Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der folgenden Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen ergänzt werden. Ich höre keinen Widerspruch; dann ist die Erweiterung der Tagesordnung so beschlossen.
Es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Vorlage des Bundesministers des Innern
Betr.: Bericht der Wahlkreiskommission für die 6. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
Bezug: § 3 des Bundeswahlgesetzes
- Drucksache VI/1627 zuständig : Innenausschuß
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr.: Ergebnisse der Entbehrlichkeitsprüfung und der Veräußerung von Bundesgelände zu Zwecken des Wohnungsbaues und der Eigentumsbildung
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vorn 18. Mai 1962 und vom 8. Dezember 1966
- Drucksache VI/1851 -zuständig: Haushaltsausschuß ({0}), Ausschuß für
Städtebau und Wohnungswesen
Vorlage des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments
Betr.: Entschließung zu dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Malta
- Drucksache VI/1867 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({1}), Auswärtiger Ausschuß, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Vorlage des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments
Betr.: Entschließung zu dem Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei, das die Übergangsphase dieser Assoziation regelt, und zu dem neuen Finanzprotokoll
- Drucksache VI 1868 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft ({2}), Auswärtiger Ausschuß, Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Vorlage des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments
Betr.: Entschließung zu der Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat betreffend den Stand der Durchführung der Richtlinien des Rats zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs in den Mitgliedstaaten
- Drucksache VI/1869 zuständig: Ausschuß für Wirtschaft
Erhebt sich gegen die Überweisung Widerspruch? Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 4. März 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Picard, Gewandt, Rollmann, Wohlrahe, Damm, Hussing, Haase ({3}) und Genossen betr. Deutsches Derby in Hamburg - Drucksache VI 1824 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V1/1914 verteilt.
Wir kommen damit zur
Fragestunde
- Drucksachen VI/ 1882, VI/1913 Ich rufe zuerst eine Dringlichkeitsfrage des Abgeordneten Haar ({4}) aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf:
Ist die Bundesregierung bereit, über ihre konsularischen Vertretungen für eine Rückreise der bei der Hugo Stinnes Transozean Schiffahrt GmbH, Mülheim/Ruhr, beschäftigten Seeleute Sorge zu tragen, die auf im Ausland festliegenden Schiffen tätig sind, da ihnen aufgrund rückständiger Heuer eine Finanzierung der Rückreise aus eigenen Mitteln nicht möglich ist?
Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch ist zur Beantwortung bereit. Bitte sehr!
Moersch, Parlamentarsicher Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die deutschen Seeleute, deren Heuerverhältnis mit der genannten Reederei als Folge von deren Zahlungsunfähigkeit endet und deren Lohnansprüche weder von der Reederei noch von ihrer Agentur erfüllt werden, sind nach Ansicht der Bundesregierung als hilfsbedürftige Seeleute im Sinne des Gesetzes betreffend die Verpflichtung der Kauffahrteischiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute vom 2. Juni 1902 in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 1957 anzusehen. Nach diesem Gesetz, kurz Mitnahmegesetz genannt, können die deutschen Auslandsvertretungen die Kapitäne deutscher Schiffe anweisen, hilfsbedürftige deutsche Seeleute nach Deutschland mitzunehmen. Die Kapitäne deutscher Schiffe sind zur Mitnahme der Seeleute verpflichtet. Das Seemannsamt des deutschen Ankunftshafens entschädigt die Reederei des zur Mitnahme verpflichteten Schiffes und richtet den Ersatzanspruch gegen die zahlungspflichtige Reederei oder im Falle der Erstattungspflicht des Seemanns gegen diesen.
Sofern die Möglichkeit der Heimschaffung auf einem deutschen Schiff nach dem Mitnahmegesetz nicht besteht, können die deutschen Auslandsvertretungen mittellosen deutschen Seeleuten zur Bezahlung der Kosten der Rückreise nach Deutschland
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
Darlehen gemäß § 26 des Konsulargesetzes gewähren.
Die Möglichkeit der Rückkehr mittelloser deutscher Seeleute aus dem Ausland nach Deutschland ist somit durch staatliche Hilfsmöglichkeiten ausreichend gewährleistet.
Keine Zusatzfrage? - Nein.
Dann kommen wir zu den einfachen Fragen. Ich bleibe gleich beim Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts und rufe die Frage 104 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß der nach Verhandlungen mit der jugoslawischen Regierung paraphierte Auslieferungsvertrag keine Bestimmungen enthält, deren mögliche Analogien bei der Anerkennung oder Nichtanerkennung von Flüchtlingen und Asylsuchenden aus den Ostblockländern durch die Verwaltungs- und Polizeibehörden der Bundesländer auch nur entfernt eine Minderung oder Gefährdung der Rechte begründen könnten, die Flüchtlingen und Asylsuchenden nach den Artikeln der UN-Flüchtlingskonvention ({0}) zustehen?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung kann bestätigen, daß der deutsch-jugoslawische Auslieferungsvertrag keine derartige Bestimmung enthält.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann*die Bundesregierung bestätigen, daß alle Amtspersonen in Häfen, an Grenzübergangsstellen oder an der Zonengrenze, die damit direkt konfrontiert sein könnten, mit den Dingen so vertraut sind, daß ein mögliches Versagen oder ein Irrtum über unsere Bestimmungen fast ausgeschlossen ist?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht in der Lage, Irrtum subjektiver Art bei irgend jemand auszuschließen.
({0})
- Nicht einmal bei sich selber, Herr Dr. Marx. Das trifft sicherlich für alle Mitglieder dieses Hohen Hauses zu. - Insofern ist diese Frage von mir also nicht zu beantworten. Wir können nur davon ausgehen, daß uns im allgemeinen keine Fälle bekannt sind, in denen solche Irrtümer obgewaltet hätten.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ihrerseits etwas dafür tun, daß die Unterrichtung all der in Frage kommenden Amtspersonen sichergestellt wird?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Unterrichtung
der in Frage kommenden Personen ist aut dem amtlichen Wege sichergestellt, Herr Abgeordneter.
Keine Zusatzfragen. Die Fragen 102 und 103 sind zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 105 des Herrn Abgeordneten Josten:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, auf Grund unserer eigenen furchtbaren Erfahrungen im Dritten Reich zur Erleichterung des Schicksals von Juden in der Sowjetunion beizutragen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Sie mit Ihrer Frage auf den Leningrader Flugzeugentführerprozeß anspielen. Ich darf Ihnen sagen, daß viele Regierungen, unter ihnen auch die Bundesregierung, damals im Falle des Prozesses von Leningrad wegen der Entführungsversuche und der Entführung von Flugzeugen der sowjetischen Regierung ihre Auffassung zur Kenntnis gebracht haben, daß es möglich sein möge, die Todesurteile im Sinne einer Begnadigung zu überprüfen. Tatsächlich sind die in Leningrad ausgesprochenen Todesurteile, wie Sie wissen, in Haftstrafen umgewandelt worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, nachdem mich Ihre Antwort nicht befriedigt, weil ich doch ganz klar gefragt habe, ob wir zur Erleichterung des Schicksals von Juden in der Sowjetunion -
Herr Abgeordneter, Sie haben keine Feststellung darüber zu treffen, ob Sie die Frage befriedigt. Sie haben nur eine weitere Frage zu stellen.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß gerade die Bundesrepublik auf der Suche nach Hilfe für die Juden in Rußland den Appell des jüdischen Kongresses in Brüssel zum Anlaß nehmen sollte, mit den Regierungen der freien Welt die Vereinten Nationen zur Mithilfe zu mobilisieren?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Das wäre ein formaler Grund, den ich hier anführe. Aber ich glaube, daß die Antwort auf eine Frage in diesem Sinne auch davon abhängig zu machen ist, ob die Beantwortung denen nützt, denen Sie möglicherweise nützen wollen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, die Sowjetregierung zu bitten, jüdischen Staatsbürger die Erlaubnis zur Auswanderung zu gewähren?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Gesetze der einzelnen Staaten, die die Auswanderung betreffen, sind verschieden. Auch die Auffassungen über die Notwendigkeit von Gesetzen dieser Art sind verschieden. Sie können es beklagen, daß das so ist. Aber es ist für die Bundesregierung unmöglich, sich in Gesetzgebungsverfahren anderer Länder einzumischen.
Ich komme zur Frage 106 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka:
Ist es der Bundesregierung möglich, hei der Handelsmission in Warschau ein Faltblatt mit der „Information" der polnischen Regierung „über Maßnahmen zur Lösung humanitärer Probleme" zur Verfügung zu stellen. damit es dort von Interessenten jederzeit abgerufen werden kann?
Bitte, Herrn Staatssekretär!
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, Interessenten, die sich bei der Handelsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Warschau wegen einer Übersiedlung in das Bundesgebiet erkundigen, erhalten Auskunft unter Verwendung der „Information der Regierung der Volksrepublik Polen". Übersiedlungswillige und deren Angehörige wenden sich allerdings kaum an die Handelsvertretung, sondern fast nur an das Deutsche Rote Kreuz und dessen Kreisverbände oder an das Polnische Rote Kreuz. Das Deutsche Rote Kreuz verwendet bei Auskunftsersuchen das Merkblatt seines Suchdienstes Hamburg, das den wesentlichen Teil der „Information" im Wortlaut enthält.
Ein Bedürfnis für eine Verteilung der „Information" durch unsere Handelsvertretung hat sich unter diesen Umständen bisher nicht ergeben. Sollte sich eine Verteilung künftig als erforderlich und zweckmäßig erweisen, so wird dies selbstverständlich geschehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Wäre es aber vielleicht möglich, die Rundfunkanstalten, die etwa in Gleiwitz oder in Ratibor gut gehört werden, zu bitten, in regelmäßigen Abständen die „Information" in deutscher und auch in polnischer Sprache zu veröffentlichen, und hier bekanntzugeben, zu welcher Zeit das geschieht, weil sehr viele Gerüchte in dem Sinne umlaufen, daß die ganze Aktion schon im Jahre 1971 zu Ende sein könnte?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich will erwägen, ob das notwendig erscheint. Soweit mir bekannt ist, ist diese „Information" in den Nachrichtensendungen durchaus bekanntgegeben worden. Wenn sich herausstellen sollte, daß
Gerüchte zu Aufregungen führen, wird es im Interesse aller Beteiligten, auch der polnischen Seite, sein, diese Gerüchte durch Tatsachen zu ersetzen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Das war eine einmalige „Information". Deswegen noch einmal die Frage, ob es nicht mindestens erwogen werden könnte, den Rundfunkanstalten die Anregung zu geben - denn das liegt ja zum Teil schon vier oder sechs Wochen zurück, und es ist alles fragmentarisch berichtet worden -, einfach den Text der „Information" zu einer bestimmten Abendzeit, vielleicht einmal in der Woche in deutscher und, wenn möglich, in polnischer Sprache zu veröffentlichen.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß es eine volle Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten gibt. Sie haben nichts anderes gesagt, aber man könnte etwas anderes heraushören, und es ist von anderer Seite auch schon herausgehört worden. Ich muß großen Wert darauf legen, das zu sagen. Es gibt Mitglieder dieses Hohen Hauses, die als Mitglieder des Rundfunkrates Gelegenheit haben, diese Frage dort selbst vorzubringen.
Die Bundesregierung wird auf Grund Ihrer Frage den Sachverhalt noch einmal überprüfen und wird dann nach geeigneten Wegen suchen, etwa eine solche Wiederholung vornehmen zu lassen, falls es nicht seitens der Anstalten gerade auf Grund dieser Fragestellung schon geschehen sollte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, weshalb halten Sie es eigentlich nicht für zweckmäßig, daß die Handelsmission Informationen, und zwar mit dem genauen Wortlaut der ausgetauschten Veröffentlichungen, weitergibt, da aus zahllosen Briefen eine große Unsicherheit der betroffenen Bevölkerung spricht und andererseits Vertreter unserer Auslandsbehörden eine Obhutspflicht gegenüber deutschen Staatsangehörigen haben?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, die Frage, die Sie stellen, gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß dort, wo an die Handelsvertretungen Anfragen gestellt worden sind - es sind nur sehr wenige, noch nicht einmal ein Dutzend -, diese Anfragen selbstverständlich völlig korrekt und umfassend beantwortet worden sind. Aber zunächst ist ja allen bekannt, daß der Adressat das Deutsche Rote Kreuz ist. Die Betroffenen haben sich deshalb auch an die Dienststellen des Roten Kreuzes gewandt. Ich habe vorhin in meiner Antwort schon gesagt: Wenn sich herausstellen sollte, daß das zweckmäßig erscheint, bereiten wir
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
das gerne vor. Das ist im übrigen auch schon in die Überlegungen einbezogen.
Ich komme zur Frage 107 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka:
Erwägt die Bundesregierung eine zusätzliche Information über die gesetzlichen Möglichkeiten, von denen die Aussiedler nach Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen können, z. B. Rentenansprüche, Lastenausgleich, Förderschulen?
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort lautet wie folgt. Die Übersiedler erhalten bei ihrer Ankunft den „Wegweiser für Aussiedler" des Bundesministeriums des Innern, Abteilung für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Diese Broschüre enthält auf 40 Seiten eine erschöpfende Information über die gesetzlichen Möglichkeiten, von denen Übersiedler Gebrauch machen können, darunter auch Auskünfte über Rentenansprüche, Lastenausgleich und Förderschulen. Die demnächst erscheinende, unwesentlich ergänzte zehnte Auflage des „Wegweisers" wird als Sonderinformation für übergesiedelte Familien mit Kindern und Jugendlichen ein Einlageblatt über das Jugendgemeinschaftswerk enthalten. Die Bundesregierung glaubt, daß mit dem „Wegweiser" eine umfassende Unterrichtung der Übersiedler sichergestellt ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Das betrifft die Aussiedler,
3) die hier eintreffen. Kann nicht durch eine Bekanntmachung veranlaßt werden, daß die Aussiedler ihre Papiere möglichst vollständig mitbringen? Die Papiere sind so unvollständig, daß die Aussiedler hier große Schwierigkeiten haben. Oft sind sie auch zu ängstlich, die Papiere durch die DDR mitzunehmen. Wenn eine derartige Bekanntmachung stattfände, würde das den Menschen drüben helfen und sie veranlassen, auf alle Zeugnisse und Papiere Wert zu legen, damit sie sie hier vorweisen können.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, eben dies ist eine Erfahrung, die in den letzten Wochen ausgewertet worden ist. Sie dürfen versichert sein, daß die zuständigen Stellen der Bundesregierung, vor allem das Bundesministerium des Innern ich bin hier nur indirekt betroffen -, sich dieser Sache mit großer Entschiedenheit angenommen haben und daß auf der anderen Seite dafür Sorge getragen wird, daß unvollständige Unterlagen nicht zu Schwierigkeiten führen. Wir haben hieraus bereits bestimmte Konsequenzen gezogen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Diese Zusatzfrage könnte dahin gehen - da Sie nicht der zuständige Ressortmann sind, Herr Staatssekretär -, ob man nicht dafür Sorge tragen sollte, daß die Zeugnisse so berücksichtigt werden, wie sie drüben ausgestellt worden
sind, und daß Zeugnisse und Prüfungsdiplome nicht eventuell abgewertet werden mit der Folge, daß es bezüglich der Eingliederung Schwierigkeiten gibt.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Bei der Hochschätzung, die Zeugnisse in Deutschland im allgemeinen genießen, Herr Abgeordneter, ist dies sicherlich ein nützlicher Gegenstand der Unterhaltung mit Kultusministern und den betroffenen Behörden. Falls wir in Deutschland dazu kommen sollten, mehr auf Leistung als auf Zeugnisse zu sehen, würde sich die Sache ohnedies erleichtern.
Herr Abgeordneter Rollmann!
Ist es eigentlich nach wie vor so, Herr Staatssekretär, daß deutsche Umsiedler in dem Augenblick, wo sie den dortigen Raum verlassen, ihre Ansprüche an die polnische Sozialversicherung verlieren, und ist es weiterhin so, daß Polen, wenn sie aus der Bundesrepublik Deutschland nach Polen zurückgehen, ihre Ansprüche an die deutschesche Sozialversicherung behalten?
({0})
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das ist eine interessante Frage, zu der Ihnen der Herr Arbeitsminister sicher gerne Einzelheiten darlegen wird. Soweit mir bekannt ist, ruhen die Ansprüche auf beiden Seiten.
Ich frage mich, ob diese Frage nicht überhaupt über die Hauptfrage hinausgeht und deshalb nur als selbständige Frage zugelassen werden könnte. Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob Sie die Frage überhaupt hinsichtlich des richtigen Personenkreises beantwortet haben, da Sie ständig von „Übersiedlern" und „Übersiedlung" sprachen, während diese Personen in zahllosen deutschen Gesetzen wie in der Frage als „Aussiedler" bezeichnet werden.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das ist sicherlich kein Unterschied. Ich sehe soeben in meinen Unterlagen, daß es hier so steht. Da ich der Meinung bin, daß man, wenn man etwas falsch sagt, es gleichmäßig falsch sagen sollte, habe ich mich an den in den Unterlagen verwendeten Ausdruck gehalten.
Ich wäre aber dankbar, wenn nach den Gesetzen verfahren würde.
Keine Zusatzfragen.
Vizepräsident Jaeger
Die Fragen 32 und 33 sind zurückgezogen.
Die Fragen 34 und 35 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Frau Bundesminister Strobel ist anwesend.
Zunächst die Frage 49 des Abgeordneten Fiebig:
Ist die Bundesregierung bereit, die in Kraft getretenen Verwaltungsvereinbarungen der früheren Bundesregierung zwischen dem Bundesminister für das Gesundheitswesen vom 30. Oktober 1967, dem Bundesminister des Innern vom 25. Oktober 1967 und dem Bundesminister der Verteidigung vom 29. November 1967 ({0}), wonach die bei den Mittelbehörden als Medizinaldezernenten, Veterinärdezernenten und Pharmaziedezernenten" tätigen Reserveoffiziere für den Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht zur Verfügung stehen, zu revidieren?
Herr Kollege Fiebig, im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung und dem Bundesminister des Innern beantworte ich Ihre Frage wie folgt.
Die im Jahre 1967 zwischen dem Bundesminister des Innern, dem Bundesminister der Verteidigung und dem damaligen Bundesminister für Gesundheitswesen geschlossene Verwaltungsvereinbarung dient der Sicherstellung des Bedarfs der Bundeswehr an Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern für Spannungszeiten und für den Verteidigungsfall. Danach können z. B. für die Bundeswehr in jedem
9 Regierungsbezirk ein bestimmter Prozentsatz der Ärzte jeder Sparte beordert werden.
In Nr. 6 dieser Verwaltungsvereinbarung ist einschränkend festgelegt, daß bestimmte Gruppen von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern nicht für den Dienst in der Bundeswehr zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich überwiegend um Ärzte mit speziellen Fachkennntnissen und besonderer Verantwortung im öffentlichen Gesundheitsdienst.
Die Medizinaldezernenten des öffentlichen Gesundheitswesens, die Veterinärdezernenten des Lebensmittel- und Veterinärwesens und die Pharmaziedezernenten, die für die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung und Regelung des Umgangs mit Giften verantwortlich sind, nehmen bei den Mittelbehörden im Spannungs- und Verteidigungsfall für die Bevölkerung lebenswichtige Aufgaben wahr. Die Bundesregierung kann aus den dargelegten Gründen nicht bereit sein, die Nr. 6 b der vorgenannten Verwaltungsvereinbarung zu revidieren.
Eine Zusatzfrage.
Wie steht es dann mit dem Gleichheitsprinzip, wenn eine Beamtengruppe gegenüber der anderen benachteiligt wird, weil sie nicht an Reserveübungen teilnehmen kann und dadurch vom Beförderungsweg innerhalb der Bundeswehr ausgeschlossen ist?
Herr Kollege, wir sind der
Meinung, daß der Gleichheitsgrundsatz bei den in Nr. 6 b der vorgenannten Verwaltungsvereinbarung aufgeführten Personen nicht berührt wird.
Durch die Festlegung der Zahl der der Bundeswehr zur Verfügung stehenden Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte soll sichergestellt werden, daß dem zivilen Sektor im Rahmen der verfügbaren Kräfte ein ausreichender Personenkreis zur Wahrnehmung lebenswichtiger Belange der staatlichen Selbstbehauptung und der öffentlichen Sicherheit zur Verfügung steht. Wir sind der Meinung, daß dies ein übergeordneter Grundsatz ist.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 52 der Abgeordneten Frau Schimschok auf:
Ist der in Heft 1'1971 der Zeitschrift „Gesundes Leben" erschienene Artikel „Bleivergiftung durch Keramikgeschirr" bekannt, in dem es heißt, daß Menschen an Bleivergiftung starben, weil sie Getränke, die in Keramikgeschirr aufbewahrt waren, zu sich genommen haben?
Frau Kollegin, von Zeit zu Zeit wird immer wieder berichtet, daß Menschen sterben mußten, weil sie Getränke aus Gefäßen getrunken haben, die Blei abgegeben haben. In der Regel stellt sich bei der Nachprüfung heraus, daß die Gefäße nicht für die Aufnahme von Lebensmitteln bestimmt gewesen sind. Solche durch Unwissenheit oder auch durch Leichtfertigkeit hervorgerufene Unglücksfälle lassen sich nur vermeiden, wenn die Bevölkerung immer wieder auf die Gefährlichkeit der Verwendung ungeeigneter Behältnisse für Lebensmittel aufmerksam gemacht wird.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 53 der Frau Abgeordneten Schimschok auf:
Erfolgt in der Bundesrepublik Deutschland eine Überwachung der keramischen Gebrauchsartikel - vor allem der viel gekaufen Römertöpfe -, um eventuelle Schädigungen des menschlichen Organismus zu verhindern?
Keramische Gebrauchsartikel, die bei der Gewinnung, Herstellung, Verpackung und dem Genuß bestimmungsgemäß mit Lebensmitteln in unmittelbare Berührung kommen, sind Bedarfsgegenstände im Sinne des Lebensmittelgesetzes. Nach diesem Gesetz ist es verboten, sie so herzustellen oder zu verpacken, daß sie bei bestimmungsgemäßem oder vorauszusehendem Gebrauch geeignet sind, die menschliche Gesundheit durch ihre Bestandteile oder Verunreinigungen zu schädigen. Sie werden im Rahmen der amtlichen Lebensmittelkontrolle laufend überwacht. Sollte dabei festgestellt werden, daß sie den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen, sind die für die Durchführung der Gesetze zuständigen Stellen zur Vermeidung von Schädigungen der menschlichen Gesundheit verpflichtet, umgehend den Verkauf zu unterbinden.
Der Hinweis in dem von Ihnen zitierten Artikel, nach dem in der Bundesrepublik diese Gegenstände nicht überwacht werden, ist unrichtig.
Schädigungen durch sogenannte Römertöpfe sind bisher nicht bekanntgeworden.
Ich komme damit zur Frage 54 des Abgeordneten Burger:
Haben sich die verbesserten Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes ({0}) für die Meldung von Behinderten über das Gesundheitsamt bewährt?
Herr Kollege Burger, es ist noch verfrüht - ich bitte um Entschuldigung, aber es ist leider so -, die Frage nach der Bewährung der Mitteilungspflicht gemäß § 125 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz zu beantworten. Zur Verwirklichung der Vorschrift bedurfte es zunächst näherer Durchführungsvorschriften des Bundes und der Länder. Ich habe zu diesem Zweck am 21. Juli 1970 eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassen, in der nähere Bestimmungen zur Durchführung der ärztlichen Mitteilungspflicht und der Text der Mitteilungsblätter enthalten sind.
Da die Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes Sache der Länder ist, hatten diese zunächst auf Grund der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundes eigene Durchführungsvorschriften zu erlassen und den Ärzten die Mitteilungsblätter zur Verfügung zu stellen. Man wird deshalb noch einige Zeit abwarten müssen, bis ein Urteil fiber den Erfolg der Vorschriften abgegeben werden kann.
Ich rufe die Frage 55 des Abgeordneten Burger auf:
Werden die als Ergebnis der verbesserten Vorschriften zu erwartenden Unterlagen ({0}) zuverlässige Zahlen für die Planung von Einrichtungen für Behinderte abgeben?
Ich bin zuversichtlich, daß durch die Beratungstätigkeit der Gesundheitsämter und durch die Mitteilungen der Ärzte an sie im Laufe der nächsten Jahre genügend zuverlässige Bedarfszahlen für die Planung der erforderlichen Einrichtungen für Behinderte ermittelt werden. Nach § 125 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz hat der Arzt die ihm nach Abs. 1 bekanntwerdenden Behinderungen ohne Namensnennung zu melden, d. h. allerdings, der Behinderten, die seine Praxis aufsuchen.
Es erscheint hinreichend gesichert, daß über die in etwa vollständig zu erwartenden - Zahlen über behinderte Kinder und Jugendliche eine von Jahr zu Jahr vollständigere Gesamtstatistik der Behinderten entsteht. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag, wie es nach § 126 c Bundessozialhilfegesetz vorgeschrieben ist, bis zum 1. Oktober 1972 einen Bericht vorlegen und sich zu diesem Zweck selbstverständlich rechtzeitig mit den Lindern in Verbindung setzen.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Lenzer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 59 des Abgeordneten Dröscher. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. - Ich danke Ihnen, Frau Bundesminister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 94 des Abgeordneten Hansen auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, der Bund-LänderKommission ein Modell für die Ausbildung zum Stufenlehrer vorzuschlagen, in dem unter anderem die Auswirkungen auf die Besoldung und das Laufbahnrecht berücksichtigt werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Kompetenz für Regelungen zur Ausbildung der Lehrer liegt, Herr Kollege Hansen, bei den Ländern. Für den Bund bieten sich im Rahmen der Bund-Länder-Kommission Ansätze, gemeinsam mit den Ländern Vorstellungen für die Ausbildung des zukünftigen Stufenlehrers, den wir auch im Bildungsbericht als Konzept unterstellt haben, zu entwickeln. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hofft, daß in der Bund-Länder-Kommission gemeinsam von Bund und Ländern ein Lehrerbildungsmodell entwickelt wird, das der sachlichen Notwendigkeit gerecht wird und in den noch strittigen Fragen zu einer befriedigenden Lösung führt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß der Rolle der Lehrer bei den geplanten Innovationen eine ganz besondere Bedeutung zukommt und deshalb die Bundesregierung alles tun sollte, um möglichst bald eine Einigung in der Bund-Länder-Kommission herbeizuführen, die besonders die Gleichwertigkeit der Lehrerausbildung zum Inhalt hat, so wie es auch im Bildungsbericht der Bundesregierung angedeutet worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staats, Sekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hansen, die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß die Ausbildung der Lehrer eine zentrale Frage innerhalb der Bildungsreform ist, und ist mit Ihnen von der Notwendigkeit überzeugt, im Rahmen der Bund-Länder-Kommission und an anderer Stelle zu einer gemeinsamen Lösung in der Lehrerausbildungsfrage zu kommen.
({0})
Keine Zusatzfrage. Die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Gölter ist vorn Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 96 der Frau Abgeordneten Dr. Walz auf:
Ist die europäische Zusammenarbeit in Forschumg und Entwicklung für die Bundesregierung ein Bestandteil ihrer Integrationspolitik, oder betrachtet sie die europäische technologische Zusammenarbeit nur als Ergänzung ihrer nationalen Technologiepolitik?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, die europäische Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung ist für die Bundesregierung sicherlich ein Bestandteil der Integrationspolitik.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Warum war dann der Rede des Ministers Leussink im Europarat zu entnehmen, daß zu dritt zu handeln mehr sein könne, als in sehr viel größerem Kreis zu beraten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, dieser Satz des Ministers bezieht sich auf folgende Tatbestände: Überall dort, wo man - und Ihre nächste Frage wird ja mit diesem Problem zusammenhängen -trotz aller Bemühungen nicht in der Lage Ist, eine gemeinsame Lösung zu finden, muß man Sorge dafür tragen, daß sich nicht etwa Hohlräume, Lücken bilden, in denen nichts geschieht. Und so hat der Minister dann formuliert, in diesen Fällen könne es mehr sein, zu dritt oder zu viert etwas zu tun, als zu vielen zusammenzusitzen und zu beraten, aber kein Ergebnis zustande zu bringen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Warum hat die Bundesregierung bei den letzten europäischen Ratstagungen der Forschungsminister nur darauf gedrungen, die gemeinsame Forschungsstelle stärker aus ihrem supranationalen Verbund zu lösen, ohne gleichzeitig ein Gemeinschaftsprogramm für diese gemeinsame Forschungsstelle durchzusetzen und engere europäische Strukturen für eine europäische Forschungspolitik vorzuschlagen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, frühere Bundesregierungen haben den Versuch gemacht, ein langfristiges Forschungsprogramm für die gemeinsame Forschungsstelle zu erstellen, und frühere Bundesregierungen sind mit diesem Versuch gescheitert. Die neue Bundesregierung hat wenige Tage nach dem Beginn ihrer Arbeit - bereits am 28. Oktober 1969 - in der Ministerkonferenz der Forschungsminister einen Durchbruch in der Frage der zukünftigen Gestaltung der gemeinsamen Forschungsstelle erzielt. Dieser Durchbruch geht dahin, daß der Forschungsstelle mehr Selbständigkeit im Rahmen der europäischen Arbeit eingeräumt werden soll. Das ist schließlich nach langen Verhandlungen mit den europäischen Partnern Grundlage einer Konzeption geworden, der sowohl Kommission als auch Ministerrat zugestimmt haben. Man konnte nicht erwarten, daß mit diesem organisatorischen Durchbruch, der ja die Grundlage für eine Verbesserung der Forschungspolitik werden soll, zugleich auch das Forschungsprogramm verabschiedet werden konnte. Das wird nun in den kommenden Monaten zu tun sein.
Ich komme damit zu Frage 97 der Frau Abgeordneten Dr. Walz:
Welche Funktion gibt die Bundesregierung der bi- und trilateralen Zusammenarbeit im Rahmen dieser Integrationspolitik, und wie vermeidet sie Inkohärenzen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, ich unterstelle zunächst, daß Sie mit den Begriffen „bilateral" und „trilateral" auch andere Formen der Zusammenarbeit meinen, die nicht kommunitär sind.
Im Rahmen einer Integrationspolitik sieht die Bundesregierung die Bedeutung dieser Formen von Zusammenarbeit insbesondere in zwei Funktionen: einmal in der Funktion der Vorbereitung von multilateralen Entscheidungen z. B. im Rahmen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages - so kann die multilaterale Zusammenarbeit durch Vorbereitung gestärkt werden -, zum anderen in einer Funktion, die darin besteht, bei einer bestehenden Verschiedenheit von Interessen die europäische Integrationspolitik auch dann voranzutreiben, wenn es zu einer multilateralen Lösung nicht kommen kann. Wir haben in der vorhergehenden Frage eben auf diesen Punkt Bezug genommen.
Um Inkohärenzen oder Widersprüche zu vermeiden, versucht die Bundesregierung, soweit wie möglich im Rahmen der europäischen Gemeinschaften Ergänzungsprogramme zwischen den interessierten Partnern zu fördern und sie in den Gemeinschaftsrahmen einzubauen. Ist auch dies nicht möglich, so wird darauf geachtet, daß bei allen Abkommen eine künftige Mitarbeit weiterer Partner vertraglich möglich bleibt.
Künftig soll im übrigen durch die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verfahren der Konfrontation - nämlich der Gegenüberstellung von Programmen - und der Konsultation - d. h. der vorhergehenden Beratung über Beitrittsmöglichkeiten -eine frühzeitige Information der europäischen Partner erfolgen, die eine Mitarbeit und Abstimmung mit anderen europäischen Staaten ermöglicht.
Ich habe Ihnen, Frau Kollegin Walz, mit Datum vom 3. März auf Ihre Frage vom 11. Februar schriftlich geantwortet und diese neuen Verfahren - Konsultation und Konfrontation - erläutert.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Walz.
Befürchtet die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, keine industriepolitischen Komplikationen, wenn sie auf dem Nukleargebiet, etwa bei der Reaktorzusammenarbeit zwischen Deutschland und den Benelux-Staaten, andere Partnerschaften fördert als auf dem Anreicherungsgebiet, wo Deutschland, Großbritannien und die Niederlande zusammenarbeiten, während sich gleichzeitig auf dem Wiederaufarbeitungsgebiet deutsche, französische und britische Firmen zusammenschließen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, das ist sicherlich ein ernstes Problem. Die Situation, die Sie eben schildern, ist im Verlauf eines Jahrzehnts europäischer Technologiepolitik entstanden. Ich möchte sagen, daß der Durchbruch, der in der Stärkung der gemeinsamen Forschungsstelle erreicht wurde, Grundlage sein könnte - und dies hat die Bundesregierung ganz klar im Ministerrat der Forschungsminister erklärt - für ein Wiederzusammenführen dieser sicherlich unzweckmäßigerweise auseinanderlaufenden verschiedenen Projekte. Aber so, wie die Projekte gelaufen sind, und zwar mangels koordinierter europäischer Forschungspolitik in den vergangenen Jahren, mußte die Bundesregierung von der von ihr vorgefundenen Ausgangsposition ausgehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Wäre die Bundesregierung eventuell bereit, die deutsch-französischen Projekte Sinfonie und Höchstflußreaktor für eine Zusammenarbeit in der ESRO oder CETS bzw. in den europäischen Gemeinschaften als ein europäisches Gemeinschaftsprojekt anzubieten und in diesem Sinne eventuell auf ihre französischen Partner einzuwirken?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Frau Kollegin Walz, die Bundesregierung hat in bilateralen, trilateralen und multilateralen Verhandlungen immer wieder darauf hingewiesen, daß sie jederzeit bereit ist, alle Projekte, die nicht auf einer gemeinschaftlichen europäischen Basis stehen, aber eine solche Basis für ihre Durchführung brauchen würden, unter der Voraussetzung einzubringen, daß eine effiziente Lösung für die Führung solcher Projekte auf gemeinschaftlicher Ebene gefunden werden kann. Das Problem der europäischen Forschungspolitik besteht ja entscheidend darin, daß die multilaterale Arbeit sehr häufig in der Frage der Effizienz, der Durchschlagskraft und des Tempos der Lösungen leidet. Hier muß also, wenn man die Basis verbreitern will, auch eine Grundlage gefunden werden, die organisatorisch solche technologisch komplizierten Projekte trägt.
Ich komme zur Frage 98 des Abgeordneten Wohlrabe:
Treffen Meldungen zu, nach denen die wegen Verdacht auf Beihilfe zum Mord in einem kalifornischen Gefängnis einsitzende amerikanische Kommunistin Angela Davis und der ehemalign Propagandachef der kommunistischen Black Panther, Aldridge Cleaver, der zur Zeit im algerischen Exil lebt, vom Präsidenten der Freien Universität Berlin, Rolf Kreibich, oder vorn Vizepräsidenten der Freien Universität Berlin, Uwe Wesel, auf Kosten des deutschen Steuerzahlers zu Gastvorlesungen eingeladen wurden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer StaatsSekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Ich darf zunächst, Herr Präsident, fragen, ob ich beide Fragen im Zusammenhang beantworten darf.
Das können Sie tun. - Ich rufe auch die Frage 99 auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß derartige Einladungen vertretbar sind?
Bitte sehr!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer StaatsSekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Wohlrabe, zunächst trifft es zu, daß Frau Angela Davis am 1. Februar 1971 von dem im Präsidialamt der Freien Universität dafür zuständigen Vizepräsidenten, Professor Wesel, zu Gastvorlesungen eingeladen worden ist. Diese Einladung erfolgte, nachdem das Präsidialamt aus dem Fachbereich 11 - Philosophie und Sozialwissenschaften über einen entsprechenden Beschluß des Rates des Fachbereiches informiert und gebeten worden war, die Einladung auszusprechen. Bedenken im Präsidialamt, die Einladung könne als Eingriff in ein schwebendes Verfahren angesehen werden, wurden zurückgestellt, nachdem zwischen dem Präsidialamt und dem um Vermittlung gebetenen Professor Marcuse vereinbart worden war, Frau Davis die Einladung zu einem geeigneten Zeitpunkt übergeben zu lassen. Dagegen trifft es nach den uns gegebenen Auskünften nicht zu, daß Aldridge Cleaver von der Freien Universität eingeladen worden ist.
Bei Frau Davis handelt es sich nach Auffassung des Präsidialamtes der Freien Universität um eine qualifizierte junge Wissenschaftlerin, die längere Zeit in Deutschland studiert hat und die deutsche Sprache beherrscht. Über die gegen sie erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe hat ein Gericht noch nicht entschieden. Ferner weise ich darauf hin, daß sie nach meiner Kenntnis die Einladung der Freien Universität bisher weder erhalten noch angenommen hat. Im übrigen, Herr Kollege Wohlrabe, wenn eine Hochschule in der Bundesrepublik zu Gastvorlesungen einlädt, ist das in erster Linie ihre Sache und der für sie zuständigen obersten Landesbehörde. Die Bundesregierung kann nicht unmittelbar darauf Einfluß nehmen, welche Gäste zu Vorlesungen an Universitäten eingeladen werden. Eine abschließende Beurteilung der Einladung von Frau Davis wird in dem Augenblick möglich sein, in dem die gerichtlichen Vorwürfe gegen Frau Davis geklärt sind.
Eine Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, ich möchte vor allen Dingen die zweite Frage noch einmal zum Anlaß einer Nachfrage nehmen. Würden Sie doch bitte die Freundlichkeit besitzen, wenn schon die Bundesregierung nicht bereit ist, ihre abschließende Meinung zu einem so unerhörten Fall kundzutun, wenigstens Ihre persönliche hier zu sagen.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Wohlrabe, ich stehe hier nicht als Person, sondern als Vertreter der Bundesregierung und habe als solcher meine Meinung gesagt.
Sie haben also keine dazu.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, das kann ich hier nicht durchgehen lassen. Sie können nicht sagen, daß der Herr Staatssekretär keine persönliche Meinung hat. Das können Sie erstens nicht beweisen und zweitens hier nicht sagen. Der Staatssekretär steht hier tatsächlich nur als Vertreter der Bundesregierung, und Sie können nur die Bundesregierung fragen. Das andere machen Sie nachher in coram.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident, wenn ich im Namen der Bundesregierung erklären darf, daß der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft jederzeit bereit ist, eine öffentliche Diskussion mit Herrn Wohlrabe über diese Fragen zu führen, dann genügt das vielleicht.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Aus den letzten Einlassungen des Herrn Staatssekretärs entnehme ich, daß er anderer Meinung ist als ich. Insofern ist die Frage zumindest für mich beantwortet.
Ich möchte eine zweite Zusatzfrage stellen. Welche Kriterien legen Sie für die wissenschaftliche Qualifikation von Frau Davis an?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Zunächst, Herr Kollege Wohlrabe, darf ich noch einmal präzise wiederholen, was ich gesagt habe. Ich habe gesagt: „Bei Frau Davis handelt es sich nach Auffassung des Präsidialamtes der Freien Universität ..." Ich habe also nicht von meiner Meinung darüber gesprochen, was Frau Davis für Qualifikationen hat, auch nicht von der
Auffassung der Bundesregierung, sondern von den Auffassungen der einladenden Universität. Ich habe dann für die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß die Frage der Beurteilung von Gästen, die an eine Universität eingeladen werden, eine Sache der Universität ist und daß wir hier kein Eingriffsrecht haben.
Herr Abgeordneter Wohlrabe, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? - Es stehen Ihnen noch zwei zu. - Sie wollen keine Zusatzfrage mehr stellen.
Herr Abgeordneter Hansen!
Herr Staatssekretär, unabhängig davon, daß es in erster Linie Sache der einladenden Universität ist, wen sie einlädt, möchte ich Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung, daß es bei der Einladung von ausländischen Wissenschaftlern
({0})
in erster Linie darauf ankommt, die wissenschaftliche Qualifikation zu prüfen, daß aber rassistische oder ideologische Vorurteile bei einer solchen Einladung keine Rolle spielen dürften?
({1})
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär heim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hansen, ich bin sicher, daß rassistische oder ideologische Vorurteile nicht Kriterium bei der Einladung von Gästen an Universitäten sein sollten. Aber ich bin auch sicher, daß der Kollege Wohlrabe sich hier nicht auf rassistische, sondern auf Fragestellungen anderer Art bezogen hat.
({2})
So ernst die Fragestellung ist, die hier zur Diskussion steht, möchte ich doch darauf hinweisen, daß bei der Auswahl von Gästen an Universitäten natürlich neben sachlichen Qualifikationen immer auch wieder - da es sich ja um Lehrer handelt - andere Qualifikationen einbezogen werden müssen.
Herr Abgeordneter Rollmann!
Herr Staatssekretär, macht sich die Bundesregierung die Qualifikationsbeurteilung des Präsidialamtes der Freien Universität in bezug auf Frau Davis zu eigen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Rollmann, wenn das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft bei den Hunderten von Gästen, die an Universitäten in der Bundesrepublik eingeladen werden,
({0})
jedes Mal den Versuch machte, ihrerseits eine Aufgabe nachzuvollziehen, die ihr nicht zusteht, würde
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Dohnanyi
es die Aufgaben, die in seiner Kompetenz liegen, auf die Dauer nicht mehr erfüllen können.
({1})
Insofern haben wir in bezug auf die sachliche Qualifikation von Frau Davis keine Entscheidung zu treffen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für richtig, daß auch eine Person, die Farbige oder Kommunistin ist oder die in ein Strafverfahren verwickelt ist, wissenschaftliche Vorträge halten kann?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Die Frage, Herr Kollege Sperling, muß je nach dem Einzelfall beurteilt werden. Aber selbstverständlich kann die Frage der Einladung, als Gast an einer Hochschule zu lesen, nicht nach rassistischen Kriterien oder danach beurteilt werden, wo jemand politisch steht. Das ist für die Bundesregierung ganz selbstverständlich. Dennoch möchte ich hinzufügen: es ist immer eine Frage des Einzelfalles, und insofern verstehe ich auch die Sorgen, die hier vorgebracht worden sind.
Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Dr. Slotta. - Der Fragesteller ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid-Burgk auf:
War der Bundesreqierung bekannt, daß der von ihr in die deutsch-schwedische Kommission zur Demokratisierung von Bildung und Forschung berufene Hamburger Lehrer Alfred Dreckmann nach dem Urteil der Großen Strafkammer 8 des Landgerichts Hamburg vom 5. Mai 1970 im Bergedorfer Brandstifterprozeß ({0}) zur „Bergedorfer Kerngruppe der APO" gehört und Mitglied des Kreisvorstandes der DKP in Hamburg-Bergedorf ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Herr Kollege Schmid-Burgk, der Bundesregierung waren die Tatbestände nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmid-Burgk.
Da inzwischen bekannt ist, daß Herr Dreckmann abberufen wurde, möchte ich fragen, auf welche Weise und durch welche Rückfragen sich die Bundesregierung davon überzeugt hat, daß es sich bei Herrn Dreckmann um eine Persönlichkeit handelt, die für eine Regierungskommission qualifiziert ist.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Schmid-Burgk, bei der Auswahl der Mitglieder der deutsch-schwedischen Kommission sind wir etwa wie folgt vorgegangen. Von beiden Seiten - es ist ja eine gemeinsam arbeitende Kommission - sollten etwa acht oder neun Mitglieder ernannt werden. Der Kommission sollten nicht über 18 Mitglieder angehören. In der Bundesrepublik gibt es etwa 15 Gewerkschaften oder Verbände, die dann, wenn eine dieser Institutionen ein direktes Vorschlagsrecht bekäme, ihrerseits mit Recht fordern könnten, daß auch sie dieses Recht bekämen.
Aus diesem Grunde haben wir folgenden Weg gewählt. Wir haben uns über verschiedene Organisationen und aus eigener Kenntnis bemüht, zunächst einen größeren Kreis von Personen auszuwählen, der für eine solche Aufgabe in Frage käme. Bei diesem Verfahren sind wir unter anderem auch dadurch, daß Herr Dreckmann sich in der Diskussion über Fragen der Mitbestimmung in den Schulen hervorgetan hat, auf den Namen von Herrn Dreckmann gestoßen. Die Auswahl von Herrn Dreckmann erfolgte also nicht unmittelbar auf der Grundlage des Vorschlages irgendeiner Institution, sondern auf der Basis des Verfahrens, das ich hier eben beschrieben habe.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie es nicht für notwendig gehalten haben, bei dem Hamburger Senat oder der Schulbehörde, der Herr Dreckmann untersteht, Rückfrage zu halten? Ist das ein Versehen, oder meinen Sie, daß das grundsätzlich nicht nötig ist?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Schmid-Burgk, diese Frage ist schwierig zu beantworten. Wir haben bei der Hamburger Schulbehörde natürlich zunächst nach den Funktionen von Herrn Dreckmann gefragt. Ich lege nahe, daß Sie sich die Mühe machen, sich an der Schule, an der Herr Dreckmann lehrt, nach seiner Qualifikation als Lehrer zu erkundigen. Wir haben uns nicht nach politischen Tätigkeiten, Äußerungen usw. von Herrn Dreckmann erkundigt. Wie Sie sehen, sind wir dann von diesem Tatbestand überrascht worden und haben daraus eine Konsequenz gezogen, wie sie angesichts der besonderen Situation auch gezogen werden mußte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatssekretär, als Bergerdorfer Abgeordneter frage ich Sie, ob Sie bestätigen können, daß die Frage der Abberufung des Herrn Dreckmann zur Zeit der Fragestellung bereits dadurch längst erledigt war, daß die Landesorganisation Hamburg der Sozialdemokratischen Partei und die Hamburger Bundestagsabgeordneten entsprechende Proteste bei Ihrem Hause eingelegt hatten.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Arndt, um hier der Wahrheit Genüge zu tun, muß ich sagen, daß ich auf die besonderen politischen Aktivitäten und die Zugehörigkeit von Herrn Dreckmann zur DKP nicht nur vom Landesvorstand der Sozialdemokratischen Partei in Hamburg, sondern auch auf anderem Wege hingewiesen worden bin und daß Herr Rollmann daran ganz unmittelbar beteiligt war.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann.
Herr Staatssekretär, was hat Sie dazu veranlaßt, als ich in der deutschen Presse auf die Einstellung und auf die Betätigung von Herrn Dreckmann hingewiesen habe, gegenüber der Bild-Zeitung am 20. Februar zu erklären: „Das ist dummes Zeug"? Ich habe den Ausschnitt aus der Bild-Zeitung hier.
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Rollmann, auch wenn Sie den Ausschnitt nicht dahätten, würde ich Ihnen sofort bestätigen, daß ich entweder „dummes Zeug" oder „Unsinn" gesagt habe. Ich habe das deswegen gesagt, weil ich wirklich der Meinung war, daß uns eine solche Panne nicht hätte unterlaufen können. Das gebe ich durchaus zu.
Herr Kollege Rollmann, ich muß auf der anderen Seite aber darauf hinweisen - wenn Sie sich schon auf die Bild-Zeitung beziehen , daß ich hinzugefügt habe: Der Bundesregierung ist die DKP-Mitgliedschaft nicht bekannt. Des weiteren habe ich dann gesagt: Wir haben keine politische Prüfung vorgenommen. Dies alles läßt den Begriff „Unsinn" oder „dummes Zeug" vielleicht entschuldbar erscheinen. Wenn er Sie persönlich getroffen hat, Herr Kollege Rollmann, bitte ich dafür um Entschuldigung.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Hansen.
Herr Staatssekretär, falls die einzige Alternative zu dem bisherigen Vorgehen bei der Berufung in Kommissionen die sein sollte, daß in Zukunft jeder einzelne Kandidat vorher vom Verfassungsschutz überprüft würde, würden Sie dann diesen Weg für gangbar halten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Hansen, die Idee, die Bundesregierung sollte doch in Zukunft bei der Berufung von Mitgliedern einer wissenschaftlichen Kommission diese vorher vom Verfassungsschutz überlassen, ist mir in der Tat zweimal von Herrn Rollmann unterbreitete worden.
({0})
Ich muß für den Bundesminister für Bildung und
Wissenschaft ganz klar sagen - die Frage wurde
natürlich nicht im Kabinett entschieden, aber ich glaube, man könnte das hier auch für die Bundesregierung erklären -, daß wir unter gar keinen Umständen etwa dazu übergehen werden, hier eine Art Hexenjagd zu veranstalten und vielleicht in allen Fällen Wissenschaftler, die wir zur freien Beratung der Bundesregierung heranziehen wollen, vorher durch den Verfassungsschutz daraufhin überprüfen zu lassen, ob sie uns politisch genehm sein können; einen solchen Weg werden wir nicht einschlagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Einmal abgesehen davon, daß ich den Ausdruck „Hexenjagd" für sehr unangebracht halte, möchte ich die Frage stellen: Halten Sie, Herr Staatssekretär, nachdem hier im Hause alle Mitarbeiter mit Recht einer ordnungsgemäßen Sicherheitsprüfung unterzogen wurden, es nicht für angebracht, Vertreter, die Sie für wichtige Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland benennen, vom Verfassungschutz durchleuchten zu lassen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Erstens. Herr Kollege Wohlrabe, der Ausdruck „Hexenjagd" bezog sich ja nicht auf einen bestehenden Zustand - ich hoffe, Sie fühlen sich nicht getroffen -, sondern auf etwas, was wir nicht haben wollen. Ich habe nämlich gesagt: Wir werden keine Hexenjagd veranstalten.
Zweitens. Es ist ein großer Unterschied, ob die Mitarbeiter in bestimmten Institutionen des Bundes, die Zugang zu gewissen Unterlagen haben, eventuell in Verbindung mit dein Verfassungsschutz überprüft werden oder ob man, Herr Kollege Wohlrabe, etwa dazu übergehen sollte, wissenschaftliche Berater der Bundesregierung nach politischen Kriterien auszuwählen. Bei dem, was hier zur Diskussion steht, nämlich bei der Zusammenstellung von Informationen über Demokratisierungsbestrebungen in den verschiedenen Ländern, gibt es in diesem Sinne kein Sicherheitsrisiko. Herr Kollege Wohlrabe, Sie werden mir zugeben, daß eine solche Kommission in der Bundesrepublik möglicherweise gar nicht mehr zustande käme, wenn man dazu überginge, den jeweils betroffenen Wissenschaftlern zu sagen: Wir werden aber erst über den Verfassungsschutz prüfen lassen, ob Sie wirklich in unser politisches Bild passen. Das ist nicht möglich. Diese Bundesregierung wird das nicht tun.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung wirklich den Mut, den Bürgern zu vertrauen, die sie in Kommissionen beruft, falls es sich nicht uni Sicherheitsfragen handelt, und verzichtet sie darum auf eine Durchleuchtung durch den Verfassungsschutz? Und ist die Bundesregie6100
rung bereit, dabei lieber eine öffentliche Panne hinzunehmen, als mit einem grundsätzlichen Mißtrauen ihren Bürgern entgegenzutreten?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Kollege Sperling, ich möchte die Frage umdrehen und sagen: Die Bundesregierung hat den Mut zu öffentlichen Pannen. Aber sie wird unter gar keinen Umständen einen Zustand dulden, in dem wissenschaftliche Berater der Bundesregierung jedesmal vom Verfassungsschutz überprüft werden sollen, ehe sie in solche Kommissionen kommen. Auf jeden Fall wird dieser Bundesminister für Bildung und Wissenschaft das nicht tun.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Staatssekretär, ich darf auf Ihren Begriff „Hexenjagd" zurückkommen. Ihnen ist bekannt, daß alle Mitarbeiter dieses Hauses sicherheitsmäßig überprüft werden. Würden Sie das auch in die Kategorie „Hexenjagd" einordnen?
Dr. von Dohnanyi, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Aber, Herr Kollege, ich habe doch ganz klar differenziert. Vielleicht sollte ich es noch einmal versuchen. Ich habe gesagt, daß dort, wo in Institutionen Kontakt mit bestimmten Unterlagen usw. besteht, solche Maßnahmen notwendig sein mögen, daß aber die Bundesregierung, wenn sie Wissenschaftler zur Beratung der Bundesregierung in wissenschaftlichen Fragen beruft, unter gar keinen Umständen etwa dazu übergehen sollte, jeweils zu überprüfen, welche politische Meinung diese Damen und Herren haben. Im übrigen werden wir, Herr Kollege, doch auch in unseren Bücherschränken den Sartre und den Bloch nicht etwa umkehren, damit der Buchrücken nicht mehr lesbar ist. Einen solchen Zustand wollen wir doch nicht herbeiführen.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich darf mit Ihrem Einverständnis jetzt zu den beiden Zusatzpunkten kommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs ({1})
- Drucksachen VI/ 1765, VI/1906 -Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen schriftlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ausschußantrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag stimmt der Vorlage - Drucksache VI/ 1765 - zu.
Ich darf darüber abstimmen lassen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) über die von der Bundesregierung beschlossene Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({3}) - Waren der EGKS - 1971)
- Drucksachen VI/ 1884, VI/ 1907 Berichterstatter: Abgeordneter Kaffka
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht und frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stimmt der Verordnung - Drucksache VI/1884 - zu.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu Punkt 22 der gemeinsamen Tagesordnung und zugleich zu dem Hauptpunkt der heutigen Sitzung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ({4})
- Drucksache VI/1552 Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen hiermit den Entwurf des Vierten Strafrechtsreformgesetzes vor. Es ist ein weiterer Abschnitt der Strafrechtsreform. Sein Ziel ist es, in Achtung vor der Verantwortung des Bürgers für seine sittliche Existenz den Schutz des einzelnen und der Gemeinschaft mit den Mitteln des Strafrechts nach den Einsichten unserer Zeit neu zu bestimmen.
Der Entwurf arbeitet auf dieses Ziel dadurch hin, daß er neue Strafbestimmungen schafft oder bestehende bestimmter faßt, und zwar da, wo insbesondere für junge Menschen ein verstärkter und besser wirksamer Schutz geboten ist. Er schränkt beBundesminister Jahn
stehende Strafvorschriften da ein, wo das Mittel des Strafrechts gegenüber der eigenen Verantwortung des Bürgers versagt oder seine Aufgabe, den einzelnen vor rechtswidrigen Angriffen zu schützen, nicht erfüllen kann.
Der Entwurf kann nur im Zusammenhang mit der gesamten Strafrechtsreform richtig verstanden werden. Fehldeutungen beruhen darauf, daß dieser Zusammenhang außer Betracht gelassen wird. Es geht auch bei der Neufassung des Sexualstrafrechts und der Tatbestände zum Schutze von Ehe, Familie und Personenstand allein um die Fortsetzung der bereits begonnenen Erneuerung unseres aus dem Jahre 1871 stammenden Strafgesetzbuches, über deren Grundsätze bisher weitgehende Einigkeit bestanden hat. Wer dem Entwurf andere Motive oder Ziele unterstellt, irrt oder redet am Thema vorbei. Es geht um die richtige Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen staatlichen Strafens. Mit seiner ausschließlich kriminalpolitischen Zielsetzung schließt sich der Entwurf an die beiden ersten Gesetze zur Reform des Strafrechts an, die der Deutsche Bundestag in der letzten Wahlperiode mit breiter Mehrheit beschlossen hat.
Als im Jahre 1969 die beiden ersten Strafrechtsreformgesetze verabschiedet wurden, waren wir uns auf allen Seiten dieses Hohen Hauses darüber einig, daß die beschlossenen Änderungen des Sexualstrafrechts sobald wie möglich durch eine umfassende Reform dieses Rechtsgebietes ergänzt werden müssen. Mit der Vorlage dieses Entwurfes folgt die Bundesregierung der damaligen Auffassung.
Im materiellen Strafrecht sind noch drei große Bereiche zu behandeln: das Sexualstrafrecht, die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte und das Vermögens- und Wirtschaftsstrafrecht. Die Diskussion um die Reform des Sexualstrafrechts hatte nicht nur bereits zu ersten Entscheidungen geführt, sondern ist auch im Gegensatz zu den beiden anderen Gebieten am weitesten gediehen.
Der vorliegende Entwurf bemüht sich um ausgewogene Lösungen. Er hält sich an eine Linie, die weder den unzulänglichen gegenwärtigen Rechtszustand unkritisch festschreibt noch den unscharfen Begriff der Liberalisierung zur unverbindlichen Grundforderung erhebt. In vielen Fragen haben wir uns nach Abwägung aller Gesichtspunkte nicht entschließen können, den Vorschlägen des AlternativEntwurfes und des Deutschen Juristentages zu folgen. Ich sage das, weil Kritiker des Regierungsentwurfs in der Öffentlichkeit gern ohne die notwendige Differenzierung von d e n Absichten der Reformer sprechen. Doch wäre es undankbar, wollte ich an dieser Stelle verschweigen, wie ungemein wichtig die Anregungen gewesen sind, die von dem Alternativ-Entwurf und insbesondere von dem vorbereitenden Gutachten von Professor Hanack für den Deutschen Juristentag ausgegangen sind.
Der Entwurf ist in seiner rechtspolitischen Orientierung mit den ausländischen Reformarbeiten verwandt. Ich nenne hier beispielsweise neuere Gesetzgebungspläne in Österreich, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten sowie die Reformgesetze Englands, Schwedens und Dänemarks. Auch im Ausland gilt die Erneuerung des Sexualstrafrechts als Teilstück einer umfassenden Reform des Strafrechts. Davon, daß mit der Reform des Sexualstrafrechts die Axt an die Wurzel der Gesellschaftsordnung gelegt werde, hört man in der ausländischen Reformdiskussion allerdings nichts.
Ich unterstreiche die Feststellung der Bundesregierung, daß sie den vorliegenden Entwurf als eine geeignete Grundlage zur Prüfung dieses schwierigen Rechtsgebiets ansieht. Damit wird klaren Entscheidungen nicht ausgewichen. Welche Regelungen die Bundesregierung für richtig hält, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorlage. Die Bundesregierung wünscht aber die Tatsache deutlich werden zu lassen, daß hier in einem besonderen Maße persönliche Einsichten und Überzeugungen gefordert werden, die nicht durch pauschale Antworten ersetzt werden können.
Diese erklärte Achtung vor anderen Meinungen bedarf in diesem Zusammenhang stärker der Betoflung als in anderen Fragen, geht es doch um die überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Recht und Sittlichkeit, bezogen auf ein bestimmtes und an sich schwieriges Rechtsgebiet. Sowenig sich diese grundsätzliche Frage auf das Problem des Sexualstrafrechts beschränkt, sosehr steht sie bei ihm im Mittelpunkt.
Dem Strafrecht ist eine eigene sittenbildende Kraft nicht gegeben. Diese Feststellung bedeutet nicht den Verzicht darauf, Gebote der in unserer Gesellschaft bestehenden und allgemeinen Überzeugungen entsprechenden sittlichen Ordnung auch im Strafrecht ihren Niederschlag finden zu lassen. Diese Feststellung verlangt aber von uns, dem Strafrecht nicht Aufgaben aufzubürden, die es nicht erfüllen kann. In vielen Lebensbereichen unserer Gesellschaft bestehen unterschiedliche Auffassungen über den Umfang und die Grenzen unserer Sittenordnung. Das staatliche Strafrecht muß diese Tatsache zur Kenntnis nehmen und ihr Rechnung tragen. Das bedeutet keine bequeme Gleichgültigkeit, sondern das erfordert im Gegenteil eine besonders sorgfältige Prüfung der Frage, welche Verhaltensweisen geeignet sind, dem einzelnen oder der Gemeinschaft Schaden zuzufügen.
Demgemäß ist es nicht das Ziel des Entwurfs, sittliche Wertvorstellungen abzubauen. Aber er strebt auch zu den Zielen, die Verantwortung des einzelnen Bürgers für seinen sittlichen Standort stärker anzuerkennen und zu achten, ihn da nicht zu bevormunden, wo er, und er nur ganz allein, für seine sittliche Existenz einzustehen hat. Er wäre schlecht um unseren Staat bestellt, wenn sich der einzelne dem Recht nur gezwungenermaßen fügte und nicht die sittliche Verpflichtung spürte, seinen Forderungen zu entsprechen. Das Recht fordert zwar nicht mehr, als daß der einzelne die Gebote und Verbote des Rechts äußerlich erfüllt. Die Chance des Rechts, eine gerechte und wirksame Ordnung herzustellen, wächst aber in dem Maße, in dem die Bürger die rechtlichen Vorschriften als sittlich verpflichtend erleben. Dazu bedarf es der Selbstbeschränkung
des Gesetzgebers. Möglichst alle Staatsbürger sollten in der Lage sein, sich mit den strafrechtlichen Verboten in ihrem Gewissen zu identifizieren. Eben dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß der Entwurf verschiedene Straftatbestände einschränkt. Auf eine Trennung von Recht und Sittlichkeit ist dort hinzuwirken, wo eine Handlung zwar sittlich verwerflich sein mag, aber keine Belange des einzelnen oder der Gemeinschaft verletzt. Hier ist das Strafrecht fehl am Platz.
Der katholische Moraltheologe Franz Böckle verlangt die Reduktion des Strafrechts - ich zitiere auf jene fundamentalen Grundforderungen, die zum Schutz der anerkannten Rechtsgüter notwendig sind und deren Verletzung einen gravierenden sozialen Schaden mit sich führt.
Er fährt dann fort:
Gibt man aber dieses Prinzip zu, so läßt sich nicht einwenden, daß ein sittenwidriges Tun, das sich völlig in der Privatsphäre abspielt, zwar als solches keinen nachweisbaren Schaden auslöse, daß aber die Preisgabe der Pönalisierung als Freigabe ausgelegt werden könnte und daß dadurch ein Absinken der öffentlichen Moral zu befürchten sei. Die Begründung der Strafwürdigkeit aus dem objektiven Zusammenhang von Tat und sozialem Schaden würde zumindest für eine Revision des Strafgesetzes weitgehend illusorisch. Die aus einer sachlich begründeten Aufhebung einer Pönalisierung möglicherweise erwachsenden negativen Konsequenzen müssen eben auf eine andere Weise neutralisiert werden.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die Frage, wann das Strafrecht sittliche Forderungen zu berücksichtigen habe, fällt demnach mit der Frage zusammen, welche Handlungen schutzwürdige Rechtsgüter verletzen. Diese Frage wird im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform von Tatbestand zu Tatbestand kritisch durchdacht werden müssen. Unsere Fähigkeit, Möglichkeiten und Grenzen des Strafrechts im Einzelfall recht zu bestimmen, macht die Fähigkeit unserer Zeit zur Reform des Strafrechts überhaupt aus.
Grundlegend für jede moderne Strafrechtsreform ist weiter die Einsicht, daß die Strafe das härteste Mittel ist, das die Gesellschaft gegen den einzelnen Bürger einzusetzen hat. Eine freiheitliche Rechtsordnung darf deshalb das Strafrecht nur im äußersten Fall und nur dann einsetzen, wenn andere Abhilfen nicht ausreichen. Nur bei einer solchen Selbstbeschränkung wird der Gesetzgeber der grundlegenden rechtsstaatlichen Forderung gerecht, nach der Zweck und Mittel in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen.
Im rechten Verhältnis zur Schwere einer Tat steht die Strafe in erster Linie dann, wenn die Tat wichtige Rechtsgüter des einzelnen verletzt oder gefährdet. Denn der Schutz des einzelnen und seiner persönlichen Lebenssphäre ist die vornehmste Aufgabe der Rechtsordnung.
Niemand dart in seiner Freiheit zu geschlechtlicher Selbstbestimmung durch Gewalt oder Nötigung verletzt werden. Der Entwurf nimmt die Aufgabe, den einzelnen vor solchen Angriffen zu schützen, besonders ernst. Er droht deshalb für die Vergewaltigung eine höhere Strafe an als das geltende Recht. Der Entwurf sieht für sexuelle Angriffe auf junge Menschen ein differenziertes System von Straftatbeständen vor, weil die ungestörte Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ein wichtiges Schutzgut ist. Die umfangreiche Regelung des § 176 im Entwurf erweitert und verstärkt den Schutz des Kindes. Die Vorschrift des § 176 Abs. 5 geht ebenfalls über das geltende Recht hinaus. Daß der Tatbestand des § 176 als Vergehen und nicht als Verbrechen ausgestaltet wird, entspricht der seit Jahrzehnten üblichen Strafzumessungspraxis der Gerichte.
Zu den schwierigsten Problemen des Sexualstrafrechts gehört der Schutz minderjähriger Schutzbefohlener vor sexuellen Zumutungen durch Lehr- und Aufsichtspersonen. Hierzu ist in § 174 eine sorgfältig abgewogene Neuregelung vorgesehen.
Abweichend von verschiedenen Reformvorschlägen beschränkt sich der Entwurf nicht auf den Schutz individueller Rechtsgüter. Er sieht Straftatbestände auch dort vor, wo die Tat Rechtsgüter des einzelnen nicht unmittelbar verletzt, aber eine Ordnung des Zusammenlebens angreift, die in unserer Gesellschaft unverzichtbar ist. Hier nenne ich den Tatbestand der absichtlichen oder wissentlichen Erregung eines öffentlichen Ärgernisses sowie die Vorschriften, die pornographische Erzeugnisse oder grob anstößige Anpreisungen aus der Öffentlichkeit fernhalten sollen.
Den Schutz der Ehe und Familie sucht der Entwurf zu verwirklichen, soweit dies mit Mitteln des Strafrechts möglich ist. Als Beispiel nenne ich die Strafvorschrift gegen den Inzest, die der Entwurf abweichend von gewichtigen Reformvorschlägen beibehält. Der Tatbestand der Vernachlässigung eines Kindes ist zum Teil, nämlich im Hinblick auf das Schutzalter, erweitert, zum Teil präzisiert worden. Die Strafvorschrift gegen die Verletzung der Unterhaltspflicht ist erhalten geblieben. Es handelt sich hierbei mit Abstand um die häufigste Straftat unter allen Delikten, die der Entwurf betrifft.
Seine Aufgabe, Rechtsgüter zu schützen, erfüllt der Gesetzgeber nicht schon dadurch, daß er kurzerhand jeden Angriff auf ein Rechtsgut mit Strafe bedroht. Vielmehr muß sich der Gesetzgeber im einzelnen Rechenschaft darüber geben, ob eine Strafdrohung ihre schützende Wirksamkeit entfalten kann. Taten, die nach einer energischen Strafdrohung verlangen, stehen Fälle gegenüber, in denen das Strafrecht mehr Schaden als Nutzen stiftet. Der Entwurf sieht aus generalpräventiven Gründen vor, Angriffe gegen die Freiheit der Selbstbestimmung im sexuellen Bereich mit scharfen Strafen zu bedrohen.
Strafbar sollen auch Taten im Vorfeld der Freiheitsverletzung sein, So hält der Entwurf an der Strafbarkeit der Zuhälterei und ähnlicher Handlungen im Bereich der Prostitution fest. Er sieht die
arbeitsscheue Lebensweise des Zuhälters nicht mehr als ausreichenden Strafgrund an. Dafür werden über das geltende Recht hinaus auf Grund der Erfahrungen von Polizei und Fürsorgebehörden die Fälle mit Strafe bedroht, in denen der Zuhälter die Dirne in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit hält und sie dadurch an das Milieu der Prostitution bindet. Überall dort jedoch, wo das Strafrecht in persönliche Beziehungen, zumal in bestehende Ehen und in die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, hineinwirkt, ist sorgfältig erwogen worden, welche Schäden die Strafdrohung verursachen kann.
Die Einschränkung des Strafrechts liegt ja auch im Interesse eines wirksamen Rechtsgüterschutzes. Ein Übermaß von Strafdrohungen beeinträchtigt die Rechtstreue der Allgemeinheit. Die Signalwirkung, mit der das Strafrecht schweres Unrecht kennzeichnet, nimmt ab, wenn Taten strafbar sind, die nach verbreiteter Ansicht keine Strafe verdienen. Man verlangt auch von einem Polizeibeamten zuviel, wenn er strafrechtliche Vorschriften durchsetzen soll, an deren Notwendigkeit er mit der Mehrheit der nachdenklichen Staatsbürger zweifelt. Unglaubwürdige Strafdrohungen diskreditieren das ganze Strafrecht. Werden sie in der Praxis nicht mehr durchgesetzt, so sind die Folgen für das Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit besonders bedenklich.
Eine Strafrechtsreform, die diesen Namen verdient, muß neben dem Opfer des Verbrechens das Schicksal des Täters beachten. Die Heilung des kranken Gesetzesbrechers und die soziale Rehabilitation
des aus der Bahn geworfenen Straftäters sind vordringliche Ziele aller Reformarbeiten. Hier schließt sich der Entwurf eng an die Reformgesetze des Jahres 1969 an, die unser Strafrecht einen großen Schritt in Richtung auf die Resozialisierung des Rechtsbrechers vorangebracht haben.
Eine besonders wichtige Vorschrift des Entwurfs betrifft in diesem Zusammenhang den Exhibitionismus, also diejenige Tat, die nächst der Unzucht mit Kindern das häufigste Sexualdelikt ist. Die ärztliche Behandlung des Exhibitionisten ist oft erfolgversprechend, doch wurde ihr Erfolg, zumal der Erfolg der Psychotherapie, bisher vielfach durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe in Frage gestellt. Überdies wurde der Exhibitionist aus seiner meist intakten beruflichen und familiären Umwelt gerissen. Auch das beeinträchtigte die Heilungschance. Der Entwurf läßt für den Exhibitionisten die Strafaussetzung in weiterem Umfang zu, als es die allgemeinen Regeln gestatten. Er nimmt das Risiko gelegentlicher Rückfälle während der Behandlungsperiode hin, um das vorrangige Ziel, nämlich eine dauernde Besserung des abnormen Zustandes, zu erreichen. Resozialisierung und Rehabilitation sind auf die Dauer der wirksamste Beitrag zur öffentlichen Sicherheit.
Solche kriminalpolitischen Erwägungen kennzeichnen den vorliegenden Entwurf. Es ist nicht das Ziel des Entwurfs, sexualethische Vorstellungen abzubauen oder zu ändern. Der Entwurf ist nicht dazu bestimmt, neue Maßstäbe für das sexuelle Verhalten unserer Bürger zu setzen. Das Strafrecht hat weder
die Aufgabe noch die Möglichkeit, auf den Rang und die Rolle der Sexualität im Leben des einzelnen und der Gesellschaft Einfluß zu nehmen. Welche Veränderungen sich auf dem Gebiet der Sexualität vollzogen haben und noch vollziehen, erkennen wir erst in Umrissen. Jedenfalls finden solche Veränderungen in Bereichen statt, die dem Zugriff des Strafgesetzgebers entzogen sind. Das Strafrecht ist nicht ofensiv, es ist defensiv. Das Strafrecht hat weder zur Disziplinierung der Sexualität noch zu ihrer Befreiung einen Beitrag zu leisten. Es taugt weder zu der einen noch zu der anderen Zielsetzung. Gerade in Zeiten tiefgreifenden Wandels sollte das Strafrecht seine wichtigste Aufgabe darin sehen, den einzelnen zu schützen, und zwar auch vor Gefährdungen, die mit einem gesellschaftlichen Wandel verbunden sind, Die Reform des Sexualstrafrechts dient der Rechtsreform und nicht der Gesellschaftsreform.
Gewiß, eine wirksame Rechtsreform hat immer auch Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Aber es handelt sich dabei nicht wie bei tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen um einen Aufbruch zu unbekannten Ufern. Das Ziel der Strafrechtsreform steht von vornherein fest. Es geht um die Verwirklichung des Grundgesetzes. Das bedeutet: so wenig Strafrecht wie möglich, aber auch so viel Strafrecht wie notwendig - notwendig zum Schutze der im Grundgesetz garantierten Güter und Werte und auch zur Hilfe für den Täter.
Zweck dieses Entwurfs ist es also, ein Strafrecht zu schaffen, das den Rechtsgütern den notwendigen Schutz gewährt, den Freiheitsraum des einzelnen garantiert und demjenigen, der durch Schuld oder Schicksal in Konflikt mit dem Gesetz geraten ist, zu einem neuen Anfang verhilft.
In diesem Sinne sind zur Reform des Sexualstrafrechts schon in der vergangenen Wahlperiode folgende Maßnahmen in Angriff genommen worden: Zunächst die Streichung der Strafbarkeit der privaten homosexuellen Betätigung unter erwachsenen Männern. Sie ist im Jahre 1969 beschlossen worden, ohne daß sich im Plenum dieses Hohen Hauses Widerspruch gemeldet hat. Es herrschte offenbar Einigkeit darüber, daß die gebotene Toleranz und die Einsicht in die beschränkten Möglichkeiten des Strafrechts eine solche Entscheidung forderten. Niemand hat damals in diesem Saal die Sorge geäußert, die Änderung des § 175 werde die Sexualordnung in unserer Gesellschaft untergraben. Man hat sich vielmehr auf die Wirksamkeit anderer Regulative verlassen, und die bisherigen Erfahrungen haben diese Erwartungen auch gerechtfertigt.
Eine große Mehrheit aus allen Fraktionen dieses Hauses hat im Jahre 1969 eine weitere Änderung des Strafgesetzbuches beschlossen, auf die ich in diesem Zusammenhang besonders hinweisen muß. Ich meine die Abschaffung des Straftatbestandes des Ehebruchs. Das war eine richtige Entscheidung. Aber im Hinblick auf Art. 6 GG, wonach die Ehe unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung steht, mußte diese Entscheidung schwerer fallen als die Zustimmung zu vielen Lösungen, die der vorliegende Entwurf vorschlägt.
Vor kurzem ist hier erklärt worden, man hätte
einigen der 1969 beschlossenen Rechtsänderungen nicht zugestimmt, wenn man gewußt hätte, daß man diese Zustimmung als Begründung für die jetzt angekündigten Reformen verwenden würde.
({0})
Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß dabei unter anderem die Strafbarkeit des Ehebruchs gemeint war. Der Vorbehalt wäre verständlich, wenn die damals gefaßten Beschlüsse und die jetzigen Vorschläge die Unterstellung rechtfertigten, die Ehe solle nicht in vollem Umfang geschützt werden. Davon war indessen 1969 keine Rede. Ich zitiere meinen Amtsvorgänger; er führte in der Bundestagssitzung vom 7. Mai 1969 aus:
Es besteht kein Streit darüber, daß die Ehe eine zentrale, ich wage zu sagen: die zentrale Institution unserer Gesellschaft ist, die unter dein besonderen Schutz unserer Verfassung steht. Die Frage, um die es hier geht, ist nur, ob die Vorschrift über die Strafbarkeit des Ehebruchs zur Intaktheit der Ehe beiträgt. Das ist eindeutig nicht der Fall.
So weit das Zitat.
Genau um denselben Gesichtspunkt geht es heute. Eine Strafandrohung ist nur dort am Platze, wo das Strafrecht in der Lage ist, die Ehe zu schützen. Wenn der Entwurf zum Beispiel den Partnertausch unter Ehegatten straffrei läßt, dann bedeutet das nicht, daß ein solches Verhalten als sozial unbedenklich anerkannt wird, im Gegenteil. In der Begründung des Entwurfs heißt es ausdrücklich, daß der Gesetzgeber zu einer umfassenden Strafandrohung gegenüber der Ehegattenkuppelei berechtigt, ja, sogar verpflichtet wäre, wenn das Strafrecht die einzelne Ehe und die verfassungsrechtlich geschützte Institution der Ehe auf diese Weise schützen könnte. Der Entwurf geht indessen davon aus, daß das Strafrecht in diesem intimen Bereich nicht präventiv wirkt und daß die Strafverfolgung die Ehegatten in Konflikte hineinzieht, die die Ehe gefährden. Der Entwurf befindet sich hier im Einklang mit den meisten europäischen Rechtsordnungen. Eine Strafdrohung gegen die Verkuppelung der Ehefrau nach dem Muster unserer übrigens erst 1900 durch die Lex Heinze eingeführten Strafvorschrift fehlt in den meisten Staaten.
Für diejenigen Fälle, in denen der Ehemann seine Frau „verkauft", das heißt, anderen Männern als Prostituierte zuführt, ist in § 181 a Abs. 2 des Entwurfs weiterhin eine Strafdrohung vorgesehen. Die Strafandrohung gegenüber der gewerbsmäßigen Kuppelei aufrechtzuerhalten, wäre dann sinnvoll, wenn Ehe und Familie dadurch wirksam geschützt werden könnten. Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, daß dies nicht möglich ist. Nicht die Schutzbedürftigkeit dieser Rechtsgüter verneint der Entwurf, sondern die Möglichkeit, mit einer Strafandrohung Gefahren für Ehe und Familie sinnvoll zu bekämpfen.
Das Recht sollte zweckmäßigerweise zu verhindern suchen, daß die kupplerische Tätigkeit mit aufdringlicher Werbung an die Öffentlichkeit tritt. Im
übrigen sollte es sich auf den Schutz der Jugend und auf die Abwehr von gefährlichen Erscheinungen im Umkreis der Prostitution beschränken. Auch damit würde es sich zum Teil im Einklang mit ausländischen Vorbildern, etwa mit dem englischen und dem italienischen Recht, befinden. Die Vorschriften des Entwurfs gegen die Verkuppelung junger Menschen und ihre Zuführung zur Prostitution gehen zum Teil über das geltende Recht hinaus.
Einen sehr wichtigen Gesichtspunkt muß ich noch nennen. In der Diskussion der vergangenen Monate ist allzu wenig von der Toleranz die Rede gewesen. Die Vorstellungen darüber, was in sexueller Hinsicht angemessen und erlaubt ist, sind heute nicht mehr einheitlich. Der Bürger hat ein Recht darauf, vor fremden Übergriffen in seine eigene Sphäre geschützt zu werden. Es gehört aber auch zu den demokratischen Tugenden, Verhaltensweisen zu respektieren, die von den eigenen Überzeugungen abweichen. An diesen Grundsätzen orientiert sich der Entwurf. Der einzelne und die Allgemeinheit sollen so wirksam wie möglich vor Angriffen, Gefährdungen und Belästigungen geschützt werden. Die Privatsphäre des einzelnen soll andererseits so wenig wie möglich reglementiert werden. Deshalb sollen sich beispielsweise in Zukunft Eltern nicht mehr strafbar machen, wenn sie geschlechtliche Beziehungen ihrer verlobten Kinder dulden. Wie immer man über ein solches Verhalten urteilen mag, es besteht wohl Einigkeit darüber, daß diese Frage nicht vom Strafrecht entschieden werden soll.
Einige Bemerkungen zur Pornographie. Es handelt sich hier nicht um den Schwerpunkt des Entwurfs, wenn auch die öffentliche Erörterung diesen Eindruck vermittelt. Die Bundesregierung hat nie Zweifel daran gelassen, daß sie die Pornographie für eine höchst negative Erscheinung hält. Sie ist sich mit all denen einig, die in den Produzenten der Pornographie Geschäftemacher unangenehmster Art sehen. Ich verstehe die Beunruhigung und Empörung vieler Menschen, die an Aushängen oder im häuslichen Briefkasten Pornographieprodukte finden und fürchten, sie vielleicht auch in den Händen ihrer Kinder zu sehen. Ich teile die Ansicht, daß der Zustand zahlloser Kioske unerträglich geworden ist.
Selbstverständlich hat die Bundesregierung niemals beabsichtigt, solche Zustände mit dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts zu legalisieren. Der Entwurf schlägt vielmehr neue Maßnahmen vor, um vorhandene Mißstände wirksamer zu bekämpfen. § 184 stellt die unverlangte Zusendung von Pornographie ausdrücklich unter Strafe. In der Begründung zu dem neuen § 184 heißt es weiter eindeutig, daß bei energischer Durchsetzung der vorgeschlagenen Vorschriften manche Schriften und Abbildungen, die heute an Kiosken ausgehängt oder in Läden ausgelegt werden, künftig von dort entfernt werden müssen. Nach § 184 Abs. 2 des Entwurfs soll die Ausstellung oder Vorführung pornographischen Materials verboten bleiben, wenn sie an Orten stattfindet, die für Kinder und Jugendliche zugänglich sind oder von ihnen eingesehen werden können. Für Kinder und Jugendliche zugänglich sind jede öffentliche Straße, jeder Bahnhof, jeder
Buch-, Papier- und Tabakladen, jedes Warenhaus und jeder Vorraum eines Kinos. An allen diesen Orten darf nach dem Entwurf Pornographie nicht ausgestellt werden, und zwar auch nicht in Schaufenstern oder Schaukästen.
Die Jugendschutzvorschrift des § 184 Abs. 2 dient damit in umfassender Weise dem Schutz der Öffentlichkeit. Die Vorführung pornographischer Filme im Fernsehen fällt ebenfalls unter § 184 Abs. 2 des Entwurfs; denn als Ort der Vorführung ist nach allgemeinen Grundsätzen auch der Fernsehschirm anzusehen, der regelmäßig für Kinder und Jugendliche zugänglich ist.
Ein zusätzlicher Schutz der Öffentlichkeit ergibt sich aus dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Danach ist unter anderem der Vertrieb einschlägiger Schriften in Kiosken, über oder unter dem Ladentisch sowie im Straßenhandel verboten. Eine Beseitigung dieser Vorschrift war und ist nicht beabsichtigt. Wir haben inzwischen Formulierungen erwogen, die Mißverständnisse, wie sie in der öffentlichen Diskussion aufgetaucht sind, ausschließen sollen. Sie werden dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform unterbreitet werden. Diese neuen Formulierungen sind keine Abkehr von der Konzeption des Entwurfs. Sie verdeutlichen nur die beabsichtigte Regelung, die wegen des Nebeneinanders von Strafgesetzbuch und Nebenstrafrecht unübersichtlich war. Wir werden dem Sonderausschuß vorschlagen, jene Vorschrift des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, wonach der Vertrieb von Pornographie in Kiosken und außerhalb von Geschäftsräumen bei Strafe verboten ist. Ferner soll die Darbietung von Pornographie im Fernsehen und im Rundfunk auch noch ausdrücklich mit Strafe bedroht werden, um jeden Zweifel auszuschließen. Da das Kino ein Stück erweiterter Öffentlichkeit ist, sollte es auch verboten bleiben, pornographische Filme in öffentlichen Lichtspieltheateren vorzuführen, und zwar unabhängig davon, ob Jugendliche oder nur Erwachsene zu der Vorführung zugelassen sind.
Wir erwägen überdies, in Anlehnung an das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften die Werbung für pornographisches Material aus der Öffentlichkeit, aus den Publikumszeitschriften und aus Postwurfsendungen zu verbannen. Diesem Zwecke könnten Bußgeldtatbestände dienen; sie könnten es auch dem Versandhandel untersagen, pornographisches Material ohne Vorlage einer amtlichen Altersbescheinigung zu verschicken.
Wir werden schließlich auch auf Menschen Rücksicht nehmen müssen, die sich durch aufdringliche sexuelle Darstellungen in der Öffentlichkeit belästigt fühlen, selbst wenn diese Darstellungen nicht pronographischer Art sind. Wir werden deshalb eine Bußgeldvorschrift vorschlagen, die es verbietet, derartige Bilder und Darstellungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen anzuschlagen oder vorzuführen.
Im übrigen sollen die Vorschriften des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften im Interesse des Jugendschutzes bestehenbleiben.
und das im Entwurf enthaltene Verbot der Weitergabe von Pornographie an Kinder und Jugendliche ergänzen.
Es trifft also nicht zu, daß der Entwurf den Jugendschutz abbaut. Das Argument, daß ein Jugendschutz nicht mehr möglich sei, wenn sich Erwachsene pornographisches Material verschaffen können, verdient gewiß ernste Prüfung. Ich halte es indessen für den besseren Weg, die Jugend durch gezielte Vorschriften vor der Pornographie zu schützen.
Das totale Herstellungs- und Verbreitungsverbot des geltenden § 184 hat sich nicht bewährt. Es wäre ungerecht, wenn man den Strafverfolgungsbehörden die gegenwärtigen Verhältnisse zur Last legen würde. Die Gründe für die derzeitigen unerfreulichen Zustände liegen tiefer. Das umfassende Verbot des geltenden Rechtes ist nicht mehr glaubwürdig. Darunter leidet seine Handhabung. Die Diskussion der letzten Monate hat zwar gezeigt, wie stark das Bedürfnis nach einer wirksamen Abschirmung der Öffentlichkeit ist; es gibt aber ebenso sichere Anhaltspunkte dafür, daß der kritische Bürger dem Staat das Recht abspricht, sich um die individuelle Lektüre des einzelnen zu kümmern, und so urteilen zumal auch junge Menschen.
Die Strafverfolgungspraxis wird die neuen Vorschriften zum Schutz der Jugend und zur Abschirmung der Öffentlichkeit um so unbefangener und energischer anwenden, je weniger sie den Eindruck haben muß, daß sie damit den Erwachsenen bevormundet. Wenn es sich allein um den Schutz der Jugend und die Abschirmung der Öfefntlichkeit handelt, wird die Praxis den Begriff „pornographisch" extensiver auslegen können, als wenn es um einabsolutes Herstellungs- und Verbreitungsverbot ginge. Der Schutz der Jugend und der Öffentlichkeit wird dadurch verstärkt.
Allerdings ist es das Recht des Gesetzgebers, Grenzen zu ziehen, jenseits derer das mit der Freiheit verbundene Risiko nicht hingenommen wird. Der Entwurf zieht eine solche Grenze, indem er in § 184 a pornographisches Material, das Gewalttätigkeiten oder den sexuellen Mißbrauch von Kindern zum Gegenstand hat, schlechthin verbietet. Wer sich darüber beklagt, daß pornographische Darstellungen mit sadistischem Einschlag zunehmen, sollte also nicht gegen den Entwurf der Bundesregierung polemisieren.
Vorschläge, den Kreis der nach § 184 a vollständig verbotenen Darstellungen zu erweitern, sind gemacht worden, etwa im Hinblick auf die Schilderung der Sodomie. Sie verdienen sorgfältige Prüfung.
Das in § 184 a des Entwurfs enthaltene Verbot gewalttätiger pornographischer Darstellungen weist über die Grenzen des Sexualstrafrechts hinaus. Für die Zukunft unserer Gesellschaft wird es entscheidend sein, daß wir mit dem Problem der aggressiven Gewalt fertig werden. Die pornographische Schilderung von Gewalttätigkeiten ist nur eine - wenn auch besonderes raffinierte - Form der Werbung für die Gewalt. Der Gedanke drängt sich auf, auch andere Arten grausamer oder sonst unmenschlicher Schilderungen von Gewalttätigkeit durch das Strafrecht zu verbieten. Es ist zwar noch nicht
vollständig erforscht, wie sich gewaltätige Darstellungen auf das Verhalten und die Vorstellungswelt des Betrachters auswirken. Aber schon nach dem bisherigen Forschungsstand wäre es ein kaum vertretbares Risiko, wollten wir der öffentlichen Darbietung von Brutalitäten im Film, im Fernsehen, in Comic-Strips und in Büchern freien Lauf lassen.
Zum Schutz der Jugend bietet zwar das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften die Handhabe zur Indizierung. Ich meine aber, daß zusätzlich ein strafrechtliches Verbot notwendig ist, damit auch die Verbreitung unter Erwachsenen unterbleibt. Ich bin davon überzeugt, daß dieser Fragenkreis in den Beratungen des Sonderausschusses breiten Raum einnehmen wird. Ich sichere Ihnen jede Hilfe des Bundesministeriums der Justiz bei der weiteren Aufarbeitung dieser schwierigen Materie zu.
Die jetzt beginnende parlamentarische Beratung dieses ernsten und schwierigen Rechtsgebietes wird dazu beitragen können, auch die öffentliche Diskussion zu versachlichen. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft, die Argumente des anderen ernst zu nehmen und mit den eigenen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Bundesregierung hat sich hierzu bereit erklärt. Es wäre gut, wenn nach den stürmischen und häufig emotionalen Auseinandersetzungen der letzten Monate nun eine Phase nüchterner Prüfung begänne. Eine solche gemeinsame Bemühung könnte zu Lösungen führen, die der Bundestag mit großer Mehrheit zu verantworten vermag. Unser Strafrecht ) würde dadurch an Überzeugungskraft gewinnen. Das neue Strafrecht könnte dann einen vernünftigen und überzeugenden Beitrag für diesen komplexen Bereich unserer sozialen Wirklichkeit leisten.
({1})
Meine Damen und Herren, die Begründung wurde entgegengenommen. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Rede des Herrn Ministers ist man geneigt, den Entwurf, den man für diese Darlegungen hier gemacht hat, zu revidieren und sich zu der Behauptung zu versteigen: Wir schließen uns weitgehend den Ausführungen des Herrn Ministers an, soweit sie - und, Herr Minister, genau das ist der Punkt, über den wir bei den künftigen Beratungen über dieses Gesetz reden müssen - hier nicht nur verbal gemacht wurden
({0})
und wenn diese Grundsätze nachher im Gesetz auch tatsächlich verwirklicht werden. Ohnehin stehen wir, meine Damen und Herren, vor der Schwierigkeit, nicht zu wissen, über welchen Entwurf wir eigentlich heute beraten. Wir wissen nicht, ob es der Entwurf ist, den wir bereits am 4. Dezember 1970, also vor drei Monaten zugeleitet bekommen haben - jener Entwurf, von dem dann gesagt wurde, daß er sehr schnell in die erste Lesung gehen soll, und von dem auch gesagt worden ist, daß er noch gelesen werden soll, bevor ein Anhörungsverfahren stattfindet -, oder ob es die neuen Überlegungen des Herrn Ministers sind, die allerdings
ich möchte das doch auch sagen - dem Parlament auf etwas ungewöhnliche Art und Weise zur Kenntnis gekommen sind.
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. de With?
Selbstverständlich.
Herr Eyrich, sind Sie so nett, mir konkret zu begründen, woraus Sie entnehmen, daß es hier von seiten des Bundesjustizministers nur verbale Behauptungen und Vorstellungen gibt?
Lieber Herr Kollege de With, ich rede im Augenblick eine halbe Minute. Sie werden mir doch sicher zugeben, daß ich nicht so töricht bin, hier eine Behauptung aufzustellen, ohne sie im Verlauf meiner weiteren Ausführungen auch noch zu begründen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben hier einen Entwurf vor uns, der in der Öffentlichkeit mit einem starken Engagement der Gegner und der Befürworter diskutiert worden ist und eigentlich zu dem seltenen Ergebnis geführt hat, daß die Bürger ihre Stimme gegen ihn unmißverständlich erhoben haben. Das ist sicher ein Zeichen dafür, daß die Bürger spüren, daß mit diesem Entwurf eine Entwicklung auf dem Gebiete des Rechtes und dem Sektor der Strafgesetzgebung eingeleitet wird, die man nur mit sehr starken Bedenken verfolgen kann.
Bevor ich auf diese Bedenken eingehe, möchte ich etwas zum bisherigen Verfahrensgang sagen, um zu zeigen, daß dieser Verfahrensgang nicht gerade beispielhaft für kommende Gesetzesvorlagen sein kann. Trotz mehrfach vorgetragener Bedenken der CDU/CSU im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform haben die Koalitionsfraktionen immer darauf bestanden - sie haben das auch in Abstimmungskämpfen durchgesetzt -, daß das Anhörungsverfahren durchgeführt wird, bevor der Gesetzentwurf überhaupt dem Parlament vorliegt und bevor überhaupt die erste Lesung stattgefunden hat. Das war also ein Anhörungsverfahren für Sachverständige, ohne daß dem Parlament die Möglichkeit gegeben gewesen wäre, zu den Vorstellungen der Bundesregierung Stellung zu nehmen, und ohne daß es Kenntnis davon gehabt hätte, wie die Regierung zu den Äußerungen des Bundesrates Stellung genommen hat.
({1})
Es ist sicherlich nicht zuviel gesagt, wenn ich behaupte, daß die Kenntnis all dieser Umstände, Herr Minister, zu einer wirksameren und präziseren Gestaltung des Anhörungsverfahrens beigetragen hätte. Wahrscheinlich wäre auch manche Stellungnahme der Sachverständigen weniger interpretationsfähig gewesen, wenn die Sachverständigen die
Meinung des Parlaments und vor allem - das muß man dazu sagen die offenbar etwas gewandelte Ansicht des Herrn Ministers schon gekannt hätten.
({2})
Ich muß Sie fragen, Herr Minister: Fassen Sie das, was nun durch die Presse schließlich auch den Mitgliedern des Sonderausschusses zur Kenntnis gelangt ist, als Präzisierung auf? Ich weiß nicht recht, Herr Minister, ob man das als Präzisierung kennzeichnen kann. Sie selber haben offenbar gespürt, daß es sich nicht allein um Präzisierungen handelt; denn Sie haben in Ihren Verlautbarungen vorsichtshalber gleich darauf hingewiesen, daß es sich keineswegs um einen Rückzug von der Reformfront handeln könne. Vielleicht wäre es wichtig, zu erfahren, ob Ihre Vorstellungen zu den §§ 184 und 184 a, so wie Sie sie uns in Ihren Informationen zur Kenntnis gegeben haben, auch die Meinung der Koalitionsfraktionen und die Meinung der Bundesregierung sind oder ob wir hier noch über den alten Entwurf beraten.
Wie immer man zu der Frage steht, ob es ein gutes Verfahren ist, die Dinge so mit dem Parlament zu gestalten, kommen wir doch um die Überlegung nicht herum, daß wir vielleicht auf Grund Ihrer Haltung zu Hoffnungen berechtigt sind, daß Sie sich möglicherweise zuletzt doch noch entschließen könnten, sich den Argumenten der Opposition anzuschließen.
({3})
Ihre Rede, Herr Minister, die Sie soeben gehalten haben, bestärkt uns in dieser Hoffnung.
Lassen Sie mich etwas zu der Art sagen, wie diese Überlegungen von Ihnen, Herr Minister, zu unserer Kenntnis gelangt sind. Bis zu dieser Stunde sind diese Überlegungen offiziell einem Mitglied des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, mindestens soweit es die Mitglieder der Opposition betrifft, nicht zur Kenntnis gelangt. Sicherlich ist es ungewöhnlich, daß zwar manchen Koalitionsabgeordneten diese Überlegungen unter dem Siegel strengster Geheimhaltung zur Kenntnis gelangt sind, daß sie aber auf der anderen Seite der staunenden Öffentlichkeit des Bundestages letztlich durch die Presse - übrigens am selben Tage - bekanntgeworden sind. Erstaunlich ist ferner - das ist das Entscheidende -, daß man auf diese Weise erfährt, Herr Minister, daß Sie eigentlich noch zu keiner Zeit für die Freigabe der Pornographie gewesen wären.
({4})
- Herr Kollege Hirsch, wir können das sehr wohl belegen.
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich, einmal möchte ich Sie bitten, Ihre Papiere etwas zu senken, damit Sie sehen, wann die Lampe für Zwischenfragen aufleuchtet; sie leuchtet rechts oben auf.
Zweitens möchte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. DiemerNicolaus erlauben.
Selbstverständlich, Herr Präsident!
Herr Kollege Eyrich, darf ich Sie darauf hinweisen, daß die neuen Formulierungen, auf die der Herr Bundesjustizminister hingewiesen hat, im Bulletin veröffentlicht worden sind.
({0})
- Rechtzeitig vor dieser Beratung.
({1})
Sehr geehrte Frau Kollegin, das ist mir durchaus bekannt. Es ist mir aber auch bekannt, daß es nicht der normale Verfahrensgang im parlamentarischen Raum ist, Mitglieder eines Sonderausschusses auf diese Art und Weise von Überlegungen des Ministers zu unterrichten.
({0})
Ich meine, wir müssen uns überlegen, ob es am Unverständnis der Öffentlichkeit liegt, daß wir noch nicht erkannt haben, daß Sie, Herr Minister, eigentlich von Anfang an nichts anderes im Sinne gehabt haben, als der drohenden Pornowelle - so steht es wenigstens in einem Leitfaden, den ein Kollege von Ihnen an die Fraktion gegeben hat -Herr zu werden. Ist es vielleicht so - das müßte man insbesondere nach den Erfahrungen des Anhörungsverfahrens einmal fragen -, daß Sie die Gefahr erkannt haben, die in der Freigabe der Pornographie liegt? Es bedarf wohl keines weiteren Hinweises darauf, daß der Herr Justizminister dieser Regierung von vielen sogenannten fortschrittlichen Leuten in der Bundesrepublik als Vorkämpfer für die Freigabe der Pornographie gefeiert wurde. Er selbst meinte auch in einem Interview, man könne die Streichung des § 184 ruhig hinnehmen. Wenn man diesen Leitfaden liest, Ihre jetzigen Auslassungen hört und sich die heutige Situation vor Augen führt, müssen wir uns doch fragen: Haben Sie die Leute im Ausland so schlecht verstanden, die Millionen Mark investiert haben, um eine Pornoindustrie aufzubauen und sie zu gegebener Zeit, am Tage X, recht schnell in die Bundesrepublik einzuführen?
({1})
- Herr Kollege Hirsch, ich kann Sie vor diesen Wahrheiten leider nicht bewahren.
({2})
Herr Kollege Hirsch, ich muß auch fragen, ob der Herr Kollege Möller den Herrn Minister so falsch verstanden hat, daß er bereits im Laufe des Jahres 1970 einen Erlaß an Zollbeamte herausgegeben hat, in dem diese angewiesen werden, die Pornomaterialien, wenn sich die Menge in Grenzen hält, doch über die Grenze zu lassen.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. de With?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Eyrich, ist Ihnen bekannt, daß die Weisung des Herrn Bundesministers Möller durch eine BGH-Entscheidung ausdrücklich gedeckt ist, d. h. geltendem Recht gemäß ist?
({0})
Herr Kollege de With, ich bin mir darüber im klaren, daß sich der Herr Finanzminister auf dieses Urteil beruft. Ich möchte mit Ihnen aber gern in eine Diskussion darüber eintreten, ob die Handlung des Herrn Ministers durch dieses Urteil gedeckt ist. Ich meine, das sind zwei Paar Stiefel. Im übrigen ist festzustellen, Herr Kollege de With, daß wir bisher eine klare Abgrenzung dessen, was Pornographie ist, weder von der Regierung noch von sonst jemandem gehört haben. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Frage erlaubt, ob eine Berufung auf dieses Urteil möglich ist.
({0})
Meine Damen und Herren, wir nehmen an, daß die heutige Interpretation und die Präzisierung dieses Gesetzes auf den von der CDU/CSU geleisteten Widerstand in dieser Sache zurückzuführen sind, daß sie aber auch eine Folge der unzähligen Schriften unserer im Sinne der Regierungserklärung mitdenkenden Bürger sind, denen wir - gleichgültig, wo immer wir stehen - für ihr Engagement in dieser Sache wohl zu danken haben,
({1})
weil das ein Beispiel dafür ist, daß die Öffentlichkeit sich mehr und mehr um diese Belange kümmert.
({2})
- Dem Minister blieb in diesem Fall nichts anderes übrig, es sei denn, er hätte das Schreiben dieser Briefe verboten, und das kann er schließlich nicht tun.
({3})
Man muß indessen darauf hinweisen, daß die neuen Überlegungen zwar einen Fortschritt in unserem Sinne bedeuten, daß aber nach wie vor - ich glaube, darüber können alle Worte des Ministers und alle Ausführungen, die die nachfolgenden Redner dazu noch machen werden, nicht hinwegtäuschen - letztlich alles auf die Freigabe der Pornographie in unserem Lande hinausläuft.
Wenn die sodomistische Pornographie unter das Verbot fallen soll, werden wir und werden die Bürger immer noch das, ich würde sagen, etwas zweifelhafte Vergnügen haben, Herr Minister, mit Darstellungen konfrotiert zu werden, in denen ganze Scharen von Männlein und Weiblein gemeinsam
den Geschlechtsverkehr ausüben. Dabei wird wie überall natürlich der Eindruck entstehen, als ob der Mensch nur noch aus Geschlechtsteilen und nicht mehr aus einem Ganzen bestünde.
({4})
Sie werden, meine Damen und Herren, auch das zweifelhafte Vergnügen haben - und das fällt nicht unter das Verbot -, diese Damen und Herren noch dabei zu beobachten, wie sie ihren eigenen Kot offenbar zur Hebung des Lustgefühls verspeisen.
({5})
- Herr Kollege Ostman von der Leye, Sie und ich wissen ganz genau, welche Art von Produkten auf dem Markt ist; man hat sie uns vorgeführt. Sie und ich wissen ganz genau - ({6})
- Herr Kollege Hirsch, ja, nach dem geltenden Recht. Können Sie mir sagen, ob man einem Zustand, der unter dem geltenden Recht besteht und der einen Schutz nicht in dem Maße gewährleistet, wie wir ihn wünschen, dadurch begegnen kann, daß man noch mehr freigibt und diesen Schutz herabmindert?
({7})
- Ich meine, wir sollten zunächst einmal von der Pornographie wegkommen.
({8})
- Herr Kollege Wehner, daß Ihnen das nicht angenehm ist, dafür habe ich allerdings Verständnis.
({9})
- Ich muß Ihnen sagen: ich habe Ihre Haltung zu dieser Frage, die ja in der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben ist, geschätzt. Ich würde meinen, daß wir uns nahezu in etwa auf der gleichen Linie bewegen, wenn auch mit einigen Unterschieden, was ich zugeben muß. Wir haben also keinen Anlaß, wenigstens Sie und ich in dem Fall nicht - die anderen Herren frohlocken; ich meine nicht die ganze Fraktion und auch nicht den Herrn Minister -, anzunehmen, daß wir nicht auf dieser Linie bleiben können.
({10})
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ostman von der Leye?
Herr Kollege Eyrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß jetzt erst durch den neuen Entwurf die Möglichkeit besteht, all das, was Sie eben beschrieFreiherr Ostman von der Leye
ben haben und wozu ich Ihr Unbehagen teile, aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.
({0})
Herr Kollege Ostman von der Leye, ich glaube, wir beide sind Jurist genug, um zu wissen, daß das, was heute in § 184 steht, eine Freigabe der Pornographie ist; wir können es deuten, wie immer wir wollen.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stark?
Herr Kollege Eyrich, können Sie dem Hause in diesem Zusammenhang vielleicht doch einmal bekanntgeben, was in der Begründung zu § 184 a in der Bundestagsdrucksache VI/1552 steht, wo nämlich klar aufgeführt wird, daß die Pornographie, die bisher im Ausland hergestellt wird, jetzt bei uns in verbreitertem Umfang und zu niedrigen Preisen hergestellt werden wird und daß deshalb mehr Pornographie auf die Öffentlichkeit einflutet? Ich bitte, das doch einmal vorzulesen.
Herr Kollege Dr. Stark, ich brauche Ihnen das nicht vorzulesen. Ich glaube, jeder, der hier sitzt, hat sich mit diesem Problem so befaßt, daß ihm das nicht verborgen geblieben sein konnte.
ich möchte auf das, was der Herr Minister zu § 131 seiner neuen Überlegungen gesagt hat, eingehen. Wir werden mit diesen Überlegungen, die Sie in dem § 131 niedergelegt haben, einig gehen. Es ist jene Vorschrift, die die Herstellung und Verbreitung von Darstellungen verbietet, die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern oder zum Rassenhaß aufstacheln. Diese Bestimmung begrüßen wir ausdrücklich. Wir müssen allerdings darauf hinweisen, daß dieser Gedanke bereits Grundlage des 1961 geschaffenen Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften geworden ist. Die Entwicklung hat aber gezeigt, daß nicht nur der Schutz der Jugend, sondern auch das friedliche Zusammenleben der Menschen in unserem Staat ein solches allgemeines Verbot dieser Darstellungen verlangt und auch rechtfertigt.
Wir sind auch der Meinung, meine Damen und Herren, daß etwa der Wegfall der Strafbarkeit der einfachen Verlobtenkuppelei im Entwurf zu Recht vorgesehen ist, weil hier tatsächlich den gewandelten Anschauungen in unserer Gesellschaft entsprochen worden ist.
({0})
- Nicht wahr, Herr Kollege Hirsch, das ist erstaunlich, das hat man von uns nicht gedacht. Ich kann es mir vorstellen.
({1})
Diese Überlegung führt uns zu der grundsätzlichen Frage hinsichtlich dieses Reformgesetzes, wie ein Gesetz aussehen soll, das den inzwischen gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen auf vielen Gebieten gerecht werden und nicht nur Änderungen um der Reform willen durchführen will. Mit dem Hinweis darauf, daß ein Gesetz ein bestimmtes Alter erreicht hat - Sie sprachen auch von dem stattlichen Alter von 100 Jahren, Herr Minister -, allein ist es nicht getan, wenn nicht ein klares, ein durchsichtiges, ein für den einzelnen Bürger und die Allgemeinheit gleichermaßen dienliches Konzept angeboten wird, das den modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht und der gesellschaftlichen Situation, die sich als eine Einheit traditioneller Auffassungen und der Bemühungen um eine Fortentwicklung dieser Gesellschaft darstellt, Rechnung trägt. Ein Reformgesetz, das diesen Anforderungen nicht entspricht, verdient diesen Namen nicht. Gerade hier, Herr Minister, müssen wir einige erhebliche Bedenken grundsätzlicher Art, die auch Sie in Ihren Ausführungen angesprochen haben, anmelden. Ich habe den Eindruck, daß wir immer mehr in die Gefahr kommen, Probleme der modernen Gesellschaft lösen zu wollen, dabei Schlagworte zu gebrauchen und dann zu glauben, daß diese Probleme gelöst seien, obwohl sie in Wirklichkeit nur von der einen zur anderen Seite hin verlagert worden sind. Ich möchte über diese Frage des Schlagwortes nachher bei der Sozialschädlichkeit sprechen, einem Begriff, den wir, wie ich glaube, hier in dieser Debatte und in unseren Arbeiten im Sonderausschuß ganz klar formulieren müssen.
Lassen Sie mich aber vorher noch etwas anderes sagen. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich glaube, in diesem Lande und in diesem Hause besteht ein grundsätzlicher Irrtum, der Irrtum nämlich, daß es allein der eine Teil dieses Hauses sei, der dem Bürger jenen Freiheitstraum gewährleiste, den er als gutes Recht beanspruchen kann. Es ist ein immer wieder vorgebrachter Vorwurf gegen uns und gegen andere Gruppen in dieser Gesellschaft, daß sie, ich möchte sagen, die ewig Gestrigen und daß sie eigentlich die Sexmuffel dieser Gesellschaft seien. Ich möchte Ihnen sagen, wir sind nicht diejenigen, die dem mündigen Bürger die Freiheit nicht geben wollen, die ihm auf sexuellem Gebiet gebührt, die ihn, so heißt es doch heutzutage, von den Aggressionen befreit, ihn seine aufgestauten Komplexe verlieren läßt und ihm zu wahrer Lebensfreude verhilft. Ich meine, man muß doch darauf hinweisen, daß das einfach nicht der Bewußtseinstand in dieser Gesellschaft ist.
({2})
Wenn man das doch einmal begreifen würde. Bei Licht besehen sind solche Darstellungen unserer heutigen Gesellschaft ganz einfach und schlicht eine Beleidigung unserer Bürger,
({3})
von denen im Anhörungsverfahren, insbesondere was die junge Generation betrifft, doch, wie ich glaube, klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist, daß sie Begriffe wie Treue und Ehe nach wie vor
aufrechterhalten und daß sie sich diesen Begriffen verbunden fühlen.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen noch Passagen vorlesen, und wir werden dann wieder fragen, ob es richtig ist, daß man voreilig zustimmt, wenn solche Feststellungen getroffen werden. Ich glaube, so einfach kann man es sich jedenfalls nicht machen. Glauben Sie denn, meine Damen und Herren, im Ernst - und das ist, wie ich glaube, eine der Grundlagen, die wir heute mit zu entscheiden haben -, daß die Hinwendung zu einer unbefangenen und natürlichen Sexualität, die doch jeder will, der diese Zeit und ihre Anforderungen begriffen hat, ausgerechnet durch die Pornographie geschehen muß?
({5})
- Meine Damen und Herren, Sie kommen um eine Erkenntnis nicht herum. In jeder Begründung steht, daß die Freigabe der Pornographie zu einem unbefangeneren Verhältnis zur Sexualität führen solle und daß alle, die dagegen seien, die Gesellschaft um Jahrhunderte zurückwerfen wollten.
({6})
Lassen Sie sich folgendes gesagt sein. Wir wollen, was das Verhältnis zu einer gesunden Sexualität betrifft, ganz sicher dasselbe wie Sie,. nur auf einem anderen Wege.
({7})
Ich möchte eines doch noch kurz zitieren, nämlich etwas aus dem Leitfaden für Ihre Fraktion, damit Sie die Problematik in diesem Zusammenhang sehen.
Zur Frage der Mißachtung der Würde der Person heißt es in der Anleitung, was man dazu zu sagen habe, wenn dieses Argument auftauche, u. a.:
Vielmehr muß sich, wer hier ein besonderes Würdeproblem der Frau sieht, fragen lassen, aus welcher Vorstellung von weiblicher Sexualität er argumentiert: Der Verdacht liegt nahe,
- so heißt es hier daß dahinter das auch heute leider noch weit verbreitete Bild von der Frau steht, der sexuelle Lust versagt ist,
({8})
die vielmehr Sexualität als notwendiges Übel zum Zweck der ihr aufgetragenen Fortpflanzung empfindungslos zu erleiden habe.
({9})
Weiter liest man, hinter dieser Behauptung stehe die Auffassung, daß der Staat auch die Privatsphäre zu bevormunden gedenke. Im Grunde solle, so heißt es in diesem Schreiben, auch unterschwellig betont werden, daß bestimmte Dinge in der Ehe nichts zu
suchen hätten, weil die Sexualität nur einem bestimmten Zweck in der Ehe, nämlich der Kindeserzeugung, zu dienen habe. Hier möchte ich fragen: Hat eigentlich derjenige, der diesen Leitfaden geschrieben und veröffentlicht hat, noch nicht begriffen, daß auch wir nicht in das Schlafzimmer anderer hineinleuchten wollen,
({10})
- daß auch wir, Herr Kollege Hirsch, den Bürger nun wahrhaftig nicht bei dem bevormunden wollen, was er in seinem Schlafzimmer mit seiner Ehefrau oder mit jemand anderem macht?
({11})
- Ja, meine Damen und Herren, so weit gehe ich.
({12})
- Ich glaube, daß sich der Betreffende noch im Laufe der heutigen Debatte zu Wort melden wird.
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Bitte sehr!
Herr Kollege Eyrich, Sie haben den Leitfaden erwähnt. Ist Ihnen bekannt, daß ein prominenter Kollege von der SPD-Fraktion diesen Leitfaden einen „Leitfaden für Doofe" genannt hat, und können Sie, nachdem Sie ihn gelesen haben, diese Charakterisierung bestätigen?
({0})
Herr Kollege Vogel, hier besteht eine Schwierigkeit. Daß ein Kollege von der SPD-Fraktion das gesagt haben soll, weiß auch ich. Es stand in einem sehr angesehenen Publikationsorgan, das wir alle kennen.
({0})
- Herr Kollege Hirsch, den lese ich schon sehr lange, aufmerksam sogar.
({1})
- Wobei noch festzustellen wäre, wer hier der „Sünder" ist.
({2})
Herr Abgeordneter Dr. Eyrich, gestatten Sie in diesem Zusammenhang eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt?
Ja, wenn sie mir auf die Zeit angerechnet wird.
Ja, Sie kriegen einen Gütezuschlag. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Arndt!
Herr Kollege Eyrich, sind Sie bereit, dem Kollegen Vogel insoweit nicht zustimmen, als Äußerungen, die ich getan habe, sicherlich besser von mir selbst als vom „Spiegel" interpretiert werden können, womit ich die Authentizität der Wiedergabe bestreiten möchte?
({0})
Das kann ich nicht bestätigen, da ich es nicht weiß, Herr Kollege.
({0})
Herr Kollege Eyrich, da der Herr Kollege Arndt offenbar die Urheberschaft dieses Ausspruchs in Abrede stellt, möchte ich Sie fragen: Sind Sie der Auffassung, daß die Charakterisierung dennoch zutreffend sein könnte, so daß das, was im „Spiegel" stand, durchaus glaubhaft war?
({0})
Dazu könnte ich mich verstehen, Herr Kollege Vogel.
In der Begründung zu diesem Gesetz - der Herr Minister hat es angesprochen - steht unter anderem:
Eine Strafdrohung ist nur dort vorzusehen, wo Rechtsgüter des einzelnen oder der Allgemeinheit angegriffen oder gefährdet werden und ohne eine Strafdrohung nicht hinreichend geschützt werden können.
Dahinter steht die Vorstellung, daß nicht Sitte und Moral die Leitvorstellungen sein dürfen, wenn es darum geht, festzustellen, welches Rechtsgut des strafrechtlichen Schutzes bedarf. Soweit das bedeutet, daß Sitte und Moral nicht die allein ausschlaggebenden Gesichtspunkte sein können, werde ich ihnen zustimmen. Sollte es aber bedeuten, daß diese Begriffe überhaupt keine Bedeutung mehr haben - Herr Minister, Sie haben sie allerdings in Ihrer Rede immer wieder hervorgehoben, und ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie die Bedeutung dieser Begriffe auch hier klargemacht haben -, dann sollten wir dem ganz energisch widersprechen. Es hat nicht nur den Anschein, daß diese Begriffe, mindestens was den ersten Entwurf angeht, keine so sehr große Bedeutung mehr haben, sondern die Begründung zu diesem Gesetzentwurf spricht dafür.
Um auch hier jeden Irrtum auszuschließen: Auch wir wollen den Staat nicht zum Sittenrichter der Nation machen. Aber wenn die Regierung zwar davon spricht, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und schutzwürdige Güter der Allgemeinheit auch die elementaren Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens sind, insbesondere - so steht es in diesem Entwurf, meines Erachtens zu Recht - die Toleranz und Achtung vor der Menschenwürde des anderen, und daraus keinen anderen Schluß zu ziehen
vermag als den, dann doch auf den strafrechtlichen Schutz zu verzichten, dann wird man sich fragen müssen, ob nach den Vorstellungen dieser Regierung auf diesem Gebiet dem Recht noch eine Sozialfunktion eigen sein kann - Herr Minister, Sie haben dieses Problem zwar nicht ausdrücklich angesprochen, aber doch immer wieder gestreift -, wenn wir diese Begriffe nicht wenigstens auch zum Maßstab staatlicher Gesetzgebung machen.
({0})
Weder bei der Beurteilung der Freigabe der Pornographie noch bei der Frage der Ehegattenkuppelei ist dieser Schutz strafrechtlich vollzogen worden. Warum nicht, Herr Minister?
Hier soll offenbar der Begriff der Sozialschädlichkeit helfen, ein Begriff, der in der neuen Literatur immer mehr Eingang gefunden hat und den bis heute eigentlich niemand zuverlässig zu bestimmen vermag. Was ist, meine Damen und Herren, so frage ich Sie, sozialschädlich? Versteht man unter sozialschädlich -
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Herr Kollege Eyrich, können Sie sich nicht vorstellen, daß andere Gebiete des Rechts, insbesondere das Zivilrecht, die Ehe viel besser schützen können, als es das Strafrecht vermag?
Herr Ostman von der Leye, ich glaube, wir sind - das entnehme ich allen Besprechungen, die wir gemeinsam im Sonderausschuß geführt haben - miteinander der Meinung, daß der eine Bereich den anderen nicht in jedem Falle ersetzen kann und daß es Institutionen gibt, insbesondere dort, wo es heißt, daß eine Institution unter dem besonderen Schutz des Staates steht, die dieses besonderen Schutzes bedürfen.
Wenn wir diesen Begriff der Sozialschädlichkeit einführen, Herr Minister, ohne genau zu wissen, was es eigentlich ist, muß ich die Frage stellen: Was ist nun eigentlich dieses „sozialschädlich"? Ist es „gemeinschaftsschädlich" oder nicht? Ist es das, was die Toleranz und die Achtung vor der Menschenwürde ausmacht? Ich würde doch meinen, daß deren Schutz gerechtfertigt ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, glauben Sie, daß es die Ehe ganz besonders schützen würde, wenn Sie einen Partner der Ehe in ein Gefängnis tun und dort über seine Taten nachdenken lassen?
Ich habe Sie akustisch nicht verstanden, Herr Kollege.
Glauben Sie, daß es die Ehe besonders zusammenhielte, wenn Sie einem Partner für einige Zeit Freiheitsentzug verordnen? Glauben Sie, daß das die Ehe ganz besonders schützen würde?
Herr Ostman von der Leye, ich muß schon sagen, ich bin sonst gewohnt, daß Ihre Fragen präziser und besser zur Sache gestellt sind. Diese Frage ist wahrhaftig in diesem Zusammenhang nicht am Platz.
({0})
Ich weiß nicht, was diese Frage eigentlich soll. Wir haben doch nicht die Absicht, irgend jemand in ein Gefängnis einzuschließen.
({1})
- In welches, Herr Kollege Hirsch? - Vielleicht haben Sie nachher Gelegenheit, das darzustellen.
({2})
- Ich möchte doch keinen Menschen ins Gefängnis sperren. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß es Aufgabe dieses Staates ist, Institutionen, von denen es in unserem Grundgesetz heißt, daß sie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, diesen Schutz auch zukommen zu lassen.
({3})
Gestatten Sie dem Abgeordneten Erhard eine Zwischenfrage?
Glauben Sie, Herr Kollege Eyrich, daß der Vorfragende vielleicht davon ausgeht, daß die Einehe durch die Vielehe ersetzt werden sollte, und deswegen seine Frage gestellt hat?
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, wir sollten die Frage stellen - es lohnt sich sicher die Mühe, der Frage nachzugehen -, was sich unter dem Begriff der Sozialschädlichkeit verbirgt, weil damit der Schlüssel für das Verständnis dessen gegeben wird, was hier als Reform angepriesen wird und was dahinter steckt. Sie, Herr Minister, haben am 7. November 1970 dem „Weltbild" gegenüber erklärt, ein Verhalten sei sozialschädlich, wenn es nach übereinstimmender Meinung aller Bürger der Gemeinschaft Schaden zufüge. Sie, Herr Minister, und wir alle wissen doch, daß es eine übereinstimmende Meinung aller Bürger niemals geben kann. Sie werden eine einheitliche, uniforme Meinung dieser Bürger niemals zustande bringen. Wir müssen deswegen
fragen: Wer und welche Meinung soll dann, wenn wir an die Füllung des Begriffs der Sozialschädlichkeit herangehen, entscheiden? Sollen es dann jene tun, für die die Ehe nur noch eine Angelegenheit auf Zeit ist in der Art etwa eines ständigen Begleiters, oder jene, die in der Ehe nur noch eine Erscheinung mit repressivem Charakter sehen -auch das hört man gelegentlich -, oder jene, die sie nach wie vor auf Lebenszeit angelegt sehen wollen? Natürlich wird für die, Herr Kollege Hirsch, die die Ehe als Erholungslandschaft zur Erholung von den gesteigerten Anforderungen der modernen Industriegesellschaft ansehen oder die sie nur auf Zeit angelegt sehen, die Antwort auf diese Frage mit Sicherheit anders ausfallen als für die - ({0})
- Herr Kollege Hirsch, ich prüfe die Frage, mit welchen Gedanken der Begriff der Sozialschädlichkeit ausgefüllt werden kann. Bei dieser Prüfung werde ich nicht fragen, ob Sie diesen Begriff so ausfüllen wollen oder nicht, sondern ich werde fragen, wie er möglicherweise ausgefüllt werden kann. Es geht doch hier um das Bemühen, ein Gesetz zu schaffen, das uns die Sicherheit gibt, daß wir nachher tatsächlich erreichen, was wir wollen.
({1})
- Wir sollten uns mindestens bemühen, Herr Kollege Ostman von der Leye, zuzuhören, welche Möglichkeiten der Ausfüllung des Begriffes der Sozialschädlichkeit es im einzelnen gibt. Bei dieser Aufzählung bin ich gerade.
({2})
Von denjenigen, für die die Ehe nur auf Zeit angelegt ist, wird die Frage natürlich anders beantwortet als von der Mehrzahl der Menschen dieses Landes. Das dürfte wohl klar sein. Es ist aus dem Protest gegen allerlei Reformgedanken zum Ausdruck gekommen.
({3})
- Herr Kollege Vogel, ich möchte dem Herrn Kollegen Hirsch gerade eine Stelle aus einer Gegenschrift zu jener Schrift vorlesen, die sehr stark angegriffen worden ist und die sicher unverdächtig ist, daß sie der Opposition sehr viel helfen möchte. Ich möchte Ihnen daraus eines vorlesen. Das sollten wir dann gemeinsam und in allem Ernst überlegen.
({4}) - Seite 47, Herr Kollege Fiebig.
Herr Kollege, es scheint mir ziemlich zu sein, den Autor der Schrift zu nennen.
Ich bin gerade dabei, Herr Präsident. Ich wollte gerade sagen: es sind die Ausführungen von Herrn Martin Goldstein in diesem Bande auf Seite 47. Dort heißt es:
Solange also unsere überkommene Struktur von Ehe, also auch von Vorehe und Nichtehe, als schutzwürdiges Rechtsgut angesehen wird, muß das Gesetz gegen Pornographie sein. Denn Pornographie festigt nicht unbedingt die eheliche Bindung, verstärkt nicht unbedingt den Wunsch nach Kindern, ruft nicht unbedingt zur Treue auf. Sie regt nur die Wünsche und die Lust an. Sie setzt keine Normen, regelt nichts, gibt keine Moral. Sie zielt nur auf einen Sektor der Sexualität, nämlich die lustvolle Erregung.
({0})
- Ich hoffe, daß auch Sie das für richtig halten; denn dann müßten Sie für das Verbot der Pornographie sein.
({1})
Ich meine, wir sollten es bei diesen Beispielen bewenden lassen. Aber eine persönliche Anmerkung möchte ich noch zu dem machen, was hier steht. Der Verfasser dieser Schrift scheint - wie manche andere in diesem Lande - nicht zu wissen, daß es tatsächlich auch noch Ehen geben soll, in denen ein lustvolles Erleben möglich ist.
({2})
- Er muß ja nicht in jedem Fall recht haben, Herr Kollege Hirsch.
({3})
So sehr das Thema dieser Stunde zu Dialogen Anlaß zu geben vermag, so schlage ich doch vor, daß Meinungsverschiedenheiten von der Tribüne aus ausgetragen werden.
Meine Damen und Herren, im Entwurf sieht man zwar die Gefahr, daß Pornographie sozialschädlich sein könnte, aber man setzt sich mit der Formel darüber hinweg, daß der Freiheitsraum des mündigen Bürgers den Vorrang vor der Abwehr möglicherweise schädigenden Einflusses auf die Allgemeinheit habe. Dieser Schritt ist zugegebenermaßen gefahrvoll, und zwar deswegen, weil wir keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen der Pornographie haben, wenn auch das Anhörungsverfahren begleitet war von Meldungen, daß alle Gutachter die Sozialschädlichkeit der Pornographie verneint hätten. Was jene betrifft, die in diesem Anhörungsverfahren die Ehe der Zukunft als eine auf Zeit eingegangene Verbindung ansahen, verwundert das nicht. Und bei aller Anerkennung der Bemühungen von Sigusch, der uns über die Ergebnisse seiner Arbeit unterrichtet hat, würde ich meinen, daß jene Drei-Wochen-Untersuchungen eben einfach nicht dazu ausreichen, ein endgültiges Urteil über die Frage der Sozialschädlichkeit der Pornographie zu treffen.
({0})
Es handelt sich hier um eine Erkenntnis, die natürlich zu sehr vielen Spekulationen beim Anhörungsverfahren geführt hat. Wir haben es immer wieder empfunden, daß hier weniger gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse als eben Überzeugungen dargetan worden sind, denen ein ausreichender wissenschaftlicher Untergrund fehlt.
({1})
Diese Erkenntnis, Herr Kollege Hirsch, wird auch nicht besser, wenn man die Erfahrungen in Dänemark bezüglich der Frage der Sozialschädlichkeit der Pornographie zu Rate zieht. Ich gebe gern zu, daß wir keinen Anhaltspunkt dafür haben, daß die Kriminalität wegen der Freigabe der Pornographie gestiegen sei. Wir haben aber auch keine Anhaltspunkte, daß sie sich etwas zurückentwickelt.
({2}) Das ist eine Frage der Sozialschädlichkeit.
Wenn wir einmal die Untersuchungen in den USA betrachten, stehen wir vor der Tatsache, daß die dortige Regierung zwei Jahre lang untersucht und 2 Millionen Dollar ausgegeben hat, um dann festzustellen, daß sie im Grunde genommen so weit sei wie zuvor.
Als Ergebnis läßt sich daher feststellen, daß die Frage der Sozialschädlichkeit in zweifacher Weise beantwortet werden muß. Sie muß einmal dahin beantwortet werden, daß an die Stelle des ganz gewiß unbestimmten Begriffs des Sittengesetzes das
gebe ich Ihnen zu ein ebenso unbestimmter Begriff, nämlich der unbestimmte Begriff der Sozialschädlichkeit, getreten ist, der in gleicher Weise wie der des Sittengesetzes interpretationsfähig ist. Zweitens unterliegt auch die Sozialschädlichkeit in Zukunft einer Wertung der Gesellschaft, die je nach ihrem Standort die Frage nach der Sozialschädlichkeit verschieden beantworten wird. Die anfangs gestellte und ernste Frage dieses Problems ist: Was sind die fundamentalen Grundforderungen, deren Verletzung Strafe nach sich ziehen kann? Es ist die Frage, wann der Gemeinschaftsfrieden unzumutbar beeinträchtigt wird. Diese Frage wird auch in Zukunft unterschiedlich beantwortet werden.
Wir beantworten die Frage nach der Sozialschädlichkeit sowohl der Straflosigkeit der Ehegattenkuppelei als auch der Freigabe der Pornographie mit einem Ja. Denn wenn es wahr ist, daß Toleranz und Achtung vor der Menschenwürde des anderen elementare Grundlagen unseres Zusammenlebens sind, wie auch in der Begründung ausgeführt ist, und wenn es darüber hinaus richtig ist, daß die Ehe unter dem besonderen Schutz dieses Staates steht, dann kann es keine andere Antwort geben.
({3})
Die Pornographie verletzt, auch wenn es von sehr vielen noch so sehr bestritten wird, die Würde des Menschen und insbesondere die der Frau. Dieses im Grundgesetz geschützte Rechtsgut ist unverzicht6114
bar. Selbst die Anweisung an die Mitglieder Ihrer Fraktion, Herr Kollege Hirsch, spricht davon - und ich stimme Ihnen da zu , daß die Achtung und der Schutz der Würde des Menschen die vornehmste Verpflichtung aller staatlichen Gewalt unter dem Grundgesetz sei.
Es heißt dort aber weiter - und ich glaube, darüber muß man sich unterhalten -, daß jedermann autonom bestimmen könne, was für ihn die Würde des Menschen ausmache. Dem kann ich sicherlich nicht folgen, Herr Kollege Hirsch.
({4})
- Ich denke daran, daß es unverzichtbare Rechte gibt, die bei weitem nicht den Rang der Würde des Menschen haben. Deswegen habe ich Bedenken, ob dieses Rechtsgut überhaupt, und sei es auch nur im privaten Bereich, verzichtbar sein könnte.
({5})
- Bei meiner bescheidenen Ausbildung, die ich bisher genossen habe, ist mir das bekanntgeworden, Herr Ostman von der Leye.
Die Bundesregierung verkennt nicht, daß die Pornographie - so heißt es ausdrücklich - ein verzerrtes Bild menschlicher Sexualität bietet und vor allem die Frau herabwürdigt. Meine Damen und Herren, wie läßt sich das alles miteinander vereinbaren? Wie läßt es sich vereinbaren, daß eine Regierung zugibt, die Pornographie würdige die Frau herab, die Menschenwürde sei etwas, was wir unter allen Umständen geschützt wissen wollten, und dann zu dem Schluß kommt, diese die Menschenwürde tangierende Verbreitung von Pornographie nicht zu bestrafen.
({6})
- Ich warte darauf, Herr Kollege Hirsch, daß Sie
mir das klar machen.
Über eines, so meine ich, sollten wir uns klar sein. Wenn wir uns grundsätzlich einig sind, daß diese Würde des anderen Menschen ein Rechtsgut der Allgemeinheit ist, dann können wir nur noch die Frage stellen, oh wir es mit Strafe bewehren sollten. Das weiß ich auch. Nur komme ich zum Ergebnis, daß es das hohe Rechtsgut der Würde des Menschen, das an den Anfang unseres Grundgesetzes und an den Anfang aller Überlegungen des Zusammenlebens in unserem Staate gestellt worden ist, das auch Sie in Ihrem Leitfaden als den höchsten Wert bezeichnet haben, doch noch des strafrechtlichen Schutzes wert sein sollte.
({7})
Sie bestimmen in diesem Zusammenhang nicht über Ihre eigene Würde, sondern Sie bestimmen über die Würde des anderen Menschen und seine Betrachtung in unserer Gesellschaft.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir halten am Verbot der Verbreitung von Pornographie erstens deswegen fest, weil wir wissen, daß mit der Eröffnung von Porno-Shops und Porno-Clubs und anderem ein wirksamer Jugendschutz bei allen Beteuerungen gegenteiliger Art, die wir heute gehört haben, schlechthin nicht mehr möglich ist. Wir wollen zweitens auch deswegen daran festhalten, weil wir wissen, daß unsere Bürger diesen „Konsumverzicht", den wir ihnen aufbürden wollen, in der überwältigenden Mehrheit sicher sehr gern leisten, ohne daß den anderen der Zugang zu solchem Material verwehrt sein soll.
Schließlich - lassen Sie mich das zum Schluß sagen - wollen wir daran festhalten, weil wir davon überzeugt sind, daß es noch Grundlagen unseres Zusammenlebens geben muß, deren Gefährdung der Staat mit seiner Gesetzgebung nicht fördern darf, ganz besonders dann, wenn sie dem besonderen Schutz dieses Staates anvertraut sind.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Emmert. Seine Fraktion bittet urn 25 Minuten Redezeit für ihn.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Anmerkungen zu der Rede des Herrn Kollegen Dr. Eyrich machen. Wenn man die Rede des Herrn Kollegen Dr. Eyrich näher analysiert, kommt man zu der Feststellung, daß er im Grundsätzlichen sehr oft der Auffassung recht gegeben hat, die der Herr Bundesjunstizminister vorgetragen hat. Er hat sogar in mancher Hinsicht dem Herrn Bundesjustizminister Lob gespendet, hat dieses Lob allerdings, wie es eben die Aufgabe der Opposition sein muß, wieder in der Weise eingeschränkt, daß er sagte, der Herr Bundesjustizminister habe einen Sinneswandel vollzogen, habe früher völlig andere Meinungen vertreten als heute vor diesem Hohen Hause.
Herr Kollege Dr. Eyrich, ich möchte Ihnen empfehlen, noch einmal sehr eingehend die Begründung des Entwurfs zu lesen. Sie werden dabei unschwer zu der Feststellung kommen, daß die von dem Herrn Bundesjustizminister vor diesem Hohen Hause vorgetragene Auffassung im Grundsätzlichen schon genau in der Begründung dieses Entwurfs steht.
({0})
- Herr Kollege Hauser, Sie müssen eben mit der nötigen Intensität auch diesen Stoff verfolgen, und dann müssen Sie mir, ob Sie wollen oder nicht, recht geben.
Eine zweite Anmerkung, und zwar zu der Verfahrensweise, Herr Kollege Dr. Eyrich, auch in diesem Punkt befinden Sie sich im Irrtum. Sie haben erklärt, der Strafrechtsausschuß des Deutschen Bundestages habe mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen praktisch die Auffassung der Opposition
niedergeknüppelt und sein öffentliches Hearing beschlossen, bevor die erste Lesung des Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts durchgeführt worden sei.
Ich darf darauf hinweisen, daß wir uns im Strafrechtsausschuß sehr eingehend auf der Grundlage der Geschäftsordnung, die ja schließlich und letztlich für uns alle verbindlich ist, mit der Frage beschäftigt haben, ob wir schon vor der ersten Lesung eine öffentliche Anhörung durchführen sollen. Ich darf auf die §§ 73 und 60 der Geschäftsordnung verweisen, die es dem zuständigen Strafrechtsausschuß erlaubt haben, auch schon vor der ersten Lesung eine Anhörung der Sachverständigen durchzuführen. Es wird mir jeder der Damen und Herren Kollegen recht geben, daß diese Verfahrensweise auf der Grundlage der zitierten Paragraphen der Geschäftsordnung zulässig war. Diese Frage war auch im Ausschuß in gar keiner Weise bestritten, sie kann auch heute nicht bestritten werden. Deswegen verstehe ich nicht, Herr Kollege Dr. Eyrich, daß Sie sich über diese Verfahrensweise, die genau der Geschäftsordnung entspricht, so mokieren.
Es ist im Gegenteil zu sagen, daß es gut ist, wenn sich der jeweils zuständige Ausschuß schon sehr früh in planerischer Weise mit dem Stoff, der auf ihn zukommt, beschäftigt, damit eine zeitliche und stoffliche Einteilung vorgenommen werden kann, damit auch die Gesetzgebungsvorhaben entsprechend dem Zeitplan durchgezogen werden können. Dies war eigentlich der Sinn dieser vorgezogenen Anhörung.
Lassen Sie mich noch eine dritte Anmerkung machen, Herr Kollege E y r i c h. Ihre Ausführungen, die in vielfacher Hinsicht für mich wirklich sehr interessant waren, haben sich durchweg nur mit der Pornographie beschäftigt.
({1})
Würde man Ihre Ausführungen der Diskussion zugrunde legen, ohne den Gesetzentwurf, um den es geht, zu kennen, müßte man annehmen, daß es in diesem Gesetzentwurf ausschließlich um Pornographie geht.
({2})
Es ist die Frage, Herr Kollege Eyrich, warum Sie aus Ihren taktischen Erwägungen heraus die Pornographie überhaupt so sehr in den Vordergrund rücken. Vielleicht habe ich mich in meiner Meinung getäuscht, die dahin geht, daß es Ihnen, Herr Kollege Eyrich, teilweise direkt Spaß gemacht hat, hier eine eingehende Schilderung irgendwelcher pornographischer Produkte und gewisser Einzelheiten zu geben.
Zustimmung bei Abgeordneten der SPD. -
Lebhafter Widerspruch und Pfui Rufe bei
der CDU/CSU. - Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Das ist primitiv!)
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Eine Sekunde! - Was regen Sie sich denn so auf, meine Damen und Herren von der Fraktion der CDU/CSU?
({0})
Ich habe ausdrücklich formuliert: Vielleicht habe ich mich getäuscht ...
({1})
Und wenn Sie dann so schreien, muß ich eben einräumen, daß ich mich getäuscht habe. Und ich gebe dies vor Ihnen gerne zu.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Thadden.
von Thadden ({0}) : Herr Kollege MüllerEmmert, wie kommt es eigentlich, daß Ihr Kollege de With es in einer Arbeitsunterlage zur Diskussion dieses Gesetzentwurfes als Grundanliegen des Entwurfes der Bundesregierung bezeichnet, daß Erwachsene Pornographie konsumieren können? Ich frage Sie, hat der Kollege de With dann auch den Entwurf so mißverstanden, daß er in ihm dieses Grundanliegen zu erkennen ,glaubt?
({1})
Vielleicht haben Sie diese Formulierung mißverstanden.
({0})
Einmal ist es immer sehr schwierig, aus einer größeren Arbeit einen Satz herauszupicken und sich dann auf diesen Satz zu berufen,
({1})
und zum zweiten ist es fraglos auch ein gewisses Grundanliegen dieses Gesetzentwurfes, die Mündigkeit unserer Bürger zu fördern. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang nur einmal am Rande sagen, daß beispielsweise die katholische Kirche das Verbot des Index aufgehoben hat, obwohl sie weiß, daß die glaubensgefährdenden Schriften nach wie vor glaubensgefährdend sind, daß aber die katholische Kirche durch die Aufhebung dieses Verbotes an die Mündigkeit ihrer gläubigen Christen appelliert.
({2})
Das mögen Sie sich bitte einmal überlegen!
({3})
Und dann reden wir miteinander weiter.
({4}) - Warum regen Sie sich denn so auf?
({5})
Immer mit der Ruhe, wir kommen miteinander schon zurecht. - Das stimmt doch, Herr Kollege Hauser! Weisen Sie mir doch bitte das Gegenteil dieser meiner eben aufgestellten Behauptung nach! Ich wäre sehr froh und würde das dann selbst sofort einräumen.
Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kliesing.
Herr Kollege, glauben Sie tatsächlich im Ernst, daß das Problem glaubensgefährdender Schriften und das der Pornographie irgendwie miteinander vergleichbar sind?
({0})
Herr Kollege Kliesing, vom Denkansatz her ist das letztlich genau das gleiche.
({0})
- Vom Denkansatz her ist es das gleiche! Es ist
eine klare gedankliche Parallelität insofern gegeben, als jeweils die Frage der Mündigkeit - die des Bürgers oder die des Christen - eine Rolle spielt und sonst nichts.
({1}) - Das können Sie nicht bestreiten!
({2})
- Da können Sie sich aufregen oder nicht, Herr Winkelheide: was stimmt, das stimmt. Darum kommen Sie nicht herum.
({3})
Sie müssen sich daran gewöhnen, daß es eben so ist.
Ich darf noch eine Bemerkung zu Herrn Kollegen Eyrich machen; er ist im Augenblick nicht da.
({4})
- Er kommt wieder, Gott sei Dank; vielleicht können Sie ihm das dann später sagen. Danke schön, Herr Kollege Vogel. - Herr Kollege Eyrich hat aus der Gegenschrift „Das Gesetz der Moral und die staatliche Ordnung" zitiert. Herr Kollege Eyrich hat richtig zitiert, gar keine Frage. Der Beitrag, der von Herrn Goldstein stammt, hat die Überschrift: „Gefährdet Pornographie Ehe und Jugend?" Herr Kollege Eyrich hätte aber auch die Schlußfolgerungen diese Beitrages lesen müssen, dann wäre er vollständig gewesen. Ich darf - in diesem Punkt gewissermaßen an seiner Stelle - die Schlußfolgerungen von Herrn Goldstein bekanntgeben, die Sie in dieser Schrift auf Seite 48, letzter Absatz, finden. Da heißt es:
Da es in der Diskussion um die Freigabe der Pornographie aber der Gesetzgeber ist, der auf Macht und Einfluß verzichten will, um sie auf den Bürger zu delegieren, erscheint es mir richtig, daß die Kirche die Aufgabe übernimmt, den Bürger und den Gesetzgeber zu den sicher höheren Anforderungen zu ermutigen, anstatt eine bestehende Bevormundung zu stützen.
({5})
Wenn Sie diesen Satz einmal näher überlegen, werden Sie mir recht geben, daß man das Problem der Pornographie offenbar aus sehr vordergründigen Gründen hier in einer Weise hochspielt, wie sie eigentlich von der Sache her beim besten Willen nicht notwendig ist.
Wohl kein Teil des Strafrechtes ist derart von Vorurteilen belastet wie das Sexualstrafrecht, mit dem wir uns im Rahmen des Vierten Reformgesetzes zu befassen haben. Die gefühlsmäßige Abwehrreaktion gegenüber dem Triebtäter hat allzu lange die tatsächlichen Probleme verdeckt. Noch immer wird der Exhibitionist vielfach ungleich härter bestraft als jemand, der sich beispielsweise einer fahrlässigen Kindestötung schuldig gemacht hat. In Schleswig-Holstein z. B. - und sicher auch in anderen Bundesländern - werden weit mehr Kinder durch ihre Eltern getötet oder mißhandelt, als durch Sexualdelikte betroffen. Die Kollektivreaktionen sind dennoch bei beiden Deliktgruppen unverständlicher-weise auffallend unterschiedlich. Uns beschäftigen weit mehr die Unholde, die Kinder mißbrauchen, als Eltern, die eigentlich viel Schlimmeres tun.
({6})
Der Kieler Gerichtsmediziner Dr. Wille, der über diese Beobachtungen kürzlich im Rahmen der Anhörung des Strafrechtsausschusses berichtet hat, hat uns auch den Grund genannt. Er sagt:
Die Einstellung unserer Gesellschaft zur Sexualität ist heute noch weitgehend verkrampft, so daß eine affektneutrale Beurteilung kaum möglich erscheint.
In einer solchen Situation ist es für jede Regierung kritisch, einen Reformentwurf vorzulegen, besonders dann, wenn es für notwendig gehalten wird, einige sogenannte heilige Kühe abzuschlachten. Aus diesem Grund lege ich Wert auf folgende Feststellung: Die große Strafrechtsreform war nicht das Anliegen einer Gruppe oder einer Fraktion in diesem Hause, sondern wir - der Bundestag gemeinsam - haben sie auch zu einer gemeinsamen Aufgabe gemacht, und - das darf ich wohl auch feststellen - diese Gemeinsamkeit hat die Arbeit des Sonderausschusse seit langen Jahren in besonderer Weise befruchtet.
({7})
- Was wollten Sie sagen, Herr Kollege Lenz? - Bis zum Jahre 1969, wo Sie den Vorsitz hatten - das wollten Sie doch sagen. Dies ist doch lächerlich. Ich bitte Sie doch!
({8})
- Ich sehe schon Ihren Augen an, was Sie sagen wollen, Herr Kollege Lenz.
({9})
Wir würden uns diese Aufgabe zu leicht machen und unter Umständen die gesamte Reform in Frage stellen, wenn wir mitten auf der Strecke an einer Stelle haltmachten, wo überkommene Tabuvorstellungen einer Neuorientierung entgegenstehen. Es geht bei einer solchen Reform ja nicht darum, alles
mit Gewalt anders zu machen, sondern darum, das geltende Recht zu überdenken und zu prüfen, ob es noch sachgerecht ist.
Auch dieser Reformentwurf hält aus guten Gründen in wesentlichen Punkten an anerkannten strafrechtlichen Grundsätzen fest. Das gilt vor allem - darauf wurde viel zuwenig hingewiesen - für den Schutz gegen Gewalt und den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Abhängigen vor sexuellem Mißbrauch. Die Pornographie - ich habe dies schon mehrfach gesagt ist wirklich nicht das wichtigste in diesem Reformgesetz.
({10})
Manche halten es allerdings für überflüssig, durch eine Neuordnung des Sexualstrafrechts die Gemüter unnötig zu erregen, da, wie sie sagen, das tatsächliche Verhalten der Bürger sich ohnehin am Strafrecht vorbei entwickelt habe und die Täter weithin unbehelligt blieben, z. B. im Zusammenhang mit Kuppelei oder Zuhälterei oder auch schon Pornographie. Eine solche Haltung ist eine sehr einfache. Sie erleichtert fraglos die praktische Arbeit. Sie kann aber - darüber müssen wir uns doch wohl im klaren sein - wegen ihrer Unehrlichkeit keine Maxime für die Gesetzgebung sein.
({11})
Nicht nur der Gesetzgeber wird bei einer solchen Praxis unglaubwürdig, sondern auch die Strafverfolgungsorgane, die im Rahmen des Legalitätsprinzips an sich verpflichtet sind, derartige Handlungen zu verfolgen, und auch die Gerichte, die im Einzelfall die jeweilige Entscheidung zu treffen haben. Strafverfolgungsorgane und Gerichte müssen bekanntlich stets ausbaden, was der Gesetzgeber versäumt. Unsere Aufgabe muß es sein, klare Aussagen zu machen und eindeutige Richtlinien zu erlassen, dann aber auch in der Erwartung, daß die Straftatbestände wirklich ernst genommen und in jedem Fall die vorgeschriebenen und notwendig erscheinenden Maßnahmen getroffen werden.
({12})
Zum Entwurf selbst lassen Sie mich folgendes ausführen. Ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen besteht meines Erachtens - ich habe dies schon gesagt weitergehende Übereinstimmung über die auch in der Begründung des Entwurfs formulierten Kriterien, nach denen strafbares und straffreies Verhalten voneinander abzugrenzen sind. So dürfte Einigkeit darüber bestehen, daß das Strafrecht nur eine äußere Ordnung sozialen Verhaltens zu wahren hat. Damit soll selbstverständlich nicht die Bedeutung sittlicher Wertvorstellungen der Gemeinschaft für die Geltung rechtlicher Normen geleugnet werden. Der Entwurf trägt vielmehr dem fundamentalen Unterschied Rechnung, der nun einmal zwischen der sittlichen und der rechtlichen Beurteilung menschlichen Verhaltens besteht. Der Glaube an die sittenbildende und sittenerhaltende und -prägende Kraft des Strafrechts ist - ich sage es deutlich - brüchig geworden. Die Besorgnis, die Einschränkung oder Aufhebung von Strafvorschriften führe zwangsläufig zu einer Lockerung der Sitten und einer Auflösung sittlicher Vorstellungen, erscheint unbegründet.
Ich darf Sie daran erinnern, daß bereits durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts, das der Bundestag im Mai 1969 mit großer Mehrheit beschlossen hat, seit dem 1. September 1969 die Strafbarkeit für homosexuelle Handlungen unter erwachsenen Männern, für Ehebruch, für Unzucht mit Tieren und für Erschleichung des außerehelichen Beischlafs beseitigt ist. Sie werden mir zugeben, daß bisher keine Stimme lautgeworden ist, daß homosexuelle Beziehungen, Ehebruch und sodomitische Handlungen aus diesem Grunde zugenommen hätten. Auch haben sich die sittlichen Bewertungsmaßstäbe bei unseren Bürgern hierdurch in keiner Weise geändert.
({13})
- Sagen Sie mir doch gegenteilige Argumente, Herr Kollege Lenz! Ich wäre glücklich und froh, wenn Sie mir diese Argumente brächten.
({14})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
(E
von Thadden ({0}) : Herr Kollege Müller-Emmert, würden Sie es z. B. als einen Beitrag zur Verunsicherung unserer sittlichen Rechtsordnung ansehen, wenn ein pornographisches Filminstitut seinen Kunden Angebote unter Verwendung der Formulierung - ich zitiere wörtlich - „detaillierte Auszüge aus dem Kabinettsbeschluß vom 18. September 1970 zur Frage der Pornographie" unterbreitet? Sind Sie mit mir der Meinung, daß dieses pornographische Institut darauf spekuliert, die Schmutzwelle durch Verwendung detaillierter Auszüge aus dem Kabinettsbeschluß vorantreiben zu können? Haben Sie etwas dagegen, daß ich Ihnen dies hier überreiche, damit Sie sehen, welche Folgen das hat?
Zeigen Sie es Ihren Kollegen! Wenn wir ein Filmvorführgerät hier hätten, könnten wir das, was Sie mir hier auf den Tisch legen wollen, zur Auflockerung vorführen. Ihre Frage will ich ganz eindeutig beantworten.
({0})
Es haben schon viele unsaubere Geschäftsleute manches geglaubt, aber es haben auch schon viele unsaubere Geschäftsleute hinterher feststellen müssen, daß sie sich getäuscht haben.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Lenz.
Herr Kollege Müller-Emmert, meinen Sie nicht auch, daß die Beseitigung der Strafvorschrift über Unzucht mit Tieren eine wesentliche Erleichterung für die Herstellung pornographischen Materials auf diesem Gebiete darstellt?
In gar keiner Weise, und zwar deshalb nicht, weil ja, wie Sie wissen, vorgesehen ist, daß auch insoweit ein allgemeines Verbot der Herstellung von Pornographie festgelegt wird.
({0})
Ein unverdächtiger Zeuge in dem von mir angeführten Zusammenhang
({1})
- gleich, Herr Kollege - ist Professor Dr. Wolfgang Trillhaas, der als prominenter Vertreter der Evangelischen Kirche im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Problem der Beziehungen von Moral und Sitte auf der einen Seite und Recht auf der anderen Seite ausgeführt hat, das Strafrecht habe auf dem Felde des wirkenden oder wirksamen Ethos weder Kompetenz noch produktive Kraft. Er sagte weiter:
Das Strafrecht hat, schlicht ausgedrückt, keinen missionarischen Auftrag auf dem Gebiet der Moral. Das Strafrecht hat wahrscheinlich auch keine Möglichkeit, die öffentliche Moral zu heben oder zu senken.
({2})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns über einen weiteren Grundsatz einig sein; ich glaube, wir sind uns über ihn sogar einig. Eine Strafdrohung ist nur dort vorzusehen, wo Rechtsgüter des einzelnen oder der Allgemeinheit angegriffen oder gefährdet werden und ohne eine Strafdrohung nicht hinreichend geschützt werden können. Es wäre müßig, im Augenblick in aller Breite auf Einzelheiten zu Fragen des Rechtsgüterschutzes und der Sozialschädlichkeit bestimmer Handlungen einzugehen, wie dies Herr Kollege Eyrich getan hat.
Um die Schwierigkeiten, vor denen der Ausschuß steht, in etwa anzudeuten, möchte ich einige Probleme schlagwortartig erwähnen: Bis zu welchem Alter sind Jugendliche in dem hier zur Debatte stehenden Bereich gegen nicht gewaltsame Handlungen - Gewalt bleibt ja ohnehin in jedem Falle verboten - absolut zu schützen? Welche Handlungen fallen unter diesen Begriff? Inwieweit können wir dem von Wissenschaftlern - unter anderem von dem Psychologen Professor Metzger - erhobenen Vorwurf nachgehen, die Justiz unterscheide nicht zwischen echten, für die Entwicklung unter Umständen positiven Liebesbeziehungen zwischen jungen Menschen und sexuellen Handlungen außerhalb dieses Rahmens? Müssen Erziehungs- und Betreuungsverhältnisse zu Kindern und Jugendlichen von sexuellen Einflüssen völlig freigehalten werden, wenn ja, bis zu welchem Alter der Jugendlichen? Bedarf es vielleicht eines Straftatbestandes für die Blutschande, die gewerbsmäßige Vermittlung außerehelicher Beziehungen unter Erwachsenen, den Ehegattentausch und die Zuhälterei, für die beispielsweise die Verfasser des Alternativentwurfs bekanntlich Straflosigkeit gefordert haben.
Meine Damen und Herren, das sind einige der entscheidenden Fragen dieses Entwurfs. Alle diese Fragen sind in der öffentlichen Diskussion aber offenbar bewußt in den Hintergrund gedrängt worden. Es dominiert das zugkräftige Thema „Pornographie. Ich begrüße, daß der Herr Bundesjustizminister inzwischen Neufassungsvorschläge hat ausarbeiten lassen, die hoffentlich dazu beitragen, entstandene Zweifel und Mißverständnisse auszuräumen.
Unserer Fraktion liegt vor allem an folgender Klarstellung. Kinder und Jugendliche müssen vor pornographischen Erzeugnissen jeder Art geschützt bleiben. Dazu gehört, daß jegliche öffentliche Konfrontation mit der Pornographie und jegliche öffentliche Werbung unterbunden werden. Das dürfte durch die neuen Vorschläge gewährleistet sein. Ich halte es auch für richtig, daß nach dem Entwurf die unverlangte Zusendung von Pornographie ebenfalls ausdrücklich unter Strafe gestellt wird.
Außerdem sollen pornographische Darstellungen, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Mißbrauch von Kindern oder - nach dem neuen Vorschlag - sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben, allgemein verboten bleiben. Kompetente Wissenschaftler haben in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, daß Darstellungen von Gewalttätigkeiten ganz allgemein, also auch ohne sexuelle Motivation, in ihrer negativen Wirkung wesentlich ernster einzuschätzen seien als die Pornographie. Deshalb haben wir in unserer Fraktion angeregt, das Herstellungs- und Verbreitungsverbot über die Pornographie hinaus auf alle Darstellungen besonders roher und grausamer Gewalttätigkeit zu erstrecken. Ich begrüße auch, daß der Herr Bundesjustizminister diese Anregung aufgegriffen und in so kurzer Zeit einen Formulierungsvorschlag unterbreitet hat.
Einziger Streitpunkt ist offenbar noch die Frage, ob die einfache oder auch Schlüssellochpornographie, wie sie genannt wird, für Erwachsene freigegeben werden soll. Es muß ganz deutlich gesagt werden: Wenn wir uns im Ergebnis für den vorliegenden Entwurf entscheiden sollten, dann nicht deshalb, weil wir die Pornographie weniger scheußlich finden oder die Kommerzialisierung dieser Vorgänge nicht für unmoralisch halten würden. Ungeachtet aller praktischen Fragen, daß z. B. der Markt trotz dem heute offiziell geltenden Verbots blüht und kaum die Möglichkeit besteht, die Pornographie von den Bürgern, die sie besitzen wollen, auch nach dem heutigen Recht fernzuhalten, wird für uns das entscheidende Kriterium sein, ob die Pornograpphie sozialschädlich ist oder nicht.
In diesem Punkt sind wir zunächst einmal auf wissenschaftliche Aussagen angewiesen. Die von uns bisher gehörten Mediziner, Psychologen und Sexualwissenschaftler haben die Sozialschädlichkeit ganz überwiegend verneint. Einige Sachverständige haben sogar auf eine gewissermaßen positive FunkDr. Müller-Emmert
tion hingewiesen. Sie sagten, daß z. B. für einige der potentiellen Täter durch Pornograpphie die Möglichkeit bestehe, ungezielte sexuelle Impulse abzureagieren.
Auch die Stellungnahmen der Kirchen - darauf
möchte ich besonders hinweisen - ist in diesem Punkt nicht so einheitlich, wie es bisweilen dargestellt wird. So sprach beispielsweise Professor Dr. Gustav Ermecke, der in der öffentlichen Anhörung vor dem Sonderausschuß als Vertreter der Katholischen Kirche zu Wort kam, von der relativen Sozialschädlichkeit der Pornographie. Wenn sich der Erwachsene diese Literatur beschaffen wolle, so sagte er, und dies auf einem Weg geschehe, der den privaten Raum nicht überschreite, so sollte sich das Recht nicht einmischen. Anders verhalte es sich allerdings, wenn Propaganda gemacht werde.
Dennoch werden wir uns mit den hiervon abweichenden Stellungnahmen im Rahmen der Beratungen erneut auseinanderzusetzen haben. Eine Reihe von Sachverständigen steht auf dem Standpunkt, man könnte Pornographie entweder nur ganz oder gar nicht verbieten. Ein lediglich auf den Jugendschutz bezogenes Verbot sei illusorisch
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und könne die allgemeine Verbreitung der Pornographie auch an Jugendliche nicht aufhalten.
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- Auch diese Argumente, sehr geschätzter Kollege von Thadden, werden wir sorgfältig in unsere Überlegungen einbeziehen.
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- Verlassen Sie sich darauf, wir haben das bisher schon gut fertiggebracht.
Lassen Sie mich nun noch zu einem anderen Punkt kommen.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda.
Wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird. - Bitte sehr, Herr Kollege Benda!
Herr Kollege Müller-Emmert, darf ich Sie nach den sehr interessanten Ausführungen, die Sie zum Thema Pornographie gemacht haben, dahin verstehen, daß Sie eine Haltung Ihrer Fraktion zu der Frage, ob die Pornographie freigegeben werden soll oder nicht, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit heute noch nicht mitteilen können?
Herr Kollege Benda, von einer Freigabe der Pornographie war nur immer bei Ihnen die Rede, bei uns noch nie.
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- Das ist doch nicht wahr! Wir haben immer nur von einer beschränkten Freigabe der Pornographie gesprochen und haben mit dem Wort „beschränkt" natürlich nicht etwas gemeint, was Sie unter Umständen meinen könnten,
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sondern haben damit vom Räumlichen her eine Eingrenzung verstanden.
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Lassen Sie mich nun noch zu einem anderen Punkt kommen. Mit der Beschreibung des strafwürdigen Verhaltens ist im Strafrecht, wie wir alle wissen, erst die halbe Arbeit geleistet. Das eigentliche Gewicht erhält ein Straftatbestand erst von der angedrohten Maßnahme her. Die von uns sicher allgemein empfundene Scheußlichkeit vieler Sexualdelikte und unsere Abwehrreaktionen gegen sexualabnormes Verhalten münden allzu leicht ein in den Ruf nach Vergeltung. Gerade das ist aber fragwürdig geworden.
Angesichts der Aussagen der Wissenschaft über die Ursachen der Sexualkriminalität müssen wir uns erneut über die Grenzen menschlicher Schuld klarwerden. Für uns ist nicht so entscheidend, ob die Sexualkriminalität auf frühere Kontaktstörungen, beispielsweise eine mangelhafte soziale Eingliederung, zurückgeht oder ob sie durch Störungen der Triebentwicklung verursacht wird. Uns muß zu denken geben, daß alle Theorien über die Ursachen der Sexualkriminalität eine persönliche Schuld des Individuums an der Entstehung sexuell abweichenden Verhaltens verneinen, wie es der Psychologe Professor Dr. Groffmann in einer Zusammenfassung eindeutig ausgeführt und bewiesen hat. Mich hat auch die Aussage eines erfahrenen Praktikers, des Bremer Landgerichtspräsidenten Dr. Hans Burhorn stark beeindruckt, der in der öffentlichen Anhörung vor dem Strafrechtssonderausschuß sagte, daß er selten Sexualstraftäter erlebt habe, die man einwandfrei als Kriminelle hätte bezeichnen können. Ungeachtet der Schuldprobleme hängt die Frage der gebotenen Reaktion des Gesetzgebers auch davon ab, inwieweit bei bestimmten Delikten Strafe das geeignete Mittel ist, die Gesellschaft zu schützen. Auch in diesem Bereich möchte ich nur einige Probleme andeuten.
Bei Sexualdelikten, insbesondere bei sexuellen Handlungen an Kindern, fällt neuerdings der zunehmende Anteil junger Täter zwischen 14 und 18 Jahren auf. Es stellt sich für uns die Frage, ob nicht für diese Art Entwicklungskriminalität ein neues Konzept erarbeitet werden muß, um durch eine bessere Therapie als die Bestrafung die Gesellschaft zum Beispiel vor Rückfalltaten zu schützen.
In diesem Zusammenhang muß ich auch die Exhibitionisten erwähnen, die in der Regel, wie wir wissen, sozial gut eingegliedert sind und nicht zu späteren Gewalttätigkeit neigen. Untersuchungen des Hamburger Instituts für Sexualforschung haben ergeben, daß die Bestrafung dieser Täter die Rückfallgefahr und die Gefahr sekundärer Kriminalisierung durch die Unterbrechung der sozialen Kontinuität erhöht. Hier ist die im Entwurf vorgeschlagene Regelung zu begrüßen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung auch dann zuläßt, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.
Zu diesem Problemkreis gehört auch die Tatsache, daß es viele senile Täter gibt, die sich ihr Leben lang straffrei geführt haben und die erst im Alter eine Straftat begehen, durch die den betroffenen Kindern in der Regel allerdings kein nachhaltiger Schaden zugeführt wird.
Meine Damen und Herren, die Erkenntnis, daß es besser und wichtiger ist, Sexualdelikten vorzubeugen als Täter zu bestrafen, zwingt uns dazu, den Blick über den eigentlichen Bereich des Strafrechts hinaus zu lenken. Die Aufgabe verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaften.
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- Sie kommen immer wieder auf die Pornographie
zurück. Das ist bei Ihnen eine Art Komplex, Herr Lenz. Ich verstehe Sie nicht. Denken Sie doch auch einmal über die anderen Dinge nach!
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- Davon spreche ich doch schon die ganze Zeit. Anscheinend hören Sie nur nicht zu, Herr Kollege Lenz. Aber das gibt sich auch noch.
Ich sagte: die Aufgabe verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaften. Auch ist während der dreitätigen Anhörung im Strafrechtsausschuß der Zusammenhang zwischen der allgemeinen Erziehung, speziell der Sexualerziehung, mit dem späteren Sexualverhalten des einzelnen deutlich geworden.
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Es fällt nämlich auf, daß die meisten jungen Notzuchttäter aus der Unterschicht mit weniger Bildungs- und Lebenschancen stammen. Es sind fast durchweg Hilfsarbeiter oder ungelernte Arbeiter.
Eine sorgfältige Aufklärung ist häufig der wirksamste Schutz. Informierte Kinder erkennen früher und besser ihnen drohende Gefahren. Auch kann die nicht selten beobachtete Beteiligung von Kindern an Sexualdelikten herabgesetzt werden. Schließlich wird ein aufgeklärtes Kind die sexuelle Handlung des Täters viel eher verarbeiten können als Kinder, denen sexuelle Vorgänge völlig fremd sind.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Es war meine Absicht, die vielen ernsten Fragen hervorzuheben, die mit dem Sexualstrafrecht verbunden sind und die in der öffentlichen Diskussion unter der Last der Pornographie zu ersticken scheinen. Bei den kommenden Ausschußberatungen sollte uns wieder eines verbinden, was ich während der Auseinandersetzungen in den letzten Wochen und Monaten manchmal vermißt habe: Unvoreingenommenheit und Sachlichkeit.
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Unsere gemeinsame Verantwortung und der zu behandelnde Gegenstand verlangen dies.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus. Ihre Fraktion hat für sie eine Redezeit von 30 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung eines Gesetzes dient immer dazu, die Grundsätze darzulegen. Auch ich möchte das hier tun und die spätere Einzelberatung den Ausschüssen überlassen.
Ich möchte für die Freien Demokraten folgendes erklären. Wir freuen uns, daß die Reform als solche mit der Vorlage eines weiteren Strafrechtsänderungsgesetzes jetzt ihren Fortgang nimmt. Eines muß ich allerdings sagen. Es ist natürlich nicht unbedingt erfreulich, wenn man sich ausgerechnet mit Sexualstraftaten befassen muß. Aber wir als Politiker können uns unsere Aufgaben nicht immer aussuchen, sondern müssen diejenigen Aufgaben erfüllen, die uns nun einmal gestellt sind.
Der Herr Bundesjustizminister hat darauf hingewiesen, daß schon in der vorigen Legislaturperiode im Ersten Strafrechtsänderungsgesetz einige Straftatbestände reformiert wurden. Wir müsen uns bei jeder Reform fragen, ob sie notwendig ist. Eine Reform um der Reform willen lehnen wir ab. Wenn aber eine Reform notwendig ist, scheuen wir auch nicht unliebsame Aufgaben. Das Sexualstrafrecht ist ein unerquickliches Thema. „Wir werden mit den Erdenresten konfrontiert, die zu tragen uns peinlich ist." Das ist kein Ausspruch von mir, sondern das sagte der verstorbene Dr. Fritz Bauer in der Schrift „Sexualtabus und Sexualethik im Spiegel des Strafgesetzes". Es zeigt aber mit aller Deutlichkeit, um welche Materie es sich handelt.
Die Frage, ob eine Reform notwendig ist, wird allgemein bejaht. Ich möchte hierzu auf ein umstrittenes Memorandum hinweisen, nämlich auf das Memorandum „Das Gesetz des Staates und die sittliche
Frau Dr. Diem er-Nicolaus
Ordnung", und daraus folgendes zitieren. Es heißt dort:
Die Sexualität ist so sehr eine den ganzen Menschen bestimmende Realität, daß ihre Leugnung oder Verdrängung zu Schäden führen kann. Daß unter diesem Vorzeichen in Verbindung mit einem neuen Verständnis von Strafe und Strafandrohung das Sittenstrafrecht überprüft und das jeweils zu schützende Rechtsgut neu durchdacht wird, erscheint unausweichlich.
Die heutigen Vorstellungen über die Funktion eines rational gestalteten Strafrechts, wie sie in den beiden ersten Strafrechtsänderungsgesetzen zum Ausdruck gekommen sind, müssen auch bei der Gestaltung des Sexualstrafrechts berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der neueren medizinischen, kriminologischen und soziologischen Forschung sind zu berücksichtigen. Herr Kollege Eyrich, es freut mich - Sie sitzen gerade neben Herrn Kollegen Vogel -, daß Sie das, was Herr Kollege Vogel bei der Haushaltsberatung gesagt hat, daß er gegen eine Verwissenschaftlichung der Politik ist, anscheinend nicht unterstützen. Ich bin der Meinung, daß es gerade die Aufgabe der Politiker ist, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, auch wenn damit manche überkommenen Vorstellungen widerlegt werden.
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- Es würde mich freuen, wenn wir insofern von einer einheitlichen Basis ausgehen könnten, auch hei Ihnen, Herr Kollege Vogel.
Eberhard Wahle weist in seinem Bericht zur Reform des Sexualstrafrechts darauf hin, daß die Kinsey-Reporte und die Vielzahl anderer Umfragen in der Intimsphäre deutlich machen, daß sich das Bild von der Sexualität und ihrer Einschätzung in der Gesellschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich gewandelt haben. Daß dieses gewandelte menschliche Sexualverhalten im westlichen Kulturkreis fast ausnahmslos nicht einfach als Ausdruck ungezügelter „Libertinage" oder bloßer Exzesse in der Sexualität zu verstehen sei, zeige vor allem eine Fülle wissenschaftlicher Forschungen und ethischer Bemühungen, die ein neues und vorurteilsloses Verständnis vom Wesen menschlicher Sexualität erheblich gefördert hätten. Diese Änderungen der soziologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten berühren sich mit dem zunehmendem Bemühen von Rechtswissenschaft und Praxis, moderne Grundsätze für eine Reform des Strafrechts im demokratischen Rechtsstaat pluralistischer Prüfung zu gewinnen.
Schon der Entwurf 1962 enthielt in seinem Abschnitt „Straftaten gegen die Sittlichkeit" Reformbestimmungen. Aber sie waren im wesentlichen eine bloße Sanktionierung der Rechtsprechung zum geltenden Recht und keine echte Reform. Sie führten, weil sie keine den heutigen Vorstellungen entsprechende Reform waren, zu erheblichen Diskussionen. Sie führten weiterhin .dazu, daß die Alternativ-Professoren ihre Reformvorstellungen veröffentlichten.
Genau wie bei den früheren Beratungen werden wir Freien Demokraten diese Vorschläge in die Beratungen im Ausschuß mit einbeziehen. Daß Unterschiede zwischen der Regierungsvorlage und den Vorschlägen der Alternativ-Professoren bestehen, ist natürlich bekannt.
Aber auch der 47. Juristentag im September 1968 hat sich mit diesen Problemen befaßt. Mit überwältigender Mehrheit hat er einen ganz ungewöhnlichen Schritt gemacht. Er sagte nämlich, daß die Empfehlungen, die die überwiegende Mehrheit damals ausgesprochen hat, den Gesetzgeber binden sollten. Diese Forderung ist in dieser Form wohl nicht ganz berechtigt. Aber sie mahnt uns doch, an dem, was auf diesem Juristentag behandelt, gesagt und beschlossen wurde, nicht vorüberzugehen. Das Gutachten von Hanack für diesen Juristentag - „Empfiehlt es sich, die Grenzen des Sexualstrafrechts neu zu bestimmen?" - sowie das Referat von Frau Dr. Just-Dahlmann und die übrigen Beiträge sind nach wie vor eine wertvolle Hilfe für unsere Beratungen in dem Sonderausschuß.
Bei dem Vergleich der verschiedenen Reformvorschläge kommt Wahle zu dem Ergebnis, daß, wenn auch in der Frage der Einzelausgestaltung eines neuen und modernen Sexualstrafrechts recht unterschiedliche Vorstellungen herrschten, doch im wesentlichen Einigkeit bestehe über die Grundsätze einer am Gedanken der Strafbedürftigkeit und nicht der Strafwürdigkeit orientierten Reform. Übereinstimmend wird von allen eine strenge Trennung der Funktionen von Recht und Moral sowie eine abwägende Berücksichtigung der Effektivität von Strafvorschriften gefordert und eine Pönalisierung bloß unsittlichen Verhaltens ohne Schädigungen oder zumindest gravierende Gefährdungen im sozialen Bereich verworfen.
Der Bundestag sollte sich in seinen Beratungen und bei seinen endgültigen Beschlüssen die Grundsätze des 47. Juristentages zu eigen machen, die folgendermaßen lauten:
Eine solche Reform des Sexualstrafrechtes hat sich im freiheitlichen Rechtsstaat auf die Pönalisierung sozialschädlichen Verhaltens zu beschränken und die Trennung der Funktionen von Moral und Recht zu beachten; sie darf dabei insbesondere nicht an der Frage vorbeigehen, ob eine Strafbestimmung wegen gefährlicher Nebenwirkungen nicht vielleicht mehr Schaden als Nutzen stiftet, ob sie prozessual und personell durchzusetzen ist und ob alle Wege ausgeschöpft sind, die sich außerhalb des Strafrechts zur Abwehr bieten. Dabei ist auch den Möglichkeiten des Fürsorgerechts und eines vom Kriminalrecht abgesplitterten Ordnungswidrigkeitenrechts oder ähnlichen Regelungen stärkere Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich verweise im Zusammenhang mit den Problemen der Pornographie insofern gerade auf die Gewerbeordnung, die sehr wirksame Maßnahmen treffen kann, ohne daß eine Pönalisierung in bestimmten Bereichen zu erfolgen braucht.
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Eine Reform unter solchen Gesichtspunkten birgt Probleme und hat Konsequenzen, die in der Bundesrepublik bislang kaum bedacht und in Parlament oder Öffentlichkeit fast durchweg nicht einmal im Ansatz diskutiert worden sind. Eine Durchführung der Reform verlangt daher zunächst eine sorgfältige Unterrichtung der Bevölkerung.
So damals der Juristentag.
Leider haben wir in den letzten Wochen etwas ganz anderes erlebt. Wir haben erleben müssen, daß eine gesteuerte Aktion eingesetzt wurde, die offensichtlich von völlig falschen Vorstellungen über die Reform ausgegangen ist.
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Auf die Zuschriften, die ich bekomme und die sich dagegen wenden, daß 13jährige Kinder sexuelle Schriften zugesandt bekommen und daß diese Überflutung mit perverser, masochistischer und sadistischer Pornographie vorhanden ist, kann ich immer nur antworten: Ich stimme mit Ihnen in Ihren Beanstandungen vollkommen überein. Gerade weil dies so ist, ist es notwendig, daß wir hier zu einer Reform kommen, um die Dinge wieder in den Griff zu bekommen.
Der Juristentag sagt dann weiter, diese eingehende sorgfältige Unterrichtung sei notwendig, um den überkommenen Emotionen zu begegnen. Von der juristischen Praxis erfordert sie ein erhebliches Umdenken sowie die Abkehr von manchen traditionellen Simplifizierungen und Aspekten moralischer Selbstgefälligkeit. Der Rechtswissenschaft stellt sie Pflichten, die diese überwiegend lange genug vernachlässigt hat. Diese Grundsätze, im Jahre 1968 ausgesprochen, sind heute so aktuell wie eh und je. Ihre Notwendigkeit hat sich ganz besonders gezeigt.
Der Herr Bundesjustizminister hat schon dargelegt, daß nicht nur das deutsche Recht reformiert wird, sondern daß auch im Ausland überall entsprechende Reformbestrebungen vorhanden sind. Insofern sind auch die Grundsätze von größter Bedeutung, die in dem Entwurf des American Law Institute ausgesprochen sind. Dieses Beispiel aus einem anderen Kontinent, wenn auch westlicher Prägung, zeigt, wie übereinstimmend die Probleme heute beurteilt werden. In diesem Entwurf heißt es:
Wir schließen aus dem Kriminalrecht alle sexuellen Handlungen aus, die keine Gewaltanwendung, keine Schädigung Minderjähriger durch Erwachsene enthalten oder nicht öffentlich begangen werden. Maßgeblich hierfür sind die folgenden Gründe:
eine Schädigung weltlicher Interessen der Gesellschaft fehlt bei atypischen sexuellen Verhaltensweisen von zustimmenden Partnern im Privaten. Der Bereich der privaten Moral gehört zur andersartigen Zuständigkeit geistlicher Autoritäten.
Und später heißt es:
Im Falle unerlaubter heterosexueller Beziehungen wird das bestehende Recht im wesentlichen nicht eingehalten.
Das bezieht sich natürlich auf das amerikanische Recht. Aber wir können es heute auch vielfach bei uns feststellen.
Es besteht auch keine reale Aussicht, dies zu erreichen, soweit es sich nicht um Fälle der Gewalt, des Mißbrauchs von Minderjährigen oder um Erregung öffentlichen Ärgernisses handelt. Bestimmungen, die darüber hinausgehen, führen zu einer willkürlichen Auswahl weniger Verfolgungsfälle und dienen vorzugsweise den Interessen von Erpressern. Strafandrohungen schrecken weiter wahrscheinlich auch Personen davon ab, psychiatrische oder andere Hilfe für ihre emotionalen Probleme zu suchen.
Gerade das ist die Frage, die auch uns im Zusammenhang mit der Strafbarkeit des Exhibitionismus beschäftigen muß.
Sicher ist eine Verurteilung und ein Freiheitsentzug einer Heilung nicht förderlich. Letztlich geht es, solange ein Mensch andere nicht schädigt, um die fundamentale Frage des jedermann gebührenden Schutzes gegen staatliche Einmischung in seine privaten Angelegenheiten.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen haben die Verfasser des Alternativ-Entwurfs gesagt, daß ein Gesetzbuch, das sich mit der Pönalisierung gravierenden sozialschädlichen Verhaltens begnügt, nur zwei große Fallgruppen unter Strafe zu stellen braucht: Angriffe auf die Jugend, soweit diese Jugend dadurch in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden kann, und Angriffe auf Erwachsene, soweit dabei Gewalt oder gravierende Formen von Nötigung angewendet werden oder ein Mißbrauch Wehrloser vorliegt.
Ich habe es für richtig gehalten, diese Grundsätze noch einmal herauszustellen, weil ich auf Grund der Ausführungen des Herrn Kollegen Eyrich doch nicht die Hoffnung aufgegeben habe, daß wir bei den Beratungen im Sonderausschuß von diesen Grundsätzen, die nicht nur auf Deutschland beschränkt sind, sondern, wie es scheint, in der westlichen Welt allgemein Gültigkeit bekommen sollen, ausgehen können. Die im Augenblick noch bestehende Kluft zwischen unseren sogenannten Straftaten gegen die Sittlichkeit - ich begrüße es außerordentlich, daß jetzt klar und deutlich von Sexualstrafrecht gesprochen wird - und dem, was als kriminell zu bestrafen allgemein angesehen wird, kann nicht weiterhin bestehenbleiben. Es wurden schon einzelne Beispiele angeführt.
Ich begrüße es weiterhin, daß sowohl vom Herrn Bundesjustizminister als auch vom Kollegen MüllerEmmert klar herausgestellt wurde, daß dieses Gesetz nicht aus einem einzigen Paragraphen, dem Pornographie-Paragraphen, besteht. Ich erlebe es sogar in Gesprächen mit Journalisten, daß sie überrascht sind, daß auch noch andere Straftaten behandelt werden, die für die Reform tatsächlich von einer
wesentlich größeren Bedeutung sind als die Pornographie.
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Wir begrüßen weiter - dazu wird Herr Kollege Kleinert noch Stellung nehmen - die neue Bestimmung über die Gewalttätigkeit, den neuen § 131. Wir begrüßen auch die Tendenz: Schutz der Jugend. Wir begrüßen es, daß die Intimsphäre des einzelnen gegen unliebsame Zusendungen geschützt werden soll.
Ich möchte auf noch etwas hinweisen, ohne weiter auf das Pornographie-Problem einzugehen, das aber ein typisches Beispiel dafür ist. Es ist ein Aberglaube, zu meinen, man brauche nur ein Strafgesetz zu schaffen, und dann werde es nachher schon entsprechend funktionieren. Das ist einfach nicht der Fall. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, nur Strafgesetze zu schaffen, sondern wir müssen uns auch überlegen, wie wir unliebsame Zustände auf andere Art und Weise beseitigen können.
Zum Schutz der Jugend bzw. der Kinder. Herr Müller-Emmert hat schon darauf hingewiesen, daß unsere Jugend, unsere Kinder heute in gewissen Abhängigkeitsverhältnissen sind, zunächst natürlich im Elternhaus. Mich bedrückt außerordentlich, daß wir erleben, wie schutzlos die Kinder ihren eigenen Eltern gegenüber sind. Es bedrückt mich immer aufs äußerste, wenn ich erfahre, in welchem Umfang strafbare Kindesmißhandlungen - von Eltern gegenüber ihren eigenen Kindern - vorkommen.
Im Zusammenhang mit der Reform ist diese Abhängigkeit, dieses Ausgeliefertsein der Kinder gegenüber ihren Eltern natürlich bei der Frage der Blutschande zu berücksichtigen, ein Problem, das nicht so einfach ist. Wir werden uns mit dieser Problematik wohl auch in neuen Sachverständigenanhörungen eingehender befassen müssen. Beim Hearing kam klar zum Ausdruck, daß dies für Mädchen, die von ihren Vätern oder Stiefvätern mißbraucht werden, ein schweres Schicksal ist, das sich besonders zeigt, wenn sie sich vom Elternhaus lösen wollen. Dann ist da auch noch die Frage des Geschwisterinzests. Normalerweise besteht eine Inzestscheu zwischen Geschwistern; das hat die Wissenschaft erkannt. Diese Probleme müssen wir noch eingehend behandeln.
Ich möchte auf etwas hinweisen, was heute noch nicht angesprochen wurde, nämlich auf die Frage, wie sich die Entwicklung unserer heutigen Jugend auf das Schutzalter auswirkt. Wir können sie ja nicht unbegrenzt schützen. Wie ist es mit dem Alter von 16 Jahren bei der Verführung? Bei diesem Tatbestand ist im Alternativ-Entwurf dasselbe Schutzalter wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Einige Tatsachen haben mir beim Hearing zu denken gegeben. Es gibt Untersuchungen darüber, wann sexuelle Handlungen von Jugendlichen oder Kindern beginnen. An diesen Untersuchungen können wir nicht vorbeigehen. Sie haben ergeben, daß sexuelle Handlungen vielfach - ich sage in diesem Fall: leider - schon bei Jugendlichen unter 16 Jahren vorkommen, nicht bei einem sehr großen
Prozentsatz, aber auch nicht bei einem unwesentlichen Prozentsatz. Es kommt hinzu, daß die Initiative zur sexuellen Handlung bei den Jugendlichen heute keineswegs immer von den Jungen ausgeht, sondern ungefähr in gleichem Maße von den Mädchen. Wie kann man das beim Tatbestand der Verführung gegebenenfalls berücksichtigen? Sie kennen sicher den berühmten Roman „Lolita" ; Ihnen wird wenigstens in großen Zügen bekannt sein, worum es sich dabei handelt. Ich habe den Eindruck, daß es auch bei uns Lolitas gibt. Diese Probleme der biologischen Reife spielen für das Schutzalter eine Rolle.
Ist es auf der anderen Seite wirklich notwendig, einen Schutz gegebenenfalls bis zu 21 Jahren auszudehnen? Was ich heute an Selbständigkeit unserer Jugend erlebe, spricht eigentlich nicht sehr dafür. Solche Abhängigkeitsverhältnisse sind heute nicht mehr in dem Umfang wie früher gegeben. Ich spreche jetzt auch von den anderen Abhängigkeitsverhältnissen, die im Entwurf mit angesprochen sind und bei denen es sich um Abhängigkeit von Erwachsenen handelt. Arbeitnehmer und Untergebene haben heute ganz andere Möglichkeiten, sich gegen Mißbrauch der Abhängigkeit zu wehren; wir haben Disziplinarverfahren, wir haben die Möglichkeit von Beschwerden usw. Hier muß abgegrenzt werden, wie weit eine Pönalisierung wirklich noch notwendig ist oder ob man mit anderen Bestimmungen auskommt.
Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Reform des Sexualstrafrechts von der Materie her für uns nicht gerade ein erfreuliches Kapitel ist. Zu diesen unschönen sozialen Verhältnissen, mit denen wir uns befassen müssen, gehört nicht nur die Pornographie, sondern auch die Prostitution. Es ist nun eine Erfahrung durch die Jahrtausende: man konnte so viele Gesetze machen, wie man wollte - von den Wandmalereien in Pompeji bis in die heutige Zeit hat man immer wieder Pornographie erlebt. Bei der Prostitution ist das genauso. Hier gilt es zu sehen, wie man das in einer vernünftigen Weise regelt.
Ich wehre mich gegen die doppelbödige Moral, die wir zur Zeit in unseren Gesetzen haben, nämlich auf der einen Seite absolutes Bordellverbot, auf der anderen Seite Eroszentren, die von den Kommunen gefördert und aus bestimmten gesundheitspolizeilichen und allen möglichen sonstigen Gründen gewünscht werden. Ich finde, mit einer solchen doppelbödigen Moral sollten wir in diesem Zusammenhang Schluß machen.
Zur Prostitution kommen die Probleme der Zuhälterei. Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben, als uns gegebenenfalls mit den facherfahrenen Vertretern der Kriminalpolizei von der Davidswache in Hamburg oder aus anderen Städten in Verbindung zu setzen, um zu hören, welche diesbezüglichen Formen pönalisiert werden müssen. Es sind auch neue Probleme wie z. B. bei den Callgirls entstanden.
Eine grundlegende Reform muß natürlich auch im Zusammenhang mit der Kuppelei erfolgen. Es darf
einfach nicht dabei bleiben, daß Eltern in folgendem Fall wegen schwerer Kuppelei bestraft werden: Der minderjährige Sohn hat ein Verlöbnis mit einem minderjährigen Mädchen. Bevor sie heiraten können, ist ein Kind unterwegs. Der junge Mann hat, weil er noch nicht 21 Jahre alt ist, einen entsprechenden Antrag auf Volljährigkeitserklärung gestellt und wohnt mit dem Mädchen, da sein Zimmer gekündigt wurde, im Haus der Eltern. Dort sollen sie auch nach der Heirat wohnen. Es ist einfach unmöglich - ich hoffe, daß insofern auch die Zustimmung der CDU/CSU zu erhalten ist -, daß diese Eltern nachträglich, nachdem die Ehe geschlossen und das Kind geboren wurde, wegen schwerer Kuppelei bestraft werden.
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Schwieriger ist das Problem der Ehegattenkuppelei zu beurteilen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Das sind natürlich Grenzfragen, bei denen zu prüfen ist, ob eine Sozialschädlichkeit vorliegt oder nicht. Ich gebe Herrn Kollegen Eyrich recht, daß sich eine allgemeine Definition dessen, was sozialschädlich ist, kaum wird finden lassen. Die Frage nach der Sozialschädlichkeit wird im Zusammenhang mit dem einzelnen geschützten Rechtsgut beantwortet werden müssen. Dabei ist abzuwägen, ob nicht mit einer Strafverfolgung des Ehegatten, auch wenn sie ein ethisch zu mißbilligendes Verhalten an den Tag legen, mehr Schaden gestiftet wird; denn meistens ist eine solche Maßnahme in kleineren Städten mit der Vernichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Es ist also zwischen einem moralisch sicherlich nicht zu billigenden Verhalten und den Auswirkungen einer kriminellen Strafe abzuwägen. Sie sehen, das ist eine Fülle von Problemen, die uns im Sonderausschuß vor nicht leichte Aufgaben stellen werden.
Die Freien Demokraten haben sich vor der Wahl 1969 für das Strafrecht zu folgendem Grundsatz bekannt: „Das Strafrecht dient dem Schutz des Bürgers, nicht seiner Kontrolle; nicht Sünden und Unmoral sollen bestraft werden, sondern Verbrechen." Wir werden uns in diesem Sinne bei den Einzelberatungen verhalten. Wir werden weiterhin bei jeder einzelnen Bestimmung prüfen, ob tatsächlich ein Verbrechen bzw. ein Vergehen vorliegt, und ob man nicht gegebenenfalls mit der Gewerbeordnung, mit Verwaltungsvorschriften, mit anderen Maßnahmen unliebsame Zustände beseitigen kann.
Schließlich möchte ich insoweit noch auf die Kinder hinweisen. Gerade wenn ich an das Problem der Blutschande denke, meine ich, wir sollten uns auch überlegen, wie gegebenenfalls mit rechtzeitigen Sozialhilfemaßnahmen die Kinder geschützt werden können. Es kann nicht so sein, daß, wenn der Vater nach einer Freiheitsstrafe zurückkommt, das Kind noch im Hause ist. Es ist besser vorzubeugen als nachher zu bestrafen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 45 Minuten für ihn erbeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist verschiedentlich schon darauf hingewiesen worden, daß der § 184 des Strafgesetzbuches, also die Frage des Verbots der Pornographie, in den Brennpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung geraten ist, wesentlich stärker als andere Bestimmungen der Strafrechtsreform. Ich will mich mit dem Herrn Bundesjustizminister gar nicht darüber streiten, daß es - unter rechtspolitischen Gesichtspunkten - vor allem im Allgemeinen Teil durchaus bedeutendere Probleme gibt. Trotzdem glaube ich, es ist nicht sinnlos, daß nun gerade dieser Punkt in der Öffentlichkeit so viel Aufsehen erregt; denn hier stoßen in einer Weise, die der letzte Mann und die letzte Frau begreifen, Recht und Sitte zusammen, und hier werden Folgen, die im ganzen Lande spürbar werden, sichtbar.
So ist es auch kein Komplex, wenn sich die Opposition diesem Problem zuwendet und ich hierzu spreche; andere Parteifreunde werden zu anderen Fragen sprechen. Vielmehr ist es eben die Pflicht der Opposition, den Protest des Volkes zu formulieren und der Regierung zur Kenntnis zu bringen sowie zu versuchen, die Volksmeinung durchzusetzen, wobei wir ja inzwischen zwar keinen vollen Erfolg, aber mit der Wandlung der Bundesregierung doch einen Teilerfolg feststellen konnten.
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert hat ja vorhin ein Plädoyer für die Freigabe der Pornographie gehalten, obwohl der Minister vorher gesagt hatte, daß es sich um eine Freigabe gar nicht handele.
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- So war Ihre Rede ganz klar aufzufassen, Verehrtester!
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Außerdem hat Herr Kollege Dr. Müller-Emmert behauptet, der Justizminister habe sich im Laufe der Zeit nicht selbst widersprochen. Da ich Sie lange Jahre kenne, zweifele ich nicht daran, daß das Ihre ehrliche Überzeugung ist; Sie sind historisch nur nicht hinreichend informiert. Als Musterbeispiel dafür darf ich Ihnen hier aus der heutigen „Münchner Abendzeitung", einem Organ, das bestimmt weit links von der Christlich-Demokratischen und der Christlich-Sozialen Union steht, eine Passage vorlesen, die unter der Überschrift „Die PornoDebatte" steht:
Im Januar 1970 plädierte Bundesjustizminister Gerhard Jahn für eine Streichung des § 184, der die Verbreitung von pornographischen Erzeugnissen unter Strafe stellt. Seitdem ist viel geschehen. Wenn heute im Bundestag die Debatte über die Porno-Freigabe beginnt, sitzt ganz sicher einer unglücklich auf der Regierungsbank: Bundesjustizminister Gerhard Jahn.
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Und dann wird darauf hingewiesen, daß diese Reform nicht aus Geldmangel nicht im Sinne der Regierung laufe, sondern es sei ein Nachgeben gegenüber der Volksmeinung.
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Nun, meine Damen und Herren, ich will es noch genauer sagen. Am 11. Januar 1970 hat Herr Minister Jahn dem Hessischen Rundfunk ein Interview gegeben, und nach einer damals überall verbreiteten dpa-Meldung hat er sich dafür ausgesprochen, den § 184 zu streichen. Das Interview selbst ist nirgendwo mehr aufzutreiben, aber in meinen Unterlagen fand ich aus einer anderen Münchner Zeitung, dem „Münchner Merkur" vom 21. März 1970, einen Leserbrief, den nicht etwa die Pressestelle des Justizministeriums, sondern Minister Jahn persönlich dorthin geschrieben hat. Und da heißt es:
In diesem Zusammenhang habe ich mich in einem Interview im Hessischen Rundfunk zur Frage der Reform des § 184 dahin geäußert, ich hätte keine Bedenken, diese Strafvorschrift zu streichen.
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Jetzt, an diesem Punkte, schränkte er es schon ein klein wenig ein, indem er sagte, man müsse sich dann allerdings bei den Beratungen damit befassen, ob eind Streichung die richtige Lösung sei. Nun, meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für eine Rechtspolitik, bei der der verantwortliche Minister einerseits etwas streichen will, sich aber andererseits noch gar nicht richtig überzeugt hat, ob er es auch wirklich streichen kann? Hier ist wieder einmal die Führungsaufgabe der Regierung völlig verkannt.
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Im übrigen, meine Damen und Herren, haben wir auf diesem Gebiet eine Umkehrung der Motive. Im Regierungsentwurf wird nur davon gesprochen, daß das Pornographieverbot eingeschränkt wird und daß die Freiheit des Staatsbürgers geschützt werden muß. Es wird ausdrücklich gesagt, daß es einen lückenlosen Jugendschutz gar nicht geben könne, und daß man ihn nicht wolle. Als der Bundesrat seinen Beschluß durchbrachte, der auch der Überzeugung meiner Fraktion entspricht hat die Bundesregierung darauf geantwortet, ihr Vorschlag sei nur eine Diskussionsgrundlage. Das heißt, sie hat sich in die Neutralität geflüchtet. Nunmehr, bei der Formulierungshilfe, wie wir aus dem Bulletin am Montag erfahren haben, hat sie in der Motivation, aber keineswegs im vorgeschlagenen Text des Rechtes, die Argumente der Opposition zu einem großen Teil übernommen. Ich habe von einem sozialdemokratischen Justizminister noch nie so viel über die Bedeutung der Sitte für das Recht gehört wie heute aus dem Munde des Bundesjustizministers. Das ist sicherlich erfreulich. Wir wollen den Lernprozeß der Regierung fördern, zumal der größere Teil der Erkenntnis noch vor ihr liegt.
({6})
Aber, meine Damen und Herren, ich frage mich: Wie weit ist dieser Lernprozeß echt, wie weit ist er taktisch bedingt? Herr Minister Jahn also war ursprünglich für die Freigabe. Herr Kollege Hirsch hat dies wie neulich zitiert wurde, auch ausgesprochen. Herr Dr. Müller-Emmert ist immerhin in dieser Richtung stark engagiert. Aber das Allerdeutlichste hat uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Herr Bayerl, gesagt. Er hat im „Spiegel" vom 24. 8. 1970 auf die Frage: „Sie hätten also nichts dagegen, wenn der Porno-paragraph fiele?" geantwortet: „Nein." - Das ist wenigstens lapidar, eindeutig und klar! Aber es kommt noch viel schöner. Als man ihm sagte, der Abgeordnete Hirsch sei doch für die Abschaffung, und wie er darüber denke, sagte Herr Staatssekretär Bayerl: „Da soll er" - gemeint ist Herr Hirsch -„sich mal im Ausschuß durchsetzen. Ich bin schließlich auch für die Streichung eingetreten. Aber um die Sexualreform überhaupt durchzubringen, brauchen wir Mehrheiten, auch in unserer eigenen Fraktion und nicht nur bei den Juristen. Wir müssen eben auf Zeit noch einige Gemüter beruhigen.
({7})
Wir kriegen doch waschkörbeweise jeden Tag im Justizministerium Briefe wegen dieses elenden § 184."
({8})
Meine Damen und Herren, ich frage mich: Ist die Formulierungshilfe, die durch das Bulletin der gesamten Öffentlichkeit nun mitgeteilt worden ist, wenn auch nicht direkt den Abgeordneten, eine echte Konversion des Bundesministers oder spielt er - wie sein Staatssekretär - auf Zeitgewinn, um später eine noch größere Reform. d. h. dann eben die ursprünglich geforderte volle Freigabe durchzusetzen? Darauf möchten wir eine Antwort.
({9})
Nun hat Herr Minister Jahn heute wieder das gesagt, was auch in der Diskussion sonst schon immer erklärt wurde. Er hat nämlich auf seinen Standpunkt hingewiesen, das bisherige Recht sei zwar weitgehend und decke mehr oder minder alles ab, aber es sei nicht praktikabel, es geschehe ja nichts, und man sehe, daß man mit Hilfe dieses Rechtes nicht durchkomme. Man müsse also das Verbot der Pornographie einschränken, damit es wirksamer werde.
Meine Damen und Herren, das kommt mir so vor, als ob wir deswegen, weil die Dunkelziffer bei Diebstählen höher ist als die Zahl der Verurteilten, nur den Diebstahlparagraphen abschaffen oder einschränken wollten.
({10})
Kein vernünftiger Mensch kommt auf diesen Gedankengang. Wenn ein Gesetz nicht durchgesetzt wird, liegt das an der Schlappheit der zuständigen Organe und keineswegs daran, daß dieses Gesetz nicht ausreicht.
({11})
Und was ist mit den zuständigen Organen? Meine Damen und Herren, ich will es mal ganz deutlich sagen. Einer der besten Richter unserer Zeit, der langjährige Nürnberger Oberlandesgerichtspräsident Theodor Haut, hat es „die Resignation der Gesellschaft vor dem Unrecht" genannt.
Warum resigniert die gesamte Gesellschaft? Warum resignieren damit auch Staatsanwaltschaft und Polizei vor dem Unrecht? Weil seit eineinhalb Jahren, seit man feststellt, daß diese Resignation eingetreten ist, vom Bundesjustizministerium immer Ankündigungen kommen, daß das ja alles gar nicht mehr strafbar sei, daß die Strafbarkeit bald abgeschafft, mindestens eingeschränkt werde, und daß man diesen ganzen Fragen keine so große Bedeutung beimesse. Natürlich kann der Herr Bundesjustizminister sagen, er sei nicht der Vorgesetzte der Staatsanwaltschaften; denn das sind die Landesjustizminister. Aber eben wenn sich der Richter, wenn sich der Staatsanwalt, wenn sich auch der Landesjustizminister sagt, das Gesetz wird ja bald nicht mehr bestehen, hat er natürlich Hemmungen, noch strafend einzugreifen. Außerdem ist diese Atmosphäre, in der der Verzicht auf die Durchführung des staatlichen Gesetzes wachsen konnte, künstlich geschaffen von bestimmten Organen, zuallererst vom Herrn Bundesjustizminister mit seiner angeblich liberalen, auf diesem Gebiet aber libertinistischen Rechtspolitik.
({12})
Gerade weil der Bundesjustizminister nicht die Möglichkeit hat, selbst Weisungen an Staatsanwaltschaften zu geben, hat er - darauf hat Radbruch in seinen Erinnerungen deutlich genug hingewiesen -, die Aufgabe der geistigen Führung in der Justizpolitik. Hier liegt die geistige Führung eben auf der falschen Seite. Wenn diese Regierung und ihr Justizminister in der Öffentlichkeit wieder mit aller Klarheit auf die Durchführung der staatlichen Gesetze drängten, würde sich auch in den Staatsanwaltschaften die Stimmung ändern.
({13})
Was nun die Formulierungshilfe betrifft, die nicht auf dem Tisch des Hauses liegt, die aber nun in der Diskussion ist, so ist bei dem neuen § 131 - ob man den alten fallenlassen kann oder nicht, mag dem Ausschuß überlassen bleiben; das gehört nicht in die erste Lesung; ich vermute, daß er, so wie er formuliert war, im Hinblick auf die praktische Durchseztbarkeit nicht so sehr von Bedeutung gewesen ist; er betraf ja eine bestimmte Art des Staatsschutzes - der eine Teil alt und der andere Teil neu. Alt ist, daß die Darstellung der sexuellen Gewalttätigkeit verboten sein soll; neu ist, daß auch die Darstellung aller übrigen Gewalttätigkeit verboten sein soll, und hierin stimmt meine Fraktion zu, weil wir der Meinung sind, daß der Schund mindestens so gefährlich ist wie der Schmutz.
({14})
- Wenn einmal diese Regierung ausnahmsweise ein Gesetz verschärft, das gegen Gefahren unserer Zeit benötigt wird, wird sie darin von uns unterstützt werden. - Herr Kollege Vogel!
Bitte schön.
Herr Kollege Jaeger, würden Sie, nachdem in dem heute schon wiederholt zitierten Leitfaden darauf hingewiesen wird, daß mit diesem § 131 erstmals solche Signale auch gegen öffentliche Darstellungen von Brutalität gesetzt werden, den Herrn Bundesjustizminister und die Kollegen von den Koalitionsfraktionen vielleicht darauf hinweisen, daß in dem Gesetz gegen jugendgefährdende Schriften aus dem Jahre 1961 eben das bereits enthalten ist.
({0})
Sie haben recht, und das sicherlich mehr als ein Signal.
Meine Damen und Herren, daß diese Formulierungshilfe über den Regierungsentwurf hinausgeht - Bitte, Frau Kollegin Diemer-Nivolaus.
Herr Kollege Jaeger, ist Ihnen bekannt, daß Indizierungsanträge bei Schundheften, die die Gewalt verherrlichen und die Sie mit Recht kritisieren, leider nur sehr wenig gestellt wurden im Vergleich zu jenen Heften, die sich mit Sexualproblemen befassen?
Die Frage ist wohl eigentlich an den Kollegen Vogel gerichtet. Ich sehe es seinem Gesicht an, daß ihm der Vorgang bekannt ist.
({0})
- Das ist ja nun nach der Geschäftsordnung nicht möglich.
Ganz sicher geht die Formulierungshilfe im Verbot weiter als der Regierungsentwurf, der praktisch eine Abschaffung des Verbots bedeutet hat. Aber sie geht doch bei weitem nicht so weit, wie es das geltende Recht tut. Ich will gar nicht auf Einzelheiten eingehen, etwa darauf, daß der § 6 des Gesetzes gegen jugendgefährdende Schriften gestrichen und damit ein Vergehen zu einer Ordnungswidrigkeit abgewertet wird und dergleichen mehr. Das alles mag im Ausschuß erörtert werden. Ich möchte nur sagen: verboten ist es, nach dieser Formulierungshilfe, die Gewalt, die Unzucht mit Kindern und die Unzucht mit Tieren darzustellen. Das bleibt verboten. Erlaubt ist, jede noch so sexuell aufreizende Koitusszene darzustellen, die Homosexualität, die lesbische Liebe, sämtliche Perversitäten, den Gruppensex und, was immer besonders „geschmackvoll" ist, den Sex mit Leichen. Letzteres ist insoweit ein besonderes Problem, als die Tatbestände der Homosexualität und der Sodomie nun einmal durch die Gesetzgebung des letzten Bundestages freigegeben sind, aber die Leichenschändung immer noch ein Delikt ist und wahrscheinlich auch unter diesem Bundesjustizminister ein Delikt bleiben wird. Die Darstellung eines Delikts ist hier also auch noch erlaubt!
Ich glaube, hier sind die Grenzen eben nicht so gezogen, wie sie gezogen werden müssen. Wir bleiben bei der Formulierung des Bundesrates, der auch die Darstellung dessen, was ich hier aufgeführt habe, verboten wissen will.
Damit komme ich natürlich, wenn ich hier das Strafrecht betrachte, auf das interessante und differenzierte Gebiet des Verhältnisses von Recht und Ethik. Sicherlich besteht zwischen Recht und Moral keine Identität. Das war schon Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert bekannt und wurde hier in diesem Hause schon mehrfach angesprochen. Der Staat kann nicht von der Ethik allein leben; er braucht auch das Recht. Und ein Recht kann nicht ohne Ethik leben, denn sonst würde ihm die innere Kraft zur Durchsetzbarkeit fehlen. Ich glaube, die Grundprinzipien einer vernünftigen Ethik, wie sie unser Grundgesetz, von der Würde des Menschen ausgehend, aufzeigt, sind sachgerecht, weil sie dem Menschen gerecht werden.
Sicherlich beurteilen Recht und Moral Vorkommnisse unter verschiedenen Gesichtspunkten. Aber sie sind voneinander abhängig. Sehen Sie doch nur unser Recht an: Treu und Glauben, unterlassene Hilfe, zumutbare Sorgfalt, gute Sitten - das sind doch alles Begriffe, die auf die Ethik als Maßgabe für Rechtsentscheidungen verweisen.
({1})
Die wichtigste Bestimmung in diesem Zusammenhang ist Art. 2 GG, der ausdrücklich das Sittengesetz als die Grenze der menschlichen Freiheit anerkennt und postuliert.
Die Sitte ist ohne das Recht hilflos. Das Recht wäre aber ohne Moral leer und wirkungslos. Recht und Ethik sind unausrottbare Gegebenheiten des Menschseins und der Gemeinschaftsordnung. Unser Staat braucht nicht nur das Recht; er braucht auch die Ethik. Denken Sie an die Steuermoral. Der Staat ist doch darauf angewiesen, daß der Bürger von der Pflicht, zu zahlen, nicht nur durch Strafmaßnahmen, sondern von innen heraus überzeugt ist.
({2})
Denken Sie an das verkehrsgerechte Verhalten, das ohne eine ethische Einstellung der Teilnehmer am Straßenverkehr gar nicht denkbar wäre. Denken Sie an den Wehrdienst, der von unseren jungen Männern doch nicht geleistet wird, weil sie sonst bestraft würden, sondern deshalb, weil sie die sittliche Verpflichtung, dem Staat zu dienen und die Freiheit zu verteidigen, anerkennen.
({3})
- Nein, Recht u n d Ethik, sagte ich. Für diejenigen, die keine ethische Grundlage haben, brauche ich die Strafbarkeit. Es wäre traurig, wenn man bei allen Wehrpflichtigen auf die Strafbarkeit angewiesen wäre, um die Ableistung des Wehrdienstes durchzusetzen. Das ist doch nur bei einer kleinen Minderheit nötig.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist tatsächlich ein Problem unseres heutigen demokratischen Staates, daß man die ethische Seite der Verpflichtung des Staatsbürgers gegenüber seinem Staat nicht immer mit der notwendigen Deutlichkeit betont. Die Weimarer Verfassung enthielt einen Katalog der Pflichten und Rechte der Deutschen, und zwar in dieser Reihenfolge: Zuerst kamen die Pflichten, wie es so im Leben des Menschen praktisch ist, und dann die Rechte. Im Grundgesetz ist es - ich glaube, mit Recht umgekehrt. Es wurde sozusagen die philosophische Wertordnung hergestellt, indem zuerst von den Rechten und dann von den Pflichten die Rede ist. Ich habe aber manchmal den Eindruck, daß heute in der Öffentlichkeit über den Rechten des Staatsbürgers die Pflichten überhaupt vergessen werden.
({5})
Das wäre gefährlich für die Existenz dieses Staates. Weder das Bewußtsein der Rechte noch das Bewußtsein der Pflichten darf verkümmern. Dieser Staat braucht ein klares Recht und ein lebendiges Ethos.
Die Christlich Demokratische Union hat unter Nr. 117 ihres Parteiprogramms, das sie in Düsseldorf vor kurzem beschlossen hat, festgehalten:
Die Gebote der Sittlichkeit verpflichten das Gewissen des einzelnen. Sie sind ein Maßstab für die Gesetzgebung, bedürfen aber nicht immer des strafrechtlichen Schutzes.
Diese Erklärung der Christlich-Demokratischen Union, die genauso für die Christlich-Soziale Union gelten könnte, stellt die Bedeutung der Sittlichkeit und die Grenzen ihrer Strafbarmachung in eindeutiger Weise klar. Meine Damen und Herren, wir denken doch gar nicht daran, hier Maximalforderungen irgendeiner konfessionellen Moral durchzusetzen. Niemand denkt daran. Herr Professor Böckle - der Herr Bundesjustizminister hat ihn heute zitiert hat erklärt, daß nur fundamentale Fragen pönalisiert werden dürften. Ich kann dazu nur sagen, daß eben jener Professor Böckle für die Beibehaltung der Pönalisierung der Pornographie eintritt, weil er dies für eine fundamentale Frage hält.
({6})
Es „kann nicht darum gehen, in der staatlichen Gesetzgebung spezifische Moralvorstellungen von Religionen oder Weltanschauungen rechtlich zu fixieren. Es geht vielmehr darum, den sittlichen Wertvorstellungen von allgemeiner Gültigkeit Gehör zu verschaffen und damit einer Selbstzerstörung von Staat und Gesellschaft zu wehren, die unvermeidlich aus dem Verzicht auf einen Grundbestand an sittlichen Uberzeugungen als verbindlicher Norm für die Gesellschaft und für die Gesetzgebung des Staates folgen würde." Ich habe ein Zitat verlesen. Es ist das Schlußwort aus jener
gemeinsamen Erklärung, die der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Landesbischof Dietzfelbinger und Kardinal Döpfner, verfaßt und veröffentlicht haben.
Ich glaube, die Tatsache, daß hier zum erstenmal seit 400 Jahren die beiden obersten Hirten der beiden christlichen Kirchen eine gemeinsame Verlautbarung herausgegeben haben, ist nicht nur ein erfreuliches Zeichen für den Weg, den diese beiden Kirchen aufeinander zugehen, sondern auch eine Mahnung für uns alle, der moralische stärkste Appell, der an dieses Haus gerichtet werden kann, auch an eine Partei, die so häufig von der Partnerschaft zwischen Staat und Kirche spricht.
({7})
Meine Damen und Herren, das Problem der Pornographie kann nicht ohne die Gesamtsituation unseres öffentlichen Lebens, die zweifellos im Zeichen einer gewissen Sexualisierung steht, besprochen werden. Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union leben nicht in der Plüschatmosphäre des viktorianischen Zeitalters. Wir wollen nicht Prüderie und bürgerliche Scheinmoral der Jahrhundertwende, wie sie etwa von Ibsen oder Ludwig Thoma auf die Bretter gebannt wurden, die die Welt bedeuten. Auch der Manichäismus des Mittelalters wird hei uns nicht wieder lebendig. Wir wissen, was sich gewandelt hat. Wir wissen, daß sich die Stellung der Frau in der Gesellschaft grundlegend gewandelt hat, damit sicherlich auch die Stellung der Frau in der Ehe, und wir bejahen dies. Wir bejahen die Erotik, da sie gottgewollt ist, und lehnen sie nicht ab. Aber wir wissen, daß das Sexualleben ein Teil des Gemeinschaftslebens der Menschen darstellt.
Der Gesundheitsbericht der Frau Bundesministerin Strobel weist darauf hin, daß das deutsche Volk in kommenden Jahrzehnten körperlich wahrscheinlich gesünder sein wird als in der Vergangenheit, aber mehr Psychosen haben dürfte als früher. Das sollte uns zu denken geben. Ich glaube, daß eine Hypertrophie des Sexuellen auch zu Psychosen führen wird, weil der normale Mensch dem gar nicht gewachsen ist.
({8})
Professor Jescheck hat im Hearing des Ausschusses
erklärt, wenn er sich die übertriebene Sexualisierung in der Öffentlichkeit ansehe, habe er manchmal
den Eindruck, als ob es im Leben des Menschen
überhaupt nur noch Sexualität gebe. - Das ist,
glaube ich, das Gefährliche.
Meine Damen und Herren, es gibt auch, wie derselbe Professor gesagt hat, andere Kulturwerte, um derentwillen sich das Leben des Menschen lohnt. Die Sexualität sperrt, wenn sie übertrieben wird, eben den Zugang zu den höheren Werten. Lassen Sie mich auch das mit einem Zitat sagen:
Wenn unsere Gesellschaft es nicht fertigbringt, die bekannten, teilweise unerträglichen Auswüchse auf vielen Gebieten auf ein erträgliches Maß zurückzuschrauben, mit und ohne Gesetze,
wenn Politiker nicht den Mut aufbringen, offen ihre Meinung zu sagen, weil sie fürchten, dann als rückschrittlich zu gelten, dann sehe ich, langfristig betrachtet, schwarz für den Bestand dessen, was wir abgekürzt unsere „Kultur" nennen.
Der Mann, der dies in einem Interview mit der ,,Neuen Ruhrzeitung" am 28. Oktober letzten Jahres gesagt hat, ist der Arbeitsminister Figgen des Landes Nordrhein-Westfalen, ein Sozialdemokrat. Deutlicher kann man es nicht sagen. Er hat hier ganz unsere Meinung zum Ausdruck gebracht.
({9})
Kollege Dr. Müller-Emmert hat nun gemeint, er könne die Tatsache, daß in Rom der Index glaubensgefährdender Schriften abgeschafft worden ist, als Beweis dafür anführen, daß man auch das Pornographieverbot aufheben solle. Abgesehen davon, daß es im Bereich der staatlichen Gesetzgebung nie ein Verbot glaubensgefährdender Schriften gegeben hat, solange dieses Grundgesetz gilt, hat er den zweiten Teil unterschlagen, nämlich die Tatsache, daß dieselbe Kirche, die mit Recht den Index glaubensgefährdender Schriften aufgehoben hat, weiterhin am Pornographieverbot festzuhalten wünscht. Warum? Lassen Sie es mich hier mit einem Zitat aus den Darlegungen des Professor Affemann aus Stuttgart sagen:
Von entscheidender Bedeutung für die Beantwortung der Fragen, die sich bei der Reform des Sexualstrafrechts stellen, ist die Richtigkeit des anthropologischen ... Ansatzes. Wir können hinter die Erkenntnis Siegmund Freuds nicht mehr zurück: Der Mensch ist ein überwiegend unbewußtes Wesen. Wie bei einem Eisberg liegen sechs Siebtel des menschlichen Seins unter der Oberfläche, ein Siebtel befindet sich darüber. Sechs Siebtel seines Seins sind dem Menschen folglich nicht bewußt. Diese Schichten kann er mit seinem Wissen nicht einsehen und mit seinem Willen nicht bestimmen.
Fragen der Glaubensgefährdung gehen an die Ratio und können von ihr beantwortet werden. Fragen der Aufwühlung des sexuellen Temperaments gehen in die sechs Siebtel, die nicht der bewußten Kontrolle unterliegen. Hier liegt die Gefahr vor allem für den jugendlichen Menschen.
({10})
- Herr Dr. Müller-Emmert!
Herr Kollege Jaeger, ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß das zunächst einmal bestehende Indexverbot den Sinn hatte, glaubensgefährdende Schriften von den gläubigen Christen abzuhalten, und daß das Pornographieverbot den Sinn hatte, zunächst einmal die Pornographie den Bürgern nicht zukommen zu lassen, weil sie sittengefährdend war, daß aber - jedenfalls nach Meinung der Verfasser des Strafgesetzbuches Dr. Müller-Emmert
nun, wenn das Indexverbot aufgehoben ist, die Katholische Kirche ein klares Ja zur Gläubigkeit des Christen sagt in dem Wissen, daß diese Schriften weiterhin gefährlich sind, und daß insofern eine Parallelität der Denkvorgänge besteht, als man dann auch dem Bürger so viel Mündigkeit zumuten darf, daß er solche Schriften bekommen kann? Darauf kommt es doch an, das ist doch die Parallelität.
Herr Dr. Müller-Emmert, diese Parallelität wird an der Stelle, auf die Sie sich offenbar beziehen, nicht gezogen, denn dort gibt man die glaubensgefährdenden Schriften frei; aber deshalb, weil der Mensch zu sechs Siebenteln aus Unbewußtheit besteht, verlangt man, daß weiterhin zumindest der jugendliche Mensch, aber auch die Öffentlichkeit, vor einer allzu großen Sexualisierung geschützt wird.
Lassen Sie es mich jetzt mit einer weltlichen Antwort sagen: Es ist nicht Aufgabe des Staates, den wahren katholischen oder evangelischen Glauben zu schützen - das müssen die Kirchen selbst tun -, aber es ist Aufgabe dieses Staates, das Sittengesetz zu schützen, denn das steht in Art. 2 des Grundgesetzes.
({0})
- Ich weiß nicht, ob Sie es logisch finden; mir erscheint es sehr logisch. Ihre Sache scheint mir dagegen durch Verschweigen der Hälfte nicht logisch zu sein.
({1})
Ich möchte aber nicht, daß Sie mir die immerhin knappe Redezeit mit einer persönlichen Diskussion wegnehmen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Supersexualisierung, die uns heute droht, einen Substanzverlust an humaner Gesinnung beinhaltet. Ein solcher Substanzverlust an humaner Gesinnung kann niemals ein Fortschritt sein. Da die Pornographie die exzellenteste Inhumanität ist, kann sie doch in Wahrheit niemand als Fortschritt bezeichnen. Wir wissen doch, daß die Sexwelle zur Pornowelle eskaliert, und wir wissen, daß die Steigerung innerhalb der Pornowelle aus Geschäftsgründen, weil nämlich das Alter nicht mehr anspricht, weitergetrieben werden muß. Nach Inhalt, Umfang und Form werden wir eine weitere Steigerung erleben. Deshalb dürfen in diesem Augenblick die Dämme nicht abgetragen werden, sie müssen vielmehr verstärkt werden.
({2})
Der wichtigste Gesichtspunkt ist sicherlich der des Jugendschutzes, wenn ich auf die praktischen Dinge komme. Meine Damen und Herren, wir haben festgestellt, daß die Meinung der Regierung, die Wissenschaft sage nichts Endgültiges darüber aus, ob Pornographie gefährlich sei oder nicht, zwar bis zu einem gewissen Grade stimmt, daß jedoch ihre Schlußfolgerung, man müsse sich hier für die Freiheit des Bürgers entscheiden und die Pornographie deshalb, weil man nicht genau wisse, ob sie eine Gefahr für die Jugend darstelle, erlauben, wie es der Grundansatz des Regierungsentwurfs ist, absolut falsch ist. Genau umgekehrt hat es Professor Scheuch gesagt. Er hat gesagt, daß derjenige, der sich hier in den Mantel der Wissenschaft hüllt und einen weißen Umhang anlegt, ein Scharlatan sei und daß die Frage, ob man in dubio pro libertate, im Zweifel für die Freigabe der Pornographie oder im Zweifel für den Schutz sei, keine wissenschaftliche, sondern eine allgemein menschliche, ja eine exzellent politische Frage sei.
Wenn es um die Jugend unseres Volkes geht, bin ich der Meinung, daß der Schutz der erste Gedanke ist und daß man hier lieber vorsichtig sein sollte. Es wäre fahrlässig, wenn wir jetzt eine Verderbnis zuließen, deren Folgen wir erst in einigen Jahren feststellen würden.
({3})
Im übrigen gibt es hier doch keinen, meine Damen und Herren, der nicht sieht, daß Pornographie wirklich zersetzend und das Menschenbild gefährdend ist, vor allem deshalb, weil sie das eigentlich Entscheidende an der Liebe zwischen Mann und Frau, die Überformung der Erotik durch die geistigseelische Zuwendung, leugnet und den Partner, er sei Mann oder Frau, auf das Niveau eines reinen Lustobjektes erniedrigt, das jeden Augenblick austauschbar ist.
({4})
Damit widerspricht die Pornographie dem Wesen der Ehe, die vom Staat zu schützen ist.
Wenn Sie mir sagen: es gibt viele Jugendliche, die von Pornographie gar nicht angesprochen werden, die sogar Ekel davor empfinden, sage ich: Gut, wenn es bei vielen so ist. Andererseits können wir aber doch im Sinne einer modernen Sexualerziehung nicht wünschen, daß unsere jungen Menschen einen Ekel vor dem Sexus bekommen und damit unfähig zur Familiengründung werden.
({5})
Wenn Sie nun sagen: den Jugendschutz machen wir, wir verbieten, Pornographie an Jugendliche unter 18 Jahren zu verkaufen, aber nicht mehr, dann sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Was in diesem Lande ein Erwachsener in die Hand bekommt, bekommt auch ein Jugendlicher in die Hand.
({6})
- Vielfach auch diesen, jawohl; aber das wäre mir gleich, das ist ja nicht sittengefährdend.
({7})
Wer fragt denn schon in einem Laden: Sind Sie 18 Jahre alt oder sind Sie erst 17? Ein solcher Verkäufer müßte wirklich erst gefunden werden.
Vor allem aber, glaube ich, widerspricht es dem Selbstbewußtsein der Jugendlichen, daß man ihnen etwas verbietet, was man den Erwachsenen erlaubt. Das widerspricht nicht nur dem Selbstbewußtsein
der heutigen Jugend, sondern das hätte auch dem unseren widersprochen. Wir haben uns auch immer um das bemüht, was nur den Erwachsenen zugänglich war.
({8})
Das liegt nun einmal im jungen Menschen drin und ist völlig verständlich.
Ich glaube, daß es bei der heutigen Autoritätskrise gar nicht möglich ist, etwas vor jungen Menschen zu verbergen, das der erwachsene Mensch hat.
({9})
Außerdem fördert und verschärft eine solche Unterscheidung zwischen Jugendschutz und Behandlung der Erwachsenen doch nur den Konflikt der Generationen. Darüber hinaus fragt der junge Mensch mit Recht: Ist denn die Unmoral für Erwachsene reserviert? Diebstahl ist doch auch den Erwachsenen verboten. Warum ist nicht auch Porno den Erwachsenen verboten? Hier frage ich, ob wir uns wirklich eine Doppelmoral leisten können, wenn wir diese Gesellschaft glaubwürdig halten wollen.
({10})
Ich frage mich auch, ob sich das sittliche Bewußtsein bei den 60 Millionen Deutschen in der Bundesrepublik tatsächlich so geändert hat oder ob es sich hier nur um eine öffentliche Meinungsbeeinflussung durch eine veröffentlichte Meinung handelt. Meine Damen und Herren, die heutige „Abendzeitung", die ich schon zitiert habe, stellt fest, daß sich bei der letzten Meinungsumfrage 72 % der Bevölkerung - das sind nahezu drei Viertel - für die Beibehaltung des Pornographieparagraphen ausgesprochen haben. Was wir waschkörbeweise von der „Aktion Pornostopp” ins Präsidialbüro des Bundestages geschickt bekommen, können Sie sich alle ansehen.
Nein, meine Damen und Herren, Freiheit darf nicht mit Zügellosigkeit verwechselt werden, weder auf dem Gebiet der Sexualität noch auf anderen Gebieten. Arbeitsminister Figgen hat es sehr hübsch formuliert:
Jemand hat einmal gesagt, es sei falsch, hinter einem Berg von Leichen die politische Freiheit zu suchen. Ich persönlich bin nicht überzeugt davon, daß hinter einem Berg nackter Frauen die wahre sexuelle Freiheit zu finden ist.
({11})
Meine Damen und Herren, wenn mir einer sagt: warum soll man nicht Koitusszenen abbilden, das ist doch ein legitimer Ausdruck des Menschlichen, sage ich ihm: Sicherlich ist das unter bestimmten Umständen ein legitimer Ausdruck des Menschseins, aber es ist nicht legitim, das öffentlich zu tun. Denn es gibt eben Dinge, die sind im Schlafzimmer hübsch und nett,
({12}) aber sie werden ekelhaft, wenn man sie auf die Bühne, ins Kino oder in die kleinen Heftchen bringt.
({13})
Intimität ist wesentlich für die Würde des Menschen gerade in Beziehung zum anderen Geschlecht.
Lassen Sie mich noch einige politische Gesichtspunkte anfügen. Wenn ich recht informiert bin, Herr Bundesminister, hat der Vertreter der britischen Justizverwaltung auf der letzten Europäischen Justizministerkonferenz, gefragt, wie sich England zum Pornographieverbot stelle, in echt englischer Weise lapidar mit zwei Sätzen geantwortet: Wir Engländer sind gegen schlechte Luft; deshalb verbieten wir Pornographie. Das scheint mir eine sehr einleuchtende Antwort zu sein. Fast alle demokratischen Staaten der Erde kennen ein Pornographieverbot. Wollen wir Deutsche wieder einmal demokratischer sein als die gewachsenen und bewährten Demokratien in der Welt?
Schließlich gibt es ein internationales Abkommen aus dem Jahre 1923, das Sie, Herr Bundesminister, kündigen müssen, wenn wir das Pornographieverbot aufheben, ja sogar dann, wenn wir es einschränken. Selbst Ihre uns angeblich so sehr entgegenkommende Formulierungshilfe, die im Bulletin gestanden hat, bedingt, daß Sie zuerst einmal dieses Abkommen kündigen. Wir sind dann von den - Professor Jescheck hat die Zahl genannt - 90 Staaten der Welt, die diesem Abkommen angeschlossen sind, nach Dänemark der zweite Staat, der es kündigt. Sollen ausgerechnet wir Deutsche uns durch einen solchen Schritt außerhalb der Kulturmenschheit stellen?
({14})
Wird man nicht sagen: Die Deutschen, die vor 25 Jahren gerade eine Barbarei hinter sich gebracht haben, schicken sich an, in eine neue zu versinken? Nein, meine Damen und Herren, das wird dem Ansehen unseres Landes in der Welt nicht nützlich sein.
({15})
Man sagt, die Freiheit des Staatsbürgers dürfe nicht beschränkt werden. Nun, in manchen Kreisen unseres Landes wird ernsthaft erwogen, ob man nicht die Werbung für Tabak verbieten sollte. Dabei ist, wenn ich den Tabakfabrikanten glaube, die Frage gar nicht geklärt, ob der Tabak wirklich schädlich ist, so wenig, wie die Frage der Schädlichkeit der Pornographie geklärt ist, wenn ich die Pornographieproduzenten frage. Wir haben ein Seuchengesetz, das Menschen gegen ihren Willen unter Beschränkung ihrer Freiheit in Quarantäne bringen kann. Wir haben ein Opiumgesetz, das nicht nur die Verbreitung von Opium verbietet, sondern auch den persönlichen Erwerb, aber wir haben nie gefordert, den persönlichen Erwerb von Pornographie zu verbieten. Ja, diese Regierung, die
jetzige Regierung, legt uns in diesen Tagen ein neues Opiumgesetz vor, das noch strenger ist als das alte und nicht nur den Erwerb, sondern sogar den Besitz von Opium verbietet, was wir bei der Pornographie auch nicht wollen. Daß die staatsbürgerliche Freiheit beschränkt werden muß, um das Rauschgift zu bekämpfen, das sehen Sie ein. Bei der sozialen Seuche der Pornographie sehen Sie es nicht ein.
Wir leben in einem sozialen Rechtsstaat, und in diesem Rechtsstaat müssen die Schwachen vor der Ausbeutung durch Geschäftsleute geschützt werden. Ich meine, von allen Sumpfblüten des Kapitalismus, die die Sozialdemokratie in früheren Jahren so beredt geschildert hat, ist der Kapitalismus der Männer, die an den Pornographieerzeugnissen auf Kosten der Moral des Volkes verdienen, doch wirklich die traurigste.
({16})
Hier sollten Sie eigentlich mit uns gehen, und ich appelliere an Ihr soziales Gewissen.
({17})
Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, daß es eine Bewegung in diesem Lande gibt, die Sexualrevolution sagt und Sozialrevolution meint. Daran sollte man denken.
({18})
Ich fürchte - nein, Herr Wehner, ich habe hier eine Sorge, die Sie mit mir teilen müßten -, daß, wenn wir zu einer sexuellen Anarchie kommen, der Ruf nach dem starken Mann wieder ertönt, den Sie nicht wollen und den ich nicht will.
({19})
Der Osten bezeichnet uns im Westen gerade wegen dieser Sexualisierung, gerade wegen dieser Pornowelle als verfault, als überholt, als zum Tode verurteilt. Auch daran sollten wir denken.
Herr Kollege Dr. Müller-Emmert hat heute in einem anderen Zusammenhang schon Herrn Professor Trillhaas zitiert. Ich möchte daran erinnern, daß Professor Trillhaas vor dem Ausschuß an die von ihm geführten Gespräche mit Ostberliner Studenten erinnert hat, die ihm gesagt haben, sie verständen überhaupt nicht, daß in dieser Bundesrepublik die Frage der Pornowelle eine so große Rolle spiele; das sei ihnen in ihrer Situation überhaupt nicht zugänglich. Ja, meine Damen und Herren, dort, wo man um die Menschenwürde wirklich ringen muß, dort jenseits der Elbe sieht man die Aufgabe allerdings etwas anders. Ich glaube, wir müßten uns ein wenig schämen vor den Deutschen jenseits der Elbe, wie wir hier mit diesen Problemen umgehen.
({20})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, in einem sehr kritischen Augenblick unserer Geschichte zu Anfang der 30er Jahre hat Reichsfinanzminister Dietrich angesichts der braunen Welle davon gesprochen, es sei nun die
Entscheidung da, ob wir ein Staat sein wollten oder ein Haufen von Interessenten. Geistig ist der jetzige Augenblick vielleicht nicht minder kritisch. Die Welle, die jetzt hier auf uns zukommt, ist die von Schund und Schmutz. Ich meine, beim Sittenstrafrecht und beim § 184 wird sich auch entscheiden, ob wir Deutschen ein Kulturvolk sind oder in eine neue Barbarei versinken.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst zwei Hinweise zu den Ausführungen von Herrn Eyrich und zu den Ausführungen von Herrn Jaeger.
Es ist nicht ganz deutlich geworden, was Herr Eyrich zu der Anweisung des Bundesministers Möller sagte, die ich vorhin im Zusammenhang mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes erwähnt habe. Ich darf hierzu zur Klarstellung feststellen: Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil festgestellt, daß die Postbeschlagnahme von eingeführten unzüchtigen Schriften im selbständigen Einziehungsverfahren rechtswidrig ist. Ich gestatte mir, aus der Neuen Juristischen Wochenschrift, 1970, S. 2071, zu zitieren:
Auch anläßlich der Einfügung des § 184 Abs. 1 Nr. 1 a StGB hat der Gesetzgeber den Strafverfolgungsbehörden für die Beschlagnahme von eingeführten pornographischen Schriften keine Befugnisse eingeräumt, wie sie zur Sicherung der Beschlagnahme und Einziehung staatsgefährdender Schriften für erforderlich gehalten wurden. ... Da die Einziehung auf der Verwertung der in unzulässiger Weise erlangten Sendungen beruht und ausgeschlossen ist, daß die Schriften in anderer Weise in ein Einziehungsverfahren eingeführt werden könnten, hat der Senat den Inhalt der Sendung freigegeben.
Der Bundesminister hat lediglich einen rechtswidrigen Zustand beseitigt. Das ist seine Pflicht. Wir leben - insoweit stimme ich Herrn Jaeger zu - in einem sozialen Re c h t s staat.
({0})
Nun zu den Ausführungen von Herrn Jaeger. Bei allem, was er ausgeführt hat, war er vielleicht unbewußt ganz amüsant, als er von der „Schlappheit der zuständigen Organe" sprach. Das war ganz sicher ein Ausrutscher. Aber es sind immerhin drei Anmerkungen nötig zu Themen, die doch zu denken geben.
Wenn man sich die Rede von Herrn Jaeger vergegenwärtigt, wird man das Gefühl nicht los, daß er einmal drauf und dran ist, Motivforschung bei sozialdemokratischen Abgeordneten und Ministern zu betreiben, und daß er sich zum zweiten zu wenig mit dem eigentlichen Gesetzestext und zu viel mit Pornographie befaßt.
({1})
Wir Sozialdemokraten haben im übrigen das Offenlegen unserer Denkprozesse bei Gott nicht zu fürchten.
Bei den Hinweisen auf die Äußerung von Bundesjustizminister Jahn und des Parlamentarischen Staatssekretärs Bayerl, es könne erwogen werden, den § 184 zu streichen, haben Sie, Herr Jaeger, vergessen - das kann man belegen -, zu sagen, daß beide immer davon gesprochen haben, daß dies --das Streichen des § 184 - nur möglich sei, wenn gleichzeitig das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften bestehenbleibe und verbessert werde. Das, meine ich, gehört dazu. Mir liegt im Protokoll eine entsprechende Äußerung , die Justizminister Jahn im Hessischen Rundfunk getan hat, vor.
Auch Ihre Schlußfolgerung aus diesen unseren Vorgängen, daß wir unsere Denkprozesse offenlegen sollten, ist meiner Meinung nach nicht in Ordnung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich will nur meinen Gedankengang zu Ende führen. Wenn Sie davon ausgehen - weil wir unsere Denkprozesse offengelegt haben --, daß wir Sozialdemokraten insoweit unserer demokratischen Führungsaufgabe nicht gerecht würden, dann haben Sie ein falsches Verständnis von der demokratischen Führungspflicht. Wir meinen, in einer Demokratie kann nicht im stillen Kämmerlein ausgedacht und dann entschieden werden, wobei man dabei bleibt, auch wenn die Diskussion etwas anderes ergibt. Wir meinen, es entspricht einer demokratischen Führungsaufgabe, die Gedanken preiszugeben, die Diskussion abzuwarten und sich dann zu entscheiden. Wir jedenfalls können uns diesen Stil erlauben.
({0}) Bitte schön, Herr Lenz!
Herr Kollege de With, Sie haben soeben gesagt, die teilweise Freigabe der Pornographie sollte mit einem schärferen Jugendschutzgesetz beantwortet werden. Ist Ihnen folgende Stelle aus der Begründung des Regierungsentwurfs bekannt:
es muß u. a. damit gerechnet werden, daß das weit gestreute und billiger gewordene Material häufiger weggeworfen und von Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit oder im Haushalt der Eltern gefunden wird.
Glauben Sie, an diesem Tatbestand hätte eine schärfere Fassung des Jugendschutzparagraphen etwas ändern können?
Ja, ich glaube daran.
({0})
Im übrigen kennen Sie ja das weitere Papier. Eines war doch bisher Grundsatz des Rechtsdenkens in der Bundesrepublik - das müßten Sie am besten wissen, Herr Lenz -: daß man gewisse Schriften Jugendlichen vorenthält - deswegen das GjS -, Erwachsenen aber zugänglich macht. Dagegen hat sich bis heute auch keiner gewandt.
Ich darf auf einen weiteren Punkt von Herrn Jaeger kommen, wo er meiner Meinung nach einen geistigen Purzelbaum geschlagen hat. Er sagte - ich habe das mitgeschrieben -: „Ich brauche Strafe für die, die keine Ethik haben." Das heißt doch, daß die meisten bei uns in der Bundesrepublik keine Ethik haben, da Sie ja strafen wollen. Wir Sozialdemokraten sind da nicht so mißtrauisch. Das muß ich sagen.
({1})
Nun zum eigentlichen Kern der Sache. Gestatten Sie mir, daß ich grundsätzlich das Vierte Strafrechtsreformgesetz in den Rahmen des Reformwerks stelle und dann noch einige Ausführungen zu konkreten Punkten mache.
Wir Sozialdemokraten begrüßen den Entwurf mit seinen weiteren Vorschlägen insbesondere aus drei Gründen.
Erstens. Der Entwurf führt die im Jahre 1969 mit der Verabschiedung des Ersten und Zweiten Strafrechtsreformgesetzes begonnene und im Jahre 1970 mit der Vollendung des Dritten Strafrechtsreformgesetzes fortgesetzte Strafrechtsreform konsequent und zügig weiter. Denken Sie daran, daß das derzeit geltende Strafgesetzbuch am 31. Mai 1870 für den Norddeutschen Bund erlassen und am 25. Mai 1871 zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich geworden ist und daß in den seitdem vergangenen hundert Jahren keine durchgängige Reform dieses Gesetzes erfolgte, obwohl die Reformbewegung beinahe so alt ist wie das Strafgesetzbuch, nämlich hundert Jahre. Wenn auch viele Gedanken der Neuerer, z. B. von Franz Liszt und Radbruch, Eingang gefunden haben, so blieb es doch bis zu einem gewissen Grade nur bei Flickwerk, und der Geist dieses Strafgesetzbuchs, mit dem wir es zu tun haben, blieb über weite Teile hinweg dem 19. Jahrhundert verhaftet. Wenn es dann im Jahre 1969 unter Gustav Heinemann erstmals dem Gesetzgeber gelang, das Reformwerk in Bewegung zu setzen, besteht, so meinen wir, auch und erst recht für dieses Parlament kein Grund, einen Torso entstehen zu lassen.
Gestatten Sie mir einen etwas saloppen Vergleich: Wenn die respektablen bürgerlichen Kleider des 19. Jahrhunderts auch heute noch - natürlich mit anderem Schnitt - getragen werden können, so geht doch eigentlich keiner mehr gern mit dem Frack auf die Straße, und es paßt nicht, wenn er lediglich die steife Brust und den unbequemen Kragen durch ein weiches Oberhemd ersetzt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Bitte schön!
Herr Kollege de With, ein Rechtsanwalt, den Ihre Fraktion aufgefordert hat, bei den Beratungen mitzuwirken, hat folgenden Satz an Ihre Fraktion geschrieben:
Der wichtigste und am schwersteil wiegende Vorwurf gegen die Regierung besteht darin, daß die Regierung in hektischer Eile versucht, wirklich alles zu ändern. Dadurch ist eine totale Unsicherheit im Volk entstanden.
Würden Sie mir darin beipflichten, daß Ihre Worte, die Sie soeben über das Strafgesetzbuch gesagt haben - mit der totalen Infragestellung alles dessen, was hundert Jahre alt ist -, diesem Vorwurf weitere Munition geliefert haben?
({0})
Herr Lenz, ich kann dem keineswegs folgen. Ich glaube, mir würde es nicht schwerfallen, mit entsprechenden Zitaten Ihnen gegenüber - bloß vice versa - aufzuwarten. Ihre Auffassung ist es wohl - soll ich das daraus schließen -, daß Sie hier dafür da sind, für eine Verzögerung zu sorgen?! Ich hoffe, dem ist nicht so.
Gestatten Sie, daß ich fortfahre!
Zweitens ist der Entwurf der Bundesregierung zu begrüßen, weil er kontinuierlich die Grundsätze beibehält, unter denen das Erste Strafrechtsreformgesetz angetreten war. Wie beim Ersten Strafrechtsreformgesetz läßt die Bundesregierung Straftatbestände allein dann als gerechtfertigt zu, wenn es die Sozialschädlichkeit einer Handlung unter gebotener Güterabwägung erlaubt. Oder sollte von einer Mutter mittels der Strafdrohung wegen Kuppelei verlangt werden, daß sie ihrer erwachsenen oder sexuell schon selbständigen Tochter das Zimmer aufkündigt, weil diese mit einem Mann darin nächtigt? Das hätte doch zur Folge, daß diese Tochter dann ein anderes Zimmer mietet und dort unkontrolliert im Grunde genommen dasselbe tut.
({0})
Außerdem will die Bundesregierung auch hier Strafen und Strafarten mehr als vordem nach individuellen Maßstäben ausrichten. Erscheint es nicht angemessener, einem Exhibitionisten durch eine großzügigere Bewährung die Chance einer endgültigen Heilung zu gewähren, als durch bloßes Einsperren den Dauerrückfall und die Gefahr der Verstärkung der Kriminalität zu provozieren?
Drittens muß der Entwurf begrüßt werden, weil er nicht, wie hier behauptet wurde, „liberalisiert", indem er unangebrachte Streichungen vornimmt oder Strafen in unzumutbarer Weise herabsetzt, sondern weil er - und darauf legen wir Wert - reformiert, indem er auch im Bereich von Ehe und Familie und im Sexualbereich die Grenzen des Staatlichen Strafanspruchs auf drei Ebenen neu zieht, und zwar nicht nach den Prinzipien staatlicher Kuratel in der Intimsphäre oder einseitig nach einer bestimmten Gruppenmoral, sondern nach dem Gebot des Schutzes sexueller Selbstbestimmung.
So streicht der Entwurf, wenn eine Vorschrift in der Praxis nicht mehr angewandt wird oder nicht mehr notwendig erscheint, wie z. B. im Fall des Ehebruchs.
({1})
So ändert der Entwurf, wenn eine Vorschrift unserer Zeit angepaßt werden muß. Oder soll es dabei bleiben, daß eine Personenstandsfälschung auch dann vorliegt, wenn jemand im gesellschaftlichen Verkehr eine Frau zu Unrecht als seine Ehefrau ausgibt? Wir meinen, dieser Staat verträgt es, daß eine Personenstandsfälschung nur dann angenommen wird, wenn tatsächlich die behördliche Feststellung des Personenstandes in Gefahr ist.
So verschärft und schafft dieser Entwurf auch neu, indem er z. B. bei der Vergewaltigung grundsätzlich zwei Jahre Mindeststrafe statt ein Jahr Mindeststrafe einführt, hier also die geschlechtliche Selbstbestimmung in besonderem Maß schützt, und z. B. die Bestrafung im Falle des unverlangten Zusendens von Pornographie erstmals als eigenen Tatbestand bringt und damit auch hier die Pflicht, das Recht der Selbstbestimmung zu wahren, stärker als bisher in den Vordergrund rückt.
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Gestatten Sie nach diesen allgemeinen Hinweisen noch einige konkrete Ausführungen zu den hier anstehenden vier Einzelbereichen.
Beim Abschnitt Ehe und Familie könnte es zwei Streitpunkte geben, nämlich in der Frage der Aufhebung des Tatbestands der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht noch nicht Achtzehnjähriger und bei der Änderung des Tatbestands der Blutschande. Die Bestrafung der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht - dieser Tatbestand wurde übrigens erst 1940 eingeführt und gilt in dieser Form zur Zeit nur noch in der DDR und in Griechenland ({3})
bringt den Schutz eines Rechtsgutes, das nach unserer Auffassung besser durch vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen geschützt werden kann. Wir meinen, daß die Auffassung an Raum gewinnt, daß - ich zitiere wörtlich die Begründung des Entwurfs - „die Erziehung Jugendlicher in einem mit ihrem Lebensalter steigenden Maße auf Vertrauen und nicht auf Aufsicht beruhen sollte".
Was die Bestrafung des Verschwägerteninzests anlangt, ist es wohl offenkundig, daß dieser Tatbestand heute schon so durchlöchert ist, daß wir ihn uns schenken können.
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Bei den Tatbeständen der sexuellen Beziehung zu Abhängigen oder Minderjährigen seien einige kritische Anmerkungen gemacht. Es ist eigentlich nicht recht einzusehen, warum der Strichjunge bestraft werden soll, wenn die Dirne nach wie vor nicht mit Strafe bedroht wird. Es ist eigentlich auch nicht recht
einzusehen, warum in dem neuen § 175 Abs. 1 Nr. 1, nach dem ein Mann über 18 Jahren, der sexuelle Beziehungen zu einem Mann unter 21 Jahren unterhält, bestraft werden muß, die Altersgrenze nicht generell auf 18 Jahre herabgesetzt werden kann.
Im übrigen bedeutet es für jeden einen einleuchtenden Fortschritt, daß der Tatbestand der sexuellen Beziehungen zu Abhängigen früher Unzucht mit Abhängigen - unserer Zeit entsprechend formuliert werden wird. Bisher mußte zum Beispiel ein 25jähriger Coiffeur bestraft werden, der mit seiner 20jährigen Verlobten die geschlechtlichen Beziehungen auch dann fortsetzte, wenn diese ihm als Friseurlehrling zugeteilt wurde. Diese Doppelbödigkeit wollen wir abschaffen.
Was die recht komplizierten Vorschriften der Kuppelei, der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei anlangt, würde es zu weit führen, hier in erster Lesung Ausschußarbeit leisten zu wollen.
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- Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt als dieser
Zwischenruf, Herr Lenz, ist das nicht sehr stark. Nur so viel sei gesagt: Der mündige oder sexuell selbständige Bürger soll in seiner Intimsphäre nicht unnötig reglementiert werden. Geschützt wird in Zukunft nur noch vor der Gefahr des Mißbrauchs junger oder in Abhängigkeit stehender, unerfahrener oder der Ausbeutung anheimfallender Menschen. Nach wie vor bleiben unter Strafe das Halten eines Bordells, eines bordellartigen Betriebs und das Zuführen noch nicht 21jähriger Mädchen zu Callgirl-Ringen. Auch die Zuhälterei wird nach wie vor mit Strafe bedroht. Es ist deshalb ausgeschlossen, daß die Bundesrepublik zu einem Tummelplatz rüder Prostitutionsgeschäftemacherei werden kann.
({6})
Es darf jedoch auch hier eine kritische Anmerkung gemacht werden. Bei den heute zu beobachtenden Formen sich entwickelnder Zuhälterei ist es eigentlich nicht recht einzusehen, warum lediglich die sogenannte männliche Zuhälterei gegenüber Frauen unter Strafe gestellt werden soll. Sollte hier nicht der Unterschied zwischen den Geschlechtern aufgegeben werden? Wir meinen, das wäre zuträglicher.
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Damit komme ich zur Pornographie, der Sie so viel Raum gewidmet haben.
Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Das scheint mir
egalitärer Perfektionismus zu sein!)
Herr Lenz, hier muß ich Ihnen uneingeschränkt ein Kompliment machen. Es ist der Opposition gelungen, durch eine Überbetonung dieses an sich zweitrangigen Problems die Diskussion um das Vierte Strafrechtsreformgesetz gewaltig zu verkürzen, nämlich auf eine Vorschrift, den nunmehr berühmt-berüchtigten § 184.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Geisendörfer?
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es kein Zufall ist, daß auch in der Öffentlichkeit
({0})
die Diskussion so sehr um den § 184 geht, weil das Problem viel tiefer liegt als bloß bei den äußeren Erscheinungsformen? Es geht eigentlich um das Menschenverständnis; wir können uns im Ausschuß noch genauer darüber unterhalten. Es ist tiefer als das Vordergründige, das hier immer nur angesprochen wurde.
Gnädige Frau, mißverstehen Sie meine Antwort bitte nicht. Ich meine, es ist die Aufgabe von Politikern, gefühlsbetonter Argumentation, die die Relation auch Fragen des Strafrechts verschiebt, entgegenzuwirken, auch wenn es im Moment unpopulär erscheint.
({0})
Wir werden daran gemessen, wie unsere Gesetze à la longue wirken. Daß die Pornographieregelung Probleme mit sich bringt, wird von uns nicht bestritten. Deswegen haben wir uns auch die Mühe gemacht, im Hearing sorgfältig zu erforschen, welche Gefahren und Möglichkeiten es gibt. Daß wir darauf bedacht sind, dem, was im Hearing vorgebracht wurde - insbesondere von Hanack und Mitscherlich -, zu begegnen, haben Sie ja an den zusätzlichen Vorschlägen des Bundesjustizministers gesehen. Ich meine, das sollte die Opposition begrüßen und nicht hämisch belächeln und zu einem bloßen Lernprozeß herabdrücken. Darin steckt unserer Meinung nach - ich sage es noch einmal - Demokratieverständnis.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?
Nein, meine Zeit ist kurz bemessen. Ich bin am Ende angelangt und möchte meine Ausführungen bald schließen.
Noch ein Wort zur Pornographie. Ich wiederhole: Man soll hier die Relationen sehen. Trotz des bisherigen totalen Verbots der Herstellung und der Verbreitung von Pornographie ist Pornographie praktisch überall zu haben; ein Blick in die Auslagen genügt. Wer danach noch die ReformbedürftigDr. de With
keif dieser Vorschrift verneint, steckt unserer Auffassung nach seinen Kopf in den Sand.
({0})
Nach den nunmehr vorliegenden Vorschlägen in Verbindung mit dem Entwurf der Bundesregierung ergibt sich kurz zusammengefaßt folgendes.
Erstens. Der Jugendschutz wird verbessert, indem Bestimmungen aus dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften, einem Gesetz, das als Nebenstrafrecht gilt, in das Strafgesetzbuch hineingenommen werden, um auch optisch klarzumachen, daß Jugendschutz keine Nebensache ist.
Zweitens. Wir wollen, daß der Erwachsene besser als bisher vor unverlangter Konfrontation mit Pornographie geschützt wird, und zwar auf zwei Ebenen: Schutz vor unverlangter Zusendung - deswegen führen wir hier eine neue Vorschrift ein -, zum anderen besserer Schutz vor der Konfrontation in der Öffentlichkeit. Deswegen ergreifen wir Maßnahmen über das Strafrecht oder das Ordnungswidrigkeitengesetz, durch die erreicht wird, daß Auslagen aus öffentlichen Wegen und Plätzen und von allgemein zugänglichen Orten - und darunter fallen auch Film und Fernsehen - mehr als bisher verbannt werden.
({1})
Und drittens: es bleibt bei dem totalen Herstellungs- und Verbreitungsverbot pornographischer Darstellungen, die im Zusammenhang mit Gewalt, mit Sodomie und mit Pädophilie stehen. Und wir haben, wie Sie wissen, im Verlaufe der Beratungen hier eine weitere Vorschrift eingefügt, die generell die Verherrlichung von Gewalt unter Strafe stellt.
Wenn hier an diesem Punkt Herr Eyrich meint, unsere Vorstellungen widersprächen dem Gebot des Grundgesetzes, die Würde des Menschen zu schützen, so, meine ich, sieht er die Relation nicht richtig. Worin besteht denn die Würde des Menschen? Die Würde des Menschen besteht in allererster Linie darin, daß die Selbstbestimmung des Menschen nicht tangiert und angegriffen wird. Allerdings meinen auch wir, daß die Freiheit des einen nicht zur Unfreiheit des anderen werden dürfe,
({2})
und deswegen haben wir uns dazu gefunden, derart differenzierende, unserer Meinung nach wirklich alles erfassende Vorschriften zu schaffen. Das Leben wird komplizierter; dem muß sich die Gesetzgebung anschließen.
Wenn diese Regelungen, von denen wir wissen, daß sie die Kündigung einer internationalen Übereinkunft nach sich ziehen - denn das steht schwarz auf weiß in unserem Entwurf -, in Kraft treten, dann, glauben wir, ist weder mit einem Aufschwappen von Pornographie noch damit zu rechnen, daß unsere Jugend mit Pornographie überflutet wird. Auf der anderen Seite kann dann der Erwachsene, wenn er es schon will, Pornographie - und zwar die sogenannte einfache Pornographie ({3})
in seinen vier Wänden konsumieren, ohne daß sich dadurch vorher ein anderer strafbar macht.
({4})
Der Staat hat in unserer Zeit weder die strafrechtliche Zuchtrute über Ehe und Familie zu schwingen noch das Auge des Großen Bruders auf unsere Schlafzimmer zu richten.
({5})
Der Staat hat sich vielmehr darauf zu beschränken
- und das kann manchmal auch eine Ausweitung des Strafrechts bedeuten -,
({6})
- hören Sie doch erst einmal zu! - die ungestörte sexuelle Entwicklung des jungen Menschen und die sexuelle Selbstbestimmung des mündigen Bürgers vor Eingriffen und vor Ausbeutung durch Dritte zu schützen.
({7})
- Ich meine, Herr Wörner könnte sich Zwischenrufe ersparen, nachdem er in seiner Haushaltsrede in bezug auf das Strafrechtsreformgesetz nur einen Satz gebraucht hat, der letztlich die Pornographie zum Gegenstand hatte und nichts weiter.
({8})
- Hören Sie einmal dem zu, Herr Wörner, was ich gleich sage!
({9})
Es entspräche deshalb dem Ernst dieses heiklen Themas, wenn Andersdenkende ihre Auffassungen kühl und sachlich vortrügen und nicht den Versuch unternähmen, mit emotional geladenen Appellen
({10})
die in vielen Fällen ja sehr gefühlsmäßig reagierende Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen. Wir Sozialdemokratien sind gleichwohl auch und gerade in diesem Punkt immer gesprächsbereit.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Birkenmaier hat in der heutigen „Stuttgarter Zeitung" geschrieben:
Es ist wissenschaftlich nicht erwiesen, daß der Gebrauch von Pornographie abstumpft, mit Sicherheit tut es aber die Debatte darüber.
({0})
Ich knüpfe daran das Versprechen, mich hier möglichst kurz zu fassen.
({1})
Es ist wieder einmal nicht so recht deutlich geworden, wo jetzt die Opposition steht. Zugegeben --- Sie haben uns das schon öfter erklärt -: die Vorschläge müssen von der Regierung kommen, die Formulierungen auch. Aber es wäre schon ganz gut gewesen, wenn Herr Eyrich einmal präzisiert hätte, wie es sich gesetzlich auswirken soll, daß Sie einerseits keinem Menschen bestreiten, das, was man Pornographie nennt, in seinem privaten Bereich zur Kenntnis zu nehmen, es sich auch zu verschaffen usw., und wie Sie dann andererseits die diversen Bedenken, die Sie geltend gemacht haben und die zum Teil durchaus grundsätzlich formuliert waren, mit dieser zunächst einmal liberal erscheinenden Erklärung verbinden wollen. Sie, Herr Kollege Eyrich, haben die Strecke im Slalom durchfahren. Herr Kollege Jaeger, und darum sage ich diesen Satz noch vorher, ist dann mehr zur Schußfahrt übergegangen und hat uns mit erfrischender Deutlichkeit mehr Klarheit darüber gebracht, was Sie eigentlich wollen, nämlich bei einer absolut repressiven Grundhaltung zu dem ganzen Thema bleiben, die Sache in Grund und Boden als den Untergang des Abendlandes hinzustellen, als einen Wendepunkt der abendländischen Geschichte. Hier sind bemerkenswerte Vergleiche gebracht worden; man kann es sich kaum erklären, wie ein so bedeutender Mann wie Herr Kollege Jaeger den Mut aufbringt, hier bei einem vergleichsweise läppischen Vorgang gleich die größten Dinge der letzten 50 Jahre mit als Vergleich heranzuziehen. Aber wenn Sie dazu noch weiter Stellungnahmen abgeben wollen, - bitte!
Herr Kollege, Sie sagen, die Opposition habe ihre gesetzgeberische Haltung nicht konkretisiert. Haben Sie denn überhört, daß ich gesagt habe: Unser Vorschlag zu § 184 ist der des Bundesrates!? Das ist doch eine klare rechtliche Formulierung. Darf ich zweitens zu Ihrer Bemerkung fragen: Ist Ihnen nicht klar, daß ich gar nicht vom Untergang des Abendlandes gesprochen habe, sondern vom Untergang der Kultur, und das nicht mit meinen Worten, sondern mit den Worten des Herrn Ministers Figgen von der SPD?
Das setzen wir gleich. So wichtig ist uns diese Kultur, daß wir das völlig gleich sehen würden. Herr Kollege Jaeger, es ist Ihnen eben natürlich ein Mißgeschick passiert. Ich habe ja gerade noch den Satz mit dem Vergleich von der Schußfahrt gesagt, mit dem ich Ihnen die größere Klarheit bescheinigt hatte im Gegensatz zu dem Slalom, den der Kollege Eyrich zuvor gefahren hatte. Ich habe also Ihre Äußerungen nicht als unklar beanstanden wollen, habe das auch nicht getan.
({0})
Sie argumentieren derart - und das tun Sie in der
ganzen Öffentlichkeit -, daß diese „spontanen"
Reaktionen erscheinen, deren „Spontaneität" besonders am gleichen Wortlaut der Briefe und der vereinfachten Handhabung durch jeweilige Aufführung von 50 Unterschriften zu erkennen ist und deren Absender sich fast ausschließlich im Sünden unseres Vaterlandes befinden.
({1})
- Ich kann das aus der Erfahrung auf Grund der mir zugehenden Post sagen. Ich sage das nicht polemisch, sondern das habe ich mir angeguckt. So sieht es aus. Ich kann Ihnen das vorlegen, und ich kann das beweisen.
Aber gehen wir einmal weiter. Diese „spontanen" Unruhekundgebungen, die wir auf anderen Gebieten auch schon erlebt haben, beruhen auf der Argumentation, daß in Zukunft angeblich eine Welle von Pornographie den armen Staatsbürger anbrandet, gegen die er sich nicht wehren kann. Ich meine, das heißt doch die Dinge auf den Kopf stellen oder mit Hilfe eines Blindenhundes, aber keineswegs der eigenen Augen durch unsere Städte gehen. Was sich in den letzten 20 Jahren auf diesem Gebiet entwickelt hat, was Sie heute auf jedem Bahnhofsplatz einer deutschen Großstadt bei einem flüchtigen Umsehen an Zumutungen nicht nur bildhafter, sondern auch schon rein textlicher Art geboten bekommen, das ist etwas, was uns jedenfalls ganz ausdrücklich zuwider ist als „Schmuck" unserer Städte. Das ist aber nicht eine Sache, die etwa irgendwann auf Sie zukommen könnte, sondern es ist eine Sache, die in den letzten 20 Jahren gewachsen ist.
Ich habe einmal darüber nachgedacht, wie das alles bei dem so hervorragenden § 184, den wir haben, zustande gekommen sein mag, und bin bei der Betrachtung der Entwicklung gerade im Bereich des Kinowesens auf einige Namen gestoßen von Herren, die ich für nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung halte. Das fängt an mit dem Kaplan Klinkhammer, der seinerzeit weiße Mäuse und Stinkbomben gegen den heute sicherlich allgemein als jugendfrei angesehenen Film „Die Sünderin" einsetzte. Das setzte sich fort mit Herrn Wuermeling, der sich Mitte der fünfziger Jahre mit einem Vorschlag über die Volkszensur Verdienste erwarb, der dann auch den Bundestag ausgiebig befaßt hat. Als nächstes hatten wir dann 1965 bzw. beginnend 1964 die Aktion Saubere Leinwand Ihres Kollegen Süsterhenn. In einem gewissen Maß möchte ich auch die heutige Auslassung von Herrn Kollegen Jaeger noch mit in dieses Bild stellen. Mitte der fünfziger Jahre, um das ergänzend vorzutragen, war im übrigen für die sauberen Verhältnisse auf der Leinwand bei Ihnen der Kollege Muckermann zuständig.
({2})
Jedenfalls meine ich, man kann nicht daran vorbeigehen, daß wir heute Zustände haben, die nicht wünschenswert sind, die uns in der Öffentlichkeit konfrontieren mit Dingen, die sich jeder gern soll angucken können, die wir aber nicht in fünf mal drei Meter - oder wie die Formate sein mögen -an den Hauswänden in der Innenstadt sehen wollen.
({3})
-- Nein, die wollten das sicher nicht. Offenbar muß ich Ihnen das doch noch etwas genauer erklären. Die, die ich eben nannte, haben sich durch jeweils absolut überzogene Äußerungen bei 90 % unserer Bevölkerung so lächerlich gemacht, daß der gesunde Kern der Bestrebungen dadurch ad absurdum geführt worden ist.
({4})
Infolge dieser Aktionen ist es möglich geworden, daß die Dinge mit einem immer neuen Schwung dahin gekommen sind, wo sie jetzt in Reaktion auf diese überzogenen Aktionen stehen.
({5})
Ich sehe darin einen wesentlichen Antrieb für diese Entwicklung.
Wir überlegen uns nun, wie wir die Sache in den Griff bekommen können. Und da sagt Herr Kollege Jaeger: Das ist alles überhaupt nicht möglich; das widerspricht den Grundsätzen unserer Ethik; wir haben zwar hier nicht die Kirchen zu verteidigen, aber wir haben das Sittengesetz zu verteidigen. - Nun, ich glaube, das Sittengesetz, das Sie hier vertreten zu müssen meinen, wird doch außerordentlich stark von einer gewissen Seite bestimmt, starker als es bei objektiver Würdigung der Aufgaben des Staates richtig wäre.
({6}) Aber sei dem, wie es wolle.
({7})
In den meisten Fällen hat doch keine Regierung, keine Länderregierung und auch keine Staatsanwaltschaft es verhindern können, daß Filme dieser überaus geistreichen Art, die doch nicht nur Porno, sondern unanständig dumm sind - sie werden ja in der Gegend von München hergestellt, von einem gewissen Herrn Brummer , in unsere Filmtheater kamen.
Jetzt kommen wir zu einem etwas ernsteren Argument, zu einer wichtigeren Überlegung: Wie kann man die Dinge überhaupt in den Griff bekommen? Wir haben bisher versucht, mit einer viel zu stumpfen und zu großen Waffe gleichzeitig auf zwei Dinge zu schlagen, bzw. wir wären bei ihrer Anwendung gezwungen gewesen, gleichzeitig gegen den Konsum derartiger Dinge in der Privatsphäre und gegen die öffentlichen Erscheinungen vorzugehen. Weil man das eine nicht mehr für zeitgerecht, überhaupt nicht für vertretbar hielt, andererseits aber eben nur ein Instrument hatte, mit dem man konsequenterweise beides, nämlich die Lektüre in der Privatsphäre und die öffentlichen Erscheinungen, gleichzeitig hätte bekämpfen müssen, hat man beides unterlassen. Ich glaube, der Vorschlag des Bundesjustizministeriums, hier endlich eine reinliche Trennung zu schaffen, ermöglicht wieder die Anwendung der Waffen, die wegen der ungleichen Opfer heute nicht mehr genutzt werden,
({8})
so daß wir dazu kommen, zu sagen: in der Privatsphäre hat keiner etwas verloren. Das wird jetzt eindeutig freigegeben. Wir vermögen die grundsätzlichen Bedenken, die andernorts aus konfessionellen oder religiösen Erwägungen bestehen, nicht zu teilen. In der öffentlichen Sphäre sind wir dann aber wegen Fehlens dieses Doppeleffekts frei, ein neugeschaffenes Instrumentarium mit bedeutend besserer Wirkung einzusetzen. Das ist die Absicht, die hier verfolgt wird und die jedenfalls ein Jurist klar erkennen kann. Es ist wirklich nicht gut, daß Sie diese vernünftige Absicht, deren Verwirklichung zu dein von uns gemeinsam verfolgten Ziel führen soll, in der Öffentlichkeit diskreditieren, indem Sie die Dinge ganz plump und bewußt in ein und denselben Topf werfen, um Stimmung zu machen, und damit den guten Zweck unserer jetzigen Absichten gefährden.
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Vizepräsident Frau Funcke Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an den Sonderausschuß für die Strafrechtsreform - federführend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung zu überweisen. Wer mit dieser Überweisung einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Überweisung ist beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 10. März 1971, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.