Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/10/1971

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 1956 berichtet die Bundesregierung dem Parlament und der Öffentlichkeit über die Lage der Landwirtschaft. Ein jährlich wiederkehrender Bericht läuft Gefahr, zu einer routinemäßigen Pflichtübung zu werden. In diesem Jahr habe ich deshalb versucht, den Bericht durch ein neues Konzept zu einem Mittel fortschrittlicher Agrarpolitik zu machen. Die Bundesregierung stellt in diesem Bericht freimütig dar, was erreicht und was nicht erreicht werden konnte. Bevor ich mich dem Agrarbericht im einzelnen widme, möchte ich das Parlament aus aktuellem Anlaß über die Verhandlungen in Brüssel informieren. Die Beratungen stehen unter äußerst starken Spannungen. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß alle Delegationen bis zum 1. April 1971 zu Preisbeschlüssen kommen wollen und daß diese Entscheidung auf Grund der Interessenlage der Mitgliedstaaten nicht ohne einen Beschluß über gemeinsame Maßnahmen auf strukturellem Gebiet zustande kommen wird. Diese Realität müssen wir erkennen und Konsequenzen daraus ziehen. Die besondere Situation verlangt ein besonderes Vorgehen. Deshalb habe ich dem Rat einen eigenen Entschließungsentwurf vorgelegt. Die Beratungen haben nämlich gezeigt, daß wir uns auch angesichts der Zeitnot nur auf Grundsätze einigen können; denn bei Einzelheiten drohen wir uns in endlosen Debatten zu verlieren. Unsere Entschließung geht von folgenden Grundsätzen aus: stufenweises Vorgehen bei der Anwendung gemeinsamer Maßnahmen auf strukturellem Gebiet, Verknüpfung dieses Vorgehens mit Fortschritten bei der Entwicklung der Wirtschafts-und Währungsunion, Auswahl sinnvoller Maßnahmen für die erste Stufe, Ausrichtung der Beteiligung der Gemeinschaft an der Finanzierung an den bisher nicht verausgabten und den jährlich neu hinzukommenden Mitteln und Zusammenfassung der Mittel der ersten Stufe zu einer mehrjährigen Finanzplanung. Zu dieser Entschließung möchte ich noch eine Grundsatzbemerkung machen. Wir gehen mit unserem Vorschlag nicht von dem Grundsatz der nationalen Verantwortung für die Agrarstrukturpolitik ab. Die strukturellen Unterschiede innerhalb der Gemeinschaft zwingen uns vielmehr dazu, die Hauptverantwortung für die Durchführung und die Finanzierung in nationaler Zuständigkeit zu belassen. Die Verbindung zur Wirtschafts- und Währungsunion bringt deutlich zum Ausdruck, daß wir keine isolierte Agrarstrukturpolitik in der Gemeinschaft vorantreiben wollen. Bei unserem Vorgehen könnten vielmehr für beide Bereiche sehr fruchtbare Impulse für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft erwachsen. Zu den Preisberatungen ist noch folgendes ergänzend zu sagen. Hier gab es nur eine allgemeine Runde, wobei die einzelnen Delegationen die Ihnen bekannten Standpunkte wiederholten. Der neue Agrarbericht, für dessen ausgezeichnete, mühevolle und gründliche Zusammenstellung mir hier ein Wort des Dankes an meine Mitarbeiter erlaubt sein möge, bringt eine kurze Analyse der bisherigen Entwicklung, eine Vorausschau bis zum Jahre 1980, die Ziele und Schwerpunkte der Agrarpolitik der Bundesregierung auf Grund der Analyse und der Vorausschau, die zielkonformen agrarpolitischen Maßnahmen und deren Finanzierung. Ich bin sicher, daß wir den Informationswert des Berichtes wesentlich steigern konnten. Damit haben wir eine bessere Grundlage für eine sachbezogene Diskussion und für eine zukünftige Arbeit im agrarpolitischen Raum geschaffen. Dazu trägt auch bei, daß im vorliegenden Agrarbericht erstmals der Versuch unternommen wurde, nicht nur Vergangenes zu deuten, sondern auch die Tendenzen im laufenden Wirtschaftsjahr zu berücksichtigen und die agrarpolitische Konzeption der Bundesregierung zu den vielfältigen Aufgaben darzulegen. Bei vollem Verständnis für die derzeitigen Sorgen der Landwirtschaft halte ich diese Versachlichung der Diskussion für dringend erforderlich. Wir wollen und müssen damit verhindern, daß die eingetretene Verunsicherung unserer Landwirtschaft weiter anhält. Ich setze voraus, daß Sie den Agrarbericht gelesen haben. Auf die Wiedergabe von Einzelheiten des Berichts möchte ich daher verzichten und mich auf einige politisch besonders relevante Anmerkungen beschränken. Dabei scheint es mir notwendig zu sein, eine klare Trennung vorzunehmen zwischen der langfristigen Orientierung unserer Politik und den Problemen, die sich im Zusammenhang mit den aktuten Unruhen dieser Tage ergeben. Ich hoffe, meine Damen und Herren von der Opposition, daß auch Sie bereit sind, dabei bestehende Sachzwänge als solche anzuerkennen und zur Grundlage unserer gemeinsamen Diskussion zu machen. Erlauben Sie mir zunächst, auf die akuten Unruhen in der Landwirtschaft und auf ihre Ursachen, so wie ich sie sehe, einzugehen. Wo liegen diese Ursachen? Eines möchte ich vorweg sagen: Demonstrationen und Unruhe in der Landwirtschaft gibt es weltweit. Dies ist kein spezifisches Problem allein für uns in der Bundesrepublik. Demonstrationen sollten für uns Anstoß sein, den Problemen der Landwirtschaft in sachbezogener und klarer Haltung zu begegnen. Vor allem sollte man sich nicht ohne gründliche Prüfung der Dinge zu Äußerungen verleiten lassen, die eine landwirtschaftliche Existenzkrise vortäuschen. Ich halte es auch nicht für berechtigt - ohne die heutige Situation zu bagatellisieren -, Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise anzustellen, wie es hier in diesem Hohen Hause von kurzem geschehen ist. Ich habe zwar nicht-wie andere Mitglieder dieses Hauses - diese Krise bewußt erlebt, weil ich noch zu jung war. Ich weiß aber aus dem Studium der Geschichte, daß die Landwirtschaft damals gigantische Preiszusammenbrüche bis zu 50 % hinnehmen mußte, weil angesichts eines Heers von Arbeitslosen infolge Kaufkraftausfalls die Nachfrage nach Nahrungsmitteln sprunghaft zurückging. Es wird wohl niemand in diesem Hause behaupten wollen, daß wir es heute mit einer ähnlichen Entwicklung zu tun hätten. Derartige Vergleiche sind einfach unhaltbar. Ein Studium der Hintergründe der Weltwirtschaftskrise macht dies deutlich. Solche Äußerungen verfehlen das Problem und tragen nicht zu seiner Lösung bei. Sie wecken lediglich weitere Emotionen bei den Menschen auf dem Lande. Wir müssen uns also ernsthaft bemühen, den tatsächlichen Gründen für die Unruhen nachzugehen. Sind sie rein wirtschaftlicher Art oder sind sie außerökonomisch motiviert? Der vorliegende Agrarbericht zeigt, daß die Einkommensentwicklung im Wirtschaftsjahr 1969/70 auch im Vergleich zu den übrigen Wirtschaftsbereichen nicht ungünstig gewesen ist. Die Landwirtschaft konnte ihr Einkommen je Arbeitskraft um durchschnittlich 11 % erhöhen. Allerdings haben sich dabei die Einkommensdifferenzen innerhalb der Landwirtschaft selbst nicht verringert. Den Einfluß dieser innerlandwirtschaftlichen Einkommensdifferenzierung auf die Unruhe unter den Landwirten sollte man nicht unterschätzen. Auch soziale Gerechtigkeit hat einen innerlandwirtschaftlichen Bezug. Das wird leider oft übersehen. Wir sind uns wohl alle darüber im klaren, daß man diesem Problem nicht allein durch lineare Preiserhöhungen beikommen kann. Wenn also das abgeschlossene Wirtschaftsjahr nicht den Hintergrund für die Unruhen bildet, dann bleibt zu fragen, ob die Einkommensentwicklung im laufenden Wirtschaftsjahr oder andere Gründe ausschlaggebend sind. Es ist richtig, daß die Preis- und Kostenentwicklung im Herbst und Winter für die Landwirtschaft insgesamt gesehen ungünstig gewesen ist und Anlaß zu Sorgen gibt. Die Landwirte befürchten, daß ihr Einkommen nicht in dem gleichen Maße wie in der übrigen Wirtschaft steigen wird und der Abstand zu den übrigen Wirtschaftsgruppen größer wird. Das gilt vor allem für solche landwirtschaftlichen Betriebe, die von besonders starken Preisrückgängen, wie z. B. bei Schweinen und Kartoffeln, betroffen werden und hierdurch in Schwierigkeiten geraten sind. Das gilt auch für Betriebe, die investieren müssen und sich daher den Kostensteigerungen - insbesondere auf dem Bausektor - nicht entziehen können. Unterschiede in den Wachstumsraten des Einkommens der Landwirtschaft insgesamt und zwischen den verschiedenen Betriebsgruppen sind nicht neu; es hat sie immer gegeben. Sie werden ausgelöst durch Ernteschwankungen und durch zyklisch bedingte Preisbewegungen bei tierischen Erzeugnissen. Genauso wenig, wie wir die hohen Einkommenssteigerungen des abgelaufenen Wirtschaftsjahres überbewerten dürfen, haben wir auch keinen Anlaß, die Entwicklung im laufenden Wirtschaftsjahr zu dramatisieren, wie dies zum Teil durch Manipulationen mit Indizes verschiedentlich geschieht. Wirtschaftlich gesehen findet die Verunsicherung unter den Landwirten also vor allem in der Änderung des Preis-Kosten-Verhältnisses der letzten Monate eine Erklärung. Es erscheint mir jedoch nicht zu verantworten, diese Erscheinung zu verallgemeinern und als generellen Maßstab für die weitere Entwicklung zu werten. Bie einer differenzierten Betrachtung zeigt sich doch folgendes. Die administrativ geregelten Agrarpreise haben sich - unter Einbeziehung des Aufwertungsausgleichs - nicht vermindert. Überdurchschnittliche Preisrückgänge sind dagegen bei fast allen Produkten eingetreten, bei denen die Preisbildung weitgehend vom Marktgeschehen insgesamt und somit nicht zuletzt vom eigenen Marktverhalten der Landwirte abhängt. Es ist also unangebracht, der Bundesregierung preispolitische Untätigkeit vorzuwerfen. Die Bundesregierung hat vielmehr alle Möglichkeiten genutzt, einen noch stärkeren Preisverfall bei einzelnen Produkten zu verhindern. Das gilt insbesondere für die Schweinepreise. Es ist nicht zu bestreiten, daß eine nüchterne Betrachtung der Entwicklung wichtiger wirtschaftlicher Daten vielen Landwirten Grund zur Besorgnis gibt. Doch liegt darin keine ausreichende Erklärung für die eigentlichen Hintergründe der Unruhe. Die Ursachen müssen also vielschichtiger sein und tiefer liegen. Uni sie richtig zu erkennen und zu verstehen, erscheint es mir daher notwendig, die Gesamtheit der Bedingungen, die den Lebensbereich und das Verhalten des Landwirts bestimmen, einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Ich habe den Eindruck, daß unsere Landwirte im Grunde enttäuscht sind von der Einstellung einer Gesellschaft, die nicht oder nur sehr zögernd bereit ist, die großen Leistungen der Landwirtschaft anzuerkennen. Die Landwirtschaft hat im Rahmen eines ungeheuren strukturellen Anpassungsprozesses enorme Produktionssteigerungen - verbunden mit einer laufenden qualitativen Verbesserung ihres Angebots - erbracht. Durch die Freistellung von Arbeitskräften hat sie entscheidend zum wirtschaftlichen Wachstum und zur Wohlstandssteigerung beigetragen. Und die Landwirtschaft hat zur Gestaltung der Kulturlandschaft und zur Sicherung der Umwelt einen durch nichts zu ersetzenden Beitrag geleistet. Diese Funktion der Landwirtschaft wird künftig an Bedeutung noch zunehmen. Ich darf dazu den Herrn Bundeskanzler zitieren, der auf der Veranstaltung des Deutschen Naturschutzringes zum Abschluß des Europäischen Naturschutzjahres folgendes ausführte: Die aktive Gestaltung unserer Umwelt ist ein gesellschaftspolitisches Ziel, welches sich nicht mit dem Ziel einer bloßen Wohlstandssteigerung vereinbaren läßt. Eine Politik, die sich allein auf das wirtschaftliche Wachstum konzentriert, bringt keinen echten Zuwachs für die Gesellschaft, sondern führt zu zivilisatorischen Zielentwicklungen. Das bedeutet: Wir müssen künftig auf manches verzichten, was zwar ökonomisch rentabel, aber gesellschaftlich bedenklich ist. Und wir müssen manches, was ökonomisch unrentabel erscheinen mag, gesellschaftlich durchsetzen. Zwischen dem Angebot an privatwirtschaftlichen und öffentlichen Gütern muß ein soziales Gleichgewicht bestehen. Eines der unentbehrlichsten öffentlichen Güter aber ist eine zuträgliche Umwelt; dazu gehört eine leistungsfähige und vielgestaltige Landschaft. So weit das Zitat. Für unsere Industriegesellschaft ist es an der Zeit, sich zu überlegen, in welchem Umfang sie bereit ist, die Dienstleistungsfunktion unserer Landwirtschaft zur Erhaltung und Sicherung der Umwelt zu honorieren. - Unbestritten sind schließlich die großen Leistungen der Landwirtschaft für den europäischen Einigungsprozeß, der mit erheblichen Opfern verbunden war und ist. Die Öffentlichkeit sollte sich diese Zusammenhänge einmal klar vor Augen führen. Die Landwirte haben oft - und nicht immer zu Unrecht - das Gefühl, zu Stiefkindern unserer Gesellschaft degradiert zu werden und in Relation zu ihren Leistungen in zu geringem Maße an den vielfältigen Errungenschaften des Fortschritts teilzuhaben. Greifen wir nur einige Umstände heraus, die die Lebensbedingungen in der Landwirtschaft entscheidend beeinflussen: Erstens. Bei dem Aufbau sozialer Sicherheit für die Landwirte ist in den zurückliegenden Jahren Entscheidendes versäumt worden. Trotz erheblicher Verbesserungen auf diesem Gebiet und Ansätzen zu grundlegenden Neuerungen gerade im letzten Jahr besteht hier nach wie vor ein großer Nachholbedarf sowohl gegenüber anderen Berufsgruppen als auch im Vergleich zu einigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Zweitens. Die Möglichkeiten, außerberufliche Interessen zu verfolgen, sind für Landwirte vergleichsweise bescheiden. Zum einen ist die Freizeit zu gering, weil die Arbeitsbelastung zu groß ist; dies gilt vor allem für die Landfrau. Zum anderen gibt es im Vergleich zu städtischen Gebieten nur wenig Alternativen, die begrenzte Freizeit zu nutzen. Gerade dieser Faktor gewinnt in einer Leistungsgesellschaft mit zunehmender Freizeit und Konsumorientierung rasch an Gewicht. Drittens. Das Bildungsangebot auf dem Lande ist begrenzt. Den leistungsorientierten Bestrebungen der jungen Landwirte sind dadurch Grenzen gesetzt. Den Kindern von Landwirten werden in weiten Gebieten immer noch nicht dieselben Startbedingungen wie in den Städten geboten. Ich erinnere beispielsweise an die höhere Fahrtkostenbelastung, wenn Schüler vom Lande einen für sie weit entfernt gelegenen Schulort aufsuchen müssen. In dieser Frage sind jedoch in erster Linie die Länder angesprochen. Nimmt man alles zusammen, hält man ein Bündel verschiedener Motive in der Hand, die, isoliert betrachtet, nicht überbewertet zu werden brauchen, die in ihrer Gesamtheit aber einen permanenten Unruheherd ausmachen. Für den einzelnen Landwirt resultieren daraus Spannungen. Diese können sich, wenn mehrere der genannten ungünstigen Voraussetzungen zusammentreffen, bis zur Existenzangst steigern. Dies ist gerade in der jetzigen Situation der Fall. Die ungünstige Preisentwicklung auf Teilmärkten hat das Faß sozusagen zum Überlaufen gebracht. So viel zu den gegenwärtigen Unruhen und ihren Hintergründen. Es sollte jedem deutlich geworden sein, daß die akuten Schwierigkeiten dieser Tage durchaus komplexe und weit zurückliegende Ursachen haben. Kurzfristige Lösungen sind nicht möglich. Der Versuch, diese Schwierigkeiten allein mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen beheben zu wollen, wäre nichts anderes als ein Kurieren an Symptomen. Ich nehme an, meine Damen und Herren in diesem Hause, das wissen auch Sie, insbesondere die Opposition. Bei der langfristigen Ausrichtung der Agrarpolitik kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, daß die Landwirtschaft gesamtwirtschaftlichen Sachzwängen unterworfen ist. Ein Wirtschaftszweig kann zwar durch politische Entscheidungen kurzfristig gesamtwirtschaftlichen Entwicklungstendenzen entzogen werden. Dies führt dazu, daß langfristig die Kosten einer derartigen Politik die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft beeinträchtigen. Nach einer gewissen Zeit jedoch erzwingen sich die Anpassungsprozesse von selbst, dann allerdings mit größten wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten. Worin bestehen diese Sachzwänge? Bei steigendem Wohlstand entwickelt sich die Nachfrage dynamisch. Das ermöglicht es einzelnen Wirtschaftsbereichen, in neue Märkte vorzustoßen und die sich daraus ergebenden günstigen Gewinn- und Einkommenschancen wahrzunehmen. Andere Sektoren - dazu gehört leider die Landwirtschaft - stoßen auf deutliche Marktgrenzen und damit auf Schranken für Gewinn und Einkommen. Die Landwirtschaft stößt einerseits auf einen unelastischen Markt. Andererseits führt der technische Fortschritt zu einem starken Produktionsanstieg und einem permanenten Preisdruck. Hierdurch werden die Einkommenschancen der Landwirte, die ihre Einkommenserwartungen an der Einkommensentwicklung in der übrigen Wirtschaft orientieren, begrenzt. Hinzu kommt noch, daß die Mobilität der Produktionsfaktoren, insbesondere des Faktors „Arbeit", in der Landwirtschaft geringer ist als in anderen Bereichen. Dies alles zusammen führt zu den Schwierigkeiten, vor denen wir heute stehen, d. h. zu dem Zurückbleiben der landwirtschaftlichen Einkommen und zu der Überschußsituation auf wichtigen Agrarmärkten. Das ist das Dilemma der I) heutigen Agrarsituation. Hieraus ergibt sich: Die steigenden Einkommenserwartungen lassen sich nicht allein durch Erhöhung der Agrarpreise, sondern nur durch ein gleichzeitiges Hinzutreten von Produktivitätssteigerungen erfüllen, und zwar im Einzelbetrieb durch Senkung der Kosten je Produktionseinheit oder Umsatzsteigerung, in der Landwirtschaft als Ganzer durch Verminderung der Zahl der Arbeitskräfte. Diese Zusammenhänge führen zu zwangsläufigen Entwicklungen im Bereich der Betriebs- und Agrarstruktur. Bei dynamischer Gesamtentwicklung muß auch die Entwicklung des einzelnen Betriebes und der Agrarstruktur dynamisch sein. Trotz erheblicher Aufwendungen in den zurückliegenden Jahren ist es jedoch nicht gelungen, diesen Prozeß in ausreichendem Umfang zu bewältigen. Die Gründe hierfür sind meines Erachtens darin zu suchen, daß wir alle in der Vergangenheit nicht genügend erkannt haben, daß die Agrarprobleme nur im Zusammenwirken aller verfügbaren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Instrumente zu lösen sind. Ich bin sehr glücklich darüber, daß in der Beurteilung dieser Frage inzwischen über alle Fraktionen dieses Hohen Hauses hinweg - aber auch mit dem Berufsstand - ein volles Einverständnis besteht, wie dies z. B. auch die öffentliche Diskussion des Deutschen Agrarjournalistenverbandes im Rahmen der diesjährigen Grünen Woche gezeigt hat. Für viele Landwirte war es bereits in der Vergangenheit schwer, rechtzeitig die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Dies wird auch künftig der Fall sein, wenn nicht entsprechende Alternativen zur Landbewirtschaftung angeboten werden können. Wir müssen unseren Landwirten klar machen, daß ein Berufswechsel nicht gleichbedeutend ist mit sozialem Abstieg. Nur dann werden wir den Strukturwandel in dem erforderlichen Umfang bewältigen können. Wir alle müssen dafür sorgen, daß Landwirte den Wandel nicht als eine Bedrohung ihrer persönlichen Existenz auffassen, sondern ihn als eine natürliche Begleiterscheinung und wichtige Voraussetzung zur Wohlstandssteigerung begreifen und erfahren. Agrarpolitik hat Anpassungen zu fördern, die nicht nur aus technisch-ökonomischer Sicht zu sehen sind, sondern eine soziale und geistige Aufgabe darstellen. Es ist deshalb Pflicht der Verantwortlichen, innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft alle Beteiligten von der Notwendigkeit des Anpassungsprozesses zu überzeugen und für eine aktive Mitarbeit zu gewinnen. Wir sind dabei nicht zuletzt auf die Mithilfe des Berufsstandes angewiesen. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß jeder Zwang zur Bewältigung dieses Prozesses von mir abgelehnt wird. Die Freiheit der Entscheidung des einzelnen muß vollkommen erhalten bleiben. Ich muß hier in aller Deutlichkeit sagen, daß unsere Agrarstrukturpolitik vorrangig auf den Menschen abstellt und nicht auf bestimmte Betriebsgrößen, Organisationsformen oder Arbeitsverfassungen. Wir sagen ja zu dem Nebeneinander verschiedenster Formen der Landbewirtschaftung, weil wir es dem einzelnen überlassen wollen, ob er sein Einkommen ausschließlich aus der Landwirtschaft oder aus Berufskombinationen erzielen will. Agrarpolitisch sind Nebenerwerbsbetriebe, die heute rund 44 0/o aller Betriebe ausmachen, das geringere Problem, weil sie mit dem größeren Teil ihres Einkommens an der außerlandwirtschaftlichen Einkommensentwicklung teilhaben. Das eigentliche agrarpolitische Problem stellen die Vollerwerbsbetriebe dar. Sie müssen in einer wachsenden Wirtschaft wachsende Einkommen abwerfen können und eine hinreichend hohe Eigenkapitalbildung zur Finanzierung von Investitionen ermöglichen. Dies führt einzelbetrieblich zu einer Steigerung der Produktion, die sich nur dann in Grenzen halten wird, wenn auf der anderen Seite Produktionsfaktoren, insbesondere Arbeitskräfte, aus dem landwirtschaftlichen Bereich ausscheiden oder durch partnerschaftliche Zusammenarbeit, z. B. in Form von Maschinenringen, freigemacht werden. den. Aus allem, was ich bisher dargelegt habe, wird deutlich, daß die Landwirtschaft auch in den kommenden Jahren eine weitere Anpassung an den volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß durchzumachen haben wird. Diejenigen aber, die aus einem relativen Rückgang des Anteils der Landwirtschaft an der Zahl der Erwerbstätigen und am Sozialprodukt auf ein Vorstadium der Bedeutungslosigkeit schließen, befinden sich in einem schwerwiegenden Irrtum. Sie übersehen, daß die Landwirtschaft als Bezieher von industriellen Vorprodukten und Dienstleistungen und auch als Partner der Ernährungsindustrie und des Handels eine Position in unserer Wirtschaft und Gesellschaft einnimmt, die weit über ihren Beitrag zum Sozialprodukt hinausgeht. Für weite Teile der industriell-gewerblichen Wirtschaft ist die Landwirtschaft die Basis ihrer Entfaltung. Die Landwirtschaft bezog im Wirtschaftsjahr 1968/69 Vorleistungen und langlebige Gebrauchsgüter für 20 Milliarden DM. Sie schafft und sichert damit Arbeitsplätze für eine Dreiviertelmillion Erwerbstätige in der Zulieferungsindustrie und beschäftigt darüber hinaus eine halbe Million Erwerbstätige in der Distribution und Be- und Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Auch wird leicht vergessen, welche Leistungen die Landwirtschaft durch die Freisetzung von Arbeitskräften, die Bereitstellung von Flächen für die notwendigen infrastrukturellen Maßnahmen und für die Gestaltung der Kulturlandschaft erbringt. Die Nachfrage nach diesen Leistungen, die die Landwirtschaft zu einem erheblichen Teil kostenlos erbringt, wird in unserer arbeitsteiligen Industriewirtschaft immer größer. Die Landwirtschaft hat daher keinen Grund, sich hinter anderen Wirtschaftszweigen zu verstecken. Darüber hinaus leistet unsere Landwirtschaft einen erheblichen Beitrag zur konjunkturellen Beruhigung. Der Preisindex für Nahrungsmittel stieg im letzten Jahr wesentlich schwächer als der Index für die Kosten der gesamten Lebenshaltung. Eines aber darf nicht gefordert und erwartet werden: Die Landwirtschaft kann auf die Dauer nicht allein eine stabilitätspolitsche Funkton übernehmen. ({0}) In der Öffentlichkeit werden häufig Möglichkeiten zur Lösung der Einkommens- und Überschußprobleme propagiert, die weder die vielfältigen Zusammenhänge berücksichtigen noch im politischen Raum durchsetzbar sind. Deshalb habe ich auch kein Verständnis, daß unserer Landwirtschaft eingeredet wird, es wäre möglich, die Agrarpreise um 15 % anzuheben. Die Verfechter dieser Forderung wissen genau, daß nur bei etwa der Hälfte unserer Agrarprodukte administrative Preisanhebungen unmittelbar wirksam werden. Ihnen ist auch bekannt, daß vielen Betrieben, insbesondere solchen mit unzureichender Produktionskapazität, selbst mit Preisanhebungen in dem geforderten Umfange nicht zu helfen ist. Ich will die Preispolitik nicht ersetzen oder ihre Bedeutung schmälern, sonst würde ich mir selbst untreu werden; aber ihr wirtschaftlicher Spielraum ist begrenzt, weil die Gefahr wachsender Überschüsse noch nicht ein für allemal bereinigt ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß es erstmals dieser Bundesregierung gelungen ist, durch intensive Ausnutzung aller verfügbaren Absatzwege ganz erhebliche Überschüsse auf verschiedenen EWG-Agrarmärkten abzubauen. Damit wurden überhaupt erst wieder die Voraussetzungen für einen - wenn auch nur begrenzten - preispolitischen Handlungsspielraum geschaffen. ({1}) Preispolitik ist und bleibt auch in Zukunft ein Eckpfeiler der Agrarpolitik, insbesondere auf Grund der Kostensituation, aber nicht der einzige. Aus diesen Gründen erscheint es mir notwendig, daß wir unsere Aufmerksamkeit verstärkt den Möglichkeiten und Maßnahmen auf anderen Gebieten zuwenden. Meine Damen und Herren, aus dem Gesagten ergibt sich die logische Konsequenz, ob man es nun wahrhaben will oder nicht, daß wir der Unterstützung der strukturellen Anpassung nach wie vor eine große Bedeutung einräumen müssen. Dabei wird es darauf ankommen, die für den Bereich der nationalen Agrarpolitik verfügbaren Mittel so effizient wie irgend möglich einzusetzen. Ziel dieser Politik ist es, nicht mit Zwang, sondern ausschließlich durch das Angebot umfassender Hilfen zur Selbsthilfe den Anpassungsprozeß zu erleichtern. Die Position entwicklungsfähiger Betriebe müssen wir durch gezielte agrarpolitische Maßnahmen stärken und ausbauen. Anderen Landwirten, die ungleich bessere Einkommensaussichten außerhalb der Landwirtschaft haben, ist der Übergang zu erleichtern. Die Beweglichkeit der Produktionsfaktoren müssen wir weiter erhöhen. Dafür kommen nicht Einzelmaßnahmen in Betracht, sondern es bedarf des Zusammenwirkens von Markt-, Preis-, Struktur-, Sozial-, Regional- und Bildungspolitik. Im Individualbereich wird dieser Forderung mit dem Einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen Ergänzungsprogramm Rechnung getragen. Es kommt jetzt darauf an, auch im überbetrieblichen Bereich eine Integration der verschiedenen Förderungsmaßnahmen in die regionale Wirtschaftspolitik herbeizuführen und die überbetrieblichen Maßnahmen mit denjenigen auf einzelbetrieblicher Ebene zielkonform zu verknüpfen. Auch die Planungsausschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben für regionale Wirtschaftspolitik und Agrarstrukturpolitik werden zum Gelingen dieses Vorhabens beitragen müssen. Die in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung beabsichtigten Maßnahmen sind im einzelnen im Agrarbericht dargelegt und erläutert. Ich kann mich deshalb hier darauf beschränken, die wichtigsten Aufgaben noch einmal herauszustellen. Es handelt sich dabei im Bereich der nationalen Agrarpolitik um folgende: 1. Schwerpunktmäßiger Einsatz der überbetrieblichen Maßnahmen der Agrarstrukturpolitik und Abstimmung mit der regionalen Strukturpolitik. Für die ländlichen Räume bedeutet dies: es müssen weitere Arbeitsplätze im Bereich von Gewerbe und Dienstleistungen geschaffen und es muß die Infrastruktur verbessert werden. Die Maßnahmen der Agrarstrukturpolitik müssen vorrangig zur Unterstützung dieser Initiativen eingesetzt werden. 2. Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsangebots im ländlichen Raum. 3. Festigung und Ausbau der Marktposition der Landwirtschaft durch Förderung von Vorhaben zur Verbesserung der Angebots- und Absatzstruktur landwirtschaftlicher Produkte. Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Bundesminister Ertl 4. Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung für die Landwirte und Fortentwicklung der Alterssicherung und Unfallversicherung. Die Bundesregierung wird den Gesetzentwurf zur Krankenversicherung in Kürze den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung zuleiten. Für die Agrarpolitik im Bereich der EWG wird es vor allem auf folgendes ankommen: 1. Verbesserung des Agrarpreisniveaus durch gezielte Preisanhebungen, um die Existenz entwicklungsfähiger Betriebe nicht zu gefährden. Die von der Kommission gemachten Preisvorschläge reichen dafür nicht aus. Die deutsche Delegation wird sich für eine Verbesserung der Vorschläge mit Nachdruck einsetzen. Ich erinnere daran, daß ich damit nicht nur die Meinung meines Hauses, sondern die des Kabinetts vertrete. Auf der Basis des Datenmaterials des Agrarberichtes hat das Kabinett beschlossen, sich meine Auffassung zu eigen zu machen. 2. Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen und Wettbewerbsbehinderungen durch Harmonisierung von Rechts-, Verwaltungs-, Steuer- und Beihilfevorschriften. 3. Entwicklung gemeinsamer Regeln für die Agrarstrukturpolitik der Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Fehlentwicklungen in der Gemeinschaft. Im Zuge der Schaffung einer Wirtschafts-und Währungsunion müssen durch gezielte Regionalprogramme in allen Mitgliedstaaten zusätzlich vermehrte Dauerarbeitsplätze in Industrie, Handel und Gewerbe angeboten werden, um damit die Voraussetzungen für den weiteren und möglichst reibungslosen Ablauf des Strukturwandels zu erfüllen. 4. Weitere Fortschritte in Richtung auf die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion. Dies ist aus der Sicht der Landwirtschaft eine unabweisbare Notwendigkeit, um den bisher erreichten Integrationsstand abzusichern und um negative Auswirkungen für unsere Landwirtschaft zu vermeiden. Als Landwirtschaftsminister begrüße ich daher die Brüsseler Beschlüsse von Anfang Februar ganz besonders. Gestatten Sir mir in diesem Zusammenhang noch einen Hinweis zur Rechnungseinheit. Sicherlich ist die Rechnungseinheit keine voll befriedigende Lösung. Ich selbst gehörte von Anfang an zu denjenigen, die vor diesem Instrument gewarnt haben. Heute aber ist die Rechnungseinheit eine Gegebenheit, die wir nicht einfach negieren können. Ich halte es für eine Illusion, zu glauben, daß unsere landwirtschaftlichen Probleme durch eine Lockerung oder Aufhebung der Bindung an die Rechnungseinheit gelöst werden könnten. Beim Hearing vor dem Ernährungsausschuß in der letzten Februarwoche wurde dies einige Male sehr deutlich formuliert. So darf ich z. B. Präsident Gleske zitieren, der im Hearing folgendes sagte: Solange aus Gründen der Erlös- und Einkommenssicherung für die landwirtschaftliche Bevölkerung Marktordnungen für erforderlich gehalten werden und solange der freie Verkehr mit Agrarerzeugnissen im Rahmen dieser Marktordnungen auch bei einer Änderung der Paritätsverhältnisse aufrechterhalten bleiben soll, wird man nicht auf Anpassungsregeln verzichten können. In der Sache würden sie sich, wie immer sie im einzelnen ausgestaltet sein mögen, nicht von der derzeitigen Regelung durch eine Rechnungseinheit unterscheiden. Das Problem ist also nicht die Rechnungseinheit selbst; sie ist lediglich die notwendige Konseqenz von Marktordnungen mit einheitlich festgesetzten Grenzen für die Schwankungen der Marktpreise und eines freien Warenverkehrs mit Agrarerzeugnissen innerhalb der EWG. Meine Damen und Herren, jeder, der eine Aufhebung oder Lockerung der Bindung an die Rechnungseinheit propagiert, muß sich also darüber im klaren sein, daß damit möglicherweise der gemeinsame Agrarmarkt in Frage gestellt wird. Es müßte allen in diesem Hohen Hause klar sein, welche politischen Konsequenzen damit für die europäische Integration verbunden wären. Wer gleichwohl die Abschaffung des Grünen Dollars fordert, muß daher entweder hier und heute eine glaubwürdige Alternative vortragen, die diese politischen Konsequenzen ausschließt, oder er muß klipp und klar erklären, daß er diese Konsequenzen bewußt in Kauf nimmt. ({2}) Das ist die Realität. Jede andere Haltung - ich stelle dies nicht leichten Herzens fest - wäre unehrlich, wäre eine Vernebelung der tatsächlichen Situation. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Agrarpolitik ist mehr denn je unter wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Aspekten zu betrachten. Die Berührungspunkte zwischen Landwirtschaft und übriger Bevölkerung beschränken sich heute nicht nur auf das Anbieten und den Kauf von Nahrungsmitteln. Es kommen auf unsere Landwirtschaft Aufgaben zu, die zwar nicht neu sind, deren Dringlichkeit aber rasch zunimmt und deren Bedeutung sich heute noch nicht einmal annäherungsweise ermessen läßt. Gestaltung der Kulturlandschaft, Umweltschutz und breite Eigentumsstreuung sind Begriffe, die in den Brennpunkt des allgemeinen Interesses gerückt sind. Die Bewältigung der damit verbundenen Aufgaben wird aber nur über eine gesunde, leistungsfähige Landwirtschaft gelingen. Das Bestreben, eine funktionsfähige Landwirtschaft zu formen, darf deshalb nicht eng als sektorales wirtschaftspolitisches Bemühen gedeutet werden. Landwirtschaft ist für uns alle von lebensnotwendiger Bedeutung und stellt eine gesellschaftspolitische Aufgabe ersten Ranges dar. Es wird sicherlich von niemandem in diesem Hohen Hause bestritten, daß diese Aufgabe von der Agrarpolitik nicht allein gelöst werden kann, sondern nur im Verbund von Agrar- und Wirtschaftspolitik. Das heißt, die Instrumente der Preis-, Markt-, Struktur-, Sozial-, Regional- und Bildungspolitik sind auf6160 einander abzustimmen und zielkonform einzusetzen. Ein Instrument allein gewährleistet keinen dauerhaften Erfolg. Wenn wir uns über diese Grundsätze einer ökonomisch vernünftigen und von sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung getragenen Politik einig sind, sollte es uns eigentlich nicht schwerfallen, auch über die einzelnen Maßnahmen einig zu werden. Ich bin mir darüber im klaren, daß diese Konzeption nur langfristig zum Erfolg führen kann. Die schwierige Lage in der Landwirtschaft wird geraume Zeit fortbestehen. Aus diesem Grunde bin ich - das will ich unmißverständlich aussprechen - auf die Einsicht der Landwirte selbst, auf ihre nüchterne Einschätzung ihrer eigenen Situation angewiesen. Den Landwirten wird es um so leichter fallen, die langfristig sinnvollen und notwendigen Entscheidungen zu treffen, je mehr sie das Gefühl, ja die Überzeugung haben, daß alle verantwortlichen Kräfte in diesem Staate sich mit Tatkraft dafür einsetzen, die bestehenden Schwierigkeiten im Sinne der Grundvorstellung unseres sozialen Rechtsstaates so sozial erträglich wie nur irgendmöglich zu gestalten. Patentlösungen gibt es auch in der Agrarpolitik nicht. Wie das Hearing vor dem Ernährungsausschuß gezeigt hat, bestehen auch unter den Wissenschaftlern differenzierte Meinungen über die Möglichkeiten zur Lösung der gegenwärtigen agrarpolitischen Probleme. Das Hearing hat jedoch das eine bestätigt, daß wir nämlich die Situation richtig erkennen und einschätzen und daß wir den begonnenen Weg behutsam, aber dennoch zielstrebig weitergehen müssen. Es geht heute um Hilfe für Menschen, die geradezu das Opfer wirtschaftlicher und technischer Entwicklung geworden sind. Es geht um eine ältere Generation, die jahrzehntelang unentwegt zur Erzeugungsschlacht aufgerufen war und der dann später zusammen mit der jüngeren landwirtschaftlichen Generation ein vollständiges Umdenken auf marktgerechte Produktion und eine Umstellung auf Märkte, die unter Produktionsdruck stehen, abverlangt wurde. Es geht um einen Berufsstand, der über die Funktion der Ernährungssicherung hinaus in vielfältiger Weise für das Wohlergehen der modernen Industriegesellschaft unentbehrlich ist und der für den Aufbau der EWG beispielhafte Vorleistungen erbracht hat. Mein Appell richtet sich daher insbesondere an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, und an den ganzen Berufsstand: Lassen Sie uns gemeinsam um die beste Lösung ringen, die wir auch im Interesse der Allgemeinheit der Landwirtschaft und vor allem den betroffenen Menschen schuldig sind! Dann wird sich das Vertrauen der Landwirtschaft in diesen Staat und in diese Demokratie wieder festigen. Dann wird es - dessen bin ich sicher - der Landwirtschaft im Zusammenwirken mit der Agrarpolitik der Bundesregierung gelingen, die schwierigen Probleme zu lösen. Diese meine Zuversicht gründet sich insbesondere auf die Einsicht und die große Zustimmung, die unserer agrarpolitischen Konzeption von der jüngeren Generation in der Landwirtschaft entgegengebracht wird. ({3}) Präsident von Hassel: Meine Damen und Herren! Die Begründung zur Einbringung des Agrarberichts 1971 haben Sie gehört. Ich danke dem Herrn Bundesminister dafür. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und weise darauf hin, daß die drei Ergänzungspunkte zur Tagesordnung - Gesetzesvorlagen der Fraktion der CDU/CSU - innerhalb der allgemeinen Aussprache mit begründet werden. Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Bewerunge. Die CDU/CSU-Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 30 Minuten beantragt.

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die Aufgabe der Opposition, das Tun und Unterlassen einer Regierung kritisch zu prüfen. Dabei kann man Lob und Tadel aussprechen, und man kann die Regierungsparteien nach ihrem Verhalten hin überprüfen. Lassen Sie mich mit einem Lob anfangen. Ich habe den, wie er jetzt heißt, Agrarbericht dieser Bundesregierung gelesen. Er ist in einen Textteil und einen Materialteil aufgeteilt. Er hat sich aus vergangenen Berichten weiter fortentwickelt. Darin steckt erheblicher Fleiß, erhebliche Arbeit. Ich möchte an dieser Stelle den Beamten des Ernährungsministeriums für diese Tätigkeit herzlichen Dank sagen. ({0}) Damit bin ich eigentlich mit dem Dank und der Anerkennung vollständig zu Ende. ({1}) Herr Minister Ertl, ich habe Ihre 'Rede einmal, zweimal, dreimal gelesen. Ich habe mir zunächst gedacht: Ist es nicht interessant, hier den Minister Ertl als früheren Oppositionsredner zu zitieren? Zu dieser lammfrommen Rede hätte er sicher als Oppositionsredner einiges zu sagen. ({2}) Ich habe mich weiter gefragt: Ist das schon ein resignierender Ertl? Denn, Herr Minister Ertl, es nützt ja nichts, daß wir diese allgemein bekannten, zukunftsorientierten Daten, die jeder Landwirt und jeder Politiker in diesem Hause kennt, hier besprechen, wenn wir nicht von der akuten Not und von der - wie Sie es auch nennen - Existenzangst der Landwirte sprechen, die uns zu 50 000 in Bonn, zu drei-, vier-, fünftausend in den Ländern in den diszipliniertesten Demonstrationen, die man sich vorstellen kann, begegnen, die aber in dieser Zeit verunsichert sind und wirtschaftliche Not und Sorgen haben. Herr Minister, wenn Sie diesen Entwicklungen faustisch nachspüren, darf ich Ihnen folgendes sagen; ich will dabei keine Indizes verdrehen oder falsch anwenden. Sie müssen doch wissen, daß im zweiten Halbjahr 1970 die Erzeugerpreise im Schnitt um 7,6 % gesunken, die Betriebsmittelkosten aber um 4,6 % gestiegen sind. Herr Minister, darin liegt doch die Ursache für die Sorge eines jeden Betriebsleiters um die Zukunft 'begründet. ({3}) Das ist eine Wirtschaftspolitik, die diese Bundesregierung und auch Sie, Herr Minister Ertl, zu verantworten haben. ({4}) Wenn Sie meinen, Sofortmaßnahmen seien nicht möglich, muß ich Ihnen sagen: dann ist der resignierende Ertl für mich sehr deutlich geworden. Ich muß hier auch einmal folgendes sagen. Die Landwirte, die von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft her, vom Sinn der politischen Union Europas her verpflichtet waren, Vorreiter für diese politische Union zu werden, haben bewiesen, trotz aller Unlust, trotz aller Sorgen, daß ihnen die politische Union Europas ein Anliegen ist und daß sie diese politische Union nicht zerstören wollen. Das sollte man bei dem schwierigen Weg, den ein Berufsstand wie die Landwirtschaft gehen muß und gehen mußte, anerkennen. ({5}) Wer hier im Hause, in den Ausschüssen oder in den Fraktionen die Kompliziertheit der Agrarpolitik mit den einheitlichen Preisgestaltungen, mit den Interventionen, mit dem Begriff des Grünen Dollars, mit den verschiedenen Begriffen auf strukturellem Gebiet kennt, weiß doch, wie schwierig es ist, der deutschen Öffentlichkeit diesen Weg nach Europa über die Landwirtschaft deutlich zu machen. Wir sollten von jeder verantwortlichen Regierung erwarten - das meine ich an Sie gewandt, Herr Bundeskanzler Brandt -, daß man die mehr als drei Millionen Menschen, die in und von der Landwirtschaft leben, auf diesem Wege nicht vergißt und daß man bei allem darauf achtet, daß hier kein menschliches Unrecht geschieht. Wir können eine phantasievollere Agrarpolitik machen, wenn wir sie im nationalen Bereich machen. Hier muß der Akzent auf die Fortführung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit allen Mitteln gesetzt werden. Ihre Aussage im vorigen Jahr, wir müßten die Vollendung der nächsten Generation überlassen, muß im Berufsstand Resignation hervorrufen, weil die Landwirtschaft es nicht aushalten kann, alleiniger Integrationsfaktor zu sein. ({6}) Ohne auf die Statistik eingehen zu wollen, halte ich es auch für falsch, allgemein davon zu sprechen, daß Abwanderungen aus der Landwirtschaft notwendig sind, um das Einkommen zu erhöhen. Meine Damen und Herren, wir alle, die wir aus der Landwirtschaft kommen und die Landwirtschaft kennen, wissen doch, daß es genügend Betriebe in EWG-Größen gibt, in denen 1 bis 2 Arbeitskräfte 50 bis 80 Hektar bewirtschaften. Diesen Menschen nützt es gar nichts, wenn Sie das Gesamteinkommen der Landwirtschaft ohne die Leute addieren, die aus den Betrieben mit 4 bis 5 Hektar abwandern. Wir haben doch keinen Überbestand an Arbeitskräften, sondern da bewirtschaften 1 bis 2 Arbeitskräfte den Hof. Herr Professor Weinschenk hat Zahlen genannt, die deutlich machen, daß diese Aussagen über die Landwirtschaft und deren Entwicklungstendenzen wahr sind. Nach Professor Weinschenk wird von 24 überdurschnittlich geführten Betrieben in Nordwestdeutschland in der Größenordnung von 50 bis 80 Hektar nur ein einziger Betrieb im laufenden Wirtschaftsjahr mit Gewinn abschneiden. Alle anderen werden Verluste von 5000 bis 45 000 DM haben. ({7}) Das sind die Fakten, mit denen wir es zu tun haben, Herr Bundesminister Ertl. Diese Fakten erfordern auch Entschlüsse in diesem Hohen Haus. ({8}) Hier nützt es nichts mehr, von 1980 zu sprechen. Wir müssen eine Mentalität in der deutschen Landwirtschaft auffangen, die nach Resignation aussieht. Wenn Sie die Tendenzen zur Abwanderung aus der Landwirtschaft ansehen, wenn Sie feststellen, daß beispielsweise in meinem Bereich von fünf Landkreisen, die je eine intakte Fachschule hatten, nur noch eine Fachschule besetzt werden kann, wenn Sie feststellen, daß die landwirtschaftliche Führung aus sich alles tut, um die Landwirte und auch die Eltern von Berufsschülern und Fachschülern zu informieren, wie wohl ihr Weg sein könnte, dann muß das Gerede aufhören, daß man in der Vergangenheit versagt und der Landwirtschaft nicht die Wahrheit gesagt habe. ({9}) Solche Aussagen sind unverantwortlich. Sie stimmen mit den Tatsachen nicht überein. Sie passen nur in das Weltbild einer ganz gewissen Gruppe, die diese Tendenz so haben will und die so tut, als wenn sie so wäre. ({10}) - Wenn Sie eine schnellere Abwanderung aus der Landwirtschaft provoziert hätten, Herr Dr. Schmidt - Sie sollten es wissen -, hätte es im ländlichen Bereich eine Explosion gegeben. Sie wissen genau, daß das im wesentlichen ein Generationsproblem ist. Das darf man nicht vergessen, wenn man darüber spricht. Ich wehre mich dagegen, daß gesagt wird - Herr Bundeskanzler, auch Sie haben es gesagt -, man habe die Landwirtschaft falsch informiert. Vom Berufsstand her ist das äußerste gesagt worden. Ich bin selbst nicht in der Führung des Deutschen Bauernverbandes. Ich kenne aber die Beschlüsse des Deutschen Bauernverbandes zur Strukturpolitik. Sie waren vor fünf Jahren schon so modern, daß sie I heute noch passen. Herr Minister Ertl, Sie haben Ihr großes Förderungsprogramm angekündigt. Wie sieht es mit der Verwirklichung aus? Sie haben gesagt: Agrarstruktur ist eine langfristige Maßnahme, die erhalten blei6162 ben muß, und für diese Maßnahme müssen wir auch langfristig etwas tun. Lassen Sie es mich deutlich sagen: die heutigen Bedingungen auf dem Kapitalmarkt lassen den Landwirt gar nicht mehr zu Kapitalmarktmitteln greifen. Ich habe Ihnen selbst, Herr Minister, damals einen Brief von einem Landwirt überreicht, der 1968/69 mit einem Kostenfaktor von 360 000 DM aussiedeln wollte. Ein Grünlandbetrieb, voll eingerichtet, kostete ein Jahr später 440 000 DM. Das ist eine Kostensteigerung um 80 000 DM in einem Jahr. Ich darf Sie einmal fragen, Herr Minister: Wie soll man mit der Milch- oder mit der Rindfleischproduktion gegen eine solche Kostensteigerung überhaupt noch anrennen? Hier zeigt doch die von der Regierung zu verantwortende Wirtschaftspolitik Ergebnisse, die für die Landwirtschaft geradezu katastrophal sind. Lassen Sie mich eines sagen: Wenn diese Inflationspolitik - wir haben in Baden-Württemberg eine Steigerungsrate von 4,4 % und in Nordrhein-Westfalen eine solche von 4,2 % - nicht bald gebannt wird und wenn es eine Inflationsmentalität gibt, ist die Existenz der Landwirtschaft aufs äußerste gefährdet. Sie ist am meisten gefährdet, wenn keine Stabilitätspolitik betrieben wird. Bezüglich dieser Entwicklung haben Sie sich ganz fürchterlich vergangen. ({11}) Meine Damen und Herren, das ist nicht nur im Bereich der Landwirtschaft so. Das ist das Erschreckende für alle die, die immer eine Agrarpolitik vertreten haben, die nach vorne orientiert war, die die Marktpolitik vertreten haben. Das geht so weit, daß Sie heute auch bei einem kalkulierten Preis für die Rationalisierung der Molkereiwirtschaft nicht mehr in der Lage sind, überhaupt noch auszurechnen, daß bei einer Zentralisierung dieser Marktunternehmen auch nur ein Pfennig Mehrverdienst für die Landwirtschaft herauskommt. Die Steigerung der Baukosten, die Steigerung der Mechanisierungskosten, die Steigerung der Transportkosten für Milch und Milchprodukte ist so groß, daß die Rationalisierung in sich in Frage gestellt ist. Das ist aber das alarmierendste Zeichen, das ich mir in dieser Wirtschaftspolitik überhaupt vorstellen kann. Meine Damen und Herren, da dies noch im einzelnen von meinen Kollegen abgehandelt werden wird, komme ich zu dem ernstesten Punkt, den ich hier vorzubringen habe. Ich sagte: Wer für diese drei Millionen Menschen die Verantwortung übernimmt auf dem Weg zu Europa hin, der sollte bei seinen politischen Entscheidungen darauf bedacht sein, daß nicht dieser Berufsstand ganz besonders darunter leidet. Ich will hier keine Aufwertungsdebatte mehr führen. Aber, Herr Minister Ertl, in der Frage des Ausgleichs des Aufwertungsverlustes haben Sie, mit Ihrem Namen verbunden, eine Entwicklung eingeleitet, die für die deutsche Landwirtschaft lebensbedrohend ist. ({12}) Sie haben damals mit erhobenem Finger auch in diesem Hause gesagt: „Seien Sie vorsichtig" ; die Verluste sind gar nicht so groß wie der Ausgleich, den wir zahlen; zwingen Sie mich nicht, hier Zahlen klarzulegen!" - Wir haben Sie gewarnt und haben Ihnen, Herr Minister Ertl, gesagt: Die Aufwertung wird voll auf die Erzeugerpreise durchschlagen. - Jetzt ergibt sich leider endgültig eine Zahl, die deutlich macht, unter welchen Vorzeichen die deutsche Landwirtschaft wirtschaften muß. Von Juli bis November 1969 hatten wir einen Import aus dem EWG-Raum von 85 000 t Schlachtschweinen, von Juli bis November 1970 von 209 000 t. Diese Zahlen habe ich aus dem wirtschaftlichen Monatsbericht Ihres Ernährungsministeriums. Das ist ein Mehr von über 147% ({13}) Wir haben bei Fleischwaren eine Mehreinfuhr von über 24 %, bei Geflügel von über 14 %, bei Käse von über 18 % und bei Eiern von 22 %. Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön!

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, würden Sie diesem Hohen Hause bestätigen, daß es sich hier nicht um Importe, sondern um einen normalen Warenfluß innerhalb der EWG handelt? ({0})

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will Ihnen zugute halten, daß Sie das System des gemeinsamen Binnenmarkts noch nicht beherrschen. Wenn ich gesagt habe „aus dem EWG-Raum", dann weiß ich genau, daß wir Binnenmarkt sind. Aber Sie bestätigen mir durch Ihre Frage, wie recht ich mit meiner Aussage habe. ({0}) Das bedeutet in der Konsequenz - und die wird sich fortsetzen -, daß wir durch unsere Aufwertung erreichen werden, daß sich der gesamte Warenstrom der übrigen Sechsergemeinschaft auf die Bundesrepublik ergießen wird und daß wir über Jahre und Jahrzehnte, wenn wir es nicht ändern, unter permanentem Preisdruck stehen und daß wir das Niedrigpreisland dieser Sechsergemeinschaft bleiben werden. Das ist die Konsequenz der Aufwertung. ({1}) Ich nehme an, Herr Minister Schiller hat das begriffen. Denn diese niedrigen Erzeugerpreise helfen mit, seine Verbraucherindizes zu senken. Aber, Herr Minister Ertl, ich habe es Ihnen persönlich gesagt, ich habe Sie vor dieser Entscheidung gewarnt. Hier ist sogar noch beschlossen worden, degressiv über vier Jahre einen Einkommensausgleich für die Land wirtschaft zu bezahlen. Es stellt sich heraus, daß schon das Degressive mit wirtschaftlichen Vorstellungen nichts zu tun hat. Denn eine Landwirtschaft, die sich in der Produktionssteigerung nicht bewährt, wird sich rückläufig orientieren. Wenn dieser Preisdruck dazu kommt, müssen Sie mir zugeben, daß damit die Schicksalsfrage für die deutsche Landwirtschaft gestellt wird. Ich sage das deshalb, weil moderne Landwirte ein modernes Marktinstrument hier in diesem Hause geschaffen haben, weil wir das Marktstrukturfondsgesetz geschaffen haben, um damit den Überschuß dieser Agrarproduktion aus der Bundesrepublik in den EWG-Raum und in Drittländer zu verkaufen. Mit diesem Verhalten beim Aufwertungsausgleich haben Sie eine Lebensader für die deutsche Landwirtschaft abgeschnitten. Herr Minister Ertl, im Frühjahr dieses Jahres müssen Sie wieder über die Auswirkungen des Aufwertungsausgleichs berichten. Nehmen Sie diese Zahlen zur Hand, um zu beweisen, daß Sie Ihr Fehlverhalten dringend korrigieren müssen - das hält die deutsche Landwirtschaft so nicht aus -, damit Ihr Name nicht für alle Zeiten mit diesem Fehlverhalten in Verbindung gebracht wird. ({2}) Ich habe Ihnen dieses Problem schon vor der Aufwertung erläutert. Ich habe in mancherlei Diskussionen mit Kollegen der FDP darüber gesprochen. Sie haben es nicht glauben wollen. Sie sind einer politischen These gefolgt und haben diese Entwicklung mit zu verantworten. Wir haben zukunftsträchtige landwirtschaftliche Betriebe, das beweist dieser Grüne Bericht. Junge Landwirte, die genau wissen, daß sie modern wirtschaften müssen, daß sie mit optimalem Umsatz pro Arbeitskraft ihren Reinertrag erwirtschaften müssen, resignieren. Diese Landwirte, die all das getan haben, was man sich von einem modernen Unternehmen wünscht, sind die Unzufriedensten in dieser Gesellschaft, weil sie sich von einer Politik enttäuscht fühlen, die sie nicht zu verantworten haben. ({3}) Sie waren bereit, den Wettbewerb in der Sechsergemeinschaft auszuhalten, wenn das ein ökonomischer Zwang ist. Sie waren bereit, auch einen Verdrängungswettbewerb durchzustehen. Aber wenn willkürliche politische Einschnitte eine solche Entwicklung hemmen, dann, Herr Minister Ertl, ist die Gefahr riesengroß. Ich darf Sie herzlich bitten: Lesen Sie auch noch einmal die ganze Debatte zur Rechnungseinheit in dem Hearing nach. Sie werden feststellen, daß alle, die sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung beschäftigen - auch Professor Schmidt -, diese These bestätigen. Nehmen Sie das bitte nicht leicht, sonst brauchen wir in diesem Hause in fünf Jahren über Agrarpolitik überhaupt nicht mehr zu reden. Meine Damen und Herren, ich darf noch kurz einige Äußerungen zur Sozialpolitik und zu Versäumnissen aus der Vergangenheit machen. Es muß doch wirklich wie Hohn klingen, wenn wir uns um das Altersgeld bemühen, wenn wir eine namentliche Abstimmung erbitten und Sie dann sagen, in der Vergangenheit sei vieles versäumt worden. Sie selbst haben doch gegen die Erhöhung des Altersgeldes gestimmt. Machen Sie doch nicht der Opposition und diesem Hause weis, das wäre anders, ({4}) wenn Sie diese Aussage über Versäumnisse in der Vergangenheit machen. Wir haben uns um das Altersgeld bemüht, auch mit Ihnen meine Herren von der SPD. Sie haben-es immer wieder abgelehnt. Sie haben gesagt: Wir wollen erst eine große Lösung, die Krankenversicherung der Landwirte. Ich habe nichts dagegen. Aber über dieses Thema reden wir schon fünf oder sechs Jahre, und zwar unter ideologischen Vorzeichen. Tüchtige Landwirte haben draußen schon die Wege zu den RVO-Kassen geöffnet; sie sind krankenversichert. Und auf unsere Kleine Anfrage wurde bestätigt, daß über 90 % krankenversichert sind. - Ich will dieses Thema jetzt nicht vertiefen, weil es nachher noch behandelt werden wird. Aber wenn Sie immer wieder sagen: die Landwirtschaft ist ein integrierter Bestandteil der Gesamtwirtschaft, dann fangen Sie doch nicht in diesem Bereich an, den Rest Landwirtschaft zu isolieren! ({5}) Und ich sage Ihnen, ich habe in Versammlungen diese Frage ernst genommen und habe gefragt: wer möchte denn die berufsständische Lösung? Ein zukunftsorientierter Unternehmer wird doch seinen Sohn auch rentenversichern, er wird doch versuchen, ihm die Sicherheit zu geben, die die übrige Gesellschaft auch hat. Wie kommen Sie dazu, diese Frage in dieser pauschalen Art berufsständisch zu lösen? Ich darf Sie recht herzlich bitten, diese Frage mit uns noch einmal zu überprüfen. Bei uns ist es keine Ideologie. Wir möchten Ihnen nachweisen, daß unsere Auffassung die bessere ist. Nun, Herr Minister Ertl, Sie haben hier immer so viel von Ehrlichkeit, Wahrheit usw. gesprochen, davon, daß der, der das nicht wahrhaben wolle, doch herkommen solle. Sie haben immer gesagt: ich bin für Wahrheit und Klarheit. Ich habe mir das immer wieder angehört, und ich unterstelle Ihnen, daß Sie die Wahrheit und Klarheit wollen. Ich habe aber hier, Herr Minister Ertl, das „Bauernblatt Schleswig-Holstein" vom 27. Februar. Auf die präzise Frage, welche flankierenden nationalen Maßnahmen der Minister ergreifen werde, falls in Brüssel nicht genügend erreicht würde, antwortete der Minister demnach: Konsolidierung förderungswürdiger Betriebe, zweitens Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für die Landwirtschaft, ({6}) drittens soziale Maßnahmen, - man höre und staune! z. B. 300 DM Altersgeld, ({7}) viertens Erlaß des Lastenausgleichs, ({8}) fünftens Marktstrukturmaßnahmen. ({9}) Die Beteiligten sind sehr befriedigt abgefahren und haben gesagt: der Minister wird's wohl machen. ({10}) Herr Minister, hier wird gesagt, wir träten demagogisch vor die Bauern. So hat es der Bundeskanzler gesagt: laßt euch da nicht von den Rattenfängern einfangen. - In dieser oder ähnlicher Form hat er es gesagt. ({11}) - Jawohl! - Was wir gesagt haben, meine Herren, haben wir zu vertreten, und wir vertreten es auch weiter. Sind Sie, Herr Minister, nicht der Auffassung, daß Sie sich hier der Klarheit und Wahrheit wegen zu diesen Ausführungen äußern müssen, damit Ihr Image in der Bevölkerung erhalten bleibt, das, soweit ich sehe, immer noch einigermaßen in Ordnung ist? Aber mit solchen Aussagen, Herr Minister, werden Sie in der Landwirtschaft unglaubwürdig. Sie erwecken Hoffnungen und kündigen etwas an, was Sie nicht erfüllen können. ({12}) Aber Sie können hier Ihr Wort halten. Wir sind der Meinung, ,daß das Reden über Landwirtschaft 1980 wichtig ist. Aber das Reden über die Landwirtschaft 1971 ist wichtiger. ({13}) Es brennt den Landwirten unter den Nägeln. Wir haben Ihnen einen Vorschlag für die Erhöhung des Altersgeldes gemacht. Wir wiederholen diesen Vorschlag. Und, Herr Minister, ich habe der Presse entnommen, diese Bundesregierung sei bereit, für ein Jahr den Beitrag zur Alterskasse zu übernehmen. - Verhöhnen Sie bitte in dieser Situation den Unternehmer Landwirt nicht! Es ist geradezu peinlich, wenn ich mir sagen muß, die Disparität des Betriebes X wird dadurch ausgeglichen, daß ich ihm einen Beitrag von 27 DM für neun Monate zahle. Die Landwirtschaft nimmt Ihnen solche Entschlüsse übel. Gehen Sie mit uns den Weg der Erhöhung des Altersgeldes! Und wer die Bedeutung des Altersgeldes als eines Betriebsmittels nicht kennt, der kennt die Probleme der Landwirtschaft nicht. Ich kann Ihnen sagen, daß ,die meisten älteren Leute dies als einzige Einnahmequelle neben dem Wohnen, Essen und Trinken haben. Helfen Sie uns mit, hier einen Schritt nach vorne zu tun! Unser Antrag liegt wieder auf dem Tisch. ({14}) Wir haben einen zweiten Antrag vorgelegt, weil eben der Kapitalmarkt angespannt und die Belastung der Betriebe, die langfristig investiert haben, zu hoch ist. Wir möchten den Zinssatz um 1 % senken. Auch diesem Antrag können Sie zustimmen; er ist haushaltsrechtlich ebenfalls gedeckt. Helfen Sie uns mit bei der Änderung des Einkommensteuergesetzes, um die gewerbliche Veredelung weitestgehend zu unterbinden. Auch hier können Sie Ihre Zustimmung nicht versagen. Es kostet kein Geld. Hier sollte dieses Plenum mitwirken. Es geht ferner um die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes. Herr Minister Ertl, angesichts der Entwicklung unserer Agrarpreise und des Kostendrucks durch den Verkauf von Nahrungsmitteln aus dem EWG-Raum in der Bundesrepublik können wir nichts anderes tun, als der Landwirtschaft jetzt und sofort zu helfen. Wir haben Ihnen eine Mehrwertsteuerlösung vorgeschlagen, die beide Möglichkeiten enthält: verbraucherneutral oder auch nicht verbraucherneutral. Auch dazu müssen Sie heute und hier etwas sagen. Das nächste ist die Einwirkung auf den Ministerrat in der Frage der Disharmonien, die sich durch die Abwertung des Franc und die Aufwertung der D-Mark ergeben haben. Es kann ja nicht Sinn einer partnerschaftlichen Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein, solche Disharmonien auf die Dauer durchzustehen. Auch ein Fehlverhalten, Herr Minister, kann korrigiert werden. Ich hoffe, daß Sie mit uns diesen Weg beschreiten, damit die Landwirtschaft aus dieser Diskussion wieder neuen Mut und neue Hoffnung schöpfen kann. ({15}) Präsident von Hassel: Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Helms. Die Fraktion der FDP hat für ihn 40 Minuten beantragt.

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Herr Vorredner hat dem Sinne nach gesagt: Wer den Weg nach Europa will, muß darauf achten, daß ein Berufsstand, die Landwirtschaft, nicht geopfert wird. Wir haben wohl alle diese Hoffnung. Aber man hätte das bei der Vertragsgestaltung in der Vergangenheit berücksichtigen können und sollen. Ich meine, daß diese Politik mehr von der CDU zu verantworten ist als von dieser Regierung, ({0}) und ich muß fragen, wer denn eigentlich die Situa-. tion, über die wir heute diskutieren und über die mein Vorredner in bezug auf Europa gesprochen hat, heraufbeschworen hat. ({1}) Aber ich möchte mich der sachlichen Politik zuwenden. Fortschrittliche Politik muß auch in Berichten sichtbar gemacht werden. Mit der Abkehr vom traditionellen Grünen Bericht und der Konzipierung des Agrarberichts ist das dem Minister Ertl gelungen. In diesem Bericht ist endlich zusammengebracht, was zusammengehört, nämlich der Grüne Bericht und der EWG-Bericht. Der Agrarbericht schafft die Voraussetzungen für mehr Transparenz in der agrarpolitischen Diskussion. Er enthält eine klare Analyse der Lage der Landwirtschaft und aller bei agrarpolitischen Entscheidungen zu berücksichtigenden Faktoren. Besonders hervorzuheben ist die in dem Bericht aufgezeigte agrarpolitische Zielsetzung mit den beabsichtigten erforderlichen agrarpolitischen Maßnahmen. Der Agrarbericht ist in dieser Form für die Politik, für die Wissenschaft und besonders für die Praxis in der Landwirtschaft eine Orientierungshilfe. Er wird hoffentlich zur dringend gebotenen Versachlichung der politischen Diskussion beitragen. Analog zur Verbesserung in der Form des Agrarberichts sind in der Agrarpolitik Verbesserungen eingetreten, die schon vor einem Jahr, als wir hier die agrarpolitischen Probleme diskutierten, Konturen annahmen, inzwischen aber noch deutlicher hervorgetreten sind. Die agrarpolitischen Leistungen dieser Regierung sind für jeden, der guten Willens ist, erkennbar. Während Sie, Herr Bewerunge, als Sprecher der Opposition dies in Zweifel ziehen, sehe ich mich veranlaßt, die agrarpolitischen Leistungen dieses Ministers und dieser Koalition hervorzuheben. ({2}) Der Ausgleich für die der Landwirtschaft durch die DM-Aufwertung entstandenen Verluste, den Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, immer nicht so recht zur Kenntnis nehmen wollen, hat insbesondere durch das Hearing im Ernährungsausschuß eine beachtenswerte Würdigung erfahren. ({3}) In den Referaten von Professor Kloten und Präsident Gleske wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, daß mit der D-Mark-Aufwertung auf dem landwirtschaftlichen Sektor in der Bundesrepublik nur eine Preis-Kosten-Entwicklung abrupt nachgeholt wurde, die sich in den anderen Partnerländern bereits vollzogen hatte. Wenn der Aufwertungsverlustausgleich nicht erfolgt wäre, hätte das in der Bundesrepublik sicher zu einer weiteren erheblichen Benachteiligung der Landwirtschaft gegenüber den anderen Wirtschaftsbereichen geführt. Der Aufwertungsverlustausgleich ist aus unserer Sicht insofern voll berechtigt. Im Lichte der Wettbewerbssituation in der EWG nehmen sich die Dinge etwas anders aus. Man kann, so gesehen, viel eher ermessen, welche Leistungen Minister Ertl erbracht hat, als er den D-Mark-Aufwertungsverlustausgleich im Ministerrat durchsetzte. Ich habe den Eindruck, daß der Aufwertungsverlustausgleich in der Landwirtschaft mehr und mehr anerkannt wird. Das gilt insbesondere für den mehrwertsteuerlichen Teilausgleich, den Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zum Teil jedenfalls einst als unzulänglich und illusionär verketzert haben. Nachdem die von der Bundesregierung vorausgesagten durchschlagenden Erfolge und Ergebnisse zu verzeichnen sind, haben Sie sich, wie die jüngsten Vorschläge aus Ihren Reihen beweisen, das Mehrwertsteuerrezept stillschweigend zu eigen gemacht. Das ist ein schöner Beweis für einen geräuschlosen Lernprozeß. Diesen Prozeß müssen wir ja vielleicht alle einmal vollziehen. Weil wir die Probleme, die mit der Aufwertung und den Verlustausgleichszahlungen verbunden sind, gut kennen, hat die FDP auch mit Nachdruck die Verhandlungen über die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion unterstützt. Es sind von dieser Regierung Fortschritte erreicht worden. Das läßt sich nicht leugnen. Wir wünschen uns eine schnellere Gangart und mehr Verbindlichkeit für die Partner bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion. Auch wenn wir das wünschen, verlieren wir nicht das Bewußtsein für die Schwierigkeiten des noch vor uns liegenden Weges. Im Interesse der Europäischen Gemeinschaft und insbesondere im Interesse der Landwirtschaft muß die Endstufe möglichst schnell erreicht werden. Als Leistung dieser Regierung und dieses Landwirtschaftsministers muß auch genannt werden, daß die Preissenkungsvorschläge der Kommission, die noch im letzten Jahr auf dem Tisch lagen, nicht verwirklicht wurden und daß heute in Brüssel über Preisanhebungen verhandelt wird. Wenn uns von der Opposition nun entgegengehalten wird, daß sich wegen der unterschiedlichen Kostenentwicklung eine völlig andere Lage ergeben habe, so muß ich in Erinnerung bringen, daß die Kostensteigerung, die in diesem Jahr zu unserem großen Kummer knapp 5 % betrug, in dem für die Landwirtschaft günstigen Wirtschaftsjahr 1969, in dem das Einkommen pro Arbeitskraft ausweislich des Grünen Berichtes um rund 11 % stieg, auch 3,3 % betrug. Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg?

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte!

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich habe hier den Text einer Rede des Herrn Abgeordneten Ertl aus der Zeit der Großen Koalition vor mir. Ich möchte Sie fragen, ob Sie zu dem, was damals gesagt wurde, auch heute noch stehen. Ich zitiere wörtlich: Sie wissen, daß die Freien Demokraten immer und immer wieder eine Agrarpolitik vertreten haben, in deren Mittelpunkt für die Landwirtschaft kostendeckende Preise stehen. Je eher man diese erreicht hätte, um so eher hätten wir auf Staatshilfe verzichtet. Im Protokoll heißt es dann: „Beifall bei der FDP". Sind Sie in den anderthalb Jahren, seitdem Herr Minister Ertl für die Agrarpolitik verantwortlich ist, diesem Ziel nähergekommen? Haben Sie noch das Ziel der kostendeckenden Preise? Wann werden Sie es erreichen? ({0})

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schulze-Vorberg, ich beantworte Ihre Frage gern. Ich bin der Auffassung, daß kein Wirtschaftszweig ohne Kostendeckung wirtschaften kann. Insofern sind wir uns sicher einig. Ich war während der Zeit der Großen Koalition nicht Mitglied des Parlaments und habe sicherlich nicht das zu vertreten, was hier insgesamt gesagt worden ist. Aber ich teile den Standpunkt, der hier zum Ausdruck kommt, daß die FDP sich nachdrücklich für dieses Ziel einsetzen wird. ({0}) In den 20 Jahren, in denen die CDU die Verantwortung für die Agrapolitik trug, haben Sie dieses Ziel niemals erreicht. ({1}) Die FDP wird sich jedenfalls entschieden darum bemühen. ({2}) Ich darf das hier sicher auch für die gesamte Koalition erklären. ({3}) Präsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten SchulzeVorberg?

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön!

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, da ich kein Agrarpolitiker bin, darf ich Sie bitten, mir einige Hinweise zu geben: Wo gibt es in den 18 Monaten der Amtszeit von Herrn Minister Ertl erste Ansätze, um zu kostendeckenden Preisen in der Landwirtschaft zu kommen? ({0})

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte diese Frage mit einem Hinweis beantworten. Ich habe für meine Fraktion im Dezember 1969 an einem Besuch in Brüssel teilgenommen. Damals haben die Mitglieder der Kommission, die von Ihrer Partei gestellt worden sind, uns Preissenkungen von 20 % für Agrarprodukte vorgeschlagen. Wir haben dies verhindert. ({0}) - Die Frage der Preispolitik werde ich in meinem Referat ausführlich darstellen. So wesentlich unterschiedlich sind die Indizes, von denen ich soeben gesprochen habe, sicher nicht, als daß man daraus ableiten könnte, es sei jetzt eine katastrophale Kostenentwicklung eingetreten, die zu einer völlig anderen Lage geführt habe. Herr Ertl ist schon darauf eingegangen, warum diese Lage anders geworden ist, ({1}) und ich selber werde auch noch dazu kommen. Daß über Preisanhebungen verhandelt werden kann, ist mit darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung mit Erfolg bemüht war - auch wenn das erhebliche Mittel erfordert hat -, die Überschüsse zu reduzieren. Dadurch, daß eine geringere Ernte als im vorigen Jahr anfiel, ist bei den Preisverhandlungen der psychologische Druck entfallen, der durch die Überschüsse gegeben war. Andererseits ist erreicht worden, daß die Preise bei einigen Interventionsprodukten sich von den Interventionspreisen abgehoben haben. Ich erinnere an Getreide und Butter. So etwas hat es bei CDU-Landwirtschaftsministern auch noch nicht gegeben. Deshalb darf ich das hier einmal herausstreichen. Erst in dieser Marktsituation war es doch möglich, das Mindestpreissystem bei Trinkmilch einzuführen. Damit haben die Landwirte die Chance erhalten, bei späteren Marktentwicklungen die sich daraus ergebenden Preismöglichkeiten zu nutzen. In der Agrarstrukturpolitik haben wir das Richtliniengestrüpp für die einzelbetriebliche Förderung, die uns übergeben war, durch eine klare Konzeption des einzelbetrieblichen Förderungs- und des sozialen Ergänzungsprogramms abgelöst. Präsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte keine Zwischenfragen mehr zulassen, weil ich sonst meine Zeit nicht einhalten kann; ich bin gern bereit, im Ernährungsausschuß weiter zu diskutieren. Präsident von Hassel: Darf ich sagen, daß wir normalerweise für Fragen eine gewisse Zusatzzeit zur Verfügung stellen.

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zu diesem Programm, mit dem wirkungsvoller als bisher geholfen werden soll, haben alle Betriebe Zugang. Ich betone ausdrücklich: alle Betriebe, weil von der Opposition immer wieder behauptet wird, mit diesem Programm würde nur ein kleiner Teil der landwirtschaftlichen Betriebe, die die Förderungsschwelle erreichen, gefördert werden können. Richtig ist vielmehr, daß die Investitionsförderung größeren Umfangs auf die entwicklungsfähigen Betriebe beschränkt ist. Für solche Be- triebe, die die Förderungsschwelle nicht erreichen und das soziale Ergänzungsprogramm nicht in Anspruch nehmen können, sind Überbrückungshilfen vorgesehen, die in der Diskussion immer wieder unterschlagen werden. Das soziale Ergänzungsprogramm ist ein Katalog notwendiger Hilfsmaßnahmen, die wirken sollen, wenn der Strukturwandel fetzt weitergeht. Wir wollen auch den ausscheidenden Landwirten helfen. Während der Amtszeit der Landwirtschaftsminister der CDU/CSU sind fast 3 Millionen Menschen überwiegend ohne staatliche Hilfe und Unterstützung aus der Landwirtschaft ausgeschieden. Wir wollen im Interesse dieser Menschen die mit dem Ausscheiden verbundenen Härten mildern. Das Programm von Minister Ertl bietet also allen Betrieben eine auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestellte Förderung. Das ist sicher besser als ein undifferenziertes sogenanntes Gießkannensystem. Meine Damen und Herren, in der Agrarsozialpolitik bestand bei der Amtsübernahme dieser Regierung ein besonderes Defizit. Herr Bewerunge ist auf die langwierige Diskussion der letzten Jahre eingegangen. Wir haben die Landabgaberente verbesHelms sert, die Nachversicherung in der Arbeiterrentenversicherung eingeführt und die Grundlage für eine landwirtschaftliche Krankenversicherung gelegt, bei der die Altenteiler einen Kostenzuschuß erhalten oder kostenlos versichert werden sollen. Hier befinden wir uns im vollen Einverständnis mit dem Berufsverband. In der Unfallversicherung konnten durch Erhöhung der Bundeszuschüsse die Leistungen erhöht werden. Wir hätten in diesem Bereich gern mehr getan. Aber der Haushalt setzte Grenzen, und die Haushaltsplanung ergab im Agrarbereich eine besonders ungünstige Ausgangslage. Daran darf ich hier noch einmal erinnern. Die Ansätze in der mehrjährigen Haushalts- und Finanzplanung waren gegenüber 1969 erheblich gekürzt. Sie, meine Damen und Herren der Opposition, behaupten, wir wüßten doch, daß die mehrjährige Finanzplanung fortgeschrieben worden sei, und auch die CDU habe erklärt, daß sie die Kürzungen 1970 wieder rückgängig gemacht habe. Sie haben diese Regierung heftig kritisiert, weil die Ansätze der Gesamthaushalte zu hoch und nicht konjunkturgerecht seien. Bei Ihrer mehrjährigen Finanzplanung ist allerdings deutlich geworden, daß sich der Agrarbereich aus Ihrer Sicht für Kürzungen besonders eignet. Ich darf dazu mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze aus dem Artikel des damaligen Landwirtschaftsministers Höcherl zum Thema „Der Agrarhaushalt in der mehrjährigen Finanzplanung" zitieren. Es heißt dort: Wenn aber das Bundeskabinett die Fehlbeträge möglichst gerecht aufbringen wollte, konnte es an dem großen Ausgabenblock des Bundesministeriums nicht vorbeigehen, vor allem wenn man bedenkt, daß die meisten Ausgaben des Bundeshaushalts gesetzlich festgelegt sind. Und an anderer Stelle heißt es in dem Artikel: Der Spielraum für die klassischen Förderungsmaßnahmen wird mit der zwangsläufigen Steigerung der EWG-Ausgaben immer geringer. Das heißt doch aber, daß, wie es auch in einem anderen Papier ausgedrückt wurde, die steigenden Mittel für eine gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft eine entsprechende Reduzierung der Mittel für die nationale Agrarpolitik zur Folge haben sollten. Meine Damen und Herren von der CDU, wir haben dagegen 1970 rund 200 Millionen DM, die bei den Marktordnungsausgaben eingespart wurden, für nationale Maßnahmen verwendet. Auch das hat es bei Landwirtschaftsministern Ihrer Fraktion noch niemals gegeben. Sie haben zwar daraus gelernt - Ihre entsprechenden Anträge in den Haushaltsberatungen beweisen es -, sind aber prompt, meine ich, ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, indem Sie bereits etwas verteilen wollen, was definitiv noch gar nicht eingespart war. Wir sind bei diesen Maßnahmen realistischer und werden zum entsprechenden Zeitpunkt wie im vorigen Jahr darauf zurückkommen. ({0}) Eine wichtige Initiative des Landwirtschaftsministeriums, die von mir bereits in der Agrardebatte vor einem Jahr angesprochen wurde, sehe ich darin, daß das Problem der gewerblichen Massentierhaltung aufgegriffen wurde. Von dieser Regierung werden gewerbliche Massentierhalter über das einzelbetriebliche Förderungsprogramm oder auch sonst mit öffentlichen Mitteln nicht gefördert werden. Beim Aufwertungsausgleich über die Mehrwertsteuer wurden die gewerblichen Tierhalter nicht berücksichtigt, und auch beim Flächenausgleich können sie nicht profitieren, weil sie in der Regel keine Flächen bewirtschaften. In der dem Bundestag zugeleiteten Immissionsschutzverordnung ist auf Veranlassung des Landwirtschaftsministeriums eingefügt worden, daß Stallneubauten mit mehr als 1200 Schweineplätzen, 20 000 Legehennenplätzen, 25 000 Jungmastgeflügelplätzen in Zukunft genehmigungsbedürftig im Hinblick auf den Immissionsschutz sein sollen. Die Tierhalter in der gewerblichen Massentierhaltung hatten bisher einen erheblichen Steuervorteil. Vom Landwirtschaftsministerium sind deshalb auf meine Anregung hin dem Finanzministerium Vorschläge zur Beseitigung dieser Wettbewerbsvorteile unterbreitet worden. Wie Ihnen bekannt ist, ist inzwischen erreicht, daß bei Kommanditgesellschaften mit unechten Gesellschafterverhältnissen die steuerliche Anerkennung des Verlustausgleichs versagt wurde. Damit wird verhindert, daß Gewinne aus nichtlandwirtschaftlichen Bereichen mit Verlusten aus gewerblicher Tierhaltung verrechnet werden können. Leider ist damit eine endgültige Lösung noch nicht erreicht. Auch der jetzt anscheinend in aller Eile von der CDU/CSU vorgelegte Antrag auf Drucksache VI/1934 kann das Problem nach meiner Auffassung nicht lösen, weil zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten bestehenbleiben und der Verlust auf andere Weise verdeckt übertragen werden könnte. So weit waren waren wir schon vor einem Jahr. ({1}) - Ja, das habe ich vorgeschlagen und vorgetragen, und die Regierung hat darauf gehandelt. Aber eines darf ich Ihnen sagen, Herr Dr. Ritz, ich freue mich sehr darüber, daß durch unsere Initiative auch Sie dieses Problem endlich erkannt haben; denn Anträge und Anregungen dazu haben ja schon lange vorgelegen. Diese Lösungen, die wir hier anstreben, werden weiter verfolgt werden müssen. Wir Freien Demokraten halten es aber auch für notwendig, daß die eingeleiteten Bemühungen zur Beseitigung der Abschreibungsmöglichkeiten bei Legehennen und Sauen als kurzfristiges Wirtschaftsgut fortgesetzt werden. Auch eine Beimischungsvorschrift für Getreide in Futtermitteln in der EWG ist in diesem Zusammenhang eine sinnvolle Maßnahme. Sie würde außerdem den Vorteil haben, daß damit auch die Überschüsse vermindert werden. Die Lösung des Problems der Massentierhaltung ist meines Erachtens vordringlich, und ich bedaure nur, daß nicht schon frühere Landwirtschaftsminister wirksame Maßnahmen eingeleitet haben. Die hier angesprochenen Maßnahmen werden jedoch nur wirksam sein, wenn sie auch auf EWG-Basis Anwendung finden. Ich hoffe deshalb, daß auch der in Brüssel gemachte Vorstoß zum Erfolg führen wird. ({2}) Präsident von Hassel: Herr Kollege, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. In der Zwischenzeit hat auf der Diplomatentribüne eine Delegation der Türkischen Großen Nationalversammlung unter der Leitung des Präsidenten der Türkisch-Deutschen Parlamentarischen Freundschaftsgruppe, Herrn Abgeordneten Cercel, Platz genommen. Ich habe die Ehre, sie sehr herzlich zu begrüßen. Es ist uns eine große Freude, Parlamentarier aus der Türkei als Gäste in der Bundesrepublik und im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. ({3})

Wilhelm Helms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000863, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren. Das war ein Ausschnitt aus den wichtigsten Maßnahmen und Entscheidungen, die Landwirtschaftsminister Ertl und diese Regierung bisher durchgeführt haben. Diese Leistung hat selbst der Präsident des Deutschen Bauernverbandes als Teil seines Leistungskataloges mit seinem einjährigen Rechenschaftsbericht seinem Präsidium vorgelegt. Ich meine, daß es eine Leistung ist, die sich sehen lassen kann. Ich möchte Herrn Ertl im Namen der FDP-Fraktion hier ausdrücklich meinen Dank aussprechen. ({0}) Ich habe von Leistungen und Maßnahmen gesprochen. ({1}) - Herr Dr. Reinhard, darauf darf ich vielleicht gleich noch kommen. Die Leistungen dieser Regierung für die Landwirtschaft werden durch die augenblicklich ungünstige Erzeugerpreissituation der letzten Monate überschattet. Minister Ertl hat schon die Ursachen für die Unruhe in der Landwirtschaft deutlich gemacht. Ich möchte seiner Analyse noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Ich bin der Meinung, daß aus politischen Gründen, insbesondere wegen der bevorstehenden Wahlen, die sicher nicht sehr günstige Lage der Landwirtschaft teilweise ein wenig übertrieben dargestellt wird. Damit werden wiederum Emotionen und Hoffnungen geweckt - deswegen sage ich das eigentlich nur -, die unter Umständen jeder realistischen Basis entbehren. Das Spiel mit Monatsindizes hat ein ungewöhnliches Ausmaß angenommen. Betrachten wir einmal die Preisentwicklung im Kalenderjahr 1970, so steht fest, daß die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise ohne Ausgleich über die Mehrwertsteuer und ohne Flächenausgleich im Jahre 1970 um 4,5 °A) gegenüber dem Jahr 1969 gesunken sind. Bei der Berechnung des Aufwertungsausgleichsverlustes ist man aber von einer Preissenkung von 6 bis 7 %) ausgegangen. Sicherlich wurde eine günstigere Kostenentwicklung unterstellt; doch sollte auch die Kostenentwicklung - ich habe das schon ausgeführt - nicht dramatisiert werden. Be- trachtet man die Kostensituation differenzierter, als es der pauschale Index erkennen läßt, muß man zu der Erkenntnis kommen, daß z. B. konjunkturpolitisch bedingte Einzelpreissteigerungen nicht alle Landwirte in gleichem Maße betroffen haben. Der unternehmerische Landwirt hatte zum Teil die Möglichkeit - und hat sie auch genutzt -, sich in einem gewissen Rahmen antizyklisch zu verhalten. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten auch bei der Preisentwicklung ehrlich sein und differenzieren. Sie wissen genauso wie wir, daß der Preisverfall in den letzten Monaten auch produktionszyklisch bedingt war. Ich habe bereits ausgeführt, daß sich einige administrativ festgesetzte Preise sogar von den Interventionspreisen abgehoben haben. Den größten Anteil am Verfall der Erzeugerpreise hat der Schweinezyklus. Wir erkennen an, daß die Bundesregierung mit allen Mitteln versucht hat, auf den Schweinemarkt stabilisierend einzuwirken. Mich interessiert, ob jemand aus Ihren Reihen über ein Patentrezept verfügt, wie Angebot und Nachfrage besser aufeinander abgestimmt werden könnten, damit katastrophale Preiseinbrüche, wie wir sie jetzt erlebt haben, verhindert werden können. ({2}) Wir werden uns weiter darum bemühen müssen, die Markttransparenz zu erhöhen. ({3}) - Darauf, wie wir über kostendeckende Preise denken, komme ich gleich noch zum Schluß zu sprechen. ({4}) Warten Sie also ab, Herr Schulze-Vorberg! Wir werden gemeinsam mit dem Bauernverband zu erreichen suchen, daß sich die Landwirtschaft mehr als bisher an Marktprognosen orientiert. Das gilt auch für den Geflügelsektor, auf dem das Angebot primär von unternehmerischen Entscheidungen und nicht z. B. von Witterungseinflüssen abhängt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen Ausführungen wollte ich keine Schönfärberei betreiben und die Lage der Landwirtschaft nicht rosiger darstellen, als sie wirklich ist. Wie die Situation tatsächlich ist, haben wir im Hearing vor einer Woche gehört. Wir haben alle noch die Darstellung im Ohr. Ich sage Ihnen ganz offen: die Lage der Landwirtschaft ist schlecht. Sie ist aber nicht deswegen schlecht, weil diese Regierung eine schlechte Politik gemacht hätte, ({5}) - sondern weil diese Regierung die Verantwortung für die Landwirtschaft in einer ungünstigen Lage übernommen hat. ({6}) Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode Lesen Sie den Grünen Bericht! ({7}) - Gut, ich komme noch darauf. Wir wollen wieder eine gute Position erringen. Ich erinnere an die Disparität im Wirtschaftsjahr 1969/70, Herr Bewerunge, die trotz guter Ernten und trotz guter Schweinepreise beträchtlich war. Das galt auch für Betriebe in Mansholtscher Größenordnung. Wir haben darüber im vorigen Jahr mit Herrn Mansholt diskutiert. Einige Kollegen werden sich noch daran erinnern, daß ich damals gerade diese Frage angesprochen habe. Das betraf besonders Betriebe Mansholtscher Größenordnung, deren Rentabilität insbesondere in den Grünlandgebieten nicht mehr gegeben war. Wer im Agrarbericht nachschaut, wird auch feststellen können, daß in vielen Jahren eine höhere Disparität vorhanden war, als wir sie im Wirtschaftsjahr 1970/71 trotz der ungünstigen Preisentwicklung erwarten können. Sie dürfen das im Agrarbericht überprüfen. Insofern ist die Lage der Landwirtschaft in der langfristigen Entwicklung zusehen und auch langfristig motiviert. Deshalb kann es auch kaum Möglichkeiten geben - das liegt an der Bindung durch den EWG-Vertrag -, hier ganz kurzfristig ad hoc Besserungen herbeizuführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu den agrarpolitischen Maßnahmen. Die Bundesregierung hat im Agrarbericht auf Seite 70 ihre agrarpolitischen Ziele und Maßnahmen klar und deutlich dargestellt. Ich will sie hier nicht wiederholen. Von meiner Fraktion wird diese Zielsetzung voll unterstützt. Langfristig sind von der Bundesregierung vorgesehene Maßnahmen durch das im Agrarbericht vorhandene Projektionsmodell deutlich geworden; es führt jedem die agrarpolitischen Konsequenzen vor Augen. Wir Freien Demokraten ziehen aus dem Projektionsmodell die Folgerung: Erstens. In der EWG muß trotz der verschiedenen gegenläufigen Interessen eine Preispolitik betrieben werden, die gewährleistet, daß die Erzeugerpreise real konstant bleiben, d. h. daß Preiserhöhungen eintreten müssen, die den Kaufkraftschwund mindestens auffangen und die die Preis- und Kostenentwicklung der Umwelt voll mit berücksichtigen. Wenn uns das nicht gelingt, wird ein Umstrukturierungsprozeß ablaufen, dessen soziale Folgen nicht übersehbar sind und der die Landwirtschaft insgesamt gefährdet, weil dann auch gut strukturierte Betriebe noch mehr in Liquiditäts- und Rentabilitätsschwierigkeiten kommen. Zweitens. Die strukturpolitischen Maßnahmen müssen ausgebaut werden, um den laufenden Umstrukturierungsprozeß sinnvoll zu fördern und auch sozial abzusichern. Das einzelbetriebliche Förderungs- und soziale Ergänzungsprogramm ist unseres Erachtens dazu geeignet. Wir halten es mit Minister Ertl für notwendig, daß dieses Programm im Laufe der Entwicklung mit dem Ziel überprüft wird, es eventuell veränderten Verhältnissen anzupassen und die mit ihm gemachten Erfahrungen zu verwerten. Das heißt meines Erachtens auch, daß der reale Einkommenszuwachs in der Gesamtwirtschaft hinsichtlich der Förderungsschwelle und ihrer Fortschreibung ein Maßstab ist, der für den Einsatz des agrarpolitischen Instrumentariums Richtschnur sein muß, um die Rentabilität dieser Betriebe tatsächlich zu gewährleisten. Auch die überbetrieblichen Maßnahmen werden verstärkt fortgeführt werden müssen. Ich denke dabei in erster Linie an die Schaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen in agrarischen Regionen mit der dazugehörigen Infrastruktur. Zu den aktuellen agrarpolitischen Maßnahmen möchte ich für die FDP wie folgt Stellung nehmen. Wir unterstützen das auch vom Bundeskabinett gebilligte Verhandlungsziel von Minister Ertl, bei den Ministerratsverhandlungen merkliche Preisanhebungen zu erreichen. Der Kommissionsvorschlag reicht unseres Erachtens keinesfalls aus, um den Erfordernissen der deutschen Landwirtschaft zu genügen und insbesondere den entwicklungsfähigen Betrieben eine Verbesserung zu bringen. Wenn man diesen Betrieben gerecht werden will, muß dieser Vorschlag der Kommission verbessert werden und muß eine Erhöhung erfolgen. Die Vorschläge der Opposition, die schon jetzt von einem nicht erreichten Verhandlungsziel ausgehen, schwächen meines Erachtens die Verhandlungsposition und verwirren. ({8}) Wir müssen zunächst alle Verhandlungsmöglichkeiten ausschöpfen. Hier haben wir doch hinsichtlich der Vergangenheit Kritik zu üben. Sollte es dennoch nicht gelingen, den Kommissionsvorschlag zu verbessern, meine Herren, muß nach Meinung der FDP eine nationale Kompensation erfolgen. Dabei denken wir in erster Linie an Maßnahmen und zusätzliche Leistungen, die auf der Kostenseite die Betriebe entlasten, und eventuell auch an die Mehrwertsteuer. Der von der CDU in diesem Zusammenhang in die Diskussion gebrachte Vorschlag, die Mehrwertsteuererhöhung wie bei der Aufwertung aus öffentlichen Mitteln aufzufangen, ist vielleicht doch unrealistisch, weil die Haushaltslage das wohl nicht zuläßt. Die strukturpolitischen Vorschläge der EWG-Kommission halten wir für unrealistisch, weil sie wieder die Landwirtschaft isoliert von allen anderen Entwicklungsbereichen betrachten. In diesem Bereich einer gemeinsamen Strukturpolitik ist unsere Zustimmung nur denkbar, wenn eine feste Koppelung an Fortschritte bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion erfolgt und in der ersten Phase eine Ausdehnung des Plafonds unterbleibt. In der EWG halten wir außerdem zwei Probleme für dringend lösungsbedürftig. Erstens halten wir es für dringend erforderlich, daß das Problem der Massentierhaltung im Sinne einer flächengebundenen Veredelungswirtschaft geregelt wird. Dazu ge6170 hört auch die von mir schon geforderte Beimischungsvorschrift für Getreide bei der Herstellung von Futtermitteln. Zweitens sind wir der Ansicht, daß der Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und die Beseitigung von Diskriminierungen im innergemeinschaftlichen Handel notwendig sind. Die Wettbewerbsverzerrungen in der EWG sind sehr groß und haben eine ungewöhnliche Bedeutung für die gesamte Landwirtschaft. Die FDP erinnert die Bundesregierung daran, daß eine vollständige Erfassung der vorhandenen Wettbewerbsverzerrungen, verbunden mit Vorschlägen zu ihrer Beseitigung, dringend erforderlich ist. ({9}) - Wir halten es nun einmal so. Das gilt vor allem für die Einfuhr von Ernährungsgütern aus unseren EWG-Partnerländern, bei der viel mehr als bisher darauf zu achten ist, daß sie zum Schutz unserer Verbraucher unter Beachtung deutscher Lebensmittelvorschriften erfolgt. Diese Regierungskoalition ist mit dem Vorsatz angetreten, die Bevölkerung mehr und sachlicher zu informieren. Von dieser Regierung ist seit Beginn der Legislaturperiode und insbesondere in diesem Agrarbericht und durch das Hearing des Ernährungsausschusses die Lage der Landwirtschaft offen dargestellt worden. Wir Freien Demokraten wünschen uns, daß die Beziehungen zwischen Erzeugung, Markt und Endverbrauch ein ähnlich hohes Maß an Durchsichtigkeit erfahren. I) Ich komme zum Schluß. Mit Minister Ertl wird aus den Reihen der FDP ein Landwirtschaftsminister gestellt, der Initiative entwickelt, die Probleme und Sorgen der deutschen Landwirtschaft kennt und ihre Interessen nachhaltig vertritt. Er hat sich deswegen innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft großes Vertrauen erworben. Die FDP unterstützt seine agrarpolitische Konzeption mit Nachdruck. Ich wünsche Herrn Ertl im Namen der FDP-Fraktion Verhandlungserfolge in Brüssel. Er hat bei seinen Bemühungen die volle Unterstützung unserer Fraktion. ({10}) Präsident von Hassel: Verehrter Herr Kollege Helms, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß die Geschäftsordnung vorsieht, daß die Rede frei zu halten ist, daß nur in Ausnahmefällen schriftliche Unterlagen gebraucht werden dürfen und daß deren Verwendung nur mit Zustimmung des Präsidenten erfolgen kann. Ich darf Sie bitten, das in Zukunft zu berücksichtigen. Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, sich angesichts der Rednerliste an § 37 der Geschäftsordnung zu halten. Ansonsten danke ich Ihnen, Herr Abgeordneter Helms, daß Sie Ihre Redezeit um vier Minuten unterschritten haben. Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Schmidt ({11}). Die SPD-Fraktion hat für ihn 25 Minuten Redezeit beantragt.

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Haus scheint sich in einem Punkt einig zu sein, nämlich darin, daß der vorgelegte Agrarbericht in der veränderten Form ein Fortschritt ist und Anerkennung verdient. Mein Kollege Löffler wird dazu noch einige weitere Ausführungen machen. Doch damit ist die Einigkeit schon zu Ende, und nun beginnen die Kontroversen. Herr Kollege Bewerunge, ich bin in der Tat anderer Meinung: ich halte die Rede von Herrn Kollegen Ertl für eine außerordentlich ausgewogene Rede, die der Sache mehr dient, als wenn er sich hier in Eskapaden ausgelassen hätte. ({0}) Es war nicht verwunderlich, Kollege Bewerunge, daß Sie, als Sie das Wort ergriffen, teilweise in demagogischer Weise gesprochen haben. ({1}) Ich stelle fest, daß wir heute den dritten Aufguß über dasselbe Thema hatten. Es ist im November darüber diskutiert worden, wir haben während der Haushaltsdebatte darüber gesprochen, ({2}) und Ihre heutigen Ausführungen sind der dritte Aufguß. Ich kann nur sagen: er ist wesentlich dünner geworden! ({3}) Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich das, was Sie hier alles gesagt haben, nicht so im Raum stehenlasse. Es beginnt sofort mit der Feststellung - da sind wir mit Ihnen einig -, daß man das Rumoren in der Landwirtschaft nicht bagatellisieren darf. Man muß es ernst nehmen, und das tun wir auch. Aber es ist einfach unzulässig, dafür allein die Preis-Kosten-Schere verantwortlich zu machen, wie Sie es getan haben. ({4}) - Ich erinnere Sie daran - Sie waren damals schon im Bundestag -, daß Anfang der 60er Jahre die Lage noch schlimmer war als heute. Ich will Ihnen einmal aus einem Protokoll des Bundestages folgendes vorlesen - Herr Präsident, Sie gestatten -: Ich verweise auf die großen Preiseinbußen auf dem Milchsektor. Ich verwaise auf die Preiseinbußen, die für Eier und Geflügelfleisch eingetreten sind. Ich verweise auf die zum Teil völlig zusammengebrochenen Erzeugerpreise für Schweine und auf die erheblichen Preisminderungen im Rindersektor. Ja, ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage: wir haben im Augenblick in der Veredelungswirtschaft Preise, die eigentlich vor sechs und acht Jahren für selbstverständlich und angemessen gehalten wurden. Zum Schluß sprach der Betreffende vom völligen Zusammenbruch ,des Erzeugerpreisniveaus. Das war Dr. Schmidt ({5}) ein von mir hochgeschätzter Kollege, Kollege Struve, im Jahre 1960. ({6}) Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Struve?

Detlef Struve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Schmidt, wenn Sie schon zehn Jahre zurückgehen und das jetzt auf die Gegenwart beziehen, dann darf ich tragen, ob Sie das heutige Preis-Kosten-Verhältnis einmal in Parallele zu 1960 stellen wollen. Das ist meine erste Frage. Vielleicht ist mir noch eine zweite Frage gestattet: Ist Ihnen entgangen, daß Kollege Bewerunge in seinen Ausführungen erneut darauf hingewiesen hat, daß weder die Regierung noch die Koalition sich mit dem Problem beschäftigen - das im Gegensatz zu 1960 mit saisonalen Preiseinbrüchen gar nichts zu tun hat -, daß, durch die Aufwertung bedingt, das Preisgefüge innerhalb der EWG, zwischen den sechs Partnern, völlig auseinandergebrochen ist? Die einen haben 20 %, die anderen haben etwa 10 % Preisvorsprung vor der deutschen Landwirtschaft. Das ist doch das Kernproblem! Bitte, äußern Sie sich dazu, wie Sie das beseitigen wollen! ({0})

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als Sie damals Ihre Ausführungen machten, Herr Kollege Struve, hatten wir bei den gewerblichen Produkten auf dem Kostengebiet einen durchschnittlichen Preisanstieg von 4 %. Das war 1960. Es gibt aber ein Jahr, das noch viel schlimmer ist und in dem Sie allein regiert haben. Ich würde das gar nicht anziehen, wenn Sie uns nicht ständig diesen Vorwurf machten und nicht der Regierung allein die Verantwortung für diese Preisentwicklung zuschöben. Ich würde darüber hinweggehen, weil das nämlich keine Regierung kann. ({0}) Zum zweiten wissen Sie doch auch, daß die Regierung sich bemüht hat, die Konsequenzen der Aufwertung durch den Einkommensausgleich zu mildern. Die übrigen Kostensteigerungen, die zu verzeichnen sind, sind infolge der konjunkturellen Entwicklung aufgetreten. Das müssen Sie doch zugeben. Nun ein zweites Jahr! Herr Kollege Struve, ich habe es schon gesagt: Das Jahr 1964/65 war für die Landwirtschaft noch schlimmer, wesentlich schlimmer als die gegenwärtige Situation im Wirtschaftsjahr 1970/71. Lesen Sie es doch einmal nach, dann werden Sie das schon finden. Ich meine also, die Preis-Kosten-Schere allein tut es nicht. Die Verunsicherung der Landwirte - darin stimme ich auch mit dem Minister überein - liegt doch viel tiefer und liegt länger zurück. Ich darf nur auf den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes verweisen, der auch auf der Kundgebung hier in Bonn gesagt hat, daß die Ursachen für diese Demonstration nicht bei der jetzigen Regierung, sondern Jahre vorher liegen. Das sollten Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen. ({1}) Ich widerspreche, Herr Bewerunge: Die Informationspolitik der CDU/CSU und Ihrer Regierungen war ungenügend. Was haben Sie jahrelang beschworen, was habe ich jahrelang hier in diesem Hause widersprochen! Ich habe widersprochen dieser Taktik, alles nur beim alten zu lassen und zu sagen: es darf nichts passieren, keinen Fortschritt, alles soll so bleiben, wie es ist. Sie haben der Landwirtschaft einfach nicht gesagt, daß sich im wirtschaftlichen Bereich einige Veränderungen gezeigt haben, die sie zur Kenntnis nehmen muß. ({2}) - Einen Augenblick! ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Der Redner läßt im Augenblick keine Zwischenfragen zu.

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wollen Sie leugnen, Herr Kollege Bewerunge, daß wir im sozialen Bereich seit dem Jahre 1957 nur im Schnekkentempo gefahren sind? Wollen Sie leugnen, Herr Kollege Bewerunge, daß Ihre Regierungen es damals unterlassen haben - im Gegensatz zu den Franzosen -, die deutsche Landwirtschaft auf die Entwicklung in der EWG vorzubereiten? ({0}) Wollen Sie leugnen, Herr Kollege Bewerunge, daß die Regionalpolitik, deren Bedeutung für die Landwirtschaft doch schon seit dem Ende der fünfziger Jahre bekannt ist, der Motor der agrarischen Entwicklung, erst mit dem Bundesminister Schiller aktiver betrieben worden ist? ({1}) - Natürlich! Das, was wir weiter kritisch anzumerken haben, ist doch die Tatsache, daß wir die Aufbaujahre - ({2}) Ach, Herr Schulze-Vorberg, damals haben Sie Artikel geschrieben; davon verstehen Sie nichts. ({3}) Meine Kritik geht nur dahin, daß man, Herr Barzel, die Aufbaujahre im Grunde genommen ungenützt gelassen hat. Das ist meine allgemeine Bemerkung. Oder noch eine Bemerkung: Wollen Sie z. B. leugnen, daß wir in der entscheidenden Gesetzgebung vom Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre praktisch eine Fehlanzeige haben? Das einzige, was Sie zustande gebracht haben, war doch das EWG-Anpassungsgesetz, das Sie nach Dr. Schmidt ({4}) einem halben Jahr wieder gestrichen haben. Das ist doch die Situation. ({5}) - Sie können gleich die Frage stellen. Jetzt rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit doppelt. Wenn Sie uns das allein anlasten, überschreitet das einfach die Grenze des Erträglichen. ({6}) Herr Kollege Bewerunge, ich weiß, daß Sie ein guter Kirchgänger sind. Aber ich würde Sie bitten: Nehmen Sie sich, bevor Sie das nächste Mal ins Gotteshaus gehen, die Bibel vor und lesen Sie nach Matthäus 7, Vers 3 und 5! Dann werden Sie vielleicht einmal ein bißchen anders handeln. ({7}) - Sie kennen doch die Bibel besser als ich. Diese Bibelstelle paßt auf Ihre Ausführungen heute ganz genau. ({8}) - Nein. Nachher können Sie fragen. ({9}) - Na gut, kommen Sie!

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, darf ich drei Fragen wiederholen?

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erst einmal nur eine Frage!

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben von dem nicht erfüllten EWG-Anpassungsgesetz gesprochen. Ist Ihnen bekannt, daß Wirtschaftsminister Schiller nicht 770 Millionen DM, sondern nur 500 Millionen DM zur Verfügung stellen wollte? Ist Ihnen zweitens bekannt, daß Sie in der Großen Koalition die Altersversicherung abgelehnt haben und neuerdings wieder? Wie kommen Sie dazu, der CDU Vorwürfe zu machen, sie habe in der Sozialpolitik nichts getan? Wir machen keine Vorschläge; wir handeln. Sie aber leben von großen Bildern.

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hinsichtlich der Sozialpolitik habe ich von Schneckentempo gesprochen. Wenn Sie meinen, daß allein die Altershilfe das ganze Problem der ländlichen Sozialversicherung sei, dann irren Sie sich. ({0}) - Welche Mühe hatten wir denn, in dieser Frage mit Ihrem Haufen überhaupt weiterzukommen! ({1}) - Ich entschuldige mich für diesen Ausdruck. ({2}) - Das weiß ich. Soll ich es Ihnen vorlesen? ({3}) - Nein, Sie nennen sich doch christlich, Sie kennen die Bibel doch besser als wir. ({4}) - Lesen Sie es einmal nach. Zur Frage des EWG-Anpassungsgesetzes nur noch eines, Herr Kollege Bewerunge. Das wurde 1965 gemacht, und nach der Bundestagswahl wurde es von der Regierung Erhard zu großen Teilen wieder zurückgenommen. Die Landwirtschaft hat natürlich Anspruch, zu erfahren, was in der nächsten Zeit getan werden soll. Die Bundesregierung hat ihre Ziele abgesteckt, sie stehen im Agrarbericht. Wir stimmen diesen Zielen und Vorstellungen in vollem Umfang zu. Ich darf mir erlauben, nur zwei, drei Gesichtspunkte ein bißchen mehr hervorzuheben. In der Landwirtschaft, in der Öffentlichkeit steht die Markt- und Preispolitik im Vordergrund. Das ist verständlich. Wir kennen die Situation. Einerseits gibt es keine Wirtschafts- und Währungsunion; sie steht erst in den Anfängen. Die Konjunkturpolitik ist jedem Land überlassen. Andererseits ist die Landwirtschaft auf der EWG-Seite preismäßig gebunden. Daraus entstehen Spannungen. Diese gegenwärtige Problematik ist uns allen bekannt. Wir verniedlichen sie nicht, wir nehmen das hin und versuchen, damit fertig zu werden. Aber jede Dramatisierung dieser Situation ist eben fehl am Platze, Herr Kollege Bewerunge. ({5}) Brüssel ist am Zuge. Die Vorschläge sind Ihnen bekannt. Ihnen dürfte auch bekannt sein, daß die Meinungen darüber innerhalb der EWG-Länder außerordentlich unterschiedlich sind. ({6}) - Das weiß ich; aber das müssen Sie hinnehmen. Zweitens wissen Sie auch, welche Absichten die Koalition hat, meine Damen und Herren von der Opposition. Das können Sie in der Drucksache VI/ 1812 nachlesen. Wir haben uns damals geweigert, Zahlen hineinzuschreiben, um den Verhandlungsspielraum der Regierung eben nicht einzuengen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß es gut war, diesmal so zu verfahren wie die Franzosen, daß man sich nämlich mit Einzelangaben möglichst weit zurückhält, weil man sonst von vornherein mit einer gebundenen Marschroute in die Verhandlungen geht. Zwei Gesichtspunkte sind für meine Fraktion für die Verhandlungen in Brüssel ganz wichtig und bedeutungsvoll. Der eine Punkt ist, daß das Junktim Dr. Schmidt ({7}) im Kommissionsvorschlag zwischen Struktur und Preis aufgehoben werden muß - wir beziehen uns dabei auf die gemeinsame Entschließung des Bundestags vom November -, und zwar aus sachlichen wie aus politischen Erwägungen. Das zweite Erfordernis ist folgendes. Soweit ich sehe, bemüht sich die Bundesregierung darum, mit anderen Ländern gemeinsam, daß die Preisvorschläge bis zum 1. April verabschiedet werden, damit unsere Landwirte wissen, woran sie sind. Ich meine, das System des Uhrenanhaltens und der Verzögerungen gehört der Vergangenheit an, sollte der Vergangenheit angehören. Damit wirbt man keine Freunde für den europäischen Gedanken. Wir wünschen auch, daß die Bundesregierung in der nächsten Woche erfolgreich sein wird. Was dann zu tun übrigbleibt, meine Damen und Herren von der Opposition, darüber werden wir später reden, aber erst dann. Wir werden Ihnen auf Ihre Fragen, die Sie sicher noch stellen werden, keine Antwort geben, weil das im Interesse des Ganzen nicht gut wäre. Aber, meine Damen und Herren, wir denken bei den Preisvorschlägen auch - auch! - an den von Ihnen so oft zitierten Professor Weinschenck. Der hat nämlich in der großen Anhörung des Ausschusses bei der Erläuterung der Zusammenhänge von dem dünnen Faden gesprochen, an dem die europäische Agrarpreispolitik hängt. Ich will das nicht vertiefen. Wir kennen die Schwierigkeiten, und die bleiben auch in den kommenden Jahren auf der Tagesordnung. Der Balanceakt mit den Preisen wird schon deswegen außerordentlich schwierig sein, weil wir ja in der Agrarproduktion mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 3 bis 4 %, aber mit einer Nachfragesteigerung von nur 1 bis 1,5 % zu rechnen haben. Und das macht die Lösung so schwierig. Patentrezepte, wie sie uns noch im Jahre 1970 angeboten worden sind - nicht durch Ihre Seite, aber in der landwirtschaftlichen Öffentlichkeit; da sprach man von einem Kontingentierungssystem, das aber bereits gestorben ist -, gibt es nicht. Das neue Schlagwort kommt auch nicht aus Ihren Reihen; es kommt von den Verbänden. Es lautet: Dynamisierung der Preise. Als ich das zum ersten Male hörte, glaubte ich, das sei ein Karnevalsscherz, aber es scheint den Erfindern damit doch ernster zu sein. Aber diesen Erfindern jener These von der Dynamisierung der Preise möchte ich nur sagen, daß sie wohl ABC-Schützen der Volkswirtschaft anheimgefallen sind. Und der letzte Wundermann in dieser Reihe ist Herr Lemke aus dem nördlichen Land, seines Zeichens Ministerpräsident, ({8}) der glaubt, mit einem Griff in das Füllhorn der Mehrwertsteuer alle Probleme mit einem Schlage lösen zu können. ({9}) Der Herr Lemke scheint ein - ({10}) - Das war doch ein vernünftiger Zug! ({11}) Und dafür hatten wir die Zustimmung des Ministerrates! ({12}) Darum geht es. Herr Lemke scheint ein sehr ehrenwerter Mann zu sein. ({13}) Aber sein Vorschlag ist doch zu billig; da merkt man doch den Wahltheaterdonner von vornherein. ({14}) Oder sollte man wirklich meinen, er habe nichts von der notwendigen Brüsseler Zustimmung gewußt? Sollte man wirklich meinen, Herr Lemke habe nicht gewußt, daß das zu Lasten des Bundes und seines eigenen Landes geht? ({15}) Jetzt wird mir klar, daß das Land Schleswig-Holstein einen neuen Chef braucht. ({16}) Aber zu diesem Teil wird mein Kollege Löffler noch einiges zu sagen haben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine andere Seite des Markt- und Preisproblems berühren. Ich bin der Meinung - und diese Meinung wird von der Landwirtschaft geteilt -, daß die Landwirtschaft mehr Verantwortung im Markt selbst übernehmen muß. Wir haben ihr gemeinsam damals im Bundestag die Instrumente in die Hand gegeben. Diese Instrumente werden teilweise nicht richtig genutzt. Ich teile auch die Meinung des Präsidenten Heereman, der besonders in Münster gesagt hat - aber auch der Generalsekretär, Herr Dr. Schnieders, hat dies bei der Anhörung ganz deutlich gemacht -, daß der Hauptansatz der agrarischen Selbsthilfe in der Beherrschung der Produktion liegt. Dieses Thema steckt noch in den Kinderschuhen. Das bedeutet natürlich auch: Verbesserung der Markttransparenz. Ich gebe zu, das ist nicht leicht, es ist, wenn ich an den von Herrn Bewerunge schon zitierten Schweinezyklus denke, wirklich eine schwierige Geschichte. Ich will das nicht weiter vertiefen, aber da gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Jedenfalls werden sich meine Freunde und, wie ich glaube, auch die Dr. Schmidt ({17}) ganze Koalition um diese Marktfragen in Zukunft mehr denn je kümmern. ({18}) - Das sind keine Versprechungen! Wir werden das tun; Sie werden es ja sehen. Wir haben bisher immer unser Wort gehalten, und es sollte auch der Opposition nicht schwerfallen, bei diesem Thema mitzuwirken. Im Grunde genommen ist das ja kein strittiger Punkt. Aber wir unterstreichen auch die Feststellung dieses berühmten Professors Weinschenck, der gesagt hat, daß das Markt- und Einkommensgleichgewicht in der Landwirtschaft auf die Dauer nur durch eine Koordination, durch einen koordinierten Einsatz von Struktur-, Sozial- und Regionalpolitik hergestellt werden kann. Zu den regionalpolitischen Aspekten wird mein Kollege Welslau sich bereithalten. Lassen Sie mich zum Thema Sozialpolitik eine kurze Anmerkung machen. Die Koalition hat diesem Thema einen besonderen Schwerpunkt eingeräumt. Kollege Schonhofen wird darstellen, worum es dabei geht. Auf die Dauer gesehen werden wir nicht umhinkönnen - darüber sind wir uns doch sicher einig -, die Sozialleistungen in der EWG zu marmonisieren. Dieser Frage kommt eine große Bedeutung in vielerlei Hinsicht zu. Wir möchten schon heute die Regierung bitten, dieses Thema vorzubereiten, damit entsprechende Schritte in Brüssel im Laufe der Zeit unternommen werden können; denn das ist kein Thema, das von heute auf morgen abgehandelt werden kann, sondern uns viele Jahre in Anspruch nehmen wird. ({19}) - Ja, aber wir wollen noch einmal besonders herausstreichen, daß wir dem besonderes Augenmerk widmen wollen. Noch ein Wort zu den Strukturentwicklungen. Herr Kollege Struve, da teilen wir nicht ganz Ihre Meinung. Wir schließen uns der Feststellung im Agrarbericht an, daß die Agrarpolitik ohne eine aktive regionale Wirtschaftspolitik überhaupt nicht mehr denkbar ist. ({20}) - Das habe ich ja gesagt. - Die Anhörung hat das bestätigt und sogar unterstrichen. Wir haben von niemandem einen Widerspruch gehört. Aber wir müssen den Landwirten reinen Wein einschenken und ihnen sagen, wohin die Entwicklung gehen wird. Das ist ein langsamer Prozeß. Die Zahlenreihen aus den Jahren 1960 bis 1970 - vergleichen Sie die! - werden sich in unverminderter Stärke fortsetzen. Wir kennen auch die Gründe, die den Landwirt daran hindern, sich von Grund und Boden zu trennen. Wir kennen die Hemmungsfaktoren für eine Umschulung des jungen Landwirts. Die Untersuchungen der Agrarsozialen Gesellschaft und anderer Institute haben das ergeben. Wir wissen auch, Herr Kollege Struve, wie schwer es ist, wenn ein Landwirt die Entscheidung fällen muß, einen anderen Erwerb oder einen Zuerwerb zu nehmen. Wir wissen, wie schwer es ist, wenn er sogar sein Vieh wegeben muß. Das sind, menschlich gesehen, alles schwere Entscheidungen. Dennoch geht die Entwicklung in rasantem Tempo weiter, vielleicht viel stärker, als manche annehmen. ({21}) - Dafür sorgen wir. ({22}) - Auch da. Wir haben doch schon gute Anfänge. In den Jahren 1969 und 1970 haben wir hervorragende Ergebnisse erzielt. Wollen Sie das bestreiten? Aber das muß sich fortsetzen. Mit einem Schlage können Sie das natürlich nicht haben. Das Hauptkriterium für die Entwicklung der Landwirtschaft wird in Zukunft nicht sosehr der technische und wissenschaftliche Fortschritt, sondern werden nach meiner persönlichen Überzeugung die veränderten Wertvorstellungen sein, die der junge Mensch gegenüber dem Leben, der Arbeit, der Wirtschaft und der Landwirtschaft hat. Professor Niehaus, der Senior der wissenschaftlichen Agrarpolitik, hat ein hervorragendes Beispiel gebracht. Ich möchte es Ihnen nicht vorenthalten. Professor Niehaus sprach davon, wie noch vor zehn Jahren der wirtschaftende Bauer dastand: hinter ihm sein Vater, vor ihm sein Sohn und vielleicht auch vor ihm sein Enkel, alle schauten nicht links und nicht rechts, sondern nur geradeaus; alle Blicke waren auf den Hof gerichtet. Heute ist das völlig anders. ({23}) - Nein, keine Kehrtwendung. Heute schaut der Sohn des Bauern nicht nur geradeaus, sondern auch nach links und nach rechts. ({24}) - Endlich sind wir uns wenigstens einmal im Lachen einig. Heute schaut der Bauer nach beiden Seiten. Er sieht, was der andere, der Nachbar auf der einen und auf der anderen Seite, verdient, er sieht, wie dieser sein Leben gestaltet und welche Erfolge er hat. Diese sich anbahnenden veränderten Wertvorstellungen werden in Zukunft der Motor der agrarischen Entwicklung sein. Meine Damen und Herren, in dieser Entwicklungszeit dürfen wir die Landwirte nicht alleinlassen. Wir müssen ihnen Alternativen bieten. Und wir bieten ihnen diese Alternativen - das mag Ihnen unbequem erscheinen - mit dem Investitions- und sozialen Ergänzungsprogramm, das fortgeschrieben wird. Ich kann nur wünschen, daß die Regierung alles daransetzt, damit auch der letzte Punkt dieses Programms jedem Bauern bekannt ist. ({25})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter, Sie wurden vorhin durch Zwischenfragen unterbrochen. Sie können also noch fünf Minuten sprechen.

Dr. R. Martin Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002014, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme auf einen letzten Punkt, auf die europäische Entwicklung zu sprechen. Wir alle sind stolz auf die Integration. Wir sind mehr oder weniger glücklich darüber, daß wir auf dem landwirtschaftlichen Gebiet so weit vorangekommen sind. In anderen Bereichen ist man demgegenüber noch weit zurück. Das ist natürlich schlimm. Aber ich finde, es ist nicht ganz in Ordnung, daß Sie jetzt, vor allen Dingen draußen im Lande, den Grünen Dollar so stark zu einem Popanz aufbauen. In der Haushaltsrede des Kollegen Struve war davon die Rede, daß allein der Grüne Dollar die Bauern bedrohe. Ich könnte Ihnen darauf eine polemische Antwort geben, aber ich will das vermeiden. Ich will auch das Thema „Grüner Dollar" hier nicht weiter vertiefen. Darüber werden andere noch sprechen. Ich möchte hier aber doch einer tiefen Sorge Ausdruck geben. Die Länder der Gemeinschaft greifen immer mehr zu eigenen Maßnahmen. In allen Ländern werden Beihilfen jeglicher Art gegeben. Jedes Land macht mit den staatlich beeinflußbaren Kostenfaktoren, was es will. Die einen erhöhen die Tarife, die anderen geben Betriebsmittelsubventionen. Die Liste dieser nationalen Maßnahmen ist lang. Diese Maßnahmen sind kaum noch zu quantifizieren. Dadurch werden die Wettbewerbsunterschiede immer stärker. Die Kommission und der Rat sind aufgefordert, dem ein Ende zu machen, ehe eine völlige Renationalisierung der Agrarpolitik eingeleitet wird. Es kommt nicht darauf an, Sprengsätze am Grünen Dollar anzubringen. Es kommt vielmehr darauf an, daß wir nunmehr in der Agrarpolitik der EWG in eine innere Konsolidierungsphase eintreten. Das scheint mir die Hauptaufgabe der nächsten Jahre zu sein, denn nach wie vor hat die europäische Entwicklung Vorrang. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, bevor ich dem Herrn Bundesfinanzminister das Wort gebe, möchte ich eine Bemerkung machen. Ich habe vorhin vernommen, daß ein Mitglied dieses Hauses einem anderen zugerufen hat: „Davon verstehen Sie nichts!" Abgesehen davon, daß das nicht sehr höflich ist, meine ich, daß dies dem Selbstverständnis unseres Hauses nicht entspricht. Wenn nur die Fachleute an Plenarsitzungen teilnähmen, könnten wir die Ausschußsitzungen gleich öffentlich abhalten und uns die Plenarsitzungen schenken. ({0}) Die Agrarpolitik, um die es heute vormittag geht, die Hochschulpolitik, um die es heute nachmittag geht, ebenso wie Justiz-, Verteidigungs- und Finanzpolitik - oder welche Politik auch immer - sind immer Angelegenheit des ganzen Hauses. Die Fachleute sollten sich freuen, wenn die anderen Kollegen auch mit innerer Anteilnahme an den Debatten teilnehmen. ({1}) Das Wort hat Herr Minister Dr. Möller. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorschlag, die Einkommenslage der Landwirtschaft mit umsatzsteuerlichen Maßnahmen zu verbessern, beruht, wie sich aus der Debatte am heutigen Vormittag bereits ergeben hat, auf einem bereits praktizierten Verfahren. Anläßlich der Aufwertung der Deutschen Mark im Herbst 1969 sind der deutschen Landwirtschaft zum Ausgleich von Einkommensverlusten finanzielle Hilfen zugestanden worden, unter anderem Vergünstigungen im Hinblick auf die Mehrwertsteuer. Der Steuersatz für landwirtschaftliche Produkte wurde dabei von bis dahin 5 auf 8 v. H. erhöht. Gleichzeitig wurde die fiktive Vorsteuerpauschale durch Gewährung eines zusätzlichen Kürzungsanspruchs faktisch ebenfalls von 3 auf 8 v. H. angehoben. Hierdurch erhält die Landwirtschaft bei einer realen Vorsteuerbelastung von etwa 5 v. H. eine effektive Vergünstigung von 3 v. H. ihres Absatzes oder in Höhe von 900 Millionen DM im Jahre 1971. Dieses Instrument einer steuerlichen Einkommenshilfe soll nach dein Wunsch der CDU/CSU-Fraktion nunmehr in einer Weise ausgebaut werden, daß der besondere Kürzungsanspruch der Landwirtschaft um weitere 3-v. H.-Punkte angehoben wird. Für 1971 würde sich dabei ein Steuerausfall von 900 Millionen DM ergeben; auf den Bund entfallen 70 v. H., gleich 630 Millionen DM. Dieser Vorschlag kann nicht als gangbarer Weg für die Lösung der Einkommensprobleme der Landwirtschaft angesehen werden. Bereits der umsatzsteuerliche Aufwertungsausgleich für die Landwirtschaft ist in Brüssel im Hinblick auf die Art. 92, 95 und 96 des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und mit erheblichen Bedenken zugelassen worden. Abgesehen von der Unmöglichkeit, in Brüssel eine Zustimmung zu den Vorstellungen der CDU/CSU zu erhalten, ({2}) sprechen aber auch steuersystematische Überlegungen gegen eine Realisierung des Vorschlages. Die Tatsache, daß bei einer solchen Regelung die auf den Verkaufsrechnungen der Landwirte ausgewiesene Umsatzsteuer, die bei den Landproduktenhändlern als Vorsteuer abzugsfähig ist, vielfach höher wäre als die den weiteren Abnehmern zu berechnende Steuer, würde in aller Regel zu einer laufenden Rückerstattung von Umsatzsteuern durch das Finanzamt an diese Händler führen. Abgesehen davon, daß eine solche Praxis permanenter Erstattungen der zweiten Umsatzsteuerharmonisierungsrichtlinie widerspricht, würden hierdurch im gewerblichen Bereich starke Anreize zu Steuermanipulationen geschaffen. Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Außerdem muß ich darauf hinweisen, daß die vorgeschlagene Maßnahme in Fällen der Direktverkäufe an Letztverbraucher bei dem vorgeschlagenen hohen Satz die Gefahr in sich birgt, daß die Abnehmer nicht bereit sein könnten, beim unmittelbaren Bezug vom Landwirt eine um 5,5 v. H. höhere Steuerbelastung hinzunehmen. Direktbezug findet besonders hei Eiern, Kartoffeln, Obst und Gemüse statt. Aus all diesen Gründen kann eine Verbesserung der Einkommenslage in der Landwirtschaft mit Hilfe der Mehrwertsteuer nicht erfolgen. Die alternativ vorgeschlagene Lösung, die Mehrwertsteuern auf die Verbraucherpreise durchschlagen zu lassen, würde nicht zu Steuerausfällen, dafür aber zu einer Erhöhung der Preisindexziffer für die Lebenshaltung um ungefähr 1 v. H. führen. Der Antrag der Opposition auf Drucksache VI/1933 würde folgende Mehraufwendungen verursachen: in 1971 für das letzte halbe Jahr 180 Millionen DM, in 1972 360 Millionen DM, in 1973 380 Millionen DM und in 1974 420 Millionen DM. Diese Mittel sind im geltenden Finanzplan nicht vorgesehen. Die von der Opposition vorgeschlagene Anhebung der Altershilfe ist eine Dauermaßnahme, die finanziell nicht abgesichert ist. Wahrscheinlich lassen sich in diesem Haushaltsjahr bei der Marktordnung noch Einsparungen ermöglichen, die dann im nationalen Bereich verwendet werden können. Das Problem, das der CDU/CSU-Antrag zur Änderung des Einkommensteuergesetzes anspricht, ist der Bundesregierung bekannt. Die Finanzverwaltung hat, als die ersten Fälle dieser Art aufgetreten sind, zunächst versucht, ihnen im Rahmen des geltenden Rechts zu begegnen. Die Findigkeit der betreffenden Wirtschaftskreise hat jedoch gezeigt, daß diese Maßnahmen nicht ausreichen. Die Bundesregierung hat deshalb Vorarbeiten für eine gesetzliche Lösung eingeleitet. Nach dem vorläufigen Ergebnis scheint eine Regelung, wie sie in dem eingebrachten Antrag vorgeschlagen wird, nicht unmöglich zu sein. Allerdings muß noch geklärt werden, ob eine solche Regelung auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht haltbar ist. Insoweit konnten die Vorarbeiten noch nicht abgeschlossen werden. Sie werden mit größter Eile vorangetrieben. Nach Abschluß der Vorarbeiten wird die Bundesregierung dem Hohen Hause in geeigneter Weise Vorschläge zuleiten. Zu dem Entschließungsantrag Umdruck 162 darf ich darauf hinweisen, daß Ziffer 1 für die Dauer der Laufzeit von 20 bis 25 Jahren einen Mehrbetrag von 80 bis 100 Millionen DM ergeben würde. Zu Ziffer 2 wäre festzustellen, daß sich ab 1971 pro Jahr 100 bis 135 Millionen DM zusätzliche Kosten ergeben. Auf diese finanzwirtschaftlichen Auswirkungen wollte ich ausdrücklich hinweisen. Nach meiner persönlichen Meinung haben wir alle wichtigen Fragen und Möglichkeiten in der zweiten und der dritten Lesung des Bundeshaushalts 1971 erörtert. Nach Auffassung der Bundesregierung kommt es jetzt darauf an, die Position des Herrn Kollegen Ertl für die Verhandlungen in Brüssel zu stärken und zu festigen. Ich wünsche sehr, daß die heutige Debatte dazu beiträgt. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Ehnes.

Georg Ehnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000442, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister der Finanzen, die CDU/CSU-Fraktion ist nicht von der Tatsache ausgegangen, daß eine Regelung über die Mehrwertsteuer die beste Lösung ist, um die Einkommenspolitik zugunsten der Landwirte zu verbessern. Die CDU/CSU-Fraktion nimmt allerdings etwas mit Verwunderung zur Kenntnis, daß Ihre heutige Argumentation genau in vollem Gegensatz zu der früheren Argumentation steht, als es um den Verlustausgleich ging. Denn damals hat von den Koalitionspartnern niemand behauptet, daß die Mehrwertsteuer nicht in allen Bereichen der Landwirtschaft durchschlägt. In diesem Punkt haben Sie die volle Übereinstimmung mit meiner Fraktion, weil wir überzeugt sind, daß die Mehrwertsteuer nicht in allen Bereichen durchschlägt. ({0}) Wir haben heute diesen Antrag gestellt. Nun liegt es an der Bundesregierung - ich darf diesen Appell an den Kanzler richten ob das in Brüssel über die Preise hereingebracht wird, was wir erwarten; denn daraus ergeben sich ja die Maßnahmen im sogenannten nationalen Bereich. Ich bin deshalb verwundert, weil hier Herr Kollege Dr. Schmidt über Ministerpräsident Lemke spricht, ohne den Herrn Bundesminister Ertl zu bitten, das zu widerrufen, was er in Schleswig-Holstein ausgesagt hat. ({1}) Ich glaube, daß Herr Ministerpräsident Lemke es mit Recht ausgesprochen hat, nachdem es der amtierende Minister dort öffentlich gesagt hat. Jetzt heißt es umgekehrt, über nationale Maßnahmen sollte man nicht sprechen, um die Verhandlungen in Brüssel nicht zu gefährden. Von der CDU/CSU-Fraktion werden diese Verhandlungen nicht gefährdet; denn wir haben bis zur Stunde geschwiegen. Aber die Regierungsseite hat aus wahlpropagandistischen Gründen in Schleswig-Holstein dies veröffentlicht. Das ist der Tatbestand. ({2}) Herr Kollege Helms ist über die Leistungen dieser Regierung sehr erfreut. Ich darf dazu nur Glück wünschen; denn wer über diese Leistungen erfreut ist, kann von der Landwirtschaft draußen die entsprechende Antwort entgegennehmen. Die Zahlen, die hier zugrunde liegen, sollten von allen in diesem Hohen Haus nicht als optimistisch hinausposaunt werden. Der Ernst der Stunde ist sogar so, daß wir gemeinsam bemüht sein müssen, die Misere zu beseitigen. Wenn in diesem Zusammenhang der Kollege Dr. Schmidt als Vorsitzender dieses Ausschusses meinem Kollegen Bewerunge Demagogie unterstellt, wiegt das doppelt, weil er es damit seinem Stellvertreter bescheinigt hat. Aus diesem Grunde möchte ich im Namen meiner Freunde diesen Ihren Satz schärfstens zurückweisen. ({3}) Wir sollten dazu beitragen, daß der erste und der zweite Vorsitzende dieses Ausschusses einander im Takt und im Ton sachlich gegenüberstehen und nicht eine Verschärfung in die Diskussion hineintragen. Herr Schmidt, das ist nicht von mir, sondern von Ihnen herbeigeführt worden. Es tut mir außerordentlich leid. Was mich noch ganz besonders verwundert, Herr Dr. Schmidt, ist, daß inzwischen Sie und Herr Ertl selbstverständlich im Einvernehmen mit dem Kanzler - den Grünen Dollar am Sonntag vor einer Woche heiliggesprochen haben. Heiligsprechung ist immer etwas Ernstes, und angesichts der Tatsache, daß Herr Mansholt und der Bundeskanzler diese Heiligsprechung vorgenommen haben, wundere ich mich, daß sich der amtierende Minister selbst nicht untreu wird, dabei aber bereits untreu geworden ist. Denn wenn man die Protokolle aus der Vergangenheit liest, ist da eine ganz andere Aussage festzustellen. Lieber Herr Ertl, die deutsche Landwirtschaft und diese Opposition haben an dem Grünen Dollar noch nie gezweifelt. Der Grüne Dollar wurde aber nicht durch unseren Beitrag, sondern durch die Gemeinschaft verändert. Das ist der Tatbestand. Wenn man den Franzosen ein zweijähriges Ausnahmerecht zugebilligt hat, wenn die Übergangszeit verkürzt worden ist, wenn aus dieser europäischen Gemeinschaft eine europäische Inflationsgemeinschaft geworden ist und wenn all das, was bei Vertragsabschluß zustande gekommen ist, heute kein Tatbestand mehr ist, muß man sich natürlich fragen: Warum haben Sie den Grenzausgleich damals nicht durchgesetzt? Dann brauchten wir uns heute weder über Mehrwertsteuer noch über ergänzende Maßnahmen zu unterhalten. Das Aussetzen des Grünen Dollars, d. h. dieser Verrechnungseinheit, wäre im weiteren Integrationsprozeß Europas keine Behinderung, das wäre dasselbe Recht, das die Franzosen in Anspruch genommen haben. Diese Bundesregierung kann sich deswegen nicht so wie Sie, Herr Helms, benehmen, daß sie erklärt, das liege in dem Vertrag, der abgeschlossen worden sei, und auf Grund dieses Vertrages sei diese Situation entstanden. Der Vertrag gilt seit Anfang, aber der Vertrag muß mit gleichen Rechten in allen Teilen der Gemeinschaft ausgefüllt werden und eingehalten werden und nicht unter ungleichen Gesichtspunkten, wie sie durch die Aufwertungsentscheidung und die Folgemaßnahmen zustande gekommen sind. Wir wären auch damals nicht für die Mehrwertsteuer gewesen, wenn Sie den Grenzausgleich geschaffen hätten. Wir haben ihn als Fraktion gefordert, er kam aber durch Ihre schwache Initiative nicht zustande. Deswegen sollte man uns auch heute nicht vorwerfen, daß von uns aus etwas betrieben werde, was nicht realisierbar sei. Herr Minister, aus Ihren Ausführungen einen einzigen Satz. Ich bedauere, daß Sie festgestellt haben: Die deutschen Landwirte haben sich nicht marktkonform verhalten. Sie haben nicht marktkonform produziert und verkauft, und aus diesem Grunde sind die Preise in der Bundesrepublik so schlecht. Ich glaube, dieser Satz muß hier zurückgewiesen werden. Es würde Ihnen gut anstehen, wenn Sie hier feststellten, daß Ihr Satz entweder nicht so gemeint war, oder daß Sie ihn dahin gehend korrigieren, daß unseren Landwirten nicht noch der Vorwurf gemacht wird, sie hätten die Preismisere selbst herbeigeführt. Das können wir nicht auf der Landwirtschaft ruhen lassen, weil das nicht stimmt. Herr Kollege Helms hat erwähnt, daß auf Grund der Erfolge der Regierung jetzt endlich neue Wege beschritten würden und daß auch diese Bundesregierung in preispolitischer Hinsicht kämpfen werde. Herr Kollege Helms, ich weiß, daß Sie in der Großen Koalition nicht dabei waren. Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß unser Fraktionskollege Höcherl unter der Regierung des Herrn Kiesinger Preisverbesserungen bei Gerste pro Tonne von 91,25 auf 95,44, Preisverbesserungen bei Roggen von 93,75 auf 97,50, Preisverbesserungen bei Milch von 95 auf 103 und Preisverbesserungen beim Orientierungspreis für Rindfleisch von 632,50 auf 680,50 DM durchgeführt hat. Dies bezieht sich auf Rechnungseinheiten. ({4}) Das hat unser Fraktionskollege Höcherl gemacht, und auch das ist ein kleiner Beitrag zu dem Erfolgsbericht, den Sie für 1969/70 hier zugrunde legen, der aber kein echter Erfolgsbericht ist, ({5}) weil Ihre Berechnung für die Landwirtschaft draußen wirklich untragbar ist, wenn man die Erfolgsrechnung dadurch aufmacht, daß man erklärt, es seien etwa 7 % abgewandert und deswegen sei die Teilungsziffer eine andere geworden, das Einkommen pro Arbeitskraft in der Landwirtschaft sei damit real um soundsoviel gestiegen. Sie sprechen hier von 11 %. Das ist für uns eine nominale Aussage, die für den einzelnen Betrieb und die einzelne Familie keine Bedeutung hat; denn das ist eine statistische Berechnung und sonst gar nichts. Ich komme damit zum Bericht selbst. Ich darf feststellen, daß im Berichtszeitraum, also vom 1. Juli 1970 bis zum heutigen Tage, noch keine einzige Grüne Debatte oder Agrardebatte stattgefunden hat, obwohl sich die Verhältnisse im Berichtszeitraum bis zur heutigen Aussprache so verheerend verändert haben. Wenn man über diesen Bericht, der von Ihnen als Erfolgsbericht bezeichnet wird, in der Öffentlichkeit spricht, muß man berücksichtigen, daß sich der Zustand sehr verändert hat. Die von uns allen gewünschte Wirtschafts- und Währungsunion, die Ausgangspunkt für den Grünen Dollar war, ist in keiner Weise in Sicht. Herr Bundeskanzler, Sie waren außerordentlich aufrichtig, als Sie der deutschen Öffentlichkeit verkündeten, daß die Wirtschafts- und Währungsunion frühestens in zehn bis zwölf Jahren zu erreichen sein werde. Wenn man das auf das Tempo Ihrer Reformbestrebungen ummünzte, könnte man annehmen, daß es 24 Jahre dauern wird, bis die Wirtschafts- und Währungsunion tatsächlich zustande kommt. ({6}) - Deswegen müssen wir hier fragen, Herr Wehner, wie es ohne Aussetzung des Grünen Dollars und ohne Grenzausgleich weitergehen soll. ({7}) - Sie können ja dann unseren Anträgen zustimmen. ({8}) In diesem Zusammenhang muß, glaube ich, auch Art. 39 des EWG-Vertrages angesprochen werden, der vorsieht, daß den in der Landwirtschaft tätigen Menschen ein angemessenes Einkommen zugesichert werden muß. Auch das trifft heute nicht mehr zu. Deswegen haben wir gute Gründe, uns über die Situation heute ernsthaft zu unterhalten. In Art. 39 steht übrigens nichts von 100-ha-Betrieben. Was die Preis-Kosten-Situation betrifft, so haben wir eine Senkung der Erzeugerpreise um insgesamt 12,6 % zu verzeichnen. Bei den pflanzlichen Erzeugnissen beträgt die Minderung 16,7 %, bei Kartoffeln 51,1 %, bei Gemüse 28,2 %, bei tierischen Erzeugnissen 11,2 %, bei Eiern 15,5 % und bei Schlachtvieh 14,5 %, und zwar im Zeitraum von Dezember 1969 bis Dezember 1970. Demgegenüber beträgt die Verteuerung der Betriebsmittel bei Maschinen 8 %, bei Neubauten 15 % und bei Gebäudeunterhaltung 15,5 %. Das bedeutet, daß die Preis-Kosten-Schere 17 % ausmacht. Aus diesem Grunde haben selbst bestgeführte und strukturgesunde Betriebe rote Zahlen aufzuweisen. Erinnern wir uns an das, was die Gutachter und Wissenschaftler gesagt haben. Einer von ihnen hat erklärt, daß die Landwirtschaft bis zum Jahre 1968 einigermaßen über die Runden gekommen sei, daß sie aber vom Jahre 1968 an auf Grund der starken Verteuerungen und der sinkenden Preise gerade in diesen Bereichen illiquide geworden sei. Das bestätigen auch die mit der Landwirtschaft verbundenen Industrie- und Handwerksbereiche, denn diese kommen auch nicht mehr zurecht. Für uns hat die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 Gültigkeit. Darin heißt es: Die Bundesregierung wird der Landwirtschaft helfen, sich zu einem gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirtschaft zu entwickeln, der an der allgemeinen Wohlstands- und Einkommensentwicklung in vollem Umfange teilnimmt. So Herr Bundeskanzler Brandt. ({9}) - Dazu möchte ich sagen, Herr Kollege Löffler: Große Worte sind noch keine Reformen. Realität ist, daß die Landwirtschaft unter einem negativen Ausnahmerecht steht und einer Doppelbelastung ausgesetzt ist, weil sich die Einkommenverhältnisse in der Gesamtwirtschaft um 15 % verbessert haben, die Landwirtschaft aber zur Stunde allein die Zeche für eine verfehlte Stabilitätspolitik zu tragen hat. ({10}) Der Agrarbericht des Jahres 1971 zeigt auch genau auf, wie es in der Berechnung aussieht. Ich möchte nochmals betonen, es ist kein Ruhmesblatt für die Regierung, wenn man weniger Arbeitskräfte in dieselbe Geldsumme hineindividiert, woraus dann das Einkommen resultiert. Es geht auch nicht, daß man mit kosmetischen Tricks oder mit anderen Verbrämungen versucht, die wirkliche Lage anders darzustellen. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß die Landwirtschaft daraus ihre Schlüsse zieht. Der Vertrauensbruch, der hinsichtlich der Regierung bereits besteht, wird sich fortsetzen, ({11}) weil ein Unterschied zwischen der Aussage an diesem Platz und der Wirklichkeit besteht. Die Wirklichkeit sieht so aus, der amtierende Bundesminister hat beispielsweise einen Bericht mit seinem Bild herausgegeben. In dem Bericht heißt es: Ein Schritt nach vorn! ({12}) Meine Damen und Herren! Der Schritt nach vorn bedeutet zur Zeit eine Preissenkung von 12,6 % und Preissteigerungen von etwa 5 % bei allgemeinen Betriebsmitteln. Minister Ertl schreibt in diesem Heft: Die Preissenkungen, die wegen der Überproduktion in der Europäischen Gemeinschaft drohten, wurden verhindert. Durch den Abbau der Überschüsse wurde vielmehr der starke Druck auf die Erzeugerpreise beseitigt und ein guter Erlös erreicht. Das steht in der amtlichen Mitteilung mit Photo. Ich bitte, auch dazu Stellung zu nehmen. ({13}) - Herr Minister Ertl, wir wissen alle, daß es eine Unterversorgung gab und daß der Preis der Braugerste in diesem Jahr nicht von der Marktordnung und von Brüssel her beeinflußt wurde; Ihnen ist das auch bekannt. Es ist Ihnen aber ebenfalls bekannt, daß der Landwirt zu anderen Preisen verkauft hat, als es in den Berichten steht. Die Masse der fähigen Ware im Braugerstesektor ist zu einem Zeitpunkt, wo der Bauer verkaufen mußte, zu 37 DM abgesetzt worden. Auf Ihr Förderungsprogramm eingehend, haben Sie vorhin erwähnt, daß im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der Mensch stehen muß. In diesem Punkt sind wir mit Ihnen einig. Dann hätten Sie aber das Fallbeil einer Zielschwelle nicht in Ihr Förderungsprogramm aufnehmen dürfen. ({14}) Dieses Fallbeil trennt nämlich nicht die Tüchtigen von den Untüchtigen, sondern die Tüchtigen von den Tüchtigen. Ein junger Bauer, der die Struktur seines Betriebes verbessern will, kann jetzt von diesem Förderungsprogramm keinen Gebrauch machen, weil man den Weg mit der Zielschwelle verhindert hat. Diese Zielschwelle ist auch kein Garant zur Vermeidung von Fehlinvestitionen. In Wirklichkeit handelt es sich um einen verwaltungsmäßigen Gnadenakt, womit festgestellt wird, wer zukünftig förderungsfähig ist und wer nicht. Diskutieren Sie diese Frage mit den Bauern, deren Betriebe 20 bis 22 ha groß sind und die ihre Betriebe aufstocken wollen. Diese Bauern sind nun ausgeschlossen, und Sie erklären hier: Der Mensch steht im Mittelpunkt der Betrachtung, nicht irgendeine Betriebsgröße oder etwas anderes ist maßgebend. Das haben Sie wörtlich hier erklärt. Dieser Schematismus ist jedoch abzulehnen, weil die individuellen, natürlichen und wirtschaftlichen Unterschiede nicht berücksichtigt werden und weil die Schwelle - darüber sind wir uns doch alle einig - nur einen Sinn haben kann, wenn zunächst einmal der Preis stimmt. Hier ist aber bis zum Jahre 1974 nichts zu sehen, und kein Mensch sagt uns, wie diese Preispolitik aussehen soll. Zum Förderungsprogramm selbst möchte ich folgendes sagen. Wenn nicht in aller Kürze eine Preispolitik durchgeführt wird, die nach den Forderungen des Deutschen Bauernverbandes und des Entschließungsantrages der CDU/CSU-Fraktion - Umdruck 92 - ausgerichtet ist, können Sie Ihre Zielschwelle schon im nächsten Jahr beseitigen, weil die gut strukturierten Betriebe dann nicht mehr in der Lage sein werden, die Finanzierungen im Einzelfall zu leisten. Es muß auch erreicht werden, daß für benachteiligte Gebiete, in denen die Ertragslage besonders schwierig ist, höhere Konditionen gelten. Wir verlangen von unserer Fraktion die Wiedereinführung einer 15%igen Investitionsbeihilfe und eine auf 3 % verbilligte Zinshöhe, weil auf dem Kapitalmarkt zur Zeit bereits wieder ein Ansteigen der Zinsen zu verzeichnen ist. Die Landwirtschaft kann das einfach nicht finanzieren. In benachteiligten Gebieten muß eine Sonderregelung in das Programm eingebaut werden, weil gerade die schlechte Ertragslage dort keine Landwirtschaft mehr zuläßt. Unter Berücksichtigung dieser Situation haben wir Interesse daran, daß dort diese Förderung durchgeführt wird, und zwar nicht nur aus landwirtschaftlich-ökonomischen, sondern auch aus staatspolitischen Überlegungen heraus. ({15}) Wenn Sie die einzelnen Maßnahmen mit denen vergleichen, die Ihr Vorgänger in den Förderungskonditionen vorgesehen hatte, werden Sie feststellen, daß es bei der Aussiedlung heute folgendermaßen aussieht. Wenn Sie ein Bundesdarlehen mit dem Höchstsatz von 120 000 DM bei 1 % Zins und 2,25 % Tilgung nehmen, ergibt sich daraus ein jährlicher Kapitaldienst von 3 900 DM. Wenn Sie ein verbilligtes Kapitalmarktdarlehen in Höhe von 160 000 DM hinzunehmen - das ist der Höchstsatz , ergibt sich daraus eine Belastung von 12 000 DM. Zusammengerechnet ergibt das eine Belastung von 15 900 DM. Das bedeutet bei einem Betrieb mit 30 hat und Gesamtkosten von 400 000 DM eine Belastung von 560 DM pro ha. Daß unter diesen Umständen Aussiedeln und Bauen auch dort unterbleibt, wo ein öffentliches Interesse daran besteht, ist Ihnen, Herr Minister, und mir klar. Aus diesem Grunde kann von dem vorgelegten Programm gesagt werden, daß die Investitionen in der Landwirtschaft zu unserem Bedauern aufhören werden; aber unsere gut strukturierten Betriebe müssen investieren, um im europäischen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Ich komme damit auf die Probleme der Althofsanierung zu sprechen. Die Schwelle von 80 000 DM, von der ab es zum erstenmal Bundesmittel geben soll, gibt eine gewisse Veranlassung, in diesem Bereich die Grenze von 80 000 DM zu überschreiten, um in den Genuß der günstigeren Mittel zu kommen. Das bedeutet, daß zukünftig eine Belastung auf den Betrieb zukommt, weil er unterhalb dieser Grenze von 80 000 DM keine Chance hat. Ich möchte hinzufügen, daß die im Förderungsprogramm festgelegte Erhöhung der Bundesdarlehen von 50 % der Investitionssumme auf 67 % seit langem durch die Kostensteigerungen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft überholt ist und keine Verbesserung darstellt. Einzelheiten hat ja hier Herr Minister Schiller bereits bekanntgegeben. Die Zinsverbilligung ist unter Minister Höcherl auf 66 2/3 % festgesetzt worden. Jetzt gehen Sie von 85 % der Bausumme aus. Aber auch nach Abrechnung von 85 % der Bausumme ist im Verhältnis zu den 67 % von früher eine große Verschlechterung eingetreten, weil es früher dazu 15 % als Investitionsbeihilfe gab, die heute nicht mehr gewährt wird. Die zusätzliche Förderung von Umbaumaßnahmen, die Überbrückungshilfen, die Ausbaumaßnahmen nach dem Programm für die Bäuerin haben ebenfalls eine Verschlechterung erfahren. Die Zahlen sind Ihnen bekannt. Von uns ausgesehen gibt es hier nur eine Bitte: daß man diese Beträge erhöht, weil sie einfach mit den Baukosten nicht mehr übereinstimmen und weil von diesen Maßnahmen ausgehend auch die Überbrückungshilfe kein Anreiz für den betroffenen Personenkreis ist. Sie haben vorhin erwähnt, Herr Minister Ertl, daß Sie bereit sind, der Landwirtschaft in allen Bereichen Verbesserungen zu gewähren. Ich darf Sie an eine Aussage erinnern. Sie haben in Bad Godesberg anläßlich der Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes - meines Wissens war es der 10. Dezember 1970 - zur sozialen Sicherheit der Landwirte erklärt: Geben Sie mir parlamentarische Mehrheiten. Dann bin ich bereit, diese Sachen mit Ihnen durchzuführen. Das haben Sie dem Baron Heereman in der Antwort auf seinen Vortrag im Beisein von etwa 600 bis 700 Landwirten aus der Bundesrepublik versichert. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir am selben Nachmittag oder am nächsten Tag die Abstimmung darüber, ob die Altershilfe in der Landwirtschaft angehoben werden soll. Mein Fraktionskollege Röhner hat die Deckungsvorschläge in einer hervorragenden Form gemacht. Inzwischen wird aus Ihrem Haus bekannt, daß die Gelder aus dem Kap. 10 03 wirklich zur Verfügung stehen. Mit Ihrer Stimme, Herr Minister, haben Sie damals die Erhöhung des Altersgeldes für die Landwirtschaft verhindert. Trotzdem erklären die Sprecher dieser Regierung heute, es seien Versäumnisse der früheren Bundesregierung, daß die Landwirtschaft keine bessere soziale Sicherheit habe. ({16}) Wenn man über Ehrlichkeit und Wahrheit spricht, muß man hier sagen, daß Herr Ertl mit seiner Stimme es verhindert hat, der Landwirtschaft auch im sozialen Bereich das zukommen zu lassen, was andere Bereiche längst haben. ({17}) Meine Damen und Herren, auch bei den Landwirten draußen sollte das Wort des Herrn Bundeskanzlers ein Ehrenwort sein. In bezug auf dieses Ehrenwort darf ich Ihnen sagen, Herr Bundeskanzler, daß die Enttäuschung in der Landwirtschaft wächst, weil dieses Ehrenwort zur Zeit nicht sichtbar ist und weil die Bauern sehen, daß das, was versprochen worden ist, nicht eingelöst wird. Diese Entrüstung haben vielleicht noch nicht alle Bereiche in unserer Gesellschaft begriffen. Wenn ein konservativer Berufsstand wie die deutsche Landwirtschaft auf die Straße geht und um seine Existenz kämpft, dann sollten Regierung, Parteien und Parlament dieses Signal nicht übersehen oder leichtnehmen. ({18}) Die deutsche Landwirtschaft ist nicht für sich da, sie dient auch keinem Selbstzweck, sondern sie ist ein Teil unserer Gesellschaft, und sie will ein gesunder Partner in unserem Wirtschaftsleben bleiben. Dafür zu kämpfen und dies zu erreichen setzt natürlich in allen Bereichen guten Willen, Bereitschaft und auch ein entsprechendes Verständnis von allen Seiten voraus. Meine Fraktion ist sich dieser ihrer Verantwortung bewußt und wird in allen landwirtschaftlichen Fragen entsprechend handeln. ({19})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unbeschadet der Polemik, die einen Teil der Debatte geprägt hat, sehe ich, daß es eine Reihe gemeinsamer Ausgangspunkte gibt. Jedenfalls möchte ich für die Bundesregierung keinen Zweifel daran lassen, daß sie in der Zukunftssicherung der deutschen Landwirtschaft eine besonders wichtige Aufgabe sieht. Ich denke, darin sollten wir einig sein. Weder unsere Gesellschaft noch unsere Wirtschaft sind denkbar ohne eine wettbewerbsfähige und einkommenssichere Landwirtschaft. Für diese Regierung bleibt gültig - da knüpfe ich an meinen Vorredner unmittelbar an -: wir haben die Landwirtschaft als Teil des Ganzen zu sehen und müssen, wohl wissend, wie schwierig das im Moment ist und noch einige Jahre bleibt, die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilhaben kann. Soweit die gemeinsamen Ausgangspunkte. ({0}) - Ich komme dazu! Ich möchte, meine Damen und Herren, daß alle wissen, daß die Interessen der deutschen Landwirtschaft bei Herrn Ertl gut aufgehoben sind. ({1}) Ich habe mich bei der Zusammenarbeit der fünf Vierteljahre davon überzeugen können, daß er, gestützt auch auf seine eigene Erfahrung und sein persönliches Engagement, seine ganze Kraft für die Belange der Landwirtschaft einsetzt, und ich schätze es - ich finde, alle sollten es schätzen -, daß er offen zugibt: einfache Antworten gibt es heute nicht! ({2}) Er macht es sich nicht leicht, sondern er diskutiert das Problem, das komplex ist, auf eine differenzierte, nuancierte Weise, selbst auf die Gefahr hin, daß ihm dabei nicht jeder in allen Punkten zustimmen kann. Im übrigen darf ich auch darauf hinweisen, daß Bundeswirtschaftsminister Schiller noch in der vorigen Regierung den untrennbaren Zusammenhang, der zwischen gewerblicher Wirtschaft und Landwirtschaft besteht, durch die Regionalprogramme deutlicher gemacht hat, als das früher der Fall war. ({3}) Nun weiß ich um die Schwierigkeiten und Sorgen, die sich nicht nur aus der aktuellen Preis- und Kostenentwicklung ergeben. Mein Vorredner hat soeben, gestützt auf wissenschaftliche Unterlagen, mit Recht darauf hingewiesen, daß sich eine Reihe der akuten Sorgen und Schwierigkeiten aus der Entwicklung seit dem Jahre 1968 ergibt. Er hat damit denen widersprochen, die einen Schnitt im Jahre 1970 einsetzen lassen wollen. Die Diskussion draußen geht doch stärker, als das heute vormittag hier bisher der Fall war, vor allem darum: War das Ganze nicht eine Fehlentwicklung mit den europäischen Agrarmarktordnungen? Sollte man nicht versuchen, da wieder herauszukommen?

Not found (Kanzler:in)

Sollte man nicht den Grünen Dollar abschaffen? Dies macht sich die Opposition zwar nicht zu eigen, wie ich aus dem Entschließungsantrag wohl gesehen habe, der von „Regelungen" spricht und der in der Begründung sagt, dadurch würde nicht die Auflösung der EWG-Agrarmarktordnungen erstrebt. Trotzdem hätte ich die herzliche Bitte, daß im Verlauf der Debatte oder in den Ausschußberatungen, die sich anschließen, deutlicher gemacht würde, was mit den Regelungen im einzelnen gemeint ist. Denn, meine Damen und Herren, wollen wir uns doch bitte den Ausgangspunkt noch einmal klar machen: Es gab nach den Römischen Verträgen keinen Zwang, den Weg zu gehen, der damals gegangen worden ist. Nach den Römischen Verträgen konnte man entweder die Integration, auf die Landwirtschaft bezogen, durch europäische Marktordnungen vorziehen, oder man hätte den anderen Weg gehen können, den Weg nationaler Marktordnungen, und hätte diese aufeinander abstimmen können ({0}) - koordinieren können; das ist dasselbe. Meine verehrten Herren Kollegen, ohne daß ich anderen etwas anlasten will - das hat ja jeder damals aus seiner Überzeugung und aus gutem Gewissen entschieden -, Sie müssen mir zugeben: Durch die, die damals Verantwortung getragen haben, hat die Bundesrepublik Deutschland nicht unwesentlich daran mitgewirkt, daß der eine Weg gegangen worden ist und nicht der andere. Ich muß hier in aller Ehrlichkeit und Offenheit sagen, wie ich es auch draußen sage: ich bin der Überzeugung, daß es, nachdem die Weichenstellung damals so erfolgt ist und nachdem so viele Jahre seitdem vergangen sind, keinen Weg zurück gibt, sondern daß wir alle Kraft einsetzen müssen, um die Landwirtschaft nicht noch auf einem weiteren Gebiet aus der Gesamtwirtschaft herauszunehmen. Denn dann würden sich noch größere Ungleichgewichte ergeben! Im übrigen müssen wir alles in unseren Kräften Stehende tun, um die stufenweise Entwicklung hin zur Wirtschafts-und Währungsunion so sehr zu fördern, wie das nur irgend möglich ist, ({1}) uni dadurch die faktische Benachteiligung, zu der es für die Landwirtschaft gekommen ist, mit aufzufangen. ({2}) Darf ich den Gedanken noch einen Augenblick weiterführen, Herr Kollege Höcherl. Wir haben diese Lösungen, mit denen wir jetzt leben müssen, nicht erfunden; wir haben sie übernommen. Das hat mit einer Heiligsprechung, von der mein Herr Vorredner hier im Anschluß an die Unterhaltung mit Herrn Mansholt am Sonntag vor acht Tagen gesprochen hat ({3}) - darauf komme ich noch zurück -, nichts zu tun. Ich sage noch einmal: wir müssen mit diesen Regelungen leben. Herr Bewerunge hatte in einer sehr mißverständlichen Weise davon gesprochen, daß ich diese europäische Entwicklung, in die die Landwirtschaft hineingestellt ist, der nächsten Generation überlassen wollte. ({4}) - Nein, dies ist ein grundlegender Irrtum. Wir haben maßgeblich daran mitgewirkt, daß sich die Entwicklung hin zur Wirtschafts- und Währungsunion im Laufe von etwa einem Jahrzehnt vollziehen soll. Ich hoffe, daß schon die ersten Jahre wesentliche Fortschritte bringen werden. Das andere Problem, Herr Kollege Bewerunge, bezog sich auf die Debatte-von der Sie genausogut wissen, wie schwierig sie ist -, wie die politische Struktur über diese Gebiete hinaus aussehen wird, föderativ, konföderativ oder wie immer; eine Diskussion, die gerade in den letzten Wochen teils durch die Beiträge des französischen Staatspräsidenten, aber auch des britischen Premierministers mit dem Blick auf die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften neu belebt worden ist. Ich glaube in der Tat, daß die politische Struktur des sich einigenden Europa uns noch länger beschäftigen wird als die zehn Jahre, in denen wir hoffen, die Wirtschafts- und Währungsunion zustande bringen zu können. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, Sie sprechen so viel von der Währungsunion. Ist es nicht so, daß Schiller beim Werner-Plan mit seiner Schiller-Klausel viel mehr wollte und daß Sie, pragmatisch, wie Sie waren oder auch sind, mit weniger zufrieden waren?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Das kann man so nicht sagen. Sie wissen alle, welche Erörterungen im Werner-Ausschuß vorangegangen waren und daß sich dann etwas komplizierte Diskussionen mit unserem französischen Partner ergeben haben, aber mit einem guten Ergebnis. Allen Beteiligten soll nach den ersten drei Jahren in zwei Jahren die Chance gegeben werden, die Parallelität zwischen den wirtschaftspolitischen Zielen und den währungspolitischen Absprachen herzustellen, um nicht das ganze Werk zu gefährden, wenn sich hier Ungleichgewichte ergeben haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir dürfen nun nach dem, was sich doch in der Rückschau als problematisch herausstellt - auch wenn wir es nicht ändern können -, nämlich nach dem damaligen Vorziehen, dies jetzt nicht auf einem zweiten Gebiet auch noch machen. Und deshalb haben wir Herrn Mansholt, der hier erwähnt worden ist, in aller Deutlichkeit gesagt, wie es Herr Ertl auch am Ratstisch in Brüssel getan hat: wir können ein Junktim zwischen Preisentscheidungen und europäischer Agrarstrukturpolitik nicht in dem Sinne hinnehmen, daß sich daraus für uns - für andere auch, aber gerade eben für uns - erneut nicht zu übersehende finanzielle Auswirkungen ergeben. Das können wir nicht! ({0}) Deshalb hat Kollege Ertl hierzu einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht, der auf dem Boden dessen bleibt, was diese Regierung im Oktober 1969 gesagt hat. Wir meinen - so hieß es sinngemäß -, für die nächsten Jahre muß die Verantwortung für die Agrarstrukturpolitik im wesentlichen eine nationale Verantwortung bleiben. Daß in der Folge im Rahmen der Gesamtaufwendungen für die Landwirtschaft in kommenden Jahren - und jetzt sage ich noch einmal: im Zusammenhang mit der Entwicklung zur Wirtschafts- und Währungsunion hin - dann ein stärkerer Einstieg auf dem Strukturgebiet erfolgen kann zumal wenn die Mittel für die Preisgarantien in den Marktordnungen zurückgehen -, schließen wir nicht aus. Aber ich sage noch einmal: kein Junktim in dem Sinne, daß wir neben der weit vorgezogenen Integration bei den Marktordnungen hier nun erneut eine vorweggezogene Entwicklung mit unüberschaubaren finanziellen Konsequenzen bekommen. ({1}) Ich habe es bisher so verstanden, daß wir hier eigentlich nicht verschiedener Meinung sind. Und es ist ja trotz allem auch schon etwas wert, wenn es einige Punkte gibt, in denen wir nicht unterschiedlicher Meinung sind und bei denen auch der Landwirtschaftsminister in seinen schwierigen Verhandlungen sagen kann, er habe nicht nur die Koalitionsparteien, sondern mehr oder weniger das Haus in seiner Gesamtheit hinter sich. Nun darf ich auch noch ein Wort zur Mehrwertsteuer sagen. Zuerst möchte ich eine allgemeine Bemerkung machen, auf die ich auch gleich im Speziellen noch zurückkommen werde. Und dann möchte ich auf ein Mißverständnis eingehen, das sich meiner Überzeugung nach zwischen dem, was Herr Ertl gesagt hat, und dem, was Herr Lemke vorgeschlagen hat, ergeben hat. Die allgemeine Bemerkung ist die folgende - und ich bitte die Opposition, dies auch bei der Behandlung ihrer Anträge mit zu berücksichtigen -: Wir dürfen die Verhandlungsposition von Herrn Ertl in diesen Wochen nicht unwillentlich schwächen. ({2}) Wenn wir auf die nationalen Maßnahmen - jetzt lasse ich einmal die Sorgen des Finanzministers und des Wirtschaftsministers beiseite -({3}) - ich komme darauf gleich zurück, aber lassen wir diese auf jenen Punkt bezogenen Sorgen einmal einen Augenblick beiseite - Bezug nehmen, so ist doch klar, daß solche Partner in der Gemeinschaft, die im Grunde hinsichtlich der Preise gar nichts oder nur ganz wenig wollen, dann, wenn sie zu viel und zu viel Konkretes über nationale Pläne hören, Herrn Ertl sagen: Ihr habt ja dort allerlei vor, und dann brauchen wir hier mit euch auf dem Preissektor nicht so zu reden, wie ihr es uns vorschlagt. Im Speziellen ist es doch ein großer Unterschied, ob Herr Ertl, wie er es vor einigen Wochen getan hat, sagt: in der Debatte in der Regierung und in den interessierten Kreisen sind folgende Punkte erörtert worden, oder ob man einen konkreten Vorschlag macht. Und nun noch einige Worte zur Mehrwertsteuer. Bei Herrn Lemke waren das vier Punkte; in Ihrem Antrag ist das auf drei Punkte zurückgenommen. Was diesen Vorschlag angeht - ob man nun drei Punkte wie im Fraktionsvorschlag oder vier Punkte wie bei Herrn Lemke nimmt -, so muß ich über die Außerung meines Freundes und Kollegen Möller von vorhin noch hinausgehen. Er hat vorsichtig gesagt: Hier würden wir es mit schweren Bedenken der Kommission zu tun haben. Und ich sage Ihnen, wir müssen damit rechnen, daß wir vor den Europäischen Gerichtshof zitiert werden, wenn wir hier einseitig vorgehen. ({4}) Das müssen wir wissen. Mit dieser Schwierigkeit haben wir es zu tun. Der Unterschied liegt ja darin, daß es sich bei dem Aufwertungsausgleich - unzulänglich, wie er von vielen gesehen worden ist - um etwas Vereinbartes gehandelt hat. ({5}) - Alles muß in solchen Zusammenhängen, gemessen an den Schwierigkeiten dieses Berufszweiges, zum Teil unzulänglich bleiben. Im Grunde kann man nicht ernsthaft bestreiten, daß über die aktuellen Sorgen hinaus, die uns und die Menschen draußen beschäftigen, in den zurückliegenden Jahren nicht klar genug gesagt worden ist, was sich aus der europäischen Entwicklung für die deutsche Landwirtschaft ergibt. ({6}) Das ist nicht klar und deutlich genug gesagt worden; denn sonst könnte man nicht, verehrter Herr Kollege, noch bis in diese Wochen bei Gelegenheiten, wo das gern gehört wird, erklären: Hier soll auch 1980 noch jeder Bauer sein können, der Bauer sein möchte. ({7}) Angemessen wäre heute eine größere Anstrengung, als wir sie aus finanziellen Gründen unternehmen können. ({8}) Wir müssen den Strukturwandel ganz bewußt weiter fördern. Auch wenn die finanziellen Mittel nur in begrenztem Maße zur Verfügung stehen, haben wir uns zu bemühen, einmal kurzfristig zu helfen und gleichzeitig die langfristigen Maßnahmen zur Unterstützung des Strukturwandels in der deutschen Landwirtschaft mit Entschiedenheit fortzusetzen. Ich darf für die Regierung in aller Kürze und gestützt auf das, was der Landwirtschaftsminister aus seiner Sicht und Verantwortung gesagt hat, einmal eine Zusammenfassung in sechs Punkten bringen: Erstens. Um den Kostendruck, unter dem die Landwirtschaft zur Zeit zugegebenermaßen besonders leidet, zu mildern, hat Herr Ertl für die Preisverhandlungen in Brüssel einen flexiblen Verhandlungsauftrag durch das Kabinett bekommen. Das es dabei nicht um die auf Kundgebungen vorgebrachten Prozentsätze gehen kann, sollte allen Beteiligten klar sein. Aber, meine verehrten Kollegen von der Opposition, wenn es in Brüssel dazu kommt, bei bestimmten Produkten Preiserhöhungen zu vereinbaren, sollte sich die Opposition bei der nächsten Kritik an der Preissteigerungsrate aber auch daran erinnern, ({9}) daß wir die Folgen, auf diesen Punkt bezogen, gemeinsam zu verantworten haben. ({10})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Bitte sehr!

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, ist Ihre Außerung, daß Sie Herrn Ertl hinsichtlich der Prozentsätze nicht die entsprechenden Vollmachten einräumen, letztlich nicht so zu vertehen, daß Sie die Forderungen des Deutschen Bauernverbandes auf Erhöhung der Erzeugerpreise um 10 % heute hier einerseits ablehnen, dem Bauernverband gegenüber andererseits aber andere Zusagen gemacht haben?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Ich komme auf den Bauernverband zurück. Ich habe von Kundgebungen gesprochen, auf denen, wie Sie genau wissen, erstens ganz andere Prozentsätze genannt wurden als die, die hier in Bonn von Baron Heereman genannt worden sind. ({0}) Zweitens hat das Kabinett bewußt darauf verzichtet, die Prozentsätze - außerdem wissen Sie ja genau, daß für die verschiedenen Produkte nicht eine einheitliche Ziffer genannt werden kann - öffentlich bekanntzugeben. Das beinhaltet auch der Ausdruck „flexibler Verhandlungsauftrag". ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, haben Sie Herrn Mansholt in dem bewußten Kamingespräch in Bonn darauf aufmerksam gemacht, wie schlecht es der deutschen Landwirtschaft geht, und haben Sie Herrn Mansholt entsprechende Zugeständnisse abringen können? ({0})

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Wenn Sie es noch genauer wissen wollen, nenne ich Ihnen die drei Hauptpunkte. Einen habe ich schon erwähnt: Zusammenhang zwischen Preisen und Strukturpolitik. Ein zweiter Hauptpunkt war der folgende: Mir und Herrn Ertl lag sehr viel daran, in diesem Gespräch von dem zuständigen Mitglied der Kommission möglichst genaue Auskunft darüber zu bekommen, wie die anderen Partner in der Gemeinschaft zu den bescheidenen Vorschlägen der Kommission stehen. Herr Kollege, gestützt auf diese Auskünfte, hat dann der Landwirtschaftsminister seine bilateralen Bemühungen gegenüber mehr als einer Regierung anderer Mitgliedsländer in Gang gesetzt, ({0}) um in Brüssel jetzt überhaupt eine vernünftige Verhandlungssituation zu erreichen. ({1}) - Ich sage es, weil ich gefragt wurde! Ich brauche nicht darauf zu antworten, ob wir dort unsere Probleme darlegen. Das versteht sich von selbst. Sonst würden wir unsere Pflicht nicht erfüllen. ({2}) Neben diesen beiden Themen hat Herr Mansholt in diesem Gespräch auch seine Bewertung der Mehrwertsteuerideen gegeben; inzwischen hat die Kommission ihren Standpunkt ja noch deutlicher zum Ausdruck gebracht. Ich habe meine Meinung dazu schon gesagt. Aber wenn ich nach der Begegnung gefragt werde, sage ich: Auch dies war ein Punkt des Gespräches, das am Sonntag vor acht Tagen stattgefunden hat.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Struve!

Detlef Struve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundeskanzler, ich komme noch einmal auf Ihre Bemerkung zurück, in der Sie die Erzeugerpreise zu den Lebenshaltungskosten in Beziehung setzten. Gehen Sie bei Ihrer Betrachtung davon aus, daß die Erzeugerpreise im letzten halben Jahr laufend abgesunken sind und im Augenblick 12 bis 13 % unter denen des Vorjahres liegen? Die Lebenshaltungskosten sind seitdem ja über 4 % gestiegen. ({0}) Meinen Sie nicht auch, daß es unter diesen Umständen kritisch und einseitig ist, die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zu den Lebenshaltungskosten in Beziehung zu setzen?

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Verehrter Herr Kollege, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil sie mir die Möglichkeit gibt, den Satz, den ich dazu gesagt habe, zu ergänzen und zu erläutern. Ich denke nicht daran, bei dieser Gelegenheit die Diskussion über die allgemeine Preis- und Konjunkturentwicklung sozusagen mit zu „verfrühstücken" und, gestützt auf eine Veränderung auf diesem Gebiet, zu sagen: dies ist die Ursache. Ich sage nur: wenn wir miteinander zu günstigeren Agrarpreisen, als es sie in der letzten Zeit gegeben hat, kommen wollen, müssen wir diesen Faktor, der sich in der allgemeinen Preisentwicklung niederschlägt, aus dem Streit herauslassen. ({0}) Es bleibt immer noch genügend übrig, worüber man dann streitet. Jetzt füge ich noch folgendes hinzu: Gerade auch aus der Sicht der Landwirtschaft - und über sie reden wir heute früh, aber ich sage dies an die Adresse aller gesellschaftlichen Gruppen gerichtet - können wir doch nicht nur wünschen, sondern müßten, jeder an seinem Platz, dahin wirken, daß die Ziele des Jahreswirtschaftsberichts möglichst weitgehend erreicht werden; ({1}) denn so, wie dies insgesamt nützlich wäre, würde es natürlich auch helfen, den Kostendruck in der Landwirtschaft zu verringern. Zweitens - ich sagte es schon -: Über zusätzliche nationale Maßnahmen kann im einzelnen erst gesprochen werden, wenn wir wissen, wie die Dinge in Brüssel laufen. Aber die Landwirtschaft sollte wissen, daß wir sie mit ihren Problemen nicht allein lassen. Das war auch in Verbindung mit der schwierigen Aufwertungsfrage, die wir nun mal anders sehen, so! Ich bin heute so überzeugt wie damals, daß wir es mit einer sehr viel stärker preissteigernden Entwicklung in der Bundesrepublik zu tun gehabt hätten, wenn wir die Aufwertung nicht gemacht hätten. ({2}) Ich bin heute wie damals der Meinung, daß sie eher zu spät als zu früh gekommen ist; aber da gibt es verschiedene Meinungen. ({3}) Drittens. Die Bundesregierung hat mit dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm ein im ganzen wirksames Instrument ({4}) zur Förderung des Strukturwandels entwickelt, und sie leistet mit dem Ertl-Plan Hilfe zur Selbsthilfe. Viertens. In bezug auf den Ausbau der sozialen Sicherung der Landwirte hoffen wir, noch im Verlauf dieser Legislaturperiode wesentliche Fortschritte erzielen zu können. Wir meinen - fünftens -, daß die Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsangebots auf dem Lande - Bestandteil unserer allgemeinen Bildungspolitik - wesentlich ist ({5}) und daß Schule und Berufsausbildung den Menschen auf dem Lande dieselbe Chance bieten müssen wie den Städtern. ({6}) Sechstens. Die Koordinierung von Agrarstrukturpolitik und regionaler Wirtschaftsförderung wird verstärkt fortgesetzt. ({7}) Wir wollen dem Landwirt, der mit seinem Betrieb keine Entwicklungschancen mehr hat, durch die Schaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen attraktive Alternativen anbieten. ({8}) Ich möchte allerdings gleich dazu sagen, daß es in den vergangenen Jahren zum Teil - gerade nachdem das in der Debatte bezweifelt wurde, sage ich es - an der Bereitschaft gefehlt hat, von den neugeschaffenen Erwerbsmöglichkeiten ausreichenden Gebrauch zu machen. Hier brauchen wir gerade auch die Unterstützung der Berufsverbände, damit die Landwirte richtig informiert und beraten werden. ({9}) Die bisher vorliegenden Erfolge der regionalen Wirtschaftspolitik sollten dabei nicht untergehen. Wir haben im Jahre 1970 immerhin 45 000 neue Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten gefördert. Ich weiß, wie schwer es im Einzelfall für einen Landwirt ist, seinen Hof aufzugeben, den seine Familie womöglich seit Generationen bewirtschaftet hat und der trotz harter Arbeit keinen angemessenen Ertrag mehr abwirft. Wenn wir den Landwirten und ihren Familien in einer solchen Lage Erwerbsalternativen anbieten, so geht es uns in erster Linie darum, die Lebensverhältnisse auf dem Lande wirksam zu verbessern. Meine Damen und Herren, der Mut der Prognose für die voraussichtliche Entwicklung der Landwirtschaft bis 1980 sollte an den jahrelangen Beteuerungen gemessen werden - jetzt sage ich noch einmal -, daß jeder, der wolle, auch 1980 noch Bauer bleiben könne. Auch frühere Regierungen haben gewußt, daß das nicht stimmt. Aber man hat der Landwirtschaft weithin nicht klaren Wein eingeschenkt - das muß ich in aller Offenheit noch einmal sagen ({10}) und damit die Strukturkrise in die Länge gezogen und zum Teil auch noch verschärft. Die Prognose des Agrarberichts ist eine Aufforderung an die Politik, an alle, die in der Politik Verantwortung traDeutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Bundeskanzler Brandt gen, die vorausgeschätzte Entwicklung durch sinnvolle Maßnahmen zu unterstützen und abzusichern, und sie gibt dem Landwirt die Möglichkeit, längerfristig zu planen und seine Entwicklungschancen rational zu durchdenken. Der Landwirtschaft helfen keine Vereinfachungen. Sie braucht klare Daten, um ihre Zukunftschancen richtig einschätzen zu können. Wir alle wissen seit langem, Sie in der Opposition wie wir in der Bundesregierung und der Koalition, daß in einer wachsenden Wirtschaft reine Erhaltungssubventionen ökonomischer Unsinn sind. Wir wagen es, diese Tatsache offen auszusprechen, nicht weil wir über einen ganzen, zumal wichtigen Zweig der deutschen Wirtschaft den Stab brechen wollen, sondern weil wir der Landwirtschaft die nötigen Hilfen zur Anpassung an die allgemeine Wirtschaftsentwicklung geben wollen. Vor dieser Erkenntnis sollten wir nicht die Augen verschließen, sondern wir sollten -auch auf dem Land -- deutlich machen, daß Strukturwandlungen und Reformen keine Bedrohung der menschlichen Existenz, sondern Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt und Wohlstand sind. Wir haben es natürlich hier nicht nur mit Statistik zu tun, sondern mit lebendigen Menschen, die an Hand der von uns gesetzten Daten frei über ihr Schicksal entscheiden müssen. Wir wollen die Bauern nicht bevormunden, sondern ihnen Wege zur Lösung ihrer Probleme zeigen und sie auf dem von ihnen gewählten Weg unterstützen. Die Anpassungsschwierigkeiten der Landwirtschaft - lassen Sie mich das noch in aller Offenheit hinzufügen - sind ganz gewiß nicht auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt. Sie zeigen sich in allen Industriestaaten mit zunehmender Schärfe. Im europäischen Raum müssen wir uns auch angesichts der Erweiterung der Gemeinschaft um adäquate Lösungen bemühen. Das tun wir und wollen wir weiter tun. Diese Regierung und diese Koalition werden sich gewiß nicht um die erforderlichen und möglichen Entscheidungen drücken. Wir erkennen auch schwierige Situationen an und überlegen uns, welche Sofortmaßnahmen wir ergreifen können. Aber wir sollten uns jeder Panikstimmung hier und anderswo widersetzen. ({11}) Eine undifferenzierte Schwarzmalerei wirkt nicht überzeugend. Die Unruhe, die dadurch verbreitet wird, trifft zuerst dieselbe Landwirtschaft, der man doch eigentlich helfen will. ({12}) Wir sollten dem Deutschen Bauernverband - danach wurde gefragt - und seinem Präsidenten Freiherr von Heereman Anerkennung dafür zollen, daß sie in dieser schwierigen Situation die Interessen der deutschen Landwirtschaft maßvoll, aber, wie es ihre Pflicht ist, mit Entschiedenheit vertreten haben und sich damit deutlich von allen radikalen, um nicht zu sagen: extremen Strömungen abgesetzt haben. ({13}) Dies ist ganz gewiß nicht zu unterschätzen. Wir brauchen konkrete und realistische Vorschläge, die durchsetzbar sind und die uns ({14}) nicht in unnötige Konflikte mit unseren Partnern in der Gemeinschaft bringen. ({15}) Die Bundesregierung wird durch ihre Politik dafür sorgen, daß die deutsche Landwirtschaft in Zukunft einen angemessenen Platz in unserer Volkswirtschaft einnehmen kann. ({16})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat zu Beginn der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß das ganze Haus in der Verpflichtung und in der Erkenntnis einig sei, „die Zukunftssicherung der Landwirte" zu erreichen. Dies ist sicherlich ein gutes Wort, nur, Herr Bundeskanzler, von der Zukunftssicherung, von Plänen, von Absichten, von Lobeserklärungen auf Herrn Heereman wie hier eben, die wir unterstützen, kann keiner leben, sondern nur von konkreten Maßnahmen, die uns heute durch Gestaltung der Gegenwart überhaupt erst ermöglichen, diese Zukunft zu erreichen. ({0}) Das, Herr Bundeskanzler, sollte eigentlich, wenn ich es recht verstanden habe, diese Debatte sein, und dazu haben Sie nichts gesagt. ({1}) Zu dem, wie sich konkret diese Gegenwart dem Kanzler darstellt und wie er versucht, ihr aus seiner Verantwortung gerecht zu werden, indem er bessere Tatbestände schafft, hat er nichts gesagt. Das müssen wir hier festhalten. Diese Lage, Herr Bundeskanzler, ist doch dadurch gekennzeichnet, daß die Erzeugerpreise bei den Landwirten um rund 12 % gesunken sind, daß die Preise, die die Landwirte für die Dinge bezahlen müssen, die man Betriebsmittel und anderes nennt, im Durchschnitt um 4 % gestiegen sind, daß die Kreditkosten um 25 %, die Lohnkosten um 8 % steigen - das sind doch die Tatsachen, die man sehen muß - und daß dann diese Landwirte, denen Sie die Zukunft sichern wollen, wie Sie sagen, nicht wissen, was für ein Ausgleich für die Verluste durch die Aufwertung nach 1974 eintreten soll: diese Lage ist so bisher weder durch Sie geschildert worden noch haben Sie gesagt, was Sie zu tun gedenken, um diese konkrete Lage zu verbessern. ({2}) Das muß doch hier gesagt werden. Wir haben konkrete Anträge vorgelegt. Sie sind durch den Kollegen Bewerunge, wie ich glaube, sehr sachkundig in die Debatte eingeführt worden, wie wir auch in vergangenen Debatten - ich komme gleich darauf - hier Anträge eingebracht haben, die dann abgelehnt worden sind. Herr Bundeskanzler, ich muß einen zweiten Punkt aufgreifen, nämlich das, was Sie hier zu Aufwertungsfolgen gesagt haben. Diese Frage - nicht die Aufwertung selbst, sondern deren Folgen - hat in diesem Hause seit der Bildung Ihrer Regierung eine große Rolle gespielt. Ich darf Sie daran erinnern es hat in diesem Hause schon einmal eine große Rolle gespielt, deshalb ist es kein Bruch irgendeiner Vertraulichkeit; ich gebe zu, daß damals der Umgang zwischen Regierung und Opposition in der Nachfolgezeit der Großen Koalition noch etwas freundlicher war, als er heute ist, und von uns aus sollte er im menschlichen Bereich auch wieder freundlicher werden, wozu wir Sie ja neulich aufgefordert haben -, Sie waren damals so freundlich, Herr Bundeskanzler, uns vor Ihrem Kabinettsbeschluß zur Aufwertung zu fragen, und Sie erinnern sich, daß ich Ihnen damals am Freitag nach Ihrer Wahl und am Freitag vor Ihrer Regierungserklärung gesagt habe: Diese Sache kann, wenn überhaupt, nur funktionieren erstens bei einem Programm binnenwirtschaftlicher Preisstabilisierung - das haben Sie nicht vorgelegt -, zweitens bei einer entsprechenden Haushaltspolitik - die haben Sie nicht vorgelegt, sondern das Gegenteil; darüber werden wir hier bald zu sprechen haben - und drittens bei dauerhafter Absicherung des Währungsausgleichs für unsere Landwirte. Dies haben Sie nicht geschafft. Ich bin froh, daß Sie das Thema angeschnitten haben, und zwar in einer verantwortlicheren Weise, als es neulich mein sozialdemokratischer Kollege Apel hier getan hat, als Herr Struve seine Rede zur zweiten Lesung des Haushalts von Herrn Ertl hielt. Herr Stuve wies darauf hin, daß nach 1973 nichts mehr sein werde. An dieser Stelle verzeichnet das Protokoll den bezeichnenden Zuruf von Ihnen, Herr Apel: „Na, dann seid ihr doch wieder dran!" ({3}) Das finde ich, was unsere Aussichten bei den Wahlen betrifft, ganz nett von Ihnen, Herr Apel. Aber ich meine, das ist kein verantwortlicher Umgang mit Steuergeldern und den Sorgen des Berufsstandes, von dem der Bundeskanzler hier gesprochen hat. ({4}) Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, diese Debatte solle dazu beitragen, die zugegebenermaßen sehr schwierige Verhandlungsposition des Kollegen Ertl in Brüssel zu stärken. Die Opposition ist bereit, dazu beizutragen. Ich verzichte deshalb ausdrücklich darauf, etwas zu dem Lob zu sagen, das Sie Herrn Ertel gespendet haben. ({5}) Wir haben darüber eine andere Ansicht, aber dazu werden wir in einer späteren Debatte etwas sagen. Nur, Herr Bundeskanzler, glauben Sie wirklich, daß es die deutsche Position in Brüssel fördert, wenn sowohl Ihr Finanzminister als auch Sie selbst sich hier hinstellen und sagen: Zwar haben wir vor anderthalb Jahren ein Stück Mehrwertsteuer-Mechanismus zum befristeten Ausgleich für den Währungsverlust in Gang gesetzt; aber wenn ihr jetzt diesen Vorschlag aufgreift und ausbaut, hat er keine Chance in Brüssel? Glauben Sie, daß das die Chancen Ihrer und der deutschen Politik in Brüssel fördert? ({6}) - Natürlich! Ich muß noch ein Wort zu dem Anteil an der Preissteigerung sagen, Herr Bundeskanzler, die sich eventuell aus einer Anhebung der Erzeugerpreise, die in Brüssel zur Diskussion stehen, ergeben könnte. Herr Bundeskanzler, ich hoffe nicht, daß Sie - die Zusatzfrage des Kollegen Struve gab Ihnen Gelegenheit, das noch etwas klarer zu machen; es war aber wohl noch nicht klar genug -, wenn in Brüssel eine maßvolle Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise beschlossen wird, sagen werden, das sei die Ursache für eine Steigerung der Lebenshaltungskosten. Denn das hieße Ursache und Wirkung verwechseln. Unsere Landwirte sind in Schwierigkeiten wegen Ihrer Politik - ich bin jetzt sehr vorsichtig im Ausdruck - des laxen Umgangs nicht nur mit dem Geld, soweit es die öffentlichen Finanzen betrifft, sondern vor allem mit dem Wert des Geldes unserer Bürger. Das ist doch der Punkt. ({7}) Wenn der Herr Ernährungsminister eine andere Zahl hat als die Opposition, wäre es im Interesse einer sachlichen Debatte hier wie draußen förderlich, wenn er sie nennen würde. Wir haben kein besseres Datum ermitteln können; wir haben nicht die Maschinen und die Apparate wie Sie, Herr Kollege Ertl. Wir haben errechnet, daß eine 10%ige Anhebung der Erzeugerpreise bei landwirtschaftlichen Produkten den Lebenshaltungskorb um höchstens 1 bis 1,1% verteuern würde. Wenn Sie eine andere Zahl haben, kommen Sie damit heraus, damit jeder weiß, welche Preise aus dem Lebenshaltungskostenkorb auf die Brüsseler Beschlüsse zurückzuführen sind; und nehmen Sie dann das, was Herrn Leber angeht, gleich noch dazu, damit das in der Diskussion ebenfalls spezifiziert wird und wir dann zu wahrheitsgemäßen Aussagen kommen. ({8}) Im übrigen möchte ich Herrn Kollegen Ertl sagen: Das Lob des Bundeskanzlers war wohl nötig; denn das Gespräch zwischen Ihnen, Herr Bundeskanzler, und dem Ihnen doch sehr nahestehenden Kommissionsmitglied Mansholt kann nicht sehr erfolgreich gewesen sein. Wie wäre es sonst zu erklären, was heute in der Presse zu lesen ist, daß Herr Ertl die größten Schwierigkeiten gerade mit Ihrem abendlichen Gesprächspartner gehabt hat? ({9}) Meine Damen und Herren, ich komme zu einem anderen Teil der Debatte, die bisher aus unserer Sicht durch das Wort gekennzeichnet ist, das Herr Schmidt ({10}) gesagt hat. Er hat in dankenswerter Offenheit erklärt: „Wir werden auf Ihre Fragen keine Antwort geben." Das ist zwar ein völlig neuer parlamentarischer Stil, aber wir nehmen das zur Kenntnis. Bisher ist die Debatte, abgesehen von wenigen Ausnahmen - eine davon war der Beitrag des Kollegen Möller, auf den ich gleich komme; ein wenig gilt das auch für den Bundeskanzler - so gelaufen. Niemand bestreitet die Lage. Wir machen Vorschläge; zu diesen Vorschlägen schweigt man entweder, oder man sagt: es geht nicht -- entweder hier nicht oder in Brüssel nicht. Andere Vorschläge werden nicht gemacht. ({11}) In einem Punkt möchte ich den Kollegen Möller - wenn ich ihn richtig verstanden habe - beim Wort nehmen. He r Kollege Möller, Sie haben unsere Vorschläge hinsichtlich steuerlicher Maßnahmen bei den Fragen der tierischen Veredelungsproduktion recht positiv aufgenommen. Wenn ich Sie so richtig verstanden habe, möchte ich Sie einladen, Ihren Einfluß auf die Koalition geltend zu machen, damit die entsprechende Vorlage, obwohl sie von der Opposition kommt, möglichst bald die Zustimmung des Hauses finden kann. Mit Worten allein ist es ja nicht getan! ({12}) Ein anderer Punkt. Sie tragen zu der Mehrwertsteuerlösung, die wir vorschlagen, Bedenken vor. Warum sollen Sie das nicht tun? Aber wo ist Ihre Alternative dazu? ({13}) Sie können doch nicht Herrn Heereman loben, der 10 % braucht, und dann sagen, daß das in Brüssel - das war zwar hier in der Debatte nicht so deutlich vielleicht nicht ganz herauskommen wird. Wo ist dann der Rest? Was ist hier zu tun? Darunter werden Sie doch wohl nicht bleiben wollen, wenn Sie die Zukunft der deutschen Landwirtschaft sichern wollen! ({14}) Was die Fragen der Zinsverbilligung betrifft, so finde ich, daß mein Kollege Ehnes hier eben so überzeugend dazu gesprochen hat, daß es der Bundesregierung und dem Bundesfinanzminister eigentlich möglich sein sollte, das Problem zu lösen. Wie sonst sollen wir in diesem Bereich zu Liquidität kommen? Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht von den gesellschaftspolitischen Zusammenhängen dieser Frage gesprochen. Auch wir wollen dies mit wenigen Worten tun. Was hier zur Debatte steht, ist doch, wenn man genau hinguckt, noch mehr als dieses schon sehr schwere Stück Lage unserer Bauern, der bäuerlichen Familien, die zu ernster Sorge Anlaß gibt. Ich will jetzt nicht all das wiederholen, was wir im Dezember dem Bundestag vorgelegt haben - es wurde abgelehnt -, was wir während der zweiten Lesung des Haushalts vorgelegt haben - es wurde ebenfalls abgelehnt. Das Problem der landwirtschaftlichen Altershilfe und die besonders - wie soll ich sagen? - zickzackhafte Einlassung des Bundesminitsers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dieser Frage ist bekannt. Wir legen in dieser Debatte nicht nur Wert auf das Wort des Kanzlers, man dürfe die Bauern jetzt nicht allein lassen; das kann man nur durch Taten beweisen, Herr Bundeskanzler! Unsere sachkundigen Kollegen in diesem Bereich haben zu diesen Fragen gesprochen. Es ist sehr schwierig, hierzu sachkundig zu reden. Ich kann mich nicht in jede Einzelheit vertiefen; das ist jedenfalls mir nicht möglich. Wir wollen aber von der Führung der CDU/CSU- Bundestagsfraktion aus sagen, daß unsere sachkundigen Kollegen hier wie draußen mit derselben Sprache sprechen. ({15}) Unsere Kollegen haben die Anträge, die sie draußen verkündet haben, hier durchgesetzt - anders als andere. ({16}) Diese Kollegen sprechen für die ganze Fraktion der CDU/CSU. Wenn der Bundeslandwirtschaftsminister sich für die Erhöhung des Altersgeldes ausspricht - er hatte die Erhöhung gerade vorher abgelehnt -, glaube ich nicht, daß er für die Regierung spricht. Wenn das dennoch so sein sollte, Herr Kollege Ertl, dann kommen Sie her, und wir haben einen Streitpunkt weniger. Meine Damen und Herren! Diese Debatte berührt, wie wir sagten, mehr als die Lage der Bauern, die schlimm genug ist. Die Lage unserer Bauern berührt nämlich, schon wegen ihrer Ausstrahlung auf andere Berufe des ländlichen Raumes ein ganzes Stück unserer gesellschaftlichen und - täuschen wir uns nicht - künftigen demokratischen Wirklichkeit. Dies geht weit über das hinaus, was statistisch in Daten meßbar ist: Zahl der Bauern, Anteil der Landwirtschaft an der Volkswirtschaft, Anteil an der Wertschöpfung und wie diese Daten alle heißen. Dies geht viel, viel weiter. Es betrifft das, was man in den Diskussionen die ländlichen Räume schlechthin zu nennen pflegt. Auch die Verbraucher, die diese Debatte sicher mit großem Interesse und mit Recht verfolgen, werden sich fragen: Was ist da eigentlich los? Wir merken doch gar nicht, daß die Nahrungsmittelpreise sinken! Dies ist auch eine Frage, auf die einmal durch die Regierung eine Antwort gegeben werden müßte. Auf diesen Zusammenhang muß hingewiesen werden. Ich meine, mit dem Blick auf diejenigen, die nicht in ländlichen Räumen leben, muß man hier einmal sagen, daß zu den Erfahrungen unserer Generation doch zweierlei gehört: zum einen der Hunger, zum zweiten die Erfahrung, daß Importe die Eigenschaft haben, nicht mehr preiswürdig und billig zu sein, wenn man abhängig geworden ist. ({17}) Ich meine, wer dies beides nicht vergessen hat, weiß, daß wir hier nicht nur um ein Stück ländlicher Räume, sondern über volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Gesamtprobleme des Ganzen diskutieren. Die deutsche Politik braucht aus den beiden genannten Gründen, auch im zusammenwachsenden Europa, einen ausreichenden Anteil heimischer Produktion. ({18}) Deshalb kann man nur den Kopf schütteln über die, die glauben, das ländliche Problem dadurch lösen zu können, daß nur ganz wenige Bauern dort bleiben, im Grunde - so sagen sie recht zynisch - eigentlich nur im Interesse der Landschaftspflege ({19}) - ich habe das nicht an Ihre Adresse gesagt, ich hoffe auch nicht, daß Sie sich das zu eigen machen wollen, Herr Kollege -, ({20}) der Erholungsmöglichkeiten und ähnlichem. Auch das gehört in dieses Bild. Aber es geht noch weiter. Wir wissen - ich denke, daß es jedem Kollegen so geht, der seine Post auf diesem Gebiet und zu dieser Frage durchsieht -, daß hier nicht nur die Bauern, die ländliche Bevölkerung und die eben Genannten zusehen, sondern hier stellen eigentlich alle Mitbürger eine fundamentale Frage, nämlich alle diejenigen Mitbürger, deren Existenz auf Eigentum und Selbständigkeit beruht. ({21}) Deshalb ist hier ein Erkennungsmerkmal für die Entwicklung unserer Gesellschaft, von der der Bundeskanzler gesprochen hat. Ich will jetzt die Debatte darüber nicht ausweiten, es sei denn, Sie wünschten sie. Aber wir täuschen uns nicht: ein Teil der um sich greifenden Resignation in allen diesen Bereichen, von denen die Landwirtschaft nur ein Teil ist, wenn man es, wie ich meine, zutreffend sieht, kommt natürlich daher, daß in der Zeit Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, Inflationsdenken, Gewinnverteufelung und Eigentumsfeindlichkeit mehr um sich gegriffen haben, als dies früher der Fall war. ({22}) Ich denke, man kann es sich nun nicht mehr so billig machen, wie neulich der Kollege Schäfer, der diese Probleme leugnete. ({23}) - Wir können die Vogel-Debatte gern hier anschließen, nur möchte ich zunächst die Lage der Landwirte in der gebührenden Form und in Antwort auf den Kanzler zur Sprache bringen. ({24}) Das letzte, was hier auf Grund von Zurufen des Kollegen Wehner und der Einlassungen des Bundeskanzlers von eben zu sagen ist, betrifft das Problem des Grünen Dollars. Lassen Sie mich hierzu folgendes sagen. Sie haben unseren Antrag vorliegen, Herr Kollege Wehner; das ist unsere Meinung, und sie soll im Ausschuß erörtert werden. Ich denke, die Erörterungswürdigkeit dieses Problems bestreitet keiner, der diese Frage in Deutschland und Europa kennt. Keiner kann leugnen, daß das, was man den „Grünen Dollar" nennt, lange Zeit mit Recht eine große Integrationskraft hatte. Aber es kann auch keiner leugnen, daß heute in der Wirklichkeit von dieser Integrationskraft - ich bin ganz vorsichtig - wenig übriggeblieben ist. Wenn wir feststellen müssen, daß trotz dieser gemeinsamen Verrechnungseinheit, weil eben die Währungspolitiken noch national sind, ({25}) bei unseren Landwirten die Preise, die sie für ihre Erzeugnisse bekommen, sinken, während sie in Frankreich steigen, muß man diese Sache zur Diskussion stellen, und zwar zunächst im Ausschuß - hoffentlich finden wir eine gemeinsame Lösung - und dann natürlich in Europa. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie haben sich hier zu unserem Antrag ganz freundlich geäußert. Das ist wichtig, und wir hören das gern. Sie haben gesagt: Die Wirtschafts- und Währungsunion soll so schnell wie möglich kommen. Sie haben dann gesagt, was alles Ihre Regierung dazu getan hat. Herr Bundeskanzler, an einem aber kommt man nicht vorbei - da haben sie meinen Freund Bewerunge vorher falsch verstanden -: Es gibt keine Wirtschafts- und es gibt keine Währungsunion, und kein Verantwortlicher, keiner auf dieser Bank und keiner hier in der Opposition, keiner in Deutschland, keiner in Italien, keiner in Frankreich, in Belgien, in Holland, wo immer Sie fragen, keiner wird Zuständigkeiten für Währung und Wirtschaft, d. h. für Preise, für Vollbeschäftigung, für Löhne, für Wachstum, zusätzlich nach Europa übertragen, wenn nicht dieser Plan zur Wirtschafts- und Währungsunion begleitet ist von einem entsprechenden, parallelen, zeitgleichen Plan zur politischen Union. ({26}) Das, meine Damen und Herren, könnte nun eine Europadebatte auslösen. Es genügt eben nicht, Herr Bundeskanzler, für die Wirtschaft die Integration zu fordern und sich für die Politik mit der Zusammenarbeit zu begnügen. ({27}) - Wer dies tut? ({28}) - Es tut der Bundeskanzler durch seine Erklärung vom 2. März 1970, Herr Kollege Apel, ({29}) die wir oft genug hier diskutiert haben. ({30}) Erlauben Sie mir am Schluß noch eine Anmerkung an den Kollegen Wehner. Herr Kollege Wehner, mir ist heute morgen ein Aufsatz vorgelegt worden, den Sie irgendwo geschrieben haben. Da haben Sie am Schluß die Freundlichkeit, sich mit meinem Besuch in Brüssel und dem Vortrag, den ich dort gehalten habe, zu beschäftigen. Sie stellen unpolemisch fest, daß ich mich in diesem Vortrag, der veröffentlicht ist, zu der Agrarfrage und zum Grünen Dollar nicht geäußert habe. Dies ist eigentlich kein Wunder; denn es war ein Vortrag vor der Königlichen Gesellschaft für auswärtige Politik, die Ihnen bekannt sein wird, über Fragen europäischer Friedensordnung. Ich kann Ihnen aber sagen, daß ich im Laufe des gestrigen und des vorgestrigen Tages ausreichend Gelegenheit genommen habe, den Mitgliedern der Kommission, denen ich begegnet bin, die Lage unserer Landwirte so darzustellen, wie ich sie sehe, und dies, meine Damen und Herren, in aller Deutlichkeit. ({31}) Ich hoffe daher, daß Sie, Herr Kollege Wehner, hier nicht versuchen, irgendeinen Streit zu finden auf einem Punkt, wo er nicht sein sollte. Wir haben sonst schon genug davon miteinander, denke ich. ({32})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Willy Brandt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000246

Meine Damen und Herren! Darf ich ein paar Bemerkungen in unmittelbarer Beantwortung dessen machen, was Herr Dr. Barzel gesagt hat. Erstens: Ich darf das, was er gesagt hat, so verstehen, daß sich die CDU/CSU durch ihn ausgesprochenermaßen nicht identifiziert mit den draußen im Lande erhobenen Forderungen, die in Richtung auf Abschaffung des Grünen Dollars gehen. ({0}) Zweitens: Wir brauchen nicht darüber zu streiten, daß es keine Wirtschafts- und Währungsunion geben wird, wenn nicht für weite Bereiche Regierungsfunktionen auf europäischer Ebene wahrgenommen werden können. Aber die Alternative, die Sie hier stellen, ist falsch, Herr Kollege Barzel, wenn Sie sagen: wirtschaftlich wollt ihr die Integration und politisch nur die Zusammenarbeit. Wir hatten die Wahl, entweder mit der wirtschaftlichen Integration ein bißchen weiterzukommen und politisch wieder nur zu reden, zu reden wie die ganzen Jahre ({1}) oder zum erstenmal in einen neuen Vorgang der geordneten politischen Konsultation zu kommen, aus dem sich, wie wir alle hoffen - da könnten sich unsere Gedanken dann wieder treffen -, ein Parallelismus ergeben wird. Drittens: Das mit der Landschaftspflege sollte hier so nicht stehenbleiben, wer immer das gesagt hat. Herr Kollege Barzel, wenn weniger mehr produzieren, dann bleibt doch neben den guten, soliden Betrieben der Zukunft auf dem Lande außerdem noch ein Problem der Landschaftspflege. Darüber brauchen wir nicht zu streiten, und darauf haben schon mehrere hingewiesen. Ich muß es ferner mit aller Entschiedenheit zurückweisen, wenn das, was man Eigentumsfeindlichkeit nennt, mit der Politik, der Amtsführung oder gar den Auffassungen dieser Bundesregierung in Zusammenhang gebracht wird. ({2}) Ich muß das zurückweisen, weil es zu einer Vergiftung der politischen Atmosphäre beitragen kann. ({3}) Diese Bundesregierung steht auf dem Boden des Grundgesetzes und braucht sich deshalb einen solchen Vorwurf nicht machen zu lassen. ({4}) Ich muß mich auch für den Finanzminister und für die ganze Bundesregierung dagegen wehren, daß der Führer der Opposition der Regierung hier schlankweg laxen Umgang mit dem Geld - auf öffentliche Finanzen bezogen - unterstellt. ({5}) Ich muß das mit allem Nachdruck zurückweisen. Herr Kollege Barzel, im Laufe des vergangenen Jahres haben Ihre Kollegen und Sie dies hinsichtlich der Abwicklung des Haushalts 1970 immer wieder vorgebracht und behauptet, die Konjunktur werde angeheizt durch die öffentliche Hand, durch den Bund. Ein Finanzminister kann solchen Behauptungen im Laufe eines Haushaltsjahres nie mit letzter Schlüssigkeit widersprechen; er kann es erst, wenn der Abschluß vorliegt. Nun seien Sie offen und ehrlich genug zuzugeben, daß wir im Jahre 1970 bei einer Steigerung des Bruttosozialprodukts um mehr als 12 %, bei einer eingeplanten Steigerung um 9 % tatsächlich nur 7 % mehr ausgegeben haben! Da dürfen Sie doch nicht von einem laxen Umgang mit Geld sprechen. ({6})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren! Entsprechend den interfraktionellen Absprachen unterbreche ich die Beratung dieses Punktes. Wir treten nach einer kurzen Pause in die Fragestunde ein. Nach der Fragestunde, etwa um 14.10 Uhr, fahren wir natürlich mit der Debatte hier fort. 6190 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 10. März 1.971 Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen u Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde - Drucksache VI/ 1916 - Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Frage i des Herrn Abgeordneten Würtz steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl zur Verfügung. Ich frage, ob der Abgeordnete im Saal ist. - Das ist nicht der Fall. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der eingebrachten Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens zur Verfügung. Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Anbuhl auf: Wie viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland leben zur Zeit noch in Lagern, wie sie das Magazin „stern" in seiner Ausgabe vom 21. Februar 1971 geschildert hat, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, gemeinsam mit den Ländern und Gemeinden dein angesprochenen Bevölkerungskreis kurzfristig zu helfen? Herr Staatssekretär! Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Herr Kollege, nach den Aufzeichnungen im „stern" handelt es sich um eine Familie, die durch Räumungsurteil in ein Obdachlosenlager gekommen ist. 3) Die Unterbringung von Räumungsschuldnern ist eine ureigene Angelegenheit der Gemeinden. Eine unmittelbare Hilfe des Bundes ist hier schon allein wegen der präjudizierenden Auswirkungen ausgeschlossen. Der Bund hat früher für die Lagerräumung erhebliche Mittel aufgewandt. Diese Programme sind seit Jahren abgeschlossen. Unterlagen der amtlichen Bundesstatistik über die Zahl der Obdachlosen gibt es nicht. Das Land Nordrhein-Westfalen hat als einziges Bundesland letztmalig Mitte 1969 amtlich rund 182 000 Obdachlose in seinem Land ermittelt. Das sind 1,06 % der Landesbevölkerung. Hiernach könnte die Schätzung von etwa '500 000 Obdachlosen im Bundesgebiet in der Größenordnung in etwa stimmen. Im übrigen fördert die Bundesregierung mit dem langfristigen Wohnungsbauprogramm verstärkt den sozialen Wohnungsbau, mit dem Intensivprogramm insbesondere auch den Wohnungsbau für kinderreiche Familien. Spezielle Maßnahmen für die Obdachlosen müssen die Gemeinden einleiten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 3 der Frau Abgeordneten Jacobi ({0}) auf: Ist es notwendig, daß bei einer Anfrage eines Petenten in einer Wohngeldangelegenheit ({1}) der Bundesminister sechs Monate auf die Antwort eines Ministeriums aus Nordrhein-Westfalen warten muß? Die Frau Kollegin ist anwesend. Herr Staatssekretär! Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Frau Kollegin, das Wohngeldgesetz wird nach Art. 85 GG im Auftrag des Bundes von den Ländern ausgeführt, deren Behörden in Einzelfällen in eigener Zuständigkeit entscheiden. Ohne Kenntnis dieser Entscheidung und der näheren Einzelheiten ist eine Beantwortung der Anfragen vom Petenten zu ihrem Wohngeldvorgang nicht möglich. Es ist deshalb erforderlich, zunächst die Stellungnahme der für die Ausführung des Wohngeldgesetzes zuständige oberste Landesbehörde einzuholen, die ihrerseits auf dem Dienstwege den Bericht der örtlich zuständigen Wohngeldbewilligungsstelle einholen muß. Dadurch ist es nicht zu vermeiden, daß die erbetene Stellungnahme eine entsprechende Zeit in Anspruch nimmt. Das ist besonders dann nicht zu umgehen, wenn darüber hinaus Auskünfte über die für die Wohngeldgewährung maßgebenden Einkommensverhältnisse von anderen Behörden, namentlich den Finanzbehörden, einzuholen sind, wie dies in der hier speziell angesprochenen Wohngeldangelegenheit der Fall war. In dieser Wohngeldangelegenheit mußte die Behandlung der Mehrkosten für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten im Lande mit den Finanzbehörden geklärt werden. Da die Finanzbehörden sich hierzu inzwischen geäußert haben, ist in Kürze mit der abschließenden Stellungnahme der obersten Landesbehörde in Nordrhein-Westfalen zu rechnen. Innerhalb meines Kompetenzbereiches bin ich jedoch stets bemüht, mich zu Petitionen so schnell wie möglich zu äußern.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Frau Kollegin, eine Zusatzfrage.

Maria Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Haben Sie nicht den Eindruck, Herr Staatssekretär, daß das auch in der Hälfte der Zeit zu bewältigen wäre? Ist nicht angesichts der Tatsache, daß das Wohngeld immer nur für ein Jahr bewilligt wird, ein halbes Jahr wirklich ein etwas langer Zeitraum? Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen: Frau Kollegin, mir steht es nicht zu, den Verwaltungsgang eines Landes zu kritisieren. Aber auch mir kommt dieser Zeitraum recht lang vor. Ich bitte aber, dabei zu bedenken, daß hier noch eine Entscheidung der Finanzbehörden ausstand.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Hauses beantwortet. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Schober auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß Banken nur einen kleinen Teil der Münz-Sonderprägungen am Ausgabetag an ihre Kunden zum Nominalwert verkaufen, den anderen Teil aber Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen einige Zeit liegen lassen und dann mit beträchtlichem Aufpreis durch ihre Münzabteilung verkaufen? Herr Staatssekretär! Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Deutsche Bundesbank, die für die Verteilung aller Bundesmünzen zuständig ist, hat mir mitgeteilt, daß nach ihrer Kenntnis die deutschen Kreditinstitute die ihnen von den Landeszentralbanken zugeteilten Münz-Sonderprägungen in voller Höhe zum Nennwert weitergeben. Wie Kreditinstitute, die mit Münzen handeln, glaubhaft versichert haben, werden ihnen Gedenkmünzen häufig schon kurz nach der Erstausgabe aus Kreisen der Bevölkerung wieder zu Aufpreisen angeboten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Schober auf: Trifft es zu, daß ausländische Münzsammler bei der Deutschen Bundesbank Sonderprägungen in unbegrenzter Höhe beziehen können, um sie alsdann wieder schwarz in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und mit erheblichen Gewinnen zu verkaufen, und sieht die Bundesregierung vor, solche Praktiken zu unterbinden? Herr Staatssekretär! Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Es trifft nicht zu, daß ausländische Münzsammler hei der Bundesbank Sonderprägungen in unbegrenzter Höhe beziehen können. Lediglich bei der Olympia-Münze zu 10 DM gibt die Bundesbank wegen der weltweiten Bedeutung der Olympischen Spiele ein verhältnismäßig kleines Kontingent über deutsche Kreditinstitute und deutsche Münzhändler an ausländische Interessenten ab. Die Münzen werden aber nur unter der Voraussetzung geliefert, daß entsprechende Bestellungen aus dem Ausland vorliegen -und daß der Versandnachweis auf Verlangen der zuständigen Landeszentralbank erbracht wird. Mißbräuchliche Praktiken würden zu einem Ausschluß von der weiteren Belieferung führen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Schober.

Dr. Kurt Schober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie eine Regelung für möglich halten, nach der Münzsammler, ähnlich wie es Briefmarkensammlern möglich ist, Sonderprägungen gewissermaßen im Abonnement beziehen? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Hinterher, so ähnlich wie durch diese Briefmarkensammlerstellen? ({0}) - Ich glaube nicht, daß das ohne weiteres möglich ist. Die Verteilung geschieht generell über die Bundesbank. Das würde Gespräche mit der Bundesbank voraussetzen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Kurt Schober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie bitten, Herr Staatssekretär, anzufragen, ob solche Möglichkeiten bei der Deutschen Bundesbank gegeben sind. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich will die Frage gerne prüfen und Ihnen dann schriftlich darüber Auskunft geben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir kommen zu Frage 17 des Abgeordneten Härzschel. Der Herr Kollege ist nicht im Saal; diese Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frage 18 des Abgeordneten Härzschel wird vom Bundesminister des Innern beantwortet, so daß sie an dieser Stelle wegfällt. Ich rufe Frage 19 des Abgeordneten Dr. Apel auf: Kann die Bundesregierung Presseberichte bestätigen, nach denen die Reederei Hugo Stinnes Transozean Schiffahrt GmbH, Mülheim/ Ruhr, seit September/ Oktober 1970 weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge für die bei ihr beschäftigten Seeleute abgeführt hat, und, falls dies zutrifft, warum hat das Finanzamt bzw. die Berufsgenossenschaft nicht rechtzeitig auf eine Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gedrungen? herr Staatssekretär! Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister der Finanzen: Erstens. Den steuerlichen Teil Ihrer Anfrage, Herr Kollege, kann ich leider nicht beantworten, da die Angaben, die Sie von mir wünschen, unter dem Schutz des Steuergeheimnisses stehen. Zweitens. Die Frage nach der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge betrifft an sich den Geschäftsbereich des Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Dieser hat mich aber ermächtigt, dazu folgendes zu sagen: Die Seeberufsgenossenschaft und die Seekasse einschließlich der Seekrankenkasse machen gegen die Reederei Hugo-Stinnes-Transozean-SchiffahrtGmbH und andere mit diesen wirtschaftlich verbundenen Gesellschaften Forderungen wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge für die von diesen Gesellschaften beschäftigten Seeleute geltend. Über Umfang und Höhe dieser Forderungen kann ich im Augenblick Näheres nicht sagen. Die Seeberufsgenossenschaft und die Seekasse haben bereits im Februar des vergangenen Jahres wegen noch offener Beitragsforderungen Beitreibungsverfahren eingeleitet und verfolgen zur Zeit ihre durch Schiffsgläubigerrechte gesicherten Forderungen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen haben sie die erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften ergriffen. Der soziale Schutz der betroffenen Seeleute besteht in der gesetzlichen Krankenversicherung und Unfallversicherung unabhängig von der Zahlung der fälligen Beiträge weiter fort. In der gesetzlichen Rentenversicherung gilt gemäß § 1397 Abs. 6 der Reichsversicherungsordnung das gleiche, wenn Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl der Versicherte glaubhaft macht, daß der auf ihn entfallende Beitragsanteil vom Lohn abgezogen worden ist.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist damit sichergestellt, daß die Versicherten nicht selbst - wie es ja durchaus möglich wäre - zur Zahlung dieser Sozialversicherungsbeiträge herangezogen werden? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, in dieser Hinsicht glaube ich Sie beruhigen zu können. Das geschieht nach allen Auskünften des Arbeitsministeriums nicht.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Ott zu einer Zusatzfrage.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie vorher sagten, Sie könnten mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis die Auskunft nicht geben, frage ich Sie, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß Sie dann, wenn auf Grund dieses in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Vorganges mit dem Abschluß eines Steuerstrafverfahrens vor einem ordentlichen Gericht, was im Bereich des Möglichen liegt, das Steuergeheimnis trotzdem nicht gewahrt ist, ohne weiteres deshalb auch jetzt die Möglichkeit hätten, die Tatsachen bekanntzugeben? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nein, die Möglichkeit habe ich nicht. Das Steuergeheimnis steht dem entgegen. Solange kein Verfahren eröffnet ist, bin ich nicht in der Lage, hier etwas zu sagen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe Frage 20 des Herrn Abgeordneten Varelmann auf: Wie stellt sich die Bundesregierung zu der Forderung, daß nicht nur die Kosten des Straßenbaus aus dem Steuereinkommen des Straßenverkehrs zu decken sind, sondern auch die für die menschlichen Lasten und Opfer, die aus diesem Verkehrsbereich entstehen - z. B. die Kosten der Schaffung von Krankenhausbetten für die Verkehrsverletzten? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Kollege, fragen Sie danach, wie sich die Bundesregierung zu der Forderung stelle, aus dem für den Straßenbau zweckgebundenen Teil des Mineralölsteueraufkommens Mittel abzuzweigen, um damit insbesondere Krankenhausbetten und auch ganze Krankenhäuser für Verkehrsverletzte zu finanzieren. Die Bundesregierung hat zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Krankenhäusern bereits Ende des vergangenen Jahres den Entwurf eines Gesetzes - Krankenhausgesetz - vorgelegt. Der Entwurf sieht vor, daß die erforderlichen Investitionen von der öffentlichen Hand getragen und die Benutzerkosten über den Pflegesatz abgedeckt werden. Der Bund beteiligt sich an den öffentlichen Aufwendungen mit grundsätzlich einem Drittel durch Finanzhilfen an die Länder nach Art. 104 a GG. Es wird angestrebt, das Krankenhausgesetz noch bis zum 1. Juli 1971 in Kraft treten zu lassen. Eine Finanzierung der öffentlichen Aufwendungen nach dem- Krankenhausgesetz aus den zweckgebundenen Mitteln des Mineralölsteueraufkommens ist nicht beabsichtigt. Sie würde eine Schmälerung der für den Straßenbau verfügbaren Mittel bedeuten. Schon im Interesse der Verkehrssicherheit sieht die Bundesregierung davon ab, solche Kürzungen zu erwägen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Varelmann.

Franz Varelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind für den Verkehr die Krankenhausbetten nicht. genauso wichtig wie Straßen und Parkplätze? Wäre es deshalb nicht angebracht, aus dem Gesamtaufkommen - nicht aus dem zweckgebundenen Teil - der Verkehrsteuern auch dafür zu sorgen, daß die notwendigen Krankenhausbetten für die Verkehrsverletzten geschaffen werden? Ist das nicht zur Zeit eine Zurückstellung dieses Problems gegenüber den beiden anderen? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich teile durchaus Ihre Meinung, daß auch Krankenhausbetten wichtig sind. Auf keinen Fall könnte ich aber neuen Zweckbindungen zustimmen, noch dazu - das wollen Sie doch - hinsichtlich der Mineralölsteuer. Ich könnte mich nicht damit einverstanden erklären, daß man zusätzliche Teile der Mineralölsteuer für solche Zwecke bindet. Die Regierung hat ja im übrigen ein Gesetz eingebracht, durch das die Schaffung von Krankenhausbetten gefördert werden soll.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann.

Franz Varelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wird damit dieses wichtige Problem nicht hintangestellt? Würde die Zahl der Verkehrstoten nicht vielleicht geringer werden, wenn qualitativ hochwertige Krankenhausbetten für die zahlreichen Verkehrsverletzten vorhanden wären? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, für die Einrichtung von Krankenhausbetten sind grundsätzlich die Länder und die Gemeinden zuständig. Der Bund leistet hierfür überhaupt nur Finanzhilfen. Es ist also Sache der Länder und der Gemeinden, das zu planen, und das würde durch eine solche Regelung, wie sie Ihnen vorschwebt, in keiner Weise beschleunigt. Im Gegenteil, nützlicher Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl wäre es, wenn alle hier in diesem Hause zusammen dafür sorgten, daß das Krankenhausfinanzierungsgesetz möglichst schnell in Kraft tritt. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Gleissner.

Dr. Franz Gleissner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000689, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist das Bundesfinanzministerium angesichts der Auswirkungen der Motorisierung, der erheblich gestiegenen Unfälle und Schäden, bereit und in der Lage, eine finanzielle Generalkonzeption und Gesamtbilanz für alle Folgelasten erstellen zu lassen, um als Voraussetzung für eine Änderung unserer gegenwärtigen Verkehrspolitik die wahren Kosten und Folgelasten unserer übertriebenen Motorisierung zu ermitteln? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, das fiele nicht in die Zuständigkeit des Finanzministers, sondern in die des Verkehrsministers.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, Sie haben keine weitere Zusatzfrage mehr, und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Frage nur noch sehr bedingt im Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Varelmann gesehen werden kann. Zu einer weiteren Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, daß diese von Abgeordneten der CDU/ CSU-Fraktion vorgetragene Forderung in direktem Widerspruch zu dem steht, was dieselbe CDU/CSU- Fraktion fordert, nämlich der Erhöhung der Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Straßenbau? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich bin mir dessen sehr wohl bewußt, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Die beiden ersten Fragen sind vom Herrn Abgeordneten Richarts eingebracht. - Der Fragesteller ist nicht im Saal. Beide Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Dr. Rinderspacher auf: Ist die Bundesregierung bereit, sich entsprechen(] der Empfehlung 637 ({0}) der Beratenden Versammlung des Europarates am Ausbau und an den Arbeiten des Internationalen Zentrums kür Agrarforschung im Mittelmeerraum zu beteiligen? Bitte, Herr Staatssekretär! Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Rinderspacher, die Bundesregierung hat das Abkommen vom 21. Mai 1962 über die Errichtung des internationalen Zentrums für agrarwissenschaftliche Studien im Mittelmeerraum nicht unterzeichnet. Signatarmächte sind ausschließlich die europäischen Mittelmeerländer. Die Empfehlung 637 der Beratenden Versammlung des Europarates vom Jahre 1971 fordert u. a. die Nichtzeichnerstaaten auf, bei den Maßnahmen des internationalen Zentrums mitzuwirken. Der Empfehlung liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Zukunft der Landwirtschaft - auch in dieser Region - entscheidend von der landwirtschaftlichen Ausbildung und dem Stand des ländlichen Bildungswesens abhängt und geprägt wird. Diese Auffassung wird von uns uneingeschränkt geteilt, zumal in den Anrainerstaaten des Mittelmeeres im Vergleich mit anderen europäischen Ländern noch ein erheblicher Nachholbedarf besteht. Die Empfehlung 637, die auf eine Intensivierung der Arbeiten des internationalen Zentrums für agrarwissenschaftliche Studien im Mittelmeerraum hinausläuft, ist daher aus fachlichen Gesichtspunkten zu begrüßen und verdient die Unterstützung aller im Europarat vereinten Nationen. Die Bundesregierung ist bereit, die Bemühungen des Zentrums ideell zu unterstützen. Hierbei ist in erster Linie an einen Erfahrungs- und Informationsaustausch gedacht. Die Bundesregierung ist auch bereit, dem internationalen Zentrum für agrarwissenschaftliche Studien im Mittelmeerraum Forschungsmaterial und Dokumentation zugänglich zu machen und Kontakte zu den einschlägigen wissenschaftlichen Institutionen in der Bundesrepublik zu vermitteln. Eine finanzielle Beteiligung ist allerdings nicht möglich; hierfür stehen im Haushalt keine Mittel zur Verfügung.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Dr. Fritz Rinderspacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie selbst haben die Bedeutung dieser Forschungsanstalt für die Bundesrepublik direkt und indirekt zugegeben und gesagt, daß Sie durch Zurverfügungstellung von Material hier ideell mithelfen wollten. Wäre es dann nicht angebracht, daß die Bundesregierung einen direkten Einfluß erhält? Sie könnte zumindest auf die personelle Besetzung dieses Gremiums Einfluß zu nehmen versuchen, indem sie einen ihrer Experten in das Gremium entsendet. Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das Anliegen, das in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht wird, scheint mir einleuchtend zu sein. Ich bin durchaus bereit, Erkundigungen einzuziehen und in dieser Richtung zu wirken.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rinderspacher.

Dr. Fritz Rinderspacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie bereit sind, im künftigen Haushalt für diesen Zweck einen - wenn auch bescheidenen - Posten einzusetzen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Das kann ich Ihnen heute noch nicht versprechen. Wir werden die Entwicklung sehr genau zu prüfen haben und dann auch Überlegungen in Ihrem Sinne anstellen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Röhner auf: Wann beabsichtigt die Bundesregierung, nach Abschluß des Haushaltsgesetzgebungsverfahrens 1971 dem Deutschen Bundestag und seinem Haushaltsausschuß einen Antrag vorzulegen, der die im Einzelplan 10, Kapitel 10 03, enthaltenen und im Haushaltsjahr 1971 dort nicht benötigten Mittel in den Förderungsbereich der nationalen Agrarpolitik ({0}) überführt? Herr Staatssekretär! Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Röhner, das in Ihrer Frage angeschnittene Problem hängt wesentlich von dem Fortgang der Beratungen über die Brüsseler Preis- und Strukturvorschläge und den erzielten konkreten Verhandlungsergebnissen ab. Ich kann daher im Augenblick noch keine Angaben über den genauen Zeitpunkt eines Antrages nach § 5 Abs. 4 des Haushaltsgesetzes 1971 nennen. Ich darf hierzu im übrigen auf die Debatte zur zweiten Lesung des Bundeshaushalts 1971 verweisen, in der Minister Ertl die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung dargelegt hat. Hieran halten wir fest.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.

Paul Röhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001869, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß aus dem Papier, das der Herr Finanzminister dem Haushaltsausschuß unter dem Datum vom 19. Januar 1971 zum Haushaltsausgleich 1971 vorgelegt hat, und aus der Presseerklärung vom 20. Januar 1971 des Herrn Bundesernährungsministers, in der er auf dieses Papier Bezug genommen hat, zwingend hervorgeht, daß im Einzelplan 10 Kap. 10 03 tatsächlich Haushaltsreste durch Minderausgaben vorhanden sind, über die die Bundesregierung bereits jetzt verfügen kann? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich glaube, es ist durchaus bekannt, daß gewisse Minderausgaben vorhanden sind. Man kann aber noch in keiner Weise sagen, in welcher Höhe Mittel frei werden. Deshalb halte ich es für verfrüht, schon heute irgendwelche Festlegungen dieser Mittel vorzunehmen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Paul Röhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001869, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß aus den eben genannten Verlautbarungen hervorgeht, daß es sich nicht nur um die ehedem genannten 256,8 Millionen DM handelt, sondern - das wird aus dem Papier zum Haushaltsausgleich deutlich daß es sich tatsächlich um 438,5 Millionen DM Minderausgaben in Kap. 10 03 handelt, die nach Kap. 10 02 umverlagert, d. h. in den Bereich der nationalen Agrarpolitik überführt werden könnten? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Röhner, Ihnen ist ja bekannt, daß im letzten Jahr eine solche Umverlagerung von Kap. 10 03 nach Kap. 10 02 erfolgt ist. Wenn jetzt wieder Mittel frei werden, wird auch eine ähnliche Verlagerung wieder vorgenommen werden. Ich kann hier aber heute noch nicht konkret sagen, welcher Betrag frei wird. Wir sind in unseren Feststellungen tatsächlich noch nicht so weit, das genau formulieren zu können.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Röhner auf: Ist die Bundesregierung bereit, zur Entlastung der Kostenseite der deutschen Landwirtschaft den Verbilligungssatz nach dem Gasölverbilligungsgesetz um mindestens 5 Pfennig je Liter anzuheben und die dafür erforderliche Gesetzesinitiative umgehend zu ergreifen? Herr Staatssekretär! Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Röhner, auch diese Frage hängt von dem Ergebnis der Brüsseler Verhandlungen ab. Erst wenn sich hier konkrete Ergebnisse abzuzeichnen beginnen, kann gesagt werden, welche Maßnahmen im einzelnen zur kostenmäßigen Entlastung der deutschen Landwirtschaft ergriffen werden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Paul Röhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001869, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte verdeutlichen, was Sie darunter verstehen, wenn Sie sagen, eine Dieselkraftstoffverbilligung zur Kostenentlastung für die deutsche Landwirtschaft hänge von den Brüsseler Preisverhandlungen ab? Ich sehe da keinen Zusammenhang. Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, Ihnen ist ja bekannt, daß die Bundesregierung sich in Brüssel um eine merkliche Anhebung der Agrarerzeugerpreise bemüht. Wir müssen erst die Ergebnisse dieser Verhandlungen abwarten. Ich meine, erst wenn wir wissen, welche Erhöhung in Brüssel tatsächlich erreicht worParlamentarischer Staatssekretär Logemann den ist, wäre es an der Zeit, an nationale Kompensationen zu denken.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Paul Röhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001869, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, kann ich Ihre Antwort so verstehen, daß dann, wenn in Brüssel nach Ihrer Ansicht ausreichende Preiserhöhungen durchsetzbar wären - die ganze Welt, auf jeden Fall aber die deutsche Landwirtschaft weiß, daß das nicht zu erwarten ist - -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Röhner, beschränken Sie sich bitte entsprechend den Richtlinien der Fragestunde auf Zusatzfragen, und nehmen Sie hier keine Wertungen vor.

Paul Röhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001869, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bemühe mich darum, Herr Präsident. Würde dann also seitens der Bundesregierung auf weitere Bemühungen verzichtet werden, auch die Kostenseite der Landwirtschaft z. B. durch eine weitere Verbilligung des Dieselkraftstoffes günstiger zu gestalten? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Die Absichten der Bundesregierung gehen durchaus in Richtung einer Kostensenkung für die Landwirtschaft. Das dürfte auch durch verschiedene Äußerungen schon bekanntgeworden sein. Wir müssen uns darum bemühen, gerade bei der Kostenseite anzufangen, weil hier in den letzten Monaten - das ist heute morgen schon zum Ausdruck gekommen - erhebliche Preissteigerungen festzustellen sind.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.

Anton Ott (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001664, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir zu sagen, in welcher Weise in den anderen Ländern der EWG der Dieselkraftstoff für die Landwirtschaft subventioniert wird und wie hoch dort der Verbilligungssatz ist? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich kann Ihnen hier - darüber habe ich eine Aufstellung - nur die Preise nennen, die in der Bundesrepublik und in anderen Ländern für Dieselkraftstoff gezahlt werden. In der Bundesrepublik haben wir einen Preis von zirka 0,17 bis 0,20 DM ie Liter, in Belgien von zirka 0,28 DM je Liter, in Frankreich von zirka 0,15 bis 0,17 DM je Liter, in Italien von zirka 0,125 DM je Liter - also ein sehr niedriger Preis ; in Luxemburg zahlt man zirka 0,19 bis 0,23 DM je Liter und in den Niederlanden zirka 0,21 DM je Liter Dieselkraftstoff.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Die Frage 35 ist von dem Herrn Abgeordneten Geldner eingereicht. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Herr Abgeordneter Berberich, ich fürchte fast, es konnte Ihnen noch nicht mitgeteilt werden, daß Ihre Frage von dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beantwortet wird. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Engelsberger auf: Welche Haltung nimmt die Bundesregierung ein zu dem Vorschlag, im Zuge der weiteren Integration Europas auf wissenschaftlich-kulturellem Gebiet und im Interesse verbesserter Bildungseinrichtungen für den Südosten Bayerns im Raum Salzburg-Freilassing eine europäische Universität zu errichten. und ist die Bundesregierung bereit, mit der Regierung der Republik Österreich die notwendigen Kontakte aufzunehmen mit dem Ziel, die bereits bestehenden Institute der Universität Salzburg in diese neue Universität einzubeziehen und weitere Institute auf bayerischem Gebiet bei Freilassing zu errichten? Bitte, Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, weder den zuständigen Stellen der Bundesregierung noch - wie auf Anfrage bestätigt wurde - der Bayerischen Staatsregierung ist bisher ein solches Projekt bekanntgeworden. Darum ist hier natürlich ohne detaillierte Prüfung auch keine Stellungnahme möglich.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Engelsberger.

Matthias Engelsberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000475, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung dem Projekt gegenüber positiv eingestellt, wenn ein derartiger Antrag käme bzw. wenn der Vorschlag präzisiert werden sollte? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, Fragen der Planung zukünftiger Hochschulstandorte werden im Planungsausschuß nach dem Hochschulbauförderungsgesetz entschieden. Die Bundesregierung kann ein solches Projekt erst beurteilen, wenn sie konkret Einzelheiten vorgelegt bekommen hat und wenn insbesondere auch die Stellungnahme des Freistaates Bayern zu dieser Frage vorliegt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Die nächsten beiden Fragen sind von dem Herrn Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) gestellt. Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht im Saal. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Dr. Gölter auf: Handelt es sich bei der in der Pressemitteilung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft vom 17. Januar 1971 angeführten deutsch-schwedischen Kommission zur Untersuchung von Fragen der Mitwirkung in Schule, Hochschule und Forschung um eine Kommission der beiden genannten Staaten oder der sozialdemokratischen Parteien beider Länder? Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildurig und Wissenschaft: Es handelt sich, Herr Kollege Gölter, um Kommissionen beider Staaten, die gemeinsam arbeiten und gemeinsam tagen sollen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Dr. Georg Gölter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Bekanntgabe der Zusammensetzung dieser gemeinsamen staatlichen Kommission auf einer Parteiveranstaltung der SPD eine unzulässige Vermischung von Staat und Partei bedeutet? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bekanntgabe, Herr Kollege, fand nicht auf einer Parteiveranstaltung der SPD statt. Es war vielmehr so, daß ich in Lübeck war und daß dort auch ein Vertreter des schwedischen Kultusministeriums anwesend war. Bei diesem Zusammentreffen haben wir die Gelegenheit wahrgenommen, um auf einer abseits von dem Bildungskongreß der Sozialdemokratischen Partei Schleswig-Holsteins stattfindenen Pressekonferenz zur Frage der Mitgliedschaft Stellung zu nehmen. Hier hat also keine Vermischung stattgefunden, Ihre Frage ist zu verneinen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

) Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Georg Gölter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

'Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann den Wortlaut der Mitteilung des Pressedienstes des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 17. Januar 1971, daß im Namen des schwedischen Ministers für Erziehungswesen und des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Dr. von Dohnanyi am Sonntag, den 17. Januar 1971, in Lübeck anläßlich des bildungspolitischen Kongresses der SPD Schleswig-Holsteins die Namen der Mitglieder usw. bekanntgegeben hat? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der Pressedienst ist in dieser Beziehung inkorrekt, nicht präzise. Die Pressekonferenz fand anläßlich dieses Bildungskongresses statt. Ich wiederhole also, was ich zunächst sagte: Es sind zwei getrennte Verfahren gewesen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf: Wie versteht die Bundesregierung im einzelnen die von Bundeswissenschaftsminister Professor Dr. Leussink gemachten Ausführungen über „Konsumverzicht" bei der Jahreshauptversammlung des Hartmann-Bundes, wonach „die Ausgaben fur Bildung und Wissenschaft in den nächsten zehn Jahren auf das Drei- bis Vierfache ansteigen und dieser größere Anteil an den öffentlichen Ausgaben nur durch einen gewissen Konsumverzicht überhaupt zu erreichen ist"? Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege, die Äußerungen von Herrn Minister Leussink lauteten etwas anders. Ich bitte um die Genehmigung des Herrn Präsidenten, hier das Zitat im ganzen verlesen zu dürfen, weil es die Dinge klärt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Bitte, Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Das Zitat heißt: Während das Bruttosozialprodukt sich in den nächsten 10 Jahren nach den gängigen Vorausschätzungen nominal knapp verdoppeln wird, müssen die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Wissenschaft auf das Drei- bis Vierfache ansteigen. Anders ausgedrückt: Der Anteil dieser öffentlichen Ausgaben am Sozialprodukt, der zur Zeit etwa 4 / beträgt, muß auf etwa 8 % steigen. Nun kommt die entscheidende Stelle des Zitats: Dies wird unter großen Anstrengungen und nur mit einem gewissen Konsumverzicht zu bewältigen sein. Ich bin überzeugt, die Mehrheit unseres Volkes ist dazu bereit. Ich könnte mir vorstellen, daß dieses vollständige Zitat keiner weiteren Erläuterung mehr bedarf, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter!

Dr. Franz Gleissner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000689, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, trotz der Nennung des vollen Zitats - das mir bekannt war - muß ich fragen: wäre es nicht besser und verantwortlicher, anstatt solcher Appelle, die doch zunächst einmal sehr allgemein sind, konkrete Vorschläge zu machen oder wenigstens die Gebiete zu nennen, auf denen Konsumverzicht zuerst geboten wäre, und zu sagen, wie der Konsumverzicht aussehen soll. Denn darauf kommt es doch an, um dem gerecht zu werden, was Ihr Minister hier zum Ausdruck bringen wollte. Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Gleissner, „Konsumverzicht" ist ein relativ allgemeiner Begriff. Er befaßt sich in diesem speziellen Fall mit der Problemstellung, daß der Zuwachs des Sozialprodukts in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr mit dem gleichen Anteil in den privaten Konsum gehen kann, wenn eine Reihe öffentlicher Aufgaben, zu denen auch die Bildung gehört, bewerkstelligt werden sollen. Der Minister für Bildung und Wissenschaft hat diese Vorstellung natürlich auch in die Verhandlungen der Bund-Länder-Kommission eingebracht. Ich bin sicher, daß wir im Rahmen der Erstellung des Bildungsbudgets durch die Bund-Länder-Kommission entsprechende Überlegungen sehen werden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine letzte Zusatzfrage!

Dr. Franz Gleissner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000689, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihr Haus oder Ihr Herr Minister bereit, sich angesichts des nach wie vor propagierten Wachstums des Konsums mit konkreten Beispielen und Vorschlägen für das einzusetzen, was Sie soeben vorgetragen haben? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Gleissner, ich muß ehrlich sagen, daß ich die Frage nicht ganz verstehe.

Dr. Franz Gleissner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000689, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf sie dann wiederholen. Herr Staatssekretär, angesichts des nach wie vor propagierten Wachstums gibt es doch Zweifel hinsichtlich dessen, was Ihr Minister will, nämlich eine Verlagerung der hohen Wachstumsraten des Konsums zugunsten einer erheblich geförderten Wissenschaft und Ausbildung oder auch zugunsten der sogenannten Gemeinschaftsaufgaben. Ist Ihr Minister bereit, sich dafür einzusetzen und konkrete Vorschläge zu unterbreiten, die es wohl auch gibt, weil es sonst keinen Sinn hätte, vorher allgemeine Appelle zu verkünden?

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Gleissner, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Zusatzfrage knapp und präzis im Sinne der Richtlinien stellten. - Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Gleissner, ich fürchte, daß Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hier einer Fehlinterpretation erlegen sind, die ich richtigzustellen versuchen möchte. Wachstum bedeutet eben nicht notwendigerweise auch Konsum. Die öffentliche Debatte, die gegenwärtig über die Frage „Öffentliche Armut und privater Reichtum?" geführt wird, geht darum, daß wir zwar Wachstum brauchen, dieses Wachstum aber eventuell verstärkt zugunsten der öffentlichen Aufgaben stattfinden muß. Ohne Wachstum wird es nicht gehen. Der Minister wird sich selbstverständlich weiterhin für Wachstum einsetzen, auch im Kabinett. Aber wo und wie dieses Wachstum verteilt werden soll, das ist die große Frage, Herr Kollege Gleissner.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 81 des Abgeordneten Dr. Haack auf: Was unternimmt die Bundesregierung, um den Schulen der Bundesrepublik Deutschland genügend Informationsmaterial für die Erörterung aktueller politischer Fragen im Sozialkundeunterricht zur Verfügung zu stellen? Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Haack, für die Ausstattung der Schulen mit Informationsmaterial sind natürlich in erster Linie die Länder zuständig. Ich darf hier feststellen, daß im Einvernehmen mit den Bundesministern der Länder die Bundeszentrale für politische Bildung den Schulen etwa sechsmal im Jahr in einer Auflage von ca. 900 000 Exemplaren die Schrift „Informationen zur politischen Bildung" zur Verfügung stellt. Die Hefte dieser Reihe bringen Darstellungen zu politischen und zeitgeschichtlichen Schwerpunktfragen und geben auch didaktische und methodische Hinweise für die Behandlung im Unterricht. Die „Informationen zur politischen Bildung" werden vornehmlich an Lehrer, aber auf Anforderung auch an Schüler in den oberen Klassen abgegeben. Für diese Schüler hat die Bundeszentrale für politische Bildung außerdem unter dem Titel „Kontrovers" eine Reihe begonnen, und diese bietet mit einer Reihe von Originaldokumenten zu politisch umstrittenen Themen Arbeitsmaterial für den Unterricht. Neben diesem gezielten Informationsangebot für Schulen ist auf die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene Wochenzeitung „Das Parlament" hinzuweisen, die in etwa 40 000 Exemplaren kontinuierlich und intensiv über die Beratungen im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen berichtet und regelmäßig den Schulen und Berufsschulen zur Verfügung gestellt wird. Daneben stehen zur aktuellen politischen Information aus dem allgemeinen Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung auf Anforderung Bücher und Broschüren für die Mittler, für die Lehrer, im Bereich der politischen Bildung zur Verfügung, aber auch Massenpublikationen für ganze Schulklassen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß der Bund selbstverständlich im Rahmen der Bund-Länder-Kommission auch diese Fragen mit zu behandeln beabsichtigt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Dr. Dieter Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000757, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da ich bei meinen bisherigen Diskussionen in Schulen festgestellt habe, daß das Informationsmaterial nicht ausreichend ist, darf ich mir die Anregung erlauben, daß Sie gerade in der Bund-Länder-Kommission Ihr besonderes Augenmerk darauf richten, daß diese Frage erörtert wird und daß man versucht, gerade über aktuelle politische Themen - ich darf hier als Beispiel etwa Vertragstexte im Rahmen der Ostpolitik nennen die Schulen noch besser als bisher mit Informationsmaterial zu beliefern. Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Haack, ich nehme diese Anregung sehr gerne auf und werde sie in unserem Hause und mit dem zuständigen Bundesinnenministerium diskutieren. 6198 Deutscher Bundestag -- G. Wahlperiode -

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher.

Dr. Fritz Rinderspacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001852, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr, daß durch allzu großzügige Belieferung der Schulen mit Informationsmaterial diese Schriften abgewertet werden und unbenutzt herumliegen, und ist es nicht besser, daß man der Schule oder den Schulen das Material anbietet und dann im Interesse der wirtschaftlichen Verwertung nur die Exemplare zur Verfügung stellt, die angefordert und damit auch wirklich gebraucht werden? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: In einigen Fällen, Herr Kollege, wird das sicher zweckmäßig erscheinen, in anderen Fällen ist es wahrscheinlich besser, wenn man regelmäßig bestimmte Informationen zur Verfügung stellt. Das Tempo, die Informationsfrequenz ist so, daß man nicht immer warten kann, bis nachgefragt wird. Aber ich will auch diese Anregung gerne aufgreifen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Hermesdorf auf: Ist die Bundesregierung bereit, in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung darauf hinzuwirken, daß die freien Träger von Schulen entsprechend ihren bisherigen Leistungen im Rahmen des sogenannten Bildungsgesamtplanes angemessen berücksichtigt werden und bei gleichen Leistungsanforderungen die entsprechende Förderung erfahren? Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hermesdorf, der Bildungsgesamtplan, der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung bearbeitet wird, soll Grundlagen für die Entwicklung des Bildungswesens bis 1985 zusammengefaßt darstellen. Dabei wird die Rolle und die Bedeutung der nichtöffentlichen Träger von Bildungseinrichtungen, die ja durch Art. 7 GG gesichert sind, von den Vertragschließenden auch hinsichtlich der erforderlichen Förderung gewürdigt werden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, bitte schön!

Dr. Herbert Hermesdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß die Bundesregierung ein Staatsmonopol im Erziehungswesen ablehnt und gewillt ist, den verschiedenen Gruppen in unserer freiheitlich strukturierten Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, auch die finanzielle Möglichkeit, ihre Bildungsvorstellungen in unser Schulsystem einzubringen und entsprechende Erziehungs- und Bildungsstätten einzurichten, selbstverständlich unter Staatsaufsicht und bei gleichen Leistungsanforderungen? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hermesdorf, ich bin nicht sicher, was ich unter dem Begriff „Staatsmonopol" verstehen darf. Sie haben eben gehört, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage auf Art. 7 GG Bezug genommen hat. Es besteht andererseits gar kein Zweifel, daß die Bundesregierung im Bildungsbericht auf die öffentliche Aufgabe aller Bildungseinrichtungen hingewiesen hat. In diesem Zusammenhang und unter diesen beiden Aspekten habe ich auch die Frage beantwortet, die Sie soeben zum zweitenmal gestellt haben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Herbert Hermesdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, sich bei den jetzt anstehenden Verhandlungen innerhalb der Bund-Länder-Kommission über das Bildungsbudget dafür einzusetzen, daß die freien Träger von Schulen angemessen berücksichtigt und entsprechend eingeplant werden? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hermesdorf, ich darf das wiederholen, was ich gesagt habe. Genau das war meine Antwort, nämlich daß die hinsichtlich ihrer besonderen Aufgabe zu berücksichtigenden freien Träger von den Vertragschließenden, zu denen auch die Bundesregierung gehört, hinsichtlich der allgemeinen Förderung entsprechend behandelt werden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Hermesdorf auf: Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten der Einwirkung auf die Bundesländer, die freien Träger von Schulen bei ihren Planungen und in der Vergabe von Haushaltsmitteln zu berücksichtigen? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung prüft gemeinsam mit den Ländern in dem für Versuchs- und Modelleinrichtungen zuständigen Ausschuß der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung die bei der Kommission eingehenden Anträge auf Förderung. Sie beteiligt sich selbst an Finanzierungsmaßnahmen nur bei Vorliegen der Zustimmung und entsprechender Beteiligung des Sitzlandes. Falls andere als öffentliche Schulträger Modellvorhaben durchführen und Förderungsanträge stellen, gilt auch für diese das beschriebene Verfahren.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 84 des Herrn Kollegen Picard auf: Hält die Bundesregierung Verkehrsunterricht in den Abschlußklassen von Volks- und Hauptschulen und in den entsprechenden Klassen der weiterführenden Schulen für einen geeigneten Weg, die erschreckende Zunahme der Verkehrsunfälle einzudämmen? Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ist der Fragesteller damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann rufe ich noch die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Picard auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Kultusminister zu veranlassen, einen ausreichenden Verkehrsunterricht als Pflichtfach einzurichten? Bitte schön, Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Zunahme der Verkehrsunfälle kann nach Meinung der Bundesregierung, Herr Kollege Picard, auch dadurch eingedämmt werden, daß Verkehrsunterricht in allen Klassen aller Schulen regelmäßig durchgeführt wird. Dieser Verkehrsunterricht sollte u. a. altersspezifische Verhaltensweisen und typische Situationen und Rollen des Schülers als Verkehrsteilnehmer berücksichtigen. Die Bundesregierung wird sich darum bemühen, daß diese Grundsätze von den Landeskultusministern mit in ihre Planung aufgenommen und berücksichtigt werden.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie es nach Ihren Erfahrungen für sinnvoll halten, wenn insbesondere in den Abschlußklassen der Volks- und Hauptschulen und in den entsprechenden Klassen der weiterführenden Schulen im Rahmen des Verkehrsunterrichts ein ausreichender Unterricht in Erster Hilfe durchgeführt würde? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Picard, ich bin nicht Spezialist genug, um auf diese Frage eine sachkundige Antwort geben zu können. Aber ich finde Ihre Frage sehr einleuchtend. Ich schlage vor, daß ich Ihnen hierzu eine schriftliche Antwort gebe. Im Prinzip ist Ihr Vorschlag meiner Meinung nach begrüßenswert und richtig.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Walter Picard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001714, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie etwas darüber sagen, ob in einer der letzten Kultusministerkonferenzen die Frage des Unterrichts in Erster Hilfe kontrovers diskutiert worden ist? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich kann das im Augenblick nicht beantworten. Ich werde Ihnen, Herr Kollege Picard, auch diese Frage schriftlich beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Storm auf: Wäre die Bundesregierung bereit, dem Projekt einer deutschdänischen Gemeinschaftsuniversität in Schleswig-Holstein oder einem ähnlichen Projekt in anderen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland finanzielle und ideelle Unterstützung zukommen zu lassen, uni dadurch zur internationalen wissenschaftlichen Verflechtung und zur immer stärker werdenden politischen Vereinigung Europas beizutragen? Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, ich bitte auch hier darum, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Storm auf: Sind dahin gehend schon Überlegungen in den in Frage kommenden Ressorts der Bundesregierung angestellt und evtl. schon mit Bundesländern oder ausländischen Staaten bzw. supranationalen Gremien diesbezüglich Gespräche geführt worden? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Der Bundesregierung ist ein Projekt für eine deutsch-dänische Gemeinschaftsuniversität in Schleswig-Holstein bisher nicht bekanntgeworden. Die Bundesregierung könnte auf ein solches Projekt nur über ihre Mitwirkung bei der Rahmenplanung für den Hochschulbau nach dem Hochschulbauförderungsgesetz Einfluß nehmen. Zu den Möglichkeiten einer Unterstützung solcher Projekte läßt sich nur auf Grund näherer Einzelheiten, die eben bisher nicht bekannt sind, etwas sagen. Die Bundesregierung bemüht sich um eine zunehmend internationale Kooperation der Hochschulen vor allem in Europa. Sie wird, soweit Maßnahmen in den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen, alle geeigneten Vorschläge, die diese Kooperation ermöglichen und erleichtern, immer wohlwollend prüfen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Friedrich Karl Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, eventuell selbst die Initiative zu ergreifen? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Storm, ich glaube, es hat sich nach der bisherigen Praxis als zweckmäßig erwiesen, daß in diesen Fällen die Länder die Initiative in bezug auf neue Standorte ergreifen und daß dann nach dem Hochschulbauförderungsgesetz die Aussprache im Ausschuß erfolgt. Insofern würde ich also vorschlagen, daß in dieser Frage das Land Schleswig-Holstein zunächst die Initiative ergreift.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Friedrich Karl Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung . bereit, selbst entscheidende Schritte dafür zu tun, wenn ein Land die Initiative ergreift? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Bundesregierung prüft alle Vorschläge über Hochschulstandorte, die ihr von den Ländern gemacht werden. Sie kann aber über die Unterstützung eines bestimmten Projektes immer erst in dem Augenblick entscheiden, in dem das Projekt konkretisiert und von der Landesregierung auch befürwortend vorgelegt worden ist.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 88 des Abgeordneten Strohmeyr auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Aussagen von Wissenschaftlern und Kinderärzten durch die Ganzheitslernmethode bei Schulkindern erhebliche Lernschwierigkeiten für Rechtschreibung und Fremdsprachen mit anschließender großer Behinderung zum Besuch weiterbildender Schulen entstanden sind? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Abgeordneten Strohmayr gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Auch hier wird um eine gemeinsame Beantwortung der beiden Fragen gebeten. ({0}) - Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe dann noch die Frage 89 des Abgeordneten Strohmayr auf: Wird sich die Bundesregierung zutreffendenfalls darum bemühen, daß die Kultusminister der Länder diese Ganzheitslernmethode abschaffen? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Für diese Frage, Herr Kollege Strohmayr, besteht keine unmittelbare Zuständigkeit des Bundes. Die Bundesregierung wird diese Frage aber als eine der Aufgaben des vom Bund und von den Ländern gemeinsam geplanten Kurrikuluminstitutes aufgreifen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Strohmayr:

Alois Strohmayr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002275, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese Methoden in Amerika bereits zu schlechten Erfolgen geführt haben und daß nun in Amerika versucht wird, von der Ganzheitsmethode Abstand zu nehmen? Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Strohmayr, selbstverständlich verfolgt der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Literatur auf diesem Gebiete, und uns sind kritische Bemerkungen zur Ganzheitsmethode bekannt. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß die Entscheidung in diesem Bereich Ländersache ist und daß der Bund hier seinen Einfluß nur über die Entwicklung des Kurrikuluminstitutes geltend machen kann.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, obwohl die Schlacht im falschen Saal geschlagen wird, haben Sie natürlich eine weitere Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002275, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich kann also aus Ihren vorhin gemachten Äußerungen entnehmen, daß der Bundeswissenschaftsminister bereit ist, diese Fragen mit der Konferenz der Kultusminister zu besprechen. Ich meine, daß es wegen der Kinder, die hier geschädigt werden, sehr wichtig ist, dafür einzutreten, daß diese Frage schnellstens erörtert wird.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege, Wertungen sind bei Zusatzfragen nicht möglich. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich auf die eigentliche Zusatzfrage beschränkten. Bitte, Herr Staatssekretär! Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Strohmayr, die Bundesregierung wird diese Frage in die Diskussion um das Kurrikuluminstitut einbringen. Ich werde mir außerdem erlauben, an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz einen Brief zu schreiben, in dem ich ihre Anregungen noch einmal niederlege.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Ministeriums beantwortet. Ich danke Ihnen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Westphal zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Jungmann auf: Ist das schon seit Jahren vorgesehene und noch für das Jahr 1968 angekündigte Gutachten der beim Bundesgesundheitsamt gebildeten Sachverständigenkommission „Sehvermögen und Kraftverkehr" inzwischen fertiggestellt worden, und zu welchem Ergebnis ist diese Kommission gekommen? Bitte, Herr Staatssekretär! Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Jungmann, das Gutachten „Sehvermögen und Kraftverkehr" des Bundesgesundheitsamtes steht in der technischen Fertigstellung und wird voraussichtlich Ende April ausgeliefert werden können. Es geht aus von der Physiologie und Pathologie des Sehvorganges und von der Bedeutung der verschiedenen Sehfunktionen - Sehschärfe, Gesichtsfeld, Farbensehen, Adaption usw. - für den Kraftverkehr. Es macht Vorschläge für verkehrstechnische Veränderungen sowie für Grenzwerte, an denen sich die Erteilung von FahrerlaubParlamentarischer Staatssekretär Westphal nissen für die verschiedenen Fahrerlaubnisklassen orientieren kann, ferner für eine Standardisierung der Untersuchungsverfahren und für rechtliche Konsequenzen aus den verkehrsmedizinischen Ergebnissen. Das Gutachten behandelt eine Materie mit außerordentlich komplizierten Zusammenhängen, so daß schwierige und langwierige experimentelle Untersuchungen erforderlich waren, die vorher weder in dieser Art noch in diesem Umfang durchgeführt worden waren.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jungmann.

Dr. Gerhard Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß die Frage so außerordentlich schwer zu lösen war, so daß es bisher über vier Jahre gedauert hat, ehe das Bundesgesundheitsamt zu einem Votum in dieser außerordentlich drängenden Frage gekommen ist? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Dr. Jungmann, vor längerer Zeit ist schon einmal von einem meiner Vorgänger gesagt worden, daß dieses Gutachten wegen der notwendigen technischen Arbeiten ({0}) erst gegen Ende des Jahres 1970 fertig werden könnte. Jetzt sind wir etwas über diesen Zeitpunkt hinaus. Insofern haben Sie recht, was die ) Länge der Bearbeitung und die tatsächlich vorhandenen Schwierigkeiten betrifft; der damals genannte Termin wird aber nur um ein Vierteljahr überschritten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß damit Ihre Kompetenz des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit in puncto Führerscheinfrage und Fahrerlaubniserteilung erschöpft ist, so daß ich mir weitere Zusatzfragen ersparen kann, die ich sonst gestellt hätte? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Dr. Jungmann, wir werden, wie ich bei der Beantwortung Ihrer nächsten Frage noch ausführen werde, jedenfalls die Auswertung dieses Gutachtens vorzunehmen und der Bundesregierung entsprechende Anregungen mitzuteilen haben, die sich daraus auch für die Führerscheinproblematik ergeben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Jungmann auf: Welche Anforderungen an das Sehvermögen werden heute bei Führerscheinbewerbern gestellt, und wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen und Umfragen über mangelhaftes Sehvermögen bei Kraftfahrern? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Genaue Daten sind bisher gesetzlich nicht festgelegt. Nach den bestehenden Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung kann die Fahrerlaubnis nur erhalten, wer zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Nach den einschlägigen Bestimmungen der Bundesländer muß sich jeder Fahrerlaubnisbewerber einem Sehtest unterziehen. Bei einer geminderten Sehleistung auf einem Auge unter 0,7 wird anschließend das Gutachten eines Augenarztes verlangt. Die Augenärzte richten sich im allgemeinen nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft. Wir beabsichtigen, nach Vorlage des Gutachtens der Sachverständigenkommission „Sehvermögen und Kraftverkehr" der Bundesregierung bestimmte Normen für die Sehtauglichkeit vorzutragen. Auf Grund der vorliegenden Statistiken ist damit zu rechnen, daß höchstens 2 % der Durchschnittsbevölkerung zwischen 18 und 60 Jahren so schwere Mängel des Sehvermögens aufweisen, daß eine Teilnahme am Kraftverkehr nicht verantwortet werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann.

Dr. Gerhard Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die bisherige Handhabung durch die Länder außerordentlich verschieden, jedenfalls nicht übereinstimmend ist? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Es gibt gewisse Unterschiede in der Verfahrensweise der Länder.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Gerhard Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001046, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Trifft es auch zu, daß - worüber vielfach Klage geführt wird - beim Vorliegen von Sehmängeln die Fahrerlaubnisbewerber zunächst einmal zum Psychologen geschickt werden, um sich dort ein psychologisches Gutachten ausstellen zu lassen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Dies ist mir nicht bekannt, Herr Dr. Jungmann. Mir ist bekannt, daß sie zum Augenarzt geschickt werden und dort ein Gutachten einholen müssen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit oder die Möglichkeit einer regelmäßigen gesundheitlichen Oberprüfung auch der Führerscheininhaber, da ein großer Teil der Verkehrsunfälle doch wohl auf mensch6202 liches Versagen, hervorgerufen durch Gesundheitsbeeinträchtigungen, zurückzuführen ist? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Hansen, es wäre sicher eine interessante und gute Möglichkeit, wenn man das kontrollieren könnte. Aber stellen Sie sich bitte die Größenordnungen vor, die aufträten, und das, was auf unsere Ärzte und die entsprechenden Stellen zukäme. Das ist wohl nicht zu meistern.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Tch rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) auf: Kann die Bundesregierung das Untersuchungsergebnis im Bericht von Prof. Englert, Direktor des Tierbiologischen Instituts Freiburg, bestätigen, daß in einem Schlachthof der Bundesrepublik Deutschland bei 90 % der Schlachtkälber Antibiotica nachgewiesen wurden? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Schmidt, der Bericht, der Ihrer Frage zugrunde liegt, ist mir nicht bekannt. Auf eine fernmündliche Anfrage hat uns Herr Professor Englert vorn Tierhygienischen Institut Freiburg mitgeteilt, daß er weder entsprechende Untersuchungen durchgeführt noch einen Bericht zu dieser Frage erstattet habe. Aus der Literatur sind jedoch Berichte über den Nachweis von Antibiotika im Kalbfleisch mit unterschiedlichen Ergebnissen bekanntgeworden. 1) Untersuchungen, die vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit veranlaßt worden sind und sich unter anderem auch auf normales, im Handel befindliches Kalbfleisch erstreckten, zeigten in etwa 14 % der Fälle einen positiven Nachweis von Chlortetracylin.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) auf: Kann die Bundesregierung Aussagen machen über die Auswirkung des Rauchens auf den Sauerstoffverbrauch und die Durchblutung im Gehirn? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Bei Ihrer Frage handelt es sich um eine rein wissenschaftliche. Ich muß mich deshalb bei meiner Antwort auf eine Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes stützen. Danach kommt es durch das Rauchen zunächst zu einer Anregungsphase mit Durchblutungssteigerung des Gehirns. Nach längerer Einwirkung folgt dann eine Erschöpfungsphase mit Erschlaffung und verminderter Durchblutung. Nach der Stellungnahme des Bundesgesundheitsamts kann der Kohlenmonoxydgehalt des Tabakrauchs 5 bis 15 0!o des Blutfarbstoffs aus der Sauerstofftransportfunktion vorübergehend ausschalten. Eine Beeinflussung der Sauerstoffaufnahme und der Sauerstoffausnutzung findet dadurch nur in geringem Maße statt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Hansen auf: Wird die Bundesregierung die Berichte über zum Teil schwer gesundheitsschädigende Wirkungen von Enzymbeimengungen in Waschmitteln zum Anlaß nehmen, die Verwendung von Enzymen bei der Waschmittelherstellung zu verbieten? Herr Staatssekretär! Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich verweise zuvor auf die Antworten zu diesem Fragenkomplex, die Herr Staatssekretär Professor Dr. von Manger-Koenig im September 1970 auf die mündlichen Fragen der Herren Kollegen Dr. Schäfer ({0}) und Picard gegeben hat. Inzwischen hat das Bundesgesundheitsamt ein weiteres Gutachten vorgelegt. Danach haben eigene Tierversuche gezeigt, daß das reine Enzym nur ein schwaches Allergen für die Haut zu sein scheint und als primär reizender Stoff nur bei gewissen Vorschäden der Haut und nur bei besonders disponierten Personen von Bedeutung ist. Durch enzymhaltige Waschmittel konnten jedoch unter den Bedingungen der üblichen Anwendung, d. h. im Gebrauchstest, eindeutige allergische oder andere Reaktionen nicht festgestellt werden. Der vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im September 1970 an einen wissenschaftlichen Arbeitskreis erteilte Forschungsauftrag wird in Kürze abgeschlossen werden. Es zeigt sich aber heute schon, daß die wissenschaftlichen Untersuchungen fortgesetzt werden müssen. Ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers getroffen werden müssen, vermag ich daher heute, ohne das Ergebnis der Untersuchung zu kennen, nicht zu sagen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die Tatsache, daß ausländische Waschmittelhersteller diese gesundheitsschädlichen Enzymbeimengungen für ihren Markt eingestellt haben, sie aber den Waschmitteln, die auf dem bundesdeutschen Markt vertrieben werden, weiterhin beigeben, weil angeblich die Verbraucher das so wollen? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Hansen, ich habe hier nicht die wirtschaftlichen Fragen, sondern die gesundheitlichen zu beurteilen. Ich muß davon ausgehen, daß das, was ich in meiner Antwort auf Ihre Frage gesagt habe, uns noch nicht in den Stand versetzt, etwas Negatives auszusagen. Die bisherigen Äußerungen und das Ergebnis der wissenschaftlichen Arbeit ermöglichen nicht eine solche negative Beurteilung.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gibt es Erkenntnisse darüber, ob diese Enzymbeimengungen die Waschkraft der Waschmittel überhaupt erheblich steigern, oder dienen diese Beimengungen nicht vielmehr dazu, den Werbefeldzug zwischen dem „Weißen Riesen" und dem „weißesten Weiß" noch durch die Bioaktivität zu bereichern? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich muß auch hier sagen, daß dies eine interessante Frage ist, aber nicht unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten, Herr Kollege.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner auf: Welche Konsequenzen können aus Untersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland gezogen werden, die ergeben haben, daß bei einer Reihe von hochwirksamen chemischen Schlafbringern ({0}) nicht einmal die Hälfte, vielfach nur 20 %, nach Ablauf eines Tages abgebaut werden, so daß auch mäßiger, aber auch regelmäßiger Konsum von Schlafpillen eine gefährliche Konzentration im Körper zur Folge haben kann? Herr Staatssekretär! Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Kollege Dr. Gleissner, die sehr lange Verweildauer von langwirkenden Barbituraten, die als Durchschlafmittel verwendet werden, ist seit langem bekannt. Die Zahlenwerte für die Verweildauer der verschiedenen Barbiturate sind allerdings sehr unterschiedlich. Bei chronischem Gebrauch dieser Mittel stellt sich Gewöhnung an steigende Mengen ein. Langwirkende Barbiturate sind in reiner Form nur noch in wenigen Spezialitäten im Verkehr. Sie werden meist mit kurzwirkenden kombiniert. Außerdem stehen alle barbiturhaltigen Arzneimittel unter Verschreibungspflicht. Für den Verkauf dieser Mittel zusätzliche Sonderregelungen zu treffen, ist bis jetzt nicht vorgesehen. Andere Schlafmittel, die keine Barbiturate enthalten, werden im Körper schneller abgebaut, so daß keine nennenswerte Kumulation auftritt.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage? - Nein. Damit ist auch diese Frage beantwortet. Der Herr Abgeordnete Seefeld hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 57 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack auf: Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland einen Gesundheitspaß auf freiwilliger Grundlage einzuführen? Herr Staatssekretär! Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Dr. Haack, die Einführung eines Gesundheitspasses auf freiwilliger Grundlage für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland hat nur dann einen Sinn, wenn in ihm zuverlässige Angaben über durchgemachte und vorhandene körperliche und geistigseelische Krankheiten und Gebrechen enthalten sind. Die Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeamten der Länder ist mit dieser Frage befaßt. Ferner bleiben die Ergebnisse der Beratungen im Europarat abzuwarten, der die Frage der Einführung einer Gesundheitskarte 1970 im Hinblick darauf aufgegriffen hat, ob gegebenenfalls unter Verwendung eines international vereinbarten und nur Ärzten bekannten Schlüssels eine „Europäische Gesundheitskarte" in allen Mitgliedstaaten eingeführt werden kann.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Dr. Dieter Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000757, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da Sie im Gesundheitsbericht zur Frage des Gesundheitspasses ausführen, daß einer Einführung des Gesundheitspasses rechtliche Bedenken entgegenstehen, frage ich, ob geprüft wird, ob man dann, wenn diese rechtlichen Bedenken sich als richtig herausstellen sollten, einen solchen Paß eventuell auf freiwilliger Grundlage einführen kann. Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich würde sagen, daß gerade die europäische Diskussion um diese Fragen auch den rechtlichen Kreis schon mit einbezieht und daß das auch das Thema der Beratungen unter den obersten Medizinalbehörden der Länder ist. Insofern ist es schwierig, eine Auskunft zu geben, ob es, wenn es nur freiwillig gemacht wird, überhaupt einen Sinn hat und ob man dann genügend Auskünfte hineinschreiben kann.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Dieter Haack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000757, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber die Frage der Freiwilligkeit wird bei diesen Überlegungen mit geprüft? Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Diese Frage gehört mit zu dem, was geprüft wird.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Der Herr Abgeordnete Rollmann ist nicht im Saal. Die Frage 59 wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet. Ich danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht der Parlamen6204 Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen tarische Staatssekretär Börner zur Verfügung. Zunächst die Frage 60 der Abgeordneten Frau Jacobi ({0}) : Warum verzögert sich die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Petitionsausschusses, die sich auf den Ersatz von durch die Deutsche Bundesbahn und die Schiffahrt an einer Rheininsel entstandenen Schäden bezieht, uni dreieinhalb Jahre? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Kollegin, die auch von mir bedauerte Verzögerung ergibt sich aus der Schwierigkeit des besonderen Sachverhaltes. Für die Schäden am Westufer der Rheininsel Heylesenwerth bei Bacharach, die Gegenstand einer Anfrage des Petitionsausschusses an den Bundesminister für Verkehr vom 15. März 1968 sind, kommen nebeneinander mehrere Ursachen in Betracht. Neben der Schiffahrt und mehr als 25 Jahre zurückliegenden baulichen Maßnahmen an der Bahnstrecke und der Bundesstraße 9 bei Bacharach sind die Schäden insbesondere auch auf die jahrzehntelange Unterlassung von Unterhaltungsmaßnahmen durch den Inseleigentümer zurückzuführen. Es ist schwierig, diese Ursachen gegeneinander abzugrenzen und einen Schlüssel für die Verteilung der Kosten der notwendigen Maßnahmen zur Ufersicherung festzulegen. Der Bundesminister für Verkehr mußte hierzu ein Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau anfertigen lassen, das inzwischen vorliegt. Auch in diesem Gutachten konnten nur geschätzte Werte für den Anteil der einzelnen Ursachen zugrunde gelegt werden. Die Anerkennung des Ergebnisses des Gutachtens durch die beteiligten Baulastträger setzt deshalb nochmals eine eingehende Prüfung voraus. Diese Prüfung kann jedoch voraussichtlich bald abgeschlossen werden. Es ist sodann beabsichtigt, daß die beteiligten Verwaltungen dem Inseleigentümer einen Vorschlag zur Aufteilung der Kosten dieser Maßnahmen machen, da dieser sich ebenfalls an den Kosten beteiligen muß.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage.

Maria Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie nicht den Eindruck, daß die Mitteilung, die Sie mir soeben gemacht haben, bei meinen unzähligen Anfragen auch auf schriftlichem Wege möglich gewesen wäre? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Kollegin, ich habe ja angedeutet, daß ich das hier nicht als besonderes Heldenstück der Verwaltung ansehe und mich darum kümmern werde.

Maria Jacobi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr schönen Dank!

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Wir kommen zur Frage 61 des Abgeordneten Dr. Kempfler: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das neue in der Straßenverkehrs-Ordnung vorgeschriebene Zeichen ({0}) für das Ende einer geschlossenen Ortschaft ({1}) gegenüber dem bisherigen ({2}) einen Vorteil für den Kraftfahrer bedeutet? Herr Staatssekretär! Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, es ist nicht zu verkennen, daß die bisherige Ortsausgangstafel insofern vorteilhafter war, als sie dem Kraftfahrer zwei Informationen vermittelte, nämlich erstens: Ende der geschlossenen Ortschaft, und zweitens: Zielangabe des nächsten Ortes. Die neue Ortsausgangstafel entspricht aber internationaler Vereinbarung. Es ist für die Bundesrepublik mit ihrem außerordentlich starken internationalen Verkehr besonders wichtig, daß diese internationalen Vereinbarungen beachtet werden. Das ist letztlich für die Gesamtheit der Kraftfahrer von Vorteil.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Friedrich Kempfler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnte man die Orientierungsfunktion der alten Tafeln nicht mit den neuen Tafeln in Verbindung bringen und dadurch erhalten, daß man in der neuen Tafel - etwa unterhalb - auch die nächste Ortschaft und die Kilometerzahl der Entfernung zur nächsten Ortschaft angibt? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, diese jetzt vorgenommene Lösung geht auf das sogenannte Wiener Weltabkommen für Straßenverkehrszeichen vom 8. November 1968 zurück. Es gilt also weltweit. Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Abkommen unterzeichnet. Es wird voraussichtlich im Jahre 1972 dem Bundestag zur Ratifizierung zugeleitet werden. Wie bei allen solchen Abkommen sind einzelne Dinge nur im Kompromißwege erreichbar. Wir haben unsere bisherige Regelung zugunsten der internationalen Gleichheit der Regelungen geopfert; das muß eingeräumt werden. Andererseits dürfen Sie nicht übersehen, daß wir jährlich etwa 82 000 Ein- und Ausfahrten von Kraftfahrern an unseren Grenzen haben. Als Transitland in der Mitte Europas müssen wir davon ausgehen, daß es unsere Verkehrssicherheit erhöht, wenn ausländische Kraftfahrer bei uns die gleichen Verkehrszeichen vorfinden wie in ihrem Heimatland. Das ist der Hintergrund dieser Regelung. Man kann sicher in der Frage der Wegweiser oder in Ortsdurchfahrten noch etwas verbessern. Das wollen wir gern aufgreifen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Friedrich Kempfler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß dieses Abkommen verbietet, daß man beispielsweise unter die jetzt vorgeschriebene Tafel Namen und Entfernung des nächsten Ortes einsetzt? Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Das ist nach dieser Regelung eben nicht zulässig, sondern nur das Schild, das nach der neuen Straßenverkehrsordnung schon in einigen Orten angebracht wird.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich rufe nunmehr wieder die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters ({0}).

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die Beiträge der Kollegen Bewerunge, Barzel und Ehnes eingehen. Dabei hat zunächst wieder die Aufwertung der D-Mark eine Rolle gespielt. Ich möchte daran erinnern, daß die Aufwertung der D-Mark von dieser Regierung vorgenommen worden ist, nachdem nach der Bundestagswahl der Wechselkurs freigegeben worden war. Dadurch ergibt sich eindeutig das Faktum, daß die Aufwertung der DMark unumgänglich war. Herr Barzel hat dann angemerkt, daß die Bundesregierung es versäumt habe, begleitende Maßnahmen durchzuführen. Ihm ist schon vom Bundeskanzler entgegengehalten I) worden, daß im Haushaltsvollzug mit Sicherheit so verfahren worden ist, wie es konjunkturmäßig geschehen mußte. Man kann darüber streiten, ob die konjunktureinschränkenden Maßnahmen, die im Sommer 1970 ergriffen wurden, also die Steuervorauszahlung und die Einschränkung der degressiven Abschreibung, zeitig genug erfolgt sind, ob sie nicht vielleicht besser ein halbes Jahr oder ein Vierteljahr früher erfolgt wären. Aber zur CDU muß ich dann sagen: auch als wir sie beschlossen, haben Sie diesen Maßnahmen nicht zugestimmt, sondern sich der Stimme enthalten. Es hat mich wirklich gewundert, daß heute wieder die sogenannte französische Regelung als die richtige Maßnahme zum Währungsausgleich bezeichnet worden ist. Wäre sie durchgeführt worden, wäre das deutsche Agrarpreisniveau zunächst gleichgeblieben, nicht gesenkt worden, aber es hätte dann innerhalb von zwei Jahren um den Aufwertungssatz gesenkt werden müssen, und wir hätten keinen Ausgleich für die Aufwertung bekommen. Ich glaube, die Bundesregierung hat gegenüber der Landwirtschaft verantwortlich gehandelt, als sie alles daransetzte, den vollen Ausgleich in Brüssel durchzusetzen. Auch bei dieser Gelegenheit muß gesagt werden, daß der Grenzausgleich damals nicht erreichbar war. ({0}) - Vor der Aufwertung, Herr Dr. Ritz, hatten Sie und Ihr Minister im Landwirtschaftsministerium für den Eventualfall der Aufwertung schon die Mehrwertsteuerregelung erarbeitet. Selbstverständlich ist darauf zurückgegriffen worden, wie auch auf den Flächenausgleich. Der Grenzausgleich hat ebenfalls eine Rolle gespielt und ist in Brüssel diskutiert worden. Aber ich wiederhole, er war nicht durchsetzbar, und er wäre mit Sicherheit auch von einer CDU-Regierung nicht durchzusetzen gewesen. ({1}) - Vor der Aufwertung kann man ja nicht gut einen Grenzausgleich durchführen; aktuell wurde er erst durch die Aufwertung. Nun zur schwierigen Preisentwicklung für landwirtschaftliche Agrarprodukte seit Herbst 1970. Dies ist von uns nie bestritten worden. Aber es ist doch die Frage man muß ja an die Ursachen herangehen -, ob die Aufwertung die Ursache dafür war oder ob es dafür andere Gründe gibt. ({2}) Und ich bin nicht der Meinung, daß die Aufwertung erst ein Dreivierteljahr nach dem Termin, an dem sie vorgenommen worden war, durchgeschlagen hätte. ({3}) Ich glaube vielmehr, daß z. B. der Schweinezyklus - wir hatten im Europa der EWG 5,5 Millionen Schweine mehr - eine viel größere Ursache gewesen ist und daß dieses Mehr von 5,5 Millionen Schweinen - davon 2,5 Millionen in der Bundesrepublik und je eine Million in Holland, Belgien und Frankreich - den Schweinepreis um über 20 % nach unten gebracht und damit schon die Indexzahl um fast fünf Punkte gedrückt hat. Dann ist dadurch der Rinderpreis noch mit nach unten genommen worden. Ich meine, daß dieses Faktum viel stärker ist. Damit komme ich - am Beispiel des Schweinemarktes - auf die Preisentwicklung innerhalb der EWG zu sprechen. Ich habe „Agra Europe" vom 9. März vor mir. Wenn wir die Preisentwicklung in den EWG-Ländern betrachten, stellen wir fest, danach hat Belgien nach Rechnungseinheiten den tiefsten Preisstand, nämlich von 71 Rechnungseinheiten. Dann kommen die Niederlande mit 72, Frankreich mit 74 und die Bundesrepublik mit 81 Rechnungseinheiten. Die Italiener, die viel höher liegen, wollen wir außer Betracht lassen. Diese Zahlen beweisen eindeutig, daß die Preise dort am niedrigsten liegen, wo die Erzeugung am meisten stieg, in Holland und Belgien. Selbstverständlich ist unser deutscher Markt sehr stark mit von den Importen aus Holland und Belgien beeinflußt worden, aber, meine Damen und Herren, wir haben den Gemeinsamen Markt, und die Waren fließen ohne Abschöpfungen ein. Trotzdem zeigt sich, daß dort, wo die Haupterzeugung liegt, die Erzeugerpreise am niedrigsten sind. Herr Ritz, das zeigt sich ganz eindeutig an diesen Zahlen. Ich folge auch Ihrer Argumentation nicht, hier seien durch die Aufwertung Verzerrungen für den Peters ({4}) Wettbewerb entstanden. Denn die 3 % Mehrwertsteuer, die wir durch die Aufwertung haben, werden für den Verarbeiter nur dann zusätzlich in der Vorsteuer wirksam, wenn sie auf die deutsche Produktion und nicht auf Importprodukte zurückgehen. Das heißt, hier ist schon der halbe Unterschied gegeben, und die andere Hälfte ist dadurch gegeben, daß ja durch die Aufwertung die Futtermittel in Deutschland billiger und in den beiden Konkurrenzländern Holland und Belgien eben entsprechend nicht billiger geworden sind. Ich behaupte also, daß durch dieses Element keine Wettbewerbsverschiebung eingetreten ist. Die Preisentwicklung ist im ersten halben Jahr 1970 mit minus 2 % zu veranschlagen. Dem ist der Aufwertungsausgleich - Flächenausgleich und Mehrwertsteuer - von zusammen 6,5 % entgegenzuhalten, also mit netto plus 4,5 %. Das ist bei einer 5%igen Betriebskostensteigerung noch tragbar. Die Entwicklung ist dann im zweiten halben Jahr, wie auch hier von Ihnen angeführt wurde, mit minus 7,5 % schlechter. Aber Sie haben vergessen, den Aufwertungsausgleich von 6,5 % entgegenzurechnen. Das muß gesagt werden. Trotzdem bleibt das Ergebnis schlecht. Aber es ist immer richtig, wenn man alles anführt. ({5}) - Ja, wir wollen hier einmal feststellen: die Zahlen sind in der Zeit von September bis Dezember 7%, 8,5 %, 11 %, 12,7%, sie sind also laufend schlechter geworden. ({6}) Aber die Januar-Zahl liegt ({7}) das wissen Sie, aber das vergessen Sie hier anzuführen - mit minus 8,8 immerhin nicht bei 12,5 %. Ich habe mich bemüht, die Zahlen für Februar zu bekommen. Sie waren noch nicht zu bekommen. ({8}) - Nein, Sie haben sie auch nicht. Aber, Herr Bewerunge, ich bin doch der Meinung, daß wir uns über die Tendenz -- von 12 1/2% im Dezember auf 8 1/2% im Januar - freuen sollten. Oder wollen Sie die Propaganda Ihrer Partei mit möglichst hohen negativen Indexzahlen in der Agrarpolitik fortsetzen? Das kann ich allerdings nicht annehmen. ({9})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehnes?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön!

Georg Ehnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000442, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Peters, wollen Sie hier feststellen, daß die Einkommenslage in der Landwirtschaft noch nie so gut war wie heute, oder geben Sie zu, daß sie noch nie so schlecht war wie heute?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Ehnes, darüber habe ich überhaupt nicht gesprochen. ({0}) Sie haben nicht zugehört. Ich habe die einzelnen tatsächlichen Indexzahlen und die Fakten herangezogen. Ich habe gesagt, daß im zweiten Halbjahr 1970 bei den Preisen eine besorgniserregende Entwicklung eingetreten ist, daß aber die Zahlen des Monats Januar günstiger sind als in den Vormonaten und daß sie von Ihnen nicht genannt worden sind. ({1}) - Sie können nachher weitere Zwischenfragen stellen. Ich möchte meine Ausführungen zunächst einmal fortsetzen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön!

Dr. Carl Reinhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Peters, haben Sie vielleicht gehört, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister für das Jahr 1971 mit einer weiteren Teuerungsrate von 4 % rechnet? Wie können Sie große Hoffnungen hegen, wenn die Landwirtschaft von den erhöhten Preisen nicht profitiert? ({0})

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Bundeswirtschaftsminister hat vom Lebenshaltungsindex gesprochen. Er hat nach der Sitzung der Konzertierten Aktion gesagt, wenn das Verhalten nicht günstiger werden würde, wären für das nächste Jahr nicht 3 %, sondern sehr wahrscheinlich eine Steigerungsrate von 4 % für die Lebenshaltung zu erwarten. ({0}) - Das brauche ich nicht nachzulesen, daß weiß ich. ({1}) Sie führen jetzt wieder einen Monat an, in dem der Index um 1/2 % höher ist. Sie glauben, damit ein Schreckgespenst hervorzuholen. ({2}) Durch Ihr Gerede über den Preisindex und zeitweise auch über Inflation in dieser Form haben Sie politisch eine gewisse Verunsicherung erreichen wollen, ({3}) aus der Sie politisches Kapital schlagen wollten. Wir sollten bei den Indexzahlen bleiben. Das ist schon sinnvoller. ({4}) Peters ({5}) Eine weitere Frage ist folgende. Reicht das, was die Bundesregierung vorhat, im augenblicklichen Zeitpunkt aus oder legt sie sich nur auf langfristige Maßnahmen fest? Dieses Thema ist von Ihnen angesprochen worden. Ich darf daran erinnern, daß die jetzige Bundesregierung im Frühjahr 1970 zum erstenmal, und zwar unter intensivem Einsatz, Preissenkungen in der EWG verhindert hat. Sie wissen, was damals die Kommission und die Partnerländer wollten, nämlich Preissenkungen. ({6}) 1971 hat die Regierung Vorschläge für Preiserhöhungen gemacht. Es gibt Kabinettsbeschlüsse, nach denen merkliche Preiserhöhungen durchgesetzt werden sollen. Dabei nehmen wir auch - das ist ebenfalls ausgeführt worden -- Verbraucherpreiserhöhungen in Kauf. Die Frage von Herrn Barzel, was eine Erhöhung von 10 % bei den Erzeugerpreisen im Verbraucherpreis ausmacht, muß folgendermaßen beantwortet werden. Im Verbraucherpreis macht das sicherlich die Hälfte, also 5 % aus. ({7}) - Wenn die Landwirtschaft mit ihren Erzeugnissen zu 50 % am Verbraucherpreis beteiligt ist, ({8}) - Aber natürlich! Im Durchschnitt ist sie selbstverständlich zu 50 % beteiligt; in diesem Punkt müssen Sie sich belehren lassen. Der Lebenshaltungsindex - das ist etwas ganz anderes - würde dadurch aber nur um 1 1/4 % steigen. Das heißt, daß sich die soeben erwähnte Zahl von 4 % oder 3 % dadurch um 1 % bis 1 1/2 % erhöhen würde, ist selbstverständlich. Das wird von der Koalition - der Herr Bundeskanzler hat es dargelegt - als gegeben hingenommen werden. Die jetzige Bundesregierung -das wollen wir objektiverweise auch einmal feststellen - ist für diese Preisanhebung in der EWG nicht nur bei der Kommission tätig geworden; in den Verhandlungen mit den Partnerländern ist durch ein Zusammenarbeiten mit den beiden deutschen Kommissaren bei der EG-Kommission ein geschlossenes Handeln möglich gewesen, das es früher nicht gab. In früheren Zeiten, als Sie den Bundeskanzler stellten, haben nicht nur die Regierungsvertreter unterschiedlich taktiert, sondern die deutschen Kommissare haben sogar gegen die deutschen Interessen gehandelt. Wir halten es allerdings nicht für sinnvoll, daß hier in diesem Hause heute schon über einen hohen Ausgleich für den Fall verhandelt wird, daß die erwünschte Preismarge nicht erreicht wird. Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich, daß die Verhandlungsposition der deutschen Vertretung, insbesondere die des deutschen Landwirtschaftsministers, nicht gestärkt, sondern geschwächt wird, wenn man in Brüssel sagt: Ihr habe eure Ersatzlösung schon bereit, und ihr werdet dann die und die Maßnahmen ergreifen. - Die Bundesregierung ist der Meinung, daß zunächst einmal alles auf eine Erhöhung der EWG-Preise abgestellt sein sollte und daß dann kurzfristig die Entscheidungen darüber getroffen werden müssen, was weiter zu tun ist. Aus dein Vorschlag des Herrn Lemke auf Anhebung des Mehrwertsteuersatzes von zunächst 5 p und dann von 4 % ist nun in Ihrem Vorschlag ein Satz von 3 % geworden. Steuersystematisch ginge es ja auch kaum anders, weil sonst der gewerbliche Satz überschritten worden wäre. Dieser Weg der Mehrwertsteuererhöhung wäre aber der letzte Ausweg. Wenn die Verarbeitungsstufe nicht angehoben wird, trägt zu 70 % der Bund und tragen zu 30 % die Länder die Haushaltsbelastung. Ich halte diesen Weg auf Grund der Haushaltslage beim Bund und bei den Ländern und auf Grund der Vorhaben, die auch Sie durchgeführt haben wollen, nicht für praktikabel. Es käme danach nur die Möglichkeit in Frage, auch die Verarbeitungsstufe um i oder 1 1/2 % anzuheben. Das wäre für den Fiskus eine steuerneutrale Lösung. Nach meiner Meinung käme überhaupt nur dieser Weg in Frage. Über weitere Haushaltsmaßnahmen haben wir schon in den Haushaltsberatungen diskutiert. Wir haben damals schon gesagt: Wenn in Kap. 10 03 Mittel frei werden - sie werden ja voraussichtlich in beachtlicher Höhe frei , werden wir diese Mittel für eine Verbesserung der Altershilfe, für zusätzliche Zinsverbilligung und eventuell auch für eine weitere Verbilligung des Dieselkraftstoffes verwenden. Aber diese Maßnahmen - meine Damen und Herren, das wissen Sie so gut wie ich - sind doch dem Volumen nach kein Ersatz für fehlende Preise. Dafür braucht man mehr. Deshalb sollte man zunächst das ganze Gewicht auf die Preisverhandlungen legen. Was den Grünen Dollar angeht, so habe ich festgestellt, daß Sie sich in vollem Rückzug befinden, Herr Ritz. ({9}) Vor einem Monat, am 9. Februar, haben Sie beantragt, bei den EWG-Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß, solange die europäische Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht geschaffen ist, die starre Bindung der Agrarpreise an die EWG-Rechnungseinheit aufgehoben oder gelockert wird. ({10}) Und jetzt haben Sie einen Antrag eingereicht, für den Sie eigentlich einen Übersetzer mitschicken müßten. ({11}) Der erste Satz ist noch völlig klar. Da sagen Sie: ... im EWG-Ministerrat darauf hinzuwirken, daß alles Erdenkliche getan wird, um die Wirtschafts- und Währungsunion so schnell wie möglich zu verwirklichen. Dann geht es weiter, und da wird es unklar: Für die Zwischenzeit sind für den europäischen Agrarmarkt Regelungen anzustreben, die der durch Paritätsänderung im Jahre 1969 hervorgerufenen Störung im europäischen Agrarpreisgefüge Rechnung tragen. Hierbei ist ins6208 Peters ({12}) besondere darauf hinzuwirken, daß sich die entstandenen Ungleichgewichte am europäischen Agrarmarkt nicht allein zum Nachteil eines nationalen Teilmarktes auswirken. Ich habe mich vorhin bemüht, Ihnen darzulegen, - ({13}) - Das werden ja mehr nicht verstehen. Der Bundeskanzler ({14}) hat ja auch konkret gefragt: Was bedeutet das? Ich stelle die konkrete Frage an Sie: Wollen Sie mit dieser Passage den Grenzausgleich innerhalb der EWG einführen - ja oder nein? Das ist eine Präzise Frage, und die werden Sie, glaube ich, hier beantworten müssen; denn sonst ist diese Formulierung nach jeder Seite völlig auslegbar und bedeutet nichts Konkretes. ({15}) Sie befinden sich ja auch im Widerspruch zu Ihrem Parteiprogramm von Düsseldorf, das auch nicht sehr alt ist, vom 18. Januar dieses Jahres, glaube ich. ({16}) - Herr Ehnes, es ist nicht Ihre Partei, sondern Ihre Schwesterpartei. Ich lese es Ihnen trotzdem vor. Sie haben in Düsseldorf zu diesem Komplex folgendes beschlossen: Die europäische Agrarpolitik muß durch eine rasche Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ergänzt werden. ({17}) - Sehr gut! Wir sind auch dafür. Wir sind sogar dabei, das zu verwirklichen, Herr Ritz. ({18}) Und dann kommt es: Andernfalls muß die starke Bindung der Agrarpreise an die im Vorgriff auf eine gemeinsame Währungspolitik geschaffene EWG-Rechnungseinheit zunächst aufgehoben oder doch gelockert werden. Sie sagen also ganz klar: schnelle Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion; wenn das nicht zu erreichen ist, dann Aufhebung oder Lockerung. Daß Sie Kritik üben, dafür habe ich Verständnis; aber ich glaube, das eine können Sie nicht bestreiten, daß durch die Verhandlungen der Bundesregierung in Den Haag und nachher in Brüssel, wenn auch etwas verspätet, aber mit Rückwirkung auf den 1. Januar der modifizierte Werner-Plan angenommen worden ist und daß die allgemeine Zielsetzung der EWG-Staaten dahin geht, eine gemeinsame Konjunkturpolitik zu betreiben und dann zu einer Wirtschafts- und Währungsunion zu kommen. Das ist, glaube ich, unbestreitbar.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Kollege Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge?

Karl Bewerunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Peters, können Sie nicht soviel Phantasie aufbringen, sich vorzustellen, daß eine solche Formulierung auch einem verhandelnden Minister hilfreich sein könnte, wie es der Herr Bundeskanzler heute morgen verstanden hat? Wenn ich Sie richtig verstehe, machen Sie die Politik in einer Ruck-Zuck-Methode.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe daraus eigentlich keine Frage entnehmen können. - Nein, der Bundeskanzler hat es nicht so verstanden, sondern er hat es so verstanden, daß er gesagt hat: Sie müssen uns einmal genau interpretieren, was Sie überhaupt damit meinen, und auf diese Frage ist Herr Barzel die Antwort schuldig geblieben. So ist die Lage. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ritz?

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Peters, glauben Sie nicht, daß es hier doch eine Reihe von Widersprüchen gibt, wenn auf der einen Seite gesagt wird: Legt uns bitte jetzt im Hinblick auf die Verhandlungen in Brüssel nicht fest, wenn aber gleichzeitig, wenn wir eine Entschließung einbringen, die ja einen möglichst großen Verhandlungsspielraum offenläßt, gesagt wird: Sagt konkret, was ihr wollt? Sehen Sie hierin nicht einen eklatanten Widerspruch?

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Ritz, in diesen zwei verschiedenen Dingen sehe ich allerdings keinen Widerspruch. ({0}) Nun will ich Ihnen noch ein Weiteres sagen. Wenn Sie von nationalen Preisen, von Auflösung oder zeitweiser Auflösung des Grünen Dollars reden, dann wollen Sie der landwirtschaftlichen Bevölkerung doch den Gedanken vermitteln: „Wir sind für höhere Agrarpreise, wir wollen sie auf dem Weg von Grenzabschöpfungen erreichen, wir wollen für uns allein nationale Preise haben." Sie wissen ganz genau, daß in dem Moment, wo die Rechnungseinheit aufgelöst wäre, die Preise zwar in nationaler Währung, aber nach gemeinsamen Kriterien in Brüssel festgesetzt werden müßten und daß Sie damit im Grunde nicht weiter wären, als wir heute sind, nämlich daß wir uns um höhere Preise bemühen. Von unserer Seite ist nicht bestritten worden, daß es in der Landwirtschaft große Schwierigkeiten gibt. Aber diese Schwierigkeiten hat es auch früher gegeben. Ich darf Ihnen mit Genehmigung des Präsidenten eine kurze Passage eines ganz bedeutenden Mannes vorlesen: Das landwirtschaftliche Preisniveau, das weitgehend durch innerwirtschaftliche und handelsPeters ({1}) politische Maßnahmen beeinflußt werden kann, muß meiner Überzeugung nach in einer Parität zu den übrigen Preisen der deutschen Wirtschaft gehalten werden, insbesondere auch zu den Löhnen und hier wiederum in erster Linie zu den landwirtschaftlichen Löhnen. Meine Damen und Herren, wissen Sie, wer das gesagt hat? Das hat Altbundeskanzler Konrad Adenauer vor 20 Jahren in Rhöndorf gesagt. Dann haben Sie so lange Agrarpolitik betrieben und so wenig von dem erreicht, was er damals zugesagt hat. ({2}) Sie haben heute morgen aus dem Mund des Bundeskanzlers gehört, daß die Koalition und die Bundesregierung die schwierige Lage der Landwirtschaft erkennen und daß die Bundesregierung in Brüssel alles daransetzt, zu höheren Preisen zu kommen, und zu weiteren Maßnahmen bereit ist. Trotzdem, meine Damen und Herren von der CDU, sollten wir die deutsche Landwirtschaft nicht darüber im unklaren lassen, daß aller Voraussicht nach durch den Sog der übrigen Wirtschaft auch in den nächsten Jahren weitere Menschen aus der Landwirtschaft ausscheiden werden. Dieses Problem, das sich in West- und Süddeutschland sehr wahrscheinlich stärker stellt als in Norddeutschland, wird nur durch eine groß ausgebaute Agrarsozialpolitik zu bewältigen sein. ({3}) Wir sind für kostendeckende Preise, Herr Klinker. Sie sind notwendig in erster Linie für die Betriebe, die nur von der Landwirtschaft leben, also die Vollerwerbsbetriebe. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergreifen wird, werden sowohl auf den Bereich der Agrarsozialpolitik wie auf die Notwendigkeiten für die Vollerwerbsbetriebe abgestellt sein. ({4})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen der Herren Kollegen Dr. Barzel und Bewerunge geben mir Anlaß zu einigen Bemerkungen. Ich möchte bei allen Gegensätzen, die wir haben, beiden Herren doch eigentlich nahelegen, anzuerkennen, daß die Rede des Herrn Kollegen Bundesminister Ertl ernst genommen zu werden verdient. Man kann über Einzelheiten streiten, man kann sie in diesem oder jenem Punkt für unzulänglich halten. Aber die Art, mit der Sie meinen, es gehöre zu Ihrem Handwerk, über eine solche Auffassung und ihre Darstellung hinwegzugehen, ehrt Sie nicht. Denn diese Rede verheimlicht nichts, verniedlicht nichts, allerdings dramatisiert sie auch nichts, und ich halte das angesichts dieser Lage auch für ein Verdienst. ({0}) Für entscheidend halte ich, bei allem was man anders sagen könnte oder möchte, wenn man eine andere Auffassung hat - ich teile die von Herrn Ertl --: diese Rede verhehlt nicht die Notwendigkeit sowohl unmittelbar wirkender als auch langfristiger Maßnahmen und Anstrengungen. Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie in den Ausschüssen tagtäglich damit zu tun haben, muß ich das nicht erzählen, wie schwierig beides miteinander in Einklang zu bringen ist. Bei allen unseren Gegensätzen werden wir im Grunde genommen nicht darum herumkommen, in diesen Fragen das richtige Mittel zu finden. Deswegen sage ich - ich weiß, daß das heute nicht coutume ist -, daß das auch jene anerkennen sollten, die, so sehe ich das, offensichtlich den Wind gegenwärtiger Unruhe in die eigenen Segel fangen möchten, ohne daß sie daran Anstoß nehmen, daß ja auch sie Verantwortung tragen. Ich sage „auch sie", ich sage nicht „sie allein". ({1}) Da gibt es viele, die für dieses oder jenes Verantwortung tragen. Es gibt jetzt Entwicklungen, die in den Griff genommen werden müssen, wenn nicht kritische Folgen unausbleiblich werden sollen. Sie können doch nicht einerseits heute - und ich unterstelle, daß Sie das so sehen - dramatisch sagen, was los ist, und andererseits so tun, als könnte man davon weggehen. Schauen Sie sich einmal Berichte an! Wer Wind sät, wird einen Wirbelsturm ernten. Einige der Kollegen aus Schleswig-Holstein wissen das ganz genau. Da brauchen wir uns gegenseitig gar nichts vorzuwerfen. Hier ist das Wort von den diszipliniert demonstrierenden Landwirten gefallen. Ich weiß sehr wohl, und ich weiß es auch zu schätzen, was es heißt, wenn mit einigen Tausend mehrere Stunden diskutiert werden muß. Das ist alles in Ordnung, nur, meine Damen und Herren, kein Grund für Sie zu lachen. Lesen Sie nach, was in Heide gestern passiert ist, und dann fragen Sie, wie Sie selbst am Ende aussehen werden, wenn Sie hier versucht haben, Wind zu säen, und ein Wirbelsturm reißt Sie mit weg. Das werden Sie erleben. ({2}) Wir werden die Landwirte weder im Stich lassen noch sie über die Notwendigkeiten hinwegtäuschen, die der Bundesminister Ertl mit der Feststellung gekennzeichnet hat, die verdient festgehalten zu werden, daß die Landwirtschaft auch in den kommenden Jahren eine weitere Anpassung an den volkswirtschaftlichen Wachstumsprozeß durchzumachen hat. Das darf man nicht verwischen, das darf man weder genüßlich noch mit einem falschen Mitleid noch auch mit Schadenfreude - niemandem wäre damit gedient sagen. Ich halte diese Feststellung für um so wichtiger, als Herr Ertl in derselben Rede und beinahe in demselben Atemzug gesagt hat und die richtige Versicherung gegeben hat, daß die Landwirte auf die Dauer nicht allein eine stabilitätspolitische Funktion übernehmen können. Das ist völlig richtig gesagt worden, und daraus müssen auch Konsequenzen gezogen werden. Was er in seiner Rede sowohl zu den kurzfristigen als auch zu den langfristigen Maßnahmen gesagt hat, möchte ich gerne wehner in Erinnerung rufen, aber ich muß es mir versagen, weil es die Redezeit nicht zulassen würde. Im übrigen finde ich, daß der Antrag auf Drucksache VI/ 1812 einiges davon wiedergibt, daß er konkrete Schritte aufzeigt, und aus diesem Grunde sollte dieser Antrag die Unterstützung der großen Mehrheit des Bundestages finden, auch solcher, die der Meinung sind, hier oder da könnte etwas mehr getan werden. Zu Ihren Anträgen erlaube ich mir dann auch noch eine Bemerkung. Ich halte es für wesentlich, und das ist eine richtige und gesunde Grundlinie, Maßnahmen in Gestalt von Hilfen zur Selbsthilfe geben zu wollen. Etwas anderes anbieten zu wollen, wäre für die Mehrzahl der Landwirte kränkend. Das heißt also, man muß die Position --so ist es formuliert worden - entwicklungsfähiger Betriebe durch gezielte agrarpolitische Maßnahmen stärken und ausbauen. Ich sage offen, welche Sorge ich habe. Meine Sorge aus eigenen Beobachtungen, auch aus meinem eigenen Wahlkreis, ist die, daß gegenwärtige Schwierigkeiten vielfach gerade bei solchen Landwirten aufgetreten sind und spürbar sind, deren Betriebe einwandfrei als entwicklungsfähig bezeichnet werden können und müssen und die sich so verhalten haben, wie man es verlangt, wie man es von modernen Landwirten erwartet. Das ist unser Problem, und darum lohnte es sich, zu ringen. Dabei sollte man einander nicht gram sein, wenn der eine den anderen in konkreten Maßnahmen zu überbieten versucht. Ich halte die Punkte, die Herr Ertl in seiner Rede dazu angeführt hat, für wichtig. Herr Kollege Barzel hat heute in seiner Rede - ich will das einmal vorwegnehmen - gesagt, die Verbraucher merkten gar nichts davon, daß die landwirtschaftlichen Preise sinken. Aber, verehrte Kollegen - ich wende mich hier nicht nur an Herrn Kollegen Barzel -, das wäre ein Thema, bei dem wir, wenn wir darüber einmal sprächen, an gewisse Kerne bei denen kämen, die bei der Preisbildung das Sagen haben. Manchen würden eigentümliche Gefühle beschleichen, wenn man dann feststellte, daß magere und sogar sinkende Erzeugerpreise zu hohen Endverbraucherpreisen führen. Unser Anliegen ist es, dafür zu sorgen, daß sich das ändert. ({3}) Das wäre ein Thema. Ich werde Ihnen nicht den Gefallen tun zu sagen, daß diejenigen, die den Haupteinfluß auf die Verbraucherpreise haben, Ihnen näher stehen als uns; ({4}) wir ringen ja um sie alle. Ich möchte nur sagen: Es ist eben nicht einfach in die Hand der Regierung gegeben, das zu ändern. Wir müssen aber versuchen, diese Dinge, soweit das in unserer Wirtschaftsordnung möglich ist, auch wenn wir uns über die Maße und die verschiedenen tragenden Bestimmungen nicht einig sind, im sozialen Sinne - Sie sagen ja auch „soziale Marktwirtschaft" -- zu dämpfen. Das ist eines der besonderen Probleme. Ich glaube, daß auch das richtig ist, was Herr Ertl zu dem gesagt hat, was wir im agrarpolitischen Bereich der EWG zu tun haben. Ich hätte gewünscht, er hätte noch einiges hinzugefügt, um mich in einigen Punkten sicherer zu machen. Dabei denke ich z. B. an die Regierungserklärung vom Dezember 1966. Damals hat die Regierung Kiesinger, die Regierung der Großen Koalition, mit Sorge zu bestimmten Entwicklungen der EWG-Leistungen Stellung genommen, die für uns nach einem Takt, den wir gar nicht mehr in der Gewalt haben, sehr steil ansteigen. Es wurde damals gesagt, wir müßten uns überlegen, ob wir das einfach so weitertreiben lassen könnten. Bei unseren damaligen Beratungen haben wir das zwar - Herr Höcherl wird mir den Gefallen nicht tun, das zu bezeugen -- verschiedentlich gesagt, und wir meinen es auch heute noch. Es ist jedoch wegen der eigentümlichen Automatik, die vor Jahren und nicht erst jetzt angefangen hat, offensichtlich sehr schwer, hier etwas zu machen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das, was Herr Kollege Peters in der Debatte über den Einzelplan 10 seinem damaligen Vorredner, Herrn Struve, gesagt hat. Er sagte zu ihm: „Sie haben gerade so geredet, als wären Sie nicht seit 15 Monaten, sondern seit 15 Jahren in der Opposition." So ist es leider tatsächlich. ({5}) Jetzt kommen Sie mit dem heißen Problem der Verrechnungseinheit, dem Eurodollar. Ich habe schon gemerkt, daß man hier nicht mit nur einem Übersetzer auskäme; dazu brauchte man in der Tat mehrere Übersetzer. Lassen Sie mich dazu einige Reflexionen vortragen. Meiner Ansicht nach wäre das Abgehen von der Verrechnungseinheit, wagte man es und versuchte man, es mit seiner Verantwortung in Einklang zu bringen, der Beginn einer bitte, ich sage es unpathetisch --- tödlichen Krise für die weitere Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Das ist das eine. ({6}) Umgekehrt gesehen - das ist das andere - wäre so etwas nur möglich - das wäre die logische Folge --, wenn ungeachtet aller Anstrengungen der intensive Prozeß einer weiteren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaften Integration scheiterte. Dann nämlich funktionierte das System mit der Verrechnungseinheit nicht mehr. Ich will hier nicht boshaft werden. Aber wie hieß es früher? In dem einen Partnerland hat man bei dieser Automatik den Vorteil seiner Industrie im Auge gehabt, und die anderen haben vorwiegend an den Vorteil ihrer Agrarwirtschaft gedacht. Das können Sie alles nachlesen; ich will Sie nicht belehren. Herr Ehnes hat heute morgen gesagt - das ist das einzige, was ich ihm übelnehme, wenn man das so sagen kann -, wenn es heiße, eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion werde erst in zehn bis zwölf Jahren zu verwirklichen sein, könne man davon ausgehen, daß es bei dem Tempo dieser Regierung 24 Jahre dauern werde. Sie können es sich nicht einmal verkneifen, in dieser Weise von Entwicklungen zu sprechen, für die wir keineswegs allein verantwortlich sind, sondern von denen Ihre Kollegen, die sich mit diesen Dingen befaßt haben, ganz genau wissen, wie viele Jahre wir seit einem Veto des französischen Staatspräsidenten im Januar/ Februar 1963 verloren haben. ({7}) Wir müssen heute noch draufzahlen, zwar nicht allein, aber doch sehr stark. Wir sind leider - da haben Sie völlig recht, auch Herr Bewerunge hat recht - mit großen Startlasten, vor allen Dingen der Landwirtschaft, angetreten, die so nicht bleiben können. Sie haben dann gesagt, daß man 24 Jahre brauchen werde und daß es somit eigentlich richtig wäre, den Grünen Dollar auszusetzen. Ich habe dazwischengerufen: Ich möchte es einmal sehen und erleben, daß die CDU/CSU hier einen solchen Antrag einbringt. In diesem Fall wünschte ich, daß in namentlicher Abstimmung darüber entschieden wird, ob der Grüne Dollar ausgesetzt werden soll oder nicht. Die gegenseitigen Mißverständnisse, ob man es draußen so oder drinnen anders sagt, sollen endlich aufhören. ({8}) Nun hat der Herr Kollege Barzel dankenswerterweise gesagt, man werde bei der Behandlung des Antrages - ich nehme an, es ist der Umdruck 161 - im Ausschuß sehen, was da gemeint ist. Hier hat es vorhin eine Kontroverse um eine Feststellung des Bundeskanzlers gegeben. Der Bundeskanzler hat gesagt, es müsse erst geklärt werden, was die Formulierung „Regelungen" in diesem Antrag bedeute. Ich habe mir vorher schon die Rückseite angesehen. Die Rückseite, nämlich die Begründung dieses Antrages, gibt mir noch viel mehr Rätsel auf. Nichts dagegen! Vielleicht kommen wir dadurch endlich zu einer Klärung. Sie kommen aus einer Sache heraus, von der Sie denken, sie müsse geklärt werden - wir vielleicht auch. Dann weiß man, wer wo steht. Ich möchte ausdrücklich das unterstützen, was Kollege Peters hier dazu gesagt hat. Ich halte es für ungerechtfertigt, ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Aber, Herr Kollege Bewerunge, Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, daß die Landwirte nach wie vor die politische Union wollen, und dann im gleichen Stockwerk - weil es bei Ihrem politischen Verhältnis so üblich ist - den Vorwurf gegen den Bundeskanzler erheben, daß dieser die politische Union erst in der nächsten Generation verwirklicht sehen wolle. Lassen Sie das doch bitte sein! ({9}) Hören Sie: Das hat doch nichts damit zu tun, worauf Sie hinauswollen, Herr Kollege Bewerunge! Ich versuche doch, das ernst zu nehmen. Ich will es nicht einfach polemisch abwehren. Natürlich will die Mehrzahl der Landwirte - ich unterstelle das -- die politische Vereinigung Europas. Dann darf man man sie aber nicht darin bestärken -- und das ist meine sachliche Bemerkung dazu -, Vorstellungen zu hegen und nachzuhängen, durch die den Voraussetzungen, überhaupt mühselig Millimeter für Millimeter zur politischen Union zu kommen, der Boden entzogen würde. ({10}) Es handelt sich ja leider um ganz harte realpolitische Voraussetzungen. Der Herr Bundeskanzler hat eine Ihrer Bemerkungen selbst bereits aufgegriffen. Ich hätte Ihnen auch etwas dazu gesagt, kann es mir aber jetzt ersparen. Wir können ja nicht alles entblättern. Die meisten von Ihnen wissen doch - manchmal hat man es selbst schon barsch und unwirsch gesagt , wieviel andere bei der kunstvollen Architektur dieser Gemeinschaft dafür gesorgt haben, daß sie auf gewissen Gebieten um Himmels willen nicht für Experimente zu zahlen haben. Dagegen sind wir, gerade auf landwirtschaftlichem Gebiet, von Anfang an ziemlich herangenommen worden. Sie werden bei der Durchforschung Ihrer eigenen Geschichte feststellen, wie sehr politische Überlegungen europäischer Art bei führenden Herren von Ihnen das andere in die zweite Reihe gedrückt haben. Bei uns ist das keineswegs so. Ich will nicht sagen, daß wir in diesem Fall besser sind. Aber auf eines achten wir: es darf ad infinitum nicht damit weitergehen, daß ein Berufsstand für Dinge gebeutelt wird, die man auf andere Weise nicht in Ordnung zu bringen vermag. Zu der Frage, die der Herr Kollege Barzel in bezug auf die Qualität des Gesprächs des Bundeskanzlers mit Herrn Mansholt aufgeworfen hat: Ich nehme an, Herrn Barzel ist das so entfahren. Es war die Lust am Gag, zu sagen: Na ja, wäre es ein gutes Gespräch gewesen, dann hätte es nicht zu der gestrigen Karambolage zwischen dem Herrn Ertl und dem Herrn Mansholt kommen können. Ich war auch dabei. Mansholt ist ein harter Mann. Ich auch! Hören Sie mal, wir haben uns noch nie etwas geschenkt! Ich komme gleich zu einem Punkt, wo Herrn Barzels Eleganz ins Gegenteil, nämlich gegen sich selbst, ausschlägt. Da tut er mir wirklich leid; er hat beinahe eine Bumerangkurve auf dem Eis gemacht, falls es das überhaupt gibt. ({11}) Man kann doch nicht den Zusammenstoß als Kriterium für die Ernsthaftigkeit bzw. Nichternsthaftigkeit eines Gesprächs nehmen! Über das Gespräch will ich hier nichts weiter sagen. Es ist ihm alles gesagt worden. Brüssel weiß jedenfalls, daß wir hinter unserem Kollegen Ertl stehen. Das weiß es, und darauf kam es an. ({12}) Es kam nicht darauf an, im einzelnen Prozente auszuhandeln und zu sehen, ob man hintenherum etwas tun kann. Nein, die wissen, wie unsere Lage ist und welche Positionen wir bezogen haben und verteidigen. Natürlich gibt es sachlich unterschiedliche Positionen. Nun noch einmal zu Herrn Barzel. Herr Barzel hat - ich habe das selbstverständlich mit Freude genossen - wohl etwas gelesen, was ich heute in den mir alle vier Wochen zustehenden 50 Zeilen eines Blättchens in meinen eigenen Wahlkreis schreiben durfte. Da habe ich mich einmal mit der Frage, daß Europa zu Hause anfängt, befaßt. Dazu sagt Herr Barzel nun, ich hätte da etwas über ihn geschrieben, wenn auch ohne Polemik. Das gibt es bei mir auch! Ich habe mit großem Interesse den Text des Vortrags gelesen, den die Fraktion der CDU/CSU verteilt hat. Herr Barzel ist in der Beziehung viel ordentlicher und umsichtiger als ich; er verteilt seine Reden vorher und im Wortlaut. Das ist gut für alle, die dann etwas damit machen wollen. Er hat nun gesagt, gestern sei er aber den ganzen Tag in Gesprächen gewesen. Das hatte ich schon gehört, wenn auch noch nirgendwo gelesen. Ich werde nun nicht Herrn Barzels Gag nachahmen und sagen: Dann wollen wir doch mal sehen, wie sich Herr Malfatti und wer sonst noch demnächst zu gewissen Fragen, die uns hier auf den Nägeln brennen, äußern werden! Dann würde man daraus entnehmen können, welche Wirkung Herrn Barzels Charme auf Herrn Malfatti und andere gehabt hat. Das würde ich nicht machen; es ist nämlich ungerecht. Hier gibt es unterschiedliche Interessen; in diesen Fragen müssen wir auch hart mit anderen ringen. Es wäre nicht schlecht ich appelliere hier nicht an etwas, das Sie unterlassen oder uns zuliebe tun sollten -, wenn wir uns, jedenfalls an bestimmten Punkten, nicht gegenseitig schwächten. Ich komme damit zu Ihren Anträgen. Wir haben uns ja nicht geziert, sondern wir haben gesagt: Gut, sollen sie auf die Tagesordnung! Wenn man überschläglich berechnet - in den Ausschüssen wird man ausführlich darüber reden -, kommt man zu dem Ergebnis, daß allein diese Anträge von heute rund 1,5 Milliarden DM kosten. Nun gut, Sie werden uns vielleicht einen Teil davon mitbringen oder sagen, wo man das wegnehmen kann. In Ordnung! Vielleicht ist die Summe noch ein bißchen höher; ich bin ganz bescheiden. Nach den Rechnungen, die mir vorgelegt wurden, kosten diese Anträge 1,5 Milliarden DM. Ich bin damit einverstanden, daß wir das alles in den Ausschüssen klären müssen. Um so wichtiger erscheint es mir, daß nicht vorher noch alles völlig heillos kompliziert wird. Wir haben heute hier Herrn Ehnes über den Eurodollar und darüber reden gehört, daß, weil die Entwicklung der Währungsunion sowieso 24 Jahre dauern werde, es gerechtfertigt sei, daß man ihn aussetze. In der „Dithmarschen Landeszeitung" vom 5. März ist über die Ausführungen des Ihnen näherstehenden Herrn Landesministers Dr. Narjes folgendes festgestellt: In der Diskussion machte der Minister zu den hinsichtlich des Grünen Dollars gestellten Fragen und Vorschlägen darauf aufmerksam, daß eine Aufhebung oder Aussetzung der EWG die Existenzfrage stellen müßte. Auch ein Grenzausgleich werde die EWG vor das gleiche Problem stellen. Man dürfe auch nicht vergessen, sagte der Minister, daß Brüssel nicht frei von den USA sei. - „Man denke!", sage ich dazu. Aber auch höhere Preise lösten eine Problematik aus; denn sie würden eine größere landwirtschaftliche Erzeugung nach sich ziehen. ({13}) Zu dem Vorschlag einer Umsatzsteuererhöhung meinte Herr Dr. Narjes, daß auch sie einen Verstoß gegen die EWG darstelle. Ich glaube schon, Herr Peters hat recht mit seiner Aussage, daß es der Übersetzer bedürfe. Wir brauchen eine Masse Übersetzer für das, was die CDU- Minister im Lande meinen, wenn sie zu bestimmten Dingen reden, für das, was gemeint wird, wenn hier zu bestimmten Dingen geredet wird. Ich muß es mir ersparen, dazu noch mit einigen Vorklärungen beizutragen, obwohl ich das gern täte. Ich möchte einiges auch zu Herrn Stoltenberg gesagt haben. Aber das Licht ist schon auf Gelb; ich darf nicht weiter. Der Herr Kollege Barzel hat hier gesagt, wir sollten in gewissen Dingen bei allen Gegensätzen, die wir sonst hätten, diskutieren. Ich greife das nicht nur auf. Ich sage: wir brauchen eine qualifizierte Debatte im Europäischen Parlament. Das darf nicht weiter so dahintagen. Wir brauchen dort die offene Aussprache, und zwar von Erste-Bank-Leuten, über die Probleme der Lage in Europa und darüber, wo der Schuh drückt und worauf es ankommt. Natürlich will ich die Kärrnerarbeit, die dort zu leisten ist, nicht unterschätzen. Aber das brauchen wir. Wir sollten uns dieser Debatte dort stellen, und eine Reihe Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus sollten in diesen Debatten dort das Wort ergreifen, so daß wir nicht nur auf Nebenplätzen über bestimmte Dinge reden. Dort wollen wir einmal mit den französischen und den italienischen und den anderen Abgeordneten über manche unserer Sorgen und über die Probleme, um die es geht, reden. ({14}) Eine letzte Bemerkung, was das bäuerliche Eigentum betrifft. Dazu hat der Bundeskanzler schon eine mit Recht distanzierende Bemerkung hinsichtlich dessen gemacht, was Herr Kollege Barzel uns gern unterstellen möchte. Was dieses bäuerliche Eigentum betrifft, so sollten Sie, meine Damen und Herren, nicht dem fundamentalen Irrtum verfallen, die Sozialdemokratie wolle oder werde es antasten. Das könnte manchem vielleicht Spaß machen. Diesen Popanz finden Sie bei uns nicht. Da schlagen Sie immer auf irgend etwas Falsches. Wir wollen das bäuerliche Eigentum leistungs- und entwicklungsfähig und widerstandsfähig machen, ({15}) nicht zuletzt weil wir ganz genau wissen, wie es all den Ländern gegangen ist, in denen man gemeint hat, man könne es anders machen. Sie sind alle daran krank geworden. Es ist noch niemandem bekommen, gleichgültig, mit welchem Patentmittel Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Wehner man das bäuerliche Eigentum hatte ersetzen oder übersteigern wollen. ({16})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Klinker.

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister a. D. Wehner hat vorhin gesagt, daß die Koalition bei den Verhandlungen in Brüssel hinter Minister Ertl stehe. Ich freue mich über diese Aussage, Herr Dr. Schmidt. In einer solchen Debatte, wo auch internationale Probleme zur Diskussion stehen, ist es wichtig, daß die Opposition nicht nur kritisch ist, sondern daß sie auch konstruktive Vorschläge macht, mit denen der Minister in Brüssel etwas anfangen kann. Ich will mich einmal bemühen, zwar bestimmte Dinge kritisch zu beleuchten, aber dennoch hier unserem Verhandlungsführer für Brüssel einige Vorschläge mitzugeben, von denen ich glaube, daß er dann auch mit Zustimmung der Opposition diese Verhandlungen im Interesse der deutschen Bauern wird führen können. Herr Minister Ertl, ich habe Ihre Rede, die Sie im Ministerrat gehalten haben, hier vor mir liegen. Ich pflichte in diesem Punkt Ihnen, Herr Wehner, bei: Herr Mansholt ist ein harter Mann. Er beherrscht alle Pferdehändlertricks, die man überhaupt beherrschen kann. Das habe ich Ihnen wiederholt gesagt. Herr Minister Ertl, ich habe das Gefühl, daß Sie das noch nicht genügend erkannt haben; denn sonst hätten Sie nicht gesagt, Sie hätten volles Verständnis für die Ursachen der Verzögerung bei der Vorlage der Dokumente zur Preispolitik und zur Strukturpolitik. Herr Minister Ertl, Sie müssen wissen, daß diese Politik seit drei Jahren betrieben wird. Die Preise für das nächste Jahr sollen praktisch bis zum 1. April des Vorjahres beschlossen sein. Es war bisher noch nicht ein einziges Mal der Fall, daß die deutsche Landwirtschaft rechtzeitig über die Preise informiert worden ist. Man hat vielmehr in Brüssel immer wieder neue Tricks erfunden, um die Entwicklung hinzuhalten. Jetzt sind Sie selber, verehrter Herr Ertl, ein Opfer dieser Mansholtschen Taktik geworden. Ich bin der Meinung, da sollten Sie ganz entschieden vorgehen. Insofern begrüße ich es und freue mich, daß Sie gestern in dieser entschiedenen Form auch gegen Herrn Mansholt Stellung bezogen haben. Ich glaube, das kann auch die Opposition anerkennen; denn es ist wirklich notwendig, in einem solchen Fall Herr Mansholt einmal zu sagen, daß es Grenzen des Erträglichen auch für ein Mitgliedsland geben kann. Auf Grund der sich in den letzten Monaten ständig weiter öffnenden Preis-Kosten-Schere - diese Tatsache ist auch von den Regierungsparteien nicht bestritten worden - sind Agrarpreiserhöhungen bis zu 15 %, wie Professor Weinschenk es sagte, nach meiner Auffassung in vollem Umfang gerechtfertigt. Zumindest sind die Forderungen berechtigt, die insoweit von den Berufsverbänden erhoben werden. Sowohl Preiserhöhungen von 15 % als auch die von meiner Fraktion geforderten Preiserhöhungen um 10 % sind unter dem Gesichtspunkt des Marktgleichgewichts durchaus vertretbar, wenn gleichzeitig die Preisrelationen richtig gesetzt sind. Darauf kommt es an, Herr Minister Ertl. Aus der Sicht der Strukturpolitik, Herr Minister, sind diese Preiserhöhungen nicht nur überhaupt die Voraussetzung für eine Fortsetzung des Strukturwandels, sondern auch die Voraussetzung für die langfristige Sicherung dessen, was wir in der EWG bisher überhaupt erreichen konnten. Das müssen wir ganz nüchtern sehen. Nun ist so durch die Blume angeklungen: Ja, die Opposition kritisiert nur, sie sagt nicht, was sie will. Ich will Ihnen ganz konkret sagen, Herr Minister Ertl, wie unsere Preisvorstellungen aussehen. Wir sind der Meinung, daß eine Heranziehung der Preise für Futtergetreide - einschließlich Roggen und Mais - an den Weizenpreis im Verhältnis des Futterwerts durch eine Erhöhung um 10 % eine durchaus vernünftige Verhandlungsmarge für Sie ist. Wir sind weiterhin der Meinung, daß Sie zumindest versuchen sollten, verhandlungstaktisch ein Graduierungssystem für Weizen und die Absicherung der Zuschläge in Höhe von mindestens 3,50 DM für Qualitätsweizen bei der Intervention zu erreichen. Weiterhin sind wir der Meinung, daß Sie den Rinderorientierungspreis in einem Zuge auf 300 DM bringen sollten und daß der Interventionspreis für Butter von 6,35 auf 6,55 DM erhöht werden sollte. Wenn Sie nämlich lediglich dem Vorschlag der Kommission folgten, würde das auf die Werkmilcherzeuger nicht durchschlagen. Sie können nicht allein vom Eiweiß ausgehen, sondern Sie müssen auch die Butter berücksichtigen. Das ist überhaupt keine Frage. Weiterhin müßte der Interventionspreis für Magermilchpulver nach meiner Auffassung von 1,51 DM auf mindestens 1,86 DM erhöht werden. Wenn Sie den Butterpreis um diese 20 DM erhöhten und auch den Pulverpreis erhöhten, würde das nämlich für den Werkmilcherzeuger ein echtes Mehr von 4 Pf pro angelieferten Liter Milch ausmachen. Ich glaube, das ist eine maßvolle, der Entwicklung des Milchmarktes angepaßte Forderung. Was nun den Zuckerrübenpreis angeht, Herr Minister, müssen Sie auf alle Fälle für den Erzeuger eine Erhöhung um drei volle Rechnungseinheiten durchsetzen; denn das Instrument der Marktordnung trägt ja die Quotierung in sich, und der sogenannte Zuckerberg, von dem die Kommission immer geredet hat, kann durch dieses System der Quotierung sehr schnell abgebaut werden. Man sollte die verabschiedeten Marktordnungen auch richtig anwenden. Dazu ist es erforderlich, Herr Minister Ertl, daß Sie, wenn Sie das Gleichgewicht und die richtige Relation im gesamten Preisspiegel erreichen wollen, auch den Rapspreis anheben, und zwar nach meiner Auffassung um mindestens 15%. Meine sehr verehrten Damen und Herren, was wird gegen diese Preisforderungen geltend gemacht? Es ist hier schon gesagt worden, daß eine Erhöhung 6214 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode der Erzeugerpreise um 10 Erhöhungen der Verbraucherpreise um 1 bis 1,5 % mit sich bringen können. Der Raiffeisenverband hat neuerdings gesagt, bei einzelnen Produkten könnten es auch knapp 2 werden. Der Anteil der Nahrungsmittelausgaben an den Gesamtausgaben der deutschen Verbraucher beträgt heute noch im Durchschnitt etwa 28 %, und der Anteil der Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte an den Verbraucherpreisen hat ebenfalls stark sinkende Tendenz. Das wissen Sie alle. Bei einer Erhöhung der Agrarpreise differenziert von 10 bis 15 % würde im Jahre 1971 höchstens eine Erhöhung der Verbraucherausgaben von 0,9 % eintreten. Ist das nicht eine Größenordnung, über die man reden kann in Anbetracht der Forderungen, die wir am laufenden Band in der Wirtschaft heute erleben? Die Posttarife wurden auf breiter Front erhöht. Das muß auch einmal gesagt werden. Der Deutschen Bundesbahn wird eine Tariferhöhung von 18 % zugestanden. Der Kollege Apel hat hier kürzlich erklärt - ich schätze ihn, ich kenne ihn aus der europäischen Arbeit, ich kenne seine realen Ansichten -, daß die Verkehrspolitik nicht zum Büttel der Unstabilitätspolitik werden dürfe. Ich folge ihm völlig, aber dasselbe ist eben auch auf die Landwirtschaft anzuwenden. Bezüglich der anderen Bereiche hat die Bundesregierung bisher nicht deutlich gesagt - jedenfalls hat Professor Schiller es bisher nicht so deutlich gesagt, wie er es gegenüber der Landwirtschaft gesagt hat -, daß die Orientierungsdaten eine so weitgehende Preiserhöhung nicht zuließen. Bei der Landwirtschaft hat Minister Schiller jedoch gesagt, das könne er auf keinen Fall verantworten. Bei der Post und bei der Bundesbahn habe ich solche Töne nicht gehört. Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Sie mir sonst den Vorwurf machen könnten, ich begründete die Notwendigkeit dieser Erhöhungen nicht genügend, darf ich Ihnen sagen, aus welchen Überlegungen ich zu diesen Zahlen gekommen bin. Selbst für 1980 rechnet der Agrarbericht, also der Bericht, den Minister Ertl selbst herausgegeben hat, noch mit einem Getreidezuschußbedarf von 5,2 Millionen Tonnen im Jahr. Der Weizenberg der Vergangenheit - das muß wieder eingefügt werden - war nach meiner Auffassung kein struktureller Überschuß, sondern lediglich eine Folge der falschen Relation der Futtergetreidepreise zum Weizenpreis; darüber sind sich alle Sachverständigen einig. Auch Professor Plate hat im Hearing neulich gesagt, wenn man eine Erhöhung des Maispreises durchführte, dann gäbe es keinen Weizenberg mehr, wenn man also die Preise für Gerste und Mais als die Hauptfuttergetreidearten entsprechend erhöhte. Und Professor Weinschenk hat erklärt, eine Getreidepreiserhöhung um 10 % würde nach den bisherigen Erfahrungen in der EWG eine Produktionssteigerung von höchstens 1 auslösen. Wenn man aber weiß, daß der Getreideimportbedarf in der EWG sich von Jahr zu Jahr gesteigert hat, dann ist diese Erhöhung der Inlandsproduktion von 1 °,'o keine Größenordnung, mit der man sich ins Bockshorn jagen lassen müßte, Herr Minister. Die Getreideanbaufläche in der EWG betrug 1969 rund 21 Millionen Hektar gegenüber 21,2 Millionen Hektar im Jahre 1960. Die Fehlprognose der Kommission hat sich letzten Endes erwiesen, als man die deutschen Getreidepreise gesenkt hat. Die Kommission hat immer wieder Fehlprognosen gestellt, und ich werde Ihnen das bei Zucker, bei Milch und auch bei Getreide beweisen. Der Umfang der Zuckerproduktion - das sagte ich Ihnen schon, Herr Minister - läßt sich durch die Quotierung, wenn man sie konsequent anwendet, bei einer vernünftigen Erhöhung der Erzeugerpreise, aber auch der Verarbeitungsspannen für die verarbeitende Industrie in Ordnung bringen; denn diese Verarbeitungsspannen sind ein Bestandteil der Zuckermarktordnung. Auch die Prognose der Kommission und des verantwortlichen Kommissars Mansholt zur Buttererzeugung und zum Butterverbrauch sind in den letzten Jahren falsch gewesen. Tatsächlich betrugen die Butterbestände in der EWG am 1. April 1970 276 000 Tonnen, und nach den neuesten Schätzungen werden sie am 1. April 1971 rund 70 000 Tonnen betragen. Das ist ein Vorrat von nicht einmal einem halben Kilo pro Kopf der Bevölkerung in der EWG. Auch das muß man wissen. Die Fehlprognose der Kommission betrug danach von 1970 an gerechnet rund 234 000 Tonnen und wird nach den Unterlagen der Markt- und Preisberichtsstelle, die nun wirklich eine neutrale Stelle ist, im Jahre 1971 etwa 700 000 Tonnen betragen. Dieser riesige Unterschied, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist mehr als die gesamte Buttererzeugung der Bundesrepublik in einem Jahr. Auf Grund solcher dilettantischer Prognosen und gigantischer Fehlprognosen wollte Mansholt seinerzeit - das wissen Sie genau - sogar noch den Butterpreis um 2,50 DM je Kilo senken. Herr Minister, das war, bevor Sie Minister wurden; Herr Höcherl wird es Ihnen bestätigen können. Auch die Vorschätzung des Agrarberichts - ich meine jetzt den Agrarbericht der EWG, nicht Ihren, Herr Minister -- über den Umfang der Milcherzeugung in der EWG ist nach meiner Auffassung unrichtig. Sie brauchen sich nur einmal die Verhältnisse in Schweden anzusehen, um festzustellen, wohin der Preisdruck auf den Milcherzeuger führt und wie die Milcherzeugerpreise dann steigen. Das muß man doch alles wissen. In den USA haben wir genau dieselben Verhältnisse gehabt, und Europas Entwicklung zum Industriestaat wird zwangsläufig solche Dinge auch bei uns mit sich bringen. Die Magermilchbestände - das ist eine weitere völlige Fehlschätzung der Kommission gewesen - gehen voraussichtlich auf 60 000 Tonnen zurück. Auch hier, Herr Minister, ist die Prognose der Kommission mit den über 200 000 Tonnen falsch. Dies sind die konstruktiven Beiträge, die ich für Ihre Verhandlungen zu erbringen versuche und die ich auch im Europäischen Parlament nächste Woche Herrn Mansholt selbst vorhalten werde, um Ihnen bei der Schwierigkeit Ihrer Verhandlungsposition zu helfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung muß eben auch einmal unabdingbare Forderungen stellen können, Weil Frankreich und Italien diese Politik am laufenden Band verfolgt haben. Und es muß nun einmal - das habe ich aus der Erklärung, daß die Koalitionsfraktionen hinter Ihnen stehen, entnommen - auch von deutscher Seite eine solche Haltung eingenommen werden. Ohne angemessene Preiserhöhungen von 10 bis 15 % gibt es doch letzten Endes politisch nur zwei Alternativen. Sollte trotz aller Härte, Herr Minister, eine der Lage angemessene Preiserhöhung in Brüssel nicht durchzusetzen sein - Sie haben ja im Prinzip erklärt, 10 % seien keine überhöhte Forderung -, dann, so muß ich sagen, folge ich dem Professor Schmidt, der neulich beim Hearing - und das scheint mir sehr real gesehen zu sein - die folgenden Alternativen formulierte. Herr Professor Schmidt sagte damals, dann gebe es nur die Möglichkeit der Aufhebung der Bindung der Agrarpreise an die Rechnungseinheit und der Einführung von innergemeinschaftlichen Abschöpfungen bzw. Exporterstattungen zur Differenzierung des Agrarpreisniveaus in den einzelnen Mitgliedsländern nach Maßgabe des gesamtwirtschaftlichen Niveaus dieser Länder, oder die andere Möglichkeit der Beibehaltung des gemeinsamen Agrarpreisniveaus und der Einführung von Formen direkter Einkommensübertragung an die Landwirtschaft - das ist das englische System -, die dann in ihrer Ausgestaltung möglichst produktionsneutral sein sollen. Mit Professor Schmidt - das möchte ich hier sehr deutlich sagen - gebe ich ganz eindeutig der ersten Alternative den Vorzug. Das heißt, die Bindung der Agrarpreise an die Rechnungseinheit muß gelockert werden, und zwar - ich will das begründen - auf Grund folgender Motive. Die Aufhebung des gemeinsamen Agrarpreisniveaus erleichtert nämlich auch die Erweiterung der EWG. Die Aussetzung des Grünen Dollars bis zur Herstellung einer vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion widerspricht auch nicht dem Europäischen Vertrag. Art. 40 des EWG-Vertrages sieht für die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte doch ausdrücklich drei Organisationsformen vor - das hat der Kanzler hier vorhin selbst bestätigt -, nämlich die gemeinsamen Wettbewerbsregeln, die bindende Koordinierung der einzelstaatlichen Marktordnungen oder eine europäische Marktordnung. Das sind die drei Möglichkeiten, die nach Art. 40 vorgesehen sind. Grenzausgleichssysteme zwischen den EWG-Partnern sind vertragskonform und erleichtern den Finanzministern letztlich auch ihre Arbeit. Solche Grenzausgleichssysteme hat es in der Vergangenheit gegeben und muß es letzten Endes, wenn man die Beitrittsverhandlungen Englands ernst nimmt, auch geben, wenn man England, Dänemark und Norwegen hineinnehmen will, denn auch auf dem Steuergebiet erhebt man ja heute noch die Ausgleichsabgaben. Eine Aussetzung des Grünen Dollars und die Einführung eines Grenzausgleichssystems gegenüber den Partnern ist auch für den Bundeshaushalt, Herr Minister, billiger als nationale Einkommensübertragungen an die Landwirtschaft. Ich bin der Meinung, die gleichen Argumente, die die Bundesregierung und der Bundesrat veranlassen, eine gemeinsame EWG-Strukturpolitik abzulehnen und weiterhin die nationale Verantwortung für die Agrarstrukturpolitik zu fordern, sprechen auch, Herr Minister, für die Aussetzung des Grünen Dollars, für die Einrichtung einer Bandbreite, die jährlich zusammen mit den Preisen neu beschlossen werden muß. Herr Minister, ich frage Sie: Was wollen Sie tun, wenn in der EWG die nächste Paritätsänderung erfolgt? Dann können Sie gar nichts anderes tun, als das System, das ich Ihnen eben so erläutert habe - nämlich die innergemeinschaftlichen Abschöpfungen, die auch nach der Verordnung Nr. 653/68 vorgesehen sind -, durchzuführen.

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Klinker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneter Peters?

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Klinker, weshalb haben Sie Ihre soeben gemachte klare Aussage nicht in Ihrem Antrag verankert, so daß jeder weiß, was Sie wollen?

Hans Jürgen Klinker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001133, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Peters, die Formulierung der Anträge ist so klar, daß Sie das, was ich hier erläutere, darin finden werden, wenn Sie richtig lesen. ({0}) Frau Präsidentin, ich sehe, die rote Lampe leuchtet. Ich werde deswegen zum Schluß kommen. Herr Minister Ertl, ich hoffe und wünsche, daß Sie es fertigbekommen, in dieser schwierigen Situation mit den gleichen Methoden und Verhandlungstaktiken zu operieren wie Herr Mansholt. Denn von der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere von der deutschen Landwirtschaft werden Sie daran gemessen, ob Sie auch glasklar und hart das vertreten, was hier durch den Bundeskanzler und auch durch Finanzminister Möller, wenn auch nicht in deutlichster Form, angeklungen ist. Die Opposition wird Ihr weiteres Vorgehen in diesen grundsätzlichen Fragen, soweit sie sich auf die internationale Ebene beziehen, objektiv, aber sehr kritisch, wie es ihre Pflicht ist, verfolgen. Darum geht es, wenn wir über die Runden kommen wollen. Kein Mensch hat den Wunsch, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auseinanderfällt. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Schonhofen.

Friedrich Schonhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002064, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den grundlegenden Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und meines Kollegen Dr. Schmidt zum Thema Gesell6216 schaftspolitik kann ich mich auf einige wenige Gesichtspunkte beschränken. Heute morgen ist von Herrn Minister Ertl sehr zutreffend festgestellt worden, zu den Umständen, die die Lebensbedingungen in der Landwirtschaft entscheidend beeinflußten, zähle auch der Tatbestand, daß beim Aufbau der sozialen Sicherheit für die Landwirte in den früheren Jahren Entscheidendes versäumt worden ist. Ich meine, daß in diesem Zusammenhang auch nicht der Hinweis auf das Bemühen ausreicht, die Altershilfe ausbauen und anheben zu wollen; denn Altershilfe allein ist noch keine ausreichende Agrarsozialpolitik. Erst durch diese Bundesregierung, durch diese Koalition ist auf diesem Gebiet ein beträchtlicher Wandel eingetreten. ({0}) - Nunmehr ist der Agrarsozialpolitik ein Platz zugewiesen, der ihr zukommt, Herr Bewerunge. Das werden Sie, wenn Sie es ernst meinen mit sich und Ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit, nicht bestreiten. Ihr ist ein Platz gleichgewichtig neben der Preis-, Markt- und Strukturpolitik zugewiesen. Das ist bislang nicht der Fall gewesen. Das kommt auch zu Recht in dem Agrarbericht, den es heute zu debattieren gilt, zum Ausdruck. Wir begrüßen es deswegen, daß der Bericht klar und umfassend die für jedermann sichtbaren bisherigen Leistungen dieser Koalition auf agrarsozialem Gebiet darstellt und gleichermaßen die Zielsetzungen und Wirkungen dieser Politik klarstellt. Niemand wird im Ernst bestreiten wollen - auch wenn Sie das heute tatsächlich tun -, daß die wesentliche Verbesserung der Landabgaberente, die Möglichkeit der Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung mit einem 70%igen Bundeszuschuß hervorragende Leistungen dieser Koalition sind und auch als solche von der bäuerlichen Bevölkerung anerkannt werden. Darüber hinaus begrüßen wir es, daß die Bundesregierung in diesem Bericht noch einmal ihren Willen bekundet, diese Politik fortzusetzen. Sie sagt das sehr konkret. Man braucht das nur einmal sorgfältig nachzulesen - wie vorhin Herr Kollege Klinker sagte -, dann wird das deutlich. Es wird konkret gesagt, daß die bestehende Altershilfe zu einer angemessenen Alterssicherung ausgebaut werden soll. Die Koalitionsfraktionen und diese Bundesregierung haben im Verlaufe der letzten Tage und Wochen schon verschiedentlich dazu Stellung genommen, daß die landwirtschaftliche Unfallversicherung einer der Schwerpunkte der Politik dieser Koalition sein wird. Der Bericht sagt darüber hinaus, daß ab 1972 die Krankenversicherung der Landwirte eingeführt werden wird, die den landwirtschaftlichen Betrieben vor allem jene Lasten abnimmt, die den Betrieben heute aus dem Risiko der Altenteiler erwachsen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich .auch folgendes in allem Freimut sagen. Angesichts der Erfolge und der konkreten Planungen auf dem Gebiet der Agrarsozialpolitik für die nahe Zukunft kann man es vielleicht sogar verstehen, wenn Sie unruhig und nervös werden. Das verwundert nicht, wenn Sie hören, welche Vorstellungen von den Regierungsparteien oder von der Bundesregierung auf diesem Gebiete vorgetragen werden. Man muß dafür also vielleicht sogar Verständnis haben, denn die Bundesregierung strebt die Durchführung ihrer Agrarsozialpläne sehr energisch und zielstrebig an. Dazu kommt, daß diese Politik in der Öffentlichkeit ein positives Echo findet. ({1}) Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß Ihr heutiger Gesetzentwurf betreffend die Erhöhung der Altershilfe eine abgewogene soziale Sicherung für die bäuerliche Bevölkerung beinhaltet. Die Begründungen, die - zumindest bislang - zu diesem neu eingebrachten Gesetzentwurf vorgetragen worden sind, vermögen doch niemanden vom Stuhl zu reißen. ({2}) - Dat heste di dacht! Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Gesetzentwurf neu vorlegen, müssen Sie doch zumindest die Frage gestatten, ob wir nun den einstimmigen Beschluß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 21. Januar vergessen sollen. In diesem Beschluß ist ganz konkret gesagt, was wir auf diesem Gebiete erwarten. Die Bundesregierung wurde von uns, von dem zuständigen Fachausschuß im Zusammenhang mit der Erörterung unseres Antrags aus der Agrardebatte vom vorigen Herbst ersucht, im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung Vorschläge für die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Alterssicherung und der Unfallversicherung zu unterbreiten. Die Altershilfe sollte auch im Hinblick auf den Ablauf der 15jährigen Übergangszeit zu einer angemessenen Alterssicherung ausgebaut werden. Ich meine, das ist ein sehr konkreter Beschluß, in dem das Anliegen des Agrarausschusses deutlich zum Ausdruck kommt. Soll das heute nicht mehr gelten? Heute legen Sie erneut Ihren schon im vorigen Jahr einmal vorgelegten Gesetzentwurf, der im Gegensatz zu diesem einstimmig gefaßten Beschluß steht, vor und meinen, damit etwas erreichen zu können. Sie schweigen sich auch darüber aus, wie es mit der Deckung aussehen soll. Sie wollen die vollständige Defizithaftung des Bundes wiederhergestellt haben. Allerdings muß ich anerkennenderweise sagen, daß Sie die Kosten nunmehr realistischer einschätzen als im vorigen Jahr. Sie sagen selbst, die Kosten würden sich auf etwa 360 Millionen DM belaufen. Dann sagen Sie schlicht und einfach: Im übrigen muß die Defizithaftung des Bundes wiederhergestellt werden. Meine Damen und Herren, Sie müssen sich in diesem Zusammenhang auch die Frage gefallen lassen, ob Sie mit diesem Gesetzentwurf die Krankenversicherung der Landwirte in Frage stellen wollen, denn der Ansatz im Bundeshaushalt 1971 für die Agrarsozialpolitik im Gesamtumfang von etwa 980 Millionen DM müßte sich ja, wenn ich jetzt vom Jahresansatz ausgehe, um diese 360 Millionen DM erhöhen, und für die Krankenversicherung werden wir --- das ist ja auch kein Geheimnis in diesem Hause - im Verlaufe der nächsten Jahre 340 bis etwa 450 Millionen DM benötigen, so daß wir damit, wenn also Krankenversicherung und Erhöhung der Altershilfe erfolgen würden, zu einer Steigerung dieses Ansatzes von im Augenblick ca. 980 Millionen auf knapp 1,7 Milliarden DM bis knapp 2 Milliarden DM kämen. Man muß den Eindruck gewinnen, daß das eine Politik nach der Devise ist: Augen zu und Vollgas voraus, ohne Rücksicht darauf, was realistisch ist. ({3}) Dies scheint mir die gleiche Methode zu sein, die wir bereits vor einem Monat in der Haushaltsdebatte erlebt haben. ({4}) - Das ist doch nichts Neues. Ich habe davon gesprochen, daß 340 bis 450 Millionen DM der Betrag sei, den die Krankenversicherung kosten wird, die wir ab 1972 einführen wollen. ({5}) - Herr Dr. Ritz, Sie dürfen getrost die Bundesregierung und uns beim Wort nehmen. Wir haben klar erklärt, was unsere Absichten sind, und wir werden das einführen. Sie haben bis zur Stunde zwar eine andere Lösung vorgeschlagen, aber eine Lösung, die ja ebenfalls diese Kosten verursachen wird, soweit es um die Krankenversicherung der 3) Altenteiler geht. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß Sie nunmehr zusätzlich 360 Millionen DM für die Aufstockung der Altershilfe haben wollen, und da müssen Sie sich schon gefallen lassen, daß ich Sie hier auf die Gesamtsumme von 1,7 Milliarden DM bis 2 Milliarden DM im Jahre 1975 für diesen Bereich aufmerksam mache. Es ist aber, wie gesagt, die gleiche Methode, wie wir sie vor einem Monat in der Haushaltsdebatte erlebt haben, als der Kollege Peters auf die Bedeutung dieser Krankenversicherung für Landwirte hinwies und davon sprach, daß das eine echte, sehr starke Entlastung für die landwirtschaftlichen Betriebe sein würde, und die Frau Kollegin Griesinger dann in einem Zwischenruf ihre Meinung dadurch kundtat, daß sie sagte: nein, das stimmt ja nun wirklich nicht, - also daß das eine starke Entlastung wäre. Oder ich denke an den Kollegen Röhner, der sich ebenfalls mit diesen Fragen auseinandersetzte und dann mit dem ihm eigenen Gewicht die rhetorische Frage stellte: Wo steht denn in diesem Agrarhaushalt 1971 auch nur eine Mark für die bäuerliche Krankenversicherung? Als oh es den Grundsatzbeschluß des Kabinetts vom vorigen Herbst nicht gäbe, als ob es die vielfältigen Erklärungen der Koalitionsfraktionen nicht gäbe, die Krankenversicherung ab 1972 einzuführen! Da wird so getan, als ob das alles in die hohle Hand gesprochen wäre; da müßte doch bereits im Haushalt 1971 etwas stehen, und da stehe nichts drin. ({6}) So einfach macht man sich das. Hier wird munter drauflospolemisiert, nach der Devise: der Zweck heiligt die Mittel. Nur darauf scheint es anzukommen. ({7}) Lassen Sie mich auch das mit allem Freimut sagen: Ich habe den Eindruck, daß man bei dieser Methode nicht einmal sein eigenes Gewissen belastet fühlt. Soweit es den heutigen Antrag angeht, möchte ich doch kurz hinzusetzen, daß hier das Verhältnis zwischen Bundeszuschuß und Beitragsleistung der Versicherten von - im Jahre 1969; die Zahlen für 1970 liegen noch nicht vor 75 : 25 doch sehr erheblich ausgeweitet würde, soweit es den Bundeszuschuß angeht. Davon wird man zunächst einmal ausgehen müssen, da Sie zu dieser Frage im übrigen nichts gesagt haben. Wir sind uns darüber einig, daß die Agrarsozialpolitik eine erhebliche Bedeutung hat. Wir freuen uns deswegen darüber, daß mit dieser Koalition auf diesem Gebiet so beachtliche Erfolge erzielt werden konnten. Ich will, soweit es die Krankenversicherung der Landwirte angeht, die Debatte nicht vorwegnehmen, die wir im Zusammenhang mit der ersten Lesung in wenigen Wochen zu führen haben werden. Aber ich möchte dennoch abschließend sagen, daß die Agrarsozialpolitik bei der allgemeinen Agrarpolitik eine wichtige Rolle spielen wird, und das ist ja auch das, was die Agrarpolitik dieser Regierung auszeichnet. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Meine Damen und Herren, als nächster hat sich der Abgeordnete Gallus für 20 Minuten zu Wort gemeldet. Auf der Rednerliste stehen noch sieben Wortmeldungen. Wenn sich jeder allein an die vorgesehenen 15 Minuten hält, wird die vom Ältestenrat in Aussicht genommene Zeit bereits um mehr als anderthalb Stunden überschritten. Daher hat der amtierende Präsident die herzliche Bitte, daß jeder Redner möglichst daran denkt, daß auch der nächste Tagesordnungspunkt noch drankommen soll. ({0})

Georg Gallus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000628, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stücklen, verzichten werde ich nicht, aber ich will mich bemühen, mein Pensum in 15 Minuten zu erfüllen. Zunächst darf ich hier feststellen, daß man in der Bundesrepublik Agrarpolitik meines Erachtens allzulange nach dem Motto getrieben hat: Jeder der Bauer bleiben will, kann Bauer bleiben. ({0}) Und man hat im Blick auf die nächste Wahl hinzugefügt, welch prachtvolle Menschen die Bauern sind, ohne sich in der Vergangenheit einmal darüber Gedanken gemacht zu haben, ob diese Agrarpolitik auch zukunftsträchtig wäre. Ich glaube, man hat über diese Art Agrarpolitik in der Vergangenheit auch versäumt, die Weichen zur EWG richtig zu stellen. Ich zitiere hier, was Frau Gräfin Dönhoff in der Zeit im Hinblick auf die Vergangenheit wörtlich geschrieben hat: ({1}) Warum? Gott allein mag das wissen. Vielleicht haben auch die Franzosen, die bisher den Hauptnutzen davon hatten, gewußt, was sie taten. Unsere Vertreter wußten es jedenfalls nicht. Wäre es anders, so müßte man sie noch heute vor ein Bauerngericht stellen. Ich bin der Auffassung, daß diese Frau mit der Darstellung dessen, wie die Dinge in der Vergangenheit gelaufen sind, recht hat. Himmelhoch jauchzend ist man in die EWG einmarschiert. Heute schleicht man murrend wie die Katze um den heißen Brei um den EWG-Dollar, ohne natürlich klar zu sagen, was man hier im Endeffekt überhaupt will. ({2}) Ich bin der Meinung, daß diese Regierung nun alles tun muß, die Situation, in der wir stehen, erträglich zu gestalten. Wir müssen im Blick auf die EWG einiges unternehmen, um klarzustellen, wie groß die Unterschiede in der Auslegung der Gesetze und in den Maßnahmen sind, die die einzelnen Länder unternehmen. Ich empfehle dem Herrn Bundeslandwirtschaftsminister, einmal ein wissenschaftliches Institut mit der Aufgabe zu betrauen, die Wettbewerbsverzerrungen zu durchleuchten und diesen Dschungel in der EWG zu durchforsten, damit wir unsere Entscheidungen entsprechend treffen können. Im bezug auf die Preise wird so sehr davon gesprochen, daß wir heute auf Grund des Schweinezyklus eine Situation haben, die unerträglich ist. Das ist sicher richtig. Auf der anderen Seite darf man aber bei der Mengenregulierung auf diesem Sektor der Bindung der Produktion an den Boden nicht abschwören, wie es die CDU in ihrem Programm getan hat. Zu der Steigerung der Lebenshaltungskosten möchte ich hier einmal in aller Deutlichkeit folgendes ausführen. Es ist sehr wohl der Fall, daß sich eine Preissteigerung von 10 % vielleicht nur zu ungefähr 1 % bei den Lebenshaltungskosten auswirkt. Wenn man das aber von dieser Stelle aus sagt, muß man auch wissen, daß die einzelnen Nahrungsmittel an sich einer Preissteigerung unterworfen sein werden, und das hat der Bundeskanzler heute morgen von dieser Stelle gesagt - daß wir das dann gemeinsam tragen müssen. Genau an diesem Punkt habe ich nämlich die CDU/CSU im Verdacht, daß sie mit zwei Zungen redet. ({3}) In bezug ant die Landwirtschaft fordert man Preiserhöhungen. Die Kollegin von der CDU/CSU, die hier hinten saß, hat aber zwei Tage nach der Entscheidung über die Anhebung der Trinkmilchpreise Maßnahmen von der Bundesregierung gefordert, und zwar im Blick auf diese Entscheidung. Das ist eine Tatsache. ({4}) Ich sage Ihnen noch eines. Im Deutschland-UnionDienst sagen Sie im Blick auf die Verbraucher: Preissteigerungen ohne Ende. Sie führen den Preis für einen halben Liter Vollmilch an, der im Februar gegenüber Januar um 5 Pfennig gestiegen ist, und das Ei Größenklasse A, dessen Preis von 18 auf 21 Pfennig gestiegen ist. Sie hätten wenigstens diese Meldungen mit einer Fußnote versehen und darauf hinweisen sollen, daß die deutsche Landwirtschaft auf der anderen Seite diese Preissteigerungen braucht, um für ihre anderen Preise einen Ausgleich zu bekommen. Gerade bei der Trinkmilch ist die Spanne --- das brauche ich Ihnen nicht zu sagen - gering. Was an Preissteigerungen auf dem Markt auftritt, muß eben letzten Endes auf den Verbraucher durchschlagen. Hier sollte man keine so schizophrene Haltung an den Tag legen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Stücklen, nun noch ein Wort zu dem, was Ihr Herr Kollege Ehnes hier in bezug auf das Ertl-Programm gesagt hat. Ich bin der Auffassung, daß nach allem, was wir im ersten Hearing und jetzt im zweiten Hearing -- Landwirtschaft 1980 - gehört haben, die Tendenz, in der der Herr Bundeslandwirtschaftsminister, in der diese Regierung angetreten ist, nämlich eine differenzierte Agrarpolitik zu betreiben, richtig ist. Selbstverständlich gestehe ich Ihnen zu, daß diese oder jene möglichen Abschwächungen oder zusätzlichen Leistungen in der Zukunft mit in dieses Programm eingebaut werden müssen, aber auch eingebaut werden können. Kein Mensch hat davon gesprochen, daß das Programm in der jetzigen Form Ewigkeitswert besitzen würde. Ich darf Ihnen aber in bezug auf das soziale Ergänzungsprogramm die Frage stellen: Ist die Opposition hier im Hause bereit, ihren Widerstand gegen die berufsständische Krankenkasse, die diese Regierung einführen will, aufzugeben? ({6}) - Sehen Sie, auf diese Antwort habe ich gewartet, weil natürlich hier in der Polemik noch etwas drin ist. Aber seien Sie davon überzeugt: Sie handeln hier kurzsichtig. ({7}) Auf die Zukunft gesehen ist es geradezu eine agrarpolitische Notwendigkeit, diese drei Bereiche der Agrarsozialgesetzgebung zusammenzufassen: Krankenkasse, Berufsgenossenschaft und Alterskasse. Vielleicht erkennen Sie es einmal in späteren Zeiten. Jetzt muß diese Regierung die Verantwortung dafür übernehmen, daß auf diesem Gebiet überhaupt eine zukunftsträchtige Entscheidung zustande kommt. Ich sage Ihnen noch etwas: Der beste Beweis dafür, daß zum jeweiligen Zeitpunkt keine Entscheidungen getroffen worden sind, die der Landwirtschaft für die Zukunft dienlich gewesen wären, waren die Versäumnisse, die Massentierhaltung, die gewerbliche Veredelung zu beschränken. 20 Jahre haben Sie Zeit gehabt, hier im Bundestag Gesetze einzubringen, ({8}) um zu verhindern, daß die deutsche Eierproduktion und der Großteil der deutschen Hähnchenproduktion zur gewerblichen Veredelungsproduktion abwanderten. Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, begrüßen wir, daß Sie nun die Dinge erkennen. ({9}) Ich frage mich nur, ob der Gesetzesvorschlag zur Einkommensbesteuerung, den Sie jetzt vorgelegt haben, überhaupt das Problem im Kern treffen kann. Ich glaube, daß darüber hinaus ein Bündel von Maßnahmen notwendig sein wird. Diese Regierung ist sofort darangegangen, die entsprechenden Maßnahmen -({10}) - Das können Sie nicht bestreiten; denn wir haben die Agrarpolitik konsequent darauf ausgerichtet, daß derjenige, der als Bauer auf seinem Grund und Boden produziert, in bezug auf den Währungsausgleich und alle diese Dinge in Vorteil gerät. Deswegen haben wir den Bauern als produzierenden Landwirt gegenüber demjenigen bevorteilt, der von gewerblicher Seite her keine Bodenbewirtschaftung betreibt. Wir wissen, daß darüber hinaus noch sehr vieles getan werden muß. Das ist heute morgen angesprochen worden. Lassen Sie mich aber noch ein Wort zu einem anderen Punkt sagen. ({11}) Meines Erachtens haben Bundesminister Ertl und diese Bundesregierung gerade im vergangenen Jahr, im Jahr 1970, die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß jetzt in Brüssel höhere Preise beschlossen werden können. Daß wir für den Agrarexport alles in unseren Kräften Stehende getan haben, ohne eine übermäßige Belastung hinnehmen zu müssen, wissen Sie auch, meine sehr verehrten Anwesenden. ({12}) Ich glaube, wir brauchen hier keineswegs bescheiden zu sein. Sie haben heute so getan, als wäre eine Preisanhebung bei Gerste um 2 0 o, die der Kollege Höcherl in der Vergangenheit durchgesetzt hat, weiß Gott was für eine Leistung gewesen. ({13}) Ich sage Ihnen, allein die Mindestpreisregelung bei der Trinkmilch war eine Leistung dieser Regierung -({14}) - Ich habe ihn gelesen, Herr Dr. Reinhard. ({15}) - Herr Dr. Reinhard, Sie werden doch von mir nicht verlangen, noch einmal zu all dem Stellung zu nehmen, was hier bereits dreimal gesagt worden ist. ({16}) Ich nehme nur zu etwas Stellung, was nach meiner Meinung noch einmal angesprochen werden muß. Die Entscheidung darüber können Sie getrost mir überlassen. ({17}) Ich bin der Auffassung, daß diese Regierung einiges verwirklicht hat. Deshalb ist die Schwarzmalerei in bezug auf die Zukunft der deutschen Landwirtschaft nicht gerechtfertigt. ({18})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Früh.

Dr. Isidor Früh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gallus, Sie haben in Ihrer zwanzigminütigen Rede querbeet Agrarpolitik gemacht ({0}) - zehn, ich bitte um Entschuldigung -, haben sich dabei aber nicht enthalten können, wiederum Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. ({1}) Ich glaube, daß wir davon endlich einmal Abschied nehmen müssen und daß es in dieser Debatte nicht viel einbringt, wenn wir von dem „prächtigen Menschen", von dem kleinen Zwischenspiel mit dem Trinkmilchpreis oder von anderen Dingen reden. ({2}) - Das weiß ich, Herr Schmidt. Ich bin der Überzeugung, daß wir uns mit den anstehenden Fragen wirklich ernsthaft auseinandersetzen müssen. Deshalb möchte ich auch Ihnen, Herr Wehner, ein Wort sagen, da Sie uns darum gebeten haben, die Rede des Ernährungsministers ernst zu nehmen, weil sie es verdiene, ernst genommen zu werden. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß sie es verdient. Sie haben gesagt: „Sie verheimlicht nichts, sie dramatisiert nichts." Sie haben aber einen kleinen Satz vergessen: Sie bringt auch nichts 6220 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 106. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den. 10. März 1971 Neues. Wenn wir sie mit anderen Reden vergleichen ich denke z. B. an Reden von Herrn Minister Höcherl -, müssen wir feststellen, daß sie nichts Neues bringt. Sie bringt nur insofern etwas Neues, als sie gegenüber früheren Reden von Herrn Ertl, die ich gelesen habe, einen anderen Stil und einen anderen Ton aufweist. ({3}) Das ist sicherlich auch ein Fortschritt. Ich darf noch an ein Zweites kurz erinnern, nur weil Sie es angesprochen haben. Sie haben gesagt, die Anträge der Opposition kosteten 1,5 Milliarden DM, und haben ihr deswegen Vorwürfe zu machen versucht. ({4}) - Richtig! Hier bin ich mit Ihnen einer Meinung. Aber, Herr Wehner, Sie wissen genau, daß vor Ihnen der Herr Bundeskanzler von einer „mäßigen" Preisforderung des Deutschen Bauernverbandes gesprochen und daß er Präsident Heereman praktisch noch ein Kompliment gemacht hat. Wenn diese mäßige Preisforderung anerkannt wird, dann wissen Sie, daß es sich um etwa drei Milliarden DM handeln würde. Sie können deshalb der Opposition, die mit 1,5 Milliarden DM zufrieden ist oder in der Hoffnung lebt, daß Sie die anderen 5 % aus Brüssel mitbringen, meines Erachtens keinen Vorwurf machen. ({5}) Ein Letztes. Wir sind Ihnen dafür dankbar, daß Sie hier deutlich gesagt haben - und wenn der Herr Fraktionsvorsitzende das sagt, nehmen wir es ernst, dann hat es sicherlich Gewicht -, daß die Landwirtschaft nicht allein eine stabile Leitfunktion in unserer Volkswirtschaft haben kann. Das unterstreichen wir. Wir müssen aber feststellen, daß der Bundeswirtschaftsminister bisher genau nach der Leitlinie verfahren ist, wenn er alle Ansprüche der Landwirtschaft mit Hinweisen auf die Gesamtstabilität zurückgewiesen hat. ({6}) Hier ist von der schwierigen Situation gesprochen worden. Wer würde das nicht erkennen und anerkennen? Der Herr Bundeskanzler meinte: Hier helfen keine Vereinfachungen. Das wird unterstrichen; das ist ein gutes Wort. Es muß unser aller Anliegen sein, von den Vereinfachungen langsam wegzukommen. Eine der wichtigsten Hilfen, von diesen Vereinfachungen wegzukommen, hat unser früherer Landwirtschaftsminister, Herr höcherl, gegeben, als er den Mut hatte - und dazu gehörte damals viel Mut -, sich von der Globaldisparität freizuschwimmen. Dazu gehörte Mut! ({7}) - Aber, Herr Schmidt, jetzt kommt der andere Mut. hier ist vom Mut zu Modellrechnungen gesprochen worden. Jetzt muß der Mut kommen, endlich von der Global-AK-Rechnung wegzukommen. ({8}) Das ist nämlich noch viel schlimmer. Mit dieser Global-AK-Rechnung, die als mutige Modellrechnung bezeichnet worden ist, rechnen wir die Landwirtschaft zu Tode. Wir werden sie damit immer auf das entsprechende Einkommen bringen, weil wir nur immer so viel Leute herausdividieren müssen, bis die Rechnung stimmt. ({9}) So kann es doch auf keinen Fall weitergehen! Hier wird doch global argumentiert - Herr Dr. Schmidt, Sie schütteln mit dem Kopf. Aber Sie wissen genauso wie ich, daß das so nicht stimmt. ({10}) - Jawohl, Herr Dr. Schmidt. Aber diese Modellrechnung wird doch auch als Orientierungsdatum für die breite Öffentlichkeit gemacht, und die Außenstehenden stellen sich dann das Modell Landwirtschaft folgendermaßen vor: Diese deutsche Landwirtschaft ist ein Riesenhof. In diesem Riesenhof sitzen zweieinhalb Millionen Menschen, und das sind zuviel; sie sind von der Arbeitsproduktivität her nicht ausgelastet. Und sie folgern weiter: Wenn wir diese Menschen herausdividieren, stimmt es am Ende, dann haben wir das Problem Landwirtschaft gelöst. Diese Vorstellung ist doch gefährlich und muß uns in der Öffentlichkeit in ein falsches Licht bringen. ({11}) Es darf nicht so einfach dargestellt werden. Herr Minister, ich appelliere an Sie, vielleicht im nächsten Agrarbericht diesen zweiten Schritt zu tun und es nicht so vereinfacht darzustellen. Sie sollten einmal überlegen, in wieviel gut strukturierten Betrieben die Arbeitskraft bis zum letzten ausgelastet ist. Wir brauchen uns dann nicht zu verstecken. Es gibt Modellfälle; es gibt Dinge, die gar nicht glaubhaft sind. Es wird z. B. - unterstellen Sie mir deshalb nichts, ich will es nur einmal andeuten - im Bericht zur Lage der Nation deutlich gemacht, daß die Struktur drüben - 596 ha pro Produktionsgenossenschaft - den Bedingungen der Technik besser angepaßt sei. Daneben sehen Sie unsere Struktur mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße, die im Hinblick auf die technische Entwicklung dem Außenstehenden hoffnungslos erscheinen muß. Es ist deshalb kein Wunder, daß er ständig auf „Struktur" und immer wieder „Struktur" anspringt. Wenn wir zwei Zeilen weiterlesen, Herr Löffler, sind wir eigentlich erstaunt und erschüttert, daß die AK-Produktivität bei einer solchen Agrarstruktur, wie wir sie haben - hoffnungslos für Außenstehende, die nicht im Detail mit der Landwirtschaft vertraut sind -, um ein Drittel höher ist als drüben, daß wir zusätzlich pro 100 ha weniger Arbeitskräfte haben, obwohl die Betriebe von 0,5 bis 2 ha Größe einbezogen sind. ({12}) - Sie haben recht, Herr Löffler, das steht in dem Bericht. Ich will damit folgendes sagen. In der Modellrechnung des Grünen Berichts steht, daß wir zuviel AK haben. Es geht darum, die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit so darzustellen, daß sie und ihre Probleme begriffen werden können. Wollen Sie von jedem in der Öffentlichkeit und in der Presse erwarten, daß er bis auf die letzte Zeile den Grünen Bericht und den Bericht zur Lage der Nation liest? Sind wir nicht verpflichtet, es ihm, wenn diese Regierung schon soviel Publizität und Öffentlichkeitsarbeit betreibt, so darzulegen, daß es ihm so deutlich wird wie die Tatsache, daß zwei mal zwei vier ist? Wir sollten die Probleme der Struktur, der Landwirtschaft und der Arbeitskräfte klar und unzweideutig behandeln. ({13}) Herr Dr. Schmidt, Sie nehmen es mir nicht übel: Ihre Formulierung im Zusammenhang mit den dynamischen Preisen - als Sie von Abc-Schützen der Volkswirtschaft sprachen - hat mir gut gefallen; das war eine wirklich galante Formulierung. Sie haben dann hinterher den Altmeister der Agrarpolitik, Herrn Professor Niehaus, zitiert. Uns allen hat das gefallen, wie souverän er zum Ende des Hearings, ohne auf dem Programm zu stehen, die Problematik in wenigen Sätzen zusammengefaßt hat. Aber Sie haben eines verschwiegen es läßt sich nicht alles sagen -, obwohl es Ihnen sicher auch zu denken gibt. Wie weit war Professor Niehaus von diesen Abc-Schützen der Volkswirtschaft weg, als er zusammenfassend sagte: Wenn diese Lohn-Preis- Spirale und die Preis-Lohn-Spirale nicht aufhören und die Landwirtschaft ausgeschlossen bleibt, gibt es keine Chance für die Landwirtschaft! ({14}) Das hat er am Schluß des Hearings doch auch gesagt. Wir sind derselben Meinung darüber; dann sollten wir das mit hinzufügen. ({15}) - Sicher, wir können nicht alles zitieren, was da gesagt wurde, sonst müßten wir ja zweieinhalb Tage lang debattieren. Lassen Sie mich folgendes hinzufügen, von dem ich glaube, daß es wichtig ist. Ich möchte Sie vor Enttäuschungen bewahren. Es ist gesagt worden, Regionalpolitik sei seit 1968, also seit Herrn Schiller, eine Aktualität. Herr Höcherl ist dabei verschwiegen worden. Mir kam eines ganz komisch vor: Ich war mir im Moment nicht darüber im klaren, meinen Sie den schwäbischen, den Joachim Chr. Friedrich von Schiller, oder meinen Sie den Wirtschaftsminister Schiller? ({16}) - Sie lächeln, Herr Dr. Schmidt. Was will ich damit sagen? Wenige Jahre danach gab es nämlich in Württemberg einen Steinbeiß, der Regionalpolitik betrieb. Das hat also eine hundertjährige Tradition. Sie wissen, welche Struktur daraus geworden ist. Lassen Sie mich eine Schlußfolgerung ziehen. Sie wissen auch, daß trotz dieser Struktur, trotz dieser gemischt-wirtschaftlichen Einkommen der Vollerwerbsbetrieb nicht gerettet werden kann, weil er auf einer anderen Basis beruht. Ich möchte Sie davor behüten, daß Sie, wenn Sie meinen, es müsse nur Regionalpolitik betrieben werden und schon laufe alles, nach 20 Jahren zu ähnlichen Erfahrungen kommen. Lassen Sie mich deshalb ganz kurz einiges zu den Problemen des Zuerwerbs und des Nebenerwerbs sagen. Jeder ist sich darüber im klaren, daß vermutlich die langfristige Strukturverbesserung nur über diesen Weg gehen kann, aber dann muß bei uns einiges ausgeräumt werden. Es muß ausgeräumt werden, daß hier von „Nebenerwerbsideologie" gesprochen wird. Dieses Wort von der „Nebenerwerbsideologie ist in der letzten Debatte über den Grünen Bericht gefallen. Es ist gesagt worden, diese Nebenerwerbsideologie würde schlimm zurückschlagen, Oder es gibt das Wort von der Nebenerwerbsideologie, die das Schwert des Preises auf dem Markt stumpf macht - alle diese Formulierungen sind gefallen , oder das Wort von der Nebenerwerbsideologie, mit der - so hieß es - die moderne Frauenwelt aufräumen wird, und dann sind wir diesen Spuk, so möchte ich fast sagen, los. Wir wollen hier ehrlich sein, nicht vereinfachen, aber eines sagen: alle diese Vorurteile kommen daher, daß man den Nebenerwerb und den Zuerwerb noch nicht frei- und blankgeputzt hat. Herr Dr. Schmidt, da ist noch das Odium des Schinderbetriebs, da ist noch die Vorstellung vom Mondscheinbauer, der nach Feierabend schuften geht, da sind noch all diese Dinge: auf Kosten der Frau und der Kinder und ein trübseliges Dasein. Das gibt es noch, jawohl! Das lehnen Sie ab, und das lehnen wir ab, weil es in dieser Form menschenunwürdig ist. ({17}) Aber sollten wir nicht über eines ehrlich sein? Mit Vorurteilen von gestern geht es ja nicht, indem man etwa sagt: Für Württemberg ist der Nebenerwerbs-betrieb recht, in der Wirtschaftskrise hat er sich bewährt, aber für heute, für das Wachstum, für eine florierende Wirtschaft ist er doch keine Lösung mehr, er ist von vorgestern. Das können wir nicht akzeptieren. Wir haben diesen Nebenerwerb unter dem neuen Gesichtspunkt der Technik einfach nicht entwickelt. Wir haben uns nicht genügend Mühe gegeben. Wir müssen Modelle bekommen, und mit diesen neuen Modellen - da sind Sie mit mir einig - ist er in einer lebenswürdigen und auch lebensfähigen Form zu entwickeln. ({18}) Herr Dr. Schmidt, was die moderne Frau angeht wenn ich das einfügen darf -, so erlebe ich etwas für mich Erfreuliches. Ich kenne viele junge Bauern, die - das ist ja auch Ihr Ziel früher außerhalb der Landwirtschaft berufstätige junge Frauen geheiratet haben. Die moderne Frauenwelt läßt den Nebenerwerbsbetrieb neue Urstände feiern. Jetzt geht nämlich die Frau als Lehrerin, Kindergärtnerin, Stenotypistin, Kontoristin und was auch immer, arbeiten. Jetzt -- vielleicht sind Sie dann zufrieden - ist der Mann der Geplagte daheim. ({19}) Diese Mühe der Entwicklung von der heutigen Situation angepaßten Modellen sollten wir uns also machen. Die Agrarsoziale Gesellschaft wird auf ihrer Frühjahrstagung mit einem anspruchsvollen Vortrag aufwarten. Herr Professor Nell-Breuning wird über die 80-Freizeitstunden-Woche sprechen. Was wollen Sie mit dieser Freizeit machen? Meinen Sie, es ist volkswirtschaftlich verfehlt, wenn der Mann seinen Betrieb, der zu klein geworden ist, und sein Betriebskapital noch nutzt? Meinen Sie, das ist volkswirtschaftlich schlimmer, als wenn er in seinem Auto sitzt und die Autobahn verstopft und neue Probleme schafft? ({20}) Meinen Sie, es ist volkswirtschaftlich falsch, wenn ein solcher Mann seinen Betrieb extensiviert? Ist das volkswirtschaftlich unsinnig? Wird er damit den Markt für die Vollerwerbsbetriebe blockieren und „das Schwert des Preises stumpf machen", Herr Dr. Weber? Ich sage Ihnen einen Weg, wie Sie am besten mit diesem Nebenerwerb zurecht kommen können. Nicht mit verlockenden Landabgaberenten, sondern machen Sie eine stabile Wirtschaftspolitik! Dann werden Sie sehen, daß viele der Bauern, die sich nach Ihrem Verständnis nicht richtig verhalten, anders reagieren, wenn sie wüßten, daß Sicherheit und Stabilität Ihnen ein ernstes Anliegen sind. ({21}) Ich will hier keine Ideologie verkaufen. Ich möchte nur auf eine Arbeit von Dr. Müller mit dem Titel „Die wirtschafts- und agrarpolitische Bedeutung landwirtschaftlich-gewerblicher Berufs- und Einkommenskombinationen" hinweisen, der der Landwirtschaftsminister eine ausgezeichnete Widmung gegeben hat. In dem Vorwort schreibt der Bundesernährungsminister, daß die landwirtschaftlich-gewerbliche Einkommens- und Berufskombination einen wertvollen und nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu leistet, daß die dynamische Entwicklung besser bewältigt werden kann. Hier sind wir, glaube ich, alle einer Meinung. Wer Regionalpolitik will -und wir wissen, daß wir sie dringend brauchen , muß, auch wenn es ihm nicht ins Konzept paßt, ein ja sagen zu dieser Betriebsform, sieht er sie nun als Übergang, oder sieht er sie, wie manche andere Leute bei uns, als eine stabile Form. Herr Dr. Schmidt, bitte kein Lächeln, wir kennen viele solche stabile Verhältnisse. Wir in Baden-Württemberg reden aber nicht nur von Regionalpolitik, sondern machen sie seit Steinbeiß. Deshalb eine kleine Bitte an Sie, Herr Bundesernährungsminister, die Bitte nämlich, doch einmal das Förderprogramm zu überprüfen - Sie haben diese Prüfung zugesagt -, wenn sich herausstellen sollte, daß es ohne diese Brücke der beruflichen Einkommenskombination nicht geht, und sie eben dann in die Förderung mit einzubeziehen und nicht abzuschreiben und zu diskriminieren. Damit es keine Mißverständnisse gibt: Ich bin der letzte, der hier das Lied des Nebenerwerbs singen möchte und dabei vergißt, daß die Kernstruktur unserer Landwirtschaft der Vollerwerbsbetrieb sein und bleiben muß. Aber das kostet seinen Preis. Sie werden aber nie zu einer guten Struktur in der Richtung kommen, wenn Sie den Bauern, die diese Struktur aufbauen sollen, die Hoffnung, den Mut und die Chance nehmen, entweder über den Preis oder über entsprechende Fördermaßnahmen ihr Ziel zu erreichen. Beides ist in der derzeitigen Situation nicht gegeben. Sie dürfen sicher sein: Deshalb gehen die Bauern auf die Straße. Sie merken nämlich, daß es noch nie in den zurückliegenden zwanzig Jahren, Herr Gallus, die immer wieder beschworen werden, so aussichtslos war wie jetzt zur Stunde, zu einer gesunden Struktur zu kommen, die die Vielfalt der ländlichen Region lebendig erhält. ({22})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Dr. Früh, das Haus gratuliert zur Jungfernrede. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich ,dem Herrn Bundesminister Leussink einige Minuten aus der Debatte wegnehmen muß. Aber über das recht unzulängliche Hochschulrahmengesetz kann man auch in kurzer Zeit. das Notwendige sagen. ({0}) Ich bin einige Male apostrophiert worden. Deswegen muß ich doch etwas Stellung beziehen. Herr Kollege Ertl, Sie haben in großartiger Regie gestern einen Krach mit Herrn Mansholt inszeniert. Das war ein kalkulierter Krach, um hier Eindruck zu machen. Ein paar „Gimpel" werden es ja glauben. ({1}) - Natürlich! Wissen Sie, was wir wollen? - Ein in aller Höflichkeit ausgesprochenes, aber entschiedenes Nein. Das wollen wir, keinen Krach. ({2}) - Nein, zu unzulänglichen Vorschlägen. ({3}) Die Debatte hat meines Erachtens den entscheidenden Schwerpunkt nicht getroffen, und zwar deswegen nicht, weil es heute um ein Problem geht, das wir bisher nicht kannten. Früher ging es um Preise, ging es um Marktordnungen und dies und jenes. Das war alles in Ordnung und hatte seine Berechtigung. Heute geht es auf der einen Seite um Preise, aber nicht., weil damit der entscheidende Punkt verhindert werden könnte, vielmehr ist die Anhebung der Preise, die vorgenommen werden muß, nur ein Schadensausgleich für konjunkturelle Vorgänge, nicht nur bei uns, sondern in allen sechs Landwirtschaften der EWG. Darüber hinaus hat sich folgendes ereignet. Ich darf das Hohe Haus, das sich in landwirtschaftlichen Fragen fast immer in Gemeinsamkeit gefunden hat, auf folgendes hinweisen, und das ist keine parteipolitische Polemik. Wir haben mit dem Grünen Dollar im Jahre 1962 eine Einrichtung geschaffen, die außerordentlich risikoreich war. Währungsfachleute haben damals darauf hingewiesen, daß man nicht partiell eine Buchwährung für einen Sektor einer Wirtschaft einführen kann, wenn man nicht die Gesetze einer solchen gemeinsamen Währung beachtet. Der Herr Bundeskanzler hat sich zur fernsehgerechten Zeit mit liebenswürdigen Worten in die Debatte eingeschaltet, ließ aber die Vorschläge vermissen, für die wir die Regierung eigentlich bezahlen - ({4}) - Schon fair. ({5}) - Herr Wehner, es war gar nicht so böse gemeint. ({6}) Sie wissen ganz genau, daß wir gute persönliche Beziehungen haben. Ich hätte gern Vorschläge gehört. Wo sind sie denn? Ich darf den Gedankengang am Beispiel des Werner-Plans fortsetzen. Der Werner-Plan hat zum Ziel - leider sind die Stufen etwas aufgeweicht worden -, daß es innerhalb der sechs Länder überhaupt keine Bandbreite mehr gibt, sondern daß sich Bandbreiten und Manipulationen im Währungswert nur draußen auswirken. Das können wir erst in zehn Jahren erwarten; der Herr Bundeskanzler hat vollkommen recht! Deswegen hat niemand ein Recht, sich in dieser aktuellen Frage auf die Währungsunion zu berufen, weil zehn Jahre in der heutigen Zeit auch noch ein unendlicher Zeitraum sind. Wenn ich nun auf einem Gebiet - mit dem Grünen Dollar - eine gemeinsame Währung mache, dann darf ich keine Manipulationen mehr vornehmen. Trotzdem haben die Franzosen und wir - jeder aus einer anderen Ecke und jeder mit anderen Gründen -- eine solche Währungsmanipulation gemacht, mit der automatischen Folge, daß dort, wo schon Überschüsse sind, nämlich in Frankreich, die nationalen Preise steigen; wir konnten mühselig zwei Jahre aushandeln, damit -es nicht so schnell geht. Damit wachsen dort die Überschüsse, wo sie schon angesiedelt sind. Wir müssen sie senken, obwohl wir aus vielen Gründen - ich will das jetzt nicht in die Debatte einführen - Preissteigerungen auf allen Gebieten brauchten, einschließlich der Löhne, die ja nichts anderes sind als der Preis für die Arbeit. Dann kam der Ausgleich. Herr Kollege Ertl und die Bundesregierung sind sehr stolz auf diesen Ausgleich. Meine Damen und Herren, Sie haben eine wesentliche Sache nicht beachtet. Der Ausgleich ist in Ordnung; dagegen ist gar nichts zu sagen. Wenn Sie nämlich einem Berufsstand durch einen politischen Entschluß etwas aus der Tasche nehmen und ihm das zum Teil wiedergeben, ist das gut. ({7}) Mehr als selbstverständlich, primitivstes bürgerliches Recht, Schadensersatz. Aber, Herr Kollege Wehner, jetzt wende ich mich an Sie, und ich bin der Meinung, daß Sie dafür Verständnis aufbringen. Wir haben neben diesem Einkommensausgleich, ausgelöst durch die Währungsfrage, einen laufenden Markt. Die Holländer, die 270 % ihres Eigenbedarfs erzeugen, und die Franzosen, die ebenfalls weit über 100 % ihres Eigenverbrauchs erzeugen, können billiger auf unserem Markt kommen. Jetzt ist es so: Wir hätten sowieso einen Schweinezyklus; das war vorauszusehen. Jetzt haben wir aber einen doppelten: wir haben einen Schweinezyklus aus den eigenen Sauenzulassungen und einen importierten, weil die anderen um 8 % billiger verkaufen können, und zwar laufend. Jetzt werden wir aus dem Markt verdrängt. Jetzt geht es nicht um Nebenerwerb und Zuerwerb, jetzt geht es um die 400 000 Vollerwerbsbetriebe, die wir haben wollten. ({8})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Herr Kollege Höcherl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peters?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachher sehr gern. Ich möchte jetzt gern den Gedankengang zu Ende führen. - Jetzt geht es um diese Frage. Wir sind schon allein mit einem gemeinsamen Preis, der beschlossen wurde und der über die sechs Länder wie ein Netz gelegt wurde, ein unerhörtes Risiko eingegangen. Warum? Weil die Franzosen, weil die Holländer bessere Standorte haben, klimatisch usw., so daß sich schon eine Verschiebung ergibt. Das war schon ein großes Risiko. Jetzt aber zusätzlich noch diese 8 " o im täglichen Geschäft zu verlieren, das heißt, daß wir, wenn das nicht aufgenommen wird, in wenigen Jahren aus dem Markte sind. Das ist die Frage von heute, Herr Kollege Ertl. ({0}) Jetzt kommt der Vorschlag der CDU, für den Grünen Dollar über die Mehrwertsteuer da etwas hineinzugeben. Es gibt nur einen einzigen Weg. Vor einem Jahr ist dies in Kraft getreten guten Glaubens; ich bestreite niemandem einen guten Glauben! Aber ich weiß ganz bestimmt, daß einige unserer Partner, mit denen wir sehr befreundet sind, einen feinen und dünnen Rechenstift besitzen und sich das ausgerechnet haben. Ich könnte mir sogar vorstellen aber ich unterstelle es niemandem , daß es einige Leute gibt auch bei uns -, die meinen, das wäre ein unsichtbares, aber sehr wirksames Druckmittel anstelle guter Strukturpolitik. Sie wissen schon, was ich meine. Aber ich kann nicht weitergehen, ich kann es nicht beweisen. Das sind psychologische und innere Vorgänge, ({1}) die sich nicht so handfest beweisen lassen. Einen Indizienbeweis allerdings könnte ich führen, aber der ist nicht so angesehen. ({2})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Würden Sie jetzt die Zwischenfrage von Herrn Peters gestatten?

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin noch nicht so weit. Herr Peters, Sie wollen ja Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein werden. Na ja, Gott wird das schon verhüten. ({0}) Aber jetzt in allem Ernst, Herr Kollege Ertl: es gibt einen Weg. Sie können in den Ministerrat gehen und können sagen, wir haben diese Lösung versucht. Diese Lösung ist zwar ein Ausgleich, aber sie hat Wirkungen und Auswirkungen, die die ganze Marktsituation verschieben. Wir müssen das - und zwar über die Mehrwertsteuer - neu ordnen, weil wir noch Steuergrenzen haben. Das ist gleichzeitig ein Bekenntnis zu Europa. Warum? Wenn schon die Herren und ich bin sehr dafür, ich bin ein begeisterter Europäer eine sektorale gemeinsame Währung einführen, dann müssen sie daraus die Konsequenz ziehen, daß es kein Auf und kein Ab gibt. Das ist mehr für Europa, und das ist der Sinn unseres Antrages. Dies dazu, und jetzt Herr Peters!

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Höcherl, sind Sie wegen der intellektuellen Redlichkeit bereit, anzuerkennen, daß auf Grund der 3 % Mehrwertsteuer zusätzlich nach der Aufwertung und auf Grund der Verbilligung der Futtermittel in Deutschland die von Ihnen dargestellten Wettbewerbsverzerrungen nicht gegeben sind? ({0})

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Peters, schauen Sie, Ihre Kollege Ertl wollte ja mehr als 3 %. Er konnte sich damals nur nicht durchsetzen, obwohl er aus der Gründerzeit dieser Koalition seinerzeit noch das Erstgeburtsrecht hatte, das er in der Zwischenzeit für ein Linsengericht verkaufen mußte, ({0}) wie es ist, wenn man gemeinsam einen schwierigen Weg geht. Heute kann er in dieser Koalition nichts mehr bewegen; das muß ich leider feststellen. ({1})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Noch eine Frage des Kollegen Peters.

Walter Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Höcherl, glauben Sie wirklich, daß Sie meine Frage beantwortet haben? ({0})

Hermann Höcherl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Kollege Peters, Sie haben die Frage natürlich nicht aus Wissensdurst gestellt; ({0}) Sie wissen doch selber ganz genau, wie die Dinge liegen. Sie wollten versuchen, mich hereinzulegen, und da müssen Sie noch etwas warten, nicht wahr? ({1}) Aber ich sage dies jetzt allen landwirtschaftlich und agrarpolitisch interessierten Kollegen: Wir müssen diese Frage aufnehmen. Sie ist noch viel wichtiger als die Frage der Preise. Wenn wir Preise verändern, verändern wir sie in allen sechs Ländern ({2}) durch eine Parallelverschiebung. Aber hier drückt man auf unseren Markt. Das war eine Folge, und diese Folge muß bereinigt werden. Und ein Zweites. Der Agrarbericht, der in den bayerischen Landesfarben Weiß und Blau - wie angenehm -! gebunden ist, ist eine große wissenschaftliche Leistung. Ich erkenne das an; das sind die Beamten, wie ich sie kenne: leistungsfähig, pflichtbewußt usw. ({3}) Aber nein, in diesem Agrarbericht steht eine gefährliche Zahl: 27 Milliarden Schulden. 27 Milliarden! Und wenn wir nicht zu einem revolvierenden Agrarkredit kommen, der mit 3 % auszulegen ist, werden wir das, meine Damen und Herren, nie schaffen, weil Investitionen angesichts der modernen Entwicklung ja immer dringender werden. Dafür gibt es Beispiele. Jeder Finanzminister wehrt sich natürlich dagegen, weil das selbständige Kassen sind. In der Wohnungswirtschaft, im Siedlungsbereich haben wir solche selbständigen Fonds. Es gibt sie immer wieder in diesen Bereichen. Wenn wir die Rückflüsse der Banken, die wir zu diesem Zweck haben, nehmen und von der Bundesbank vielleicht eine Ausstattung erbitten, die im Jahr 150 his 200 Millionen DM und nicht mehr betragen muß, sind wir nicht mehr haushaltsgebunden und wie die anderen Länder in der Lage, auf 3 Niger Basis etwas Vernünftiges zu schaffen. Vieles wäre noch zu sagen. Vorschläge zu machen, ist gar nicht die Sache der Opposition. Es ist beschämend, daß wir, die wir auf den Oppositionsbänken sitzen, Vorschläge machen müssen, anstatt daß uns die Regierung damit überschütten würde. Was haben wir? Denkschriften, eine Kanonade von Denkschriften, 200, 300 Seiten lang. Herr Wehner, ich habe Sie im Verdacht, daß Sie die Denkschriften im Umfang vergrößern, damit wir nicht zum Arbeiten, sondern nur zum Lesen kommen. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Lensing.

Eduard Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001320, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst, mich auch, wie Herr Kollege Höcherl, bei Herrn Minister Leussink dafür zu entschuldigen, daß ich ihm einige Minuten wegnehme. Aber ich persönlich, Herr Minister, betrachte das als eine gewisse Wiedergutmachung, da fast die Hälfte meiner Post auf Grund einer Namensverwechslung bei Ihnen landet. Meine Fraktion legt Ihnen heute den Gesetzentwurf zur Änderung und Ergänzung der Altershilfe in der Landwirtschaft vor. Zur Begründung darf ich folgendes ausführen. Die laufend steigenden Lebenshaltungskosten versagen es den Altershilfeberechtigten immer mehr, an den allgemeinen Wohlstandsentwicklungen teilzunehmen. Während die Altershilfe in der Vergangenheit mehr oder weniger als Barzuschuß zu sehen war, ist es heute so, daß die übergebenen Betriebe dem Strukturwandel zu einem großen Teil bereits zum Opfer gefallen sind und damit praktisch nicht mehr existieren. Aus beiden Gründen ist deshalb eine spürbare Erhöhung des Altersgeldes erforderlich. Wir beantragen daher die Erhöhung von derzeit 115 DM für die alleinstehende Person bzw. 175 DM für das Ehepaar auf 160 DM bzw. 240 DM je Monat. Gleichzeitig soll die volle Defizithaftung, so wie in der Vergangenheit, bei einer angemessenen Leistung der Beitragszahler wieder eingeführt werden. Immer lauter wird die Kritik in der Öffentlichkeit an der Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Und nicht erst die große Demonstration vom 27. Februar in der Bundeshauptstadt wird auch denen, die es bisher nicht wahrhaben wollten, die Augen geöffnet haben. Nun versuchen die Sprecher der FDP und SPD immer wieder mit dem Hinweis auf angebliche Erfolge in der Agrarsozialpolitik von diesem Dilemma abzulenken. Heute ist das auch wieder in verschiedensten Formen geschehen. So sprach z. B. Herr Dr. Schmidt von der Sozialpolitik im Schneckentempo der vergangenen Jahre. Ich muß noch einmal sehr deutlich sagen, daß wir z. B. 1957 bereits das Altershilfegesetz verabschiedet, haben und daß heute die sechste Änderung vorliegt, daß also in der Zwischenzeit fast alle zwei Jahre etwas geschehen ist. Ich möchte ganz besonders darauf hinweisen, daß unter der Ära von Bundesarbeitsminister Katzer das Arbeitsförderungsgesetz und das Ausbildungsförderungsgesetz - zwei, man kann schon sagen, Jahrhundertgesetze auf dem sozialpolitischen Sektor - verabschiedet worden sind, die gerade auch im Strukturwandel in der Landwirtschaft für die Menschen auf dem Lande wichtig und entscheidend sind. Ich will nicht bestreiten, daß die Landabgaberente eine gute Sache ist. Aber sie kommt nur sehr wenigen Betroffenen zugute. Auch die Nachentrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung ist, sicherlich eine wertvolle Hilfe heim Strukturwandel in der Landwirtschaft. Aber auch hier ist der Kreis der Betroffenen doch sehr klein. Völlig anders sieht es aber auf dem Gebiet der Altershilfe aus. Heute, im Jahre 1971, ist eine Altersrente in der bescheidenen Höhe von ich sagte es bereits - 115 bzw. 175 DM für Menschen - ich zitiere hier jetzt Bundesminister Ertl -, „die ein Leben lang auf Anordnung des Staates Erzeugungsschlachten geschlagen haben und damit die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt haben", unzumutbar. Deswegen schlagen wir auch eine entsprechende Gesetzesänderung vor. Herr Kollege Schonhofen hat es sich vorhin meiner Meinung nach sehr leichtgemacht, er ist die Dinge sehr einfach angegangen, als er - so etwa in diesem Jargon - sagte: Wir haben doch auch auf diesem Gebiete Entscheidendes geleistet. - Meine Damen und Herren, gehen Sie einmal zu den alten Leuten auf die Höfe, besuchen Sie sie in ihren Zimmern und fragen Sie einmal, wie es bei ihnen aussieht. Sie werden dann feststellen, daß die alten Leute groschenweise Beträge zusammenlegen, nur damit sie ihren Enkelkindern am Wochenende ein Spielzeug oder ein paar Bonbons schenken können. Oder sagen Sie einmal einem alten Bauern, er könne ja zum Sozialamt gehen und dort Sozialhilfe nach dem BSHG beantragen. Ich würde mich gerne neben Sie stellen, um zu sehen, wie Sie auf die Antworten reagieren. ({0}) Herr Kollege Wehner, ich lade Sie in meine Heimat ein; dann gehen wir einmal gemeinsam auf diese Höfe und machen dieses Experiment. ({1}) Ich erhalte diese Einladung aufrecht, Herr Wehner. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sie annähmen. ({2}) Eine Erhöhung der Beträge für die Altershilfe, wie wir sie beantragt haben, ist nach unserer Auffassung also dringend notwendig. Eine solche Erhöhung wäre nämlich - anders als die anderen vorhin angesprochenen Sozialmaßnahmen - eine sofortige und unmittelbar wirkende Hilfe für 530 000 Altenteiler. Ich meine, Herr Kollege Wehner, hier wäre Gelegenheit, diese Ihre soziale Einstellung, die Sie eben wieder betont haben, auch praktisch unter Beweis zu stellen. Meine Bitte: Helfen Sie uns auf diesem Gebiete! Gehen Sie mit uns diesen Weg, damit wir bei der Altershilfe für die Landwirtschaft wirklich zu einer vernünftigen Lösung kommen. ({3}) Ich möchte noch zu einem Komplex Stellung nehmen, der heute von Herrn Kollegen Gallus angesprochen worden ist und zu dem hier mit einem Zwischenruf auch eindeutig Stellung bezogen worden ist. Ich meine die Frage der Krankenversicherung für Landwirte. Es ist völlig klar und unumstritten in diesem Hause, daß auf diesem Gebiete etwas geschehen muß. Umstritten ist lediglich der Weg zu diesem Ziel. Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im Juni vorigen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir durch Änderung des § 176 RVO - allen in der Landwirtschaft tätigen Menschen den Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnen wollen. Auch die Altenteiler sollen mit in diese Versicherungsregelung einbezogen werden, allerdings mit der Maßgabe, daß die Beiträge für diesen Personenkreis auf Grund des Strukturwandels in der Landwirtschaft vom Bund übernommen werden sollen. Die Bundesregierung sieht eine andere Regelung vor. Im Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit ist eine berufsständische Zwangsversicherung vorgesehen. Angesichts der Tatsache, daß fast alle Landwirte heute bereits versichert sind, erhebt sich natürlich die Frage, ob hier nicht andere Gründe mit im Spiele sind. Wenn man dann noch die schriftliche Äußerung eines führenden SPD- Politikers in Betracht zieht, der da sagt: ich würde doch meinen, daß das hohe Krankheitsrisiko der Landwirte besser auch bei den Landwirten verbleibt, dann ist doch wohl die Frage erlaubt, ob das tatsächlich noch zu dem gewünschten Erfolg führt, nämlich die Landwirtschaft aus der Isolation herauszuführen und sie in die gesamte Volkswirtschaft zu integrieren, und das sollte doch unser aller Ziel sein. ({4}) Es gibt noch eine Reihe weiterer Nachteile. Ich kann hier die Dinge nur stichwortartig ansprechen. Ich erwähne die Tatsache, daß mit der Auflösung der Landkrankenkassen praktisch der Unterbau entfallen würde und neue Einrichtungen, neue Verwaltungsstellen dafür bei anderen Institutionen errichtet werden müßten, die dann praxisfern sowohl im Verwaltungsapparat als auch bei der Errichtung relativ hohe Kosten verursachen würden. Zu ierwähnen ist der jetzt und in der Zukunft ungünstige Altersaufbau und Gesundheitszustand der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen. Auch der Hinweis, eine solche Versicherung hätte ja mit 2,4 Millionen Versicherten einen gewaltigen Mitgliederbestand, kann diesen Grund nicht widerlegen. Denn leider ist es so: Wenn ein schlechtes Risiko besteht, kann man es addieren oder verdoppeln - es bleibt ein schlechtes Risiko. Minus mal Minus ergibt hier leider kein Plus. Auch daß man nunmehr die Unternehmer und die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, die bisher in einer Kasse bestens zusammengearbeitet haben, trennt, halte ich für einen schwerwiegenden Nachteil. Ich habe das bereits im Hinblick darauf ausgeführt, daß wir alle in der Landwirtschaft nichts sehnlicher wünschen, als in die gesamte Volkswirtschaft immer mehr und immer stärker integriert zu werden. Aus allen diesen Gründen - und wie ich sagte, ist es nur ein kleiner Teil gewesen - habe ich die dringende Bitte an die Kollegen der Koalition: Lassen Sie uns gemeinsam in den Ausschüssen und in den zuständigen Gremien die Probleme unvoreingenommen und nach allen Seiten offen diskutieren und beraten! Andernfalls würde hier eine Reform verwirklicht, die mit Sicherheit auf Grund des heute klar erkennbaren Strukturwandels in der Zukunft kein zielkonformer Weg - um mit Ihren Worten zu sprechen, Herr Bundesminister - wäre. Hier würde in der Tat für die Landwirtschaft der Weg in die Zukunft verbaut. Herr Minister, Sie haben heute mehrfach vom Menschen gesprochen, der im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen müsse. Wir alle gehen mit Ihnen darin einig. Aber - Sie wissen es, dessen bin ich sicher - die Mehrzahl der Betroffenen wünscht diese Regelung in der Krankenversicherung nicht. Machen Sie bitte Politik am Grünen Tisch, verlagern Sie die Verantwortung nicht in Hearings, sondern hören Sie auf die Menschen draußen im Lande. ({5})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Auch Ihnen, Herr Kollege Lensing, herzlichen Glückwunsch zu der Jungfernrede! ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete von Alten-Nordheim. von Alten-Nordheim ({1}) : Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Debatte in diesem Hohen Hause eine durchaus landwirtschaftliche Wendung genommen hat -- und darunter versteht man ja im allgemeinen eine deutliche Sprache , kann man zum mindesten feststellen, daß die frische Landluft, die zeitweilig den Saal durchwehte, keinen gefährlichen Nebel hat aufkommen lassen. Auch viele agrarisch unbeschwerte Gemüter erkennen sicher an der Art und dem Engagement dieser Debatte, daß es heute und hier um Schicksalsfragen eines Berufsstandes geht. Daher möchte auch ich versuchen, einige Probleme deutlich anzusprechen, die mir im Rahmen der dem Hohen Hause vorliegenden beiden Gesetzentwürfe Drucksachen VI/ 1934 und VI/ 1932 wesentlich erscheinen. Der Herr Landwirtschaftsminister hat entgegen seiner sonst so herzig-gemütvollen Art diesmal mehr resignierend wieder eine große Zukunftsvision mit einem recht schmalen konkreten Tatbestand aufgezeigt. Ich habe das untrügliche agrarische Gefühl, das man bei Dauertiefs sehr häufig empfindet, daß wieder wie im vorigen Jahr Zukunftswechsel gezogen werden, für deren Einlösung Begriffe herhalten müssen, wie wir sie heute schon öfter gehört haben: langfristig schwierige Markt-, Struktur- und Integrationsprobleme, deren Lösungen von letztlich zielkonformem Verhalten abhängen. Die Zielprojektion einer Landwirtschaft über 1980 wird doch dann unglaubwürdig, wenn man die Landwirtschaft und ihre Probleme 1970/1971 nicht in den Griff bekommen kann. Wie will man die Zukunft bewältigen und Hoffnungen für das Morgen wecken, wenn man keine praktikablen Sofortlösungen für das Heute anbieten kann? ({2}) Aus diesem Grunde liegen dem Hohen Hause zwei konkrete Gesetzentwürfe der CDU/CSU vor, von Alten-Nordheim die ich im einzelnen begründen möchte. Doch gestatten Sie mir vorweg, Frau Präsidentin, noch eine kurze Bemerkung. Ich habe mir noch einmal die programmatischen Reden des Koalitionspartners vom 11. März 1970 - wohlgemerkt: von vor einem Jahr - angesehen. Was damals der erste Sprecher der Koalitionsfraktion in seiner von viel Konzept und Programm erfüllten Rede sagte, erschien seinerzeit schon recht euphorisch, mutet aber heute fast gespenstisch an. Ich nehme es dem Kollegen von der FDP durchaus ab, daß er damals ernsten Glaubens war, an einer wahrhaft agrarpolitischen Wende zu stehen. Er sprach von einem Markstein Ertlscher Agrarpolitik des nächsten Jahrzehnts und davon, daß der prophezeite Interessenausverkauf der deutschen Landwirtschaft nicht stattgefunden habe. Meine Damen und Herren, wenn bereits einige Zeit später, noch innerhalb eines Jahres, die Bauern zu Tausenden in Nord und Süd auf die Straßen gegangen sind und vor elf Tagen in der Bundeshauptstadt erstmalig Bauern, und zwar in der Zahl von rund 60 000, angetreten sind, um zu demonstrieren, daß sie von Not, Verzweiflung und nackter Existenzangst erfüllt die Zukunft ihrer Höfe und ihrer Familien bedroht sehen, dann, möchte ich sagen, ist das doch sicher ein Symptom dafür, daß die deutsche Landwirtschaft weitere neun Jahre dieses angekündigten Jahrzehnts neuer Agrarpolitik nicht durchhalten kann, wenn die Entwicklung sich weiterhin so vollzieht, wie es im ersten Jahr geschehen ist. Die Worte des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung nannte er einen warmen Landregen. Dann, so war zu hören, blieb diese Regierung nicht bei Absichtserklärungen, sondern ist sofort voll ins Geschäft eingestiegen. Ja, meine Damen und Herren, was ist daraus geworden? Der warme Landregen des Herrn Bundeskanzlers ist zu einer „Brandt”-Dürre geworden, und das Geschäft hat sich zu einem Verlustgeschäft größten Ausmaßes entwickelt. ({3}) Die verheerenden Kosten- und Preisentwicklungen sind hier schon zur Genüge abgehandelt worden. Ich möchte nur die Fehlbeurteilung der damaligen Lage und der daraus resultierenden Fehlentscheidungen deutlich machen. Der Herr Wirtschaftsminister war zu damaliger Zeit davon überzeugt, daß die D-Mark-Aufwertung neben dem Preisverlust für die Landwirtschaft eine gewisse Kostensenkung für die landwirtschaftlichen Betriebsmittel bringen würde. Er hatte es daher damals durchgesetzt, daß 300 bis 500 Millionen DM als sogenannte Kosteneinsparungen von dem insgesamt mit 2 bis 2,2 Milliarden DM bezifferten Aufwertungsverlust abgezogen wurden, so daß der Aufwertungsverlust dann schließlich saldiert netto 1,7 Milliarden DM betrug. Das ist der entscheidende Fehler der damaligen Zeit, meine Damen und Herren. Die Entwicklung dann ist Ihnen allen bekannt. Statt Kostensenkung erfolgte eine Kostenexplosion, und wenn Sie diese nur mit 4,5 % für die Landwirtschaft ansetzen, sind das 900 Millionen DM. Dazu kommen die 300 bis 500 Millionen DM, die damals abgezogen wurden, so daß eine gesamte Differenz von 1,2 bis 1,4 Milliarden DM allein auf der Kostenseite entstand. Ich glaube nicht, daß hier in diesem Hohen Hause irgend jemand ist, der die Schwierigkeiten oder die Problematik der Landwirtschaft bagatellisieren möchte. Wir alle kennen die ungeheuren Schwierigkeiten, insbesondere bei den Agrarpreisen, sei es bei Anhebung von Einzelpreisen oder auch des gesamten Agrarpreisniveaus im Rahmen der EWG. Es wäre unaufrichtig, hier übergroße Hoffnungen wecken zu wollen. Trotzdem bleibt die agrarische Bilanz des vergangenen Jahres erschreckend und für die Zukunft düster. Die Bundesregierung hat im nationalen Bereich durchaus noch Möglichkeiten, der Landwirtschaft entscheidend zu helfen, und sie kann diesen ihren ehrlichen Willen täglich unter Beweis stellen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang daher auf einige steuerliche Möglichkeiten beschränken. Der dem Hohen Hause vorliegende Gesetzentwurf, in der Drucksache V1/1934 ausgedruckt, eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes entspricht einem alten Anliegen, das in diesem Hause schon mehrfach, allerdings in anderer Form, Möglichkeiten zu seiner Verwirklichung gesucht hat. Den älteren Mitgliedern dieses Hohen Hauses sind diese Bemühungen zum Schutz bäuerlicher Veredelung durchaus bekannt, und der Herr Landwirtschaftsminister erklärte noch vor gar nicht allzu langer Zeit hier von diesem Platze aus, daß man mit ihm jederzeit ein solches Vorhaben wieder beginnen könne. Die Opposition versucht diesmal einen Weg zu gehen, um über die Änderung des Einkommensteuergesetzes, zumindest auf diese Art zu verhindern, daß in immer stärkerem und bedrohlichem Maße landwirtschaftsfremde Unternehmer in den Bereich der tierischen Veredelung eindringen, und zwar mit Hilfe unvertretbarer Begünstigungen durch das gegenwärtige Einkommensteuerrecht. Die Opposition ist von großer Sorge um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der echten landwirtschaftlichen Veredelungsbetriebe erfüllt, weil diese durch industrielle und gewerbliche Unternehmen in große Bedrängnis geraten, in denen nämlich zum Teil hohe andersartige Einkünfte dazu benutzt werden, steuerliche Verluste in den diesen Unternehmen angegliederten Veredelungsbetrieben abzudecken. Hier sollte mit Hilfe dieser Gesetzesänderung des Einkommensteuergesetzes den bäuerlichen Betrieben, die ihre Einkünfte zu 80 % und mehr aus tierischer Veredelung decken, der Druck durch Chancenungleichheit von einem für sie lebensnotwendigen Betriebszweig genommen werden. Auch im Hinblick auf den Strukturwandel in der Agrarwirtschaft und besonders in den ländlichen Räumen ist es dringend geboten, daß auch zukünftig fortschrittliche landwirtschaftliche Betriebe Veredelungswirtschaft betreiben können. Ich bin mir darüber völlig im klaren, daß dieser Schritt auf einem Weg, der in letzter Konsequenz vollkommen nur auf EWG-Ebene zum angestrebten Ziel führen kann, sicher noch nicht der von Alten-Nordheim Weisheit letzter Schluß ist. Die Bundesregierung bleibt darüber hinaus aufgefordert, im Rahmen der Gemeinschaft in der Suche nach weiteren Möglichkeiten nachhaltig engagiert zu bleiben. Trotzdem sollte hier schnellstens ein deutlicher Anfang gemacht und dieses Anliegen auf eine möglichst breite parlamentarische Basis gestellt werden. Der zweite Gesetzentwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichsgesetzes Drucksache VI/ 1932 - trägt der heute in diesem Hohen Hause schon mehrfach behandelten katastrophalen Preis- und Kostensituation in der deutschen Landwirtschaft Rechnung. Hierzu brauche ich nichts mehr zu sagen. Auf der Suche nach einer möglichst raschen, möglichst gerechten und wirkungsvollen Hilfe bleibt letztlich keine andere Wahl, der Landwirtschaft zu einer Aufbesserung ihrer Einkommensverhältnisse zu verhelfen, als den Weg über die Anhebung der Mehrwertsteuer nach nunmehr 15 Monaten noch einmal zu beschreiten. Diesen Weg hat das Hohe Haus seinerzeit nach eingehenden Beratungen in den zuständigen Ausschüssen als einen letztlich praktikablen und trotz der damals in Brüssel geäußerten Bedenken beschreitbaren Weg bezeichnet und mit großer Mehrheit beschlossen, dann auch so zu verfahren. Nach dem Aufwertungsverlustausgleichsgesetz wurde seinerzeit der bis dahin für die Landwirtschaft geltende Mehrwertsteuersatz von 5 % um 3 % auf 8 % erhöht. Diese Anhebung der Mehrwertsteuer erfolgte damals verbraucherneutral. Das heißt, dem Bundeshaushalt gehen durch diese gesetzliche Änderung Steuereinnahmen verloren. Die CDU/CSU sieht zur Zeit keinen wirkungsvolleren Weg, als der Landwirtschaft auf diese Weise noch einmal zu einer Aufbesserung ihrer Einkommensverhältnisse, an deren akuten Verschlechterung sie keinen Anteil hat, zu verhelfen. Sie hat letztlich alle Bedenken, die man durchaus haben kann, wenn man ein Steuersystem als Instrument erneut in dieser Form benutzt, der großen Bedeutung und Dringlichkeit wegen zurückgestellt. In dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf schlagen wir wiederum eine verbraucherneutrale Lösung vor, und zwar durch die Anhebung der Mehrwertsteuer um weitere 3 % von 8 % auf 11%. Alternativ ist allerdings auch die Möglichkeit aufgeführt, die Erhöhung der Mehrwertsteuer ganz oder zum Teil auf die Verbraucherpreise durchschlagen zu lassen. Wir halten die Problematik dieser Frage für so bedeutungsvoll, daß wir eine Lösung gern auf eine breite parlamentarische Basis gestellt sähen. Unser Vorschlag geht deshalb dahin, besonders diese Frage in den dafür zuständigen Ausschüssen zu behandeln, damit dieses für die Landwirtschaft bedeutungsvolle Gesetz letztlich auch eine große Mehrheit in diesem Hause finden kann. Ich bitte das Hohe Haus daher, der vorgeschlagenen Überweisung beider Gesetzentwürfe --Drucksachen VI/ l934 und H/ 1932 an die entsprechenden Ausschüsse zuzustimmen. ({4})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.

Dr. Burkhard Ritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001859, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte nähert sich dem Ende. Sie hat sichtbar gemacht, daß die Landwirtschaft in der Bundesrepublik aktuelle Schwierigkeiten hat, die nur durch besondere, schnell wirksame Maßnahmen beseitigt werden können. Dazu haben wir Anträge auf den Tisch gelegt. Wir waren uns in der Beurteilung der aktuellen Sorgen und der wirtschaftlichen Situation, wie ich meine, sehr oft einig. Eines haben wir allerdings vermißt, nämlich daß weder die Regierung noch die Koalition der Lage entsprechend konkrete Maßnahmen auf den Tisch gelegt hat. ({0}) Meine Damen und Herren, man kann die Argumentation: wir warten zunächst das Ergebnis von Brüssel ab, und dann handeln wir, respektieren. Eines aber kann doch nicht verschwiegen werden. Unabhängig davon, wie die Ergebnisse in Brüssel ausfallen: ohne ergänzende nationale Maßnahmen werden wir mit den aktuellen Schwierigkeiten nicht fertig. ({1}) - Natürlich wissen auch wir, daß diese aktuellen Schwierigkeiten der Landwirtschaft nur die eine Seite des Agrarproblems sind, obwohl sie, wie wir meinen, heute manchmal in erschreckender Weise verniedlicht worden sind. ({2}) Aber wir wissen natürlich auch, daß, wenn die aktuelle Krise gelöst ist, die Frage zu beantworten bleibt: Wie wird sich mittel- und langfristig die Landwirtschaft entwickeln? Draußen auf dem Lande haben wir diese Frage immer wieder zu behandeln, wenn es um das Thema geht: Welche Chancen hat die Landwirtschaft in der Zukunft? Meine Damen und Herren! Es kann nicht bestritten werden, daß mit den Plänen und Prognosen der letzten zwei bis drei Jahre - oft in sich widersprüchlich - ein hohes Maß an Unruhe, Unsicherheit, ja auch Resignation ausgelöst worden ist. Insofern nehmen wir es Ihnen gar nicht übel, Herr Minister Ertl, daß Sie eben den aktuellen Schwierigkeiten die langfristige Entwicklung angesprochen haben. Aber auch hier haben konkrete Aussagen darüber gefehlt, wie wir diesen Anpassungsprozeß mit den entsprechenden Maßnahmen sinnvoll kanalisieren. Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß für meine Freunde in einigen wenigen Strichen unsere Vorstellungen über den Strukturwandel wiedergebe und gleichzeitig damit den Versuch unternehme, Maßnahmen zu erläutern, die dafür notwendig sind, und ein wenig von der Unsicherheit abzubauen, die in der landwirtschaftlichen Bevölkerung herrscht. Das Hearing „Landwirtschaft 1980" war hierbei hilfreich. Trotz der Widersprüche, die es oft zu gleichen Sachproblemen gegeben hat, meine ich, daß man heute doch von einer gemeinsamen Linie der Wissenschaft und der Sachverständigen sprechen kann, von einer Grundlinie. Ich glaube zumindest sagen zu können, daß zwei Erkenntnisse heute allgemeine Vertbreitung in Wissenschaft und Sachverstand gefunden haben: Erstens. Es gibt nicht die Alternative: Agrarstrukturpolitik oder aktive Preispolitik. ({3}) Wir sind heute vielmehr alle eigentlich der Meinung, daß beide Maßnahmen durchaus ihre volle Berechtigung in diesem Anpassungsprozeß haben und daß das eine ohne das andere nicht möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU. - Abg. Dr. Schmidt ({4}) - Wer hat das je bestritten? Ich kann Ihnen nur empfehlen - ich spreche jetzt gar nicht von der Regierung -, z. B. das Jahresgutachten 1970 der Wirtschaftsweisen daraufhin zu überprüfen, was zu diesem Punkt gesagt worden ist. Im Gegenteil; das Jahr 1969 mit seinen hohen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten, mit seiner relativen Stabilität und seinen relativ guten Erzeugerpreisen hat sichtbar gemacht, daß gerade eine solche positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung den Strukturwandel positiv beeinflußt. 150 000 Menschen - und damit mehr als in den Vorjahren - sind aus der Landarbeit als Vollerwerb ausgeschieden. Wir haben heute eher von der Gefahr einer strukturellen Stagnation auszugehen, weil die wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Daten nämlich fast umgekehrt zu 1969 verlaufen. Zweitens. Der oft und noch vor kurzem gepriesene große Sprung, mit einer Agrarstrukturrevolution innerhalb von 10 Jahren nur Großbetriebe zu schaffen - wie es etwa noch im Mansholt-Plan I sichtbar war -, ist nicht nur unter ökonomischen und gesellschaftlichen, sondern auch unter raumordnerischen Gesichtspunkten radikal als utopisch abzulehnen. ({5}) Meine Damen und Herren, auch wir wissen von den Sachzwängen - ich brauche sie hier gar nicht zu erwähnen, weil Herr Minister Ertl sie genannt hat technischer Fortschritt; immer weniger Menschen können mehr produzieren; höhere Freizeit- und Einkommenserwartungen vor allem auch der jungen Generation des Landes. Unter diesen gegebenen Sachzwängen, meine ich, ergibt sich für uns das, was ich den „mittleren Weg" nennen möchte. Das bedeutet: es wird 1980 wie 1970 Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe geben. Bis dahin werden sich die Betriebs- und Unternehmensformen natürlich weiterhin wandeln. Solche Wandlungen sind ja heute schon im Gange. Ich meine, daß wir bei dem technischen Fortschritt, unter dem Gesichtspunkt der Freizeitentfaltung und -erwartung davon auszugehen haben, daß sich gerade in den Vollerwerbsbetrieben die überbetrieblichen Formen der Zusammenarbeit, etwa in Form der Maschinenringe zwecks Vollmechanisierung in der Fläche, weiterentwickeln werden. Ich spreche immer nur von „weiterentwickeln werden", weil es sich um Prozesse handelt, in denen wir mittendrinstehen. Bei der tierischen Veredelung werden wir bei gleichzeitigem Ausbau der Vermarktungsstrukturen in der Spezialisierung ebenfalls voranschreiten. Die Nebenerwerbsbetriebe das hat mein Kollege Früh sehr deutlich gesagt - werden ihren berechtigten Platz behalten, und sie werden zu extensiveren Bewirtschaftungsformen übergehen. Welche Maßnahmen sind im Hinblick auf den so sich organisch und sozial zumutbar entwickelnden Strukturwandel hin notwendig und erforderlich? Erstens. Es ist die auch hier schon skizzierte starke Verzahnung von Agrarstruktur, Agrarpolitik und regionaler Wirtschaftspolitik erforderlich. Lassen Sie mich hier einen Gesichtspunkt einfügen, der dann auch eine entscheidende Rolle spielt, wenn wir die Dinge so sehen. Wir haben heute schon Regionen mit Grenzertragsböden, auch mit zunehmender Tendenz, wie es etwa die Schrift „Bayerischer Weg - Moderne Landwirtschaft" ausweist. Herr Minister Ertl, hier dürfen wir heute schon sagen: Landabgaberente und Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung unter der Prämisse der totalen Betriebsaufgabe werden zu keinen Ergebnissen führen. Meine Freunde haben vor einigen Monaten bei der Beratung des Landabgaberentengesetzes im Fachausschuß einen Antrag eingebracht, der sicherstellen sollte, daß auch jene Betriebe, die ihre Flächen unter regional festzulegenden Kriterien extensiv weiter bewirtschaften, in diese Maßnahmengruppen mit einbezogen werden. Wir sind in der Tat der Meinung, daß wir, wenn wir vermeiden wollen, heute über Agrarpolitik und morgen über Umweltschutz zu reden, hier sagen müssen, daß diese Dinge eine Einheit darstellen und wir Lösungen im agrarstrukturellen Bereich finden müssen, die diesem Anliegen Rechnung tragen. ({6}) Zweitens. Preis- und Marktpolitik haben auch in. der Zukunft sicherzustellen, daß leistungsfähige Vollerwerbsbetriebe zu angemessener Kapitalverzinsung gelangen und die Ersatzinvestitionen aus eigener Kraft tätigen können. Das bedeutet, daß unter den Kriterien der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Kostenstruktur in der Landwirtschaft auch die Preise angehoben werden müssen. Das wird auch für die Zukunft so gelten. Das muß natürlich unter Beachtung des Marktgleichgewichts geschehen. Gerade aus dieser Perspektive heraus und aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit und der sinnvollen Strukturentwicklung haben wir u. a. diesen Antrag auf Änderung des § 2 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes eingebracht. Wir wollen damit unseren Landwirten heute die Sicherheit geben, daß sie auch morgen die Veredelungsproduktion in ihren Betrieben betreiben können. ({7}) Drittens. Wir brauchen eine betriebliche Förderung, die durchaus differenziert den eher wachsenden Investitionsanforderungen der Vollerwerbsbetriebe genauso gerecht wird wie dem Ziel, daß gerade auch in Regionen mit schwachen Strukturen Landwirtschaft im Zu- und Nebenerwerb attraktiv bleiben kann. Dein wird das einzelbetriebliche Förderungs- und soziale Ergänzungsprogramm dieser Regierung nicht gerecht. ({8}) Wir werden das erleben. Wir brauchen eine Investitionsförderung, die es möglich macht, daß die Agrarkredite der Kapitalmarktlage angepaßt werden. Wir meinen auch, daß wie für die gewerbliche Wirtschaft in strukturschwachen Räumen auch Investitionszuschüsse wieder möglich werden müssen. ({9}) Die Landwirte müssen sich langfristig auf das einstellen können, was ihnen für ihre notwendigen Investitionen als ergänzende notwendige Hilfen angeboten wird. Auch in diesem Zusammenhang ist unser Entschließungsantrag auf Zinsverbilligung zu sehen, den wir Ihnen vorgelegt haben, aber auch im Hinblick auf die gesamte Kostenstruktur, wie sie sich heute darstellt. Viertens. Es ist viel von landwirtschaftlicher Sozialpolitik gesprochen worden. Ich habe mit Interesse vermerkt, Herr Minister Ertl, daß Sie sogar eine öffentliche Diskussion in Berlin vor den Agrarjournalisten in Ihre Rede mit einbezogen haben. Sie bezogen sich sicher auf die Podiumsdiskussion, die ich zusammen mit den Herren Staatssekretär Logemann und meinem verehrten Kollegen Schmidt ({10}) führen konnte. Lassen Sie mich aus dieser gemeinsamen Diskussion zur Sozialpolitik nur folgendes sagen. Ich hatte dort den Eindruck, daß es keinen Widerspruch gab, als ich sagte, daß es langfristig unsere Aufgabe in der Agrarsozialpolitik sein muß, sicherzustellen, daß unsere landwirtschaftliche Bevölkerung schrittweise in das allgemeine Versicherungssystem der Gesellschaft einbezogen wird, so daß wir aus der Isolation in die Integration im sozialen Bereich kommen. Da bestand Einmütigkeit, wie ich meinte. Um so unverständlicher erscheint es mir, daß man jetzt, da man den ersten großen Einstieg machen kann, bei der Krankenversicherung den umgekehrten Weg geht. Mehr möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen. ({11}) Ich meine, daß auch diese Perspektive bedeutsam ist. Fünftens. Wir haben, was die Entwicklung im Gemeinsamen Markt angeht, hier den Entschließungsantrag eingebracht. Niemand konnte ihn besser begründen, als es der Kollege Höcherl, getan hat. Ich kann deshalb auch darauf verzichten. Meine Damen und Herren, es ging nie um die Frage: Bist du für oder bist du gegen den Grünen Dollar?, sondern es geht um die Frage das wird in diesem Entschließungsantrag sichtbar -: Wie können wir die durch die Paritätsänderungen entstehenden Ungleichgewichte in unserem Lande und in den Partnerländern wieder in das rechte Lot rücken? Hierfür meinen wir uns in der Formulierung sogar bewußt offenhalten zu sollen das sage ich jetzt noch einmal im Hinblick auf den Kollegen Peters -, um diese Regierung nicht in irgendeiner Form zu präjudizieren. Wir sollten aber das tun, was zur Herstellung dieses Gleichgewichts in der EWG notwendig ist. Darüber hinaus wird es dringend erforderlich sein, weiterhin alles zu tun, was der Harmonisierung im Bereich des Futtermittelrechtes, des Lebensmittelrechtes und des Veterinärrechtes dient. Ich meine auch dies hier sagen zu sollen: Wir sollten national alles vermeiden, was zu einer zusätzlichen Verschärfung auf diesen Gebieten führen könnte. Es gibt ja derartige Überlegungen. Durch die Erkenntnisse in der Medizin, im Bereich der Gesundheitsvorsorge und -fürsorge, wird sich möglicherweise manches hier verändern müssen. Dann aber gilt es, diese Dinge gemeinsam für alle gleichermaßen zu regeln und durchzusetzen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß es mir in diesen nur wenigen Strichen mehr konnte es in einer Viertelstunde nicht sein - gelungen ist, sichtbar zu machen, daß die CDU/CSU hier und heute durch ihre Sprecher Vorstellungen zur Lösung der aktuellen Probleme genauso aufgezeigt hat wie ihre mittel- und langfristigen Vorstellungen über die Entwicklung der Landwirtschaft und die hierfür notwendigen und erforderlichen politischen Instrumentarien. Wir werden einerseits zur Kooperation bereit sein, wenn wir in den Grundpositionen übereinstimmen. Aber darüber hinaus wird es notwendig sein, daß Regierung und Koalition auch die Bereitschaft mitbringen, das durchzusetzen, was dann gemeinsam als notwendig und richtig erkannt wird. Andererseits werden wir dieser Agrarpolitik auch in Zukunft mit harter Kritik begegnen und gleichzeitig unsere Alternativen wie heute hier sichtbar machen. ({12})

Dr. h. c. Liselotte Funcke (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000620

Das Wort hat der Abgeordnete Löffler.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Ritz, ich darf mich zunächst recht herzlich bei Ihnen für Ihr Angebot zu einer sachlichen Kooperation in Fragen der Agrarpolitik bedanken. Ich halte das für ein sehr gutes Angebot; denn es gibt ein altes Sprichwort, das da lautet, daß drei Finger auf die eigene Brust zeigen, wenn man mit einem Finger auf die Brust eines anderen weist. Das ist, nebenbei gesagt, nicht das Wort, daß mein Fraktionskollege Dr. Schmidt heute früh meinte, aber es hat etwa den gleichen Inhalt. ({0}) --- Ich weiß nicht, Herr Barzel, ob Sie immer die ganze Hand nehmen, wenn Sie immer auf die Brust eines anderen weisen. Dann stimmt das Wort natürlich nicht. Aber Sie haben heute genauso wie Ihr Fraktionskollege von Alten-Nordheim gesagt, das Wort des Kanzlers, diese Regierung wolle die Zukunft der Landwirtschaft sichern, wäre nur ein schönes Wort, wenn in der Gegenwart nicht Schritte unternommen würden, um diese Zukunft zu sichern, ja, um diese Zukunft überhaupt kommen zu lassen. Ich darf Sie darauf hinweisen, Herr Barzel, daß die jetzige Gegenwart auch einmal Zukunft war und daß in der damaligen Gegenwart andere die RegierungsverantLöffler wortung getragen haben. Und die hätten auch diese Zukunft sichern müssen. Wir können nicht davon ausgehen, daß die aktuellen Schwierigkeiten, von denen Sie, Herr Dr. Ritz, gesprochen haben, eben nur ganz kurzfristige Ursachen haben. Die haben auch längerfristige Ursachen, mit denen wir uns hier klar und eindeutig zu beschäftigen haben. Am heutigen Tage ist die Diskussion weitgehend auf die Preise abgestellt worden. Dafür habe ich sogar großes Verständnis. Ich habe auch von der Seite der Betroffenen her Verständnis für die Forderung nach einer 10%igen Preiserhöhung; denn in unserer pluralistischen Gesellschaft, Herr Dr. Früh, ist es genauso wie in der Schule: man muß sich melden, wenn man drankommen will. Aber, Herr Dr. Früh, an wen wird denn nun eigentlich diese Forderung gerichtet? Kann die Regierung, kann der Minister 10 % gewähren? Und bei allem Mißtrauen, das ich gegenüber technokratischen Gebilden wie der Kommission in Brüssel habe, muß ich sagen: Auch die Kommission in Brüssel kann diese Bitte einfach nicht erfüllen. Das muß man klar und deutlich sehen. Man kann doch nicht so tun, als ginge es nur darum, ein paar Starrköpfe zu überzeugen, damit das alles nun ein ganz klein wenig besser geht. Das ist doch, würde ich meinen, eine etwas schiefe Sicht der augenblicklichen agrarpolitischen Auseinandersetzung. Ich will Ihnen auch noch etwas anderes sagen, vielleicht sogar etwas, was unpopulär ist. Aber wir sind ja hier nicht nur dazu da, uns gegenseitig eine Meinungsschau vorzuführen; wir haben ja hier im Namen und im Auftrag des deutschen Volkes laut zu denken. Nehmen Sie die Daten des letzten Agrarberichts und rechnen Sie eine 10%ige Preiserhöhung hinein! Sie werden dann feststellen, daß die Disparitäten innerhalb der Landwirtschaft noch größer werden. Ich habe schon in meiner letzten Rede zum Einzelplan 10 darauf hingewiesen: wir können nicht immer bloß Disparitäten - ({1}) - Herr Dr. Früh, jetzt müssen wir aber doch bald einmal Schluß machen. - Wir können nicht immer nur sagen: Disparität gegenüber Industrie und Gewerbe, sondern innerhalb der Landwirtschaft gibt es auch eine Disparität, die uns vor große Probleme stellt. Und wenn diese Disparität innerhalb der Landwirtschaft größer wird, werden sicherlich unsere Probleme nicht kleiner. Ich darf noch ein kurzes Wort sagen zu den beiden Vorschlägen für eine Steuerrechtsänderung, die die Fraktion der CDU/CSU eingereicht hat. Zunächst darf ich beginnen mit dem Vorschlag zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichs. Die in diesem Entwurf zugrunde liegende Idee ist ja nicht neu. Sie ist von der Regierung bereits beim Aufwertungsausgleich praktiziert worden und hat offensichtlich, obwohl sie seinerzeit bei Ihnen noch auf großes Bedenken gestoßen ist, so viel Anklang gefunden, daß Sie nunmehr diese Idee aufgegriffen haben. ({2}) Einig - das haben der Landwirtschaftsminister und auch der Kanzler und andere Sprecher gesagt - sind wir uns in diesem Hause darin, daß, falls bei den Preisfestlegungen in Brüssel ein für die deutsche Landwirtschaft nicht befriedigendes Ergebnis zustande kommt, nationale agrarpolitische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die aktuellen Schwierigkeiten zu beseitigen. Aber, so möchte ich meinen, das ist die nächste Runde. Man kann das zweite Glas Bier nicht vor ,dem ersten trinken. ({3}) - Vorsicht! Man kann daran nippen, aber das ist dann kein Genuß. Wer wie Sie, Herr Dr. Ritz, diesen Versuch unternimmt, muß sich fragen, ob er damit nicht vielleicht Verwirrung stiftet, eventuell sogar Schaden anrichtet. Hören Sie bitte folgender Überlegung zu: Ich glaube nicht, daß der Zeitpunkt für die Einbringung dieser Vorlage bsonders günstig gewählt ist. Wir müssen uns doch darüber im klaren sein, daß Sie mit einer breit gestreuten Zuwendung von 900 Millionen DM an die deutsche Landwirtschaft dem Minister eines seiner zugkräftigsten Argumente im Ministerrat in Brüssel aus der Hand winden. Sie selbst haben doch im Ausschuß immer wieder gesagt, er solle hart werden. Ich glaube, einer hat sogar gesagt, das Problem werde sich dann lösen, wenn der Minister in Brüssel einmal tüchtig mit der Faust auf den Tisch donnert. Er soll hart sein, indem er auf die schwierige Lage der deutschen Landwirtschaft, hinweist. Jetzt aber kommt er mit Ihrem Änderungsvorschlag im Rücken. Wie kann er die geforderte Härte aufbringen, wenn seine Verhandlungsposition von der Opposition durch eine solche Vorlage zur Unzeit unterlaufen wird? Übrigens, wenn der Staatshaushalt mit 900 Millionen DM Mindereinnahmen belastet werden sollte - vorausgesetzt, wir könnten das überhaupt -, müßte sorgfältiger überlegt werden, ob man diese Mittel breit streuen oder gezielter einsetzen sollte für diejenigen Teile der deutschen Landwirtschaft, die im Augenblick ihre Existenz tatsächlich bedroht sehen müssen. Eine breite Streuung wäre nur gerechtfertigt, wenn die Preiseinbrüche, die gegenwärtig festzustellen sind, unmittelbar auf die Aufwertung zurückzuführen wären. Dieser Beweis ist hier nicht erbracht worden, auch nicht vom Herrn Höcherl. Auch das hat etwas mit Laxheit im Umgang mit Geld zu tun, wie Sie es vorhin der Regierung vorgeworfen haben. Zu dem anderen Entwurf kann ich Ihnen nur sagen, daß die Regierungskoalition sich seit Monaten um diese Probleme bemüht. Wir sind mit Ihnen völlig einer Meinung, daß es unerträglich ist, daß unter Ausnutzung der bestehenden Steuergesetze Gewinne auf Kosten der deutschen Landwirtschaft eingeheimst werden, indem man deren Produktionsbasis schmälert. Wir gehen allerdings davon aus, daß der gleiche Effekt vielleicht auch mit anderen Maßnahmen zu erzielen wäre. Inwieweit das gelingt, muß uns die Regierung sagen. Wir freuen uns jedenfalls, daß wir Ihre Bereitschaft haben, mit uns gemeinsam dieses wichtige Problem zu lösen; ob so, wie Sie es vorgeschlagen haben, oder anders, ist eine Frage, die wir unter Berücksichtigung der verschiedenen Gesichtspunkte, vielleicht auch der verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte, in den zuständigen Ausschüssen erörtern sollten. Ich darf noch ein letztes Wort zu dem Bildungswesen auf dem Lande sagen, das heute in der Debatte nach meinem Dafürhalten etwas zu kurz gekommen ist. Ich begrüße es, daß in diesem Agrarbericht auch dazu einiges ausgesagt worden ist. Ich darf dabei eine Frage an die beiden Unionsparteien richten: Wie halten Sie es denn eigentlich mit der Bildungspolitik auf dem Lande? Die Schule, die das gesamte Bildungsangebot der deutschen Schule unter einem Dach vereinigt und deshalb für ländliche Gebiete besonders geeignet ist, die darüber hinaus die Möglichkeit der Anpassung des Bildungsgutes an die gegenwärtigen und die zukünftigen Lebensverhältnisse der Schüler eröffnet, nämlich die integrierte Gesamtschule, wird von Ihnen abgelehnt; so geschehen neulich in der Bund-Länder-Kommission. ({4}) - Herr Dr. Ritz, fragen Sie einmal bei Ihrer Landjugend, welche Schule Ihre Landjugend eigentlich haben will. ({5}) Ich sehe ein, daß es etwas schwierig ist, wenn etwas getan werden muß, wenn aber bestimmte Hemmungen vorhanden sind, die nicht beseitigt werden können. Ich nehme an, daß wir durch Ihr Angebot zu einer so sachlichen Kooperation kommen, daß Hemmnisse bei Ihnen und möglicherweise auch bei uns - soweit sie noch vorhanden sein sollten; ich sehe allerdings keine - abgebaut werden könnten. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin in einer mißlichen Lage, denn ich würde sehr gern und sehr ausführlich auf viele Fragen antworten. Eines darf ich aber wohl vorweg sagen: So unterschiedlich, Herr Kollege Ritz, sind Ihre strukturellen Vorstellungen von den meinen nicht. Ich sehe hier nicht so stark die Alternativen und Notwendigkeiten. Ich begrüße das, und ich freue mich, daß angesichts zweier so wichtiger Wahlkämpfe, die vor uns stehen, der Wahlkampf bei einer solchen Debatte - -({0}) - Drei. Ich nehme an, Herr Barzel, in Berlin werden Sie nicht so sehr über die Preiserhöhung für die Landwirtschaft sprechen, im Gegensatz zu mir; ich habe auch noch nichts darüber gelesen. Ich habe das vor den Verbrauchern in Berlin getan. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie auch den Mut gehabt hätten, sich hinzustellen, wie ich mich vor die Hausfrauen hingestellt habe. Ich lasse mir das gern von Ihnen bestätigen. Ich habe das für meinen Teil getan, weil ich mich auch draußen zu dem bekenne, was ich hier sage. In dem Zusammenhang möchte ich ein Mißverständnis aufklären. Ich habe drei schleswig-holsteinische Landwirte empfangen. Ich habe ihnen bezüglich der Höhe des Altersgeldes keine konkreten Zusagen gemacht. Das möchte ich hier ein für allemal klarstellen. Alle Kollegen wissen, daß es in einem Leserbrief steht, nicht in einer Aussage von mir und nicht in einem Artikel von mir. Wenn man schon zitiert, muß man genau zitieren, damit hier nicht Mißverständnisse auftauchen. Weil gerade der Kollege Höcherl eintritt, mein alter Freund, will ich zu ihm etwas sagen. ({1}) Man muß ja etwas tun, damit die zweite Auflage seines Buches verkauft wird. Ich mache keine Schleichwerbung. Der verehrte Kollege Ehnes z. B. sollte das „Fallbeil" Eingangsschwelle, Einkommensschwelle, Entwicklungsschwelle einmal nachlesen, auf Seite 25, Hermann Höcherl -- wie heißt es so schön, das Buch? , „Die Welt zwischen Hunger und Überfluß". ({2}) Verehrter Kollege Ehnes, Sie können hier gerne Nachhilfe bei Ihrem Parteifreund nehmen und können da in einem großartigen Werk nachlesen. Das gilt übrigens auch für Seite 164 bezüglich der Rechnungseinheit, dem Grünen Dollar. Und ich freue mich, daß Hermann wieder hier ist, damit ich gleich zur besseren Einsicht der CDU Schleichwerbung für sein Buch machen kann, denn die CDU will ja immer nicht wahrhaben, was sie gestern mit zu verantworten hatte. ({3}) Das muß ich einmal sagen, wenn solche Worte wie „Fallbeil" fallen. Sonst hätte ich das nicht gesagt, aber wie es hineinschallt in den Wald, so muß es zurückhallen. Das ist ein alter Grundsatz. Ich darf in dem Zusammenhang, weil heute so sehr über die europäische Entwicklung gesprochen wurde ich muß mich ja auf einige Schwerpunkte konzentrieren , mit Genehmigung des Präsidenten ein Zitat bringen: Die Bundesrepublik ist innerhalb der EWG der bedeutendste Important für Agrarerzeugnisse. Unseren Partnern ist es jetzt schon seit 1958 gelungen, ihren Anteil an den deutschen Agrareinfuhren von 27 auf 39% zu steigern. Im Zuge der Vollendung des gemeinsamen Agrarmarktes wird dieser Prozentsatz noch erheblich emporschnellen. Interessant ist jedenfalls, daß sich die Bundesrepublik heute mit einzelnen landwirtschaftlichen Produkten schon sehr weitgehend aus dem EWG-Raum versorgt, aus dem 86 % unserer Buttereinfuhren, 77 % unserer Eierimporte und 59 % unserer Käseeinfuhren erfolgen. Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Bundesminister Ertl Wenn die Bundesrepublik heute etwa die gleiche Summe wie Frankreich in den landwirtschaftlichen Ausgleichsfonds zahlt, aber nur die Hälfte des von ihr eingezahlten Geldes zurückerhalten wird, so ist das auch ein Beweis dafür, daß einmal die Startposition der deutschen Landwirtschaft im Gemeinsamen Markt gar nicht so schlecht ist, daß andererseits der deutschen Seite erhebliche Opfer für das Zustandekommen des gemeinsamen Agrarmarktes abverlangt werden, die durch politische Gegenleistungen honoriert werden sollen. Frankreich ist nun einmal der landwirtschaftliche Großerzeuger unter den Sechs. Es verfügt über die günstigsten Produktionsvoraussetzungen, die größten Erzeugungsreserven, die größte landwirtschaftliche Nutzfläche. Frankreich hat aber auch eine Verbesserung und Modernisierung seiner Agrarstruktur besonders nötig, wenn es zu einer wesentlichen Hebung seiner landwirtschaftlichen Produktivität kommen will. Die unzweifelhaften Vorteile, die Paris heute vom gemeinsamen Agrarmarkt hat, müssen sich mit dem jetzt eingeleiteten übernationalen Rationalisierungsprozeß, der alle Beteiligten zu einer europäischen marktgerechten Erzeugung zwingt, letzten Endes doch für alle auswirken. Übrigens war es den sechs Partnern - und jetzt passen Sie auf, meine Herren von der Opposition schon bei der Gründung der EWG klar, daß das Schwergewicht des deutschen Interesses auf dem Industriemarkt und das Schwergewicht des französischen Interesses auf dem Agrarmarkt liegen würde. So, verehrter Kollege Höcherl, Ihr Freund und Landesvorsitzender Franz Josef Strauß vor drei Jahren! ({4}) Und so sprach man eben, als man in der Verantwortung war. Ich gebe zu, daß auch ich heute manchmal etwas anders sprechen muß als früher in der Opposition - das ist ganz logisch ({5}) aber der Unterschied, mein lieber Freund Hermann Höcherl, ist doch der, daß ich so ehrlich bin und das zugebe, während ihr das nicht tut. Das ist der große Unterschied! ({6}) Und wenn Sie mir z. B. unterstellen, ich hätte da eine Schau abgezogen, muß ich sagen: erstens gehöre ich nicht zum Show-Business - dann müßte ich ja in der Tat bei der Opposition sein -, ({7}) und zweitens möchte ich dazu nur sagen, ich hoffe nicht, daß dabei das Sprichwort Geltung hat: Wie der Schelm ist, so denkt er. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, der Herr Kollege Ehnes hat hier eine sehr scharfe Klinge gekreuzt. Er ist ja auch Präsident des bayerischen Bauernverbandes. ({9}) - Doch, sehr viel! Ich erstarre beinahe in Ehrfurcht. ({10}) Und hier habe ich ein Flugblatt „Bayerischer Bauernverband - 25 Jahre im Dienste der Landwirtschaft", und dann kommt der Erfolgsplan, der hier zu verzeichnen ist. Dort heißt es: „Beispiele unserer Einflußnahme: Verhinderung der Preissenkungspläne der EWG-Kommission für 1970/71. Geplant war Senkung der Getreide-, Zuckerrüben- und Milchpreise." Ich frage mich: Wer hat denn da in Brüssel als verantwortlicher Minister verhandelt? Es heißt weiter: „Verhinderung einer wesentlichen Verschärfung der Getreidequalitätsnormen bei Interventionen. Auch bei der dritten Rate für den Getreidepreisausgleich wurde eine Sonderprämie für Braugerste erreicht. Durch zusätzliche, vom Verband geforderte Maßnahmen Verhinderung von Preiszusammenbrüchen auf dem Rindermarkt im Zusammenhang mit der Abschlachtaktion. Über 15 000 Kühe wurden zusätzlich aus dem Markt genommen. Bundesregierung und EWG-Kommission haben den Verlust bei der DM-Aufwertung in Höhe von 1,7 Milliarden DM amtlich anerkannt." Weiter ist zu lesen: „Erfolge der Sozialpolitik." Dort heißt es z. B.: „Verbesserung der Landabgaberente." Zur Markt- und Absatzpolitik: „Senkung der Einheitswerte bei Hopfen, Obst und Gemüse." Und vieles mehr ist dort zu lesen. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Ehnes, lesen Sie doch Ihr eigenes Flugblatt! Dann können Sie wenigstens nicht behaupten, daß diese Regierung keine aktive Agrarpolitik auf allen Sektoren, auf dem Preis-, Markt- und Sozialgebiet macht. ({11}) Oder Sie sagen, dieses Flugblatt stimmt nicht. Nein, es stimmt. Als Bauernverbandspräsident haben Sie die Wahrheit gesagt, nur wollen Sie das hier als CSU-Abgeordneter nicht gerne wissen. ({12})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehnes?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Sehr gern!

Georg Ehnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000442, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, sind Sie bereit, auf den Zeitabschnitt einzugehen, den ich in meiner Rede angesprochen habe, und sind Sie bereit, mir zu widerlegen, daß die Preissenkungen nicht eingetreten sind?

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich kann Ihnen dazu nur folgendes sagen, Herr Kollege Ehnes. Ich will es sehr kurz machen; denn ich will Herrn Kollegen Leussink nicht noch mehr Zeit wegnehmen. Es gibt eine vortreffliche Darstellung im Agrarbericht, und zwar in der Übersicht 16 auf Seite 44. Dort können Sie die Ergebnisse der Ertrags-Aufwands-Rechnung für landwirtschaftliche Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland nach § 4 des Landwirtschaftsgesetzes einschließlich der entsprechenden Disparitätszahlen nachlesen, und zwar von 1959/60 bis 1969/70. Eines will ich Ihnen allerdings jetzt schon sagen; das meine ich sehr ernst. Wenn ich als damaliger Oppositionssprecher der FDP einmal gewagt hätte, über eine Preistendenz des laufenden Wirtschaftsjahres zu sprechen, wäre ich von meinem Freund Hermann Höcherl mit der ihm eigenen Brillanz abgeschmettert worden, weil er gesagt hätte: das können Sie doch gar nicht wissen. Aber ich habe in meinem Bericht sogar bewußt die Vorausschau mit aufgenommen und habe auch gesagt, daß eine Verschlechterung zu erwarten ist. Mehr Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber der gesamten deutschen Öffentlichkeit und der Landwirtschaft können Sie von einem Minister wahrhaftig nicht erwarten. ({0}) Ich lasse mich allerdings nicht dauernd in eine Verteidigungsdiskussion ein. Das muß ich Ihnen einmal ganz offen sagen; denn ich sehe darin auch Taktik und Absicht. Man kann versuchen, jemanden auf die Dauer in die Enge zu treiben, aber man darf nicht glauben, daß er sich das bewußt gefallen läßt. 1 Ich kann mich schon wehren. Eines steht fest: Ich habe den Bericht entsprechend dem Landwirtschaftsgesetz vorgelegt. Die Zahlen für das Jahr 1969/70 sind effektiv, und sie haben sich in jeder Form so, wie früher von mir behauptet, als richtig erwiesen, obwohl dieselbe Opposition im Sommer, als mein Staatssekretär darauf hingewiesen hatte, gesagt hat: das ist unerhört, das stimmt nicht. Jetzt sagt man wieder: aber vielleicht nächstes Jahr. Vor einem Jahr, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, haben wir um den Aufwertungsausgleich gerungen. Damals habe ich um meine 3 % Mehrwertsteuer gerungen. Damals haben Sie mir auch gesagt, es funktioniert alles nur schlecht, der Aufwertungsausgleich reicht nicht usw. Heute sagen Sie sogar, die Mehrwertsteuer ist eine gute Sache, man muß die Mehrwertsteuer erhöhen. In diesem Zusammenhang muß ich eines sagen. Es wäre vielleicht viel leichter gewesen, nur mit der Mehrwertsteuer auszukommen, wenn man zur Zeit der französischen Abwertung gleichzeitig die Aufwertung vollzogen hätte. Ich muß das in aller Deutlichkeit sagen, weil der Kollege Barzel auch wieder auf dieses Thema eingegangen ist. Herr Kollege Barzel, diese Sternstunde haben Sie verpaßt; denn damals hätten Sie den Franzosen etwas abringen können. Nein, Sie haben den Franzosen die zweijährige Übergangszeit zugestanden. Damit war für die Franzosen das Rennen gelaufen bzw. - um es einmal Landwirtschaft zu sagen - die Kuh aus dem Stall. Ich hatte nichts mehr zu bieten. Darüber gibt es doch gar keinen Zweifel. Ich mußte hart darum ringen, wenigstens einen gerechten Einkommensausgleich zuwege zu bringen. Das ist eine Tatsache. Darüber müssen Sie sich einmal Gedanken machen. ({1}) - Ich rede nicht gegen Schiller, Herr Kollege Barzel, sondern ich rede über die Fakten, die damals eingetreten sind. Das Problem der Schweinepreise hat auch eine große Rolle gespielt. Deshalb möchte ich auch dazu noch kurz etwas sagen. Aus einer Pressemitteilung des Kollegen Logemann, die sich auf den Bericht eines Schweineerzeugerringes stützt, geht hervor, daß der Gewinn je Tier sehr stark schwankte: 1964/ 65: 15,30 DM, 1965/66: 41 DM, 1966/67: 28,90 DM, 1967/68: 18 DM, 1968/69: 45 DM, 1969/70: 51 DM. Ich gebe zu, daß wir zur Zeit einen miserablen Preis haben. Das ist die Situation. Herr Schulze-Vorberg, es gab sogar Zeiten, wo wir auch für die Schweine kostendeckende Preise gehabt haben. Ich würde mich freuen, wenn das bald wieder der Fall wäre. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen. So viel zu den kritischen Bemerkungen. Ich glaube, im großen und ganzen war die Debatte fruchtbar. Erstmals - auch das ist ein großer Fortschritt - haben Kanzler und Oppositionsführer in eine Agrardebatte eingegriffen. Ich bin beiden sehr dankbar dafür. Dieses Eingreifen beweist, welches Gewicht die Fragen der Landwirtschaft heute in der öffentlichen Diskussion haben und welchen Wert Opposition, Regierung und Koalition diesen Fragen beimessen. Das ist für mich eine erfreuliche Tatsache. Ich glaube auch sagen zu können, daß die Debatte folgendes bestätigt hat. Der gesetzlich langfristig abgesicherte Aufwertungsausgleich beseitigt mindestens die Schwierigkeiten auf Grund der Aufwertung. Der Grenzausgleich nach französischem Muster hätte die große Gefahr beinhaltet, daß möglicherweise eine Preisanpassung mit einem Mittelwert aus Abwertung und Aufwertung erfolgt wäre. Im übrigen hat der Aufwertungsausgleich, wie ich weiß, bei den Betroffenen inzwischen volle Zustimmung gefunden. Ich bin sehr froh darüber, daß die Landwirtschaft gerade diese Leistung der Regierung voll anerkennt. Die Zunahme der Einfuhren aus EWG-Ländern ist nicht das Ergebnis der Marktordnungen, die von dieser Regierung beschlossen wurden. Außerdem ist - ich habe es zuvor schon an Hand eines Zitates von Herrn Strauß bewiesen - der verstärkte Warenaustausch innerhalb der EWG Ziel des Vertrages. Ich komme nun auf das Thema „Rechnungseinheit zu sprechen. Ich betone noch einmal: Ich gehöre zu den ganz wenigen Abgeordneten, die bei Einführung der Rechnungseinheit auf die damit verbundene Problematik hingewiesen haben. Meine sehr verehrten Anwesenden, hier wurde heute in diesem Zusammenhang von Zeiträumen von 10 und 24 Jahren gesprochen. Hätten Sie bei der Einführung der Marktordnungen - ich war damals sogar Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Bundesminister Ertl mit Ihnen in der Koalition auch meine Warnungen mit berücksichtigt und mit derselben Intensität gleichzeitig an der Agrarpolitik einerseits und an der Wirtschafts- und Währungsunion andererseits - wobei ich natürlich berücksichtigte, daß es einmal ein Veto eines Generals in Paris gegeben hat; Herr Wehner hat darauf hingewiesen gearbeitet, bräuchten wir uns heute gar nicht über Fortschritte in der Wirtschafts- und Währungsunion zu unterhalten. Dann hätten wir nämlich schon größere Fortschritte erzielt. So hat diese Regierung aber erst mit dieser Arbeit anfangen müssen. ({2}) Auch folgendes muß ich einmal in aller Deutlichkeit sagen. Die politische Verantwortung - ich habe das in meinem Bericht nicht mit Freude, aber aus Verantwortung in aller Deutlichkeit klargelegt - bei einer möglichen Aussetzung des Grünen Dollars oder gar einer Abkehr von diesem System ist groß. Der Kollege Klinker hat in seiner Art präzise geschildert, daß eine solche Aussetzung oder Abkehr natürlich eine Renationalisierung bedeute, zumindest eine befristete Renationalisierung. Sie dürfen dann nicht sagen: Wir wollen keine Renationalisierung. Sie müßten dann auch sagen: Wir wollen eine Renationalisierung. Das bedeutet möglicherweise auch die Aufhebung der Zollunion für den gewerblichen Sektor in der gesamten EWG. Auch das müssen Sie der deutschen Öffentlichkeit und den betroffenen Bürgern und Bürgerinnen sagen. ({3}) Ich freue mich, daß wenigstens das Förderungsprogramm, wenn auch mit gewissen Nuancen, inzwischen doch eine weitgehende Zustimmung findet - auch bei den Betroffenen, Herr Kollege Kiechle, mit Ausnahme von denen, die nicht die Wahrheit erfahren. - Ich sehe, die Zeit ist um; ich mache es kurz. - Ich kann nur sagen, daß Hearing hat das eine erwiesen, daß es dazu keine Alternative gibt, und man sollte dann wenigstens, wenn man sonst die Meinung der Wissenschaftler zur Kenntnis nimmt, auch diese Meinung der Wissenschaft zur Kenntnis nehmen. Im übrigen, Herr Kollege Kiechle, empfehle ich Ihnen ganz besonders das Buch von Hermann Höcherl zur Lektüre, damit Sie hier einmal klare Erkenntnisse sammeln können. Das ist vielleicht ganz gut, damit Sie das wissen. Sie sehen, wie sehr ich mich um Kontinuität bemühe - nicht immer aus Freude, sondern aus Verantwortung heraus. - Ja, bitte, Herr Schulze-Vorberg.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, da Sie jetzt immer wieder Herrn Höcherl zitieren: Ich hatte mir heute morgen erlaubt, Sie zu zitieren, und ich könnte hier zwanzig Belege dafür bringen, daß Sie in der Zeit der Großen Koalition -

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich bitte, Ihre Frage zu stellen.

Dr. Max Schulze-Vorberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage: Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Reden in der Zeit der Großen Koalition, in denen Sie immer wieder einen Kardinalpunkt Ihrer Agrarpolitik herausgestellt haben, nämlich den kostendeckenden Preis, und können Sie uns in kurzen Strichen -- weil die Zeit so weit fortgeschritten ist -- einmal darlegen, was Sie in den 18 Monaten auf diesem Gebiet erreicht haben? Denn als Sie die Forderung aufstellten, gab es ja die EWG mit all dem, was Sie beschrieben haben, auch schon.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Kollege, das Fragezeichen ist schon gesetzt, jetzt ist es ein Punkt.

Josef Ertl (Minister:in)

Politiker ID: 11000493

Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß es beispielsweise bis in das Jahr 1970 hinein kostendeckende Preise für Schweine gegeben hat. ({0}) - Herr Schulze-Vorberg, Sie haben selber gesagt, Sie seien in einem agrarpolitischen Lernprozeß. Dann lassen Sie sich einmal von Ihren Kollegen darüber aufklären, was ein Zyklus bedeutet. ({1}) Ich bin jetzt nicht in der Lage, Sie über den Zyklus bei den Schweinen aufzuklären; aber ich bin gern bereit, Ihnen ein Privatissimum zu lesen, weil ich das bei einem so bedeutenden Kollegen gern tue. Ich glaube - und damit darf ich zum Schluß kommen -, diese Debatte war zum erstenmal keine ausgesprochene „grüne" Debatte, sondern sie war eine Debatte, die die gesamte landwirtschaftliche Problematik in unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung eingebettet hat. Das freut mich, und wenn dabei auch herauskommt, daß es allen ernst ist um Fortschritte in der Agrarpolitik, die sicherlich nicht leicht zu erzielen sind, daß es allen ernst damit ist, der Landwirtschaft zu helfen, dann, kann ich nur sagen, hat diese Debatte sicherlich ihren Zweck vollauf erfüllt. Für mich hat sie dann vielleicht mindestens die Befriedigung gebracht, daß ich sagen kann, das Interesse an den Problemen der Agrarpolitik hat zugenommen. Eines aber lassen Sie mich zum Schluß noch in aller Deutlichkeit feststellen: Es gibt das Korsett der EWG, und dieses Korsett der EWG hat auch die Opposition mit zu verantworten - nicht allein, aber mit zu verantworten. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auch in Ihren Anträgen und Ihren Bemühungen letzten Endes zu berücksichtigen, was Sie selbst in langjähriger Verantwortung mit gestaltet haben. Im übrigen glaube ich, daß ich diese Debatte als einen fruchtbaren Beitrag bezeichnen kann. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird in der Aussprache weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Bevor ich zur Abstimmung komme, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß auf der DiplomaVizepräsident Dr. Jaeger tentribüne eine Delegation des Bayerischen Senats unter der Leitung des Herrn Vizepräsidenten Walter Roth teilgenommen hat. Ich heiße die Herren Senatoren herzlich willkommen. ({0}) Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Agrarbericht 1971 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Dann liegen Ihnen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der CDU/CSU Umdrucke 161 t) und 162 **) vor. Soweit ich informiert bin, hat man sich interfraktionell darauf geeinigt, den Antrag Umdruck 161 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Der Antrag Umdruck 162 soll an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Auf Drucksache VI/ 1812 liegt Ihnen der Antrag des Ausschusses vor. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Damit kommen wir zu den Zusatzpunkten. Ich schlage Ihnen vor, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichgesetzes auf Drucksache VI/ 1932 an den Finanzausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Sodann schlage ich Ihnen vor, den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte auf Drucksache VI/ 1933 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Schließlich bitte ich, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes auf Drucksache VI/ 1934 an den Finanzausschuß - federführend - sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. ') Siehe Anlage 2 ") Siehe Anlage 3 Nun, meine Damen und Herren, rufe ich Punkt 4 der gedruckten Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Rahmengesetzes über die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens ({1}) - Drucksache VI/ 1784 - b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes - Drucksache VI/ 1873 Das Wort zur Begründung des Entwurfs der Bundesregierung erteile ich dem Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.

Hans Leussink (Minister:in)

Politiker ID: 11005298

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß trotz der vorgerückten Stunde auf der fruchtbaren Grundlage einer Agrardebatte eine Diskussion über ein wesentlich spröderes Thema ebenfalls fruchtbar sein kann. Die Bundesregierung legt heute dem Deutschen Bundestag mit dem Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes eine Vorlage für eines der wichtigsten Vorhaben ihres bildungspolitischen Programms vor. Dieses Programm hat sie bekanntlich in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 mit an die Spitze der vorzunehmenden Reformen gestellt. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Maßnahmen, die miteinander in einem engen Zusammenhang stehen und erst in ihrer Zusammenfassung das Konzept ergeben, das die Öffentlichkeit unseres Landes seit langem und mit zunehmender Dringlichkeit von ihrer Regierung und ihrem Parlament erwartet. Ich betone hier diesen Gesamtzusammenhang noch einmal, weil uns von der Opposition in den Strukturdebatten immer wieder das angeblich fehlende Finanzkonzept und in den Finanzdebatten das angeblich ungenügende Strukturkonzept vorgeworfen wird, und zwar, wie ich glaube, zu Unrecht: Ich erinnere an die Priorität der Bildungsreform in der Finanzplanung, die wir an der Steigerung des Etats meines Hauses deutlich gemacht haben. Aber man kann nicht in einem Rahmengesetz für das Hochschulwesen etwa auch noch die finanziellen Dinge so nebenbei mit ansprechen. Ich erinnere ferner an das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Planungsausschuß für den Hochschulbau und in der Bund-Länder-Kommission für die Bildungsplanung, wo wir gegenwärtig gemeinsam, Bund und Länder, den ersten Rahmenplan für den Hochschulbau, den Bildungsgesamtplan und das Bildungsbudget aufstellen. Ich nenne als weitere Vorhaben das Graduiertenförderungsgesetz, das Hochschulstatistikgesetz, das Ausbildungsförderungsgesetz. Ich nenne schließlich unsere Überlegungen zur Reform des Laufbahnwesens, zu einer neuen Hochschullehrerbesoldung sowie zu einem Rahmenkonzept zur Bildung in der Bundeswehr und schließlich die Leitlinien zur Demokratisierung der Bundesminister Dr.-Ing. Leussink Forschungseinrichtungen, vor allem soweit sie vom Bund abhängen. Meine Damen und Herren, als Grundlage für alle diese Maßnahmen hat die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Bildungspolitik ein geschlossenes Konzept für den Ausbau unseres Bildungswesens formuliert, das alle Bereiche von der Vorschulerziehung über die Schul- und Berufsbildung bis zum Hochschulwesen und bis zur Weiterbildung einschließt und - was das Wichtigste ist - aufeinander bezieht. Damit, meine Damen und Herren, wollen wir das Bürgerrecht auf Bildung, an dem wir nicht herumdeuteln lassen und das wir auch durch Ausdrücke wie „Anspruchsdenken" oder „Nulltarif" oder durch andere kesse Politologismen nicht abqualifizieren lassen, für alle Schichten und Altersgruppen verwirklichen helfen und zugleich dem Bedarf der Gesellschaft an möglichst hochqualifizierten Fachkräften gerecht werden. Das alles steht unter der Überschrift: Verbindung von Demokratisierung und Effizienz. Wir lassen uns auch nicht einreden, daß diese beiden Begriffe in einem unauflöslichen Gegensatz stünden, und wir scheuen uns auch nicht, Leistungen zu fordern, Leistungen des Hochschulsystems insgesamt und Leistungen des einzelnen Hochschullehrers und der Studenten. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf für das Hochschulwesen verfolgen wir folgende Ziele: einmal ein leistungsfähiges und zugleich wandlungsfähiges Hochschulsystem, das den zukünftigen Entwicklungen in der Wissenschaft und den Anforderungen der Gesellschaft 'Rechnung trägt. Für uns ist der sogenannte gesellschaftliche Bedarf keineswegs tabu. Auch das möchte man uns ja allzu gern immer wieder einreden. Mit diesem Bedarf ist es nun leider so, daß man ihn in einigen Gebieten sehr wohl, in anderen Gebieten praktisch überhaupt nicht bestimmen kann. In den östlichen Ländern etwa kann man zu diesem Thema, vor allem zur Fragwürdigkeit solcher Betrachtungen, viel Interessantes lernen. Aber wir können uns gewiß darauf einigen, daß wir auf alle Fälle den gesellschaftlichen Mindestbedarf, soweit er erkennbar ist - das gilt z. B. für die Lehrer und das Gesundheitswesen -, decken müssen. Zweitens wollen wir ein Hochschulsystem, das durch ein differenziertes Studiensystem die Chancengleichheit aller auch im Hochschulbereich so weit wie nur irgend möglich verwirklicht. Drittens wollen wir ein Hochschulsystem, das sich in den Rahmen einer umfassenden, in sich schlüssigen Bildungsplanung einfügt. Viertens wollen wir ein demokratisches Hochschulsystem, in dem die Willensbildung der Hochschule von allen in ihr Tätigen getragen wird, das gleichzeitig aber die Freiheit von Forschung und Lehre gewährleistet. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es über diese hochschulpolitischen Ziele, die zugleich wichtige gesellschaftspolitische Richtwerte sind, an denen sich Stagnation oder Innovation unserer Gesellschaft entscheiden, unter allen Beteiligten, auch hier in diesem Hause zwischen Koalition und Opposition, keine grundlegenden Meinungsverschiedenheiten gibt. Einig sind wir uns wohl auch darüber, daß unser traditionelles Hochschulsystem diesen Anforderungen seit langem nicht mehr gewachsen ist. Der Entwurf des Hochschulrahmengesetzes stellt in der deutschen Verfassungsgeschichte das erste Gesetzesvorhaben des Gesamtstaates zur Neuordnung des Hochschulbereiches dar. Der Bund hat den Auftrag dafür durch eine Verfassungsänderung erhalten, die aus der Mitte dieses Hohen Hauses zur Zeit der Großen Koalition initiiert wurde. Die Länder sahen sich damals schwierigen Problemen konfrontiert, die der Landesgesetzgeber allein nicht lösen konnte. Die Frage der Strukturierung des gesamten Hochschulbereichs spielte bei der Schaffung der Bundeskompetenz eine zentrale Rolle. Hier bestand die, wie ich meine, berechtigte Sorge, daß die sich abzeichnende Gesetzesvielfalt zu einem Verlust der notwendigen Einheitlichkeit in den Grundstrukturen des Hochschulsystems und damit zu einer Beeinträchtigung der Einheit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik führen könnte. Einheitliche Lebensverhältnisse sind kein theoretischer Wert an sich, sondern sie bedeuten im Zusammenhang mit dem hier zu Besprechenden z. B. die Verbesserung der regionalen Chancengleichheit für unsere Bürger. Es gibt, wie Sie wissen, Stimmen, die trotz dieser divergierenden Entwicklung zwischen den Ländern und auch zwischen den Bereichen des Hochschulwesens dem Bundesgesetzgeber raten, die Rahmenkompetenz zunächst in Reserve zu halten. Die entschiedene Antwort hierauf muß meines Erachtens lauten: Nachdem in den Ländern in den letzten drei Jahren etwa 30 Gesetze und Gesetzentwürfe vorgelegt worden sind, die die Probleme nicht zufriedenstellend meistern konnten, hat jetzt notgedrungen der Bundesgesetzgeber das Wort. Das Mandat dazu ist ihm auch von den Ländern gegeben worden. Auch die Länder warten darauf - bei unterschiedlichen Auffassungen im einzelnen , daß der Bundesgesetzgeber handelt. So hat z. B. der derzeitige Präsident der Kultusministerkonferenz sowohl in dieser Eigenschaft als auch als Landesminister dieser Erwartung in den letzten Wochen eindeutig Ausdruck gegeben, ungeachtet der Unterschiede, die in einigen Fragen zweifelsohne bestehen. Das ist offensichtlich auch die Auffassung der Opposition, denn sonst hätte sie keinen eigenen Entwurf vorgelegt. Der Bund würde seiner politischen Verantwortung ausweichen, wenn er den Rahmen so ziehen würde, daß das vorhandene auseinanderstrebende Landesrecht weitgehend unverändert übernommen wird. Dies war bei der Entwicklung unserer Konzeption deshalb nicht das maßgebliche Kriterium. Es ging uns nicht um einen zweiten Aufguß. Die entscheidenden Ansätze des Entwurfs finden sich so bisher nirgendwo oder jedenfalls nicht in dieser Konsequenz. Ich nenne einige Beispiele, die ich aber nur kurz skizzieren kann: einmal die funktionale Einheit des Hochschulwesens. Es ist ein entscheidender Schritt zur Schaffung eines klar gegliederten, überschau6238 baren Hochschulsystems, daß der Entwurf nicht mehr nach unterschiedlichen Hochschularten differenziert. Wir verfolgen damit das Ziel, die institutionellen Schranken sowie die nicht mehr gerechtfertigten statusmäßigen Unterschiede, z. B. zwischen Fachhochschulen und traditionellen Universitäten, abzubauen und damit den Weg zu einer Gesamthochschule frei zu machen, d. h. zu einem nun nicht mehr vertikal, sondern hoffentlich horizontal gegliederten Hochschulsystem. Hier liegt sicherlich einer der entscheidenden neuen Ansätze des Entwurfs. Weiter geht es um den Abbau der überkommenen Personalvielfalt im Hochschulwesen. Die Personalstruktur ist künftig allein an den in der Hochschule auszuübenden Funktionen auszurichten. Das bedeutet vor allem: Abschaffung des sogenannten lehrenden Mittelbaus, der heute Professorenfunktionen ohne Professorenstatus hat, Abschaffung des persönlich abhängigen Assistenten sowie Beseitigung aller hierarchischer Über- und Unterordnungsverhältnisse, soweit sie von der Sache her nicht mehr gerechtfertigt sind, Einführung des Assistenzprofessors und damit eine Objektivierung der Qualifikation für den Professor. Über die Personalstruktur, für die die Bundesassistentenkonferenz konstruktive Vorarbeit geleistet hat, besteht, wenn ich es richtig sehe, heute weitgehende Übereinstimmung zwischen Koalition und Opposition ebenso wie zwischen dem Bund und den Ländern. Sie hat auch in dem Entwurf der CDU/CSU- Fraktion Berücksichtigung gefunden. Drittens geht es um die Regelung des Verhältnisses Hochschule - Staat nach dem ebenfalls allgemein anerkannten Prinzip der Partnerschaft. Diese ist von der Überlegung bestimmt., daß die notwendige sachliche Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung - daran kann es wohl kaum einen Zweifel geben - zwischen Selbstverwaltung einerseits und Staatsverwaltung andererseits mit den überkommenden Schlagworten von Autonomie hier und Staatsaufsicht dort nicht mehr hinreichend bestimmt und beschrieben werden kann. Viertens geht es um die Einführung eines abgestuften Planungssystems, in dem Hochschule, Land und Bund zusammenwirken. Diese Bestimmungen über die Planungsprozesse haben übrigens schon, ehe sie auf Bundesebene verbindlich geworden sind, bei neueren Landesgesetzen oder Landesgesetzentwürfen Pate gestanden. Fünftens geht es um die Neuregelung des Hochschulzugangs mit dem Ziel, das Gesetz offenzuhalten für die sich abzeichnenden Reformen im Sekundarschulbereich, ohne diese Reformen dort etwa vorwegzunehmen. Diesen Reformen, die zur Zeit in der Bund-Länder-Kommission diskutiert werden, wird zum erstenmal durch ein Hochschulgesetz der Weg geebnet werden, soweit dabei die Hochschulseite betroffen ist. Sechstens - und zwar last not least, es ist das Kernstück des Ganzen -- geht es um die Initiierung und die Förderung der Studienreform vor allem durch das Schaffen eines überregionalen, interdisziplinären und alle Hochschularten abdeckenden konkreten Instrumentariums. In den dafür nach dem Entwurf vorgesehenen Kommissionen wird sicher die eigentliche fachliche Arbeit geleistet werden müssen. Deshalb müssen in ihnen nach unserer Meinung anders als in den bestehenden gemeinsamen Einrichtungen etwa der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz im wesentlichen diejenigen entscheiden, die in diesen Fragen in erster Linie urteilsfähig sind, nämlich die Mitglieder der Hochschulen. Neu ist auch, daß in diesen Kommissionen ebenfalls die gesellschaftlichen Gruppen, z. B. die Gewerkschaften, zu Wort kommen sollten. Das heißt natürlich auch, daß Praktiker mitberaten sollen. In dem Entwurf haben ferner diejenigen Essentials Eingang gefunden, die der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen zur Struktur- und Verwaltungsorganisation der Hochschulen als unverzichtbar für die Stärkung der Handlungsfähigkeit - und hieran fehlt es ja weitgehend - bezeichnet hat, z. B. die Leitung der Hochschule durch einen mehrere Jahre amtierenden Präsidenten - er kann selbstverständlich auch anders heißen - und der Grundsatz der sogenannten Einheitsverwaltung. Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auf das Konzept der Gesamthochschule etwas ausführlicher eingehen, weil hier offensichtlich noch viele Mißverständnisse bestehen. Der wichtigste Aspekt der Gesamthochschule ist, um es auf eine ganz kurze Formel zu bringen, für die Bundesregierung folgender: das Ermöglichen eines differenzierteren Angebots von abgestuften, aber aufeinander bezogenen Studiengängen und entsprechenden Abschlüssen sowie die dadurch erzielte Offenheit und Durchlässigkeit des Systems. Die Gesamthochschule - so wie wir sie verstehen und wie sie in der bildungspolitischen Diskussion der letzten Jahre als integrierte bezeichnet wird --- ist also nicht die bloße Addition und regionale Konzentration bestehender Hochschultypen; sie ist vielmehr - dafür hat sich nach meinem Eindruck im letzten Hearing des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft am letzten Freitag die eindeutige Mehrheit der Sachverständigen ausgesprochen die organisatorische Konsequenz einer inhaltlichen Veränderung, nämlich eines veränderten Studiensystems, einer Studienreform. Ein bloß organisatorischer Zusammenschluß bestehender Vereinigungen wäre allerdings der oft zitierte Etikettenschwindel. Demnach ist der Ausgangspunkt aller Maßnahmen zur Hochschulreform, um es noch einmal deutlich hervorzuheben, die durchgreifende Studienreform, d. h. die Neubestimmung der Studieninhalte und der Studienziele. Wir sollten uns daher, bevor wir uns über die Begriffe auseinandersetzen, zunächst einmal über die Sache unterhalten, auf die es ankommt, und das ist die Beschreibung des integrierten und zugleich differenzierten Studiensystems. Die Forderung lautet - ich glaube auch, unbestritten von allen Teilhabern an der Diskussion -: größtmögliche Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Ausbildungsangeboten, und zwar sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung. Sie lautet weiter: Flexibilität des Studiensystems, cl. h. Wegfall der heute vorhandenen Sackgassen; Möglichkeit des einzelnen, seine Ausbildungsentscheidung auch zu revidieren; Beseitigung der Diskriminierung zwischen verschieden langen Studiengängen. „Integriert" bedeutet hier: alle Studiengänge sind wissenschaftsbezogen, auch dort, wo es sich später nicht um forschende Tätigkeit im engeren Sinne, sondern um sehr praktische Tätigkeiten handeln wird. Die Mehrzahl der Studiengänge ist auch berufsbezogen, d. h. sie bereiten nicht auf enge Berufe vor, sondern auf weitere berufliche Tätigkeitsfelder. Alle Studiengänge gleicher fachlicher Grundlage, die bisher in verschiedenen Hochschularten isoliert waren, werden unabhängig davon, ob sie mehr forschungsbezogen oder mehr praxisorientiert sind, in Fachbereichen curricular und organisatorisch miteinander verbunden. Ich nenne als Beispiel die immer wieder zitierte Verbindung von Forschung und Lehre, etwa zwischen einer bisherigen Technischen Hochschule und den praxisbezogenen Studiengängen einer Fachhochschule technischer Richtung. In allen Studiengängen gleicher fachlicher Grundlage - wie gesagt, unabhängig davon, ob sie mehr forschungs- oder praxisorientiert sind, ob sie von kürzerer oder längerer Dauer sind - lehrt dieselbe Gruppe von Hochschullehrern. Sie werden sich natürlich durch ihre persönliche Leistung unterscheiden, aber nicht mehr durch ihren korporationsrechtlichen Status. Das System ist insofern differenziert, als erstens innerhalb derselben Fachrichtung nach Inhalt und Dauer unterschiedliche, aufeinander bezogene Studiengänge angeboten werden, als zweitens den Tätigkeitsfeldern, welche die Berufswelt für die unterschiedlichen Arten und Stufen wissenschaftlich orientierter Ausbildung bietet, ein System differenzierter Abschlüsse geschaffen wird. Es bietet dem einzelnen die Chance, den Abschluß zu erreichen, der seiner individuellen Befähigung und Neigung entspricht. Mit anderen Worten: ein System beruflicher Ausstiege nach kürzeren oder längeren Strekken, die Möglichkeit des Umsteigens mit passenden Anschlüssen und des Neueinstiegs im Zuge des lebenslangen Lernens, von dem wir Kenntnis nehmen müssen. Die Studenten nehmen nach Maßgabe ihres Studienziels und Studieninhalts sowie der erreichten Studienphase an der Forschung ihres Faches teil. Es gibt für die Zuordnung der verschiedenen Studiengänge bereits eine Reihe von Modellen, die ich schlagwortartig als konsekutiv, als alternativ oder als eine Mischung aus beidem hier andeuten möchte. Ich sage dies, weil uns die Opposition vorhält, es bestünden noch keine klaren inhaltlichen Vorstellungen. Man schaue doch einmal in die detaillierten Empfehlungen des Wissenschaftsrats für die Zeit nach 1970, man schaue auf die Entwicklung in Kassel. Wenn man sagt, es gebe heute noch keine funktionierende integrierte Gesamthochschule, so ist dem natürlich zuzustimmen. Ich glaube, die Ausführungen des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz gerade zu diesem Punkt am letzten Freitag waren einfach überzeugend. ({0}) Sie waren für mich überzeugend. ({1}) Die integrierte Gesamthochschule kann es nämlich heute deswegen noch gar nicht geben, weil erstens die gesetzliche Grundlage fehlt und man zweitens ein bestehendes System nicht von heute auf morgen umkrempeln kann. Aber es war doch für mich sehr beeindruckend - ich betone das noch einmal: sehr beeindruckend -, mit welcher Eindeutigkeit Präsident Rumpf als Vertreter sämtlicher Hochschulen in der Bundesrepublik darauf bestanden hat, daß das Ziel wenigstens klar angegeben sein müsse. Man mag von der WRK im einzelnen halten, was man will: Man kann doch sicher nicht behaupten, die Rektoren und Präsidenten verstünden nichts von der Sache, von der sie reden. Mindestens muß man ihnen konzedieren, daß sie das, was sie propagieren, selber ausbaden müssen, wenn es eingeführt ist. ({2}) Es ist selbstverständlich, daß in einem solchen System das Leistungsprinzip mehr als bisher Gradmesser dafür ist, in welchem Maße der einzelne die vielfältigen Angebote ausschöpfen kann und will. Nicht Versuch der Gleichmacherei, sondern Chance zur Entfaltung bei entsprechender Leistung ({3}) ist die Devise! Wenn die Opposition uns das Gegenteil unterstellt, so ist das eben eine Unterstellung. Wenn wir auch in diesem Hohen Hause über die Notwendigkeit einer Rationalisierung unserer Hochschulausbildung durch ein integriertes und differenziertes System, wie es sich ja auch im Ausland entwickelt - alle gegenteiligen Aussagen stimmen nicht -, zu einer gemeinsamen Position kämen, würde dies sicherlich auch in der Öffentlichkeit starke Beachtung finden. Die Regierungsvorlage wurde so gefaßt, daß sie diese gemeinsame Position ermöglicht. Aus diesem Grunde haben wir im Gesetzestext von den Begriffen „integriert" und „kooperativ" im Zusammenhang mit der Gesamthochschule abgesehen, weil wir keine durch Begriffe künstlich aufgerissenen Gräben schaffen möchten. Das Ganze ist auch für uns keine ideologische Frage. ({4}) - Das ist längst bekannt, wenn man nur hören wollte! Wir haben deshalb in § 5 Abs. 3 des Entwurfs, der zwar keineswegs von unseren studentischen Kritikern, wohl aber von den Gegnern der Gesamthochschule immer geflissentlich übersehen wird, ausdrücklich gesagt --- ich darf zitieren, Herr Präsident --: Bei der Schaffung von Gesamthochschulen ist dafür Sorge zu tragen, daß die Gesamthoch6240 schule sowohl an Größe, Struktur und den in ihr vertretenen Fachrichtungen sowie nach den räumlichen Gegebenheiten ihre Aufgabe wirksam wahrnehmen kann. Soweit das Zitat aus dem Entwurf. ({5}) - Ich glaube, das ist ein verständliches Deutsch. Ich bin selbstverständlich gern bereit, darüber im Ausschuß längere Ausführungen zu machen, wenn Sie nicht wissen, was das heißt. Wo diese nach den Feststellungen des betreffenden Landes nicht der Fall ist, kommt keine Integration - auch das sieht der Entwurf ja ausdrücklich vor -, sondern nur eine Zusammenarbeit der Hochschulen in Betracht. Diese Vorschrift besagt ferner, daß wir eben nicht, wie immer wieder unterstellt wird - ich glaube, gar nicht einmal böswillig -, unüberschaubare Hochschulmonstren schaffen wollen, wie dies verschiedentlich befürchtet wird. Man muß sich auch von den Vorstellungen frei machen, es ginge bei der Gesamthochschule darum, möglichst viele wissenschaftliche Disziplinen unter einem Dach zu vereinigen. Dieses traditionelle Ideal der Universitas ist nun doch wohl längst überlebt. Wir kennen auch sehr wohl die Sorge der Flächenstaaten, besonders soweit sie nicht zu den wohlhabenderen gehören, ob sie die Dinge in einer relativ kurzen Zeit bewerkstelligen können. Aber wenn man die zitierte Bestimmung genau liest, sieht man, daß es durchaus Möglichkeiten gibt, Hochschulen, bestehen zu lassen, die man vernünftigerweise nicht integrieren kann. Offenbar - warum sollte man darüber nicht reden - macht aber die Fassung der Regierungsvorlage das immer noch nicht klar genug. Wir müssen dann eben in den Ausschüssen noch über die gesetzestechnische Seite dieses Komplexes reden. Es handelt sich für uns um eine Zielvorstellung, die sinnvoll weder als lockere Soll-Vorschrift noch als eine enge Muß-Vorschrift gefaßt werden kann, sondern nur - wie geschehen - als ein in die Zukunft weisendes Programm. Daß dieses nur schrittweise zu verwirklichen ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Zielvorstellung - darüber gibt es auch keinen Zweifel - ist von keinem Bundesland völlig abgelehnt worden. Die Meinungsunterschiede zwischen Bundesregierung und Bundesrat bestehen im wesentlichen über den Grad der Verbindlichkeit der Regelung und über das Tempo, das es einzuschlagen gilt. Ich bin davon überzeugt, daß eine den Sachnotwendigkeiten entsprechende Lösung gefunden werden kann, die letztlich auch die Opposition akzeptieren kann. Dies fällt ihr vielleicht leichter, wenn ich sage, daß die Gesamthochschule trotz vieler Gemeinsamkeiten mit dem Komplex der Gesamtschule die Entscheidung in dieser Hinsicht nicht präjudizieren wird und nicht zu präjudizieren braucht. Die Gesamthochschule kann auch der bejahen, für den die Gesamtschule noch eine offene Frage ist. Wenn wir jedoch nicht jetzt langfristige Entscheidungen treffen, werden wir die gleichen Probleme in fünf oder zehn Jahren immer noch bzw. erneut auf unseren Tischen haben. Der Entwurf sichert die Freiheit von Forschung und Lehre und garantiert zugleich die funktionsgerechte Mitwirkung aller Mitgliedergruppen an der Willensbildung. Gerade weil wir für mehr Demokratie auch in der Hochschule sind, müssen wir auch Vorkehrungen gegen offenkundigen Mißbrauch und gegen sachwidrige Forderungen treffen. Wir sind für eine Vertretung aller Mitgliedsgruppen in allen Kollegialorganen. Wir sind aber gegen jede Art von Plebisziten, insbesondere in Fragen der Forschung und der Berufung. Und wir sind natürlich auch gegen das imperative Mandat. Was wir meinen, ist die Transparenz der Entscheidungsprozesse, die Berücksichtigung aller wesentlichen Gesichtspunkte bei den Beratungen, den Zwang zur Begründung der Entscheidungen - also hier keine Entscheidung par ordre de Mufti -, den Zwang zur Kooperation und Diskussion, die Abschaffung von Privilegien, die an formale Berechtigungen gebunden sind. Die gesellschaftliche Kontrolle der Hochschule ist jedoch nicht Sache der Hochschulmitglieder und sicher nicht Sache einzelner Gruppen, sondern des demokratisch legitimierten Staates, d. h. letztlich der Parlamente. ({6}) Wir sind von jeder Demokratisierungseuphorie ebenso frei, wie es die Opposition von sich behauptet. Wir schlagen ein pragmatisches Modell vor. Die Hochschulen sollten im Laufe der Jahre verschiedene Mitwirkungsmodelle erproben. Keiner weiß bereits heute, wo das Optimum liegt in dem dreidimensionalen Problem der gewollten Demokratisierung, des Zwangs zur Leistung und der Dauerbereitschaft einer genügenden Zahl engagierter Mitglieder der Hochschulgruppen, erhebliche Zeit für die Mitarbeit in den verschiedenen Gremien zu opfern. ({7}) Dann sind wir ja einig, das ist ja gut. Deswegen haben wir der Versuchung widerstanden, die Paritäten festzuschreiben. Jedenfalls wir haben dieser Versuchung widerstanden. Art und Umfang der Mitwirkung des einzelnen bedürfen einer sachgerechten Differenzierung nach den Aufgaben der Gremien und nach den Funktionen der Mitglieder. Dies ist eben der Grundsatz der funktionsgerechten Mitwirkung, wie er auch dem Entwurf der Opposition zugrunde liegt. Danach ist maßgebend der Gesichtspunkt der Kontinuität forschungspolitischer Entscheidungen, die gewiß keine abrupt wechselnden Mehrheiten verträgt. Zweitens sind folgende Gesichtspunkte wichtig: eigene Erfahrung besonders in der Forschung, Urteilsfähigkeit und Qualifikation. Diese Bundesregierung weiß sehr wohl, wie lebenswichtig für unser politisches System die Freiheit von Forschung und Lehre ist, und sie läßt sich in der Verantwortung für diese Freiheit von niemandem übertreffen. ({8}) - Es ist so! Dies geschieht im Entwurf unter anderem durch die erwähnte Mitwirkungsregelung, ferner durch die Verhinderung aller Tendenzen, den kleinen, nicht ausreichend legitimierten Minderheiten ausschlaggebende Positionen einzuräumen - dies ist der Sinn des sogenannten Quorums -, und schließlich durch die Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes, der die Wissenschaftsfreiheit verbürgt. Wir haben in der Begründung klar zum Ausdruck gebracht, daß Hochschule und Staat verpflichtet sind, die Voraussetzungen für eine freie Wissenschaft zu schaffen und zu sichern. Der Umfang dieses Freiheitsrechts ergibt sich aus dem Grundgesetz selbst. Ein einfaches Gesetz kann und darf nach meiner Meinung nicht daran herumzudeuteln versuchen. Deswegen halte ich es für bedenklich, daß der Oppositionsentwurf, aus welchen Motiven auch immer, den Inhalt des Verfassungssatzes gesetzlich zu detaillieren versucht. Das wird immer eine sehr unvollkommene Sache bleiben. Wir hatten von Anfang an die Richtschnur, ein nüchternes Gesetz zu machen, das auf Deklamationen und auf Leerformeln verzichtet. Wenn Herr Kollege Althammer neulich in der Haushaltsdebatte rühmte, die CDU/CSU habe einen wesentlich ausführlicheren Gegenentwurf vorgelegt, so ist damit natürlich noch gar nichts über die Qualität eines solchen Gegenentwurfs gesagt. ({9}) Insgesamt muß man doch feststellen, daß dieser Gegenentwurf die notwendigen Veränderungen weniger entschieden anpackt als der Regierungsentwurf. ({10}) Lassen Sie mich auch das Problem der „Roten Zellen" ganz offen ansprechen. Hier wird von der Opposition immer so schnell auf Berlin gezeigt, obwohl es auch ein München, ein Heidelberg und verschiedene andere Hochschulstädte gibt. ({11}) Es ist also offensichtlich für dieses Problem nicht entscheidend, ob ein Hochschulgesetz überhaupt vorhanden ist bzw. ob es so oder so aussieht. Die ideologisch begründete Parteischulung ({12}) -- hören Sie sich doch an, was ich sagen will -, wie sie einige militante Minderheiten wollen, weil sie sich im Besitz der alleinigen Wahrheit wähnen, will die Bundesregierung nicht, wollen die Landesregierungen nicht und wollen auch die Verantwortlichen in den Hochschulen nicht. Wir alle bejahen den Wissenschaftspluralismus, natürlich nach allen Seiten. Der Staat, dem die dafür erforderlichen Mittel durchaus zu Gebote stehen, wird seine Verantwortung wahrnehmen müssen. ({13}) Abschließend noch ein Wort zu der Resonanz, die der Entwurf in der Öffentlichkeit gefunden hat. Die Bundesregierung hat bei der Vorbereitung dieses Entwurfs insofern einen neuen Weg gewählt, als sie die Öffentlichkeit von Anfang an intensiv beteiligt hat. Die damit provozierte Diskussion hat erwartungsgemäß auch scharfe Kritik gebracht, die zum Teil sehr lautstark vorgebracht worden ist. Heute können wir aber feststellen, daß sich eine nüchterne Betrachtungsweise weitgehend durchgesetzt hat, wie sich z. B. im schon zitierten ersten Teil des Schlußhearings des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft gezeigt hat. Hier ergab sich ein großes Maß an Übereinstimmung der Verbände mit dem Regierungsentwurf, vor allem in der Frage der Gesamthochschule. Auch das Maß der Übereinstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesrat ist größer, als es die umfangreichen Änderungen, die der Bundesrat im ersten Durchgang vorgeschlagen hat, erkennen lassen. Vor allem wurde übersehen, daß der Bundesrat gegen das Gesetz insgesamt keine Einwendungen erhoben hat, und daß kein Land -- wie dies bei anderen Gesetzesvorlagen im ersten Durchgang manchmal durchaus geschieht - die Verweigerung seiner Zustimmung angekündigt hat. Die Bundesregierung war im übrigen über die Änderungsvorschläge nicht überrascht. Es gibt eben einige Meinungsverschiedenheiten, die auf unterschiedlichen bildungspolitischen und auch gesellschaftspolitischen Auffassungen beruhen, und die müssen ausdiskutiert werden. Die Bundesregierung hat es nicht als ihre Aufgabe angesehen, dem Bundestag einen Entwurf vorzulegen, in dem die unterschiedlichen Auffassungen durch nichtssagende Leerformeln überdeckt und um jeden Preis auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht worden wären. Die Entscheidung über die grundsätzlichen Fragen des Entwurfes ist nun zunächst Sache dieses Hauses. Meine Damen und Herren, viele Jahre, ja Jahrzehnte hindurch ist die Lage der Hochschulen - in den letzten Jahren also die Hochschulkrise - auf Bundesebene entweder überhaupt nicht oder nur sehr zaghaft behandelt worden. Das hat, wie wir wissen, verschiedene Ursachen gehabt, auch solche verfassungsrechtlichen Ursprungs. Aber wir sind uns doch wohl dahin gehend einig, daß jetzt gehandelt werden muß. Die Bundesregierung hat hierzu den konkreten Anstoß gegeben. Also lassen Sie uns jetzt zügig handeln. ({14})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zur Begründung des Entwurfs der Fraktion der CDU/CSU hat der Abgeordnete Dr. Martin.

Dr. Berthold Martin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001426, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ton, in dem der Minister heute gesprochen hat, unterscheidet sich von dem, den er in der vorigen Woche -- ich hätte beinahe gesagt: an sich hatte. Er hat dann zum Schluß gesagt: laßt uns handeln, ohne dabei zu sagen, wer alles in diesem Plural steckt. Immerhin gab es in dieser Rede andere Akzente und auch vielleicht sogar Annäherungen. Wir haben das mit großem Interesse gehört und sind sehr gespannt darauf, wie sich die folgenden Herren zu dieser Sache einlassen werden und ob sie diese Linie im Ausschuß durchhalten. Wir werden, ohne uns heute dazu einzulassen, weil es zu kompliziert ist, die Sätze sorgfältig prüfen und uns darauf einstellen. Ich will nur einige Vorbemerkungen zu der Rede des Ministers machen. Überrascht hat mich, daß er in Verteidigung der integrierten Gesamthochschule uns auf Autoritäten wie den Präsidenten der Rektorenkonferenz usw. verweist. Das „in verba magistri iurare" war im Mittelalter hoch im Schwange; heute pflegt man lieber von seinem eigenen Kopf Gebrauch zu machen. Ich muß auch sagen, was Herr Rumpf zur Gesamthochschule gesagt hat, entsprach seinem Namen: es war ein Torso, ein Ding ohne Kopf und Beine. ({0}) Er empfahl etwas, was er nicht definieren konnte, und wir sind heute in der Definition - abgesehen von den großen Zielprojektionen, die dahinterstehen, und den sozialen Motivationen - keinen Schritt weitergekommen. ({1}) Ich würde also empfehlen, daß wir so nicht verfahren. Mit den Autoritäten hat es ja auch so seine Bewandtnis, Herr Minister Leussink. Wir alle in diesem Hause erinnern uns ja an das letzte Jahrzehnt, als der Mittelbau erfunden wurde, um die Hierarchien zu retten. Sie sind es damals gewesen, der den Politikern beschwörend nahegelegt hat, dieses Rezept zu übernehmen, weil sonst die deutsche Hochschule im Untergehen begriffen sein würde. Man sieht also, die Dinge wandeln sich, und ich könnte mich bei der Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller irdischen Dinge noch lange aufhalten; ich hätte Anlaß, etwa aus der FAZ Herrn Lohmar zu zitieren, und zwar seine damaligen massiven Angriffe auf den - wie er sagte - törichten Versuch, die Hochschulen zu demokratisieren und sie ihrem Ende entgegenzuführen, weil eben diese Drittelparität der Leistungsgesellschaft nicht angemessen sei. Aber ich will das jetzt alles weglassen und würde empfehlen, daß wir in einen gemeinsamen Lernprozeß eintreten. ({2}) Mir liegt jetzt daran, unser eigenes Gesetz zu begründen. Jedes Gesetz hat seinen Platz im Leben und entspricht einer bestimmten geschichtlichen Situation, auf die es reagieren soll, indem es diese Situation verändern möchte. Deshalb muß man sich mit dem Zustand unserer Universitäten auseinandersetzen und die Frage prüfen, wer denn von uns beiden im Gesetz die Möglichkeiten und Mittel hat, um dieser Wirklichkeit einigermaßen Herr zu werden oder neue politische Daten, neue Orientierungsdaten zu setzen. ({3}) Wer die Entwicklung der letzten Jahre analysiert, der sieht, daß in dieser Zeit Bund und Länder keine Opfer und keine Mühe gescheut haben, um Haushaltsmittel für den Ausbau und die Erweiterung unseres Hochschulwesens zur Verfügung zu stellen. Zweitens wurden die Finanzverfassung entsprechend geändert und im Hochschulbauförderungsgesetz die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, das notwendige Engagement des Bundes in diesem Bereich sicherzustellen. Nun ist, zu bemerken, daß jedoch in dem gleichen Maße, wie der Staat seine finanziellen Anstrengungen für die Hochschulen verstärkt hat, in den Hochschulen ein wachsender Verlust an innerer Funktionsfähigkeit und Effizienz eingetreten ist. Die von politischen Outsidern in unserer Gesellschaft forcierte Auseinandersetzung in den Hochschulen droht heute Milliarden für das Hochschulwesen jährlich bereitgestellte Steuergelder untergehen zu lassen, ohne daß mehr als eine wachsende Anarchie in den Hochschulen sichtbar wird. Wenn es nicht mehr zu leugnen ist, daß qualifizierte Wissenschaftler in zunehmender Zahl von den Hochschulen abwandern, wenn es nicht mehr zu leugnen ist, daß durch Terror und Boykott von Unterrichtsveranstaltungen so viel Studienplätze ungenutzt bleiben, wie durch Schnellbaumaßnahmen zum Abbau des Numerus clausus in der gleichen Zeit neu geschaffen werden können, wenn eine dem internationalen Niveau angemessene Forschung und die Gewährleistung der Krankenversorgung in den Universitätskliniken gefährdet sind, dann kann die Verantwortung des Gesetzgebers gegenüber der Gesellschaft bei der Verabschiedung eines Hochschulrahmengesetzes nicht darin bestehen, formale Vereinheitlichung des Hochschulrechts zu betreiben. ({4}) Vielmehr wird in dieser Situation vom Gesetzgeber gefordert, daß er erstens Maßstäbe setzt für eine Rückkehr unseres Hochschulwesens zu wissenschaftsgerechten Strukturen, daß er zweitens den Weg zu Reformen erkennbar abgrenzt von dem Weg zu revolutionären gesellschaftspolitischen Experimenten auf dem Rücken unseres Hochschulwesens. ({5}) Ein Hochschulrahmengesetz kann sich daher nicht damit begnügen, die Neuordnung des Lehrkörpers anzustreben und finanz- und personalpolitisch, wie wir glauben, undurchdachte Spekulationen über eine integrierte Gesamthochschule zu gesetzlich verbindlichen Muß-Vorschriften zu machen. Aufgabe dieses Hochschulrahmengesetzes ist es vielmehr, erstens ein von ideologischen und politischen Pressionen freies wissenschaftliches Arbeiten an allen Hochschulen unseres Landes zu ermöglichen. ({6}) Aufgabe des Hochschulrahmengesetzes muß es sein, Voraussetzungen zu schaffen, die dem drohenden Verlust wissenschaftlichen Niveaus entgegenwirken. Aufgabe eines Hochschulrahmengesetzes muß es sein, der Gefährdung des Studiums Einhalt zu gebieten, die sich aus der systematischen Behinderung des Lehrbetriebes und dem daraus folgenden Ausfall von Lehrveranstaltungen ergibt. Und schließlich ist es notwendig, eine verbindliche Antwort zu geben zu dem Verhältnis von Hochschule und Staat, weil dieser Staat eben die große Verantwortung für die Fragen der Ausbildung und der wissenschaftlichen Forschung selber zu tragen hat. ({7}) Der Regierungsentwurf für ein Hochschulrahmengesetz wird diesem Auftrag, wie wir glauben, nicht gerecht. Das haben nicht zuletzt auch die Beratungen des Hochschulrahmengesetzes im Bundesrat gezeigt. An dem Votum aller Länder für ein einheitliches Rahmengesetz kann kein Zweifel bestehen. Bemerkenswert ist allerdings, daß die bestehenden Meinungsverschiedenheiten nicht zwischen den Parteien bestehen, vielmehr scheinen sie dadurch bedingt, daß die Länder auf Grund ihrer unmittelbaren und direkten Erfahrungen mit den Hochschulen wissen, was praktikabel ist und was nicht. Um so mehr ist es zu bedauern, daß die Bundesregierung in wichtigen Fragen die Vorstellungen der Länder ignoriert hat und auf ihren ursprünglichen Vorstellungen beharrt, obwohl sie wissen müßte, daß hierdurch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern unnötig belastet wird. Die Vertreter der Länder hatten eine Steigerung der Effizienz und die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen im Auge, während die Bundesregierung immer noch und immer weiter an Schlagworten festhält und diese als Heilmittel einer modernen Hochschulreform verkauft. ({8}) Den Hochschulen selbst ist es im vergangenen Jahrzehnt nicht gelungen, der ihnen gestellten Aufgabe durch ihre eigenen Reformen so gerecht zu werden, wie es die steigenden Studentenzahlen und die wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an die Wissenschaft erfordern. Die Folge war, daß in der zweiten Hälfte der 60er Jahre Strukturen gesprengt statt reformiert wurden, daß Gruppenkämpfe und hochschulpolitische Orientierungslosigkeit an die Stelle einer notwendigen organisatorischen Anpassung des Hochschulwesens an die geänderten Bedürfnisse traten. Der Bund steht daher vor der Aufgabe, den Hochschulen mit dem Hochschulrahmengesetz zu helfen, wieder funktionsfähig zu werden, nachdem diese Aufgabe, wie das Berliner und das Bremer Gesetz deutlich zeigen, offensichtlich über die Kraft einzelner Bundesländer hinausgeht. ({9}) Meine Damen und Herren, unter „die Hochschule funktionsfähig machen" verstehen wir nicht, zu nicht mehr tragfähigen Strukturen zurückzukehren oder unkritisch und unbesehen all das zu übernehmen, was es an Klischeevorstellungen von Demokratisierung und von neuen Organisationsformen im Hochschulbereich gibt. Mit „funktionsfähig" meinen wir nicht eine Effizienzoptimierung im Sinne industrieller Produktion. Wir meinen vielmehr folgendes: eine qualitativ hochstehende Forschung ermöglichen; die Einheit dieser Forschung mit der Lehre erhalten; ein Studium ermöglichen, dessen qualitative und quantitative Voraussetzungen den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit rechtfertigen; den inhaltlichen Bezug dieses Studiums zum Ausbildungsziel gewährleisten; einen organisatorischen Rahmen für das Studium schaffen, der eine angemessene und zumutbare Studiendauer gewährleistet; die Entscheidungsprozesse in der Hochschule und im Verhältnis von Hochschule und Staat gewährleisten und schließlich Forschung, Lehre und Studium für alle Beteiligten durchsichtig zu machen. Demokratisierung der Hochschule - wir verwenden dieses Wort - bedeutet für ihre inneren Verhältnisse wesentlich Transparenz der Entscheidungsprozesse durch Beteiligung aller Mitglieder der Hochschule und durch eine differenzierte Mitbestimmung, die ihre Kriterien ausschließlich aus der im Umgang mit der Wissenschaft gewonnenen Fähigkeit zu sachgerechten Entscheidungen gewinnt. Die Demokratisierung der Hochschule in diesem Punkte unterscheiden wir uns vielleicht - ist aber nicht nur eine Frage der inneren Ordnung und Organisation der Hochschulen. Sie ist vielmehr auch eine Frage des Verhältnisses von Hochschule und Staat. ({10}) Sosehr für die Strukturen, die den Entscheidungen im Wissenschaftsprozeß der Hochschulen zugrunde liegen müssen, nur Kriterien wissenschaftlicher Sachgerechtigkeit gelten können, sosehr muß hier festgehalten werden: Weder im Hinblick auf die uneingeschränkte Geltung unserer rechtsstaatlichen Ordnung noch im Hinblick auf die demokratischparlamentarische Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen in unserem Staat und für die Verwendung öffentlicher Mittel können und dürfen die Hochschulen eine Enklave bilden. ({11}) Demokratisierung der Hochschule bedeutet daher nicht zuletzt, daß die Hochschule in die Verantwortlichkeit des Staates integriert ist. Dem müssen die Strukturen des Verhältnisses von Hochschule und Staat entsprechen. Die Bundesregierung selbst scheint im Hinblick auf die Verantwortung des Staates für eine sach- und zeitgerechte wissenschaftliche Ausbildung mehr auf das Schlagwort von der integrierten Gesamthochschule als auf ausreichende Bestimmungen für eine materielle Studienreform zu setzen, wie uns heute wieder bestätigt worden ist. ({12}) Oder wie anders sollte es verstanden werden, daß die Bundesregierung weiter an der zwingenden Vorschrift der integrierten Gesamthochschule - mit einer Reduktion hoffentlich nicht nur verbaler Art - festhalten will, wenn man weiß, daß im Bundesrat nur ein einziges Land, nämlich Nordrhein-Westfalen, diesem Modell zugestimmt hat, während die anderen Länder klug genug waren, an dieser Stelle nein zu sagen oder sich der Stimme zu enthalten, sich auf die bekannten Argumente stützend, die sich aus den Flächenstaaten und aus der Unerprobtheit dieses Modells ohne weiteres ergeben. ({13}) - Gegen Sie, Herr Moersch, falls Sie sich damit identifizieren. Aber vielleicht sind Sie schon auf besseren Wegen. ({14}) - Ich habe im Augenblick vom Verhalten der Bundesregierung gegenüber dem Bundesrat gesprochen. Im Bundesrat - Sie alle kennen die parteipolitische Konstellation dort - hat nur ein einziges Land für dieses Modell gestimmt. Alle anderen haben sich der Stimme enthalten oder nein gesagt und haben damit ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht. Ein Bedenken ist, daß bei diesem Modell der Hochschule die gleichmäßige Versorgung mit Bildungseinrichtungen nicht gewährleistet ist. Ich möchte auch an dieser Stelle sagen, daß wir in unserem Entwurf das Modell einer Gesamthochschule befürworten, unter dem Ziel: verstärkte Durchlässigkeit für die Studenten ebenso wie für das Lehrpersonal. Wir sind aber der Meinung -der Herr Minister hat es schon angesprochen -, daß man hier nicht optische Täuschungen versuchen soll, keinen Etikettenschwindel zu betreiben hat und sich auch nicht damit zufriedengeben kann, nur verwaltungsmäßig zusammenzuführen. Denn entscheidend für dieses ganze Problem ist es, in allen Fächern eine intensive Kurrikulumforschung zu betreiben und die erforderlichen Kombinationsmöglichkeiten von Fächern und Studiengängen bereitzustellen. Daher sieht die CDU/CSU in ihrem Entwurf die Integration dort vor, wo sie von der Sache, und das will heißen: vom Studiengang her gegeben ist. Daher sehen wir in der kooperativen Gesamthochschule für die gegenwärtige Entwicklungsphase das geeignete Organisationsmodell und haben in unserem Gesetzentwurf alle Möglichkeiten geschaffen, um in einer Phase des Experimentierens, zu der sich heute auch der Minister bekannt hat, die für eine Gesamthochschule erforderliche Integration bestimmter Studiengänge zu erproben. Meine Damen und Herren, es ist kein Geheimnis, daß in zentralem Zusammenhang mit der hochschulpolitischen Zielvorstellung von der Gesamthochschule die Frage des Bedarfs der Gesellschaft steht. Wir haben diese Frage schon mehrmals angeschnitten und schneiden sie heute erneut an, und zwar deshalb, weil die internationale Entwicklung ganz deutlich zeigt, daß man nicht nur vom Bildungswunsch ausgehen kann, sondern daß man auch den Bildungsbedarf zur Hand haben muß. Denn wenn man das nicht hat, entstehen die Zustände, auf die hin sich Amerika jetzt entwickelt. Sie kennen sicherlich die Berichte, aus denen hervorgeht, daß dort heute schon qualifizierte Forscher ohne adäquate Beschäftigung sind. Dasselbe wird uns aus Kanada ganz objektiv von dem Senatsausschuß für Wissenschaft und Forschung berichtet, daß auf vielen Gebieten zu viele Forscher da sind, während auf anderen Gebieten Regierungsprogramme nicht durchgeführt worden sind, weil man versäumt hat, die notwendigen Bedürfnisse der Gesellschaft in ein angemessenes Verhältnis zu den Bildungswünschen zu bringen. Herr Wichert, ich könnte Ihnen jetzt das Beispiel des Soziologiestudiums in Deutschland zeigen: Sie wissen doch ganz genau, daß die Zahlen von 1966 bis heute auf 8000 gestiegen sind, daß wir in jedem Semester 100 Abgänge von ausgebildeten Soziologen haben und daß kein Mensch so recht weiß, was sie tun sollen. Der Beweis dafür ist ja, daß die Universität Bochum jetzt das Studium anders anlegen will, um es berufsfähig für die deutsche Wirtschaft, für den Staat und für die Gesellschaft zu machen. Meine Damen und Herren, der Staat ist auch dafür verantwortlich, daß jemand, der die Mühen eines Studiums auf sich nimmt, auch eine soziale Antwort auf diese Bemühungen bekommt. ({15}) Wir haben darauf hingewiesen, und ich würde denken, daß die Vorkehrungen, die wir in unserem Gesetzentwurf nach dieser Richtung getroffen haben, notwendig sind. Sie bestehen in der engen Zusammenarbeit von Staat, Hochschule und Berufspraxis, und sie sollen sicherstellen, daß nicht nur der Staat keine Fehlinvestitionen macht, sondern daß es auch nicht zu individuellen Fehlinvestionen bei den einzelnen jungen Menschen kommt. Das sind wir ihnen schuldig. ({16}) - - Herr Moersch, dieses Problem würde ich zuständigkeitshalber an die SPD weiterleiten. Bei dieser Partei ist es besser aufgehoben als bei den Verfechtern der sozialen Marktwirtschaft von eh und je. Meine Damen und Herren, eine qualifizierte Hochschulausbildung setzt ein Hochschulsystem voraus, dessen Forschung internationales Niveau hat. Wir gehen in unserem Entwurf davon aus, daß das nur möglich ist, wenn der einzelne Wissenschaftler sicher sein kann, in dem verfassungsmäßig garantierten Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre nicht beeinträchtigt zu werden. Dies erfordert eine Konkretisierung des Grundrechts durch den Grundgesetzgeber, insbesondere im Hinblick auf Konfliktsituationen. Der Herr Minister hat es heute wieder zurückgewiesen. Ich möchte deshalb dazu weiter Stellung nehmen. Der dauernd vorgebrachte Einwand, die Konkretisierung von Art. 5 Abs. 3 GG erfolge in den einzelnen organisationsrechtlichen Bestimmungen des Gesetzentwurfs der Regierung, hat uns nicht überzeugt. Da gerade hier vielfältige Meinungsverschiedenheiten nur mit Hilfe oft knapper parlamentarischer Mehrheiten gelöst werden können, ist es um so nötiger, daß ein Rahmengesetz eine Reihe grundsätzlicher Regelungen über die KonkretisieDr. Martin rung von Art. 5 Abs. 3 enthält, die, wie ich hoffe, gemeinsames Gut dieses Hauses ist. Wenn Herr Leussink das für so unmöglich hält, dann darf ich ihn daran erinnern, daß die SPO bzw. die gegenwärtige sozialdemokratische Regierung in Wien genau dasselbe macht wie wir. Sie wird das Durchführungsgesetz zu Art. 17 des Staatsgründungsgesetzes über die allgemeinen Rechte der Bürger betreffend die Ausbildung, die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehren auf dem Boden der Hochschule bzw. neu fixieren. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die österreichische Universität auf derselben Rechtstradition steht wie hier die eigene. Uns würde es freuen, wenn die SPD in diesen Sachen ein bißchen Solidarität mit ihren Genossen in Österreich wahren würde. ({17}) - Warum nicht? Ich wollte Ihnen raten, sich einmal mit Ihren Kollegen in Österreich darüber zu unterhalten, wieso sie dazu kommen. Dann können Sie ja hinterher Ihre eigenen Entscheidungen immer noch treffen. Der alte Hinweis darauf, daß das juristisch und verfassungspolitisch nicht möglich sei, geht an der Sache vorbei. Dahinter steht eine bürokratische Auffassung von Recht, die wir nicht zu akzeptieren vermögen. Wir sind nicht so vermessen, zu glauben, daß mit dem, was wir bis jetzt vorgeschlagen haben - wir gehen ja neue Wege; man sieht es an der kontroversen Diskussion -, schon etwas Ausreichendes vorhanden sei, um die Befriedung der Universität sicherzustellen. Wir sind gern bereit, über weitere Bestimmungen, über weitere Konkretisierungen mit den Koalitionsparteien zu sprechen, um eine optimale Bestimmung zu finden. Im übrigen weiß jeder Kenner der Entwicklung des Gesetzentwurfs der Regierung, daß es den Verfassern im Grunde genommen heute leid tut, diese Maßnahmen nicht im Gesetz getroffen zu haben. Sie ist eben zur unguten Zeit von den falschen Leuten ausgeredet worden; das ist der Tatbestand. ({18}) Wir haben in unseren Entwurf auch die Frage des Studiums einbezogen. Aus dem geschichtlichen Kontext ist ohne weiteres klar, daß das notwendig ist und was gemeint ist. Auch hier ist verfassungsrechtliches einiges eingewendet und juristisch argumentiert worden. Aber wir folgen hier einem bekannten Rechtslehrer, dessen Auffassung unsere eigene Überzeugung ist und der sagt: die Freiheit von Forschung und Lehre, insbesondere der Lehre, ist ambivalent; so betrifft sowohl den Studenten als auch den Professor. - Wenn das richtig ist und wir dann auf das Grundgesetz zurückgehen und nach vorn konkretisieren wollen, haben wir nicht nur das Recht, sondern in der gegenwärtigen Situation auch die Pflicht, bindende Bestimmungen über die Freiheit des Studiums im Hochschulrahmengesetz niederzulegen. Ich will mich jetzt nicht weiter darüber ausbreiten, aber doch noch einiges sagen. Die institutionelle Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre ist ini letzten Jahrzehnt vorwiegend kollektivistisch ausgelegt worden. In der gegenwärtigen hochschulpolitischen Situation war es notwendig, die individualrechtliche Komponente der Grundrechtsgarantie der Freiheit von Forschung und Lehre und der Freiheit des Lernens herauszuheben. Meine Damen und Herren, die Konkretisierung des Grundrechts auf Freiheit von Forschung und Lehre darf nicht dazu führen, daß die gemeinsame Verantwortung von Hochschule und Staat für die Funktionsfähigkeit der Hochschule und insbesondere für eine sachgerechte wissenschaftliche Ausbildung über eine Rechtsaufsicht des Staates nicht hinreichend deutlich wird. Der Staat darf nicht erst dann eingreifen, wenn die Hochschulen funktionsunfähig sind und ihre Aufgaben gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Studenten nicht mehr erfüllen können. Der Berliner Staatskommissar redet in der Hinsicht eine beredte Sprache. Deshalb betonen wir neben der Rechtsaufsicht zusätzlich eine Fachaufsicht des jeweiligen Landes, damit überall dort, wo es sich um übertragene Aufgaben handelt, angesichts des Ausmaßes und der Bedeutung einzelner Bereiche wie in der Wirtschafts- und Personalverwaltung die parlamentarische Kontrolle sichergestellt wird. Im Gegensatz zur Bundesregierung sind wir nicht der Meinung, daß eine möglichst weitgehende Autonomie der Hochschulen ein wesentlicher Bestandteil der Hochschulreform sein muß. Bisher war die Hochschule jedenfalls nicht in der Lage, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen, wie Schelsky, wie Sie alle wissen, schon vor zehn Jahren, wie ich glaube, formuliert hat. Im übrigen geht aus der Dienstherreneigenschaft des Landes, die die CDU: CSU im Gegensatz zur Bundesregierung im Entwurf vorschreibt, zwangsläufig die Fachaufsicht des Staates auf diesem Gebiet hervor. Nur der Staat kann verhindern, daß die Hochschule auch in ihrer Personalpolitik einseitig politisch oder gar ideologisch fixiert ist, wie das hier und da der Fall ist. Ich komme jetzt zu den Regelungen unseres Entwurfes zur Mitbestimmung. Wir brechen hier mit der überkommenen Struktur der Hochschule, in der eine kleine Zahl von Professoren fast uneingeschränkt über Forschungsvorhaben, Lehrinhalte, wissenschaftliche Karrieren und dergleichen bestimmte. Wir streben die konstruktive Mitarbeit aller Mitgliedergruppen in der Selbstverwaltung der Hochschule an. Dabei geht der Entwurf von einer funktionsgerechten und qualitativ differenzierten Mitbestimmung aus. Das Ausmaß der Mitbestimmungsrechte wird auf Grund von Kriterien bestimmt, die sich aus der Funktion der Mitglieder und ihrer Bindung an die Hochschule ergeben. Unter diesem Gesichtspunkt findet eine Einschränkung der Mitwirkungsrechte in Fragen der Forschung, der Ergänzung des Lehrkörpers und der Abnahme von Prüfungen statt. Bei Forschungsvorhaben sieht der Entwurf die Mitbestimmung aller an dem Projekt Beteiligten vor. Nach dem, was wir heute von Herrn Minister Leussink gehört haben, ist der entsprechende Teil des Gesetzentwurfs der Regierung noch einer Diskussion zugänglich. Ich möchte das hier in der Debatte feststellen. Meine Damen und Herren, wir haben entsprechend dem Wahlrecht anderenorts auch hier eine Mindestdauer der Zugehörigkeit zur Hochschule für das aktive und passive Wahlrecht vorgeschrieben. Die Gründe dafür sind einleuchtend. In der Paritätenfrage treffen wir klare Regelungen, auch hier, wie ich glaube, im Gegensatz zum Regierungsentwurf, der mir gegenüber den Ländern nicht exekutierbar erscheint. Wir sehen vor, daß in den Beschlußorganen der zentralen und der fachlichen Ebene die Hochschullehrer - dabei ist neu: Professoren und Assistenzprofessoren - 50% der Stimmen auf sich vereinigen. Die reformierte Struktur des Lehrkörpers und insbesondere die Schaffung des Assistenzprofessors führt damit zu einem funktional sinnvollen Übergewicht der Hochschullehrer in den Universitätsgremien. Nach den Vorstellungen des Entwurfs trifft das Landesrecht eine Regelung, nach der bei Mißbrauch der Mitwirkungsrechte der Hochschule ein Mandatsverlust in dem Beschlußorgan der Hochschule und eine vorübergehende Suspendierung des Wahlrechts einzelner Mitglieder möglich ist. Ein aufschiebendes Vetorecht, wenn ein Beschluß gegen den Widerstand einer ganzen Gruppe gefaßt worden ist, halten wir nicht für richtig. Nur eine wirklich funktionsgerechte und differenzierte Mitbestimmung kann verhindern, daß sich die Tätigkeit der Hochschullehrer in endlosen und ermüdenden, oft sinnlosen Sitzungen der einzelnen Gremien erschöpft. Es war erschreckend, im Hearing zu hören, als ein Professor vorrechnete, daß er 40 % seiner Zeit mit solchen Diskussionen zubringen muß. Man weiß aus Berichten der letzten Wochen, daß in bestimmten Universitätskliniken die Krankenversorgung so gefährdet ist, daß die Fakultäten den Auszug aus der Universität erwägen. Angesichts dieser Situation muß der Gesetzgeber den Mut haben, in diesen Dingen Klarheit zu schaffen, und darf nicht um die Dinge herumreden. ({19}) Wie grotesk die Drittelparität als Einfallstor wissenschaftsfremder Kräfte wirken kann, sieht man in Marburg, wo der kaum gewählte Präsident von einer Koalition durch ein regelrechtes Koalitionspapier auf einen Kurs verpflichtet wird, von dem man sagen kann, daß er mit der Universität Marburg und ihrer Zukunft, mit der Wissenschaft und der Forschung, mit Bildung und Ausbildung sehr wenig zu tun hat. ({20}) Meine Damen und Herren, es ist gefährlich, wenn nicht gar tödlich, wenn nicht mehr wissenschaftliche Qualifikation, sondern das politische Glaubensbekenntnis für die Ausübung von Forschung und Lehre in der Universität maßgeblich ist. Es wird höchste Zeit, an Stelle pseudodemokratischer Scheinreformen eine wissenschaftsgerechte Reform der Hochschulen durchzuführen. ({21}) Bei der Studienreform haben wir uns damit auseinanderzusetzen, daß in vielen Lehrveranstaltungen keine methodisch und didaktisch differenzierte Ausbildung mehr geboten wird. Außerdem läßt in vielen Disziplinen der angebotene Lehrstoff Überschaubarkeit und Bezug zu den Ausbildungszielen vermissen. Bei der Studienreform steht für die CDU/ CSU nicht die Frage im Vordergrund, wie die Hochschulen Gesellschaft und Staat eine höhere Zahl von Absolventen zur Verfügung stellen können. Das ist im Augenblick nicht das Problem, wie jeder weiß, der genauer hinsieht, sondern das Problem ist in erster Linie, die Studenten besser auszubilden. Besser ausbilden, meine Damen und Herren, heißt für uns auch: berufsbezogen ausbilden. Die Kluft zwischen akademischem Wissen und den tatsächlichen Anforderungen des Berufslebens darf nicht breiter werden. Darum sieht der Entwurf vor, daß in allen Beratungsgremien zur Reform des Studiums auch Vertreter der Praxis gleichberechtigt hinzugezogen werden, um hier zu einer möglichst engen Kooperation zwischen Hochschule und Berufsfeld zu kommen. Studiengänge und Studieninhalte, aber auch Studienziele, sollen stets sowohl mit den wissenschaftlichen als auch mit den beruflichen Gegebenheiten in Einklang stehen. Bei der Studienreform, die eine ständige gemeinsame Aufgabe von Staat, Hochschule und beruflicher Praxis ist, muß berücksichtigt werden, daß die Industriegesellschaft hochqualifizierte Spezialisten braucht. Wenn es nicht gelingt, die ständige Niveausenkung und den fortschreitenden Verlust der Leistungsmotivation bei Schülern und Studenten einzudämmen und zu ändern, könnte die Prophezeiung von Herrn Steinbruch, daß wir im Jahre 2000 ein wissenschaftlich rückständiges Land sein würden, durchaus zutreffen. Meine Damen und Herren, ich mußte es Ihnen auferlegen, an dem Gesetz entlangzugehen, und mußte Ihnen den historischen Ort sowie unsere Motive zeigen. Ich möchte noch einmal zusammenfassen. Wir treten uneingeschränkt für die Reform des Hochschulwesens in der Bundesrepublik ein und hoffen, daß durch ein solches Gesetz die Gruppen-und Klassenuniversität, die in den letzten Jahren entstanden ist, wieder in einen wirklichen Wissenschaftsorganismus zurückgeführt wird. Wir hoffen, daß die derzeitige Konfrontationsstimmung an den Universitäten, wenn es uns hier im Bundestag gelingt, ein richtiges Gesetz zu machen, abgebaut wird. Dabei geht es primär um die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Universitäten. Wir gehen davon aus, daß die Forschung an den Hochschulen verbleiben muß, daß sie nicht zu reinen Ausbildungsstätten werden dürfen. Sie wissen, daß die Wirtschaft wegen der Mängel in der Ausbildung bereits die Einrichtung eigener Akademien und Ausbildungsstätten erwägt. Ich sage das hier als Warnung. Wir betrachten all das unter dem Blickpunkt der Bedeutung von Forschung und Lehre und der Erhaltung der Leistung an der Universität. Zur Form möchte ich schließlich folgendes sagen. Wir brauchen ein Hochschulrahmengesetz, das offen ist für die Veränderungen der nächsten Jahre. Edding hat mit Recht gesagt.: Unsere Chance in der Bildungsreform ist nicht der Dogmatismus, sondern die Modernität, ist nicht die Festschreibung von Hochschul- und Schulmodellen, die 1960 bis 1965 entstanden sind, sondern der feste Wille, in elastischer Anpassung an die Entwicklung einer modernen Gesellschaft ein modernes Hochschul-, Schul- und Bildungswesen zu entwerfen. ({22}) Wir sind bereit, dabei mitzuwirken. Herr Leussink hat heute wieder gesagt, es werde einmal nach den Strukturen und dann wieder nach den Finanzen gefragt und ihm werde zum Vorwurf gemacht, daß er nicht gleichzeitig etwas zu den Finanzen gesagt habe. Wir haben allmählich den Eindruck, daß sich die Koalition bei der ja nun bekannten Lage der Finanzen mit ihren Plänen über die Tatsache hinwegdeklamieren möchte, ({23}) daß sie weder im vergangenen noch in diesem noch im kommenden Jahr entscheidende Schritte zur Bildungsreform zustande bringt. ({24}) Wir werden erbarmungslos darauf bestehen, daß Wunsch und Wirklichkeit - ({25}) - Ich weiß, daß es wehtut, Herr Moersch; ich weiß, wie schmerzlich das ist. ({26}) - Herr Moersch, wenn Sie in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses erlebt hätten, wie die SPD an den Rand des Undemokratischen herangegangen ist, um die peinliche Frage nach dem lieben Geld zu vermeiden, würden Sie verstehen, warum ich das sage. ({27}) Es bedurfte einer Prozedur, damit ein Antrag von uns, der dem Ausschuß von diesem Haus überwiesen war, überhaupt diskutiert wurde. Die Abstimmungsguillotine stand in der Ecke und einer saß davor und wollte auf den Knopf drücken. ({28}) Und das nur alles deswegen! Ich komme zum Schluß. Ich verrate kein Geheimnis, Herr Minister, wenn ich sage - die Sorge um die Finanzen geht ja nicht nur bei uns um -: ich weiß aus sehr guter Quelle, daß eine Reihe von Ihren Freunden, die kompetent sind und im Monat März in Bonn beraten haben, Ihre Pläne für unrealistisch, für unausgereift halten und davor warnen, ({29}) einfach Pläne zu machen, ohne zu sagen, wer sie bezahlt. ({30})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, die beiden Gesetzentwürfe sind begründet. Ich eröffne die verbundene Aussprache. Als erster hat has Vertreter des Bundesrates der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen das Wort. - Sie wollen noch nicht sprechen? - Gut. Nach der Verfassung haben Sie das Recht, als erster zu sprechen; das wollte ich Ihnen nicht bestreiten. Dann hat Herr Abgeordneter Grüner das Wort..

Martin Grüner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000738, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die erste Lesung eines solchen Gesetzentwurfs ist nicht der Ort, um Paragraph für Paragraph die vorliegenden Entwürfe der Regierung und der Opposition im einzelnen zu erörtern. Ich will mich deshalb auf die Schwerpunkte des Hochschulrahmengesetzes beschränken, die mir von besonderem Gewicht erscheinen. Der Generaleinwand der CDU/CSU gegen die Reform unseres Hochschulwesens und im Grunde gegen jede Art von Reform ist immer die sorgenvolle Frage: Wer garantiert uns, daß solche Reformen einen besseren Zustand als den heutigen schaffen? Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, möchte ich den, wie mir scheint, sehr klugen Satz Lichtenbergs zwecks gedanklicher Ver arbeitung mit nach Hause geben ({0}) - nicht der Ausschuß-Lichtenberg, sondern der berühmte Lichtenberg -({1}) - der noch berühmtere, wäre richtig, mindestens soweit es die Ausschußöffentlichkeit angeht -, den dieser ganz offensichtlich speziell für Sie geschrieben hat. Er lautet: Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muß anders werden, wenn es gut werden soll. ({2}) Das heißt nun nicht, daß Reformen eben darin bestünden, nur etwas zu ändern um der Veränderung willen. Aber gerade die öffentliche Diskussion über das Hochschulrahmengesetz mit allen Beteiligten ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Regierung und ein Parlament Entscheidungen für die Zukunft verantwortungsvoll vorbereiten. Ich meine auch, es ist ein sehr guter Beweis dafür, wie sehr eine solche Diskussion den Erkenntnisstand zu fördern in der Lage ist und wie sehr sie bei einer recht komplizierten Materie, wie sie die Reform des Hochschulwesens darstellt, dazu beitragen kann, daß sich Annäherungen vollziehen und Brücken geschlagen werden, die wir letzten Endes in diesem Hause und in dieser Frage alle für außerordentlich wichtig halten. ({3}) Ein Wort zu der Forderung der CDU CSU, die Sicherung von Freiheit von Forschung und Lehre im Gesetz zu verankern. Ich bin der Meinung, daß es besser, als es im Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 niedergelegt ist, in einem Rahmengesetz nicht geschehen kann. Ich muß hier auch als Jurist sagen, daß es nicht Aufgabe eines solchen Rahmengesetzes sein kann, die Legaldefinition des Grundgesetzes im einzelnen in einem solchen Rahmengesetz zu wiederholen. Die Freiheit von Forschung und Lehre kann meiner Ansicht nach im übrigen nicht durch Dekret, sondern nur durch politisches Handeln verwirklicht werden. Mir scheint, Herr Dr. Martin, aus Ihren Ausführungen ist gerade in diesem Themenbereich doch recht deutlich geworden, wie stark Sie darauf setzen, durch juristische Formulierungen und gesetzliche Festlegungen etwa Dämme gegen die von uns allen als bedenklich angesehene radikale Minderheit aufzurichten. ({4}) Die Wirklichkeit zeigt, daß das nicht möglich ist, sondern daß es darum geht, die Ursachen der Unruhe zu erkennen und durch politisches Handeln dafür zu sorgen, daß diese radikalen Minderheiten keine Gefolgschaft finden. Das ist das entscheidende Problem. ({5}) Wenn Sie es für sinnvoll halten, diesen Grundgesetzartikel im Rahmengesetz zu wiederholen und auszudeuten, könnten wir im Grunde genommen in jedem Gesetz, das wir hier im Hause verabschieden, in einer meiner Ansicht nach falsch verstandenen Effizienz eine Wiederholung eines Grundgesetzartikels, der jeweils einschlägig ist, vornehmen. ({6}) Freiheit von Forschung und Lehre ist ein Grundsatz, den wir mit Ihnen für selbstverständlich halten. ({7}) Ich glaube, daß uns die Ausschußberatungen Gelegenheit geben werden, das zu beweisen. Ich hoffe ferner, daß sich der Streit um die Formulierungen im Zweifelsfall als nicht stichhaltig erweisen wird. Für die Freien Demokraten möchte ich mit Nachdruck der integrierten Gesamthochschule und der konsequenten Weiterführung des Prinzips der Chancengleichheit und der Durchlässigkeit in der von uns geforderten integrierten Gesamtschule, nämlich der offenen Schule, das Wort reden. Wir halten es für angebracht, auf diesen Zusammenhang des gesamten Bildungswesens hinzuweisen, da die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern offensichtlich den Bildungspolitikern der Opposition, die zu diesem Thema in diesem Hause sprechen, den Blick für diesen Gesamtzusammenhang verstellt. In der Öffentlichkeit, vor allem aber in der Oppositionsfraktion, ist noch immer der Irrtum weit verbreitet, daß die integrierte Gesamtschule und die integrierte Gesamthochschule architektonisch und geographisch unter einem Dach untergebracht sein müßten. Herr Minister Leussink hat schon auf diesen Irrtum hingewiesen. Bei vielen verbindet sich das Bild von diesen Bildungseinrichtungen der Zukunft mit der Vorstellung gigantischer Gebäudekomplexe. Noch im letzten öffentlichen Hearing über das Hochschulrahmengesetz verursachte die Ansicht eines Vertreters der anwesenden Verbände aus Hamburg, es wäre sinnvoller, in Hamburg zwei Gesamthochschulen statt einer Gesamthochschule zu schaffen, ein freudiges Kopfnicken bei der Opposition -- ein Indiz für mich, daß nicht bei den Regierungsparteien, sondern bei der Opposition offensichtlich immer noch Unklarheit darüber besteht, was eine integrierte Gesamthochschule ist. ({8}) -- Sie geht völlig richtig. ({9}) - Ich glaube nicht, daß das notwendig ist, Herr Haase. ({10}) - Ich würde mich freuen, wenn Sie eine Sammlung veranstalteten und mir bei Gelegenheit eine neue Uhr überreichten! ({11}) In Stadtstaaten bzw. Ballungszentren wird es sinnvoll sein, Bildungszentren zu schaffen, in denen möglichst alle Bereiche der Bildung einschließlich der beruflichen Bildung vertreten sind. In Flächenstaaten bzw. mehr ländlichen Regionen wird dies weder erforderlich noch sinnvoll sein. Worum es in dieser Frage geht, ist die konsequente Verwirklichung der Durchlässigkeit, auf die ja auch Herr Dr. Martin nachdrücklich hingewiesen hat. Der Regierungsentwurf gewährleistet unserer Ansicht nach diese Durchlässigkeit. Eine Umwandlung der Bestimmungen über die Einrichtung von Gesamthochschulen in die von der CDU und von verschiedenen Ländern geforderte Soll-Vorschrift würde für unsere Fraktion nicht akzeptabel sein; denn wir befürchten, daß eine solche Umwandlung der Muß- in eine Sollvorschrift zu einer Zementierung des Status quo in dem einen oder anderen Land führen würde. Die jetzige Fassung des Regierungsentwurfs läßt den Ländern einen weiten Spielraum zur Erprobung von verschiedenen Studienmodellen, die Ihnen aus verschiedenen Beiträgen der Bildungsexperten bekannt sind. Wenn man von der integrierten Gesamthochschule redet, mull man auch an die Integration der Bildungsinhalte denken. Ich halte es für wichtig, gerade diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken. Es ist richtig, daran zu erinnern, daß die gemischten Kommissionen von Sachverständigen, die der § 59 vorsieht, zur Entwicklung von Studieninhalten und zweckmäßigen Prüfungsordnungen zuständig sein sollen. Wir meinen, daß die Erstellung neuer Studienordnungen ein Herzstück der Hochschulreform sein wird. Ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt der Hochschulreform ist die Schaffung einer einheitlichen Personalstruktur. Der Regierungsentwurf enthält eine genaue Funktionsbeschreibung für Professoren und Assistenzprofessoren. Die FDP hielte es für wichtig, daß über die Funktionen der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter sowie der Lehrkräfte für besondere Zwecke Klarheit und Übereinstimmung erzielt wird. Die konsequente Verwirklichung der Gesamthochschule wäre gefährdet, wenn hier etwa eine neue Art von Mittelbau mit allen seinen heute schon vorhandenen negativen Erscheinungen entstünde. Wir sind uns mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und der Fraktion der SPD darüber einig, daß die Funktion dieser Mitglieder der Gesamthochschule vor allem in der Betreuung von komplizierten technischem Gerät und sonstigen Einrichtungen im Bereich der Naturwissenschaften, aber auch von Rechenanlagen, Sprachlabors, Bibliotheken usw. im Bereich der Geisteswissenschaften liegen soll. Unseres Erachtens sollte in den Ausschußberatungen auch geprüft werden, ob durch eine nähere funktionale Beschreibung der Aufgaben dieser Personen bzw. durch Festlegung von Zahlenverhältnissen - etwa in der Form: drei Professoren, ein Assistenzprofessor, drei Graduierte hier klare Verhältnisse geschaffen werden können. Die Grenzen zwischen der Betreuung technischer Anlagen und der direkten wissenschaftlichen Tätigkeit in Forschungsprojekten beginnen bereits heute fließend zu werden. Ich meine, daß das längerfristig zu einer Vereinfachung der Personalstruktur führen kann. Ein weiterer wichtiger und in der Diskussion umstrittener Punkt des Hochschulrahmengesetzes ist die Mitbestimmung in den Gremien der Gesamthochschule, hier insbesondere das vorgesehene Quorum sowie die Mitwirkung der Studenten in Fragen der Forschung und Personalentscheidung. Das vorgesehene Quorum ist nach dem Verständnis des Regierungsentwurfs ein Appell an die Mehrheit der Studenten, sich aktiver an den Wahlen zu den Hochschulgremien zu beteiligen. Der Ausschluß der Studenten und die Einbeziehung der graduierten Studenten in die Entscheidungen über Forschungsfragen und Personalentscheidungen tragen dem Argument des mangelnden Sachverstandes Rechnung. Ich habe für diese Begründungen des Regierungsentwurfs volles Verständnis, möchte aber an dieser Stelle doch zum Ausdruck bringen, daß ich die von verschiedenen Seiten im öffentlichen Hearing des Bundestagsausschusses vorgebrachten Argumente gegen das Quorum und gegen den Ausschluß der Studenten in Forschung und Personalangelegenheiten für überlegenswert halte und sie bei der weiteren Behandlung dieser Frage doch berücksichtigt wissen möchte. Ich möchte es mir versagen, auf das Für und Wider, das ja im Hearing ausführlich zur Sprache kam, in diesem Zusammenhang näher einzugehen, urn die vorgesehene Zeit nicht zu überschreiten. In diesem Zusammenhang scheint es mir aber angebracht, noch einmal auf den Zusammenhang zwischen der integrierten Gesamtschule und der integrierten Gesamthochschule hinzuweisen. Die in allen Parteien entwickelten Vorstellungen zur Schülermitbestimmung müssen in Einklang mit den Mitbestimmungsregelungen an der Gesamthochschule stehen. Dabei darf ich nur auf die recht interessante Möglichkeit aufmerksam zu machen, die angesichts der Herabsetzung des passiven Wahlalters eintreten kann, daß etwa der Student X, der seinen Wehrdienst abgeleistet hat und nun im ersten Semester an einer Hochschule studiert, theoretisch gleichzeitig Mitglied dieses Bundestages sein und als Bundestagsabgeordneter hier bei der Entscheidung über den Etat für Bildung und Wissenschaft mitbestimmen könnte ({12}) - ich habe deshalb auch darauf hingewiesen, daß ich das als einen theoretischen Fall betrachte; aber ich glaube, daß der Zusammenhang mit der Frage, in welcher Weise man Mitwirkungsrechte oder Mitentscheidungsrechte in dem einen oder anderen Bereich zubilligen muß, hier doch sehr klar gesehen werden muß -, daß also ein solcher 21 jähriger Bundestagsabgeordneter hier im Plenum oder in den Ausschüssen mitwirken könnte, nach der jetzt vorgesehenen Regelung aber nicht in der Lage wäre, in seiner Fachbereichskommission mitzuentscheiden, weil er noch nicht zu den graduierten Studenten gehört. Das Hochschulrahmengesetz wird sicher - mit oder ohne Quorum - jedenfalls einen wesentlichen Schritt nach vorn bedeuten, und es wird eine grundlegende Möglichkeit eröffnen, die Ziele zu erreichen, die wir zwar in der Zielvorstellung gemeinsam haben, die wir aber im Wege doch noch sehr differenziert sehen. An dieser Stelle soll ein anderes, nicht nur theoretisches, sondern in der Praxis vor nicht allzu langer Zeit vorgekommenes Beispiel nicht unerwähnt bleiben: Eine Universität beruft einen Klinikdirektor für Hautkrankheiten. Dieser nimmt den Ruf unter der Bedingung an, daß das für ihn vorgesehene Institut nach einem ganz bestimmten, von ihm vorgeschriebenen Modus erbaut wird, und zwar als Neubau. Seine Forderungen werden erfüllt. Bedauerlicherweise verstirbt er. Der Nachfolger hat völlig andere Vorstellungen und knüpft nun seinerseits an die Annahme der Berufung die Bedingung, ein neues Institut nach seinen Vorstellungen zu erhalten. Es wird an diesem Beispiel sehr deutlich, um was es nun wirklich geht. Es geht bei den Entscheidun6250 gen solcher Hochschulgremien in erster Linie um die Austragung bzw. den Ausgleich verschiedener Interessen, weniger um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse, die man nach meinem Verständnis von der Selbstverwaltung der Hochschulen in solchen Gremien tatsächlich nicht zur Abstimmung durch Mehrheitsentscheidungen stellen kann. Wenn ich die Entwicklung an der Universität Hamburg richtig verfolgt habe, entspricht die dortige Praxis ganz dieser Erfahrung und Überzeugung. Ich habe bereits in der Debatte über den Bildungshaushalt kurz darauf hingewiesen, daß meine Fraktion die Einrichtung einer Bundeshochschulkonferenz für erforderlich hält. Ich möchte dies heute noch einmal unterstreichen, obwohl ich die verfassungsrechtlichen Bedenken, die angesichts der nicht bestehenden Kompetenz des Bundes mit Recht gegen eine gesetzliche Regelung vorgebracht werden, würdige. Auf der anderen Seite kann aber auch die Tatsache nicht außer acht gelassen werden, daß die beteiligten Gruppen der Hochschulen sich über Struktur und Aufgaben einer solchen Hochschulkonferenz noch nicht einig sind. Ich meine, daß es nicht im Rahmen dieses Hochschulrahmengesetzes zu einer Regelung kommen kann, weil wir damit auch eine zeitliche Verzögerung erhalten würden, die wir für nicht wünschenswert halten. Ich meine auf der anderen Seite, daß uns der Gedanke dieser Bundeshochschulkonferenz tatsächlich ständig bewußt sein sollte und daß wir diesen Gedanken entwickeln sollten; denn es muß zu einer Flurbereinigung im Bereich des Beratungswesens und der effizienten Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen und der staatlichen Seite kommen. Im übrigen sollten sich Bund und Länder sowie ihre Parlamente und die Bildungseinrichtungen selbst rechtzeitig Gedanken darüber machen, ob wir nicht längerfristig über den Bereich der Hochschulen hinaus eine Bundesbildungskonferenz benötigen, um alle am Bildungswesen Beteiligten in einer einheitlichen Konferenz zu einer Abstimmung ihrer Auffassungen, vor allem im Verwältnis zu den staatlichen Organen, zu bringen. Ohne der Fortsetzung des öffentlichen Hearings zum Hochschulrahmengesetz und den Ausschußberatungen vorgreifen zu wollen, halten wir Freien Demokraten den Regierungsentwurf im Rahmen der beschränkt gegebenen Verfassungskompetenz für ausgereift und sehen ihn als verabschiedungsreif an. In dieser Ansicht bestärkt uns eine breite Zustimmung unter den Betroffenen und Beteiligten, die sich in der ausführlichen Diskussion dieser wichtigen Materie doch herausgestellt hat und die sich bis in den Bereich der CDU/CSU in Gestalt des Rings Christlich-Demokratischer Studenten erstreckt. ({13}) So wichtig die umfassende Diskussion dieser Materie in der Vorbereitung des Gesetzentwurfs war und ist, so müssen die Politiker jetzt die Umsetzung der Pläne in die Wirklichkeit vorantreiben und den Mut zu Entscheidungen finden. Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Hochschulgesetz ohne Widerspruch von Interessengruppen über die parlamentarischen Hürden. ({14})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meinecke. Seine Fraktion erbittet für ihn eine Redezeit von 20 Minuten.

Dr. Rolf Meinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001456, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs einen Ausdruck zurückweisen, den der Kollege Martin hier für das Verfahren in den Ausschußberatungen benutzt hat. Ich habe nicht verstanden, ob Sie „Abstimmungsidiotie" oder „Abstimmungsguillotine" sagten. Jedenfalls muß die Frage wohl umgekehrt lauten, ob Sie es für vernünftig und klug halten, zu Beginn oder während einer Ausschußsitzung sehr lang formulierte, ausführliche Anträge aus der Tasche zu ziehen und im gleichen Moment zu verteilen, gewissermaßen langfristige Beratungen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung partiell und punktuell hervorzuziehen, eine ausführliche Beratung zu beantragen und, nachdem wir Ihnen angeboten haben, noch einmal über das gesamte Bukett zu sprechen, das dann abzulehnen, die Abstimmung praktisch zu provozieren, und, wenn Sie dann unterliegen, hier im Parlament von einer Abstimmungsguillotine zu reden! Ich bin auch erstaunt, Herr Kollege Martin, über einige Formulierungen, die Sie gefunden haben, in denen Sie über die integrierte Gesamthochschule als ein „utopisches Modell" sprechen. ({0}) Wenn das ein so utopisches Modell wäre, dann dürfte es wohl in der allgemeinen Diskussion nicht akzeptiert sein. Ich kann auch nicht ganz verstehen, wie Sie auf der einen Seite zugeben, daß die Hochschulen in den vergangen zehn bis fünfzehn Jahren in ihrer inneren Verfassung so bestimmt waren, daß eine kleine Anzahl - so sagten Sie wohl - von wenigen Professoren die Entscheidungen, Abstimmungen und die entscheidenden Maßnahmen vorbereiten und durchführen konnte, daß es dann zu einer Konfrontation kam, die notwendigerweise eine breitere und weitere Demokratisierung nach sich gezogen hat. Heute meinen Sie, daß Sie mit begrenzten und sehr engen demokratischen Maßnahmen die Konfrontation an den Hochschulen wieder herunterschrauben können. Letzten Endes muß ich Ihnen ganz klar sagen: Das, was Sie nun unter einer Reform der Hochschule verstehen, habe ich schlicht nicht begriffen. Ich fürchte aber, daß Sie das Prinzip der integrierten Gesamthochschule ebenfalls nicht begriffen haben. So bedaure ich, daß wir hier ein klein wenig aneinander vorbeireden. Ich möchte für meine Fraktion sagen, daß die hochschulpolitischen Zielsetzungen des Entwurfs und die zur Verwirklichung vorgeschlagenen bundeseinheitlichen Maßnahmen von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion einmütig begrüßt werden! ({1}) Dr. Meinecke ({2}) Ich möchte noch einmal betonen, daß unser ganz besonderer Respekt dem völlig neuartigen Verfahren der Gesetzesentwicklung über öffentlich deklarierte Thesen, die folgenden Referentenentwürfe und den schließlich endgültig formulierten Endentwurf hier ausgesprochen werden soll. Dadurch konnten Information und Diskussion, Meinungsbildung und Mitwirkung aller beteiligten Kreise, der Öffentlichkeit wie der Medien erreicht werden, und dadurch wurde Mehr-Demokratie-Wagen verwirklicht, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Die mit diesem Gesetzgebungsverfahren eingehandelten wiederholten Kritiken und Risiken wurden einkalkuliert, Herr Minister, und berechtigen meiner Meinung nach nicht zu einer Abqualifizierung des Ministeriums und seines Ministers. Auch diese haben das Vertrauen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion! ({3}) Ich betone das hier heute einmal ganz ausdrücklich. Es fällt mir auch leicht, das zu bekräftigen. Das ist um so notwendiger, als Pressekommentare und persönliche Angriffe, verbunden mit dieser Abqualifizierung, in den letzten Wochen Schlagzeilen gemacht haben. Das sieht dann so aus und da gibt es einen herrlichen neuen Dreiklang von „stern", „Bild" und „Die Zeit" -: Dieser glücklose Wissenschaftsminister hat es nun fertiggebracht, sich mit allen Beteiligten, Professoren, Studenten, Kultusminister und Lehrern, zu überwerfen. Ja, was anderes, glauben Sie denn, hätte man sich wohl mit einem guten Hochschulrahmengesetz einhandeln ) können, oder was anderes haben sich Landeskultusminister mit guten Universitätsgesetzen eingehandelt? Da heißt es dann in einigen anderen Zeitungen: Leussink ist mit der Hochschulreform wieder am Anfang", da lauten die Überschriften: Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung den Regierungsentwurf mit 70, 80, 90 Änderungsvorschlägen „gnadenlos zusammengestrichen". - Wir alle wissen, daß dies nicht den Tatsachen entspricht, und ich werde darauf noch kurz zu sprechen kommen. ({4}) So bleibt meiner Meinung nach für dieses Kapitel abschließend die Feststellung, daß wenige Monate nach der Regierungserklärung und der Ankündigung eines Hochschulrahmengesetzes mit der Arbeit begonnen und daß in einem Entwicklungsprozeß von 15 Monaten der fertige Entwurf erarbeitet wurde. Sie dagegen haben - und das können Sie kaum leugnen - bereits während des Wahlkampfes im August 1969 und wiederholt im Herbst desselben .Jahres einen eigenen Entwurf versprochen ({5}) und sind jetzt erst gewissermaßen konkurrierend an die Öffentlichkeit getreten. ({6}) Das ist kein Vorwurf, Herr Martin, aber die Risiken haben Sie vermieden. Allerdings haben Sie damit so fürchte ich - auch etwas erreicht, von dein man in Hamburg sagt: „Der Dampfer ist abgefahren". Das letzte Anhörungsverfahren hat dies wohl bewiesen. ({7}) Die grundsätzliche Zustimmung des Bundesrates und die Übernahme des Konzepts durch die BundLänder-Planungskommission in einer regulären Abstimmung sind hervorzuheben. Gleichwohl werden die Einsprüche und Änderungswünsche des Bundesrates nicht unterschätzt, auch von uns nicht. Die Sozialdemokraten wie auch die Bundesregierung werden im Gesetzgebungsverfahren dem Bundesrat in vielen Punkten entgegenkommen, jedoch an den wesentlichen Zielsetzungen nämlich der integrierten Gesamthochschule, der Förderung umfassender Studienreform unter der Verantwortung der Hochschulen, der systematischen Verflechtung aller Studiengänge sowie der Schaffung einer neuen und funktionsgerechten Personalstruktur -- testhal ten. Ich sagte, daß die Einsprüche des Bundesrates meiner Meinung nach in der Presse überdramatisiert worden sind. Aus dem Bundesratsprotokoll vom 29. Januar geht tatsächlich hervor, daß der Berichterstatter des Bundesrates, grundsätzlich betrachtet, nur elf wichtige Änderungsvorschläge vorgetragen hat. Mehr sind es nicht gewesen, und es kann von der These, die Hochschulreform stehe erneut am Ahfang, keine Rede sein. ({8}) Einige Dinge habe ich in dieser Diskussion nicht ganz verstanden, und ich nehme an, Herr Dr. Vogel, daß Sie noch darauf eingehen sollen und wollen. Sie haben z. B. in dieser Aussprache über den Entwurf der Bundesregierung gesagt, wir -- Sie sprachen als Kultusminister von Rheinland-Pfalz - halten es nicht weiter für zweckmäßig, „daß graduierte Studenten in Fragen der Forschung und der Einstellung von Professoren im vorgesehenen Umfang mitwirken, obwohl wir gerade in unserem Lande mit einer Mitwirkung graduierter Studenten gute Erfahrungen gesammelt haben." Ich kann diesen Widerspruch nicht auflösen. Wenn Sie gute Erfahrungen gemacht haben und wenn Sie all dies, was hier an Beispielen von einzelnen Instituten und Universitäten teilweise in Schwarzmalerei herausgestellt wird, nicht erlebt haben, verstehe ich nicht, weshalb Sie nicht konsequent einer erweiterten vernünftigen Mitbestimmung das Wort geredet haben. ({9}) Aber ich nehme bei Ihnen nicht an, Herr Kollege Vogel, daß es sich hier um eine Art von „NichtMitbestimmungsideologie" handelt? Nun, die funktionsgerechte Mitwirkung aller Mitgliedsgruppen in allen Hochschulangelegenheiten und auch in Fragen der Forschung und der Berufung ist allerdings unserer Meinung nach Voraussetzung für eine freiheitlich-demokratische Ordnung im Rahmen der gewährten Autonomie, die wiederum die Verpflichtung auf die Verantwortung vor der Gesellschaft auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung bedingt. Da bin ich mit Ihnen einer Dr. Meinecke ({10}) Meinung, und ich bin geneigt zu sagen, daß wir einen Kompromiß finden werden, um diesen Grundsatz in § 2 des Gesetzes so zu verankern, daß es einerseits keine Interpretation und Ausdeutung des Art. 5 GG bedeutet und andererseits dennoch die gesellschaftliche Verpflichtung der Hochschulen klarmacht. Mitbestimmung und Mitwirkungsparagraphen -das meine ich allerdings auch dürfen nicht primär Verhinderungsparagraphen sein. Und in diesem Zusammenhang werden die Bereitwilligkeit und gewisse neue Formulierungen in Ihren Ausführungen heute, Herr Minister, von mir und, wie ich glaube, von uns allen außerordentlich begrüßt. Wir vertreten die Auffassung, daß entsprechend dem Grundsatz funktionsgerechter Mitwirkung an den Entscheidungen über Forschungsfragen alle Wissenschaftler einschließlich der Studenten stimmberechtigt beteiligt werden sollten. Den Ausschlag bei der Beschlußfassung bei Forschungsentscheidungen und Einstellungen müssen natürlich diejenigen geben, die wegen eigener Erfahrungen und wegen der kontinuierlichen Bindung an Forschungsschwerpunkte in erster Linie urteilsfähig sind. Entsprechend lautet auch die Klausel in § 17 des Hochschulrahmengesetzes. Deshalb kann in den Kollegialorganen keine Entscheidung gegen die Mehrheit der Professoren, Assistenzprofessoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter getroffen werden. Insofern scheint es mir nicht richtig zu sein, daß der Entwurf der Regierung in irgendeiner Weise den Intentionen radikaler kleiner Minderheiten übermäßig Gelegenheit gibt, störend zu wirken. Im übrigen glaube ich, Herr Kollege Martin, sind wir uns alle in der Ablehnung der Störmanöver kleiner radikaler „Outsider", wie Sie sie genannt haben, und Minderheiten einig. Nur, die hat es vorher gegeben, und die wird es hinterher geben. Durch ein Rahmengesetz wird man diejenigen, die sich ohnehin nicht an Gesetze halten, nicht daran hindern können, jeweils störend einzugreifen. Ich glaube, Herr Kollege Sperling ist es gewesen, der einmal gesagt hat: „Rote Zellen bekämpft man mit Grauen Zellen." Das wird langfristig wohl die beste Methode sein. ({11}) - Dann ist natürlich die Frage zu stellen, ob die Funktionsfähigkeit der Grauen Zellen vielleicht nicht noch verbessert werden könnte? ({12}) Die in den Anhörungen von der Öffentlichkeit artikulierten großen Bedenken, die wir hier noch einmal erörtern müssen, nämlich, daß Mitbestimmung und Mitsprache Leistungsfähigkeit und Effektivität beeinträchtigen würden, teilt die SPD-Bundestagsfraktion nicht. Denn Erfahrungen mit neuen Universitätsgesetzen haben häufig das Gegenteil bewiesen, z. B. in Hamburg! Auch die letzte Anhörung hat ausreichend Gelegenheit gegeben, das beweiskräftig darzustellen. Dem hat von Ihnen noch niemand widersprochen. Mir scheint, es ist doch richtig, daß eine funktionsgerechte Demokratisierung der Bildungswege und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einander bedingen. Die künstlich hochgespielte Polarisierung und scheinbare Gegensätzlichkeit der Begriffe Leistung und Demokratie akzeptieren wir ebenfalls nicht. Beide Begriffe sind komplementär zu verwenden und durchzusetzen. In diesem Zusammenhang erscheint die Festlegung von „Regel- oder Mindeststudienzeiten" in den Studienordnungen durchaus gerechtfertigt. Sie dürfen natürlich nicht zu Repressionen führen. Wenn zudem von Leistung gesprochen wird - da bin ich mit Ihnen einer Meinung, auch mit Ihnen, Herr Bundesminister --, so sind die von der Bevölkerung zu tragenden und für die Zukunft geforderten Aufwendungen für das gesamte Bildungssystem nicht zu ignorieren. Gesellschaftliche Verpflichtungen bedingen einander. Der Bundesrat hat gegen § 20 des Gesetzes Bedenken erhoben, der eine „verfaßte Studentenschaft" als Institution vorsieht. Wir geben zu, daß für Berlin durchaus Probleme besonderer Art entstehen. Dennoch bin ich der Auffassung, daß man sich abgesehen davon, daß eine Streichung konkrete finanzielle Auswirkungen für die Studentenschaft als Organisation bedeuten würde, doch noch einmal kurz den Katalog der Aufgaben einer solchen Einrichtung vor Augen führen sollte. Wenn ich an die Wahrnehmung der hochschulpolitischen Interessen der Studenten denke, an die Vertretung der Gesamtheit der Studenten im Rahmen der gesetzlichen und satzungsmäßigen Befugnisse, an die Wahrnehmung der sozialen Selbsthilfe, soweit sie nicht dem Studentenwerk übertragen ist, an die Förderung der politischen Bildung und der staatsbürgerlichen Verantwortung der Studenten sowie an die Pflege internationaler Studentenbeziehungen, die Pflege des freiwilligen Studentensports und die Beteiligung an der Ausbildungsförderung, so meine ich, wir sollten bei dem in diesem Sinne formulierten Prinzip verbleiben. Ich möchte das „Quorum" nur kurz aufgreifen. Herr Kollege, Sie haben darüber gesprochen. Nach der derzeitigen Vorlage und der Konstruktion dieses Gesetzes respektiere ich die Begründung der Bundesregierung für ein Quorum. Ich möchte aber ihren Appell an die Studentenschaft aller deutschen Universitäten und Hochschulen unterstreichen, die sich darüber im klaren sein müßten, daß diese es bei der Anciennität dieses Problems selbst hätten dahin bringen können, daß die Diskussion über das Quorum bereits abgeschlossen wäre. Das hätte man allerdings bei dem politischen Instinkt, den man für sich dort beansprucht, rechtzeitig erreichen müssen. ({13}) Immer wieder - das haben wir in den Anhörverfahren auch vernommen - klingt bei all denen, die an der Selbstverwaltung beteiligt sind, aber besonders bei den Professoren und den Lehrenden das Unbehagen durch, sie seien durch die demokratischen Verfahrensweisen neuer Universitätsgesetze überlastet, und das System würde überstrapaDr. Meinecke ({14}) ziert. Wir möchten erstens darauf hinweisen, daß Demokratie als Denkprozeß in solchen Institutionen besonders schwierig abläuft, in denen sie bisher nicht ausreichend praktiziert wurde, und daß dieser Lernprozeß noch einige Zeit dauern wird. Zweitens weisen wir darauf hin, daß die jetzt bestehenden Schwierigkeiten durch eine Personalstruktur bedingt sind, von der wir hoffen, daß sie an der künftigen integrierten Gesamthochschule andere Formen und reibungsloseres Funktionieren der Mitbestimmung, der Mitwirkung und der demokratischen Verfassung ermöglicht. Dem Gelingen umfassender Studienreformen und der systematischen Verflechtung aller Studiengänge eines Faches kommen die §§ 33 bis 39 sowie 59 und 60 entgegen. Hier werden sowohl die Erprobung von Reformmodellen als auch neue Wege der Zusammenarbeit mehrerer Hochschulen angeregt und eröffnet. Selbstverständlich gelingt dies nur durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Hochschulen und Ländern. Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit ist eines der Grundprinzipien dieses Gesetzentwurfes. Soweit auf diesem Gebiet die Experimentierklausel im Gesetz enthalten ist, ist sie berechtigt. Eine solche Klausel muß allerdings auf den Gebieten, die für dieses oder jenes Land wegen der dort gefundenen eigenen Lösungen von Bedeutung sind, in Frage gestellt werden. Allzuleicht könnten mit diesem Instrument überholte Regelungen unter dem Deckmantel des Experimentes verewigt werden. Meine Damen und Herren, die vernünftige Überleitung der bisherigen in eine neue funktionsgerechte Personalstruktur -- im einzelnen ist diese Personalstruktur in § 57 des Gesetzes erläutert - wird entscheidend zum Gelingen des Rahmengesetzes und seiner Konsequenzen beitragen. Ich möchte hier betonen, daß mir pauschale Überleitungen ganzer Gruppen unvernünftig zu sein scheinen. Die jeweilige Prüfung von Einzelfällen ist unabdingbar. Hier muß heute auch gesagt werden, daß eine Koppelung der Überleitung mit Besoldungsforderungen und Besoldungserhöhungen im Interesse des Gelingens des Gesamtwerkes abgelehnt werden muß. Die Lösung von Besoldungsfragen muß einer späteren Abwägung der Interessen und der Besoldungsentwicklung vorbehalten bleiben; sie kann nicht mit der Durchführung dieses Gesetzes verbunden werden. Viele Länder mit großen Gesamthochschulen werden ohnehin Schwierigkeiten genug haben, die Anforderungen, die auf Grund dieses Gesetzes an den Personalsektor gestellt werden, zu erfüllen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren - das erkläre ich für meine Freunde - werden wir die zahlreichen und vielfältigen Anregungen aus dem letzten Anhörverfahren in die Überlegungen mit einbeziehen. Wir hoffen, daß wir in einem Vierteljahr ein vernünftiges Gesetz verabschieden können. ({15})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.

Dr. Hanna Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Hochschulrahmengesetzentwurf der Bundesregierung, in seiner letzten Fassung zunächst von allen Hochschulgruppen scharf abgelehnt und vom Bundesrat mit vielen Änderungen versehen, fand erst nach Bekanntwerden des CDU/ CSU-Entwurfs und der Bundesratsvorlage bei der Rektorenkonferenz, der Bundesassistentenkonferenz und dem VDS sehr gedämpfte Zustimmung. ({0}) Sagte doch selbst der Herr Kollege Lohmar noch am 5. Februar 1971 so treffend über diesen Gesetzentwurf - ich zitiere den Herrn Kollegen Lohmar -: Ich bin ziemlich sicher, daß wir eine klare gesellschafts- und wissenschaftspolitische Position in der öffentlichen Debatte einem Gesetz vorziehen würden, das nur noch aus Leerformeln bestände. Wir können Ihnen darin, Herr Lohmar, nur zustimmen. Fürchtet man etwa, daß durch Aufnahme unserer Vorschläge das Ziel der integrierten Gesamthochschule, das der langjährige Sprecher der BAK, Herr Westphalen, am 18. Dezember 1970, also vor noch nicht einem halben Jahr, in Essen verkündete, nämlich - und das ist das Ziel von Herrn Westphalen --: die integrierte Gesamthochschule sei das Instrument, um durch Akademikerinflation den Akademikerdünkel abzubauen, nicht mehr erreicht werden könnte, daß etwa ein Tankwart, der beim Zapfen Marx, Mao oder Marcuse liest, vorläufig eine Zukunftsvision bleiben müßte, weil die volkswirtschaftlichen Kosten, mit denen der gewiß verwerfliche Akademikerdünkel bekämpft werden soll, einfach zu hoch sein dürften, insbesondere wenn noch die Forschung dabei auf das gefährlichste beeinträchti gt würde? Wir, Herr Minister, haben die Hoffnung auf ein sachgerechtes und vernünftiges Gesetz und damit auf einen tragfähigen Kompromiß, den Sie ja auch angedeutet haben, noch nicht aufgegeben und sind zur Zusammenarbeit bereit. Aber die Akademikerinflation kann für uns nicht das Ziel einer zu reformierenden Hochschule sein. Ich will nur drei Punkte noch einmal herausgreifen, und zwar insbesondere deshalb, weil ich heute der „Frankfurter Rundschau" entnommen habe, daß nunmehr Ihre Fraktion im Gegensatz zu dem, was der Herr Minister vorhin ausführte, für Studenten das volle Stimmrecht bei Forschungs- und Berufungsfragen vorgeschlagen hat. ({1}) - Sonst tritt sie immer sehr für Sie ein und ist ganz gut informiert. Ich nehme an, daß Herr Lührig auch diesmal das Gras hat wachsen hören. - Ich möchte also noch einmal auf die drei Punkte kommen: integrierte Gesamthochschule - Mitwirkung und Drittmittel, die hier überhaupt noch nicht erwähnt sind - Studium und Prüfungen. Dabei sind die beiden ersten dieser Punkte kontrovers, während wir beim letzten nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Ich komme also noch einmal auf das Thema Gesamthochschule - bei uns § 7, im Regierungsentwurf §§ 4 bis 6 -, und zwar zu dem Unterschied zwischen kooperativer, und das heißt für uns zugleich differenzierter und koordinierter, Gesamthochschule - und insoweit hat sich das Konzept ein bißchen angenähert, wenn Sie, Herr Minister, es nachher in Ihrer Fraktion durchhalten können und integrierter Gesamthochschule, welche der Regierungsentwurf uns als einziges Modell der Zukunft offerieren will, obwohl Herr Minister Leussink noch vor kurzer Zeit in Aachen selber verkündete, daß auch er außer bei den Ingenieuren und den Lehrern diesem Modell etwas skeptisch gegenüberstehe. Heute kam diese Skepsis wieder etwas mehr heraus. Im Regierungsentwurf allerdings ist von der Skepsis nichts zu spüren. Wir haben diese Skepsis heute noch, Herr Minister, auch wenn wir ausdrücklich formulieren: „Insbesondere sollen integrierte Formen der Gesamthochschule erprobt und da" - übrigens immer da -- „angeboten werden, wo sie sich vom Fachgebiet her anbieten." Das ist etwas, wo wir vielleicht gewisse Annäherungen erreichen können. Verspricht die Erprobung Erfolg, dann sind auch wir für die Integration. Aber wir wollen das Pferd nicht beim Schwanze aufzäumen, wie Sie, und den Erfolg sozusagen postulieren, der erst bei einer sicherlich schwierigen Abstimmung der Kurrikula möglich sein könnte. Dieser Erfolg darf auf keinen Fall auf Kosten der Forschung gehen, von der wir schließlich alle leben, und ich bitte Sie, daran zu denken, daß wir wirklich alle von der Forschung leben, auch wenn sich das bei den Verfechtern der Demokratisierung um jeden Preis und damit unendlicher Verwaltungsaufblähung noch nicht herumgesprochen hat. Es gibt wohl kein Schlagwort, das so kometenartig am Bildungshimmel aufgestiegen ist wie die „integrierte Gesamthochschule". Jeder Fortschrittsbeflissene weiß, daß die kooperative, aber differenzierte, nämlich unsere Form, noch ehe sie erprobt ist, „reaktionär" ist ({2}) - ich sage ja, sie ist ja nicht einmal erprobt; das ist ja das, was wir Ihrem Gesetzentwurf vorwerfen -, obwohl der Bildungsrat selbst für Gesamtschulen zunächst einmal die Erprobung vorgeschlagen hat. Jeder weiß ebenso, daß angeblich nur die integrierte Form fortschrittlich ist, obwohl die internationale Entwicklung in den hochentwickelten Ländern völlig gegenläufig ist, worüber man vielleicht doch auch einmal nachdenken sollte. International, im Osten wie im Westen, zeichnet sich nämlich eine zunehmende Differenzierung und Angebotsverbreiterung der Bildungseinrichtungen des tertiären Sektors ab ebenso wie eine Aufteilung zu großer Gebilde; wir führen ja zusammen, während die anderen aufteilen. Deshalb stieß bei der Europäischen Rektorenkonferenz, die im November 1970 bei Wien stattfand, das bundesdeutsche integrierte Rezept auf Ablehnung. Bei den europäischen Rektoren sah man darin den verzweifelten und untauglichen Versuch - wohlgemerkt: nicht bei unseren; die sind inzwischen längst umgekippt -, um jeden Preis die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, auch unter Preisgabe der bei den Universitäten sonst als notwendig gesehenen Forschung. Was wird übrigens diese Überzeugung der anderen Länder für unsere Hochschüler eines Tages auf dem europäischen Arbeitsmarkt bedeuten? Daß sie, wenn sie .nicht außerordentlich und durch Auslandsstudien qualifiziert sind, immer die schlechteren Positionen bekommen werden ({3}) - hoffentlich sind es nicht Ihre Kinder, Herr Raffert! , weil man über Integration und Demokratiesierung die Leistungs- und Ausbildungssteigerung vergessen hat und sich mit der Aushöhlung der Forschung an der Hochschule praktisch den Ast, auf dem man sitzt, abgesägt hat. Man kann nicht generell ohne zuverlässige Erprobung von aufeinander zugeordneten Studiengängen Studieninhalte integrieren, Unterschiede beseitigen wollen, wie Sie das alles wollen, und gleichzeitig auf dem bisher höchsten Niveau, dem universitären Niveau, nivellieren wollen. ({4}) - Ich bin Jurist. Ich habe nicht nur Phantasie, sondern ich weiß auch, wie Gesetze gemacht werden sollten. Das kann eines Tages tatsächlich nur zu der von Herrn Westphalen gewünschten Akademikerinflation führen und damit zu einem akademischen Proletariat, wie wir es zum Teil schon im westlichen Ausland und etwa auch in Polen haben. ({5}) - Ich warne davor, Herr Raffert, weil ich weiß, daß z. B. in Amerika, wie ich gerade heute einer Notiz der „Frankfurter Allgemeinen" entnahm, ein Drittel der promovierten Chemiker, Physiker und Biologen keine Stellen mehr finden, und weil ich gleichzeitig weiß, wieviel Ingenieure - -({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Kollege Raffert, Sie können sich nachher zu Wort melden. Das ist besser, als Dialoge zu führen.

Dr. Hanna Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schönen Dank, Herr Präsident! Mein zweiter Punkt, die Mitbestimmung oder Mitwirkung, findet sich in dieser Form ebenfalls nur bei uns in der Bundesrepublik so, es sei denn, man nimmt einzelne südamerikanische Länder, bei denen man allerdings weniger von Forschungsleistungen als von Unruhen hört. Die Tschechoslowakei hat das Modell einmal ausprobiert und als nicht sehr erfolgreich wieder abgebaut, weil die VerwaltungsaufFrau Dr. Walz blähung und ebenfalls der Zeitaufwand zu groß waren und dabei Forschungsleistung und Studienleistung zu kurz kamen. Im Hearing hörten wir, daß etwa in Heidelberg pro Jahr jedes Mitglied des Großen Rats 180 Arbeitsstunden aufgewandt hat. Das ist für jedes Mitglied des Großen Rats ein voller Arbeitsmonat. Dies übrigens bei einer noch nicht integrierten Gesamthochschule! Sie können sich vorstellen, was kommt, wenn erst integriert wird. Ich empfehle nur, die Berichte der Lehrer der Berliner Gesamtschulen nachzulesen, die dort über ihre Arbeit sprechen. Ich glaube, das sollten wir uns einmal ansehen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ulrich Lohmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001370, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Kollegin, ich möchte mich bei Ihnen erkundigen, ob Sie den erforderlichen Zeitaufwand bei der koordinierten Gesamthochschule für geringer halten. Koordinieren ist im allgemeinen doch zeitraubender als integrieren.

Dr. Hanna Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002425, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das würde ich nicht sagen, Herr Kollege, sondern es kommt darauf an, wieviel Gremien man schafft, in wieviel Ausschüssen man es macht. Selbstverständlich ist auch das zeitraubend. Aber die Integration ist, da sie noch viel mehr auf dem Weg ist, natürlich noch viel zeitraubender. Ein hervorragendes Beispiel für die Leerformeln dieses Entwurfs, die Herr Kollege Lohmar ja auch gerügt hat, ist § 14 Abs. 2 des Regierungsentwurfs. Während dort in § 14 Abs. 2 die Abhängigkeit im der Mitwirkung von Aufgaben und Funktionen nur vage formuliert ist - jeder kann sich da etwas anderes denken -, haben wir in unserem Entwurf eine ganz klare Staffelung der Mitwirkung nach der Funktion in Forschung, Lehre und Studium, nach der in objektiven Verfahren festgestellten Qualifikation, nach der beruflichen Bindung an die Hochschule und weiter nach der Dauer der Zugehörigkeit zur Hochschule. Hier erhält der Landesgesetzgeber einen durchaus präzisen Rahmen, den er in Ihrem Entwurf nicht hat, und hier bestimmen nur solche Mitglieder mit, die nach Leistung und Ausbildung und Zugehörigkeit zur Hochschule den nötigen Einblick und die nötigen Kenntnisse haben. Wir lehnen deshalb das von Ihnen hier propagierte - oder vielleicht auch nicht propagierte, wenn ich Herrn Lührig also nicht trauen darf - volle Stimmrecht von Studenten in Forschungs- und Berufungsfragen ab. ({0}) - Sicherlich, ich habe das hier nur gelesen, und ich höre heute hier überhaupt anderes und sehr viel Verbindlicheres, als wir vorher gehört haben, ({1}) als wir noch im letzten Hearing gehört haben. Ich weiß nicht, wie rasch Sie Ihre Umstellungen vollziehen. ({2}) Wenn es wirklich eine Umstellung sein sollte, wären wir um so dankbarer und zur Zusammenarbeit durchaus bereit. Sie müssen uns aber erlauben, daß wir noch die Worte der letzten Woche im Ohr haben, und die klangen nun wirklich ein bißchen anders. ({3}) Insofern sind wir wirklich sehr skeptisch. Wenn das aber stimmt, was hier gesagt wird, um so besser; wir sagten ja schon, daß wir dann durchaus zu einer Zusammenarbeit bereit sind. Wir jedenfalls wollen keine politischen Kaderschmieden - das scheinen Sie auch nicht zu wollen, das haben wir mit großer Freude gehört -, wir wollen Aneignung wissenschaftlichen Denkens, bestmögliche berufliche Vorbildung, auf die insbesondere auch Herr Dr. Martin schon hingewiesen hat, und Teilnahme an der Forschung dort, aber auch nur dort, wo Studiengang und persönliche Eignung dies erfordern. Wir lehnen auch ausdrücklich das imperative Mandat ab. Das hat Herr Minister Leussink hier auch getan. Wir haben uns nur gewundert, warum es aus dem Entwurf herausgefallen und nur noch in der Begründung wiederzufinden war. Sie wissen, Herr Minister, daß man sich später sehr wenig an Begründungen zu halten pflegt. Wir hätten es deshalb gern im ursprünglichen Text behalten, aber in der Sache scheinen wir ja einig zu sein. Auch bei der Mitbestimmung über Berufungs- und Forschungsangelegenheiten ist unser Entwurf forschungsbezogener und weniger demokratisch als Ihrer. Bei uns entscheidet die Mehrheit der Hochschullehrer, also die der Professoren und Assistenzprofessoren, weil wir meinen, vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, daß diese nicht nur einen Informationsvorsprung an Wissen haben, sondern sich doch auch schon durch Leistung ausgewiesen haben. Für beide Entwürfe, für unseren auch, gilt dies, daß die naturwissenschaftliche Forschung noch nicht genügend berücksichtigt ist. Bei uns ist das wahrscheinlich besser gelöst als im Regierungsentwurf - siehe Art. 23 -, da wir die Hochschullehrer in Forschungsfragen entscheiden lassen und den für Ingenieur- und Naturwissenschaften lebensbedrohenden Drittmittelparagraphen, den Sie in Ihrem Entwurf haben, nicht übernommen haben, weil wir wissen, daß die Finanzierung durch Drittmittel in allen westlichen Staaten seit 1920 üblich ist, wobei im allgemeinen die öffentlichen Gelder 90 % und die anderen 10% betragen. Kann es sich der Staat leisten, kann es sich die Wirtschaft leisten, kann es sich die Forschung leisten, daß durch Anzeige- und Widerspruchsrecht - das Widerspruchsrecht ist ja auch sehr wichtig - im Fachbereich die Wirtschaft ihre eigene Forschung ausbaut, worauf Herr Dr. Martin schon hinwies, wobei sich die mittelständische Wirtschaft das übrigens gar nicht leisten kann, und werden nicht gerade durch diesen Paragraphen die Ingenieurwissenschaften von der Praxis fast völlig abgeschnitten? Mitsprache im Management und in der Organisation sind bei den Naturwissenschaften erforderlich. Größere Forschungsprojekte müssen überregional abgesprochen wer6256 den, und die Grundsatzentscheidung für die Großforschung muß natürlich im Parlament fallen. Eine Verzögerung der Forschungsprojekte durch eine zusätzliche Stellungnahme des kontrollierenden Zentralorgans kann die Forschungsarbeit weitgehend lähmen, wie auch in Berlin geschehen. Wissenschaftsimmanente Entscheidungen müssen bei den Forschern liegen, wenn wir unseren Forschungsstand in der Welt, den wir nach dem Dritten Reich mühsam genug und noch längst nicht in allen Sparten wieder erreicht haben, halten wollen. Ich möchte abschließend nur noch ein ganz kurzes Wort zum Thema Studien- und Prüfungsreform sagen. Die gegenwärtige Krise des akademischen Unterrichts erwächst zu einem nicht unwesentlichen Teil aus dem Konflikt zwischen sinkender Lernfähigkeit und Lernbereitschaft vieler Studenten auf der einen und ständig steigenden Anforderungen der Hochschule auf der anderen Seite, weil sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse heute eben alle zehn Jahre verdoppeln. Der bedeutendste Konflikt für die Studenten ist die Verunsicherung der Examina und überlange Studienzeiten. Aus diesem Grunde muß eine Studienreform bei der Reform des Prüfungswesens beginnen und mit einer klaren Abgrenzung des Stoffes und exemplarischen Lernens endlich ernst gemacht werden. Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen. Die Regierung ist mit Reformversprechen verhältnismäßig hoch eingestiegen. Insofern hätte man von diesem Gesetzentwurf eigentlich mehr Hilfe hinsichtlich der verfahrenen Lage an den Hochschulen erwartet. Wir wünschen im Interesse unserer Hochschulen, im Interesse von Forschung, Lehre und Studium, eine sachliche Zusammenarbeit mit Ihnen, damit im Endergebnis ein vernünftiges und wegweisendes Gesetz zustande kommt. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wichert.

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerin, Frau Dr. Walz, glaubte darauf hinweisen zu müssen, daß der Regierungsentwurf wegen seiner ausschließlichen Stellung in der öffentlichen Diskussion nur gedämpfte Zustimmung erfahren habe. Natürlich! Die deutsche Öffentlichkeit hat ja auch nicht wissen können, was Sie in Ihrer Vorlage eigentlich zu bieten haben. Erst das Hearing hat deutlich gemacht, wo überhaupt die Grenzen Ihrer Vorstellungen und die Grenzen für die Zustimmung liegen, die Ihr Entwurf finden kann. ({0}) Deswegen halte ich es auch für vernünftig, Ihren Gesetzentwurf einmal im Zusammenhang kritisch zu würdigen, und darf dazu folgendes feststellen. Der CDU/CSU-Entwurf ist von einem grundsätzlichen Mißtrauen gekennzeichnet, die Hochschulen zu demokratisieren. ({1}) Wer die berechtigte Hoffnung und das Engagement, seit dem 19. Jahrhundert versteinerte Verhältnisse im Hochschulbereich in Bewegung zu bringen und hierarchische, autoritäre Abhängigkeitsverhältnisse durch kritische Partnerschaft zu ersetzen, als „Demokratisierungseuphorie" denunziert, wie Sie es in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs getan haben, wer darüber hinaus wie Sie, Herr Martin, heute, von „klischeehaften Vorstellungen von Demokratisierung" spricht, und wer schließlich wie Sie, Frau Walz, von „demokratistisch" sprechen zu können glaubt, dem muß man vorhalten, daß er Zweifel an der Aufrichtigkeit und am Willen weckt, dieser Demokratie über den Bereich der politischen Verfassung hinaus eine Grundlage in der Gesellschaft zu geben, ({2}) um sie auf diese Weise gegen das Schicksal von Weimar immuner zu machen. ({3}) Diese Ihre Einstellung, meine Damen und Herren von der CDU, ist nicht neu. Bei der Diskussion über die Erweiterung der wirtschaftlichen Mitbestimmung haben Sie sie ebenso eindeutig zum Ausdruck gebracht. Daß diese Haltung Ihren Grundprinzipien entspricht, hat Ihr Generalsekretär Heck in schonungsloser Offenheit formuliert. Man muß das immer wieder zitieren, um die Unterschiede zwischen konservativen und progressiven Parteien zu kennzeichnen. ({4}) - Genau! ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte diesen Gedanken erst zu Ende führen. Wer wie Herr Heck die Demokratie nur als - ich zitiere - „Form der politischen Herrschaft im Staate" begreift und wenig Sinn damit verbindet, mit einer Demokratisierung - ich zitiere weiter -„den Bereich des Staates zu überschreiten", bei dem kann man auch Mitbestimmungsansätze in einem Gesetzentwurf für nicht mehr als modische Zugeständnisse halten. ({0}) An diesem Punkt, meine Damen und Herren, unterscheiden sich Regierungskoalition und Opposition eben grundsätzlich. Die Regierungskoalition tritt für mehr Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft ein. Sie läßt sich nicht wie Sie widerwillig Konzessionen in diesen Bereichen abnötigen. ({1}) Daß Sie dabei im Hochschulbereich auch nicht anders können als bei der Erweiterung der Mitbestimmung, liegt auf der Hand. Hier wie da erweisen Sie sich als getreue Diener der Industrie. ({2}) - Abg. Dr. Gölter: Das paßt zu dem, was vorhin Herr Leussink gesagt hat!)

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte!

Anton Pfeifer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wichert, ich darf Sie fragen, ob Sie folgenden Satz von Herrn Professor Löwenthal aus Berlin unterschreiben würden: Was wir heute erleben, - er bezieht sich dabei auf Berlin ist weder Zufall noch eine Übergangserscheinung; es ist die Folge der Institutionalisierung unserer Hochschulkrise durch die Einführung einer Form der Demokratisierung, die mit den Bedürfnissen von Forschung und Lehre unvereinbar ist.

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0}) Gestatten Sie, daß ich diese Ihre Zwischenfrage einmal dazu benutze, die von mir angedeuteten Beziehungen zwischen Abhängigkeit von Industrieforderungen und Formulierungen in Ihrem Gesetzentwurf einmal deutlich zu machen. ({1}) -- Ja. ({2}) Wenn z. B. ein Ihrer Fraktion nicht unbekannter Vertreter wie Herr Balke angesichts des Berliner Hochschulgesetzes an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz geschrieben hat, daß in der Wirtschaft ernste Besorgnisse ausgelöst worden seien, weil in Zukunft - ich zitiere - „unzuständige Gruppenvertreter an Entscheidungen mitwirken könnten, wenn die Alleinverantwortlichkeit einzelner qualifizierter Forscher dadurch beseitigt oder geschmälert würde", und wenn Herr Balke fortfährt - auch das war besonders aufschlußreich -, daß eine solche Entwicklung unvermeidlich - ich zitiere wieder -„die Bereitwilligkeit der Industrie schmälern wird, in bisherigem Umfang Forschungsmittel bereitzustellen", dann ist das doch eine klare politische Nötigung, die eine weitere Ausbreitung der Demokratie über den politischen Bereich hinaus verhindern soll. ({3}) Wer dann in Ihrem Gesetzentwurf in § 15 Abs. 6 die Formulierung liest, daß in den Organen der fachlichen Einheiten die Mehrheit der Stimmen der Hochschullehrer über die Aufnahme von Forschungsprojekten und allgemeine Fragen der Forschung entscheiden soll, dem muß dieser Zusammenhang doch wohl unmittelbar einleuchten. Bei dieser Regelung, die Sie in § 15 Abs. 6 vorschlagen, bleiben selbst die wissenschaftlichen Mitarbeiter unberücksichtigt, für deren Ausschluß es keinen triftigen Grund gibt. Ich kann mir nicht verkneifen, auf Ihre Schizophrenie hinzuweisen - auch mein Kollege Meinecke hat das schon getan -, wider besseres Wissen den Industrieinteressen in diesem Punkt zu folgen. Herr Vogel, Kultusminister in Rheinland-Pfalz und Präsident der Kultusministerkonferenz hat in der Bundesratsdebatte anläßlich der ersten Lesung zum Hochschulrahmengesetz zu verstehen gegeben, daß man mit den Mitsprache- und Mitbestimmungsrechten sogar auch der graduierten Studenten gute Erfahrungen gemacht habe. Trotzdem schließt Ihr Entwurf sie aus. Der CDU/CSU-Entwurf gibt ferner vor, für zukünftige Reformentwicklungen offen zu sein. Das ist verbale Unverbindlichkeit, um sich bei bildungspolitisch Interessierten anzubiedern. In Wirklichkeit wollen Sie doch bestehende Verhältnisse zementieren oder allenfalls fortschreiben. Wer sich nicht heute wie die Regierungskoalition und die Bundesregierung auf die integrierte Gesamtschule bei der Schulreform und auf die integrierte Gesamthochschule bei der Hochschulreform als Ziel festlegen will, der trägt eben die Verantwortung dafür, wenn im nächsten Jahrzehnt im Gesamthochschulbereich Fehlinvestitionen von ungeheuren Ausmaßen vorgenommen werden. ({4}) Wer angesichts der Tatsache, daß sich die Studentenzahlen bis 1980 verdoppeln werden - was aller Wahrscheinlichkeit nach auch zu einer quantitativen Erweiterung der Einrichtungen des bestehenden Hochschulsystems in ähnlichem Umfang führen wird --, wer also angesichts einer solchen Entwicklung glaubt, sich um die Festlegung der Ziele herumdrücken zu können, der erweist doch mit dieser Ausklammerung nur seine Unfähigkeit, rechtzeitig und angemessen auf tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse einzugehen und eine langfristige Reformperspektive für die Lösung des Problems anzubieten. Die Argumente der CDU/CSU gegen die Einführung der integrierten Gesamthochschule gehen doch ausschließlich von dem bestehenden Zustand aus. Da ich selbst aus einem Flächenstaat stamme, will ich die Schwierigkeiten nicht unterschätzen, bestehende Hochschulen in Gesamthochschulen zu integrieren. Aber Sie lassen sich doch durch diese, an den gegenwärtigen Verhältnissen orientierte Argumen6258 tation den Blick für zukünftige Entwicklung verstellen. Ihnen fehlt einfach die nötige Phantasie, über die heutigen Verhältnisse hinauszudenken und schon allein aus der quantitativen Expansion des Hochschulbereichs die nötigen Folgerungen für dessen gesetzliche Regelung zu ziehen. ({5}) - Warum sträuben Sie sich dann so? ({6}) Die Erprobung schließt doch nicht aus, daß investiert werden muß. Wenn Sie keine Zielvorstellung haben, unter der Sie solche Investitionen vornehmen, werden diese fehlgeleiteten Investitionen - ich wiederhole das noch einmal - die zukünftigen Reformen nicht nur erheblich erschweren, sondern auch noch doppelt und dreifach so teuer machen. ({7}) - Kollege Lohmar wird noch ausführlich über die integrierte Gesamthochschule sprechen. Ich habe in diesem Zusammenhang einen Aspekt Ihrer Argumentation aufgegriffen und dargestellt, unter welchen Gesichtspunkten ich ihn für unzulänglich halte. Ich möchte jetzt in der Behandlung Ihres Entwurfs fortfahren. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU ist unausgereift, in Einzelheiten widersprüchlich und nicht durchdacht. Wenn Sie zum Beispiel die Vorschläge zur Regelung der Mitbestimmung in den einzelnen Organen betrachten, bei denen die Hochschullehrer über 50 % der Stimmen haben sollen § 15 Abs. 6 - und diesen Paragraphen mit dem Paragraphen über das Wahlquorum in Zusammenhang bringen, ergibt sich für Sie entweder die unüberlegte oder die widersprüchliche Folge, daß bei einer geringeren Wahlbeteiligung der Hochschullehrer sich nicht nur deren Sitze vermindern, sondern ungerechterweise auch die Sitze anderer Gruppen, die ihrer Wahlpflicht mit mehr als 50 % nachgekommen sind. ({8}) - Ich würde in solchem Zusammenhang nicht solche unsinnigen Formulierungen in einen Gesetzentwurf nehmen, wenn ich dafür wäre. ({9}) Der CDU/CSU-Entwurf räumt den Hochschulen und ihren Angehörigen keine befriedigende Möglichkeit einer kritischen Partnerschaft gegenüber staatlichen Entscheidungen ein. Er sieht sie letztlich als Objekt staatlicher Regulierung.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Gölter?

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Es ist das gute Recht des Redners, auf diese Frage mit nein zu antworten. ({0})

Dr. Günter Wichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Während Sie von der CDU/ CSU in der Regel im Gegensatz zur Regierungsvorlage - ich zitiere jetzt eine Stellungnahme der Westdeutschen Rektorenkonferenz den Hochschulen weniger Eigenständigkeit und Selbständigkeit zugestehen, machen sich sowohl Bundesregierung als auch Regierungskoalition Gedanken darüber, wie es möglich sein könnte, den kritischen Sachverstand der Hochschulen durch eine stärkere Selbstvertretungsmöglichkeit zur Wirkung zu bringen. Sowohl die Koordination als auch die Kooperation in Fragen der Studienreform als auch die Abstimmung der Schwerpunktbildung in Forschung und Lehre als auch die gemeinsame Entwicklung und Fortschreibung der Hochschulhaushalte auf Landes- und Bundesebene ließe es den Regierungsfraktionen wünschenswert erscheinen, hierfür mit Kompetenzen ausgestattete Organe wie Landes- und Bundeshochschulkonferenzen zu entwickeln. Da die Verfassungslage keine Einrichtung derartiger Organe durch Rahmenrecht in befriedigender Weise ermöglicht, bieten die Regierungsfraktionen an - sie regen es auch an -, daß sowohl die betroffenen Hochschulen als auch die Länder geeignete Vorschläge für Lösungsmöglichkeiten und Lösungsangebote entwickeln. Der Unterstützung durch die Regierungsfraktionen können Sie dabei gewiß sein. Die Berufung auf die Grundrechte im Entwurf der CDU/CSU - damit komme ich zu einem weiteren kritischen Punkt Ihrer Vorlage - hat lediglich deklaratorisches Pathos. Bei genauer Betrachtung der Sache sind die Vorschläge entweder nichtssagend oder stehen einer sinnvollen Erweiterung der Rechte bei einem vernünftigen Ausgleich der Interessen im Wege. Wer mit solchen unzulänglichen Ausführungsbestimmungen zu den Grundrechten in einer Gesetzesvorlage aufwartet, schränkt sie de facto ein. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, sind nicht fähig, die Grundrechte den dynamischen Wandlungen der Gesellschaft entsprechend zu interpretieren. Lassen Sie mich das an einem nicht aus dem Hochschulrahmengesetz entstandenen Bereich verdeutlichen. Wenn sich z. B. die ursprüngliche Pressefreiheit inzwischen zu einem Verlegerprivileg pervertiert hat, das die Meinungsfreiheit der Journalisten einzuschränken droht, wird es höchste Zeit, das Recht der Presse und Meinungsfreiheit auch für den betroffenen Kreis der Journalisten angemessen zu erweitern. Um nichts anderes handelt es sich auch im Bereich der Hochschulen bei der Erweiterung der Mitbestimmung. Der CDU/CSU-Entwurf will ferner Regelungen in den einzelnen Bundesländern, die sich bewährt haben, rückgängig machen. Ich will es mir versagen, hier die einzelnen Regelungen aufzuzählen. Ich will nur zum Schluß noch auf eine Tatsache zu sprechen kommen. Es ist mir völlig unklar, wie die CDU/CSU mit ihrem Entwurf überhaupt eine Resonanz im Hochschulbereich zu erhalten glaubt. Das Hearing vor dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat doch eindeutig erwiesen, daß weder bei Studenten, Professoren und Assistenten noch bei ihren Organisationen beim VDS, bei der Bundesassistentenkonferenz, bei der Westdeutschen Rektorenkonferenz, noch hei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Ihr Entwurf auch nur die geringste Zustimmung fand. Angesichts dieser Tatsache, Herr Martin es tut mir leid, daß ich Ihnen das so deutlich sagen muß -, sollten Sie den Mut aufbringen, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Eine Alternative zur Regierungsvorlage stellt er auf keinen Fall dar. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Dr. Vogel. Dr. Vogel, Minister des Landes Rheinland-Pfalz: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als Mitglied des anderen Hauses dieses Parlaments zu diesem Thema einige Bemerkungen mache. Die Debatte, die hier stattfindet, berührt uns als die Verantwortlichen in den Ländern so unmittelbar, daß es uns als ein Versäumnis ausgelegt werden müßte, wenn wir hier heute abend schwiegen. Ich möchte zunächst unterstreichen, daß wir es alle begrüßen, daß es zu diesem Tag gekommen ist, und daß wir grundsätzlich die Vorlage mehrerer Entwürfe zu dieser Frage gutheißen. Wir möchten an ihnen mitarbeiten, und es liegt uns völlig fern, uns etwa in den Schmollwinkel der Neinsagenden oder der Bremsenden zurückzuziehen. Wir bestätigen auch gern, daß es gute und nützliche Kontakte bei der Vorbereitung des Regierungsentwurfs gab. Aber wir fühlen uns zwar angehört, nur von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr mitbeteiligt. Wie man mit den Beschlüssen des Bundesrates umgegangen ist, erscheint mir nicht gut. Man darf uns nicht mangelnden Reformwillen vorwerfen, sondern man muß sehen, daß wir als die unmittelbar Betroffenen über ein bißchen mehr unmittelbare Erfahrung auf diesem Felde verfügen. ({0}) Neben einer Fülle einzelner Punkte, von denen übrigens - das sei zustimmend anerkannt - eine ganze Reihe in der Regierungsvorlage nach dem Votum des Bundesrates berücksichtigt worden ist, gibt es ein paar Fragen, die im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit unserer Hochschule stehen und sie sichern oder in manchen Universitäten wiederherstellen sollten. Da ist beispielsweise - um einiges aufzuführen - § 15 Abs. 2, der vorsieht, daß die Gruppen, wenn sie überstimmt werden, nochmalige Behandlung desselben Themas im gleichen Gremium oder in einem übergeordneten Gremium verlangen können. Wir haben das Bedenken, daß dies zu einer totalen Vergruppung führt und daß dies im Grunde das imperative Mandat festlegt, auch dann, wenn der Herr Bundesminister vorhin ausdrücklich gesagt hat, daß er dies nicht wolle. Wenn man dies nicht will, muß aber die Konsequenz gezogen und § 15 Abs. 2 entsprechend geändert werden. Sonst wird sich dies zu einer großen Hemmung und zu einem großen Hindernis für Mehrheitsentscheidungen entwickeln. Da ist zweitens § 60, der vorsieht, daß nur Mitglieder der Hochschule selbst der Studienreformkommission angehören sollen. Wir sind der Meinung, daß auch andere Persönlichkeiten, auch Persönlichheiten staatlicher Institutionen, in vollem Umfang am Thema der Studienreform mitarbeiten müssen, weil wir ganz einfach der Meinung sind, daß die bisher dafür verantwortlichen Gremien schon sehr lange und ohne deutlichen Erfolg versucht haben, die Studienreform voranzubringen. Ich darf in diesem Zusammenhang, Herr Meinecke, auf Ihr Zitat aus meiner Bundesratsrede zurückkommen und damit gleichzeitig auch Herrn Wichert antworten: Man muß eben auch den nächsten Satz noch lesen. Ich bestätige gern auch hier noch einmal, daß wir mit der Mitwirkung graduierter Studenten in unserem Lande gute Erfahrungen gemacht haben. Ich habe aber im Bundesrat weiter gesagt: „Der hier vorgesehene Umfang scheint uns nicht sack- und funktionsgerecht zu sein." ({1}) Gerade bei dieser Behauptung möchte ich bleiben. Über eine Beteiligung kann und sollte man reden. Aber eine Beteiligung in diesem Umfang scheint mir für die Funktionsfähigkeit nicht nützlich, sondern schädlich. Da sind dann schließlich drittens die §§ 4 und 5, die unseres Erachtens modifiziert werden müssen und die das viel diskutierte Thema der integrierten Gesamthochschulen betreffen. Auch wenn es manche nicht gern hören, dürfte es sich doch inzwischen herumgesprochen haben, daß wir diese integrierte Gesamthochschule nicht ablehnen, daß wir ihr ganz im Gegenteil eine Chance geben möchten und ihr eine Möglichkeit für die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems sehen. Aber diese Form ist unerprobt in Deutschland und überall in der Welt; und daß tatsächlich die Durchlässigkeit zunimmt, wie auch wir hoffen, und daß sie tatsächlich zu einer Vereinfachung der Studiengänge führt, wie auch wir hoffen, ist bisher bloße Behauptung und durch kein konkretes Beispiel bewiesen. ({2}) Wir meinen deshalb, daß vor der Lösung der inhaltlichen Probleme, die damit in großem Maße I andesminister Dr. Vogel zusammenhängen, keine organisatorische Endlösung stehen sollte. Wenn heute - das habe ich sehr aufmerksam und auch mit einer gewissen Hoffnung von Herrn Kollegen Leussink gehört - gesagt wird, es solle kein Zwang ausgeübt werden, dann sind das zunächst, wie gesagt, Worte, die uns hoffen lassen, dann müßte aber auch der Text - wie vom Bundesrat vorgeschlagen - entsprechend geändert werden. ({3}) Denn die Begründung, die die Bundesregierung in der Drucksache VI/ 1873 dafür gibt, daß sie diesem Vorschlag des Bundesrats nicht gefolgt ist, ist es wert, mit Erlaubnis des Präsidenten zitiert zu werden. Dort heißt es nämlich erstaunlicherweise: Die Empfehlung, die in Frage stehenden Bestimmungen als Sollvorschriften zu fassen, verkennt, daß eine Zielvorstellung weder als Sollvorschrift noch als Mußvorschrift beschieben werden kann, sondern nur als in die Zukunft weisendes Programm. ({4}) Meine Damen und Herren, gegen diesen Satz ist nichts einzuwenden. Aber man soll nicht in einem Gesetzestext ein möglicherweise zukunftsweisendes Programm fixieren, sondern man muß nach unserer Meinung in einem Gesetzestext genau festlegen, was erlaubt und was verboten ist. ({5}) Solange dort „muß" steht, ist die Möglichkeit, es auch anders zu machen, wenn man will, nicht gegeben, und wir haben etwas gegen Zwang. Es kann uns meines Erachtens zur Stunde kein vernünftiger Grund genannt werden, warum dieser Zwang an diesem Punkt ausgeübt werden soll. Ich betone noch einmal, das ist nicht die Meinung einiger ewig gestriger Kulturpolitiker, sondern das ist die nahezu geschlossene Meinung aller für diesen Bereich bisher Verantwortlichen. Nicht weil wir die integrierte Gesamthochschule nicht wollen, sondern weil wir erst Erfahrungen haben wollen, ob sie die bessere Lösung ist, sind wir der Meinung, daß man hier fairer und offener bleiben sollte. Erlauben Sie mir außer diesen Bemerkungen zu dem im Gesetz geregelten Komplex auch ein Bedenken zu einem in diesem Gesetz nicht geregelten Komplex. Er betrifft nach unserer Meinung die Frage der Freiheit von Forschung und Lehre und des Lernens. Die Spatzen pfeifen es wohl inzwischen von den Dächern, daß diese Freiheit nicht nur von übergriffiger Bürokratie und aufmüpfigen Beamten oder von autonomiefeindlichen Kultusministern gefährdet sein kann, sondern daß sie auch von Professoren gefährdet sein kann, die Reformen nicht wollen und sich damit, wenn sie sich zusammenfinden, als die besten Koalitionspartner kleiner studentischer Kader erweisen, die diese Reformen ebenfalls nicht möchten und denen diese Möglichkeit, Reformen zu verhindern, genommen werden muß. ({6}) Ich meine, hier müßte das Gesetz Vorsorge treffen. Herr Kollege Leussink, ich wollte eigentlich jetzt auf Berlin verweisen, um nicht immer Bremen nennen zu müssen. Aber Sie haben auf München und Heidelberg verwiesen. Es ist in der Tat richtig, auch dort gibt es Fachbereiche, wo keineswegs alles so . ist, wie wir es wünschen. Nur behaupten die Gesetzgeber von München und Stuttgart nicht fortlaufend, das modernste und leistungsfähigste Konzept der Zukunft entwickelt zu haben, sondern nehmen für sich in Anspruch, daß sie eine zweckmäßige und zeitgerechte Gesetzgebungslösung erst noch suchen. Unsere Befürchtung ist, daß Berlin unter Beweis stellt, daß es so jedenfalls nicht geht, wenn wir dies auch nicht mit irgendeiner Schadenfreude, sondern mit doch wohl erlaubter Sorge sagen. Wir sehen in der Frage der Freiheit von Forschung und Lehre im CDU-Entwurf Ansätze, die man ernsthaft diskutieren sollte. Sie haben vorhin von der politischen Nötigung gesprochen, Herr Kollege. Wir sind der Meinung, daß es wohl auch politische Nötigung ist, wenn mit Mehrheit darüber entschieden wird, was ein Professor lehren darf und was nicht. ({7}) und wenn mit Mehrheit festgelegt werden muß, was wahr ist und was falsch. Diese Nötigung möchten wir vermieden sehen. Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung, die dieses Gesetz, über das hier gesprochen wird, in den größeren Zusammenhang mit der gesamten Bildungsplanung stellt, um die wir uns zwischen Bund und Ländern gemeinsam bemühen. Bei diesem Gesetz und bei dem nationalen Bildungsplan sollte meines Erachtens der ernsthafte Versuch gemacht werden, zu einer gemeinsamen Basis zu finden. Der Eklat in der Bund-Länder-Bildungsplanungskommission von Montag vor acht Tagen, die unnötigen Fronten, die durch eine völlig unnötige Abstimmung aufgerissen worden sind, müssen meines Erachtens wieder geschlossen werden; denn so wird niemandem gedient, am wenigsten einer fortschrittlichen Bildungspolitik. Wenn wir die Auseinandersetzung um die integrierte Gesamtschule weiter zwischen Fetisch und Tabu führen, dann werden wir von der Öffentlichkeit endgültig in das Feld der Bildungsträumereien verwiesen werden und werden dann allesamt unser Ziel nicht erreichen. Ich meine deswegen, bei diesem Anlaß noch einmal eine nachdrückliche Bitte, ja geradezu einen Appell vorbringen zu sollen, daß man sich bewußt wird: es kann für die Bundesrepublik nur eine gemeinsame Bildungsplanung der großen Parteien geben, oder es wird kein Bildungskonzept geben. ({8}) Ich sage das nicht, meine Damen und Herren, weil die Mehrheiten so liegen und weil eben über die Minderheit, die die CDU und ihre Länder in der Bund-Länder-Bildungsplanungskommission darstellen, in der Ministerpräsidentenkonferenz nicht hinweggegangen werden kann, sondern ich sage das in allererster Linie aus Vernunftgründen heraus, weil ich nämlich glaube, schlechter als ein gemeinsam gefundener Kompromiß wäre eine AuseinanderLandesminister Dr. Vogel entwicklung der so notwendigen Bildungsplanung, die gemeinsam am notwendigsten für die nächsten zehn Jahre ist und für die darauf folgenden 25 Jahre ruhig dem Streit überlassen werden kann. Ich meine, auch bei der Beratung des hier vorliegenden Textes eines Hochschulrahmengesetzes wäre einiges gemeinsam zu tun, um tatsächlich zu einem Hochschulgesetz zu kommen, ,das nicht nur eine Mehrheit hat, sondern von den beteiligten Ländern auch tatsächlich mit Leben ausgefüllt werden kann. Ein Gesetz, das nur mühsam und widerwillig ertragen wird, wird uns in dieser schwierigen Frage nicht weiterhelfen und wird vor allem die Parlamente, insonderheit die Landesparlamente, nicht ermutigen, weit mehr als heute für diese Aufgaben zu investieren. Seien wir uns klar darüber: wir brauchen die Unterstützung auch derer, die mit der Hochschule nichts zu tun haben und die für ihre Entwicklung heute kein Verständnis haben, wenn wir unsere gemeinsame Aufgabe bewältigen wollen. In diesem Sinne möchte ich bitten, die Grundpunkte, die im Bundesrat beraten worden sind, auch bei Ihren Beratungen noch einmal mit in die Überlegungen einzubeziehen. ({9})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Johannes Rau. Rau, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte wie mein Vorredner, Herr Kollege Vogel, Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld nur für einige wenige Minuten in Anspruch nehmen, weil wir uns nicht nur bereits am Abend, sondern offenbar auch schon im intimen Kreis der Bildungspolitiker des Deutschen Bundestages befinden. ({0}) Aber Sie werden mir erlauben, daß ich als ein aufmerksamer Zuhörer der Debatte der letzten Stunden und als jemand, dessen Land von Herrn Kollegen Dr. Martin ausdrücklich für die Zustimmung gelobt worden ist, die es - ({1}) - Doch, Sie haben es ausdrücklich gesagt, ({2}) - ja, und zwar wegen der Zustimmung zur Änderung der §§ 4 und 5 im Bundesrat, im Blick auf die Soll-Vorschrift. Sie werden mir gewiß erlauben, dazu ein paar Sätze zu sagen, weil falsches Lob verunsichern kann, so wie berechtigter Tadel die eigene Position zu festigen vermag. Sehen Sie, es zieht sich ja durch die Debatte die Frage, ob es denn richtig, ob es denn nützlich und ob es denn zwingend sei, in der Situation, in der wir uns bildungspolitisch und gesamtpolitisch befinden, die integrierte und gestufte Gesamthochschule schon als Ziel festzuschreiben. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist unser Land als ein Kronzeuge dafür genannt worden, daß dies jetzt noch nicht geschehen sollte. Das wäre ein Mißverständnis. Nordrhein-Westfalen - seine Koalition, seine Regierung - ist der Auffassung, daß das Ziel der integrierten Gesamthochschule deutlich beschrieben werden muß und daß der Gesetzentwurf dies leisten kann und leistet. Freilich ist Nordrhein-Westfalen wie das ihm benachbarte Niedersachsen, das eine ähnliche Abstimmung wahrgenommen hat, eines jener Bundesländer, die eine leidvolle Erfahrung nicht nur aufzuweisen, sondern auch bei der Zuordnung von Bildungseinrichtungen in die Gesamthochschulen hinein, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung und ihrer Standortbestimmung noch unter anderen Gesichtspunkten aufgebaut wurden, zu bewältigen haben. Nordrhein-Westfalen ist nicht wie Hessen, wie Hamburg und Bremen in der Lage, etwa im Bereich der Lehrerausbildung schon so weit im Hinblick auf die institutionelle Verschrankung, die wir uns gerne gewünscht hätten, statt einer Hochschulpolitik vor allen Dingen im Bereich des Lehrerberufes, die nahezu 20 Jahre nicht nur vom Abstandsdenken her geprägt gewesen ist, sondern offenbar auch vom Campingwagen unterschiedlich wechselnder Standorte der Errichtung und der Auflösung von Bildungseinrichtungen nach scheinbarem jeweiligen Bedarf. Deshalb sind wir in diesem großen Flächenstaat in der Tat dabei, im Bereich der Gesamthochschule neue Zuordnungen zu finden, die uns vor Probleme stellen, vor Probleme freilich, von denen wir glauben, daß wir sie mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf optimal und in richtigen und angemessenen Fristen werden bewältigen können. Deshalb spreche ich ein Wort des Dankes für diesen, wie ich glaube, richtigen, großen und gerade in seiner Bescheidenheit und gelegentlichen Wortkargheit präzisen Entwurf aus, auch da, wo ich im Bundesrat möglicherweise zu dem einen oder anderen Punkt nicht „demokratisch", sondern in der Meinung, daß das zum Dialog zwischen Bund und Ländern gehört, noch Änderungsvorschläge anbringen möchte. Warum sollte ich nicht nur den Tag vor dem Abend loben, warum sollte ich nicht auch die Möglichkeit haben, den Dialog fortzusetzen und in Gang zu halten? Allerdings darf dieser fortzusetzende Dialog kein Vorwand dafür sein, daß man Reformen nicht will, daß man Reformen verschiebt und daß man auf diese Weise in die Geschichte der Fehlinvestitionen im Bereich der Bildungspolitik eingeht, die hoffentlich hinter uns liegt. Wir haben viele Fehlinvestitionen. Es ist noch keine 15 Jahre her, da ist von der Ganztagsschule in dem Parlament, aus dem ich komme, als von der Unterrichtskolchose sowjetischer Prägung gesprochen worden. Wir zahlen jetzt noch nach, indem wir mit der Neuordnung des Schulwesens Lasten auf uns zukommen sehen, die wir lieber nicht trügen, damit wir die gleichen Mittel jetzt in den Bereich der Hochschulpolitik investieren könnten. Landesminister Rau Ich glaube also nicht, daß wir so tun dürften, als sei die Tatsache, daß es die integrierte Gesamthochschule noch nicht gibt, ein Grund dafür, mit ihrer Errichtung zu zögern. Wir dürften uns die Beispiele und Argumente aus dem Zettelkasten jeweiliger Tageszeitungen herausholen. Daß in Amerika zur Zeit Chemiker und Naturwissenschaftler arbeitslos sind, stimmt und hat schwierige gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Hintergründe. Das darf uns doch nicht hindern, Anträge im Blick auf die Vermehrung unseres Akademikerpotentials gerade in diesen Bereichen zu stellen! Das darf uns doch nicht hindern, dafür zu sorgen, daß bei uns im Bereich der Lehrerbildung, im Bereich dessen, was wir Akademikerausbildung nennen, in der Tat nun nicht mehr besoldungsbezogen, nicht mehr schulformbezogen, sondern stufenbezogen argumentiert und gehandelt wird. Ich glaube, daß wir solche Wege gehen müssen und daß wir deshalb nicht bereit sein sollten, die integrierte Gesamthochschule schon vor ihrer Errichtung gleichsam unter das mehr oder weniger schützende Dach unseres Ideologieverdachtes zu stellen. Denn vieles, was heute in der Sorge um die Ideologisierung unserer Hochschulen gesagt wird, ist berechtigt, aber manches davon ist ja auch nichts anderes als eine geschickter formulierte Gegenideologie, die ja erst mit dazu geführt hat, daß wir es mit der Situation an den Hochschulen zu tun haben, die wir alle beklagen, auch wenn wir die Prozentsätze unterschiedlich berechnen und beurteilen. Ich meine also, daß sich Studienreform in, mit und unter der Integrationsformel vollziehen muß, die dieses Gesetz vorlegt und die wir in der Sache für richtig halten, auch da, wo sich für Flächenstaaten und Stadtstaaten unterschiedliche Möglichkeiten ergeben. Die Freiheit von Forschung und Lehre, die Freiheit auch des Studiums, also die Freiheit des Lernens, von der Herr Kollege Vogel mit Recht und mit Nachdruck gesprochen hat, ist zu sichern. Sie ist an vielen Orten in sichtbaren Akzenten aktuell auch gegen eben jene Gruppen zu sichern, über die wir unter dem Stichwort „rote Zellen" miteinander gesprochen haben und die ja nicht nur uns häufig das Leben schwermachen. Sie ist aber nicht nur zu sichern, sondern auch dadurch erst herzustellen - ich sage nicht „wiederherzustellen", sondern „herzustellen" -, daß Forschung und Lehre nun in der Weise in einen funktionalen Zusammenhang gebracht werden, daß der Studierende nicht darunter leidet, daß an der falschen Stelle und zum falschen Gegenstand und zum falschen Zeitpunkt dort geforscht wird, wo er Gelegenheit zur Teilnahme am Lehr- und Lernprozeß haben müßte. Ich meine, daß vieles in unseren Hochschulen sich nicht so hätte entwickeln können, wenn die Verschrankung von Lehre und Forschung besser gewesen wäre, wenn der Staat bessere Möglichkeiten gehabt hätte, funktionale Zusammenhänge herzustellen, so daß die von Ihnen, Herr Kollege Vogel, mit Recht beschriebene und abgewiesene Situation der Mehrheitsentscheidung darüber, worüber zu forschen sei und was wahr sei, gar nicht in den Prozeß des Möglichen geraten wäre. Dazu hätte es uns allerdings gelingen müssen, die Verschrankung, die Einheit von Forschung und Lehre nicht nur ständig zu proklamieren, sondern stärker zu realisieren, im Vollzug dessen, was an unseren Hochschulen bisher geschehen ist. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meinen Diskussionsbeitrag mit zwei Bemerkungen schließen. Bei allem Beklagen der uns oft bedrückenden und uns oft aufschreckenden Situationen in manchen Fachbereichen an manchen unserer Hochschulen müssen wir doch sehen, daß das, was sich hier vollzieht, erstens eine weltweite und zweitens eine über den Bereich der Universität hinausgehende Entwicklung und Problematik ist, der wir allein mit Gesetzen nicht beikommen können. Diese Bewegung, diese Entwicklung hat etwas mit der Unsicherheit nicht nur der jungen Generation gegenüber dieser unserer technischen und industriellen Gesellschaft im Osten wie im Westen zu tun. Gerade weil ich zu denen gehöre, die das imperative Mandat nicht nur für falsch, sondern auch für unzulässig halten, erlauben Sie mir ein Zweites zu sagen. Wir sollten es den zur Mitarbeit bereiten Gliedern der Hochschule - unabhängig davon, ob sie Studenten, Assistenten oder Ordinarien sind - leichtermachen, in diese Mitarbeit zu finden und diesen Kooperations- und Integrationsprozeß zur Erlangung eines neuen Verständnisses der gemeinsamen Arbeit an der Hochschule zu leisten, indem wir nicht so tun, als seien es nur die roten Zellen, die die Unruhe der Universität auf die Straße getragen haben. Dies wäre nicht die historische Wahrheit. Es hat vielmehr immer wieder und von allen Seiten und mit unterschiedlicher Durchschlagskraft diesen Versuch gegeben, auch den Versuch der Übertretung von Gesetzen. Es ist ja kein Geheimnisverrat, wenn ich hier sage, daß der Anführer der ersten großen Studentendemonstration in der Stadt Köln, also in einer der großen Universitätsstädte Nordrhein-Westfalens, der dafür in ein Gerichtsverfahren hineingezogen wurde, in dem ihn ein jetzt amtierender Staatssekretär verteidigt hat, ein Landtagskandidat der Christlich-Demokratischen Union in Nordrhein-Westfalen und kein Mitglied einer roten Zelle war. ({3}) - Er hat ein Gerichtsverfahren bekommen. Nun weisen Sie mir einmal nach, Frau Kollegin Walz, wo irgend jemand in diesem Lande Nordrhein-Westfalen ein solches Strafverfahren bei einem solchen Tatbestand nicht bekommt. ({4}) - Das kann man wohl sagen, Herr Kollege. ({5}) Landesminister Rau -- Er hat demonstriert, weil er die Tariferhöhung bei den Kölner Stadtwerken nicht mitmachen wollte. (Zuruf des Abg. Dr. Hermesdorf ({6}). - Hat das nicht in den anderen Universitätsstädten mit dem gleichen Thema begonnen? Und dann sehen Sie sich bitte an, mit welchen Mitteln demonstriert worden ist und zu welchen Eskalationen diese Demonstration geführt hat. ({7}) -- Sie wissen doch, Herr Kollege Hermesdorf, daß die Gleise zementiert worden sind. ({8}) - Nein, das hat mit Roten Zellen nichts zu tun. Es geht mir aber nur darum, Herr Abgeordneter, hier darauf hinzuweisen - weil ich glaube, daß wir auch falsche Solidarisierungseffekte in allen Gruppen verhindern sollten , daß es erstens die unterschiedlichsten Gründe für eine solche Unruhe an der Universität gibt. ({9}) Sicherlich, und zwar „bis es ruhet, oh Gott, in Dir", so geht der Spruch weiter. Und Melanchthon hat seine Antrittsvorlesung über die Frage gehalten „wie man das Studium der jungen Leute verbessern sollen". Mir geht es darum, hier nachzuweisen und noch einmal daran zu erinnern, und zwar auf Grund meiner Erfahrung in dem Bundesland, aus dem ich komme, daß es keinen Sinn hat, in eine falsche Solidarisierung hineinzutreiben, indem wir nun die Roten Zellen oder welche Gruppe auch immer von uns aus zu einem Kristallisationspunkt innerhalb der Universität machen, sondern daß wir es zulassen und ermöglichen müssen, auch durch die Art und Weise, wie wir Hochschulpolitik und Politik betreiben, daß wir aus der Hochschule kritisch befragt werden, damit wir die innere und äußere Legitimation behalten oder gewinnen, da einzuschreiten, wo die Rechte dieses unseres Staates innerhalb oder außerhalb der Hochschule verletzt werden. ({10})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kotowski.

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin besonders dankbar dafür, daß seit dem Eintreten des Herrn Kollegen Dr. Wichert in die Diskussion die bis dahin etwas unklaren Fronten doch wieder deutlicher geworden sind. Ich war selbst erstaunt, die Worte des Herrn Bundesministers zu hören, die ich bitte, das nicht als Zensur zu betrachten - ganz verständig klangen. ({0}) Einige der wundesten Punkte der Auseinandersetzung der letzten Monate waren ja in der Tat in dieser Rede zwar nicht ausgeräumt, aber doch immerhin in einer Form dargestellt, daß auf gedeihliche Zusammenarbeit gerechnet werden kann, und die müssen wir ja anstreben. Herr Staatsminister Vogel hat das mit Recht gesagt. Wer heute, im Jahre 1971, noch nicht weiß, daß sich nach der Verfassungslage in der Bildungspolitik die beiden großen Parteien, natürlich bei aller Unterschiedlichkeit regionaler Art, auf gewisse gemeinsame Konzeptionen einigen müssen, der sollte das Geschäft der Kulturpolitik baldmöglichst mit einem anderen vertauschen. ({1}) Herr Kollege Raffert, ich bitte, ein- für allemal sagen zu dürfen, daß natürlich meine Meinungsäußerungen auch Wertungen enthalten. Ich bitte, das aber nicht als Zensur, sondern eben nur als ein Auseinandersetzen mit einer bestimmten Position zu betrachten. Nun hat der Herr Kollege Wichert ja eine Menge Stoff vorgetragen. ({2}) - Ja! - Es würde mich in der Tat locken, das ein bißchen zu analysieren. Herr Kollege Wichert, Sie gebrauchten Wörter wie „progressiv" oder „konservativ" so, als seien das Dinge, die sich gleichsam von selbst verstünden. Progressiv -- wohin denn? Wohin wollen Sie denn marschieren? Derjenige, der einen abstürzenden Wagen, bevor er in den Abgrund hinunterfällt, aufhält, handelt in der Tat konservativ. ({3}) Derjenige, der dann noch Vollgas gibt, ist progressiv. ({4}) Der zerstört zwar alles, aber progressiv ist er. ({5}) - So einfach können wir uns das nicht machen. Wenn ich mir einmal einige der brandneuen progressiven Ideen vor Augen führe, von denen ich in meinem Leben gehört habe! Ich hatte hier heute mittag in der Fragestunde Gelegenheit zu hören, daß ein verehrter Kollege der SPD-Fraktion dem Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Frage stellte, was man denn gegen die sogenannte Ganzheitsmethode tun könne. Ich will die Debatte nicht aufgreifen. Aber als ich Student in Berlin war, war die Ganzheitsmethode, die von uns aus in Deutschland verbreitet wurde, so sehr der letzte Schrei, daß jemand, der sagte: „Na, dahinter dürfte wohl etwas stecken; wir wollen es mal versuchen; aber generell wollen wir sie noch nicht in allen Schulen einführen", in der Terminologie und der Meinung der Sozialdemokraten im günstigsten Fall ein Reaktionär, wenn nicht noch etwas viel Schlimmeres war. Heute kommen die Sozialdemokraten und sagen - ({6}) - Na schön, aber dann wollen Sie bitte diesen Kollegen als Reaktionär in unsere Fraktion versetzen! ({7}) Ich glaube, das sind wirklich primitive Sachen. Mit so billigen Modellen kann man hier nicht arbeiten. Die Probleme unserer Universitäten sind leider sehr viel schwieriger. An dieser Stelle der Debatte würde es mich natürlich reizen, auf die ganze Problematik einzugehen. Aber das ist mir nicht möglich.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kotowski, war das eine ernsthafte Einladung an diesen vielleicht nur partiell reaktionären Kollegen, in Ihrer Fraktion wirklich mitzuwirken?

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir würden es, wenn er weitere kulturpolitische Überlegungen vernünftiger Art vorträgt, zumindest ernstlich erwägen. ({0}) In der knappen Zeit ist es wirklich schwer, den Gang der Debatte hier noch einmal aufzugreifen. Ich möchte mich zunächst an den von Herrn Wichert angezogenen Problemen entlangbewegen. Herr Minister Rau hat uns hier dankenswerterweise noch einmal eine Diskussion vor Augen geführt, die ich seit drei, vier oder fünf Jahren verfolge. Da geht es um ein weltweites Problem, um berechtigten Unmut. Das ist alles ganz richtig, Herr Staatsminister. Aber ich glaube nicht, daß der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem ich kritisch gegenüberstehe, sich damit herausreden könnte, es gebe auf der ganzen Welt leider Hungersnöte, wenn die Bevölkerung von Hessen vor dem Hungertod stünde. Das würde er doch wohl nicht sagen. Wir können doch nur unsere konkreten Probleme aufgreifen. Da ist der Vergleich mit dem Kölner Verkehrsstreik und den roten Zellen nicht angebracht, weil es etwas Verschiedenes ist. Zunächst hat die CDU meines Wissens nie behauptet, daß ein Mitglied der CDU, wenn es Gesetze übertritt, nicht bestraft werden soll. Das ist immerhin ein ziemlicher Unterschied. Zum zweiten haben die jungen Leute in Köln damals nicht den Versuch gemacht, mit außergesetzlichen und gewaltsamen Mitteln große Universitäten ganz unter ihre Kontrolle zu bringen. ({1}) Sie können selbstverständlich eine Fülle von Beispielen aus diesem oder jenem Bereich finden. Aber wenn Sie so billig über die Probleme hinweggehen, dann werden Sie damit außer in den von Ihnen kontrollierten Verbänden keine große Wirkung haben. Der Herr Bundesminister und einige Redner der Koalitionsfraktionen haben nun auf den ungeheuren Nachhall in den verschiedensten Gremien, etwa bei der Anhörung, hingewiesen. Als ich in dieser Anhörung von dem Vertreter der Bundesassistentenkonferenz hörte, daß es selbstverständlich sei, daß in Zukunft Ärzte auch von Nichtärzten geprüft werden sollen, wußte ich ganz genau, wie die Vertreter Ihrer Fraktion heute argumentieren werden. Sehen Sie, das ist der gedankliche Irrtum, den Sie begehen, Herr Kollege Wiehert. Ich bin sehr froh, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands seit dem Godesberger Parteitag - wir haben darüber schon einmal gesprochen - sich an die Lebensbedingungen des 20. Jahrhunderts angepaßt hat. Aber ein Nachteil ist damit eingetreten, daß nämlich das sorgfältige Marx-Studium, das früher ein sozialdemokratischer Funktionär in der Regel betrieben hat, stark zurückgetreten ist. Das Demokratieverständnis, Herr Kollege Wichert, das Sie uns heute vorgetragen haben, das uns von einigen Leuten vorgetragen wird, das ist das, was Marx die deutsche Ideologie genannt hat, was er zusammen mit seinem Freund Engels, der übrigens nicht Mitglied der CDU war, ({2}) in zwei ganz grundlegenden Schriften in der Luft zerrissen hat, ({3}) und dieses Demokratieverständnis, das Sie uns hier einbläuen wollen oder von dem Sie offenbar ausgehen, daß in einer hochkomplizierten arbeitsteiligen Gesellschaft in jeder beliebigen Frage jeder ein gleichwertiges Mitspracherecht hat, das ist die deutsche Ideologie von 1830. Ich darf Sie noch einmal bitten, diese beiden grundlegenden Schriften von Marx und Engels zu studieren, die Sie billig in Westdeutschland kaufen können. ({4}) Sie werden dann in Zukunft in diesen Debatten sicherlich Ihre Tendenz nach wie vor vertreten, das ist auch nur reizvoll, aber Sie werden es doch mit etwas größerer Sachkunde machen. Welcher Universitätsprofessor würde denn schon mit Sachkunde in einem Nachbarfachbereich mitreden wollen? Das hat es doch in den letzten 30 Jahren überhaupt nicht gegeben. ({5}) - Aber Herr Kollege Raffert, ich bin nun wirklich sehr lange Mitglied von Fakultäten, von Gremien aller Art gewesen. Meine Fakultät bestand zuletzt aus über 80 Vertretern, aber abgesehen von einigen Linksideologen hat niemals ein Professor dieser Fakultät in Angelegenheiten, von denen er der Sache nach nichts verstehen konnte, mitgeredet. Das sollten Sie doch berücksichtigen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön!

Karl Heinz Hansen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kotowski, können Sie mir klarmachen, welchen Sachverstand z. B. ein Sinologe bei der Berufung von Anglisten hat, der ja früher auch immer mitgewirkt hat und das zum Teil noch tut?

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hansen, ich fürchte, auch hier übersehen Sie die Wirklichkeit, die in den Fakultäten geherrscht hat. Es ist niemals einem Sinologen eingefallen, in einer kontroversen Berufungsfrage bei einem Anglisten die Entscheidung herbeizuführen. ({0}) - Sicher, in einigen Dutzend Fällen wird es sicher Mißbräuche geben, aber was Sie machen - ({1}) - Herr Hansen, ich freue mich, daß es mir gelingt, Sie so fröhlich zu stimmen, aber das ist doch kein durchschlagendes Argument. ({2}) - Was Sie uns hier vortragen, entspricht einfach nicht den Tatsachen. Das haben Sie im Jahre 1952 oder 1957 in einer Broschüre des SDS gelesen, das ist haften geblieben. Das freut mich, aber das ist doch kein durchschlagendes Argument in unserer Debatte. ({3}) Meine Damen und Herren, es tut mir leid, ich bin durch Ihr erfreuliches Engagement natürlich etwas von dem von mir ursprüglich vorgesehenen Konzept abgekommen. Das stört mich aber nicht, weil ich glaube, daß wir sehr gut zum Thema gesprochen haben. Lassen Sie mich zum Schluß aber noch auf ein Problem zurückkommen. Herr Bundesminister, was wir an Ihrem Konzept kritisch behandeln, abgesehen von einigen Punkten, über die sicher Verständigung möglich ist, ist einmal die Festlegung auf einen bestimmten noch nicht erprobten Typ von Hochschule, was im Gegensatz zu von den Regierungsfraktionen geäußerten Meinungen mit hoher Wahrscheinlichkeit riesige Fehlinvestitionen hervorrufen kann. Ich darf vielleicht die Damen und Herren der Regierungsfraktionen, die Beziehungen zu Berlin haben, daran erinnern, daß einer ihrer führenden Männer oder jedenfalls früher führenden Männer, Herr Evers, riesige Geldmengen in einigen Gesamtschulkomplexen angelegt hat, die an sich förderungswürdig sind, dafür aber 90 % des Berliner Schulwesens praktisch unentwickelt gelassen hat. Das müssen Sie sich doch auch überlegen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zwischenfrage? Dr. Kotowski ({0}) : Bitte schön!

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Kotowski. Meinen Sie auch, daß wir angesichts des bisher erprobten Typs von Hochschule wirklich einmal etwas bisher nicht Erprobtes probieren müssen?

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Sperling, auch bei Ihnen scheint eine Annäherung an die Position der CDU/CSU festzustellen zu sein, denn genau das ist unsere Meinung, genau das steht in unserem Gesetzentwurf. Genau das wollen wir. Wir wollen eine ganze Reihe von Modellen entwickeln. Aber bevor wir uns auf ein ganz bestimmtes festlegen, müssen gewisse Erfahrungen vorliegen. ({0}) Das zweite, Herr Bundesminister: Sie fassen einige Bestimmungen in Ihrem Gesetzentwurf, etwa über das Verhältnis von Hochschule und Staat, wie wir glauben, nicht mit der nötigen Dringlichkeit an. Im Laufe der Debatte ist über die verschiedensten Probleme gesprochen worden. Wenn Sie sagen, Sie wollten jetzt keine Paritäten festschreiben, klingt das wunderbar und liegt fast im Sinne unserer eigenen Argumentation, nicht etwas festzulegen, bevor man Erfahrungen gesammelt hat. Aber, Herr Bundesminister, Sie werden doch einige Erfahrungsberichte aus den Ländern haben. Gerade wegen der minimalen Rechtssicherung in den Ländern wird vom Bund erwartet, daß er ganz bestimmte Grundlagen schafft. Sie werden feststellen, daß überhaupt erst auf diesem Wege in den Ländern wieder eine zulängliche Kulturpolitik gemacht werden kann. Ich darf vielleicht noch folgendes sagen: Ich glaube nicht, daß der Herr Bundesminister die Autonomie der Hochschulen so weit treiben möchte, daß der Staat nichts mehr zu sagen hat. Im Gegenteil, er hat hier erklärt, daß letztlich die Parlamente verantwortlich seien. Wenn das aber so ist, müssen die Staatsregierungen einen klaren, gesetzlich festgelegten Rahmen bekommen, sonst geht das nämlich nicht. ({1}) Wir haben in Berlin einen Senator für Wissenschaft und Kunst. Dieser tritt etwa alle 14 Tage einmal vor die Fernsehkamera oder vor das Plenum des Abgeordnetenhauses und erklärt, daß er, seit er sein Amt übernommen habe, noch niemals etwas getan habe, daß er nichts tue und natürlich auch niemals etwas tun werde, weil die Hochschulen autonom seien. ({2}) Meine Damen und Herren, das ist der höchstbezahlte Arbeitslose Europas. ({3}) Wir vermissen im Regierungsentwurf in der Tat einige Vorschriften, die so etwas unmöglich machen. Vielleicht werden wir uns darüber noch im Laufe der Debatten einigen können. Ich bedaure, die mir für die Diskussion zur Verfügung stehende Zeit erschöpft zu haben. Ich bitte, mir die eklektische Behandlung der außerordentlich bedeutsamen Beiträge der Regierungsfraktionen gütigst zu verzeihen, ({4}) dies um so mehr, als ich einige hochinteressante Zwischenfragen zu beantworten hatte. Die Debatte hat gezeigt, daß die Generallinie der SPD zwar von Herrn Kollegen Wichert festgelegt zu sein scheint, ({5}) daß es aber möglicherweise doch noch eine gewisse Anzahl von Kollegen gibt, mit denen zusammen wir trotz unterschiedlicher Auffassung im einzelnen ein funktionsfähiges, modernes Universitätsmodell schaffen können. Anleihen aus dem Jahre 1830, Herr Kollege Wichert, werden wir aber nicht machen. ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.

Dr. Ulrich Lohmar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001370, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei Ihnen, Herr Kollege Kotowski, für Ihre Einlage als gutdotierter Spaßmacher der Opposition, als den Sie sich uns hier vorgestellt haben, bedanken, aber ansonsten zum Thema zurückkehren, über das wir heute reden. ({0}) Ich möchte einige Fragen aufnehmen, die Herr Minister Vogel in einer bemerkenswert differenzierten Weise in bezug auf die integrierte Gesamthochschule in unser Gespräch eingeführt hat. Es wäre gut, wenn wir diese Fragen nicht verlorengehen ließen. Das, was wir heute von ihm gehört haben, wird im Ausschuß auf seinen politischen Realitätsgehalt abzuklopfen sein. Ihrem Bedürfnis, Herr Minister Vogel, genauer zu erfahren, was sich die Regierungskoalition inhaltlich unter der integrierten Gesamthochschule vorstellt, kann abgeholfen werden. Herr Minister Leussink hat bereits in der Begründung seines Gesetzentwurfs eine Reihe solcher inhaltlichen Zielsetzungen genannt, nämlich vier: die Differenzierung und Koordinierung von Bildungsprozessen, wenn ich sie einmal in meiner Sprache sagen darf, die Verschränkung von Studiensystemen und Berufsfeldern, die flexible Chancengleichheit und die Orientierungsmöglichkeiten am wechselnden Bedarf des Staates und der Wirtschaft, an neuen Berufsbildern und ähnlichem. Ich möchte gern, um von dem Streit um die beiden Etikette „integriert" oder „koordiniert" abzukommen, noch einige inhaltliche Maßstäbe hinzufügen, über die wir im Ausschuß miteinander werden reden müssen; z. B. scheint es sich mir bei der integrierten Gesamthochschule um die Einebnung von vorgeprägten Unterschieden zwischen Universitäten, Hochschulen und Fachschulen im Hinblick auf deren Bauausstattung, auf Haushaltsmittel und Personal zu handeln, z. B. geht es um eine neue Didaktik, die man unter die Überschrift „komplexes Lehren und kooperatives Lernen" stellen könnte. Es geht um die Einbeziehung der Gesellschaft in den Wissenschaftsprozeß, um die Garantie pluralistischer Motivationen im Wissenschaftsprozeß. Es geht um die differenzierte Verschränkung mit dem Sekundärschulbereich und mit der Erwachsenenbildung und schließlich um etwas Quantitatives, nämlich um die Rationalisierung durch die Möglichkeit, eine Reihe von Hochschuleinrichtungen, die heute verstreut sind, gemeinsam zu benutzen. Das sind Ziele, die wir mit Hilfe der integrierten Gesamthochschule anstreben. Vielleicht sollte man besser von der „integrierenden Gesamthochschule reden" denn genau dies deutet die Entwicklung, die wir damit einleiten wollen. Ich finde also, wir sollten über die beiden Etikette nicht länger streiten, sondern uns über diese von Herrn Leussink und meiner Fraktion vorgeschlagenen Inhalte der integrierten Gesamthochschule unterhalten und dabei feststellen, ob die Opposition mit diesen Inhalten, mit diesen Zielmarkierungen übereinstimmt oder nicht. Wenn sie damit übereinstimmt, gäbe es keinen Grund mehr, die integrierte Gesamthochschule nicht in das Gesetz als Regeltyp des nächsten Jahrzehnts aufzunehmen. Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zu einem in der Regierungsvorlage offengebliebenen Problem machen. Meine Fraktion hat den Wunsch, daß die Regierung prüft, in welcher Weise sie durch eine Bund-Länder-Vereinbarung zur Gründung einer Bundeshochschulkonferenz kommen kann. ({1}) Wir möchten diese Bundeshochschulkonferenz in mehrfacher Hinsicht sachlich akzentuieren. Erstens sollte sie offen sein für Meinungen, Interessen und Anregungen auch für Bereiche außerhalb der Hochschule. Sie sollte also kein closed shop der Hochschulen sein. Zweitens könnte man den bei der Westdeutschen Rektorenkonferenz und beim Wissenschaftsrat vorhandenen Sachverstand mittelfristig dieser Bundeshochschulkonferenz auch organisatorisch zuordnen. Drittens wäre eine solche Bundeshochschulkonferenz in der Lage, aus der Debatte zwischen Wissenschaft und Gesellschaft politische Handlungsalternativen für die Wissenschaftspolitik der Länder und des Bundes zu entwickeln, mit denen wir uns dann hier im Bundestag und mit denen sich die Kollegen in den Landtagen jeweils zu beschäftigen hätten. Aber wir kämen aus der verdeckten und versteckten Art vorab ausgehandelter Kompromisse heraus, die die Transparenz der wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Diskussion in den letzten Jahren oft vernebelt hat. Meine nächste Bemerkung bezieht sich auf das Stichwort der Demokratisierung, das sich in den beiden Reden von Herrn Kollegen Dr. Martin und Frau Dr. Walz wiederholt fand. Wenn Sie Ihre eigenen Reden noch einmal nachlesen, werden Sie eine Häufung von Begriffen wie „modern", „organisch", „sachgerecht", „wissenschaftsimmanent" oder „wissenschaftsgerecht", um nur ein paar zu nennen, feststellen. Alle diese Begriffe sind das, was man Leerformeln nennen könnte; sie sind rein formal und sagen inhaltlich überhaupt nichts über das aus, was Sie damit konkret meinen könnten. ({2}) Wenn wir von der Demokratisierung der Hochschulen sprechen, wissen wir natürlich, Herr Minister Vogel, daß man über die Wahrheit nicht mit Mehrheit abstimmen kann. In allen Fragen, bei denen es sich um Problemfindungsprozesse oder wissenschaftliche Forschungsprozesse handelt, in denen man mit wissenschaftlichen Maßstäben nach Wahrheit sucht, überall da, wo man Aussicht hat, in diesem Sinne Wahrheit zu finden, also Zutreffendes im Sinne von Logik und Erfahrung eindeutig auszumachen, lehnen wir es natürlich ab, mit Mehrheiten darüber zu entscheiden, was passieren soll. Das ist selbstverständlich. Nur: Die meisten Fragen, z. B. die entscheidende Frage, für welche gesellschaftlichen Zwecke denn Forschung eingesetzt werden soll, welchen Nutzen für die Gesellschaft sie bringen soll, beinhalten eine völlig andere Problematik. Diese Entscheidung über den gesellschaftlichen Kontext, in dem Lehre und Forschung und damit auch Ausbildung von Studenten stehen müssen, möchten wir nicht allein dem Zwiegespräch zwischen den die Fachaufsicht des Staates ausübenden Beamten und den Universitäten überantworten, sondern wir halten das für eine Sache, die den Staat und die Gesellschaft im ganzen angehen. ({3}) Wir suchen - deshalb der Vorschlag einer Bundeshochschulkonferenz - nach einem passenden Weg, wie wir das praktikabel machen können. ({4}) Inhaltlich gehen wir bei der Demokratisierung nicht wie Sie von Leerformeln aus, sondern von dem, was im Bildungsbericht der Bundesregierung ebenso wie in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf klar zu lesen ist, nämlich von der gleichen Chance, von der Transparenz, von der notwendigen Kontrolle, von zeitlich begrenzten Mandaten, von dem Wunsch einer größeren Teilhabe einer größeren Zahl sachverständiger Mitbürger auch an und im Hochschulbereich. Schließlich gehen wir davon aus, daß Minderheiten ihre Schutzzonen auch innerhalb der Hochschulen und des Wissenschaftssystems haben müssen. Das sind keine formalen Begriffe wie „organisch" oder „sachgerecht", sondern es sind inhaltliche Zielmarkierungen, die wir mit dem Wort Demokratisierung verbinden und die es jedermann erlauben, festzustellen, was wir damit meinen. Es wäre gut, wenn Sie sich gelegentlich darin erinnerten, daß wir das Wort Demokratisierung in dieser Weise inhaltlich benutzen. Im ganzen hat, wie ich glaube, der Kollege Wichert mit der Grundtendenz seiner Rede nicht so unrecht, wie Sie ihm zu tun versuchen. Die Frage, um die es in Berlin und in Bremen im Kern geht, bei allen Schwierigkeiten, die wir in den ersten Monaten und Jahren in Berlin erlebt haben, ist doch für eine Gesellschaft unseres Typs die im Grunde entscheidende: Es ist die Frage, ob es uns gelingt, tiefgreifende Reformen in unserer Gesellschaft ohne die Anwendung von Gewalt durchzusetzen. Das muß, so meine ich, möglich sein. Unsere Verfassung zieht jeder Reformbestrebung in unserer Gesellschaft nur zwei Grenzen: die der Gewaltanwendung und die der Grundrechte, keine andere. Alle anderen inhaltlichen Veränderungen unserer Gesellschaft sind mit dem freiheitlichen Charakter unseres Grundgesetzes nicht nur vereinbar, sondern die Nagelprobe dieser Verfassung wird geradezu darin bestehen, ob sie elastisch genug begriffen und gehandhabt werden kann, tiefgreifende Reformen unserer Gesellschaft möglich zu machen, ohne daß wir die gemeinsamen Spielregeln, die wir in den Grundrechten und im Grundsatz der Nichtanwendung von Gewalt niedergelegt haben, außer Kraft zu setzen. Das ist das Problem. Jedermann weiß, daß es in den ersten zwei Jahren in Berlin nicht gelungen ist, die Einhaltung dieser Grundsätze in jedem Einzelfall zu gewährleisten. Aber Sie können doch auch nicht übersehen, daß die letzten Wahlen an der Freien Universität in Berlin etwa eine klare, breite Mehrheit für die demokratischen Reformer gebracht haben, zum ersten Mal übrigens. Das heißt, es zahlt sich aus, daß man diesen Weg einer beharrlichen Reformpolitik gegangen ist. Wir haben den Wunsch, daß wir ihn auch in der Bundesrepublik einschlagen, wohl wissend, daß man zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, zwischen Demokratisierung und den Eigenarten der wissenschaftlichen Arbeit komplexe Zusammenhänge erkennen und akzeptieren muß, aber auch wissend, daß wir mit einem Entwurf, der es bei - um es in der beruflichen Sprache meines Freundes Meinecke zu sagen - Placebos beläßt, wie der der CDU/CSU, das Problem nicht lösen. ({5})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der engste Querschnitt liegt erfahrungsgemäß in allen Bereichen - in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, auch in der Politik - beim Verstand, bei der Intelligenz, die weit knapper ist als das Geld. Hochschulgesetze sollten also dafür sorgen, daß die knappe Intelligenz auf die Aufgaben der Hochschule, auf Forschung und Lehre, konzentriert wird. Wenn man nun die zahlreichen Informationen darüber, wieviel Hochschulzeit für nichtwissenschaftliche Tätigkeit, konkret gesprochen: für Sitzungsstunden, verbraucht wird - Kollege Beermann und ich kommen gerade von einer Reise an die Hochschulfront zurück -, so kommt man leicht in einer Überschlagungsrechnung auf eine Million Professorenstunden im Jahr. Das ist entschieden zuviel. Mein Vorschlag: Herr Minister, überprüfen Sie einmal die Mechanismen, die Sie uns vorschlagen, mit der Zielvorstellung, diese Zeiten - darf ich sagen: diese Verlustzeiten --- auf ein Viertel der heutigen zu vermindern! Nun kann man natürlich aus weltanschaulichen Gründen die sogenannte Demokratisierung unterhalb der staatlichen Ebene beliebig weit nach unten treiben. Man kommt dann dazu, zu fordern, daß es die Fahrgäste sein müßten, die demokratisch über die Erhöhung der Straßenbahnfahrpreise zu beschließen hätten. Demokratisierung um jeden Preis und zur Hölle mit den Konsequenzen! Ich sagte „sogenannte Demokratisierung"; denn es ist dabei ja gar nicht so, daß der Demos, das Volk, herrschen solle. Wenn es etwa das Volk von Berlin wäre, das in der Universität Berlin herrschte, so gäbe es dort keinerlei Probleme. ({0}) - Jedenfalls diese Probleme nicht, Herr Hansen. ({1}) Nicht Herrschaft des Volkes, sondern Herrschaft von Gruppen! Ich habe gelernt, daß die Gruppe auf Griechisch „Systasis" heißt. Also nicht „Demokratie", sondern „Systasikratie" ! Das mag man fordern, aber man sollte die Konsequenzen bedenken. Wer die Wohlstandsgesellschaft will, muß die Leistungsgesellschaft wollen. Wir wollen doch alle die Wohlstandsgesellschaft. Nicht alle! Die echten Hippies, vor denen ich den größten Respekt habe, Leute, die aus ihrer Weltanschauung heraus auf Wohlstand verzichten, sind extrem selten. Die meisten unserer Mitbürger wollen billige Autos, billige Wohnungen, billige Fernsehgeräte. Das können wir nur haben, wenn wir unsere Intelligenz für Forschung und Ausbildung so rationell wie nur irgend möglich einsetzen. Das bedeutet: mehr Forschungsstunden, weniger Sitzungsstunden. Um Ihnen den schweren Entschluß zu etwas mehr Pragmatismus zu erleichtern, möchte ich Ihnen zum Schluß noch folgende Überlegung unterbreiten. Ich bitte die hier anwesenden Akademiker, einmal zu schätzen, wieviel von dem, was sie heute, morgen und übermorgen tun, auf dem Ergebnis ihrer Hochschulausbildung beruht. Meine Schätzung für Sie und mich: weniger als 5 %. ({2}) -- Herr Hansen, ich möchte das nicht ändern. Im Gegenteil! Wir müssen uns die Frage vorlegen: Was ist nur die Wurzel der übrigen 95 %, die unsere Leistung bestimmen? ({3}) Ich nehme an, das ist die Lebenserfahrung, Herr Lohmar, die Erfahrung unserer Berufstätigkeit, das Lesen und das Fernsehen, die Musik und das Bergsteigen, das Reisen und die Gespräche. Und in den meisten Fällen ist die Formung, die wir unserer Frau verdanken, weit bedeutsamer als die akademische Ausbildung. ({4}) Wenn das so ist, sollten wir die Bedeutung der Hochschule nicht überschätzen. ({5}) Vielleicht ist die Selbstüberschätzung der Hochschulen ein Überrest von Akademikerdünkel, gegen den wir kämpfen sollten.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gewiß.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dichgans, gestatten Sie, daß ich mein Entsetzen über Ihre Ausführungen durch die Frage äußere, ob Sie uns etwa raten wollen, früher zu heiraten, statt zu studieren? ({0})

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, noch früher zu heiraten, als heute die Studenten heiraten, ist wohl kaum möglich. ({0}) Ich wehre mich nur dagegen, Herr Sperling, und ich glaube, daß Sie mir darin auch nicht ernsthaft widersprechen, daß wir alle dazu neigen, die akademische Ausbildung zu überschätzen.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter Dichgans, Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gewiß.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich überschätze meine akademische Ausbildung nicht. Ich bedauere vielmals, Ihnen zustimmen zu müssen, und deswegen, meine ich, müßten wir den Zustand an den Hochschulen ändern.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Abgeordneter, das war leider keine Frage.

Dr. Hans Dichgans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin nicht davon überzeugt - auch wenn wir die Ausbildung in den Hochschulen verbessern -, daß wir den Prozentsatz der Wirkung der akademischen Ausbildung für uns wesentlich erhöhen. Herr Sperling, ich bitte, mir einmal in einer ganz einfachen Rechenüberlegung zu folgen. Nehmen wir an, wir würden den Wirkungsgrad der Hochschulausbildung um 50 % erhöhen. Dann kämen wir von 5 % auf maximal 7,5 %. Das ist immer noch nicht sehr viel. Für unser heutiges Problem bedeutet das: Wir sollten die Hochschulorganisation nicht als Problem der Weltanschauung, sondern als Problem der Zweckmäßigkeit behandeln. Dann könnte ich mir denken, daß wir doch in den weiteren Beratungen zu einer breiten Übereinstimmung kommen. ({0})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Das Wort hat Herr Bundesminister Leussink.

Hans Leussink (Minister:in)

Politiker ID: 11005298

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß selbstverständlich die hohe Ehre zu schätzen, von einem Kollegen als verständig zensiert worden zu sein, noch dazu, wenn dieser Kollege aus einer so idyllischen Fakultät kommt, wo alle Kollegen so schrecklich einseitig und offensichtlich so selbstbescheiden sind. ({0}) -- Ach, so ist das? Aber mein Stehvermögen ist trotz dieses zweifelhaften Lobes natürlich beschränkt. Ich würde gern das Stichwort von Herrn Martin aufgreifen, der von einem Lernprozeß gesprochen hat, und würde gern abschließend so einige Lernfragen stellen. I) Zunächst zu Herrn Martin! Herr Martin hat von der Rückkehr zu wissenschaftsfördernden Strukturen gesprochen. Zurückkehren kann man aber nur dahin, woher man gekommen ist. Aber diese Strukturen haben doch gerade versagt, wie Sie selber an anderen Stellen Ihrer Ausführungen und wie auch Kollegen von Ihnen mehrfach gesagt haben. An einer anderen Stelle haben Sie mindestens dem Sinn nach gesagt, daß ein, wie ich es definiere, auf dynamische Entwicklung angelegtes Modell - und das ist für mich die Gesamthochschule - sich statisch auswirken und dadurch das System der nächsten Jahre festschreiben wird. Das stimmt nun irgendwie mit den physikalischen Gesetzen, Abteilung Mechanik, überhaupt nicht überein. Zu § 4 Abs. 1 des Gesetzes. Da ist eine totale Verwirrung eingetreten, als Herr Minister Rau von dem Sachverhalt ausgegangen ist, wie er sich tatsächlich abgespielt hat. Dadurch kam das völlig unpassende Lob von Herrn Martin zustande. Man muß schon die Protokolle lesen: Es war genau umgekehrt, Herr Martin, daß hier alle SPD-regierten Länder dem Bund zugestimmt haben, nur das Land Nordrhein-Westfalen nicht. Sie sind vom genauen Gegenteil ausgegangen, und Herr Kollege Rau ist von der richtigen Grundlage ausgegangen. Ich glaube, diese Verwirrung, sollte aufgeklärt werden. Dann zu Ihren Bemerkungen über Herrn Rumpf, Herr Martin. Das ist nun einmal der derzeitige Sprecher der Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen usw. Ich finde es wirklich sehr unglücklich, seine Ausführungen, die er als legitimer Vertreter der Institutionen Hochschulen gemacht hat, hier in dieser Weise zu kommentieren, Wie Sie das getan haben. Ich möchte mich jedenfalls ausdrücklich davon distanzieren. Zu Frau Dr. Walz: Zwar steht selbstverständlich nichts von Akademikerinflation im Gesetz, aber an anderer Stelle - darauf haben Sie natürlich abgezielt - haben wir vorgeschlagen oder glauben wir, daß nach einer gewissen Zeit, nämlich in den achtziger Jahren, etwa 25 % des jeweiligen Jahrgangs in das Gesamthochschulsystem hineingehen sollten. Das nennen Sie offensichtlich Akademikerinflation. ({1}) Was wir möchten, was wir vorgeschlagen haben, sind 25% des jeweiligen Jahrgangs. Baden-Württemberg schlägt dagegen 22 bis 23 % vor. Wir sind also offensichtlich gar nicht so weit auseinander. Dann haben Sie gesagt, im Westen verlaufe die Entwicklung geradezu umgekehrt. Alles, was wir betreiben, ist letzten Endes irgendwie einmal angelsächsisch vorgeprägt gewesen; alle unsere Überlegungen, auch Ihre natürlich, können sehr weitgehend von daher verstanden werden. Wenn Sie die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich --- etwa die Cats - betrachten, so sind die doch zum Teil längst mindestens integriert. Sie können nicht sagen, daß die etwa auf dem Marsch in unsere völlig voneinander abgeschotteten Systeme sind. Wenn Sie sich etwa einmal mit den Vorschlägen der Carnegie Commission on Higher Education beschäftigen, deren Vorsitzender der ehemalige Präsident von Berkeley ist, Clark Kerr, dessen Vorschläge man eigentlich kennen muß, wenn man ernsthaft in der internationalen Hochschulreformdiskussion mitreden will, so werden Sie feststellen, daß die Behauptung, daß in den westlichen Ländern - ich rede nicht von den östlichen Staaten - der Zug genau in die umgekehrte Richtung führe, ... nicht richtig ist. Wenn Sie dann sagen, die Gesamthochschule, so wie wir sie verstehen, würde die Gefahr heraufbeschwören, daß wir international die schlechteren Positionen bekämen, so kann ich nur sagen: Das ist doch heute so; darüber wird mit Recht lebhaft Klage geführt. Die Gesamthochschule kann man aber für den heutigen Zustand nicht verantwortlich machen. Zwei Bemerkungen zu Herrn Kollegen Vogel. Sie sagen, der vorgesehene Umfang der Mitbestimmung der graduierten Studenten sei das, was Sie stört. - Nun weiß ich nicht, Herr Vogel, was Sie hier unter ;,Umfang" verstehen. Meinen Sie die Prozentsätze, mit denen diese Studenten dann in den Gremien vertreten sein sollen? Darüber haben wir nichts gesagt. Oder sind es die Fragen, bei denen sie einbezogen werden sollen? Bei uns ist die Forschung, und graduierte Studenten sollten mit Forschung ja nicht nur schon einmal zusammengekommen sein, sondern auch schon einiges von ihr verstehen. Dann haben Sie es für notwendig gehalten, hier die kürzliche Begebenheit in der Bund-Länder-Kom6270 mission als Eklat zu bezeichnen, als Aufbauen unnötiger Fronten. Sie waren ja - leider, möchte ich sagen - gar nicht dabei. Aber dann möchte ich hier sagen, wir haben nun, nachdem uns vom Kollegen Maier ein längerer Vortrag darüber gehalten worden ist, man müsse die Dinge jetzt endlich qua Abstimmung klarstellen, einmal abgestimmt, und nun ist das nicht recht. Was sollen wir denn eigentlich machen? Im übrigen ist dies doch nur ein Zwischenstadium, und ich halte es für wesentlich besser - da stimme ich völlig mit Herrn Maier überein -, daß solche Dinge einmal auf der politischen Ebene qua Abstimmung festgehalten werden müssen. ({2}) Selbstverständlich gibt es von da aus die Möglichkeit, Kompromisse zu schließen. Aber - auch das muß ganz klar und eindeutig festgestellt werden - „Kompromiß" bedeutet immer Aufeinanderzugehen von beiden Seiten und kann nicht heißen: wir schließen gerne mit euch Kompromisse, wenn ihr euch völlig unserer Meinung anschließt. Das kann es allerdings nicht heißen. ({3}) Dann ist - auch seitens des Kollegen Kotowski immer wieder von „unerprobt" die Rede gewesen. Ich habe die Frage: Wie beurteilen Sie denn eigentlich die Handlungsweise Wilhelm von Humboldts, der 1810 nun wirklich von oben herab die deutsche Universität kreiert hat, die sich über 100 Jahre lang - das soll man immer wieder betonen - so glänzend bewährt hat? Eine Lernfrage an Herrn Dichgans: wie viele Minuten hat bei Ihnen eine Professorenstunde, von der Sie hier eine Million angeführt haben?

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kotowski?

Hans Leussink (Minister:in)

Politiker ID: 11005298

Aber sehr gerne, natürlich! Eine Krähe hackt der anderen ja bekanntlich nicht die Augen aus.

Dr. Georg Kotowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001189, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, sollten wir uns nicht darüber verständigen können, daß ihr Beispiel nicht ganz durchschlägt, da ja Wilhelm von Humboldt nicht sämtliche deutschen Universitäten, sondern eine einzige als Modell entwickelt hat, die sich so vorzüglich entwickelte, daß sich dann im Verlaufe eines Jahrhunderts alle nach ihr gerichtet haben? ({0})

Hans Leussink (Minister:in)

Politiker ID: 11005298

Immerhin hat er diese einzige so geändert, ohne daß vorher der wissenschaftliche Nachweis geführt worden ist, daß das für die nächsten hundert Jahre das Richtige ist. ({0}) Herr Martin hat an irgendeiner Stelle gesagt, am Punkte X bestünde nach meinen Ausführungen offensichtlich noch die Möglichkeit einer Debatte. - Das ist nun für mich ein völlig neues Parlamentsgefühl. Ich denke, für den Souverän im demokratischen Staat steht alles, was wir und was andere hier vorlegen, zur Debatte. ({1}) Es ist für mich also ein ganz neues Gefühl, wenn das auf diesen einen Punkt beschränkt werden soll, Herr Martin. In diesem Sinne möchte ich wiederholen, was ich gesagt habe. Lassen Sie uns alles Notwendige debattieren, lassen Sie uns zügig handeln. Und wenn Sie fragen, Herr Martin, wen ich mit „uns" gemeint habe: uns alle, den gesamten Bundestag, den gesamten Bundesrat und die Bundesregierung. ({2})

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002033

Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs und des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, beide Vorlagen dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft -federführend - sowie zur Mitberatung dem Innendem Rechts- und dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Andere Anträge sind nicht gestellt. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 und zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964 vom 24. April 1967 - Drucksache VI/ 1879 -Wird das Wort zur Begründung begehrt? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage dem Finanzausschuß - federführend sowie dem Ausschuß für Wirtschaft und dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich ruf die Punkte 6, 7, 8, 9 und 10 der Tagesordnung auf: 6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung bewertungsrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache VI/ 1888 -7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes und des Schiffsbankgesetzes - Drucksache VI/ 1898 -- Deutscher Bundesfad -- 6. Wahlperiode - Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen 8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten --- Drucksache VI/ 1899 -Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bausparkassen - Drucksache VI/ 190l) -- 12. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einführung von Vorschriften des Lastenausgleichsrechts im Saarland - Drucksache VI/ 1905 - Wird dazu das Wort begehrt? - Das ist nicht der Fall. Wer den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Damit sind gemäß den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrats die Vorlagen überwiesen, und zwar zu Punkt 6 der Tagesordnung an den Finanzausschuß - - federführend - und an den Haushaltsausschuß, zu den Punkten 7 und 8 an den Ausschuß für Wirtschaft federführend -, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen, zu Punkt 9 an den Ausschuß für Wirtschaft --- federführend -, an den Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen und an den Haushaltsausschuß, zu Punkt 10 an den Innenausschuß --- federführend-, an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes Drucksache VI/ 1439 - a) Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache Vl/ 1904 Berichterstatter: Abgeordneter Haase ({2}) b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses ({3}) Drucksache VI/ 1852 Berichterstatter: Abgeordneter Biehle ({4}) Wir treten in die zweite Beratung ein. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Gegenprobe! -- Stimmenthaltungen? -- Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Wir treten in die dritte Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Anpassung der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ({5}) - Drucksache VI/ 1697 -Schriftlicher Bericht des Innenausschusses ({6}) -- Drucksache VI/ 1921 Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von Fircks ({7}) Wir treten in die zweite Beratung ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe § 1, § 2, § 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Wir treten in die dritte Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Wir stimmen dann noch über den Antrag des Ausschusses ab, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. - Ich stelle keinen Widerspruch fest; es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung von Artikel 8 des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes - Drucksache VI/ 1788 -Schriftlicher Bericht des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen ({8}) - Drucksache VI/ 1920 -Berichterstatter: Abgeordneter Reddemann ({9}) Wir treten in die zweite Beratung ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, 6272 Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Wir treten in die dritte Beratung ein. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle auch hier einstimmige Beschlußfassung fest. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Beratung der Ubersicht 7 des Rechtsausschusses ({10}) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache VI/ 1917 Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen. - Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Vorschlag des Rechtsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest. Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, den 11. März 1971, 14 Uhr, ein. Einziger Punkt der Tagesordnung ist die Fragestunde. Die Sitzung ist geschlossen.