als sei er plötzlich der Erfinder der Politik als der Kunst des Unmöglichen. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Abend, verehrter Herr Kollege Barzel, kann der eigentümliche Beginn der Debatte über Ihre Große Anfrage durch Ihren Herrn Kollegen Stoltenberg nicht mehr geändert werden. Sie haben selber das Gesetz bestimmt, nach dem diese Debatte geführt worden ist; denn Sie haben sich selbst nicht dazu aufgemacht, mit uns im Streit an den Kern des Streitens um die Notwendigkeiten und um die Möglichkeiten der sozialen Reformen vorzudringen. Ich gebe zu, daß ich auch den ganzen Tag gewartet habe, was Sie wohl eigentlich sagen werden. ({0}) Aber da ich sowieso hier gewesen wäre und die ganze Zeit hier gewesen bin, habe ich keine Zeit verloren, auch wenn ich nichts weiter von Ihnen gehört habe als jetzt diesen Versuch. Sehen Sie, daß die Opposition nicht mit dem zufrieden ist, was der Bundeskanzler sagte, und mit dem, was auf diese sehr ausgeklügelte Große Anfrage, die Sie da zurechtgebastelt haben, in einer sehr gefächerten Antwort entgegnet worden ist, das konnte ja gar nicht anders sein, das wußte ja jeder. Sie wollten die Regierung hereinlegen, und ich habe mir gedacht: Das ist Ihnen gelungen. Sie werden sie also wirklich dazu bringen, daß sie ganze Büros und Abteilungen in Marsch und in Arbeit setzen. Natürlich, das ist der ganze Zweck der Geschichte: wegzukommen von dem, was eigentlich bearbeitet und erarbeitet werden kann. Das ist allerdings auch Ihr gutes Recht. Sie sind ja die Opposition, und Sie probieren alle Möglichkeiten aus. ({1}) - Aber hören Sie mal, Sie kriegen mich doch am Abend nicht auf die Palme. Das hat doch keinen Sinn. ({2}) Ich hätte das gern gehabt, vor allen Dingen nach einigen sehr beckmesserisch - auch außerhalb dieses Hauses - vorgebrachten Vorweg-Urteilen des besonders verehrten - ich möchte beinahe sagen: des von mir generalverehrten - Herrn Generalsekretärs der CDU. ({3}) - Ach, hören Sie mal, keine Minderwertigkeitskomplexe! ({4}) Es ist hier natürlich unausbleiblich, daß die Streite sich mischen, aus unterschiedlichen Ursachen geführt werden, nämlich Streit, wer eigentlich regieren müßte und es auch könnte. Das haben wir hier auch gehört. Sie haben vorhin im Imperfectum gesprochen: daß Sie die Männer hatten. - Na ja, bitte! Das habe ich doch gehört, und es wird vielleicht noch im Protokoll korrigiert. ({5}) Ach Gott, Sie wissen doch, wie das eigentlich zugeht. Sie haben ja schon dreimal dieselbe Rede gehalten und sind dabei nicht strahlender geworden, Herr Kollege Wörner. ({6}) Man wird matt mit der Zeit. Wenn man über einen bestimmten Punkt ist, dann geht's. Aber nun, ich sagte, es werden sich bestimmte Streite in diese Auseinandersetzung mischen müssen. Das ist ganz natürlich: der Streit, wer eigentlich regieren sollte, wer das kann, wer auch würdig ist vom - na ja, aus verschiedenen Gründen; ({7}) ich will mich hier nicht verfranzen. Der Streit darüber, was eigentlich notwendig ist und was davon möglich gemacht werden kann, das wäre die interessanteste von all den Auseinandersetzungen; der Streit über die Rolle des Staates und der Gesellschaft insgesamt und auch angesichts der Vorhaben, die wir unterschiedlich vor uns sehen, und auch der Streit um die Leistungen. In diesem Punkt sind Sie noch am wenigsten generös, weil Sie ganz einfach sagen: Da ist nichts. Entweder haben Sie das alles schon vorweggemacht, und diese Regierung hat es dann nur unterschrieben, oder sie hat es nur vollzogen. Am unbeschwertesten ist dabei der nicht ganz leichte - ich meine jetzt, was die Korpulenz betrifft - Herr Kollege Höcherl. Das ist ihm aber hier schon bescheinigt worden. Der kann das am besten. Der Streit um die Leistungen wäre auch zugleich der Streit um den Stellenwert, den Sie und den wir dem, was da gemacht worden ist, zuschreiben. Ich gehöre auch nicht zu denen, die alles, was getan ist, als Reform bezeichnen. Aber es hätte heute herausgepuhlt werden können, was denn von Wert wäre. Dazu hatte der Bundeskanzler einen Einstieg gemacht, auf den Sie majestätisch, wie Sie sind, überhaupt nicht eingegangen sind. ({8}) Ich will das jetzt zu später Stunde nicht wiederholen. Ich meine nicht Herrn Barzel, ich meine die Sprecher. Herr Stoltenberg konnte das gar nicht, denn er mußte hier eine Kandidatenrede halten, ob es nun die für den Oppositionsführer oder für den Ministerpräsidenten an einem dritten Ort ist, ist die andere Frage. Was nützt denn das müde Winken, Herr, der Sie vor dem Herrn Stoltenberg sitzen. Das hat doch gar keinen Sinn. Der Stellenwert, den man diesen Maßnahmen und den Schritten und auch den Reformen zumißt - dem, was wirklich Reform ist und worauf wir hin müßten und wovon wir manches schon in Angriff genommen haben , hängt natürlich ab vom sozialen Standort bzw. von der Auffassung über die Demokratie und ihren sozialen Gehalt. Wenn wir diesen Streit heute wirklich ehrlich hätten führen können und wenn auch Sie dazu Anlaß gesehen hätten, statt hier nur vordergründig zu diskutieren, dann hätten wir über das soziale Demokratieverständnis sowohl der Ideologen als auch der gehobenen Praktiker in der Union, das nämlich ein gespaltenes ist, sprechen können. Da wären wir wahrscheinlich einander nähergekommen, nicht in der Auffassung, aber im Kennlernen der Unterschiede, die wir haben und die ja sein müssen. Dann bliebe immer noch das, was wir dem gemeinsamen Staat schuldig sind. Das ist es, weswegen ich vorhin eine etwas saloppe Bemerkung über den Generalsekretär gemacht habe, der dauernd auf eine etwas subversive Weise zu examinieren versuchte, ({9}) ob wir denn wirklich zum Eigentum stünden und solche Scherze mehr. Ich sage Ihnen, wenn das dann in Volksausgabe und in Massenerregung und Hysterie übersetzt wird, wie das jetzt zeitweilig an manchen Stellen geschieht, dann lohnt es nicht, nur zu sagen, daß man die Opfer bedauert, die dabei auf der Strecke geblieben sind. ({10}) Die Bauerngeschichten sind tragisch. Ich halte sie für sehr tragisch und wehe denen, denen eines Ta6462 ges gesagt werden muß - und sie können es nicht von sich weisen -, daß sie das geschürt haben. ({11}) Das geschürt zu haben, ist eine schlimme Sache. Zu versuchen, damit durch Auseinandersetzungen fertig zu werden, ist keine schlimme Sache. Ich habe hier bei der Debatte, die wir gehabt haben, gesagt, daß es viele gibt, die dabei Verantwortung tragen. Ich laste sie Ihnen keineswegs allein an. Sie können aber nichts vertragen, Sie können nicht einmal diskutieren. ({12}) Natürlich, nicht einmal das können Sie! Das haben Sie doch oftmals bewiesen. Aus diesem Grunde verzichte ich auch hier, die Beckmesserei Ihres Herrn Heck ernsthaft zu prüfen. ({13}) Es sind „Heckmessereien", wie man hier sagen muß. ({14}) Es lohnt nicht, daß wir in einen Punktewettbewerb treten. Aus Ihren 106 Punkten - das waren schon Sommersprossen - des Berliner Programms sind inzwischen in Düsseldorf 131 geworden. ({15}) Das läßt ja noch hoffen, daß sie noch eine ganze Menge dazu bekommen werden. ({16}) - Im Gegenteil. Bei Ihnen weiß ich das! Da kommt er nicht erst zum Schluß, sondern da scheint er die ganze Zeit hindurch giftig. ({17}) Sie haben doch die Geschichte mit dem Zeigefinger, falls der zeigt, schon längst gehört. Es hat keinen Sinn. Es ist spät. - Sie sind nicht herausgekommen aus Ihrem Schneckenhaus. Sie hatten gedacht: mal sehen, was die anderen machen. Das ist ganz normal. Mein verehrter Herr Vorredner sagte, im Herbst würden wir darüber wieder diskutieren. Ich habe das umgesetzt in Ihre eigentlichen Termine. Das ist dann die Zeit nach der Landtagswahl in Bremen; denn das sind ja wohl die Termine, nach denen Sie solche Großen Anfragen ordnen und bestimmen und dann auch die Debatte darüber führen. ({18})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will jetzt nicht mit Ihnen darüber streiten, ob der Kollege Wehner heute abend nicht vielleicht doch noch an einer Stelle auf die Palme geraten ist. ({0}) Ich möchte nur eines zurückweisen, Herr Kollege Wehner, nämlich das Sie gesagt haben, wir schürten die Unruhe der Bauern. ({1}) - Sehen Sie, das, meine Damen und Herren, ist im Hinblick auf das, was der Bundeskanzler heute morgen gesagt hat, eine giftige und böse Unterstellung. ({2}) Sie hätten Gelegenheit gehabt, Herr Kollege Wehner und Herr Bundeskanzler, ({3}) bei der Agrardebatte, die wir unlängst geführt haben, als die Regierung Worte und die Opposition Vorschläge bot, auf die Vorschläge einzugehen. ({4}) Wenn Sie das getan hätten, sähe die Lage heute anders aus. ({5}) Vielleicht kommt Herr Wehner noch einmal darauf zurück, so daß es doch noch eine interessante Debatte über die Fragen gibt, die er hier aufzugreifen versucht hat. Aber er will ja nicht auf die Palme geraten. Nun haben Sie ausgerechnet in die grüne Farbe gegriffen. Das sollten Sie jedoch heute abend nicht mit einer Unterstellung tun, ({6}) die nach dem, was der Bundeskanzler heute morgen gesagt hat, ({7}) nur giftig hat sein können und wohl auch hat sein sollen. Das weisen wir zurück, Herr Wehner. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Dorn. ({0})

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bleibt Ihnen deswegen nicht erspart, Herr Kollege Rasner, weil Sie - nicht Sie, sondern Ihre Fraktion - es provoziert haben. Das zu Ihrer Bemerkung. Wenn man die Debatte am heutigen Tag aufmerksam verfolgt hat und die Reden, die von den Vertretern der Opposition gehalten worden sind, miteinander vergleicht, kommt man eigentlich, wenn man sie zum Schluß analysiert, zu dem Ergebnis, daß sich die Opposition in ihrer gesamten politischen Argumentation ständig im Kreise gedreht hat. Wenn ich das werte, was der Kollege Barzel gerade gesagt hat ({0}) - Ach, Herr Kollege von Wrangel, Wertungen das wissen wir auf Grund langer Erfahrungen in diesem Hause - dürfen nur Sie hier vortragen; alle anderen dürfen höchstens Sachbeiträge leisten. ({1}) Das kennen wir aus der Praxis in diesem Hause, und Ihr Fraktionsvorsitzender hat es gerade in seinem letzten Diskussionsbeitrag noch einmal demonstrativ unter Beweis gestellt. Er sagte, die Regierung habe bei der Agrardebatte Worte, die Opposition aber Vorschläge geboten. ({2}) - Herr Kollege Rasner, da Sie nicht dabei waren, ({3}) können Sie das schwerlich beurteilen. ({4}) Sie waren da? ({5}) - Dann bitte ich um Entschuldigung. ({6}) Ich dachte, Sie wären noch längere Zeit abwesend gewesen. ({7}) - Nun gut! Dieses Beispiel ist symptomatisch für die ganze Art der Diskussionsführung hier. Alles, was die Regierung sagt, sind nach Ihrer Auffassung Worte; alles, was Sie sagen, sind konkrete Vorschläge, ist Politik. So reden Sie in diesem Punkt auch draußen. In einem anderen Punkt reden Sie draußen völlig anders als wir. Darauf komme ich nachher zu sprechen. Herr Kollege Barzel, ich möchte noch eines sagen. Wenn es bei der Agrardebatte so gewesen ist und Sie so viele Vorschläge gemacht haben, frage ich mich ernsthaft: Warum haben wir dann die Unruhe in der Landwirtschaft, warum ist die Situation in Brüssel so verfahren, obwohl Sie; weil Sie viele Jahre lang die Agrarminister gestellt haben, Gelegenheit hatten, das zu realisieren, was Sie jetzt überall an Vorschlägen auf den Tisch legen? Es ist doch in der Praxis nichts dabei herausgekommen. Sie haben sich in Brüssel nicht durchsetzen können. Das ist doch eindeutig unter Beweis gestellt worden. Was Sie jetzt hier mit Vorschlägen nachholen wollen, ist doch nur das Eingeständnis der Versäumnisse Ihrer eigenen Regierungstätigkeit. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Frau Präsidentin, ich gestatte keine Zwischenfrage. ({0}) - Sie können nachher sprechen, Herr Kollege Ritz. Jeder hat die Möglichkeit, hier zu sprechen. Sie können nachher mit Sicherheit davon Gebrauch machen. ({1}) Der Kollege Barzel hat dann gesagt, die Bundesregierung habe die Antwort verweigert, die Debatte sei auf den Herbst vertagt - das kann man mit ein paar plastischen kurzen Sätzen vortragen -; der Versprechenskatalog der Bundesregierung bereite die große Sorge. Herr Kollege Barzel, wenn wir den Katalog der Versprechungen, die in den letzten Monaten in Wahlkämpfen draußen von Ihren Parteifreunden gemacht worden sind, mit dem vergleichen, was Sie hier im Hause realisieren wollen, dann fällt das in dieselbe Rubrik. Auf der einen Seite haben Sie permanent draußen bei Verbänden und Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen durch die Vertreter Ihrer Fraktionen Zusagen um Zusagen in einer Fülle gemacht, und wenn es dann nachher darauf ankommt, das hier realisieren zu wollen oder realisieren zu müssen, dann hört man - ({2}) - Herr Kollege Wörner, wir können deswegen gar nicht dagegen stimmen, weil Sie das, was Sie draußen versprechen, hier nicht in Form von Anträgen auf den Tisch des Hauses legen. Das ist der eine Teil Ihrer Argumentation. ({3}) - Entschuldigen Sie, ich habe gesagt, das ist der eine Teil Ihrer Argumentation. Sie müssen nur zuhören. Ich weiß, daß es schwerfällt, - ({4}) - Es dauert nicht zu lange, Herr Kollege Schulhoff. Ich glaube nicht, daß ich Sie allzusehr zeitlich strapaziere. Und dann sagen Sie - das klang bei Herrn Barzel wieder an, das klang bei Herrn Stoltenberg heute morgen an, das klang bei Herrn Ott an und bei allen Rednern, die Sie hier heraufschicken; bei Herrn Höcherl wurde es noch einmal sehr deutlich -, eigentlich betreibe diese Bundesregierung nur das, was Sie als CDU vorbereitet hätten. Das sagen Sie auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sagen Sie, was diese Regierung mache, sei falsch, und deswegen müsse es abgelehnt werden. Ich frage mich, ob da nicht ein logischer Knick ist. ({5}) - Nun, Herr Kollege Wrangel, das haben wir ja vorhin alles gehört. Der Kollege Höcherl hat ja hier einen ganzen Katalog vorgetragen, der Kollege Ott hat ihn in hervorragender Weise ergänzt und der Kollege Barzel hat dann abgeschlossen und gesagt, die Bundesregierung habe die Chance, Stabilität zu gewinnen, heute verpaßt. So reden Sie auf der einen Seite und dann reden Sie, wie der Kollege Höcherl das vorhin versucht hat, über die Frage der Steuerreform und tun so, als ob diese Bundesregierung versagt hätte und als ob eigentlich das, was realisiert werden müßte, nicht realisiert worden sei. Herr Kollege Barzel, wir haben doch in der vorigen Legislaturperiode in diesem Hause eine groß angekündigte Steuerreformdiskussion gehabt, und was hat der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß nicht alles zugesagt, in Aussicht gestellt und versprochen! Und was ist dann dabei herausgekommen? Was ist dabei in der Praxis herausgekommen? ({6}) Sie haben damals in diesem Hause 90 % und im Bundesrat 100 % der Mandate für die Regierungsparteien gehabt, und Herr Strauß hat das, was er selbst angekündigt hat, permanent vertagt. ({7}) Die Termine, unter denen wir heute gemeinsam mit Ihnen stehen, sind nicht von dieser Regierung festgesetzt worden, sondern sie sind unter einem CDU-Bundeskanzler mit einem CDU-Finanzminister abgesprochen worden, und die Kommissionen haben diese Aufträge bekommen. Lassen Sie mich zum letzten Problem kommen, ein Problem, das nach meiner Auffassung mit zu den übelsten Methoden der politischen Auseinandersetzung gehört. Es wurde in den letzten Monaten immer wieder übersteigert vorgetragen und wurde auch heute noch einmal sichtbar bei dem, was der Kollege Ott vorgetragen hat. Es soll also der Eindruck entstehen, als ob diese Bundesregierung die Verantwortung dafür trüge - so hat er es mit anderen Worten gesagt -, daß die Verbraucherpreise erheblich mehr gestiegen sind als in der Zeit, als die CDU/CSU die Regierungsverantwortung trug. Dann werden vom VW-Standard bis zum Joghurt oder bis zur Trockenmilch Preisrelationen und Minuten von Arbeitszeit miteinander verglichen. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich weiß gar nicht, warum Sie auf der einen Seite ständig versuchen, diesen Eindruck zu erwecken, obwohl Sie die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in unserem Lande und die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge in Europa und in der Welt genauso gut kennen wie wir und genau wissen, daß dieser Eindruck, den Sie ständig erwecken wollen, um die Inflationsangst in der Öffentlichkeit zu schüren und dann zusätzlich, wie Herr Barzel das vorhin in seinem vorletzten Schlußwort anklingen ließ, Unruhe in die Bevölkerung, in die Arbeitnehmerschaft, in die Arbeitgeberschaft hineinzutragen, systematisch hineinzutragen - ({8}) - Aber entschuldigen Sie einmal! Das ist doch das politische System, das Sie anwenden, um hier ständig zu diffamieren: ({9}) Auf der anderen Seite müssen Sie doch folgendes einfach zur Kenntnis nehmen. Lassen Sie mich in dieser Richtung einen doch wohl auch für Ihre politischen Freunde unverdächtigen Zeugen zitieren, Herr von Wrangel: Der Unternehmerbrief des Deutschen Industrie-Instituts vom 25. März 1971 hat noch einmal die Frage der Steigerung der Verbraucherpreise behandelt und die Steigerung in Prozenten vorgetragen. ({10}) - Herr Barzel, Sie wissen doch genau, daß bei Publikationen, die nicht täglich erscheinen, das Erscheinungsdatum, wie bei Illustrierten, einige Tage vordatiert ist. Ich kann nun nichts dafür. Ich habe diesen neuesten Unternehmerbrief, und ich dachte, ich könnte Ihnen mit den neuesten Zahlen dienen. Aber ich bin auch bereit, einen anderen Brief zu nehmen. Ich müßte dann nur wieder an mein Pult zurück. Dieser Unternehmerbrief vergleicht die Entwicklung von 1967 bis 1970, Herr Ott. Ich meine, das sollten Sie mit Ihren Freunden endlich auch einmal zur Kenntnis nehmen. Aus diesen Zahlen, die Zahlen der 18 OECD-Länder sind, die hier miteinander verglichen werden und die man als Industrienationen auch sinnvollerweise in etwa miteinander vergleichen kann, ist eindeutig zu erkennen, daß die Bundesrepublik im Jahre 1967 bei der Steigerung der Verbraucherpreise an 13. Stelle von diesen 18 OECD-Ländern stand. 1969 stand sie an 15. Stelle, und 1970 stand sie an 16. Stelle, an drittletzter Stelle dieser 18 Länder. ({11})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mit Vergnügen!

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dorn, da Sie die Verantwortlichkeit der Regierung abstreiten wollen, darf ich Sie fragen, ob Sie sich noch daran erinnern, daß Herr Wirtschaftsminister Schiller seinerzeit, als er in der Opposition war, als Preissteigerungsraten 3 und 2 % nannte und dann sogar noch erklärte, daß 2 % zuviel wären und daß 1 % zu verkraften wäre?

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ott, Ihre Prämisse ist schon falsch. Ich lehne die Verantwortlichkeit gar nicht ab, sondern ich bestätige für die Koalitionsfraktionen und diese Regierung die Mitverantwortlichkeit für diese Entwicklung. Darüber gibt es doch gar keinen Zweifel. Aber nicht nur diese Regierung hat in der Frage der Verbraucherpreissteigerungen hier eine Entwicklung erlebt. Sie hat versucht, dem Trend nach oben entgegenzuwirken, und durch diese Maßnahmen immerhin erreichen können, daß wir in der Steigerungsrate der Verbraucherpreise vom 13. auf den 16. Platz zurückgefallen sind. Sie können doch einfach nicht bestreiten -({0}) - Aber Sie wissen doch viel zu genau, daß eine Vielzahl von Entscheidungen, die diese Regierung in Brüssel in eine andere Relation zu bringen versucht, von Ihnen jahrelang nicht erreicht worden ist. Diese Bundesregierung wird, so wie sich die Dinge zur Zeit abzeichnen, mit Sicherheit auch in Brüssel einen besseren Erfolg haben. Sie können doch auch nicht bestreiten, Herr Struve, daß dieser Bundesernährungsminister die eindeutige Unterstützung der Bundesregierung für seine Maßnahmen, Vorschläge und seine Ideen hat, die er in Brüssel vertritt. Wir hätten uns das in der Vergangenheit vielleicht auch manchmal etwas stärker gewünscht. Ich will das in der Vergangenheit nicht immer nur dem Bundesernährungsminister zuschieben. Nur wehre ich mich dagegen, daß durch das ständige Gerede von dem Steigen der Verbraucherpreise gleichzeitig der Versuch unternommen wird, dies der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben. Damit wird an den Realitäten und an der wirtschaftlichen Entwicklung in der Welt vorbeigeredet. Was Sie sagen, stimmt in der Praxis nicht. Durch dieses dauernde Inflationsgerede tragen Sie ständig die Unruhe in die Bevölkerung hinein, um auf diese Weise politisch Ihr Geschäft zu betreiben. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf drei Bemerkungen machen. Es stimmt einen etwas traurig, wenn man gegen Ende einer Debatte wie dieser den Eindruck haben muß, daß der Führer der Opposition entweder nicht zugehört hat oder nicht hat verstehen wollen. ({0}) Ich will das an folgendem Beispiel erläutern. Ich habe heute vormittag wohlüberlegt vorgetragen, weswegen wir abweichend von der Regierungserklärung zu unserer Entscheidung in bezug auf Arbeitnehmerfreibetrag und Ergänzungsabgabe im vorigen Jahr gekommen sind, und habe dann gesagt - hier wie öffentlich -, daß jetzt, da die Vorschläge der Steuerreformkommission auf den Tisch kommen, sich anschließend die Regierung ihre Meinung bildet, ihre Grundsätze entwickelt, diese beiden Themen doch zwangsläufig in diesem Rahmen weiter behandelt werden müssen. Sie machen daraus: der Bundeskanzler habe hier erneut Steuersenkungsversprechen abgegeben. ({1}) Das ist nicht fair. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel?

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, wir können das gleich vom Tisch bringen. Ich habe gesagt: bleibt im Versprechenskatalog. Dies kann man nicht leugnen nach dem, was Sie heute morgen gesagt haben.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Dann bitte ich Sie, den Text noch einmal genau anzuschauen. Zweitens. Sie haben den Eindruck erweckt, als habe sich die Regierung hier drücken wollen und könne nun halbwegs froh sein, daß es ihr gelungen sei, die andere Seite des Geschäfts, nämlich die finanzielle Bedienung der innenpolitischen Vorhaben, bis zum Herbst vor sich herzuschieben. ({0}) - Nein, so war es nicht. Da können Sie sich auf den Kopf stellen. Hier ist im vorigen Monat über Finanzen und Haushalt gesprochen worden. Dann wird nicht im März, weil Sie es so haben wollen, schon wieder darüber geredet, sondern im vorigen Monat - -({1}) - Zu den Dingen dieses Staates gehört auch ein Mindestmaß an Ordnung der Arbeit im Verhältnis zwischen Regierung und Opposition. ({2}) - Hier kann nicht jeden Monat dieselbe Debatte aufgeführt werden. ({3}) - Sie haben in der Haushaltsdebatte vor sechs Wochen die Antworten bekommen, die die Regierung zu dem Zeitpunkt geben konnte. ({4}) - Was die Regierung im Parlament sagt, Herr Rasner, bestimmt die Regierung. ({5}) Die Regierung hat ihre sachlichen Gründe dafür gegeben, daß sie erst nach Abschluß der Sommerpause den Haushalt 1972 einbringen kann. Dann kann sie doch auch nicht die Fortschreibung machen, und dann soll man hier nicht den falschen Eindruck erwecken. ({6}) - Die Prioritäten, so wie sie im Februar klarzustellen waren, haben wir hier bei der Haushaltsberatung festgelegt. Sie können doch nicht erwarten, daß wir hier im März andere Prioritäten darlegen als im Februar. ({7}) Verehrte Kollegen, nicht die Regierung hat einen Versprechenskatalog zusammenzustreichen, denn sie kann und wird das durchführen, was in der Regierungserklärung steht. Aber Debatten wie diese würden zu mehr Ergebnissen führen, wenn sie freier von propagandistischen Übertreibungen und Entstellungen sein könnten. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die These „über Finanzierung wird im Herbst gesprochen" ergibt sich erstens aus der Drucksache VI/1953, zweitens aus Ihrer Erklärung von heute morgen, Herr Bundeskanzler, und drittens aus dem, was Herr Ehmke soeben gesagt hat. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich jetzt aber hinstellen und sagen: Weil wir gerade eine Haushaltsdebatte hatten, wird jetzt nicht über Finanzen gesprochen, dann mögen Sie als Regierung das verweigern. Aber welche Fragen wir als Opposition stellen, das bestimmen nicht Sie, sondern wir selber, Herr Bundeskanzler. ({0}) Das kann man doch schlecht machen: In der Haushaltsdebatte am 3. Februar 1971 erklärte dieser Bundeskanzler, die Regierung werde bei der Beantwortung ,der Großen Anfrage der CDU/CSU ({1}) „wegkommen von den vagen, allgemeinen Formulierungen, hin zu möglichst straffen Formulierungen und quantifizierten Feststellungen". Das haben Sie in der Haushaltsdebatte versprochen. Und heute, da wir nun nach dem Bezahlen, nach Geld fragen, nachdem Sie das für heute versprochen haben, sagen Sie, dies sei eigentlich unerhört. Ich denke, hierüber wird sich jedermann im Hause und draußen sein eigenes Urteil bilden können. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Minister Professor Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Herr Kollege Barzel macht es sich zu einfach. Als wir in der Haushaltsdebatte waren, hatten wir den Haushalt 1971 noch nicht. Wenn Sie jetzt fragen, was die Quantifizierungen für die einzelnen Programme sind, dann brauchen Sie sich nur den Haushalt 1971 anzuschauen; dort wird verbindlich festgelegt, wie die Programme bedient werden. Das steht also fest. Herr Kollege Barzel, Sie dürfen nicht versuchen, hier den Eindruck zu erwecken, als ob von heute bis zum Ende des Jahres nicht heraus sei, wie die Dinge finanziert werden sollen. Das können Sie auf den Pfennig im Haushalt nachlesen. Das wissen Sie doch selbst. ({0}) - Nein, das hat er nicht gesagt. Es ging um die Frage der Fortschreibung für die Jahre nach 1971. Den Haushalt haben Sie doch selbst gesehen. ({1}) Sie tun so, als ob keine Finanzierungsgrundlage für 1971 da wäre. Das ist doch Volksverdummung. ({2}) Bis 1971 können Sie das aus dem Haushalt ablesen, wie das immer der Fall war. Da können Sie auch ablesen, auf welchen Gebieten in der finanziellen Bedienung Prioritäten gesetzt worden sind. Sie können in dem Programm, das wir Ihnen vorgelegt haben - ich sage Ihnen noch einmal: keine frühere Regierung wäre überhaupt in der Lage gewesen, eine solche Ubersicht vorzulegen -, ({3}) die sachlichen Prioritäten nachsehen. Jetzt geht es um die Fortschreibung für die Jahre nach 1971. Da sagen wir aus wohlerwogenen stabilitäts- und steuerpolitischen Gründen: Diese Frage wird dann beantwortet, wenn die Regierung ihrer Verantwortung gemäß diese Frage beantworten kann, und das ist im Herbst. ({4}) Im Herbst werden Sie wissen, wie das 1972 aussieht, weil dann der Haushalt für 1972 vorgelegt worden ist. ({5}) Wenn Sie es mit den Reformen und mit der Durchführung der Reformpolitik ernst meinen, dann sollten Sie hier lieber versuchen, die Reformen im sachlichen Gegeneinander vorwärtszubringen, statt zu versuchen, durch die dauernde Erzeugung von Unsicherheit im Lande alles so zu belassen, wie es ist. ({6})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler und Minister Ehmke haben versucht, den Vorwurf zurückzuweisen, daß die wesentlichen Aussagen bis zum Herbst vertagt seien. Aber ich habe den Eindruck, daß Herr Minister Ehmke die Methode fortgesetzt hat, auf konkrete Fragen und Feststellungen mit etwas ganz anderem zu antworten, wie wir es den ganzen Tag über hier schon erleben. ({0}) Es geht im Ansatzpunkt unserer Großen Anfrage, so, wie wie sie formuliert und von der deutschen Öffentlichkeit verstanden ist, ({1}) nicht um das Problem der - - Ja, lesen Sie einmal den „Spiegel", den „Kölner Stadtanzeiger", die „Frankfurter Rundschau", die „Frankfurter Allgemeine" bis hin zur „Neuen Ruhr-Zeitung", dann werden Sie feststellen, daß die Erwartungen größer waren, als sie heute erfüllt wurden. ({2}) Es geht nicht um die Fortschreibung der Finanzplanung bis 1974 und 1975. Es geht darum, daß diese Regierung beansprucht hat, ein langfristiges Reformprogramm für die siebziger Jahre zu besitzen, das nach Prioritäten geordnet und finanziell fundiert ist. Bestimmte Detaildebatten, etwa über die Frage eines Bildungsbudgets, und auch die Ausführungen des Bundesfinanzministers haben ja klargemacht, daß große, übergreifende Aufgaben der inneren Reform in diesem Bundesstaat gar nicht sachlich verwirklicht werden können, wenn nicht die Finanzperspektiven für die ausgehenden siebziger Jahre erstellt werden. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort darauf hingewiesen, daß es ein abgestuftes Konzept darüber gibt, was bis 1973 verwirklicht werden soll, was bis 1973 eingeleitet werden soll und was bis 1973 für die spätere Zukunft geplant werden soll. Sie hat die Antwort darauf, welche Teile ihres Programms in diese drei Stufenfolgen gehören, bewußt und ständig verweigert.. ({3}) Das ist durch Polemik, die wir ja in reichem Maße - auch unter Ausnutzung des Rednerrechts der Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre -hier erlebt haben, und durch eine entrüstete Verwahrung gegen solche abschließenden Feststellungen, Herr Bundeskanzler, nicht aus der Welt zu schaffen. Sie haben den selbst gesetzten Anspruch - zuletzt in der Debatte vom 3. Februar -, den Kollege Barzel noch einmal zitiert hat, nicht erfüllt. Es ist keine Quantifizierung erfolgt, es ist nicht einmal eine verbindliche Zahl genannt, und daran werden wir und und wird eine weitere Öffentlichkeit diese Debatte zu bewerten haben. Und das bedeutet eben: Wiedervorlage im Herbst. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat Herr Bundesminister Professor Ehmke. ({0})

Dr. Horst Ehmke (Minister:in)

Politiker ID: 11000440

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stoltenberg scheint in seiner sehr schwierigen Situation in Schleswig-Holstein zu sein, wenn er zu solchen Argumenten Zuflucht nehmen muß. ({0}) Wir sehen uns da oben ja noch wieder. Ich darf zunächst einmal sagen, Herr Kollege Stoltenberg: Wenn Sie unsere Antwort genau gelesen hätten - was Sie offenbar nicht getan haben -, hätten Sie festgestellt, daß dort steht, z. B. bei der flexiblen Altersgrenze: bis 1973 Entwicklung einer Konzeption. Wir erklären auch, warum: weil das zwar, abgesehen von der Knappschaft, keine Frage des Bundeshaushalts ist, weil man aber erst die gesamtwirtschaftlichen Kosten in Modellen errechnen muß. Damit sind wir noch nicht durch. ({1}) Wir hatten ja keine Vorarbeiten dafür. ({2}) Wenn wir durch sind, werden wir uns entscheiden. Aber wir versprechen hier für diese Legislaturperiode nur die Erarbeitung einer Konzeption. Das könnte ich Ihnen an vielen Beispielen zeigen. Und über das, was schon gemacht worden ist - das ist ja fast die Hälfte der Ankündigungen in der Regierungserklärung -, brauchen wir nicht zu reden; denn das ist schon getan worden, obgleich Sie immer so tun, als sei nichts getan worden. Noch bestürzter bin ich allerdings nun über das, was Sie, Herr Kollege Stoltenberg, über die Finanzen gesagt haben. Ich habe heute mit Aufmerksamkeit dem Kollegen von Dohnanyi zugehört. ({3}) - Ja, ich hatte eigentlich wirklich gedacht - auch bei den Belegen, die er Ihnen aus dem Bildungsrat gebracht hat -, daß Sie als früherer Minister, der Verantwortung dafür trug, übrigens auch Verantwortung dafür trägt, Herr Kollege Stoltenberg, daß Herr Leussink bei der Bildungsplanung erst anfangen mußte - das war ja Ihr Verdienst, nicht wahr -, dazu etwas gesagt hätten. ({4}) Ich bin sehr erstaunt, daß Sie bei der Finanzplanung mir ähnlich Unverständliches sagen. Quantifizierung, wenn es nicht rein um Perspektivschätzungen geht - Sie wissen, daß die in der Kommission gemacht werden -, kann doch vom Haushalt her nur heißen, was in den jeweiligen Haushaltsentwurf kommt. Sie haben offenbar ein falsches Verständnis von mittelfristiger Finanzplanung. Das ist kein Haushalt für fünf Jahre, sondern hier kann man bei der Quantifizierung doch nur angeben, was im Haushalt bedient wird, und kann dann - ohne verbindlich zu sein - für die spätere Haushaltsaufstellung sagen, wie es im Vorgriff etwa für die nächsten Jahre aussieht. Und das macht man als verantwortliche Regierung natürlich dann, wenn man die beste Ubersicht hat. Ich muß wirklich sagen: ich bin erstaunt, daß Sie die Dinge hier so darstellen, als ob es eine andere Quantifizierung gäbe als die im Haushaltsplan. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und meine Herren! Der Bundeskanzler Brandt hatte am 23. Oktober vor der Bundespressekonferenz erklärt, die Bundesregierung verfüge jetzt über ein - so sind seine Worte - „internes Arbeitsprogramm", ({0}) in dem sie sich „über die weitere Arbeit bis zum Ende der Legislaturperiode bis ins einzelne verständigt" habe, das der „Konkretisierung und Verwirklichung der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 dient und das jetzt sachlich verzahnt, zeitlich geplant und finanziell durch die bis 1974 fortgeschriebene Finanzplanung abgesichert" sei. ({1}) Auf Grund dieser Erklärung haben wir in der Presse danach gefragt, ohne Antwort zu bekommen. Daraufhin haben wir uns bei uns unterhalten und den Auftrag gegeben, eine Große Anfrage wegen Verweigerung von Auskünften einzubringen. Über diese Große Anfrage haben wir in der Tat eine Weile beraten. Dann sind einige der Fragen, die dabei eine Rolle spielten, in der Haushaltsdebatte aufgegriffen worden. Dies war notwendig, weil im Ältestenrat eine Verständigung über den Termin, zu dem diese schwierige Große Anfrage gelesen werden sollte, noch herbeigeführt werden mußte. Wir haben, meine Damen und Herren - Sie sehen ja, unsere Anfrage ist vom vorigen Jahr, und jetzt haben wir März; an sich ist hier eine Frist von vier Wochen vorgeschrieben -, uns darauf eingelassen vor dem Hintergrund folgender Erklärung, die ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin doch in das Protokoll einfügen möchte. Das Zitat lautet: Es ist in der Debatte der vergangenen Tage des öfteren verlangt worden, daß der Herr Bundeskanzler oder andere Kollegen der Bundesregierung, die sich zu diesem Thema geäußert haben, deutlicher das Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu innenpolitischen Vorhaben darstellen. Der Herr Bundeskanzler - das wird hier im Hause, aber auch in der Berichterstattung draußen übersehen - hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß die Bundesregierung ihre Auffassung zum Arbeitsprogramm für innenpolitische Vorhaben im einzelnen dann darstellen wird. wenn die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU erfolgt. ({2}) Wenn Sie sich diese Große Anfrage ansehen -es ist tatsächlich eine „große" Anfrage -, werden Sie mir zugeben müssen, daß Sie dort alle nur denkbaren Gebiete für Reformvorhaben angesprochen haben. Wenn nun eine sorgfältige schriftliche Beantwortung dieser Großen Anfrage vorbereitet wird und wenn im Ältestenrat eine Verständigung dahin gehend erzielt werden konnte, daß diese Große Anfrage Ende Februar oder Anfang März im Plenum zu behandeln ist, dann sollte es doch selbstverständlich sein, daß man in der Debatte dieser Woche nur mit grundsätzlichen Ausführungen auf das Reformprogramm der Bundesregierung und die Möglichkeiten seiner Realisierung eingeht. Ausführlich wird darüber bei Beantwortung der Großen Anfrage zu sprechen sein. Dabei ist natürlich die Frage der Finanzierung von entscheidender Bedeutung. Soweit das Zitat: eine Erklärung des Herrn Bundesministers der Finanzen, abgegeben in der Sitzung des Bundestages am 5. Februar 1971. ({3}) Sie haben uns damals vertröstet auf die Debatte heute, und heute werfen Sie uns vor, daß wir so unverfroren seien, nach Geld zu fragen. Dies, glaube ich, Herr Bundeskanzler, ist ein An-der-Nase-Herumführen dieses Parlaments und der deutschen Öffentlichkeit. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stoltenberg. ({0})

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ehmke hat es für richtig gehalten, hier noch einmal einen polemischen Part einzulegen und zur Bildungsdiskussion etwas nachzutragen. Ich möchte die Gelegenheit dazu nutzen, ihm zu sagen, daß er mich vorhin in seiner ersten Rede falsch zitiert hat. Ich habe - wie das Protokoll ausweisen wird - der Bundesregierung nicht vorgeworfen, daß sie zuviel getan hat, sondern daß sie zuviel versprochen und zuwenig getan hat. Das ist ein wesentlicher Unterschied, wie ich glaube. ({0}) Aber das ist ja die Art des Umgangs mit Fakten und Zitaten, die wir allmählich vom Chef des Bundeskanzleramtes kennen. ({1}) Da er es für richtig hielt, mir bei einem seiner kleinen Tiefschläge zu sagen, Herr Leussink habe mit der Bildungsplanung erst anfangen müssen, will ich doch nicht versäumen, das noch einmal zurechtzurücken. ({2}) Herr Ehmke möge einmal das grundlegende Abkommen aller Ministerpräsidenten der Länder mit der damaligen Bundesregierung aus dem Jahre 1965 lesen. Dann wird ihm deutlich, daß damals vereinbart wurde, ein gemeinsames Gremium, den Deutschen Bildungsrat, mit der Bildungsplanung zu beauftragen. Der Bildungsrat hat diese Aufgabe bis zum Frühjahr 1969 in seinen grundlegenden Gutachten in hervorragender Weise erfüllt. Beamte der Bundesregierung und der Länder haben bei dieser Arbeit mitgewirkt. In einem völlig ordnungsgemäßen Verfahren sind diese fundamentalen Ergebnisse der Bildungsplanung jetzt den zuständigen staatlichen Stellen zugeleitet. Das ist der wahre Sachverhalt, den Sie in Zukunft bei Polemiken berücksichtigen sollten. Sie haben sich darüber gewundert, daß ich auf die Ausführungen des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs nicht eingegangen bin. Dazu möchte ich nur sagen: Was manche Polemiken angeht, so sollte man sich auf die Bemerkung beschränken: niedriger hängen! ({3})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Staatssekretär von Dohnanyi. Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben hier soeben darauf hingewiesen, daß im Jahre 1965 eine Vereinbarung getroffen worden ist und daß daraufhin im Jahre 1969 Vorlagen vom Bildungsrat unterbreitet worden sind. Herr Kollege Stoltenberg, meinen Sie nicht, daß die Bundesregierung hätte in der Lage sein sollen, in der Zeit zwischen 1965 und 1969, in Ihrer Amtszeit als Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, in der Amtszeit Ihrer Kollegen im Innenministerium, Finanzministerium und Arbeitsministerium, Vorlagen über eine Reform des Bildungswesens zu erarbeiten, und zwar unabhängig davon, was der Bildungsrat im einzelnen vorzuschlagen hatte? Sie haben gewartet, Herr Kollege Stoltenberg, bis Sie eine zusätzliche Rechtsgrundlage hatten, die nach unserer Auffassung aber z. B. in der Frage der Graduiertenförderung, also der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, auch in Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes gegeben gewesen wäre. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, zu prüfen, ob nicht die tägliche Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 des Grundgesetzes durch unser dreigeteiltes Schulwesen Anlaß für eine CDU/ CSU-geführte Bundesregierung gewesen wäre, die Bildungsreform anzupacken. Herr Kollege Stoltenberg, Sie waren ja - ich meine jetzt nicht Sie persönlich, sondern die CDU/CSU-geführten Bundesregierungen - in Verfassungsfragen sonst nicht so pingelig. Ich erinnere nur an die Gründung der Fernsehgesellschaft. Sie hätten also durchaus eine Grundlage für eine gemeinsame Bildungsplanung schaffen können. Das haben Sie versäumt. Dafür müssen wir heute - das ist richtig - allerdings die Konsequenzen tragen. Um diesen Mangel an Planung, den wir vorgefunden haben, ging es. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Wird weiter das Wort gewünscht? ({0}) - Das ist nicht der Fall. Ich schließe dann die Aussprache über diesen Punkt. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes - Drucksache VI/ 1682 Mündlicher Bericht des Verteidigungsausschusses ({1}) - Drucksache VI/ 1966 Berichterstatter: Abgeordneter Petersen ({2}) Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer Art. 1, Art. 2, Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Januar 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Belgien über die Einziehung und Beitreibung von Beiträgen der Sozialen Sicherheit - Drucksache VI/ 1798 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache VI/ 1949 -Berichterstatter: Abgeordneter Becker ({4}) ({5}) Vizepräsident Frau Funcke Wir das Wort in der zweiten Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten Drucksache VI/1797 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({6}) - Drucksache VI/ 1986 Berichterstatter: Abgeordneter Baeuchle ({7}) Wir das Wort in der zweiten Beratung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe Punkt 8 auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schaumweinsteuergesetzes - Drucksache VI/1871 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({8}) - Drucksache VI/1987 -Berichterstatter: Abgeordneter Kahn-Ackermann ({9}) b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hauser ({10}), Lampersbach, Gewandt, Bremm und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schaumweinsteuergesetzes - Drucksache VI/ 1635 Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses ({11}) - Drucksache VI/1987 Berichterstatter: Abgeordneter Kahn-Ackermann ({12}) Zunächst Punkt 8 a)! Wird das Wort gewünscht? -- Das ist nicht der Fall. Ich rufe in zweiter Lesung die Artikel 1, 2, 3, 4 und 5 sowie Einleitung und Überschrift auf. - Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Lesung dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wir müssen jetzt über Punkt 2 des Antrags des Ausschusses abstimmen. Darin wird Punkt 8 b) der Tagesordnung für erledigt erklärt. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 9 bis 13 auf - es handelt sich um vom Bundesrat bzw. von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe -: 9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes - Drucksache VI/1954 -10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - Drucksache VI/ 1973 -11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Februar 1968 über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen - Drucksache VI/ 1976 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein ({13}) - Drucksache VI/ 1963 -13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der hüttenknappschaftlichen Pensionsversicherung im Saarland ({14}) - Drucksache VI/1980 -Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung: die Drucksache VI/1954 soll an den Rechtsausschuß, die Drucksache VI/1973 ebenfalls an den Rechtsausschuß, die Drucksache VI/ 1936 an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden. Für die Drucksache VI/1963 wird Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend - sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen. Die Drucksache VI/1980 soll dem Vizepräsident Frau Funcke Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - sowie dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 14 a) und 14 b) auf - die Punkte 14 c) und cl) sollen am Freitag behandelt werden -: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung ({15}) - BAföG - - Drucksachen VI/ 1975, zu VI/ 1975 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rollmann, Dr. Götz, Dr. Martin, Burger, Frau Stommel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Ausbildungsförderung - Drucksache VI/1943 Das Wort hat Frau Minister Strobel.

Käte Strobel (Minister:in)

Politiker ID: 11002272

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen haben im Ältestenrat vereinbart, daß sie zu diesem Ausbildungsförderungsgesetz nur ganz kurze Erklärungen abgeben. Aus diesem Grunde will auch ich nur eine kurze Einbringungsrede halten. Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein umfassendes einheitliches System der individuellen Förderung der Ausbildung in allen Bildungsbereichen zu schaffen. Sie will damit ihrer durch das Grundgesetz begründeten sozialstaatlichen Verpflichtung zur Herstellung gleicher Startchancen für die junge Generation gerecht werden und damit zugleich dafür sorgen, daß die in den kommenden Jahrzehnten in allen gesellschaftlichen Bereichen in zunehmender Zahl benötigten qualifizierten Kräfte ausgebildet werden können. Dieses große, weitgesteckte Ziel läßt sich verständlicherweise nur schrittweise verwirklichen, nach Maßgabe der für diesen Zweck zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel und in Übereinstimmung mit dem allgemeingesellschaftlichen Bewußtsein von der sozialen Bedeutung dieser Frage. Die Bundesregierung macht mit der Vorlage dieses Entwurfs des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einen wesentlichen weiteren Schritt auf dem Weg zu dem umfassenden einheitlichen System individueller Ausbildungsförderung. Am 1. Juli 1970 ist bekanntlich das erste Ausbildungsförderungsgesetz in Kraft getreten, das die Förderung der Schiller der weiterführenden allgemein- und berufsbildenden Schulen und der Ausbildungsstätten des Zweiten Bildungsweges bundeseinheitlich regelte. Durch den vorliegenden Entwurf sollen nunmehr die Studierenden der Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen in das bundeseinheitliche System individueller Ausbildungsförderung einbezogen werden. Dabei werden - ausgehend von den bestehenden Regelungen des Bundes und der Länder - strukturelle und in gewissem Umfang auch finanzielle Verbesserungen der Leistungen angestrebt. Ich beschränke mich darauf, einige besonders wesentliche hervorzuheben: Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung einer zeitweisen oder vollen Ausbildung im Ausland, Förderung für die Teilnahmen an Fernunterrichtslehrgängen, Förderung der Praktika, die im Zusammenhang mit einer Hochschulausbildung stehen, Verzicht auf überdurchschnittliche Leistungen als Förderungsvoraussetzung, vereinfachte Einkommensermittlung und -berechnung, Vorausleistung der Förderung bei Konflikten zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern. Der Anlage des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes folgend sind in diesem Gesetz bereits Regelungen enthalten, die noch nicht in Kraft gesetzt werden können, wenn wir den Boden einer soliden Finanzplanung nicht verlassen wollen. Es handelt sich um die Förderung der Schüler von Berufsfachschulen ohne die Zugangsvoraussetzung Realschulabschluß sowie die Förderung der aus Gründen der Ausbildung außerhalb des Elternhauses untergebrachten Schüler der Klassen 5 bis 9 und schließlich aller Schüler der Klasse 10 der weiterführenden Schulen. Die Bundesregierung kann die umfassenden Regelungen dieses Entwurfs auf diesen Gebieten erst einlösen, wenn dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Ich weiß, daß der Entwurf bei der Erörterung mit Sachverständigen und Betroffenen, die wir ausgiebig gehört haben, auf manche Kritik gestoßen ist. Soweit sie die Höhe der vorgesehenen Leistungen und die noch bestehende Familienabhängigkeit der Förderung bemängelt, muß ich darauf erwidern, daß es noch bis vor wenigen Jahren als ganz selbstverständlich angesehen wurde, daß die Sicherung des Lebensunterhalts während einer Ausbildung Privatsache sei, also vom Auszubildenden selbst oder seinen Eltern übernommen werden müsse. Langsam erst hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß die öffentliche Hand - und das heißt eben: der Steuerzahler - nicht nur für die Ausbildungseinrichtungen und ihr Personal aufzukommen habe, sondern auch für individuelle Ausbildungskosten. Wenn aus einer Vielfalt kommunaler und staatlicher, meist an strenge Bedürftigkeits- und hohe Leistungsvoraussetzungen geknüpfter Stipendienregelungen jetzt ein Gesetzentwurf mit Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für den größten Teil des sekundaren Bildungsbereichs oberhalb der Schulpflicht und für den ganzen tertiären Bereich geworden ist, ist das ein ganz erhebliches Stück Weg zum Abbau von Bildungsschranken. Soweit die von mir erwähnte Kritik Versuche zu einem Abbau bewährter Formen der Selbstverwaltung in dem Entwurf zu sehen meint, muß ich auf zweierlei hinweisen. Bei Entscheidungen, die die Beurteilung von Ausbildungsvoraussetzungen oder Ausbildungsleistungen betreffen, bleibt es selbstverständlich bei der Mitwirkung der Ausbildungsstätten und ihrer Selbstverwaltung. Bei Entscheidungen aber, die von wirtschaftlichen Voraussetzungen abhängig sind, ist ein unterschiedliches Verfahren je nach Ausbildungsweg nicht angebracht. Im übrigen kann die Erfüllung von Rechtsansprüchen auf Leistungen aus öffentlichen Mitteln nur durch Verwaltungen geschehen, die im Interesse des leistungsberechtigten Bürgers gerichtlicher und im Interesse des steuerzahlenden, also leistungsverpflichteten Bürgers parlamentarischer Kontrolle unterliegen. Die heute gebotene Kürze hat mich veranlaßt, mich auf diese ganz kurzen Hinweise zur Vorlage des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu beschränken. Gestatten Sie mir abschließend noch zu sagen: Wenn es auch nicht möglich war, in diesem Entwurf Leistungen in einem Umfang und in einer Höhe zu gewährleisten, wie sie vielen vorschwebten, so darf dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um erhebliche materielle Leistungen handelt, die dieses Gesetz bringen soll, und daß dieser Entwurf das Reformvorhaben Ausbildungsförderung einen ganz beachtlichen, ja, entscheidenden Schritt voranbringt zugunsten besserer Bildungschancen der jungen Menschen in unserem Lande. Es ist vielleicht kein schlechtes Omen, daß gerade dieser Gesetzentwurf nach der heutigen Debatte eingebracht wird. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.

Dietrich Wilhelm Rollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001878, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Regierungsentwurf eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes und zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Reform der Studentenförderung und ihren Einbau in das Ausbildungsförderungsgesetz darf ich folgendes sagen. Die Regierungskoalition hat die erste Lesung des Regierungsentwurfes des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages gewünscht, obwohl die Auffassung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf erst heute den Abgeordneten des Bundestages zugeleitet worden ist. Wir sehen hierin keinen guten Stil gegenüber dem Parlament, das einen Anspruch darauf hat, die Auffassung der Bundesregierung zu einer außerordentlich gewichtigen Stellungnahme des Bundesrates rechtzeitig kennenzulernen und bei seinen Beratungen berücksichtigen zu können. Es ist nicht das Verschulden des Bundestages, sondern eine Folge des Versagens der Bundesregierung, wenn wir jetzt schon, bei dem Beginn der Beratungen über den Regierungsentwurf, unter Zeitdruck stehen. Bei der Verabschiedung des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes im Sommer 1969 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. April 1970 eine Gesetzesvorlage zur Neuregelung der Studentenförderung, die der wesentliche Inhalt der Regierungsvorlage ist, vorzulegen. Jetzt, da wir diese Regierungsvorlage haben, stehen wir wenige Tage vor dem 1. April 1971, und dann möchte die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf noch bis zum 1. Oktober 1971 in Kraft setzen. Dazwischen verbleiben dem Bundestag und seinen Ausschüssen nach seinem Sitzungsplan und nach seiner sonstigen Tagesordnung für die Beratung dieses wichtigen Gesetzes nur relativ wenige, für den Bereich des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit schon vermehrte Sitzungstage. Wie soll in dieser Zeit - so fragen wir - dieser Gesetzentwurf so eingehend und sorgfältig beraten werden, wie es erforderlich ist. ({0}) Wie sollen die Länder in der kurzen Zeit, die ihnen allenfalls zwischen der Verabschiedung dieses Gesetzes und dem beabsichtigten Inkrafttreten am 1. Oktober 1971 noch verbleibt, alle jene Ausführungsgesetze erlassen und alle jene administrativen Maßnahmen ergreifen können, um das Gesetz auch wirklich in die Praxis umzusetzen? Darauf hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 12. März 1971 mit Recht hingewiesen. Durch die Saumseligkeit der Bundesregierung ist der 1. Oktober 1971 als Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes völlig unrealistisch geworden. Wie bei allem, meine Damen und Herren, was diese Regierung denkt, sagt und tut, wird auch für diesen Gesetzentwurf wiederum der einstmals so inhaltsvolle und nun schon so abgenutzte Begriff der Reform in Anspruch genommen. Wir erkennen an, daß dieser Gesetzentwurf insbesondere gegenüber dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz, aber auch gegenüber der Studentenförderung nach dem Honnefer und Rhöndorfer Modell Verbesserungen, Fortführungen und Vereinfachungen bringt. Das ist durch das Regierungslager gebührend und auch über Gebühr bereits gefeiert worden; aber Reformen in des Wortes ursprünglicher Bedeutung sind in diesem Gesetzentwurf doch nicht enthalten. Von der Bundesregierung wurde für diesen Gesetzentwurf eine einzige wirkliche Reform verlangt: die Reform der Studentenförderung des Honnefer und Rhöndorfer Modells oder - wie es der Deutsche Bundestag im Sommer 1969 ausgedrückt hat - die Neuregelung der Studentenförderung, die insbesondere gegenüber den bisherigen Regelungen die notwendigen strukturellen und finanziellen Verbesserungen enthält. Diese Reform hat diese Bundesregierung nicht zustande gebracht. Wo ist die Neuregelung der Studentenförderung, wo ist in diesem Gesetz wirklich ihre notwendige strukturelle und finanzielle Verbesserung? Die Bundesregierung hat eineinhalb Jahre benötigt, um in diesem Gesetzesentwurf nichts anderes fertigzubringen als die Fortschreibung und Festschreibung des von allen und nur offensichtlich von der Regierung nicht als unzulänglich erkannten Honnefer und Rhöndorfer Modells. Die Bundesregierung koppelt in ihrem Gesetzentwurf das Stipendium wiederum mit dem Pflichtdarlehen, genau wie beim Honnefer und Rhöndorfer Modell. Es ist doch Augenauswischerei, wenn die Bundesregierung es als Reform bezeichnet, daß sie das Pflichtdarlehen von DM 2500 auf DM 2400 herabsetzen will. Die Bundesregierung sieht in ihrem Gesetzentwurf keine Ausbildungsförderung für die Studenten vor, die kein Stipendium beanspruchen können, genausowenig wie im Honnefer und Rhöndorfer Modell. Die Bundesregierung sieht in ihrem Gesetzesentwurf weder Familien- noch Kinderzuschläge vor, genausowenig wie im Honnefer und Rhöndorfer Modell. Die Bundesregierung erklärt in der Begründung des Regierungsentwurfs als eine strukturelle Veränderung gegenüber dem bisherigen System der Studentenförderung - und Frau Minister Strobel hat es soeben hier auch wieder ausgeführt - Verzicht auf überdurchschnittliche Leistungen als Förderungsvoraussetzung. Wo denn, Frau Minister Strobel, ist im Honnefer Modell eine überdurchschnittliche Leistung heute Förderungsvoraussetzung? Das hat es noch nie gegeben. Das stimmt einfach nicht. Die Bundesregierung sieht in ihrem Gesetzesentwurf eine Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge vor, aber doch nur in einem solchen Umfang, daß Sie damit nicht einmal der schleichenden Inflation gerecht werden, die Sie Jahr für Jahr produzieren. Dann bezeichnet die Bundesregierung in ihrem Grundsatzbeschluß zur Ausbildungsförderung vom 4. Juni 1970 die Erhöhung der Freibeträge und Bedarfssätze auch noch als die ersten Schritte zu einer stärkeren familienunabhängigen Förderung. Da fügt die Bundesregierung doch der geringen Leistungserhöhung, die sie den Studenten anbietet, noch den Hohn hinzu! Darf ich die Bundesregierung fragen, ob sie durch die Regelung dieses Gesetzesentwurfs die Stipendienempfänger nicht auch noch von dem Empfang vom Wohngeld ausschließt? Ich möchte zu dem Komplex der Bedarfssätze und der Freibeträge den Vorschlag der Westdeutschen Rektorenkonferenz aufgreifen, auf eine Fixierung der Bedarfssätze und der Freibeträge im Bundesausbildungsförderungsgesetz zu verzichten und Bedarfssätze und Freibeträge jährlichen Rechtsverordnungen der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zu überlassen. Meine Damen und Herren, die Opposition hat aus guten Gründen niemals von einer familienunabhängigen Ausbildungsförderung gesprochen; denn wir wissen, daß sie nicht zu verwirklichen ist. Aber die Bundesregierung und die führende Regierungspartei hat doch den Studenten die familienunabhängige Ausbildungsförderung versprochen: auf dem Saarbrücker Parteitag der SPD 1970 die schrittweise Verwirklichung, im Grundsatzbeschluß der Bundesregierung vom 4. Juli 1970 die Entwicklung der individuellen Ausbildungsförderung in Richtung auf Familienunabhängigkeit. Wo sind denn in diesem Gesetzesentwurf wirkliche Schritte zur familienunabhängigen Ausbildungsförderung enthalten? Der Begriff der Familienunabhängigkeit taucht doch weder im Wortlaut noch in der Begründung Ihres Gesetzesentwurfs an irgendeiner Stelle auf. Ihre Worte von der familienunabhängigen Ausbildungsförderung waren doch nichts anderes als hohle Phrasen an die Adresse der Studentenschaft. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU legt mit ihrem Antrag auf der Drucksache VI/1943 wirklich ein Konzept für die Reform der Studentenförderung vor, das dem Auftrag des Deutschen Bundestages vom Sommer 1969 gerecht wird. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf wollen wir eine Reform der Studentenförderung, die jedem Studenten die selbständige und eigenverantwortliche Entscheidung über Art und Umfang seiner Ausbildung ermöglicht. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf wollen wir, daß jeder Student Ausbildungsförderung erhalten kann entweder als Stipendium, wenn bestimmte soziale Kriterien erfüllt sind, oder als zinsvergünstigtes Studiendarlehen, wenn diese sozialen Kriterien nicht gegeben sind und auch beträchtliches eigenes Vermögen nicht vorhanden ist. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf wollen wir, daß das Stipendium nicht mit einem Pflichtdarlehen gekoppelt wird. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf wollen wir, daß im Bereich der Studentenförderung auch Familien- und Kinderzuschläge gewährt werden. Die Bundesregierung, die darauf verzichtet hat, die Kosten der Studentenförderung in ihrem Entwurf eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes zu präzisieren, wird die Opposition fragen: Was kostet Ihr Konzept der Studentenförderung? Lassen Sie mich darauf bereits jetzt eine exakte Auskunft geben: Wir legen 500 000 Studenten im Gesamthochschulbereich und einen monatlichen Bedarfssatz von 450 DM für jeden geförderten Studenten zugrunde. Die 420 DM der Regierung reichen doch einfach nicht aus! Wir gehen davon aus, daß 25 % der Studenten einen Anspruch auf ein Stipendium haben, davon 12,5 % auf ein Voll- und 12,5 % auf Halbstipendium. Das würde für die Stipendienförderung nach dem gegenwärtigen Stand jährlich eine Summe von 500 Millionen DM bedeuten. Wir gehen weiter davon aus, daß 25 % der Studenten einen Anspruch auf ein Darlehen erheben, davon 12,5 % auf ein Voll- und 12,5 % auf ein Halbdarlehen. Das würde für die Darlehensförderung ebenfalls eine Summe von zirka 500 Millionen DM aus dem Kapitalmarkt plus einen 2 %igen staatlichen Zinszuschuß von 10 Millionen DM aus Bundesmitteln bedeuten. Wir gehen von 7 000 Studentenehen aus, die einen Anspruch auf einen Familienzuschlag von 100 bis 200 DM monatlich erheben können, was jährlich einen Betrag von 8,4 bis 16,8 Millionen DM ausmachen würde. Wir gehen von 5 000 Studentenkindern aus, die einen Anspruch auf einen Kinderzuschlag von 50 bis 75 DM monatlich erheben können, was jährlich einen Betrag von 30 bis 45 Millionen DM ausmachen würde. Ohne die Darlehnsförderung aus dem Kapitalmarkt und die Bürgschaft des Staates für diese Darlehen würde unser Modell der Studentenförderung nach dem Stand dieses Jahres aus Mitteln des Bundes und der Länder zwischen 548 und 571 Millionen DM kosten, je nachdem, für welche Höhe der Familien- und Kinderzuschläge man sich entscheidet. Im Jahre 1970 sind für die Studentenförderung nach dem Honnefer und Rhöndorfer Modell - allerdings einschließlich der Pflichtdarlehen - zirka 475 Mil6474 lionen DM ausgegeben worden. Mit 100 Millionen DM mehr können wir also eine Studentenförderung bekommen, die den Namen Reform wirklich verdient. Es wäre gut, hier einmal die Zahlen der Regierung für ihr fort- und festgeschriebenes Honnefer und Rhöndorfer Modell auf den Tisch des Hauses gelegt zu bekommen. Es würde uns auch interessieren, wie die Bundesregierung mit dem Bundesrat bei der Finanzierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zurechtkommen will; denn der Bundesrat hat in der vorigen Woche das vorgeschlagene Kostenteilungsverhältnis von 65 : 35 für den Bund und die Länder abgelehnt und statt dessen eine Kostenteilung von 75 : 25 vorgeschlagen. Lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen. Bei allen Verbesserungen, Fortführungen und Vereinfachungen, die dieser Gesetzentwurf hier und da bringt, ist er, was die Reform der Studentenförderung angeht, unserer Auffassung nach völlig unzulänglich und wird aus diesem Grunde auf den entschlossenen Widerstand unserer Fraktion stoßen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.

Rudolf Hauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bisher war ich der Meinung, daß man sich auf Abmachungen im Ältesten- I rat verlassen könne. Nun erlebe ich zum drittenmal, daß aus Erklärungen, die vereinbart worden sind, Diskussionsbeiträge werden. Ich bedaure das sehr, weil das hier den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. ({0}) - Wenn jemand eine Vereinbarung nicht einhält, ist man ja nicht darauf vorbereitet. Herrn Rollmann wäre eigentlich sehr vieles zu antworten. Ich verzichte darauf und gebe zur ersten Lesung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und zum Antrag der CDU/CSU für die sozialdemokratische Fraktion nur die vereinbarte Erklärung ab. Herr Kollege Rollmann, auch Sie werden nicht bezweifeln können, daß die Koalitionsfraktionen in diesem Hause das Erstgeburtsrecht an der Ausbildungsförderung für sich in Anspruch nehmen können. Gegen den hinhaltenden Widerstand, gegen ewiges Taktieren und Verzögern früherer Bundesregierungen und der heutigen Opposition haben es vor allem meine politischen Freunde durchgesetzt, daß Chancengleichheit in der Ausbildung auch durch individuelle Beihilfen zu den Ausbildungskosten und zum Lebensunterhalt während der Ausbildungszeit gesichert werden muß. Erinnern Sie sich noch daran, daß bereits 1962 ein erster Initiativgesetzentwurf meiner Fraktion in diesem Hohen Hause beraten wurde? Bis heute wird zu Recht über die Zersplitterung der individuellen Ausbildungsförderung geklagt. Es gibt die Kategorienförderung für Kriegsopfer oder Kriegerwaisen, für Vertriebene und Kriegssachgeschädigte und noch einige Gruppen mehr. Es gibt jetzt die Schülerförderung nach dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz, die Studienförderung nach dem Honnefer und Rhöndorfer Modell und die Förderung der betrieblichen Ausbildung durch die Bundesanstalt für Arbeit. Wir begrüßen es daher, daß die Regierung durch die heutige Vorlage mit ihrer Ankündigung Ernst macht, dieser Vielfalt allmählich ein Ende zu setzen. Die Zusammenführung der Schüler- und Studienförderung ist ein großer Schritt auf dem Wege zu einem einheitlichen System der Ausbildungsförderung. Die SPD-Fraktion will eine einheitliche, individuelle Ausbildungsförderung. Sie weiß, daß dieses Ziel mit einem Gesetz und zu diesem Zeitpunkt nicht voll zu erreichen ist. Sie wird sich nachdrücklich dafür einsetzen, daß weitere Schritte rechtzeitig erfolgen. Wir haben viel Verständnis für die Kritiker, denen das, was dieser Entwurf enthält, nicht genug ist. Sicher wird man sich in den weiteren Beratungen über viele Details unterhalten müssen. Lassen Sie mich aber auf eines jetzt schon hinweisen. Seitdem diese Regierung im Amt ist, sind die Sätze der Honnef-Förderung dreimal erhöht worden, am 1. Januar 1970 von 300 auf 350 DM, am 1. Januar 1971 von 350 auf 400 DM, und geplant ist ab 1. Oktober 1971 eine Erhöhung auf 420 DM. Das sind in 20 Monaten 120 DM oder 40 %. Die Sätze des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes für den zweiten Bildungsweg sind immer angepaßt worden. Die dritte Novelle werden wir am kommenden Mittwoch, wie ich jetzt erfahren habe, noch beraten. ({1}) - Das ist eine Erklärung, Herr Kollege. Ich spreche ja auch gleichzeitig zu dem Antrag der CDU/CSU. Das habe ich vorher betont. Der Entwurf enthält weitere finanzielle Verbesserungen, von denen ich nur den weitgehenden Wegfall der Vermögensanrechnung und die nach der Familiengröße gestaffelten Freibeträge nenne. Zugegeben, der Entwurf bringt nicht die volle Familienunabhängigkeit. Wer heute völlige Familienunabhängigkeit verspricht, sieht nicht oder will nicht sehen, daß Bund und Länder ganz erhebliche Leistungen auch für den weiteren Ausbau der Schulen und Hochschulen noch erbringen müssen und daß Priorität der Bildungsausgaben nicht Monopol für Bildungsausgaben heißen kann. Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich die gleichmäßige Förderung von Schülern und Studenten einer stärkeren Familienunabhängigkeit bei den Studenten allein vorziehe. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege, an sich ist bei einer Erklärung keine Zwischenfrage vorgesehen, aber wenn der Herr Kollege Hauck das als Rede betrachtet, dann ist es möglich.

Rudolf Hauck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) - Das ist doch ganz billig. Das ist Kollegialität: „Dann kommt er aus dem Konzept"! Ich kann es auch so sagen. Der Abbau von Bildungsschranken beginnt bei der Entscheidung über den Besuch einer weiterführenden Schule. Daher muß, jedenfalls jetzt noch, das begreifliche Interesse der Studenten an voller Unabhängigkeit vom Elternhaus zurücktreten. Ich bitte vor allem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, um Ihre Mitarbeit an einer zügigen weiteren Beratung dieses Entwurfs. Herr Kollege Rollmann hat hier und da, wenn die Pressemitteilungen stimmen, ein ganz anderes Konzept Ihrer Fraktion zur individuellen Ausbildungsförderung angekündigt. Jetzt haben Sie, nachdem der Regierungsentwurf auf dem Tisch liegt, fünf Thesen als Antrag veröffentlicht, Thesen übrigens, die nur von Studenten reden. Ich frage Sie, Herr Rollmann: Soll über den Zugang zu weiterführenden Schulen immer noch auch die wirtschaftliche Lage der Eltern entscheiden? Diese Thesen sind auch kein neues Konzept. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, wieso der uns vorgelegte Entwurf der Regierung den Studenten die selbständige und eigenverantwortliche Entscheidung über eine Ausbildung erschwert. Freie Wahl der Ausbildungsstätte und des Ausbildungsortes werden selbstverständlich gewährleistet. Es werden keine überdurchschnittlichen Leistungen gefordert. Eine Verlängerung der Förderung über die Höchstdauer hinaus und ein Studienwechsel sind in begründeten Fällen möglich. Die Mitarbeit in Selbstverwaltungsorganen wird honoriert. Es wird vorgeleistet, wenn Eltern das nicht tun, was sie im Rahmen ihrer zivilrechtlichen Unterhaltspflichten tun müssen. Was soll dies eigentlich alles, daß Sie das in Ihre Thesen einarbeiten? Daß die noch bestehende Familienabhängigkeit der Förderung in Einzelfällen als Abhängigkeit in und während der Ausbildung empfunden werden kann, leugne ich nicht. Völlige Unabhängigkeit könnte es nur geben, wenn öffentliche Mittel jedem Auszubildenden ohne irgendwelche Begrenzungen der Förderungsdauer, ohne jede Kontrolle einer sachgerechten Ausbildung gegeben würden. Keiner hier im Hause wird zur Zeit einer solchen Verwendung öffentlicher Mittel das Wort reden wollen. Wir wollen, meine Damen und Herren von der Opposition, gern mit Ihnen prüfen, ob bei der späteren weiteren Entwicklung eines Systems individueller Ausbildungsförderung stärkere Darlehnsförderung möglich und richtig ist. Zinsgünstige Darlehen für wirtschaftlich besser gestellte Studenten und eine Bankenförderung durch Bundesbürgschaften für Ausbildungskredite stehen für uns jetzt jedoch nicht auf der Tagesordnung. Die Schüler der 10. Klassen, die noch vor der Tür warten, und die Schüler der 5. bis 9. Klassen, die außerhalb ihres Elternhauses wohnen müssen, um eine weiterführende Schule besuchen zu können, haben nach unserer Meinung zuerst einen Anspruch, als nächste Gruppe in die staatliche Förderung einbezogen zu werden. Die Zeit verbietet es, über Einzelheiten des Entwurfs und über bisher in der öffentlichen Diskussion vorgebrachte Kritik jetzt etwas zu sagen. Ich darf zum Schluß noch einmal betonen: wir Sozialdemokraten sehen in dem Entwurf trotz vorhandener Mängel, von denen einige im Gesetzgebungsverfahren noch behoben werden können, einen entscheidenden Schritt nach vorn. Wir werden alles daran setzen, daß dieser Entwurf rechtzeitig verabschiedet wird, damit zu Beginn des neuen Schuljahres und des Wintersemesters nach dem neuen Bundesausbildungsförderungsgesetz Ausbildungsförderung gewährt werden kann. Wir bitten alle Fraktionen dieses Hauses dabei um ihre Mitarbeit. Wir sind gern bereit, danach mit Ihnen allen gründlich zu erörtern, welche weiteren Schritte für weitere Verbesserungen getan werden müssen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002202, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen, daß es im Ältestenrat eine Verständigung darüber geben konnte, daß dieses Gesetz heute auf der Tagesordnung steht und damit in die Ausschußberatung gelangen kann. Ich glaube, das ist zunächst einmal das wichtigste Ergebnis, das wir festzustellen haben. Dieser Gesetzentwurf enthält - wie könnte das anders sein - Mängel. Aber er bringt Verbesserungen, er bringt vereinfachte Handhabungen. Er bringt nicht die von vielen Studenten in großen Versammlungen und öffentlichen Kundgebungen geforderte familienunabhängige Förderung. Aber, meine Damen und Herren, welche Regierung, welches Parlament hätte die Mittel und die Möglichkeiten, solchen Forderungen nachzugeben, ohne das Gleichgewicht des Haushalts außerordentlich ins Schwanken zu bringen? Hinzu kommt, daß bei diesem Gesetz die Länder als Mitfinanziers auftreten und hier Dissense bestehen. Wir müssen daher versuchen, Herr Kollege Rollmann, uns im Ausschuß schon weitgehend zu verständigen, damit dieser finanzielle Dissens nicht über den Bundesrat und den Vermittlungsausschuß womöglich eine Verzögerung des Gesetzes und damit eine Benachteiligung der zu Begünstigenden im Gefolge hat. Wir Freien Demokraten stimmen diesem Gesetzentwurf zu. Wir sind bereit, in der Ausschußberatung auch über die Grundsätze, welche die CDU/ CSU zur Ausbildungsförderung hier eingebracht hat, zu diskutieren. Wir hoffen, daß wir im Interesse aller derer, die durch dieses Gesetz begünstigt werden, eine schnelle Regelung erreichen. Meine Damen und Herren, ein Blick auf das Vorblatt macht deutlich, daß es hier um Milliardenbe6476 träge geht. Auf dem Vorblatt findet sich auch noch ein Druckfehler. Für das Jahr 1972 muß es nicht 266 Millionen DM, sondern 1 066 Millionen DM heißen. Das macht deutlich, daß hier umfangreiche Geldmittel flüssig gemacht werden, die den jungen Studierenden zugute kommen sollen. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Herren und Damen! Wird das Wort noch zu a und b - denn beide Punkte waren aufgerufen - gewünscht? ({0}) - Bitte schön!

Gottfried Köster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Soviel ich feststellen konnte, ist nur Punkt a aufgerufen worden. Die interfraktionelle Vereinbarung bezog sich darauf, daß die Punkte 14 b und c am Freitag bzw. am kommenden Mittwoch beraten werden sollten. ({0})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Köster, dies stimmt nicht. Ich habe die Punkte a und b aufgerufen. Die Punkte c und d waren zunächst für Freitag vorgesehen, sind nunmehr aber auf interfraktionelle Vereinbarung hin ganz von der Tagesordnung abgesetzt worden, um nächsten Mittwoch beraten zu werden. Wir haben also jetzt noch die Punkte a und b. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zu dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates. Für Punkt 14 a schlägt der Ältestenrat die Überweisung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als mitberatende Ausschüsse, zudem an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. Wer mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur Überweisung des Antrags der CDU/CSU unter Punkt 1413. Hier wird Überweisung vorgeschlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - federführend -, an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Die Punkte 14 c und d sind abgesetzt. Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1969 - Drucksache VI/1936 Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 16 auf: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Antrag betr. notwendige haushaltspolitische Maßnahmen - Drucksachen VI/1154 ({1}), VI/ 1962 -Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf ({2}) Im Mündlichen Bericht beantragt der Haushaltsausschuß, den Antrag Drucksache VI/1154 ({3}) durch die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 1971 für erledigt zu erklären. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 17, 18, 19, 20 und 23 auf: 17. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({4}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Einheiten im Meßwesen eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Zusatzeinrichtungen zu Zählern für Flüssigkeiten ({5}) - Drucksachen VI/1671, VI/1675, VI/1958 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs 18. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({6}) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Anwendung der Entscheidung des Interimsausschusses EWG/Ostafrika über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in ..." oder „Ursprungserzeugnisse" sowie über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen eine Verordnung ({7}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({8}) Nr. 802/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Begriffsbestimmung für den Warenursprung - Drucksachen VI/ 1349, VI/ 1699, VI/1959 - Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka 19. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EG für eine Richtlinie des Rates zur AnVizepräsident Frau Funcke gleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bier - aus Drucksache VI/1048, Drucksache VI/1960 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland 20. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({10}) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EG für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend elektrische Betriebsmittel zur Verwendung in explosibler Atmosphäre - Drucksachen VI/ 1394, VI/1961 -Berichterstatter: Abgeordneter Scheu 23. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) über das von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegte Memorandum der EG-Kommission an den Rat über die Industriepolitik der Gemeinschaft - Drucksachen VI/606, VI/1985 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden daß wir der Einfachheit halber über diese Vorlagen gemeinsam abstimmen? - Das ist der Fall. Wer den Anträgen des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 21 und 22 auf: 21. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({12}) über die von der Bundesregierung erlassene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({13}) Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({14}) Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({15}) - Drucksachen VI/ 1312, VI/1827, VI/1863, VI/1956 Berichterstatter: Abgeordneter Wüster 22. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({16}) über die von der Bundesregierung erlassene Zweiundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -Drucksachen VI/1773, VI/ 1957 Berichterstatter: Abgeordneter Wüster Das Haus hat von diesen Berichten des Ausschusses für Wirtschaft nur Kenntnis zu nehmen. Wünscht jemand dazu das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann haben wir die Berichte zur Kenntnis genommen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf Donnerstag, den 25. März 1971, 14 Uhr, für eine Fragestunde. Die Sitzung ist geschlossen.