Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
({0})
Ein Eisenbahnunglück hat bei Aitrang im Allgäu gestern abend nach bisher vorliegenden Meldungen 33 Tote und zahlreiche Schwerverletzte gefordert. Wir trauern mit den Angehörigen und sprechen ihnen unser tiefempfundenes Beileid aus. - Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir haben auch heute die Freude, ein Geburtstagskind unter uns zu haben. Herr Kollege Dr. Kliesing ({1}) feiert seinen 60. Geburtstag. Ich spreche ihm die Glückwünsche des Hauses aus.
({2})
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 2. Februar 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Niegel und Genossen betr. finanzielle Unterstützung südafrikanischer Freiheitskämpfer - Drucksache VI/1717 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1814 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates über die Bestimmung des Ursprungs
von Fleisch und genießbarem Schlachtabfall von bestimmten
fleischliefernden Haustieren, frisch, gekühlt oder gefroren
- Drucksache V]/1787 -überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung einiger Bestimmungen betreffend die In der Verordnung Nr. 121/67/EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch vorgesehenen Interventionsmaßnahmen
- Drucksache VI/1801 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir kommen nun zu Punkt II:
Fortsetzung der zweiten Beratung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 ({3})
- Drucksachen VI/ 1100, zu VI/ 1100, Ergänzung zu VI/1100Berichte des Haushaltsausschusses ({4})
Zunächst Einzelplan 11:
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen VI/1741, zu VI/1741 Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
Ich frage zunächst, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal um einige Berichtigungen des Mündlichen Berichts Drucksache VI/1741 bitten. Auf der Seite 4 muß der Tit. 893 02 „Förderung der Errichtung, Erweiterung, Ausstattung und Modernisierung von Einrichtungen der beruflichen Bildung im Zonenrandgebiet" mit einem Ansatz von 20 Millionen DM und der Zusatz „Die Ausgaben sind bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung des Zonenrandgebietes gesperrt" ein bißchen höher geschoben werden, und zwar vor „Förderung der Errichtung, Erweiterung, Ausstattung und Modernisierung überregionaler Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ...".
Eine zweite Bemerkung: Der Ansatz, der gerade genannt wurde, nämlich „Förderung der Errichtung, Erweiterung, Ausstattung und Modernisierung überregionaler Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ...", von 59 Millionen DM muß in 39 Millionen DM umgewandelt werden.
In dem Schriftlichen Bericht - Drucksache VI/1741 - muß auf Seite 4 oben, dritte Zeile, statt „Gemeinschaften und Arbeitnehmerorganisationen" „Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen" eingesetzt werden.
Herr Präsident, so weit zum Bericht.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. Wenn ich es richtig verstanden habe, sollen Sie auch als erster Redner Ihrer Fraktion zum Einzelplan 11 das Wort ergreifen, Herr Kollege. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 11
- Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung - weist gegenüber dem Haushalt des Vorjahres keine wesentlichen Neuerungen auf. Das ist um so bemerkenswerter, als diese Bundesregierung unter dem Vorzeichen der inneren Reformen angetreten ist mit dem Ziel, größere soziale Sicherheit und vermehrte soziale Gerechtigkeit in unserer Bundesrepublik zu verwirklichen. Dieses Ziel hat sie an ihre Fahnen geheftet. Dieses Ziel wird auch von dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ständig herausgestellt und publiziert. Wir dürfen hier aber feststellen, daß im Einzelplan 11 die Vorhaben, die ständig, unablässig propagiert werden, keinen konkreten Niederschlag gefunden haben. Wir stellen fest, daß die vorgesehenen Aktivitäten und die umfassende Öffentlichkeitsarbeit des Herrn Ministers im umgekehrten Verhältnis stehen zur tatsächlichen Realisierung der angepeilten und angestrebten Objekte.
Der Gesamthaushalt des Bundes zeigt das. Insbesondere zeigt es aber der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Während der Gesamthaushalt des Bundes für 1971 eine Steigerung von 12,1 % und mehr erfahren hat, weist der Einzelplan 11 für 1971 gegenüber 1970 eine Steigerungsrate von knapp 5 % auf. Das Ausgabevolumen des Einzelplans 11 steigt allerdings von 1970 auf 1971 von 18,75 Milliarden DM auf 19,6 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung um rund 850 Millionen DM. Das ist ein sehr hoher Betrag. Allerdings dienen die damit verbundenen Beträge nicht der Realisierung von Reformen.
Die gesetzlich vorgeschriebenen Steigerungen, die Verpflichtungen machen die Haushaltsmehrausgaben notwendig. Die gesetzgeberische Basis dazu ist im Grunde genommen von der CDU/CSU gelegt worden. Das zeigt ein Blick auf die großen Ausgabenblöcke dieses Einzelplans. Ich weise darauf hin, daß für die Rentenversicherung ein erhöhter Zuschuß von 350 Millionen DM vorgesehen ist. Der Zuschuß für die Angestelltenversicherung beträgt 174 Millionen DM. Die Knappschaft erfordert ein Mehr von 50 Millionen DM. Im Bereich der Kriegsopferversorgung ist ein Mehr von 340 Millionen DM eingesetzt.
({0})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen, Herr Professor Schellenberg.
Am Rande seien noch die Kriegsopferversorgung und der zivile Ersatzdienst genannt.
Noch im April 1970 hat Minister Arendt in seinen Reden zur sozialpolitischen Situation den finanziellen Spielraum in der Sozialpolitik dargelegt. Er sprach von Größenordnungen von vier bis fünf Milliarden DM. Davon ist allerdings im Haushalt 1971 nichts zu finden. Im Gegenteil! Auch die mittelfristige Finanzplanung bis 1974 weist keine Mittel für die Weiterentwicklung und für die Reform unserer Sozialverfassung und die Reform des Sozialrechts auf. Die geplanten Ausgabesteigerungen in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974 betragen rund 5,8 Milliarden DM. Das sind unabweisbare Verpflichtungen, Kriegsopferversorgungs- und Rentenversicherungsansprüche gesetzlicher Art, die erfüllt werden müssen. Die von mir eben zitierten unabweisbaren Verpflichtungen in der Kriegsopferversorgung und der Rentenversicherung und andere machen aber im Gegensatz zum Ansatz in der mittelfristigen Finanzplanung mehr als 6 Milliarden DM aus. Dabei ist zu berücksichtigen, daß den Kürzungen der Bundeszuschüsse an die Rentenversicherungsträger auf Grund des Finanzänderungsgesetzes ab 1972 - sie machen 1,2 Milliarden DM jährlich aus
- Rechnung getragen werden muß.
Wir können feststellen, daß sich der Haushalt und die Finanzplanung 1971 bis 1974 schlicht auf Beibehaltung bestehender Leistungen beschränken, die weitestgehend von der CDU/CSU in die Haushaltplanung eingesetzt wurden.
Herr Minister, aus diesem Haushalt und aus der geführten Diskussion ergeben sich einige Fragen. Wo sollen die Mittel für die angekündigten Reformen herkommen? Der Bundeshaushalt zeigt, wie gesagt, keine Ansätze. Die Frage ist, ob die angekündigten Reformen zu Lasten der Versicherungsgemeinschaften, zu Lasten des Steuerzahlers gehen sollen und damit letzten Endes zur Erhöhung der Soziallastenquote führen.
({1})
- Ich frage, Herr Professor Schellenberg! Letzten Endes muß ja die Regierung Antworten auf diese Fragen geben; sie kann nicht immer nur reden.
({2})
Jetzt ist der Zeitpunkt dazu gekommen, Herr Minister.
({3})
Herr Minister, ich frage schlicht, wo sich im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung die Ansätze für die Einführung der flexiblen Altersgrenze befinden. Oder sind das alles nur Versprechungen? Ich frage, Herr Minister, ob sich im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung Ansätze für die Einführung und Durchführung der Hausfrauenrente und damit für die soziale Sicherung der Frauen befinden.
({4})
Ich frage, Herr Minister, ob sich im Einzelplan 11 für 1971 und auch in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974 Beträge für die Öffnung der Renttenversicherung für Selbständige finden?
({5})
Die Diskussion im Deutschen Gewerkschaftsbund kennen Sie. Herr Minister, ich frage Sie im Hinblick auf die angekündigten Reformen, wo im Einzelplan 11 und in der mitelfristigen Finanzplanung die Beträge für die Einführung und Verwirklichung des Bildungsurlaubs stehen.
({6})
Ich will nur diese vier Probleme ansprechen.
Wir möchten den Minister fragen, ob er nicht hier im Hause in seiner Aussage konkreter werden will. Er sollte sagen, welche Kosten dadurch entstehen, und er sollte sagen, wer das wann und wie zu finanzieren hat. Oder müssen wir annehmen - wir haben entsprechende Fragen gestellt , daß sich der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Aussage anschließt, die der Bundesminister der Finanzen getroffen hat, indem er sagte: „Wir müssen uns an ein anderes Klima gewöhnen, wir haben zu viele Illusionen gehabt"? Diese Annahme liegt nahe, denn der Klartext selbst ist der Einzelplan 11, das Eingeständnis, daß Vorstellungen und Aussagen zunächst einmal als Illusionen bezeichnet werden dürfen. Ober aber heißt das, Herr Minister, daß Sie sich wieder einmal übernommen haben?
Uns wird bedeutet, daß die finanzielle Lage sehr schwierig sei. Das hat die Bundesregierung zum großen Teil selbst zu verantworten. Statt Reformen durchzuführen oder die angekündigten Vorhaben tatsächlich zu realisieren, versucht sie, ihre fehlenden Initiativen durch eine gesteigerte Öffentlichkeitsarbeit zu überspielen. Hier wird das, was real vollzogen werden sollte, überspielt, hier wird viel Lärm um nichts gemacht. Bei den Reformvorschlägen und Reformansätzen, die tatsächlich in Gesetzentwürfe Eingang gefunden haben, handelt es sich auch zum großen Teil um Beitrage der Opposition, die von der Regierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit einkassiert werden. Wir sind nicht der Meinung, Herr Minister, daß Öffentlichkeitsarbeit nicht notwendig sei; sie sollte aber auf ein gesundes, sauberes und solides Maß zurückgeschraubt werden. Daher haben wir auf Umdruck 114 *) den Antrag gestellt, den Ansatz bei Tit. 53101 auf 600 000 DM herabzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt noch einige kurze Bemerkungen zu einigen Ansätzen im Einzelplan 11 machen. Neu ist in diesem Einzelplan ein Betrag, der für eine Informationsaktion zur Vergabe von Versicherungsnummern in der Rentenversicherung vorgesehen ist. Wir begrüßen diesen Ansatz und sind der Meinung, daß die Eröffnung maschinell geführter Konten in der Rentenversicherung den Versicherten in Zukunft eine Beitragsübersicht sauberer Art ermöglicht. Der Versicherte kann dann Versicherungszeiten und Höhe seiner Rentenanwartschaften feststellen. Wir sind der Auffassung, daß das ein Recht ist, auf das heute jeder Versicherte Anspruch hat. Er hat Anspruch darauf, die Höhe seines Beitrags feststellen zu können und bescheinigt zu bekommen, und zwar nicht nur wegen der Höhe des Beitrags, sondern weil damit für ihn auch eine soziale Sicherung individueller Art verbunden ist. Daß wir aber heute schon so weit sind, ist ein Verdienst der Regierungen, die vor der jetzigen auf diesem Gebiet tätig geworden sind. Das ist das Verdienst der früheren Arbeitsminister, denn sie haben in langjähriger Arbeit die technischen Grundlagen und Voraussetzungen dafür geschaffen.
({7}) *) Siehe Anlage 2
Hier wird etwas fortgeschrieben; das sei nur am Rande festgestellt.
Wir begrüßen auch die Hebung des Ansatzes für die Betreuung und Beratung ausländischer Arbeitnehmer. Die Aufstockung dieses Titels ist nicht so sehr Sache der Bundesregierung als vielmehr Sache des Haushaltsausschusses gewesen, der die Notwendigkeit dieser Maßnahme anerkannt hat. 8 Millionen DM stehen jetzt für Betreuungsmaßnahmen zur Verfügung; 5 Millionen hatte die Bundesregierung angesetzt. Von diesen 8 Millionen DM werden 0,5 Millionen DM erstmalig für die arbeits- und sozialrechtliche Beratung ausgegeben. Diese 0,5 Millionen DM dienen der genannten arbeits- und sozialrechtlichen Beratung ausländischer Arbeitnehmer durch Gewerkschaften und Vereinigungen mit berufs- oder sozialpolitischer Zielsetzung.
Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, auch den Betreuungsorganisationen und ihren Helfern Dank zu sagen, denn sie haben nicht nur Mittel, sondern auch sich selber für die Integration vieler ausländischer Arbeitnehmer eingesetzt, die bei uns arbeiten und für uns tätig sind.
Gestatten Sie mir, daß ich den Titelansatz „Rehabilitation, Bau von Umschulungseinrichtungen" anspreche. Der Haushaltsausschuß hat wiederum über die Regierungsvorlage diesen Titel um 4 Millionen DM erhöht. Damit hat das Parlament über seinen Haushaltsausschuß - ich nehme an, daß das Parlament keinen Einspruch einlegt - die Wichtigkeit gerade dieser Maßnahme, der Förderung dieser Maßnahme unterstrichen. Aus den Mitteln, die zusätzlich für die Förderung im Zonenrandgebiet zur Verfügung gestellt werden, ist dieser Titel um weitere 15 Millionen DM, beschränkt auf das Zonenrandgebiet, aufgestockt worden. Wir sind der Auffassung, daß die Verteilung der damals zur Verfügung gestellten 80 Millionen DM Zonenrandmittel und von 15 Millionen in dem Bereich der Rehabilitation nicht genügend durchdacht wurde, daß nicht genügend planerisch vorbereitet wurde und daß dieser Titel damit, räumlich gesehen, für die Bundesrepublik einseitig, kopflastig wird. Es liegt Ihnen ein Antrag vor, diesen Titel um 6 Millionen DM zu kürzen. Es bleiben dann noch 33 Millionen DM insgesamt für die Förderung der Rehabilitation, ein Volumen, das zunächst einmal entsprechend verwendet werden muß.
In diesem Zusammenhang sei auch ein neuer Titel angesprochen, Tit. 893 02, Förderung, Errichtung, Erweiterung, Ausstattung, Modernisierung der beruflichen Bildungseinrichtungen im Zonenrandgebiet. Dort sind 20 Millionen DM neu in den Haushalt eingesetzt worden. Sie sind gesperrt bis zur Verabschiedung des Zonenrandförderungsgesetzes. Wann es verabschiedet wird, weiß ich zur Zeit nicht. Wir sind der Auffassung, daß 10 Millionen DM dem Bedarf entsprechen, und für den Verwendungszweck der übriggebliebenen 10 Millionen DM gilt gleiches wie zuvor. Für beide Ansätze liegen Kürzungsvorschläge vor. Die hier nicht verwandten Mittel sollen aber nicht dem Finanzministerium zur Deckung irgendwelcher anderer Dinge und Ausgaben überwiesen werden, sondern sie sollen einem ähnlichen
sozialen Zweck zugeführt werden, nämlich dem Wohnungsbau im Zonenrandgebiet. Dort sind sie, glaube ich, entsprechend zweckmäßig verwendet.
Wir wissen, daß wir für die Rehabilitation noch nicht genügend Plätze in der Bundesrepublik haben. Wir wissen aus der Mitarbeit in den verschiedenen Instituten und Einrichtungen, daß gerade im beruflichen Rehabilitationssektor noch Wartezeiten bis zu zwei Jahren bestehen, bis der einzelne Umschulungswillige oder Umschulungsfähige diese Umschulung antreten kann. Diese Wartezeit stellt letzten Endes den Erfolg und die Bereitschaft des einzelnen zur Wiedereingliederung, d. h. durch Umschulung und Wiedereintritt in den Beruf, in Frage. In der Bundesrepublik fehlen noch etwa 5- bis 7000 Plätze, die für die Förderung über den Bundeshaushalt auch in Zukunft notwendig sind. Ich möchte damit nur sagen, daß das Geld, das der Deutsche Bundestag für diesen Bereich zur Verfügung stellt, auch in Zukunft produktiv angelegt ist. Zur Sache selbst wurde an anderer Stelle des öfteren gesprochen.
Wir sagen ja zur Wiedereingliederung in das Berufsleben; und nicht nur wir, sicherlich auch die Koalitionsparteien und die Bundesregierung. Wir hätten aber erwarten können, Herr Minister, daß die von Ihrem Amtsvorgänger erfolgreich eingeleitete Politik im Bereich der beruflichen Bildung eine besondere Förderung im Haushalt erfahren würde. Neben den Leussink-Milliarden nehmen sich die Ansätze für die berufliche Bildung der 1,5 Millionen Lehrlinge, die wir haben, doch ein wenig bescheiden aus.
({8})
- Schauen Sie sich einmal Ihre eigenen Kürzungsanträge an, dann wissen Sie, auf welcher Linie auch Sie sich befinden. Nicht das Zurverfügungstellen, sondern die zweckentsprechende Verwendung des Geldes, die Ansatzmöglichkeiten sind letzten Endes entscheidend.
Aber wir wollen hier über den Haushalt sprechen. In diesem Bereich hat die Bundesregierung zwei wichtige Ansätze aus der Zeit der Großen Koalition übernommen, einmal das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, dann den Ansatz für den Bundesausschuß für Berufsbildung.
Zwei weitere Initiativen sind seitens des Parlaments aufgegriffen worden, nämlich die Kommission zur Ermittlung der Kosten für die berufliche Bildung und der Ansatz von 300 000 DM für den Verein zur Durchführung der hauswirtschaftlichen Berufsbildung. Letzterer Titel ist vom Haushaltsausschuß aufgenommen worden und findet die Zustimmung und Förderung meiner Fraktion. Der Verein wird die öffentlichen Aufgaben nach dem Berufsbildungsgesetz im Bereich der Hauswirtschaft durchführen.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung zum Institut für Berufsbildungsforschung, das sich zur Zeit in Berlin befindet. Bei meinem Besuch Anfang Dezember in Berlin konnte ich feststellen, daß dieses Institut im Haus der ehemaligen Bundesschuldenverwaltung sehr kärglich untergebracht ist. Ich richte an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Bitte, für eine zweckmäßige und geräumige Unterbringung dieses Instituts Sorge zu tragen. Das kann in Absprache mit dem Herrn Bundesfinanzminister geschehen, der seine Bundesschuldenverwaltung sicher schneller verlegen könnte, damit die neuen Mitarbeiter, die auf Grund unserer Beschlüsse eingestellt werden können, genügend Platz und Räumlichkeiten zum Arbeiten haben, damit sie ihre Forschungstätigkeit auf diesem entwicklungsfähigen Gebiet antreten können.
Vielleicht aber, Herr Minister, bekommen wir hier ein Wort zu der enttäuschend langen Anlaufphase von Ihnen zu hören. Lag diese enttäuschend lange Anlaufphase des Instituts vielleicht daran, daß die Bundesregierung im Haushalt 1971 nur 5 Millionen DM ansetzte? Wirkte sich dieser Ansatz lähmend auf die Arbeit des Instituts aus? Oder aber lag es an der mangelhaften Konzeption der Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeiten des Bundesinstituts?
({9})
1,5 Millionen Lehrlinge und viele, viele, ja, praktisch alle erwachsenen Arbeitnehmer haben ein Anrecht darauf, daß Lehrlings- und Erwachsenenbildung modern und neuzeitlich in Lehrplänen und Lehrmethoden ist. Damit muß für den genannten Personenkreis eine zeitgerechte, auf die Zukunft ausgerichtete Ausbildung und Fortbildung erstrebt und durchgeführt werden. Die Ansätze im Haushalt und die Fortschreibung in der mittelfristigen Finanzplanung sind nicht überwältigend und müssen überprüft werden.
Herr Minister, Sie haben von Ihrem Amtsvorgänger die Aufgabe übernommen, daß Institut für Unfallforschung in Koblenz zu einer echten Bundesanstalt auszubauen. Mit dem Ankauf des Grundstücks in Dortmund allein darf es nicht genug sein. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe liegt auf der Hand. Hunderttausende von Unfallverletzten sprechen dafür. Wir erwarten bald bauliche, personelle und aufgabenmäßige Pläne, damit das Parlament nach Prüfung derselben die Entscheidungen treffen kann.
Ein kurzes Wort sei mir zu den Aufwendungen im Bereich der Kriegsopferversorgung gestattet, die gesetzlich festgelegt sind. Aus dem Vorschlag des Berichterstatters können Sie entnehmen, daß in diesem Kapitel des Einzelplans 11 die größten Umschichtungen vorgenommen wurden, zunächst ein wesentlicher Teil für die höheren Leistungen bei Berufsschäden und beim Schadensausgleich. Diese Verbesserungen erfolgen automatisch, weil die Leistungen den gestiegenen Durchschnittsverdiensten angepaßt werden. Die Grundlage dafür wurde in den vorher erlassenen Neuordnungsgesetzen gelegt.
Im Bereich der Kriegsopferversorgung sind aber noch Fragen offengeblieben. Werden für die Änderung von Rechtsverordnungen, die hier und da angeklungen ist, schon im Jahre 1971 über das Zweite Anpassungsgesetz hinaus Mittel zur Verfügung gestellt? Im Haushalt sind zur Zeit keine vorhanden. Wenn nicht, dann sind Überlegungen anzustellen,
ob im Zusammenhang mit dem Dritten Anpassungsgesetz Mittel für die Harmonisierung der Anpassung, insbesondere im Bereich des Berufsschadens- und des Schadensausgleichs, eingesetzt werden.
Die Lage der Witwen, die allmählich in größerer Zahl das 65. Lebensjahr erreichen, ist sehr prekär. Auch da sollten einige Überlegungen angestellt werden. Aber auch die Elternversorgung muß überprüft werden. Es muß daran gedacht werden, sie zu verbessern. Die Anrechnungsbestimmung im Bereich der Grundrentenerhöhung muß neu überdacht werden.
Heute können wir nur feststellen, daß der Einzelplan 11 für strukturelle und materielle Verbesserungen über das Zweite Anpassungsgesetz hinaus keine Mittel enthält.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gesellschaftspolitisch bedeutend ist die Einsetzung von Kommissionen. Wir haben Kommissionen eingesetzt oder werden sie einsetzen für das Sozialgesetzbuch und das Arbeitsgesetzbuch. Ebenso sind oder werden Kommissionen für die Reform der Krankenversicherung eingesetzt. Zu diesen Kommissionen selbst möchte ich nichts sagen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollten dazu führen, daß man sich mit allem Freimut mit ihnen auseinandersetzt. Das heißt, daß diese Ergebnisse der Kommissionen nicht in den Schubladen verschwinden dürfen.
Es wäre reizvoll, sich noch mit weiteren Aspekten oder auch mit nicht vorliegenden Aspekten dieses Haushalts auseinanderzusetzen; noch reizvoller allerdings wäre es, sich mit den Absichtserklärungen auseinanderzusetzen, für die im Haushalt keine Ansätze vorhanden sind. Dazu ist jetzt aber keine Zeit.
Wir möchten zu diesem Haushalt abschließend sagen: wir wollen unserer eigenen Politik nicht widersprechen, und darum stimmen wir dem Einzelplan 11 zwar nicht zu, sagen zu ihm aber auch nicht nein, sondern enthalten uns der Stimme.
({10})
Damit soll aber festgestellt werden, Herr Kollege Wehner, auf welch schwachem Fundament die Tätigkeit des jetzigen Arbeitsministeriums in der gegenwärtigen Bundesregierung steht.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist jetzt von seiten der Opposition üblich, täglich schwarz in schwarz zu malen. Ich meine, Ihnen müßte bei soviel Schwarzmalerei, die Sie da anstellen, bereits schwarz vor Augen sein.
({0})
Denn, Herr Kollege Krampe, ich muß Ihnen doch
gleich sagen, ich gebe zwar zu, daß die Opposition
nach 15 Monaten noch nicht aus dem Fragealter heraus sein kann,
({1})
aber ich möchte daran erinnern, daß z. B. die Dynamisierung der Kriegsopferrenten, die Änderung der Krankenversicherung, die Vermögensbildung mit dem 624-Mark-Gesetz und die Abschaffung des 2%igen Versicherungsbeitrags der Rentner doch finanziert worden sind
({2})
und daß das alles Schritt um Schritt gegangen ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Von wem ist das
finanziert worden?
Und Sie werden doch nicht etwa unterstellen wollen, daß das keine Fortschritte seien. Ich nehme an, Sie haben doch teilweise zugestimmt. Warum verlangen Sie also jetzt schon Prophetie für die Zeit bis X? Wir haben uns bestimmte Zielpunkte gesetzt, und wir werden diese Zielpunkte Schritt um Schritt angehen. Und dann wird Ihnen auch die Finanzierung der Aufgaben vorgelegt werden.
({3})
Es war Herr Burgbacher, der in diesen Tagen davon sprach, diese Bundesregierung Brandt/Scheel lebe von ihren Zinsen. Aber unser Freund Fritz Schäfer hat darauf hingewiesen, welche Hypotheken noch übriggeblieben sind. Zum Beispiel vergessen Sie die eine Hypothek - obwohl Herr Krampe auf sie hingewiesen hat -, daß wir im nächsten Jahr 1,1 Milliarden DM aus dem Finanzsicherungsgesetz von 1967 gegenüber der Rentenversicherung abtragen müssen. Das sind Ihre Zinsen; wir nennen es Hypothek.
Nun darf ich gleich ein paar Bemerkungen zum Einzelplan 11 - Arbeit und Sozialordnung - selbst machen. Dies ist der zweite Sozialetat, der unter Federführung von Bundesminister Arendt von dessen Haus vorgelegt wurde. Ich will in meiner Betrachtung über diesen Etat nüchtern und sachlich einige Schwerpunkte vortragen. Insgesamt kann man über diesen Etat sagen, daß wir mit ihm dem Ziel, größere und mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen, einen weiteren Schritt nähergekommen sind.
({4})
In Zahlen ausgedrückt - einen Augenblick, meine Damen und Herren! - sieht das wie folgt aus. 1969 umfaßte der Einzelplan 11 die Gesamtausgabe von 16,8 Milliarden DM; 1971 sind es 19,7 Milliarden DM. Demnach verzeichnen wir innerhalb von zwei .Jahren ein Mehr von 2,9 Milliarden DM.
({5})
Diese Steigerung, meine Damen und Herren, erscheint manchem der Betrachter wohl selbstverständlich. Aber nach den Kassandrarufen der CDU/CSU-Opposition im Bundestag über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung hätte ja wohl das Gegenteil eintreten müssen.
({6})
Ich stelle nüchtern fest: kein Stillstand der sozialen Leistungen dieser Bundesregierung Brandt/ Scheel. Im Gegenteil, es sind Leistungsverbesserungen eingetreten. Der Etat weist neue sozialpolitische Maßnahmen aus. Dieser Etat für 1971 sieht eine Gesamtausgabe von 19,708 Milliarden DM vor. 1970 waren es 18,767 Milliarden DM. Es sind jetzt also 941 Millionen DM mehr als im Vorjahr.
Die Empfänger sozialer Leistungen können darauf vertrauen, daß die gesetzlichen Verpflichtungen eingehalten werden. So entsprechen die Steigerungen im Sozialetat den beschlossenen Anpassungsgesetzen in der Rentenversicherung und in der Kriegsopferversorgung. Von den Gesamtausgaben des Einzelplans 11 in Höhe von 19,7 Milliarden DM sind 98 bis 99% gesetzlich gebunden.
({7})
Der noch verbleibende Gestaltungsraum ist aber von erwähnenswerter politischer Wirksamkeit.
Wer den Etat des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung betrachtet, würde ein ungenaues Bild bekommen, wenn er der Meinung wäre, er allein stelle die sozialen Leistungen des Bundes dar. Ich muß deshalb das Bild ergänzen. Für die aus Bundesmitteln zu finanzierenden Sozialleistungen im engeren Sinne - zu denen die Zuschüsse zur Sozialversicherung, die Altershalfe für Landwirte, die Kriegsopferversorgung, die Sozialhilfe, die Kriegsfürsorge, das Wohngeld, die Aufwendungen für den Lastenausgleich, das gesetzliche Kindergeld, die individuelle Förderung und Ausbildung und einige andere Leistungen gehören - sind im Gesamthaushalt 1971 insgesamt rund 26,1 Milliarden DM veranschlagt.
({8})
Im Haushaltsjahr 1970 waren dafür rund 24,4 Milliarden DM vorgesehen. Die Steigerung gegenüber 1970 beträgt demnach 1,7 Milliarden DM.
({9})
Um das Bild abzurunden, meine Damen und Herren, erwähne ich den Finanzplan 1970 bis 1974. Er sieht weitere erhebliche Steigerungen im Sozialbereich vor. Schwergewicht werden sein: Rentenversicherung, Kriegsopferversorgung, Kindergeld, Wohngeld.
Ich darf hier also noch einmal unterstreichen: im Bereich der Sozialleistungen kein Stillstand, sondern weiterer Ausbau!
({10})
Einzelplan 11 spiegelt einen Teil der inneren Reformen wider, die sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt hat.
({11})
- Bei dem Stichwort „innere Reformen" reagiert die CDU/CSU allergisch
({12})
wie einst in vergangenen Jahren bei dem Stichwort „Planung".
({13})
Die CDU/CSU versucht, das Thema „innere Reformen" entweder zu verniedlichen und vielfach zu diskreditieren oder überhaupt wegzudiskutieren. Aber, meine Damen und Herren, auf die Dauer wird man mit dieser Methode keinen Erfolg haben.
({14})
Ich erinnere die CDU/CSU an das Jahr 1961, als die SPD, damals in Opposition stehend, erstmalig die Fragen des Umweltschutzes zur Diskussion stellte.
({15})
Die CDU/CSU bemühte sich, dieses Thema lächerlich zu machen. Sie hatte damals ohne weiteres gewisse Teilerfolge.
({16})
Der Herr Abgeordnete läßt keine Zwischenfrage zu. Das ist das Recht des Redners.
Heute, nach zehn Jahren, sind die Umweltschutzfragen zum Hauptthema der öffentlichen Diskussion geworden,
({0})
dem sich nun auch die CDU/CSU nicht mehr widersetzen kann, wenn sie nicht politisch der Lächerlichkeit anheimfallen will. Auf Grund der seit 1969 veränderten machtpolitischen Situation sind SPD und FDP dabei, solche und andere innere Reformen in die Tat umzusetzen. Wenn das Gesamtergebnis dieser Reformpolitik nach Beendigung dieser Legislaturperiode dem Wähler fühlbar und sichtbar geworden sein wird, wird der CDU/CSU der Spott und Hohn vergehen, den sie heute noch immer bei dem Thema Reformpolitik anzubringen versucht.
({1})
Im Etatjahr 1971 weist der Einzelplan 11 einige sichtbare Ergebnisse der Reformpolitik aus. Da ist einmal die Kriegsopferversorgung mit ihrer laufenden Dynamisierung. Da ist die Vermögensbildung mit dem 624-DM-Gesetz, das sozial ausgebaut worden ist, vor allem mit der Einführung des Zulagesystems sozial gerecht gestaltet wurde. Da ist die Krankenversicherung. Hier betrifft die Reform alle Angestellten, die einen Anspruch auf Arbeitgeberanteile zum Krankenversicherungsbeitrag und den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten haben.
({2})
Die Versicherungspflichtgrenzen und die übrigen Einkommensgrenzen wurden dynamisiert. Gezielte Vorsorgeuntersuchungen sind in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen worden.
({3})
Das sind für 2,5 Millionen Kinder, für 7,6 Millionen Männer und für über 6 Millionen Frauen die Vorteile.
({4})
Herr Abgeordneter Seidel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Dann ist noch die Unfallversicherung zu erwähnen; denn der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ist auf die 9 Millionen Schüler und die über 400 000 Studenten ausgedehnt worden.
Was nun den freien Gestaltungsraum im Einzelplan 11 anbetrifft, der nicht auf Gerund von gesetzlichen Verpflichtungen festgelegt ist, so darf ich besonders das umfassende Aktionsprogramm Rehabilitation erwähnen.
({0})
Gegenüber 10 Millionen DM im Jahre 1969 werden
jetzt dafür 24 Millionen DM ausgegeben. Im Zusammenhang mit den zusätzlichen Ausgaben für die Zonenrandförderung sind zusätzlich 10 Millionen DM bewilligt worden, demnach insgesamt für Rehabilitation 34 Millionen DM.
Dieses Programm, das die Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten zum Ziele hat, werden wir alle sehr begrüßen. Denn Ziel dieses Programms ist es, allen Behinderten, ob Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, schnell und unbürokratisch die gebotenen medizinischen, erzieherischen, beruflichen und sozialen Hilfen zu gewähren. Das gilt unabhängig davon, ob die Behinderung angeboren ist, auf einer Erkrankung, einem Unfall oder einer Kriegsbeschädigung beruht. Zur Verwirklichung dieses Programms ist ein bundesweites Netz von Rehabilitationsstätten erforderlich. Wir hoffen im Interesse der Betroffenen, daß die Verantwortlichen diese ausgewiesenen Summen möglichst rasch zum Umsatz bringen.
Ein weiterer wichtiger Punkt liegt bei der Unfallforschung. Hier enthält der Etat die zweite Rate zum Ausbau der Bundesanstalt für Unfallschutz und Arbeitsschutz, die in Dortmund errichtet wird. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung hier die Initiative auf einem Gebiet ergriffen hat, dem bisher nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Volkswirtschaftliche Kosten der Arbeitsunfälle: 10 bis 12 Milliarden DM jährlich, davon 4 Milliarden DM Aufwendungen der Berufsgenossenschaften. Der Einsatz von Mitteln auf diesem Gebiet der Unfallforschung wird in den folgenden Jahren sicher noch verstärkt werden müssen.
Von besonderer Bedeutung sind weiter die Fragen der beruflichen Bildung. Im Haushalt 1971 sind die Mittel für die berufliche Bildung beträchtlich verstärkt worden. Im einzelnen sind dies: Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung in Berlin, 7 Millionen DM, Bundesausschuß für Berufsausbildung mit Unterausschüssen, 360 000 DM, Zuschuß für hauswirtschaftliche Berufsausbildung, 350 000 DM, Kommission zur Untersuchung der Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung, 795 000 DM. Der Ausbildung unserer Lehrlinge 1,4 Millionen - und der Fortbildung unserer Erwerbstätigen müssen wir ebenso wie der Entwicklung unserer Hochschulen größere Bedeutung beimessen.
({1})
Dies kommt bereits in dem Berufsbildungsgesetz zum Ausdruck. Um die im beruflichen und im Bildungswesen bestehenden Mängel und Lücken möglichst rasch und wirksam zu beseitigen, hat die Bundesregierung ein Aktionsprogramm vorgelegt, für das ihr besonderer Dank gebührt.
Eine besondere Beachtung verdient in diesem Bereich das inzwischen in Berlin errichtete Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung. Auf diesem Gebiet der Forschung besteht ein großer Nachholbedarf.
({2})
Die ursprünglich vorgesehenen Mittel hierfür mußten daher auf Grund der neueren Planung im Interesse eines zügigen Aufbaus des Instituts noch um 2 Millionen DM aufgestockt werden. Die Mittel von 7 Millionen DM sind aber immer noch geringfügig im Vergleich mit dem Einsatz öffentlicher Mittel in anderen Bildungsbereichen. Die Berufsbildungsforschung muß jedoch gleichen Rang neben den anderen Bildungssektoren haben.
({3})
Meine Damen und Herren, dies ist eine kurze Würdigung des Einzelplans 11 für 1971. In seiner Gesamtbilanz kommen wir zu einer positiven Betrachtung. Wir werden dem Haushalt unsere Zustimmung geben.
({4})
Herr Präsident, ich darf in diesem Zusammenhang noch die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion auf den Umdrucken 135 *), 136 **) und 137***) begründen.
Im Bundeshaushalt 1971 sind zur Förderung des Zonenrandgebiets 80 Millionen DM mehr eingesetzt. Diese Mittel sind für neun verschiedene Aufgaben in Form von Zuschüssen, Zuwendungen und Zuweisungen vorgesehen. Niemand bestreitet, daß diese Verstärkungen notwendig und sinnvoll sind. Bei der nachträglichen Betrachtung dieser Einteilung in neun verschiedene Aufgaben sind ein paar kleine Korrekturen vorzunehmen, und zwar würden wir empfehlen, von diesen 80 Millionen DM 10 Millionen DM für eine noch stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus im Zonenrandgebiet zu verwenden. Daher unsere Anträge auf den Umdrucken 135, 136 und 137. In beiden Fällen, bei den Einzelplänen 11 und 15, lassen sich diese Umschichtungen sachlich vertreten.
Anders sehen wir den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 138. Hier wird mit grober Hand und grobem Schnitt versucht, wichtige Maßnahmen auf dem Gebiet des Jugendstättenbaus, der Altenhilfe, der beruflichen Rehabilitation und der Berufsbildungseinrichtungen um 30 Millionen DM zu kürzen. Das halten wir bei der Bedeutung dieser Maßnahmen
*) Siehe Anlage 3 **) Siehe Anlage 4 ***) Siehe Anlage 5
für nicht gerechtfertigt. Daher lehnen wir den Antrag Umdruck 138 S) ab. Wenn das Hohe Haus heute die Anträge auf den Umdrucken 135, 136 und 137 akzeptiert, dann haben wir einen wohlabgewogenen Vorschlag, der die soziale Infrastruktur im Zonenrandgebiet so wirksam wie möglich verbessert.
Ich bitte Sie daher, die Anträge auf den Umdrucken 135, 136 und 137 anzunehmen und den Antrag Umdruck 138 abzulehnen.
({5})
Ich mache nur darauf aufmerksam, Herr Kollege Seidel, daß die Anträge auf ,den Umdrucken 136 und 137 erst bei den Einzelplänen 15 und 25 behandelt werden. Die Umdrucke stehen in einem Gesamtzusammenhang. Die Damen und Herren des Hauses haben aber die Anträge möglicherweise nach den Einzelplänen zusammengestellt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Seidel hat schon namens der SPD-Fraktion auf den Fragenkatalog des Herrn Kollegen Krampe Antwort gegeben. Lassen Sie mich einiges hinzufügen und in Erinnerung rufen, Herr Kollege Krampe, wie es etwa vor einem Jahr bei der zweiten Lesung des Haushalts 1970 war. Denn ich möchte Ihnen persönlich meine Anerkennung dafür aussprechen, daß Sie seitdem doch wesentlich ruhiger geworden sind, wenn Sie den Einzelplan 11 dieser Bundesregierung beurteilen. Ich habe mir gerade noch einmal das Protokoll von damals durchgelesen. Damals haben Sie versucht, die Sozialpolitik der jetzigen Bundesregierung, die Sozialpolitik der SPD und FDP aufs Korn zu nehmen. Sie haben alle möglichen Dinge behauptet, allerdings keine Alternativen, keine andere Substanz, keine Prioritäten anderer Art geboten. Heute waren Sie - ich stelle das mit Befriedigung fest - wesentlich ruhiger. Sie haben einige Fragen gestellt, auf die wir Ihnen Antwort geben werden und auf die auch der Minister Ihnen antworten wird.
({0})
Aber ich schließe aus der Tatsache, wie ruhig Sie die Dinge heute angesprochen haben, auch wie sachlich Sie sie angesprochen haben, daß Sie im großen und ganzen mit der Sozialpolitik dieser Bundesregierung und der Fraktionen der SPD und der FDP im vergangenen Jahr zufrieden waren
({1})
und sich eigentlich nur noch ein paar Rosinen heraussuchen mußten, mit denen Sie vielleicht noch etwas anfangen konnten.
({2})
*) Siehe Anlage 6
Herr Abgeordneter Schmidt ({0}), gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Herr Kollege Schmidt, es ehrt Sie, daß Sie sich so für unsere Ruhe verwenden und einsetzen, aber darf ich Sie einmal fragen: Können Sie verstehen - vielleicht können Sie auf die Fragen, die mein Kollege vorhin gestellt hat, sorgfältig eingehen -, daß wir als Opposition genau wissen wollen, welchen Rang Sie der Sozialpolitik in Konkurrenz mit den von Ihnen gesetzten Prioritäten - Bildung, Umweltschutz, Wohnungsbau, Straßenbau; Sie kennen diese Milliarden Ausgabenblöcke - geben wollen? Wie wollen Sie diese Versprechungen nun finanziell realisieren? Ich denke z. B. an die flexible Altersrente.
({0})
Herr Kollege, ich bitte um kurze und präzise Fragen.
Herr Kollege Burger, ich habe soeben schon gesagt: ich werde gern auf diese Fragen antworten, und auch der Minister, auch andere Kollegen meiner Fraktion werden das tun. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Aber ich halte es doch gerade beim sozialpolitischen Haushalt für sehr gut, wenn die Debatte in diesem Klima beginnt und wenn wir feststellen können, daß sich der Sprecher der Opposition etwas anders verhält, als wir das in den letzten Tagen gewohnt waren. Wir schließen daraus, daß Sie mit der Arbeit und mit dem Haushalt dieses Ministeriums sowie mit der Sozialpolitik dieser Bundesregierung verhältnismäßig zufrieden waren, zumal Sie den meisten Maßnahmen in diesem Jahr - ich komme noch darauf - sowieso im Endeffekt - nach vielerlei vorherigem Geplänkel - zugestimmt haben. Das ist ja eine positive Feststellung, und ich wollte dem Kollegen Krampe das Kompliment machen; denn ich nehme nicht an, daß diese Ruhe nur auf den gestrigen Abend zurückzuführen ist und etwa deshalb noch nicht soviel Temperament wieder da wäre.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich bitte aber, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen.
Wir werden wie üblich verfahren.
Wie würden Sie das Versprechen nach mehr sozialer Gerechtigkeit mit der Aussage des Sozialberichts in Zusammenhang bringen? Dort wird ausgeführt: In den letzten fünf Jahren stiegen das Bruttosozialprodukt um 20 %,
die Ausgaben für soziale Sicherheit um 40 %. In den nächsten fünf Jahren werden die Steigerungen des Bruttosozialprodukts bei 20 %, die Steigerungsrate für soziale Sicherheit ebenfalls nur bei 20 % liegen.
({0})
Wie können Sie sich das erklären?
Erstens einmal, Herr Kollege Burger, habe ich soeben schon darauf hingewiesen, daß ich auf die Details im Rahmen meiner Rede noch eingehen werde. Zum zweiten möchte ich feststellen, daß natürlich die Fortschreibungen in dieser Größenordnung im Augenblick nur dort vorgesehen sind, wo gesetzliche Maßnahmen vorliegen.
Herr Kollege Krampe, ich will dies gleich noch an Sie richten: Sie werden mit Sicherheit erleben, daß dann - auf einige Maßnahmen werde ich noch kommen -, wenn dieser Bundestag eine Reihe von zusätzlichen sozialpolitischen Maßnahmen in diesem Jahr und im nächsten Jahr beschließen wird - ich bin sicher, im Endeffekt auch mit der Zustimmung der Opposition -, auch im Rahmen der Fortschreibung die zusätzliche dafür notwendigen Mittel von diesem Hause und von der Bundesregierung durch Setzung der entsprechenden Prioritäten bereitgestellt werden. Wir wollen einmal sehen, ob es dann noch 20 : 20 heißt oder ob es dann nicht 20 : 30 heißen kann. Das werden wir dann wohl gemeinsam feststellen. Das kann aber nur geschehen, wenn wir die Gesetze bereits haben. Insoweit, Herr Kollege Krampe damit komme ich wieder zu Ihnen -, ist es doch etwas billig, wenn man fragt: Wo stehen denn eigentlich in diesem Haushalt die Mittel für die zukünftigen noch zu beschließenden Reformen, die wir angekündigt haben und die wir durchführen werden? Wo stehen denn die Mittel im Rahmen der weiteren Finanzplanung? Sie als Haushaltsmann müßten sehr genau wissen, daß diese Mittel erst dann im Etat stehen können, wenn die entsprechenden Gesetze fertig sind. Sie können nicht von vornherein eingeplant werden,
({0})
dann würden Sie nämlich im Haushaltsausschuß solche Titel, die gesetzlich noch nicht voll ausgefüllt sind, möglicherweise zusammenstreichen. Das wäre haushaltsrechtlich nicht nur eine Möglichkeit, sondern sogar eine Aufgabe.
({1})
Auch die Finanzplanung können Sie erst fortschreiben, wenn Sie genau wissen, welches die Größenordnungen für die Arbeiten und die Aufgaben, die wir uns vornehmen, sind.
({2})
herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie dann auch der Meinung ({0})
Herr Kollege Schmidt, würden Sie bestätigen, daß dann nach Ihrer Auffassung die Zusagen für spezielle soziale Reformen, die schon für die Jahre 1971 und 1972 gegeben sind, nicht realisierbar sind und nicht ehrlich gemeint waren? Denn sonst wären sie ja in der Finanzplanung enthalten.
Frau Kollegin Kalinke, ich kann Ihnen nur dasselbe sagen - Sie fragen immer alle viel zu zeitig -, was ich dem Kollegen Burger eben schon gesagt habe. Ich werde auf diese Dinge im Detail eingehen, und dann werden Sie sehen, wo wir die Prioritäten sehen und wie wir nach Auffassung der Freien Demokraten und nach Auffassung unseres Koalitionspartners die Dinge in diesem Jahre weiter zu gestalten gedenken. Ich bin sicher, Sie werden hinterher wieder sagen, es war zu wenig, aber im Endeffekt werden Sie zustimmen.
({0})
Nun aber, meine Damen und Herren, einmal ein wenig zu diesen Prioritäten, zu diesen Reformen, zu der Behauptung, die ja bei Herrn Kollegen Krampe wieder anklang, daß hier soviel gesagt worden sei und eigentlich gar nichts geschehe. Der Kollege Seidel hat schon einiges aus dem vergangenen Jahr angedeutet, und ich möchte hier die Behauptung aufstellen und werde dafür einige Beweise liefern - Sie können gern den Gegenbeweis antreten -, daß die Bilanz des Jahres 1970 in der Sozialpolitik, in den gesellschaftspolitischen Maßnahmen dieser Bundesregierung, dieser Koalition aus SPD und FDP, eine sehr gute Bilanz ist.
({1})
Sie sollen mir erst einmal nachweisen, welche Bundesregierung in der Vergangenheit, die unter der Führung eines Kanzlers von Ihnen stand, im ersten Jahr so viele Maßnahmen verwirklicht hat, wie dies 1970 geschehen ist.
({2})
- Bitte den Gegenbeweis! Sagen Sie mir das eine Jahr - - Bitte schön!
von Thadden ({3}): Herr Kollege, würden Sie mir zugeben, daß in der Öffentlichkeit in all den Jahren, in denen Sie mit uns in einer Koalition standen, zahlreiche Publizisten der FDP den Vorwurf gemacht haben, in der kleinen Koalition mit der CDU/CSU die Rolle des sozialpolitischen Bremsers erfüllt zu haben?
Ich komme auch auf diese Frage des sozialpolitischen Bremsers noch zu sprechen.
({0})
Schmidt ({1})
Wenn ich daran denke, was in den letzten Monaten oder was in Düsseldorf so über die Bühne ging,
({2})
möchte ich einmal fragen, welche Leute in diesem Haus im Bremserhaus sitzen.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe hier die Behauptung aufgestellt und wiederhole sie: Keine Bundesregierung hat in der Vergangenheit im ersten Jahr so viele sozialpolitische Maßnahmen erreicht.
({4})
- Was hat sie Neues gebracht? Gerade fange ich damit an. Ich will es Ihnen noch einmal ins Gedächtnis zurückrufen, weil man in der Öffentlichkeit nicht immer bloß Ihr Gemeckere hören sollte, sondern einmal deutlich machen muß, was hier geschehen ist.
Ich spreche in diesem Zusammenhang noch einmal in wenigen Sätzen die Kriegsopferversorgung an. Wie war es denn bis zum Beginn dieser Bundesreqierung?
({5})
- Moment! Alle Versuche der FDP, eine Dynamisierung und damit eine rechtzeitige, regelmäßige Anpassung der Kriegsopferrenten zu erreichen, scheiterten, ja, Sie wollten seinerzeit sogar die entsprechenden Anpassungsklauseln aus dem Gesetz streichen.
({6})
- Sie wissen sehr genau, daß eine von Ihnen geführte Bundesregierung sie streichen wollte. Es ist lediglich an Ihrem Partner gescheitert, daß der entsprechende Paragraph gestrichen wurde.
({7})
Bitte, lesen Sie es nach! Sie haben es damals Ihrem Partner verwehrt, die Dynamisierung durchzuführen. Das aber hat diese Bundesregierung, einer alten Forderung der FDP entsprechend, getan. Oder war es, als sie dafür verantwortlich waren, möglich, die Witwenrenten endlich auf 60 % zu erhöhen? War es möglich, mit dieser Dynamisierung die jährlichen Anpassungen durchzuführen?
Wenn Sie die Größenordnung betrachten - ich glaube, man muß auch diese einmal ins Gedächtnis zurückrufen , sehen Sie, daß durch das erste Gesetz 938 Millionen DM an 2,6 Millionen Empfänger gegangen sind. Durch das Anpassungsgesetz, das inzwischen vorliegt, wurden am 1. Januar wieder 280 Millionen DM bereitgestellt. Sie gelangen jetzt zur Auszahlung, während diese Anpassungsraten früher erst im Mai oder Juni gezahlt wurden.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Herr Kollege Schmidt, stimmen Sie mit mir überein, daß Sie mit dieser Dynamisierung der Kriegsopferrenten auch den Niveauunterschied zwischen den Kriegsopferrenten und den Sozialversicherungsrenten dynamisieren?
Herr Kollege Müller, Sie wissen sehr genau - wir haben uns im vorigen Jahr sehr lange darüber unterhalten -, daß es über diese 1 Milliarde DM hinaus noch nicht möglich war, auch noch strukturelle und andere Verbesserungen vorzunehmen. Aber nun frage ich Sie: Warum hat dieser Niveauunterschied denn so lange bestanden?
({0})
Wir haben im Zusammenhang mit diesen Fragen bereits Jahre vorher immer wieder versucht, die Dinge besser anzupassen. Damals wären die Diskrepanzen nicht so groß gewesen. Eine Angleichung ist erst dieser Bundesregierung gelungen, und daran waren die Freien Demokraten sicher ziemlich aktiv beteiligt.
({1})
Sie wissen sehr genau, wie wir uns in dieser Frage in der Vergangenheit verhalten haben.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt nur ganz kurz anschneiden. Wie war es denn zu Beginn dieser Bundesregierung? Wer hat denn die Zahlung von 800 Millionen DM, die den Rentnern als Krankenversicherungsbeitrag auferlegt worden waren, endlich wieder abgeschafft? In Wirklichkeit war dieser Beitrag kein Krankenversicherungsbeitrag, sondern eine geheime Finanzierung der Rentenversicherung.
({2})
Wer hat es wieder abgeschafft? Oder sind Sie, Herr Härzschel, der Meinung - jetzt frage ich Sie auf Ehre und Gewissen -, daß dieser Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung eine gute Sache gewesen ist? Sagen Sie mir das einmal persönlich!
({3})
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Herr Kollege Schmidt, würden Sie zugeben, daß dies keineswegs allein ein sozialpolitischer Fortschritt ist, wenn Sie berücksichtigen, daß die Krankenversicherung der Rentner mit ihren Kosten gerade die Versichertengemeinschaften der gesetzlichen Krankenversicherung zunehmend belastet? Vielleicht sagen Sie auch etwas aus Tiber die Reformen, die Sie bei der Krankenversicherung der Rentner planen.
Frau Kollegin Kalinke, ich glaube, Sie können sich noch daran erinnren, daß wir uns beide in der Debatte darüber einig
Schmidt ({0})
waren, daß ein Weg gefunden werden muß, um diese Probleme zu lösen, daß die damals getroffenen Bestimmungen aber zweifellos nicht der richtige Weg waren; denn die Beträge gingen ja nicht an die Krankenversicherung - ich will das nicht noch einmal aufwärmen -, sondern an die Rentenversicherung. Das war eine hintergründige Sache, die zu Lasten der Rentner ging und wieder abgeschafft werden mußte, weil sie sozial ungerecht war. Das hat diese Bundesregierung, das hat diese Koalition getan. Sie haben es damals mit eingeführt.
({1})
Sehr richtig, Herr Kollege Katzer. Sie können sich aber sicher auch daran erinnern, daß ich in der Debatte nach der Regierungserklärung gesagt habe: Wir werden gemeinsam einiges ändern, was leider Gottes in dem vorher gegebenen Rahmen nicht möglich gewesen war.
Die Abgeordnete Frau Kalinke hat sich zu einer weiteren Zwischenfrage gemeldet.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege, damit das Problem klar wird? Sehen Sie es in der Tat als einen sozialen Fortschritt an, daß in der Krankenversicherung der Rentner die hochverdienenden Versicherten, die heute pflichtversichert oder versicherungsberechtigt sind, einen kostenlosen Krankenversicherungsschutz haben und daß geringverdienende Versicherte und Frauen diesen Krankenversicherungsschutz durch ihren Anteil in der Krankenversicherung mitfinanzieren müssen? Ist das neuerdings eine andere Auffassung der FDP?
Frau Kollegin Kalinke, ich hatte Ihnen soeben gesagt, daß diese Frage im Rahmen der Krankenversicherungsreform, im Rahmen der Dinge, die noch zu regeln sind, geregelt werden muß. Ich bin nicht der Meinung, jetzt dazu noch einmal im Detail Stellung nehmen zu müssen, obwohl ich da vielleicht eine Chance hätte, in einer ganzen Reihe von Blättern zu erscheinen.
Einige Worte noch zu dem, was über die Korrekturen, über die Anpassungen hinaus in diesem Jahr geschehen ist und was Sie nicht gern zur Kenntnis nehmen, was Sie auch nicht gern als Reform anerkennen wollen.
Das 624-DM-Gesetz - die Erhöhung von 312 auf 624 DM - war nun einmal ein reformerischer Schritt,
({0})
weil er durch die Zulage sozial gerechtere Situationen schuf,
({1})
weil er die Rentenminderungen, die sich bisher ergaben, abschaffte,
({2})
weil er darüber hinaus familienpolitische Akzente setzte durch die 40%ige Zulage für kinderreiche Familien und weil er schließlich auch den Katalog der Anlagemöglichkeiten beispielsweise um die Lebensversicherung erweiterte.
({3})
- Herr Kollege Härzschel, allein auf Grund dieser, von uns sehr gewünschten und seit vielen Jahren geforderten Einbeziehung der Lebensversicherung sind vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1970 660 000 Verträge in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden DM bei einer Durchschnittssumme von 11 400 DM und Laufzeiten von 22 Jahren - also nicht mit der Laufzeit von nur zwölf Jahren - abgeschlossen worden. Wir haben also hier etwas getan, was zweifellos ein großer Teil der Bevölkerung gewünscht hat und was zweifellos in diesem Bereich der weiteren Vermögensbildung dient. Es ist ein weiterer Schritt auf diesem reformerischen Weg.
Herr Abgeordneter Schmidt, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen klar, daß auf Grund des 624-DMGesetzes - auch mit den Verbesserungen, die Sie gerade erwähnt haben und die wir ehrlich als solche zugestehen - kinderreiche junge Familien, die nicht sparfähig sind, nicht in der Lage sind, Vermögen zu erwerben?
Herr Kollege, soll ich jetzt die Debatte von damals wiederholen und darlegen, daß das ein Teil der Vermögensbildung ist? Daß wir uns über die anderen Fragen im nächsten Jahr in diesem Hause unterhalten werden, wissen wir doch. Wir wissen ebenso, daß die Erhöhung - auch das war, glaube ich, ein Umbruch in der Entwicklung - von 312 auf 624 DM überhaupt erst die Tarifverträge atttraktiv machte und daß auch ein Umdenken der Gewerkschaften geschah,
({0})
so daß die Zahl der Verträge von 1 Million auf 7 bis 8 Millionen angestiegen ist.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Buschfort?
Herr Schmidt, können Sie mir bestätigen, daß zwischenzeitlich über 7 Millionen Arbeitnehmer durch tarifvertragliche Regelungen Vermögen bilden, ohne selber einen Pfennig einzuzahlen?
Herr Kollege Buschfort, ich glaube, wir haben uns soeben überschnitten. Ich hatte gerade darauf hingewiesen - ich bin dankbar, daß Sie das noch einmal sagen -, daß gerade jetzt auch ein Umdenken der Gewerkschaften festzustellen ist, was zu zusätzlichen Tarifvertragsver5648
Schmidt ({0})
einbarungen für 6 bis 7 Millionen Arbeitnehmer geführt hat.
({1})
- Sind Sie auf die 624 DM und auf das Zulagensystem gekommen, oder war es diese Bundesregierung, waren es die Koalitionsfraktionen?
({2})
Ein Zweites sei noch einmal kurz angeschnitten, das Krankenversicherungs-Änderungsgesetz. War es etwa kein reformerischer Weg, daß man die Dynamisierung der Versicherungspflichtgrenze eingeführt hat, damit hier für allemal Kriterien geschaffen werden, aus denen man die Zukunftsentwicklung weiter absehen kann? War es kein reformerischer Weg, daß man gleichzeitig ein für allemal auch dem über der Versicherungspflichtgrenze liegenden Angestellten den ihm seit langem zustehenden und von der FDP immer geforderten Arbeitgeberbeitrag endlich gegeben hat? Das sind Dinge, die Sie noch ein Jahr vorher im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung in Berlin abgelehnt haben. Als unsere Anträge bezüglich der Dynamisierung auf dem Tisch lagen, haben Sie es Ihrem Partner verwehrt, sie mit uns anzunehmen. Jetzt aber wurden sie von dieser Bundesregierung durchgesetzt, wurden von diesen beiden Fraktionen - unter starker Assistenz der FDP - in die Krankenversicherung eingeführt.
Ein Wort zur Vorsorge. Vorhin, als der Kollege Seidel dieses Thema ansprach, kam hier ein gewisses Murren auf. Mir war klar, warum. Natürlich war in Ihrem Entwurf die Vorsorge vorgesehen - das gebe ich offen zu -, während das im Entwurf der Bundesregierung nicht der Fall war. Aber was hatten Sie denn vorgesehen? Darauf kommt es ja an. Sie hatten Rechtsverordnungen vorgesehen. Der Bundesminister sollte die Dinge regeln. Wir sind dann gemeinsam im Ausschuß
({3})
- ich versuche, immer objektiv zu bleiben - zu einer gesetzlichen Verankerung gekommen.
({4})
- Die Verankerung des Rechtsanspruches ist zweifellos noch etwas Besseres, als das, was Sie vorgeschlagen haben. Darüber sind wir uns doch klar.
Lassen Sie mich wenige Worte - ich glaube, meine Redezeit ist bald um - zum Jahr 1971 sagen, und zwar deshalb, weil sowohl der Kollege Gewandt bei der Debatte über den Haushalt des Wirtschaftsministeriums als auch vorhin der Kollege Krampe wieder im Zusammenhang mit der Frage der Öffnung der Rentenversicherung Unrichtigkeiten in den Raum gestellt hat. Der Kollege Gewandt hat behauptet, diese Bundesregierung tue in dieser Hinsicht nichts. Die Opposition müsse die Vorlagen einbringen. In der Rede des Kollegen Krampe klang dann an, all das ginge zu Lasten der Versicherungsträger. Es wurde die Sorge zum Ausdruck gebracht, daß Belastungen auf die Versicherungsträger zukommen könnten.
Ich möchte dazu zwei Feststellungen treffen. Eine Vorlage zur Öffnung der Rentenversicherung für alle auf freiwilliger Basis wird diesem Hause von der Bundesregierung und von den sie tragenden Koalitionsfraktionen im Laufe dieses Jahres zugeleitet werden. Es wird keine Belastungen der bisher Versicherten geben. Es wird vielmehr so sein, daß die Mehrausgaben durch entsprechende Einnahmen gedeckt werden. Ich sage das, um alle Bedenken, die von manchen Seiten vorgetragen werden, von vornherein auszuräumen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf Grund der vielen Zwischenfragen kann ich nicht noch zu weiteren Themen Stellung nehmen. Vielleicht ergibt sich später noch einmal die Gelegenheit dazu.
Lassen Sie mich abschließend zu diesem Haushalt folgendes sagen. Dieser Haushalt fügt sich nach Meinung der Freien Demokraten kontinuierlich an den Haushalt 1970 an. Er setzt die Prioritäten weiter, die SPD und FDP in der Regierungserklärung für diese Legislaturperiode ins Auge gefaßt haben. Er trägt eine sozial-liberale Handschrift und ist damit eine klare Absage an alle die, die über die Dörfer gehen, an alle die, die mit Fingern auf diese Bundesregierung und auf die sie tragenden Fraktionen zeigen und von sozialistischen Tendenzen, von Linksruck und ähnlichen Dingen reden. Dieser Haushalt trägt eine sozial-liberale Handschrift. Niemand wird in der Lage sein, wesentliche Einwendungen dagegen vorzubringen, es sei denn, er tut es auf dem Dorf, wo ihm niemand widersprechen kann und wo niemand die Tatsachen deutlich machen kann.
({5})
- Herr Kollege Burger, ich habe da so meine Erfahrungen. In Zeitungsberichten kommt klar zum Ausdruck, was da und dort auf dem Dorfe über diese Bundesregierung und natürlich ganz besonders über uns Freie Demokraten behauptet wird. Gerade dieser Haushalt - das möchte ich von dieser Stelle aus deutlich sagen; sie sollten ihn alle einmal nachlesen, vor allem diejenigen, die solche Behauptungen gern aufstellen - trägt eine sozial-liberale Handschrift.
({6})
- Herr Kollege Müller, ich habe sogar eine sehr hohe Meinung von ihr. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, daß jemand, der aus Bonn kommt und so tut, als ob er alles wüßte, auf dem Dorf natürlich sehr vieles behaupten kann, was ihm schwer widerlegt werden kann.
({7})
Deshalb sage ich von dieser Stelle aus ganz klar:
Dieser Haushalt ist eine Absage an sozialistische
Schmidt ({8})
Tendenzen und eine Absage an einen Linksruck. Er trägt eine sozial-liberale Handschrift. Wir stimmen diesem Haushalt zu und danken dem Bundesarbeitsminister und seinen Herren für die bisher geleistete Arbeit.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 zur Hand nehmen und die hinter uns liegenden 15 Monate damit vergleichen, werden Sie auch bei kritischer Einstellung zu dem Ergebnis kommen, daß uns die hinter uns liegenden 15 Monate auf dem Felde der Sozial- und Gesellschaftspolitik ein großes Stück weitergebracht haben.
({0})
Es sind Maßnahmen getroffen worden, die sich sehen lassen können. Das werden auch Sie zugeben, wenn Sie sich um die Sache bemühen, und das tun Sie ja.
Die Erhöhung, die strukturelle Verbesserung und die Dynamisierung der Kriegsopferleistungen für 2,6 Millionen Anspruchsberechtigte bedeuten einen gewaltigen Fortschritt. Ich will das nicht überschätzen aber ich sage, daß eine große Zahl von Anspruchsberechtigten die Bedeutung der Dynamisierung dieser Leistungen überhaupt noch nicht richtig aufgenommen hat. Das, was wir in der Vergangenheit erlebt haben, gehört der Vergangenheit an: Die Kriegsopfer brauchen nicht mehr zu demonstrieren, um durch die politisch Verantwortlichen eine Erhöhung ihrer Leistungen zu erreichen.
({1})
Der Wegfall des Krankenversicherungsbeitrags für mehr als 9 Millionen Rentner bedeutet, daß die gekürzte Rente wieder voll ausgezahlt wird.
({2})
Auf die Verbesserung der Vermögensbildung durch das Dritte Vermögensbildungsgesetz ist schon hingewiesen worden. Sie sollten sich einmal in die Erinnerung rufen, daß von 1965 bis 1969 hierfür nur für 1 Million Arbeitnehmer Tarifverträge abgeschlossen worden sind. Nachdem wir die unsozialen und ungerechten Elemente aus diesem Gesetz entfernt hatten - das läßt sich nicht bestreiten -, haben die Tarifvertragsparteien allein im Jahre 1970 Tarifabschlüsse für mehr als 8 Millionen Arbeitnehmer getätigt. Das muß man auch einmal sehen.
({3})
Denken Sie auch daran, daß wir auf dem Felde der Weiterentwicklung der Krankenversicherung analog zur Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer die Gleichbehandlung der Angestellten beschlossen, ihre Benachteiligung beseitigt und Vorsorgeuntersuchungen zu einer gesetzlich normierten Leistung gemacht haben. Diese Vorsorgeuntersuchungen bedeuten eine Zäsur auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und der Erhaltung der Gesundheit, deren Ausmaß auch erst im Laufe der nächsten Zeit richtig gewürdigt werden kann.
({4})
- Natürlich haben Sie dabei mitgemacht! Das ist schließlich auch notwendig.
Herr Bundesarbeitsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte sehr!
Herr Minister, sind Sie bereit zuzugeben, daß Sie in der Rede zur Einbringung Ihres Krankenversicherungsänderungsgesetzes erklärt haben, die Regelung der Frage dei Vorsorgeuntersuchungen sei zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen, und daß Sie sich erst durch unsere Initiative bereit gefunden haben, das im Ausschuß mit uns zusammen gesetzlich auszuformulieren?
({0})
Aber Sie sehen doch, wie wir uns um eine Regelung dieser Angelegenheit bemühen. Wir hatten die Kommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung mit dieser Aufgabe betraut. Sie wissen ganz genau, daß wir die Untersuchungsergebnisse der Fachleute abwarten wollten. Ich habe in meiner Rede gesagt: „Wir werden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens prüfen, wie wir diese Frage regeln können."
({0})
Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen, ohne daß ich den Katalog vollständig aufzählen will. Die Einbeziehung der Schüler, der Studenten und derjenigen Kinder, die den Kindergarten besuchen, in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bedeutet einen erheblichen Fortschritt und die Erfüllung unserer Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit in unserem Lande und in unserer Gesellschaft. Natürlich kann - das wissen Sie auch - nicht alles, was sich in den hinter uns liegenden Jahren als ein ungelöstes Problem herausstellte, von heute auf morgen geregelt werden; manches dauert länger, und manches muß gründlich und gewissenhaft vorbereitet werden. Deshalb haben wir einige Kommissionen eingesetzt, die sich mit der Erarbeitung der Grundlagen eines Sozialgesetz5650
Buchs, eines Arbeitsgesetzbuchs sowie der Weiterentwicklung der Krankenversicherung beschäftigen.
Ich sage noch einmal: Wir werden nicht alles von heute auf morgen lösen können, werden aber - davon bin ich überzeugt - dem Hohen Hause noch in dieser Legislaturperiode - es sind ja erst 15 Monate vergangen - auch auf diesem Gebiet erste Lösungsvorschläge vorlegen können.
({1})
Ich habe eingangs an die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 28. Oktober 1969 erinnert. Lassen Sie mich auch darauf verweisen - es ist von Herrn Krampe danach gefragt worden -, daß wir natürlich noch eine Reihe von zu lösenden Fragen vor uns sehen. Einen Punkt werden wir morgen behandeln, nämlich die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, eine ganz wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Aber es gibt auch die Frage des Bildungsurlaubs, die Frage der Öffnung der Rentenversicherung, die Frage der Einführung der flexiblen Altersgrenze und viele andere Dinge mehr.
Sie wissen, daß wir eine sozialpolitische Gesprächsrunde eingerichtet haben und daß wir in der Vergangenheit einige dieser Themen zum Mittelpunkt der Aussprache in dieser sozialpolitischen Gesprächsrunde gemacht haben. Wir haben am 22. Januar gerade über die Frage des Bildungsurlaubs in der sozialpolitischen Gesprächsrunde diskutiert und Meinungen ausgetauscht, Herr Kollege Krampe. Wir sind übereingekommen - das war die Auffassung aller Beteiligten -, eine Arbeitsgruppe der unmittelbar Beteiligten einzusetzen, damit einmal die Kosten, die Möglichkeiten, die Zahl der Plätze und das alles auf den Tisch des Hauses kommen, damit nicht astronomische Zahlen in der Diskussion in der Öffentlichkeit herumschwirren, sondern damit wir hier, von den realen Verhältnissen ausgehend, die Möglichkeiten der Einführung eines Bildungsurlaubs prüfen.
Das trifft auch für den Bereich der flexiblen Altersgrenze zu. Die Bundesregierung hat zugesagt, diese Frage zu prüfen. Sie wissen, daß ich persönlich ein sehr großer Befürworter dieser Möglichkeit bin, daß der einzelne Versicherte in einem bestimmten Lebensabschnitt selbst entscheiden können muß, ob er in die Rente gehen oder weiterarbeiten will. Das ist eine ganz wichtige Frage, und das gehört nach meiner Auffassung auch zur modernen Demokratie. Aber es enthält natürlich eine ganze Reihe von Fragen, die gelöst werden müssen. Wir haben im Arbeitsministerium - das wissen Sie - eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit den finanziellen Auswirkungen einer solchen Regelung, mit den arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen und mit den wirtschaftlichen Auswirkungen beschäftigt.
Aber es gehört auch dazu - lassen Sie mich das sagen - die Frage der Ausnutzung der elektronischen Datenverarbeitung für die Versicherten innerhalb der Rentenversicherungsträger. Es ist einfach ein Unding, daß jemand, der 55 Jahre seinen Versicherungsbeitrag bezahlt, zum erstenmal mit der Zustellung des Rentenbescheides erfährt, welchen
Anspruch er gegenüber dem Rentenversicherungsträger hat. Das ist ein unmöglicher Zustand.
({2})
Deshalb bemühen wir uns darum, diesen Versicherten die Klarheit über ihre Ansprüche zu verschaffen. Wir möchten diesen regelmäßigen Kontoauszug für jeden Versicherten zu einer Realität werden lassen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Minister, darf ich noch einmal auf den vorhergehenden Punkt zurückkommen. Ist Ihnen entgangen, daß der Kollege Krampe - er hat sich im übrigen auch zu der Einführung einer variablen Altersgrenze bekannt - gefragt hat, wie und wann Sie das einführen wollen und wie Sie es vor allem finanzieren wollen?
Herr Franke, fragen Sie doch nicht am 10. Februar, was Sie noch am 17. März erfahren können. Haben Sie doch ein bißchen Geduld, das kommt ja alles.
({0})
Lassen Sie mich noch ein Wort zu der Versicherungsnummer sagen. Es gibt Millionen von Versicherungskarten, die maschinell aufgearbeitet werden müssen. Es wird sicherlich eine gewisse Zeit erfordern, bis diese Bestände bei den Rentenversicherungsträgern aufgearbeitet werden. Deshalb möchten wir von zwei Seiten an dieses Problem herangehen. Wir möchten einmal bei den rentennahen Jahrgängen mit der Vergabe von Versicherungsnummern beginnen und zweitens bei den ins Berufsleben Eintretenden die rentenerheblichen Fakten gleich auf Magnetband nehmen, um damit die Voraussetzungen für die Zustellung des Kontoauszugs des Versicherten zu schaffen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß das in der Regierungserklärung angekündigte Punktsystem weggefallen ist?
Nein, wir werden das Punktsystem nicht wegfallen lassen, sondern wir werden dazu kommen, Herr Kollege Katzer - wir haben bei einigen Versicherungsträgern bereits damit begonnen, wir werden bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte demnächst damit beginnen -, daß den Versicherten in regelmäßigen Abständen ein Kontoauszug über ihre Versicherungszeiten und was dazugehört geschickt wird.
({0})
- Ich bestreite das doch gar nicht. Wir werden darin im weiteren Verlauf dazu kommen - davon bin ich fest überzeugt, es ist nur eine Frage der Zeit , daß wir nicht etwas in Rentenchinesisch mitteilen, sondern daß wir im Klartext sagen, was für einen Anspruch der einzelne hat.
({1})
- Das werden wir dann sehen, wenn wir so weit sind, daß wir diese Auszüge in Klartext ummünzen, Herr Kollege.
Soweit die Finanzierung in Frage kommt, meine Damen und Herren, werden wir demnächst Gelegenheit haben, bei der Vorlage des Sozialbudgets deutlich zu machen - das haben wir auch in der Vergangenheit so gehalten -, wie die finanziellen Auswirkungen nicht nur in der Jetztzeit, sondern auch in der Zukunft sein werden.
Bevor ich auf einige Einzelaspekte des Einzelplans 11 eingehe, möchte ich zur Größenordnung dieses Haushalts etwas sagen. Sie wissen, daß dieser Einzelplan einer der größten Einzelpläne überhaupt ist. Dies ist, so meine ich, die richtige Einordnung und die richtige Rangordnung für einen Haushalt, über den sich das sozialpolitische Engagement dieses Staates im wesentlichen vollzieht. Im Jahre 1971 enthält der Einzelplan etwa 20 % der Gesamtausgaben des Bundes, fast 19,7 Milliarden DM. Das sind etwa 5 % mehr als im Vorjahr. Mit dieser Wachstumsrate von 5 % bleibt der Einzelhaushalt des Arbeitsministeriums hinter der des Gesamthaushalts zurück. Das hat folgende Gründe. Die jährlichen Veränderungsraten hängen unmittelbar mit drei Besonderheiten zusammen, die die Ausgabenstruktur des Einzelplans und die Entwicklung seiner Ausgaben kennzeichnen.
Erstens. Etwa 99 % aller Ausgaben beruhen unmittelbar auf gesetzlicher Grundlage. Insoweit sind sie der Dispositionskompetenz jährlicher Haushaltsgestaltung weitgehend entzogen.
Zweitens. Die Höhe der Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger und die Rentenausgaben in der Kriegsopferversorgung - das sind etwa 80 % der Ausgaben des Einzelplans - folgen einer gesetzlich festgelegten Anpassungsautomatik.
Drittens. Die Ansätze zeichnen sich weitgehend durch eine hohe konjunkturelle Empfindlichkeit aus. Sie wissen aus den Beratungen der vergangenen Jahre, daß sich konjunkturelle, strukturelle und arbeitsmarktpolitische Entwicklungen unmittelbar in den Ausgabenansätzen dieses Einzelplans niederschlagen. Für einen kleineren Teil des Einzelplans ist das mit sofortiger Wirkung der Fall, z. B. führen höhere Löhne zu Beitragssteigerungen in der Rentenversicherung und dadurch unmittelbar zu einer Entlastung des Bundes in der knappschaftlichen Rentenversicherung. Mit einer zeitlichen Verzögerung dagegen wirkt sich die Lohnentwicklung bei den Zuschüssen an die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und seit der Dynamisierung der Rentenleistungen in der Kriegsopferversorgung aus. Über die Zweckmäßigkeit dieses Systems ist oft diskutiert worden, so daß ich darauf nicht einzugehen brauche.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mick?
Herr Minister, zur Kriegsopferversorgung die Frage: haben Sie in absehbarer Zeit vor, den Sockel, von dem aus sich die Dynamisierung ergibt, zu erhöhen?
({0})
Herr Kollege Mick, wir werden sicherlich im Laufe der nächsten Zeit über eine ganze Reihe von ungeregelten und nicht zufriedenstellend geregelten Fragen sprechen können. Aber ich kann im Augenblick nicht sagen, wie diese Fragen gelöst werden. Ich glaube, hier ist auch gar nicht der Ort, jetzt eine solche grundsätzliche Frage aufzuwerfen und zu beantworten. Wir werden das im Rahmen der Beratungen über diesen Bereich tun. Wir werden sicherlich dazu kommen, auch die Rangordnung innerhalb des Kriegsopferbereichs - es gibt ja auch noch ein paar andere Fragen - so zu gestalten, daß wir von einer optimalen sozialen Sicherung ausgehen können.
Meine Damen und Herren, daß das Volumen des Einzelplans 11 im Haushalt 1971 unterdurchschnittlich steigt, hat seine Ursache allein in der gesetzlich verankerten Anpassungsautomatik. Immerhin bedeutet der Zuwachs der Ausgaben um 5 % ein Mehr von 941 Millionen DM.
Zu den großen Ausgabeblöcken der Sozialversicherung ist in diesem Zusammenhang nicht sehr viel zu sagen. Lassen Sie mich aber zu einer Reihe neuer Gewichtungen etwas sagen, die ich wegen ihrer sozialpolitisch richtungweisenden Zielsetzung herausheben möchte. Wenn Sie diesen Haushalt, meine Damen und Herren, entsprechend den Beschlüssen des Haushaltsausschusses verabschieden, stehen der Bundesregierung für die Förderung von Rehabilitationseinrichtungen, also für die Wiedereingliederung der Behinderten in den Arbeitsprozeß, insgesamt 39 Millionen DM - das sind 24 Millionen DM mehr als im Vorjahr - zur Verfügung.
Ich bin für die Verstärkung dieser Mittel ganz besonders dankbar, denn wir alle wissen, daß die Behinderten zum Teil lange warten müssen - manchmal sogar zwei Jahre -, bis sie von einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation aufgenommen werden können. Allein für die Umschulung erwachsener Behinderter werden rund 6 000 neue Plätze benötigt. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Einrichtungen für die Ausbildung jugendlicher Behinderter, bei den Einrichtungen für spezielle Behinderungsarten und bei den Werkstätten für Behinderte.
Im Aktionsprogramm der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation ist deshalb der Neu5652
und Ausbau eines bundesweiten Netzes von Rehabilitationseinrichtungen vorgesehen. Die Sprecher aller Fraktionen dieses Hohen Hauses sind sich einig, daß dies dringend notwendig ist und alsbald verwirklicht werden sollte. Verwirklicht werden kann dieses Ziel aber nur, wenn der Bund seine Mittel in dem vorgesehenen Umfang verstärkt.
1971 werden Schwerpunkte des Förderungsprogrammes sein: erstens der Bau der gemeinsam mit allen Beteiligten projektierten Berufsförderungswerke für erwachsene Behinderte, zweitens der Aufbau eines Netzes von Rehabilitationseinrichtungen für jugendliche Behinderte, drittens die Errichtung weiterer Rehabilitationszentren für spezielle Krankheits- und Behinderungsarten, vor allem für Schädel- und Hirnverletzungen, Querschnittslähmungen und rheumatische Erkrankungen, und viertens der Bau von Werkstätten für Behinderte insbesondere im Zonenrandgebiet.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zur Debatte über die Große Anfrage der Opposition zur Rehabilitation etwas sagen. Damals waren sich alle Sprecher der Fraktionen einig, daß wir auf diesem Felde mehr tun müßten. Ich muß ganz offen gestehen, ich verstehe den Antrag der Oppositionsfraktion auf Umdruck 138 nicht, denn wenn ich einmal den Verlauf der Rehabilitationsdebatte mit dem Inhalt dieses Umdrucks vergleiche, stelle ich fest, daß durch den letzteren die Debatte ad absurdum geführt wird.
({0})
- Bitte sehr!
Herr Minister, könnten Sie uns Projekte nennen, die im Zonenrandgebiet jetzt zur Erledigung anstehen, damit wir diese Ansätze auch richtig bewerten können?
Ja, ich kann Ihnen z. B. die Projekte in Goslar, in Hessisch Lichtenau, in Bayreuth und in Lippoldsberg nennen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Krampe? Krampe ({0}) : Herr Bundesminister, können Sie mir bestätigen, daß mit den 4 Millionen DM zusätzlicher Mittel für den Rehabilitationsbereich alle Projekte, die sich in der Planung der Bundesregierung befinden, finanziert werden können, und können Sie mir sagen, was Sie mit den übrigen 15 Millionen DM nur für den Bereich des Zonenrandgebietes letzten Endes vorhaben? Können Sie mir auch sagen, wann das Zonenrandförderungsgesetz in Kraft treten kann?
Sie wissen, Herr Kollege Krampe, daß es eine Reihe von Anmeldungen gibt, die wir bisher nicht berücksichtigen konnten. Die eingesetzten Mittel sind durch die Anmeldungen im Grunde genommen schon vergeben. Würden diese Mittel aufgestockt, bestünde die Möglichkeit, auch die Zahl der Plätze aufzustocken, und wir hätten eine ganze Reihe von Objekten, die unmittelbar in Angriff genommen werden könnten, so daß sich für das Zonenrandgebiet die Ausgangsposition wesentlich verändern könnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem anderen Komplex, der große Bedeutung hat, noch einige Bemerkungen machen. Auch für die Eingliederung der in der Bundesrepublik beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer - und wir haben von ihnen 2 Millionen - wird dieser Haushalt mehr Mittel bereitstellen. 70 % der ausländischen Arbeitnehmer sind verheiratet; von diesen haben 50 % ihre Ehefrauen in der Bundesrepublik. Allein die Zahl der Kinder wird auf 500 000 geschätzt.
Es liegt auf der Hand, daß gerade in den Ballungsgebieten bei der Eingliederung dieser ausländischen Arbeitnehmer erhebliche Schwierigkeiten aufkommen, die nur durch besondere Anstrengungen aller Beteiligten, d. h. des Bundes, der Länder und der Gemeinden, aber auch der Wirtschaft - denn in dieser Wirtschaft sind die ausländischen Arbeitnehmer tätig -, und durch den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel gemeistert werden können. Eine so große Zahl ausländischer Arbeitnehmer läßt sich nicht mehr ohne besondere Hilfe in das soziale Gefüge unseres Staates eingliedern. Dazu bedarf es besonderer Maßnahmen. Die Wohlfahrtsverbände, die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Caritas-Verband, das Diakonische Werk, das Jugendsozialwerk sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeitgeber, die Kirchen bemühen sich in dankenswerter Weise gemeinsam mit dem Bund, der Bundesanstalt für Arbeit und den Ländern um eine reibungslose Eingliederung dieser ausländischen Arbeitnehmer. Sämtliche Initiativen werden im Bundesarbeitsministerium koordiniert, um die vielfältigen und unterschiedlichen Bemühungen einer gemeinsamen Zielsetzung zuzuführen.
Gleichwohl gibt es Gebiete, auf denen noch viel zu tun ist, beispielsweise in der sprachlichen Verständigung, der Verbesserung der Information, der beruflichen Bildung, der Wohnungen und des Schulunterrichts. Wir wollen durch den Einsatz moderner audiovisueller Sprachmethoden, verstärkte Werbung und Verlagerung des Sprachunterichts in die Anwerbeländer versuchen, die sprachlichen Barrieren zu beseitigen. Der berufliche Aufstieg wird gefördert, wobei möglichst eine Verlagerung in die Anwerbeländer angestrebt wird.
Um die Mißstände im Wohnungswesen zu beseitigen, werden in Kürze die Richtlinien für die Unterkünfte ausländischer Arbeitnehmer verbessert. Dabei sollen insbesondere die Vorschriften über die Mindestwohnfläche, die Belegstärke sowie die sanitären Einrichtungen den heutigen wohnungshygienischen Ansprüchen angepaßt werden.
Außerdem hat die Bundesregierung Modelle entwickelt, um den Wohnungsbau für ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien zu fördern. Eine verbesserte Überwachung der Unterbringung ist von
den Koordinierungskreisen zu erwarten, die künftig auf Ortsebene eingesetzt werden sollen.
Meine Damen und Herren, dem Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses gebührt besonderer Dank dafür, daß er die Zuschüsse an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege spürbar erhöht hat. Er hat darüber hinaus Mittel für die Beratung ausländischer Arbeitnehmer auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts bereitgestellt. Da alle notwendigen Maßnahmen nur dann intensiviert werden können, wenn die finanzielle Basis zur Verfügung steht, wird es unumgänglich sein, daß auch der Bund künftig die Mittel für die Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer weiter erhöht.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem wichtigen Bereich machen, der uns in den Ausschußberatungen beschäftigt hat und der auch bei künftigen Haushaltsberatungen zunehmende Bedeutung erlangen wird. Ich meine die berufliche Bildung. Jahrzehntelang ist die berufliche Bildung als Primäraufgabe der Wirtschaft angesehen worden. Hierbei ist übersehen worden, daß sie gleichwertiger Bestandteil eines einheitlichen Bildungssystems ist.
({0})
Es besteht die gleiche öffentliche Verantwortung des Staates für Lehrlinge, Fachschüler, Studenten und andere Auszubildende. Es ist daher Aufgabe des Staates, für die Verwirklichung der bildungsbezogenen Grundrechte - Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Recht auf freie Berufswahl - auch im Bereich der beruflichen Bildung Sorge zu tragen.
Wir haben rund 1,4 Millionen Lehrlinge, denen wir eine gute berufliche Ausbildung als Grundlage für ihr späteres Berufsleben vermitteln müssen. Sie müssen durch eine breite berufliche Grundbildung und eine gute Fachbildung in den Stand versetzt werden, unter den technischen und ökonomischen Bedingungen einer hochtechnisierten Wirtschaft ihre berufliche und soziale Chance wahrzunehmen.
Mit dem Berufsbildungsgesetz ist hierfür die rechtliche Grundlage gegeben. Mit diesem Gesetz werden neben der Regelung der beruflichen Ausbildung auch erste Ansätze für eine Ordnung der beruflichen Fortbildung geschaffen. Auch dieser Bereich, der die zur Zeit in der Bundesrepublik rund 25 Millionen Erwerbstätigen angeht, liegt in der öffentlichen Verantwortung des Staates. Der Ausbau eines gegliederten umfangreichen Systems der beruflichen Fortbildung ist für das Schicksal des einzelnen und für die weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unabdingbar.
Da die berufliche Bildung bisher weitgehend im Schatten der bildungspolitischen Diskussion gestanden hat, hat die Bundesregierung ihre Zielvorstellungen für diesen Bereich in dem Aktionsprogramm Berufliche Bildung näher konkretisiert und die Maßnahmen angekündigt, die sie zu einer generellen Verbesserung und Weiterentwicklung der beruflichen Bildung für erforderlich hält. Dabei geht sie davon aus, daß zunächst die durch das Berufsbildungsgesetz gegebenen Möglichkeiten einer Verbesserung der beruflichen Bildung voll ausgeschöpft werden. Diese Auswirkungen werden sorgfältig beobachtet werden müssen, um die Erfahrungen mit dem Gesetz bei den weiteren Reformen der beruflichen Bildung berücksichtigen zu können.
Mit dem Aktionsprogramm wendet sich die Bundesregierung an alle von der beruflichen Bildung erfaßten oder mit ihr befaßten Personen und Institutionen. Sie fordert zur Zusammenarbeit auf, damit die angestrebten Ziele auch erreicht werden können. Oberstes Ziel ist ein leistungsfähiges Bildungssystem, das Chancengleichheit und Recht auf Bildung für jeden einzelnen sichert.
Für diese Aufgabe und für die Vorarbeit kann das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung, das sich in der ersten Aufbauphase befindet, wesentliche und wichtige Beiträge leisten.. Der Haushalt sieht für dieses Institut einen Ansatz von 7 Millionen DM vor.
Daneben besteht seit einem Jahr, ebenfalls auf Grund des Berufsbildungsgesetzes, der Bundesausschuß für Berufsbildung. In diesem Ausschuß sind neben Beauftragten der Länder und der Bundesanstalt für Arbeit die Spitzenverbände der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber vertreten.
Ferner stellt dieser Haushalt Mittel zur Verfügung für eine Kommission zur Untersuchung der Kosten und der Finanzierung der beruflichen Bildung. Der Bundestag hatte in seiner Sitzung am 14. Oktober 1970 die Bundesregierung beauftragt, diese Kommission aus unabhängigen Sachverständigen zu bilden.
Meine Damen und Herren, ich habe nur einige wichtige Punkte aus diesem Haushalt angeschnitten, die für die Sozialpolitik der nächsten Zeit von unmittelbarer Bedeutung sind und die sich auch unmittelbar im Einzelplan 11 niederschlagen. Natürlich handelt es sich nur um einen Ausschnitt aus dem großen Konzept, das wir uns selbst gegeben haben, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Wir werden an Hand der Regierungserklärung und des Sozialberichts, des sozialpolitischen Kursbuches der Bundesregierung, diese Ziele in der nächsten Zeit - davon bin ich überzeugt - ansteuern.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Hussing.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Berichterstatter zum Einzelplan 11, Kollege Krampe, hat auf die erhöhten Mittel für die Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer besonders hingewiesen. Wir begrüßen die Betrachtung dieser Mittel durch die Mitglieder des Haushaltsausschusses und begrüßen auch dankbar die Erhöhung der Mittel. Diesem Hause wird für die Bewilligung dieser Mittel für die Betreuung der ausländischen Arbeitnehmer zu danken sein.
Ich würde nun sehr gern an die Adresse der Bundesregierung und insbesondere an die Adresse des Bundesarbeitsministers einen Dank richten,
wenn das hier in dieser morgendlichen Stunde möglich wäre.
({0})
Einmal verdient die Bundesregierung für die Sorge um die ausländischen Arbeitnehmer keinen Dank, weil sie diese Sorge nicht dokumentiert hat und nicht sichtbar nachgewiesen hat, daß sie ernsthaft an der Lösung der Probleme gewirkt hat.
({1})
Zum andern, meine Damen und Herren, ist es, glaube ich, nicht angängig, daß in der zweiten Lesung der Bundesminister den Versuch macht, sich in den seligmachenden Stand der Aktiven und der Kreativen zu heben über längere Ausführungen in einer Sache, wo er keinen Preis gewonnen hat.
({2})
Es hat in den vergangenen Monaten nicht an Bemühungen der Bundesregierung gefehlt, sich in den Fragen der ausländischen Arbeitnehmer ein Fleißkärtchen zu verdienen. Im ganzen aber - und das sage ich auch an die Kollegen Seidel und Schmidt - sind und bleiben wir aufgefordert, auf Worte zu hören, wo auf Taten nicht zu schauen ist.
Ich darf die Gelegenheit benutzen, dafür eine kurze Begründung zu geben. Einmal verdienen die ausländischen Arbeitnehmer und insbesondere die Erscheinungen zunehmender Unordnung, in der die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien leben, eine größere Beachtung durch dieses Haus. Ich glaube aber, ein Wort ist auch deshalb angebracht, weil es den vielen tausend Bundesbürgern dient, die sich in freien Initiativen um die Anliegen der ausländischen Arbeitnehmer besonders sorgen.
Im Jahre 1970 haben die Publikationsmittel Rundfunk, Fernsehen und Presse besonders intensiv die Unordnungserscheinungen ins Bewußtsein gehoben, unter denen die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik zum großen Teil leben. Das hätte die Regierung veranlassen müssen, insbesondere deshalb, weil die sozial-liberale Presse auf diese Unordnungserscheinungen unter Schlagworten wie „die neuen Juden Deutschlands", „die Sklaven Europas" und „die deutschen Neger" hingewiesen hat, andere Antworten zu geben als die, die hier von der Bundesregierung gegeben worden sind.
Die Bundesregierung ist nach den Lesebüchern der Sozialdemokraten angetreten, alles anders zu machen, alles besser zu machen, glücklich zu machen, Wandel zu steuern und Zukunft zu gestalten. Es ist leicht, den Nachweis zu führen, daß die Bundesregierung in diesen Fragen zuviel Optimismus in Umlauf gesetzt hat. Es wurden Probleme verkürzt und verkleinert.
({3})
Am 12. November 1970 erklärt gemäß dem Anspruch, glücklich zu machen, die Bundesregierung, daß 70 % der ausländischen Arbeitnehmer glücklich sind. Herr Staatssekretär Ahlers erklärt die Lage von 70 % der ausländischen Arbeitnehmer für gut und sehr gut unter Berufung auf eine Untersuchung, die er in Gang gesetzt hat und in die 1500 ausländische Arbeitnehmer einbezogen waren. Am gleichen Tag aber räumt Staatssekretär Ahlers ein, daß die Bundesregierung dem Thema der Aufklärung der Bevölkerung, ihrem Verhältnis und ihrer Einstellung zu den ausländischen Arbeitnehmern keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn sich eine der vielen Publikationen der Bundesregierung diesem Thema gewidmet hätte. Kollege Haase hat in diesen Tagen darauf hingewiesen.
({4})
Am 23. April 1970 erklärt der Minister, bei den Fragen um die ausländischen Arbeitnehmer handle es sich vornehmlich um Arbeitsmarktfragen. Die deutsche und die ausländische Presse haben diese Meinung scharf kritisiert, und das war angebracht, weil derselbe Minister im Bundesarbeitsblatt 4 von 1970 mitteilt, daß die Probleme der ausländischen Arbeitnehmer eben nicht allein von daher gesehen werden dürfen, weil eine solche Sicht das ganze Problem um die menschlichen und sozialen Seiten verkürzt. Der Minister erklärt überdies, der Koordinierungskreis ausländischer Arbeitnehmer sei ausreichend, alle Probleme zu lösen, und wiederholt diese Erklärung am 30. Oktober des vergangenen Jahres gegenüber dem Verein ausländischer Arbeitnehmer „Interurban". Vorhin hat der Minister hier wieder auf die Bemühungen des Koordinierungskreises hingewiesen und wiederholt, daß koordiniert werde.
Mir liegt ein Brief vom 29. Januar 1971 vor, wonach sich in der Zwischenzeit auch der Chef des Bundeskanzleramts offenbar um die Sorgen der ausländischen Arbeitnehmer bemüht. Er teilt in diesem Schreiben vom 29. Januar 1971 mit, daß der Koordinierungskreis ausländischer Arbeitnehmer bisher kein einziges Gespräch mit ausländischen Arbeitnehmern selbst geführt hat und daß Ihr Ministerium, Herr Minister Arendt, erst drei Gespräche mit ausländischen Arbeitnehmern geführt hat. Am 12. November 1970 aber erklärt Staatssekretär Ahlers, daß es dieser Bundesregierung besondere Sorge sei, sich um die ausländischen Arbeitnehmer zu bekümmern. Im übrigen wimmeln die Erklärungen der Bundesregierung von Sätzen wie „Wir wollen Grundsätze zur Eingliederung lebendig werden lassen", „Wir wollen die Einrichtungen aufeinander abstimmen", „Wir wollen uns informieren und geben dann schriftlich Bescheid".
Nach Meinung der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit wird in den kommenden Jahren die Zahl der beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik die 2-MillionenGrenze überschreiten. Weit über 50 % der ausländischen Arbeitnehmer werden ihre Familien hier haben. Schon auf Grund dieser Tatsache ist es notwendig, sich vermehrt mit den Sorgen der ausländischen Arbeitnehmer zu befassen und sich den Problemen zuzuwenden, die hinter dem „Glücksgefühl" liegen, von dem die Bundesregierung bei allen sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen spricht.
Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode Hussing
Es sind und bleiben in befriedigender Weise im Rahmen der Zuständigkeit der Bundesregierung folgende Probleme zu lösen: Anwerbung, Vorbereitung, Herbringung, Ausländerrecht, Aufenthalt, Schule, Bildung, soziale und berufliche Integration sowie die Sicherung der Existenz auch nach der Rückkehr in die Entsendestaaten; eine wichtige entwicklungspolitische Frage. Der Anstieg der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer macht die Lösung der Probleme dringlicher, und es ist zu überlegen, in welchem Verhältnis die Maßnahmen der Bundesregierung und der anderen Beteiligten zu den Leistungen stehen, die die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland erbringen, in welchem Verhältnis auch die Bemühungen der Bundesregierung zu den freien Initiativen in unserer Gesellschaft stehen.
Das Bundesministerium für Arbeit hat am 3. Dezember 1970 im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Vortrag gehalten.
({5})
- Die Ausführungen wurden begrüßt. Wir haben auch, Herr Kollege, die Diskussion begrüßt. Wir werden die Bemühungen der Bundesregierung verfolgen und begrüßen insbesondere das beabsichtigte Hearing zu diesem Problem.
({6})
Wir hoffen, daß es mit dazu beitragen wird, daß Bund, Länder und Gemeinden mehr für die soziale und gesellschaftliche Stellung der ausländischen Arbeitnehmer tun. Es hat den Anschein, daß es dafür Zeit wird. Überschriften in der Presse wie die zitierten schaden unserem Ansehen, und wir sollten versuchen, das, was bisher nicht geschehen ist, durch mehr Tätigkeit, insbesondere seitens der Bundesregierung, nachzuholen.
({7})
Meine Damen und Herren, das war die erste Rede unseres Kollegen Hussing in diesem Hause.
({0})
Ich wünsche ihm eine weitere erfolgreiche parlamentarische Arbeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es wäre sinnvoll gewesen, wenn der Kollege Hussing sich bei der Darstellung der Probleme der ausländischen Arbeitnehmer daran erinnert hätte, daß dieses Problem immerhin seit über 15 Jahren besteht. Es wäre auch gut gewesen, wenn er zur Kenntnis genommen hätte, was die CDU/CSU-Opposition in bezug auf die Integration der Arbeitnehmer nach dem neuen Betriebsverfassungsgesetz vorhat.
({0})
Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen, daß es
wenig sinnvoll ist, hier zu beklagen, was bisher
alles nicht getan worden ist oder was etwa diese
Bundesregierung nicht bereit ist zu tun. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, was Ihre Fraktion in bezug auf die Verbesserung der Stellung der ausländischen Arbeitnehmer im Betriebsverfassungsrecht nicht zu tun bereit ist.
({1})
Ich möchte kurz zu dem Antrag der Opposition Stellung nehmen, die Mittel für die Aufklärungsarbeit zu aktuellen sozialpolitischen Problemen von 900 000 auf 600 000 DM zu kürzen. Dieser Antrag ist Ihnen auf Umdruck 114 *) zugegangen. Ich bedaure, daß ich sagen muß, daß die Begründung des Kollegen Krampe ein Beweis für die pure Heuchelei ist, die Sie in dieser Frage zutage treten lassen.
Herr Abgeordneter Nölling, ich rüge das Wort Heuchelei in diesem Zusammenhang.
({0})
Herr Präsident, ich pflege Dinge, die ich sage, gerne zu beweisen.
({0})
Ich möchte Dinge, die ich sage, gerne beweisen, und dann möchte ich den Herrn Kollegen Franke anschließend fragen, ob er mir zustimmt oder nicht.
({1})
Sie kennen wahrscheinlich das Zitat von Bert Brecht: „Die Verführung, die von einem Beweis ausgeht, ist zu groß." Ich hoffe, daß Sie dem erliegen, genau wie ich der Beweisführung erlegen bin.
Die Regierung hat, als sie ihre sozialpolitischen Aktivitäten begann, keine Denkpause gebraucht.
({2})
Sie hat sofort gearbeitet, sie hat unübersehbare Erfolge gehabt. Ich brauche sie nicht aufzuzählen; das ist geschehen.
({3})
- Nun, Sie wissen, daß damals, als wir die Regierung übernahmen, genug zu tun war. Meine Damen und Herren, in diesem Antrag kommt zum Ausdruck, daß es die Opposition wurmt, daß die Regierung bereit und in der Lage ist, diese Erfolge in der Öffentlichkeit überzeugend und gekonnt darzustellen.
({4})
- Herr Kollege Franke, Sie zu überzeugen, ist doch völlig unmöglich. Das haben doch Ihre Redner heute morgen zur Genüge bewiesen. Das hat doch gar keinen Zweck.
({5})
*) Siehe Anlage 2
Im übrigen will die CDU/CSU nicht einsehen - ich glaube, das ist noch sehr viel wichtiger -, daß ein außerordentlich großes und wachsendes Informationsbedürfnis, ein Bedürfnis nach Aufklärung in Fragen des sozialpolitischen Leistungsrechts in unserer Bevölkerung besteht.
({6})
- Der Titel heißt so; dann müssen Sie sich gegen die Sprache des Haushaltsrechts wenden.
({7})
Der Titel heißt: „Aufklärung zu aktuellen sozialpolitischen Fragen".
({8})
- Ansprüche, die dieses Parlament gewährt, sind nicht dazu da, daß sie verschwiegen werden. Wir sind der Meinung, daß sozialpolitische Ansprüche dazu da sind, von unserer Bevölkerung ausgenutzt zu werden.
({9})
Sie wissen doch selbst, daß das sehr häufig nicht geschieht, daß häufig wegen mangelnder Information die Ausnutzung sozialpolitischer Leistungsrechte unterbleibt.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Krampe?
Bitte schön!
Herr Kollege, können Sie mir vielleicht, wenn ich den Text meiner Aussage zu diesem Öffentlichkeitstitel wiederhole, beipflichten, daß ich darin nichts Negatives oder sonstwie Abträgliches gesagt habe - vielleicht ist das für Ihre Ausführungen notwendig -:
Wir sind nicht der Meinung, Herr Minister, daß Öffentlichkeitsarbeit nicht notwendig sei.
Ich frage Sie, ob Sie gegen diesen Satz etwas einzuwenden haben.
Herr Kollege Krampe, gestatten Sie mir, daß ich bei meinem letzten Punkt auf Ihre Frage eingehe. Ich werde das in ganz kurzer Zeit behandeln, und auch Sie werden dabei eine Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, wir werden das Informationsbedürfnis unserer Bevölkerung befriedigen, ob es der Opposition paßt oder nicht. Ich möchte nicht, daß in jeder Woche Tausende von Anfragen an das Bundesarbeitsministerium deshalb unbeantwortet bleiben müssen, weil Sie nicht bereit sind, das Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Herr Kollege Krampe, was mich eingangs bewogen hat, jenes Wort zu gebrauchen, hängt auch damit zusammen, daß mir ja nicht unbekannt geblieben ist, daß Sie selbst zu den Leuten gehören, die beim Bundesarbeitsminister die größten Bestellisten aufgegeben haben.
({0})
- Natürlich auch noch andere aus Ihrer Fraktion. Selbstverständlich fragen auch noch andere aus Ihrer Fraktion laufend an, um Informationsbroschüren zu erhalten.
({1})
- Lieber Herr Kollege Müller, darauf komme ich noch. Ich habe mir das ganz bewußt bis zuletzt aufbewahrt.
({2})
- Im Jahre 1968 - Herr Kollege Müller, Sie wissen das doch viel besser, Sie waren doch hier immer dabei, wie Sie so gerne behaupten - hat der damalige Arbeitsminister Katzer für den Titel, den Sie jetzt kürzen wollen, 600 000 DM neu für diese Maßnahmen beantragt, erhalten und ausgegeben.
({3})
Im Jahre 1969 ist dieser Haushaltsansatz auf 650 000 DM erhöht worden. Für das Jahr 1970 hatte Herr Kollege Katzer den Haushalt vorzulegen und die Mittel zu beantragen. Damals war im Gerede, die Ansätze für zwei Jahre zu beantragen. Herr Kollege Katzer hat für die Jahre 1970 und 1971 für den Tit. 531 01 für jedes Jahr 1,1 Millionen DM gefordert.
({4})
Das war gegenüber dem Haushaltsansatz von 1969 eine Verdoppelung. Es sind dann 900 000 DM bewilligt worden.
Herr Kollege Katzer, Sie hätten das Geld im Jahre 1970 doch gerne ausgegeben,
({5})
so wie ich verstehe, daß Sie im Jahre 1970 gerne Arbeitsminister geblieben wären. Ich meine, das berechtigt mich dazu zu sagen: eine Opposition, die durch ihren Sprecher hier erklären läßt - ich zitiere Sie, Herr Kollege Krampe -, diese Art Öffentlichkeitsarbeit müsse auf ein „gesundes, sauberes Maß" zurückgeführt werden, verliert das Recht, so etwas zu behaupten, wenn sie in den Jahren vorher genau diese Haushaltsansätze und noch mehr gefordert hat!
({6})
Damit beweist die Opposition nur, wie kleinkariert sie denkt und wie widersprüchlich sie ist. Deshalb kann sie auch nicht ernst genommen werden. Wir werden diesen Antrag ablehnen.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Erlauben Sie mir, in aller Kürze ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt ({0}), der leider nicht mehr im Saal ist, des Herrn Bundesarbeitsministers und des Herrn Kollegen Nölling zu machen. Gestatten Sie mir, daß ich zunächst meinen persönlichen Eindruck wiedergebe: Da war viel Gerede, aber wenig Antwort. Es scheint mir in der Tat so zu sein, daß die Schwäche der Regierungskoalition auf dem Feld der Sozialpolitik nicht besser zu beweisen war als durch die Ausführungen des Herrn Schmidt; denn 90 % seiner Ausführungen, die er hier gemacht hat, waren der Vergangenheit gewidmet.
({1})
In den ergänzenden 10 % der Ausführungen, die auf die Zukunft bezogen waren, hat er sich wiederum zu 90 % mit der Feststellung aufgehalten, daß er fest davon überzeugt sei, daß die zukünftige Sozialpolitik die „sozial-liberale Handschrift" tragen werde.
({2})
Herr Kollege Schmidt, inzwischen sind Sie hier. Es gibt ein französisches Sprichwort, das ich auf deutsch zitieren darf: „Wer sich entschuldigt, klagt sich an!". Mit dem Reden von der „sozial-liberalen Handschrift" für die Zukunft scheinen Sie Ihrem schlechten Gewissen und nicht mehr Ausdruck gegeben zu haben.
({3})
- Herr Kollege Geiger, dieser Zwischenruf ehrt Sie in keiner Weise!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ({0})?
Bitte schön!
Herr Kollege Russe, würden Sie dann bitte in Ihre Ausführungen irgendeinen Beweis dafür einbeziehen, daß in diesen 15 Monaten der jetzigen Bundesregierung irgendein Gesetz verabschiedet worden ist, das nicht sozialliberale, sondern sozialistische oder sonstige Tendenzen hat?
Herr Kollege Schmidt, auch diese Frage dokumentiert eindeutig das, was ich vorher festgestellt habe: Sie scheinen das Gewissen nicht ganz sauber zu haben; sonst würden Sie solche Zwischenfragen nicht stellen.
({0})
Sie bekommen auch auf Ihre andere Feststellung gleich noch eine Antwort; gedulden Sie sich bitte.
Sie haben festgestellt, Herr Kollege Schmidt - auch der Herr Bundesarbeitsminister hat es durchklingen lassen -, daß in diesem gut einen Jahr, wie Sie bedeutet haben, sozial-liberaler Sozialpolitik so viel geleistet worden sei wie zu keiner Zeit zuvor. Herr Kollege Schmidt, es ist fair, Vergleiche nur auf gleiche Zeiträume bezogen anzustellen. Das will ich tun; zöge ich auch noch andere Jahre zum Vergleich heran, wäre ich in der Lage, Ihre vorhin getroffenen Aussagen noch stärker und umfangreicher zu widerlegen.
Lassen Sie mich nur das erste Jahr der vorherigen Legislaturperiode untersuchen, von der Herr Kollege Nölling gesagt hat, sie sei lediglich einer Denkpause vorbehalten gewesen. Natürlich war die Denkpause vorhanden, aber es ist außerdem gehandelt worden. Ich will Ihnen darstellen, in welchem Umfang gehandelt worden ist.
({1})
- Ja, im ersten Jahr. Wir können auch darüber hinaus weitere Feststellungen treffen, Herr Kollege Nölling. Ich bin gern bereit, mit Ihnen in eine diesbezügliche Sachdebatte einzutreten. Dann wollen wir sehen, wohin Sie kommen.
Es ist nicht zu verkennen, daß Sie in dieser Zeit in der Großen Koalition mit uns gebunden waren. Sie wollen doch wahrscheinlich nicht diese Zeit mehr oder weniger als eine Zeit hinstellen, die in dieser Hinsicht nichts erbracht hat. Ich glaube nicht. Jedenfalls werden die Kollegen, die damals mit uns hier im Parlament gesessen haben, eine solche Bilanz sehr positiv zu beurteilen in der Lage sein, wenn sie aufrichtig mit uns argumentieren.
Herr Kollege Schmidt und meine Damen und Herren, lassen Sie sich das kurz vor Augen halten: Das Achte Rentenanpassungsgesetz wurde am 1. Januar 1966 rückwirkend in Kraft gesetzt, allerdings in diesem Jahre vorgelegt und verabschiedet. Es brachte eine Erhöhung der geltenden Renten um 8,3 %. Ich darf weiter aus dieser „Denkpause", Herr Kollege Nölling, in Erinnerung rufen, die Novelle zur Verbesserung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Ich darf in Erinnerung rufen das in diesem Hause vorgelegte Maschinenschutzgesetz.
Ich darf aus den ersten vier Monaten des Jahres 1966 in Erinnerung rufen die Verabschiedung eines sozialen Strukturprogrammes für den Bergmann und seine Familie, von der Regierung entwickelt, dem Bundestag vorgelegt und vom Parlament verabschiedet.
({2})
- Herr Kollege Wehner, erlauben Sie mir, auf Ihren Zwischenruf festzustellen, daß der jetzt amtierende Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung damals in seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender der IGBE, der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, diese Maßnahmen in einer Art und Weise auch in diesem Hause hoch anerkannt hat, die durch Ihren Zwischenruf in keiner Weise rückgängig gemacht werden kann.
({3})
Ich darf Sie weiter daran erinnern, daß in diesem gleichen Strukturprogramm die Knappschaftsausgleichsleistung mit 55 Jahren eingeführt worden ist. Und wenn heute der Bundesminister für Arbeit
und Sozialordnung eine Chance hat, diesbezügliche Weiterungen dem Hohen Hause demnächst vorzulegen, dann ist mit dieser Maßnahme der damaligen Regierung - während der Amtsführung des Ministers für Arbeit und Sozialordnung Katzer - die Grundlage für diese weitere Entwicklung gelegt worden.
({4})
Das sind die Wahrheiten, meine Damen und Herren. Sie sollten hier jetzt nicht so tun, als hätte es niemals ein Jahr gegeben, in dem mehr geleistet worden ist als im letzten.
Darf ich Sie weiter daran erinnern, daß zur gleichen Zeit auch das AVAVG - ({5})
- Entschuldigen Sie, Sie haben ja hier die Vergangenheit aufgezäumt und Behauptungen in den Raum gestellt, die von uns einfach nicht hingenommen werden können.
({6})
- Das ist kein Wiederkäuen, Herr Kollege Wehner. Ich weiß wohl, es paßt Ihnen nicht, wenn man Ihnen die Wahrheit vor Augen hält.
({7})
Ich darf Sie daran erinnern, daß damals zur gleichen Zeit das AVAVG geändert wurde und daß der Bezug des Arbeitslosengeldes auf 52 Wochen statt bis dahin 26 Wochen erhöht worden ist. Ich dart Sie weiterhin daran erinnern,
({8})
daß damals das Dritte Kriegsopfer-Neuordnungsgesetz vorgelegt wurde mit einem Gesamtvolumen von 880 Millionen DM pro Jahr.
({9})
- Alles im ersten Jahr der vergangenen Legislaturperiode!
Wenn Sie schon hier nur von der Vergangenheit reden und solche Behauptungen aufstellen, dann müssen Sie sich auch das entgegenhalten lassen, was gelaufen ist, und Sie können nicht versuchen, hier in einer billigen Art und Weise zu dokumentieren, daß nur dieses erste Jahr sozialpolitischer Arbeit eine große Leistung gewesen sei. Das Gegenteil ist der Fall.
({10})
Wenn Sie, Herr Kollege Nölling, dann hier aufstehen und sagen, 15 Jahre lang hätte man Zeit und Gelegenheit gehabt, die ausländischen Arbeitnehmer mit in das Betriebsverfassungsgesetz hineinzunehmen, dann lassen Sie mich feststellenderweise dagegenhalten, daß, sofern es den Raum der Römischen Verträge, d. h. die sechs Vertragsstaaten, angeht, durch die Freizügigkeitsverordnung im Rahmen des Römischen Vertrages, vom Ministerrat und damit von alten Regierungen in Kraft gesetzt, die sogenannten Gastarbeitnehmer aus diesen fünf
Ländern, die außer uns der EWG angehören, die gleichen Rechte und Pflichten haben wie jeder deutsche Arbeitnehmer und von daher in jeder Hinsicht gleichermaßen geschützt sind wie der deutsche Arbeitnehmer.
({11})
Es ist zu billig, hier mit solchen Argumenten zu kommen, meine Damen und Herren.
({12})
Sie haben weiterhin gesagt, das 624-DM-Gesetz habe jetzt mehr oder weniger die Chance eröffnet, daß 8 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland nun von diesem Gesetz endlich Gebrauch machen konnten. Wie war denn die Wirklichkeit in der Vergangenheit? Wer hat denn gegen das 312-DMGesetz in diesem Hause Stellung genommen? Wer hat denn dagegen votiert? - Doch die Freie Demokratische Partei und ein großer Teil der Sozialdemokraten! Und wenn das 312-DM-Gesetz in der Vergangenheit nicht zum Zuge gekommen ist, dann doch einfach deshalb nicht, weil Arbeitgeber und Gewerkschaften dagegen gemauert haben,
({13})
und nicht, Herr Kollege Arendt, weil darin irgendwelche sozialen Ungerechtigkeiten gewesen wären. Ich kann Ihnen nur eines dazu sagen. Wenn es wirklich der Fall gewesen wäre, daß soziale Ungerechtigkeiten in dem 312-DM-Gesetz in der von Ihnen hier behaupteten Form vorhanden gewesen wären oder vorhanden gewesen sein sollten - ich darf es einmal so formulieren -, dann verstehe ich nicht, daß noch unter Ihrer Ägide als 1. Vorsitzender der IGBE und nachfolgend von Ihrem jetzigen amtierenden Vorsitzenden für die Bergarbeiter im gesamten Bundesgebiet
({14})
ab 1. Januar 1970 diese vermögenswirksame Leistung eingeführt worden ist, - trotz der angeblichen sozialrechtlichen Nachteile. Das ist doch die Situation!
({15})
Sie können doch nicht versuchen, uns in dieser Form zu verketzern. Sie können auch nicht behaupten, daß Sie mit den 8 Millionen einen riesigen Erfolg gehabt hätten.
({16})
Von diesen 8 Millionen Menschen waren allein zwischen 4 und 5 Millionen in metallverarbeitenden und -produzierenden Berufen tätig. Das heißt, daß auf Grund des Abschlusses der IG-Metall rund 5 Millionen Arbeitnehmern diese Möglichkeit im Rahmen des Gesetzes eröffnet wurde. Über das Warum könnte man an dieser Stelle auch noch viel sagen. Ich will das nicht tun.
Ich wollte nur verhindern, daß hier eine Bilanz aufgemacht wird, in der die Vergangenheit mehr oder weniger miesgemacht wird, die Gegenwart und Zukunft dagegen in höchsten Tönen gefeiert werRusse
den. Es ist genau umgekehrt, meine Damen und Herren! Das müssen Sie sich sagen lassen.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Franke ({0}).
Franke ({1}) : ({2}) : Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Seidel und Herr Minister Arendt haben sich heute morgen in ihren Beiträgen hier eine Leistung der inneren Reformen auf ihre Fahnen geschrieben, die nicht ihre originäre Leistung ist. Ich habe eben schon durch eine Zwischenfrage klarzustellen versucht, daß die Vorsorgeuntersuchungen, die im Krankenversicherungsneuregelungsgesetz vorgesehen sind, nicht Ihnen als Leistung zugeschrieben werden können, sondern bereits in unserem Gesetzentwurf enthalten waren. Sie sind dann auf Grund der Sachdebatte und der hervorragenden Argumente der Öffentlichkeit auch in das neue Krankenversicherungsneuregelungsgesetz mit einbezogen worden.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Regierung konsumiert Leistungen als innere Reformen, die nicht auf ihrem Beet ich hätte beinahe ein anderes Wort gesagt - gewachsen sind.
({4})
Wir werden die gesamte Öffentlichkeit immer wieder darauf aufmerksam machen, daß Sie Leistungen als Ihre Leistungen verkaufen, die letztlich nicht ihre Leistungen sind. Was wirkliche innere Reformen angeht, so haben wir von Ihnen bisher nur Absichtserklärungen gehört. Taten haben wir von Ihnen bislang noch nicht gesehen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hörte eben die Bemerkung, ich sei in den letzten Jahren nicht da gewesen. Ich war sehr oft da, allerdings saß ich oben auf der Zuhörertribüne, Herr Kollege Katzer.
({0})
Ich weiß also sehr wohl, was hier vor sich gegangen ist.
Herr Kollege Russe hat dem Kollegen Schmidt vorgeworfen, daß er zu 90 Prozent in der Vergangenheit gegraben habe. Herr Kollege Russe hat dasselbe zu 99 Prozent getan, indem er auf Dinge aus den Jahren 1965, 1966 und 1967 eingegangen ist und diese auch noch ein bißchen durcheinandergeworfen hat.
Ich bin mir nicht ganz klar darüber, Herr Kollege Russe, ob Sie die Gesetze meinten, die Sie gemeinsam mit der Freien Demokratischen Partei in den Jahren 1965 und 1966 verabschiedet haben, oder die Gesetze, die in diesen Jahren in Angriff genommen wurden, dann aber erst unter der Regierung der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD zur Verabschiedung kamen. Ich denke in diesem Zusammenhang vor allem an das Dritte Kriegsopferanpassungsgesetz, das CDU/CSU und FDP gemeinsam konzipierten und das dann beinahe unter den Tisch gefallen wäre, wenn nicht Ihr neuer Koalitionspartner, die SPD, darauf gedrungen hätte, daß es doch noch zur Verabschiedung kam. Herr Kollege Russe, Sie haben aber das Finanzänderungsgesetz vergessen, in dessen Rahmen über hundert Änderungen im sozialrechtlichen Bereich durchgeführt wurden. Dieses Gesetz war aus der damaligen Notsituation heraus verständlich, kann aber letzten Endes doch nicht als sozialpolitisches Ruhmesblatt Ihrer Regierungsführung gelten. Meine Damen und Herren, in diesem Finanzänderungsgesetz haben Sie doch, nachdem Sie zuvor für die Knappschaftsausgleichsleistungen und für den Bergbau vieles getan hatten, die Renten der Knappschaftsrentner um 20 % kürzen müssen, weil Ihre Blüten- und Hoffnungsträume des Jahres 1957 nicht in Erfüllung gegangen sind.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns im sozialpolitischen Bereich nicht von der allgemeinen Krankheit und von dem Bazillus, der um sich greift, nämlich die totale Konfrontation zu suchen, anstekken lassen.
({1})
Wenn wir ehrlich sind, haben wir in den letzten 20 Jahren alle miteinander unterschiedliche Meinungen auf dem verschiedensten Gebieten gehabt. Aber wir haben uns mit den unterschiedlichsten Meinungen, die Gott sei Dank vorhanden waren, gegenseitig befruchtet und haben in der Austragung dieser unterschiedlichen Meinungen Dinge geschaffen, die sich sehen lassen können.
({2})
Wir sollten hier links oder rechts oder in der Mitte nicht so sehr auf Erstgeburtsrechte pochen. Denn wenn hier, wie es durch den Kollegen Burger, durch Zwischenfragen und durch die Reden der Kollegen von der CDU, geschehen ist, deutlich gemacht wurde, daß es noch soziale Ungerechtigkeiten und soziale Ungereimtheiten gibt, dann ist das doch nicht die Schuld dieser Regierung und auch nicht die Schuld früherer Regierungen, sondern dann ist das einfach das menschliche Unvermögen, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, die wir aus dem gesamten Wirtschaftskreislauf herausnehmen können, alles so gerecht zu regeln, daß alle glücklich und zufrieden sein können. Das sollten wir doch ehrlich erkennen. Dann müssen wir aber auch ehrlich anerkennen, daß in den letzten 15 Monaten vieles geleistet und manches von dem, was an Ungerechtigkeiten und Unge5660
reimtheiten bestand, beseitigt oder gemildert worden ist.
({3})
Deshalb begreife ich nicht ganz die harte Diskussion der letzten Stunde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Bitte!
Herr Kollege Spitzmüller, ich bin Ihnen für Ihre erste Erklärung dankbar und ich möchte sie auch gern unterstreichen. Aber Ihrer Schlußfolgerung kann ich leider nicht folgen.
({0})
Würden Sie mir zustimmen, wenn ich Sie frage, ob es nicht unser gutes Recht ist, daß wir die Regierung an dem messen, was sie in ihrer Regierungserklärung versprochen und was sie davon eingehalten bzw. nicht eingehalten hat? Darum ging es in der Debatte von heute morgen.
({1})
Herr Kollege Katzer, das ist nicht nur Ihr gutes Recht, sondern das ist Ihre Pflicht. Ich habe das in den Jahren, in denen ich Abgeordneter der Opposition war, auch immer getan,
({0})
- und zwar recht kräftig, indem ich Ihnen Zitate aus der Regierungserklärung vorgelesen habe.
({1})
Nur sollte die CDU/CSU, Herr Kollege Katzer, zumindest gelegentlich daran denken, daß im sozialpolitischen Bereich im Bewußtsein der „Sünden" und des „mea culpa", das man, wenn man zurückschaut, und zwar auch als CDU-Abgeordneter, hin und wieder aussprechen muß, etwas mehr christliche Demut statt des heidnischen Hochmuts angebracht wäre, der zuweilen in den CDU-Beiträgen zum Ausdruck kam.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 138 *) begründen, durch den die Anträge auf den Umdrucken 131 bis 133**) ersetzt werden.
Die Bundesregierung, Bundeskanzler Brandt persönlich im Bericht zur Lage der Nation und auch der Parlamentarische Staatssekretär Herold haben zur Zweckbestimmung der 80 Millionen DM Zonen-
*) Siehe Anlage 6
**) Siehe Anlagen 7 bis 9 rand-Förderungsmittel erklärt, diese seien für den Wohnungsbau und für soziale Einrichtungen im Zonenrandgebiet bestimmt. Die Aufteilung dieser Mittel, die uns heute vorliegt, ist erfolgt, ohne daß man den fachlich zuständigen Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen gehört hat. Wir bitten darum - ich nehme an, daß ich hier für alle Fraktionen sprechen kann , dieses Verfahren nicht zu wiederholen, denn es hat sich als unzweckmäßig herausgestellt.
Entgegen dem erklärten Willen der Bundesregierung und aller drei Fraktionen ist der soziale Wohnungsbau in den Vorschlägen mit Null berücksichtigt worden.
({0})
Statt dessen sind eine ganze Reihe von Zwecken bedacht worden, die auch wir begrüßen, wie z. B. in dem hier zur Diskussion anstehenden Haushalt die Berufsbildung und Rehabilitation. Dabei hat man aber in der Eile übersehen, daß für den Rest dieses Jahres - diese Mittel sind ja bis zum Inkrafttreten des Zonenrandförderungsgesetzes gesperrt; wir hoffen, daß das Mitte des Jahres sein wird, es liegt aber möglicherweise noch später - die Mittel, die hier zur Verfügung gestellt sind, weit über das hinausgehen, was an förderungsreifen Projekten vorliegt. Es besteht die Gefahr, daß diese Mittel am Ende des Jahres verfallen oder daß sie ohne eine sorgfältige Planung und Zwecksetzung praktisch hinausgeschleudert werden.
Schon deshalb, aber auch aus der klaren politischen Zielsetzung heraus, daß die Arbeitnehmerförderung im Zonenrandgebiet nach der Ablehnung des Arbeitnehmerfreibetrages notleidend ist und daß der soziale Wohnungsbau der einzige Weg ist, auf dem wir helfen können, beantragt meine Fraktion, innerhalb dieser 80 Millionen DM - wovon ein Teil den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums betrifft eine Umschichtung vorzunehmen und Mittel in Höhe von 30 Millionen DM für die Förderung des Arbeitnehmerwohnungsbaus im Zonenrandgebiet zur Verfügung zu stellen. Die 10 Millionen DM, die heute von den Koalitionsfraktionen beantragt worden sind, werden auch von uns begrüßt. Ich glaube, hier hat ein gewisser Annäherungsprozeß stattgefunden. Während wir in der vorigen Woche 40 Millionen DM ins Auge gefaßt hatten und die Koalition allenfalls bereit war, eine Entschließung in dritter Lesung für das nächste Jahr ins Auge zu fassen, haben wir uns genähert. Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich das noch einmal überlegten, meine Damen und Herren. 10 Millionen DM sind zuwenig. Die Zwecke sind nicht in der gehörigen Relation gesehen, wenn wir die Mittel im Verhältnis 10 zu 70 zuungunsten des sozialen Wohnungsbaues verteilen.
Ich bitte Sie deshalb: Setzen Sie im sozialen Wohnungsbau im Zonenrandgebiet den Schwerpunkt, den er verdient, und stimmen Sie deshalb dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 138 zu. Lassen Sie uns aber darüber hinaus im interfraktionellen Gespräch eine gemeinsame Entschließung in dritter Lesung anstreben, die die Stimme des Parlaments und seine Mitwirkung bei der ZweckDr. Warnke
bestimmung dieser Mittel für 1972 zur Geltung bringt, was diesmal leider nicht in ausreichendem Maße geschehen ist.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Warnke hat eben den Antrag auf Umdruck 138 begründet. Ich sehe hier unter Ziffer 1 b) einen Kürzungsvorschlag zu den Ansätzen für berufliche Rehabilitation sowie Förderung von Werkstätten für Behinderte im Zonenrandgebiet. Hier habe ich allerdings einige Bedenken. Wir haben vorhin gehört - und wir haben das auch in einer Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vor dieses Hohe Haus gebracht -, daß auf diesem Sektor noch ein großer Nachholbedarf zu verzeichnen ist und daß dieser Nachholbedarf in den nächsten Jahren kontinuierlich abgebaut werden muß.
Ich frage deshalb den Herrn Bundesarbeitsminister klipp und klar: Herr Minister, wie sieht die Planung im Zonenrandgebiet aus? Wenn die vorgeschlagene Kürzungen hier angenommen werden, können die geplanten Maßnahmen im Zonenrandgebiet dann noch durchgeführt werden? Diese Frage bitte ich mir zu beantworten. Wenn nicht, müßte ich gegen den Antrag stimmen, da er im Widerspruch zu den von der CDU/CSU-Fraktion einstimmig gefaßten Resolutionen steht. Diesen Zusammenhang bitte ich also noch zu klären.
Meine Damen und Herren, wird zu den Anträgen oder sonst zur Aussprache noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann kann ich die Aussprache schließen und zur Abstimmung kommen.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 114 *) betreffend Kap. 11 02 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Der Antrag Umdruck 133 **) ist zurückgezogen.
Der Antrag Umdruck 138 ***) ist weitergehend als der Antrag 135. Ich komme also zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Warnke und Genossen auf Umdruck 138, und zwar zunächst Ziffer 1 betreffend Kap. 11 02. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Abgelehnt.
Ich komme zum Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, FDP auf Umdruck 135 ****) zu Kap. 11 02. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen. Damit sind die Änderungsanträge erledigt.
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 9 ***) Siehe Anlage 6 ****) Siehe Anlage 3
Wer dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich komme nunmehr zum nächsten Einzelplan:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit
- Drucksache VI/1745 -Berichterstatter: Abgeordneter Baier
Abgeordneter Prinz zu Sayn
Wittgenstein-Hohenstein
Ich frage, ob die Herren Berichterstatter das Wort wünschen. Der Abgeordnete Baier? - Der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein? Nein. Ich danke den Herren Berichterstattern für den Schriftlichen Bericht und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Baier.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit ist von einer besonderen gesellschaftspolitischen Bedeutung. Wir haben diesem Ministerium, verehrte Frau Strobel, um damit allen Erfordernissen Rechnung zu tragen, auch eine ausreichende Personalbesetzung bewilligt. In diesem Zusammenhang habe ich jedoch bereits im Vorjahr auch auf die unerfreulichen, am Rande der Beamtenrechtslegalität liegenden Personalfälle hingewiesen. Ich hoffe, daß die eine Personalangelegenheit, sehr verehrte Frau Ministerin, in der seit Herbst 1969, also seit der Regierungsbildung - ({0})
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie doch um etwas mehr Ruhe bitten. Privatgespräche können Sie in die Wandelgänge verlegen. Aber hier bitte ich Sie, es zu ermöglichen, daß die Redner ungehindert sprechen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich hoffe, daß Sie auch diesen Fall, in dem Sie gegen das Beamtengesetz verstoßen - Sie wissen, daß ich hierbei den Fall eines Ministerialdirigenten, eines früheren Abteilungsleiters, im Auge habe -, endlich zufriedenstellend, d. h. nach Recht und Gesetz, lösen.
Zu kritisieren haben wir von der CDU/CSU-Fraktion die den Haushaltsansätzen dieses Ministeriums in der Form und in der Höhe zugrunde liegenden familienpolitischen Entscheidungen. Wir werden uns deshalb nicht in der Lage sehen, diesem Haushalt zuzustimmen, sondern wir müssen ihn ablehnen.
Anläßlich der ersten Beratung der Gesetzentwürfe zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes am 16. September 1970 haben Sie, Frau Minister Strobel, hier eine Zahl besonders familienfreundlicher Maßnahmen dieser Regierung aufgeführt. Sie führten in diesem Zusammenhang die Verbesserung des Wohngeldes, die Einführung der Sparzulage beim dritten Vermögensbildungsgesetz, die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie die Beseitigung der Verheiratetenklausel in allen Sozialgesetzen auf. All das ist zu begrüßen, und Sie weisen ja auch bei den anderen Einzelplänen immer wieder auf diese punktuellen Verbesserungen hin. Aber alle diese Maßnahmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeuten lediglich eine Addition von familienpolitischen Maßnahmen in Teilbereichen und bieten keinen grundlegenden Reformansatz für eine Neuordnung der Familienpolitik, insbesondere des Familienlastenausgleichs.
In einer grundsätzlichen Stellungnahme haben Sie, Frau Minister Strobel, darüber hinaus auch die Auffassung zu einer sogenannten rationalen Familienpolitik bekanntgegeben und festgestellt, daß die Reform des Familienlastenausgleichs die erforderlichen ökonomischen Voraussetzungen schaffen muß, die es der Familie ermöglichen, ihre gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. Und Sie haben in Ihrem Artikel im „Vorwärts" erwähnt, daß danach auch das Kindergeld vom ersten Kind an gewährt werden solle und daß es an den Kosten zu orientieren sei. Wir sagen zu dieser Feststellung ja. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß eine kostenorientierte Kindergeldgesetzgebung bisher nicht erkennbar ist.
Wiederholt hat die Regierung auch beteuert, die inneren Reformen voranzutreiben. Wir vermögen nicht zu erkennen, daß sie der Familienpolitik hier eine besondere Priorität eingeräumt hat. Dies erscheint jedoch um so notwendiger, wenn man auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt des noch anhaltenden Anstiegs der Lebenshaltungskosten die stärkere Belastung von Familien mit Kindern berücksichtigt. Deshalb ist die CDU/ CSU-Fraktion der Auffassung, daß in der Familienpolitik eine solche Priorität gesetzt werden muß, und wir haben dafür auch konkrete Vorschläge gemacht.
Wir haben der Verbesserung des Familienlastenausgleichs den Vorrang vor steuerlichen Maßnahmen gegeben, und zwar nicht nur aus sozialpolitischen Gründen, sondern weil zur Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums nicht zuletzt auch eine ausgewogene Erwerbsstruktur notwendig ist. Dies steht in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung. Seit 1966 ist eine rückläufige Entwicklung der Geburten von annähernd 20 % zu verzeichnen. Die neuesten Zahlen zeigen, daß von 1969 auf 1970 ein Geburtenrückgang von 10,4 % festzustellen ist. Es könnte somit zwangsläufig für den Staat eines Tages die Entscheidung anstehen, ob er nicht einen unter bevölkerungspolitischen Gesichtspunkten gestalteten Familienlastenausgleich vornehmen muß, wenn wir die Dinge nicht rechtzeitig erkennen.
Im vergangenen Jahr haben wir von der CDU/ CSU-Fraktion deshalb auch bei dem Gesetz zur Verbesserung des Kindergeldes auf diese Entwicklung hingewiesen. Aber alle unsere Vorschläge, über das dritte Kind hinaus auch für alle weiteren Kinder das Kindergeld um jeweils 10 DM anzuheben, wurden aus fiskalischen oder vielleicht aus ideologischen Gründen abgelehnt. Die zum 1. Januar 1971 in Kraft getretenen geringfügigen Verbesserungen, nämlich die Anhebung der Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld auf 1 100 DM, sind in diesem Zusammenhang als völlig unzureichend anzusehen.
Sie, Frau Minister Strobel, haben diese gerechte Behandlung der Familien mit mehr als drei Kindern von diesem Platz hier aus fiskalischen Gründen abgelehnt, obwohl ich Ihnen sagte, daß der Haushaltstitel für das Bundeskindergeldgesetz für das Jahr 1970 nach allen Erfahrungen wiederum so großzügig geschätzt ist, daß mit einem freien Volumen von 100 Millionen DM gerechnet werden kann. Sie haben mir daraufhin hier wörtlich entgegnet:
Ich kann nicht darauf verzichten, wenigstens auf einige sehr billige Äußerungen der verehrten Kollegen von der CDU/CSU kurz zu antworten: Herr Baier, Sie wissen sowohl aus dem Haushaltsausschuß als auch aus dem Fachausschuß, daß die Bundesanstalt für Arbeit uns mitgeteilt hat, daß die Anforderungen an das KindergeldGesamtvolumen in diesem Jahr mehr gestiegen sind, und daß die von Ihnen genannten Beträge aus diesem Grund für eine Verbesserung leider nicht zur Verfügung stehen.
Von 100 Millionen DM nicht zu verbrauchender Haushaltsmittel war die Rede, meine Damen und Herren!
Nun hat vor einigen Tagen der Bundesminister der Finanzen dem Haushaltsausschuß den vorläufigen Abschluß des Bundeshaushalts 1970 vorgelegt. Daraus entnehmen wir nicht verausgabte Beträge im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: bei der Ausbildungsbeihilfe 102 Millionen DM, beim Kindergeld 103 Millionen DM.
Herr Abgeordneter Baier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Moersch?
Herr Kollege Baier, habe ich Sie recht verstanden, daß Sie zwischen dem Kindergeld und der Geburtenziffer einen Zusammenhang sehen?
Da haben Sie mich mißverstanden, sehr verehrter Herr Kollege. Ich habe nur darauf hingewiesen, daß wir bei diesem Bevölkerungsrückgang eines Tages in eine Situation kommen könnten, wo wir auch im Rahmen der Familienpolitik Maßnahmen zu ergreifen haben, um unsere künftigen sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen durchhalten zu können.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Herr Kollege Baier, könnten Sie uns die Maßnahmen näher erläutern? Der Geburtenrückgang fällt ja in eine Zeit der Erhöhung des Kindergeldes.
Es kann die Notwendigkeit eintreten, dann seitens des Staates eben mehr für die Familien zu tun, um eine größere Geburtenziffer zu haben. Aber das werden Sie nicht verstehen, Herr Moersch. Diese Dinge haben Sie noch nie verstanden.
({0})
Meine Damen und Herren, 103 Millionen DM wurden an Kindergeld im Jahre 1970 eingespart und dazu verwendet, das Steuerdefizit dieses Jahres zu decken. Ich hoffe, sehr verehrte Frau Minister, daß Sie nunmehr - das würde ich als fair ansehen - Ihren Vorwurf zurücknehmen, ich hätte eine billige Äußerung getan. Es war eine sehr genaue Schätzung. Auf Grund Ihrer Fehlschätzung haben nunmehr die Familien mit mehreren Kindern den Nachteil zu erleiden.
Mit großer Sorge, meine Damen und Herren, verfolgen wir auch die neue familienpolitische Konzeption. Herr Kosmale, der Leiter der Abteilung Familie in diesem Ministerium, hat bei der Hauptausschußsitzung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge im November hervorgehoben, daß die Schwierigkeiten einer rationalen Familienpolitik auf die emotionelle Besetztheit der vergangenen Regierungen zurückzuführen seien. Er forderte gleichzeitig eine rationale Familienpolitik.
Frau Minister Strobel, wir fragen Sie und bitten um Antwort: Was verstehen Sie unter der „emotionellen Besetztheit", und was verstehen Sie unter „rationaler Familienpolitik"? Welche Vorstellungen haben Sie angesichts der sich widersprechenden Aussagen von der Institution der Familie? Wir wollen mit Ihnen darin einig gehen, daß die Familie weder ein historisch überlebtes Produkt noch ein Hemmnis zur freien Entwicklung, sondern ein wesentliches Strukturelement, ein Baustein unserer freiheitlichen Gesellschaft ist. Bitte, sorgen Sie, Frau Minister Strobel, durch klare Worte und Handlungen dafür, daß keine Mißverständnisse entstehen.
Die verschiedenen widersprüchlichen Äußerungen haben Sorge, Enttäuschungen und Protest bei vielen kinderreichen Familien hervorgerufen. In den Familienzeitschriften war zu lesen: „Bundesregierung entscheidet sich für die Kleinfamilie - Die Stiefkinder der Gesellschaft - Enttäuschend für die Mütter, selbstmörderisch für Staat und Wirtschaft. Solche Äußerungen, Frau Minister Strobel, dürfte es nicht geben.
Wir von der CDU/CSU fordern gleiches Recht für alle Kinder und fordern Chancengleichheit für alle Kinder. Das aber heißt: Die Höhe der Leistungen muß so bemessen sein, daß die Familien mit größerer Kinderzahl in ihrer Lebenshaltung gegenüber anderen Personengruppen nicht zu stark zurückfallen. Von dem Entschluß einer größeren Zahl von Ehepaaren, mehr als zwei Kinder zu erziehen, wird es abhängen, ob es bei uns in den kommenden Jahrzehnten eine ausgewogene Altersstruktur der Bevölkerung geben wird.
Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist sicherlich ein ausreichender und gerechter Familienlastenausgleich. Dies war und ist unsere familienpolitische Konzeption. Das ist keine Ideologie, Frau Minister Strobel. Wenn es je eine Familienideologie gegeben hat, dann wurde sie erst in jüngster Zeit produziert. Die Überschrift in Ihrem Artikel im „Vorwärts" vom August letzten Jahres war daher falsch. Nicht: „Abschied von der Familienideologie", sondern: „Beginn einer Familienideologie, einer ungerechten, unsozialen und in den Auswirkungen diskriminierenden Familienideologie" müßte die Überschrift lauten.
Lassen Sie uns, sehr geehrte Frau Minister Strobel, durch gemeinsames Handeln versuchen, in diesem Bereich eine gemeinsame Konzeption zu entwickeln. Die Familienpolitik sollte nicht ein Opfer parteipolitischer Auseinandersetzungen sein, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, in diesem wichtigen Bereich eine gemeinsame Konzeption und eine Hilfe zum Wohle der Familien und damit des Volkes zu entwickeln.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Mit einem leichten Schmunzeln mußte ich vernehmen, daß Herr Kollege Baier für die CDU den gesamten Einzelplan 15 ablehnt, damit auch die Mittel, die für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn eingesetzt sind.
({0})
Ich glaube, das ist doch eine nette Anekdote am Rande dessen, was Sie ausgeführt haben, Herr Kollege Baier.
Herr Kollege Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baier? Baier ({0}) : Lieber Kollege Spitzmüller, Sie waren doch lange genug in diesem Parlament, auch wenn Sie in der letzten Zeit nicht hier waren, um zu wissen, -
Ich bitte, eine Frage zu stellen.
Dart ich Sie fragen, Herr Kollege Spitzmüller, ob Sie noch wissen, daß mit der Ablehnung eines Haushalts zwar die Ablehnung der Politik dieser Regierung und dieses Ministeriums gemeint ist, aber sicherlich nicht die AblehBaier
nung der Maßnahmen, die in diesem Ministerium durchzuführen sind?
({0})
Herr Kollege Baier, natürlich weiß ich, daß die Ablehnung eines Haushalts die Ablehnung der Politik bedeutet. Nur wurde das früher manchmal etwas nuancierter gemacht, indem man den Antrag auf Streichung des Amtsgehalts des Ministers stellte, damit nicht samt und sonders alle Maßnahmen des Ministeriums abzulehnen waren.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe.
Herr Kollege Baier, ich wollte doch nur darauf hinweisen, wie problematisch es ist
({0})
- nein, keine Schärfe hineinbringen, sondern im Gegenteil einen kleinen Scherz machen -, wenn man so global nein sagt, weil man dann auch zu Dingen nein sagen muß, die einem so sehr am Herzen liegen.
({1})
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.
Herr Kollege Spitzmüller, würden Sie die Freundlichkeit haben, Herrn Baier darauf hinzuweisen, daß die gleiche Argumentation, die Sie gerade gebraucht haben, in der Vergangenheit vornehmlich von der CDU/CSU uns gegenüber angewandt wurde?
({0})
Lassen wir diese kleinen Dinge. Ich hatte es als freundlichen Auftakt gedacht und bedaure, daß Sie da nun mit tiefem Ernst eingestiegen sind.
Herr Kollege Baier, Sie haben erfreulicherweise darauf hingewiesen, daß diese Regierung wenigstens punktuell etwas für die Familien getan habe, indem Sie auf das Wohngeld, auf die Sparzulagen, auf die Verheiratetenklausel, auf die Schülerunfallversicherung und einiges mehr hingewiesen haben. Sie sagen, das sind punktuelle Verbesserungen. Aber immerhin sind es Verbesserungen, und das dürfen wir einmal festhalten.
Sie haber bedauert, daß bis jetzt kein Ansatz für grundsätzliche Reformen im Familienlastenausgleich sichtbar geworden ist. Lieber Herr Kollege Baier, Sie wissen ganz genau, daß ein Ministerium ein bestimmtes Eigenleben führt und daß der Wechsel des
Ministers nicht bedeutet, daß alles sofort auf den Tisch gelegt werden kann, sondern daß der Minister auf das angewiesen ist, was von seinem Vorgänger an vorbereitenden Gedankenspielen vorliegt.
({0})
-- Nein, der Vorgänger war von der CDU.
({1})
- Soweit es den familienpolitischen Bereich anlangt, war es eine Dame der CDU, und vor dieser Dame war es ein sehr kampfesfreudiger Herr der Christlich-Demokratischen Union, nämlich Herr Wuermeling.
({2})
- Herr Heck.
({3})
- Lücke und dann Heck und dann Wuermeling. ({4})
Sie sehen also, meine Damen und Herren, wie außerordentlich vielfältig der Verschleiß an Persönlichkeiten der CDU/CSU in diesem Bereich der Politik gewesen ist, daß man sich wirklich anstrengen muß, um festzustellen, wer alles in diesem familienpolitischen Bereich tätig gewesen ist.
Aber offensichtlich hat die Frau Ministerin von ihrer Vorgängerin hier nicht viel vorgefunden, auf dem sie hätte weiter aufbauen können, sondern sie muß hier ganz offensichtlich neu beginnen. Daß das in einem Zusammenhang mit der Steuerreform zu sehen ist, wenn man zu einer Vereinfachung kommen will, ist auch nicht wegzustreiten. Von daher, Herr Kollege Baier, ist dieser Angriff, daß hier noch keine grundsätzlichen Reformvorstellungen vorgelegt worden seien, nicht berechtigt, und wenn er berechtigt ist, ist er gleichzeitig ein Angriff auf die Minister, die das Amt des Familienministers vorher bekleidet haben.
({5})
Ich erinnere mich und, meine Damen und Herren, wir alle erinnern uns noch des Wehklagelieds, das der erste Familienminister, Herr Wuermeling, hier in den Jahren 1966, 1967, 1968, 1969 bis in die letzten Sitzungen des Bundestages hinein über die mangelnde Familienpolitik und die mangelnde Unterstützung für die Familien angestimmt hat. Herr Wuermeling gehörte Ihrer Fraktion und Partei an, und der Minister für Familienpolitik gehörte ebenfalls Ihrer Partei an. Dieses Klagelied ist also nicht neu. Es wurde von Ihrer Fraktion angestimmt und vorgetragen, als Sie noch die Regierungspolitik bestimmten
({6})
- nein, bestimmten; Sie haben doch den Kanzler
gestellt - und mitbestimmten dadurch, daß Sie selber das Familienministerium immer besetzt gehalten haben.
Meine Damen und Herren, wenn Herr Kollege Baier mehr oder weniger von einem Versagen der
Familienpolitik gesprochen hat, dann kann es also nicht das Versagen der Familienpolitik dieser Regierung sein, sondern das der Familienminister, die früher zuständig gewesen sind.
({7})
Wenn wir Bilanz ziehen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß diese Regierung und die zuständige Ministerin immerhin erreicht haben, daß wenigstens Verbesserungen beim Zweit- und Drittkindergeld durchgeführt worden sind. Ihnen ist bekannt, daß die Vorarbeiten zur Kindergeldreform laufen. Daß hier viele denkbare Modelle entwickelt werden müssen, damit das Kindergeld überschaubar, gerecht und zahlbar im Rahmen dessen wird, was uns an öffentlichen Mitteln zur Verfügung steht, weiß jeder, der sich mit dieser schwierigen Problematik in der Vergangenheit auseinandergesetzt hat und in der Gegenwart auseinandersetzt.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?
Herr Kollege Spitzmüller, ist Ihnen bekannt, daß das Zweitkindergeld seit 1961 nicht mehr verbessert wurde?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege. Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, weil ich daran die Bemerkung anknüpfen kann, daß die CDU von 1963 bis 1969 den Minister für Familienpolitik stellte und in diesen sechs Jahren nicht in der Lage war, eine Verbesserung durchzuführen, während die SPD-Ministerin in einer SPD-FDP-Koalition innerhalb von 12 Monaten in der Lage war, wenigstens eine erste bescheidene Verbesserung einzuleiten.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Köster.
Ist Ihnen bekannt, Herr Spitzmüller, daß seit 1969 alle Anträge der CDU/ CSU-Fraktion, das Zweitkindergeld zu erhöhen, von der Koalition abgelehnt worden sind?
Bitte Frau Kollegin Eilers! Nehmen wir gleich zwei Fragen zusammen.
Herr Kollege Spitzmüller, ist Ihnen bekannt, daß in der mittelfristigen Finanzplanung der Großen Koalition unter dem Finanzminister Franz Josef Strauß keine Mittel für familienpolitische Maßnahmen, d. h. Erhöhung des Kindergeldes, bis zum Jahre 1972 eingestellt waren?
({0})
Frau Kollegin Eilers, ich bin Ihnen sehr dankbar. Sehen Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, solche Zwischenfragen sind immer sehr interessant. Die CDU/CSU hat durch ihren Finanzminister Strauß für 1969, 1970 und 1971 keine Erhöhungen vorgesehen gehabt. Aber kaum war Herr Finanzminister Strauß nicht mehr Finanzminister, da war er freudig damit einverstanden, daß seine Fraktion unverzüglich - nicht erst heute, sondern möglichst noch gestern - eine Verbesserung durchführe, die er als Finanzminister abgelehnt hatte, in die langfristige Finanzplanung einzubeziehen.
({0})
Daß die Koalitionsfraktionen Ihren Schaufensterantrag im Jahre 1969/70, das Kindergeld sofort zu erhöhen, ablehnen mußten, ist selbstverständlich.
({1})
- Diese Regierung hat wie jede Regierung die Verantwortung, darüber zu wachen, daß der Haushalt in sich geschlossen bleibt und in sich selbst keine Deckungslücke oder keine allzu große Deckungslücke aufweist.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?
Herr Ott, ich schätze Sie außerordentlich, und ich freue mich sehr, wenn Sie eine Frage stellen wollen. Bitte sehr, gern.
({0})
Herr Kollege Spitzmüller, ist Ihnen bekannt, daß die Regierungskoalitionen am 5. Juni 1970 - neun Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen - im Finanzausschuß den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, das Zweitkindergeld anzuheben, abgelehnt haben mit der Begründung, daß sie die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages wollen, und ist Ihnen ferner bekannt, daß Sie dann nach der Wahl vom 14. Juni in NordrheinWestfalen von sich aus die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages abgesetzt haben? War das nicht ein echter Schaufensterantrag Ihrer Fraktion?
Herr Kollege Ott, wir müssen ein bißchen unterscheiden zwischen den Anträgen im Ausschuß und den Anträgen, die hier im Hohen Hause gestellt werden.
({0}) - O doch.
Herr Kollege Ott, ich möchte Ihnen darauf etwas anderes antworten. Wir haben die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages zurückstellen müssen,
({1})
weil die überschäumende Konjunktur das einfach erfordert
({2})
und weil Sie mit Recht gesagt hätten, daß wir uns dann nicht konjunkturgerecht verhalten würden.
({3})
Herr Kollege Ott, ich gestatte Ihnen jetzt aber keine weiteren Zwischenfragen, weil ich meine Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen will. Ich sehe nämlich, daß die Uhr immer weiter läuft.
({4})
Herr Kollege Baier hat versucht, so etwas wie einen Kausalzusammenhang zwischen Geburtenrückgang und Kindergeld herzustellen. Ich sage nicht, daß er es direkt getan hat, aber es klang so ein bißchen an. Ich glaube, wir müssen uns von dieser Vorstellung frei machen, daß zwischen Gewährung von Kindergeld und Geburtenüberschuß oder Geburtenrückgang ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen kann.
({5})
Hier gibt es zwei Beispiele, die sich konträr gegenüberstehen. Das eine ist ein Land, in dem es kein Kindergeld gibt, aber einen irrsinnigen Geburtenüberschuß, das ist Indien,
({6})
und es gibt ein anderes Land, in dem tatsächlich durch kräftige Kindergeldgewährungen der Geburtenüberschuß mächtig angestiegen ist. Das ist in den 30er Jahren in Frankreich der Fall gewesen.
Meine Damen und Herren, ich teile die Sorge, die Herr Kollege Baier hier ausgesprochen hat, daß wir, sollte der Geburtenrückgang anhalten, große Schwierigkeiten hätten, die Verpflichtungen, die wir im Rahmen unserer Rentengesetzgebung für die zukünftigen Rentner übernommen haben, zu finanzieren. Ich glaube, wir dürfen das nicht polemisch in in den Raum stellen, sondern müssen das in dem Sinne behandeln, wie Herr Kollege Baier das zum Schluß seiner Rede angeführt hat: gemeinsame Überlegungen anstellen, um möglichst zu gemeinsamem Handeln zu kommen.
Hier, Herr Kollege Baier und meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben wir einen erheblichen Nachholbedarf, aber nicht aus den letzten 15 Monaten, sondern aus den letzten 10 Jahren. Von da her sollten wir uns bewußt sein, daß die Frage der Kindergeldneuregelung im Zusammenhang mit der Steuerreformgesetzgebung zu sehen ist und daß der Familienlastenausgleich nicht nur eine Frage des Kindergeldes ist, sondern daß hier auch ein Komplex hinzugehört, der mit dem Stichwort Ausbildungskosten und Ausbildungsförderung umrissen und angedeutet ist.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hier darf ich doch vielleicht daran erinnern, welche Mühe es gekostet hat, Ihre Fraktion dazu zu bewegen, wenigstens zu einer Anfangslösung einer Ausbildungsförderung zu gelangen. Der entsprechende
FDP-Entwurf wurde lange nicht behandelt, und es bedurfte des Drucks Ihres damaligen Koalitionspartners SPD, daß es überhaupt zu einer Wertung in diesen Fragen gekommen ist. Ich glaube, hier müssen wir sehen, daß Kindergeld eine Frage des Familienlastenausgleichs ist, Ausbildungsförderung eine andere, aber die Chancengleichheit im schulischen Bereich ebenfalls eine ganz entscheidende Komponente dessen ist, was man als Familienhilfe, Familienpolitik, Familienlastenausgleich bezeichnen kann.
Wir Freien Demokraten kommen zu der Überzeugung, daß das, was im Einzelplan 15 für Jugend, Familie und Gesundheit von dieser Regierung in diesem Jahr an Finanzierungsmöglichkeiten eingeplant ist, nicht alle Blütenträume reifen lassen wird, die der eine oder andere haben mag, daß es aber das ist, was möglich ist, was notwendig ist und was in einem Jahr, das ja nur 12 Monate hat, zu verwirklichen ist. Wir sind der Meinung, daß gute Ansätze für die Weiterentwicklung einer guten Familien- und Gesundheitspolitik vorhanden sind. Deshalb werden wir diesem Haushalt unsere Zustimmung geben, in der Hoffnung, daß es in den Ausschüssen bei der Beratung der einzelnen Gesetzeswerke im Austausch der unterschiedlichen Vorstellungen zu einer guten Zusammenarbeit kommen wird.
Wir hoffen ferner, daß in diesem Austausch das eine oder andere Vorhaben auch durch Ideen der Opposition befruchtet wird und somit dieser Haushalt, wenn er verabschiedet ist, durch Zurverfügungsstellung der Mittel überhaupt erst die Basis dafür schafft, daß diese Gesundheits- ,und Familienpolitik vorangetrieben werden kann. Dazu sagen wir ja. Deshalb stimmen wir diesem Haushalt vollinhaltlich zu und danken der Ministerin für die Arbeit, die sie sich gemacht hat, um die Punkte, die in den verschiedensten Bereichen anzusetzen sind, in die Familien- und Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung mit einzuführen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beratung des Einzelplans 15 gibt Gelegenheit, mehr als ein Jahr Jugendpolitik dieser Regierung einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Dabei muß sich die Jugendpolitik dieser Regierung zum einen an den sachlichen Notwendigkeiten und zum anderen an den Aussagen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 zur Jugendpolitik messen lassen.
Es findet unsere Zustimmung, daß die Bundesregierung eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Jugendhilferechts berufen hat, die, wenn alles gutgeht, zum Ende dieser Legislaturperiode einen diskussionsfähigen Entwurf eines Jugendhilfegesetzes vorlegen wird. Wo aber bleiben die Bemühungen der Bundesregierung um eine praktische Reform
der Jugendhilfe in unserem Lande? Wo, so frage ich, und mit welchem Erfolg hat die Bundesregierung im Jahre 1970 von der Möglichkeit des § 25 des Jugendwohlfahrtsgesetzes Gebrauch gemacht und Bestrebungen auf dem Gebiete der Jugendhilfe angeregt und gefördert, soweit sie über die Verpflichtungen der Jugendämter, Landesjugendämter und obersten Landesbehörden hinaus zur Verwirklichung der Aufgaben der Jugendhilfe von Bedeutung sind?
Dies ist sicherlich nicht die Stunde, die Situation der Jugendhilfe in der Bundesrepublik Deutschland in der gebotenen Breite und Tiefe zu erörtern, aber ich möchte eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesem Thema in Kürze ankündigen. Dann werden wir die Möglichkeit einer ausführlichen Diskussion haben.
({0})
- Wenn es Sie beruhigt, wenn Sie so genau die Termine wissen wollen: in vier Wochen.
({1})
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 eine Reform des Bundesjugendplanes versprochen. Herausgekommen sind bisher im wesentlichen nur neue Richtlinien, denen wir weitgehend zustimmen, die aber - darüber sind wir uns wohl alle einig - den anspruchsvollen Namen einer Reform nicht verdienen.
Dafür haben wir zum 20jährigen Jubiläum des Bundesjugendplans vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine Pop-Wandzeitung bekommen, die zum einen Frau Minister Strobel als Go-Go-Girl zeigt und zum anderen im wahrsten Sinne des Wortes wirklich ein Musterbeispiel für die skandalöse Informationspolitik dieser Regierung ist!
({2})
Der Deutsche Bundesjugendplan ist von der ersten Regierung Adenauer geschaffen worden, und es war niemand anders als Bundeskanzler Konrad Adenauer selbst, der am 18. Dezember 1950 in diesem Saal den ersten deutschen Bundesjugendplan feierlich verkündet hat.
({3})
Es waren Bundesinnenminister Lehr und die Bundesminister für Familie und Jugend Dr. Wuermeling, Dr. Heck und Frau Brauksiepe, unter deren Amtsführung der Bundesjugendplan fast zwei Jahrzehnte hindurch entwickelt und gestaltet worden ist.
({4})
Diese Wandzeitung „20 Jahre Bundesjugendplan" ist nicht nur optisch schief, sie ist auch inhaltlich schief. Wenn man diese Wandzeitung betrachtet, glaubt man, daß der Bundesjugendplan ein Werk der Sozialdemokratischen Partei ist.
({5})
Von Herrn Bundeskanzler Brandt, von Frau Bundesminister Strobel und von dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Westphal, die sich gerade in
den letzten Jahren ein wenig um den Bundesjugendplan kümmern konnten, ist in dieser Wandzeitung in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihren tatsächlichen Leistungen auf dem Gebiete der Jugendpolitik die Rede. Der große Anteil, den sich 20 Jahre hindurch die Minister der CDU/CSU am Bundesjugendplan erworben haben, ist in dieser Wandzeitung völlig unterschlagen. Das ist die allgemeine Informationspolitik dieser Regierung, wie sie auch auf anderen Sektoren zu beobachten ist.
({6})
Ich glaube, es wäre fair gewesen, wenn die jetzige Leitung des Hauses in dieser Wandzeitung, die ja nach bekannten Methoden in sämtlichen Jugendverbänden, Jugendheimen, Heimen der offenen Tür usw. verbreitet werden wird, auch auf die Leistung der Amtsvorgänger dieser Frau Minister hingewiesen hätte.
({7})
Die Reform des Bundesjugendplans steht noch aus. Ich habe in einem Beitrag für die Zeitschrift „Deutsche Jugend" zum zwanzigjährigen Bestehen des Bundesjugendplans einige Ausführungen darüber gemacht, wie sich die Opposition die Reform des Bundesjugendplans vorstellt. Ich möchte heute zwei Gesichtspunkte hinzufügen. Wir müssen mit dem Bundesjugendplan stärker als bisher auch die nicht organisisierte Jugend fördern, und wir müssen mit dem Bundesjugendplan stärker als bisher gesellschaftliche Randgruppen der jungen Generation erreichen. Ich nenne nur drei Gruppen: Obdachlose, entlassene Strafgefangene, Drogen- und Rauschgiftabhängige, ausländische Arbeitnehmer und ihre Kinder.
Mit den Gastarbeiterkindern, die weitgehend sich selbst überlassen, weitgehend ohne ausreichende Schulbildung, weitgehend von unserer eigenen jungen Generation isoliert, fern von den vertrauten Verhältnissen ihrer Heimat in einem ihnen fremden Lande heranwachsen, kommen Probleme auf uns zu, die uns in einigen Jahren noch schwer zu schaffen machen werden, wenn Bund, Länder und Gemeinden und die freien Kräfte der Gesellschaft selbst diese Probleme nicht heute klar erkennen und entschlossen anpacken. Wir meinen, daß hier auch eine Aufgabe des Bundesjugendplans ist.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen es, daß in Ausführung des § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes Voraussetzung der Förderung aus dem Bundesjugendplan nach den neuen Richtlinien nicht nur die Bejahung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern auch die Bejahung der parlamentarisch-repräsentativen Willensbildung durch denjenigen ist, der eine Förderung aus dem Bundesjugendplan begehrt. Diese Bestimmung besagt nicht, daß nicht am Inhalt, an den Formen, an Einzelerscheinungen unserer Demokratie und unseres Parlamentarismus Kritik - auch harte Kritik - geübt werden darf, geübt werden soll, geübt werden muß. Aber sie besagt, daß derjenige nicht noch Anspruch darauf hat, aus Mitteln unseres Staates gefördert
zu werden, der Demokratie und Parlamentarismus
selber in Frage stellt, verneint und abschaffen will.
Wenn in den neuen Richtlinien des Bundesjugendplans die parlamentarisch-repräsentative Willensbildung besonders genannt ist, dann aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß in der deutschen Geschichte der Angriff auf die Demokratie noch immer mit dem Angriff auf den Parlamentarismus begonnen hat. Diejenigen, die heute in unserem Lande die Ersetzung des Parlamentarismus durch das Rätesystem fordern, wollen auch die freiheitliche Demokratie durch die Diktatur des Proletariats ersetzen. Und diejenigen, die dieses alles wollen, werden wir nicht auch noch durch den Bundesjugendplan finanzieren, sondern die sollen sich ihr Geld bei denjenigen beschaffen, deren Geschäfte sie hier bei uns besorgen.
({8})
- Dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß rechtsradikale Jugendverbände im Einklang mit dem Bundesjugendplan aus diesem nicht gefördert werden.
Die Opposition wird sehr genau verfolgen, ob die Bundesregierung diese Förderungsvoraussetzungen, die sie mit unserer Zustimmung selbst geschaffen hat, auch tatsächlich anwendet, auch da, wo es, Herr „Jugendminister" Westphal, bei der eigenen Linken einmal wehtut. Zu dieser ganzen Frage wird sich nachher mein Kollege Wohlrabe noch einmal äußern.
Wir sind unzufrieden mit der Untätigkeit dieser Regierung im Bereich des Jugendschutzes. Der seit langem angekündigte wissenschaftliche Forschungsauftrag zur Erforschung der Grundlagen des gesetzlichen Jugendschutzes ist bis heute nicht vergeben. Bei aller Anerkennung seiner Reformbedürftigkeit im einzelnen steht das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit nur noch auf dem Papier. Im Bereich des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ist ein scharfer Rückgang der Zahl der Indizierungsanträge bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften eingetreten. Im Jahre 1968 waren es noch 428, im Jahre 1969 noch 275 Anträge, und im Jahre 1970 sind es gerade noch 115 Anträge. Die Zahl der Indizierungen durch die Bundesprüfstelle sank von 338 im Jahre 1968 über 186 im Jahre 1969 auf 120 im Jahre 1970. Wer mag denn heute überhaupt noch einen Indizierungsantrag stellen, wenn die Bundesprüfstelle nicht einmal mehr die sogenannte St. Pauli-Presse für jugendgefährdend hält? Meine Damen und Herren, unter dieser Regierung hat sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu einer Bundesprüfstelle für bestensfalls noch pornographisches Schrifttum entwickelt.
Vorhin ist hier die Frage aufgeworfen worden, ob für diese Bundesprüfstelle noch Geld ausgegeben werden soll. Wir sind in der Tat der Meinung, daß sich im Grunde für diese Bundesprüfstelle in ihrer gegenwärtigen Form und Funktion überhaupt keine Geldausgabe mehr lohnt. Diese Entwicklung ist nicht darauf zurückzuführen, daß heute etwa wenige jugendgefährdende Schriften in der Bundesrepublik Deutschland verbreitet werden, sondern darauf, daß dieser Bundesregierung - vielleicht nicht nach ihren Worten; aber diese Regierung sollen wir ja auch mehr an ihren Taten als an ihren Worten messen - der literarische Jugendschutz in diesem Lande völlig gleichgültig ist.
({9})
Wir werden nicht mehr auf ein Tätigwerden dieser Regierung warten, sondern in den nächsten Wochen einen eigenen Gesetzentwurf zur Novellierung des Gesetzes über jugendgefährdende Schriften einbringen.
({10})
Das von uns allen gewünschte Europäische Jugendwerk hat auf der doch eigens dazu initiierten Europäischen Jugenddelegiertenkonferenz in München in der Konzeption des Ministerkomitees des Europarats keine Förderung, sondern, Herr Westphal, eine kalte Dusche erfahren. Dürfen wir von Ihnen heute vielleicht erfahren, wie sich die Bundesregierung nach dieser ja auch politisch verunglückten Münchener Delegiertenkonferenz den Fortgang ihrer Bemühungen um die Gründung eines Europäischen Jugendwerks vorstellt?
Der wesentlichste jugendpolitische Gesetzentwurf des vergangenen Jahres, der die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters und des Ehemündigkeitsalters des Mannes vom 21. auf das 18. Lebensjahr beinhaltet, ist nicht von der Bundesregierung - sie überprüft diese Fragen seit der Regierungserklärung vom Oktober 1969 immer noch -, sondern von der Opposition im Deutschen Bundestag eingebracht worden. Genausowenig wie die Familienpolitik kann die Jugendpolitik der Bundesregierung unsere Zustimmung finden.
Auch aus diesem Grunde lehnen wir den Einzelplan 15 ab.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sowohl der Herr Kollege Rollmann als auch der Herr Kollege Baier haben gesagt, daß die Haushaltsdebatte uns nicht genügend Möglichkeiten gebe, die gesamten Aspekte der Jugend-, Familien- und Gesundheitspolitik zu erörtern. Es ist immer das gleiche: zwischen dem Einzelplan 01 und dem Einzelplan 15 liegt eine große Diskussionsstrecke, wodurch wir zeitmäßig immer wieder in die Schranken verwiesen werden.
({0})
Die soeben von Herrn Rollmann angekündigten Großen Anfragen, Gesetzentwürfe usw. werden uns vielleicht die Chance geben, im Rahmen von Gesetzesvorhaben schließlich doch einmal über den Gesamtkomplex zu diskutieren.
Es hat mich aber überrascht, Herr Baier, daß Sie von einer „unwahrhaftigen, diskriminierenden, ideoHauck
logisch geprägten Familienpolitik" des Ministeriums gesprochen haben.
({1})
Im Ausschuß, bei dessen Beratungen Sie nicht anwesend sind - das ist kein Vorwurf, denn Sie sind Berichterstatter im Haushaltsausschuß -, ist davon nichts zu merken; da sieht es ganz anders aus.
({2})
Im Ausschuß sind wir uns in den Grundsatzdebatten einig. Nur weil Sie bei einer materiellen Entscheidung, nämlich beim Kindergeldgesetz, nicht durchgekommen sind, zweifeln Sie nun ständig die Gesamtkonzeption dieser Regierung in der Familienpolitik an. Ich will jetzt die gesamte Diskussion über das Kindergeld, die Sie heute fortgesetzt haben, nicht noch einmal nachvollziehen. Ich stelle aber fest, daß unsere Fraktion, diese Regierung und die Koalition zur Familie stehen, daß wir dafür Prioritäten setzen, daß wir uns in allen Gesetzen - davon gibt es eine ganze Reihe - für familienfreundliche Akzente einsetzen und in dieser Legislaturperiode auch noch den so oft zitierten Familienlastenausgleich verwirklichen werden.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Hauck, ob Sie der Meinung sind, daß Prioritäten für die Familie in ausreichender Zahl gesetzt worden sind.
Zweite Frage:
({0})
Sind Sie der Meinung, daß die Erhöhung des Kindergeldes die Preissteigerungen der letzten 15 Monate kompensiert, ja oder nein?
Sie kompensiert sie zweifellos nicht. Aber gehört es zu einem familienpolitischen Konzept, das alles auf Mark und Pfennig genau nachzurechnen? Das wird auch mit Ihren Konzeptionen nicht möglich sein. Selbst wenn wir das Kindergeld erhöht und den Familienlastenausgleich beschlossen haben, wird es immer noch Diskrepanzen geben. Das kann man einfach finanziell nicht abdekken.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte!
Sie leugnen also nicht Ihre Verantwortung gerade für die Preissteigerungen der letzten 15 Monate. Deshalb sollte für die Familie ein Äquivalent geschaffen werden.
Wir haben Leistungen erbracht, die, wie heute schon Herr Spitzmüller dargelegt hat, in der Finanzplanung des früheren Finanzministers gar nicht vorgesehen waren. Wir haben das, was möglich war, auf dem Wege über die Gesetzgebung durchgeführt und so den Familien geholfen.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie weitere Zwischenfragen?
Ich möchte jetzt meine Ausführungen zu Ende bringen.
({0})
Herr Baier, es ist das Recht des Redners, Zusatzfragen abzulehnen.
Es ist das Recht des Redners, wie der Herr Präsident gerade gesagt hat.
({0})
- Das ist doch schon auf allen Seiten des Hauses vorgekommen, Herr Kollege Baier. Sie haben bei solchen Debatten, weil wir sonst wenig Zeit haben, versucht, durch Zwischenfragen die Ernte in Ihre eigene Scheuer zu bringen.
({1})
Darf ich jetzt etwas zu den Ausschußberatungen und zum Einzelplan 15 sagen.
({2})
Der Ausschuß hat den Entwurf einstimmig gebilligt. Wir waren sogar froh, daß bei den Beratungen des Zonenrandförderungsgesetzes und der damit verbundenen Erhöhungen der einzelnen Haushalte gerade unser Haus sowohl im medizinischen Bereich als auch im familienpolitischen Bereich als auch im jugendpolitischen Bereich gut weggekommen ist. Das werden wir heute noch sehen. Umstritten war - das soll man auch ganz eindeutig sagen - die Kindergeldregelung - das haben wir gerade abgehandelt - und die Krankenhausfinanzierung. Im ersten Fall haben wir bereits durch Gesetz entschieden, im anderen Fall steht uns die Beratung dieses Gesetzes noch bevor. Auch hier werden wir ausführlich dazu Stellung nehmen müssen. Auf die Leistungen bezogen, werden wir mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz in den nächsten Monaten noch zwei große Gesetzgebungsvorhaben zu verabschieden haben. Außerdem gibt uns die Vorlage des Gesundheitsberichts die Chance und die Möglichkeit, die Gesundheitspolitik hier auf breiter Grundlage zu diskutieren. Deshalb möchte ich mich in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit nicht auf eine Grundsatzdiskussion einlassen.
Gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen zu dem, was Herr Rollmann gesagt hat. Ich hoffe, Herr Rollmann, Sie erkennen es an und sind sich dessen bewußt, daß Ihnen in erster Linie die Transparenz der Arbeit des Ministeriums eine gute Diskussionsmöglichkeit gibt und Sie in diesen Informationsstand versetzt.
({3})
- Ich will es Ihnen gleich sagen. Erst Frau Minister Strobel hat es ermöglicht, daß Mitglieder dieses Flohen Hauses an den Sitzungen des Bundesjugendkuratoriums teilnehmen können und daß alle Mitglieder des Ausschusses sofort die Protokolle des Bundesjugendkuratoriums erhalten.
({4})
Was hat sich da geändert, wenn ich an die diesbezüglichen Anfragen der letzten Jahre denke, die immer schroffe Ablehnung zur Folge hatten? Auch haben wir, Herr Kollege Rollmann, erstmalig in zwanzig Jahren die Richtlinien für den Bundesjugendplan ausführlich im Ausschuß besprochen. Auch das hat es vorher nicht gegeben, das ist erst hier möglich geworden.
Sie loben in den Richtlinien des Bundesjugendplanes einen Passus über die freiheitliche Demokratie und die parlamentarische Willensbildung, verschweigen aber, daß Sie z. B. eine ganz konservative Haltung bei der Mitwirkung von Insassen von Studentenwohnheimen eingenommen haben, die bei der Belegung mitsprechen sollen.
({5})
- Wir sind beim Bundesjugendplan, Herr Kollege Rollmann. Es ist von keiner Seite des Hauses bestritten, daß der Bundesjugendplan in den letzten zwanzig Jahren - wir wissen, wer in diesen Jahren die Regierung gebildet hat - unserer Jugendpolitik und Jugendarbeit wichtige Impulse gegeben hat. Wir sind uns aber auch darüber einig, daß wir die Entwicklung dieser zwanzig Jahre so deuten müssen, daß wir sowohl die Richtlinien als auch die Schwerpunktbildung überdenken müssen. Da ist meine Fraktion der Meinung, daß wir bei der Schwerpunktbildung gerade in Anbetracht der Herabsetzung des Wahlalters der politischen Bildung Vorrang geben müssen, daß wir der internationalen Jugendbegegnung ein verstärktes Augenmerk widmen müssen, daß wir den Freizeitbereich, der immer mehr auf uns zukommt, in diese Möglichkeiten einschließen müssen, daß wir der Mitarbeiterfort- und -weiterbildung mehr Beachtung schenken müssen und daß wir sozialpädagogische Modelle für unterprivilegierte Gruppen, wie es hier schon genannt worden ist, ebenfalls in den Bundesjugendplan integrieren müssen.
Zur internationalen Jugenbegegnung möchte ich gleich sagen, daß diese Regierung durch ihren Bundeskanzler in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, daß sie für die Schaffung eines Europäischen Jugendwerks eintreten wird. Alle Initiativen sind seit dieser Zeit verstärkt worden. Es gibt einen Statutenentwurf des Europarats, und die Jugendverbände und freien Träger können darüber diskutieren. Herr Rollmann, die Jugenddelegiertenkonferenz von München war ein solches Diskussionsgremium. Da wurden nur Berichte gegeben und keine Beschlüsse gefaßt. Wenn Sie daraus schlußfolgern, daß damit die Grundidee verlorengegangen ist oder die Regierung ausgeschaltet wird und die Regierung praktisch nur die Millionen geben müßte und andere sie verwalten, dann liegen Sie schief. Man kann von einem sechsstündigen Besuch in München nicht das gesamte Arbeitsergebnis einer Konferenz in Briefen wiedergeben und daraus Konsequenzen ziehen.
Aber an dem Beispiel des Europäischen Jugendwerks - das möchte ich ganz ernsthaft sagen - sehen Sie, wie schwierig es ist, osteuropäische Staaten und die Jugend Osteuropas in die internationale weltweite Jugendbegegnung mit einzubeziehen.
({6})
Deshalb möchte ich sagen, gerade nach den neuen Ansätzen unserer Osteuropapolitik wollen wir - dieser Meinung ist das ganze Haus - auch der Jugendbegegnung mit Polen und anderen osteuropäischen Ländern ein breites Augenmerk widmen.
({7})
Aber ich möchte Sie jetzt um eines bitten. 17 Jahre nach der ersten deutsch-französischen Jugendbegegnung kam das Deutsch-Französische Jugendwerk, und es kam acht Jahre nach dem Deutschland-Vertrag.
({8})
Wir sollten uns daher einig sein: wir wollen die Begegnung zwischen der polnischen Jugend und unserer Jugend. Wir wollen aber nicht gleich Barrieren aufbauen mit der Forderung nach einem deutsch-polnischen Jugendwerk, das zu errichten sehr schwer sein wird. Wenn es möglich ist, durch Kulturabkommen und durch andere Abkommen mehr Jugendliche, Tausende von Jugendlichen zusammenzubringen, dann sollte das schon unserer Mühe wert sein. Man sollte jedenfalls nicht am Anfang institutionelle Barrieren aufbauen.
({9})
- Warum steht das noch nicht im Vertrag? Es hat auch im Deutschland-Vertrag noch nicht gestanden. Das muß doch wachsen. Wir sind doch erst am Beginn der Normalisierung. Das wird ein wesentlicher Bestandteil unserer Bemühungen sein. Wir werden beharrlich daran arbeiten, und wir werden auch weiterkommen. Ich war selbst acht Tage in Warschau und habe mit offiziellen Vertretern gesprochen. Sie sind alle für eine Ausweitung der Jugendbegegnung. Aber in dem Moment, wo wieder Institutionen geschaffen werden sollen, werden sie aus verschiedenen Gründen zurückhaltend. Sie sehen das ja aus der Haltung der osteuropäischen Länder zum Europäischen Jugendwerk. Deshalb muß man hier beharrlich vorgehen und zuerst einmal den Austausch junger Menschen erreichen. Dann erst kann man zu Weiterem kommen.
({10})
Nun noch ein paar Bemerkungen zu dem, was zum Jugendschutz gesagt worden ist. Herr Kollege Rollmann, in unserer ersten Ausschußsitzung hat die Frau Minister erklärt, daß wir den Jugendschutz
überdenken und neue Gesichtspunkte entwickeln müssen und daß wir daran arbeiten werden. Ich kann für meine Fraktion erklären, im Zusammenhang mit dem Vierten Strafrechtsänderungsgesetz werden wir den Jugendschutz verstärkt in die Gesetzgebung einbauen. Wir werden ihn von dem „Nebenkriegsschauplatz", dem Gesetz über jugendgefährdende Schriften, ins Strafrecht hineinnehmen, um damit dem Jugendlichen einen Schutz zu garantieren und um die immer stärker werdende Überflutung einzudämmen. Dabei wird auch das Gesetz geändert werden müssen. Wir kennen ja die Schwierigkeiten. Die Bundesprüfstelle muß in den Stand gesetzt werden, den Markt zu beobachten, sie muß gutachtlich auch für andere Stellen tätig werden können, und es muß überlegt werden, welches Zugangsrecht geschaffen werden kann, um mehr Anträge zu bekommen. Es muß auch die Frage geprüft werden, ob das übergeordnete Ministerium weiterhin antragsberechtigt sein soll. Es stellt ja Anträge an die nachgeordnete Stelle, was nicht gerade gut ist.
({11})
Es ist problematisch. Damals ist es aber von anderen Mehrheiten hier so beschlossen worden.
({12})
Sie sehen also, daß wir auch hier auf einen Weg kommen, den Sie, glaube ich, mit beschreiten können.
Sie haben gerade Ihre Initiative hinsichtlich der Volljährigkeit so gelobt. Herr Kollege Rollmann, Sie haben sie hier eingebracht. Aber Sie geben mir doch zu, daß Sie nur die Bestimmungen des BGB und des Jugendgerichtsgesetzes ändern wollen. Bei vielen, vielen anderen Gesetzen, in denen auf die Volljährigkeit abgestellt wird, müssen aber noch Hunderte von Paragraphen überprüft und geändert werden.
({13})
Das ist ein großes Werk, das vor uns liegt. Wir wollen es uns gemeinsam vornehmen und hoffen, daß wir zu einer guten Lösung kommen.
Sie haben die Jugendpolitik dieser Regierung abqualifiziert und gesagt, Sie könnten dem Haushalt nicht zustimmen, obwohl Sie partiell nichts Negatives sagen konnten. Das wundert uns sehr! Nach der Meinung meiner Fraktion ist Jugenpolitik eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe, die man heute in einem größeren Zusammenhang sehen muß als nur in den traditionellen Bereichen der Jugendfürsorge, der Jugendpflege und der Jugendsozialarbeit. Moderne Jugendpolitik muß die Belange aller jungen Menschen erfassen, um die Voraussetzungen zur freien Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen. Jugendpolitik ist daher vorrangig Bildungspolitik und in der Demokratie in erster Linie Bildung zur Freiheit und zur selbständigen Entscheidung in allen Bereichen. Das müssen wir in der Jugendpolitik durchsetzen, und zwar nicht nur im Einzelplan 15, sondern alle sind aufgerufen, in allen Gesetzen, die zu verabschieden sind, diese jugendpolitischen Akzente stärker zur Geltung zu bringen, damit der jungen Generation wirkungsvoll geholfen werden kann.
({14})
Das Wort hat die Frau Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das Wesen einer solchen Haushaltsdebatte, daß die Opposition das ausspricht, was ihrer Meinung nach nicht oder nicht gut geschehen ist, und daß sie nicht das ausspricht, was geschehen ist.
({0})
Gestatten Sie mir deshalb einmal, folgendes zu sagen. Wenn ich die Regierungserklärung und das in ihr für den Bereich Jugend, Familie und Gesundheit Angekündigte sowie meine Ausführungen vor dem Ausschuß des Bundestages, die Sie ja schriftlich haben, mit dem vergleiche, was in diesen eineinhalb Jahren bisher geschehen ist, dann kann sich dieses Ministerium wahrlich sehen lassen.
({1})
Ich nenne das Ausbildungsförderungsgesetz; der neue Entwurf mit erheblichen Verbesserungen ist dem Bundesrat zugegangen.
({2})
Die erste Kindergeldverbesserung wurde vorgenommen; für die gesundheitliche Aufklärung sind die Mittel in diesem Haushalt verdoppelt worden; für die Krebsforschung wurden die Mittel ebenfalls verdoppelt. Das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie ist geschaffen. Das Gesetz zur Übernahme des Paul-Ehrlich-Instituts durch den Bund, dem die Verbesserung der Impfstoffkontrollen zugrunde liegt, ist eingebracht und liegt den gesetzgebenden Körperschaften vor. Das Gesetz zur Verbesserung der Impfschadenregelung, ein Gesetz, meine Damen und Herren, das nur einem ganz kleinen Teil unserer Bevölkerung nützt, das aber dringend nötig war,
({3})
gerade im Hinblick auf den Passus in der Regierungserklärung, in dem steht, daß wir den besonders Benachteiligten helfen wollen, liegt den gesetzgebenden Körperschaften vor. Die Studienreform für Ärzte ist beschlossen. Erstmalig seit Bestehen des Grundgesetzes und des Bundestages hat diese Bundesregierung am 30. Dezember 1970 einen Gesundheitsbericht beschlossen und ihn dem Parlament zugeleitet. Wenn Sie ihn leider noch nicht haben, liegt das daran, daß die Universitäts-Druckerei gegenwärtig völlig überlastet ist; die entsprechende Drucksachennummer gibt es ja schon. Dieser Ge5672
sundheitsbericht, meine Damen und Herren, ist frei von Schönfärberei und bringt eine offene Darlegung der Situation.
In der Frage der Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs haben wir ein Aktionsprogramm vorgelegt und die ersten Maßnahmen, die auf Bundesebene möglich sind, eingeleitet. Gerade auch um an der Basis, weil es dort so wichtig ist, die Beratung und Hilfe auszubauen, werden z. B. Modellseminare für Berater einschließlich der Schülermitverwaltung durch die Bundesarbeitsstelle „Aktion Jugendschutz" durchgeführt.
Der Entwurf für die große Reform der Gesetzgebung für Lebensmittel, Bedarfsgegenstände, Tabakwaren und Kosmetikartikel liegt dem Bundeskabinett vor und dürfte morgen verabschiedet werden. Damit wird dem Parlament Gelegenheit gegeben, das wohl umfassendste Verbraucherschutzgesetzgebungswerk in dieser Legislaturperiode ohne Zeitdruck zu beraten.
Durch die Beteiligung des Bundes an der Krankenhausfinanzierung und durch deren Neuordnung wollen wir dafür sorgen, daß für jeden kranken Menschen das für ihn notwendige Krankenhausbett in erreichbarer Nähe und in einem leistungsfähigen Krankenhaus zur Verfügung steht. Es ist ein besonderes Bemühen dieser Regierung - ich betone: dieser Bundesregierung -, auf diesem Gebiet endlich weiterzukommen. Die Grundgesetzänderung habe ich in der vorigen Regierung beantragt; im Mai 1969 wurde sie endgültig beschlossen. Aber, meine Damen und Herren, dies ist ein Gesetzentwurf, der gerade in den letzten Wochen sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Wir haben gerade auch durch eine Meinungsumfrage erfahren, wie sehr den Menschen das Krankenhausproblem auf den Nägeln brennt. Mit diesem Gesetzentwurf könnten wir ein Jahr weiter sein, wenn es schon in der Regierung der Großen Koalition gelungen wäre, in der damaligen Vorausplanung für den Haushalt 1970 die 600 Millionen DM einzustellen, die eben diese Bundesregierung eingestellt hat, wenn auch optisch die Beträge im Bundeshaushalt geringer erscheinen, weil im Haushalt nur die Mittel stehen, die für Zins- und Schuldentilgung notwendig sind.
({4})
Aber damals, meine Damen und Herren, ist im Kabinett die Auffassung vertreten worden: Wir haben zwar die Gesetzgebungskompetenz durch die Grundgesetzänderung bekommen, aber wir haben keine Finanzierungskompetenz bekommen. Ich würde sagen, dreimal dürfen Sie raten, wer die Auffassung im Kabinett vertreten hat und woran damals die Einstellung der Mittel im Haushalt gescheitert ist.
Durch Ihren Antrag verändern Sie praktisch nichts zugunsten der Krankenhausträger, denn sie bekommen dadurch keinen Pfennig mehr. Es ist lediglich ein anderes Kreditaufnahmeverfahren, als es die Bundesregierung vorgesehen hat.
Meine Damen und Herren, ich will heute hier nicht mehr zum Krankenhausgesetz sagen, weil wir ja demnächst die Debatte darüber haben. Aber wenn immer der Eindruck erweckt wird, daß viel zu wenig Mittel bereitgestellt werden, dann lassen Sie mich bitte hier auch darauf hinweisen, daß neben den bereits im Jahre 1972 636 Millionen DM betragenden Bundesmitteln durch die volle Übertragung der Benutzerkosten auf die Patienten und ihre Krankenkassen zusätzlich weitere 400 bis 450 Millionen DM mehr in die Krankenhäuser fließen. Ich bin davon überzeugt, daß wir eines Tages zusammen feststellen können, daß wir hier eine Reform in der Versorgung der Menschen im Krankenhaus eingeleitet haben, die sich sehen lassen kann.
Mir liegt ein Antrag vor, den die Ländergesundheitsministerkonferenz 1959 an die damalige Bundesregierung gerichtet hat und mit dem damals ein Zehnjahresplan für die Krankenhausfinanzierung mit Aufwendungen in Höhe von 300 Millionen DM im Jahr gefordert wurde. Nun, meine Damen und Herren, seither war fast nichts geschehen. Erst diese Bundesregierung hat das alles in Bewegung gebracht.
Nun zur Jugendpolitik und in diesem Zusammenhang zum Jugendplan. Herr Rollmann, da muß ich sagen, wir haben zunächst gemeinsam mit den Trägern der Jugendhilfe eine kritische Überprüfung des Bundesjugendplans vorgenommen und stärkere Zeichen gesetzt. Man kann das als Weiterentwicklung bezeichnen. Ich bin der Meinung, die Reform des Bundesjugendplans ist ein ständiger, gleitender Prozeß. Aber immerhin, wenn Sie auf diese Veröffentlichung anspielen - bei Ihrer Bezeichnung für mich müssen die Leute ja annehmen, es sei ein Jugendbildnis von mir veröffentlicht.
({5})
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß 1969 im Bundeshaushalt, wenn man die Studentenwohnheime einbezieht, 72 Millionen DM Bundesjugendplanmittel standen. 1970 waren es 81,5 Millionen, und 1971 sind es 113,08 Millionen DM. Ich glaube, das ist schon eine erhebliche Förderung,
({6})
und da werden Sie auch verstehen, daß wir unter diesen Umständen nicht allein auf die Steigerungen in den 20 Jahren sondern auch auf diese Steigerungen hinweisen.
({7})
Es kommt uns darauf an, im Bundesjugendplan Schwerpunkte in der politischen Bildung zu setzen - das ist geschehen -, Schwerpunkte in der internationalen Jugendbegegnung zu setzen und auch die sportliche Jugendbildung entsprechend ihrem Gewicht in diesen Bundesjugendplan einzuführen. Ich glaube, das ist befriedigend gelungen. Darüber hinaus darf ich sagen, wir möchten nicht, daß die Gießkanne weiter Vorrang hat, und wir werden in dieser Beziehung den Bundesjugendplan auch weiterentwickeln.
({8})
Nur betrachten Sie, Herr Rollmann, den von Ihnen gestellten Antrag; die Mittel für die studentischen Verbände um 100 000. DM zu kürzen, anscheinend als ein Stück in der Richtung der Reform, wie Sie sie sehen wollen. Ich möchte dazu nur sagen, mit diesem Antrag treffen Sie nicht einen einzelnen linksstehenden Studentenverband, sondern Sie treffen alle, weil diese 100 000 DM dann bei allen eingespart werden müssen.
({9})
Ich möchte zu der Gesamtreplik im Zusammenhang mit der Verbesserung der Richtlinien, die ja von Herrn Rollmann insbesondere bezüglich des Passus, welche Bedingungen zu erfüllen sind, angesprochen wurden, nur folgendes sagen. Auch für die studentischen Verbände einschließlich des VDS gilt diese Bestimmung, und an dem Verhalten gegenüber dieser Bestimmung und ihrem Inhalt wird auch die Finanzierung studentischer Verbände gemessen. - Sie haben das nicht direkt angegriffen, aber indirekt ein bißchen gestichelt.
Zum Europäischen Jugendwerk will ich nur sagen: Dank der Aktivität der deutschen Beteiligten und insbesondere des Parlamentarischen Staatssekretärs dieses Ministeriums sind wir heute so weit, daß dem Ministerkomitee des Europarats ein Satzungsentwurf zur Entscheidung vorliegt. Uns kommt es dabei auch ganz stark darauf an, daß das Europäische Jugendwerk für die junge Generation aus den osteuropäischen Ländern geöffnet ist. In diesem Zusammenhang sehen wir natürlich - und Herr Bundeskanzler Brandt hat in Warschau schon vor Herrn Barzel die Gespräche darüber geführt - vor allen Dingen auch den Ausbau des deutsch-polnischen Jugendaustausches. - Bitte sehr!
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann?
Frau Minister, haben Sie nicht nach dem Studium der Berichte, Protokolle usw. von der Europäischen Jugenddelegiertenkonferenz in München selbst den Eindruck gewonnen, daß das Europäische Jugendwerk in der Konzeption des Ministerkomitees des Europarates dort bedauerlicherweise durchgefallen ist?
Herr Rollmann, ich habe es nicht zu lesen brauchen, ich habe die Eröffnungssitzung in München mitgemacht und habe die Reden auch deutscher Teilnehmer gehört, die sich skeptisch gegenüber der Art der Institutionalisierung dieses Europäischen Jugendwerks geäußert haben. Das muß uns doch nicht davon abbringen, die Linie zu verfolgen, die wir für richtig halten und die wir vorher auch mit einem großen Teil der deutschen Jugendverbände immer abgesprochen haben.
({0})
Ich will noch ein Wort zur Jugendschutzgesetzgebung sagen. Sie haben uns dauernd vorgeworfen, daß wir das übereilen wollten. Jetzt geht es Ihnen plötzlich zu langsam. Ich muß sagen, ich halte die Verbesserung der Jugendschutzgesetzgebung für dringend notwendig, bin aber der Meinung, daß wir uns dafür die genügenden wissenschaftlichen Unterlagen verschaffen müssen. Es wird hier nichts überstürzt, aber auch nichts unnötig konserviert. Da es sich empfiehlt, schon bei der Strafrechtsreform den Jugendschutz zu verbessern, haben wir einiges dahin verlagert. Das werden Sie in der nächsten Zeit im Ausschuß erleben. Bezüglich des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit haben wir bekanntlich die Änderungsvorschläge gesammelt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendschutz hat sie zusammengefaßt, und für das Frühjahr ist ein Kolloquium darüber vorgesehen. Wir hoffen, noch in diesem Jahr dann den Gesetzentwurf vorlegen zu können.
Aber zu Ihrer Kritik an der Bundesprüfstelle, Herr Rollmann. Zunächst einmal bin ich der Meinung, dies ist eine unabhängige Institution. Sie haben diese unabhängige Institution geschaffen. So weit stimme ich diesem Gesetz zu. Aber das ganze Gesetz stammt ja von Ihnen und nicht etwa von dieser Regierung oder gar dieser sozialdemokratischen Bundestagsfraktion. Ich kann jetzt nicht nachsehen, ob wir damals dem Gesetz zugestimmt haben;
({1})
aber ich bin ziemlich sicher, daß wir diesem Gesetz gegenüber sehr skeptisch gewesen sind.
Ich bestätige Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, sehr gern, daß Sie immer sehr gut darüber informiert sind, was wir im Ministerium gerade erarbeiten. Ihnen stehen bekanntlich alle Türen des Ministeriums offen. Dabei haben Sie den Vorteil, daß die Ausarbeitungen und Referentenentwürfe nicht erst, wie wir, mit den Ländern, beteiligten Kreisen und anderen Ressorts zu beraten brauchen. Das könnte man an Ihrem Entwurf zum Opiumgesetz oder an Ihren Vorschlägen zur Krankenhausfinanzierung sehr schön darstellen, indem man sie mit unseren Referentenentwürfen vergleicht, bevor diese in das Stadium der Länderberatungen gegangen sind. Wie man aber eine solche Situation auch korrekt darstellen kann, möchte ich gern einmal dadurch beweisen, daß ich einen Satz aus einem Brief eines Ihrer Kollegen zitiere, den ich gestern bekommen habe. Ich tue es ausgesrpochen gern, weil ich das als besonders korrekt und loyal empfinde. Da heißt es:
Es ist mir sehr unangenehm, daß ich mich dabei des in Ihrem Hause erarbeiteten Textes für eine Änderung des Arzneimittelgesetzes bedienen mußte. Ich habe das nicht verheimlicht, und ich werde darauf auch bei jeder Gelegenheit hinweisen.
So kann man es auch machen, wenn man Initiativgesetzentwürfe einzubringen beabsichtigt. Ich halte das für eine loyale und gute Reaktion.
Ich will noch ganz kurz etwas zur Familienpolitik sagen. Wie bei der Jugendpolitik haben wir auch unser Konzept für die Familienpolitik den Beteiligten nicht aufgezwungen, sondern in extra dafür ge5674
schaffenen Arbeitsgruppen allen Beteiligten Gelegenheit gegeben, ihre Auffassung einzubringen.
Unsere Grundsätze der Familienpolitik - ich bin gezwungen, sie hier zu wiederholen, weil Herr Baier sie in Frage gestellt hat - für alle Familien, die werdende Familie, die junge Familie, die kinderreiche Familie, sind, daß die Politik vom Kinde aus konzipiert werden muß, daß jedes deutsche Kind ein Recht auf Erziehung hat, daß man insbesondere die Eltern in den Stand setzen muß, dieses Recht zu realisieren, und daß wir darum die Erziehungskraft und die Erziehungsfähigkeit der Familie durch wirksame Formen der Elternbildung, größere Effektivität der Elternbildung und Verbesserung und Vergrößerung des Angebots stärken wollen. Das habe ich hier schon gesagt; das wiederhole ich jetzt.
Ich muß auch wiederholen, daß für uns Familienpolitik ein integrierter Bestandteil allgemeiner Gesellschaftspolitik ist. Wir haben darauf immer wieder hingewiesen. Das geht von der Bildungspolitik bis hin zur Rechtsreform auf allen Gebieten, die die Familie angehen. - Bitte, Herr Baier!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Frau Minister Strobel, darf ich Sie fragen, ob Sie meine vorhin gestellte Frage beantworten würden, nämlich was Sie unter dem verstehen, was Ihr Leiter der Abteilung Familie, Herr Kosmale, sagte, nämlich emotionelle Besetztheit und rationale Familienpolitik?
Herr Baier, Sie haben meinen Artikel im „Vorwärts" sehr genau gelesen. Da steht es drin, da können Sie es noch einmal nachlesen.
({0})
Sie haben eine weitere Frage gestellt, die ich jetzt direkt beantworten will. Sie haben die Behauptung aufgestellt, daß im Haushalt 1970 zu Lasten der Familien 100 Millionen DM Kindergeld nicht ausgegeben worden sind.
({1})
Herr Baier, ich will nicht dieselben Formulierungen wählen wie damals. Sie wissen, daß die Kindergeldverbesserung für die Familien mit zwei Kindern, die dazu geführt hat, daß 670 000 Familien neu Kindergeld bekommen, so spät beschlossen wurde, daß dieses zusätzliche Kindergeld 1970 nicht mehr ausgezahlt werden konnte. Das macht 70 Millionen DM aus, die 1970 nicht mehr ausgezahlt werden konnten. Das sind also von den 100 Millionen DM schon 70. Außerdem wissen auch Sie, daß es nicht unsere Schätzungen waren, sondern daß wir auf die Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit angewiesen sind, und die hat auch nicht gerade einen sozialdemokratischen Leiter.
({2})
Ich möchte es der Anstalt nicht zur Last legen, daß sie sich verschätzt hat. Aber Sie wissen auch, daß es immer eine Frage ist, wieviel Gastarbeiter mit wieviel Kindern hier tätig sind und Kindergeld beziehen.
({3})
- Herr Baier, lassen Sie mich das gerade noch zu Ende führen. - 30 Millionen DM wären es also in Wirklichkeit gewesen, um die man sich in der Bundesanstalt verschätzt hat. Aber dieser Betrag hätte doch nicht ausgereicht, um die Kindergeldsätze für die vierten und weiteren Kinder um je 10 DM, wie es beantragt war, zu erhöhen. Für das letzte Jahresdrittel wäre das mit 52 Millionen DM zwar möglich gewesen, aber im Haushalt 1971 hätten wir dann 156 Millionen DM mehr gebraucht, die wir eben im Haushalt - auch ich sage: leider - nicht haben.
Darf ich schnell noch ein Wort zu dem so sehr beklagten System des Familienlastenausgleichs sagen. Hohe Kinderfreibeträge bei der Einkommensteuer und der Lohnsteuer für hohe Einkommen und unzureichender Ausgleich durch das Kindergeld für Familien, die diese Steuervergünstigung auf Grund ihrer niedrigeren Einkommen nicht in Anspruch nehmen können, das ist tatsächlich die Situation. Aber sie ist doch nicht von uns geschaffen, sondern sie ist von Ihnen geschaffen worden.
({4})
Die CDU/CSU hat doch mit ihren Mehrheiten diese Gesetzgebung beschlossen, und Sie haben in der damaligen Zeit alle Versuche der SPD-Fraktion, bessere Lösungen anzustreben, abgelehnt. Wir haben die erste Korrektur noch in der vergangenen Legislaturperiode durch das Erste Ausbildungsförderungsgesetz vorgenommen, das man, wie ich meine, im Rahmen des Familienlastenausgleichs sehen muß. Wir haben das Gießkannenprinzip, das von Ihnen eingeführt war, abgelöst. Dieses Ausbildungsförderungsgesetz ist doch erst durch den Einfluß der SPD-Fraktion in der Großen Koalition möglich geworden.
({5})
- Herr Rollmann, ich habe das im Kabinett mitgemacht, und Sie haben es im Bundestag mitgemacht, wo es darum ging,
({6})
welche Vorschläge den Vorrang zu bekommen hatten, die Vorschläge des Ministeriums, das zuerst nur die Studentenförderung übernehmen wollte, oder die Vorschläge aus dem Parlament, die sehr viel weiter gingen.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneter von Bockelberg? Bitte!
von Bockelberg ({0}) : Frau Minister, ist Ihnen bekannt, daß der steuerlich abzugsfähige Kinderfreibetrag bereits wesentlich älter ist als die Bundesrepublik Deutschland?
Seit 20 Jahren hätte die CDU/ CSU mit ihren Mehrheiten Gelegenheit gehabt, das zu ändern.
({0})
Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch sagen: ich habe erlebt, daß Herr Bundesfamilienminister Heck sich im Kabinett der Großen Koalition sehr bemüht hat, eine wesentliche Verbesserung des Familienlastenausgleichs zu erreichen. Genauso habe ich erlebt, daß der damalige. Finanzminister gesagt hat: Dies ist erst mit der Großen Steuerreform möglich. Aber erst diese Regierung hat die Große Steuerreform eingeleitet.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann?
({0})
Aber Herr Schmidt, Sie wissen doch ganz genau, daß man das nicht aus dem Ärmel schütteln kann.
({0}) Wie leichtfertig wären wir denn da!
({1})
Frau Ministerin, ist Ihnen nicht bewußt, daß neben anderen Fraktionen dieses Hauses auch die Bundestagsfraktion der CDU/CSU in der letzten Legislaturperiode den Entwurf eines Ausbildungsförderungsgesetzes hier eingebracht hat?
Doch, das ist mir schon bekannt. Mir ist aber auch bekannt, daß das damals vom Bundestag beschlossene Gesetz sehr stark die Züge des Entwurfs der SPD-Fraktion trägt.
({0})
Aber ich möchte sehr darum bitten. daß Sie mich jetzt zu Ende reden lassen, weil das ja alles von der Zeit abgeht.
Wir haben jetzt das umfassende Bundesausbildungsförderungsgesetz im Bundeskabinett verabschiedet. Es bringt höhere Ausbildungsförderung und strukturelle Verbesserungen. Die Reform des Familienlastenausgleichs ist - das haben Sie selber immer wieder gesagt - erst mit der Steuerreform möglich. Wir haben immerhin zunächst einmal die Verbesserung der Kindergeldgesetzgebung vorgenommen. Natürlich gibt es in diesem Bundesministerium auch unsererseits eine Reihe von Aktivitäten - Sie sind darüber unterrichtet -, Modelle für die Verbesserung des Familienlastenausgleichs zu entwickeln. Welches Modell im Rahmen der Steuerreform möglich sein wird, das ist heute noch nicht entscheidungsreif, und deshalb werde ich mich hüten, hier mehr zu sagen, als bis jetzt ausgesprochen worden ist. Ich würde sagen: alles auf einmal, das kann keiner, nicht einmal diese Regierung.
({1})
Ich komme zum Schluß. Wir haben den größten Teil unserer Reformvorhaben vorgelegt. Einiges haben wir noch auf der Tagesordnung. Dazu gehört der Familienlastenausgleich, dazu gehört eine eingeleitete Verbesserung der Sozialhilfe, dazu gehört eine Verbesserung des Umweltschutzes
({2})
- Herr Baier, wir haben bekanntlich anderthalb Jahre von vier Jahren hinter uns -, dazu gehört eine Verbesserung der Hilfe für ältere Menschen und ein Vorschaltgesetz für die Reform des Arzneimittelgesetzes sowie die von Herrn Rollmann schon angeschnittene Vorbereitung der Reform des Jugendhilferechts.
Für mich persönlich möchte ich nur noch sagen, ich bin kein selbstzufriedener Mensch; ich überprüfe laufend die Richtigkeit und die Effizienz unserer Politik im Lichte der großen Verantwortung, die wir gerade auch in diesen Bereichen vor unserer Bevölkerung haben. Ich meine, daß wir uns qualitativ und quantitativ bemüht haben, den hohen Anforderungen, die wir an uns selber stellen, gerecht zu werden. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, allen, die uns dabei geholfen haben, zu danken.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen der Frau Minister haben außer Zweifel unter der Losung gestanden, die einstmals der Herr Staatssekretär Ahlers ausgegeben hat, nämlich verschönte Wahrheit zu verkaufen, wenn nicht unter Umständen hier ein klassischer Titel eher als Überschrift zu wählen wäre, nämlich „Dichtung und Wahrheit".
Meine Damen und Herren, allein die Ausführungen der Frau Bundesminister zur Gesundheitspolitik würden hier eine gesundheitspolitische Debatte notwendig machen.
({0})
Ich glaube, es gehört aber auch zur verantwortlichen Gesundheitspolitik, Herr Kollege Hammans, wenn wir im Hinblick auf die Geschäftslage davon Abstand nehmen und hier lediglich zwei Themen ansprechen, die schon an anderer Stelle eine Rolle gespielt haben.
Frau Minister, ich habe vermißt, daß Sie heute wie auch in der Debatte am 16. Dezember unsere Fragen, die das Bundesgesundheitsamt in Berlin betreffen, beantwortet haben. Ich habe Ihnen in der Debatte am 16. Dezember die Frage gestellt, wann Ihr Haus endlich dem Bundestag und insbesondere dem Haushaltsausschuß den Organisations- und Ausbauplan für das Bundesgesundheitsamt vorlegt. Denken Sie nicht, daß das nur eine Beharrlichkeit wäre, weil man andere politische Argumente nicht habe und dies deshalb immer wieder vorgebracht würde. Die Tatsache, daß Sie diesen Plan nicht vorlegen, die Tatsache, daß Sie dem Haushaltsausschuß über Ihre zukünftigen Überlegungen, die das Bundesgesundheitsamt betreffen, nichts vorlegen, wirkt sich zum Schaden des Bundesgesundheitsamtes aus. Der Haushaltsausschuß mußte in diesem Jahr auf Grund haushaltsrechtlicher Bestimmungen 6,6 Millionen DM mit dem Erfolg streichen, daß sämtliche Ausbaumaßnahmen für das Bundesgesundheitsamt in diesem Jahr nicht durchgeführt werden können, obwohl gerade der Kollege Strohmayr und ich uns bei unserem Besuch in Berlin dafür eingesetzt haben, daß Ausbaumaßnahmen dringend und schnell durchgeführt werden.
Wenn der Herr Bundeskanzler verkündet, daß Wissenschaft und Forschung zu den Prioritäten dieser Regierung gehören,
({1})
dann darf man das nicht nur auf die Hochschulen beschränken, Herr Kollege Haehser, sondern muß auch die bundeseigenen Institutionen in die Förderung von Wissenschaft und Forschung miteinbeziehen. Gerade das Bundesgesundheitsamt ist von der Frau Bundesminister in ihrer politischen Verantwortung sträflich vernachlässigt worden.
({2})
Sie können hier auch nicht ausführen, daß die Beträge für das Bundesgesundheitsamt in den letzten Jahren erhöht worden sind. Es sind mehr oder weniger zwangsläufige Personalausgaben gewesen oder die von Bundestag und Haushaltsausschuß bewilligten Stellen für das neue Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie. Und auch hier, Frau Bundesminister, warten wir gespannt auf einen Bericht von Ihnen über die erfolgreiche bzw. die bisherige Arbeit dieses Instituts. Wenn trotz der hohen Aufwendungen, die dieses Hohe Haus bewilligt hat, bisher erst wenige tausend Probanden untersucht worden sind, so kann ich nur sagen, daß das eine bedauerliche Fehlleistung ist.
({3})
Und wenn in die Erfolgsbilanz der Gesetzentwurf zur Überleitung des Paul-Ehrlich-Instituts in die Verantwortung des Bundes aufgenommen wird, kann ich nur feststellen, daß das keine so stolze Leistung ist. Bereits im vorigen Jahr war dieser Gesetzentwurf angekündigt worden, und die Mittel mußten qualifiziert gesperrt werden, weil das Ministerium nicht in der Lage war, diese Dinge rechtzeitig zu machen.
Wir möchten Ihnen, Frau Bundesminister, gerade im Hinblick auf die Unruhe im Bundesgesundheitsamt - weil man merkt, daß die politisch verantwortliche Ministerin diesem Amt nicht die Fürsorge zukommen läßt, die notwendig ist - empfehlen, daß Sie einmal nach Berlin zum Bundesgesundheitsamt fahren und dort mit den verantwortlichen Leuten, aber auch mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern sprechen, einmal deren Meinung hören, den Personalrat anhören, damit wir auch in diesem Bereich der Bundesinstitutionen ein kleines Stückchen Mitbestimmung und Mitgestaltung durch die Mitarbeiter verwirklichen können.
({4})
Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen und damit gleichzeitig die Begründung zu Ziffer 1 unseres Antrags auf Umdruck 115 liefern. Ich möchte mich kurz mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz beschäftigen, auf das ja auch schon die Frau Bundesminister eingegangen ist.
Der Herr Bundeskanzler hat noch in der vorigen Woche von diesem Platz aus gesagt:
Die Regierung wird sich nichts vornehmen, was sie nicht finanzieren kann.
Nun, zumindest hat der Herr Bundeskanzler bei dieser Äußerung nicht an das Krankenhausfinanzierungsgesetz gedacht. Wenn Sie, Frau Bundesminister, hier hervorheben, daß in diesem Jahr 300 Millionen DM über den Kreditmarkt bereitgestellt werden, so kann ich nur sagen, daß Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als ob der Bund ein Drittel der mit diesem Gesetz verbundenen Kosten trage. Aber haargenau das ist nicht der Fall.
Neulich ist Ihnen im Bundesrat doch sehr deutlich gesagt worden, daß Ihre Schätzungen völlig falsch sind, daß Sie von ganz anderen Krankenhausbettenwerten ausgehen müssen und daß der Bund nicht, wie im Gesetz angekündigt, ein Drittel, sondern höchstens ein Sechstel zur Verfügung stellt. Wenn man nach außen hin verkündet, der Bund werde im Rahmen der Reformen ein Drittel der Kosten übernehmen, man dann die Dinge aber praktisch auf ein Sechstel begrenzt, muß man das als unwahrhaftig bezeichnen. Man sollte dann ebenso deutlich sagen, daß eine Begrenzung vorgenommen wird.
Was passiert durch diese Begrenzung in der Gesetzesfassung? Der Schwarze Peter wird den Gemeinden und Ländern zugeschoben, und die Lücke von 1,1 Milliarden DM, die durch diese Finanzierungsart entsteht, belastet praktisch zusätzlich die Länder und Gemeinden. Was das bei der derzeitigen Finanzsituation der Länder und Gemeinden bedeutet, weiß, so glaube ich, jeder in diesem Hause.
Mit dieser Belastung der Länder entsteht gleichzeitig die Schwierigkeit, daß die Länder und Gemeinden gezwungen werden, von sich aus den Kreditmarkt in Anspruch zu nehmen und gewissermaßen ihre Kreditmarktmarge auszunutzen. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Argumente gegen die Schuldendienstbeihilfen des Bundes vortragen, die im Protokoll der Bundesratssitzung vom 29. Januar 1971 enthalten sind:
Hiergegen sprechen haushalts- und finanzpolitische Überlegungen. Wenn der Bund seine Finanzhilfen nicht durch Investitionszuschüsse, sondern im Wege von Fremddarlehen erbringen will, so ist bei dem in Aussicht genommenen Darlehnsvolumen eine Störung des Kapitalmarktes nicht auszuschließen. Finanzpolitisch unannehmbar ist auch die Absicht, die Aufnahme der Darlehen den Ländern oder den Krankenhausträgern zu überlassen. Der ohnehin begrenzte Kreditaufnahmespielraum würde einseitig zuungunsten der Länder und Gemeinden eingeengt. Der Bund muß daher die Finanzhilfen in Form von Investitionszuschüssen bereitzustellen.
Genau dahin geht unser Antrag, nämlich das, was der Bund über den Kreditmarkt aufbringt oder dritte Instanzen an Krediten aufbringen läßt, im Haushaltsplan auszuweisen, damit jeder hier im Hause erkennt, welch erhebliche Belastungen in der Zukunft durch diese Finanzierungsart auf den Haushalt zukommen.
Wenn auch in diesem Jahr für die Bereitstellung von 300 Millionen DM zunächst nur ein Betrag von 9 Millionen DM notwendig ist, so ist, wenn Sie diese Finanzierungsart beibehalten, in einem absehbaren Zeitraum, nämlich schon im Jahre 1980, der jährliche Schuldendienst, den der Bund aufbringen muß, genauso hoch wie der jährlich zur Verfügung stehende Kreditbetrag. Das zeigt genau die unsolide Finanzierungsart, von der der Herr Finanzminister Möller bei einer Sitzung im Jahre 1966 einmal gesagt hat: Wir wollen keinen Schattenhaushalt neben dem Bundeshaushalt, sondern wir fordern, daß diese Mittel in den Bundeshaushalt aufgenommen werden.
({5})
Hier müssen wir verlangen, daß diese Forderung auch erfüllt wird.
Im Bundesrat ist eine Änderung des § 21 Abs. 3 beschlossen worden, die gleichfalls diesen Inhalt hat: Der Bund stellt die Finanzhilfen den Ländern in Form von Investitionszuschüssen zur Verfügung. Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß haushalts- und finanzpolitische Überlegungen gegen die vorgesehenen Schuldendienstbeihilfen des Bundes sprechen. Wenn der Bund seine Finanzhilfen nicht durch Investitionszuschüsse, sondern im Wege von Fremddarlehen erbringen will, so ist bei dem in Aussicht genommenen Darlehensvolumen eine Störung des Kapitalmarktes nicht auszuschließen.
Der Bundesrat hat außerdem eine Entschließung des Landes Hessen angenommen, in der gleichfalls darauf hingewiesen wird, daß sich der Bundesrat im Hinblick auf die unsolide Finanzierungsart vorbehält, dieses Gesetz im nächsten Durchgang abzulehnen.
Daher fordern wir Sie, meine Damen und h erren, auf, dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 115 zuzustimmen, in dem es zur Begründung heißt:
Nach dem vorgesehenen Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze soll der Bund den Ländern Finanzhilfen gemäß Artikel 104 a Abs. 4 GG in Höhe von grundsätzlich 1/3 der Investitionskosten der Krankenhäuser gewähren. Es widerspricht den Grundsätzen einer soliden Finanzpolitik und dem Prinzip der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit, bei dieser Sachlage .im Bundeshaushalt lediglich Mittel für den Zins- und Tilgungsdienst sowie eine Bürgschaftsermächtigung im Haushaltsgesetz einzustellen. Dadurch wird nur das volle Ausmaß der vom Bund übernommenen Belastungen verschleiert und das Haushaltsvolumen und der Umfang der davon ausgehenden Inanspruchnahme des Kreditmarktes optisch heruntermanipuliert.
({6})
- Nein! Das ist ja der Sündenfall gewesen. Damals, Herr Kollege Hermsdorf, hat ja der Finanzminister darauf hingewiesen, daß man eben einen solchen Schattenhaushalt nicht schaffen darf, nur um die magische obere Grenze des Haushaltsansatzes beizubehalten. Genau das machen Sie jetzt mit der Bildungsanleihe und ebenso hier bei der Krankenhausfinanzierung. Außerdem verzichtet dieses Haus doch darauf, in bezug auf erhebliche Beträge, für die der Bund Schuldner ist, entsprechende Beschlüsse zu fassen und die Ubersicht zu behalten. Dagegen wehren wir uns. Eigentlich müßte es im Interesse aller Kollegen sein, wenn diese Ansätze in den Bundeshaushalt entsprechend unserem Antrag aufgenommen würden. Ich darf Sie herzlich bitten, unserem Antrag auf Umdruck 115 zuzustimmen.
({7})
Das Wort hat Herr Staatssekretär Westphal.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern kurz die gesundheitspolitischen Fragen, die Herrn von Wittgenstein eben gestellt hat, beantworten.
Erstens. Was das Bundesgesundheitsamt betrifft, so ist zu sagen, daß der Ausbaubericht zur Zeit beim Finanzminister liegt. Er wird nun von den beiden Ressorts gemeinsam beraten. Für diesen Ausbau sind in der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 1971 36 Millionen DM vorgesehen. Dieser Betrag wird sich im Jahre 1972 auf 55 Millionen DM, im Jahre 1973 auf 70 Millionen DM und im Jahre 1974 auf 84 Millionen DM steigern. Auch die Ausbauzahlen auf dem Personalsektor sind erheblich.
Zweitens. Zum Thema „Institut für Sozialmedizin" möchte ich Ihnen folgendes sagen, Herr von Wittgenstein. Wir befinden uns in der Periode der Vor5678
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
arbeiten. Es werden Repräsentativuntersuchungen durchgeführt - das geschieht zur Zeit in Hessen -, auf denen aufbauend dann in der nächsten Zeit die Vorsorgeuntersuchungen in der rationellsten und effizientesten Weise durchgeführt werden sollen.
Drittens und letztens komme ich auf die Krankenhausfinanzierung zu sprechen. Sie werden Anfang März die Gelegenheit haben. hier in erster Lesung über einen entsprechenden Gesetzentwurf zu diskuteren. Der Antrag, den Sie zu diesem Haushaltsplan gestellt haben, zielt auf eine andere Art der Finanzierung ab. Die Finanzierung, die Sie wollen, ist aber auch nur auf der Basis errechnet, die im Regierungsentwurf vorgesehen ist: Übernahme ein es Drittels der Kosten durch den Bund im Wert von 300 Millionen DM.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bedauert es, daß Frau Minister Strobel nicht zu dem hier erhobenen Vorwurf Stellung genommen hat, daß in der Wandzeitung nicht die Leistungen ihrer Amtsvorgänger genannt worden sind.
({0})
Ich meine, Sie hat ein schlechteres Beispiel geliefert als der Verteidigungsminister Schmidt, der immerhin die Fairneß besaß, in seiner Jubelbroschüre auch seine Vorgänger zu nennen.
({1})
Das vermissen wir hier sehr. Das nur vorweg und auch für das Protokoll, damit dieser Tatbestand ersichtlich ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte eine Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 124 *) geben. Der Antrag sieht vor, den Ansatz für studentische Verbände von 1 190 000 DM um 100 000 DM auf 1 090 000 DM herabzusetzen. Das bedeutet, wir wünschen die Beibehaltung des Ansatzes von 1970.
In der Debatte über den Etat des Bundesinnenministers waren wir uns hier im Hause im wesentlichen einig darüber, daß alle Parteien demokratisch handeln müssen und daß wir unsere demokratische Ordnung gemeinsam gegen Anfeindungen durch Links- und Rechtsradikale zu sichern haben. Diese Sicherung hat in erster Linie in der notwendigen Auseinandersetzung mit politischen Mitteln zu erfolgen. Das Gebot der geistigen Auseinandersetzung entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, die staatlichen Mittel so einzusetzen, daß unsere verfassungs- und
*) Siehe Anlage 10 gesetzmäßige Ordnung bewahrt wird. Niemand kann von uns erwarten, daß dieses Parlament z. B. jene unterstützt und ihnen hilft, die den Abbau der demokratischen Grundordnung und der repräsentativen Demokratie auf ihre Fahne geschrieben haben.
({2})
Bei diesem Handeln kommt den Verfassungsorgannen der Bundesrepublik Deutschland, z. B. der Bundesregierung und insbesondere auch diesem Haus, eine hohe Verantwortung zu. Dazu gehört unter anderem die sorgfältige Prüfung, ob diejenigen, die Förderungsmittel aus dem Bundesjugendplan beantragen, auch wirklich die Voraussetzungen des § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes, wie es der Kollege Rollmann vorhin bereits dargestellt hat, erfüllen, d. h. ob sie für die freiheitliche Demokratie und den Parlamentarismus uneingeschränkt einstehen und sie bejahen.
Die vorangegangene Regierung der Großen Koalition hat gerade bei der Bewertung dieser Maßstäbe klare Zeichen gesetzt. Sie hat z. B. dem Verband Deutscher Studentenschaften, dem VDS, der sich als sozialistischer Kampfverband deklarierte und auf den Sturz der parlamentarischen Demokratie hinarbeitete, konsequenterweise die Subvention aus dem Bundeshaushalt gestrichen. Bis zur Stunde ist in keiner Weise erkennbar - ich erinnere hier nur an den kürzlich im Plenum von Herrn Staatssekretär Westphal vorgelesenen Brief -, daß der VDS, und zwar nicht nur der Vorstand, sondern auch die Mitgliederversammlung, ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablegt. Wir bedauern daher, daß der Staatssekretär seinerzeit in der Fragestunde eine ausweichende Antwort gegeben hat und nicht erneut die Haltung, die die Große Koalition einnahm, bestätigte.
({3})
Wir, die CDU/CSU, treten dafür ein, daß dieser Beschluß aufrechterhalten wird. Wir werden dies hier auch immer wieder vortragen, solange die von uns genannten Kriterien vom VDS nicht erfüllt werden.
Meine Damen und Herren, diese Sorge ist deshalb nicht unbegründet, weil die Sozialdemokratische Partei und auch die Bundesregierung nach meinem Eindruck, aber sicher auch nach dem Eindruck vieler Mitbürger draußen, einem wachsenden Druck von links ausgesetzt sind,
({4})
der ihre Entscheidungsfähigkeit zu beeinträchtigen droht.
({5})
- Meine Damen und Herren, ich möchte wirklich nicht gern zitieren. Ich habe hier von Herrn Eichengrün, dem ehemaligen Jungsozialistensekretär, eine Dokumentation über das, was Sie dann erwarten würde. Ich will aber nicht daraus zitieren, weil ich mich bemühen möchte, dieses Thema wirklich sachlich abzuhandeln. Polemisieren kann ich auch, das fällt mir nicht schwer; aber das will ich heute nicht tun.
({6})
Meine Furcht vor Labilität und übergroßer Toleranz gegenüber linksradikalen Kräften darf ich kurz durch folgende Tatsachen im einzelnen begründen.
Erstens. Der Kollege Walkhoff hat sich, offenbar als Sprecher einer Gruppe von einigen Sympathisanten innerhalb der SPD-Fraktion, in einer Anfrage für die Aufhebung der Sperre der Gelder für den VDS verwandt, obwohl ihm bekannt sein muß, daß im Vorstand des VDS ein Mitglied des kommunistisch gesteuerten Spartakusbundes und vier SHB-Mitglieder sitzen, die sich nach eigener Aussage in ihrer Programmatik der DKP stärker verbunden fühlen als der SPD.
Zweitens. Der SPD-Vorsitzende, Herr Bundeskanzler Brandt, hat kürzlich in einem Rundfunkinterview angedeutet, daß der vom Parteirat der SPD am 14. November 1970 in München gefaßte Beschluß, der Aktionsgemeinschaften zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten grundsätzlich als parteischädlich untersagt, nicht unabänderlich sei. Diese Ausführungen des Parteivorsitzenden können nur als ein Zurückweichen vor den Jungsozialisten,
({7})
den linken Kräften in der SPD und der Gesellschaft gewertet werden, die für ihre Strategie der systemüberwindenden Reformen auf punktuellen Aktionsgemeinschaften auch mit Kommunisten bestehen.
({8})
- In diesem Zusammenhang - ich verweise hier auf einen Artikel in der „Frankfurter Rundschau" vom 30. Januar 1971, der nicht dementiert worden ist - wurde ferner dargelegt, daß die Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten in Betriebsräten und Studentenvertretungen von diesem Beschluß ausgenommen sein sollen.
({9})
Drittens. Eine Dokumentation des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten, des RCDS, der gestern sein 20jähriges Bestehen feiern konnte und der sich als Studentenverband uneingeschränkt zur parlamentarischen Demokratie bekennt, hat nachgewiesen, daß auf der 11. ordentlichen Bundesdelegiertenversammlung des Sozialdemokratischen Hochschulbundes in Koblenz im November 1970 -das sind also alles ziemlich neue Fakten - folgendes beschlossen wurde:
Der Sozialdemokratische Hochschulbund ist der Meinung, daß eine Aktionsgemeinschaft mit Kommunisten in Fragen, in denen gemeinsame Interessen und Auffassungen bestehen, ein notwendiges und weiterhin vom Sozialdemokratischen Hochschulbund zu praktizierendes Mittel ist, einen Politisierungsprozeß in der Bevölkerung und in der Studentenschaft zu fördern.
Als Ausdruck solcher Aktionen kann man z. B. das
„Strauß-Guttenberg-Tribunal" bezeichnen und die
Frage stellen, ob so etwas durch Mittel aus dem
Bundesjugendplan gefördert wird. Unsere Meinung dazu brauche ich hier wohl nicht vorzutragen.
({10})
Prominente Mitglieder dieses, sich wie ich sage, „sozialdemokratisch" nennenden Verbandes erklären außerdem, daß sie der Programmatik der DKP näher stünden als der der SPD. Folgerichtig haben Mitglieder bei verschiedenen Anlässen und Aktionen die Auffassung der DKP unterstützt. Die RCDS-Dokumentation weist das sehr gut an Hand von einzelnen Tatbeständen nach.
Es bleibt der SPD überlassen, meine Damen und Herren - hier mischen wir uns nicht ein, das geht uns nichts an -, wie lange sie diese Aktivitäten, durch die die Position des freiheitlichen Sozialismus bewußt mit Füßen getreten wird, aus ihrer Parteikasse fördern will.
({11})
Wir alle aber tragen die Verantwortung dafür, wenn wir im Deutschen Bundestag mit unserer Stimme derartige Aktionen und Interessenverbindungen unterstützen. Dazu ist die CDU/CSU-Fraktion nicht bereit.
({12})
Viertens. Zu den studentischen Verbänden gehört auch der Liberale Studentenbund, der im August 1969 mit der FDP offiziell gebrochen hat. Seitdem bemüht sich der LSD, eine sozialistische Massenbewegung, wie er sagt, zu formieren. Dieses Bemühen wurde im Jahre 1970 aus dem Bundesjugendplan mit 55 000 DM gefördert.
({13})
Hier in Bonn firmiert der LSD unter anderem als Herausgeber des Publikationsmittels „Rote Blätter - die Presse der proletarischen Linken" und verbreitet vorwiegend Erkenntnisse und Aktionsanleitungen der Roten Zellen und anderer kommunistischer Splittergruppen, die bekanntermaßen eine revolutionäre und deshalb verfassungsfeindliche Entwicklung einleiten wollen. Seit Sonntag - ich habe Ihnen das aus Berlin mitgebracht - fordert der LSD, der sich in Berlin LSW, Liberaler Studentenbund Westberlin, nennt, in der Zeitung der SED durch seinen Vorsitzenden unverhohlen, in Zukunft solle man in Berlin SED wählen. Zuschuß: 55 000 DM.
({14})
Nachdem der Bundesminister des Innern, wie ich zuverlässig weiß, die zunehmende Radikalisierung mit immer größerer Sorge beobachtet und gewillt ist, den Radikalen mit entschlossener Anwendung der bestehenden Gesetze das Handwerk zu legen, sollten wir ihn, und zwar alle Parteien, in dieser wichtigen Frage nicht allein lassen.
({15})
Die CDU/CSU-Fraktion tritt deshalb für die Wiederherstellung des Haushaltsansatzes 1970 ein und
spricht sich für eine Förderung der studentischen Verbände in Höhe von 1 090 000 DM aus. Sie ist aus den hier von mir kurz geschilderten Gründen der Auffassung, daß eine Erhöhung des Ansatzes diesmal nicht in Frage kommt, da offensichtlich ist, daß Verbände gefördert werden, die die Mittel nicht richtliniengemäß verwenden. Diese Verbände sollen nach Auffassung der CDU/CSU bei der Förderung aus dem Bundesjugendplan in Zukunft nicht berücksichtigt werden. Ich bitte alle Parteien in diesem Hause, diesem wichtigen Anliegen, das uns wirklich betrifft, die Zustimmung nicht zu versagen. Ich bitte auch die Kollegen aus dem 16. Stock, diese Frage einmal zu überdenken und gegebenenfalls zuzustimmen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Kollegen Wohlrabe veranlassen mich, einige Ausführungen zu machen. Zunächst möchte ich die Frage stellen - dies zieht sich durch die ganze Debatte hier -: Wovon würden sie eigentlich leben, wenn es den SHB und die Jusos nicht gäbe?
({0})
Der zweite Punkt. Selbstverständlich haben alle Parteien dieses Hauses mit ihren Jugendorganisationen Auseinandersetzungen. Aber auch Sie wissen genauso gut wie ich, daß der SHB eine völlig selbständige Organisation ist, auf die wir hinsichtlich ihrer politischen Aussage nicht den geringsten Einfluß haben. Wir können uns von dem, was dort ausgesagt wird, wenn wir es nicht billigen, nur entsprechend distanzieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rollmann?
Nein. - Der nächste Punkt ist, daß auch wir als sozialdemokratische Fraktion der Auffassung sind, daß Organisationen, gleich, welcher Art, die nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehen, nicht gefördert werden sollen. An diesen Richtlinien halten wir fest.
({0})
Der letzte Punkt ist folgender. Die Politik der Sozialdemokraten wird auf dem Parteitag der Sozialdemokraten festgelegt und nicht auf Kongressen anderer Organisationen. Wenn Sie sich an die erklärte Politik halten, dann haben Sie die verbindliche Aussage der Sozialdemokraten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf den
Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 130 *) kurz begründen. Die CDU/CSU-Fraktion hat kürzlich einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Bundessozialhilfegesetzes für Kleinrentner in diesem Hohen Hause eingereicht. Nach diesem Gesetzentwurf sollen durch Einführung eines Rentenfreibetrages die Einkommen von ca. 320 000 Sozialhilfeempfängern, die gleichzeitig Rentner sind, wesentlich verbessert werden, und zwar um 50 bis 60 DM monatlich. Die Kosten dieses Gesetzentwurfs belaufen sich auf insgesamt 160 Millionen DM. Sie sollen je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist unmöglich, die Mehrkosten den finanzschwachen Trägern der Sozialhilfe aufzubürden. Hier muß ein Bundesausgleich geschaffen werden, weil sich gerade die Schwächsten in unserer Gesellschaft in wirtschaftlich schwachen Gebieten konzentrieren. Wir gehen davon aus, daß die Beratungen in den zuständigen Ausschüssen es ermöglichen werden, daß der Gesetzentwurf am 1. Juli dieses Jahres in Kraft gesetzt wird. Das erfordert die Bereitstellung eines Betrages von 40 Millionen DM aus Bundesmitteln für die zweite Hälfte dieses Jahres. Der Ihnen vorliegende Änderungsantrag Umdruck 130 sieht vor, diese 40 Millionen DM im Einzelplan 15 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - bereitzustellen.
Als Deckungsvorschlag bieten wir eine Kürzung beim Einzelplan 23 an. Ich verweise hierzu auf den Ihnen vorliegenden Änderungsantrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Umdruck 116 ({0}) **), der ja beim Einzelplan 23 aufgerufen und noch diskutiert wird.
Nach unserer Auffassung sollen die benötigten 40 Millionen DM so lange gesperrt bleiben, bis der Gesetzentwurf in Kraft gesetzt werden kann. Erst dann soll der Betrag mit Zustimmung des Haushaltsausschusses freigegeben werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte herzlich und dringend, diesem Änderungsantrag, der die Bereitstellung von 40 Millionen DM vorsieht, Ihre Zustimmung nicht zu versagen, damit den Bedürftigsten in unserer Gesellschaft recht bald geholfen werden kann.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Strohmayr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 130 sieht vor, in Kap. 15 02 im Anschluß an Tit. 643 05 einen neuen Tit. 643 06 mit der Zweckbestimmung „Beteiligung des Bundes an der Erstattung der Mehraufwendungen der Träger der Sozialhilfe auf Grund des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes" mit einem Ansatz von 40 Millionen DM einzufügen. In die Zweckbestimmungsspalte soll der Vermerk aufgenommen werden:
*) Siehe Anlage 11 **) Siehe Anlage 12
Die Mittel sind gesperrt und dürfen erst nach Verkündung des vorgesehenen Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages freigegeben werden.
Die Deckung soll nach dem Vorschlag der Opposition durch eine entsprechende Kürzung des Beteiligungsanteils der Bundesrepublik am Grundkapital der Internationalen Entwicklungsorganisation ({0}) vorgenommen werden.
Der Initiativgesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vom 16. Dezember 1970 sieht eine Teilfreistellung der Renten von der Anrechnung auf die Sozialhilfe vor. Nach Angaben der Antragsteller verursacht die Gesetzesinitiative einen Mehraufwand von 150 Millionen DM, den der Bund zur Hälfte tragen soll. Da die Opposition ihren Gesetzentwurf bis zum 1. Juli 1971 verabschiedet haben möchte, soll durch den jetzt von ihr gestellten Antrag die Deckung für die zweite Hälfte 1971 sichergestellt werden.
Hierzu ist zu sagen, daß der Initiativgesetzentwurf erst am 20. Januar 1971 an die Ausschüsse überwiesen worden ist. Schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs haben sich erhebliche Meinungsverschiedenheiten sowohl über den materiellen Inhalt als auch über die vorgeschlagene Art der Finanzierung deutlich gezeigt. Auf Grund dieser Meinungsverschiedenheiten ist eine Etatreife zur Zeit überhaupt nicht gegeben.
Zu dem materiellen Inhalt des Entwurfs ist folgendes zu sagen. Die vorgesehene Freistellung eines Teils der Renten von der Anrechnung verstößt gegen das geltende Sozialhilfegesetz, das mit Ausnahme der Rentenfreistellung keine Ausnahme von der Anrechnung kennt, weil die Sozialhilfe subsidiär ist und das Auffangbecken für alle Sozialfälle bildet. Das Sozialhilfegesetz gesteht in besonderen Fällen insbesondere über 65 Jahre alten erwerbsunfähigen Personen lediglich einen Mehrzuschlag von 30 v. H. zum Regelsatz der Sozialhilfe zu. Eine Freistellung der Rente bis zur Höhe von 40 v. H. der Regelsätze wäre ein systemwidriges Novum und bedeutete für alle anderen Sozialhilfempfänger eine große soziale Ungerechtigkeit.
({1})
Dieser Gesetzentwurf würde die Freistellung des sonstigen Einkommens von der Sozialhilfeanrechnung präjudizieren und auch zu zwangsläufigen Berufungen bei anderen einschlägigen Sozialgesetzen führen. Die Kostenfolgen wären nicht zu übersehen.
({2})
Im Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion ist sogar vorgesehen, daß sich der Bund mit 50 v. H. der Mehrkosten beteiligen soll. Dies würde die Finanzierungszuständigkeit völlig verwischen. Mit Ausnahme der im Rahmen der Sozialhilfe anfallenden Kriegsfolgekosten hat der Bund keine Finanzierungszuständigkeit auf diesem Sektor. Es ist somit auch nicht Sache des Bundes, die Mehrkosten der Sozialhilfe zu tragen.
Der Deckungsvorschlag, der von der Opposition gemacht wird, kann unter keinen Umständen akzeptiert werden. Einmal würde dieser Vorschlag eine Gesetzesvorlage schon vor ihrer Behandlung in den Ausschüssen im Etat 1971 zementieren; zum anderen würde er den Einstieg in eine künftige Mehrbelastung erzwingen. Nach eigenen Angaben der CDU/ CSU-Fraktion würden in den Folgejahren jeweils 80 Millionen DM benötigt werden, für die in der mittelfristigen Finanzplanung keine Deckung vorhanden ist.
({3})
Der Bund wäre dann auf jeden Fall gezwungen, die jetzt am Beitrag für die IDA gekürzten 40 Millionen DM spätestens im Jahre 1974 nachzuetatisieren. Eine Annahme des CDU/CSU-Antrages auf Umdruck 130 hätte für die Jahre 1972 bis 1974 zwangsweise folgende nicht gedeckten Mehraufwendungen zur Folge: für 1972 80 Millionen DM, für 1973 80 Millionen DM und für 1974 120 Millionen DM.
Aus all diesen vorgenannten Gründen stelle ich den Antrag, die Vorlage der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 130 abzulehnen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der auf Umdruck 115 *) vorgelegte Antrag ist ein weiterer Versuch der Unionsfraktion, dieser Regierung unsolide Finanzpolitik und unsolide Haushaltspolitik vorzuwerfen. Sie wollen den Eindruck erwecken, als ließe es dieser Haushalt an der nötigen Klarheit fehlen.
Der Gesetzentwurf zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze sieht vor, daß der Bund in den Jahren 1971 bis 1974 seine Finanzhilfe über am Kreditmarkt aufgenommene Darlehen erbringt und dafür den Schuldendienst übernimmt. Dieser Regelung des Gesetzentwurfes trägt der Ansatz im Bundeshaushalt Rechnung. Damit ist der Vorwurf, diese Art der Veranschlagung entspreche nicht der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit, gegenstandslos. Diese Art der Finanzierung ist im Gesetzentwurf gewählt worden, weil die vom Bund zu beauftragenden Institute und Einrichtungen, Herr zu Sayn-Wittgenstein, auch solche Kredite beschaffen können, die nach Art und Umfang für eine Aufnahme durch den Bund selbst gewöhnlich nicht geeignet sind.
Sie müssen sich gefallen lassen, Herr zu SaynWittgenstein, daß ich Ihnen diesen Ball zurückgebe. Wie immer bei derartigen Anträgen der CDU/CSU ist auch dieser frisch, fromm und fröhlich gestellt, ohne daß eine Deckungsmöglichkeit vorgeschlagen wird. Sie versuchen darüber hinaus auf diese Weise,
*) Siehe Anlage 13
der Öffentlichkeit zu suggerieren, Kreditfinanzierungen für öffentliche Investitionen seien etwas ganz Verwerfliches und Unsolides.
({0})
Wir dagegen, Herr von Wittgenstein, sind der Auffassung und diese hat sich längst als Allgemeingut herausgestellt -, daß der Kapitalmarkt auch für Sozialinvestitionen zur Verfügung stehen muß. Krankenhausfinanzierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Der Kapitalmarkt wird an Umfang zunehmen. Die Verfügungsmarge für das Sparen wird größer werden durch entsprechende Gesetze, auch Vermögensbildungsgesetze. Die Möglichkeiten, den Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen, dürfen nicht nur für private, sondern müssen auch für öffentliche Investitionen gegeben sein.
Ich bitte daher, diesen Antrag abzulehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, dies war die Jungfernrede des Kollegen Grobecker.
({0})
Wir gratulieren ihm und uns und wünschen ihm viel Glück für sein späteres Schaffen.
Herr Abgeordneter Kirst hat das Wort. - Er verzichtet. Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung über die verschiedenen Anträge zu Einzelplan 15.
Zunächst stelle ich Antrag Umdruck 115 *) Ziffer 1 zur Abstimmung. Sind die Antragsteller damit einverstanden, daß wir über die Buchstaben a und b zusammen abstimmen?
({1})
Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über Antrag Umdruck 124 **) ab. Ich frage die Antragsteller, ob wir über die Ziffern 1 und 2 zusammen abstimmen können.
({2})
- Getrennte Abstimmung. Zunächst stimmen wir über Antrag Umdruck 124 Ziffer 1 ab. Wer zustimmen will, gobe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Mit derselben Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen über Antrag Umdruck 124 Ziffer 2 ab. Wer zustimmen will, möge das Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; damit ist auch Ziffer 2 abgelehnt.
Wir kommen zu Antrag Umdruck 126 ***). Ich bitte die Antragsteller, sich dazu zu äußern, ob über die Ziffern 1 und 2 getrennt abgestimmt werden soll.
({3})
- Wir stimmen also über Antrag Umdruck 126 im ganzen ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir stimmen über Antrag Umdruck 130 ****) Ziffer I ab. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
({4})
Wir kommen zu Antrag Umdruck 138*****) Ziffer 2:
zu Kap. 15 02 - Allgemeine Bewilligungen -. Ich frage die Antragsteller, ob über die Buchtsaben a, b und c geschlossen abgestimmt werden kann. - Es kann geschlossen abgestimmt werden. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Antrag Umdruck 136******) ! Wer zustimmt, gebe
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Bei einigen Enthaltungen angenommen. Damit haben wir über die Änderungsanträge abgestimmt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 in der jetzigen Fassung zustimmen will, der gebe das Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 15 ist angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 23
Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit
- Drucksache VI/1748 - Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kiep. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 20 Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung mit der Bundesregierung in der Frage der Bedeutung der Entwicklungspolitik und der Grundzüge dieser Politik habe ich für die Fraktion der CDU/CSU einige kritische Anmerkungen zu machen, wobei ich mich bemühen werde, mich an die zur Verfügung stehende knappe Zeit zu halten.
Die Ereignisse in Guinea stellen nicht nur für die Beziehungen der Bundesrepublik zu den afrikanischen Staaten, sondern insgesamt für die Entwicklungspolitik in unserem Lande einen Rückschlag dar. Erste und vordringlichste Aufgabe scheint es uns zu sein - und wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie in dieser Richtung bereits tätig geworden ist -, für den Schutz der in der Entwicklungspolitik tätigen Menschen zu sorgen. Der Schutz für diese Menschen sollte nach unserer Meinung nicht nur durch eine multilaterale Konvention im Rahmen der Vereinten Nationen gesichert werden, sondern wir meinen, daß eine solche multilaterale Konvention
*) Siehe Anlage 13 **) Siehe Anlage 10 ***) Siehe Anlage 14 ****) Siehe Anlage 11
*****) Siehe Anlage 6
******) Siehe Anlage 4
durch bilaterale Verträge zwischen der Bundesrepublik und den Staaten, mit denen wir Entwicklungsbeziehungen unterhalten, ausgefüllt werden sollte.
Es erscheint mir richtig, daß auch die Bundesregierung auf der Basis der Gegenseitigkeit mit diesen Ländern den Status der im Dienst der Bundesrepublik in diesen Ländern tätigen Personen so regelt, daß in Zukunft Ereignisse wie die von Guinea möglichst ausgeschlossen bleiben. Als kleine Anmerkung in diesem Zusammenhang, weil es den Status der Entwicklungshelfer betrifft, und als Erinnerungsposten sei hier die Frage des Wahlrechts für diesen Personenkreis noch einmal der Bundesregierung in Erinnerung gebracht.
Wir sind weiterhin der Meinung, daß die Bundesregierung im Falle Guinea zu langsam reagiert hat, daß die Berichte der Botschaft offensichtlich den Ernst der Lage nicht frühzeitig genug haben erkennen lassen und daß daher insgesamt die Reaktion der Bundesregierung auf das Vorgehen der Regierung von Guinea unbefriedigend ist.
Hierzu gehört sicherlich auch, daß die deutschen Botschaften im Ausland technisch einfach nicht mehr in der Lage sind, auf Situationen, wie sie sich in dieser Welt, in der wir leben, stellen, zu reagieren. Angesichts der Tatsache, daß die meisten deutschen Botschaften auch in Gebieten, die man zu den Zonen der Erde zählen kann, in denen solche Krisen möglich sind, heute noch ohne Funkgeräte sind, daß sie auf postalische Verbindungen angewiesen sind, die natürlich im entscheidenden Moment zusammenbrechen, kann man sich vorstellen, wie schwer es für die Botschafter ist, ihre Aufgabe der Wahrung der Interessen der dort tätigen Deutschen wahrzunehmen, wie schwierig es für die Bundesregierung ist, Berichte zu empfangen und Weisungen zu geben. Ich möchte die Bundesregierung bitten, doch mit Rücksicht auf die Ereignisse diese Frage der technischen Ausstattung noch einmal eingehend zu überprüfen.
Ich möchte weiterhin feststellen, daß die Ereignisse von Guinea uns auch in einer anderen Hinsicht bedenkenswert - oder besser gesagt: bedenklich erscheinen, bedenkenswert und bedenklich deshalb, weil sich hier zum ersten Male in drastischer Form abgezeichnet hat, wie die von der Bundesregierung in ihrer Konzeption der Außen-, Deutschland- und Ostpolitik vorgesehene friedliche Koexistenz und das geregelte Nebeneinander zwischen DDR und Bundesrepublik in der Praxis aussehen. Man kann nur mit Schrecken daran denken, wie es wohl gehen wird, wenn eines Tages womöglich mit Hilfe der Bundesregierung diese DDR in den multilateralen Organisationen der UN Mitgliedschaften erwirbt.
({0})
Ich fürchte, daß dann nicht das eintritt, was der Bundeskanzler neulich einmal sagte: wenn das unter bestimmten Voraussetzungen einmal der Fall sei, würden endlich die querelles allemandes aus der internationalen Diskussion verschwinden. Ich meine, Guinea zeigt uns, daß im Gegenteil eine Mitgliedschaft einer so gesonnenen DDR dazu führen wird, daß die querelles allemandes institutionalisiert werden und die Arbeit dieser Organisationen behindert wird.
({1})
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu den Beziehungen der Bundesrepublik zu Chile. Der Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit war zu Besprechungen in Chile und ist vor einigen Tagen zurückgekehrt. Seine Äußerungen nach der Rückkehr erscheinen mir in zweierlei Hinsicht besonders bemerkenswert. Erstens gehört es wohl zu den ungewöhnlichsten Taktlosigkeiten, die wir bisher erlebt haben, daß ein Staatssekretär nach einem Gespräch mit einem fremden Staatsoberhaupt Äußerungen dieses Staatsoberhaupts über Politiker in diesem Lande hier in der Presse zum besten gibt. Ich kann mich nicht erinnern, daß ein solcher Vorgang seit Bestehen der Bundesrepublik hier einmal vorgekommen ist. Die Kritik, die Herr Staatsskeretär Sohn gegenüber dem früheren Bundeskanzler und dessen Außenpolitik geübt hat, erscheint mir .besonders bemerkenswert, weil, wie Sie alle wissen, diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Kiesinger einen Außenminister Brandt hatte, der diese Außenpolitik geführt hat. Ich weiß nicht, was diese Auslassung bedeuten soll. Ich könnte mir vorstellen, daß der Staatspräsident von Chile, einem Land, das mit der Bundesrepublik durch jahrzehntelange gute Beziehungen verbunden ist, über diese Indiskretion nicht sehr glücklich ist.
Ich möchte nicht zu dem Inhalt dessen Stellung nehmen, was Herr Staatssekretär Sohn nach seiner Reise berichtet hat. Ich selber hatte Gelegenheit, mit Staatspräsident Allende zu sprechen, und ich möchte nicht meinerseits in die Taktlosigkeit von Herrn Sohn verfallen und nicht die Äußerungen widergeben, die der Staatspräsident mir gegenüber gemacht hat.
({2})
Aber ich glaube, daß doch ein Punkt festgehalten werden muß. Staatssekretär Sohn hat davon gesprochen, daß die Regierung von Chile die Absicht habe, die DDR anzuerkennen. Wir wissen das, und auch ich habe diese Mitteilung bei meinem Besuch in Santiago bekommen. Bemerkenswert erscheint mir - und das ist der zweite Punkt , daß Staatssekretär Sohn daran die Aussage geknüpft hat, man werde nunmehr Chile zu einem Zentrum der Entwicklungspolitik in Lateinamerika machen. Was nun mit dieser Äußerung bezweckt ist, vermag ich nicht zu übersehen. Ich meine, daß auch die anderen lateinamerikanischen Staaten eine derartige Schwerpunktabsichtserklärung, wenn ich es so ausdrücken darf, unter Umständen mißverstehen könnten.
Ich möchte die Bundesregierung auch im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle bitten, bei den künftigen Verhandlungen mit Chile - und ein größeres Kapitalhilfeprojekt steht zur Diskussion - doch ernsthaft den Versuch zu unternehmen, die chilenische Regierung zu bitten, die Eigentumsrechte der Deutschen in Chile, die durch die Verfassung garantiert sind und die durch die Verstaatlichungs5684
politik der Regierung nicht betroffen sind, die aber zur Zeit durch kalte Enteignungen bedroht sind, im Interesse der dort lebenden deutschen Bürger wahrzunehmen und die Verhandlungen über künftige Kapitalhilfeprojekte mit dieser Frage zu verbinden.
Ich möchte dann auf einen Punkt kommen, der gerade in den letzten Tagen in der Diskussion war und durch einige Interviews auch des Herrn Ministers etwas mißverständlich wiedergegeben wurde. Es geht um die Frage der Novellierung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes, mit dem sich die Bundesregierung offensichtlich befaßt. Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir für eine Fortsetzung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes auf der bisherigen Grundlage eintreten, daß wir aber gern bereit sind, zusätzlich über das zu sprechen, was heute im Entwicklungshilfe-Steuergesetz enthalten ist, sowie darüber, wie man durch eine Veränderung im Sinne einer Verbesserung die Investitionsbereitschaft und damit die Privatinvestitionen in noch stärkerem Umfang in die Entwicklungspolitik einschalten kann. Wir sind der Meinung, daß die Privatinvestitionen trotz der heute in unserem Lande hierüber laufenden Diskussion einen unverzichtbaren Teil der Gesamtentwicklung dieser Länder ausmachen, und wir können uns in dieser Frage auch auf zahlreiche Aussagen der Regierungen der Entwicklungsländer selber stützen.
Herr Minister, die Diskussion darüber, ob die Politik, die Sie und Ihr Haus betreiben, mit Ideologie belastet sei, ideologisch gefärbt sei, reißt nicht ab. Wir sind uns - ich habe das auch an anderer Stelle betont in den Grundzügen der Entwicklungspolitik einig. Aber ich meine, daß Sie, Herr Minister, ein persönliches Umweltproblem haben.
({3})
Sie befinden sich ständig innerhalb einer ideologischen Dunstglocke, die Sie auf Schritt und Tritt begleitet und die Sie im Interesse der Entwicklungspolitik und im Interesse der breiten gemeinsamen Basis in diesem Hause und in der Öffentlichkeit durch klare und deutliche Distanzierungen auflösen sollten.
({4})
Wir bitten Sie, Herr Minister, dafür Sorge zu tragen, daß nicht draußen der Eindruck entstehen kann, hier in der Entwicklungspolitik, insbesondere in dem Ministerium und den Organisationen der Entwicklungshilfe, geschehe das, was die Linke von der Entwicklungspolitik, von Ihnen und von uns, erwarte, nämlich die Förderung der Kräfte, die friedliche Veränderungen als untauglichen Versuch ablehnen und die Revolution, Krieg und Chaos als Weg zur Entwicklung in der Dritten Welt empfehlen möchten.
Ich darf für meine Fraktion abschließend erklären, daß wir uns bei aller Zustimmung zu der Entwicklungspolitik, bei aller Zustimmung auch zur langfristigen Planung dieser Politik im Rahmen unserer Beurteilung der Gesamtpolitik dieser Regierung beim Einzelplan 23 der Stimme enthalten werden.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Brück ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, Herr Kiep, daß Sie zu Beginn Ihrer Ausführungen auf die grundsätzliche Übereinstimmung in Fragen der Entwicklungspolitik zwischen den Fraktionen dieses Hauses hingewiesen haben. Aber deshalb bin ich um so erstaunter, daß sich Ihre Fraktion der Stimme enthalten wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Kollegen, die sich in der CDU/CSU-Fraktion mit Entwicklungshilfe befassen, nicht immer durchsetzen können gegen einige, die da jener sogenannten Dunstglocke erliegen, die nicht vom Minister, sondern von einigen Zeitungen erzeugt wird.
({0})
- Das ist ein Umweltproblem, aber diese Dunstglocke wird ja von irgend jemandem erzeugt.
({1})
- Soll ich Ihnen auch die Zeitungen nennen, die sie erzeugen? Aber das wissen Sie genauso gut wie ich.
Herr Kollege Kiep, Sie haben Guinea erwähnt. Ich glaube, daß es an dieser Stelle, wo es um die Verabschiedung des Bundeshaushalts, also darum geht, wieviel Geld wir in der Zukunft für Entwicklungshilfe ausgeben werden, notwendig ist, dazu etwas zu sagen. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, daß die Ereignisse in Guinea unsere Beziehungen zu diesem Land, unsere Entwicklungshilfe insgesamt schwieriger ,gemacht haben, einfach deshalb, weil man in der deutschen Bevölkerung kein Verständnis dafür hat, daß wir Geld für die Entwicklungsländer ausgeben und Menschen in die Entwicklungsländer schicken, wo dann diese Schwierigkeiten entstehen. Sie haben aber vergessen zu sagen, Herr Kollege Kiep, daß die Ereignisse in. Guinea kein Beweis dafür sind, 'daß die deutsche Entwicklungspolitik schlechthin gescheitert ist und schlecht ist. Sie sind in keiner Weise ein Beweis dafür.
({2})
Entwicklungshilfe ist langfristig angelegt,
({3})
und man muß ihre Ergebnisse auch langfristig beurteilen.
({4})
Ich glaube, daß wir uns auch einig sind, wenn es um einen besseren Schutz für die deutschen Entwicklungshelfer geht. Ob ein Status ähnlich dem der Diplomaten der bessere Schutz ist, kann angesichts dessen, was es in Entwicklungsländern auch gegenüber Diplomaten gegeben hat, doch mehr oder weniger als fragwürdig bezeichnet werden.
Es ist nicht meine Aufgabe, hier die Bundesregierung zu verteidigen, auch nicht meine Aufgabe, dazu
Brück ({5})
Stellung zu nehmen, was Staatssekretär Sohn gesagt hat. Ich glaube, das sollte nachher die Bundesregierung selbst tun. Ich kann mich aber entsinnen, Herr Kollege Kiep, daß ich einmal im Anschluß an ein Interview, das Sie dem Saarländischen Rundfunk gegeben hatten, gefragt wurde, was ich denn dazu sage. Ich kann hier nur mitteilen, daß es gar nicht ganz einfach war, gegenüber dem neuen Regime in Chile freundlicher als Sie dazustehen, weil Sie sich eindeutig dafür ausgesprochen hatten, die Hilfe für Chile fortzusetzen.
Zwischenfrage? Brück ({0}) ({1}) : Ja, bitte schön!
Herr Kollege Brück, damit das gleich aus der Welt geschafft wird, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß sich meine Äußerungen eben in gar keiner Weise gegen die chilenische Regierung richteten, sondern dagegen, daß ein Mitglied der Bundesregierung Äußerungen des Präsidenten jenes Landes hier in der Presse veröffentlicht hat, und zwar Äußerungen, die sich kritisch mit Personen in der Bundesrepublik befaßten. Meine Äußerung von damals halte ich in vollem Umfang aufrecht.
Herr Kollege Kiep, ich habe das auch nur deshalb gesagt, weil wir uns beide wohl darin einig sind, daß Entwicklungshilfe kein Instrument aktueller Außenpolitik sein kann, kein Schlagstock und kein Instrument gegen eine Regierung, die etwas tut, was wir im Augenblick nicht für richtig halten.
({0})
Ich will noch einige Bemerkungen zu Guinea machen. Sie haben der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe zu langsam reagiert. Ich glaube, daß das so nicht richtig ist. Die Frage ist, ob sie hysterisch hätte reagieren sollen, oder ob es nicht notwendig war, die Dinge in aller Ruhe zu sehen und das zu tun, was wir tun konnten, um den Deutschen, die noch dort waren, zu helfen. Deshalb war ich sehr froh, daß die Bundesregierung die diplomatischen Beziehungen von sich aus nicht abbrach. Sie werfen jetzt dazwischen, Sie seien eigentlich auch einverstanden gewesen, aber vorhin haben Sie gesagt, die Bundesregierung habe zu langsam reagiert.
Noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Kiep!
Herr Kollege Brück, ich darf Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung gewesen sind oder auch heute noch sind, daß es besser gewesen wäre, wenn die Bundesregierung schneller im Sinne des Schutzes, d. h. der Abberufung der in der Entwicklungspolitik Tätigen in Guinea reagiert hätte.
Herr Kollege Kiep, man kann darüber streiten. Man muß auch bedenken, daß man, wenn wir nach der Invasion in Guinea die deutschen Entwicklungshelfer abberufen hätten, uns wahrscheinlich unterstellt hätte, daß das der Beweis dafür sei, was die guineische Regierung uns eigentlich vorgeworfen hat. Darüber kann man sprechen. Es ist immer schwierig, in solchen Dingen das Richtige zum richtigen Zeitpunkt zu tun.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen allgemeiner Art machen. Ich wäre sehr dankbar - Sie haben das neulich auch gesagt -, wenn wir uns in diesem Hohen Hause demnächst einmal darüber unterhalten könnten, was für die deutsche Entwicklungshilfe notwendig ist, und ich wäre sehr dankbar, wenn wir beispielsweise auch das Thema Ausrüstungshilfe einmal behandeln und darüber sprechen könnten, ob es denn für die deutsche Entwicklungshilfe und für unsere Außenpolitik schlechthin gut ist, wenn wir Ausrüstungshilfe gewähren. Ich will das jetzt nur am Rande bemerken. Ich glaube, wir müssen uns alle darüber unterhalten, ob selbst das, was die Bundesregierung an Steigerungsraten vorgesehen hat, ausreicht, um das Ziel von 0,7 %, das wir uns auf Grund des PearsonBerichtes gesetzt haben, zu erreichen. Daher habe ich mit einigem Erstaunen den Kürzungsantrag der Fraktion der CDU/CSU gelesen und auch mit einigem Erstaunen festgestellt, daß es noch einen Antrag gibt, der vorwiegend von CSU-Abgeordneten unterzeichnet ist und aus dem sich ergibt, wo das Geld verwendet werden soll, das man im Einzelplan 23 einspart.
Herr Kollege Kiep, ich habe den Eindruck, daß einige Kollegen der CDU/CSU hier eigentlich das bestätigen, was in den Debatten der letzten Woche eine Rolle gespielt hat, daß man in eine Ecke kommt, in die man eigentlich nicht kommen will. Wir alle wissen, daß Entwicklungshilfe nicht sehr populär ist. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es mir Popularitätshascherei zu sein, wenn man bei der Entwicklungshilfe Geld einsparen und dieses Geld dann an anderer Stelle für soziale Notwendigkeiten ausgeben will.
Lassen Sie mich zum Schluß - unsere Zeit ist ja sehr knapp bemessen - noch einige Bemerkungen zum Problem der ausländischen Arbeiter machen, das heute morgen auch eine Rolle gespielt hat. Ich glaube, wir sehen zwar zur Zeit den Zusammenhang zwischen ausländischen Arbeitern bei uns und der Entwicklungshilfe, wir müssen diesen Zusammenhang in der Zukunft aber noch stärker sehen.
In diesem Zusammenhang richte ich an alle Kollegen des Haushaltsausschusses den Appell, die Mittel, die für das Gastarbeiterprogramm der Bundesregierung gesperrt sind, freizugeben, weil wir dann nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Wir wissen, daß wir ausländische Arbeiter hier haben, die wir brauchen. Wir wissen, daß sie bei uns Geld verdienen. Wir wissen aber auch, daß sie bei uns eine Ausbildung erhalten. Ich glaube allerdings, daß es gut ist, wenn wir dafür sorgen, daß diese Ausbildung noch besser wird, so daß sich die ausländischen Arbeiter in ihren Hei5686
Brück ({0})
matländern eine neue Existenz schaffen können. Das hilft sowohl ihnen als auch uns.
({1})
Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn ich betone, daß wir dem Haushalt zustimmen. Was den Änderungsantrag der CDU/CSU betrifft, wird dazu mein Kollege Esters noch Stellung nehmen.
({2})
Meine Damen und Herren, nach der Vereinbarung des Ältestenrats soll von 14 bis 15 Uhr die Fragestunde stattfinden. Herr Minister, brauchen Sie lange?
({0})
- Gut, das Haus wird sicherlich nicht protestieren. Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kiep, Sie haben das Thema Guinea aufgegriffen. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie das nicht in der Weise getan haben, wie das gelegentlich draußen der Fall war. Nur: Der Schutz unserer Experten ist etwas, was uns sehr viel häufiger beschäftigt, als das in der Öffentlichkeit klar wird. Es ist uns z. B. seinerzeit gelungen, gerade noch kurz vor Ausbruch des jordanischen Bürgerkrieges unsere Experten zurückzurufen. Im Fall Guinea ist das geschehen, was der Kollege Brück schon angedeutet hat. Die Zuspitzung kam durch die Invasion so plötzlich, daß der Rückzug gar nicht mehr möglich gewesen wäre, ohne die Situation noch weiter zu verschärfen und möglicherweise Anhaltspunkte gerade gegen diese Experten zu bieten.
Der zweite Punkt, Herr Kollege Kiep: Chile. Wir sind uns wohl darin einig, daß das ein Thema ist, das nicht besser wird, wenn wir hier sehr lange darüber sprechen. Aber ich wundere mich ein bißchen, daß gerade Sie meinen Staatssekretär angegriffen haben. Sie erinnern sich, daß Sie selbst - ich glaube nicht, daß Sie das bestreiten - bei Ihrer Rückkehr aus Chile Anfang Dezember auch einiges gesagt haben. Ich entnehme aus der „Stuttgarter Zeitung" - das ist nie dementiert worden -, was Sie damals gesagt haben:
Auch die Ankündigung Allendes, die DDR demnächst anzuerkennen, sollte nach Meinung des Unionspolitikers
- gemeint sind Sie die Bundesrepublik nicht dazu veranlassen, ihre Entwicklungspolitik zu ändern.
Herr Sohn hat im Grunde nichts anderes gesagt als Sie. Er hat nämlich davon gesprochen, daß Chile bislang ein Schwerpunkt unserer Entwicklungshilfe gewesen sei und daß er keinen Grund sehe, das zu ändern. Im Grunde sind das in der Sache identische Aussagen.
Der dritte Punkt, das Entwicklungshilfe-Steuergesetz. Herr Kollege Kiep, Sie wissen, daß die Äußerung, die ich gemacht habe, in einem einstündigen
Rundfunkgespräch mit Ihnen gefallen ist. Damals haben Sie sinngemäß das gesagt, was in Ihrem neuen Programm steht. Ich bitte Sie, sich einmal an dieses neue Programm zu erinnern. Das gilt natürlich nicht für die Damen und Herren von der CSU; die geht das nichts an, wie wir vorhin aus dem Antrag festgestellt haben. Aber es geht wahrscheinlich die Kollegen von der CDU etwas an. Da heißt es:
Private Investitionen sind ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung, Sie müssen die sozialen und kulturellen Wirkungen berücksichtigen und dürfen aus öffentlichen Mitteln nur gefördert werden, wenn sie den entwicklungspolitischen Zielsetzungen der Bundesrepublik und der Entwicklungsländer entsprechen.
Stellen Sie sich einmal praktisch vor, was es an Gesetzgebungsarbeit und administrativer Arbeit bedeuten würde, wenn wir auch nur das, was Sie hier vorschlagen, direkt in die Wirklichkeit übersetzen wollten! Wenn ich nun davon spreche, daß wir wenigstens das Entwicklungshilfe-Steuergesetz einmal auf Grund der Kriterien, die Sie selbst hier setzen, ansehen wollen, dann ist Ihnen das schon wieder zuviel.
({0})
- Gut.
Noch zwei Bemerkungen: Sie haben von einer „ideologischen Dunstglocke" gesprochen, und zwar genau eine Woche, nachdem Sie in einem einstündigen Rundfunkgespräch nicht nur in keinem Fall den Vorwurf der Ideologie gegen unsere Entwicklungspolitik und mir gegenüber erhoben haben, sondern einen solchen Vorwurf in allen Fällen zurückgezogen haben. Nun müssen Sie endlich einmal klar sagen, was Sie eigentlich wollen. Wollen Sie sagen: was wir hier tun, ist richtig, oder wollen Sie Ihre Segel aufspannen, um ein bißchen von einem reaktionären Rückenwind in der Entwicklungspolitik einzufangen? Was Sie nicht können, ist, Ihre Segel aufspannen, um diesen reaktionären Rückenwind zu bekommen, und gleichzeitig Ihr Bötchen progressiv so bemalen, daß es auch der Linken noch gefällt. So geht es nicht.
({1})
Dies ist also keine Frage der Glaubwürdigkeit unserer Politik, sondern dies ist eine Frage der Glaubwürdigkeit dessen, was Sie von der Opposition vertreten.
Herr Abgeordneter Kiep wollte eine Frage stellen.
Herr Minister, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich einen Ideologie-Vorwurf oder -Verdacht gegen Sie deshalb nicht zurücknehmen kann, weil ich einen solchen nicht erhoben habe, und wären Sie weiter bereit, mir zuzustimmen, daß eine Dunstglocke, unter der man steht, im allgemeinen nicht allein von dem erzeugt wird, der unter ihr steht, sondern ein Produkt einer Fülle von Äußerungen und atmosphärischen BegebenheiKiep
ten ist, die der Kontrolle des einzelnen, der unter ihr leidet, nicht immer unterstellt sind?
Da bin ich mit Ihnen völlig einverstanden. Und wenn Sie zu der „Dunstglocke" noch einige Presseorgane hinzunehmen wollen, die Ihrer Partei außerordentlich nahestehen, sind wir uns völlig einig, Herr Kiep.
({0})
Schließlich noch ein Letztes. Das richtet sich vor allem an die Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion, die mit Entwicklungshilfe zu tun haben. Ich gestehe Ihnen zu, daß der Einzelplan 23 eines der schwierigsten Kapitel ist, die wir in diesem Hause und überhaupt in der Politik zu bewältigen haben. Ich habe zwei Jahre lang an diesem Haushalt gebohrt, um ihn in seinen letzten Verästelungen zu verstehen. Deshalb will ich Ihnen, Herr Kiep und meine Damen und Herren von der Union, in diesem Moment nicht unterstellen, daß Sie mit dem Antrag, den Sie eingebracht haben, billig Popularität haschen wollen in dem Sinne: streichen wir bei der Entwicklungshilfe soundso viel ab, dann können wir es da und dort hinzutun! Dieser Eindruck könnte entstanden sein. Nachher wird Herr Esters zu Ihrem Antrag sprechen. Er wird Ihnen die Einzelheiten und die Konsequenzen, die sich aus Ihrem Antrag ergeben - möglicherweise wollen einige von Ihnen diese Konsequenzen nicht , erläutern. Bitte denken Sie dann noch einmal darüber nach, ob nicht Ihre Entwicklungspolitik und auch Ihr Programm zur Entwicklungspolitik um so glaubwürdiger sein wird, je größer die Mehrheit sein wird, die Ihren Antrag ablehnt.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge.
({0})
- Ich dachte, die Redner Ihrer Fraktion hätten die Anträge implicite schon begründet.
Zur Begründung hat Herr Althammer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich deshalb nicht zu Wort gemeldet, weil ich dachte, die Haushaltsberatungen würden jetzt wegen der Fragestunde unterbrochen.
Ich habe hier den Antrag auf Umdruck 116 ({0}) *) zu begründen. Vorweg möchte ich aber noch folgendes sagen. Herr Minister, ich bedaure es außerordentlich, daß Sie uns hier zweierlei unterstellt haben. Zum einen wurde unterstellt, daß ein Unterschied zwischen CDU und CSU zu machen wäre. Wenn Sie sich den Antrag ansehen, werden Sie feststellen, daß er von der Fraktion der CDU/CSU gestellt ist. Zum anderen bedaure ich, Herr Minister, daß Sie hier den Eindruck erweckt haben, es handele sich um
*) Siehe Anlage 12 einen Fall billiger Effekthascherei, etwa in dem Sinne, daß es populär sei, in diesem Einzelplan Streichungen vorzunehmen.
Der Haushaltsausschuß hat den Einzelplan 23 - wie auch alle anderen Einzelpläne - daraufhin zu prüfen, ob die Anforderungen nach Auffassung der Kollegen, die sich mit dieser Materie beschäftigen, gerechtfertigt sind oder nicht. Bei der Prüfung ergab sich folgendes - Herr Esters kann mich korrigieren, wenn das, was ich sage, nicht stimmt -: Offenbar nach der Intention der Regierung ist von dem Herrn Berichterstatter der Antrag gestellt worden, 120 Millionen DM aus der Kapitalhilfe umzuschichten, d. h. sie an anderer Stelle einzusetzen. Im Prinzip haben auch wir von der CDU/CSU diesem Vorgang zugestimmt. Unter diesen 120 Millionen DM befand sich nun die Position der 81 Millionen DM zur Aufstokkung des deutschen Beitrages für die Weltbank. Wir haben im Ausschuß die Frage gestellt, ob diese Aufstockung unabweisbar sei und welche Gründe eventuell dagegen sprächen. Bei dieser Diskussion hat sich ergeben, daß die Bundesrepublik bisher die Möglichkeit hatte, ihren Beitrag auf Grund der internationalen Vereinbarungen in vier Raten zu bezahlen, daß die Regierung jetzt aber diesen Betrag nicht in vier, sondern in drei Raten bezahlen möchte.
Ich habe im Ausschuß daraufhin die Frage gestellt, welcher Zinsverlust denn durch dieses Vorziehen der Ratenzahlung entstünde. Mir wurde von den zuständigen Herren des Ministeriums die Antwort erteilt: pro Jahr 6 Millionen DM. Daraufhin haben wir gesagt: Wir würden lieber an der bisherigen Regelung festhalten, diesen Betrag in vier Raten und nicht in drei Raten zu zahlen. Wir folgerten, daß die 81 Millionen DM für die Aufstockung nicht benötigt werden, dieselben 81 Millinoen DM, die offenbar auch von Ihrem Ministerium bei der Kapitalhilfe für dieses Jahr als entbehrlich angesehen wurden.
Ich weise Sie weiter darauf hin, daß bei der Kapitalhilfe auch im vergangenen Jahr 200 Millionen DM nicht ausgegeben werden konnten. Wir haben im Ausschuß auch die Frage gestellt, warum denn eine Reduzierung der Kapitalhilfe notwendig sei. Daraufhin ist uns gesagt worden, daß dies - und das ist völlig richtig - langfristige Abflüsse von Geld seien, bezüglich derer man nicht so weit vorausplanen könne, so daß sich hier immer wieder Veränderungen ergäben.
Aus dieser Begründung ersehen Sie, daß man aus diesem Antrag beim besten Willen nicht eine Entwicklungshilfefeindlichkeit herauslesen kann. Es geht vielmehr einzig und allein um die Frage, ob diese 81 Millionen DM jetzt im Jahre 1971 benötigt werden oder ob sie im Jahre 1974 bezahlt werden können. Um diesen Punkt geht es.
Herr Minister, Sie haben dann darauf hingewiesen, daß ein zweiter Antrag vorliege, den insbesondere Kollegen der CSU unterschrieben haben - ich nenne ihn einmal den Geisenhofer-Antrag -, in dem es um die Finanzierung der Kleinrentner-Maßnahmen geht. Dazu möchte ich Ihnen sagen, daß dieses Thema mit diesem Antrag ursprünglich gar nichts
zu tun hatte. Aber bei den Überlegungen, wie die sich auf Grund unseres Gesetzentwurfes ergebenden Ausgaben gedeckt werden könnten, ist festgestellt worden, daß nur an diesem Punkt im gesamten Bundeshaushalt ein freier Betrag zu finden war.
Ich möchte also ausdrücklich betonen, daß es bei uns nicht die gedankliche Verbindung gegeben hat: Nehmt es bei der Entwicklungshilfe weg und gebt es lieber den Kleinrentnern! Dieser Gedanke liegt uns völlig fern. Ich betone das, wie gesagt, ausdrücklich, damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Der Kollege Brück weiß, daß auch ich diese Dinge kenne. Wir waren nämlich zusammen in Biafra.
({1})
Meine Damen und Herren, ich hatte gedacht, wir könnten den Einzelplan noch vor der Fragestunde erledigen.
({0})
- Einverstanden? - Gut!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Althammer, der Antrag der CDU/CSU-Fraktion bedeutet in der Tat eine Kürzung des Plafonds des Einzelplans 23. Das heißt, daß Sie einen Antrag einbringen, der die Entwicklungspolitik insofern benachteiligt, als der von der Regierung vorgesehene Plafond nicht eingehalten werden kann.
Bei der Grundkapitalaufstockung der Internationalen Entwicklungsorganisation ist darauf hinzuweisen, daß solche Kapitalaufstockungen bisher generell in einem Dreijahresturnus vollzogen wurden. Bei einer Kapitalaufstockung der IDA und gleichzeitigem Übergang zu einem Vierjahresturnus müßten 1974 Mittel für die letzte Jahresrate dieser Kapitalaufstockung und die erste Rate einer möglicherweise zu erwartenden neuen Kapitalaufstockung bereitgestellt werden. Darüber hinaus wäre die Bundesrepublik Deutschland der erste Geberstaat, der eine Ausnahme von dem Grundsatz der Abwicklung von Grundkapitalaufstockungen der IDA in drei Jahresraten beantragt.
Als der Bundeshaushalt für das Jahr 1971 in Druck ging, konnte die Regierung noch nicht abschätzen, inwieweit Mittel auf Grund von Erhöhungen der Verpflichtungsermächtigungen für den Bereich der Kapitalhilfe herangezogen werden konnten. Aus diesen Gründen, Herr Dr. Althammer, haben wir die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums aufgegriffen und den Dreijahresturnus gewählt.
Bezüglich des Zinsverlustes ist folgendes zu sagen. Hier könnte natürlich die Frage gestellt werden, warum man nicht generell eine Verschiebung auf einen viel späteren Zeitpunkt vornimmt. Ihre Rechnung ist eine Milchmädchenrechnung. Ein Zinsverlust für den Bund tritt nicht ein. Es gibt allerdings zwei Alternativen. Die erste Alternative lautet: Wenn aus den laufenden Einnahmen finanziert wird, ergibt sich kein Zinsverlust, weil die Überschüsse aus den laufenden Einnahmen auf dem Zentralkonto des Bundes bei der Deutschen Bundesbank nicht verzinst werden. Die zweite Alternative lautet: Sollte zufällig dieser IDA-Anteil durch Haushaltskredite finanziert werden, entsteht auch dadurch keine zusätzliche Zinsbelastung, weil dann andere Ausgaben nach Maßgabe des Plafonds eingespart oder zurückgestellt werden.
Etwas polemisch, Herr Dr. Altkammer, könnte man sagen: Dieser Antrag auf Umdruck 116, den wir, das ist klar, ablehnen werden, stellt unter Beweis, daß Ihre Fraktion fester denn je davon überzeugt ist, auch noch 1974 in der Opposition zu sein.
({0})
Sonst würde sie dem Finanzminister im Jahre 1974 die vierte Rate der dritten und möglicherweise die erste Räte einer vierten Kapitalaufstockung der IDA ersparen.
({1})
Liegen weitere Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Über den Antrag auf Umdruck 130 *) brauchen wir nicht mehr abzustimmen; nachdem Abschnitt I abgelehnt worden ist, ist Abschnitt II gegenstandslos.
Wir stimmen über den Änderungsantrag auf Umdruck 116 ({0}) **) ab. Wer dem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung und vielen Gegenstimmen ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23. Wer ihm zustimmen will, der gebe das Handzeichen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme und zahlreichen Enthaltungen ist der Einzelplan angenommen.
Meine Damen und Herren, wir unterbrechen jetzt die Aussprache über das Haushaltsgesetz und gehen zur Fragestunde über. Ich kündige an, daß als nächste Einzelpläne die Einzelpläne 12 und 13, Verkehr und Post, aufgerufen werden.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksachen VI/1807, VI/1809 Ich rufe die Dringliche Mündliche Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen des Abgeordneten Müller ({1}) auf:
Womit begründet die Bundesregierung die durch das zuständige Bundesministerium angeordnete Einstellung des Luftpostverkehrs innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und im grenzüberschreitenden Verkehr?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, in der Nacht von
*) Siehe Anlage 11 **) Siehe Anlage 12
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Samstag auf Sonntag hat das für die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs zuständige Bundesverkehrsministerium für den gesamten grenzüberschreitenden und innerdeutschen Verkehr - einschließlich des Berlin-Verkehrs verschärfte Maßnahmen im Rahmen des § 29 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz angeordnet. Die Verschärfung erfolgte auf Grund zahlreicher nachrichtendienstlicher Informationen, die konkrete Hinweise über geplante Entführungen und andere die Sicherheit des Luftverkehrs gefährdende Anschläge zum Inhalt hatten. Im Zuge dieser verschärften Maßnahmen wurde vom Bundespostministerium die gesamte Luftpostbeförderung im innerdeutschen und grenzüberschreitenden Verkehr his auf Widerruf eingestellt. Die weitere Annahme der Post wurde von dieser Maßnahme nicht betroffen, da ein ausdrücklicher Annahmestopp zu keinem Zeitpunkt angeordnet wurde. Die Weiterleitung der Post auf dem Landwege innerhalb des Bundesgebietes und in die europäischen Nachbarländer führte nur zu geringen Verzögerungen. Die Beschränkungen der Postbeförderung wurden am Montag durch gezielte Einzelmaßnahmen ersetzt. Die Sicherungsmaßnahmen sind flexibel und werden ständig der jeweiligen Gefahrenlage angepaßt, ohne die Flüssigkeit und die Schnelligkeit des Luftverkehrs unnötig zu beeinträchtigen.
Eine Zusatzfrage.
Zählen Sie es zu den flexiblen Maßnahmen, wenn Beschränkungen im überseeischen Luftpostverkehr bis heute nicht aufgehoben worden sind?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Materie verträgt nach unserer Auffassung keine detaillierte öffentliche Erörterung. Sie wissen, daß wir es in den vergangenen Monaten mit besonderen Umständen zu tun hatten. Es ist kein Anlaß gegeben, anzunehmen, daß sich die Lage wesentlich verändert hätte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns Auskunft darüber geben, ob im Zuge der von Ihnen geschilderten Maßnahmen Briefsendungen, die für Berlin bestimmt waren und an sich über den Luftverkehr gegangen wären, auf dem Landweg dorthin befördert warden sind?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe angedeutet, daß die Beförderung der Luftpostsendungen im Laufe des Montags so geregelt wurde, daß bestimmte Bedenken nicht mehr bestehen.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Schmude:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß der Zweck der Entwicklungshilfe die Rückkehr in der Bundesrepublik Deutschland ausgebildeter Ausländer in ihre einheimischen Entwicklungsländer allgemein fordert, also auch dann, wenn das betreffende Land für den heimkehrenden Fachmann keine Verwendung hat oder seine in der Bundesrepublik Deutschland erworbene Befähigung nicht anerkennt und ihm dadurch die Betätigung in seinem Beruf unmöglich macht?
Bitte, Frau Staatssekretär!
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die Bundesregierung ist mit Ihnen, Herr Kollege Dr. Schmude, der Meinung, daß entwicklungspolitische Belange die Rückkehr von in der Bundesrepublik ausgebildeten Ausländern aus Entwicklungsländern in ihre Heimat zwingend fordern. Wie in Ihrer Frage angedeutet, wird von hier Ausgebildeten oft vorgebracht, es gebe für sie keine ausbildungsadäquate Arbeitsmöglichkeit in ihrer Heimat. Trotzdem dürfte im Laufe der Entwicklung des betreffenden Landes normalerweise ein Einsatz im in der Bundesrepublik erlernten Beruf möglich werden, zumal die Berufsbilder in den Entwicklungsländern oft weniger starr festgelegt sind als hier. Für eine Übergangszeit erscheint es nicht unzumutbar, daß der Rückkehrer auch außerhalb seines Arbeitsgebietes tätig wird.
Das von Ihnen außerdem angesprochene Problem der Anerkennung deutscher Examina wird von der Bundesregierung seit Jahren in Äquivalenzverhandlungen mit den in Betracht kommenden Ländern betrieben. Mit der Aufwertung der deutschen Ingenieurschulen zu Fachhochschulen erledigt sich ein wesentlicher Teil dieser Problematik. Im übrigen beweist die Erfahrung, daß selbst bei offizieller Nichtanerkennung deutscher Examina der Rückkehrer fast immer zu angemessenen Bedingungen in seinem Beruf beschäftigt wird.
Mein Haus ist bei den von Ihnen aufgeworfenen Problemen unmittelbar berührt bei der Vergabe von Stipendien aus Mitteln des BMZ. Dabei gehen wir von folgenden Grundsätzen aus. Die Vergabe der Fortbildungsstipendien wird streng an den voraussehbaren Bedarf der Entwicklungsländer gebunden. Die Fortbildungsförderung wird von der Anerkennung deutscher Examina abhängig gemacht. Das BMZ gibt bei der Wiedereingliederung Hilfestellung durch Nachkontaktmaßnahmen. Schließlich wird durch die Vergabe von Sur-place-Stipendien verstärkt die Ausbildung in den Entwicklungsländern selbst gefördert.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist in Ihrer Antwort berücksichtigt, daß z. B. der Irak von in Deutschland ausgebildeten Ärzten die Wiederholung des Examens verlangt, das die in der Bundesrepublik ausgebildeten regelmäßig nicht bestehen, weil sie die gesellschaftspolitischen Kenntnisse nicht haben, die dort neuerdings gefordert
werden, so daß sie damit aus dem ärztlichen Beruf ausgeschlossen sind?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege Dr. Schmude, ich kann mich nur auf das beziehen, was unmittelbar Stipendiaten, die mit Mitteln des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefördert werden, angeht. Aus diesen Fällen ist mir keiner bekannt, auf den diese Ihre Feststellung zutrifft. Ich wäre Ihnen allerdings dankbar, falls Sie Unterlagen besitzen, wenn Sie diese unserem Haus zuleiten könnten, übrigens auch um daraus zu erkennen, ob es sich um Stipendiaten, die aus öffentlichen Mitteln gefördert werden, handelt oder um in der Bundesrepublik Auszubildende, die ihr Studium aus anderen Quellen oder aus eigenen Mitteln finanzieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit, den bei der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen zu berücksichtigenden entwicklungspolitischen Zweck allgemeinverbindlich zu präzisieren, so daß dieser Zweck der Beurteilung der Polizeibehörde im Einzelfall entzogen ist?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Der Bereich, den Sie hier ansprechen, Herr Kollege, fällt in die Zuständigkeit des Bundesministers des Innern und auch in die Zuständigkeit der Länderinnenminister. Mein Haus ist lediglich darum gebeten worden, zu den Richtlinien, soweit sie entwicklungspolitische Belange betreffen, Stellung zu nehmen, und hat in dieser Stellungnahme ausdrücklich betont, daß aus entwicklungspolitischen Überlegungen eine Rückkehr soweit wie möglich angestrebt werden muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Meinung, daß der Zweck der Entwicklungshilfe nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann und daß unter diesem Gesichtspunkt auch das hier angesprochene Problem gesehen werden muß?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege, darauf kann ich mit Ja antworten.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie viele Ärzte und andere Experten aus Entwicklungsländern sind hier ausgebildet worden und haben vollen Abschluß, d. h. mit Examina und Praxis, erreicht, und wie viele sind nach dieser
Ausbildungszeit oder nach einer gewissen Frist, die nach der Ausbildungszeit verstrichen ist, in ihre Heimatländer zurückgekehrt? Können Sie das feststellen lassen?
Frau Freyh, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Kollege, ich kann Ihnen im Augenblick nur eine Auskunft geben, die die Zahl der in der Bundesrepublik ausgebildeten und noch nicht zurückgekehrten Ärzte betrifft. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen darüber hinaus auch eine schriftliche Antwort mit der Zahl der Zurückgekehrten zu geben.
Zur Zahl der im Augenblick in der Bundesrepublik ausgebildeten Ärzte möchte ich feststellen, daß es sich um 1100 aus Asien, um 700 aus Lateinamerika und um 300 aus Afrika handelt.
Die beiden anderen Fragen dieses Geschäftsbereichs, die Fragen 96 und 97 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}), die ursprünglich vom Auswärtigen Amt beantwortet werden sollten, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Frage 39 des Abgeordneten Dr. Pohle ist zurückgezogen worden. Wir kommen zur Frage 40 des Abgeordneten Meister. Ist der Abgeordnete im Saal? - Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Cramer auf:
Werden von der Bundesregierung Überlegungen angestellt, die Höchstbeträge für Sonderausgaben bei der Lohnsteuer zu erhöhen oder evtl. nach Wegen zu suchen, eine gerechtere Lösung zu finden?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, vor Verabschiedung der Reformgesetze die Höchstbeträge für Sonderausgaben zu erhöhen oder andere Lösungen in Erwägung zu ziehen. Diese Aufgabe bleibt der Steuerreform vorbehalten. Ob dabei die Höchstbeträge erhöht oder die Sonderausgaben in anderer Weise als bisher abgesetzt werden können, hängt in erster Linie auch vom zukünftigen Verfahren ab, das ebenfalls im Rahmen der Steuerreform geklärt wird. Abgesehen davon könnte eine Erhöhung der Höchstbeträge nicht auf die Arbeitnehmer beschränkt werden, sondern müßte aus verfassungsrechtlichen Gründen auf alle Einkommensteuerpflichtigen ausgedehnt werden.
Eine Zusatzfrage. Cramer ({0}) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß ein Angestellter mit einem Monatsgehalt von etwa 1900 DM Abzüge für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung von etwa 3000 DM im Jahr hat, während einem Ledigen nur der HöchstCramer
betrag von 1100 und einem Verheirateten der von 2200 DM zur Verfügung steht?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist mir zwar in dieser Genauigkeit nicht bekannt, aber ich kann mir vorstellen, daß es so ist.
Die zweite Zusatzfrage.
Meinen Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß Sie den Finanzämtern eine ganze Anzahl von Anträgen auf Jahreslohnsteuerausgleich ersparen könnten, wenn man diese Höchstbeträge erhöhte?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich halte das für möglich, muß aber noch einmal betonen, daß das eine typische Frage der Steuerreform ist, die nur in deren Rahmen geklärt werden kann. Wir haben uns bewußt vor dem Vorliegen des Berichts der Steuerreformkommission jeder Äußerung enthalten.
Eine Zusatzfrage.
von Bockelberg ({0}) : Herr Staatssekretär, liege ich richtig mit der Annahme, daß außer den Höchstbeträgen, die der Kollege genannt hat, noch weitere Höchstbeträge von 1000 DM für Ledige und von 2000 DM für Verheiratete gerade für diese Versicherungen zur Verfügung stehen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Jawohl, das ist richtig. Diese Beträge sind da.
Wir kommen zur Frage 42 des Abgeordneten Wagner ({0}). Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 43 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Sind Pressemeldungen zutreffend, nach denen sogenannte „Lohnsteuer-Fachleute" die Unkenntnis ausländischer Arbeitnehmer ausnutzen, indem sie ihnen die Lohnsteuerkarte des Jahres 1970 zu einem Preis, der weit unter dem zu erwartenden Rückzahlungsbetrag im Lohnsteuer-Jahresausgleich liegt, „abkaufen", um selbst den Steuerausgleich zu kassieren, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, derartige Geschäfte zu unterbinden?
Dr. ReiSchl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die von Ihnen angesprochenen Pressemeldungen beziehen sich auf Fälle, die in Bayern, insbesondere in München, vorgekommen sein sollen. Zu diesen Pressemeldungen hat der Bayerische Staatsminister der Finanzen in einer Pressekonferenz am 2. Februar 1971 Stellung genommen. Über diese Pressekonferenz ist vom Bayerischen Staatsminister der Finanzen eine Verlautbarung herausgegeben worden, die inzwischen in der Tagespresse abgedruckt wurde. Aus der Verlautbarung sind für die Beantwortung Ihrer Frage folgende Ausführungen wesentlich:
Anträge von ausländischen Gastarbeitern auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs werden nach den allgemeinen Vorschriften bearbeitet. Es war bisher nicht festzustellen, daß betrügerische Handlungen zu Lasten ausländischer Gastarbeiter begangen worden sind. Sollten allerdings nähere Einzelheiten oder sogar Namen bekanntgegeben werden und hinreichende Verdachtsgründe bestehen, wird die Finanzverwaltung nicht zögern, die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten. - Im übrigen ist die Finanzverwaltung bemüht, die ausländischen Gastarbeiter noch intensiver als bisher über ihre Rechte aufzuklären. Sie kann aber nur vorsorglich vor Abtretungen an zweifelhafte Dritte warnen. Eine unmittelbare Möglichkeit der Einflußnahme auf ausländische Gastarbeiter besteht insoweit nicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was kann man denn tun, um möglichen Fällen, wie sie hier aufgezeigt worden sind, entgegenzutreten? Kann man nicht eine Aufklärung der Gastarbeiter betreiben, die diese vor solchen Manipulationen warnt?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, wie ich schon gesagt habe, ist die Aufklärung der einzige Weg, weil eine unmittelbare Einwirkung bei der bürgerlich-rechtlich an sich möglichen Abtretung nicht möglich ist. Wir als Finanzverwaltung können diese Abtretung nicht verbieten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht möglich, den Lohnsteuerkarten für ausländische Arbeitnehmer ein Merkblatt in der jeweiligen Landessprache beizufügen, in dem auf die Möglichkeiten, die bestehen, hingewiesen wird?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, man müßte prüfen, ob man wenigstens eine Kurzinformation über die Rechte, die man bei der Lohnsteuer hat, beifügen könnte. Daß jemand seine Ansprüche abtritt, kann man auf diesem Wege nicht verhindern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnte das ganze Problem nicht dadurch aus der Welt geschafft werden, daß die Finanzämter bei der summarischen Vorlage solcher Lohnkonten genau prüfen, wer der Einreicher ist?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das geschieht ohnehin schon. Es wird eingehend geprüft, wer der
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
Berechtigte ist. Aber wenn eine formell gültige Abtretungserklärung für die Ansprüche des Berechtigten vorliegt, ist dagegen nichts zu machen.
Keine Zusatzfrage mehr.
Dann rufe ich die Frage 44 des Abgeordneten von Alten-Nordheim auf:
Bedeutet die Anweisung des Bundesministers der Finanzen an die Dienststellen der Bundesvermögensverwaltung, für Grundstückserwerbe von pauschalierenden Land- und Forstwirten in den Jahren 1968 und 1969 keine Umsatzsteuer zu zahlen, eine umsatzsteuerliche Sonderstellung des Fiskus im Sinne einer Freistellung von der Zahlungsverpflichtung, obwohl dies gemäß § 24 UStG i. V. m. Einführungserlaß BdF vom 20. Dezember 1968 - IV A/3 - S 7410 - 41/68 - allgemein vorgeschrieben ist?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die von Ihnen erwähnte Anweisung meines Hauses an die Dienststellen der Bundesvermögensverwaltung bedeutet keine umsatzsteuerrechtliche Sonderstellung des Fiskus. Die Möglichkeit, die Zahlung der von den Land- und Forstwirten in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis zum 31. Dezember 1969 unter Berufung auf § 24 des Umsatzsteuergesetzes zusätzlich zum maßgebenden Grundstückspreis gesondert berechneten Umsatzsteuer abzulehnen, bestand vielmehr für alle Grundstückserwerber; denn aus dieser umsatzsteuerrechtlichen Bestimmung und dem hierzu ergangenen Erlaß meines Hauses vom 20. Dezember 1968 ließ sich nicht - wie zum Teil angenommen wurde - die Berechtigung für eine zusätzliche Anforderung der Umsatzsteuer herleiten. Sie besagte lediglich, daß der Land- und Forstwirt berechtigt und auf Verlangen des Erwerbers verpflichtet war, den im Einzelfall ermittelten oder zwischen den Beteiligten vereinbarten Grundstückspreis in das umsatzsteuerliche Entgelt und die darauf entfallende Steuer aufzuteilen. Der Sinn dieser Regelung lag darin, dem Käufer, der das Grundstück für seinen unternehmerischen Bereich erwarb, den Vorsteuerabzug zu ermöglichen.
Zusatzfrage.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich jeder der Besteuerung unterliegt, bei dem der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht anknüpft, und daß das auch bedeutet, daß Behörden oder behördenähnliche Institutionen, soweit sie Rechtsgeschäfte tätigen, die der Besteuerung unterliegen, ebenfalls zur Leistungspflicht herangezogen werden müssen?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das ist im Grunde sicher richtig, allerdings nicht uneingeschränkt; denn es gibt auch gewisse gesetzliche Bestimmungen, worin Ausnahmen gemacht sind.
Zusatzfrage.
von Alten-Nordheim ({0}) : Herr Staatssekretär, wie würden Sie das Verhalten des Fiskus rechtlich beurteilen, wenn Ihnen umgekehrt Fälle bekannt würden, nach denen fiskalische Institutionen als Veräußerer die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen und von Land- und Forstwirten verlangt haben?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich würde dies nur für möglich halten, wenn der Käufer von der veräußernden Stelle die gesonderte Ausweisung der Umsatzsteuer verlangt hat. Aber ich halte es für ausgeschlossen, daß die Umsatzsteuer, ohne daß die gesonderte Ausweisung verlangt wird, zusätzlich gefordert wird. Das würde der Fiskus wohl kaum tun. So war der Erlaß auch nicht gedacht, Herr Kollege. Er war so gedacht, daß der Käufer, der seinerseits zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, vom Fiskus eine Aufteilung verlangen kann. Ich halte es nach den ganzen Erlassen für zulässig, daß der Fiskus meinetwegen sagt: „Wir haben 10 000 DM vereinbart. Davon sind soundso viel der echte Preis und soundso viel die Umsatzsteuer." In diesem Fall wird der vereinbarte Preis zugunsten des Erwerbers aufgeteilt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Bäuerle auf:
Trifft es zu, daß sich amerikanische Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihres besonderen Status weigern können, die in ihren Familienwohnungen anfallenden Abfälle nicht in örtliche Müllverbrennungsanlagen befördern zu lassen, sondern statt dessen private Abfallgruben benutzen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Nach Art. 53 Abs. 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut können die amerikanischen Streitkräfte innerhalb der ihnen überlassenen Liegenschaften hierzu gehören auch Familienwohnungen - auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ihre eigenen Vorschriften anwenden, soweit diese gleichwertige oder höhere Anforderungen stellen als das deutsche Recht. Die Beantwortung der Frage wird deshalb im Einzelfall davon abhängen, welche örtlichen deutschen Vorschriften zur Müllbeseitigung bestehen, ob diese höhere Anforderungen auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stellen als die amerikanischen Vorschriften und ob das von den US-Streitkräften im Einzelfall gewählte Müllbeseitigungsverfahren diesen höheren Anforderungen genügt. Wenn dem Bundesfinanzministerium Fälle bekannt werden, in denen es auf örtlicher Ebene zu Schwierigkeiten gekommen ist, wird es diese Fälle prüfen und, soweit erforderlich, die geeigneten Schritte unternehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bäuerle.
Darf ich Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie bereit sind, in dem konkreten Falle, der meiner Anfrage zugrunde liegt - es handelt
sich um zwei amerikanische Garnisonen in Hanau und in Badenhausen, die nach wie vor ihren Müll in eine offene Grube im Kreisgebiet des Kreises Offenbach abladen, obwohl die Stadt und der Kreis Offenbach vor geraumer Zeit eine Müllverbrennungsanlage gebaut haben, die zur Zeit arbeitet -, im Rahmen Ihres Hauses und Ihrer Zuständigkeit über amerikanische Stellen zu intervenieren, daß dieser Mißstand abgestellt wird?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Ich bin gern bereit, wenn Sie die Angelegenheit in allen Einzelheiten schriftlich an mich herantragen, der Sache nachzugehen und zu versuchen, sie im Einvernehmen mit den Amerikanern zu lösen.
Keine Fragen mehr aus diesem Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung.
Zunächst die Frage 64. Der Fragesteller, Abgeordneter Folger, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Apel:
Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung verschiedener Industriezweige in der Bundesrepublik Deutschland, bei Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften die bislang grundsätzlich auf ein Jahr begrenzten Arbeitsverträge auf zwei bis drei Jahre zu erhöhen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Dr. Apel, die Bundesanstalt für Arbeit vermittelt über ihre Auslandsdienststellen grundsätzlich nur dann ausländische Arbeitnehmer, wenn eine Befristung des Arbeitsvertrages auf höchstens ein Jahr vorgesehen ist. Damit soll sichergestellt werden, daß ausländische Arbeitnehmer nicht über Gebühr an einen bestimmten Arbeitgeber gebunden werden. Nach Ablauf dieser Jahresfrist steht es den Vertragspartnern frei, den Arbeitsvertrag unbefristet zu verlängern oder sich voneinander zu trennen.
Nach den Erfahrungen meines Hauses hat sich diese einjährige Befristung der Arbeitsverträge im allgemeinen bewährt. Deshalb ist auch keine Ausdehnung dieser Frist beabsichtigt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Apel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß einzelne Wirtschaftszweige mit der Bundesanstalt verhandeln, um eine Verlängerung der Frist zu erreichen, mit dem Ziel, die Abhängigkeit der ausländischen Arbeitnehmer von dem jeweiligen Betrieb zu verstärken?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ich habe davon gehört, möchte aber zur Sache selbst auf meine Antwort verweisen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Apel.
Ich interpretiere Ihre Antwort also richtig, wenn ich feststelle, daß Sie sich derartigen Tendenzen im übrigen mit meiner Zustimmung widersetzen werden?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Ja, wir würden uns dagegen aussprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, sind Sie im Sinne Ihrer Antwort bereit und in der Lage, darauf einzuwirken, daß vor Anwerbung neuer ausländischer Arbeitnehmer oder vor Verlängerung von Arbeitsverträgen dafür gesorgt wird, daß die zum Teil fehlenden sozialen Voraussetzungen, vor allem Wohnungen usw., gesichert sind?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich hatte schon einmal Gelegenheit, auf eine Zusatzfrage von Ihnen darauf hinzuweisen, daß die Verhältnisse regional unterschiedlich sind. Wir sind mit der Bundesanstalt im Gespräch, sogenannte Koordinierungsausschüsse auf lokaler Ebene zu schaffen, in denen neben der Arbeitsverwaltung auch die sonstigen an diesen Problemen beteiligten Stellen vertreten sein sollen. Es würde dann möglich sein, Schwierigkeiten der Art, wie Sie sie hier angedeutet haben, in solchen regionalen Koordinierungsausschüssen zu erörtern.
Ich rufe dann die Frage 66 des Abgeordneten Gerlach ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Streitfrage, ob dem Rentner nach dem Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz ein Erklärungsrecht als außerordentliches Kündigungsrecht zur sofortigen Lösung seines privaten Krankenversicherungsvertrages zusteht oder ob der Gesetzgeber es übersehen hat, diese Frage einwandfrei zu lösen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen des Abgeordneten Gerlach zusammen beantworten dürfte.
Ist der Fragesteller einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 67 des Abgeordneten Gerlach ({0}) auf:
Hält die Bundesregierung eine Ergänzung des Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetzes zur Beseitigung dieser Rechtsunsicherheit für notwendig?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Eine bestimmte Gruppe von Rentnern kann nach Art. 4 § 3 des Zweiten Krankenversicherungsänderungsge5694
Parlamentarischer Staatssekretär Rohde
setzes bis zum 31. März 1971 der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Erklärung beitreten, „daß die Versicherungspflicht wirksam werden soll". Für die Lösung des privaten Versicherungsertrages gilt in diesem Falle das in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Krankenversicherungsunternehmen vorgesehene Recht zur vorzeitigen Kündigung bei Eintritt der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine besondere gesetzliche Regelung wurde deshalb bei den parlamentarischen Beratungen nicht für erforderlich gehalten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Sprecher des Verbandes der privaten Krankenversicherungen die Meinung vertreten hat, es handele sich bei diesem erörterten Beitrittsrecht um keine Pflichtversicherung, da der Beitritt kraft Erklärung, die ja von dem Versicherten abgegeben werden muß, erfolgt und nicht kraft Gesetzes und daß sich hieraus ergebe, daß die Rentner eigentlich nur nach normaler Kündigung aus ihrer Verpflichtung entlassen werden könnten. Ich beziehe mich hierbei auf eine Meldung des „Main-Echo" vom 2. Februar 1971.
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich darf Sie auf die Beratungen des Gesetzes im letzten Jahr und auf die Ausschußdokumentation verweisen. Es würde die Fragestunde überziehen, wenn ich das an dieser Stelle im einzelnen darlegen sollte. Aber ich bin gern bereit, Ihnen das auf schriftlichem Wege mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie mir versichern, daß diese Frage insbesondere mit den Vertretern des Verbandes der privaten Krankenversicherungen von Ihrem Hause abgeklärt wird, nachdem offensichtlich dort Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind? Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, wenn ich mich recht erinnere, sind die Vertreter der privaten Krankenversicherungen sowohl bei der Entwicklung des Referentenentwurfs in unserem Hause als auch bei den parlamentarischen Beratungen gehört worden.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Kann die Bundesregierung darauf hinwirken, daß die jährliche Rechtsverordnung über das anzurechnende Einkommen gemäß I 33 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes so rechtzeitig erlassen wird, daß bei den Versorgungsämtern die Berechnung der Ausgleichsrente für die Kriegsopfer möglichst schon zum 1. Januar des nächsten Jahres erfolgen kann?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesmnister für Arbeit und Sozialordnung: Herr
Kollege Dr. Enders, der Zeitraum für den Erlaß der von Ihnen angesprochenen jährlichen Rechtsverordnung ist nach geltendem Recht sehr begrenzt, da diese Verordnung jeweils rechtlich abhängig ist von der im gleichen Jahr für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherungen zu erlassenden Bezugsgrößenverordnung, die ihrerseits von der amtlichen Feststellung bestimmter statistischer Daten abhängt. In meinem Hause wird zur Zeit geprüft, ob eine Änderung des bisherigen Verfahrens, notfalls durch eine Modifizierung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes, erreicht werden kann. In jedem Falle werden wir uns weiterhin bemühen, die jährliche Anrechnungsverordnung so früh wie möglich zu erlassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Enders.
Könnte dann damit gerechnet werden, daß künftig die Kriegsopfer nicht mehr drei Monate warten müssen, bis die Neuberechnung erfolgt ist und der Betrag ausgezahlt werden kann?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, in welche Richtung unsere Bemühungen zielen. Nur darf ich um Ihr Verständnis dafür bitten, daß vor Abschluß der sehr schwierigen Verfahrensfragen ich hier noch nicht auf eine Frist abheben möchte.
Danke schön.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Glombig.
Herr Staatssekretär, ist es möglich, daß die schleppende Durchführung der Rechtsverordnung zu § 33 des Bundesversorgungsgesetzes auch auf die unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse in den Versorgungsämtern bzw. Landesversorgungsämtern der einzelnen Länder der Bundesrepublik zurückzuführen ist, und haben Sie einen Überblick darüber, was man tun kann, um hier zu einer möglichst einheitlichen schnellen Bearbeitung der Umstellung dieser Leistungen zu kommen?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege, ich will nicht ausschließen, daß die von Ihnen genannten Unterschiede in der Praxis bestehen. Aber ehe ich mich dazu präziser äußere, würde ich das doch gern zunächst auf einer der nächsten Zusammenkünfte der Ländervertreter besprechen, die insbesondere auf dem Felde des Versorgungsrechtes tätig sind.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Haack auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, gesetzlichen Krankenkassen ({0}) das Recht zu geben, bei langdauernden Krankheitsfällen Krankenhauspflege unbeschränkt - d. h. über die jetzt geltende 78-Wochen-Frist hinaus - zu gewähren?
Rohde, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Dr. Haack, Krankenhauspflege wird grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung gewährt; für den Fall der Krankenhauspflege wegen derselben Krankheit besteht der Anspruch jedoch nur für höchstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren. Im Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Zweiten Krankenversicherungsänderungsgesetz wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß mit der Änderung der Vorschriften über die Gewährung von Geldleistungen während der Krankenhauspflege die Dauer des Anspruchs auf Krankenhauspflege nicht verändert werden sollte. Im Rahmen der Arbeiten der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung soll geprüft werden, ob die Krankenhauspflege auch bei derselben Krankheit ohne zeitliche Begrenzung gewährt werden kann.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Treffen Meldungen zu, wonach die Bundesregierung erwägen soll, die Vorschriften des § 12 Abs. 4 Nr. 1 a, 1 b und 2 des Wehrpflichtgesetzes so abzuändern bzw. einzuengen, daß künftig wehrdienstpflichtige Betriebsleiter landwirtschaftlicher Betriebe ohne Ausnahme und ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Nachteile des Betriebes zum Wehrdienst herangezogen werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, ich möchte gern mit Ihrer Genehmigung die beiden Fragen gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ferner die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Jenninger auf:
Wenn ja, wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß landwirtschaftliche Betriebe, für deren Erhaltung und Fortführung der Wehrpflichtige unentbehrlich ist, im Falle der Heranziehung des Betriebsleiters zum Wehrdienst noch weiter existieren können?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Meldungen, wonach die in Ihrer ersten Frage angesprochenen Gesetzesbestimmungen geändert werden sollen, treffen nicht zu, Herr Kollege Dr. Jenninger. Wegfallen soll allerdings die zur Zeit noch bestehende Möglichkeit, Wehrpflichtige aus Härtegründen für den verkürzten Grundwehrdienst vorzusehen ({0}) .
Da der verkürzte Grundwehrdienst aus organisatorischen Gründen nicht durchgeführt werden kann, bedeutet dies, daß Wehrpflichtige, die im eigenen oder elterlichen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb tätig sind, überhaupt nicht zum Grundwehrdienst herangezogen werden. Die vorgesehene Neuregelung beseitigt dieses „Privileg" und trägt damit durch Gleichbehandlung des genannten Personenkreises mit allen anderen Wehrpflichtigen zur größeren Gerechtigkeit bei der Heranziehung eines Jahrgangs bei.
Betriebsleiter landwirtschaftlicher Betriebe können auch künftig wie alle anderen Wehrpflichtigen vom Wehrdienst zurückgestellt werden, wenn durch die Heranziehung die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Betriebes vernichtet werden würde. Auch die Möglichkeit einer Unabkömmlichstellung im öffentlichen Interesse bleibt nach wie vor bestehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, würden Sie dem Bescheid einer Wehrerfassungsbehörde zustimmen, die den Zurückstellungsantrag eines aus der Landwirtschaft kommenden Wehrpflichtigen mit der Begründung ablehnt, die Aufgabe der Viehhaltung sei für die Zeit, in der ein junger Landwirt eingezogen werde, ohne weiteres zumutbar?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, ich weiß, daß in der Landwirtschaft besonders schwierige Fälle auftreten können. Aber ich kann über diesen Einzelfall keine Auskunft geben, da ich ihn dann genau wie die zuständige Verwaltungsbehörde prüfen müßte. Es besteht für denjenigen, der die Unabkömmlichkeit beantragt hat, die Möglichkeit, einen Ausschuß anzurufen, und ich kann Ihnen nur anraten, diese Entscheidung herbeizuführen.
Ich rufe die Frage
des Abgeordneten Walkhoff auf. Ist er im Saal? Der Fragesteller ist nicht da; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Josten auf:
Wieweit ist sichergestellt, daß Wehrpflichtige, welche am 1. Oktober 1969 eingezogen wurden und ihr Studium mit dem Sommersemester 1971 beginnen wollen, vorzeitig entlassen werden können?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Josten, Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht am 1. Oktober 1969 zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen worden sind und im Sommersemester 1971 ein Studium an einer höheren Fachschule, z. B. einer staatlichen oder staatlich anerkannten Ingenieurschule, oder an einer vergleichbaren Einrichtung aufnehmen wollen, können auf Antrag zum Semesterbeginn beurlaubt werden. Die Höchstdauer der Beurlaubung beträgt einen Monat vor Ablauf der regulären Dienstzeit. Die Geld- und Sachbezüge einschließlich der freien Heilfürsorge entfallen, sofern der Urlaub genehmigt wird. Der Wehrpflichtige hat in seinem Antrag auf Beurlaubung lediglich nachzuweisen, daß er für ein Studium zu dem in seinem Antrag genannten Termin zugelassen ist.
Einer Regelung für Abiturienten des Einstellungstermins 1. Oktober 1969 bedurfte es nicht, weil die Entlassung zum 31. März 1971 die Aufnahme eines Studiums an einer wissenschaftlichen Hochschule im Sommer 1971 - Vorlesungsbeginn etwa 15. April 1971 - ermöglicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird es nicht zweckmäßig sein, für Wehrpflichtige, die ihren Dienst ableisten und ein Studium aufnehmen wollen, eine generelle Regelung zu treffen, wobei sichergestellt werden müßte, daß keine Benachteiligung gegenüber denjenigen Wehrpflichtigen eintritt, die nicht zur Wehrpflicht herangezogen werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Josten, diese Frage ist nicht neu, und wir haben uns in großen Debatten und in Fragestunden häufig damit beschäftigt. Sie wissen, daß für diese Lösung Zustimmung der Universitäten, der Kultusminister und von uns notwendig ist. Wir sind dabei, dieses Einvernehmen herzustellen. Nichtsdestoweniger wird auch in Zukunft derjenige, der nicht zum Grundwehrdienst herangezogen wird, einen zeitlichen Vorzug haben, den wir durch nichts, aber auch durch gar nichts ausgleichen können. In der Karnevalszeit, Herr Josten, sei mir erlaubt: Gummimonate können auch wir nicht erfinden.
Die Frage 6 des Abgeordneten Jung:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Weigerung der Bundeswehr, Berufssanitätsoffiziersanwärtern Studienplätze zur Verfügung zu stellen, obwohl ein Mangel an solchen Offizieren vorliegt und die Bundeswehr diesen Mangel durch „Ausleihen" von Ärzten ausgleichen muß, die nicht der Bundeswehr angehören?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, die Frage geht von der Annahme aus, daß die Bundeswehr in der Lage wäre, Sanitätsoffiziers-Anwärtern Studienplätze zur Verfügung zu stellen. Dies trifft leider nicht zu. Vielmehr liegt die Zuständigkeit für die Studienzulassung ausschließlich bei den Hochschulen und Universitäten. Alle Versuche des Bundesministeriums der Verteidigung in Absprache mit den Kultusministerien der Länder bzw. den Hochschulen zu einer grundsätzlichen Bereitstellung von Studienplätzen für Sanitätsoffizier-Anwärter zu kommen, haben trotz der Aufgeschlossenheit der Länder für diese Frage noch zu keiner verbindlichen Regelung geführt. Das Bundesministerium der Verteidigung ist daher bemüht, die Aufnahme eines Passus in das Hochschulrahmengesetz sowie in die Hochschulgesetze der Länder zu erreichen, wonach ein Teil der Studienplätze für Anwärter für den öffentlichen Sanitätsdienst bereitgestellt wird. „Öffentlicher Sanitätsdienst" schließt die Sanitätsoffizier-Laufbahn ein.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Tatsache, daß das Bundesministerium keine Studienplätze zur Verfügung stellen kann, ist mir natürlich bekannt. Aber wird die Berufssanitätsoffizier-Laufbahn, die wir bzw. das Ministerium neu eingeführt haben, um den Mangel an Sanitätsoffizieren, und zwar Berufssanitätsoffizieren, zu beheben, nicht zur Farce, wenn es dem Bundesverteidigungsministerium nicht gelingt, in Absprache mit der Kultusministerkonferenz zumindest eine bestimmte Anzahl von Studienplätzen für diese Gruppe der künftigen Berufssanitätsoffiziere an den Universitäten bereitzustellen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Jung, Sie gehören einer liberalen Partei an, und Sie wissen, daß ein Wesenszug des Liberalismus die Kunst zum Kompromiß ist. Ich würde nicht so absolut argumentieren, wie Sie hier argumentieren, wenn Sie zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, daß von den insgesamt 81 Sanitätsoffizier-Anwärtern der Einstellungsjahrgänge 1969 und 1970 - andere Zahlen stehen mir nicht zur Verfügung - bisher 26, also etwa ein Drittel der Bewerber, ohne Studienplatz geblieben sind. Für zwei Drittel ist es gelungen, einen Studienplatz zu finden.
Zusatzfrage.
Darf ich daraus schließen, Herr Staatssekretär, daß sich das Ministerium auch künftig dafür verwenden wird, diesen SanitätsoffizierAnwärtern, die bisher noch keinen Studienplatz bekommen haben, in Absprache mit den Ländern und den dafür zuständigen Kultusministern noch einen entsprechenden Studienplatz an einer Universität zu verschaffen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Jung, natürlich bemühen wir uns. Sie sind ja schon der Stachel, der mich zwingt, mich laufend aktiv in dieser Frage zu betätigen.
Frage 7 des Abgeordneter Jung:
Aus welchem Grunde erhalten Angehörige der Bundeswehr, die bei Wahlen zu kommunalen Vertretungskörperschaften kandidieren, lediglich eine stundenweise Dienstbefreiung, während Kandidaten zum Bundestag oder Landtag vom Dienst beurlaubt werden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Wie auch Ihnen bekannt ist, Herr Kollege Jung, ist der Wahlkampf zu einer kommunalen Vertretungskörperschaft hinsichtlich seines Umfangs und damit der Beanspruchung des Kandidaten nicht mit dem Wahlkampf zum Deutschen Bundestag oder zu einem Landtag der deutschen Länder zu vergleichen. Er bedarf vergleichsweise nicht so eingehender Vorbereitung und - das ist das Wesentliche - er wird in der Regel in der Wohngemeinde des Kandidaten durchgeführt. Hierzu darf ich auch daran erinnern, daß im Gegensatz zur Mandatsausübung im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag der Mandatsträger in einer kommunalen Vertretungskörperschaft eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt, ohne daß er in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird.
Aus diesem Grunde ist mit Erlaß vom 3. Dezember 1970 angeordnet worden, daß Soldaten, die ihre Wahl in eine kommunale Vertretungskörperschaft
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan
vorbereiten wollen, die erforderliche Dienstbefreiung zu bekommen haben. Der Anspruch auf Dienstbefreiung entsteht mit der Bekanntgabe der öffentlichen Kandidatur, frühestens jedoch zwei Monate vor dein Wahltag.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich meine Frage im wesentlichen auf die Wahl in einen Bezirkstag bezog, der nicht ohne weiteres mit einer kommunalen Vertretung in einer Stadt oder einer Gemeinde oder mit einem Kreistag vergleichbar ist, frage ich Sie: Besteht bei Bezirkstagswahlen, die bekanntlich nur in Bayern und in der Pfalz stattfinden und nicht identisch sind mit der Wahl zu einer kommunalen Vertretungskörperschaft, die Möglichkeit, die Kandidaten in der Weise freizustellen, wie das für Landtags- und Bundestagswahlen der Fall ist?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Wir werden das prüfen, Herr Kollege Jung. Das Phänomen der Bezirkstage ist mir erst bekanntgeworden durch die Beratungen im Verteidigungsausschuß, an denen Sie sich ja aktiv beteiligt haben.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Wie erklart es die Bundesregierung, daß des Bundesministerium der Verteidigung inzwischen bereits die Genehmigung für Übungsflüge des Senkrechtstarters „Harrier" in der Venloer Heide erteilt hat, und warum ist vor Erteilung dieser Genehmigung nicht der vom Parlamentarischen Staatssekretär Berkhan am 15. September 1970 zugesagte Anhörungstermin nach dem Luftverkehrsgesetz mit den betroffenen örtlichen Behörden durchgeführt worden?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Wie Ihnen bekannt ist, Herr Kollege Hammans, ist diese Frage das Thema eines Briefwechsels zwischen Ihnen und mir. Vorab teile ich Ihnen daher mit: Das Verteidigungsministerium hat den britischen Gaststreitkräften die Genehmigung für Übungsflüge des Senkrechtstarters „Harrier" in der Venloer Heide erteilt, nachdem feststand, daß es dazu der Anlage eines Flugplatzes nicht bedurfte. Ein inzwischen vorsorglich eingeleitetes Anhörungsverfahren wurde deshalb auch vom Verteidigungsministerium nicht weiter fortgesetzt.
Der Flugzeugtyp „Harrier' der Royal Air Force ist dazu bestimmt, in beliebigem Gelände zu landen und zu starten. Das muß bereits in Friedenszeiten zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft und des Einsatzwertes unter wechselnden Bedingungen laufend geübt werden. Die Royal Air Force legt deshalb Wert darauf, an möglichst vielen Geländestellen den Einsatz zu üben. Ein und dieselbe Stelle im Gelände wird daher nur in größeren Abständen und durch jeweils nur wenige Flugzeuge benutzt. Die Rechtsgrundlage dafür liegt aber im Manöverrecht des Bundesleistungsgesetzes, §§ 66 ff.
Über eine unterschiedliche Rechtsauffassung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen findet zur Zeit noch ein Schriftwechsel mit ihr statt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie eine Bundesregierung, die dem zuständigen Wahlkreisabgeordneten einen Brief schreibt und ihn in dem Glauben läßt, daß über die Zulassung zum Landen und Starten -
Es ist nicht Aufgabe eines Staatssekretärs, seine Regierung zu beurteilen. Ich lasse die Frage nicht zu.
Ich formuliere die Frage anders. Herr Staatssekretär, warum schreiben Sie mir im September einen Brief, in dem Sie Verhandlungen andeuten, und genehmigen gleichwohl direkt den Briten das Landen und Starten, ohne mir irgendeine Mitteilung zu machen und ohne daß die zuständigen Kreise und Gemeinden davon etwas erfahren?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege, ich muß zugeben, es ist mir entgangen, daß wir mittlerweile Feststellungen getroffen hatten, die mir bis dato, als ich den Briefwechsel unterschrieb, nicht bekannt waren, Daher habe ich Ihnen eben gesagt, daß ich Ihnen, bevor ich meinen Brief an Sie abschicke, schon hier eine Auskunft gebe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß es eine unzumutbare Lärmbelästigung für Besucher des Naturparks diesseits und jenseits der Grenzen ist, wenn der „Harrier" dort mehrmals wöchentlich landet und startet?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Hammans, es ist ohne Zweifel eine Zumutung. Wenn ich Ihnen zustimmte, daß die Zumutung unzumutbar ist, würde das bedeuten, daß die britischen Streitkräfte das Flugzeug abziehen müßten.
({0})
Ich weiß nicht, ob die Fragestunde geeignet ist, eine so ernste und für die Sicherheit so entscheidende Frage zu behandeln. Ich glaube nicht, Herr Kollege Hammans, daß die Royal Air Force und die Regierung Ihrer Majestät, aber ich glaube auch nicht, daß die Bundesregierung leichtfertig eine Lärmbelästigung in unseren Einwohnergebieten zuläßt, sondern das alles steht im Zusammenhang mit der Verpflichtung, die die Royal Air Force im Rahmen des NATO-Vertrages übernommen hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie, nachdem ich ja den anderen Weg beschritten hatte, nämlich Ihnen zu schreiben, und nachdem
ich von Ihnen keine Antwort bekommen habe, bereit, mir zuzugeben, daß mir nichts anderes übrigblieb, als damit in die Fragestunde zu gehen?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Das gebe ich Ihnen gern zu, Herr Kollege Hammans. Ich habe das auch nicht zu kritisieren, daß Sie in die Fragestunde gegangen sind. Ich stelle nur fest, daß ich hier für den Bundesminister der Verteidigung und für die Bundesregierung keine Antwort auf die Frage geben kann, was bei fliegenden Verbänden der befreundeten oder der eigenen Luftwaffe zumutbar oder nicht zumutbar ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jung.
Herr Staatssekretär, ist es nicht gerade der große Vorteil eines senkrecht startenden und landenden Flugzeugs, wie es der „Harrier" darstellt, daß die Lärmbelästigung auf einen Punkt konzentriert ist und nicht in einer geraden Linie die Bevölkerung beeinträchtigt, daß also gerade ein solches Flugzeug die Frage der Lärmbelästigung, die wir immer wieder haben, mit positiv löst?
Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Jung, das trifft nur sehr eingeschränkt zu. Es muß zugegeben werden, daß das Flugzeug „Harrier" Lärm verursacht. Aber leider gibt es noch kein Flugzeug, welches geräuschlos fliegt.
Keine Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Berkhan.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Meister auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage zum Stenographischen Bericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf. Er ist auch nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Müller ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in Schweden durch den Technischen Überwachungsdienst geübte Praxis, in regelmäßigen Abständen von sechs Monaten Einzelstatistiken ihrer Untersuchungen zu publizieren, aus denen die „schwachen Punkte" aller geprüften Automodelle, insbesondere im Bereich der Sicherheit, hervorgehen, und hält sie die Einführung eines solchen Verfahrens in der Bundesrepublik Deutschland für möglich und wünschenswert?
Bitte schön!
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, nach Ansicht der Bundesregierung ist die statistische Erfassung der Untersuchungsergebnisse bei der technischen Fahrzeugüberwachung erforderlich. Solche Statistiken werden seit fünfzehn Jahren auch im Bundesgebiet geführt und halbjährlich veröffentlicht. Das schwedische System unterscheidet sich hiervon durch die besondere Angabe der Fabrikate und Fahrzeugtypen. Im Bundesgebiet besteht bei der zur Zeit laufenden Umstellung der Statistik auf elektronische Datenverarbeitung die Möglichkeit, die gleichen Daten zu erhalten wie in Schweden. Über die Veröffentlichung solcher Daten kann erst nach der Umstellung entschieden werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, meine Frage ging aber in die Richtung, ob es die Bundesregierung für wünschenswert hält, ähnlich wie in Schweden zu verfahren, ob sie beispielsweise das Vorhaben des Technischen Überwachungsvereins Rheinland begrüßt, das, aufbauend auf dem schwedischen Beispiel, so zu verfahren beabsichtigt.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, Ihre Frage kann bejaht werden. Allerdings ist eine solche Statistik nur aussagekräftig, wenn sie einheitlich für das ganze Bundesgebiet geführt wird. Deshalb bitte ich um Verständnis, daß während der Zeit der Umstellung hier noch keine Bewertung gegeben werden kann. In der Tendenz sind wir aber durchaus Ihrer Meinung.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, würden Sie es wie ich für unverständlich halten, wenn sich die deutsche Automobilindustrie - wie bereits geschehen - massiv gegen ein solches Vorhaben wendet, während die gleiche Industrie - in jeder Tageszeitung und in jedem Journal nachzulesen - der Öffentlichkeit ausschließlich die positiven Seiten ihrer Produkte unterbreitet?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Bundesregierung hat auf die Sicherheit der Fahrzeuge und auf den Schutz des Verbrauchers zu achten. Daraus ergibt sich die Antwort auf Ihre Frage.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Auch die Frage 15 des Abgeordneten Geldner wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Haar auf:
Kann die Bundesregierung Angaben über Zahl und Ausmaß von Schadensfällen machen, die durch explodierte oder in Brand geratene Fernsehgeräte entstanden sind?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Frau Präsidentin, ich bitte um Ihre Zustimmung, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Haar gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege einverstanden ist.
Einverstanden! Dann rufe ich noch die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Haar auf:
Besteht die Möglichkeit, daß die Deutsche Bundespost beim Zulassungsverfahren von Fernsehgeräten bestimmte Vorschriften - ähnlich den VDE-Vorschriften - erläßt, damit die Schadensgefahr auf Grund von Explosionen oder Bränden von Fernsehgeräten vermindert wird?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, es gibt keine verläßlichen Unterlagen über Schadensfälle, die durch implodierte Bildröhren oder in Brand geratene Fernsehgeräte entstanden sind, weil darüber keine statistischen Erhebungen vorgenommen werden. Die Deutsche Bundespost prüft im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach dem Fernmeldeanlagengesetz an Hand von Serienmustern, ob die Fernsehgeräte Störungen bei anderen Geräten oder bei Funkdiensten verursachen.
Für die elektrische Sicherheit ist der Hersteller der Apparate verantwortlich. Er ist verpflichtet, sich nach den einschlägigen VDE-Vorschriften zu richten. Das VDE-Prüfzeichen tragen nur die von der VDE-Prüfstelle geprüften Gerätetypen.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 12 und 13 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Börner.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann anwesend.
Die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Löffler werden schriftlich beantwortet.
Der Fragesteller der Frage 60 hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch eine Erklärung von Staatssekretär Hartkopf, daß arsenhaltige Pflanzenschutzmittel von den Winzern zum Schutz der Reben verwandt würden, Empörung unter dem gesamten Berufsstand ausgelöst hat, weil bereits seit 1942 arsenhaltige Mittel für den Weinbau keine Verwendung mehr finden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Josten, der Bundesregierung ist bekannt, daß das Interview, in dem auch von Wasserverunreinigungen durch Arsen als Folge von Pflanzenschutzmaßnahmen im Weinbau die Rede war, zu Mißdeutungen geführt hat. Es trifft zu, daß die Anwendung arsenhaltiger Pflanzenschutzmittel im Weinbau bereits seit 1942 verboten ist. Die z. B. im Rheinwasser auftretenden geringen Arsenkonzentrationswerte sind geogenen Ursprungs; sie sind somit auf natürliche Arsenvorkommen zurückzuführen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß die beste Werbung für den deutschen Wein nicht den erwünschten Erfolg haben kann, wenn in der Presse solche Falschmeldungen erscheinen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Solche Meldungen sind der Weinwerbung sicherlich abträglich.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, in Ihrem Hause dafür einzutreten, daß diese Meldung richtiggestellt wird?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Dafür werde ich Sorge tragen. Ich hoffe, daß wie übrigens in jedem Fall, in dem unrichtige Meldungen bekanntgegeben werden - diese Richtigstellung in der Zwischenzeit schon erfolgt ist.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Susset auf:
Ist der Bundesregierung die Feststellung des Kontrollverbandes Kurhessen bekannt, daß selbst bei einer Milchleistung von 4000 Liter je Kuh das erzielte Jahresarbeitseinkommen nur 550 DM beträgt?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Darf ich die beiden Fragen, weil sie im Zusammenhang stehen, zusammen beantworten?
Dann rufe ich noch die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Susset auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, trotz dieser unbefriedigenden Ergebnisse, die Milchviehbetriebe in die Lage zu versetzen, das durch die Förderschwelle festgesetzte und fortzuschreibende Einkommen zu erzielen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Der Bundesregierung sind die Auswertungsergebnisse des Kontrollverbandes Kurhessen über durchgeführte Wirtschaftlichkeitskontrollen in der Milcherzeugung bekannt. Es geht hier ja um eine Meldung in der Zeitschrift „Der Tierzüchter". Abgesehen davon, daß derartige Stückkostenrechnungen über die Rentabilität der Milcherzeugung wegen der Schwierigkeit der Zuordnung der Kosten äußerst problematisch sind, ist der von Ihnen, Herr Abgeordneter, hergestellte Zusammenhang zwischen diesen Ergebnissen und der Förderungsschwelle im neuen Förderungsprogramm nicht generell gegeben.
Die Ergebnisse des Kontrollverbandes beziehen sich auf die Jahre 1966 bis 1969. Die Förderungsschwelle ist hingegen auf das Jahr 1974 bezogen. Aus den Berechnungen des Kontrollverbandes geht aber auch hervor, daß durch Ausschöpfen noch vorhandener Reserven auf der Aufwands- und Ertragsseite weitere Einkommenssteigerungen möglich sind, so daß ein Vergleich dieser Ergebnisse ohne entsprechende Fortschreibung mit der Förderungsschwelle für das Jahr 1974 ohnehin nicht möglich wäre.
Die hergestellte Beziehung zwischen der Förderungsschwelle und den Ergebnissen des Kontrollverbandes ist auch deshalb nicht ganz zutreffend, weil die Förderungsschwelle das Reineinkommen des gesamten Unternehmens und darüber hinaus bestimmte außerlandwirtschaftliche Einkommen mit beinhaltet. Die Ergebnisse des Kontrollverbandes beziehen sich dagegen nur auf das Arbeits- und Kapitaleinkommen aus der Milcherzeugung. Bei dieser isolierten Betrachtung werden keine anderen Betriebszweige mitberücksichtigt.
Durch das neue Förderungsprogramm wird der Landwirtschaft ein Katalog von alternativen Hilfen angeboten. Gerade den Grünland- und Futterbaubetrieben sollen dabei besondere Hilfen zuteil werden. Sie erhalten nicht nur höhere öffentliche Darlehen für größere Baumaßnahmen, sondern auch Hilfen für die Rindviehaufstockung. Ich erinnere auch an die Anhebung des Trinkmilchpreises, die inzwischen erfolgt ist, und an die bevorstehenden Preisverhandlungen in Brüssel mit der Aussicht auf eine Erhöhung des Milchpreises und des Rinderorientierungspreises.
Abschließend darf ich noch besonders darauf hinweisen, daß die Förderungsschwelle keineswegs ein starres Abgrenzungskriterium darstellt, sondern sehr flexibel ist. Bei der Fortschreibung der Förderungsschwelle wird die Bundesregierung selbstverständlich die Einkommensentwicklung der Landwirtschaft in allen Betriebszweigen berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die Ergebnisse, die der Kontrollverband Kurhessen für die Jahre 1966 bis 1969 ermittelt hat, nicht noch positiver sind als die Ergebnisse, die in dieser Richtung für die Jahre 1969 und 1970 zu erwarten sind?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ja, ich bin der Meinung, daß wir hier tatsächlich einen gewissen Trend feststellen können. Bei der Förderungsschwelle, Herr Kollege, ist in der Tat von 1974 auszugehen und auch eine entsprechende Preisentwicklung zu unterstellen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß hier vieles flexibel ist. Wir kennen die Erhöhung des Trinkmilchpreises, die, wie ich zugebe, für die Landwirtschaft nur sehr geringe Auswirkungen hat. Aber wir bemühen uns in Brüssel, andere Preisanhebungen durchzusetzen. Ich habe an den Milch- und Rindfleischpreis erinnert. Auch das würde die Entwicklung zu der Schwelle hin positiv beeinflussen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, wird die landwirtschaftliche Verwaltung in Bund und Ländern durch die Einrichtung der sogenannten Förderungsschwelle und die damit verbundene Selektion nicht erneut überfordert, und handelt es sich hier nicht um Tendenzen, die sich nicht nur negativ auf die noch vorhandenen bäuerlichen Betriebe auswirken, sondern die in dieser Form keinem Berufsstand in der Bundesrepublik oder in der EWG zugemutet werden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Gleissner, das würde ich so nicht sagen. Es gibt auch sonst Überlegungen darüber, wie man bestimmte Einkommensmöglichkeiten vorausberechnen oder ansteuern kann. Ich finde, die Landwirtschaft ist mit dieser Zielschwelle keineswegs unter Ausnahmerecht gestellt.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, fürchten Sie nicht, daß die Kostensteigerungen bis zum Jahre 1974, auf das sich die Förderungsschwelle bezog, stärker sein werden als die Hoffnungen, die Sie in bezug auf die Preisentwicklung geweckt haben?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft, und Forsten: Das würde ich nicht ohne weiteres bejahen, denn auch die Kostensteigerungen wird man bei der Berechnung der Zielschwelle berücksichtigen müssen. Hier besteht also ein Zusammenhang zur Berechnung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peters.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Herrn Dr. Gleissner daran zu erinnern, daß der Selektionsgedanke, von dem er gesprochen hat, von Herrn Minister Höcherl stammt?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich glaube, darüber ist hier gestern schon ausführlich diskutiert worden. Aber ich kann es für Herrn Gleissner noch einmal wiederholen: es ist in der Tat so, daß wir gewisse Zielvorstellungen vorgefunden haben, die schon von Herrn Höcherl in diesem Hause entwickelt worden sind.
Wir sind damit am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann. Zugleich sind wir am Ende der heutigen Fragestunde.
Wir setzen die Beratungen über den Haushaltsplan in zweiter Lesung fort. Ich rufe auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksache VI/1742 Berichterstatter: Abgeordneter Haehser Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache VI/1743 -Berichterstatter: Abgeordneter Rawe
Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, daß ich gleichzeitig den Einzelplan 13 aufgerufen habe.
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Haehser, hat ums Wort gebeten. Er hat zugleich darum gebeten, seine Rede für die Fraktion anschließen zu dürfen. Bedenken bestehen nicht. Ich bitte nur darum, daß Sie ankündigen, wann Sie sich in den Fraktionssprecher verwandeln.
Frau Präsidentin, diese „Umwandlung" erfolgt sehr schnell.
Meine Damen und meine Herren, ich habe dem Hause lediglich eine Druckfehlerberichtigung vorzutragen. Im Mündlichen Bericht zum Einzelplan 12 - Drucksache VI/1742 - sind in dem Haushaltsvermerk auf Seite 5, rechts unten, die beiden fett gedruckten Titelnummern 820 03 und 820 04 durch die Titelnummern 882 03 und 882 04 zu ersetzen.
Jetzt würde ich mich gerne „verwandeln", Frau Präsidentin.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesem Jahr kann ich mich bei der Beratung des Einzelplans 12 noch mehr als im Vorjahre auf die Behandlung von Schwerpunkten dieses Einzelplans beschränken. Wir hatten am 2. Dezember 1970 eine ausführliche Debatte in diesem Hause anläßlich der Vorlage des Verkehrsberichts der Bundesregierung. Bei dieser Debatte wurden die finanziellen Probleme behandelt, und das war ganz gut so. Denn was der eine oder andere vielleicht gar nicht recht in Erinnerung haben mag, beim Verkehrshaushalt handelt es sich mit Abstand um den größten Investitionshaushalt des Bundes.
Lassen Sie mich zunächst ein paar Bemerkungen zur Deutschen Bundesbahn machen. Der Verkehrsbericht sagt, unser Verkehr ist ohne Eisenbahn nicht denkbar. Dieser Satz war in der Vergangenheit richtig, und er gilt auch für die Zukunft. Das verkehrspolitische Programm, der Leber-Plan, hat die Verkehrspolitik der Bundesregierung in den Blick der Öffentlichkeit gerückt und auch das Interesse am Unternehmen Deutsche Bundesbahn geweckt. Es wird gesagt, Opas Eisenbahn sei tot. Das ist richtig. Die Deutsche Bundesbahn hat sich zu einem fortschrittlichen, modernen und dynamischen Unternehmen entwickelt. Es wird nicht mehr Verwaltung großgeschrieben, sondern Wettbewerb.
Die Bahn beteiligt sich offensiv an diesem Wettbewerb mit kundennahen Angeboten. Diese Beteiligung hat ihr Erfolge gebracht. Erfolge bezüglich des Zuwachses von Einnahmen im Güterverkehr und auch im Personenverkehr. Vor ein paar Jahren war das Erzielen von 5 Milliarden DM jährlicher Güterverkehrseinnahmen eine Traumgrenze und war das Erzielen von 5 Milliarden DM jährlicher Personenverkehrserträge eine Traumgrenze. Diese Traumgrenze ist längst überschritten. 1970 wurden im Güterverkehr 6,4 Milliarden DM an Erträgen erzielt und im Personenverkehr 3,3 Milliarden DM. Die Bahn verbesserte ihre Erträge in den letzten drei Jahren um 3 Milliarden DM; in sieben Jahren zuvor war eine solche Verbesserung nur um 1,8 Milliarden DM möglich.
Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, daß mit der Steigerung der Erträge auch die Aufwendungen gestiegen sind. Die Gründe sind Ihnen bekannt. Die Steigerung ist im wesentlichen auf die Personalintensität des Unternehmens zurückzuführen. Wir werden es 1971 mit weiter steigenden Aufwendungen zu tun haben. Sie sind nicht abzuwenden. Eine Ertragsverbesserung etwa durch gesteigerte Kapazitätsauslastung ist nicht möglich. Dieser Weg bietet sich deswegen nicht an, weil die Deutsche Bundesbahn 1971 erfreulicherweise mit ausgelasteter Kapazität fährt. Was möglich ist, ist, daß man die Verkehrspreise marktgerecht fortbildet. Dazu sind von den entscheidenden Gremien die entsprechenden Beschlüsse gefaßt worden. „Die Verkehrspreise marktgerecht fortbilden" - das wird man mitbekommen haben ({0}) ist ein anderer Ausdruck für Preiserhöhung.
({1})
- Nun, Herr Kollege Haase, Ihnen zuliebe habe ich das so schön ausgesprochen.
Ich möchte gern festhalten, daß der schnelle Weg begrüßt werden kann, der von der Vorlage des
Vorstands der Deutschen Bundesbahn, die Preise marktgerecht fortzubilden, bis zur Genehmigung dieser Fortbildung durch den Bundesverkehrsminister erzielt worden ist. Mit diesem Instrument der Fortbildung der Preise sollen höhere Einnahmen erzielt und die gestiegenen Aufwendungen abgefangen werden. Das wird zu einem Teil zweifellos möglich sein.
Die Ergebnisse der erhöhten Tarife sind schätzbar - solche Schätzungen liegen vor -, aber natürlich nicht genau zu quantifizieren. Daher gibt es beim DB-Ansatz eine Unbekannte. Die Bundesregierung und die Deutsche Bundesbahn wissen das und werden sich entsprechend verhalten. Ich weiß jedenfalls vom Bundesverkehrsminister, daß er darüber nicht nur unterrichtet ist, sondern daß er das natürlich auch zu beurteilen vermag.
Die Deutsche Bundesbahn wird weiter modernisiert und rationalisiert. An dieser Stelle ist vielleicht ein Hinweis darauf angebracht, daß die bisherigen Maßnahmen die Produktivität des DB-Personals um 30 % verbessert haben. Das, meine ich, verdient Anerkennung des ganzen Hauses; denn ohne große Anstrengungen des Personals wären solche Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen nicht mit diesem Ergebnis auszuzeichnen. Die Leistungen, die das Personal vollbringt, machen es wieder selbstbewußter. Das DB-Personal und seine Haltung sind für das Unternehmen ein nicht meßbares Kapital.
Lassen Sie mich zum Haushaltsansatz Deutsche Bundesbahn kommen. Sie kennen die Zahlen: rund 4 Milliarden DM, eine hohe Summe, 2,475 Millionen DM Abgeltungsleistungen für betriebsfremde und politische Lasten, 500 Millionen DM zur Förderung der fortzuführenden Rationalisierung und Modernisierung, mehr als 1 Milliarde DM Liquiditätszuwendungen für den Verlustausgleich. Die Abgeltungsleistungen, die ich hier noch einmal genannt hatte - der Bundesfinanzminister hatte dies kürzlich auch getan -, bleiben und werden steigen. Sie sind der sichtbare fiskalpolitische Preis für öffentliche Aufgaben, die niemand besser und niemand billiger erledigen kann und auf die niemand verzichten kann. Das muß auch die Opposition dieses Hauses wissen, obwohl man manchmal daran zweifeln kann, daß sie aus dem Wissen die richtigen Schlußfolgerungen zieht.
Meine Damen und meine Herren, wenn ich mir den Entschließungsantrag ansehe, den Sie uns für die dritte Lesung angedroht haben
({2})
- wenn man doch schon etwas weiß, was Sie produziert haben, „zusammengeschustert haben", müßte man besser sagen, kann man doch ruhig einmal darrüber reden -, dann muß ich sagen: die Opposition verlangt von der Bundesregierung prophetische Gaben in einem Ausmaß, wie sie selbst diese Bundesregierung nicht besitzt. So soll z. B. die künftige Entwicklung der Deutschen Bundesbahn von 1971 bis 1975 berichtet werden, obwohl doch jedermann weiß, wie sehr die Entwicklung dieses Unternehmens vom Wirtschaftsablauf oder auch von der Besoldungsentwicklung abhängig ist. Oder die CDU verlangt -man muß sich das anhören -- spätestens mit der Vorlage des Finanzplans 1971-1975 Auskunft über die im Finanzplan vorgesehenen Bundesmittel. Die stehen doch gerade darin. Warum wollen Sie denn darüber einen ausdrücklichen Bericht? Sie müssen entschuldigen, dieser Entschließungsantrag ist zumindest in Teilen nicht ernst zu nehmen.
Sie befassen sich auch wieder mit der Umschuldungsaktion, die nötig ist, und Sie verweisen in der Begründung auf die Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt und auf die Vorlage des Verkehrsberichts durch Minister Leber. Ich kann Ihnen hier nur sagen, die Umschuldung der Bundesbahn ist in den 17 Jahren des Verkehrsministers Seebohm erforderlich gewesen, aber nicht vollzogen worden, und sie kann nicht in 15 Monaten sozialliberaler Koalition vollzogen werden.
({3})
Sie ist vom Bundeskanzler und vom Bundesverkehrsminister angekündigt. Sie wird ganz sicher auch kommen, und darauf wird die Fortschreibung der Finanzplanung Rücksicht nehmen.
({4})
- Herr Kollege Althammer, Sie haben einem Teil meiner Ausführungen nicht zugehört; sonst könnten Sie einen solchen abenteuerlichen Zwischenruf nicht machen.
({5})
- Natürlich, in dem Rahmen, in dem man das sein kann. Ich bin Ihnen sicher auf diesem Gebiet etwas voraus.
Lassen Sie mich nun zum Fernstraßenhaushalt ein paar Bemerkungen machen. Nach den letzten Mineralölsteuerschätzungen wird er, wenn ich die Kredite in Höhe von 350 Millionen DM mit berücksichtige, ein Volumen von mehr als 5 Milliarden DM haben. Das sind 75 % aller Bundesausgaben für Sachinvestitionen, wenn ich die Investitionen im militärischen Bereich nicht berücksichtige.
Der Ausbau des Bundesfernstraßennetzes hat bei der Beratung des Einzelplanes 12 immer im Vordergrund gestanden. Das liegt an der Problematik, die in diesem Bundesfernstraßennetz steckt. Aber die Erkenntnis scheint mir an Boden zu gewinnen, daß wir uns mehr und mehr mit den Verkehrsfragen der Ballungsräume und der Stadtkerne beschäftigen müssen. Verstopfte Autobahnen an Wochenenden und zur Urlaubszeit sind ganz gewiß problematisch; das tägliche Chaos aber in unseren Städten und in den Ballungsräumen wird womöglich dazu führen, daß wir zur Bildung neuer Schwerpunkte kommen müssen.
({6})
Es gilt ganz sicher der Grundsatz, meine Damen
und meine Herren, daß es darum geht, Verkehr in
Ballungsräumen abzuwickeln und Verkehr in strukHaehser
torschwachen Gebieten zu entwickeln. Aber ich glaube, daß wir dazu kommen werden, Schwerpunkte insbesondere für die Ballungsräume zu setzen. Und wenn ich, der ich aus Trier, also aus einem strukturschwachen Gebiet komme, das sage, mag das noch unterstreichen, wie ernst es mir mit dieser Aussage ist.
({7})
- Haben Sie noch ein bißchen Geduld! Ich möchte Ihnen auch dazu etwas sagen.
Meine Damen und Herren, für den Fernverkehr haben wir im zweiten Ausbauprogramm eine großartige Konzeption.
({8})
Ihre volle Erfüllung ist finanziell nicht abgesichert. Der Bundesverkehrsminister hat das selber ausgeführt, und jedermann, der lesen und rechnen kann und der weiß, welche Einnahmen wir zu erwarten haben, weiß ja auch, daß dort zwischen dem, was erforderlich ist, und dem, was man zur Verfügung hat, eine Lücke vorhanden ist.
({9})
- Sie mit Ihrer Inflationspolitik! Herr Kollege Müller-Hermann, Ihnen ist schon von anderer und kompetenterer Stelle deutlich gemacht worden, daß das Drucken von Millionen und Milliarden in einer Woche und daß der Zwang, für eine Bosco 8 bis 12 Mark und für eine Lucky Strike 12 bis 15 Mark bezahlen zu müssen, Inflation bedeuten, aber nicht das, womit wir es in der Bundesrepublik zu tun haben.
({10})
Aber das werden Sie wohl nie ganz mitbekommen.
({11})
Lassen Sie mich zum Thema „Verkehrsprobleme in den Städten und in den Ballungsräumen" noch einige Bemerkungen machen.
({12})
- Sie sehen doch, ich habe den Vorteil des Mikrophons. Ich bin kraft der Technik ganz zwangsläufig lauter als Sie, außerdem aber ohnehin durch die Stimme, die ich habe.
Es fehlt, was die Verkehrsprobleme in den Ballungsräumen, in den Städten und Gemeinden angeht, an einer Gesamtkonzeption. Hier ist dem Bundesverkehrsminister kein Vorwurf zu machen, denn er hat die geringste Verantwortung für den Verkehr in den Städten und insbesondere auch für den Personennahverkehr. Es ist um so erfreulicher, wenn Minister Leber angekündigt hat, daß ein Gesamtprogramm für den öffentlichen Personennahverkehr entwickelt werden soll. Wir werden es bei diesem
Programm mit einer finanziellen Größenordnung zu tun haben, die das Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich macht. Gegebenenfalls müssen wir uns auch mit der Neuverteilung von Zuständigkeiten vertraut machen. Denn es hätte wohl kein Bürger Verständnis dafür, daß eine Gebietskörperschaft auf ihre Unzuständigkeit und auf die Zuständgikeit einer anderen hinweisen würde.
Ich wiederhole, es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an der Gesamtkonzeption. Minister Leber will sie entwickeln. Hier helfen nicht Einzelmaßnahmen, wiewohl man darüber diskutieren kann, z. B. über die Entlastung des öffentlichen Personennahverkehrs von der Mineralölsteuer oder auch über den sogenannten Nulltarif.
Ich will mich übrigens beim Nulltarif nicht aufhalten, aber doch dies sagen dürfen: Wenn der Bahn Geld fehlt, wenn für den Fernstraßenbau Geld fehlt, wenn für Ballungsräume Geld fehlt, dann ist der Wegfall von Einnahmen für den Verkehrsträger sicher keine Lösung zur Bewältigung der Problematik.
({13})
Den Befürwortern des Nulltarifs - ich gehöre nicht dazu, wie Sie aus meinen Bemerkungen messerscharf schlußfolgern können - sei gesagt, daß im Jahre 1921 die Stadt Moskau auf öffentlichen Verkehrsmitteln freie Fahrt gewährte. Aber im gleichen Jahr wurde das Prinzip der Bezahlung wieder eingeführt - ich habe das im „Volkswirt" gelesen -, so daß die Abschaffung des Nulltarifs in Moskau in diesem Jahr ein goldenes Jubiläum feiert.
({14})
Lassen Sie mich, meine verehrten Damen und Herren, zu den Ballungsräumen zurückkommen. Der Bundesminister für Verkehr sprach davon, daß es eine autogerechte Stadt nicht geben könne. Dem muß man zustimmen. Denn Straßen, Schienen, Parkplätze und Leitungen bilden nicht die Stadt; sie könnte, wenn man sie so sähe, ihre Stadtfunktion nicht erfüllen. Diese Einsicht erfordert Konsequenzen und politischen Mut. Im Bereich der Ballungsräume und der Städte sind verkehrslenkende Maßnahmen erforderlich.
Der Bundesminister für Verkehr hat z. B. bei der Beschränkung des Lkw-Verkehrs in Urlaubsmonaten ein Beispiel gegeben, wie man solche verkehrslenkenden Maßnahmen treffen kann. Sie sind auch in dem skizzierten Bereich erforderlich; denn ein passives Hinnehmen der Entwicklung wäre nicht vertretbar. Hier sind nicht nur große finanzielle Aufwendungen erforderlich, sondern auch verkehrslenkende Maßnahmen wie Parkplatz am Stadtrand, attraktive Schnellverbindungen in die Innenstadt, Erhöhung des Rahmens der Parkgebühr. Auch vieles andere muß überlegt und durchdacht werden, und daraus müssen Schritte abgeleitet werden.
({15}): Thema für den
nächsten Programmparteitag!)
Wie wir die Investitionen, die erforderlich werden, bezahlen können, wird in dieser Beratung noch
eine offene Frage sein. Der Bundesminister hat angekündigt, daß es Überlegungen bezüglich der Erhöhung der Mineralölsteuer geben kann und wird. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich ermuntern, noch in diesem Jahr eine Überlegung bezüglich der Erhöhung der Mineralölsteuer, beginnend mit dem Jahr 1972, anzustellen und dem Hohen Hause vorzulegen.
({16})
- Ich habe doch über die Zwecke, nämlich über die Schwerpunkte, die ich sehe, gesprochen, Herr Kollege Müller-Hermann. Ich glaube nicht, daß ich das wiederholen muß.
({17})
Jedermann in unserem Land spürt, daß wir im Bereich der Verkehrsinvestitionen mehr tun müssen. Ich kann mir denken, daß derjenige, der das spürt, auch eine Bereitschaft dazu hat, die Mehraufwendungen möglich zu machen.
Lassen Sie mich abschließend ein paar Bemerkungen zum Thema Luftfahrt machen. Die Aufwendungen des Bundes für die Luftfahrt steigen in den fünf Jahren von 1969 bis 1974 um rund das Fünffache. 1969 haben wir 50 Millionen DM ausgegeben. Für 1974 werden 230 Millionen DM erforderlich sein. Diese Investitionen sind insbesondere im Bereich der Flughäfen und besonders im Bereich der Flugsicherung notwendig.
Die Aufwendungen für die Flugsicherung steigen auf Grund des Ausbauprogramms der Bundesregierung von 1970 bis 1971 um 100 %. Erfreulicherweise hat nunmehr auf deutsche Initiative hin der Ministerrat ,der Eurocontrol die Einführung von Flugsicherungsgebühren ab 1. November 1971 beschlossen. Die Gebühren decken zunächst nur 15 % der Flugsicherungskosten. Das ist ein Anfang.
Der Bundesminister für Verkehr sollte mit Nachdruck auf einer Wegekostenregelung gerade im Bereich des Flugverkehrs bestehen, mit dem Ziel, daß die Kosten für Passagier- und Frachtflüge voll von den Benutzern getragen werden müssen. Ich weiß, daß das ein heißes Eisen ist; aber ich bin nicht da, um solche heißen Eisen nicht anzufassen. Dem Steuerzahler kann man nicht zumuten, daß auf seine Kosten der Ausbau der regionalen Flughäfen und die notwendige Flugsicherung erfolgt, Einrichtungen, die nur wenigen zugute kommen. Auch hier, meine Damen und Herren, können wir nicht gebannt auf das sehen, was auf uns zukommt. Bei der Knappheit des Luftraums können wir uns eine beliebige Ausweitung des Individualverkehrs in der Luft nicht erlauben, wenn wir dort nicht die gleichen Lasten und Sorgen bekommen wollen, wie wir sie mit dem Individualverkehr auf der Erde haben. Die Politik darf nicht übersehen, daß der Luftraum in der Bundesrepublik Deutschland schon jetzt knapp ist. Im Luftraum muß der Liniendienst auf weiten Strecken absolute Priorität genießen. Deswegen, meine ich, muß man gegenüber der Ausweitung des Individualverkehrs in der Luft Zurückhaltung üben.
Die letzte Bemerkung. Meine Damen und Herren, im Einzelplan 12 haben wir es mit viel Geld zu tun. Das können wir getrost in die Hände des Bundesverkehrsministers - und natürlich auch in die Hände dieses Hohen Hauses - geben. Wir wissen Vernünftiges damit anzufangen. Aber in diesem Einzelplan 12 steckt auch viel Verkehrsproblematik. Auch mit dieser Verkehrsproblematik wird Herr Minister Leber sicher fertig werden, wenn ihm ein aufgeschlossenes Parlament gegenübersteht.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Rawe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich dem Kollegen Haehser dafür danken, daß er mit uns darin übereinstimmt, daß es natürlich nicht sehr gut ist, daß wir Verkehrsdebatten unter diesem Zeitdruck führen, wie wir es heute wieder einmal tun müssen. Denn in der Tat ist dieser Haushalt so umfangreich, Herr Haehser, daß es sich lohnen würde, darüber mehr Worte zu verlieren, als wir es jetzt tun können. Wir sind aber alle gezwungen, uns in der Zeit zu beschränken, und auch ich will das sehr gern tun.
Wir haben im vergangenen Jahr dem Einzelplan 12 nicht unsere Zustimmung gegeben, sondern uns nur der Stimme enthalten, weil wir der festen Überzeugung waren, daß es eigentlich möglich sein müsse, gerade in diesem Bereich eine gemeinsame Politik zu machen. Wir haben damals deutlich gemacht, daß wir erwarten, daß diese gemeinsame Politik angegangen wird, weil auch wir davon überzeugt sind, daß es in diesem Bereich, in diesem Haushalt Notwendigkeiten gibt, denen man sich nicht entziehen sollte und denen wir uns auch nicht entziehen wollen. Aber wir haben natürlich eine andere Politik erwartet als die, die uns jetzt geboten wird, nämlich als das Vorgaukeln von Zukunftsbildern, von denen jeder schon jetzt sagen muß, daß sie gar nicht verwirklicht werden können.
({0})
Herr Bundesverkehrsminister, ich will heute nicht in die Versuchung verfallen, Ihnen die Zweifelhaftigkeit so mancher Ihrer Versprechungen vor diesem Hohen Hause vor Augen zu halten, und ich will auch nicht wieder in die Verkehrsdebatte vom 2. Dezember 1969 zurückfallen, obwohl es sicherlich, Herr Kollege Apel, außerordentlich vergnüglich wäre, einmal die Nuancen herauszuarbeiten, die in Ihren Ausführungen gegenüber der Ansicht, die der Verkehrsminister hier vertreten hat, zum Ausdruck kamen.
({1})
- Natürlich! Ich will mir das ja heute auch bewußt schenken; denn wir haben uns ja an dieser Stelle immer dadurch ausgezeichnet, daß. wir die Aussprache über den Einzelplan 12 ganz bewußt an den Positionen dieses Haushalts orientiert haben, und genau dieser Übung will auch ich mich jetzt
unterziehen. Ich will deswegen an ganz, ganz wenigen Punkten darlegen, Herr Bundesminister für Verkehr, weshalb wir diesem Haushalt unsere Zustimmung nicht geben können.
Herr Haehser hat sehr elegant deutlich gemacht, daß ein Sorgenkind der Verkehrspolitik die Deutsche Bundesbahn geblieben ist. Ich stimme mit ihm darin überein. Wer sich die Protokolle der letzten Beratungen der verschiedenen Haushalte und auch der verschiedenen Verkehrsdiskussionen ansieht, der weiß, daß sie ein Sorgenkind bleiben muß. Die Deutsche Bundesbahn hat immer im Streit der Meinungen gestanden, weil es bislang einfach nicht gelungen ist, um einmal mit dem Verkehrsminister Leber zu sprechen, die Deutsche Bundesbahn in die Nähe der Eigenwirtschaftlichkeit zu führen. Das ist seinem Vorgänger, dem Verkehrsminister Seebohm, nur vorübergehend gelungen. Uns ist es während der Großen Koalition gemeinsam nicht gelungen, aber auch Ihnen, Herr Verkehrsminister Leber, ist es weiß Gott nicht gelungen, und das sollten Sie gelegentlich auch einmal ehrlich zugeben.
({2})
Ich will Ihnen das gar nicht vorwerfen. Aber ich wende mich dagegen, daß wir uns, so wie es der Kollege Haehser gerade wieder versucht hat, indem er nämlich keine konkreten Zahlen genannt hat, auf den Weg machen, ein Bild zu malen, als ob bei der Deutschen Bundesbahn alles in bester Ordnung sei, obwohl wir ganz genau wissen, daß dem nicht so ist. Denn, lieber Herr Haehser, trotz der hervorragenden Leistungen der Eisenbahner, die jeder von uns in diesem Hause in der richtigen Weise bei der Verkehrsdebatte gewürdigt hat und die wir auch heute würdigen wollen, trotz der hervorragenden Auslastung, von der Sie gesprochen haben, können wir uns doch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß sich die Finanzlage der Deutschen Bundesbahn geradezu alarmierend verschlechtert hat.
({3})
Ganz wenige Zahlen dazu. Im Jahre 1970 ist der Deutschen Bundesbahn ein Verlust - Herr Haehser, Sie haben das vorhin so elegant umschrieben -von 1,2 Milliarden DM entstanden. Für 1971 werden es nach den eigenen Schätzungen Ihres Hauses, Herr Minister Leber, 2,8 Milliarden DM sein, und dies, obwohl die Leistungen an die Deutsche Bundesbahn aus dem Bundesetat ganz erheblich höher geworden sind. Selbst nach Durchführung der massiven Tariferhöhungen werden sich die Verluste am Ende dieses Jahres noch immer auf mindestens 2 Milliarden DM belaufen. Denn selbst die optimistischen Schätzungen von 800 Millionen DM, die Sie durch die Tariferhöhungen einspielen wollen, sind doch nicht ohne Risiko.
Nun, was haben Sie getan? Sie haben, obwohl dies alles bekannt war, im Bundeshaushalt keine ausreichenden Mittel zur Abdeckung dieses Verlusts zur Verfügung gestellt. Infolgedessen bleibt für 1970 nach Abzug der Bundeszuweisungen eine Finanzierungslücke von 800 Millionen DM und für 1971 eine solche von 1 Milliarde DM.
({4})
Herr Kollege Dr. Jobst hat in der Aussprache am 2. Dezember auf diese außerordentlich bedenkliche Entwicklung hingewiesen, und Sie können sich jetzt nicht damit verteidigen, daß Sie es nicht gewußt haben. Denn bei Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß war dies alles bekannt. Wenn Sie einen korrekten Haushalt hätten vorlegen wollen, hätten Sie die Liquiditätszuweisungen hier entsprechend erhöhen müssen,
({5})
so wie es in den Bemerkungen Ziffer 8 zu dieser Einzelposition ausgeführt ist. So verstehe ich, Herr Minister Leber, den § 28 Abs. 2 des Bundesbahngesetzes, daß eine erkennbare Finanzierungslücke auch sofort durch entsprechende Liquiditätszuweisungen zu decken ist. Wenn Sie das nicht wollen, gehen Sie einen außerordentlich bedenklichen Weg. Denn Sie verweisen dann die Bundesbahn auf den Weg einer weiteren Verschuldung und damit einer weiteren Kostenerhöhung und verschlechtern weiter die Ertragslage. Ich weiß nicht, ob Sie das so wollen. Sicherlich stimmt das aber in gar keiner Weise mit dem überein, was Sie in Ihrem Verkehrspolitischen Programm verkündet haben, oder mit dem, was Sie in diesem schönen Heftchen „Gesagt - getan" verkündet haben. Sie wissen, Sie haben eine Regierungserklärung herausgegeben. Darin haben Sie diesem Hohen Hause deutlich gemacht, daß das für Sie ja sowieso nur ein Umbuchungsvorgang ist, die Deutsche Bundesbahn zu entschulden, und Sie haben damit versprochen, daß Sie die gesamte Schuldenlast der Deutschen Bundesbahn auf den Bundeshaushalt übernehmen wollen. Aber es paßt ja würdig in die Illusionspolitik dieser Regierung, die sich auch bei den anderen Ressorts widerspiegelt, daß Sie uns ganz bewußt auf dieses Versprechen in Ihrer Regierungserklärung unter der Rubrik „Getan" die Antwort schuldig geblieben sind.
Wogegen wir uns also wenden, ist der Umstand, daß hier gerade an der Position Deutsche Bundesbahn deutlich wird, daß Sie eine Politik betreiben, von der wir sagen müssen, sie ist aus den von mir dargelegten Gründen inkorrekt. Erstens täuschen Sie die deutsche Öffentlichkeit über die Wirklichkeit bei der Deutschen Bundesbahn. Zweitens sage ich Ihnen aber auch ganz hart, ich halte dieses Verfahren gegenüber der Deutschen Bundesbahn für ausgesprochen unfair. Denn diese wird am Ende des Jahres bekennen müssen, daß sie die geschätzten Verluste, die Sie uns hier nach dem Haushaltsplan bekanntgeben, in Wirklichkeit nicht einhalten kann, sondern daß die Verluste viel, viel höher werden. Und das ist außerordentlich bedenklich.
({6})
Nun hat Herr Haehser von einer Traumgrenze gesprochen.
({7})
Lieber Herr Haehser,
({8})
eine Traumgrenze haben Sie natürlich in der Tat
erreicht. Ich will Sie heute nicht mehr mit vielen
Zahlen behelligen. Aber wenn der Herr Verkehrs5706
minister bei der Einbringung seines verkehrspolitischen Programms am 8. November 1967 hier verkündet hat, daß der besorgniserregende Zustand bei der Bundesbahn dazu führen könne, daß wir, wenn wir die Maßnahmen, die er damals von uns wollte, nicht sofort beschließen würden, im Jahre 1972 die Grenze von 5 Milliarden DM erreichen würden, wenn er uns dann heute schon demonstriert - obwohl wir jetzt 4,25 Milliarden DM an Zuwendungen geben müssen daß wir am Ende dieses Jahres die 5-Milliarden-Grenze schon überschreiten, dann haben Sie in der Tat eine Traumgrenze erreicht. Aber dies ist ein Alptraum.
({9})
Nur meine ich, Ihnen sagen zu müssen, daß wir eine solche Grenze bewußt vermeiden sollten. Ich bin nämlich gar nicht der Auffassung, die der Kollege Seibert bei der verkehrspolitischen Debatte geäußert hat, daß wir uns mit dem Gedanken vertraut machen sollten, mit dem Defizit der Bundesbahn zu leben.
Ich wiederhole unser Angebot, Herr Bundesminister für Verkehr. Ich weiß, daß die Situation bei der Bundesbahn so schwierig ist, daß auch ich Ihnen kein Patentrezept anbieten kann. Aber wir sollten uns gerade in diesem Bereich gemeinsam bemühen, die Dinge in den Griff zu bekommen. Ich will Ihnen sagen, daß es vielleicht besser gewesen wäre, Sie hätten sich nicht vom Wirtschaftsminister überstimmen lassen, als es notwendig war, die Tarife anzuheben.
({10})
Dr. Müller-Hermann hat Ihnen hier schon nachgewiesen, daß es sinnlos ist, immer an diesen sogenannten Verwaltungstarifen festzuhalten. Das ist volkswirtschaftlich nicht durchzuhalten, denn dann erhalten Sie die Ergebnisse, die Sie jetzt mit dem hohen Defizit haben. Ich bin zwar nicht sicher, daß Sie damit den gesamten Verlust eingespielt hätten, aber Sie hätten ihn wesentlich geringer halten können, und das ist ein Vorwurf, den wir Ihnen jetzt nicht ersparen können. Es hat doch gar keinen Sinn, daß Sie sich am 12. Dezember hier hinstellen und beschwörend erklären, die Deutsche Bundesbahn könne auf keinen grünen Zweig kommen, wenn man ihr nicht die Chance einräume, auch die Preise entsprechend anzuheben. Ich frage Sie einmal, wer ist denn dafür verantwortlich, daß die Deutsche Bundesbahn die richtigen Preise bekommt? Das ist doch niemand anderes als die Bundesregierung und da der zuständige Ressortchef, nämlich Sie, Herr Minister Leber. Ich glaube, das muß Ihnen doch in dieser Deutlichkeit gesagt werden!
({11})
- Ach wissen Sie, das ist doch völlig albern, und darüber, Herr Haehser, haben wir uns doch lange genug unterhalten.
({12})
Ja, das ist albern, wenn Sie glauben, Sie könnten ständig dem Kostendruck dadurch ausweichen, daß
Sie nur um der Statistik willen solche Preise festhalten. Das ist völlig albern, sage ich Ihnen, das bringt Ihnen gar nichts ein.
Ich will dies sagen: wir müssen versuchen, das Problem Deutsche Bundesbahn in der richtigen Weise anzugehen. Ich würde dem Minister Leber raten, daß er sich vielleicht doch einmal das jetzige Verhandlungspapier der SNCF ansieht, das ja die Frage der Verteilung der Lasten zwischen dieser französischen Staatsbahn und dem französischen Staat jetzt neu regeln will. Dort ist man einen interessanten Weg gegangen, Herr Haehser, der sicher auch Sie als ersten Berichterstatter interessieren muß. Dort schlägt man vor, die Kosten, die politisch vom Staat zu übernehmen sind, in der Tat bei den Ressorts auszuweisen, wo sie eigentlich hingehören. Das wäre ein wesentlicher Fortschritt bei unserer Kontenbereinigung, wie wir sie uns vorstellen. Ich meine, Herr Minister Leber, sie sollten einmal prüfen, ob wir nicht gemeinsam einen solchen Weg gehen können. Ich jedenfalls würde das für ausgesprochen begrüßenswert halten.
({13})
Natürlich ist das im Interesse der Bahn. Ich will es mir jetzt ersparen - denn die Zeit läuft mir davon, Frau Präsidentin -, auf die vielfältigen Dinge einzugehen, die gerade hierzu, auch was die Wegekosten angeht, noch zu sagen wären. Ich meine, dieser Weg bietet sich auch auf Grund des § 28 a des Bundesbahngesetzes an, nach dem ausdrücklich die politischen Lasten abzugelten sind und von dem, wie Sie wissen, wir Gott sei Dank sagen können, daß er auf unsere Initiative zurückzuführen ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube wenn man das so sieht, muß man erkennen, daß uns in diesem Bereich der Eisenbahn nach dem Haushaltsbild eine Zukunftsversion vorgegaukelt wird, die so, wie sie jetzt in den Haushaltsansätzen zum Ausdruck kommt, unrealistisch ist. Deswegen lehnen wir diesen Haushalt ab.
Ich will aber noch einen weiteren Grund nachschieben, das ist das Kap. 12 10. Herr Haehser hat dankenswerterweise hier ausgeführt, daß es sicherlich richtig ist, daß wir immer mehr Aufwendungen für den Straßenbau machen. Sie wissen, Herr Haehser, daß die Grenze von 5 Milliarden DM auch jetzt überschritten ist, nur scheint auch hier der Bundesminister für Verkehr der Auffassung zu sein, daß es richtig ist, Illusionen zu wecken. Denn der Bedarfsplan, den er uns vorgelegt hat und zu dem er selbst bekennen mußte, daß er die Mittel bis zum Jahre 1985 mit Sicherheit nicht zusammenbekommt - jedenfalls nicht nach den jetzigen Finanzierungsgrundlagen , bedeutet ein Wecken solcher Illusionen. Was für einen Sinn hat es denn, wenn wir feststellen müssen, daß wir bei einer Wirtschaftspolitik, die zu diesen steigenden Preisen geführt hat, zwar volumenmäßig erheblich mehr - Herr Dr. Müller-Hermann hat damals 14 % ausgerechnet -für den Straßenbau ausweisen, aber am Ende dieses Jahres zu dem Ergebnis kommen werden, Herr
Minister Leber, daß wir effektiv weniger Straßen, weniger Brücken gebaut haben als im Jahre 1970.
({14})
Wenn Sie es einmal richtig nachrechnen, werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß Sie im Jahre 1970 weniger Straßen gebaut haben als im Jahre 1969. Ich kann Ihnen da nur sagen, das ist außerordentlich bedauerlich.
({15})
Herr Bundesminister, wir sehen mit einem gewissen Interesse Ihrem Bericht entgegen, den Sie uns im Haushaltsausschuß versprochen haben, gerade zu diesem Problem; denn wir möchten einmal detailliert nachgewiesen bekommen, wie es nun in Wirklichkeit mit dem Straßenbau aussieht. Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich habe nicht die Absicht, Sie allein dafür verantwortlich zu machen. Schuld ist diese Bundesregierung.
({16})
Sie haben aber nun einmal das Pech, daß Sie diesen Haushalt vertreten müssen und daß Sie als der zuständige Ressortminister auch Mitglied dieser Regierung sind.
Ich bin jetzt versucht, Ihnen alle diese Positionen im Haushalt einmal vorzurechnen, bei der Schiffahrt, bei den Investitionshilfen für den Schiffbau, bei den Abwrackprämien, wo Sie alle die gleichen Ansätze wie im vergangenen Jahr gebracht haben und wo wir alle auf Grund dieser Steigerungsraten jetzt zu dem Ergebnis kommen, daß die so Geförderten in Wirklichkeit weniger erreichen als den Jahren vorher.
({17})
Das ist ein Vorwurf, Herr Bundesminister für Verkehr, den wir Ihnen nicht ersparen können und auch nicht ersparen wollen. Ich meine, das muß Ihnen zum Vorwurf gemacht werden, und deswegen können wir diesem Haushalt so nicht zustimmen.
Ich will noch auf das Argument des Kollegen Haehser eingehen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat er andeuten wollen, daß wir uns im Rahmen des Straßenbauplans ernsthaft überlegen müssen, ob wir nicht für die Ballungsräume und für den innergemeindlichen und innerstädtischen Verkehr künftig mehr tun müssen als für den Fernstraßenbau. Herr Haehser, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß wir uns wirklich die Prioritäten überlegen sollten. Aber ich darf Sie daran erinnern, daß das ein altes Anliegen meines Kollegen Dr. Müller-Hermann ist, der Ihnen das ständig vorgetragen hat. Wenn Sie jetzt darauf eingehen wollen, kann ich nur sagen, daß das eine großartige Sache ist. Es zeigt, daß wir vielleicht doch noch die Chance haben, in diesem Bereich zu Gemeinsamkeiten zu kommen.
Ich wäre allerdings daran interessiert, Herr Bundesminister für Verkehr, daß Sie uns bei der detaillierten Aufstellung auch einmal nachweisen, in welchem Umfange draußen auf dem Lande Straßenbaumaßnahmen zum Zuge kommen, damit wir nicht immer erleben müssen, daß die Menschen draußen in den Landkreisen zwar zum Steueraufkommen in der gleichen Weise beitragen dürfen, aber von den Verkehrsbauten wenig profitieren. Die Zeit reicht nicht, um das hier auszumalen. Das wäre sicherlich interessant.
({18})
Sie wissen, ich habe Ihnen bei einer anderen Haushaltsberatung einmal eine Rechnung aufgemacht, von der Sie gesagt haben, daß sie stimme.
Ich will das jetzt aber nicht vertiefen, denn ich möchte versuchen, sehr schnell zum Schluß zu kommen, und das kann ich nicht, ohne noch eine weitere Position zu erwähnen. Das ist die Frage der Behandlung der Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit.
Sie werden merken, Herr Minister, daß ich das sehr fair machen werde. Aber ich glabe, dazu muß ich doch einiges sagen. Als Sie am vergangenen Jahr mehr Geld haben wollten, um die Straßenverkehrsordnung entsprechend bekanntzumachen, haben wir ja gesagt. Wir haben Ihnen auch mehr Mittel bewilligt, als es darum ging, einen wirksameren Kampf gegen den Mißbrauch des Alkohols im Verkehr zu führen. Das alles haben wir getan. Wir sind der Meinung, daß das gut war. Wir sind allerdings nicht dafür, Herr Bundesminister, daß diese ungeheuer hohen Mittel nun in erster Linie dafür Verwendung finden, daß der Bundesminister für Verkehr eine besonders gute Imagepflege betreibt. Ich gebe Ihnen gerne zu, daß das Ihre Werbemanager in hervorragender Weise verstehen. Ich meine aber, daß Steuermittel für einen solchen Personenkult, der sich ja im übrigen sehr gut in das Gehabe der übrigen Ressorts einfügt, zu schade sind. Ich meine auch, Herr Bundesminister für Verkehr, daß Sie das in dieser Form an sich nicht nötig hätten. Deswegen meine herzliche Bitte an Sie: Stellen Sie das ab. Sie erweisen sich damit selbst den besten Dienst.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist abgelaufen. Ich wollte meine Redezeit bewußt nicht überschreiten. Ich habe mich darauf beschränkt, nur einige haushaltsbezogene Punkte der Kritik anzuführen. Aber ich bin der Auffassung, daß wir uns bei Ihrem Haushalt, Herr Bundesminister für Verkehr, aus den hier angegebenen und aus vielerlei anderen Gründen, die Freunde von mir noch vortragen werden, einfach nicht mehr nur der Stimme enthalten können. Wir müssen diesen Haushalt ablehnen, und zwar deswegen, weil der deutschen Öffentlichkeit mit diesem Haushalt bewußt ein falsches Bild vorgegaukelt wird und weil dieser Haushalt, wie ich in einigen Punkten nachgewiesen habe, inkorrekt ist.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sprecher der Opposition hat angekündigt, daß sie den Haushalt ablehnt, weil er in seinen Zahlen unrealistisch sei Sie haben die Zahlen genannt, Herr Kollege Rawe
- und weil im Haushalt und in Erklärungen des zuständigen Ministers Zukunftsbilder vorgegaukelt würden, die nicht realisiert werden könnten. Herr Kollege Rawe, die Opposition hat natürlich die Pflicht zur Kritik, darauf hinzuweisen, wo etwas verbesserungswürdig ist. Aber sie ist nicht daran gehindert, dem Haushalt in Gestalt von Änderungsanträgen wieder eine realistische Form zu geben. Daran sind Sie nicht gehindert. Änderungsanträge zu diesem Haushalt aber liegen bis zur Stunde nicht vor. Mir sind jedenfalls keine Änderungsanträge der Opposition zu diesem Haushalt bekanntgeworden.
({0})
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Herr Kollege Ollesch, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es nicht nur selbstverständlich, sondern nach dem Gesetz Pflicht der Regierung ist, einen korrekten Haushalt vorzulegen, und sind Sie nicht mit mir weiter der Meinung, daß der Minister, wenn eine Entwicklung deutlich ist - Sie werden sich vorstellen können, daß ich meine Zahlen nicht aus der Luft greife; da der Bundesminister für Verkehr ordentlich mit uns zusammenarbeitet, habe ich sie aus seinem Hause - und wenn er Entwicklungen erkennt, sie auch realistisch in den Haushalt einstellen muß?
Herr Kollege Rawe, ich stimme Ihnen zu, und ich stelle die Behauptung auf, daß dieser Haushalt realistisch ist.
({0})
Der Verkehrshaushalt nimmt im Rahmen des Gesamtetats eine bedeutende Stellung ein, einmal wegen der Wichtigkeit des Problems an sich, aber auch wegen der Höhe der Mittel, die diesem Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Dieser Haushalt weist gegenüber dem Haushalt des vergangenen Jahres eine Steigerung von rund 14 % auf, die sich über der allgemeinen Steigerung des Gesamthaushalts bewegt. Wir haben in den letzten Monaten hier im Hause die Probleme - ({1})
- Sie können ja gleich hier heraufgehen und andere Zahlen bringen, Herr Kollege. Daran sind Sie nicht gehindert.
({2})
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Herr Kollege Ollesch, haben Sie eigentlich noch nicht verstanden, daß wir nicht die Mehraufwendungen im Rahmen des Bundeshaushalts für Verkehr kritisieren, sondern daß wir kritisieren, daß mit den Mehraufwendungen ein Minus an effektiven Leistungen verbunden ist?
({0})
Herr Kollege Müller-Hermann, meine Ausführungen haben mit Ihrer hier allgemein geübten Kritik gar nichts zu tun. Ich stelle nur fest, daß dieser Haushalt um den von mir genannten Prozentsatz gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist.
({0})
Herr Dr. Müller-Hermann, von der Effektivität der zur Verfügung gestellten Beträge war in meinen Ausführungen überhaupt noch nicht die Rede. Von daher fehlt Ihnen jede Grundlage, meine Ausführungen zu kritisieren.
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Herr Kollege Ollesch, ich hoffe doch nicht, daß Ihnen entgangen ist, daß ich mich im Gegensatz zu dem Kollegen Haehser der Mühe unterzogen habe, hier konkrete Zahlen vorzubringen. Wir haben also nicht die Zahlen in Frage gestellt. Es wäre wirklich dankenswert - und darum bitte ich Sie -, wenn Sie das nicht in Zweifel ziehen wollten. Sonst diskutieren wir aneinander vorbei.
Herr Kollege Rawe, Ihnen muß ich sagen: Für Sie gilt die gleiche Antwort, die ich dem Herrn Kollegen Müller-Hermann gegeben habe. Ich habe eine Feststellung getroffen, weiter nichts. Mir wird es doch erlaubt sein, hier Feststellungen zu treffen.
({0})
Die Probleme des Verkehrs wurden hier im Hause in den letzten Monaten sehr intensiv diskutiert an Hand von Vorlagen, die sich mit den einzelnen Sparten des Verkehrs beschäftigten. Aber die Diskussion wird in der deutschen Öffentlichkeit weitergeführt, weil die brennenden Fragen, die ungelösten Probleme im Verkehr jedem Bürger unseres Landes tagtäglich deutlich sichtbar werden.
Der Haushalt des Verkehrsministeriums hat folgende Schwerpunkte: den Straßenbau nach dem Straßenbauplan, die Probleme der Bundesbahn, den öffentlichen Personennahverkehr, die Binnenschifffahrt und die Luftfahrt. Nun hat der Kollege Rawe auf den Bedarfsplan hingewiesen, auf den Plan für die nächsten fünfzehn Jahre, und erklärt, daß dieser Plan Illusionen wecke
({1})
und geeignet sein, Hoffnungen zu wecken, die später durch die harten Realitäten widerlegt würden.
({2})
Sie haben dabei erwähnt, daß der Bundesverkehrsminister bei der Debatte über den Straßenverkehrsplan selbst darauf hingewiesen hat, daß die voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mittel für eine volle Realisierung des Bedarfsplanes nicht ausreichen werden.
({3})
Es ist ja gar nicht so neu, daß ein Bedarfsplan nach Ablauf der gesetzten Frist, nach Ablauf der Zeit, die man sich als Ziel gesetzt hat, nicht immer mit den gegebenen Realitäten übereinstimmt,
({4})
daß die Wirklichkeit sich also von den Zielen des Bedarfsplans entfernt hat. Meine Damen und Herren, das ist aber nicht nur jetzt, da diese Regierung im Amt ist, der Fall;
({5})
es ist auch das Schicksal von Plänen, von Bedarfsplänen auch der vergangenen Regierungen gewesen, daß sie auf Grund des Eintretens bestimmter Umstände oder auf Grund von neuen Erkenntnissen nicht in vollem Umfang erfüllt werden konnten.
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe?
Herr Kollege Ollesch, ich verspreche Ihnen, daß dies meine letzte Zwischenfrage sein wird. Darf ich also Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie selbst davon ausgehen, daß Sie diesen Straßenbauplan nicht erfüllen werden?
Nein, davon dürfen Sie nicht ausgehen, Herr Kollege Rawe. Sie hätten genau zuhören sollen. Aber das Zuhören fällt Ihnen ja immer etwas schwer, weil Sie etwas Bestimmtes heraushören wollen. Ich habe gesagt, daß der Bedarfsplan mit den bisher vorausschaubar auf Grund von Gesetzen und Verordnungen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht in vollem Umfang erfüllt werden kann.
({0})
Das hat auch der Bundesverkehrsminister hier in voller Offenheit erklärt, und wir haben darüber debattiert.
({1})
Auch Sie, Herr Kollege Rawe, haben damals nicht
gesagt, wie Sie diesen Bedarfsplan erfüllen werden.
({2})
Sie haben auch keinen anderen Plan vorgelegt.
({3})
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt ({0})?
Frau Präsidentin, ich möchte meine Ausführungen jetzt im Zusammenhang zu Ende bringen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Zusammenhang weitersprechen. Sie haben ja Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
Nach dem Straßenbauplan werden in diesem Jahr 5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Das ist ein Betrag, der um 630 Millionen DM über dem des vergangenen Jahres liegt. Niemand wäre in der Lage ein Mehr an Mitteln für den derzeitigen Bedarf und für die Durchführung von zur Zeit baureifen Maßnahmen einzusetzen,
({0})
ohne auf die gesamtwirtschaftliche Lage Rücksicht nehmen zu müssen.
({1})
Wir haben im vergangenen Jahr - aus diesem Grunde ist der Streit darüber, ob die Mittel für den Bedarfsplan ausreichen oder nicht, verhältnismäßig müßig - aus konjunkturellen Gründen das Geld nicht ausgeben dürfen und können, das ursprünglich für den Straßenbau vorgesehen war.
Sie können immer nur den Bedarf, der vorhanden sein wird, auf der Grundlage einer Entwicklung, die so weiterläuft, wie sie sich heute abzeichnet, feststellen. Es können schließlich Umstände eintreten, die es notwendig machen, den Plan zu forcieren oder ihn zu kürzen, also seine Durchführung zu verlangsamen.
Meine Damen und Herren, aus der Tatsache, daß schon für die Mitte der 70iger Jahre die Sättigung im Kraftfahrzeugbestand erwartet wird
({2})
- doch, Mitte der 70er Jahre; das sind die neuesten Zahlen! -, läßt sich leicht ablesen, daß ein Bedarfsplan über einen so langen Zeitraum so viele Unsicherheiten in sich birgt, daß er eben nur ein Bedarfsplan sein kann.
({3})
Herr Kollege Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundesbahn hat in den bisherigen Ausführungen besonderes Interesse gefunden. Herr Kollege Rawe sprach von der „Traumgrenze" der Zuwendungen des Bundes an die Bundesbahn.
({1})
Herr Kollege Rawe, seit Jahren debattieren wir über die Sanierung und die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Bundesbahn. Diese Debatte wurde geführt, als Sie den Bundesverkehrsminister stellten, und sie wird zur Zeit geführt, wo die Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten den Bundesverkehrsminister stellt. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die von uns angestrebte Rationalisierung Erfolge erzielt hat.
({2})
Es ist ferner eine unbestreitbare Tatsache, daß die Maßnahmen der Bundesbahn selbst, ihre Versuche, dieses Unternehmen wirtschaftlicher und kaufmännischer zu führen, als es in der Vergangenheit geschehen ist, zu größeren Erträgen geführt haben. Das ist unbestreitbar.
({3})
Aber, Herr Kollege Rawe, auch Sie hätten nicht verhindern können,
({4})
daß der positive Effekt dieser Maßnahmen durch inzwischen eingetretene Kostensteigerungen, die die Deutsche Bundesbahn nicht zu verantworten hat, zum großen Teil wieder zunichte gemacht worden ist.
({5})
Nun sagen Sie, meine Damen und Herren: „Dafür tragen Sie die Verantwortung." Herr Kollege Müller-Hermann, ich darf Ihnen vorhalten, daß die Bundesregierung, die bestrebt ist, die Bundesbahn rationeller zu führen, von Ihnen und von Ihnen nahestehenden Politikern in den Ländern daran gehindert wird, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Erst unlängst hat das Land Bayern sich durch einen Kabinettsbeschluß dafür entschieden, gegen den Beschluß der Bundesregierung und der Deutschen Bundesbahn, die Bundesbahndirektion Regensburg aufzulösen, Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben.
({6})
- Herr Kollege Haase, es spielt doch keine Rolle, ob das die Hessen auch gemacht haben.
({7})
Sie können dieser Regierung und der Leitung der
Deutschen Bundesbahn nicht vorwerfen, sie seien
nicht in der Lage gewesen, bei dem Versuch, die Bundesbahn zu sanieren, einen größeren Effekt zu erzielen.
({8})
Meine Damen und Herren, hier wurde gesagt, die Bundesregierung habe es in der Vergangenheit versäumt, rechtzeitig für kostendeckende Tarife zu sorgen.
({9})
Ich habe, wie Sie wissen, kürzlich von dieser Stelle aus gefordert, daß auch der Bundesbahn die von ihr benötigten finanziellen Mittel zugestanden werden müßten.
({10})
Jede Leistung fordert ihren Preis, und auch der
Bundesbahn muß für die von ihr angebotene Dienstleistung ein angemessener Preis eingeräumt werden.
({11})
Aber, meine Damen und Herren, Sie wissen ebensogut wie ich, daß übergeordnete Gründe konjunktureller Art den Bund daran gehindert haben, zu einer Zeit, als Preisdämpfung oberstes Gebot war,
({12})
mit Tarifanhebungen, die bis zum Verbraucher durchschlagen, eine Kostenlawine auszulösen.
({13})
- Nein, meine Damen und Herren, das ist nicht und das war nicht unsere Politik, sondern das ist Ihre Politik; denn die Tarife waren schon seit 1964 festgefroren,
({14})
also seit einer Zeit, als Ihr Kollege Seebohm Bundesverkehrsminister war.
({15})
Auch zu der Zeit, als Sie den zuständigen Minister stellten, gab es für die Bundesbahn aus übergeordneten politischen Gründen keine kostendeckenden Preise.
({16})
Wir stellten jedenfalls fest, daß die eingeleiteten Maßnahmen dieser Regierung, obwohl sie im Ergebnis durch - auch in ihrer Höhe - unvorhergesehene Lohn- und Gehaltstarifanhebungen zum Teil zunichte gemacht wurden, die Bundesbahn auf die Dauer in die Lage versetzen, ihren Betrieb nach kaufmännischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen und ihr notwendiges Ergebnis einzufahren.
({17})
Die Probleme der Finanzierung der Gemeindeverkehrswege haben zur Zeit hier und in der Öffentlichkeit und in der Diskussion um die Finanzierung des Personennahverkehrs eine besondere Rolle gespielt. Wir erleben in diesen Tagen, daß eine Reihe von öffentlichen Personennahverkehrsunternehmen gezwungen ist, die Tarife anzuheben, daß trotz der ständigen Tarifanhebungen kein Ergebnis erzielt wird, das annähernd die Kosten in diesen Betrieben deckt.
({18})
Diese Feststellung ist nicht auf die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland allein beschränkt. Kein kommunaler Verkehrsbetrieb in der westlichen Welt fährt ohne Defizit.
({19})
Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, den Defiziten zu begegnen. In der Vergangenheit sind von seiten der Länder Finanzhilfen gewährt worden durch Nachlässe in der Kraftfahrzeugsteuer, durch Erlasse in der Wegekostenabgabe.
Heute wird zur Sanierung dieser Betriebe von den Kommunen, aber auch von den Ländern der Verzicht des Bundes auf die Mineralölsteuer gefordert.
({20})
Ein entsprechender Antrag des Bundesrates
({21})
liegt vor, der eine Mehrbelastung des Bundes in Höhe von 175 Millionen DM bedeutet. Selbst wenn der Bund zur Zeit in der Lage wäre, auf diese 175 Millionen DM zu verzichten, wird damit das Problem der Finanzierung unserer öffentlichen Nahverkehrsbetriebe auf die Dauer nicht gelöst werden.
({22})
Das sind nur Palliativmittelchen, meine Damen und Herren, und wir sollten uns hüten, auf diesem Wege fortzufahren.
({23})
Der Bundesverkehrsminister hat angedeutet und erklärt, daß er im Laufe dieses Jahres ein Gesamtkonzept für den öffentlichen Personenverkehr vorbereitet und vorlegen wird. Herr Kollege Stücklen, Sie fragen: Was sollen wir denn tun? - Sie sind doch - das erklären Sie seit einigen Tagen - im Besitz der höheren Weisheit. Dann sagen Sie doch, was Sie tun müssen, ohne daß wir es Ihnen sagen müssen.
({24})
Ich versuche Ihnen ja zu sagen, was wir tun werden. Ebenso wie der Bund für seinen Bereich, für die Deutsche Bundesbahn, dafür sorgt, daß diese Bundesbahn ihre Leistung für die Gesamtbevölkerung weiter erbringen kann, müssen hier die Gemeinden - das sind die zuerst Betroffenen -, die Länder, aber auch der Bund gemeinsam nach Lösungen suchen, die die Nahverkehrsunternehmen wieder in den Stand versetzen, Fahrgäste an sich heranzuziehen und den Individualverkehr mit seinen schrecklich teuren Lasten für die Gesamtheit auf den öffentlichen Nahverkehr herüberzuziehen.
({25})
- Meine Damen und Herren, Sie werden hier entsprechende Vorschläge von dieser Bundesregierung und dem zuständigen Minister erhalten. Er hat sie angekündigt.
({26})
- Erwarten Sie, die Sie ja nicht in der Lage sind,
einen einzigen Gegenvorschlag zu machen, von mir in diesem Moment, daß ich Ihnen ein abgerundetes Konzept für die Sanierung des Nahverkehrs vorlege?
({27})
- Da sind wir uns wieder einig.
Meine Damen und Herren, bei der Bewältigung dieses Problems Personennahverkehr darf nicht immer nur nach dem Bund gesehen werden, darf nicht immer nur Hilfe allein vom Bund erwartet werden. Auch die Unternehmen selbst, meine ich, haben in der Vergangenheit nicht in vollem Umfang das Ihrige getan, um den Fahrgast zu veranlassen, weiterhin die öffentlichen Nahverkehrsmittel zu benutzen. Wo bleibt die Werbung dieser Unternehmung? Das klingt schrecklich unwichtig. Aber wir wissen, daß die Deutsche Bundesbahn einen begehbaren Weg zur Gewinnung weiterer Personenkreise als Fahrgäste beschritten hat. Wo hat je ein Nahverkehrsunternehmen für die Benutzung des Unternehmens selbst geworben, durch Werbung, aber auch - meine Damen und Herren, das sei einmal ausgesprochen - durch gute Behandlung der Kunden dieser Unternehmungen?
({28})
Das muß an dieser Stelle einmal gesagt werden.
({29})
Die Nahverkehrsunternehmen erwarten - hier kommen wir zu Ihrer beliebten Tirade - einen Verlust in Höhe von 640 Millionen DM aus dem Verkehr
({30})
und in diesem Jahr einen Verlust von 1 Milliarde
DM. Allein an diesen Zahlen wird das ganze Problem sichtbar, das mit dem Erlaß der Mineralölsteuer
in Höhe von 175 Millionen DM allein überhaupt nicht zu lösen ist.
({31})
Meine Damen und Herren, ich erlaube mir ferner den Hinweis: überall dort, wo der Bund Aufgaben mitfinanziert, die zuvorderst den Gemeinden oder den Ländern obliegen, sind die eigenen Anstrengungen der anderen Ebenen in fast gleichem Umfang, jedenfalls in erheblichem Umfang zurückgegangen. Als die 3 Pfennig der Mineralölsteuer, die der Bund in die Finanzierung der Lösung der Verkehrsprobleme der Gemeinden steckt, den Gemeinden zugewiesen wurden, sank der Anteil der Gemeinden am Verkehrswegebau erheblich.
({32})
Auch das muß bedacht werden, wenn immer nach der Hilfe des Bundes gerufen wird.
({33})
Herr Kollege Ollesch, Sie haben schon etwas Verlängerung wegen der Zwischenfragen bekommen. Seien Sie so gut, zum Schluß zu kommen.
Ich bitte, mir das nachzusehen. Ich bin über Gebühr, vielleicht von mir provoziert, gestört worden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Der Haushalt des Bundesverkehrsministeriums versucht, mit den gegebenen Möglichkeiten den finanziellen Problemen, die der Verkehr uns stellt, zu begegnen. Die Schwerpunkte sind sorgsam gewählt und sind kaum veränderbar. Fast die Hälfte des zur Verfügung stehenden Geldes fließt dem Straßenbau zu in Beachtung des auf uns zukommenden Verkehrsaufkommens. Die andere Hälfte geht zum größten Teil in die Anlagen und in den Betrieb der Deutschen Bundesbahn, des bedeutendsten Verkehrsträgers der Bundesrepublik. 1 Milliarde DM erhalten die Gemeinden aus dem Mineralölsteueraufkommen, das für die Gemeinden vorbehalten war, und der Rest verteilt sich auf die Bundeswasserstraßen, Luftfahrt und Seeschiffahrt.
Die Politik der Bundesregierung beruht auf einem Konzept, das gestaltet wurde, als die jetzige Opposition noch mit Regierungsverantwortung trug. Die gegebenen Fakten in der Verkehrspolitik lassen im Grunde genommen eine andere Schwerpunktpolitik, als sie der Haushalt aufweist, nicht zu. Aus diesem Grunde stimmen die Freien Demokraten dem Haushalt in der vorliegenden Form zu.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
({0})
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß die Kollegen von der SPD meiner Rede mit solcher Freude entgegensehen.
({0})
Ich hoffe, ich werde Sie, wie immer, nicht enttäuschen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verkehrspolitik ist ja letztlich ein Bereich der gesamten Wirtschaftspolitik,
({2})
und der Verkehrshaushalt wird in einer ganz besonderen Weise von der inflationären Politik der Regierung Brandt getroffen.
({3})
An diesem Haushalt wird sichtbar, wie die Wirklichkeit ausschaut und wie sie sich von den Propagandaredensarten, die Sie mit sehr viel Geld unserer Steuerzahler unter die Leute bringen, sichtbar abhebt.
({4})
Zwei Bereiche - sie sind schon angesprochen worden - machen dies sehr deutlich, und ich möchte das noch etwas vertiefen. Das ist einmal der Bereich der Deutschen Bundesbahn, und zweitens ist es der Bereich des Fernstraßenbaus.
({5})
Trotz voller Auslastung der Kapazitäten der Bundesbahn, trotz beeindruckender Rationalisierung seit vielen .Jahren,
({6})
trotz der Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn
eine der modernsten Eisenbahnen der Welt ist, hat
sich ihre Etragslage in einer alarmierenden Weise
({7})
verschlechtert. Ursache ist eben, daß die Bundesbahn von der vollen Wucht der inflationären Politik dieser Regierung getroffen wird.
({8})
- Und da hilft auch kein Pfui, meine verehrten Herren. Daß Ihnen das nicht paßt, wissen wir ja.
({9})
Sie sind ja immer sehr allergisch, wenn man Ihnen einmal die Wahrheit sagt. Im Austeilen sind Sie und Ihre Herren immer ganz groß;
({10})
im Einstecken sind Sie empfindsam wie Mimosen.
({11})
Aber ich will das ja nicht nur so generell sagen, sondern ich möchte einmal ein paar Daten nennen, die das sichtbar machen.
({12}) Wir haben im Jahre 1970 Preissteigerungen - ({13})
- Das überlassen Sie mir, Herr Kollege, wie ich hier rede.
({14})
Sie können Ihre Gelüste, andere dirigieren zu wollen, zu Hause abladen, aber nicht bei mir.
({15})
Dazu also einige Daten: die Kohlenpreise für die Bundesbahn sind um 27 % gestiegen, der Preis für Koks um 53 %, der für Arbeiten am Gleisoberbau um 25 %.
({16})
Die Hochbaupreise stiegen um 24 %,
({17})
die Preise für Stahlbaumaßnahmen - Brücken- und konstruktiver Ingenieurbau - um 35 %.
({18})
Dieselben Baumaßnahmen bei Beton wurden um 25 % teurer, dazu schweres Heizöl um 35 %, - um nur einiges zu nennen.
({19})
In weiteren wesentlichen Sachbereichen, auf die die Bundesbahn angewiesen ist, sind bereits Preiserhöhungen für 1971 angekündigt worden.
({20})
Das ist die Ursache dafür, daß trotz stärkster Anstrengungen der Bahn und trotz kaufmännischen Verhaltens eine Kostenlawine auf sie zukommt.
Herr Kollege Lemmrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Lemmrich, hätten Sie vielleicht - das würde die Sache etwas objektiver machen - die Vergleichszahlen von der SNCF bei der Hand, und können Sie die hier vortragen?
Nein, ich habe die Vergleichszahlen von der SNCF hier nicht zur Hand.
({0})
- Ach, Herr Schäfer, hören Sie doch mit diesen Redensarten auf! Sie tun doch alle Fragen so peu à peu zur Seite wischen. Gerade Ihre letzte Rede hat doch deutlich gemacht, wie wenig Sie sich in vielen
Sachbereichen auskennen, aber großtönend daherreden.
({1})
Herr Kollege Lemmrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Wären Sie vielleicht so freundlich, Herr Kollege Lemmrich, den Kollegen, die eben gefragt haben, klarzumachen, daß die Vergleichspreise der SNCF bei dem Thema, das Sie hier verdeutlichen wollen, keine Rolle spielen?
Herr Kollege Leicht, genau an dem ist es. Wir haben hier die Probleme der Deutschen Bundesbahn und dieses Bundeshaushalts darzulegen. Natürlich verstehe ich, daß man mit solchen etwas windigen Ablenkungsmanövern ein bißchen aus dem Schneider herauskommen will, in dem man so tief drinsitzt, daß man nicht mehr recht hinausschauen kann.
({0})
Dazu kommt eine Steigerung der Personalkosten um 1 Milliarde DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, solche Kostenbelastungen kann keinerlei Rationalisierung auffangen; darüber muß. man sich im klaren sein.
({1})
Der Fehlbetrag wird steigen, trotz der schönen Reden, die Herr Minister Leber seit Jahren draußen gehalten hat, wo er lauthals erklärt hat, unter ihm werde die Bundesbahn aus dem Defizit herauskommen, mit seinem Vorgänger sei ja nicht so viel losgewesen. Statt dessen hätte sich der Herr Minister bei seiner Amtsübernahme vielleicht etwas intensiver mit den Problemen vertraut machen sollen; dann wäre er in manchen seiner Äußerungen zurückhaltender gewesen
({2})
und brauchte sich hier heute nicht manches sagen zu lassen. Aber das ist ja meistens so: Je weniger jemand eine Sache richtig kennt, um so lauter redet er davon.
({3})
- Nun, meine verehrten Herren, warten Sie ab! Es geht noch weiter.
Zu diesem Fehlbetrag nahm der Herr Bundesminister der Finanzen unlängst hier Stellung. Er hat die Zahlen des Kollegen Leicht zurechtzubiegen versucht und gesagt, das stimme so nicht. Die Zahlen, die der Bundesminister der Finanzen nach dem Protokoll des Bundestages hier vorgetragen hat, sind nicht zutreffend. Das muß festgestellt werden.
({4})
Er hat erklärt, die Deutsche Bundesbahn schätze den Fehlbetrag für 1971 auf 2 Milliarden DM. Davon werde 1 Milliarde DM durch Mehreinnahmen infolge Tariferhöhungen und 1 weitere Milliarde DM durch
die in Einzelplan 12 enthaltenen Liquiditätshilfen abgedeckt.
Tatsache ist, daß die Aufwendungen der Bundesbahn für 1971 mit 16,4 Milliarden DM veranschlagt sind. Die Erträge ohne die Tariferhöhungen belaufen sich auf 13,6 Milliarden DM. Das ergibt den Fehlbetrag, den Herr Kollege Rawe hier aufgeführt hat, von 2,8 Milliarden DM. Gehen wir davon aus, daß aus den Preiserhöhungen der Deutschen Bundesbahn 800 Millionen DM eingehen - diesen Betrag hat der Bundesminister für Verkehr im Haushaltsausschuß genannt; er wird auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage genannt; es würde uns freuen, wenn 1 Milliarde DM eingebracht werden; aber gehen wir von den 800 Millionen DM aus , dann müssen wir eben feststellen, daß ein Betrag, der nicht in der Liquiditätshilfe in Einzelplan 12 dieses Bundeshaushalts ausgewiesen ist, von 1 Milliarde DM ungedeckt ist.
({5}) Das ist nicht drin!
({6})
Dazu kommt noch etwas Weiteres. Infolge der Erhöhung der Personalkosten ergibt sich wegen der überhöhten Versorgungslast der Deutschen Bundesbahn, zu deren Abdeckung sich der Bund verpflichtet hat, ein weiterer Betrag von 70 Millionen DM. Dazu kommt ein noch nicht quantifizierter Betrag, der sich daraus ergibt, daß die Sozialtarife der Deutschen Bundesbahn nicht angehoben werden. Hier ist ja bisher eine Regelung praktiziert worden, indem der Bund von diesem Fehlbetrag 80 % getragen hat. Ich möchte den Bundesminister der Finanzen fragen, ob das so ist, ob diese Regelung gilt, daß 80 % vom Bund getragen werden. Auch hier ein weiterer Unsicherheitsfaktor in diesem Haushalt!
Das ergibt also einen Betrag, der über 1 Milliarde DM liegt.
({7})
So sind die Sachverhalte, und daran kommt man nicht vorbei.
Sicher kann dieses Defizit durch die Übernahme des Schuldendienstes aus dem Einzelplan 12 in den Einzelplan 32 hinübergebracht werden. Darüber wird im Moment verhandelt. Zur Debatte steht ein Betrag von 700 Millionen DM. Der Bundesminister für Verkehr, Herr Leber, hat vor dem Haushaltsausschuß gesagt, das sei ein Umbuchungsvorgang. Das stimmt auch. Der Gesamtbundeshaushalt bleibt nach wie vor mit Sicherheit aus diesem Bereich mit einem Unsicherheitsfaktor von über 1 Milliarde DM belastet.
Wie kam es eigentlich zu solch einem Dilemma? Das Dilemma kommt daher, daß der Bundesminister für Verkehr die Dinge augenscheinlich immer nur etwas an der Oberfläche gesehen hat und daß er seine malerischen Kunstwerke in Rosarot selbst für die Wirklichkeit gehalten hat. In Anbetracht der Kostensteigerungen, das muß gesagt werden, sind die Dienste der Deutschen Bundesbahn einfach zu billig verkauft worden. Und wenn wir dann doch wissen, wie man die heilige Kuh „administrative Preise" im Bundeskabinett behandelt hat - mit den administrativen Preisen ist es ja so als wenn man glaubt, eine Blinddarmentzündung durch das Aufkleben eines Pflasters heilen zu können. Die Sache ist hinausgeschoben worden, und je länger sie hinausgeschoben wird, um so schwieriger werden die Probleme. Es wird unumgänglich sein, daß die Erträge der Deutschen Bundesbahn in kürzeren Abständen an die steigenden Kosten angeglichen werden. Hier wird sichtbar, wie sich die Gesamtwirtschaft in unserem Lande entwickelt, und jedem wird sichtbar, ob eine Politik der Stabilität oder eine inflationäre Politik betrieben wird.
Daneben - das hat auch Kollege Haehser gesagt, und hier sind wir sicher einer Meinung - müssen die Rationalisierungen im technischen, organisatorischen und betrieblichen Bereich fortgeführt werden, obwohl man sich auch im klaren sein muß, daß die Möglichkeiten schon stark ausgeschöpft sind. Bei der Deutschen Bundesbahn zeigt sich ein Problem, vor dem immer mehr Bereiche unserer Wirtschaft stehen.
({8})
Eine ähnliche Malaise zeichnet sich ja auch beim Bundesfernstraßenbau ab. Nicht nur 1970 mußten 800 Millionen DM allein für die Preissteigerungen aufgewendet werden; für 1971 zeichnet sich eine ebenso beängstigende Situation ab. Für 1971 wird mit Preissteigerungen im Straßenbau von 10 bis 15 % gerechnet, hervorgerufen durch Erhöhungen verschiedener Bereiche. Ich will zugestehen, die erste, die ich nenne, ist nicht unbedingt in der Hand der Bundesregierung. Der Preis für Bitumen ist am 1. Januar 1971 im Schnitt um 40 % erhöht worden.
({9})
Hinzu kommen noch die Forderungen der Erdölländer, so daß man noch einiges erwarten muß. Aber dann kommen die Dinge, die die Regierung zu vertreten hat: die Anhebung der GNT-Sätze. Es ist natürlich eine Folge, daß das Gewerbe unter Kostendruck geraten ist. Die GNT-Sätze sollen um 18 % angehoben werden. Der Erdbau spielt eine enorme Rolle im Straßenbau. Da kann sich jeder ausrechnen, wie sich das niederschlägt. Die Steigerung der lohnbezogenen Kosten wird sicherlich nicht unter 12 % liegen.
Die Folge wird sein, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß zahlreiche im Straßenbauplan 1971 aufgeführte Bauprojekte nicht durchgeführt werden können. Die Unruhe wird unter allen, auch unter den Kollegen hier, in deren Bereichen das passiert, sicherlich wachsen.
Noch im Haushaltsausschuß hat der Bundesminister für Verkehr am 17. Dezember 1970 auf meine Frage hin, ob nicht schon Baumaßnahmen eingestellt worden seien, erklärt, es sei ihm nichts darüber bekannt. Später hat er bestätigen müssen, daß konkrete Maßnahmen eingestellt werden mußten. Wie sich das weiter entwickelt, werden wir im Laufe des Jahres sehen.
Ich möchte den Herrn Bundesminister Leber an das erinnern, was er im Wahlkampf 1969 in diesem
Zusammenhang über seinen Vorgänger losgelassen hat, so unter dein Motto: Was ich übernommen habe, war das halbe Chaos. Herr Minister, Sie werden möglicherweise in eine noch etwas schwierigere Lage geraten. Die Dinge sind nicht leicht. Aber man sollte auch in der Erweckung von Hoffnungen immer die entprechende Zurückhaltung üben. Die Hoffnung, die Preise im Fernstraßenbau würden zurückgehen, ist eine vage Hoffnung, weil die Steigerungen kostenbedingt sind.
Unverantwortlich aber ist es, wenn hinsichtlich des Straßenbauvolumens falsche Hoffnungen erweckt werden, wie das in der Broschüre zur neuen Straßenverkehrsordnung wieder geschieht. Das Bild von Herrn Bundesminister Leber ist wirklich sehr schön.
({10})
Er muß einen exellenten Fotografen haben. Er sieht nett und freundlich darauf aus. Vor allem hat man den Eindruck, er war da ausgeruht und nervenmäßig ganz gut beieinander.
({11})
Das ist nicht immer bei Minister Leber so. Aber dann steht da, daß 100 Milliarden DM für Autobahnen ausgegeben werden und daß jeder zweite Autofahrer noch höchstens 6 km bis zur nächsten Auffahrt hat. Da geht die alte Sache weiter.
({12})
Herr Minister, es wäre wirklich an der Zeit, daß Sie Ihre Hofsänger, die Sie zu Ihrer höheren Ehre angestellt haben, endlich einmal mit den Realitäten vertraut machen würden.
({13})
Meine verehrten Damen und Herren, weil der Herr Minister die Dinge immer etwas zu rosig sieht und augenscheinlich - ich will ihm das zugute halten - die von seinen Mitarbeitern verzapfte Propaganda selbst glaubt, kommt es eben zu solchen Situationen. Anstatt z. B. im Verkehrsbericht eine ehrliche Bilanz der Verkehrspolitik zu ziehen, werden die Probleme nicht realistisch dargestellt, sondern schönfärberisch und damit schief. Dadurch wird das rechtzeitige Handeln versäumt, weil er sich selbst mit diesen Pillen einlullt.
({14})
Dasselbe gilt für die Verkehrssicherheit, Herr Minister. Im November 1969 führten Sie auf einer Pressekonferenz aus, daß das Sinken der Zahl der Verkehrstoten, worüber Sie sich erfreut äußerten und auch wir uns gefreut haben, eine Wirkung Ihres Plans sei, obwohl jeder wußte, daß die Probleme so schwierig sind und bei zunehmender Motorisierung einfach akut bleiben. Aber wenn man ein so großer Matador und Athlet ist,
({15})
dann ist die Sache ganz anders. Herr Minister, Sie haben das damals für Ihren Plan in Anspruch genommen.
({16}) Da muß ich natürlich fragen: Ist es dann nicht eine logische Betrachtung, wenn Ihre Politik heute für das Steigen dieser besorgniserregenden Zahl auch verantwortlich gemacht wird?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gleich am Ende, gnädige Frau; meine Redezeit läuft ab.
Ende November 1970 erreichte die Zahl der Verkehrstoten mit 17 319 eine in der Bundesrepublik bisher noch nicht bekannte Höhe.
({0})
Sie lag damit um 13,2% über der Vorjahreszahl. Ich meine: wenn man solche Hoffnungen erweckt hat, muß man sich solche Zahlen vorhalten lassen. Wir wissen, wie schwierig das ist, und wir haben nicht, wie Sie das jahrelang gemacht haben, die Dinge für den Straßenbau ins Feld geführt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Regierung ist eine Regierung der großen Worte und der mäßigen Taten.
({1})
Mit einem Großaufwand von Propaganda und mit dem Geld unserer Steuerzahler soll der Eindruck von Taten und Reformen erweckt werden.
({2})
Das gilt auch für den Bereich der Verkehrspolitik, wo ein Haushalt vorgelegt worden ist, der voller Risiken ist, um nicht zu sagen, er sei dubios.
({3})
Das Wort hat Herr Bundesminister Leber.
({0})
Gnädige Frau! Meine Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt zählt sicher zu den Haushalten, die, soweit ihre Leistungen in Betracht kommen, am unmittelbarsten auf die Bevölkerung im Lande wirken. Ich freue mich deshalb auch darüber, daß man von Zeit zu Zeit einmal Gelegenheit hat, die Probleme, die in ihm stekken, im Plenum zu diskutieren.
({0})
Manchmal habe ich das Gefühl, wenn das etwas häufiger geschähe, wäre das der Sache wegen nicht nachteilig.
Der Bundesfinanzminister hat die Bedeutung des Einzelplans 12 durchaus gewürdigt. Er hat von sich aus zugestanden, daß der Einzelplan 12 ein Wachstum hat, das kaum ein anderer Haushalt in dieser Größe aufweist. Die Steigerung ist beachtlich. Der Haushaltsausschuß hat dem, was der Bundesfinanzminister dem Einzelplan zugestanden hat, noch etwa 80 Millionen DM hinzugefügt. Ich bin ihm dafür dankbar. Das gibt man doch eigentlich keinem Minister, der so schlecht ist, wie Sie ihn jetzt gemacht haben, meine Herren aus dem gleichen Ausschuß.
({1})
Das war noch mehr, als er eigentlich verlangt hat.
({2})
- Natürlich gibt es auch gesetzliche Vorschriften; daran halten wir uns ja alle.
({3})
Sie haben sich nun einem Thema zugewandt, das im Einzelplan 12 eigentlich nur mit ein paar Globalzahlen enthalten ist, nämlich der Deutschen Bundesbahn. Ich verstehe, daß dieses zweitgrößte deutsche Unternehmen im Mittelpunkt einer Debatte wie dieser steht. Was ich jetzt vorbringe, sage ich ohne kritische Untertöne und auch nicht, weil ich es etwa nötig hätte, mich herauszustreichen. Früher gab es bei der Eisenbahn einen Mangel, der hieß: die Eisenbahn hat nicht genug zu fahren. Wir alle führten den Kern der Krankheit darauf zurück, daß die Eisenbahn Zehntausende von Waggons arbeitslos auf ihren Bahnhöfen stehen hatte. Das ist unstreitig. Heute ist es so, daß in diesem Lande etwas gelungen ist, was von amerikanischen, japanischen, französischen und englischen Expertengruppen, die zum Teil hier im Lande sind, studiert wird. Gelungen ist nämlich, nicht nur die Waggons der Bundesbahn zu beschäftigen, sondern wir haben im vergangenen Jahr streckenweise bis zu 5000 und 7000 Waggons in Frankreich geliehen, weil unsere nicht ausgereicht haben. Dies ist der Erfolg der Verkehrspolitik.
({4})
- Meine Damen und Herren, das brauche ich gar nicht laut zu sagen, um hier eine Propagandarede zu halten, sondern das ist so.
({5})
- Entschuldigen Sie einmal, Sie haben ihn früher nicht gehabt. Die Tatsache, daß er jetzt eingetreten ist, seit ich dieses Ministerium leite, führe ich nicht zuletzt auch darauf zurück, daß etwas geändert worden ist bei dieser Eisenbahn.
({6})
Warum haben Sie es denn früher nicht gemacht? Sie haben sich ja viel früher mit den Dingen befaßt, Sie sind sachkundig genug, Herr Lemmrich. Warum haben Sie denn nicht früher schon Ihre guten Ratschläge der Eisenbahn gegeben, als Ihr Freund Seebohm noch Verkehrsminister war?
({7})
- Ich komme ja noch darauf zurück.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, natürlich!
Herr Verkehrsminister, würden Sie mir nicht zustimmen, daß die Überbeanspruchung der Eisenbahn nicht auf die Verkehrspolitik, sondern auf die Überkonjunktur zurückzuführen ist?
({0})
Verehrter Herr Kollege, die hatten wir von 1962 bis 1965 genauso, und damals standen jährlich mehr Waggons leer als im Jahr vorher. Die Überkonjunktur unterscheidet sich heute gar nicht von der damaligen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lemmrich?
({0})
Laßt sie doch fragen!
Ja, sicher. Der Herr Minister ist uns ohnedies bei der letzten Debatte alle Antworten schuldig geblieben.
Herr Minister, Sie reden von 1962. Ist Ihnen bekannt, daß in den Jahren 1960 und 1961 fast kein Defizit bei der Deutschen Bundesbahn vorhanden war?
({0})
Da fing es ja an, Herr Kollege Lemmrich. 1960 hatte die Eisenbahn noch einen relativ ausgeglichenen Haushalt, und dann ist sie pro Jahr bis 1966 um etwa eine halbe Milliarde DM tiefer in Ansprüche an den Staat hineingefahren. Und das hat sich dann geändert.
({0})
- Nein, Sie müssen nur zuhören, ich will das ja erklären. Meine Damen und Herren, gehen Sie ganz sicher davon aus, daß ich der Meinung bin, daß das auch Ihre Eisenbahn ist, nicht nur die der Regierungsparteien. Da können Sie ganz sicher sein. Ich verteidige hier gar nicht Dinge gegen einen Teil dieses Parlaments, wenn die Forderungen gerechtBundesminister Leber
fertigt sind; ich weiß sehr wohl, was daran noch krank ist und was verändert werden müßte.
Wir haben also bei der Eisenbahn diese Beschäftigung erreicht und damit ein Problem gelöst, von dem man früher glaubte, es sei die Ursache allen Übels.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rawe?
Auch noch, jawohl!
Herr Minister Leber, warum verkennen Sie eigentlich dauernd, daß wir die Leistungen der Eisenbahner und der Eisenbahnverwaltung durchaus anerkennen? Warum spüren Sie nicht, daß unsere Kritik sich dagegen richtet, daß Ihre Ausweisung des Haushaltes in diesem Punkte unkorrekt ist? Darauf sollten Sie uns eine Antwort geben!
Darauf komme ich zurück. Nur zum ersten Halbsatz, Herr Kollege Rawe: Die Eisenbahner waren auch schon fleißig, als ich noch nicht Verkehrsminister war. Sie hatten nur keinen Erfolg mit dem, was sie getan haben.
({0})
Das muß doch an irgend etwas liegen, was sich 1966 geändert hat.
Nun komme ich zu dem Punkt, der meiner Auffassung nach das Übel ausmacht, und ich rede gar nicht darum herum. Wir die Christlich Demokratische Union und die Sozialdemokraten - haben 1967 eine mittelfristige Finanzplanung entwickelt, auch eine für die Eisenbahn; sie schlug ja dorthin durch. Und mit der Billigung dieses Hauses bzw. mit Wissen der Experten dieses Hauses hat die damalige Regierung mit einem Finanzminister, der Franz Josef Strauß hieß, in die Personalkostenprojektion für vier Jahre einen Ansatz von 4,5 % Personalkostenzuwachs im öffentlichen Dienst und damit hei der Eisenbahn veranschlagt. Darauf mußte das Verkehrspolitische Programm aufbauen. Ich habe damals - ich will hier nicht aus dem Nähkästchen plaudern - meine Anmerkungen gemacht, wie ich 4,5 % über eine Strecke von fünf Jahren, wenn man das angebrochene Jahr hinzuzählt, einschätze. Das ist damals alles gemacht worden aus der Sicht der lohnpolitischen Entwicklung des Jahres 1967, als wir am Rande einer Rezession standen und die Leute Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. Die Stahlindustrie sagte damals: Wir wollen überhaupt keine Lohnerhöhungen. Die Dinge kamen dann anders. Das sind die Zahlen, mit denen wir in unsere Projektion hineingegangen sind. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Wenn es bei 4,5 % geblieben wäre - ich kann Ihnen das vorrechnen; das wäre eine Rechnung, die Ihnen sehr unangenehm wäre; ich würde gerne den Erfolg hier vorweisen, wenn es möglich wäre, aber ich kann es nicht -, ich gehe noch einen
Schritt weiter: wenn es 6 % geworden wären, wäre der Eisenbahn noch ein Zweites gelungen, das auch bestaunt worden wäre. Abgesehen von den Zahlungen für den Kontenausgleich wäre die Rechnung dann nämlich heute wahrscheinlich ausgeglichen.
Wir haben bei der Deutschen Bundesbahn aber eine Steigerung, die wesentlich höher ist. Ich gönne das ,den Eisenbahnern.
({1})
Ich sage dazu von mir aus kein Wort der Kritik. Herr Kollege Lemmrich. Sie müssen sich die Zahlen einmal anschauen
({2})
und nicht so tun, als sei der Verkehrsminister für die Bilanz verantwortlich. Für die Zahlen ist dieses Haus nämlich viel eher verantwortlich als mein Haus.
Wenn Sie sich die Lohnentwicklung bei der Deutschen Bundesbahn anschauen, stellen Sie folgendes fest.
({3})
1960 gleich 100, 1968 gleich 151, in acht Jahren also eine Steigerung um 50 %. Von 1969 bis zum 1. Januar 1970 verzeichnen wir eine Steigerung von 151 auf 194,8.
({4})
- Einen Augenblick, darauf komme ich gleich. Sie müssen bei mir etwas vorsichtig sein. Ich habe nämlich bedacht, was Sie fragen könnten. Darauf komme ich von selber.
({5})
Niemand kann durch Verkehrspolitik solche Lohn- und Gehaltssteigerungen ausgleichen, die die Kostenseite der Bilanz eines solchen Verkehrsunternehmens belasten. Das geht nicht.
({6})
Ich kann Ihnen nur sagen: wenn Sie dem Verkehrsminister Vorwürfe machen, weil die Kosten so exorbitant gestiegen sind, die von niemandem, schon gar nicht von einem personalintensiven Verkehrsunternehmen wie der Deutschen Bundesbahn, deren Kosten sich zu 70% aus Lohn- und Gehaltskosten zusammensetzen, verdient und erwirtschaftet werden können, müssen Sie sich fragen, wie es dazu gekommen ist, daß die Kosten in diese Höhe gestiegen sind.
({7})
- Einen Augenblick. In diesem Hohen Hause sind die Gesetze gemacht worden, die die Kosten in die Höhe getrieben haben.
({8})
Die Opposition hat im Frühjahr 1970 die Regierungsvorlage noch einmal um 2 % übertreffen wollen. Es ist ein Glück, daß SPD und FDP das abgelehnt haben. Sonst wäre die Eisenbahn um einige 100 Millionen DM defizitärer, als sie das heute ist.
({9})
- Wir haben niemandem die Nase lang gemacht. Aber Sie haben ihnen jahrelang vorenthalten, was ihnen gerechterweise zugestanden hätte, und in dem Augenblick, in dem Sie in der Opposition waren, haben Sie in unverantwortlicher Weise geschürt.
({10})
Haben Sie nicht gewußt, was Sie damals beantragt haben, wieviel Geld das kostet, meine Damen und Herren von der Opposition?
({11})
Wenn Sie gewußt haben, was Sie beantragt haben, warum üben Sie dann Kritik?
({12})
- Das gefällt Ihnen nicht, Herr Lemmrich.
({13})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann?
Er will nicht mehr. Sie können gerne fragen, Herr Kollege Müller-Hermann. Oder ist Ihnen die Frage vergangen?
({0})
- Das stimmt. Aber sie ist dadurch teurer geworden,
({1})
daß Sie im Bundestag so exorbitante Forderungen stellen.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte schön!
Herr Minister, wollen Sie mit den Ausführungen sagen, daß das Personal bei der Bundesbahn zu hoch besoldet wäre?
({0})
Darüber habe ich mich gar nicht geäußert. Das ist die Art, wie man bei Ihnen so etwas verantwortlich sieht. Ich habe kein Wort der Kritik geäußert, sondern ich habe gesagt, die Kosten seien um soundso viel gestiegen. Ich wehre mich nicht dagegen, daß ein Bahnschaffner am allgemeinen Trend der Entwicklung teilnimmt.
({0})
- Ich habe Ihnen gesagt, Herr Lemmrich, Sie dürfen an dem Verkehrsminister keine Kritik üben, der die Rechnung für das präsentiert, was hier im Hause beschlossen worden ist - Sie als Opposition schon gar nicht -, auch in Richtung auf die Regierungsparteien; denn Sie hatten ja noch mehr beantragt, als die Regierungsparteien beschlossen haben.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Wer sich so benimmt in der politischen Entscheidung, wer sich so verhält, Herr Kollege Lemmrich, der verliert das Recht zur Kritik an dem, was dann ist.
({0})
Herr Kollege Lemmrich, wollen Sie Herrn Kollegen Leicht die Möglichkeit einer Frage geben? - Herr Minister, sind Sie einverstanden? - Bitte schön!
Herr Minister, teilen Sie meine Meinung, daß die Grundlage, die man Ihnen im Jahre 1967 zugeschoben hat - die Grundlage der mittelfristigen Finanzplanung, die Sie erwähnt haben -,
({0})
nun auch ausgegangen ist von denjenigen Daten,
die ein anderer, der nicht Strauß hieß, geliefert hat?
- Und wenn ich noch eine zweite Frage stellen darf, weil das zur Versachlichung der Diskussion beitraLeicht
gen soll: Wären Sie nicht auch mit mir der Meinung, daß nun die Lohnleitlinien - oder wie man das nennen mag , die der Herr Wirtschaftsminister beim Jahreswirtschaftsbericht 1970 - im Februar, glaube ich - hier kundgetan hat, weit höher lagen als das, was meine Fraktion für die Beamten in diesem Zeitpunkt in den Anträgen, die Sie erwähnt haben, beantragt hat?
Zu der ersten Frage, Herr Kollege Leicht: Ich habe ja gesagt: ich habe damals warnend meinen Finger erhoben. Dies ist ein Punkt gewesen, der natürlich von der Kontoführung her in den Bereich des Finanzministers gehörte, den das Kabinett aber im ganzen damals so geschlossen und gutgeheißen hat.
({0})
- Gut, da gebe ich Ihnen recht. Ich wehre mich ja gar nicht dagegen, daß das damals gemacht worden ist. Ich möchte bloß heute als Person dafür nicht die Rechnung präsentiert bekommen.
({1})
Darum geht es. Sie müssen Ihrem Kollegen Lemmrich einmal sagen - der hat damals nicht aufgepaßt , wie das in der Großen Koalition gelaufen ist.
Und das Zweite, soweit die Lohnleitlinien in Betracht kommen: Ich kann das jetzt aus dem Gedächtnis nicht sagen; da müßte ich nachsehen. Ich habe den Eindruck, daß die Lohnleitlinien, Herr Kollege Leicht, die der Herr Wirtschaftsminister bekanntgegeben hat - für den Abschnitt damals -, unter dem lagen, was für den öffentlichen Dienst nachher veranschlagt worden ist.
({2})
- Gut. Ich würde mich auf eine Debatte darüber hier nicht einlassen, weil ich die Zahlen nicht exakt parat habe; das ist nicht mein Fach.
({3})
Meine Damen und Herren, die Kosten werden also von der Lohnseite her in Bewegung gebracht. Ich wäre dankbar, wenn mir hier nicht an der falschen Stelle die Wirkungen präsentiert würden. Das ist nämlich hier der Fall. Ich befinde mich in der Situation eines jeden Unternehmers in der Wirtschaft, der Lohnerhöhungen ganz einfach zur Kenntnis nimmt, die irgendwo durch Tarifverträge oder öffentliche Anordnungen bewirkt worden sind. Das kann doch das Parlament nicht dem Minister, der dem Parlament die Kontoführung mit der durchgerechneten Auswirkung von gefaßten Beschlüssen präsentiert, persönlich anlasten.
Was Sie hier für die Bahn gesagt haben, weite ich noch aus, damit wir uns ja nicht mißverstehen; ich beschönige da gar nichts, ich sehe die Entwicklung auch gar nicht rosig. Wissen Sie, wenn man glaubt, daß man politisch mit etwas Erfolg hat, und dann von einem Sektor her, auf den man keinen Einfluß hat, praktisch um diesen Erfolg gebracht wird, ist das keine so schöne Sache.
({4})
- Klagen Sie nicht andere an! Ich habe ja gesagt: Sie haben Anträge eingebracht, die noch über das hinausgehen, was da gewirkt hat. Ich weiß, das ist keine schöne Rede, die ich hier halte. Mir kommt es auch gar nicht auf Beifall an. Ich möchte bloß diese Dinge so sagen, wie sie sind, damit wir uns nicht verwirren, weil hier im Augenblick viel mehr auf dem Spiel steht als ein bißchen Etat des Verkehrsministers.
({5})
Was für die Bahn gilt, gilt genauso für die Post. Das, was für Bahn und Post gilt, gilt genauso für die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe in allen Kommunen. Wir müssen uns die Zeit und den Mut nehmen
- das sage ich dazu, denn es gehört Mut dazu -, einmal bis hinten hin zu durchdenken, ob es auf die Dauer geht, über Mineralölsteuererhöhungen zu reden, weil die Straßenbahn in der Stadt X mit ihren Einnahmen nicht mehr auskommt. Das kommt auf uns zu. Das sind doch die Sachverhalte, mit denen wir es zu tun haben. Damit, daß wir uns gegenseitig solche Vorwürfe machen, bringen wir die Kuh nicht vom Eis und lösen wir das Problem nicht.
Ich fiige hinzu: Eine Wirtschaft, ein öffentlicher Haushalt und öffentliche Verkehrsunternehmen, denen jährlich zweistellige Lohnzuwachsraten zugemutet werden, werden durch Verkehrspolitik nicht gesund. Im Gegenteil, die Verkehrspolitik kann so erfolgreich sein, wie sie will: Diese Unternehmen werden krank, und am Ende gehen die öffentlichen Haushalte daran zugrunde.
({6})
Meine Damen und Herren, ich habe die Bitte, daß darüber im ganzen Lande nachgedacht wird und daß das nicht zum Gegenstand kleinkarierter taktischer Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierungsparteien gemacht wird. Hier steht nämlich etwas Wehr auf dem Spiel.
({7})
Sie fragen nun nach einer Lösung. Ich bin nicht verlegen um die Antwort. Nach dem Erfahrungsschatz, den ich in der Zwischenzeit gesammelt habe, kann diese Lösung nur durch drei Dinge, die zusammenwirken, erreicht werden.
Erstens dürfen die Kosten nicht ausufern.
Zweitens muß man einem solchen Unternehmen im Innern Spielraum und Flexibilität einräumen, so daß es rationalisieren kann, wenn es das selbst für notwendig hält. So verfährt auch jedes große Unternehmen in der Wirtschaft. Man darf nicht sagen: Weil dort jetzt gerade Landtagswahlen oder wer weiß was stattfinden, darf dies und jenes nicht gemacht werden.
({8})
Denken Sie mal alle an die kleinen Bahnstrecken und an die Bahndirektionen. Das kann ich singen, nicht nur schreiben.
Drittens. Wenn man die wirtschaftliche Eigenständigkeit eines solchen Unternehmens will, muß man auch dafür sorgen, daß es in der Lage ist, dann, wenn die Kosten gestiegen sind, statt sich an den Staat zu wenden und den Bundestag darüber debattieren zu lassen, wie die Liquidität hergestellt werden kann, sich die Liquidität dort zu holen, wo sie sich jedes Unternehmen, das gesund bleiben will, holt, nämlich auf dem Markt, und zwar durch eine Anpassung der Preise.
Diese drei Elemente sind wichtig. Wenn Sie diese drei Forderungen einem solchen Verkehrsunternehmen wie der Bundesbahn verweigern - und das geschieht jetzt noch -, werden wir uns über die Folgen, die dann eintreten werden, hier noch müde debattieren.
({9})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen?
Jawohl.
Herr Bundesminister, Sie sind also mit mir der Meinung, daß die Erhöhung der Gebühren bei einem öffentlichen Dienstleistungsbetrieb keinesfalls der Anlaß zu spektakulären Sondersitzungen des Bundestages sein sollte?
Ich bin immer dieser Meinung gewesen, Herr Kollege Stücklen. Ich schließe aus Ihrer Frage, daß Sie nicht die Absicht haben, solche Sondersitzungen zu fordern, falls es einmal irgendwo zu Gebührenerhöhungen kommt.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Rawe.
Herr Minister Leber, hätten Sie dann vielleicht auch die Güte, uns zu erklären, wer eigentlich die Verantwortung dafür trägt, daß die von Ihnen geforderten höheren Preise erst so spät zustande gekommen sind?
Herr Kollege Rawe, ich erinnere mich noch gut, daß ich im Haushaltsausschuß im Dezember, als ich gefragt wurde, wie es denn mit der Tarifpolitik der Eisenbahn im Jahre 1971 sei, gesagt habe: Ich habe sie vor der Sitzung schon unterschrieben. Ich erinnere mich auch noch, daß der Kollege Lemmrich damals etwas getan hat, was für mich unfaßbar war: Er hat nämlich den Verkehrsminister wegen der Schnelligkeit gelobt. So schnell wie diesmal ist es noch nie gegangen. Sie waren doch dabei.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Minister Leber, kann ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie mit uns der Meinung sind, daß diese Tarife zu spät angehoben worden sind? Wir meinen, daß Sie dafür verantwortlich sind.
Herr Kollege Rawe, ich bin nicht der Auffassung, daß diese Tarife zu spät angehoben worden sind. Die Eisenbahn konnte dem Verkehrsminister erst dann mit Hoffnung auf Erfolg einen solchen Antrag vorlegen, nachdem der Verkehrsminister und die Eisenbahn wußten, was bei den Gesprächen im öffentlichen Dienst an Kostenerhöhungen herausgekommen war. Und das war erst einen Tag vorher bekanntgeworden. Wir können doch nicht, wenn die Gespräche über Lohnerhöhungen noch im Gange sind, schon Tariferhöhungen projizieren und vermuten, was für Lohnerhöhungen sich am Ende in unserem Bereich ergeben.
Eine Frage des Abgeordneten Lemmrich.
Herr Minister, erinnern Sie sich, daß nicht erst jetzt, im Jahre 1971, sondern auch schon früher eine Tariferhöhung beantragt wurde. Wir waren wirklich sehr erfreut darüber, daß diesem Antrag so schnell entsprochen wurde. Wir können Ihnen selbstverständlich auch einmal etwas Gutes sagen.
({0})
Genauso, wie ich es gesagt habe. - Hier ging es um das Tarifheckmeck im Jahre 1970.
({1})
Herr Kollege Lemmrich, das Tarifheckmeck im Jahre 1970 war auf jeden Fall besser als das im Jahre 1969. Wenn Sie die Chronik der Tarifheckmecks bei der Eisenbahn verfolgen, werden Sie von Jahr zu Jahr eine Verbesserung feststellen. Die Regierung wird künftig, wie Sie wissen, auf Grund der von uns eingeschlagenen Linie viel weniger tarifpolitische Zuständigkeiten haben. Statt dessen wird das Unternehmen viel mehr Freiheit und Freizügigkeit haben. Das wird dazu führen, daß Klagen, wie sie heute hier geführt worden sind, immer seltener werden. Ich bin der Auffassung, daß die Firma Deutsche Bundesbahn die Möglichkeit haben muß, ihre Preise, ohne daß politisch darauf Einfluß genommen wird, dem Markt zuBundesminister Leber
mindest so anzupassen, wie es das Kostengefüge gebietet. Dann wird sie gesünder bleiben, als sie es in der Vergangenheit war.
Meine Damen und Herren, hier ist von der Liquidität gesprochen worden. Es wurde die Frage gestellt, wie die Liquidität hergestellt werden solle. Wir wissen natürlich auch nicht genau, wie die Rechnung der Eisenbahn Ende 1971 aussehen wird. Es gibt nur Vermutungen und Projektionen.
Ich sehe drei Möglichkeiten: erstens die Hilfe des Bundes. Hier stütze ich mich auf das, was der Bundesfinanzminister in seiner Rede gesagt hat. Diese unterscheidet sich etwas von dem, Herr Kollege Lemmrich, was Sie vorhin gesagt haben. Vielleicht liegt hier aber nur ein verbales Mißverständnis vor. Der Bundesfinanzminister hat nämlich gesagt, die Liquidität solle nicht ausschließlich aus dem Einzelplan 12, sondern auch durch eigene Maßnahmen der Eisenbahn verbessert werden. Im Einzelplan 12 gibt es dafür keinen Spielraum mehr.
Zweitens. Soweit das nicht ausreicht, ist eine kurzfristige, übergangsweise Verschuldung vorgesehen. Drittens ist an eine Verbesserung der Liquidität durch tarifpolitische Maßnahmen gedacht. Nummer zwei hängt von der Wirkung der Nummer drei ab. Weil niemand die Wirkungen genau kennt, können wir sie erst im Sommer oder im Herbst etwas besser beurteilen.
Sie haben ferner die Frage der Umschuldung angesprochen. Das ist meiner Auffassung nach ein wichtiger Punkt. Aber das können wir nicht in das Kapitel „Die Eisenbahn wird gesund" aufnehmen, sondern hier handelt es sich ganz einfach um das Verhältnis zwischen Eisenbahn, Eigentümer und Kriegsfolgelasten, die damals entstanden sind und mit denen wir fertig werden müssen.
Da Sie sich im wesentlichen mit der Eisenbahn befaßt haben, möchte ich diesen Teil meiner Ausführungen damit beschließen und das zurückstellen, was ich vielleicht sonst noch zur Debatte zu sagen hätte.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Bonn, Pressekonferenz des Bundesministers für Verkehr, 16. Mai 1969:
Als ich das Amt im Dezember 1966 übernahm, stand ich vor unausweichlichen Problemen, die längst einer Lösung bedurft hätten. Es ist das Versäumnis früherer Bundesregierungen, Entwicklungen, die sich seit langem abzeichneten, nicht rechtzeitig erkannt und gesteuert zu haben. Folgendes war eingetreten: Die Bundesbahn fuhr im Schnellzugtempo jedes Jahr eine runde halbe Milliarde tiefer ins Defizit, Fernstraßen wurden zu Schleichwegen und verstopften mehr und mehr, Straßenverkehrsunfälle erhöhten sich von Jahr zu Jahr.
Das waren Ausführungen des Bundesministers für Verkehr Leber im Jahre 1969.
Er sagte weiter:
Nachdem die Maßnahmen getroffen sind, ist es selbstverständlich, daß sie nicht alle sofort ihre Wirkung erbringen können. Deshalb ist das Programm auf fünf Jahre angelegt. Der Stand der Verwirklichung läßt es aber zu, zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Zwischenbilanz aufzumachen. Sie zeigt auf, daß alle wichtigen Ziele beibehalten wurden, für alle wichtigen Lösungen die gesetzgeberischen und sonstigen Voraussetzungen durchgebracht und viele der Maßnahmen, obwohl sie gerade erst zu wirken beginnen, schon beachtliche Erfolge zeigen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, an diesen Ausführungen erkennt man bei einigem Nachdenken das Dilemma, in dem sich die Verkehrspolitik der Bundesrepublik heute befindet. Sie befindet sich in dem gleichen Dilemma wie die gesamte Politik dieser Regierung, der eben der Boden unter den Füßen, vor allem aber die Stabilität fehlt.
({0})
Denn was der Herr Minister hier eben ausgeführt hat, war doch kurz, daß er sein Amt übernommen hat, als die Konjunktur im Tal war. Da waren die Kapazitäten nicht voll ausgelastet, und Eisenbahnwaggons standen leer herum. Dann kamen wir in den Boom, und mit dem Boom wurde die Kapazität voll ausgelastet, zum Teil überausgelastet. Aber es stiegen auch die Kosten. Und nun nimmt er für sich in Anspruch, daran schuld zu sein, daß die Kapazitäten ausgenutzt sind; aber andere sind schuld daran, daß die Kosten gestiegen sind, obwohl das doch zusammengehört.
({1})
Aber es ist nicht meine Absicht, auf allen Gebieten den Nachweis zu führen, daß das schlechthin die Denkart dieses Ministers ist. Er läßt eine Gruppe Sachverständiger Verkehrswege in der Bundesrepublik planen. Das sind hervorragende Fachleute; sie bringen einen Plan. Das ist ein Bedarfsplan, konzipiert auf das Jahr 1985. Was macht der Herr Minister? - Er macht daraus einen Straßenbauplan bis 1985, und er sagt dem Bürger: Dreh dich um, schau, wohin du willst, du siehst überall eine neue Autobahn. - Denn das steht hier drin: Alle 10 km von Ihrem Wohnsitz befindet sich eine Autobahn. Sie brauchen sich also nur umzudrehen, und Sie sehen immerzu eine neue Autobahn. - Die Wahrheit ist, daß dies kein Ausbauplan ist, sondern daß hier einfach der Bedarfsplan abgeschmiert wurde und zu Propagandazwecken mißbraucht wurde. Das ist die Tatsache.
({2})
Wir haben am 2. Dezember vorigen Jahres hier eine ausgedehnte Verkehrsdebatte geführt. Wir haben dem Herrn Minister in aller Ruhe und Sachlichkeit nachgewiesen, daß er die Ziele seines verkehrspolitischen Programms nicht erreicht hat und auch
Schmitt ({3})
gar nicht erreichen konnte, weil sich mittlerweile die Voraussetzungen in ihr Gegenteil verkehrt hatten. Das hat der Herr Minister überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Er tut weiter so, als sei er der erfolgreichste Verkehrsminister aller Zeiten.
({4})
Was mich an der Sache am meisten ärgert, ist, daß er bei jeder Gelegenheit seinen Vorgänger diffamiert. Ich finde so etwas nicht fair und nicht anständig. Dagegen werden wir uns wehren.
({5})
Meine Damen und Herren, das sind die Gründe, die uns veranlassen, gegen den Einzelplan 12 zu stimmen, weil wir einfach nicht mehr in der Lage sind, hierin eine Verkehrspolitik zu erkennen. Wir haben es hier mit einem verkehrspolitischen Durcheinander zu tun, das keine Rationalität mehr erkennen läßt, und dazu können wir nicht ja sagen. Dazu müssen wir nein sagen.
Darüber hinaus kann ich nicht umhin, zu dem persönlichen Verhalten des Herrn Ministers einige Sätze zu sagen. Es ist jedesmal schlecht, wenn hier im Hohen Hause jemand aus der Rolle fällt. Wenn dies ein Bundesminister ist, dann ist es doppelt schlecht.
({6})
- Ich habe nichts dagegen, daß Sie eine Meinung haben, aber bringen Sie sie in einer Form vor, daß man sie diskutieren kann. Das andere halte ich nicht für sinnvoll. -({7})
Ich bin unterbrochen worden, als ich festgestellt habe, daß ich Veranlassung habe, zu dem persönlichen Verhalten des Herrn Ministers einiges zu sagen. Ja, ich bedaure es, daß ich verpflichtet bin, es zu tun. Der Herr Minister zieht im Wahlkampf nach Bayern; das ist eine Sache, wo wir alle nicht sehr vornehm miteinander umgehen, das wissen wir. Aber wenn sich ein Bundesminister in der Pose Wilhelms II. dort hinstellt, mit dem Säbel rasselt und dann hierher kommt und mit Biedermannsmiene und Schlitzohr erklärt, er brauche nichts zu widerrufen, er würde ja das, was er angekündigt habe, nicht durchführen, dann müssen wir das aufs schärfste tadeln.
({8})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
Herr Kollege Schmitt, wenn Sie schon gerade beim Tadeln sind, sind Sie dann auch bereit, den Zwischenruf zu tadeln, den Herr Lemmrich zu Herrn Minister Leber gemacht hat, der hoffentlich protokolliert war und der hieß: „Ehrlichkeit war ja noch niemals Ihre Stärke, Herr Minister!"?
Herr Kollege, wenden Sie sich bitte an den Herrn Kollegen Lemmrich. Sie werden sicher einig werden. Ich bin doch nicht die Schiedsstelle für Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, ich habe einen zweiten Punkt, an dem ich nicht vorübergehen kann. Es ist folgendes Vorkommnis. Im Mai 1970 haben Abgeordnete dieses Hauses der Bundesregierung eine Kleine Anfrage vorgelegt. Auf die Frage: Will die Bundesregierung das? Kann die Bundesregierung das? wird schlicht und einfach mit Ja geantwortet. Aber nach drei Monaten lesen wir in der Zeitung, daß die Bundesregierung etwas ganz anderes zu tun gedenkt und daß das schlicht eine falsche Antwort war.
Nun, jedem, auch der Bundesregierung, kann ein Irrtum unterlaufen. Aber es ist jedermanns Pflicht, den Irrtum aufzuklären und sich dafür zu entschuldigen. Es ist nicht der richtige Ton im Umgang zwischen der Regierung und den Abgeordneten, wenn wir in der Zeitung lesen müssen, daß die Regierung ganz andere Vorstellungen hat, als sie uns hier mitgeteilt hat. - Herr Minister, ich würde darüber nicht lachen. Das ist für mich eine sehr böse Sache. Denn wenn Sie das Verhältnis zwischen sich und uns Abgeordneten auf dieses Basis stellen wollen, daß Sie hier unrichtige Auskünfte geben und daß Sie dann, wenn ich das tadle, darüber lachen, dann wird es hier keine Kooperation, sondern dann wird es in Zukunft zwischen uns hier Konfrontation geben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wir alle einen Abschluß der Debatte herbeiwünschen, möchte ich lediglich einige Anmerkungen machen um der historischen Wahrheit willen. Ich will das in einem durchaus versöhnlichen Ton gerade gegenüber dem Herrn Bundesminister für Verkehr tun.
Niemand macht dem Herrn Bundesminister für Verkehr den guten Willen streitig. Es wäre gut, er hätte auch den guten Willen anderer nicht in Zweifel gezogen. Wir kommen aber nicht umhin, festzustellen, daß Herr Minister Leber schon 1966 bei der Regierungsbildung der Großen Koalition und auch im Rahmen dieser Koalition zuviel versprochen, den Mund zu voll genommen hat. Herr Minister, Sie können eben nicht trennen zwischen. dem Minister Leber und der Bundesregierung. Der Herr Minister Leber ist ein Teil dieser Bundesregierung, und er muß auch das ausbaden, was andere Ressorts oder der Bundeskanzler ihm an Kummer bereiten oder ihm in der Erfüllung seiner Aufgaben unmöglich machen.
Ich will etwas zur Entwicklung der Deutschen Bundesbahn sagen, und ich meine, hier könnten wir auch zu einer gemeinsamen Beurteilung der Vergangenheit kommen. Der große Aufschwung, den die gesamte Wirtschaft nach 1949 genommen hat, verdanken wir - das ist heute wohl eine allgeDr. Müller-Hermann
meine Erkenntnis - dem Modell, dem Prinzip einer sozialen Marktwirtschaft. Es hat allerdings sehr lange gebraucht auch bei uns selbst, aber mindestens so lange bei unseren Kollegen aus der SPD -, bis wir erkannt haben, daß man auch im Bereich des Verkehrs gewisse ökonomische Gesetze zur Geltung bringen muß, wenn erfolgreich gewirtschaftet werden soll.
({0})
Ich darf etwa darauf hinweisen, wie lange es gebraucht hat, bis wir alle gemeinsam etwas gegen die sogenannte Tarifgleichheit zwischen den Verkehrsträgern unternommen haben. Die gleiche Tarifstellung von Eisenbahn und Kraftverkehr für völlig unterschiedliche Leistungen hat doch im wesentlichen dazu geführt, daß in weiten Bereichen die Bundesbahn genötigt war, einzelne Stückgüter über Land zu befördern, eine Aufgabe, die dem Lastwagen adäquat ist, und daß dafür der Lastkraftwagen gerade im Massenverkehr über weite Entfernungen Teilaufgaben übernommen hat, die an und für sich ökonomisch viel besser von der Bundesbahn durchzuführen gewesen wären. Es war sicherlich ein Erfolg des nachher gemeinsam in der Großen Koalition getragenen Verkehrspolitischen Programms, daß wir der Bundesbahn die Möglichkeit gegeben haben, elastischer zu werden, ökonomischer zu denken und zu handeln und damit auch zusätzlichen Verkehr an sich zu ziehen.
Und dann ist natürlich die Konjunkturentwicklung auch der Bahn zugute gekommen, wie meine Vorgänger hier schon ausgeführt haben. Nur, Herr Minister Leber, ist es keine Erfolgsbilanz, wenn Sie heute vor das Parlament treten und erklären müssen: die Bundesbahn hat mehr Verkehr, aber auf der anderen Seite ist das Defizit gewachsen. Dafür kann eben nicht die Bundesbahn verantwortlich gemacht werden, und ich würde auch sagen, dafür können in erster Linie nicht Sie verantwortlich gemacht werden, sondern dafür trägt die Verantwortung die Wirtschafts- und Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung
({1})
unter Führung von Bundeskanzler Brandt und Wirtschaftsminister Schiller.
({2})
Die wirtschaftspolitische Entwicklung der letzten 15 Monate, die eben jenen enormen Kostendruck gebracht hat, führt im Straßenbau auch zu einem wirklich miserablen Ergebnis im Jahre 1971. Die Zahlen sind hier schon genannt worden: wir haben von seiten des Bundes etwa 14 % mehr Mittel für die Straßen zur Verfügung, und wir werden an effektiven Leistungen ein Minus in einer Größenordnung von gleichfalls etwa 14 % hinnehmen müssen.
({3})
Da kommt nun heute der Kollege Haehser, der dem Bundesverkehrsminister oder der Bundesregierung wieder einige Avancen gemacht hat, sie möchte doch dem Projekt einer Erhöhung der Mineralölsteuer nähertreten. Nun, wir haben die Worte des Bundeskanzlers gehört: im Jahre 1971 gibt es keine Steuererhöhungen.
({4})
Aber wir wissen ja aus vielen Quellen, wie sehr daran gearbeitet wird, zumindest im Laufe dieses Jahres Steuererhöhungen in Gang zu setzen, die dann wahrscheinlich am 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft treten sollen.
Wir haben, meine Damen und Herren, schon bei der Verkehrsdebatte des vergangenen Jahres darauf hingewiesen, daß wir durchaus bereit sind, in Kenntnis der schwierigen Probleme, die es insbesondere im gemeindlichen Bereich zu lösen gibt, der Bundesregierung bei konstruktiven und vernünftigen, für die Allgemeinheit tragbaren Lösungen zu helfen. Wir haben aber schon damals darauf hingewiesen, daß der Bund, wenn er dem Kraftfahrzeughalter, dem Verbraucher also, höhere Verbrauchssteuern zumutet, dann zunächst einmal aus seinem Teil des zweckgebundenen Aufkommens zumindest eine Geste machen muß, die besagt,
({5})
daß er bereit ist, mehr für diesen so wichtigen Zweck zu investieren.
Aber das, worauf ich im Augenblick hinaus will, ist das folgende: Meine Damen und Herren von der Koalition, versuchen Sie nicht und verfallen Sie nicht in den Fehler, die Löcher, die sich infolge der Kostenentwicklung jetzt überall auftun, etwa über eine Dynamisierung der Steuern stopfen zu wollen!
({6})
Das hieße das Pferd am Schwanze aufzäumen. Das hieße für uns, Mittel die der Steuerzahler aufbringt, in ein Faß ohne Boden zu schütten. Diese Bundesregierung muß ernsthaftere Anstrengungen unternehmen, um die Stabilität wiederzugewinnen und die Preis- und Kostenexplosion in den Griff zu bekommen. Erst wenn diese Bundesregierung als Ganzes die Bedeutung der Stabilität für die Volkswirtschaft erkennt und nach dieser Erkenntnis handelt, werden die gesamten inneren Reformen und speziell auch die Probleme des Verkehrs zu meistern sein.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies hier ist jetzt sicherlich nicht der Ort, eine Konjunkturdebatte vom Zaune zu brechen. Dennoch, Herr Müller-Hermann, müssen wir natürlich, wenn wir das Jahr 1970 und die Kostenexplosion, die in diesem Jahre stattgefunden hat - über die brauchen wir uns nicht zu streiten -, gerecht bewerten wollen, einige Takte dazu sagen. Denn diese Kostensteigerungen, die wir im Jahre 1970 hatten, waren ja programmiert, Herr Müller5724
Hermann, programmiert durch unterlassene Konjunkturpolitik im Jahre 1969.
({0})
- Das hören Sie ungern, ich weiß das.
({1})
- Es kann aber nicht bestritten werden, Herr Stücklen. Lieber Herr Stücklen, wer hat denn eine vernünftige Konjunkturpolitik - siehe außenwirtschaftliche Absicherung - vor den Bundestagswahlen verhindert?
({2})
Wir brauchen das nicht zu vertiefen.
({3})
Es steht fest, daß die CDU/CSU vor und nach den Bundestagswahlen zu keiner Zeit in der Lage war, eine Konjunkturpolitik zu führen,
({4})
die eine Kostendämpfung hätte durchsetzen können.
({5})
Dies hat die Mehrheit der heutigen Opposition stets verhindert.
({6})
Wenn das aber so ist, meine Damen und Herren, ist es nun ausgemacht scheinheilig,
({7})
wenn eben diese Opposition heute versucht, jene von ihr programmierten Kostensteigerungen,
({8})
- jawohl, diese von ihr programmierten Kostensteigerungen als Argument gegen die Verkehrspolitik des Verkehrsministeriums ins Feld zu führen.
({9})
Wir werden dies auf jeden Fall nicht akzeptieren. Sie wissen ganz genau, daß Sie damit vorbeiargumentieren und Ihre eigenen Schwächen nur unvollkommen verdecken können.
({10})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einigen Fragen der verkehrspolitischen Debatte sprechen.
Die Bundesbahn ist in der Tat - der Herr Bundesverkehrsminister hat es dargestellt - in einer schwierigen Situation. Die Kosten sind gestiegen. Die Einnahmen steigen nicht in gleichem Maße. Ich werde noch einiges zu den Einnahmen sagen. Herr Müller-Hermann, auch dies bitte ich Sie sehr genau zu beachten: Die Bundesbahn hatte 1970 und hat im Jahre 1971 auf Grund der Beförderungspflicht Transporte zu übernehmen, die einfach mehr Geld kosten, als sie einbringen. Ich bitte auch die Verkehrspolitiker, einmal rein sachlich zu prüfen, ob das nicht eine Last ist, die die Bahn der Allgemeinheit abnimmt, wodurch Konten normalisiert werden können. Wenn wir das aber für unglücklich halten, müssen wir überlegen, ob wir der Bahn nicht auch die Freiheit geben müßten, gewisse Sendungen abzulehnen. Im letzten Jahr hatten wir doch das Phänomen der Sprungkosten, als die Bahn in der Tat mit unzureichendem Material befördern mußte, weil andere nicht mehr befördern konnten. Ich meine, wir müssen dies in die Betrachtung einbeziehen.
Einbeziehen müssen wir auch, Herr Kollege Müller-Hermann - da mag es vielleicht eine nuanciert unterschiedliche Betrachtung zwischen dem Herrn Verkehrsminister und mir geben die Tatsache, daß administrierte Preise in der konjunkturellen Landschaft natürlich ihre Rolle haben und ihre Funktion spielen und es der Bundesregierung anheimgegeben ist, zu entscheiden, ob sie, solange sie die Verantwortung dafür trägt, Kosten voll auf die Tarife durchschlagen läßt oder ob sie aus konjunkturellen Gründen einen anderen Weg für zweckmäßiger hält. Dies ist eine politische Entscheidung. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen das wird sie tun, dazu ist sie nämlich auf Grund des Bundesbahngesetzes verpflichtet -, daß der Bundesbahn am Ende dieses Haushaltsjahres notfalls zusätzliche liquide Mittel für das Jahr 1971 zur Verfügung gestellt werden, so wie sie das für das Jahr 1970 entweder bereits getan hat oder tun wird. Dies ist nicht nur eine verkehrs-, sondern auch eine wirtschaftspolitische Entscheidung.
Als Verkehrspolitiker könnte ich mich damit abfinden, Herr Müller-Hermann, daß wir § 28 a noch strenger wirken lassen, indem wir sagen: Wir ziehen uns aus der tarifpolitischen Entscheidung noch stärker als bisher zurück; wir überlassen das der Bundesbahn und wollen damit auch nicht mehr die konjunkturellen Aspekte mit hineintragen. Die gegenwärtige Situation ist eine andere, und wir haben von ihr auszugehen.
({11})
- Ich habe ja darauf aufmerksam gemacht, daß es hier vielleicht nuanciert unterschiedliche Betrachtungen geben kann.
({12})
- Schönen Dank, daß Sie das auch schon gemerkt haben, Herr Hein.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen, Herr Müller-Hermann, und mit in die Überlegungen der Bundesbahn über ihre Tarifpolitik und ihre finanzielle Lage einbeziehen. Wir müssen die Tatsache sehen, daß wir in diesem Jahr überall die Tarife erhöhen, nur nicht im sozialbegünstigten Personenverkehr. Wir sind gegen Nulltarife; das ist von Herrn Haehser dargestellt worden; wir wollen sie nicht. Aber hier müssen wir deutlich machen, daß die Bahn hier in der Tat auch eine Aufgabe erfüllt, die wir alle wollen: Weg von der Straße, und hin zum öffentlichen Personennahverkehr! Dies kostet Geld.
Auch das müssen wir sehen, und dazu müssen wir uns bekennen.
Lassen Sie mich noch einige Sätze zu den Themen Straßenbau und Bedarfsplan sagen. Herr Schmidt, Sie haben es sich wirklich etwas einfach gemacht, wenn Sie sagen, hier werde etwas vorgegaukelt. Hier wird nichts vorgegaukelt. Hier wird ein Bedarfsplan vorgelegt. Der Herr Bundesverkehrsminister hat gesagt, er möchte ihn, wenn es nach ihm ginge, in drei Fünfjahresperioden erfüllen.
({13})
- Herr Lemmrich, ich bitte Sie! Sie waren doch selber im Ausschuß dabei. Wir werden dazu hier eine Debatte führen.
Herr Leber hat in der Einführungsrede zum Verkehrsbericht gesagt: Mir fehlt für dieses sehr ambitiöse Projekt das Geld. Nun sind alle aufgefordert, zu dieser Debatte, die bis zum Ende des Jahres tunlichst abgeschlossen sein sollte, weil wir ja auch die Leber-Pfennige durch Erhöhung der Mineralölsteuer ersetzen müssen - so denke ich -, ihren Beitrag zu leisten. Herr Leber hat seine Option deutlich gemacht, ich zum Beispiel habe meine Option auch deutlich gemacht. Wir warten darauf, daß auch Sie Ihre Option deutlich machen. Herr Müller-Hermann hat soeben eine Option ausgesprochen, aber eine sehr vage. Das hätten wir sehr gern konkreter,- nicht, um Sie dann draußen festzunageln.
({14})
- Wenn Sie sagen, daß muß die Regierung sagen, dann möchte ich einmal an das erinnern, was Herr Leicht zu Beginn dieser Debatte gesagt hat. Er hat gesagt, die Opposition sei in der Lage, an jedem Tag des Jahres die Regierung zu übernehmen. Dann können Sie nicht immer sagen: Die Regierung soll uns etwas erzählen, dann müssen Sie selber einmal konkret werden. Sonst erfüllen Sie nicht das Gebot, das Herr Leicht selber für Sie und Ihre Fraktion in Anspruch genommen hat.
({15})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Kollege Apel, erwarten Sie wirklich von der Opposition, daß sie bei den sicherlich auch unbequemen Dingen, die zur Entscheidung anstehen, der Regierung das Handeln ohne weiteres abnimmt?
Ohne weiteres nicht, aber wenn Sie in der Tat jederzeit bereitstehen wir haben da noch einige Zweifel -, dann können Sie sich nicht mit Floskeln herausreden, sondern dann müssen Sie sagen: Unsere Option ist in etwa die und die, wobei Sie sich nicht auf den Pfennig festzulegen brauchen. Sonst, müssen wir Ihnen sagen, machen Sie nichts weiter als billige Polemik, indem Sie sagen: Du hast zwar einen schicken Bedarfsplan, Minister Leber, aber du hast kein Geld - ätsch!
Das reicht für eine Opposition ja wohl nicht ganz aus, wenn sie diese Ansprüche anmeldet.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Herr Kollege Apel, akzeptieren Sie dann wenigstens meine mit Überzeugung abgegebene Feststellung, daß am selben Tage oder mindestens am Tage danach, wo die Regierung hier eine klare Aussage gemacht hat, wir auch zu unserem Wort stehen werden, unseren Lösungsvorschlag vorzulegen?
Ich habe ja genau zugehört, Herr Müller-Hermann, als Sie soeben noch einmal redeten. Dann kam aber sofort, wie Herr Schiller das immer so schön in Neudeutsch nennt, die „escape clause", indem Sie angefügt haben: Wir sind natürlich dazu bereit; aber erst einmal müßt ihr die Preise stabil machen. Dies ist dann in der Tat, wie es ja auch in anderen Bereichen von Ihnen praktiziert wird, das „ja - aber", so daß Sie dennoch keine Aussage getroffen haben.
Ich möchte aber zu diesen Preissteigerungen etwas sagen. Im Jahre 1970 waren sie da. Ich habe deutlich gemacht, daß sie auf konjunkturpolitische Versäumnisse des Bundeskanzlers Kiesinger und seiner Regierung zurückzuführen sind.
({0})
Für das Jahr 1971 gehen wir davon aus, daß in der Tat eine beträchtliche konjunkturelle Beruhigung eintreten wird, die dazu führen wird, daß eine Mark im Haushalt wieder auch einen äquivalenten Gegenwert im Straßenbau haben wird und nicht einen zurückgehenden.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wenn Sie sich das Image des Herrn Bundesverkehrsministers in unseren Landen anschauen, Herr Müller-Hermann, dann werden Sie nicht umhinkönnen - mit Neid, nehme ich an -, zuzugestehen, daß dieser Mann eine ganz besondere Popularität, ein ganz besonders hohes Ansehen in unserem Volke genießt. Auch Ihr Versuch, Herr Lemmrich, diesen Mann abzuwerten, wird nicht gelingen - nicht deswegen, weil Herr Minister Leber ein besonders geschickter Verkäufer seiner politischen Vorstellungen ist. Das ist er auch, und das finden wir gut; aber das Entscheidende ist doch, Herr Lemmrich, daß dieser Mann in vier Jahren Verkehrspolitik etwas zustande gebracht hat, was Sie in 17 Jahren nicht zustande gebracht haben,
({1})
nämlich die Bahn vollbeschäftigt werden zu lassen, mit all den Problemen, die ich dargestellt habe, und bei unserer Bevölkerung sogar das Bewußtsein dafür zu schaffen - und das, finde ich, ist sehr viel- ,
daß bessere und mehr Straßen auch mehr Geld kosten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Apel, glauben Sie nicht, daß die Erkenntnis, daß mehr Straßen mehr Geld kosten, wirklich eine Binsenweisheit ist und daß es, was die Bundesbahn und ihre Auslastung betrifft, auch schon früher eine erfreuliche Auslastung der Deutschen Bundesbahn gegeben hat und die leerstehenden Wagen, die in Ihrem Programm vor der Bundestagswahl so beschrien worden sind, zum Teil Wagen sind, die man wegen ihrer Überalterung abgestellt hat?
Lieber Herr Kollege Lemmrich, Sie wissen doch ganz genau, daß, als wir den sogenannten Leber-Plan schneiderten, ohne Widerspruch von Ihrer Seite von Herrn Leber festgestellt wurde: 30- bis 40 000 Waggons der Bundesbahn stehen leer. Dies ist leider Tatsache gewesen, und das hat dieser Verkehrsminister überwunden. Daß Ihnen das nicht paßt, verstehe ich. Aber deswegen können Sie mir doch nicht irgendwelche falschen Argumente unterschieben.
({0})
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht.
Herr Kollege Apel, wollen wir auch hier auf dem Boden bleiben. Können Sie mir recht geben, daß die Auslastung der Waggons allein noch keinen Mehrertrag für die Bundesbahn bringt, wenn man in Rechnung stellt, was Sie selbst sagten, daß viele Waggons laufen, ohne daß dafür etwas bezahlt wird?
Da bin ich mit Ihnen völlig einer Meinung. Deshalb wollen wir hier einmal zusammen debattieren, ob die Beförderungspflicht der Deutschen Bundesbahn nicht entweder kontennormalisiert werden muß oder modifiziert werden muß, Herr Leicht. Dies ist die zentrale Frage. Aber die Hochkonjunktur des letzten Jahres hat sogar dazu geführt, daß Material eingesetzt werden mußte, das eigentlich nicht eingesetzt werden sollte. Dies ist das Dilemma dieser Art von Beförderungspflicht.
Lassen Sie mich abschließen. Wir kommen zum Ergebnis, daß wir in der Tat in diesem Haushalt und in seiner Durchführung im Jahre 1971 Probleme haben. Wir sehen die Probleme. Der Herr Bundesverkehrsminister Leber hat dazu ein offenes Wort gesprochen. Wir werden diese Probleme konstruktiv lösen. Wir wären froh, Herr Kollege Lemmrich, wenn wir das gemeinsam tun könnten. Ich habe aber angesichts des von Ihnen angeschlagenen Tons, den wir auch vom Verkehrsausschuß gewohnt sind, daran leider beträchtliche Zweifel. Das wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht davon abhalten, ihren Weg unbeirrt trotz aller Schwarzmalerei und ungerechtfertigten Kritik zu gehen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser hitzigen Debatte möchte ich auf ein sachliches Thema zu sprechen kommen, das im Verlauf der Debatte über den Verkehrsbericht im Dezember des vergangenen Jahres nicht mehr angesprochen werden konnte, nämlich auf den Fremdenverkehr. Sie werden gleich an Hand der Zahlen sehen, welche wirtschaftliche Bedeutung der Fremdenverkehr im Rahmen unserer Gesamtwirtschaft hat.
Der Einzelplan 12 für das Haushaltsjahr 1971 sieht zur Förderung des Fremdenverkehrs eine Aufstockung der Mittel gegenüber dem Jahr 1970 um 1 Million DM auf 12 Millionen DM vor. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß mit dieser Aufstockung, wie in dieser Debatte schon angeklungen ist, bestenfalls die Kostensteigerungen gedeckt werden können, daß aber eine Mehrleistung damit nicht verbunden ist.
Der Bericht zum Einzelplan 12 nennt in der Reiseverkehrsbilanz für 1970 ein Defizit von 5 bis 6 Milliarden DM. Die Bundesbank hat in der Zwischenzeit genaue Zahlen veröffentlicht. Es sind genau 5,1 Milliarden DM, die Bürger der Bundesrepublik für Reisen ins Ausland mehr ausgegeben haben, als von Bürgern des Auslands in die Bundesrepublik gebracht worden ist. Im Jahr 1970 sind für den Tourismus und den Fremdenverkehr insgesamt 1,5 Milliarden DM mehr ausgegeben worden als im Jahre 1969. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin kommt zu der Ansicht, daß von diesen 1,5 Milliarden DM 1,4 Milliarden für Reisen ins Ausland ausgegeben worden sind, daß also praktisch der Inlandsverkehr stagniert hat. Diesen negativen Trend führt das nämliche Institut auf die Aufwertung der D-Mark zurück. Der Urlaub habe sich nämlich auch in denjenigen Ländern relativ zum Inland verbilligt, in denen vorher mehr als für einen Urlaub in Deutschland habe ausgegeben werden müssen. Demgegenüber hat das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Pohle und der Fraktion der CDU/CSU vom 23. November 1970 festgestellt, daß im Hinblick auf die Auswirkungen der Aufwertung für den Fremdenverkehr keine meßbaren Nachteile feststellbar sind.
({0})
Die Bundesregierung legt offensichtlich die Aufwertungsfolgen jeweils zu ihrem Vorteil aus. Aber mit diesen den Fakten widersprechenden Äußerungen ist dem Fremdenverkehr am allerwenigsten gedient.
({1})
Ich habe eingangs schon erwähnt, daß der Urlaubsverkehr ins Ausland im vergangenen Jahr
bereits in einem verhältnismäßig hohen Maß gegenüber dem Inlandsreiseverkehr angewachsen ist. Prognosen für die Zukunft zeigen einen Trend auf, der diese Entwicklung noch verstärkt. Bei den Voraussagen für das Jahr 1974 hat man errechnet, daß sich die Zahl der Urlaubsreisen bis dahin auf 31 Millionen erhöhen werde, während sie im Jahre 1969 noch bei 26 Millionen lag. Gleichzeitig wird sich der Anteil der Auslandsreisen auf 45 % erhöhen. Die Summe, die im Jahre 1974 für Urlaubsreisen insgesamt von Bundesbürgern ausgegeben werden wird, wird 15 bis 16 Milliarden DM betragen. Davon sollen allein 65% für Auslandsreisen ausgegeben werden, d. h. mehr als 10 Milliarden DM werden ins Ausland abfließen.
Vertreter dieser Bundesregierung haben erklärt, daß ein derartiger Abfluß ins Ausland sich günstig auf die Außenhandelsbilanz im Sinne eines Ausgleichs auswirken würde. Dieser Schluß mag finanztechnisch bestechen. Für unsere Fremdenverkehrswirtschaft und unsere Fremdenverkehrsgebiete aber sind damit nicht abzusehende Folgen verbunden. Selbstverständlich wäre es töricht, eine Forderung nach Einschränkung des Reiseverkehrs ins Ausland überhaupt nur zu erwägen. Dennoch müssen wir die Gefahren, die unserer Fremdenverkehrswirtschaft drohen, klar sehen. Durch den großen Besucherstrom fließen dem ausländischen Fremdenverkehr erhebliche Mittel zu, die es ihm ermöglichen, die Investitionen zu verstärken und die Einrichtungen zu modernisieren und zu vervollkommnen, unter Umständen in einem Maße, daß es unserer einheimischen Fremdenverkehrswirtschaft nicht mehr möglich ist, Schritt zu halten. Es findet, wie Rudolf Eberhard, der Präsident der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr und des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes, erst kürzlich in einem Artikel geschrieben hat, ein Investitionswettlauf im Ausbau der Fremdenverkehrseinrichtungen der konkurrierenden Länder und ein Wettlauf in der Fremdenverkehrswerbung der einzelnen Länder statt. In beiden wird letztlich das Geld entscheiden, wer an der Spitze liegen und wer zurückfallen wird.
Als Beispiel möchte ich die Entwicklung des österreichischen Fremdenverkehrs im Jahre 1970 kurz skizzieren. Die Deviseneinnahmen von Ausländern stiegen dort im August des Jahres 1970 im Vergleich zum gleichen Monat des Jahres 1969 um 39 % auf 4,23 Milliarden Schilling, während die Ausgaben von Österreichern im Ausland um 5 % auf 1,07 Milliarden sanken. Daraus ergeben sich Nettoeinnahmen, die um 65% über denen des Vergleichszeitraumes des Jahres 1969 liegen.
Nun werden Sie sagen: Österreich ist ein typisches Fremdenverkehrsland, das mit dem Industriestaat Bundesrepublik nicht verglichen werden kann. Das stimmt. Aber ich kann Ihnen Zahlen aus Großbritannien nennen, die zeigen, daß auch dort der Ausländerreiseverkehr wesentlich stärker angestiegen ist als bei uns in der Bundesrepublik, nämlich um 24 %.
Die Vergleichszahlen der Bundesrepublik sind demgegenüber außerordentlich bescheiden. Die Deviseneinnahmen aus dem Fremdenverkehr beliefen sich 1970 auf 3,7 Milliarden DM, während sie 1969 3,6 Milliarden DM betragen haben. Es ergibt sich also ein bescheidenes Plus von 0,1 Milliarden DM, das infolge der Preissteigerungen natürlich ein reales Minus ist.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen Hinweis auf einen sehr bedeutsamen politischen Aspekt. Immer mehr Bürger der Bundesrepublik reisen in die Ostblockstaaten, aber leider haben es alle Maßnahmen der Bundesregierung für eine neue Ostpolitik auch nicht ansatzweise vermocht, den Reiseverkehr in Ost-West-Richtung zu beleben.
({2})
Für die Menschen im Ostblock ist der Eiserne Vorhang nicht durchlässiger geworden, aber gerade die Reisemöglichkeit ist außerordentlich wichtig, um die vielbeschworene Aussöhnung zwischen den Völkern zu erreichen.
({3})
Sonst bleibt es nur bei einem Arrangement zwischen den Regierungen, und damit wäre den Menschen nicht geholfen.
({4})
Es wäre falsch, den Fremdenverkehr nur zahlenmäßig im Verhältnis zu unserer Gesamtwirtschaft zu sehen. Unsere Fremdenverkehrsgebiete befinden sich in überwiegender Zahl in peripheren und strukturschwachen Räumen. Der Fremdenverkehr spielt dort die dominierende Rolle. Durch seine Stärkung und Intensivierung kann eine erhebliche strukturelle Verbesserung erzielt werden. Gerade unserer Landwirtschaft könnte hier bei ihrem Strukturwechsel und -wandel geholfen werden. Das Wort von-1 Urlaub auf dem Bauernhof ist zu einem festen Begriff geworden. Sehr wichtig ist hierbei die Verkehrserschließung, denn Verkehrsferne ist gleichbedeutend mit Wirtschaftsschwäche.
({5})
Verkehrserschließung ist somit ein wichtiger Teil der Wirtschafts- und Strukturverbesserungen unserer Urlaubs- und Erholungsgebiete.
Bei den Verkehrsmitteln wird eine stärkere PkwBenutzung festgestellt, wobei die Benutzung der Eisenbahn mit der Nähe zum Urlaubsort sinkt. Leider ist bei der Aufstellung des Bedarfsplanes für den Ausbau der Bundesfernstraßen der in den Fremdenverkehrsräumen sehr bedeutende Ferienverkehr zu wenig berücksichtigt worden. Der Weiterbau der deutschen Alpenstraße beispielsweise würde für den Voralpenraum die notwendige Verbesserung der Infrastruktur bringen, soweit er in absehbarer Zeit erfolgt.
Es ist deshalb unumgänglich, daß die Bundesregierung in ihren verkehrspolitischen Planungen, auch im Zeitplan, den Urlaubs- und Naherholungsverkehr stärker als bisher berücksichtigt. Der Fremdenverkehr darf nicht zum Stiefkind unserer Verkehrs- und Strukturpolitik werden.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Schwabe.
Meine Damen und Herren! Ich bin meinem Herrn Vorredner außerordentlich dankbar, daß er in so ausgezeichneter Weise die Probleme des deutschen Fremdenverkehrs dargestellt hat. Das ist sehr verdienstvoll. Im übrigen sind wir bemüht, im Parlamentarierkreis für Fremdenverkehr diese Dinge ohne zeitraubende Verhandlungen im Plenum voranzutreiben. Heute waren 25 ausländische Spitzenfremdenverkehrsleute hier und haben zum Ausdruck gebracht, daß die Dinge in Deutschland und mit Deutschland gut laufen.
1970 war das stärkste Reisejahr. 1971 - ich durfte
das vorgestern mit Zustimmung aller Fraktionen im Europäischen Parlament darlegen - wird wiederuni das überhaupt stärkste Reisejahr sein. Unser Haushalt ist, was diese Dinge anbelangt, in Ordnung, weil wir kontinuierlich zugelegt haben. Wir freuen uns, zur Sache hier ganz kurz dem deutschen Fremdenverkehr auch in dieser Stunde alles Gute wünschen zu können, und geben im übrigen die Zeit frei für weitere Beratungen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard. Er will ausschließlich zum Einzelplan 13 sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 13 ist überschrieben: Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ein Blick in den Entwurf, der uns zur Annahme vorliegt, zeigt sehr schnell, daß er außer den Ansätzen für die Bundesdruckerei lediglich eine Einnahme- und eine Ausgabeposition enthält, und diese betreffen die Post. Mehr als diese beiden Zahlen erfährt man nicht aus dem Etat, denn die Zahlen, die nachrichtlich über den Postetat mitgeteilt werden sollen, stehen noch nicht im Entwurf und stehen also auch uns zur Kenntnisnahme noch nicht zur Verfügung. Das Papier - Sie können es sehen - ist für das letzte Jahr und für dieses Jahr, ich möchte sagen, von jeder Zahl makellos frei.
Früher war hier auch noch der Ansatz für das Gehalt des Herrn Postministers veranschlagt. Dieses Gehalt geht jetzt in dem des Verkehrsministers auf - oder unter, so daß auch das hier nicht mehr zu ersehen ist.
Was wir also hier über die Post lesen können, ist, daß die Bundeskasse eine Einnahme von rund 800 Millionen DM durch Zahlung von der Post zu erwarten hat, und eine zweite Zahl, daß die Bundeskasse zugunsten der Post etwa 180 Millionen DM zahlen wird - das sind Schuldenübernahmen -, so daß der Bundeskasse eine Nettoeinnahme von 620 Millionen DM zu Lasten der Post verbleibt.
Die Zahlen über den Posthaushalt, die hier eigentlich nachrichtlich mitgeteilt werden sollen, liegen
wahrscheinlich aus Gründen der Technik - nicht
vor. Der Posthaushalt hat aber ein Volumen, nach den Beschlüssen des Postverwaltungsrates, von immerhin 27 581 000 000 DM. Das ist mehr als 25 % des gesamten Bundeshaushalts. In dieser großen Summe ist ein Fremdgeldbetrag von 7 050 000 000 DM enthalten, und dieser Fremdgeldbedarf, der aufgenommen werden soll, bedeutet eine Nettoneuverschuldung von rund 5 Milliarden DM.
({0})
Der Bundeshaushalt selbst enthält lediglich eine Nettoneuverschuldung von 3,7 Milliarden DM. Bei der Post allein also eineinhalb Milliarden mehr!
Nachdem die Post 1970 rund 400 Millionen DM ausgewiesenen Verlust hatte, sieht der Haushaltsplan 1971 einen Verlust von rund 800 Millionen DM vor. Tatsächlich wird dieser Verlust aber deutlich höher ausfallen, denn die in einer Höhe von 9,5 % schon berücksichtigte Steigerung der Personalkosten wird auf der Grundlage des bereits bekannten Verhandlungsergebnisses über das Besoldungsneuregelungsgesetz mindestens bei 11 %, nach den Berechnungen der Postgewerkschaft bei rund 13 % liegen, und jedes Prozent bedeutet annähernd 100 Millionen DM mehr an Kosten.
Die Post wird also auch bei gestiegenem Aufkommen, bei höheren Gebühreneinnahmen aus normaler Tätigkeit mit einem Verlust von sicher I Milliarde DM für 1971 zu rechnen haben.
({1})
Dem Abführungsbetrag von 800 Millionen DM steht nach dem Voranschlag ein Verlust von 800 Millionen DM gegenüber. Wenn man aber weiß, daß außerdem 590 Millionen DM Gebührenerhöhungen bei der Einnahmeseite schon berücksichtigt sind, daß diese Gebührenerhöhung bis jetzt aber noch nicht auf verbindlichen Beschlüssen beruht, muß man davon ausgehen, daß bei der heutigen Rechtslage das Defizit der Post, der Verlust der Post für das Jahr 1971 mit nicht weniger als rund 1,4 Milliarden DM zu veranschlagen ist. Rechnet man den Verlust aus dem Jahre 1970 hinzu, so ergibt sich ein Verlust von 1,8 Milliarden DM; hinzu kommt das Risiko von 200 Millionen DM aus einer höheren Lohn- und Gehaltssteigerung. Das bedeutet: ohne Gebührenerhöhung Verlust in 1971 2 Milliarden DM.
({2})
Das alles, meine Damen und Herren - und das ist meines Erachtens das politisch doch viel Interessantere - geht am Parlament vorbei. Wir haben auf die Fragen, die hier angesprochen sind, rechtlich keinen Einfluß.
Dies veranlaßt mich zu einigen Bemerkungen in der Hoffnung, daß diese nicht als politische Aussage von der einen oder anderen Seite dieses Hauses mißverstanden werden. Sie sollen und müssen vielmehr einfach als Feststellung eines Parlamentariers
und ich hoffe: unseres Parlaments - gegenüber der Regierung verstanden werden.
Im Jahre 1923 war das Deutsche Reich, schlicht gesagt, bankrott. 1923/24 hatten wir die schlimmste
Erhard ({3})
Inflation. Kein öffentlicher Kredit war zu erhalten. Die Reaktion des Reichstags und der Regierung führte dazu, daß im Jahre 1924 die Post aus dem Reichshaushalt ausgegliedert und gleichzeitig als Sondervermögen etabliert wurde. An Stelle des Budget- und Kontrollrechts des Parlaments wurde ein starkes Recht der Regierung geschaffen, ganz leicht durch einen Beirat, den Postverwaltungsrat, eingeschränkt. Die Post haftete als Sondervermögen mit ihrem Vermögen für ihre Verbindlichkeiten selbst und unmittelbar. Damit war die Vertrauensgrundlage für die Postanleihen geschaffen.
Im Jahre 1934 wurde bei der Post - wie konnte es anders sein - durch Hitler das Führerprinzip eingebaut und durchgeführt, und es wurden alle Beschlußrechte des Verwaltungsrats beseitigt. So blieb es auch nach 1945. Dieser Zustand konnte auch über
das Jahr 1949 Konstituierung der Bundesrepublik
und Inkrafttreten des Grundgesetzes - hinübergerettet werden.
Erst im Jahre 1952 erregte dieser Zustand Unmut, daß nämlich lediglich der Postminister und der Finanzminister den gesamten Haushalt der Post ohne jede Mitwirkung des Parlaments aufzustellen und zu verantworten hatten. Es ist interessant, nachzulesen, daß in dem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung - im Jahre 1952 - über diese Zustände zu lesen steht - ich zitiere wörtlich -:
Die Post muß aus der Dunkelkammer heraus. Das ist nicht zuletzt auch deswegen erforderlich, weil die Deutsche Bundespost über Milliardenwerte verfügt.
Ein Blick in die Zahlen! Das damalige Postvermögen hatte einen Wert von insgesamt rund 3 Milliarden DM. Das heutige Postvermögen hat einen Wert von rund 27 Milliarden DM. Aber das Parlament hat deswegen trotzdem nicht mehr zu sagen.
({4}) - Das weiß man nicht.
Das tiefe Mißtrauen gegen die parlamentarische Einflußnahme fand seinen Ausdruck in der Behauptung - die auch heute immer wieder zu hören ist -, die Post könne als Sondervermögen wendiger und beweglicher sein, müsse aber wegen ihrer wichtigen Aufgaben - Monopol in der Nachrichtenübermittlung - Bundesverwaltung bleiben. Dem Postverwaltungsrat wurde deswegen ein außerordentlich enges sogenanntes Etatrecht eingeräumt. Meine Damen und Herren, es ist zweckmäßig, sich ab und zu in die Gesetze hineinzulesen, um zu wissen, was das ist. Er - der Postverwaltungsrat, das sogenannte Parlament - darf gegen den Postminister keine Ausgabenerhöhungen und keine Einnahmeverminderungen beschließen. Er hat kein Initiativrecht. Er kann deshalb gegen den Postminister auch keine Gebührenerhöhung oder wesentliche Gebührenveränderung durchsetzen, so daß der Herrschaftsbereich des Ministers - oder der Regierung - sichergestellt war und ist.
Uns allen ist bekannt, daß die allgemeinen finanzpolitischen Schwierigkeiten zur Finanzverfassungsreform im Jahre 1969 durch dieses Hohe Haus geführt haben. Damit das Parlament nicht umgangen und nicht vorbelastet werden kann, haben wir in Art. 115 GG hineingeschrieben - und so ist es jetzt Verfassungsgrundsatz -, daß alle Kreditaufnahmen und ähnliche künftige Haushaltsbelastungen, die auch anderer Art als Kreditaufnahmen sind und sein können, nur durch ausdrückliches, formales Gesetz möglich sind. Das gilt auch für die Sondervermögen. Allerdings bestimmt Art. 115 Abs. 2 GG, daß durch Gesetz für die Sondervermögen eine andere Regelung geschaffen werden kann.
({5})
- Wir haben ja auch maßgeblich an ihr mitgewirkt, Herr Kollege Stücklen, Aber auch diese Regelung geht rechtlich vorläufig sowohl an der Post als auch an uns als Parlament vorbei. Es wird aber niemand leugnen können, daß sowohl die Finanzpolitik als auch die allgemeine Wirtschafts- und Konjunkturpolitik von Entscheidungen im Bereich der Post nicht unbeeinflußt sind. Man denke nur - ich wies bereitsvorhin darauf hin - an die Nettoneuverschuldung in Höhe von rund 5 Milliarden DM im Jahre 1971. Und das bei einem Haushaltsvolumen von 27 Milliarden DM! Es ist wohl sicher nicht zu leugnen, daß diesem Bereich eine große wirtschaftliche Bedeutung zukommt.
Das Ganze hat nicht das Parlament, sondern der Postminister zu verantworten. Das Parlament hat nur die Möglichkeit, über oder auf ihn einen politischen Einfluß zu nehmen. Diese allgemeine politische Problematik und die in diesem Zusammenhang auftauchende Frage nach dem Selbstverständnis des frei gewählten Parlaments gehören mit in den Bereich des Selbstverständnisses von Demokratie und von Parlament.
Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Postverwaltungsrat kein Parlament ist - zum Teil wird er ja vom Minister selber berufen - und bei der verfassungsrechtlichen Situation, die wir nun einmal haben, niemals die politische Verantwortlichkeit des Ministers kontrollieren oder ersetzen oder gar an Stelle des Parlaments politische Verantwortung tragen könnte.
({6})
- Sie werden sofort wissen, warum ich so ausführlich auf diese Dinge eingehe.
Herr Minister, ich möchte Ihnen nun Gelegenheit geben, einige Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten aufzuklären.
Erstens. Herr Minister, stehen Sie noch zur Aussage im Godesberger Programm der SPD,
({7})
wonach die Regierung jederzeit dem Parlament verantwortlich ist oder sein soll? Warum, Herr Minister, wollen Sie durch Abschaffung des dem Parla5730
Erhard ({8})
ment verantwortlichen Leiters der Post, des Postministers,
({9})
dem Parlament jede, und zwar auch die letzte politische und sachliche Einflußnahme auf die Post und Kontrolle über die Post entziehen?
({10})
Das haben Sie und die Regierung in Ihrem Vorschlag zum neuen Postverfassungsgesetz doch praktisch gesagt.
Zweitens. Sie und die Regierung haben in der Begründung zum Entwurf des neuen Postverfassungsgesetzes erklärt, die Einnahmen der Post müßten aus Gebühren und Zuweisungen aus der Bundeskasse die Aufwendungen der Post decken und sogar die Bildung von Rücklagen ermöglichen. Aber nach dem Haushalt 1971 ist ein Verlust von mehr als 800 Millionen DM ohne Ausgleich aus der Bundeskasse zu erwarten. Herr Minister, Sie decken diesen Verlust durch zusätzliche Fremdmittelaufnahme ab,
({11})
also durch eine zusätzliche Verschuldung in der Höhe des Verlustes. Dadurch kommen Sie bei der Post um eine zusätzliche - ich betone: zusätzliche - Nettoneuverschuldung von .insgesamt 1,2 Milliarden DM nicht herum. Halten Sie das mit dem Gedanken des Art. 115 GG tatsächlich noch für vereinbar?
Drittens. Herr Minister, stehen Sie zu dem Satz des Godesberger Programms der SPD, daß sich im demokratischen Staat jede Macht öffentlicher Kontrolle fügen müsse? Ich persönlich halte den Satz für richtig.
({12})
Warum, Herr Minister, wollen Sie und Ihre Regierung die Post noch mehr als bisher der Kontrolle durch das Parlament entziehen?
({13})
Herr Minister, Sie haben am 20. Januar dieses Jahres in diesem Hause ausgeführt, daß in einem Unternehmen, das allen Bürgern des Landes zu dienen hat, die Politik draußen vor der Tür zu bleiben habe. Sie wissen aber doch, daß die Post nach Art. 87 GG als Bundesverwaltung zu führen ist. Sie kennen auch den Art. 115; ich habe ihn vorhin schon zitiert. Sie wissen, daß die Post ihren Kunden als Hoheitsverwaltung und nicht - im Gegensatz zur Bahn - als Dienstleistungsunternehmen gegenübersteht und sogar mit Enteignungsrechten ausgestattet ist. Daß eine große staatliche Verwaltung mit Monopolcharakter und den bekannten großen Wirkungen auf Wirtschaft und Finanzen insgesamt nicht im machtpolitisch luftleeren Raum bestehen kann, ist Ihnen doch zweifellos bewußt, Herr Minister.
({14})
Herr Abgeordneter, auch wenn auf Ihrem Tisch noch das grüne Lämpchen brennt: Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich hatte
15 Minuten angemeldet.
Sie haben schon
16 Minuten gesprochen. Leider funktioniert die Technik nicht.
({0})
Herr Minister, Sie fordern eine Erhöhung des Eigenkapitals der Post auf 33 %;
({0})
dem Hause liegt der entsprechende Gesetzentwurf vor. In Wirklichkeit war das Eigenkapital der Post 1969, als Sie Postminister wurden, mit 29 % ausgewiesen.
Kommen Sie bitte zum Schluß!
Ich komme zum Schluß. - Sie haben in Ihrem Voranschlag eine Herabsetzung auf 22 % bis Ende 1971 vorgesehen.
Nun ein Letztes, Herr Minister. Sie haben gesagt, die Politik müsse draußen vor der Tür bleiben. Gut! Das Beispiel, das Sie im Jahr 1970 geliefert haben, bedarf jedoch großer Beachtung. Sie haben z. B. im April des Jahres 1970 einen Vertrag mit der Post der DDR abgeschlossen. Wir wissen, daß die Post auf Grund dieses Vertrags im abgelaufenen Jahr 98 Millionen DM gezahlt hat.
({0})
Sie haben dabei weder den Postverwaltungsrat gefragt,
({1})
noch haben Sie irgendwelche Unterlagen vorgelegt. Sie behandeln diesen Vertrag streng vertraulich.
({2})
Sie haben innerhalb von 14 Tagen gezahlt, Herr Minister. Wir haben nach dem Vertrag gefragt, Sie haben ihn uns aber nicht bekanntgegeben.
Herr Abgeordneter, ich habe Sie schon zweimal ermahnt, zum Schluß zu kommen. Ich ermahne Sie ein drittes Mal, aber kein viertes Mal.
Wir haben hier im Bundestag Herrn Staatssekretär Börner gefragt, und er hat, wie das Protokoll Seite 4105 - ausweist, erklärt, er könne darüber keine Detailauskünfte geben. Hängt das Ganze etwa mit dem Stoph-Besuch zusammen? Sind das Vorleistungen? Was ergibt sich aus dem Vertrag, Herr Minister? Welche Gegenleistung erbringt die andere Seite?
({0})
Wir fordern Wahrheit und Klarheit auch im Postetat. Wir erwarten von Ihnen, Herr Minister, mehr Mut zum Regieren.
({1})
Ihnen persönlich spreche ich diesen Mut nicht ab, aber Ihrer Regierung, Herr Minister, spreche ich ihn ab.
({2})
Herr Abgeordneter, dies wäre doch ein schöner Schluß. Sie sollten jetzt Schluß machen. Sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
Der Herr Präsident unterstützt mich, wenn ich sage, daß ich Ihnen mehr Mut als der Regierung zubillige. Das ist sehr schön.
({0})
Nicht nur mehr Mut, Herr Minister, sondern auch etwas mehr Wahrheit!
({1})
Meine Damen und Herren, es ist ein ziemlich illusorisches Unterfangen, in der Geschäftsordnung Redezeiten festzusetzen, wenn sich die Redner nicht daran halten.
({0})
- Das ist eine andere Frage. Dem Präsidenten steht leider keine ästhetische und keine politische Zensur zu.
({1})
Ich bin unter Umständen gezwungen - wir haben heute noch ein großes Programm zu erledigen -, einem Redner, der allzusehr auf die Nachsicht des Präsidenten vertraut, das Wort zu entziehen. Ich tue es nicht gern.
Das Wort hat der Bundesverkehrsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch ein paar Anmerkungen zum Verkehrshaushalt machen, der ja noch nicht abgeschlossen ist. Ich habe mich vorhin bei meinen Einlassungen nur mit dem Sektor der Deutschen Bundesbahn befaßt. Ich möchte noch ein paar Fragen, die das Haus kritisch zum Straßenbau angemerkt hat, beantworten. Ich hätte das Thema
von mir aus nicht angeschnitten. Aber da mir vorgehalten worden ist, ich würde übertreiben, ich würde zweifelhafte Versprechen machen und da auch darauf angespielt worden ist, daß ich, wenn ich einmal frei habe, gern male ich würde so schön bunte Bilder malen -, möchte ich doch mit Zahlen sagen, wie das in Wirklichkeit steht. Das ist nicht so fein für Sie. Aber Sie haben das gewollt und müssen nun auch die Zahlen vertragen können.
Sie haben mir gesagt, es würde weniger gebaut als früher. Die Zahlen weisen etwas anderes aus. Wenn Sie sich bitte merken wollten: wir hatten bis Ende dieses Krieges 2100 km Autobahn. Dann sind in 16 Jahren 1400 km gebaut worden und in vier Jahren 950 km. Sie sehen, das ist eine beachtliche Bauleistung.
({0})
Das sind nicht große Worte, Herr Schmitt, wie Sie gesagt haben, sondern das sind große Zahlen, die wir zu verantworten haben.
({1})
Das zweite. Ich hätte das von mir aus nicht angeschnitten, aber Sie haben das wohl gewollt. Sie haben gesagt, im Jahre 1970 sei die Bauleistung niedriger als 1969. Das hat Herr Lemmrich gesagt, das hat Herr Rawe gesagt. Ich will Ihnen die Zahlen sagen; Sie haben ja Anspruch darauf, sie zu erfahren. Für den Straßenbau sind 1970 4,9 Milliarden DM, 1969 4,4 Milliarden DM aufgewandt worden. Im Jahre 1969 sind 200 km Autobahnen neu gebaut worden, im Jahre 1970 350 km. Das sind doch beachtliche Zahlen, die sich vergleichen lassen.
({2})
Wir rechnen damit, daß sich diese Zahlen im Jahre 1971 noch steigern lassen. Hier wird sichtbar, welchen Wert und welche Bedeutung diese Bundesregierung dem Straßenbau beimißt. Es ist noch nie so viel in Deutschland gebaut worden wie gegenwärtig, seit wir regieren.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesverkehrsminister, würden Sie mir zustimmen, daß von der Planung bis zur Fertigstellung der Autobahnen bis zu 7 bis 10 Jahren vergehen, daß also die 950 km, die Sie in den letzten vier Jahren für sich in Anspruch nehmen, praktisch auf die Entscheidung, auf die Planung Ihres Amtsvorgängers zurückgehen?
Dafür habe ich jetzt mindestens 1500 km für meinen Nachfolger im Bau.
({0})
Ich will das noch präziser sagen. Die Planung ist ja auch angezweifelt worden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ott?
Herr Bundesverkehrsminister, wären Sie in der Lage, uns den prozentualen Anteil Ihres Straßenbaus am Bruttosozialprodukt bekanntzugeben? Denn nur das kann für die Leistungskraft einer Volkswirtschaft maßgebend sein.
Ich kann das im Augenblick nicht aus dem Kopf mit dem Bruttosozialprodukt vergleichen. Das können Sie ja selber leicht umrechnen; das ist eine Einmaleins-Frage. Ich kann Ihnen nur sagen: die Ausgaben des Straßenbaus im Bundeshaushalt, der ja auch am Bruttosozialprodukt orientiert ist und in einem Verhältnis dazu steht, sind in der Zeit, in der ich das verantworten muß, relativ und absolut gewachsen.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Minister Leber, nur damit wir uns auch hier keinen falschen Hoffnungen hingeben: Könnten Sie uns erklären, wie es Ihnen gelungen ist, im Jahre 1969 mit 4,5 Milliarden DM nur 200 km Straßen zu bauen und im Jahre 1970 mit 400 Millionen DM mehr 350 km?
Herr Kollege Leicht, das sind Bauabläufe; die hängen von der Finanzierung, von der Restfinanzierung ab.
({0})
- Das sagt sehr viel aus. Ich will Ihnen sagen, was das aussagt, weil Sie hier gerade die Frage stellen, Herr Kollege Leicht. Mir wird beispielsweise vorgeworfen - auch hier aus dem Hause -, die Mittel würden ungerecht verteilt. Ich will nur etwas zum Thema Ungerechtigkeit sagen. Hören Sie gut zu, meine Damen und Herren. Bis ich dieses Amt übernommen habe, sind im Lande Schleswig-Holstein nach diesem Krieg für den Neubau von Autobahnen im ganzen 2 Millionen DM ausgegeben worden. 2 Millionen DM seit dem letzten Krieg im Lande Schleswig-Holstein!
({1})
Wir haben allein in den letzten vier Jahren in Schleswig-Holstein 255 Millionen DM ausgegeben. - Herr Kollege Heck, ich sage das nicht, weil in Schleswig-Holstein Wahlen sind. Ich verheimliche es aber auch nicht, weil Wahlen sind. Das ist doch ganz nett für die Leute.
({2})
Während mein Vorgänger 2 Millionen DM in 16 Jahren nach Schleswig-Holstein getragen hat 2 Millionen DM! -, haben wir in diesen vier Jahren, Herr Kollege Heck, für den Autobahn- und Bundesstraßenbau 817 Millionen DM nach Schleswig-Holstein getragen. Herr Kollege Heck, das sind beachtliche Zahlen. Man kann aber nicht auf einmal in einem Jahr nachholen, was 16 Jahre in diesem Land an der Peripherie Deutschlands nicht getan worden ist.
({3})
Herr Kollege Heck, damit das nicht nur hier hängenbleibt, sondern auch die Tiefenwirkung nicht ausbleibt, noch folgendes. Herr Kollege Stoltenberg würde sich sicher zu Wort melden, wenn er zufällig hier wäre und nicht da oben vielleicht wichtigere Dinge zu tun hätte. Für das Konzept von Herrn Stoltenberg sage ich dazu: in den vier Jahren, in denen der jetzige Bundesverkehrsminister 817,2 Millionen DM nach Schleswig-Holstein getragen hat, hat die Landesregierung für ein vielfach größeres Landesstraßennetz nur 156,3 Millionen DM im eigenen Lande ausgegeben.
({4})
Wir haben also von hier aus fünfmal so viel nach Schleswig-Holstein getan, wie die Regierung dort in eigenen Landesstraßen verbaut hat. Das ist doch ein Wort, meine Damen und Herren.
({5})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, würden Sie zugeben, daß in den ersten vier Jahren der Bundesrepublik und dieses Parlaments nicht so viel Autobahnen gebaut werden konnten wie in den letzten vier Jahren, und würden Sie vielleicht zugeben, daß man darum auch die Relation zwischen den ersten 16 Jahren und den letzten vier Jahren in keinem Falle so primitiv herstellen, wie Sie es uns jetzt zugemutet haben?
Aber liebe, gnädige Frau, sind das denn primitive Zahlen, oder ist das primitives Geld, was ich jetzt hier genannt habe?
({0})
Das ist doch Geld des Bundes, das nach SchleswigHolstein gegangen ist. Ich hätte das Thema gar
nicht angeschnitten. Ich kann mir vorstellen, es paßt
Ihnen nicht, daß das jetzt gesagt wird. Aber Sie
haben verlangt, daß ich Zahlen nenne. Jetzt habe
ich sie genannt, und da ist es auch wieder nicht gut.
({1})
Wenn Sie noch mehr Zahlen wissen wollen, ich kann Ihnen noch viel mehr nennen, die Ihnen nicht bequem sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haehser?
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß im letzten Jahr der Amtszeit Ihres Herrn Vorgängers für Rheinland-Pfalz 13,8 Millionen DM im Autobahnbau ausgegeben worden sind, während es im Jahr 1970, unter Ihrer Amtszeit, 185 Millionen DM gewesen sind?
Sie nehmen mir eine Arbeit ab, Herr Kollege. Ich habe das aufgeschrieben. Ich kann das bestätigen. Das ist so. Herr Kollege Kohl, der Ministerpräsident von RheinlandPfalz, hat sich kürzlich deswegen bei mir ausdrücklich bedankt.
({0})
Meine Damen und Herren, es ist für einen sozialdemokratischen Verkehrsminister halt nicht leicht, in zwei Ländern, die jetzt fast zwei Jahrzehnte von der CDU regiert werden, im Straßenbau nachzuholen, was die CDU 16 Jahre lang doch versäumt hat.
({1})
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann.
Herr Minister, wollen Sie bei dieser rein demagogischen Behauptung, die Sie hier eben aufgestellt haben,
({0})
wenigstens anerkennen, daß schon zu Zeiten Ihres Vorgängers
({1})
die Bundesrepublik an Straßenbauleistungen mehr auf die Beine gestellt hat als die übrigen fünf EWG-Staaten zusammen und daß die Bundesrepublik im Straßenbau an der zweiten Stelle in der Welt gestanden hat?
({2})
Herr Kollege MüllerHermann, das „demagogisch" nehme ich Ihnen nicht übel, Ich würde das an Ihrer Stelle nicht sagen.
({0})
Bloß, wenn Sie schon so etwas sagen, was die Grenze dessen, was man beleidigend nennt, unter Umständen überschreitet, dann müssen Sie sich wenigstens mit den Zahlen befassen, die ich hier genannt habe. Und wenn Sie auf eine Zahl, die ich
hier im Deutschen Bundestag nenne, wohl wissend, daß sie hier protokolliert wird, und wohl wissend, daß dort der Finanzminister sitzt und die Mitglieder des Haushaltsausschusses das kontrollieren können, nichts anderes zu erwidern haben, als mir einen polemischen Vorwurf zu machen, muß ich sagen: es ist sehr wenig, was die Opposition zu bieten hat, sehr wenig!
({1})
Im übrigen, Herr Kollege Müller-Hermann: ich habe keinen Vergleich der Straßenbauleistungen der Bundesrepublik Deutschland zu irgendeiner Zeit mit irgendeinem anderen Land, mit der EWG oder mit irgendeinem anderen Kontinent angestellt, sondern nur die Leistungen im Straßenbau unter sozialdemokratischer Führung im Verhältnis zum Straßenbau unter Ihrer Führung betrachtet, nachdem Sie bestritten hatten, wir hätten in der Zeit, in der wir die Verantwortung tragen, hier etwas gebaut.
({2})
Eine Zusatzfrage? - Bitte, stellen Sie Ihre Frage!
Herr Minister, ich entnehme der Tatsache, daß Sie meine Frage nicht beantwortet haben, daß Sie ihrem In- halt zustimmen.
({0})
Nein, nein!
Darf ich eine zweite Frage stellen: Ist es nicht logisch - und hätte nicht jeder andere Bundesverkehrsminister entsprechend handeln müssen -, daß man in den ersten Aufbaujahren zunächst von dem Kernnetz ausgehen mußte, das vorhanden war, und danach die Erweiterung vorzunehmen hatte?
Herr Kollege MüllerHermann, ich gebe Ihnen gerne zu, mein Vorgänger hätte auch lieber anders gehandelt, als er gehandelt hat, nämlich so, wie ich gehandelt habe. Das weiß ich, auch von seinen Mitarbeitern. Er hat nur Gegenspieler gehabt - wie beispielsweise Sie -, die ihn daran gehndert haben, das zu tun!
({0})
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Bundesverkehrsminister, halten Sie es wirklich für korrekt und sauber, hier Zahlenvergleiche anzustellen - ich meine die bezüglich Schleswig-Holsteins -, die, wie ich vorhin zum Ausdruck gebracht habe, auch wiederum auf vorher getroffene
Entscheidungen zurückgehen, z. B. auf die Entscheidung für den Bau der Autobahn nach Flensburg mit dem Abzweig nach Kiel? Wenn die Entscheidung getroffen ist, müssen Sie doch nachher die Geldmittel zur Verfügung stellen! Das ergibt sich doch zwangsläufig.
Herr Kollege Mursch, ich gebe Ihnen zu, daß die Planung lange vorher erarbeitet worden ist. Sie geht sogar zurück auf planerische Überlegungen im Jahre 1928.
({0})
Ich sage 1928,
({1})
weil ich es für falsch halte, daß es in Deutschland Leute gibt, die sagen, der Hitler habe den Autobahnbau in Deutschland erfunden. Die Demokratie hatte die Dinge bis zum Ende geplant, meine Damen und Herren!
({2})
Das, was wir bis jetzt bauen, ist zum Teil in der zweiten Republik von 1928 an geplant worden.
({3})
Ich gebe Ihnen deshalb auch zu: bevor ich kam, war natürlich auch der erste Plan für den Autobahnausbau in Schleswig-Holstein da. Nur rechne ich es mir an, daß ich das Geld zur Verfügung gestellt habe, das man früher für dieses Land nicht flüssig gemacht hatte. Das können Sie doch nicht bestreiten.
({4})
- Sehen Sie, Herr Kollege Mursch, Sie waren ja der sehr geachtete persönliche Referent meines Vorgängers.
({5})
Warum haben Sie denn da nicht mitgeholfen, ein bißchen für Schleswig-Holstein zu tun?
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wagner?
Herr Bundesminister, da Sie von der Zurverfügungstellung der Geldmittel sprechen, möchte ich Sie fragen, ob Sie einräumen, daß alle Mittel, die bis zum Ende des Jahres 1970 verbaut wurden, im dritten Vierjahresplan fixiert waren, daß dieser dritte Vierjahresplan festlag, bevor Sie Ihr Amt übernommen haben,
({0})
und ob es wirklich unter diesen Umständen den Geboten politischer Fairneß
({1})
und der Klarheit und Wahrheit
({2})
im politischen Leben entspricht, wenn Sie der Öffentlichkeit vorgaukeln, Sie hätten diese Steigerungsraten herbeigeführt?
({3})
Ich gebe zu, in dem Hause, das ich am 2. Dezember 1966 übernommen habe, waren wesentliche und wichtige Vorarbeiten für den dritten Vierjahresplan geleistet.
({0})
Vorgelegt worden ist dieser dritte Vierjahresplan, wenn ich mich jetzt auf Anhieb recht erinnere, im März 1967 von mir der damaligen Bundesregierung. Das ist das eine.
({1})
Allerdings, meine Damen und Herren, die Vorarbeiten für den Plan waren gemacht. Aber sehr zum Bedauern meiner Mitarbeiter waren bis zu dem Tage, an dem 1966 die neue Regierung kam, die Gelder für seine Deckung zusammengeschmolzen wie der Schnee im März 1966.
({2})
Es war nichts mehr da. Leider! Es mußte alles erst aufgebracht werden.
Wissen Sie, was ich in meinem Ressort angetroffen habe? Ich will es Ihnen sagen, damit Sie nicht von Illusionen leben. In meinem Ressort sah es ungefähr so aus wie in einer kleinen Kasse auf dem Dorf, die nicht in Ordnung ist. Das Geld stimmte nicht mehr, die Bücher waren nicht in Ordnung.
({3})
Da war kein Geld mehr da. Da lagen für einige 100 Millionen DM Rechnungen, für die kein Geld mehr da war. Das war der Ansatzpunkt damals, den Sie hinterlassen haben.
({4})
- Herr Heck, weil wir diese Misere 1966 so wach in Erinnerung haben, wird sich diese Regierung nie so verluderte öffentliche Finanzen leisten.
({5})
Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Herr Abgeordneter Leicht möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Minister, wären Sie so freundlich, uns, damit wir mit den Zahlen, die Sie genannt haben, etwas anfangen können, die Durchschnittskosten eines Kilometers Straße des Jahres 1970 .und des Jahres 1969 zu nennen? Und warum haben Sie im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages im Dezember bei der Beratung Ihres Etats erklärt, daß die 9 %ige Volumenausweitung in Ihrem Bereich vollkommen in die Preise gegangen sei und nichts mehr habe gebaut werden können?
({0})
Herr Kollege Leicht, ich drücke mich nicht um die Beantwortung dieser Frage.
({0})
- Das ist ganz ernst; da müssen Sie mal zuhören.
- Ich habe das vorhin im Zusammenhang mit der Eisenbahn doch auf eine für mich sehr unbequeme Weise dargestellt, indem ich auf die Kostenentwicklung auf der Lohnseite hingewiesen habe. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch auch, woher ich komme. Glauben Sie mir, es fällt mir sehr schwer, zu sagen, daß die Kostenentwicklung, die wir in der Bauwirtschaft haben und die sich auf den Straßenbau niederschlägt, eine wichtige Wurzel auch in der Lohnentwicklung hat! Glauben Sie, es fällt mir ganz leicht, das zu sagen, obwohl ich weiß, meine Damen und Herren, daß der Lohnanteil im Straßenbau nur ungefähr 9 % beträgt und man eine 10 %ige Lohnerhöhung eigentlich nur mit 0,9 % Anteil am Preis bewerten kann?
({1})
Da muß man sehr vorsichtig sein.
Ich habe vorhin nichts gesagt. Herr Kollege Lemmrich kommt ja auch aus einer Baufirma, wo er früher einmal war. Er versteht etwas davon. Er hat vorhin sehr breit auseinandergepackt - wie jemand, der einem Kunden eine Kalkulation offeriert -, daß der Preis für Bitumen 1971 um 40 % steigen werde. Das stimmt. Nur kann man damit nicht eine neue Preisexplosion begründen. Daß Bitumen um 40 % teurer wird, beklage ich sehr. Wir kämpfen deswegen gegen die Ölkonzerne. Diese Entwicklung ist weltweit so. Dann müßte man eigentlich, um dem Parlament ein richtiges Bild zu geben, auch sagen: Davon kommt noch keine Preisexplosion; denn im Preis für einen Kilometer Straße mit Bitumdecke macht das ungefähr 0,5 % aus. Aber auch dagegen müssen wir uns wehren, weil viele Male 0,5 % am Ende doch 10 % Preissteigerungen bedeuten.
Ich bin sehr dafür, daß wir gegen diese Entwertung des Haushaltsansatzes, der sich in Leistungsentwertung und -verminderung niederschlägt, miteinander kämpfen, meine Damen und Herren, und da können Sie mich auf Ihrer Seite, auf jeder Mannesseite finden, ob das populär oder bequem oder unbequem ist. Wir müssen dagegen kämpfen und jede Möglichkeit ausschöpfen, wieder fest auf die Füße zu kommen und zu erreichen, daß wir mit einer Mark auch tatsächlich für eine Mark gebaut bekommen.
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß sich noch vier Mitglieder des Hauses zu Zwischenfragen melden. Ich muß der Reihe nach vorgehen.
({0})
Der erste, dem ich das Wort erteile, ist der Herr Abgeordnete Haase.
Herr Minister, können Sie bestätigen, daß, als 1958 die Sozialdemokraten in Schleswig-Holsteinischen Landtag den Bau einer Autobahn anregten, ein entsprechender Antrag von der damaligen CDU-Regierung und der CDU-Fraktion strikt abgelehnt wurde und daß es mehr als fünf Jahre gedauert hat, die CDU in Schleswig-Holstein von der Notwendigkeit des Baus einer Autobahn zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur zu überzeugen?
Herr Kollege, ich kann das von mir aus nicht absolut bestätigen. Aber ich nehme, da Sie auch sonst wissen, was in SchleswigHolstein war, an, daß es so ist, wie Sie es dargestellt haben.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob Sie im Laufe Ihrer Ausführungen noch dazu kommen werden, zu dem von mir Ihnen gegenüber erhobenen Vorwurf, Sie hätten einer Gruppe von Abgeordneten hier im Hohen Hause eine falsche Auskunft gegeben, Stellung zu nehmen?
Welche war das?
Und gedenken Sie, darüber hinaus zu der Behauptung Stellung zu nehmen, die Sie Herrn Altbundeskanzler Kiesinger in den Mund gelegt haben, er habe einen urologischen Befund der Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion festgestellt? Wollen Sie das durch einen Wahrheitsbeweis erhärten oder wollen Sie das genauso stehenlassen, wie Sie schon vieles andere haben stehenlassen?
Herr Kollege Schmitt, wenn Sie mit der falschen Auskunft meine Bemerkung in München meinen - ist ,das so?
Nein. Ich habe in meinen Ausführungen soeben darauf hingewiesen, daß eine Gruppe von Abgeordneten eine Kleine Anfrage an die Regierung gerichtet hat und daß Sie
Schmitt ({0})
im Namen der Bundesregierung eine falsche Auskunft gegeben haben.
Nennen Sie mir doch bitte die Kleine Anfrage, damit ich weiß, was das ist.
Das ist die Kleine Anfrage betreffend Ablösung der Straßengüterverkehrsteuer durch die Wegekostenregelung.
Und inwieweit habe ich da eine falsche Auskunft gegeben?
Sie haben auf unsere präzise Frage: Ist die Bundesregierung in der Lage und gewillt, die Straßengüterverkehrsteuer zum 31. 12. 1969 durch eine Wegekostenregelung abzulösen?, mit Ja geantwortet.
Zu der Zeit, als ich diese Kleine Anfrage zu beantworten hatte, war ich tatsächlich der Auffassung, daß es gelingen würde, das bis zu diesem Zeitpunkt zu tun. Diese Erklärungen haben wir auch gemeinsam der EWG-Kommission in Brüssel gegenüber so abgegeben. Aber können Sie mir ein Rezept sagen, nach dem wir das bis zum Ende 1969 hätten ablösen können? Man nimmt sich manchmal etwas vor und erreicht es am Ende zum rechten Termin nicht. Das war keine falsche Auskunft, sondern in diesem Punkte haben sich alle - auch die Mitglieder des Hohen Hauses, die sich mit Verkehrsfragen befassen - etwas übernommen, als sie dachten, das sei bis zum 31. Dezember 1969 zu erreichen. Das habe ich auch der EWG-Kommission gegenüber begründet.
Ich habe eine zweite Frage zu beantworten. Das ist die Frage, die Herrn Kollegen Kiesinger betrifft. Herr Schmitt, ich habe mir noch einmal nachgelesen, was ich hier aus dem Gedächtnis gesagt habe, als ich wiedergab, was ich aus dem Gespräch mit dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger in Erinnerung habe. Ich sage vor diesem Hohen Hause wohl bedacht: Ich habe davon nichts abzustreichen und nehme auch nichts zurück. Ich sage allerdings dies hinzu: Ich hätte das hier nicht gesagt - und es ist im allgemeinen nicht meine Art, aus persönlichen Gesprächen so etwas von mir zu geben - ({0})
- Nein, hören Sie einmal gut zu, Herr Stücklen: Dann muß aber auch eine Fraktion wie die CDU-Fraktion es unterlassen, mich persönlich drei Jahre lang zu attackieren, ich hätte etwas Bestimmtes nicht getan, und mich dann in diese Pression zu bringen, von mir zu verlangen, daß ich den Mund halte und nicht sage, daß ich es deswegen nicht getan habe, weil der eigene Parteivorsitzende Ihrer Partei mir
das abgeraten hat. Irgendwann kommt dann der Punkt, wo man das auch einmal sagen darf.
({1})
Ich will noch ein Stückchen weiter gehen, damit es für Sie verständlicher wird: Ich habe dem Fraktionsvorsitzenden der CDU - das ist der gleiche, den Sie auch heute haben - damals gesagt: Die Bundesregierung
({2})
- wenn sie an mich eine Frage stellen, müssen Sie auch zuhören, dann dürfen Sie nicht querdiskutieren - hat ein verkehrspolitisches Programm erarbeitet, sie legt Wert darauf, daß das in den Fraktionen vertreten wird. Dann habe ich die SPD-Fraktion und die CDU/Fraktion gebeten, mir Gelegenheit zu geben, das verkehrspolitische Programm der Bundesregierung dort zu erläutern. Die Sozialdemokraten haben das getan, die CDU hat das nicht getan. Ich habe Herrn Barzel noch einmal gebeten. Ich habe keinen Termin bekommen, sondern mir ist gesagt worden, die CDU würde das nicht machen. Ich habe einige Kollegen, die ich hier sitzen sehe, darunter beispielsweise auch Herrn Pohle gebeten, doch einmal dafür zu sorgen, daß ich als Regierungsmitglied, das nicht der CDU angehöre, Gelegenheit bekomme, einen Beschluß, den die Regierung doch als Koalitionsregierung gefaßt habe, wenigstens in der CDU-Fraktion zu erläutern. Das ist nicht geschehen. Ich habe keine Gelegenheit bekommen. in Ihrer Fraktion darüber zu reden. Statt dessen haben Sie damals ein eigenes Programm entwickelt. Sie haben sich damals schon, Herr Kollege Schmitt, als Sie noch in der Regierung waren,
({3})
unter der verkehrspolitischen Führung von Herrn Müller-Hermann so benommen, als seien Sie in der Opposition. Sie haben schon geübt, was später über Sie gekommen ist, meine Damen und Herren, und ein kontroverses Programm gemacht.
({4})
Ich habe das Programm Herrn Kiesinger hingelegt
({5})
und habe ihn, wie es von mir hier gesagt worden ist, gefragt: Soll ich das jetzt auch Herren in der CDU geben? Da hat er gesagt: Nein, nehmen Sie es wieder mit. - Ich nehme nichts zurück. Das war so.
({6})
Im übrigen habe ich den Brief von Herrn Kiesinger gelesen. Er hat natürlich gesagt, es gehöre nicht zu seinem Sprachschatz, was ich gesagt habe. Da steht aber auch nicht drin, daß das nicht so gewesen sei.
({7})
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ich habe Ihnen ganz einfach die Frage gestellt, wann Sie den Wahrheitsbeweis für Ihre Behauptung antreten wollen. Alles, was Sie bisher erzählt haben, war dummes Geschwätz, um von der Sache abzulenken.
({0})
Herr Abgeordneter Schmitt, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
({0})
Was ich gesagt habe, ist wahr. Da Sie mich provoziert haben, etwas über dieses Gespräch mit Herrn Kiesinger damals zu sagen, habe ich diese Auskunft hier gegeben. Wenn Sie es wünschen, meine Damen und Herren, kann ich noch mehr, dann aber auch mit Zeugen und Beweisen, sagen, was ich von Herrn Kiesinger weiß, wie er über seine eigene Fraktion denkt oder damals dachte, als wir miteinander regierten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Leber, Sie sind bekannt für Ihre mimosenhafte Empfindsamkeit.
({0})
Dafür gestatten Sie sich bei jeder passenden Gelegenheit, mit persönlichen Attacken aus der Rolle zu fallen.
({1})
Das ist mir gegenüber schon bei der letzten verkehrspolitischen Debatte geschehen mit der Folge, daß sie sich, wie ich sehr genau weiß, von Ihrer eigenen Umgebung sagen lassen mußten, daß Sie sich sowohl im Ton als auch in der sachlichen Aussage vergriffen haben.
({2})
Das gleiche gilt für Ihre heutige Attacke, Herr Minister Leber. Wenn ausgerechnet Sie mir vorwerfen, ich hätte eine Weiterentwicklung des Straßenbaus in der Bundesrepublik behindert, dann, glaube ich, spricht das für sich selbst und gegen Sie.
({3})
Ich habe eine Zahl im Kopf. Als ich als junger Abgeordneter anfing, mich hier um die Verkehrspolitik zu bemühen - das war im Jahre 1953 oder
1954 -, standen für den Straßenbau, unter den damaligen Umständen verständlich, 310 Millionen DM zur Verfügung. Damals bin ich - ich glaube, das kann ich wohl für mich in Anspruch nehmen - darangegangen, zunächst einmal in meiner eigenen Fraktion und dann in diesem Hause Verständnis dafür zu finden, daß wir ein langfristiges Straßenbauprogramm und dafür auch die Beschaffung von entsprechenden Mitteln über die Mineralölsteuer sicherstellen müssen. Dann kommen Sie und machen mir diesen Vorwurf. Ich kann Ihnen das nur zurückgeben. Sie sind bar jeder Fairneß.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Änderungsanträge liegen ebenfalls nicht vor. Wir stimmen also über die Einzelpläne im ganzen ab.
Zunächst Einzelplan 12. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 25 auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen
- Drucksachen VI/ 1749, zu VI/1749 Berichterstattter: Abgeordneter Müller
({0})
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 25 hat eine so erfreuliche Entwicklung genommen, daß ich es mir als Berichterstatter nicht verkneifen kann, einige ergänzende und erläuternde Bemerkungen zu machen.
Gegenüber dem Vorjahr steigt der Haushalt des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen auf der Ausgabenseite um rund 731 Millionen DM - das sind 38 % - und damit überproportional an. Die Gesamtausgaben betragen 2,65 Milliarden DM, die Verpflichtungsermächtigungen 2,6 Milliarden DM.
Der Plafond des Einzelplans 25 wird bis 1974 auf 3,7 Milliarden, d. h. um 94 %, ansteigen. Die Länder haben im Jahre 1969 2,7 Milliarden DM bei einem Gesamtförderungsvolumen von Bund und Ländern in Höhe von 3,1 Milliarden DM aufgebracht. Der Anteil des Bundes betrug hier 13,6 %. Unter Berücksichtigung der Steigerungen im Bundeshaushalt und in den Länderhaushalten kann von einem Förderungsvolumen von insgesamt etwa 6,5 Milliarden DM für 1971 ausgegangen werden.
Müller ({0})
Der Bundesanteil hieran mit 2,5 Milliarden DM steigt auf zwischen 35 und 40 %.
Diese enormen Leistungen des Bundes machen deutlich sichtbar, welchen Vorrang Bundestag und Bundesregierung dem Wohnungsbau und dem Städtebau einräumen. Diese Schwerpunktbildung ist Bestandteil eines umfassenden Gesamtprogramms zur Beseitigung der bekannten Notlage auf dem Wohnungsmarkt, insbesondere in den Ballungsgebieten. Sie ist auch Bestandteil des in der letzten Woche hier so oft zitierten Mosaiks.
Schwerpunkte des Einzelplans 25 sind: das langfristige Wohnungsbauprogramm, auf das ich noch zu sprechen komme, und die Steigerung des Wohngeldes nach dem Zweiten Wohngeldgesetz von 480 Millionen DM im Vorjahr auf nunmehr 668 Millionen DM. Einschließlich des Länderanteils stehen für das Wohngeld im Jahre 1971 rund 1,3 Milliarden DM zur Verfügung. Der begünstigte Personenkreis wird auf rund 1 Million Haushalte erweitert. Damit wird eine wesentliche wirtschaftliche Sicherung der Mieter erreicht.
Durch den Gesetzentwurf über Maßnahmen zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs soll im Rahmen des Gesamtprogramms eine bessere rechtliche Sicherung der Mieter erreicht werden.
Zur Steigerung der Produktivität in der Bauwirtschaft und zur Senkung der Baukosten soll eine entscheidende Förderung der Rationalisierung und Technisierung in der Bauwirtschaft führen. Das ist das Gesamtprogramm.
Nun zum langfristigen Wohnungsbauprogramm. In den nächsten zehn Jahren sollen wieder jährlich 500 000 Wohnungen gebaut werden, davon rund 250 000 Wohnungen jährlich mit öffentlichen Mitteln gefördert. Das bedeutet neben der bisherigen Förderung eine zusätzliche Förderung von jährlich 100 000 Wohnungen. Außerdem soll jährlich die Modernisierung von 50 000 Wohnungen gefördert werden.
Das langfristige Wohnungsbauprogramm gliedert sich in ein Sozialprogramm, ein Regionalprogramm und in ein Modernisierungsprogramm. Im Sozialprogramm werden die Mittel der Grundförderung nach § 19 a des Zweiten Wohnungsbaugesetzes von bisher 150 Millionen auf 180 Millionen DM erhöht. Damit sind die Baupreissteigerungen abgedeckt. Bisher wurden von den 150 Millionen DM lediglich 99 Millionen DM als Darlehen und die restlichen 51 Millionen DM als Annuitätszuschüsse gegeben. Ab 1971 werden die vollen Mittel, also 180 Millionen DM, als langfristige zinslose Darlehen den Ländern zur Verfügung gestellt. Dadurch sind die Finanzierungsmöglichkeiten der Länder erheblich verbessert worden.
Für eine Intensivförderung werden 250 Millionen DM als öffentliche Mittel für besonders benachteiligte Personengruppen bereitgestellt. Das sind kinderreiche Familien, alte und alleinstehende Mitbürger, junge Familien und Schwerbeschädigte. Um kinderreiche Familien mit 5 und mehr im Familienhaushalt lebenden Kindern angemessen mit Wohnraum zu versorgen, kann erstmals auch der Erwerb geeigneten bereits vorhandenen Wohnraums zur Eigennutzung gefördert werden.
Das Regionalprogramm beschränkt sich auf regionale Schwerpunkte, an denen entweder auf Grund starker Zuwanderung ein besonders großer Wohnungsbedarf besteht oder im Zusammenhang mit Maßnahmen der regionalen Strukturpolitik eine durchgreifende Verbesserung der Wohnverhältnisse erreicht werden soll. Zu den regionalen Schwerpunkten gehören Entwicklungsschwerpunkte in wirtschaftlich schwachen Gebieten oder solche mit einseitiger Wirtschaftsstruktur, wie z. B. das Zonenrandgebiet, sonstige Bundesausbaugebiete und Bundesausbauorte. Hierbei sollen vor allem die Strukturverbesserungsmaßnahmen des Bundes im Rahmen der regionalen Aktionsprogramme flankierend unterstützt werden. Weiter zählen hierzu Orte mit besonders starker Unterversorgung sowie städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsgebiete.
Im Regionalprogramm werden jährlich 50 000 Wohnungen ausschließlich mit Bundesmitteln errichtet bzw. gefördert. Es handelt sich hierbei um ein Fünfjahresprogramm mit einer jährlichen Belastung für den Bund von 1,757 Milliarden DM, verteilt auf eine 18jährige Laufzeit der Förderung. Dieses Programm ist in der mittelfristigen Finanzplanung abgesichert und hat eine zusätzliche Leistung des Bundes für den Wohnungsbau von rund 8,5 Milliarden DM zum Inhalt. Die Förderung erfolgt als Starthilfe durch zinslose Aufwendungsdarlehen für fünf Jahre. Die Raten des Aufwendungsdarlehens, das einen Darlehensbetrag je Wohneinheit von etwa 18 000 DM erreicht, werden jeweils drei Jahre lang in Höhe von 2,70 DM, dann 2 DM und zum Schluß 0,60 DM je Quadratmeter Wohnfläche gezahlt. Die letzte Rate wird im zwölften Jahr gezahlt; vom 15. Jahr ab ist das Darlehen dann mit bis zu 6 % zu verzinsen und mit 2 % zu tilgen. Die Einkommensgrenze des begünstigten Personenkreises soll 40 % über der jeweiligen Einkommensgrenze nach § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes liegen.
Damit wird eine Einkommensgruppe in die Förderung einbezogen, die bis jetzt zu einkommensstark für den öffentlich geförderten Wohnungsbau und zu einkommensschwach für den frei finanzierten Wohnungsbau war. Diese Förderung bietet sich geradezu für Eigentumsmaßnahmen an. Ihr allmählicher Abbau und die Verzinsung und Tilgung vom 15. Jahre ab sollen verhindern, daß Bevölkerungskreise, die auf Grund ihres Einkommenszuwachses in den nächsten 10 bis 15 Jahren die Wohnkosten in zunehmendem Maße selbst übernehmen können, dann noch Subventionen erhalten.
Mit diesem Modell werden Konsequenzen aus der jüngsten Vergangenheit gezogen, die gezeigt hat, daß sich anfänglich berechtigte Subventionen später als Fehlsubventionen zeigen, wenn sie nicht an die Veränderung der Einkommensverhältnisse angepaßt werden.
Im Rahmen des Modernisierungsprogramms soll die Modernisierung und Instandhaltung von jährlich 50 000 Wohnungen gefördert werden. Der Bund stellt dafür jährlich 20 Millionen DM als Darlehen und für
Müller ({1})
regionale Schwerpunkte 45 Millionen DM als Zinsverbilligungszuschüsse in jährlichen Raten von 9 Millionen DM für fünf Jahre zur Verfügung. Das Modernisierungsprogramm kann nach Inkrafttreten des Haushalts 1971 anlaufen.
Für die Städtebauförderung besteht ein Gesamtverpflichtungsrahmen von 100 Millionen DM, Davon sind 50 Millionen DM veranschlagt. Damit wird sich der Bund erstmals außerhalb der Studien- und Modellvorhaben an der Finanzierung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen beteiligen. Die Ansätze sind allerdings bis zur Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes gesperrt.
Die Öffentlichkeitsarbeit ist heute so oft angesprochen worden, daß ich dazu auch noch etwas sagen muß. Herr Baier, wir haben gemeinsam - Opposition und Mehrheit im Haushaltsausschuß - den Ansatz um 30 000 auf 150 000 DM gekürzt. Jetzt ist der Bestseller, der Volltreffer des Wohnungsbauministers da: Nach der Mietfibel die Wohngeldfibel, bisher in einer Auflage von 1 750 000 Stück gedruckt und verteilt, davon 1 Million zu Lasten des Bundeshaushalts und 750 000 vom Deutschen Verband gedruckt. Wir können nur hoffen und wünschen, daß das Presse- und Informationsamt die Absicht wahrmacht, weitere 500 000 Wohngeldfibeln zu drucken. Ich möchte dem Bundeswohnungsbauminister für diese hervorragende Öffentlichkeitsarbeit unseren Dank sagen.
Die Koalitionsfraktionen stimmen dem Haushalt zu.
({2})
Herr Präsident, der Einfachheit halber und aus Zeitgründen darf ich auch gleich den Änderungsantrag der SPD und der FDP auf Umdruck 137 *) begründen. Der Antrag auf Umdruck 137 hat zum Inhalt, Tit. 852 14 um 10 Millionen DM aufzustocken, und zwar von 90 auf 100 Millionen DM. Ferner soll in den Erläuterungen zu Tit. 852 14 folgender Absatz 4 eingefügt werden:
Von dem Ansatz entfallen auf Wohnungsbaumaßnahmen für Facharbeiter und Schlüsselkräfte im Zonenrandgebiet 10 Millionen DM.
Damit stehen für den Wohnungsbau im Zonenrandgebiet einschließlich der Mittel aus dem Intensivprogramm für das Jahr 1971 ausreichend Mittel zur Verfügung.
Die Änderungsanträge der Kollegen Dr. Warnke und Genossen auf den Umdrucken 133 **) und 138 ***) zielen auf eine Erhöhung um 30 Millionen DM - ursprünglich um 40 Millionen DM - ab. Dieser Antrag ist unrealistisch. Die Länder werden Mühe haben, das, was bereitsteht und was durch den Änderungsantrag der SPD- und FDP-Fraktion auf Umdruck 137 zusätzlich zur Verfügung gestellt wird, durch eigene Mittel zu ergänzen.
Ich bitte um Annahme des Antrages auf Umdruck 137 und um Ablehnung der Anträge auf den Umdrucken 133 und 138.
({3})
*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 9 ***) Siehe Anlage 6
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Baier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war und ist nicht unsere Absicht, hier heute abend eine wohnungspolitische Debatte vom Stapel zu lassen, einmal aus Gründen der Zeitökonomie, zum anderen aber auch, weil wir im letzten halben Jahr schon dreimal dazu Gelegenheit hatten. Ich meine aber, daß der etwas zu optimistisch gefärbte Bericht des Herrn Berichterstatters wenigstens einiger Sätze von unserer Seite bedarf, um auch zu zeigen, was wir von dem Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen halten.
Trotz aller Reden, die gehalten wurden und auch heute gehalten werden, muß ich bei der Bilanz feststellen, daß uns das Jahr 1970 die niedrigsten Wohnungsbauleistungen hinsichtlich der fertiggestellten Wohnungen bringt. Es sind 490 000 bis 500 000
({0})
fertiggestellte Wohnungen und davon lediglich 165 000 fertiggestellte Sozialwohnungen. Das ist der Tiefstand seit Beginn des Wohnungsbaus. Gleichzeitig ist aber ein Höchststand der Baupreise erreicht worden, nämlich Steigerungen um 15,9 %; das ist weit mehr als das Dreifache der vergangenen Jahre.
Zu Punkt 2. Wir haben in den letzten Monaten vieles gemeinsam getan - ich will weiter nicht darauf eingehen -: das Städtebauförderungsgesetz ist in Bearbeitung, zur Wohngeldnovelle waren gemeinsame Initiativen vorhanden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Meermann?
Der kann ich nicht widerstehen. Bitte sehr!
({0})
Herr Kollege Baier, da es meiner großen Anstrengung nicht gelungen ist, das Auge des Präsidiums rechtzeitig zu erhaschen - ich wollte zum ersten Teil Ihrer Rede eine Zusatzfrage stellen -, möchte ich das jetzt gern tun. Ist Ihnen bekannt, daß Herr Bundeswohnungsbauminister Lücke bei einer seiner Reden im Jahre 1964 es als sein langfristiges Ziel hingestellt hat, jährlich eine Bauleistung von 300 000 bis 400 000 Wohnungen zu erreichen? Wollen Sie uns nicht dazu beglückwünschen, daß 1970 wieder 100 000 Wohnungen mehr fertiggestellt wurden, als Ihr 'damaliger Minister beabsichtigte?
({0})
Verehrte Frau Kollegin, hier zeigt sich der grundlegende Unterschied zwischen
einer CDU- und einer SPD-Regierung. Wir versprechen wenig und leisten viel.
({0})
Bei Ihnen ist es das Gegenteil.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mick? - Bitte!
Herr Kollege Baier, meinen Sie nicht, der Frau Kollegin müßte bekannt sein, daß die genannten Zahlen von Herrn Lücke am Ende der Wohnungsnot stehen sollten?
({0})
Genau! Das ist völlig richtig.
({0})
- Bitte sehr!
Herr Kollege Baier, darf ich dann weiterhin fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Bundeswohnungsbauminister a. D. Lücke die Wohnungsnot bereits 1964/65 grundsätzlich als beendet angesehen hat?
Nein, das ist nicht richtig. Es ist auch unter Bundeswohnungsbauminister Lücke festgestellt worden, daß wir Schwerpunkte und Brennpunkte haben, in denen die Wohnungsnot nicht beseitigt ist.
Da wir so viel über Zahlen reden, muß ich Ihnen doch einmal - ich wollte es vermeiden - wenigstens mit einigen Zahlen vor Augen führen, wie die Wohnungsbauleistungen waren und wie sie sind. Darüber sind in diesem Hause derartige Legendenbildungen entstanden, daß man sie nicht im Raum stehenlassen darf. Wir haben im Jahre 1966 604 800 Wohnungen gebaut, darunter 203 500 Sozialwohnungen, 1967 549 000 Wohnungen, 1968 519 900, davon 180 000 Sozialwohnungen. Es sind im Jahre 1970 490 000 bis 500 000 Wohnungen und davon lediglich 165 000 Sozialwohnungen. Das beweist doch, daß all diese Reden und all diese Zahlen einfach nicht stimmen,
({0})
wenn Sie sich an die statistischen Unterlagen halten. Das wollte ich nur noch sagen, ohne die Diskussion zu vertiefen.
Herr Bundeswohnungsbauminister, wir haben auch im letzten Jahr vergebens gewartet, daß Sie etwa auf dem Gebiet einer verstärkten Mobilität des Wohnungsbaus etwas tun. Sie haben uns bis heute auch über eine Novellierung des Bundesbaugesetzes keine Vorschläge gemacht. Sie haben zwar das Thema Fehlbelegung von Sozialwohnungen wiederholt angeschnitten und erklärt, es solle etwas geschehen; bis zur Stunde liegt aber aus Ihrem Hause hierfür kein Vorschlag vor. In den letzten Wochen und Monaten geht alles darum, ein langfristiges Wohnungsbauprogramm vorzulegen. Hier kann ich nur sagen: das ist eine Zauberformel.
Herr Abgeordneter Baier, ich nehme an, daß Sie auch die weitere Zwischenfrage der Frau Kollegin Meermann beantworten wollen.
Selbstverständlich!
Herr Kollege Baier, würden Sie bitte in der von mir genannten Rede auch nachlesen, daß Herr Lücke 1964 ebenfalls schon angekündigt hat, er wolle dieses Problem lösen. Daraus mögen Sie ersehen, wie schwierig das ist.
Selbstverständlich. Wir haben hier auch schon öfter darüber gesprochen. Die Schwierigkeit verkennt niemand. Herr Lauritzen sollte nicht nur, wie er es vor kurzem erst wieder getan hat, hergehen und erklären, jetzt werde etwas auf diesem Gebiet geschehen; er sollte nicht nur den Mund spitzen, sondern endlich einmal pfeifen.
({0})
Meine Damen und Herren, „langfristiges Wohnungsbauprogramm", das klingt wie eine Zauberformel. Es wird von Intensiv- und Regionalprogramm gesprochen. Ich glaube, allen Fachleuten ist inzwischen klargeworden, daß man mit den dem Bund zur Verfügung stehenden Mitteln, mit dem, was man von den Ländern realistisch erwarten kann, nicht die Leistungen wird vollbringen können, die man angekündigt hat. Erst gestern konnte man in einer dpa-Meldung lesen:
Die Wohnungsbauminister der Länder haben entgegen vorher geäußerten Erwartungen keine wohnungspolitischen Entscheidungen getroffen. Unter Vorsitz von Herrn Minister Lauritzen erreichte die Konferenz lediglich bei den heiklen Finanzierungsfragen des langfristigen Wohnungsbauprogramms der Bundesregierung eine gewisse Annäherung, die jetzt mit den Kabinetten in Bund und Ländern abgesprochen werden müssen.
Das zeigt, auf welch tönernen Füßen dieses langfristige Wohnungsbauprogramm steht.
Meine Damen und Herren, Fazit des Ganzen: Wir haben keine positiven und befriedigenden Leistungen dieses Ministers erkennen können. Deshalb lehnen wir den Haushalt dieses Ministeriums ab.
({1})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Althammer.
Entschuldigen Sie, Herr Minister, Sie haben sich auch zu Wort gemeldet. Ich nehme an, es ist Ihnen recht, wenn Sie nach Herrn Althammer sprechen, weil Sie dann auf seine Ausführungen gleich noch eingehen können.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nur noch einmal kurz die beiden Anträge der CDU/CSU-Fraktion auf den Umdrucken 133 und 138 begründen, nachdem die Gegenseite ihre Anträge auch noch einmal begründet hat.
Die Geschichte dieser Anträge ist ein Musterbeispiel dafür, was eine Opposition konstruktiv erreichen kann. Zunächst waren ja die Koalitionsparteien überhaupt nicht willens, mit sich über die Frage der Umverlagerung der Mittel für die Zonenrandförderung reden zu lassen.
({0})
Erst als unsere Anträge auf eine Umverlagerung von Mitteln in Höhe von 30 Millionen DM vorlagen, war man bei den Koalitionsfraktionen bereit, wenigstens 10 Millionen DM umschichten zu lassen. Wir freuen uns darüber, daß es durch unseren Antrag möglich war, wenigstens die zehn Millionen DM in Bewegung zu setzen. 30 Millionen DM wären uns allerdings lieber, weil wir der Überzeugung sind, daß in diesem Bereich die 30 Millionen DM notwendig sind. Es ist doch einigermaßen merkwürdig, wenn hier auf der einen Seite die Dringlichkeit des Problems und die großen Schwierigkeiten des Wohnungsbaus betont werden, dann aber im gleichen Atemzug gesagt wird: 30 Millionen DM brauchen wir nicht für den Wohnungsbau; wir brauchen nur 10 Millionen!
Ich bitte Sie sehr herzlich darum, die weitergehenden Anträge der CDU/CSU anzunehmen.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur drei kurze Bemerkungen machen.
Erstens. Wir erreichen im Jahre 1970 wieder das Volumen von 500 000 Wohnungen, darunter 165 000 geförderte Sozialwohnungen. Damit liegen wir um ein paar Tausend unter dem Volumen von 1966. Das vergangene Jahr war also ein durchaus normales Jahr, wenn Sie berücksichtigen, daß das langfristige Wohnungsbauprogramm aus konjunkturpolitischen Gründen eben nicht 1970 vorgelegt werden konnte, sondern erst 1971 vorgelegt werden kann. Ich hätte einmal Ihr Geschrei hören mögen, wenn wir versucht hätten, das langfristige Wohnungsbauprogramm schon 1970 vorzulegen.
Zweitens. Den absoluten Tiefstand im sozialen Wohnungsbau hatten wir im Jahre 1966 erreicht. Der Bundesanteil sank damals auf 7,7 % ab. Er beläuft sich jetzt wieder auf über 30 %, und wir werden durch das langfristige Wohnungsbauprogramm sogar noch an die 40 %-Grenze herankommen.
({0})
Drittens. Die heutigen Pressemitteilungen über die Länderministerkonferenz vom vergangenen Montag sind unvollständig. Das gesamte langfristige Wohnungsbauprogramm mit seinen vielen Bestandteilen ist nur in einem Punkt Gegenstand der Erörterung gewesen, und in diesem Punkt haben wir uns dahin gehend verständigt, daß ich Ihnen in Kürze das vollständige Programm vorlegen kann.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg?
Herr Minister, könnten Sie nicht einmal statt der Prozentzahlen die absolute Zahl der fertiggestellten Wohnungen im sozialen Wohnungsbau nennen?
Nein, das kann ich nicht, Herr Schulze-Vorberg.
({0})
Die Nennung der Prozentzahlen erweckt nämlich den Eindruck - darf ich meine Frage zu Ende stellen -, als wollten Sie die Tatsache, daß Sie einen negativen Rekord im sozialen Wohnungsbau erzielt haben, nur überdecken.
Ich muß leider feststellen, daß Ihre Frage auf großer Unkenntnis beruht.
({0})
Mit den Förderungsmitteln aus dem Jahre 1966 nämlich sind in den Jahren 1967 und 1968 Wohnungen gebaut worden. Dadurch ist der Tiefstand in der Förderung in die nächsten Jahre verschleppt worden.
({1})
- Es geht nicht um die Fertigstellung.
({2})
- Nein! Die politische Entscheidung ist die Bewilligung der Mittel, und die Fertigstellung der Wohnungen dauert ein, zwei Jahre.
({3})
- Lassen Sie mich doch auch einmal einen Satz zu Ende reden! - Das heißt, wenn es im Jahre 1966 einen Tiefstand in der Förderung gegeben hat, erfolgte die Fertigstellung der Wohnungen in den Jahren 1967/68.
({4})
- Ja, bitte, das ist doch das Entscheidende dabei.
Herr Bundeswohnungsbauminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Baier?
Nein!
Eine letzte Bemerkung, meine Damen und Herren.
({0})
Herr Kollege, der Herr Minister läßt keine Zwischenfragen mehr zu.
({0})
Meine Damen und Herren, die Mittel für die Wohnungen, die im Jahre 1966 gebaut worden sind, sind in den Jahren 1964 und 1965 bewilligt worden. Das muß man doch sehen.
({0})
- Aber ich spreche von 1966, weil das der entscheidende Punkt ist.
({1})
Entscheidend ist, was der Bund jetzt tun will. Wir haben einen Haushalt mit einem Gesamtvolumen von 2,6 Milliarden DM. Das ist das höchste Volumen des Einzelplans 25 seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
({2})
Es liegt um 800 Millionen DM höher als der Haushalt des vergangenen Jahres. Das ist unsere Politik.
({3}) - Genau darauf kommt es an.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir haben noch über die Anträge abzustimmen, zunächst über Ziffer 3 des Änderungsantrags der Abgeordneten Dr. Warnke und Genossen auf Umdruck 138 *).
*) Siehe Anlage 6
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! ({0}) Stimmenthaltungen? ({1})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte, Platz zu nehmen. Wer gegen den Antrag stimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. ({2})
- Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr noch zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD/FDP auf Umdruck 137 **).
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit der entsprechenden Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit nach Schluß der allgemeinen Aussprache zur Abstimmung über den Einzelplan 25 im ganzen.
Der Antrag auf Umdruck 133 ***) wurde zurückgezogen.
Wer dem Einzelplan 25 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen
- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? -Mit der entsprechenden Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zum
Einzelplan 27
Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen
Drucksache VI/1750 -Berichterstatter: Abgeordneter Wohlrabe
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. - Das ist nicht der Fall.
Es liegt eine Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Wohlrabe zur Begründung der Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Umdrucken 117 ****) und 118 *****) vor.
({3})
- Zunächst nur ein Antrag! - Bitte schön, Herr Abgeordneter Wohlrabe, Sie haben das Wort!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zuerst zum Umdruck 117 einige Ausführungen machen und als Berichterstatter für den Einzelplan 27 ein Wort
**) Siehe Anlage 5 ***) Siehe Anlage 9 ****) Siehe Anlage 15 *****) Siehe Anlage 16
zur Begründung unseres Antrags auf Abänderung des Vorworts des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen voranschicken.
Die Beratungen dieses Etats haben in einer sehr angenehmen und sachlich-fairen Weise stattgefunden. Viele im Etat aufgeführte Einzelmaßnahmen - seien es Unterstützungen für deutsche Mitbürger, Förderungsmaßnahmen für das Zonenrandgebiet und insbesonderer auch Hilfen für Berlin -finden unsere volle Unterstützung und unterliegen keineswegs der Ablehnung dieses Einzelplans. Diese Maßnahmen sind auch im Einvernehmen besprochen und geregelt worden und werden als Einzelmaßnahmen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen unsere nachdrückliche Billigung finden. Ich schicke diesen Satz voran, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
Trotzdem geht es bei diesem Etat nicht nur um einzeln zu bejahende Maßnahmen, sondern um den Gesamtaspekt der Deutschlandpolitik und ihrer Darstellung. Ich möchte dazu in versönlichem Ton eine längere politische Bemerkung machen, die auch zur Begründung des hier eingebrachten Antrags zählt. Dazu gehört das Vorwort des Einzelplans, zu dem die CDU/CSU-Fraktion bereits im vergangenen Jahr einen Abänderungsantrag eingebracht hatte. Wir stellen heute diesen Antrag erneut, nachdem der Parteitag der CDU in Düsseldorf mit großer Mehrheit formuliert hat: „Freiheit und Einheit für das deutsche Volk zu erringen ist Aufgabe der deutschen Politik" ; dafür treten wir ein, und wir treten auch dafür ein, daß der Begriff „Wiedervereinigung" nicht fallen gelassen wird.
({0})
Dieser Begriff ist nach unserer Auffassung und nach unserer Erkenntnis zu einer ganz festen Zielvorstellung draußen im Lande gewachsen. Ich glaube, man sollte dieses Ziel auch dadurch erhalten, daß das Wort erhalten bleibt. Denn wer das Wort aufgibt, der signalisiert, gewollt oder ungewollt, daß das Ziel verlorengegangen sei.
({1})
Damit erklärt sich die CDU/CSU nicht einverstanden. Deshalb treten wir erneut für die Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung der Zweckbestimmung des Deutschlandressorts der Bundesregierung ein.
Im vorigen Jahr hat der verehrte Mitberichterstatter für den Einzelplan 27, der Kollege Seidel, meine Ausführungen, die sich im wesentlichen auf den Auftrag der Präambel des Grundgesetzes gründeten, nicht nur die nationale, sondern ausdrücklich auch die staatliche Einheit zu wahren, zurückgewiesen. Dem Sinn nach führte der Kollege Seidel aus, dieser Auftrag sei so grundlegend und so umfassend, daß er nicht nur diesem Deutschlandressort zugewiesen werden könne, sondern allumfassend von der gesamten Bundesregierung wahrgenommen werden müsse. Und er schloß mit den Worten, daß diese Bundesregierung der Präambel des Grundgesetzes in jeder Weise gerecht werde und man dies an ihren Taten messen und erkennen könne. Der Kollege Borm, der ebenfalls zu diesem Sachverhalt
sprach, führte sogar aus, daß niemand in diesem Bundestag sitze, der nicht die Wiedervereinigung als ein oberstes Ziel ansehe. Soweit diese Äußerungen.
In Worten und Taten ist heute nun offenkundig und auch für jeden Beobachter draußen im Lande unübersehbar geworden, daß diese Bundesregierung nur noch die Einheit der Nation proklamiert, im Willen zur staatlichen Einheit, zur Wiedervereinigung jedoch Schritt für Schritt erlahmt. Sie als Sozialdemokraten haben früher immer wieder erklärt, daß Sie sich in ,dem Willen zur Wiedervereinigung von niemandem in Deutschland übertreffen lassen würden. Dieses Argument ist uns, vor allem der CDU/CSU, von Ihnen oft entgegengeschleudert worden.
Heute, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, sollten Sie selbst daran interessiert sein, daß Ihre Politik in einer so grundlegenden Frage nicht mißdeutet werden kann. Diese Mißdeutungen Ihrer Politik und damit auch der Haltung der Bundesregierung finden aber in der deutschen und internationalen Publizistik fortwährend statt. Als Beispiel für viele weise ich darauf hin - ich sage dies auch, weil ich Berliner Abgeordneter bin, der sich gerade diesem Ziel zusammen mit vielen Mitbürgern weiterhin und in besonderer Weise verbunden fühlt -, daß, bis zum heutigen Tage unwidersprochen - ich bitte, das doch einmal sehr aufmerksam zu verfolgen -, z. B. der namhafte Berliner Publizist Rudolf Stiege am 29. Januar 1971 folgende Betrachtung in dem Leitartikel „Ein deutscher Grabgesang" anstellen konnte: Erstens, der Bundeskanzler habe zu verstehen gegeben, daß das Drängen auf staatliche Einheit der Deutschen eine überholte Rückkehr zu den 50er Jahren sei. Zweitens, so endet sein Artikel:
Gewiß allein ist der endgültige Verzicht der Bonner Koalition auf die deutsche Einheit.
Ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß Sie als Sozialdemokraten solche Aussagen und, wie ich annehmen, Mißdeutungen unwidersprochen lassen. Das würde doch bedeuten, daß Sie nicht mehr mit uns gemeinsam dem Auftrag der Präambel des Grundgesetzes sich verpflichtet fühlen. Bei diesem unserem Antrag ist heute Gelegenheit, diese Mißdeutungen durch die Abstimmung auszuräumen und dazu beizutragen, daß derartige Behauptungen in der deutschen und internationalen Publizistik nicht mehr aufgestellt werden können.
Lassen Sie mich heute noch ein Wort eines unserer ehemaligen Regierenden Bürgermeister in Berlin übernehmen:
Berlin lebt für das Ziel, wieder Hauptstadt eines freien und geeinten Volkes zu werden... Die Mahnung aus Berlin bleibt auch dann, wenn man anderswo müde werden sollte.
({2})
Es wurde gesprochen am 18. März 1963 von Willy Brandt. Wir geben diesem Wort auch heute noch unsere volle Zustimmung.
({3})
Ich räume ein und gebe zu, daß das, was ich hier zitiert habe, eine langfristige Zielvorstellung ist. Daher dürfen wir - ich meine insbesondere auch den Bundeskanzler in der Verfolgung dieses Ziels nicht müde werden.
Deshalb appelliere ich heute namens der CDU/ CSU-Fraktion an Sie, unserem Antrag zu folgen und dem Ressort für innerdeutsche Aufgaben wieder den klaren, unzweideutigen und für eine Politik für Deutschland notwendigen und unverzichtbaren Auftrag zuzuweisen, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, so wie er immer dort gestanden hat.
({4})
Dieser Auftrag, meine Damen und Herren, gilt nicht nur für die Regierung, sondern als dauernde Verpflichtung für alle Deutschen. Eine deutliche Formulierung schließt außerdem Mißdeutungen im Ausland aus. Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, wenn Sie gerade auch unter dem letztgenannten Gesichtspunkt diesem Antrag Ihre Zustimmung geben könnten. Damit würden Sie selbst dazu beitragen, daß die Mißdeutungen, die ich hier zitiert habe, ausgeräumt werden und Sie nicht in jener Ecke stehen, in die Sie selbst nicht hinein wollen, in der Sie zur Zeit aber stehen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 117 abzulehnen.
({0})
Für die Bundesregierung und die Koalitionsparteien SPD und FDP liegt kein sachlicher Anlaß vor, das Vorwort zum Einzelplan des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen zu verändern. Wie bei der Beratung des Bundeshaushalts 1970 muß ich auch diesmal auf den entsprechenden Antrag der CDU/ CSU mit einer Passage aus der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 antworten, die ich mit Genehmigung des Präsidenten zitiere:
Die Deutschlandpolitik insgesamt kann nicht Sache eines Ressorts sein. Sie ist eine ständige Aufgabe der ganzen Regierung und umfaßt Aspekte der auswärtigen Politik, der Sicherheits- und Europapolitik, ebenso wie die Bemühungen um den Zusammenhalt unseres Volkes und um die Beziehungen im geteilten Deutschland.
Meine Damen und Herren, wir haben Ende Januar dieses Jahres hier im Hohen Hause über den Bericht zur Lage der Nation eine zweitägige Aussprache geführt. Unzweideutig hat der Verlauf dieser Aussprache uns sichtbar gemacht, wie vielschichtig das politische Bemühen um die positive Deutschlandpolitik im Sinne des Auftrages unseres Grundgesetzes ist und bleiben wird. Daher würden wir uns und der Öffentlichkeit einen schlechten Dienst erweisen, wollten wir weiter die Illusion pflegen, als könnte die Aufgabe, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, von einem Ressort geleistet werden. Mit der nüchternen Feststellung, daß hier die ganze Bundesregierung in der Pflicht ist,
({1})
sei die Ablehnung des Antrages der CDU/CSU begründet.
Der Aufgabenbereich des Ministeriums ist im Vorwort des Einzelplanes klar umrissen. Sie besteht darin, der Einheit der Nation zu dienen, den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken, die Beziehungen im geteilten Deutschland zu fördern, die deutschlandpolitische Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmen, den gesamtdeutschen Gedanken zu fördern, an Maßnahmen zur wirtschaftlichen Gesundung und kulturellen Entwicklung der Gebiete an der Demarkationslinie und in anderen Grenzbereichen mitzuwirken. - Diesen im Vorwort gestellten Aufgaben ist das Ministerium im vergangenen Jahr nach seinen Möglichkeiten gerecht geworden.
Von diesem vorliegenden Einzelplan für 1971, der Ausgaben in Höhe von 245 Millionen DM enthält, werden 221 Millionen DM für Aufgaben verwendet, die, was ihren Umfang und ihre Art betrifft, schon seit vielen Jahren -- in Positionen ausgewiesen - die gleichen sind. So müßte denn die CDU/CSU diesem Etat eigentlich zustimmen können. Sie kann sich dazu nicht aufraffen, weil sie dem politischen Schlagwort huldigt: „die ganze Richtung paßt uns nicht".
({2})
Bei diesen Voraussetzungen können wir der Opposition kaum helfen. Sie möchte, so gewinnt man den Eindruck, in Fragen der Deutschlandpolitik auf der Stelle treten. Von dieser Abstinenz halten wir nichts. Uns drängt es, die auf Abbau der Spannungen und auf Sicherung des Friedens gerichtete Politik erfolgreich weiterzuführen,
({3}) und daran werden wir festhalten.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf bei der gleichen Gelegenheit noch meine Bemerkungen zu dem Antrag der CDU/CSU auf Umdruck 118 machen. Weil der CDU/CSU die Richtung nicht paßt, ist es nicht verwunderlich, daß sie außerdem den Antrag stellt, die Informationsquellen über die deutsche Frage durch Streichung von Mitteln zu begrenzen. Dem können wir nicht folgen. Die politische Situation erfordert weitestgehende Informationen zur deutschen Frage, um es dem Bürger zu erleichtern, seine Urteilsbildung objektiv vorzunehmen. Nicht eine Kürzung, sondern eine Verstärkung der Mittel wäre daher erforderlich.
Wir lehnen deshalb beide Anträge, den auf Unidruck 117 und den auf Umdruck 118, ab. Dem Einzelplan 27 aber stimmen wir uneingeschränkt zu.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Seidel gestatten Sie mir noch einige ergänzende Bemerkungen.
Nachdem der Herr Berichterstatter, Herr Kollege Wohlrabe, nicht in seinem Namen gesprochen hat, sondern das Gewicht seiner Fraktion und sogar seiner Partei - vom Parteitag in Düsseldorf her -in die Waagschale geworfen hat,
({0})
sind einige ernste Worte notwendig. Meine Damen und Herren, würde es sich nur um Betriebsamkeit eines oder zweier von Ihnen handeln, würde ich kein Wort verlieren. Aber wenn die Partei dahinter steht, wird die Sache ernst. Betriebsamkeit von wenigen ersetzt genausowenig Politik wie Formulierungen. Es zählen nur die Taten.
({1})
Aber was Sie jetzt tun, meine Damen und Herren, ist sehr ernst. Sie unterstellen nicht nur dem Mini) ster für innerdeutsche Beziehungen, sondern der Regierung, daß sie dem Grundgesetz zuwiderhandle.
({2})
- Sie unterstellen das stillschweigend. Das sind Methoden, die wir einfach nicht dulden. Wenn Sie glauben, daß Sie gegen den Minister etwas vorzubringen haben, dann ziehen Sie ihn zur Verantwortung,
({3})
aber nicht so stillschweigend, als ob wir die Aufträge des Grundgesetzes nicht ausführten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Herr Kollege Borm, ist Ihnen wirklich entgangen, daß der Kollege Wohlrabe dringliche Fragen an die beiden anderen Fraktionen gestellt hat und daß aus den Fragen deutlich zu erkennen war, daß wir auf ein Wort von Ihrer Seite in diesem Sinne warten und hier nicht Unterstellungen machen?
Genauso. Das habe ich gemerkt.
({0})
Aber ich wiederhole es: Es ist eine Unterstellung. Wer liefert Ihnen den Beweis, daß wir nach diesem Wortlaut den Auftrag des Grundgesetzes nicht zu erfüllen hätten? Im Gegenteil, was jetzt darin steht
({1})
- Ich glaube, in Sachen Dialektik können wir von Ihnen noch einiges lernen.
({2})
Sie werden mir nicht vorschreiben, was ich zu sagen habe.
({3})
- Vielen Dank für Ihre Ratschläge!
({4})
- Ja, das weiß ich ziemlich genau. Aber wenn Sie etwa meinen, daß Sie mich damit aus der Ruhe bringen können - -({5})
- Sie werden die Antwort noch bekommen. Nun warten Sie doch ein wenig, und werden Sie nicht gleich so nervös! - Wir sind der Meinung, daß das, was jetzt im Text steht - „ ... hat die Aufgabe, der Einheit der Nation zu dienen" -, viel weitergehend ist als die Vorschrift, die in der Präambel des Grundgesetzes steht. Das bedeutet nämlich: u. a. auch die Einheit der Nation wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen alle ganz genau, daß derzeit die Einheit der Nation im staatlichen Sinne nicht wiederherstellbar ist. Infolgedessen entspricht es den Gegebenheiten, wenn das Vorwort davon spricht, daß der Minister und die Regierung die Aufgabe haben, der Einheit der Nation zu dienen. Das ist viel umfassender. Sie können sich auf den Wortlaut der Präambel stützen. Aber glauben Sie, daß heute, im Jahre 1971, wäre das Grundgesetz noch einmal zu schaffen, die Präambel so lauten würde? Heute kommt es nur darauf an, der Nation zu dienen, wie es möglich ist. Was nutzt es, wenn Sie heute mit Worten etwas hineinbringen wollen!
({6})
Sie brauchen dieses Grundgesetz, meine Damen und Herren von der Opposition, das von allen Ministern beschworen ist, nicht dauernd in jedem Erlaß oder in jedem einzelnen Vorschlag der Bundesregierung namentlich aufzuführen. Es gab mal einen unter Ihren Kollegen, der auch nicht immer „mit dem Grundgesetz unter dem Arm" herumgelaufen ist.
({7})
- Und wir haben den Inhalt in unseren Taten! Sie haben doch nichts getan.
({8})
- Was Sie getan haben? Gut, Sie können es wissen.
({9})
- Dann gehen Sie bitte ans Mikrofon, wenn Sie mich etwas fragen wollen.
({10})
- Ich stelle sie genau auf. Ich werde Ihnen die Richtigkeit auch beweisen. Wenn Sie hier von der staatlichen Einheit der Nation sprechen wollen - ich hätte es nicht gesagt, Herr Kollege Reddemann -, dann fragen Sie sich bitte, ob es der Einheit der Nation gedient hat, die EVG anzustreben,
({11})
nach Atomwaffen zu streben, ob der Eintritt in die NATO politisch notwendig gewesen ist und ob dies die staatliche Einheit der Nation gefördert hat!
({12})
Ich frage Sie nur, ob Sie die staatliche - nur darum handelt es sich - Einheit der Nation durch diese Ihre Politik, die notwendig gewesen sein mag, gefördert haben. Das haben Sie nicht getan.
({13})
- Das sind keine Dolchstoßlegenden, das sind einfach unwiderlegliche Tatsachen.
({14})
- Nein, das ist kein Messer ohne Klinge. Es paßt Ihnen natürlich nicht, daß man Ihnen jetzt die Frage vorlegt, ob Sie damit ({15})
- ich lehne es ab, auf Ihre Zwischenrufe einzugehen. Wir haben die Institution der Mikrophone. Gehen Sie bitte ans Mikrophon und fragen Sie! -Ich hätte Sie nicht darauf hingewiesen, daß Sie, und das behaupte ich, mit diesen politischen Maßnahmen die staatliche Einheit - und nur darum geht es jetzt - nicht gefördert haben.
Meine Damen und Herren, Deutschland gleicht doch jetzt einem Schiff, das auf Sand gelaufen ist. Da hat es doch keinen Zweck, zu sagen, dieses Schiff muß wieder in seiner staatlichen Einheit schwimmen. Wer zieht denn das Schiff aus der Sandbank heraus? Unsere Freunde? Oder wollen Sie es machen? Was tun wir? Wir leichtern jetzt das Schiff ab und bewahren das, was heute noch zu bewahren ist - und das steht hier darin: die Einheit der Nation -, bis ein neues Schiff gefunden ist, wo wir das einbringen können, was wir jetzt noch bewahren können. Das tun wir. Wir glauben, daß das, was jetzt geschieht und was im Vorwort darinsteht, viel umfassender ist. Sie klammern sich an Worte. Diesen Gefallen tun wir Ihnen nicht. Meine Fraktion lehnt diese Änderung ab, besonders - ich wiederhole es - weil eine Unterstellung darin enthalten ist. Wenn wir nach dem, was hier gesagt worden ist, das jetzt täten, würden wir Ihnen Recht geben. Wir werden Ihnen beweisen, daß wir mindestens so viel mit Taten für die Einheit, auch die staatliche Einheit unseres Volkes tun, wie Sie mit Worten zu tun versuchen.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gradl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, in aller Ruhe und ohne Polemik noch einmal zu verdeutlichen, was uns bewogen hat, den Antrag vom vorigen Jahr zu wiederholen. Ich gebe mich dabei der Hoffnung hin - die hoffenlich keine Illusion ist -, daß ich Sie zum Mit- und Nachdenken in bezug auf die endgültige Formulierung Ihres Standpunktes bringen kann.
Ich gehe nicht auf das ein, was der Kollege Borm soeben rückblickend auf zwanzig Jahre Deutschlandpolitik gesagt hat. Ich gehe deshalb nicht darauf ein, weil er der Alterspräsident des Hohen Hauses ist und weil es eigentlich nicht angemessen ist, daß er hier in zwei, drei zugespitzten Formulierungen, die einen an bestimmte Versammlungen in der Paulskirche um die 50er Jahre erinnern,
({0})
den deutschlandpolitischen Willen der Christlich-Demokratischen Union und der Christlich-Sozialen Union herabzusetzen versucht hat. Dies lasse ich beiseite.
({1})
Herr Kollege Seidel, was Sie gesagt haben, vermag mich - und ich nehme an, auch meine Freunde - nicht zu überzeugen. Sie sagen, es sei Sache der ganzen Regierung, für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zu arbeiten, das sei doch nicht Sache eines Ressorts. Darauf kann ich Ihnen antworten: der Einheit der Nation zu dienen - auch das steht in dieser Präambel -, das ist auch. Sache der ganzen Regierung. Wenn Sie dies als Maßstab annehmen wollen, dann könnten Sie anderes auch nicht hineinschreiben. Dies überzeugt also nicht.
({2})
Den Irrtum, den Sie uns unterstellen, als ob wir meinten, daß die Deutschlandpolitik von einem einzigen Ressort zu verantworten und zu gestalten sei, hegen wir nicht.
({3})
Diese Illusion besteht nur in Ihrer Erwägung, es
könnte bei uns so sein. Natürlich wissen wir, daß
alle Ressorts, daß die gesamte Regierung und dieses ganze Haus - jede Seite auf ihre Weise - dazu beizutragen haben, den Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands freizumachen. Nein, uns bewegt etwas anderes, und dies will ich eben in aller Kürze deutlich machen.
Wir gehen bei unserer Überlegung davon aus, daß wir alle immer im Bewußtsein haben müssen - und ich will gleich sagen: das haben Sie natürlich genauso wie wir, das bestreitet Ihnen niemand -, daß im Grundgesetz der Auftrag steht, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Wir stimmen auch darin überein, Sie wie wir, daß dem deutschen Volk - ich hatte zitiert: in freier Selbstbestimmung - das Selbstbestimmungsrecht zusteht wie jedem anderen Volk und daß man an ihm unter allen Umständen festhalten muß.
Aber nun fängt unsere zusätzliche Überlegung an. Wenn man an diesem Selbstbestimmungsrecht festhält und an dem Anspruch darauf, daß dieses Recht verwirklicht wird, dann hat das, meinen wir, konkrete Konsequenzen, erstens für die handelnde Politik, aber zweitens eben auch für die Aussage, die diese Politik macht. Wenn man diese Konsequenzen nicht beachtet, dann entsteht eine Gefahr, die Gefahr nämlich, daß sich die Forderung des Selbstbestimmungsrechts allmählich verflüchtigt zu einer verbalen Proklamation, zu einer Schale ohne Kern, zu einer leeren Formel ohne politische Substanz. Deshalb meinen wir, daß in dem Auftrag, der dem Ressort zugewiesen ist, das sich in besonderer Weise um die deutschen Dinge zu kümmern hat, expressis verbis festgehalten werden muß, daß zu diesem Selbstbestimmungsrecht auch das Recht der Deutschen gehört, darüber zu befinden, ob sie wieder in staatlicher Gemeinschaft leben wollen. Deshalb wünschen wir die Ergänzung der Präambel um die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als ausdrückliche Aufgabe.
Ich weiß, dies sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber wir sind es nicht gewesen, die die Zweifel daran haben aufkommen lassen, ob wir daran wirklich so bedingungslos festhalten. Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als ob ich daran zweifle, daß Sie daran festhalten. Aber wir können nicht aus der Welt schaffen, daß das Fallenlassen des Begriffs, der das Verlangen nach staatlicher Einheit Deutschlands am präzisesten zum Ausdruck bringt, das Fallenlassen des Begriffs Wiedervereinigung den Eindruck erweckt hat im Lande, aber nicht nur im Lande, sondern auch draußen in der Welt, daß dies nicht mehr ein kardinales Ziel realer - ich sage: realer - deutscher Politik ist.
({4})
Dem, meine ich, müssen wir entgegenwirken, Sie wie wir, wenn wir das gemeinsame Interesse haben - und ich glaube, daß wir es haben -, deutlich zu machen, daß die Deutschen nicht ein amputiertes Selbstbestimmungsrecht akzeptieren wollen, sondern ein Recht darauf, auch darüber zu befinden, ob sie wieder in staatlicher Einheit leben wollen.
({5})
Nun weiß ich, daß der Herr Bundeskanzler einmal in einem Interview deutlich gemacht hat oder deutlich zu machen versucht hat, warum er dieses Wort „Wiedervereinigung" hat fallenlassen. Ich darf seine Äußerung in einem Satz zusammenfassen. Er hat gemeint, dieses Wort könnte die Vorstellung erwecken, als seien wir darauf aus, vergangene staatliche Gestalten Deutschlands wieder zu restaurieren. Aber das ist eben ein Irrtum, und man sollte sich durch diese Mißdeutung nicht davon abhalten lassen, den Begriff Wiedervereinigung zu gebrauchen, und an der Präzisierung der Aufgabe festzuhalten, wie wir sie mit der beantragten Einfügung „Wiederherstellung der Einheit Deutschlands" wünschen.
({6})
In den ersten Jahren nach 1945 hieß es doch für uns alle zunächst: In allem Unglück wollen wir wenigstens die Einheit des Volkes bewahrt sehen. Wir hatten die Hoffnung, daß es uns wie nach dem ersten Weltkrieg noch einmal gelingt, wenigstens dieses Unglück zu vermeiden. Als die Zerrissenheit dann eintrat, war unsere Vorstellung die, daß wir die Einheit wiederherstellen könnten.
Keiner von uns hat damals eine Aussage über das Wie machen wollen, und in der ganzen Zeit seither war in diesem Begriff für uns nie eine Aussage über das Wie enthalten. Wir waren immer darüber einig: das muß dieses Volk im Jahre 1975, im Jahre 1980 oder wann auch immer nach freiem Willen bestimmen. Das einzige war - das haben wir doch auch wieder gemeinsam -, daß dies auf jeden Fall eine freiheitliche Ordnung zu sein hatte. Ansonsten hat nie jemand von uns daran gedacht, daß Vergangenheit restauriert werden sollte.
Dann kommt der andere Einwand von Ihnen gegen eine solche Klarstellung und Präzisierung. Dieser Einwand heißt: die staatliche Wiedervereinigung ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. So etwas Ähnliches ist heute auch wieder gesagt worden. Nun sicher, wir wissen ja, daß wir den Zeitpunkt nicht voraussagen können. Aber wir müssen immer wieder auch in unseren Aussagen deutlich machen, daß es unser Ziel ist - es mag in seiner Verwirklichung noch so fern erscheinen; ich sage: erscheinen, weil niemand voraussagen kann, wie sich die Welt entwickelt, und sie entwickelt sich sehr schnell -,
({7})
unter keinen Umständen diesen Anspruch zu schwächen oder ihn allmählich sich verflüchtigen zu lassen.
Eine letzte Bemerkung. Denken Sie daran: das Festhalten an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands als präzise Aussage in dem Auftrag, der dem für die besonderen deutschen Dinge vornehmlich verantwortlichen Hause gegeben ist, ist auch wichtig im Denken an Berlin. Berlin hat seinen besonderen Status, weil es die Hauptstadt Deutschlands war und ist. Wenn der Eindruck entstehen könnte, als ob die Deutschen zwar noch proklamierten, im Grunde aber aus Resignation oder aus welchem Grund auch immer dieses Ziel fahren ließen, gefährden wir am Ende auch den Status Berlins.
5748 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode
Herr Abgeordneter Gradl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haack?
Herr Kollege Gradl, wie können Sie mit Ihren Bemerkungen den Antrag Ihrer Fraktion begründen, dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen die Mittel für Publikationen entscheidend zu streichen, obwohl gerade die Publikationen dieses Ministeriums die Aufgabe haben, unsere Öffentlichkeit über die Probleme des geteilten Deutschland aufzuklären?
({0})
Ich will Ihnen nicht weh tun, Herr Kollege, aber in diesem Augenblick dachte ich nicht an Pfennige, sondern an eine Grundaussage zur deutschen Politik.
({0})
Ich darf zusammenfassen. Ich meine, daß wir die Konsequenz ziehen und in der Aufgabenstellung dieses Ministeriums deutlich machen müssen, daß wir ohne Wenn und Aber festhalten an dem Recht der Deutschen und - was wichtiger ist - an dem Willen und dem Auftrag der Deutschen, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen - nicht weil einer hier im Hause diese Belehrung braucht, sondern damit man draußen in der Welt sieht und weiß: Wer mit den Deutschen Politik zu machen beabsichtigt, machen muß, machen will, der muß wissen, daß ein kardinales unverzichtbares Ziel dieser deutschen Politik die Wiederherstellung der staatlichen Einheit dieses Landes ist.
({1})
Dies gehört hinein in die Aufgabenstellung, und deshalb wäre es gut, wenn Sie sich Ihre Entscheidung noch einmal überlegten.
({2})
Meine Damen und Herren, nachdem schon einige Redner den Antrag auf Umdruck 118 in die Debatte einbezogen haben, verbinde ich die Beratung der beiden Umdrucke und lasse nachher gemeinsam darüber abstimmen.
Das Wort zur Begründung des Antrags auf Umdruck 118 hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Seidel hat bereits den Antrag für seine Fraktion abgelehnt, ohne daß wir ihn begründet hatten. Ich will ihm keine Voreingenommenheit bescheinigen, aber er kennt vielleicht doch einen Teil der Argumente, die ich hier vortragen möchte, nicht. Ich möchte nur eines ganz klar sagen: bei der Kürzung der Mittel für Publikationen geht es nicht nur darum, daß uns diese Regierung nicht paßt. Das ist, glaube ich, ein Argument, das es uns zu billig machen würde. Es geht darum, wie die Publikationen, die diese Regierung herstellt, aussehen und ob sie wirklich den Anspruch erfüllen, objektive Informationen darzustellen. Wir sind der Auffassung, daß dies nicht der Fall ist, und ich werde das jetzt belegen.
({0})
Im übrigen beantragen wir nicht, den vollen Publikationsetat zu streichen. Wir beantragen vielmehr eine Streichung von 400 000 DM,
({1})
d. h., um es auch einmal für die Öffentlichkeit zu sagen, eine Kürzung von 3,7 Millionen auf 3,3 Millionen DM. Das ist im übrigen ein Antrag, den wir aus ähnlichen Beweggründen, verehrter Kollege Tamblé, ouch im vorigen Jahr gestellt hatten.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen grundsätzlicher Art zum Publikationswesen machen, weil ich glaube, daß das nach gut einem Jahr dieser Regierung nun einmal zu diesem Etat gehört, denn es geht bei diesem Etat, wie es immerhin noch wörtlich heißt, um „die Herstellung, den Erwerb und die Verbreitung von Publikationen gesamtdeutschen Charakters".
({2})
Jede Regierung hat das Recht, sich selbst und ihre Politik darzustellen. Ich glaube, darüber gibt es keinen Streit; das ist selbstverständlich. Die Publikationen des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen sind jedoch früher - das scheint mir sehr wichtig zu sein - nicht auf die Selbstdarstellung der Regierung ausgerichtet gewesen, sondern dienten zur Information über die Verhältnisse im kommunistisch beherrschten Teil Deutschlands. Dies geschah, wenn ich mich recht habe unterrichten lassen, mit Zustimmung der Opposition.
({3})
- Im Zweifel hat sich die Opposition in diesem Punkte nicht geändert. Hier ist die Arbeit des Ministeriums, das die Broschüren herstellt, geändert worden. Der Grundsatz der Information, der immer für jede Regierung galt, wird heute nicht mehr eingehalten.
Somit stand früher auch dieser Titel, um den es hier geht, nicht zur Diskussion. Es mag sicher dem einen oder anderen verwunderlich vorkommen, daß wir jetzt hier darüber diskutieren. Ich erkenne eine Veränderung und bin wirklich gerne bereit, darüber zu diskutieren.
Mit Übernahme des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen durch die SPD erfolgte ein Wandel - ich will gar nicht sagen: ein „Wandel durch Annäherung" -, und ich glaube, daß von nun an nicht mehr die Information über den kommunistisch beherrschten Teil Deutschlands Vorrang hatte, sondern vor allem die Darstellung der Deutschlandpolitik selbst. Auch dafür bringe ich und bringt sicher auch ein Großteil meiner Freunde Verständnis auf. Man denke zum Beispiel an die vorzüglichen „Texte zur Deutschlandpolitik", die auch heute noch erscheinen und die ich für eine sehr lobenswerte Broschüre ansehe. Umstrittener sind für mich schon die „Materialien zur Deutschlandfrage". Aber lassen wir diese
Einzelheiten, meine Damen und Herren, denn ich glaube, das führt zu weit. Wichtig ist jedenfalls, daß nach einer gewissen Anlaufzeit heute im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen eine große Anzahl von Papieren herausgebracht wird. Dabei muß man aber feststellen, daß zur Frage der Wiedervereinigung seit geraumer Zeit - ich habe mir alle Broschüren kommen lassen - überhaupt nichts mehr veröffentlicht worden ist. Insofern ist ein vollkommener Wandel eingetreten.
In diesem Zusammenhang erinnere ich z. B. an das Buch von Siegler „Zur Wiedervereinigung und Sicherheit Deutschlands" oder an das Taschenbuch „A bis Z", das sich einer großen Beliebtheit erfreute und das einem großen Informationsbedürfnis nachkam. Davon hört man nichts mehr; das sieht man nicht mehr. Vielleicht kann man uns erklären, warum das so ist. Ich muß dahinter jedenfalls, weil das so ist, einen Wandel vermuten, d. h. es findet nicht mehr Information über die Zustände im kommunistisch beherrschten Teil Deutschlands statt, sondern vor allen Dingen Selbstdarstellung der Politik, wie man sie für richtig hält.
({4})
Statt dessen - und auch das gehört dazu - haben nunmehr Vorrang die wertfreien sogenannten objektivierten - so nennt man das doch heute -, in Wahrheit jedoch relativierenden Schriften.
({5})
- Diese Art von Darstellung, verehrter Kollege von Bülow, lehnt die CDU/CSU ab, weil sie nach unserer Auffassung nicht dazu beiträgt, den Menschen im geteilten Deutschland ein Mehr an Information zu geben. So kann man es meiner Meinung nach nicht machen.
Ich will Ihnen dafür ein konkretes Beispiel und auch einige Belege bringen. Herr Kollege Hermsdorf, ich bitte um Verzeihung, es ist zwar spät, aber das hat viel Geld gekostet, und wir sollten uns darüber unterhalten. Ich habe das Buch „DDR heute" mitgebracht. Jeder kennt es, ein besonderes Beispiel der Beschönigungspolitik - ich möchte fast sagen: eine Jubelbroschüre - des ZDF-Journalisten HannsWerner Schwarze, übrigens ein Taschenbuch, das Sie im Buchhandel vergebens suchen. Vielleicht kann man einmal erklären, warum dieses Buch nicht im Buchhandel zu bekommen ist. Es wurde auf Veranlassung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben und in der noch nie dagewesenen Auflage von 164 000 Exemplaren mit einem Kostenaufwand von mehr als 100 000 DM in breitester Streuung unter das Volk gebracht.
({6})
- Ich will mich nicht provozieren lassen. Ich sagte heute schon einmal,
({7})
wir wollen heute etwas sachlicher reden, auch wenn Sie zu so später Stunde die Lust verspüren, mit mir zu polemisieren, lieber Kollege Säckl. Sie wissen,
ich kann das. Ich will es nicht. Das Thema ist mir zu ernst. Darum lehne ich das ab.
({8})
Vor wenigen Tagen hat nun der Herr Bundeskanzler die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation, die unter Federführung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen von einem Gremium von Wissenschaftlern erarbeitet wurden, dem Hause vorgelegt. Abgesehen davon, daß ich es für richtig gehalten hätte, bei dem großen Geldaufwand für die „Schwarze-Broschüre" erst einmal den Bericht der Wissenschaftler abzuwarten und dann eine fundierte, allgemein verständliche Darstellung herauszubringen, muß heute leider festgestellt werden, daß Herr Schwarze in seinem Auftragsbuch zahlreiche anfechtbare Angaben über die DDR bringt.
Mitbürger aus der DDR, die Sie befragen - geben Sie es ihnen einmal zu lesen; ich habe das mit mehreren Besuchern aus der DDR getan und sie um ihre Meinung gebeten -, sagen sogar: Hanns-Werner Schwarze - der ja auch noch für die Sendung „Drüben" im ZDF verantwortlich zeichnet - verbreitet fragwürdige Oberflächlichkeiten, Halbwahrheiten und teilweise auch fehlerhafte Aussagen. Außerdem sei das auch der Versuch, teilweise Unvergleichbares wertfrei miteinander zu vergleichen. Das bedeutet schlicht Manipulation durch einen Journalisten. Ich finde, das ist immerhin ein ganz schönes Stück.
({9})
Seine Angaben werden teilweise durch die gründliche Erarbeitung der Materialien der Kommission von Prof. Dr. Ludz, über die ich bereits sprach, nicht bestätigt. Ich möchte Ihnen nur zwei Beispiele geben. Sie sehen dann, daß das eine Auftragsbuch, nämlich die Ausarbeitung der Wissenschaftler, die Schrift „DDR heute" widerlegt; ihm zumindest widerspricht, und daß damit zwei Aufträge ganz unterschiedlichen Charakters, die mit Steuermitteln finanziert wurden, dazu beigetragen haben, zumindest klarzulegen, daß das eine Buch, nämlich das von Herrn Schwarze, vollkommen überflüssig gewesen wäre.
Erstens. Herr Schwarze behauptet auf Seite 12,
({10})
die Produktivität der DDR - dieses Beispiel sollten Sie sich einmal anhören, meine Damen und Herren, um zu sehen, wie unseriös das Buch ist - liege pro Kopf der Bevölkerung nur geringfügig unter der der Bundesrepublik. Demgegenüber Professor Ludz in seinen Materialien: Die Arbeitsproduktivität je Kopf der Beschäftigten - bis auf wenige Ausnahmefälle - in der Bundesrepublik ist höher als in der DDR. Der Rückstand in der Industrie der DDR gegenüber der der Bundesrepublik Deutschland betrug 1968, was die Arbeitsproduktivität angeht, rund 7,5 Jahre. 7,5 Jahre als geringfügig zu bezeichnen, ist ein grober Fehler.
Ich könnte mehr Punkte nennen. Ich will es jetzt gar nicht tun, einfach, weil die Zeit vorgeschritten ist. Aber eines werde ich mir erlauben hier noch zu
nennen, weil dieser Punkt die außerordentliche und fragwürdige Oberflächlichkeit zeigt.
({11})
Herr Schwarze formuliert in seiner Broschüre die Aussage, daß die „sozialistische" Verfassung der DDR vom April 1968 in einer Volksabstimmung von über 90 % der Bevölkerung gebilligt worden sei.
({12})
Damit verkennt er einfach die Voraussetzungen und die Bedingungen, die diese Volksabstimmung in der sowjetisch besetzten Zone gehabt hat; und er bringt damit eine zu vordergründige Wertung des Verhaltens der Mitbürger drüben.
({13})
Wer eine solche Broschüre mit unserem Steuergeld herausbringen darf, muß doch erkennen, daß unseren Landsleuten drüben eine echte Entscheidungsfreiheit schon deswegen nicht zugestanden wurde, weil lediglich eine gelenkte Diskussion stattgefunden hat, in der Alternativen zum Verfassungsvorschlag der SED nicht erörtert werden durften. Deshalb beinhaltet der Begriff „Billigung", wie Schwarze es nennt, eine schlichte Irreführung, weil die echte Haltung und das wahre Urteil der Bevölkerung zur „sozialistischen" Verfassung Ulbrichts bei diesem fragwürdigen Verfahren überhaupt nicht sichtbar werden konnten. Ich meine, man muß sich einmal vergegenwärtigen, was hier bezahlt, veröffentlicht und in einer Riesenauflage als angeblich objektive Information unter das Volk gebracht worden ist.
({14})
Ich könnte jetzt über das Kapitel Volksarmee reden; über die anfechtbare Darstellung der Zahlen von NVA im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Hat Herr Schwarze je einmal etwas von den Zahlen der Betriebskampfgruppen gehört, von „Gesellschaft für Sport und Technik"? - Nein, meine Damen und Herren, so einfach kann man es sich nicht machen, wie es hier geschehen ist. Es ist sehr auffällig und sehr deutlich, daß eine sachgerechte Leistung durch diese Auftragsbroschüre nicht vorgenommen wurde.
Im übrigen finde ich es unverfroren - das lassen Sie mich sagen -, wie hier ein Journalist in dieser anfechtbaren Weise Sachverhalte darstellt und fragwürdige Informationen verbreitet.
({15})
Ich hätte eigentlich erwartet - auch von der sozialdemokratischen Fraktion, die sicher eine große Anzahl hervorragender Fachkenner des anderen Teiles Deutschlands in ihren Reihen hat -, daß Sie einer solchen Manipulation widersprochen und sie nicht einfach hingenommen hätten.
({16})
Hier sind Steuergelder mit leichter Hand ausgegeben worden.
Deshalb beantragen wir hier eine Kürzung, um durch unseren Antrag sichtbar zu machen, daß wir mit der Art und Weise, wie Publikationen gesamtdeutschen Charakters durch diese Bundesregierung herausgebracht werden, nicht einverstanden sind. Ich beantrage es auch deshalb, weil der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 folgendes gesagt hat:
Diese Regierung wird ihre Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Informationen Genüge tun.
Auch dieses Wort, meine Damen und Herren, wurde wieder einmal nicht eingehalten. Deshalb beantragen wir eine Kürzung dieses Titels und fordern Sie auf, Ihre Regierungserklärung in Zukunft einzuhalten, sie durchzulesen und nicht zu vergessen.
({17})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Höhmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde jetzt zurückerinnert an das Wort meines Kollegen Seidel: Die ganze Richtung paßt uns nicht! Wer hier eine Publikation - Gott sei Dank - gefunden hat und darauf seine ganze Rede aufbaut und damit auch zu begründen versucht - weil ihm manches daraus nicht paßt -, daß hier ein Titel um 400 000 DM gekürzt werden soll, den wir unbedingt brauchen, um die Bevölkerung objektiv zu unterrichten,
({0})
der macht hier nur klar, daß er die früheren Publikationen des Büros „Bonner Berichte", die auch über das frühere Gesamtdeutsche Ministerium finanziert worden sind, nie gelesen hat. Die Jubelberichte sollten Sie einmal sehen!
({1})
- Herr Kollege Wohlrabe, ich habe mir die Bücher alle aufgehoben, es ist eine sehr stattliche Bibliothek. Ich lade Sie ein, mich einmal in meinem Büro zu besuchen, dort stehen sie noch alle.
({2})
- Die Darstellungen waren derartig einseitig zu einem großen Teil, gerade aus jener Zeit um 1960 herum, daß wir uns immer gefragt haben, ob diese Publikationen wohl geeignet seien, ein objektives Bild von der Lage in Deutschland zu vermitteln. Sie waren es damals auch nicht.
({3})
- Ich halte den Schwarze-Bericht nicht für gut, natürlich nicht, ich halte ihn nicht in allen Teilen für gut, und ich heiße auch nicht alles gut, was in mancher anderen Publikation steht. Ich meine nur, wenn
Höhmann ({4})
Sie so etwas aufgreifen, läge es ganz gewiß mit einem Umkehrschluß wieder in Ihrer Argumentation, daß Sie sagten: Das Ministerium berichtet überhaupt nur in ganz einseitiger Art und Weise, es läßt keine andere Meinung zur Geltung kommen, das Ministerium unterrichtet also die Öffentlichkeit dann sachlich falsch und gibt keiner Kontroverse Raum.
Herr Abgeordneter Höhmann gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Aber gerne, gnädige Frau!
Herr Kollege, könnten Sie Ihre Aussage vielleicht erläutern, zu welcher Zeit um 1960 oder später irgendwelche Veröffentlichungen aus dem Gesamtdeutschen Ministerium erschienen sind, die von Ihnen benstandet werden konnten, wann sie beanstandet sind, wo sie beanstandet sind
({0})
und wegen welchen Inhaltes sie beanstandet sind?
Verehrte Frau Kollegin Kalinke, Sie wissen ganz genau, daß die Konstruktion des Ministeriums, dem heute das Gesamtdeutsche Institut angegliedert ist, seinerzeit ganz anders gewesen ist und daß das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen früher über eine Unzahl ) von Vereinen - und ich will nicht sagen, welcher politischen Couleur die meisten Mitarbeiter gewesen sind - die Propaganda gemacht hat. Ich kann Ihnen eine Reihe von Titeln nennen, nicht Veröffentlichungen des Gesamtdeutschen Ministeriums, sondern des Büros „Bonner Berichte" und was es da alles gegeben hat, Veröffentlichungen, die unter diese Rubrik hier durchaus fallen.
Aber ich will zu etwas anderem noch kommen.
Herr Abgeordneter Höhmann, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Herr Präsident, das würde zu dieser Stunde dazu führen, daß meine Rede sich verlängert.
({0})
- Sie haben durchaus die Gelegenheit, anschließend hier zu reden; aber ich bitte, nicht meinen Gedankenfluß weiterhin zu unterbrechen.
Herr Dr. Gradl, ich bin über Ihre Auslassungen zu diesem Problem, das Sie angesprochen haben, durchaus nachdenklich geworden. Nur habe ich mich dann gefragt - und da hat der Herr Kollege Dr. Haack recht gehabt mit seiner Zwischenfrage -: Hängt es denn vom Vorwort des Einzelplans 27 ab, wie wir zur Wiedervereinigung stehen, oder wie wir nicht zur Wiedervereinigung stehen? Wenn diese Regierung erklärt, es sei die Aufgabe der gesamten
Regierung und nicht eines Ressorts, und wenn dies in Regierungserklärungen des öfteren hier schon wiederholt worden ist, müssen wir das doch nicht in den Haushaltsplan expressis verbis noch einmal hineinschreiben. Denn wie verträgt sich der Antrag - diese Frage hat der Kollege Dr. Haack durchaus zu Recht gestellt -, dies in das Vorwort hineinzuschreiben, damit, daß auf der anderen Seite dort, wo es darum geht, gesamtdeutsche Publikationen zu fördern, ein Streichungsantrag vorgelegt wird?
({1})
Hier wird Verbalismus getrieben.
({2})
Wenn es um die Pfennige geht, wollen Sie nicht mitmachen. Das gehört allerdings auch dazu.
Lassen Sie mich - Herr Präsident, genehmigen Sie mir dies bitte - noch einige Worte zu einer Arbeit des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen sagen, die im Haushalt selbst nicht erscheint. Das Ministerium müßte dazu kommen, alle Aufgaben zu koordinieren, die in einer Reihe von Anträgen, denen das Haus heute entweder zugestimmt oder die es abgelehnt hat, aufgezählt sind. Ich möchte hier einige Worte zu den Problemen des Zonenrandgebietes sagen.
Ich erinnere Sie an die Debatte, die wir am 9. Dezember des vergangenen Jahres geführt haben. Damals habe ich bereits angekündigt, daß die Koalitionsfraktionen mit 80 Millionen DM neu in den Haushalt einzustellender Mittel den Versuch unternehmen würden, für das Zonenrandgebiet etwas Entscheidendes zu tun. Das ist nunmehr geschehen. Damit es in der Öffentlichkeit bekannt wird, will ich noch einmal darlegen, worum es sich dabei handelt.
({3})
- Herr Kollege Reddemann, das sind Dinge, die Sie draußen gern verschweigen möchten. Aber dort, wo ich zu Hause bin, hört man es gern, wenn die Regierung etwas Gutes tut. Aber ich lege Wert darauf, daß das hier noch einmal gesagt wird.
In jenen 80 Millionen DM zusätzlicher Mittel stecken: für die Spitzenfinanzierung von Sportstätten 7 Millionen DM, für Einrichtungen der beruflichen Bildung 15 Millionen DM aus dem Einzelplan 11, aus dem gleichen Einzelplan 15 Millionen DM für Rehabilitationsmaßnahmen und Werkstätten für Behinderte. Aus dem Einzelplan 15 für Familienferienstätten 3 Millionen DM, für Jugendbildungs- und Begegnungsstätten 10 Millionen DM, für medizinische Rehabilitationen 4 Millionen DM und für überregionale Einrichtungen für Behinderte 1 Million DM.
Ich will zu den Fragen des Wohnungsbaus nicht Stellung nehmen, da mein Kollege Müller eine eingehende Darstellung gegeben hat, sondern möchte hier nur folgende Anmerkungen machen. Bei all diesen Aufgaben - der Wohnungsbau ist dabei
Höhmann ({4})
auch mit 10 Millionen DM bedacht worden; hier bitte ich Sie nun besonders acht zu geben, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil es auf das ankommt, was wir in den kommenden Jahren damit anfangen - geht es nicht um das Fachgebiet Wohnungsbau und nicht um das Fachgebiet Rehabilitation oder Sportstättenbau oder Bau von Jugendbildungs- und Begegnungsstätten, sondern hier geht es um begleitende, flankierende Maßnahmen, welche die wirtschaftlichen Maßnahmen, die getroffen werden müssen, unterstützen sollen. Der Mitteleinsatz und die Mittelumschichtung müssen logischerweise dem für die Zonenrandförderung zuständigen Ministerium unterstellt werden. Das bedeutet: Sollten wir nach Ablauf eines Jahres feststellen, daß sich der Mitteleinsatz für bestimmte Titel und bestimmte Maßnahmen für ein weiteres Jahr nicht mehr lohnt, müßte das innerdeutsche Ministerium das Recht haben zu sagen: wir werden bei diesen 80 Millionen DM Umschichtungen vornehmen und versuchen, neue Maßnahmen zu fördern, die bisher noch nicht ausreichend gefördert worden sind.
Alle diese Mittel sind bis zur Verabschiedung des Zonenrandförderungsgesetzes gesperrt. Nach Ablauf der geplanten Maßnahmen wird der Minister für innerdeutsche Beziehungen also prüfen müssen, was in Zukunft geschehen soll. Die besondere Zielsetzung - Förderung des Zonenrandgebiets als innerdeutsche Aufgabe - macht es nach Meinung der SPD-Fraktion nötig, daß die Maßnahmen, für die jetzt Mittel in den Haushaltsplan eingestellt worden sind, nur in Zusammenarbeit, wenn nicht sogar unter der Federführung des Ministers für innerdeutsche Beziehungen getroffen werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu dem zurück, was für mich eigentlich der Anlaß war, hier zu sprechen. Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 118 widerspricht in seiner Zielsetzung eindeutig dem, was mein verehrter Herr Vorredner, Herr Dr. Gradl, gesagt hat. Aus diesem Grunde bitte ich, auch diesen Antrag abzulehnen.
({5})
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aussprache über den Einzelplan 27 sind vor allen Dingen das Vorwort zum Einzelplan und die Öffentlichkeitsarbeit in meinem Hause behandelt worden. Dabei ist das Vorwort in den Mittelpunkt gerückt worden. Ich möchte darauf antworten.
Es ist natürlich das gute Recht der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Ich denke, da sind wir uns einig, und das ist auch gut so, und das wollen wir auch beibehalten. Durch diese Diskussion werden die Standorte sehr deutlich gemacht, um die es da geht. Ich verstehe aber beim besten Willen nicht, daß wir zwei Wochen, nachdem wir sehr ausführlich in Verbindung mit dem Bericht zur Lage der Nation
hierüber gesprochen haben, versuchen, dieses Thema wieder in aller Breite an Hand des Vorwortes zu behandeln.
({0})
- Nein, Sie mußten das wissen, Herr Kollege Wohlrabe. Wenn wir so über die Dinge sprechen, muß es zwangsläufig eine breitere Aussprache geben. Ich habe wenig Verständnis dafür. In den wenigen Tagen neue Erkenntnisse dazu zu sammeln dürfte beiden Seiten schwerfallen. Ich meine, daß diese Art Grundsatzdebatte mit falscher Themenstellung geführt wird. Hier geht es darum, den Haushaltsplan des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen zu verabschieden. Das Vorwort umreißt die Aufgaben im speziellen.
Ich möchte meinen - Herr Wohlrabe hat es ja gesagt -, daß die Anträge schon vor einem Jahr sinngemäß ähnlich gestellt wurden. Damals ging es auch um die Bezeichnungen des Ministeriums unter gleichen Voraussetzungen. Es ging auch um die Öffentlichkeitsarbeit. Sie mögen es glauben oder nicht, ich habe es als Unterstellung empfunden, wie hier argumentiert wurde, daß mit dieser Bezeichnung, daß mit diesem Vorwort die Aufgabe des Hauses so umrissen werde, daß daraus ein Verzicht auf Aufgaben zu entnehmen sei, ein Verzicht auf politische Verpflichtung, an die wir uns selbstverständlich halten. Wir werden diese Aufgaben auch weiterhin in der Weise wahrnehmen, wie sie in der praktischen Politik einmünden können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
({0})
Doch, ich gestatte diese Zwischenfrage. Bitte!
Herr Minister, könnten Sie uns einen durchschlagenden Grund dafür nennen, warum im Gegensatz zu den Amtsjahren Ihres Vorgängers, des Herrn Kollegen Wehner, jetzt plötzlich im Jahre 1970 dieser Absatz gestrichen wurde?
In der Zwischenzeit haben sich einige Dinge verändert.
({0})
- Es gibt keine Streichungen. Sie werden sich an eine frühere Debatte erinnern. Als es darum ging, das Ministerium zu bezeichnen, hat Herr Kollege Mende einen sehr gewichtigen Beitrag geleistet, um die politische Notwendigkeit der Umbenennung des Ministeriums zum Selbstverständnis für uns und auch für unsere Freunde in der Welt darzulegen. Ich meine, daß die Bezeichnung und diese Veränderung keinerlei Einfluß auf die grundsätzliche Politik haBundesminister Franke
ben. Aber falsche Behauptungen werden durch dauernde Wiederholungen keineswegs wahr.
({1})
- Nein, ich möchte nicht. Sie können danach wieder sprechen. Das steht Ihnen frei. Ich fasse zunächst zusammen. Ich bin nicht der Meinung, daß wir die Zeit durch Frage und Antwort unnötig verlängern sollten. Sie können nachher sprechen, wenn Sie es für richtig halten. Ich möchte Ihnen zu diesem Thema meine Antwort nicht schuldig bleiben.
Ich - und nicht nur ich - empfinde es ganz offensichtlich als eine Unterstellung, wenn die Opposition sagt, daß die Bundesregierung die Einheit Deutschlands aufgegeben habe, weil die Formulierung „Wiederherstellung der Einheit Deutschlands" nicht mehr im Vorwort zu finden ist, das ohne Pathos und ganz nüchtern den Zweckbestimmungen der Mittel meines Hauses voransteht. Diese Unterstellung ist sachlich nicht richtig und ist nicht zu begründen. Sie ist falsch und wird auch durch Wiederholungen nicht richtig. Ich weise sie deshalb mit aller Entschiedenheit zurück. Ich werde auch noch politisch begründen, in welcher Weise dieses Haus sich nach wie vor der Verpflichtung bewußt ist, die sich aus dem Grundgesetz ergibt.
Auch deshalb haben wir diese Veränderung vorgenommen, weil mit dieser Art der Auseinandersetzung niemandem gedient ist. Sie wissen doch in Wirklichkeit ganz genau, daß es das politisch eindeutig erklärte Ziel dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen ist, auf einen Zustand des gesicherten Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Wenn Sie es nicht wissen, dann empfehle ich Ihnen, neben der Regierungserklärung und neben den beiden Berichten der Bundesregierung zur Lage der Nation auch den Text des förmlichen Schreibens nachzulesen, das die Bundesregierung anläßlich der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages der Regierung der UdSSR überreicht hat. Dieser Wortlaut wird und wurde übrigens bei jeder Gelegenheit von dieser Regierung gegenüber jedermann vertreten. Darin liegt eindeutig das Bekenntnis dieser Bundesregierung zu dieser politischen Aufgabe, der wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen sollten. Ich betone: gemeinsam verpflichtet fühlen sollten. Darum sollten Sie nicht hinter solchen Bemühungen anderes sehen, als damit beabsichtigt ist.
Nicht nur der Auftrag des Grundgesetzes besteht nach wie vor, aus dem sich die politische Aufgabe ergibt, auch ohne daß es in den Haushaltsgesetzen jeweils erwähnt wird. Dazu gehört außerdem noch die vom Willen der Menschen im geteilten Deutschland getragene Nation, der zu dienen diese Bundesregierung und damit auch mein Haus sich verpflichtet wissen.
Weil es aber neben dieser Realität auch noch andere Realitäten gibt, würden wir uns etwas vormachen, wenn wir so täten, als wäre das Ziel der Einheit und Selbstbestimmung so zu erreichen, wie man es sich in den 50er und frühen 60er Jahren noch vorstellte. Die Regierung der Großen Koalition hatte das bereits erkannt und sich auch um neue Initiativen bemüht, die besonders von meinem Vorgänger, dem damaligen Bundesminister Wehner, entwickelt und vorangetrieben wurden und eine breite Zustimmung fanden, in dem Bemühen, neue Formen zu suchen.
({2})
Und als diese Regierung ihr Amt antrat, habe ich bei den verschiedensten Gelegenheiten in den Berichten deutlich machen können, daß ein Vierteljahrhundert nach Kriegsschluß vergangen war, in dem die Spaltung unseres Landes immer weiter vertieft wurde.
Inzwischen hatte sich die weltpolitische Situation keineswegs zu unseren Gunsten, zugunsten der Einheit Deutschlands, entwickelt. Sie werden sich sicherlich an die Formulierung erinnern, die der voraufgegangene Bundeskanzler einmal anwandte, als er sagte: Die Zeit arbeitet nicht für uns, wir müssen uns selber mühen und müssen Formen suchen. Wir wissen, die Gesellschaftssysteme in den beiden Staaten in Deutschland hatten sich immer weiter auseinanderentwickelt, so daß hierdurch die Lage weiter kompliziert wurde. Schließlich erlebten und erleben wir das Bestreben der Verantwortlichen in der DDR, die Spaltung zu vertiefen, die bestehenden minimalen Beziehungen zu verringern und ihr eigenes System immer stärker von uns abzugrenzen und abzukapseln.
Die Schlußfolgerung, die wir daraus ziehen, ist ganz einfach. Jede mechanistische Vorstellung einer Wiedervereinigung ist unrealistisch und gefährlich -- ich denke, daß wir uns darin einig sind -, gefährlich deswegen, weil sie zur Passivität führte und weiter führen würde. Realistische Politik im Sinne der Einheit Deutschlands bedeutet heute, die Einheit der Nation gegenüber allen Zerstörungsversuchen zu wahren, indem wir die Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu normalisieren suchen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Marx?
Bitte sehr!
Herr Minister, wären Sie, wenn Sie sagen, Sie wendeten sich - und da sind wir einig - gegen mechanistische Betrachtungen, dann auch bereit, dies auf Ihre vorhergehende Formel, die ich auf keinen Fall unterschreiben kann, zu übertragen, in der Sie sagen, daß „sich beide Gesellschaftssysteme in beiden Teilen Deutschlands auseinanderentwickelt" hätten? Ist nicht der Grund für die Teilung Deutschlands in der Tat ein ganz anderer als der in einer solch mechanistischen Betrachtung?
Dessenungeachtet, sehr verehrter Herr Kollege Marx, können wir nicht an der Tatsache vorbeigehen - Sie selber haben das in Ihren Diskussionsbeiträgen bekräftigt, und von dieser Stelle aus ist das auch gesagt worden -, daß sich die Unterschiedlichkeit der Gesellschaftsordnungen als immer stärker erweist und daß darum das Bemühen um die Einheit in Deutschland eine besonders schwierige politische Aufgabe ist, der wir uns eingedenk dieser Tatsache auch in besonderer Weise zu widmen haben.
({0})
Damit habe ich meine Aussage in keiner Weise abgeschwächt. Aber ich meine, daß es wichtiger ist, praktische Schritte zu tun, als Postulate aufrechtzuerhalten, von denen man sich einstmals versprach, daß sie wirken würden.
Langfristig geht es um eine europäische Friedensordnung, in der auch unser Volk - unser ganzes Volk - seinen Platz und seine Freiheit finden kann. Wer meint, er würde dem Auftrag des Grundgesetzes gerecht, wenn er mit bloßen Postulaten und Formeln noch weitere 25 oder 50 Jahre auf eine eventuelle günstige Gelegenheit wartet, nützt dieser Einheit nicht, sondern schadet ihr.
({1})
Diese Bundesregierung bemüht sich darum, im Interesse des ganzen deutschen Volkes die Dinge in Deutschland voranzubringen. Wir denken nicht daran, tatenlos zuzusehen, wenn die Gegenseite versucht, die Einheit der Nation immer mehr zu durchlöchern. Hier helfen freilich nur geduldiges, ständiges Bemühen,
({2}) aber nicht rhetorische Kraftübungen.
({3})
Für uns ist das Schicksal der Menschen in der DDR
kein Aktenstück, das wir alljährlich an einem Tag,
der uns geeignet erscheint, aus dem- Archiv holen,
({4})
um dann dieses Schicksal mit wohlgesetzten Worten zu beklagen.
({5})
Wir sehen es vielmehr als unsere Aufgabe an, etwas Praktisches anzustreben, das bei gutem Willen beider Seiten machbar ist.
({6})
Und das ist sehr wenig. Wir geben uns gar keinen Illusionen hin. Aber wir warten nicht darauf, daß es von selber kommt, sondern bemühen uns, selbst wenn das Kraft und Zeit erfordert.
({7})
Die Politik für das deutsche Volk ist Aufgabe der gesamten Bundesregierung - das ist hier schon wiederholt zum Ausdruck gekommen, und dabei bleiben wir -, nein, sie ist nicht nur Aufgabe der Bundesregierung insgesamt, sondern unser aller Aufgabe - auch nicht nur Aufgabe meines Ministeriums. Ich denke, daß dies noch einmal zum Ausdruck gebracht werden sollte.
So wie sich die Dinge in den letzten 20 Jahren entwickelt haben, wäre es unrealistisch und unseriös, mit der Zuweisung der Aufgabe, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vorzubereiten, an mein Ministerium den Eindruck zu erwecken, als handle es sich dabei um einen Verwaltungsakt, der bald seinen Abschluß finden könnte,
({8})
als handle es sich vielleicht auch etwa darum, unabhängig von Zeit und Raum pausenlos perfekte Pläne auszuarbeiten, die an einem Tage X in Kraft gesetzt werden könnten. Beides trifft nicht zu. Ein Ministerium sollte sich nicht mehr vornehmen, als es tatsächlich in Angriff nehmen kann.
({9})
Gerade hier, beim Text des Vorwortes zum Einzelplan 27, gebietet doch auch das Prinzip der Haushaltsehrlichkeit, daß wir uns und dem Steuerzahler nichts vormachen, sondern die Aufgaben nennen, an denen mein Haus tatsächlich und konkret arbeitet. Daher habe ich in diesem Vorwort für die Arbeit meines Hauses die Hauptaufgabe gestellt, der Einheit der Nation zu dienen und den Zusammenhalt unseres Volkes zu stärken. Wir bemühen uns also ganz konkret, die Beziehungen im geteilten Deutschland zu fördern. Ich halte aus diesem Grunde diese Formulierung für konkreter, realistischer und kraftvoller als den vorherigen Text.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, damit diese Diskussion abschließen zu können. Motive und Zielsetzungen dieser Bundesregierung sollten von der Opposition endlich zur Kenntnis genommen und nicht jeden Tag wieder in Zweifel gezogen werden; denn das dient der Sache, der wir gemeinsam verpflichtet sind, auch nicht.
({10})
Es wäre ideal, wenn die Opposition darüber hinaus auch noch bereit wäre - das sage ich jetzt mit Bestimmtheit -, eine eigene Alternative zu unserer Politik mit allen Prämissen, Chancen und Risiken hier vorzustellen. Wenn sie das täte und nicht länger auf polemische Unterstellungen an unsere Adresse ausweichen würde, dann könnte sie leicht den Vorwurf widerlegen, in Wirklichkeit nicht über eine eigene realistische und erfolgversprechende Alternative zu verfügen.
({11})
Das gleiche, meine Damen und Herren von der Opposition, muß ich zu meinem Bedauern auch zu der Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit meines HauBundesminister Franke
ses sagen. Ich glaube, dazu muß hier wirklich noch einiges deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Denn ich weiß nicht, welche Vorstellungen die Opposition hinsichtlich der doch für uns alle geltenden Verpflichtung hat, die deutschlandpolitischen Gedanken zu fördern, und welche Überlegungen sie hat, wie auch mit den zugegebenermaßen geringen Mitteln der Information der Einheit der Nation zu dienen ist.
Die Auffassung meines Hauses dazu ist klar und eindeutig. Wir gehen von einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft aus, in der verschiedenste Meinungen ihren Platz haben und auch ihren Ausdruck finden sollen. Das sollte hier auch Herr Wohlrabe zugeben. Eigentlich hätte er es bestätigen müssen; denn er weiß genau, in welcher Weise die Mittel verausgabt werden. In seiner Eigenschaft als Berichterstatter habe ich ihm alle Unterlagen darüber zugänglich gemacht.
({12})
Die genannte Ausgangsposition unserer Öffentlichkeitsarbeit haben die Bürger in unserem Lande nicht nur bemerkt, sondern, wie das Echo und die starke Nachfrage zeigen, auch anerkannt. Besonders in der politischen Bildungsarbeit an den Schulen, Universitäten und sonstigen Bildungsträgern und damit nicht zuletzt gerade in der jungen Generation, die ja kein Eigenerlebnis dieser Entwicklung mehr aufzuweisen hat, sondern sehr ernsthaft an sich arbeiten muß, um gerade bei diesem Thema mitwirken zu können, ist das im vergangenen Jahr deutlich geworden.
Ich will hier nicht darüber urteilen, wie das in früheren Jahren ausgesehen hat, als Sie die Regierung stellten. Aber wenn Sie die Verpflichtung, der Einheit der Nation zu dienen, ernst nehmen, dann müßten auch Sie darüber froh sein, daß es nach jahrelangem Bemühen endlich gelungen ist, gerade dieses Ministerium von dem Makel einseitiger und billiger Propaganda zu befreien, der ihm über Jahre hinaus anhaftete.
Ich will es mir auch ersparen, Sie daran zu erinnern, was in Ihren Regierungsjahren hier mit den Mitteln des Steuerzahlers publiziert wurde. Das wäre eine ganz interessante Liste.
({13})
Bei Gelegenheit werden wir das einmal in einer sehr eingehenden Nachschau behandeln können, damit wir die Dinge richtigstellen. Sie haben das damals aus Ihrer Verantwortung, aus Ihren Möglichkeiten für richtig gehalten. Nun, wir halten diese Form der Informationspolitik und der Öffentlichkeitsarbeit für sinnvoll.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe?
Herr Bundesminister, würden sie vielleicht so freundlich sein, dem Hause mitzuteilen, warum, nachdem Kritik in der Öffentlichkeit an der .Auftragsbroschüre des Herrn Schwarze bekanntwurde, Ihr Haus also nachträglich, soweit uns die Informationen zugegangen sind, einen Vorzettel, ein Vorwort beigefügt hat, in dem u.a. steht: „Mit ihren Informationen, Einschätzungen und Bewertungen will diese kleine Broschüre keine wissenschaftliche Abhandlung sein, sondern einen pointierten, aber anregenden Beitrag zur differenzierenden Diskussion über die Verhältnisse in der DDR liefern."?
({0})
Herr Kollege Wohlrabe , dieses Vorwort ist von mir ganz bewußt in diese Broschüre gebracht worden,
({0})
genauso wie das auch bei anderen Broschüren in Zukunft der Fall sein wird; denn es ist völlig ausgeschlossen, daß wir, wenn wir freie Schriftsteller, Journalisten, Korrespondenten zur Mitarbeit auffordern, uns als diejenigen, die diese Diskussion in Pro und Kontra fördern wollen, mit jeder Veröffentlichung als Regierungsmeinung identifizieren.
({1})
Das wäre keine lebendige Diskussion. Sie sind sonst auch für die Presse- und Meinungsfreiheit; aber hier paßt Ihnen die Richtung nicht.
Ich will noch einen anderen Beitrag leisten, und wenn Sie es hören wollen, dann kommen wir jetzt dazu, wie sehr die Dinge hier manipuliert werden.
({2})
- Die Zeit nehme ich für mich in Anspruch, die ich dazu brauche, um dies klarzustellen. Ich werde die Kritik doch nicht unwidersprochen auf dem Hause sitzen lassen.
({3})
Als der Bericht zur Lage der Nation hier gegeben wurde, hielt es das ZDF für sinnvoll, einen vorbereiteten Beitrag mit Wiedergabe sehr interessanter Zahlen nicht in der Sendung „Drüben" am Sonntag zu bringen, sondern eine Jubiläumsveranstaltung
- die auch ihre Bedeutung hatte - in dem Programm zu senden. Meinen Sie nicht auch, daß der Bericht zur Lage der Nation in diesem Jahr, der bisher von allen, die etwas von der Sache verstehen, anerkannt worden ist und Zustimmung erfahren hat, für eine Sendung im aktuellen Stadium auch und gerade für den Bereich der DDR wichtiger gewesen wäre als eine Jubiläumsveranstaltung?
({4})
- Ich komme hier nur auf Manipulationen zu sprechen.
({5})
- Ja, weil sonst der Eindruck entstehen konnte, das sei die Meinung des Ministeriums. Ich komme aber noch auf diese Broschüre, Sie werden noch Ihre Genugtuung bekommen.
Lassen Sie mich aber vorher noch sagen: Leider sind unsere Mittel zu knapp bemessen, als daß wir alle durchaus berechtigten Anforderungen und Wünsche befriedigen könnten. Es werden immer mehr Broschüren und Dokumente von uns nachgefordert, so daß wir von da her - ({6})
- Nein, darüber habe ich keine Angaben. Ich kann nur feststellen, daß das nicht der Fall ist, Herr Wohlrabe. Ich weiß aber, wie solche Dinge aussehen. - Daß unsere Mittel zu knapp sind, gilt aber auch für jene Publikationen, die das Ministerium bei Verlagen zur Verteilung ankauft, um die Diskussion über die deutschlandpolitische Fragestellung zu fördern und zu stärken. Hier komme ich auch noch ganz allgemein, ohne schon die besagte Broschüre zu nennen, auf dieses Thema zu sprechen. Bei solchen Bemühungen, die Diskussion zu beleben, muß es doch wohl darum gehen, daß es sich einmal um streng wissenschaftliche Abhandlungen, zu anderen aber auch um leicht lesbare und gut verständliche Arbeiten handelt, weil gerade die Fragen unseres geteilten Landes nicht bei einer bestimmten Bildungsschicht oder bei einem bestimmten Bildungsgrad halt machen sollten, und Sie wissen, welche Wege mancher geht, um große Auflagen zu bekommen, damit er weit eindringt. Hier kann es aber nicht darum gehen, nur eine Meinung oder eine Themenstellung zu Worte kommen zu lassen. Im Gegenteil, hier geht es um Diskussionsbeiträge, die die Autoren und Verlage völlig unabhängig und in eigener Verantwortung leisten.
Ich will nun auch zu der Broschüre etwas sagen, die Sie hier in den Mittelpunkt Ihrer Kritik gerückt haben, um damit Ihren Antrag zu begründen, den Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit um 400 000 DM zu kürzen. Herr Wohlrabe hat hier die von meinem Hause im letzten Jahr angekaufte Broschüre „DDR heute" von Hans Werner Schwarze kritisiert und sie den unter meiner Federführung von unabhängigen Wissenschaftlern erstellten Materialien zum Bericht zur Lage der Nation gegenübergestellt. Abgesehen von der Tatsache, daß auch bei den Materialien die wissenschaftliche Verantwortung bei den Wissenschaftlern lag und liegen muß - das ist auch im Vorwort vermerkt -, ist eine solche Gegenüberstellung seriöserweise nicht zulässig.
({7})
- Tatbestände! Es ist so einfach, mit wenigen aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen, Angaben und Feststellungen einen anerkannten Publizisten abzuqualifizieren. Und wenn Sie Hans Werner Schwarze als einen Mann, der am meisten und am intensivsten das Thema DDR und Bundesrepublik behandelt und hierzu sehr wichtige Beiträge geleistet hat, in Frage stellen wollen, dann möchte ich demgegenüber sagen: man muß doch wohl auch einmal Verständnis dafür haben, wenn in dieser Weise seine Leistung mit dazu benutzt wird, um sie für jene festzuhalten, die sich darüber informieren wollen. Ich wehre mich also dagegen, daß dieser
anerkannte Publizist in dieser Weise, wie das hier geschehen ist, quasi abqualifiziert wird,
({8})
der sich allein der schwierigen Aufgabe angenommen hatte, die schwer faßbare Materie der DDR in geraffter und leicht verständlicher Form darzustellen. Er selber hat keinen Anspruch darauf erhoben, wissenschaftlich exakt die Dinge wiedergegeben zu haben, sondern er hat die Quellen, die ihm damals zugänglich waren, genutzt, um darüber eine Broschüre zu schreiben.
({9})
Wenn wir uns dabei aufhalten wollen, Zahlen zu vergleichen, kann ich Ihnen auch da aus der Vergangenheit mit sehr interessanten Dingen, die im Hause immer noch zentnerweise lagern, dienen.
({10})
Wenn wir seine Angaben mit den Zahlen aus den „Materialien" vergleichen, dann darf ich daran erinnern, daß eine große Gruppe von Wissenschaftlern eine sehr lange Zeitspanne - über eindreiviertel Jahr - brauchte, um die „Materialien" zu erstellen. Viele Zahlen, von denen Sie heute im Vergleich gesprochen haben, waren damals noch gar nicht bekannt. Sie hätten nicht einmal in dieser Weise kritisieren können, wenn nicht danach die wissenschaftliche Arbeit auch Ihnen zugänglich gemacht worden wäre.
Jeder, der sich vorher der Aufgabe unterzog, Teilbereiche der DDR darzustellen, mußte von dem bisher vorhandenen und für ihn erreichbaren Material ausgehen. Daß dabei Differenzen auftreten können, liegt in der Natur der Sache. Ich betrachte es jedoch als reine Beckmesserei, mit diesen Differenzen im statistischen Material zu argumentieren, um damit den Verfasser und seine Darstellung anzugreifen, nur weil er Ihnen möglicherweise nicht paßt.
Auch mein Haus steht und stand nicht hinter jeder Meinung und Feststellung von Herrn Schwarze. Aber wir sind weder Zensoren noch eine Regierung, die nur eine Meinung gelten läßt.
({11})
Wir sind auch nicht dazu da, diejenigen zu kritisieren, die damit aufgehört haben, Schwarz-WeißMalerei zu betreiben.
({12})
Im Gegenteil, das Echo der in meinem Ministerium eingegangenen Meinungsäußerung zeigt, daß auch diese Schrift zur Belebung der Diskussion über das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander beigetragen hat, auch und gerade weil darin Meinungen und Thesen vertreten werden, die nicht in jedem Fall die Auffassung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen wiedergeben.
Ich darf in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Anfragen und Bestellungen verschiedener Landeszentralen für politische Bildung hinweisen, darunter auch der Bayerischen Staatskanzlei, die sich sonst nicht übermäßig in dieser Frage engagiert und die offenbar genauso wie mein Haus in dieser Schrift einen Beitrag zur Förderung der deutschlandpolitischen Diskussion gesehen hat.
Zum Schluß, Herr Wohlrabe, zu Ihrer Anmerkung, die Broschüre von Schwarze beschönige die Verhältnisse in der DDR. Ich will es mir ersparen, Ihnen hier seitenweise das Gegenteil davon vorzulesen. Aber vielleicht denken Sie noch einmal über Ihre Kritik nach, Herr Wohlrabe, wenn ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus der Ostberliner Zeitschrift „Deutsche Außenpolitik", Heft 5, Oktober 1970 zitiere.
({13})
Dort heißt es unter anderem, daß die Publikation von Schwarze insgesamt dazu angetan sei - ich zitiere wörtlich -,
„durch ideologische Manipulierung breiter Kreise der westdeutschen Bevölkerung diese in die Lage zu versetzen, im Kontaktfall auf DDR-Bürger diversiv einwirken zu können und sich dabei, der neuen Strategie und Taktik einer sozialdemokratisch geführten Regierung entsprechend, moderner Theorien und Argumente zu bedienen."
Ich hoffe also, meine Damen und Herren, daß auch
die Opposition merkt, daß es auf einer 100er-Skala
zwischen schwarz und weiß noch 98 Grautöne gibt.
({14})
Worum es uns bei der Herausgabe einer Publikation und bei der Förderung anderer Publikationen geht, ist die Notwendigkeit,
({15})
so viel wie möglich Tatsachen und Vergleiche über Deutschland auf den Tisch zu legen und so viel wie nur möglich die deutschlandpolitische Diskussion anzuregen und zu fördern. Das ist unsere Pflicht und die Aufgabe, wie sie auch für diesen Bereich meiner Arbeit im Vorwort des Einzelplans 27 unmißverständlich zum Ausdruck kommt.
({16})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 117 *). Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Danke schön. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Um-
*) Siehe Anlage 15
druck 118**). Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Danke. Stimmenthaltungen? - Mit der entsprechenden Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Schlußabstimmung über den Einzelplan 27. Wer dem Einzelplan 27 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Zeichen. - Ich danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit der entsprechenden Mehrheit angenommen.
Wir rufen nunmehr auf:
Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
Drucksachen VI/1751, zu VI/1751 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Enders
Ich frage zunächst, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Bitte schön, Herr Abgeordneter Enders.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als Berichterstatter für den Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft ergänze ich meinen Schriftlichen Bericht durch mündliche Ausführungen und erläutere einige Probleme durch zusätzliche Darstellungen.
Das überproportionale Wachstum des Einzelplans 31 - nach dem Soll in den Regierungsentwürfen 1970 und 1971 um 43,3 % - läßt die Priorität erkennen, die die Bundesregierung den Fragen der Bildung und Wissenschaft zumißt. Die hohe Zuwachsrate verteilt sich natürlich nicht gleichmäßig auf alle Kapitel, sondern ist auf Schwerpunkte konzentriert.
({0})
Beispielsweise weist die Förderung von historischen Forschungsvorhaben nicht dieselbe Steigerungsgröße auf wie die Finanzierung des technischen Fortschritts in ausgewählten Schlüsselbereichen mit bedeutsamer Zukunftsentwicklung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wäre Ihnen sehr dankbar, soweit Sie vorübergehend den Saal verlassen wollen, das umgehend zu tun, damit der Herr Berichterstatter seine Ausführungen ungestört machen kann. Außerdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich, soweit Sie noch stehen, setzen würden.
In realen Zahlen ausgedrückt vermehrt sich das Volumen des Haushalts 1971 des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft nach dem Regierungsentwurf um 1200 Millionen DM. Nach Umschichtungen und dem Zufluß von 122 Millionen DM aus dem Einzelplan 60 zum Ankauf von angereicherten Kernbrennstoffen stieg es auf 4,07 Milliarden DM an.
**) Siehe Anlage 16
Der Haushaltsausschuß hat nach eingehenden Beratungen vom Regierungsansatz rund 27 Millionen DM gekürzt. Die Kürzungen erfolgten bei den Titeln, die entweder noch nicht die gesetzliche Voraussetzung für eine ganzjährige Inanspruchnahme besaßen - wie das Graduiertenprogramm - oder bei denen der Stand der Projektierung die volle Ausschöpfung der Mittel ungewiß erscheinen ließ - wie die Errichtung eines Primatenzentrums -.
Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen auf den Bundeshaushalt 1971 führten zur weiteren Kürzung von 30 Millionen DM im Einzelplan 31. Die im Bildungsbericht der Bundesregierung dargelegten Planungen und Zielvorstellungen können nur verwirklicht werden, wenn die bildungspolitischen Reformen in gesamtstaatlicher Verantwortung von Bund und Ländern gemeinsam gestaltet werden. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung, ohne die Kulturhoheit der Länder antasten zu wollen, erstmals beträchtliche Mittel für Modellvorhaben und Bildungsforschung ausgewiesen. Der vorjährige Ansatz wurde nicht annähernd in Anspruch genommen, weil die Anträge erst im Herbst entgegengenommen werden konnten. Dennoch hat der Haushaltsausschuß ungeachtet der Minderausgaben für dieses Programm 91 Millionen DM akzeptiert, von denen allerdings 80 Millionen DM gesperrt bleiben. Die Verfügung über die Mittel muß noch auf Grund von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern geregelt werden. Der Bund wird sich dabei nur an den Kosten beteiligen, die auf den eigentlichen Modellcharakter der Institution oder des Projektes entfallen. Aus bildungspolitischen Gründen ist der baldige Abschluß der Rahmenvereinbarung dringend erforderlich.
Wenn von der Vorschulerziehung bis zum künftigen Abitur II soziale Schranken und die Trennung von allgemeiner und berufsbezogener Ausbildung überwunden werden sollen, wenn die integrierte Gesamtschule Durchlässigkeit und Chancengleichheit schaffen soll, brauchen wir Erfahrungen aus erprobten Modellen und dazu Lehrinhalte, die auf Grund moderner Curriculum-Forschung den Anforderungen des technischen Zeitalters entsprechen.
Ein Blick auf die Bildungseinrichtungen vergleichbarer Länder sollte unsere Anstrengungen für Modellvorhaben verdoppeln; denn sowohl in bezug auf Vorschulerziehung als auch auf das duale System der beruflichen Ausbildung und die Weiterbildung liegen wir beträchtlich im Hintertreffen. Nur 34 % der 3- bis 6jährigen besuchten 1965 in der Bundesrepublik einen Kindergarten, während in den westlichen Nachbarländern über 90 % der 5jährigen bereits zur Vorschule gingen.
Die Pyramide der Berufsausbildung zeigt, daß nur 24 % der Frauen und 38 % der Männer über eine Lehre in den ausgeübten Beruf gelangten. Diese bedenkliche Bilanz kann ich noch durch den Hinweis ergänzen - im Bericht zur Lage der Nation aufgezeigt -, daß unsere Berufsschüler nur einen Unterrichtstag in der Woche haben, während in der DDR im ersten Lehrjahr an 3 und in den weiteren Lehrjahren an 2 Tagen in der Woche Unterrichtspflicht besteht.
Die Mittel des Bundes für Modellvorhaben unterstützen die bildungspolitischen Anstrengungen der Länder sowohl im Elementar- als auch im beruflichen Bereich. Sie tragen zur Überwindung von Bildungsbarrieren bei, verhelfen dem einzelnen zu besseren beruflichen Chancen und dienen dem sozialen Aufstieg. Nicht zuletzt erwachsen aus den Bildungsausgaben, die zur Steigerung des Sozialprodukts führen, immense volkswirtschaftliche Vorteile.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bund hat im Haushaltsjahr 1970 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen insgesamt 938 Millionen DM aufgewendet. Von dieser Summe wurden 138,6 Millionen DM für Schnellbaumaßnahmen ausgegeben, wodurch über 32 000 Studienplätze zusätzlich geschaffen oder vorbereitet werden konnten. Die Gesamtausgaben für Hochschulbauten lagen weit über dem Betrag, den der Wissenschaftsrat empfohlen hatte. Sie beweisen die finanziellen Leistungen des Bundes seit Inkrafttreten des Hochschulbauförderungsgesetzes und seinen Beitrag zur Überwindung des Numerus clausus.
Mittel für den Hochschulbau flossen in alle Bundesländer und waren in Nordrhein-Westfalen mit 222 Millionen DM am höchsten. Niedersachsen erhielt 172 Millionen DM, Bayern 152 Millionen DM, Hessen 135 Millionen DM, Baden-Württemberg 125 Millionen DM und Rheinland-Pfalz 31 Millionen DM. Die neugegründeten Hochschulen wurden mit einem Drittel aller Mittel gebührend berücksichtigt.
Heute schon ist klar, daß der im Haushalt 1971 vorgesehene Betrag zum Aus- und Neubau von Hochschulen in Höhe von 1,020 Milliarden DM nicht für alle Vorhaben ausreichen wird. Der Wissenschaftsrat hat Empfehlungen für das Normal- und Schnellbauprogramm in Höhe von rund 1,4 Milliarden DM ausgesprochen. Dazu kommen noch Sonderanforderungen für Kliniken, pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen, so daß sich eine veranschlagte Beteiligungssumme von 1,55 Milliarden
DM für den Bund ergibt.
Die Frage, ob die Mittel für den Hochschulausbau in erster Linie den Fakultäten zugute kommen, an denen ein totaler oder überwiegender Numerus clausus besteht, kann ich eindeutig mit Ja beantworten. Nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates fließen 412 Millionen DM zur Förderung von 241 Vorhaben der Humanmedizin und der Pharmazie zu. An zweiter Stelle folgen mit 254,8 Millionen DM die Zuweisungen für Mathematik und Naturwissenschaften. Die Geisteswissenschaften werden mit 161 Millionen DM und die Ingenieurwissenschaften mit 80 Millionen DM bedacht.
Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, daß außer den speziellen Fakultätsbauten der Bau von zentralen Einrichtungen wie Mehrzweckgebäude, Sportanlagen und Bibliotheken ebenfalls bezuschußt wird.
Bei den vorliegenden Anforderungen ist es nicht zu umgehen, die erste Tranche der Bildungsanleihe in Höhe von 260 Millionen DM in Anspruch zu nehmen. Da außerdem die wissenschaftliche Forschung
von überregionaler Bedeutung zusätzliche Gelder erwartet, ist die Bereitstellung weiterer Mittel aus der Bildungsanleihe angebracht. Die Auflage einer zweiten Tranche hängt jedoch von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Aufnahmefähigkeit des Kapitalmarktes ab. Der Haushaltsausschuß hat die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Bildungsanleihe dem Hohen Hause vorbehalten, das im Laufe des Jahres darüber befinden wird.
Nach wie vor verfügen sozusagen die klassischen Bereiche des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft, nämlich Kernforschung und Kerntechnik, Weltraumforschung und Luftraumforschung sowie Datenverarbeitung und neue Technologien über die Hälfte der Mittel des Einzelplans 31. Die Kernenergie gewinnt als Primärenergiequelle mehr und mehr an Bedeutung, weil sich einerseits durch steigenden Lebensstandard der Stromverbrauch enorm erhöht - in der Bundesrepublik in den beiden letzten Jahren in der Größenordnung von 11 und 9 % - und andererseits die fossilen Brennstoffe Kohle und Erdöl in absehbarer Zeit nicht mehr in genügendem Maße zur Verfügung stehen werden.
Daher müssen die veranschlagten Ausgaben für unsere Kernforschungszentren und die Projektierung und Errichtung von Versuchsreaktoren als notwendige Investitionen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie angesehen werden. Allerdings dürfen nach meinem Erachten nicht allein wirtschaftliche Erwägungen im Vordergrund stehen, sondern es müssen auch die notwendigen Vorkehrungen für Reaktorsicherheit und zum Schutz der Bevölkerung vor möglichen Gefahren getroffen werden. Probleme wie die thermische Belastung der Flüsse, hervorgerufen durch das Kühlwasser der Kernenergiekraftwerke, oder genetische und somatische Schädigungen müssen mit dem technischen Fortschritt gleichlaufend behandelt werden.
Aus diesem Grunde sind die Ausführungen von Minister Leussink zu begrüßen, daß sich der Ansatz für die Reaktorsicherheit von 16 Millionen DM bis zum Jahre 1974 auf 137 Millionen DM erhöhen soll. Analog dazu müssen Maßnahmen des Strahlenschutzes ständig fortentwickelt und geprüft werden.
Die Weltraum- und Luftraumforschung wird in der Bundesrepublik nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in internationaler Zusammenarbeit betrieben. Wegen der Ausweitung der Grundlagenforschung und der Bedeutung der Satelliten- und Trägerraketensysteme steigen die Haushaltsmittel über das Ist des vergangenen Jahres um 43,4 %. In Zusammenarbeit mit der amerikanischen Weltraumbehörde NASA werden die Projekte Sonnensonde I und II begonnen. Für das schon oft diskutierte Post-Apollo-Programm, die mehrfache Verwendung von Raumflugträgern, ist kein Ansatz im Bundeshaushalt vorhanden. Es werden jedoch Studien und vorbereitende Arbeiten für dieses Projekt mit kleineren Beträgen aus verschiedenen Titeln unterstützt.
Den höchsten Steigerungssatz weisen Datenverarbeitung und neue Technologien mit 265 % gegenüber dem Ist-Betrag von 1970 aus. Die Datenverarbeitungsanlagen sind nicht nur in der Forschung als schnelle Rechner unentbehrlich, sondern gewinnen auch in Verwaltung, Medizin, Bildung und automatischer Sprachübersetzung zunehmend an Bedeutung. Dabei ist noch keineswegs die optimale Leistungsgrenze erreicht, denn Fachleute halten die Perfektion unserer Anlagen für mit dem Stand der Oldtimer in der Automobilentwicklung vergleichbar. Diese Situation sollte bei der finanziellen Ausstattung des zweiten Datenverarbeitungsprogramms für die Jahre 1971 und 1975 gebührend berücksichtigt werden.
Für außerordentlich wichtig halte ich die Verdreifachung des Betrages für Meerwasserentsalzung auf 8,8 Millionen DM; denn der zunehmende Bedarf an Süßwasser zwingt die Menschheit dazu, sich neue Wasserquellen zu erschließen. Im Rahmen eines Fünfjahresprogramms werden wir mit steigenden Beträgen vier Demonstrationsanlagen an der Küste errichten und eine Versuchsanlage zur Meerwasserentsalzung erproben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf die Annahme des Einzelplans 31 empfehlen, da er - entsprechend den Möglichkeiten - den bildungspolitischen Anforderungen entspricht.
({0})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Althammer. Seine Fraktion hat eine Redezeit von zwanzig Minuten erbeten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß die erste Rede in der Aussprache bereits gehalten wurde
({0})
- ja, so wollte er das wohl darstellen -, und darf nun für die Fraktion der CDU/CSU einige Anmerkungen machen, was uns hier im Einzelplan 31 vorliegt.
Es ist bedauerlich, daß die Zeit drängt, daß wir zu einer späten Abendstunde ein Sachgebiet behandeln müssen, das nicht nur von der Regierung und den Koalitionsparteien, sondern vorher schon von der CDU/CSU als die vorrangige Schwerpunktaufgabe dieses Parlaments bezeichnet worden ist.
Leider kann man nicht mehr davon ausgehen, daß reine Zahlenangaben und Angaben über die Steigerung der Ausgaben auch etwas darüber aussagen, was effektiv geleistet und erreicht worden ist.
({1})
Das ist ein Komplex, der mit der allgemeinen Wirtschaftspolitik zusammenhängt und der verschiedentlich schon beleuchtet worden ist. Es ist auch beim Einzelplan 31 so, daß wir mit dem Bericht, den wir soeben bekommen haben, eigentlich nur die Spitze eines Eisberges sehen, und daß wir uns, wenn wir ernsthaft diskutieren wollen, die Frage stellen müssen: Wie sieht denn das Gesamtgelände, wie sieht
das aus, was erforderlich ist, und das, was geleistet wird? Und da müssen wir ganz kühl und klar vorweg die Frage stellen: Wieviel finanziert der Bund, und was wird sonst finanziert?
({2})
Wir müssen feststellen, daß z. B. im Bildungsbereich 94 % der Kosten von Ländern und Gemeinden finanziert werden und nur 6 % vom Bund.
({3})
Wenn wir das wissen, gewinnt natürlich die Frage an Bedeutung, die die Länder nun seit einem Jahr stellen und auf die wir bis heute keine Antwort der Regierung bekommen haben, die Frage nämlich, wie man sich eigentlich in der Gesamtfinanzierungsplanung die Finanzierung der Aufgaben vorstellt, die die Länder und Gemeinden zu leisten haben. Wir haben jetzt etwas gehört und werden vielleicht in dieser Debatte noch etwas hören von den 6 %, die der Bund zu leisten hat. Die entscheidende Frage für die Bewältigung der Aufgabe aber ist die, wie die gesamten 100 % und wie insbesondere die 94 % der Länder und Gemeinden geleistet werden können.
Lassen Sie mich hier den Bereich der Hochschulbauten anführen, den der Herr Berichterstatter mit Recht sehr ausführlich behandelt hat. In den Debatten dieser Tage wurde immer wieder der stereotype Vorwurf erhoben: Wo ist die Alternative der Opposition? Wir haben diesen Vorwurf eben bei der Debatte über den letzten Einzelplan wieder gehört. Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen, wie die Debatte bei den Haushaltsberatungen des Jahres 1970 über den Bereich des Hochschulbaus gelaufen ist. Es waren für diesen Zweck 820 Millionen DM eingesetzt worden. Wir stellten fest, daß 75 Millionen DM davon von der Regierung gesperrt wurden. Hinterher stellte sich im Haushaltsausschuß die Frage, ob diese Sperren in Kürzungen umzuwandeln seien. Von seiten der Opposition, der CDU/CSU, wurde sofort gesagt: Im Hochschulbereich können wir uns unmöglich mit der Aufrechterhaltung einer Sperre von 75 Millionen DM oder gar mit einer Umwandlung in Kürzungen einverstanden erklären.
Nach langen Verhandlungen und nachdem wir gesehen haben, daß die Koalition nicht bereit war, unserem Antrag zuzustimmen, haben wir im Haushaltsausschuß in einer Kampfabstimmung eine Beseitigung der Sperre in Höhe von 50 Millionen DM erreicht, allerdings nur dank dessen, daß zwei Kollegen der Koalition bei der Abstimmung im Ausschuß nicht anwesend waren.
({4})
Man hat uns damals auch von seiten der Regierung erklärt, es sei völlig illusorisch, zu meinen, daß diese 820 Millionen ,DM im Jahre 1970 ausgeschöpft werden können. Zum Jahresende 1970 haben wir festgestellt, daß nicht nur die zusätzlichen 50 Millionen DM benötigt wurden, daß nicht nur der von uns zusätzlich durchgesetzte Zuflußvermerk zum Titel Hochschulbau in Höhe von 25 Millionen DM benötigt wurde, sondern daß uns hinterher noch ein zusätzlicher Antrag auf Gewährung von Mitteln in Höhe von 90 Millionen DM für weitere Ausgaben vorgelegt wurde. Auch dieser Antrag ist vom Haushaltsausschuß im Jahre 1970 noch einvernehmlich bedient worden.
({5})
Ich muß ausdrücklich feststellen, daß hier eine imponierende Leistung der Verantwortlichen in Bund und Ländern bei der Durchführung des Schnellbauprogramms und der sonstigen Sofortmaßnahmen vorliegt. Ich glaube, es steht auch der Opposition gut an, diesen Damen und Herren - wir wissen, daß sie sich, gerade auch im Ministerium, über ihre Arbeitszeit hinaus mit diesen Dingen beschäftigt haben - dafür Dank und Anerkennung auszusprechen.
({6})
Wenn Sie sich dieses Ergebnis vor Augen halten, werden Sie feststellen, daß der Sprung von 1970 auf 1971 plötzlich nicht mehr imponierend ist. 1970 standen 950 Millionen DM zur Verfügung; für 1971 sind es 1,02 Milliarden DM, also nur 52 Millionen DM mehr.
Es wird nun sicherlich darauf hingewiesen werden, daß daneben noch die Bildungsanleihe steht. Herr Kollege Enders hat ja schon auf die erste Tranche und auf das, was noch zu kommen hat, hingewiesen. Im Zusammenhang mit der Bildungsanleihe möchte ich gleich auf unseren Änderungsantrag hinweisen. Ich glaube, die Abgeordneten aller Parteien in diesem Bundestag sollten sich nicht damit zufriedengeben, daß ihnen gesagt wird: Hinterher kann sich der Haushaltsausschuß dann ja noch über ein Volumen von 260 Millionen DM plus 740 Millionen DM, die noch zur Debatte stehen, also über ein Volumen von insgesamt einer Milliarde DM unterhalten. Wir wissen doch, daß die Ausgabe dieser Milliarde haargenau am Plenum des Deutschen Bundestages vorbeigehen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Althammer, erinnern Sie sich nicht noch sehr genau an unsere lange Auseinandersetzung im Haushaltsausschuß über diese Frage, die damit endete, daß die Formulierung „mit Zustimmung des Deutschen Bundestages" eingefügt wurde, daß also festgelegt wurde, daß diese Ausgabe nicht am Gesamtparlament vorbeigehen kann?
Herr Kollege, wir haben diese Debatte im Ausschuß geführt. Wir wissen aber auch, daß kaum die Chance oder die Möglichkeit besteht, daß sich das Gesamtparlament mit diesen Dingen befaßt, weil diese Finanzierung außerhalb des Haushalts geschieht. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wir haben hier das Etatrecht. Wir haben immer die Auffassung vertreten, daß zum Etatrecht die Vollständigkeit des Etats gehört. Wir haben hier einen Schattenhaushalt, der in Höhe
von einer Milliarde DM neben dem Etat herläuft. Wenn Sie auch das noch in die Betrachtung einbeziehen, was im Bereich der Krankenhausfinanzierung geschieht, so sehen wir die große Gefahr, daß wir es im Zusammenhang mit der Finanzierung der Reformvorhaben unter Umständen mit einem Schattenhaushalt von über einer Milliarde DM zu tun haben werden, mit dem sich das Parlament nicht befassen kann. Ich sage das jetzt gar nicht polemisch, sondern ich bitte Sie sehr herzlich, das zu überdenken und sich zu überlegen, ob wir alle zusammen eine Form finden können, wie das ordnungsgemäß im Parlament im Rahmen des normalen Etats realisiert werden kann.
Nun zum zweiten. Es ist uns sicher allen klar, daß eine Bildungsanleihe niemals die Lösung des Problems bringen kann, niemals die Finanzlücke schließen kann, die zwischen 60 Milliarden DM und noch mehr im Laufe der mittelfristigen Finanzplanung zu klaffen beginnt. Wir müssen ganz andere Lösungen finden. Wir haben wiederholt angemahnt und jetzt erreicht, daß bis zum 15. April eine Frist gesetzt wird. Wir möchten, daß alsbald an die Lösung gegangen wird, damit nicht der Vorwurf bestehenbleibt, daß Reformankündigungen und Bildungspläne vorgelegt werden, daß man sich aber über ihre Finanzierung ausschweigt.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Numerus clausus und den benötigten Studienplätzen noch ein anderes Thema kurz anschneiden. Vom Steuerzahler wird gefordert, Jahr um Jahr erhebliche Beträge mehr in die Hochschulen hineinzustecken. Er muß sich auch fragen, ob die neugeschaffenen Studienplätze optimal ausgenutzt werden.
({0})
Sehr geehrter Herr Minister, der Bund hat nun die Kompetenz in diesem Bereich durch die Grundgesetzänderung im Hochschulrechtsrahmengesetz. Der Bund wird jetzt in eine sicherlich sehr explosive und unangenehme Diskussion hineinkommen. Sehr verehrter Herr Minister, ich glaube, es ist höchste Zeit, daß Sie ein deutliches Wort sprechen, ob es weiterhin zugelassen werden kann, daß Rote Zellen oder Basisgruppen planmäßig den Lehrbetrieb stören und zunichte machen, was wir an Studienangebot zu erreichen versuchen.
({1})
Ich habe zwei Abbildungen bei mir, die sehr bezeichnend sind: oben eine Äußerung von linksradikaler Seite, wo die Umwandlung der Universitäten in sozialistische Einrichtungen verlangt wird; darunter eine rechtsradikale Äußerung mit einem Galgen, wo es heißt: „Brandt und Ulbricht-Geregeltes Nebeneinander." An einem solchen Beispiel sehen Sie, was uns geschehen kann, wenn die demokratischen Gruppen im Lande dem nicht wirksam und rechtzeitig Einhalt gebieten.
({2})
Ich halte es für einen unmöglichen Zustand, wenn z. B. in Berlin zwar von den Verantwortlichen festgestellt wird, daß sich die Roten Zellen verfassungswidrig betätigen, man sich aber weigert, hieraus Folgerungen zu ziehen.
({3})
Ich darf kurz das Problem der „Dritten Ebene" behandeln. Wir erleben, daß durch das Zusammenwirken von Bund und Ländern immer mehr Planungsorganisationen geschaffen werden, die entscheidende Weichenstellungen vollziehen. Weder dieses Parlament noch die Länderparlamente haben aber Gelegenheit, darauf im Frühstadium den notwendigen Einfluß zu nehmen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Problem liegt auf dem Tisch. Wir waren genötigt, diese Dinge anzugehen, um zu einer wirksamen Zusammenarbeit zu kommen.
({5})
- Herr Kollege Moersch, ich will Ihnen nur so viel sagen, es ist in dieser Sache nicht zu spät. Man kann das noch in ein Kleid bringen. Diese Aufgabe ist hier gestellt. Es ist notwendig, daß wir insbesondere die Regierung darauf hinweisen, daß sie die notwendige Neugestaltung und Organisationsform findet, damit die Parlamente nicht auf kaltem Wege aus ihrer Verantwortung ausgeschaltet werden.
({6})
Als weiterer Komplex im Zusammenhang mit dem Studienangebot ist die Frage nach dem Niveau unserer Lehreinrichtungen und einiger Leute aufzuwerfen, die heute mit sehr fragwürdigen Mitteln versuchen, Berufungen als Professoren oder Lehrende durchzusetzen, die mit den Anforderungen und fachlichen Gesichtspunkten nicht mehr vereinbar sind.
({7})
Auch hier, sehr verehrter Herr Minister, wird es unvermeidbar sein, daß mit der Zuständigkeit, die der Bund bekommen hat, auch in der Sache etwas ausgesagt wird. Denn es erfüllt uns mit großer Sorge, wenn wir sehen, daß versucht wird, ohne die notwendigen Habilitationen oder sonstige Voraussetzungen zu erfüllen, über Mißbrauch von Mitbestimmungsmöglichkeiten fachlich nicht qualifizierte Leute einzuschleusen und in Positionen zu bringen. Das ist auch ein Problem, das mit dem Niveau des Bildungsangebots in der Bundesrepublik Deutschland zusammenhängt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß, wenn man mit Recht immer wieder den Vergleich zu dem Bildungsangebot und den Bildungsverhältnissen in den sozialistischen Ländern bringt, man nicht nur das herausgreifen darf, was einem gerade paßt, sondern daß man dann auch einmal vergleichen sollte, wie dort drüben in den sozialistischen Ländern von den Studierenden Leistungen verlangt werden, wie dort ökonomisch
verfahren wird und wie man es auf jeden Fall nicht zuläßt, daß Bildungseinrichtungen unzeitgemäß benutzt werden, daß Bummelstudenten aller Art die Studienplätze wegnehmen, wie es bei uns leider da und dort noch der Fall ist.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß Neuerungen eingeführt worden sind, im Medienverbund, mit neuen Formen der Studieneinrichtungen und ähnlichem. Ich darf nur der Vollständigkeit halber hinzusetzen, daß es erfreulich ist, daß man hier Dinge, die anderwärts dankenswerterweise in Angriff genommen worden sind, jetzt auch vom Bund her aufnimmt. Es ist ja bekannt, daß z. B. in Frage des Medienverbunds ein von mancher Seite so viel geschmähtes Land wie Bayern mit der Ausbildung über Fernseheinrichtungen - Telekollegs - vorbildlich und bahnbrechend gewesen ist. Ich sage ausdrücklich: ich begrüße es, daß hier etwas geschehen ist, um in diesen Dingen nachzuziehen.
Herr Minister, ich wollte Sie noch auf einen Komplex hinweisen, den ich jetzt auch nur mit einem Stichwort ansprechen kann, nämlich auf den Komplex der europäischen Zusammenarbeit. Sie haben hier eine sehr interessante Initiative Ihres österreichischen Kollegen in der Frage einer europäischen Bildungsdatenbank. Es wäre sehr lohnend, den Versuch zu machen, sehr rasch einen deutlichen Schritt weiterzukommen. Sie kennen auch die Misere in der Anerkennung der Studienzeugnisse im europäischen Bereich. Ja, sogar im EWG-Bereich sind diese Dinge nicht in Ordnung. Auf dem europäischen Sektor wäre hier, so glaube ich, ein sehr großer Nachholbedarf, der von dieser Regierung gesehen werden müßte.
({8})
Ich kann es mir nicht versagen, meiner Enttäuschung darüber Ausdruck zu geben, daß die groß angekündigte, versuchte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Bildungspolitik und vor allem der Technologie mit osteuropäischen Ländern bis heute absolut enttäuschend ist. Wir haben das im Haushaltsausschuß besprochen. Wir haben gesehen, daß die Mittel, die dafür vorgesehen waren, nicht ausgenutzt werden konnten. Ich glaube, es ist schlecht, wenn man hier Ankündigungen macht. Der jetzige Bundeskanzler machte damals als Außenminister in Rumänien große Ankündigungen, daß die technische Zusammenarbeit gefördert werden soll. Heute müssen wir feststellen, daß nach langer Zeit effektiv nichts erreicht worden ist. Also auch hier Fehlanzeige, auch hier ist noch eine ganze Menge nachzuholen.
Es ist leider im Rahmen dieser Debatte jetzt nicht mehr möglich, mit der notwendigen Ausführlichkeit auf den Bereich Atomforschung, Weltraumforschung, neue Technologie einzugehen. Ich glaube, dieses Hohe Haus wird sich einmal in einem größeren Zusammenhang mit diesen Fragen beschäftigen müssen. Ich kann auch hier nur einzelne stichwortartige Andeutungen machen. Mein Kollege Spilker wird nachher noch zu einem gesonderten Problem Stellung nehmen. Hier stehen viele Fragen zur Debatte, Herr Minister. Es ist wenig schön, wenn z. B. Betroffene aus einem „Spiegel"-Aufsatz entnehmen müssen, daß man daran denkt, eine so bewährte Organisation wie das Atomforum eventuell gar abzuschaffen. Darüber wird noch zu reden sein.
Ähnliche Lücken in der Zusammenarbeit zeigen sich auch bei dem Hochschulrechtsrahmengesetz, wo wir mit Erstaunen festgestellt haben, daß sich auch sozialdemokratische Ministerpräsidenten und Landesminister in einem Gegensatz zum Herrn Bundesminister befinden. Ich meine, das wird auch ein Hinweis darauf sein, daß in diesem Hochschulrechtsrahmengesetz, zu dem ja die CDU/CSU einen wesentlich ausführlicheren Gegenentwurf vorgelegt hat, sicherlich noch einiges zu ändern sein wird.
Wir sehen auch mit Sorge, daß nun neue Organisationsformen geschaffen werden sollen, die offenbar doch nicht in der notwendigen Weise mit den Betroffenen besprochen worden sind, sonst wäre es meines Erachtens nicht möglich, daß z. B. der Verband der Wissenschaftler an Forschungsinstituten zu diesen vorgeschlagenen Neuorganisationen der bundesfinanzierten Forschungseinrichtungen die Feststellung treffen kann - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -:
„Bundesminister Leussink hat sich um die deutsche Wissenschaft nicht verdient gemacht."
Das stellt ein solcher Kreis hier als Ergebnis ganz eindeutig fest.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wir haben die Feststellung zu treffen, daß nur dort weitergebaut worden ist, wo die früheren Minister Strauß, Balke, Lenz und Stoltenberg die Weichen bereits gestellt haben,
({9})
daß man im Bereich der Atomforschung, der Weltraumforschung, der neuen Technologien - und besonders im letzten Bereich: neue Technologien nicht den dringend erforderlichen weiteren Anstoß gefunden hat, sondern daß man allenfalls daran denkt, hier umzubauen oder abzubauen - sehr bedenkliche Erscheinungen! -, und daß die Grundsatzfrage der Bildungsfininzierung entgegen den großen und bombastischen Ankündigungen nicht bewältigt werden konnte. Deshalb kann die Fraktion der CDU/CSU dem Haushalt des Ministers für Bildung und Wissenschaft ihre Zustimmung nicht geben.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ein paar Worte zu dem sagen, was in den vergangenen Monaten von seiten der CDU/CSU und vor einigen Tagen von Herrn Wörner hier vorgebracht worden ist, daß nämlich - und das war ja wohl der Tenor eines großen Teils dieser Ausführungen - diese Regierung viel zuviel von Reformen rede und viel zuwenig Dinge anpacke.
Die Opposition sollte sich doch mit uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber klar sein, daß nicht etwa wir nach der Wahl vom 28. September 1969 damit begonnen haben, von Reformen zu reden, sondern daß vielmehr die Debatte in unserem Lande seit Jahren und immer dringlicher über die notwendigen Reformen geführt worden ist. Diese Reformen sind doch keine Erfindung der Poliker, und zwar weder der Politiker der Opposition noch der Politiker der Koalition. Die notwendigen Reformen werden in diesem Lande von den Bürgern des Landes seit langem und mit zunehmender Dringlichkeit gefordert. Man muß wohl auch feststellen das ist zunächst eine rein physikalische Feststellung -, daß mit zunehmender Länge der Regierungsverantwortung der CDU/CSU der Ruf nach Reformen immer lauter geworden ist.
({0})
Die Regierung hat nicht deswegen so viele Dinge anpacken müssen, weil wir uns alle überarbeiten wollen; davon kann gar nicht die Rede sein. Diese Regierung hat eine Lage vorgefunden, in der zahlreiche, seit Jahren aufgestaute Reformen unausweichlich zur Entscheidung anstanden und anstehen. Ich will gerne zugeben, daß bereits zur Zeit der Großen Koalition eine Reihe von Weichen gestellt worden ist, z. B. hinsichtlich der Zunahme der Kompetenzen der Bundesreigerung, die es jetzt auszufüllen gilt. Aber wenn man das schon seit längerem weiß, hätte man ja eigentlich auch erwarten können, daß eine entsprechende Vorbereitung, ein Planungsinstrumentarium hierfür geschaffen worden wäre, damit man für solche Dinge wie den Bildungsbericht oder wie die außerordentlich schwierige Arbeit der Bundesseite in der Bund-Länder-Kommission eben brauchbare Grundlagen angetroffen hätte. Und wir müssen doch wohl miteinander feststellen, daß diese Grundlagen erst im Laufe des letzten Jahres erarbeitet werden mußten und das Instrumentarium geschaffen werden mußte. Das geht nun einmal nicht von heute auf morgen.
({1})
Die Bedeutung, die die Bundesregierung der Bildungspolitik beimißt, hat sie durch eine Steigerung des Etats meines Hauses von 2,5 Milliarden DM im Jahre 1969 auf rund 3 Milliarden im Jahre 1970 und auf über 4 Milliarden DM im Jahre 1971, wie ich glaube, deutlich unterstrichen. In diesem Haushalt 1971 wird damit - das behaupte ich - ein Programm in Zahlen klar erkennbar.
Aber ich möchte an dieser Stelle gleichzeitig auch feststellen - und ich sage dies ganz bewußt als der verantwortliche Minister für Bildung und Wissenschaft -, daß wir uns davor hüten müssen und auch hüten werden, die Bildungs- und Wissenschaftspolitik isoliert, d. h. ohne ihre gleichzeitige enge Verflechtung mit den übrigen Bedürfnissen, die diese Gesellschaft hat, zu betrachten. Die Reform unseres Bildungswesens und der Ausbau von Wissenschaft und Technologie haben nicht nur eine Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft, sondern ebenso sind die Gesellschaft und eine florierende Wirtschaft die Voraussetzung dafür, daß Reformen und Expansion in diesen Bereichen überhaupt erfolgreich bewerkstelligt werden können.
Die Weiterführung unserer sozialen Demokratie wird zwar durch die Entwicklung von Bildung und Wissenschaft wesentlich geprägt, aber diese Entwicklung von Bildung und Wissenschaft ist ohne eine Fortentwicklung der sozialen und wissenschaftlichen Grundlagen unseres Staates ebenfalls nicht möglich. Diese beiden Dinge stets gleichgewichtig im Auge zu haben, ist bekanntlich nicht so einfach.
Das heißt, daß wir alle, die wir die große Bedeutung von Bildung und Wissenschaft bei den Reformen in unserem Lande sehen - ich bin Herrn Althammer sehr dankbar dafür, daß er diese Gemeinsamkeit hier soeben herausgestellt hat -, diese Reformen demnach immer im Gesamtzusammenhang betrachten müssen. Daß die Entwicklung der Einkommen, der sozialen Sicherheit, daß der Bau von Krankenhäusern und Altersheimen, von Straßen und Wohnungen neben den leider sehr großen Ansprüchen von Bildung und Wissenschaft gesehen werden müssen und daß wir das genauso klar sehen, können Sie uns, meine Damen und Herren von der Opposition, glaube ich, wirklich abnehmen.
({2})
Eine Planung der Prioritäten haben wir aber nicht vorgefunden,
({3})
und wir können nicht warten, bis dieser nicht von
uns zu vertretende Mangel völlig ausgeglichen ist.
({4})
- Wir haben nicht nur Pläne gemacht und Illusionen gehabt, verehrter Herr Martin, sondern auch mit Reformen begonnen. Der Bundeskanzler hat vor einigen Tagen bereits darauf hingewiesen, und das kann man doch nicht so einfach vom Tisch wischen, wie das etwa Herr Dr. Barzel mit einer Handbewegung getan hat.
Wir sehen in diesem hier zur Diskussion stehenden Einzelplan 31 - und noch deutlicher in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974 - weitere Reformschritte für 1971 und darüber hinaus deutlich genug markiert; auch darauf hat der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen vor einigen Tagen schon hingewiesen.
Es wurde vom Berichterstatter bereits ausgeführt, daß die Ausgaben für Bildung und Hochschulen im Jahre 1971 auf einen Betrag von 1,4 Milliarden DM anwachsen sollen und daß für Wissenschaft und Forschung die Summe von 2,6 Milliarden DM zur Verfügung stehen soll. Das heißt, wir werden ein Verhältnis von etwa 36 : 64 haben. Diese Zahlen zeigen - ich bin Herrn Enders dafür dankbar, daß er darauf von sich aus noch einmal hingewiesen hat -, daß die Forschung nach wie vor gleichberechtigt und gleichwertig neben der Bildung steht und auch in Zukunft, soweit wir etwas dazu tun können, mit entsprechenden Zuwachsraten nachhaltig gefördert werden soll.
Dem steht nicht entgegen, daß die Bundesregierung naturgemäß gerade im Bildungsbereich zunächst größere Aktivitäten entfalten mußte, um, wie vorhin schon angedeutet, Grundlagen zu schaffen. Die erheblich steigenden Mittel für Bildungsforschung in Höhe von etwas mehr als 90 Millionen DM sollten eine ausreichende praxisnahe Bildungsplanung mit ermöglichen helfen.
Ich freue mich, feststellen zu können, daß die notwendige Zusammenarbeit im Bildungsbereich zwischen Bund und Ländern inzwischen im großen und ganzen gut angelaufen ist. In der Bildungsplanungskommission konnte ein Instrument geschaffen werden, das ein gemeinsames, koordiniertes und planvolles Verhalten von Bund und Ländern erlaubt. Für den Erfolg dieser gemeinsamen Arbeiten, meine Damen und Herren, ist es dann allerdings auch von ausschlaggebender Wichtigkeit, daß die Länder mit uns der gleichen Meinung sind, daß schnell und entschlossen gehandelt werden muß. Das bezieht sich auch darauf, daß wir den von uns selbst und den Regierungschefs gestellten Termin des 31. Mai 1971 für die Fertigstellung des ersten gemeinsamen Plans einhalten.
Herr Althammer hat soeben noch einmal darauf hingewiesen, daß der Bund von dem Bildungsbereich bisher nur 6 % übernommen hat und somit nur einen geringen Betrag beiträgt. Das ist richtig. Nach meiner Meinung muß man aber, wenn man sich über diese Zahlen unterhält ich habe das hier, glaube ich, auch schon ein- oder zweimal gesagt -, fairerweise den Gesamtkomplex nehmen, nämlich Bildung und Wissenschaft. Auch da ist der Anteil des Bundes nicht etwa überragend - das hat sich aus der Entwicklung ergeben -, aber er ist inzwischen schon auf einen Satz von 17 bis 18 % angewachsen.
Nun sagen Sie, Herr Althammer, seit einem Jahr gehe der Ruf danach, wie die Lasten zwischen Bund und Ländern - man muß wohl auch noch sagen: und Gemeinden - verteilt werden sollen. Sie sind darüber enttäuscht, daß die Bundesregierung nicht aus eigenem Entschluß sagt, wie es sein soll. Ich würde doch gerade von Ihnen, aus der Ecke des Vaterlandes, aus der Sie stammen, erwarten, daß Sie anerkennen, daß wir weder den Inhalt noch die Art und Weise präjudizieren wollen, sondern gerade das zum Thema der Beratungen der Bund-Länder-Kommission gemacht haben. Das sollte doch klar gesehen werden. Andererseits gebe ich Ihnen gern zu, daß das uns und auch die Länder zwingt, mit unseren Arbeiten wirklich bis Ende Mai fertig zu werden.
Meine Damen und Herren, im Hochschulbau handelt es sich in diesem Jahr um den letzten Etat, der ohne eine eindeutige Ausrichtung an einem längerfristigen gemeinsamen Programm von Bund und Ländern auskommen muß. Vom nächsten Jahr an wird der Haushalt auf der Grundlage der gemeinsamen Rahmenplanung von Bund und Ländern stehen. Der erste Plan wird natürlich noch Unvollkommenheiten aufweisen. Aber er ist doch wenigstens ein Anfang. Wir werden darüber Anfang März dieses Jahres erstmals konkret beraten.
Die Bundesregierung hat für den Hochschulbau bereits im Jahre 1970 über den nach Abzug der Konjunktursperre verbleibenden Ansatz von 795 Millionen DM hinaus unter Einbeziehung der Ausgabereste, des Zuflußvermerks und einer überplanmäßigen Ausgabe insgesamt rund 940 Millionen DM ausgegeben. Für 1971 sind im Haushalt 1,02 Milliarden DM angesetzt.
Sie, Herr Althammer, haben dieses Dinge soeben noch einmal zum Inhalt Ihrer Erörterungen gemacht und darauf hingewiesen, daß wir seinerzeit Ihrem Vorschlag nicht mit Vehemenz gefolgt sind. Aber wenn ich mir die Ausführungen der Opposition hinsichtlich des konjunkturgerechten Verhaltens fast alle Tage in den letzten acht Tagen ansehe, so muß ich feststellen - und das müssen Sie uns doch zumindest zubilligen -, daß wir uns zu der Zeit, wo Sie viel lauter als alle anderen der Bundesregierung nachgesagt haben, sie habe kein Verständnis und kein Gefühl für die konjunkturelle Lage, mindestens in diesem Punkt konjunkturgerecht verhalten haben, indem wir nicht mit Vehemenz auf den Vorschlag eingegangen sind. Was wir dann wirklich bewerkstelligt haben, drückt sich in der soeben von mir nochmals bekanntgegebenen Steigerungsrate von 795 Millionen DM auf rund 940 Millionen DM aus, und daraus geht ja auch hervor, daß wir durchaus flexibel sind. Ich glaube, der Erfolg spricht dafür. Wie gesagt: für den Haushalt 1971 etwas mehr als 1 Milliarde DM. Der Bundesminister der Finanzen hat bereits in seiner Haushaltseinbringungsrede betont, daß dieser Betrag nicht ausreichen wird - das wissen wir alle miteinander, Herr Enders hat es auch noch einmal gesagt - und daß der notwendige Mehrbedarf aus dem Aufkommen der ersten Bildungsanleihe, die inzwischen eine Höhe von 260 Millionen DM erreicht hat, gedeckt werden muß.
Meine Damen und Herren, die erheblichen Aufwendungen für den Hochschulbau zeigen doch den deutlichen Willen und die Bemühungen dieser Bundesregierung, die Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen möglichst schnell zu beseitigen. Ich darf hier nochmals der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß wir den Numerus clausus in den meisten Fächern - und da gilt immer die Ausnahme der Humanmedizin - bis 1975 überwunden haben werden. Darauf ist das Programm angelegt.
({5})
Die Annahme, mit dem Hochschulbau sei es in den letzten Jahren bergab gegangen, trifft zwar für 1969 zu, nicht aber für 1970. Für 1970 ist eine solche Behauptung schlicht falsch. Das Gegenteil ist der Fall. 1970 war der erste größere Schritt - ich will noch gar nicht von einem großen Schritt reden - in Richtung auf das Zwischenziel, nämlich bis 1975 Studienplätze für 680 000 Studenten im Gesamthochschulbereich zu schaffen.
({6})
Das dokumentiert sich in einer in der Vergangenheit nie erreichten Steigerung des Bauvolumens, an der die von der Bundesregierung initiierten Schnellbaumaßnahmen einen wesentlichen Anteil haben. Ich darf mich im Namen meiner Mitarbeiter dafür
bedanken, Herr Althammer, daß Sie soeben anerkennende Worte für ihre Arbeit gefunden haben. Sie wissen aus intimer Kenntnis, daß das tatsächlich nur in Tag-und-Nacht-Arbeit überhaupt geschafft werden konnte.
({7})
Die Gesamtausgaben von Bund und Ländern für ab 1970 gemeinsam finanzierte Hochschulbauvorhaben stiegen von knapp insgesamt 1,4 Milliarden DM im Jahre 1969 auf 1,9 Milliarden DM im Jahre 1970. Die Bundesausgaben allein - weil das nicht in jedem Jahr genau 50 zu 50 ausgeht -, die von 1968 auf 1969 noch um 26 Millionen DM effektiv gefallen waren, stiegen im Jahre 1970 von 1969 aus gesehen von 616 Millionen DM auf 940 Millionen DM, Diese nominale Steigerung von rund 52 % entspricht selbst bei der behaupteten Baukostensteigerung von 18 % immer noch einer realen Erhöhung des damit finanzierten Bauvolumens von rund 30 %. Da aber im Hochschulbau die Preissteigerungen wegen überwiegend langfristiger Verträge 1970 noch nicht voll wirksam geworden sind - sie werden es in der Zukunft, das sehen wir natürlich auch -, ist hier eine geringere Preissteigerungsrate, nämlich von etwa 14 bis 15 %, realistisch. Das bedeutet dann eine reale Steigerung gegenüber 1969 von rund 33 %, also um rund ein Drittel. Es ist ein Märchen, wenn immer wieder behauptet wird, die Baukostensteigerungen hätten die Zuwachsrate aufgefressen, so schmerzlich selbstverständlich auch uns diese Baukostensteigerungen sind.
({8})
- Nein, sie haben sie nicht aufgefressen, sie haben sie angeknabbert.
Meine Damen und Herren, die Engpässe an den Hochschulen können wir aber nicht allein durch Bereitstellung erhöhter Mittel überwinden. Die Bundesregierung hat bereits im Bildungsbericht darauf hingewiesen, daß es im Hochschulbau nicht nur auf eine vermehrte Bautätigkeit, sondern in gleicher Weise - und das wurde vorhin auch noch einmal mit besonderem Nachdruck hier betont - auf eine Rationalisierung der Bauverfahren von der Planung bis zur Fertigstellung ankommt. Auch und gerade beim Aus- und Neubau von Hochschulen können wir uns keine Luxusbauten leisten.
({9})
Das Ziel ist, für die zu erwartenden Studentenzahlen - 680 000 im Jahr 1975 - die notwendigen Studienplätze zu schaffen. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir für den Flächenbedarf je Studenten in den Geisteswissenschaften realistische Richtwerte ansetzen und die Investitionskosten für den Quadratmeter Nettonutzfläche so weit wie möglich senken.
Darüber hinaus - und ich bin sicher, daß Sie alle mit mir einig sind - muß nach geeigneten Wegen gesucht werden, die vorhandenen und die neu zu schaffenden Kapazitäten besser auszunutzen, als das bei dem derzeitigen System von nur knapp 30 Wochen Vorlesungsbetrieb im Jahr und von heute doch oft nur viereinhalb Tagen Vorlesungsbetrieb pro Woche möglich ist.
({10})
Dabei muß man fairerweise aber auch anerkennen, daß in einer ganzen Reihe von Hochschulen inzwischen viel mehr zur besseren Kapazitätsausnutzung getan worden ist, als allgemein im Publikum bekannt ist.
({11})
- Das ist ja auch in der Zuständigkeit der Länder. Also wird es wohl richtig sein, daß die Länder anfangen, sich zu helfen.
Ich habe bereits am 30. Oktober 1969 von dieser Stelle aus deutlich darauf hingewiesen, daß wir von allen Beteiligten, besonders auch von den Studenten, erwarten müssen, daß sie auch in den nächsten Jahren eine Reihe von Einschränkungen gegenüber einem vorstellbaren Idealzustand hinnehmen werden. Natürlich würde auch ich den Flächenbedarf je Student in den Geisteswissenschaften lieber auf einen Wert von 6,0 bis 6,5 qm gesetzt sehen. Aber wenn es in anderen Ländern mit 4,0 bis 4,5 qm je Student zu schaffen ist, muß das auch bei uns mindestens für eine noch recht geraume Zeit möglich sein, und wir müssen uns damit auch noch viele Jahre zufriedengeben können.
Ich möchte es mir nicht ganz so leicht machen wie seinerzeit der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hinsichtlich der Universität Konstanz. Aber ich stimme mit ihm in der Tendenz doch überein: Für eine Reihe von Jahren muß der Begriff „Austerity" ganz groß über unser Hochschulbauprogramm geschrieben werden. Hier steckt offensichtlich noch eine ganze Menge Luft in unseren Programmen. Die Erfahrungen mit dem Schnellbauprogramm berechtigen da zu einigen Hoffnungen. Obwohl - denn vorher hat keiner vom Schnellbauprogramm gesprochen ({12})
erst Anfang 1970 vergeben, erbrachten sie in den Baukosten pro Quadratmeter Nutzfläche Ersparnisse um 10 bis 40 % gegenüber den gängigen Werten, die in der Größenordnung von 2000 bis 3500 DM pro Quadratmeter liegen.
({13})
Wie das Marburger und andere Beispiele zeigen, gibt es auch 1970 noch Hochschulbauten praktisch ohne Baukostensteigerungen. Ich gebe zu, daß hier die langfristige Vorausvergabe eine Rolle spielt, aber genauso auch ein rationelles Planungs- und Bausystem. Auf Grund der bisherigen Vorarbeiten sehe ich die reelle Chance, durch Anwendung solcher rationeller Methoden und durch Beschränkung auf das Notwendige unter der Überschrift „Austerity" einen großen Teil der teilweise nicht mehr rational zu begreifenden Kostensteigerungen aufzufangen. Wir werden in einigen Monaten hierzu Konkretes sagen können.
Herr Althammer, selbstverständlich sehen wir das Problem der Roten Zellen, und wir nehmen diese Frage ernst. Aber so ein bißchen war aus Ihren Ausführungen von vorhin zu spüren, daß wir durch solche Hinweise letztlich doch nur von dem wahren Kern der Dinge - dabei handelt es sich um sehr nüchterne Überlegungen zur besseren Kapazitätsausnutzung - abgelenkt werden sollen. Ich will nun meinerseits gar nicht von dem Problem der Roten Zellen ablenken.
({14})
Schwerpunkte im Haushalt sind neben der Bildung insbesondere die Datenverarbeitung und die neuen Technologien, auf die ich noch ganz kurz zu sprechen kommen möchte. Ich verstehe eigentlich nicht ganz, daß Sie vorhin gerade bei den neuen Technologien, wo es um Steigerungsraten von zum Teil weit über 100 % geht, Ihre kritischen Bemerkungen angebracht haben, es sei denn, Sie haben ganz neue, Sie besonders interessierende neue Technologien in Ihrem Blick, obwohl Sie das nicht ausgeführt haben.
Für den wichtigen und zukunftsträchtigen Bereich der Datenverarbeitung sollen 224 Millionen DM ausgegeben werden; das ist fast zweieinhalbmal soviel wie das Ist 1970. Die Mittel werden im Rahmen eines Zweiten Datenverarbeitungsprogramms eingesetzt, das diesmal von den Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft, für Wirtschaft, für Arbeit und Sozialordnung und vom Bundesministerium des Innnern gemeinsam durchgeführt werden wird.
Die Ausgaben für neue Technologien werden auf rund 87 Millionen DM ansteigen. Im Rahmen des Technologieprogramms werden Projekte und Einzelvorhaben der technologischen Forschung und Entwicklung gefördert mit dem Ziel, Innovationen, die zur Lösung von Aufgaben in den Bereichen Umwelt, Verkehr, Medizin, Information und Kommunikation erforderlich sind, beschleunigt herbeizuführen.
Noch ein Wort zu Europa. Herr Althammer, meine Erfahrungen auf diesem Felde sind langjährig. Ich weiß, wie schwierig das ist, und nur durch mühsame Kleinarbeit und durch bilaterale Arbeit ist dort etwas zu machen. Ich hoffe, daß Sie über das Vehikel Europa dazu beitragen werden, dies zu honorieren, wenn wir mit bescheidenen Stellenanforderungen kommen.
Nun noch einige Worte zu den Anträgen, die von der Opposition gestellt worden sind. Ich komme zunächst zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 119 *). Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann eigentlich nicht so recht verstehen, weswegen Sie glauben, hier nun schon wieder eine neue, d. h. eine dritte, Hildegard-Hamm-Brücher-Show veranstalten zu sollen. Eine bessere Reklame für Frau Hamm-Brücher ist überhaupt nicht denkbar. Wir sind Ihnen außerordentlich dankbar dafür, daß Sie diesen Antrag gestellt haben.
({15}) *) Siehe Anlage 17
Ich habe dazu vor einigen Wochen hier in der Fragestunde und dann auch noch im Haushaltsausschuß das, was ich glaube, Notwendige gesagt.
Abgesehen davon, daß ich es mindestens in Frage stelle, ob es haushaltsrechtlich möglich ist, eine besetzte Beamtenstelle zu streichen, möchte ich gern noch folgendes hinzufügen.
({16})
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier irgendwie unterschwellig auch der alte Adam der paternistischen Wertordnung hervorlugt,
({17})
für den konservative Gemüter natürlich noch anfälliger sind als der Rest der Menschheit. Da hat nun ausgerechnet eine Frau in einem beispiellosen Einsatz von körperlicher und geistiger Anstrengung und Leistung die FDP wieder in den Bayerischen Landtag hineinkatapultiert. Von der Theorie des Hinauskatapultierens aus gesehen ist das selbstverständlich ein Sakrileg,
({18})
vielleicht unter manchen Gesichtspunkten ein unverzeihliches Sakrileg. Ich verstehe, daß das besonders ärgerlich ist. Aber, meine Herren - und jetzt rede ich nur die Herren an -, ich würde doch vorschlagen, daß wir das etwas gelassener betrachten.
Mit ihrem Antrag auf Umdruck 120 **) verlangt die Opposition die Streichung der Leertitel für zusätzliche Maßnahmen im Hochschulbereich und in der allgemeinen Wissenschaftsförderung. Hierüber kann man gewiß streiten. Wir haben uns darüber im Haushaltsausschuß unterhalten, der bisher das hier vorgeschlagene Verfahren mit Mehrheit beschlossen hat. Und die Tatsache, daß auch der Vertreter des Bundesrechnungshofes dieses Verfahren bejaht hat, könnte doch eigentlich dazu führen, Herr Althammer, daß auch Sie Ihre Zustimmung dazu geben.
Zum Schluß der Antrag auf Umdruck 122 ***). Er befaßt sich mit der Universität Bremen. Meine Einstellung zu dieser Frage habe ich wiederholt öffentlich hier und auch anderswo bekanntgegeben. Ich glaube, wir brauchen diese Debatte zu dieser Stunde nicht neu zu entfachen. Ich bitte Sie, dem Antrag nicht zuzustimmen.
({19})
- Ich sehe jedenfalls nicht nur dort Gefahren, sondern auch an vielen anderen Stellen.
Meine Damen und Herren, Sie werden festgestellt haben, daß es inzwischen auf 22 Uhr geht. Ich möchte Sie deshalb bitten, die Dauer Ihrer Reden nicht nur an der Wichtigkeit der Materie, die unbestreitbar ist, sondern auch an dem harten Fortgang der Uhr zu messen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.
**) Siehe Anlage 18 ***) Siehe Anlage 19
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft ließt, wenn man ihn gar vergleicht mit früheren Etats des Ministeriums oder seiner Rechtsvorgänger, dann ist man sicherlich recht beeindruckt von der Entwicklung dieses Hauses seit 1955, seit seiner Gründung. Schaut man etwas näher zu, wird ein bißchen kritisch und liest auch einmal das Hausblatt der Regierungsparteien, dann merkt man, daß doch nicht alles so in Ordnung ist, wie man vorher vermutet hatte. Ich spreche von den Plänen des Ministers - vielleicht sind es schon Reformpläne -, das Beratungswesen in diesem Hause zu ändern, dabei aber so unter der Hand die Deutsche Atomkommission zu eliminieren, eine Kommission, die seit 1955 tätig war. Mir ist natürlich bekannt, daß wir in der Zwischenzeit ein Beratungsorgan für Forschungsfragen bekommen haben, das nach der Änderung des Namens des Ministeriums in ein Beratungsorgan für Bildung und Wissenschaft umbenannt werden soll. Wie gesagt, bei dieser Gelegenheit soll die Deutsche Atomkommission aufgelöst werden und dabei, was mir gleich schlimm erscheint, die so bewährte partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlicher Hand gefährdet oder gar zerstört werden.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Atomkommission ist gut 15 Jahre alt, wenn ich mich richtig erinnere. Sie wurde 1955 errichtet, und zwar im Dezember. Kurze Zeit vorher war ein neues Ministerium gebildet worden, das Bundesministerium für Atomfragen. Wie gesagt, das war die Gründung des Hauses, das sich heute Ministerium für Bildung und Wissenschaft nennt.
({0})
- Ich danke Ihnen vielmals für den Hinweis, aber bis jetzt habe ich mich ganz streng an die Übung gehalten, die Sie hier heute praktiziert haben.
({1})
- Ach, Herr Wehner, was soll denn jetzt wieder kommen? Ich höre gern zu, ich werde Ihnen sicherlich auch eine Antwort geben.
({2})
Ich möchte noch einige Worte über die partnerschaftliche Zusammenarbeit sagen, die ich soeben erwähnte. Im Jahre 1955, nach der internationalen Atomkonferenz in Genf, wurde eine Kernrektorbauund Betriebs-GmbH gebildet. Daran hat sich die Industrie neben dem Bund und dem Land BadenWürttemberg mit 50 % beteiligt. Ziel der Gesellschaft war der Bau eines deutschen Reaktors in Karlsruhe. Als die Arbeiten fortgeschritten waren, hat sich die Industrie als Gesellschafter zurückgezogen und ihren Anteil - es waren 30 Millionen DM - der öffentlichen Hand übertragen. Glauben Sie, daß es heute in Karlsruhe ein blühendes Kernforschungszentrum gäbe ohne die - natürlich neben der Tätigkeit aller Beteiligten - zusätzliche
Beratung durch Wissenschaftler und Wirtschaftler? Ohne die erwähnte Zusammenarbeit
({3})
- warten Sie nur ab - hätte es sicherlich die unbestreitbaren Erfolge auf dem Gebiet der Kernenergie überhaupt nicht gegeben.
({4})
Es gibt natürlich - das weiß ich - andere Zentren in der Bundesrepublik, Großforschungseinrichtungen etwa in Jülich, Geesthacht und München. Im Prinzip gilt das gleiche für diese Einrichtungen, was ich für Karlsruhe gesagt habe, und des gilt in gewissem Sinne auch für das Atomministerium, das 1955 mit kleinster Besetzung anfing und die Beratung durch die Atomkommission, die man jetzt auflösen will, dringend nötig hatte.
Ich darf übrigens noch auf folgendes hinweisen. Im Gegensatz zu anderen Beispielen wurden in die Deutsche Atomkommission keine Vertreter von Verbänden, Institutionen amtlicher oder halbamtlicher Art, oder Ministerien berufen, sondern ausschließlich Persönlichkeiten, die die Gewähr dafür boten, sachverständige und unabhängige Berater auf diesem schwierigen Gebiet der Wissenschaft zu sein.
({5})
Aber das scheinen Sie vergessen zu haben. Ich werde noch darauf zurückkommen.
Was ist nun aus dieser Kommission geworden? Sie könnten sagen: Wir brauchen diese Kommission heute nicht mehr, wir können das mit Ad-hoc-Kommissionen, mit Ad-hoc-Arbeitsgruppen machen, natürlich immer unter der Voraussetzung, daß das Ministerium die Aufgaben stellt. - Dabei meine ich, daß Aufgaben dieser Art von Verwaltungsbeamten allein gar nicht gestellt werden können. Das war damals, als wir die Atomkommission bildeten, ein Leitgedanke, weil wir meinten, Atompolitik kann man nicht allein mit Verwaltungsjuristen machen. Ich bin selbst einer gewesen. Gestatten Sie mir deshalb diese Bemerkung.
Wollte man erfolgreich sein, mußte man einen Weg zur Naturwissenschaft, Physik, Chemie und Technologie finden. Das ist geschehen mit dem Ergebnis, daß wir heute den Personen dieser Atomkommission durch den „Spiegel" mitteilen, ihre Beratung sei nicht mehr erwünscht. Es scheint mir überhaupt eine neue bzw. moderne Methode zu sein, bewährten Partnern durch die Zeitung oder durch eine Zeitschrift mitzuteilen, - ({6})
- Herr Wehner, ich glaube, daß man das früher mit einem Portier machte. Das stammt aber sicherlich aus Ihrer Zeit. In unserer Zeit hat man das jedenfalls nicht praktiziert. Ich habe diesem Hause selber angehört, darum nehme ich Ihnen das nicht ab.
Herr Abgeordneter Spilker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Flämig?
Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie mir, nachdem vorhin Herr Kollege Althammer behauptet hat, er habe im „Spiegel" gelesen, das Deutsche Atomforum solle aufgelöst werden, und Sie jetzt davon sprechen, Sie hätten im „Spiegel" gelesen, die Deutsche Atomkommission solle aufgelöst werden, bitte einmal sagen, was nun eigentlich aufgelöst werden soll und ob der „Spiegel" die richtige Quelle für solche Nachrichten ist?
({0})
Herr Kollege, ich muß Ihnen hier klipp und klar sagen, daß Sie über das, was mein Freund Althammer gesagt hat, im Zweifel ihn selber fragen sollten. Ich spreche hier von einer Äußerung des Herrn Staatssekretärs von Dohnanyi im „Spiegel". Ich rede nicht vom „Spiegel" allein, sondern von einer Äußerung des Staatssekretärs des Hauses, und bei dieser Äußerung geht es um die Deutsche Atomkommission. Ich glaube, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.
({0})
Herr Minister, ich möchte auch Ihnen noch ein Wort sagen dürfen. Sie waren leider nie mein Chef; sonst hätte ich es Ihnen früher schon gesagt. Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie bei Ihren organisatorischen Maßnahmen und Plänen nicht gerade darauf bedacht sind, den Beifall der Opposition zu finden. Das merke ich ja hier schon an einigen Zwischenrufen. Sie sollen aber wissen, daß Sie mit Ihren Plänen auch der Sache nicht dienen. Sie sollen auch wissen, daß Sie mit Ihren Plänen weder den Beifall der Wissenschaft noch das Verständnis oder gar den Beifall der Wirtschaft finden. Ich möchte hier nicht hintergründig werden, sonst würde ich Sie fragen: Warum wollen Sie eigentlich auf die kontinuierliche Beratung durch diese Kommission verzichten?
Ich erwähnte schon, daß Sie mit Ad-hoc-Ausschüssen dieser Frage nicht gerecht werden. Sie brauchen weiterhin die Beratung, die sich in den letzten Jahren als notwendig erwiesen hat. Sie brauchen sie auch jetzt, nachdem der Durchbruch zur wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie zwar gelungen ist, es aber noch sehr schwierige, vor allen Dingen technologische, Probleme zu lösen gibt.
Von Zeit zu Zeit wird es natürlich angezeigt sein, das Beratungswesen zu überprüfen, sei es in dem betreffenden Haus,
({1})
sei es in der Bundesregierung. - Schönen Dank für den Hinweis! Es wird auch notwendig sein, jüngeren Kräften zu gegebener Zeit Eingang in wichtige Beratungsgremien zu verschaffen. Vielleicht ist ein
neues Berufungswesen notwendig, vielleicht ein anderer Turnus!
({2})
- Das gilt auch für die Atomkommission. Sie werden aber niemals bei berechtigten Maßnahmen Schwierigkeiten haben mit den Personen, die im Laufe der Jahre - angefangen im Jahre 1955 - in die Deutsche Atomkommission berufen worden sind.
Im übrigen lassen Sie mich noch eines sagen: Ich glaube auch nicht, daß es der richtige Stil ist, diesen Persönlichkeiten durch den „Spiegel" mitzuteilen, daß ihre Beratung oder ihre Tätigkeit nicht mehr gewünscht wird. Das ist nicht der richtige Stil, auch nicht für einen Staatssekretär, vor allen Dingen dann nicht, wenn er erst ein Jahr in dem Hause tätig ist.
({3})
- Das war nicht die falsche Seite. Ich habe ganz bewußt zu Ihnen geschaut. Sie wissen auch aus Ihrer anderen Tätigkeit, worüber ich spreche.
Nun noch ein Letztes, Herr Minister. Damit darf ich einmal auf die rechte Seite schauen; es wurde hier ja auch so gewünscht. Eine Institution, Herr Bundesminister, ist sicherlich nicht deshalb schlecht, weil sie vor fünfzehn Jahren durch Beschluß einer anderen Bundesregierung geschaffen worden ist. Immerhin war es der Beschluß einer Bundesregierung. Genauso möchte ich Ihnen sagen, daß eine Institution auch nicht deshalb gut ist, weil Sie sie gestern oder vorgestern geschaffen haben oder sie für morgen planen. Versehen Sie lieber diese Atomkommission - auch wenn man ihre Möglichkeiten in den letzten Monaten nicht richtig genutzt hat - mit neuem Glanz, damit wir auch in der neuen Phase der Entwicklung der Kernenergie - der Kerntechnik - den Erfolg haben werden, um den wir uns auch früher bemüht haben! Bauen Sie lieber auf dem auf, was wir im Jahre 1955 begonnen und in den Folgejahren weiterentwickelt haben. Gefährden Sie diese Entwicklung nicht dadurch, daß Sie diese notwendige Institution auflösen! Ich sage das nicht, weil wir ihr zu Dank verpflichtet sind. Dank bezieht sich auf die Vergangenheit, und in der Politik gibt es keinen Dank. Ich sage das deshalb, weil wir diese Institution brauchen, weil sie wichtige, ja, wichtigste Aufgaben heute, morgen und übermorgen zu erfüllen hat.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich, Herr Kollege Spilker, Ihren Namen auf der Rednerliste vor mir fand, habe ich zunächst einmal im Bundestagshandbuch nachgesehen, denn ich dachte, wir bekämen einen neuen Stern in diesem Felde. Darüber hätte ich mich natürlich gefreut. Nachdem ich Ihnen zugehört habe, bedaure ich nun aber nicht mehr, daß Sie dem Wissenschaftsausschuß, der mit den Atomfragen zu tun hat, während
der Jahre, die ich ihm angehöre, Ihren Rat an Ort und Stelle nicht gegeben haben.
({0})
Herr Präsident, ich möchte unsere Änderungsanträge gern gleich mit behandeln. Bei der fortgeschrittenen Zeit läßt sich das sicher rechtfertigen.
Ich will dem Haus aber doch nicht vorenthalten, wie der Fachausschuß in seinen Beratungen im November diesen Haushalt 1971 beschieden hat. Ich werde Ihnen den Antrag vorlesen, der dort ohne Gegenstimme angenommen wurde. Er macht deutlich, wie die Situation damals war. Der Antrag lautet:
Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft anerkennt die beträchtlichen Steigerungen der Mittel für Bildung und Wissenschaft im Einzelplan 31 des Haushalts für 1971. Er sieht darin einen wichtigen Schritt zur Erreichung der im Bildungsbericht der Regierung 1970 genannten Ziele. Er rechnet damit, daß die Bundesregierung auch weiterhin die Finanzierung der wachsenden Aufgaben und Ausgaben für Bildung und Wissenschaft sicherstellen wird.
Das ist eine schöne, klare Feststellung des Fachausschusses, der nicht widersprochen worden ist.
({1})
Wie hätte ihr auch widersprochen werden sollen, waren doch die Beratungen gerade dieses Haushalts im Fachausschuß von einer geradezu, ich hätte fast gesagt, idyllischen Eintracht getragen. Außer dem Bremer Antrag, mit dem wir uns heute auch wieder zu befassen haben, ist kaum ein Wort der Kritik, kein Änderungsantrag gekommen. So war die Lage. Es schien also so, und es scheint so, daß die im Fachausschuß beteiligten Kollegen mit der Behandlung der Dinge ganz einverstanden gewesen sind.
Urn so unverständlicher ist es mir, daß Sie diesen Etat nun nicht mit annehmen wollen. Dann hätten Sie doch damals nach den Beratungen im Fachausschuß dem abschließenden Antrag widersprechen und gegen ihn stimmen müssen. Es mangelt hier doch an Konsequenz. Ihre Haltung ist auch deshalb erstaunlich, weil gerade dieser Haushalt in vielen Positionen - ich will es Ihnen ersparen, zu sagen, in welchen, weil das jetzt zu weit führte - zeigt, daß wir endlich davon ausgehen können, daß die Bundesregierung eine klare, wohlgegliederte und für jedermann einsichtige Konzeption hat, mit der wir arbeiten können. Sie schlägt sich im Bildungsbericht nieder, der ein wandlungsfähiges, soziales, einheitliches, demokratisches und leistungsfähiges Bildungssystem anstrebt und den Ländern das Angebot der Mitarbeit macht. Auf dieser Grundlage ist die Mitarbeit der Länder in der Bund-LänderKommission schon aktiviert worden. Diese Arbeit kann man nur begrüßen und loben.
Wenn ich mir das in Berlin beschlossene und in Düsseldorf geänderte Programm der CDU für den Bildungsbereich ansehe, komme ich zu dem Schluß, daß man dort auch den Bildungsbericht der Bundesregierung honoriert, denn in wesentlichen Punkten hat man sich in diesem Programm bemüht, nachzuziehen und auf den gleichen Level zu kommen, auf dem die Regierung und die Parteien der Koalition vorher schon gewesen sind. Das spricht aus vielen Zeilen heraus.
({2})
- Frau Dr. Walz, bitte schön!
Herr Kollege Raffert, ist Ihnen nicht klar, daß der Bildungsbericht der Bundesregierung lediglich aus Ergebnissen des Wissenschaftsrats und des Bildungsrats besteht?
Frau Dr. Walz, wenn Wissenschaftsrat und Bildungsrat in ihren Zuarbeiten und Vorarbeiten mit den Konzeptionen der Regierung fast nahtlos übereinstimmen, ist das außerordentlich erfreulich. Das ist nur zu begrüßen. Mehr kann man doch schließlich gar nicht verlangen. Wenn Sie mit dem Wissenschaftsrat in wesentlichen Punkten nicht übereinstimmen - z. B. mit seiner Formulierung über die Gesamthochschule, an die Sie sich sehr vorsichtig herantasten -, kann ich daran nichts ändern. Ich kann das nur schlicht feststellen.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Raffert, ist Ihnen eigentlich bekannt, daß der Bildungsbericht der Bundesregierung dem Bericht des Wissenschaftsrates folgte, daß er - das hat der Bundesminister hier übrigens gesagt, und das machen wir ihm auch gar nicht zum Vorwurf - in den Haupttendenzen abgeschrieben worden ist?
Ist Ihnen ferner nicht bekannt, daß das „Berliner Programm" der CDU/CSU
({0})
- Verzeihung, das „Berliner Programm" der CDU
({1})
erheblich früher verabschiedet worden ist, nämlich bevor der Bildungsbericht überhaupt vorlag? Wenn es also schon um Prioritäten geht, wäre es gut, wenn Sie die Chronologie beachteten.
Aber, Herr Kotowski, ich darf doch wohl feststellen, daß die bildungsprogrammatischen Aussagen sowohl von Sozialdemokraten als auch der Freien Demokraten längst vorlagen und die Ergebnisse des Wissenschaftsrates und des Bildungsrates diese programmatischen Aussagen bestätigt haben.
({0})
Das ist doch völlig klar, und das war zu der Zeit, als Sie Ihr Programm verabschiedeten, schon zu ersehen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte zu diesem Programm nur noch eine Bemerkung machen. Herr Althammer hat uns hier mit beredten Worten darauf hingewiesen, wie sehr das Bildungssystem in der Deutschen Demokratischen Republik auf den Bedarf hin ausgerichtet sei und deswegen so gut funktioniere. Wenn man Ihr Programm der CDU liest, kommt einem der Verdacht, daß hier sehr enge Beziehungen bestehen, denn auch Ihr Programm orientiert sich im wesentlichen am Bedarf. Ich könnte aus der mir vorliegenden Sammlung eine ganze Reihe sehr schöner Zitate bringen. So hat z. B. der Kollege Dr. Martin am 25. November 1966 gesagt:
({2})
Wenn wir den Bedarf kennen, haben wir die Aufgabe, die Ausbildungszahlen, die Abiturienzahlen, auf diesen Bedarf abzustimmen.
({3}) Die Reihe solcher Zitate ließe sich fortsetzen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will mich jetzt noch den Anträgen zuwenden, um das Haus nicht zu ermüden.
Zu dem Antrag betreffend Frau Hamm-Brücher hat sich der Minister so klar geäußert, daß ich dem nur noch die Frage hinzufügen kann: Wo möchten I Sie sie denn nun eigentlicher lieber haben, hier oder in Bayern?
({5})
Sie möchten sie lieber in Bayern haben. Ja, da wird sie auch dringend gebraucht. Aber so, wie sie ihre Aufgaben erfüllt, kann sie hier wie dort das leisten, was von ihr erwartet werden muß.
({6})
Was den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 120 betrifft, darf ich an meine Zwischenfrage zur Überschrift dieses Titels erinnern. Hier geht es um die Bildungsanleihe und um die Frage, wo sie eingeordnet und vor allen Dingen wann sie in den Haushalt aufgenommen werden soll. Dazu heißt es eindeutig, daß die Mittel mit Zustimmung des Deutschen Bundestages freigegeben werden können. Das ist ein einfacheres, weil zügigeres Verfahren als das Verfahren eines Nachtragshaushalts, das Sie uns hier aufzwingen wollen. Das geht nicht am Haushalt, auf keinen Fall am Hause vorbei. Es wird von diesem Hause entschieden und gelangt dann in den Haushalt, ist aber schneller und flexibler zu machen. Das ist nötig bei dem, was wir zu tun haben.
Der letzte Punkt betrifft den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 122, den berühmten „Bremen-Antrag". Der Minister hat auf seine Antwort auf Ihre Kleine Anfrage - Drucksache VI/1072 - hingewiesen, worin die Bundesregierung klargestellt hat, daß die Universität Bremen nach den Vorschlägen des Wissenschaftsrates finanziert werden solle und der Bund diesen Vorschlägen zu folgen gedenke.
Ich darf Sie auf einen Vorgang in Bremen hinweisen, den wir mit großem Interesse und - ich sage das für meine Person - auch mit großer Freude beobachten, nämlich den Andrang von potenten Bewerbern auf die Positionen an der Universität Bremen, die ausgeschrieben worden sind.
({7})
- Herr Dr. Schober, Sie haben gefragt, wo sie herkommen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Herr Professor Friedrich-Wilhelm Bauer, Mathematiker, Stadtverordneter in Frankfurt und Mitglied der Fraktion der CDU, hat sich um eine solche Stelle in Bremen beworben. Das ist doch eine gute Sache, und ich bin sehr erfreut darüber, daß auch diese Farbe auf der Palette dort erscheint,
({8})
obwohl Herr Müller-Hermann gesagt hat: wir wollen unsere Leute nicht für die Bremer Universität werben, und obwohl Herr Bauer von seinen Parteifreunden gewarnt worden ist. Er hat allerdings gesagt, er könne nicht erkennen, daß in der Ausschreibung irgendwelche politischen Vorbedingungen gestellt würden. Er will dorthin gehen, und das halte ich für gut. Das beweist aber auch, daß Ihr Antrag neben den Realitäten liegt.
Meine Fraktion wird die genannten Änderungsanträge ablehnen und dem Haushalt zustimmen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Grüner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten spricht an dieser Stelle dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft
({0})
- Ich dachte, Sie hätten es nicht verstanden. Ich muß vielleicht noch deutlicher werden.
({1})
- Sie sind sich Ihrer Sache offenbar sehr sicher. Was Sie jetzt zu hören kriegen, ist aber nicht selbstverständlich. Aber Sie verzögern die Sache nur, wenn Sie meine Worte durch Ihr Gelächter vorwegzunehmen versuchen.
Wir möchten hier mit großer Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß das Ministerium in fünf Vierteljahren seiner Tätigkeit in dieser Legislaturperiode sehr beachtliche Initiativen entfaltet hat, die auch angesichts der unzulänglichen personellen
Situation und der recht schwierigen Verfassungslage, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, besondere Beachtung verdienen. Vor allem ist hier der Bildungsbericht der Bundesregierung, der ein wegweisendes Programm für die kommenden Jahre geschaffen hat, zu erwähnen. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang sagen, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Ihr Antrag auf Streichung der Stelle von Frau Staatssekretär Dr. Hamm-Brücher ein parlamentarischer Beitrag ist, den wir als einen Beitrag zu würdigen wissen, den man nicht als sachlich bezeichnen kann, obwohl Sie sich in Ihren Beiträgen immer bemühen, die Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen, mindestens verbal.
({2})
- Wahrscheinlich. Ich würde sagen, daß ein solcher Antrag ein recht bescheidenes und anspruchsloses Vergnügen für eine so große Fraktion darstellt.
({3})
Die Steigerungen, die in dein vorliegenden Haushalt in der mittelfristigen Finanzplanung für Bildung und Hochschulen einerseits, für Wissenschaft und Forschung andererseits vorgesehen sind, finden unsere Zustimmung. Dabei wollen wir mit Nachdruck sagen, daß diese Steigerungsraten noch ansteigen müssen und daß wir in der Zukunft mit höheren Zuwachsraten rechnen wollen.
Das Schnellbauprogramm zur Linderung des Numerus clausus ist vom Herrn Minister schon erwähnt worden. Wir halten es für sehr bemerkenswert, daß es nach diesem Schnellbauprogramm innerhalb von eineinhalb bis zwei Jahren möglich sein wird, 32 000 zusätzliche Studienplätze zu schaffen, und zwar zur Hälfte für die Geisteswissenschaften, zur anderen Hälfte für die Naturwissenschaften einschließlich der Medizin.
Bei der Debatte dieses Haushalts muß auf die Forschungsförderung besonderes Augenmerk gerichtet werden. Die Erhöhung der Mittel für die Grundlagenforschung, vor allem in der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und - was uns im Interesse der Forschung an den Hochschulen besonders am Herzen liegt - im Sonderforschungsbereich an den wissenschaftlichen Hochschulen, stellt einen ersten Anfang dar. Ich verweise hier auf die schon erwähnte Verlagerung der Schwerpunkte in den großen Programmen Kernforschung und Kerntechnik einerseits, Weltraumforschung und Luftfahrtforschung andererseits sowie auf die schon erwähnte Unterstützung zukunftsträchtiger Technologien, wobei wir der Datenverarbeitung einen besonderen Rang zuerkennen. Aber auch die Errichtung neuer Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen für Informatik, Meeresforschung und Umweltschutz, vor allem aber auch die schon seit langem fällige Beachtung der Sozialwissenschaften, die in der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung ihren Niederschlag gefunden hat, verdienen hier Erwähnung.
Wir werten in diesem Zusammenhang den festzustellenden Rückgang der Abwanderung junger deutscher Wissenschaftler ins Ausland, die vermehrte Rückgewinnung deutscher Forscher aus dem Ausland und sogar eine festzustellende vermehrte Bewegung von ausländischen Wissenschaftlern an deutsche Forschungseinrichtungen als besonders erfreulich.
({4})
- Ich stelle hier lediglich die Tatsache fest. Ich gebe Ihnen gern zu, daß das viele Gründe hat. Aber ich glaube, Sie würden es nicht begrüßen, wenn ich an dieser Stelle einmal auf diese vielen Gründe einginge; denn dann würden wir mit unserem Zeitplan nicht zurechtkommen.
Auf dem Sektor der rechtlich selbständigen Forschungseinrichtungen - das sei hier angemerkt - legen wir Wert auf eine Reform der Struktur und Organisation in Zusammenarbeit mit allen an diesen Forschungseinrichtungen tätigen Mitgliedern dieser Forschungsinstitutionen.
Wir begrüßen die Aufnahme der Tätigkeit des Planungsausschusses nach dem Hochschulbauförderungsgesetz sowie der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Wir halten es jedoch für erforderlich, daß die Arbeit und die Koordinierung dieser Gremien mit den Beratungsgremien, wie z. B. dem Wissenschaftsrat, noch einmal gründlich neu überdacht und geprüft werden, sobald die Einrichtung einer Bundeshochschulkonferenz, die wir für zweckmäßig halten würden, in greifbare Nähe gerückt sein sollte.
Die Debatte dieses Haushalts, meine Damen und Herren, findet zu einem Zeitpunkt statt, in dem ein Kernstück der Arbeit des Ministeriums, nämlich das Hochschulrahmengesetz, durch die Haltung des Bundesrates gefährdet wird. Wir haben es hier mit einem Aufstand der föderalistischen Kulturbürokratie zu tun
({5})
- lassen Sie mich das begründen -, die um ihre Kompetenzen bangt und sich Schützenhilfe vor allem von den Konservativen verspricht.
({6})
- Gedulden Sie sich! Ich gehe auf diese Zusammenhänge noch ein. Ich halte sie für lohnend.
Nach Auffassung der Freien Demokraten geht es bei dieser Auseinandersetzung nicht nur um wichtige Einzelfragen - die durchaus diskussionswürdig sind , sondern es geht um den Kern der Reform, nämlich den Gedanken der integrierten Gesamthochschule, die mit ihren abgestuften Bildungsgängen allein zu einer wirklichen Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Hochschulwesen führen kann.
({7})
Wir haben allen Grund, den Kritikern des Hochschulrahmengesetzes vorzuwerfen,
({8})
daß sie im Grunde nur den Begriff, aber nicht die Sache selbst bejahen, wenn sie nun versuchen, die zwingende Vorschrift über die Einführung der integrierten Gesamthochschule in eine Kann-Vorschrift umzuwandeln.
({9})
- Selbstverständlich haben einzelne Länder, insbesondere Flächenstaaten, Schwierigkeiten bei der Schaffung integrierter Gesamthochschulen.
({10})
- Aber das haben Ihre Kollegen im Bundesrat, Herr Stücklen, als eine besondere Schwierigkeit gekennzeichnet. Diesen Schwierigkeiten ist in den ausführlichen Vorgesprächen ausreichend Rechnung getragen worden. Niemand wird erwarten, daß Gesamthochschulen über Nacht aus dem Boden gestampft werden können. Aber es geht um die innere Struktur, um die Neuordnung der Studieninhalte. Hochschulen bisheriger Art werden ohne Zweifel noch einige Zeit daneben bestehenbleiben, wenn auch ohne statusrechtliche Unterscheidungen.
Gerade weil die Hochschulreform ein langfristiger Prozeß ist, müssen wir uns ein klares Bild vom Inhalt der Reform machen und uns zu diesem Bild durchringen, das sicher erst in zehn Jahren volle Gültigkeit und volle Praktikabilität erhalten kann. Deshalb ist es für uns Freie Demokraten eine große Enttäuschung, daß wesentliche Grundsätze des Entwurfs des Hochschulrahmengesetzes im Bundesrat nicht anerkannt worden sind. Die Ursachen für diese Haltung des Bundesrates sehen wir vor allem in folgendem: einmal im Bestreben der Länder im allgemeinen, möglichst wenig Kompetenzen abzugeben, zweitens in der Tatsache, daß die Opposition die Reform zwar lautstark im Munde führt, sich aber in den von ihr regierten Ländern nicht ernsthaft um die Durchsetzung dieser Reformen bemüht.
({11})
Wir haben es hier mit einer sehr eigenartigen Konstellation zu tun, die sehr ernst zu nehmen ist. Der CSU beispielsweise geht der Regierungsentwurf viel zu weit. Einigen Kultusministern und Senatoren der Länder, die Parteien der Regierungskoalition angehören, geht dieser Entwurf nicht weit genug.
({12})
Das Ergebnis jedenfalls, das wir alle hier mit Besorgnis registrieren müssen, ist eine Koalition der Negation.
({13})
Und ich möchte hier nur mit einem Satz das Bedenkliche eines solchen Tatbestandes für unsere Kulturpolitik, für unser Bemühen, diese Kulturpolitik nach föderalen Grundsätzen zu gestalten,
deutlich ansprechen. Viele Länder wollen nicht nur dem Bund gegenüber wenig Kompetenzen abgegen, sondern sie wollen darüber hinaus auch ihren Einfluß gegenüber den Hochschulen noch verstärken und damit dem Autonomiegedanken, der eine Grundlage für die integrierte Gesamthochschule darstellt, Abbruch tun.
Es sei in diesem Zusammenhang nun wirklich einmal daran erinnert, mit welchem Nachdruck wir Freien Demokraten in der letzten Legislaturperiode in diesem Hause den Antrag gestellt haben und für den Antrag eingetreten sind, das Hochschulwesen in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes einzubeziehen. Diese von uns mit guten Gründen vertetene Auffassung, die von vielen Kollegen dieses Hauses in anderen Fraktionen geteilt wird, hat sich damals leider nicht durchgesetzt. Ich möchte auf die Gründe hier nicht eingehen. Das heißt allerdings nicht, daß wir nicht bereit wären, diese Anträge mit Nachdruck zu wiederholen, wenn sich unsere Befürchtung bestätigen sollte, daß die dem Bund eingeräumte Rahmenkompetenz ihre Bewährungsprobe nicht besteht.
({14})
Sicher würde der Bundesrat einer solchen Initiative nicht zustimmen. Aber dieses Haus kann in die Lage kommen, in dieser Frage einmal eine klare und deutliche Meinung auszudrücken, dann nämlich, wenn in aller Öffentlichkeit deutlich werden sollte, daß die divergierenden Kräfte zwar zu einem Nein sich zusammenzufinden vermögen, daß sie aber nicht in der Lage sind, zu einer klaren, realisierbaren, praktikablen Alternative zum Regierungsentwurf zu kommen.
({15})
Die Problematik des Föderalismus wird von der Öffentlichkeit gerade im Hochschulbereich besonders kritisch empfunden . Daß das Hochschulrahmengesetz nun auf solche Schwierigkeiten gestoßen ist, wird sicher dazu beitragen, dieses kritische Bewußtsein der Öffentlichkeit weiter zu schärfen. Gerade die Erarbeitung der Grundsätze des Hochschulrahmengesetzes war doch ein Musterbeispiel für eine intensive Zusammenarbeit mit einem sehr weitgehenden Gedankenaustausch zwischen Bund und Ländern auf der einen Seite und den autonomen Hochschulgruppen, den Gewerkschaften und anderen Interessenverbänden auf der anderen Seite.
An dieser Stelle halte ich es für richtig, anzumerken, daß wir Freien Demokraten die Schaffung einer Bundeshochschulkonferenz, über deren Zusammensetzung man sich unserer Meinung nach einigen könnte, für erstrebenswert halten,
({16})
weil wir der Auffassung sind, daß damit die Meinungsbildung in Hochschule und Gesellschaft und in den Palamenten positiv beeinflußt werden kann und erhebliche Reibungsverluste vermieden werden könnten. Im gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings darf sich niemand darüber wundern, wenn die Enttäuschung allgemein groß ist, daß diese faire öffentGrüner
liche Diskussion über das Hochschulrahmengesetz nicht zu einem besseren Ergebnis im Bundesrat geführt hat.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch, daß das Hochschulrahmengesetz in der Form der Regierungsvorlage das beste ist, was angesichts unserer Verfassungslage zu schaffen war. Wenn auf der einen Seite an den Hochschulen gegen den Regierungsentwurf protestiert wurde und dieser Entwurf als allzu staatsfreundlich apostrophiert wurde und auf der anderen Seite der Bundesrat aus überwiegend gegensätzlicher Auffassung in weiten Teilen diesen Gesetzentwurf abgelehnt hat, dann ist daraus zu erkennen, mit welch sicherem Schritt die Regierung und die sie tragenden Parteien den schmalen Grat betreten haben, den nun einmal diese Rahmenkompetenz des Bundes allein zur Verfügung gestellt hat.
({17})
Als überzeugte Föderalisten wünschen wir Freien Demokraten, daß die Hochschulpolitik auf diesem schmalen Grat sicher voranschreiten wird, denn wir sind der Auffassung, daß der Föderalismus in Deutschland nicht bestehen bleiben wird, wenn er sich nicht im Bereich der Bildungspolitik sichtbar bewährt, wenn er seine Arbeitsfähigkeit und Lebensfähigkeit nicht nur glaubhaft macht, sondern auch sichtbar unter Beweis stellt.
({18})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Heute vormittag war sie im Bayerischen Landtag, Herr Stücklen.
({1})
Überschrift: Die Deutsche Atomkommission deren derzeitiger Vorsitzender ich bin. Verehrter Herr Spilker, haben Sie sich das richtig überlegt? Ist Ihnen klargeworden, welchen Bärendienst Sie sowohl der Deutschen Atomkommission als auch der deutschen Industrie, der ich ja gar nicht so fern stehe, soeben geleistet haben? Nach dieser Synonymisierung wird es für diejenigen in der Deutschen Atomkommission, die zufällig auch Bosse in der Industrie sind, sehr schwierig sein, weiter unvoreingenommen in ihr tätig zu sein. Ich bedauere das sehr.
({2})
Ich habe diese Kommission, die ich von meinem Vorgänger übernommen habe, niemals in der Identifizierung gesehen, wie Sie sie, Ihnen anscheinend ganz unbewußt, hier zum Ausdruck gebracht haben.
Was ist denn geschehen? Wir haben einen Beratenden Ausschuß für Forschungspolitik, von meinem
Vorgänger geschaffen, der auch die Aufgabe hat, das Beratungswesen des Ministeriums zu überprüfen. Da gibt es eine Arbeitsgruppe des Ministeriums, die Vorschläge gemacht hat. Diese Vorschläge werden zur Zeit in diesem Beratenden Ausschuß für Forschungspolitik beraten. Da gibt es kontroverse Diskussionen. Beschlossen ist noch nichts.
({3})
Sie sprechen von Stilfragen. Sie können doch der deutschen Presse, zu der auch der „Spiegel" gehört, nicht verbieten, darüber zu berichten, wenn solche Diskussionen im Gange sind. Sie bleiben ja doch nicht unter den 15, 16 Mitgliedern, sondern werden dann in weiteren Gremien diskutiert. Daraus eine Stilfrage für das Ministerium zu machen, ist doch wirklich etwas weit hergeholt.
({4})
Wir gehen sogar so weit - das hat mein Vorgänger so angelegt -, daß wir selbst die Zusammensetzung des Beratenden Ausschusses für Forschungspolitik in Frage stellen. Auch da sind selbstverständlich noch Verbesserungen anzubringen. Also ich muß schon sagen, das alles scheint mir sehr in der Nähe eines Eigentors zu liegen, das soeben geschossen worden ist.
({5})
Die Anregung, das Beratungswesen gründlich zu überholen, kommt nicht etwa nur von uns. Darauf werden wir dauernd im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft angesprochen. Herr Althammer ist dankenswerterweise nicht der letzte, der immer wieder darauf hinweist, daß hier etwas „gestreamlinet" werden müßte.
Herr Spilker, Sie haben gesagt, die deutsche Industrie habe der öffentlichen Hand in Karlsruhe 30 Millionen DM geschenkt.
({6})
Nachdem sie abgeschrieben waren, doch wahrscheinlich! Ich darf Ihnen nur ein Beispiel anführen, den Hochtemperaturreaktor 300 in Schmeehausen, der dort entstehen soll. Wenn ich kontern sollte - ich tue das aber nicht -, müßte ich sagen, die öffentliche Hand schenkt der deutschen Industrie auf diesem Wege 400 Millionen DM Steuergelder. Vom Schnellen Brüter und allem anderen will ich einmal absehen. Das sind doch Vergleiche, die einfach nicht im Raume stehenbleiben können, damit die deutsche Industrie nicht in ein falsches Licht kommt.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion habe ich die Ehre,
({0})
den Änderungsantrag auf Umdruck 119 wie folgt zu begründen.
Auf seiten der Regierungskoalition gibt es in der bundespolitischen Landschaft mindestens eine sehr streitbare Dame,
({1})
die wir alle ungemein hochschätzen,
({2})
die bisweilen aber wegen ihres heftigen politischen Engagements ihre Kräfte überschätzt.
({3})
Sie ist derzeit neben ihrer Eigenschaft als Hausfrau und Mutter
({4})
Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft
({5})
- ja, wollen Sie das bestreiten, meine Damen und Herren? und gleichzeitig Mitglied des Bayerischen Landtags.
({6})
Frau Hamm-Brücher hat vor der Wahl in Bayern
fest zugesagt, im Falle ihrer Wahl in der bayerischen Landespolitik voll zur Verfügung zu stehen.
({7})
Meine Damen und Herren, hier sei die Frage beantwortet, wo wir Frau Hamm-Brücher gern haben möchten. Wir möchten sie fest an unsere christlich-soziale bayerische Brust drücken.
({8})
Von diesem Versprechen, in Bayern voll zur Verfügung zu stehen, kommt sie natürlich nicht los, mit der Folge, daß sie als Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft nur teilweise tätig sein kann, wie sie selbst sagt, oder besser: fast überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht, wie es tatsächlich der Fall ist.
Herr Abgeordneter Dr. Probst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kern?
Mit Vergnügen!
Herr Kollege, nachdem der Hauptsprecher Ihrer Fraktion, Herr Spilker, bereits seinen Beitrag zum Einzelplan 31 des Jahres 1971 überwiegend mit Geschichten aus dem Jahre 1955 gefüllt hat und damit den Standort Ihrer Fraktion deutlich gemacht hat, darf ich Sie fragen, ob die Damenrede, die Sie jetzt halten, auch ein Beitrag zum Haushalt 1971 sein soll.
({0})
Mein sehr geehrter Herr Kollege, wahrscheinlich sind Sie nicht in der Lage, den Ernst, der hinter dieser Heiterkeit verborgen ist, voll zu erfassen.
({0})
- Bilden Sie sich nicht ein, Sie seien die von übermorgen. Sie kennen die Landschaft von übermorgen noch nicht.
({1})
Da Frau Hamm-Brücher trotz einiger hervorragender exklusiver Eigenschaften nachweislich bisher nicht mit der Fähigkeit der Bilokration ausgestattet ist, hängt sie die Hälfte ihres Lebens auf der 650km-Strecke zwischen München und Bonn vergebens. Sieben Stunden Fahrzeit in einer Richtung - wenn sie zweimal in der Woche hin- und herfährt, sind 28 Stunden weg. Man sieht es auch deutlich, weil bei dieser wichtigen Debatte Frau Hamm-Brücher nicht anwesend sein kann.
({2})
- Ja, wo ist sie denn? - Teilt man die noch zur Verfügung stehenden Wochenstunden auf Landtag und Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft auf, so errechnet sich nebenbei auch ein ganz schönes Stundengehalt, wenn man das Gehalt in Bonn und die Diäten in Bayern berücksichtigt. Obwohl die Bundesregierung immer wieder erklärt und Herr Minister Leussink ständig lamentiert, ,daß das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft personell völlig unzureichend ausgestattet sei, sieht er trotzdem keinen Grund, einen seiner wichtigsten Posten mit einer Vollarbeitskraft zu besetzen. Hat. die Koalition keine Leute mehr? Wir von der Opposition könnten bessere Fachleute anbieten, die voll zur Verfügung stehen.
({3})
Zuerst bitte ich um ein bißchen Ruhe, damit die Diskussion fortgehen kann. Sodann habe ich die Frage an den Redner, ob er eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling erlaubt.
Ich erlaube sie natürlich.
Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Kollege Probst! - Gewinnen Sie die Maßstäbe Ihrer Kritik an Frau Hamm-Brücher etwa aus der Unfähigkeit auch vieler Ihrer Kollegen, bilokatär hier anwesend zu sein, so daß der Mangel an Abstimmenden Ihnen gewissermaßen dauernd als Maßstab dafür dient und Sie meinen, daß, wenn Sie dies nicht können, es Frau Hamm-Brücher auch nicht könne?
Herr Kollege, wer selbst im Glashaus sitzt, der möge nicht mit Steinen werfen. - Meine Damen und Herren, betrachten Sie auch die Verhältnisse im Vereinigten Königsreich, wo es möglich ist, unabhängig von der Parteizugehörigkeit die besten Leute im Lande, z. B. à la Leussink, als Fachleute zu berufen.
Wie konfus die Situation ist, wenn Minister Leussink lamentiert, er habe zu wenig Personal, auf der anderen Seite aber nicht bereit ist, seinen wichtigsten Beamtenposten mit einer Vollkraft zu besetzen, sieht man allenfalls seinem gezwungenen Lächeln an, wenn er mit dieser Frage parlamentarisch konfrontiert wird.
({0})
Herr Minister, ich kann mich gut in Ihre Lage versetzen. Denn es ist bei Ihnen offenbar so, wie weiland Karl Valentin gesagt hat: Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.
({1})
Somit gibt es zwei Möglichkeiten der Beurteilung: Entweder hat das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft nicht nur keinen Personalmangel, sondern sogar zu viel Personal, so daß es sich es leisten kann, den wichtigsten Beamtenposten nicht voll zu besetzen, oder die Bundesregierung nimmt entgegen ihren wiederholten Beteuerungen das wichtige Gebiet der Bildungsplanung, das Frau HammBrücher zu betreuen hat, nicht ernst. Beides ist unerträglich. Deshalb beantragt die CDU/CSU-Fraktion die Streichung dieser Stelle, so wie wir das bereits im Haushaltsausschuß beantragt haben, wo wir mit nur einer Stimme unterlegen sind.
({2})
Als weitere Konsequenz aus diesem unerfreulichen Fall, der das Versprechen der Bundesregierung, mehr Demokratie zu üben, in einer merkwürdigen Auslegung erscheinen läßt, fordere ich die Bundesregierung namens der CDU/CSU-Fraktion auch auf, unverzüglich mit den Ländern Verhandlungen aufzunehmen, um die Inkompatibilitätslücke zu schließen, die bei Landtagsmandanten für Bundesbeamte klafft. Unserer Meinung nach sollte eine derartige Ämterkollision künftig unmöglich gemacht werden. Wir halten es mit der hier gewiß neutralen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", die zu dem Fall Hamm-Brücher im November 1970 folgendes geschrieben hat: Man kann nicht als Vertreterin des Bundes mit der bayerischen Regierung verhandeln und diese zugleich als Landtagsabgeordneter kontrollieren, auch nicht bis zum nächsten Sommer.
({3})
Ich darf zum Schluß noch einmal betonen, daß es uns voll und ganz ernst mit diesem Antrag ist, weil wir hier eine Kollision von unvereinbaren Ämtern für gegeben halten. Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Münchner im Himmel, von dem Ludwig Thoma sehr anschaulich berichtet, das eben mitgekriegt hat, was Sie, Herr Dr. Probst, im bayerischen Namen hier vorgetragen haben, dann wird er sicherlich den Wolkenvorhang zuziehen, weil er glaubt, daß das der bayerischen Volksseele doch nicht ganz angemessen war, was Sie hier vorgetragen haben.
({0})
Ich sehe, daß sich der Landesgruppenvorsitzende der CSU bereits schamhaft in die hinteren Reihen verkrochen hat,
({1})
weil er im Gegensatz zu meinem Vorredner sicherlich nicht als Weiberfeind eingestuft werden kann.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bewundere wirklich die Courage, Kollege Dr. Probst, die Sie nach der Fragestunde, die wir in der gleichen Sache erlebt haben, hier aufbringen. Da sage ich mit Ludwig Uhland: „Mut hat auch der Mameluck, Gehorsam ist des Christen Schmuck".
({3})
Ich möchte nur in aller Bescheidenheit daran erinnern - ich habe nur drei Minuten Zeit -, daß in diesem Hause mehrere Abgeordnete gesessen haben, die Landesminister waren, z. B. Herr Schüttler von der CDU, daß es einen Bundesminister gab - nämlich Herrn von Hassel -, der gleichzeitig Landtagsabgeordneter blieb, und daß - die gesetzliche Regelung ist einwandfrei, und wenn Sie es in Bayern anders machen wollen, dann müssen Sie sich beeilen - jedenfalls wir in diesem Hause und diese Bundesregierung das Recht haben, so zu verfahren, wie wir jetzt in diesem Falle verfahren. Wir brauchen das nicht weiter auszudehnen. Aber irgend etwas muß Ihnen doch an dieser Sache außerordentlich störend vorkommen, Herr Dr. Probst; denn zunächst einmal haben Sie vorsichtshalber - offensichtlich weil Sie Ihrer eigenen Illusion aufgesessen sind - in Bayern nicht mehr gewagt, Ihren Fraktionsvorsitzenden Huber gleichzeitig zum Kultusminister zu machen, sondern Sie wollten einen Parteilosen sozusagen in die Schußlinie bringen, nämlich in die Schußlinie der Dame, die Sie soeben hier heftig angegriffen haben.
({4})
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Probst?
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen bekannt, daß es für unseren Kollegen Köppler selbstverständlich war, aus dem Bundestag auszuscheiden, nachdem er ein hohes Amt in einem Landesparlament angetreten hatte?
({0})
Ist Ihnen ferner bekannt, Herr Kollege Moersch, daß sich die Gesetzeslage, was die Inkompatibilität anlangt, mittlerweile grundlegend geändert hat und daß sich auch das öffentliche Bewußtsein geändert hat? Ist Ihnen auch bekannt, daß der ehemalige Bundesverteidigungsminister von Hassel - damals während des Landtagsmandats als Bundesminister gewählt -in einer sehr prekären Lage war und keine andere Möglichkeit hatte, hier Immunitätsschutz zu genießen,
({1})
der in der Verteidigungsfrage außerordentlich wichtig ist?
({2})
Herr Dr. Probst, und eine Dame wollen Sie schutzlos der Menschheit preisgeben, ohne jede Immunität! Das ist ja allerhand!
({0})
Nein, nein; das ist alles bekannt. Nur verwechseln Sie eine Kleinigkeit bei dem Herrn Köppler: Der Unterschied zwischen einem Fraktionsvorsitzenden und einem Beamten nach B 11 ist doch immerhin beträchtlich. Das sollten Sie als Abgeordneter eigentlich wissen.
Ich will hier auch nicht auf den klugen Kopf eingehen, der in der FAZ damals diese Sache festgestellt hat. Das ist in der Tat eine Frage, über die man streiten kann. Aber nirgendwo muß Sie, denke ich, nicht der Wissenschaftsetat drücken, sondern die Staatssekretärin im Wissenschaftsministerium. Ich ,muß Ihnen sagen: sie wird sich Ihnen sicherlich im Bayerischen Landtag noch öfters unbequem zeigen, und sie wird gleichzeitig, Verzeihung, am nächsten Tag hier in Bonn mehr bewirken können, als Ihnen möglicherweise lieb ist.
({1})
- Das ist richtig, Herr Stücklen. Ich habe mich soeben versprochen, und Sie haben es gemerkt. Wie sollte es anders sein?
Nein, hier geht es um etwas, was die Arbeitskraft von Abgeordneten betrifft, die gleichzeitig noch ein anderes Staatsamt bekleiden. Wenn Ihr Kollege Dr. Dresbach noch am Leben und im Bundestag wäre, könnte er es Ihnen selbst sagen. So darf ich ihn zitieren. Er hat ein wahres Wort gesprochen, zwar nicht in einem Parlament, sondern in einer viel schwierigeren Lage, einstmals nämlich zu seinem Verleger von der „Kölnischen Zeitung".
({2})
Auf die Frage seines Verlegers, warum er nicht ständig seine Arbeitszeit absitze, hat er die berechtigte Gegenfrage gestellt, ob er nun eigentlich seinen Kopf oder das Gegenteil verkauft habe, und darauf kommt es an.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Flämig.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre 'vielleicht reizvoll, jetzt in diesem netten Plauderton fortzufahren. Angesichts der vorgeschrittenen Zeit möchte ich aber nur eine kurze Bemerkung zu dem machen, um was es hier eigentlich geht, nämlich zu der Frage, ob die Milliardenbeträge, die in dem Einzelplan 31 enthalten sind, soweit sie die Wissenschaft und die Technologie betreffen, richtig verausgabt werden. Der Fachausschuß hat sich mit dieser Frage befaßt und dabei insbesondere einen Punkt herausgegriffen, jene 1,118 Milliarden DM für Kernforschung und Kerntechnik. Dabei ist uns etwas aufgefallen, und das muß hier gesagt werden, damit es nicht untergeht. Es ist uns aufgefallen, daß eine runde Drittelmilliarde in diesem Haushalt zahlenmäßig nicht nachgewiesen werden konnte, weil dem Ministerium selbst die Zahlen der beiden Zentren in Karlsruhe und Jülich nicht vorlagen. Der Ausschuß hat aus diesem Grunde einstimmig beschlossen, die Forderung zu stellen, daß diese Bewirtschaftungspläne bis zur Sommerpause vorzulegen sind, damit wir im Fachausschuß darüber beraten können. Ich hoffe, meine Damen und Herren - ich muß damit Schluß machen, denn ich habe meiner Fraktion versprochen, mich auf 2 Minuten zu beschränken -, daß wir bei anderer Gelegenheit hier einmal über diese wirklich wichtigen technologischen Fragen ausgiebig diskutieren können.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gölter.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde einige Ausführungen zu unserem Antrag auf Umdruck 122 machen. Ich bedaure, daß ich mich angesichts dieses Themas nicht auf zwei Minuten beschränken kann.
({0})
Auf Grund der Neuregelung der Verfassungskompetenzen haben Bundestag und Bundesregierung Mitverantwortung für die Planung, Finanzierung und Rechtsstellung der Hochschulen. Bundestag und Bundesregierung müssen bei ihren Beschlüssen davon ausgehen können, daß NeugrünDr. Gölter
dungen von Hochschulen der Verfassungsgarantie der Freiheit von Forschung und Lehre in einer pluralistischen Gesellschaft gerecht werden, daß sie sich nicht zu Zentren einer radikalen politischen und ideologischen Indoktrination entwickeln.
Meine Damen und Herren, in der Frage „Bremen" sind Bundesregierung und Koalitionsfraktionen ihrer Verantwortung bislang keineswegs nachgekommen.
({1})
Die Bundesregierung handelt in dieser Frage nach dem Motto, daß nicht ist, was nicht sein darf. Die Antwort auf die Kleine Anfrage von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion betreffend die hochschulpolitische Entwicklung in Bremen ist ein Musterbeispiel für unverantwortliche Verschleierungstaktik. Die Bundesregierung verschanzt sich hinter der Erklärung des Bremer Senats vom 7. Juli, die im Bremer Senat selbst außerordentlich umstritten ist und zu einer schweren Koalitionskrise geführt hat. Die Frage nach der Zielsetzung des Gründungsrektors der Bremer Universität, Thomas von der Vring, beantwortet die Bundesregierung zunächst dadurch, daß sie sich selbst Unkenntnis seiner Äußerungen bescheinigt. Sie beschränkt sich darauf, aus den vorliegenden Äußerungen des Herrn von der Vring eine unumstrittene Leerformel zu zitieren, um ihn auf diesem Wege zu salvieren.
({2})
Lassen Sie mich dieser Verschleierungstaktik zwei Zitate entgegenstellen. In der Abhandlung „Zur Strategie des Klassenkampfes in der Gegenwart" schreibt Herr von der Vring: Das Endziel des Klassenkampfes
besteht in einer Gesellschaftsordnung, in der die Herrschaft über Menschen dadurch überwunden ist, daß die Massen ihrem Griffbereich entzogen sind. Es geht also nicht um die konkrete Abschaffung des Staates und anderer Apparate, sondern um deren Umfunktionierung.
Weiter heißt es in der gleichen Schrift:
Die aktiven Minderheiten müssen als Katalysatoren und Mobilisatoren des Klassenkampfes wirken, um, ausgehend von singulären Störaktionen, durch Organisierung der Solidarität der Beherrschten und Aktivierung der Konkurrenzmechanismen zwischen den Apparaten allmählich die Bildung einer umfassenden Front des Widerstandes zu provozieren. Dabei ist es eine wichtige Aufgabe der Aktivgruppen, Gegenmacht zu erringen und auszuüben. Gegenmacht auszuüben bedeutet für sie, sich mit den herrschenden Apparaten in einem dauernden Clinch zu befinden.
Meine Damen und Herren, aus der Antwort auf unsere Anfrage geht hervor, daß die Bundesregierung ganz offensichtlich nicht den Mut hat, Herrn von der Vrings Schrift „Zur Strategie des Klassenkampfes" und seine jüngeren „Theoretische Überlegungen zum Problem der Universitätsgründung" zur Kenntnis zu nehmen. Die Überlegungen zum Problem der Universitätsgründung sind vom ersten bis zum letzten Satz konsequent und geschlossen auf der „Strategie des Klassenkampfes" aufgebaut. Universität im Sinne von der Vrings ist nur möglich auf dem Wege der Überwindung fundamentaler gesellschaftlicher Widersprüche durch eine Veränderung der Gesellschaftsordnung. Alle Entscheidungen der Universität einschließlich der Entscheidungen über Forschung und Lehre haben unter der Kontrolle paritätischer Entscheidungsgremien zu stehen, da nur so die Veränderung möglich ist. Die von Herrn von der Vring konzipierten Ziele sind ganz eindeutig verfassungswidrig.
({3})
Ist das, was ich hier vortrage, alles Theorie, die irgendwo auf dem Papier steht? - Keineswegs. Wer im vergangenen Jahr „Pardon" und „Konkret" aufmerksam zur Kenntnis genommen hat, der hat auch zur Kenntnis nehmen können, daß Herr von der Vring in aller Offenheit erklärt, er werde versuchen, diese theoretischen Überlegungen im Rahmen der Neugründung ,der Universität Bremen durchzusetzen. Jeder in diesem Hause, der sich irgendwann einmal mit diesem Thema beschäftigt hat, weiß, daß diese meine Ausführungen voll und ganz zutreffen.
({4})
Trotzdem ignorieren die Koalitionsfraktionen in diesem Haus bewußt diese Entwicklung. Ich kann es mir nicht versagen und Ihnen nicht ersparen, zwei Zitate kurz vorzutragen. Herr Bundesminister Leussink hat nach Ausführung der sozialdemokratischen Zeitung „Vorwärts" vom 3. Dezember vergangenen Jahres bei seinem Besuch in Bremen angeblich klare Worte gesprochen. Eine dieser klaren Ausführungen darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten laut „Vorwärts" zitieren:
Die Errichtung sozialistischer Universitäten im Sinne des demokratischen Sozialismus bedeutet etwas grundlegend anderes als das Hochschulkonzept der kommunistischen Staaten.
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit diesem Satz zwar versucht, Herrn von der Vring von dem Vorwurf freizusprechen, er gründe in Bremen eine Universität nach dem Vorbild kommunistischer Staaten. Er hat aber mit dieser Formulierung der Errichtung einer sozialistischen Universität in der Bundesrepublik Deutschland nicht widersprochen, sondern sein Placet erteilt.
({5})
- Ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt. Aber das muß hier einmal gesagt werden. Es gibt doch in Ihren Reihen sehr viele, die in dieser Frage ganz genauso denken. Das hat sich doch mittlerweile herumgesprochen.
({6})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Dohnanyi hat laut den „Bremer Nachrichten" vom
14. November 1970 im Rahmen der Bremer Landespressekonferenz ausgeführt:
Bewegungen wie in Bremen sind gute Bewegungen, die wir nur begrüßen können.
({7})
Ich stelle fest, daß mit derartigen Ausführungen eindeutig grundgesetzwidrigen Entwicklungen in der Bundesrepublik ein Placet erteilt wird.
({8})
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch kurz auf einen bezeichnenden Vorgang vom Oktober vergangenen Jahres eingehen. Der Bremer Senat hat mit Schreiben des der FDP angehörenden Finanzsenators Speckmann die Einstellung dreier hauptamtlicher Planer mit der Begründung der Zugehörigkeit der verschiedenen Bewerberinnen zu Roten Zellen an der Freien Universität Berlin, der Mitarbeit in verfassungsfeindlichen Organisationen, des Ausschusses aus der Sozialdemokratischen Partei, der Mitgliedschaft in der KP-Aufbauorganisation abgelehnt, außerdem in zwei Fällen mit dem Hinweis auf ein nicht abgeschlossenes Hochschulstudium.
Herr von der Vring hat in der öffentlichen 39. Sitzung des Gründungssenats am 11. Oktober 1970 daraufhin folgendes ausgeführt. Eine der genannten Damen habe zwar ein abgeschlossenes Studium, sie habe jedoch das Examen deshalb noch nicht gemacht, weil von ihr an der Pädagogischen Hochschule Bremen der Nachweis von vier an der Pädagogischen Hochschule Berlin studierten Semestern verlangt werde. Die als wissenschaftliche Planerin vom Gründungssenat vorgeschlagene Dame konnte in Bremen ihre Berliner Semester nicht nachweisen, ebenso wie eine weitere Bewerberin. Trotzdem fuhr Herr von der Vring fort:
({9})
Es ist also nicht so, -({10})
- Herr Professor Schäfer, das hat mit Wichtigtuerei überhaupt nichts zu tun. Ich kann nur sagen: Sie sollten sich mit dieser Entwicklung einmal befassen und eine klare Aussage treffen.
({11})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen in dem Zusammenhang ein wörtliches Zitat nicht vorenthalten.
({12})
Es ist ein Zitat im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen hauptamtlichen wissenschaftlichen Planerinnen, die ohne Studium nach Bremen gekommen sind. Herr von der Vring sagte folgendes:
Es ist also nicht so, daß irgendwelche grünen Studenten, die nicht ausgebildet sind, hier genommen werden, sondern wir haben hier Experten, die einen Erfahrungsschatz auf dem Gebiete der Hochschuldidaktik haben, wie ihm kaum jemand liefern kann, der möglicherweise
einen großen Titel an seiner Fahne herumträgt.
Seit diesem großen Eklat zwischen dem Gründungssenat und dem politischen Senat vom vergangenen Oktober hat die mittlerweile im Gründungssenat ausgegebene „Reizwortvermeidungsstrategie" zweifelsohne gewisse Erfolge gehabt. Zu dieser Reizwortvermeidungsstrategie gehört beispielsweise - das sei nur am Rande gesagt -, daß man im Gründungssenat beschlossen hat, sich wieder mit „Herr" und „Frau" und „Sie" anzureden und nicht mehr mit „du" und „Genosse".
({13})
- Ja, das ist alles so, wie ich es hier vortrage.
({14})
Meine Damen und Herren, ich komme gleich zum Schluß.
({15})
Auch die kritische Öffentlichkeit läßt mittlerweile in ihrer Aufmerksamkeit bedauerlicherweise nach, obwohl im Augenblick in aller Stille der Versuch unternommen wird, durch die Einführung des Projektstudiums als Regelstudium die Universität Bremen aus der Durchlässigkeit des deutschen Hochschulsystems auszugliedern, obwohl versucht wird, das Tischtuch zwischen der Bremer Universität und den anderen Hochschulen zu zerschneiden und es den Studenten unmöglich zu machen, im Laufe ihrer Ausbildung an eine andere Universität überzuwechseln.
Lassen Sie mich hierfür ein Beispiel anführen! Der Planungskommission Naturwissenschaften gehörte noch ein einziger Universitätsprofessor an, Professor Jens Mennicke aus Bielefeld. Den Vorschlag im Bereich Projektstudium Mathematik hat er als nicht hinreichend fundiert bezeichnet, seine Einführung sei nicht zu verantworten. Dieses Projektstudium Mathematik garantiere keine dem Studium an anderen Universitäten vergleichbare Ausbildung.
({16})
Die Antwort des Bremer Gründungssenats: Am 8. Oktober ist Herr Professor Mennicke aus der Kommission Naturwissenschaften herausgewählt worden.
Ein weiteres, meine Damen und Herren - und damit komme ich kurz zu dem, was Herr Raffert vorhin gesagt hat -: An der Universität Bremen werden demnächst - das ist eine Einzigartigkeit in der ganzen Welt - Stellen für Hochschullehrer mit Bewerbern besetzt, die die Voraussetzungen für Professorenstellen nicht erfüllen,
({17})
die keine Promotion nachweisen können. Wir müssen einmal abwarten, was sich unter diesen 754 Bewerbungen wirklich an Qualität verbirgt.
({18})
Es besteht die Gefahr - und das hat die FDP in Bremen in diesen Tagen in mehreren Aussagen erneut bestätigt -, daß durch diese personalpolitische Regelung Manipulationen Tür und Tor geöffnet werden.
({19})
Ich verweise in dem Zusammenhang auf jüngste Zitate des Vorsitzenden der Landtagsfraktion, Herrn John.
({20})
Meine Damen und Herren, es wird immer deutlicher: In Bremen entsteht keine Stätte pluralistischer Wissenschaft und Forschung, sondern ein Aktionsfeld für revolutionäre Ideologen, von denen konsequenterweise wissenschaftliche Qualifikation nicht verlangt wird.
({21})
Durch die einseitige sozialistische Ausrichtung der Universität ist die Freiheit von Forschung und Lehre und damit die wissenschaftliche Pluralität nicht mehr gewährleistet. Die bisherige Arbeit des Gründungssenats und die Auswahl der Planer und Mitarbeiter der Universität lassen erkennen, daß in Bremen eine sozialistische Kaderuniversität errichtet werden soll.
Die Fraktion der CDU/CSU beantragt daher, die Mittel für den Neubau der Universität Bremen - den wir auch wollen - in Kap. 31 03 Tit. 88 201 mit einem Sperrvermerk zu versehen. Sie sollen nur mit Zustimmung des Deutschen Bundestages in Anspruch genommen werden können.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wichert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer Anfrage vom 10. Juli 1970 - Drucksache VI/1028 - hat die CDU/ CSU diese Art von Fragen bereits einmal gestellt. Sie haben heute die altbekannten Argumente wieder aufgewärmt. Es geht Ihnen dabei weder um eine Universitätsreform noch um eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Problem einer reformierten Universität in einer zu reformierenden Gesellschaft. Sie haben ausschließlich ideologische Argumente vorgetragen.
({0})
Die Behauptungen im Hinblick auf die mangelnde Verfassungsmäßigkeit des Bremer Versuchs sind völlig unbegründet.
({1})
Die Bundesregierung hat in Ihrer Antwort in Drucksache VI/1072 auf die Stellungnahme des Wissenschaftsrates hingewiesen, der das Projekt „Universität Bremen" zur Förderung empfohlen hat.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gölter?
Herr Kollege Wichert, ist Ihnen bekannt, daß der Wissenschaftsrat in seinen jüngsten Beschluß ausdrücklich aufgenommen hat, daß die Mittel in diesem Jahr lediglich für ideologiefreie Bauten verwendet werden dürfen, also für Mensa - ({0})
- Fragen Sie Herrn von Dohnanyi; er saß ja dabei und hat keinen Ton dazu gesagt.
({1})
Herr Kollege Gölter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einmal das Modell eines nicht ideologiefreien Universitätsbaus beschrieben.
Meine Damen und Herren, wir müssen leider feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion sich im Fall Bremen immer wieder anmaßt, in die autonomen Vorstellungen eines Bundeslandes und dessen Hochschulpolitik einzugreifen.
({0})
Wenn der Bund sich diese Rechte herausnähme, wäre die Kooperation zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik sehr bald beendet, was niemand von uns wünschen kann.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Martin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Höflichkeit erfordert es, auf die Fragen, die einem gestellt werden, auch zu antworten. Das ist der Grund, weshalb ich das Wort ergriffen habe.
Herr Raffert hat hier ausgeführt, die CDU/CSU habe im Ausschuß zu dem Antrag, den er geschildert hat, keine Stellung genommen. Ich möchte das hier erklären. Herr Raffert, wir haben das nicht ernst genommen. Das war damals eine Ergebenheitsadresse, wie sie im alten Deutschen Reichstag für Seine Majestät vorgesehen war. Dazu haben wir peinlich geschwiegen.
({0})
Herr Raffert, es trifft auch nicht zu, daß wir nicht danach gefragt hätten, wie das Ganze in die Finanzprojektion des Bundes hineinpaßt. Auf diese Frage haben wir keine Antwort erhalten. So war es damals im Ausschuß. Der Tatbestand ist also anders, als Sie ihn hier dargestellt haben.
Nun zu Herrn Grüner. Es ist absurd, wenn hier gesagt wird, die Niederlage des Ministers im Bundesrat sei ein Ausdruck des Länderegoismus. Die Wahrheit ist, daß der Antrag des Landes Niedersachsen auf die Einführung integrierter Gesamthochschulen bei Stimmenthaltung der Länder Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen beschieden wurde.
({1})
Es gibt also auch noch sozialdemokratische Länderregierungen, die sachlichen Erwägungen zugänglich sind.
({2})
Das war Punkt eins, meine Damen und Herren.
Punkt zwei. Ich muß leider sagen, daß die Rede des Ministers für meine Fraktion einfach enttäuschend war, und zwar deshalb, weil er über alles geredet hat, nur nicht über die kulturpolitische Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden.
({3})
Der Wissenschaftsrat und der Bildungsrat haben gesagt, daß 100 Milliarden DM notwendig seien. In Wahrheit sind es jedoch 130 oder 150 Milliarden DM, wenn man die Inflation in Rechnung stellt. Die Bundesregierung hat das zunächst gebilligt und übernommen. Als die Sache aber dann zum Schwur kam und die Länder beim Bundesfinanzminister, beim Bundeskanzler und beim Bundeswissenschaftsminister mit der Frage vorstellig wurden: wie haltet ihr es denn mit eurem Versprechen, die Länder instand zu setzen, ihre großen Aufgaben zu erfüllen?, hüllte sich das gesamte Kabinett in Schweigen, und das tut es immer noch. Das ist der entscheidende Punkt, meine Damen und Herren.
({4})
Das, was wir heute von dem Minister gehört haben, war etwas, das man früher einen „siegreichen Rückzug" genannt hat.
({5})
Das war die Fortsetzung der Kampagne, mit der Herr Möller angefangen hat, als er sagte:
({6})
„Diese Regierung muß jetzt von ihren Illusionen Abschied nehmen."
({7})
Herr Kollege Dr. Martin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jetzt bitte nicht!
Der Bundeskanzler selbst hat hier in der vorigen Woche - das war gewissermaßen die zweite Rate abgewiegelt, als er sagte: „Die Wirtschaft braucht nicht zu befürchten, daß sie überfordert wird." Heute, meine Damen und Herren, haben wir das Spielchen mit den Bundesfinanzen erlebt. Wer den
Minister erlebt hat, denkt, es geht aufwärts oder es geht sogar vorwärts.
({0})
Aber wie ist denn die Wirklichkeit, meine Damen und Herren? Jeder, der eine Universität kennt, weiß, wie es wirklich ist. Ich darf ein paar Beispiele nennen, um einmal diese Phantasmagorie dorthin zu stellen, wohin sie gehört.
Auf Grund des hessischen Hochschulgesetzes hatte die Universität Gießen 600 Stellen für 1971 und 1972 angefordert. Provisorisch zugesagt worden sind ihr 210 Stellen. Seit Beginn des Semesters befinden sich in diesem Land die Studenten der Pädagogischen Hochschule im Streik, weil 3780 Lehrstunden nicht gegeben werden können.
({1})
Wer sich dann hierher stellt, meine Damen und Herren, und den „miles gloriosus" in der Kulturpolitik macht, der täuscht über die Wirklichkeit hinweg.
({2})
Das Land Hessen gibt seinen Universitäten 10 % an Sachmitteln. Jeder, der eine wissenschaftliche Zeitschrift liest, weiß, daß seit 1966 die Preise für Zeitschriften so gestiegen sind, daß man für 100 DM heute nur noch so viel kaufen kann, wie man früher für 75 DM bekommen hat. An der von mir genannten Universität kann von einer Beseitigung des Numerus clausus keine Rede sein, sondern es ist ein effektiver Rückgang der Lehrkapazität zu verzeichnen. Man darf sich also nicht hierhin stellen und so tun, als könne man mit den 6 % des Bundes Kulturpolitik betreiben.
({3})
Das Land Niedersachsen läßt durch seinen zuständigen Minister verkünden, daß es aus den und den Gründen so und so viele hundert Stellen streichen müsse.
({4})
Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht aufhalten.
({5})
- Sie müssen das einfach mal hören, damit Ihr Informationsstand etwas besser wird.
({6})
Die Situation stellt sich wie folgt dar. Wir sind angetreten mit dieser Regierung. Wer die Rede des Ministers vor dem Bundesrat liest, eine Rede, in der jeder dritte Satz mit den Worten beginnt: „Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik ...", als ob früher nie etwas geschehen wäre,
({7})
und wer die Wirklichkeit dieser Tage sieht, der weiß, daß 1970, 1971 und 1972 nicht mehr, sondern weniger geschehen wird, der wird die Rede des Ministers hier richtig einschätzen und Beifall an der richtigen Stelle spenden.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Frau Präsident! Meine DaDamen und Herren! Nachdem wir soviel Freude bei der Begründung des Antrags Umdruck 119 hatten, sollten wir diese Freude wohl fortsetzen und den Kavalieren, die nicht mehr da sind, die Möglichkeit geben, etwas zur Entlastung des Bundeshaushalts beizutragen. Ich beantrage Namentliche Abstimmung.
({0})
Meine Damen und Herren, einen Augenblick bitte. Ich darf zunächst einmal fragen, ob das Wort zur Debatte noch gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge.
Zum Antrag Umdruck 119 *) ist Namentliche Abstimmung beantragt. Ich darf annehmen, daß der Antrag hinreichend unterstützt ist. Wir stimmen in Namentlicher Abstimmung ab.
Meine Damen und Herren, ich bitte, in der Nähe zu bleiben. Bei eventuellen weiteren Abstimmungen wollen wir nicht noch einmal eine Viertelstunde warten müssen. Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegeben wurden 373 Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten und 14 Berliner Stimmen. Mit Ja haben 157 stimmberechtigte Abgeordnete und 5 Berliner gestimmt, mit Nein 216 stimmberechtigte Abgeordnete und 9 Berliner.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 373 und 14 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 157 und 5 Berliner Abgeordnete Nein: 215 und 9 Berliner Abgeordnete Ungültig: 1 Abgeordneter
Ja CDU/CSU
Adorno
von Alten-Nordheim Dr. Althammer
Dr. Bach
Balkenhol Dr. Barzel
Dr. Becher ({0}) Becker ({1}) Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe Breidbach Bremer
*) Siehe Anlage 17
Dr. Czaja Damm
van Delden Ehnes
Erhard ({2}) Ernesti
Erpenbeck von Fircks Franke ({3})
Dr. Franz Dr. Freiwald
Dr. Frerichs Dr. Früh Dr. Fuchs Dr. Gatzen
Frau Geisendörfer Geisenhofer
Gerlach ({4}) Gierenstein
Glüsing ({5})
Dr. Gölter Gottesleben
Frau Griesinger
Dr. Gruhl
Freiherr von und zu Guttenberg
Häussler
Hanz
Hauser ({6}) Hein ({7})
Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf ({8}) Hösl
Horstmeier
Horten
Dr. Hubrig
Hussing Dr. Huys
Frau Jacobi ({9})
Dr. Jenninger
Frau Kalinke
Kiechle Köster Krammig
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Leicht Lensing Lenzer Link
Dr. Luda
Dr. Marx ({10}) Dr. Mende
Dr. Miltner
Mursch Niegel Dr. von Nordenskjöld
Petersen
Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Prassler
Rainer Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Dr. Riedl ({11})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rommerskirchen
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Schlee Schedl Dr. Schmid-Burgk
Schmitt ({12}) Schneider ({13}) Dr. Schneider ({14}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({15}) Schröder ({16}) Schröder ({17}) Schulte ({18}) Dr. Schulze-Vorberg
Seiters
Dr. Siemer
Solke
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({19}) Steiner
Dr. Stoltenberg
Storm
Struve
Susset
Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vogel
Vogt
Volmer
Wagner ({20}) Dr. Wagner ({21}) Frau Dr. Walz
Weber ({22})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Dr. Kotowski
Frau Pieser
Schmitz ({23}) Wohlrabe
Nein SPD
Dr. Ahrens
Aubuhl
Arendt ({24}) Dr. Arndt ({25})
Baack
Baeuchle
Barche
Dr. Bardens Batz
Bay
Dr. Bechert ({26}) Becker ({27})
Dr. Beermann
Bergmann Berlin
Biermann Börner
Frau von Bothmer
Brandt
Brandt ({28})
Bredl
Brünen
Buchstaller
Buschfort
Dr. Bußmann Collet
Corterier
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland Dr. Ehmke Frau Eilers Dr. Enders Engholm
Esters
Dr. Farthmann
Fiebig
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({29})
Frehsee, Frau Freyh
Geiger
Gertzen Glombig Gnädinger
Dr. Haack
Haar ({30})
Haase ({31}) Haehser
Halfmeier Hansen Hansing Hauck
Dr. Hauff Henke
Frau Herklotz
Hermsdorf ({32}) Herold
Hirsch
Höhmann ({33})
Hörmann ({34}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({35})
Jaschke Junghans Junker
Kaffka
Kahn-Ackermann
Kater
Killat-von Coreth
Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert Kulawig Langebeck
Frau Lauterbach
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum Marquardt
Marx ({36})
Matthes Matthöfer Frau Meermann
Dr. Meinecke ({37}) Meinike ({38}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({39})
Müller ({40}) Dr.Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann Neumann Dr. Nölling
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye
Pawelczyk
Peiter Pensky Peters ({41})
Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander
Dr. Schäfer ({42}) Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({43})
Frau Schimschok
Schirmer
Schlaga
Dr. Schmid ({44}) Schmidt ({45}) Dr. Schmidt ({46}) Schmidt ({47})
Dr. Schmidt ({48}) Schmidt ({49}) Schmidt ({50}) Schmidt ({51})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle
Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({52})
Seibert Seidel
Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Spillecke
Staack
Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm
Tönjes Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({53})
Wehner Welslau Wende Wendt Westphal
Wienand
Wilhelm Wischnewski
Dr. de With
Wittmann
Wolf
Wrede
Würtz
Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({54})
Heyen
Frau Krappe
Liehr
Löffler Mattick
Frau Schlei
Dr. Seume
Sieglerschmidt
FDP
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Gallus Geldner Graaff
Helms
Kienbaum Kirst
Kleinert
Krall
Logemann Mertes
Mischnick Moersch
Peters ({55}) Schmidt ({56}) Spitzmüller Wurbs
({57})
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe den Antrag Umdruck 120 *) der CDU/CSU-Fraktion auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Soll ich getrennt abstimmen lassen?
({58})
Wir stimmen getrennt über die beiden Punkte ab. Ich rufe auf Umdruck 120 die Ziffer 1 auf. Wer diesem Punkt die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Ziffer 1 ist abgelehnt.
Ich rufe die Ziffer 2 auf. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Ziffer ist abgelenht.
Wir kommen zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Umdruck 122 **). Das Wort hat Herr Abgeordneter Gölter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin Ausführungen gemacht, denen in der Sache nicht widersprochen worden ist, weil ihnen in der Sache nicht widersprochen werden kann. Ich beantrage im Namen meiner Fraktion namentliche Abstimmung, damit jedes Mitglied des Hohen Hauses Gelegenheit hat, mit seinem Namen seine Auffassung zu diesen Vorgängen zu dokumentieren.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte abzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung bekannt. Es haben abgestimmt 375 Abgeordnete und 14 Berliner. Mit Ja haben gestimmt 160 Abgeordnete und 4 Berliner, mit Nein 214 Abgeordnete und 8 Berliner; enthalten haben sich 1 Abgeordneter und 2 Berliner. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 375 und 14 Berliner Abgeordnete; davon
Ja: 159 und 4 Berliner Abgeordnete Nein: 214 und 8 Berliner Abgeordnete Enthalten: 1 und 2 Berliner Abgeordnete Ungültig: 1 Abgeordneter
*) Siehe Anlage 18 **) Siehe Anlage 19
Ja CDU/CSU
Adorno
von Alten-Nordheim
Dr. Bach
Balkenhol Dr. Barzel Dr. Becher ({0})
Becker ({1})
Berding
Berger
Bewerunge Biechele
Biehle
Dr. von Bismarck Bittelmann Blumenfeld
von Bockelberg
Frau Brauksiepe
Breidbach Bremer
Dr. Czaja Damm
van Delden Ehnes
Erhard ({2}) Ernesti
Erpenbeck von Fircks Franke ({3})
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Früh
Dr. Fuchs
Frau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach ({4}) Gierenstein
Glüsing ({5})
Dr. Gölter Gottesleben Frau Griesinger
Dr. Gruhl
Freiherr von und zu Guttenberg
Härzschel Häussler Dr. Hammans
Hanz
Hauser ({6}) Hein ({7})
Frau Dr. Henze
Dr. Hermesdorf ({8}) Hösl
Horstmeier Horten
Dr. Hubrig Hussing
Dr. Huys
Frau Jacobi ({9})
Dr. Jaeger Dr. Jenninger
Dr. Jobst Frau Kalinke
Kiechle
Krammig Krampe
Frau Dr. Kuchtner Lampersbach
Lensing
Lenzer
Link
Dr. Luda Dr. Marx ({10})
Dr. Mende
Dr. Miltner
Müller ({11})
Dr. Müller-Hermann Mursch
Niegel
Dr. von Nordenskjöld Orgaß
Petersen
Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Prassler
Rainer Rawe
Reddemann
Dr. Reinhard
Dr. Riedl ({12})
Dr. Rinsche
Dr. Ritgen
Dr. Ritz Rock
Röhner Rösing Rommerskirchen
Roser Ruf
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
Schlee Schedl Dr. Schmid-Burgk
Schmitt ({13}) Schneider ({14}) Dr. Schneider ({15}) Dr. Schober
Frau Schroeder ({16}) Schröder ({17}) Schröder ({18}) Schulte ({19}) Dr. Schulze-Vorberg
Seiters
Dr. Siemer
Solke
Dr. Sprung
Stahlberg
Dr. Stark ({20}) Steiner
Dr. Stoltenberg
Storm Struve Stücklen Susset Tobaben
Frau Tübler
Dr. Unland
Vogel Vogt
Volmer
Wagner ({21})
Dr. Wagner ({22})
Wawrzik
Weber ({23})
Dr. Freiherr von Weizsäcker Windelen
Winkelheide
Wissebach
Dr. Wörner
Frau Dr. Wolf
Baron von Wrangel
Dr. Wulff
Ziegler
Dr. Zimmermann
Zink
Zoglmann
Berliner Abgeordnete
Dr. Kotowski Frau Pieser Schmitz
Nein SPD
Dr. Ahrens
Anbuhl Dr. Apel
Arendt ({24})
Dr. Arndt ({25})
Baack Baeuchle
Bäuerle Barche Dr. Bardens
Batz
Bay
Dr. Bechert ({26}) Becker ({27}) Bergmann
Berlin Biermann
Börner
Frau von Bothmer
Brandt
Brandt ({28})
Bredl Brück Brünen Buchstaller
Buschfort
Dr. Bußmann
Collet Corterier
Dr. von Dohnanyi
Dürr
Eckerland
Dr. Ehmke
Dr. Enders
Engholm
Esters
Dr. Farthmann
Fiebig
Dr. Fischer
Frau Dr. Focke
Folger
Franke ({29})
Frehsee
Frau Freyh
Geiger Gertzen Glombig
Gnädinger
Dr. Haack
Haar ({30})
Haase ({31})
Halfmeier
Hansen Hansing
Dr. Hauff
Frau Herklotz
Hermsdorf ({32}) Herold
Hirsch
Höhmann ({33})
hörmann ({34}) Hofmann
Horn
Frau Huber
Jahn ({35})
Jaschke Junghans
Junker Kaffka Kahn-Ackermann
Kater
Killat-von Coreth
Koenig Kohlberger
Konrad
Dr. Kreutzmann
Krockert
Kulawig Langebeck
Frau Lauterbach
Lemp
Lemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. Lohmar
Lotze
Maibaum
Marquardt
Marx ({36})
Matthes Matthöfer
Dr. Meinecke ({37}) Meinike ({38}) Metzger
Michels Möhring
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller ({39})
Müller ({40})
Dr. Müller-Emmert
Dr. Müthling
Neemann
Neumann
Offergeld
Frhr. Ostman von der Leye Pawelczyk
Peiter Pensky Peters ({41})
Porzner Raffert Ravens Dr. Reischl
Frau Renger
Rohde Rosenthal
Roß
Säckl
Sander
Dr. Schäfer ({42})
Frau Schanzenbach
Scheu
Schiller ({43})
Frau Schimschok
Schirmer Schlaga
Dr. Schmid ({44}) Schmidt ({45})
Dr. Schmidt ({46}) Schmidt ({47})
Dr. Schmidt ({48}) Schmidt ({49})
Schmidt ({50}) Schmidt ({51})
Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. Schmude
Schoettle Schollmeyer
Schonhofen
Schulte ({52})
Seibert Seidel
Frau Seppi
Simon
Dr. Slotta
Spillecke
Staak ({53}) Frau Strobel Strohmayr
Suck
Tallert
Dr. Tamblé
Frau Dr. Timm Tönjes
Urbaniak
Vit
Walkhoff
Dr. Weber ({54}) Wehner
Welslau Wende Wendt Westphal
Wienand
Wilhelm Wischnewski
Dr. de With Wittmann
Wolf
Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch
Berliner Abgeordnete
Dr. Arndt ({55}) Heyen
Frau Krappe
Liehr Löffler Mattick
Frau Schlei Dr. Seume
FDP
Frau Dr. Diemer-Nicolaus Dorn
Ertl
Gallus
Geldner
Graaff
Helms
Jung Kienbaum
Kirst Kleinert
Krall Logemann
Mertes
Mischnick
Ollesch
Peters ({56}) Schmidt ({57}) Spitzmüller
Wurbs
Enthalten
CDU/CSU
Berliner Abgeordnete Dr. Gradl
SPD
Dr. Beermann
Berliner Abgeordnete Sieglerschmidt
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 31. Wer diesem Haushalt in zweiter Lesung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({58})
Ich darf Sie doch bitten, Platz zu nehmen. Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer dem Einzelplan 31 in zweiter Lesung die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben.-Gegenprobe! ({59})
Es besteht im Präsidium keine Einigkeit; wir müssen auszählen.
Meine Damen und Herren, es haben abgestimmt 371 Abgeordnete, mit Ja 217, mit Nein 153. Enthaltungen 1.
({60})
- Ich bitte um Ruhe, damit wir noch fertig werden. Wir haben schon Mitternacht. -
Damit ist der Einzelplan 31 angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 32
Bundesschuld
Drucksache VI/ 1752 -
Berichterstatter: Abgeordneter Strohmayr
Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Zum Einzelplan 32 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Umdruck 115*) Ziffer 2 vor, der bereits bei der Beratung des Einzelplans 15 zur Abstimmung gestanden hat und abgelehnt worden ist. Ich nehme an, damit ist dieser Antrag erledigt.
Wir stimmen in zweiter Lesung über den Einzelplan 32 im ganzen ab. Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. ({61})
Gegenprobe! - Enthaltungen? ({62})
- Bitte, hier stehen nicht Abstimmungsunklarheiten zur Diskussion.
({63})
- Einzelplan 32 ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zum
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache VI/ 1756 Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
({64}), Abgeordnete Frau Krappe
Wird das Wort zum Einzelplan 60 im ganzen gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Es liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 129 **) vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Bremer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf bei allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses die Kenntnis der wechsel- und leidvollen Nachkriegsgeschichte des Länderfinanzausgleichs voraussetzen. Im Grunde genommen ist es während dieser zwei Jahrzehnte niemals unklar und streitig gewesen, daß dieser Länderfinanzausgleich unzulänglich war. In den Beratungen zur Finanzreform war es denn auch das Bestreben aller Fraktionen dieses Hohen Hauses, die Finanzausstattung der leistungsschwachen Länder qualitativ und quantitativ zu verbessern.
Ich darf daran erinnern, daß sich der Bundestag seinerzeit für einen völligen Wegfall des horizontalen Länderfinanzausgleichs eingesetzt hat - ein
*) Siehe Anlage 13
**) Siehe Anlage 20
Vorschlag, der allerdings am Widerstand der finanzstarken Länder gescheitert ist. Der sowohl für die Finanzreform als auch für den horizontalen Finanzausgleich gefundene Kompromiß - das kann man heute schon feststellen - kann im Ergebnis nicht befriedigen.
Gewiß hat die Finanzreform vor allem auf dem Gebiete der Umsatzsteuer eine qualitative Verbesserung ergeben. Es soll auch nicht verkannt werden, daß der horizontale Finanzausgleich durch die Anhebung des Anteils von 91 auf 95 Punkte der Ausgleichsmeßzahl, also der nach einem bestimmten Verfahren ermittelten bundesdurchschnittlichen Steuerkraft der Länder, wirksamer gestaltet worden ist. Aber ebensowenig können die Mängel übersehen werden.
({0})
- Davon kann keine Rede sein.
Die verbesserte Vorwegausstattung der finanzschwachen Länder mit eigenen Steuern bewirkt automatisch ein verringertes Volumen des horizontalen Finanzausgleichs. Ein Land, dessen Steuerkraft die 95 Punkte nicht erreicht, bleibt weiterhin auf die Wirksamkeit des horizontalen Finanzausgleichs angewiesen.
Die Berechnungsmethode für den theoretischen Mindestsatz von 95 % weist insofern einen gravierenden Mangel auf, als die Realsteuerkraft der Gemeinden nur zur Hälfte angesetzt wird. In der Praxis wird dadurch die Steuerkraft der Länder Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein im Jahre 1970 nur auf 91,4 bzw. 91,5 % angehoben. Auch die beiden übrigen Länder, Bayern und das Saarland, erreichen den theoretischen Höchstsatz nicht.
Der dritte Mangel schließlich ist folgender. Die Finanzreform begünstigt insofern die finanzstarken Länder, als die durch sie ausgelösten höheren Steuereinnahmen der Gemeinden diesen Ländern überproportional zugute kommen. Dies hat auf Grund der verfassungsrechtlichen Finanzeinheit zwischen Ländern und Gemeinden die Folge, daß die finanzschwachen Länder ihren Gemeinden stärker verpflichtet bleiben als die übrigen Länder.
Meine Damen und Herren, dies alles ist, wie auch aus der Antwort des Bundesfinanzministers auf die Kleine Anfrage in Drucksache VI/966 zu entnehmen ist, insoweit unstreitig.
Keine Einigkeit besteht dagegen in der Frage, ob die zahlenmäßigen Auswirkungen bereits heute hinreichend übersehen werden können, um in einer Zwischenbilanz das Ergebnis der Finanzreform werten und darauf Folgerungen für eine Neuregelung herleiten zu können. Die Bundesregierung verneint diese Frage. Die finanzschwachen Länder können dagegen darauf hinweisen, daß nach ihren aussagekräftigen Unterlagen ihre Steuerkraft gegenüber dem Zustand vor der Finanzreform nur unwesentlich, etwa um einen Prozentpunkt verbessert wird.
Immerhin muß auch die Bundesregierung selbst in der Begründung zu ihrer Gesetzesvorlage zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern vom 14. August 1970 - Drucksache VI/1098 - einräumen, daß - ich zitiere wörtlich - „trotz der erzielten Verbesserungen fühlbare Unterschiede in der Finanzausstattung der Länder bestehen".
Sie hat daher auch für 1971 100 Millionen DM an Ergänzungszuweisungen in diesem Einzelplan 60 vorgesehen. Gegenüber den weitergehenden Vorschlägen des Bundesrats und der CDU/CSU in den Beratungen des Haushaltsausschusses, diesen Ansatz auf 300 Millionen DM zu erhöhen, verweist sie die Länder auf den Weg eines verbesserten horizontalen Finanzausgleich.
So ergibt sich denn folgende Lage, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung hebt auf die Eigenverantwortlichkeit der Länder für einen hinreichenden Finanzausgleich ab. Im Bundesrat scheitern jedoch die finanzschwachen Länder mit ihren Vorstellungen über einen verbesserten horizontalen Finanzausgleich am Widerstand der finanzstarken Länder. Im Ergebnis fehlt damit den finanzschwachen Ländern, wie bereits seit zwei Jahrzehnten, jene Steuerkraftspitze, die gerade für die zukunftssichernden Investitionen von entscheidender Bedeutung ist. Die Deckungslücke in den finanzschwachen Ländern muß weiterhin durch Kreditaufnahmen geschlossen werden. Der dafür inzwischen aufgelaufene Schuldendienst verschlingt jedoch in einigen Ländern bereits das jährliche Kreditvolumen. Der unheilvolle, sich ins Negative kumulierende Kreislauf wird also weitergehen.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung ist nicht weiter zu verantworten. Unabhängig von dem Streit um die Priorität oder Subsidiarität der bundesseitigen Ergänzungszuweisungen ist der Bund dem Verfassungsauftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse unterworfen.
({1})
In Übereinstimmung mit der Auffassung der Bundesregierung tragen daneben zwar auch die Länder eine eigene Verantwortung für einen ausreichenden Ausgleich. Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, daß diesem Ausgleich insofern eine psychologisch-politische Grenze gesetzt ist, als die finanzstarken Länder sich niemals zu einem totalen Ausgleich verstehen werden. Der Bund wird daher unter dem System der geltenden Finanzverfassung weiterhin fühlbar helfen müssen. Wenn auch der Bundesregierung darin zuzustimmen ist, daß der bisherige Zeitraum für eine abschließende Beurteilung noch nicht ausreicht, bieten die bisher erkennbaren Tendenzen dennoch hinreichend Veranlassung, die im Entwurf des Haushalts 1971 veranschlagten 100 Millionen DM für Bundesergänzungszuweisungen aufzustocken. Weitere 100 Millionen DM lassen sich nach Auffassung der CDU/CSU trotz der angespannten Haushaltslage verantworten. Der Dekkungsvorschlag ist fundiert. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, daß der dafür angebotene Haushaltsausgleich fast regelmäßig nicht voll ausgeschöpft worden ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie namens der CDU/CSU-Fraktion um Ihre Zustimmung zu diesem Antrag.
({2})
Das Wort hat Herr Ministerpräsident Lemke.
({0})
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure es, daß ich Ihre Aufmerksamkeit oder Ihre Gegenwart noch einige wenige Minuten in Anspruch nehmen muß.
({1})
Sie können allein schon as der Tatsache, daß ich das heute abend bzw. heute morgen tue, ersehen, wie sehr mir daran liegt, diesem Hohen Hause mit Respekt, aber doch in aller Deutlichkeit unser Anliegen vorzutragen, das Anliegen des Landes Schleswig-Holstein ebenso wie das der anderen finanzschwachen Länder. Herr Ministerpräsident Kohl hat mich ausdrücklich darum gebeten, dies auch in seinem Namen zu tun.
({2})
Ich fühle mich dazu ermuntert oder sogar ermutigt, weil der Herr Bundesfinanzminister vor wenigen Tagen in Kiel erklärt hat, daß er dem Land Schleswig-Holstein gern und ganz besonders helfen wolle.
({3})
Ohne Zweifel gilt diese Zusage nicht nur für das Land Schleswig-Holstein, sondern auch für die anderen finanzschwachen Länder.
Im Gegensatz zu dieser Erklärung steht allerdings das Beratungsergebnis des Haushaltsausschusses. Der Bundesrat hat beantragt, die Bundesergänzungszuweisungen auf 300 Millionen DM festzusetzen. Dieser Forderung ist man nicht nachgekommen. Deswegen unterstützen wir, die finanzschwachen Länder, jetzt den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die Bundesergänzungszuweisungen wenigstens um 100 Millionen DM zu erhöhen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß ich Sie schon vor fünf Jahren, als die Bundesergänzungszuweisungen akut wurden, angesprochen habe, und ich darf Sie ferner daran erinnern, daß die finanzschwachen Länder im Zuge der Finanzreform immer wieder darauf hingewiesen haben, daß eigentlich ein vertikaler Finanzausgleich herbeigeführt werden müßte. Wir haben dann gegen das Finanzausgleichsgesetz von 1969 gestimmt, weil wir wußten, daß wir mit dieser Regelung nicht zurechtkommen würden.
Herr Ministerpräsident, würden Sie eine Frage gestatten?
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Jawohl, gern!
Ja, bitte schön, Herr Porzner!
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen bekannt, daß alle Mitglieder des Finanzausschusses, also auch alle Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, gegen den Antrag des Bundesrates gestimmt haben?
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Das ist mir durchaus bekannt. Um so mehr begrüße ich es, daß die CDU/CSU-Fraktion jetzt diesen Antrag gestellt hat.
({0})
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen weiter bekannt, daß, obwohl dieser Punkt damals auf der Tagesordnung des Finanzausschusses stand, kein Mitglied des Bundesrates, also auch kein Mitglied Ihrer Landesregierung, anwesend war, um diesen Antrag zu begründen?
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Das bedaure ich außerordentlich. Ich wäre bestimmt anwesend gewesen, wenn es möglich gewesen wäre.
({0})
- Entschuldigen Sie bitte! Ich habe mir ja auch heute die Mühe gemacht, aus der Sitzung des Landtags hierher zu kommen, und habe hier durchgehalten. Das sollte eigentlich Beweis genug dafür sein, wie ernst wir diese Frage nehmen.
({1})
Ich muß doch einmal im Ernst ganz grundsätzlich etwas dazu sagen. Die Finanzreform hat eben nicht das gewünschte Ergebnis gehabt. Wir haben ja die Zahlen, wir haben ja die Ergebnisse. Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Nachdruck darauf hinweisen, daß die finanzschwachen Länder während der Verhandlungen über die Finanzreform immer in erster Linie für einen vertikalen Finanzausgleich eingetreten sind. Im Hinblick auf die derzeitige Form der Steuerverteilung haben die finanzschwachen Länder niemals, auch nicht vorübergehend, auf Bundesergänzungszuweisungen in irgendeiner Form verzichtet und hätten es auch niemals tun können. Im November 1969 hat der Bundesrat deshalb die Bundesregierung um die Vorlage eines Gesetzes über die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen gebeten. Diesem Wunsch ist die Bundesregierung zwar im Grundsatz nachgekommen, hat aber die Höhe nur auf 100 Millionen DM festgesetzt. Seitdem geht nun dieser Meinungsstreit. Der Bundesrat verlangt 300 Millionen DM; festgesetzt sind 100 Millionen DM; heute haben wir den Antrag auf 200 Millionen DM. Der Bundesrat hat auch den Vermittlungsausschuß angerufen, und morgen verhandelt der Vermittlungsausschuß über diese Frage.
Sie sehen, daß dieser Antrag der CDU/CSU-Fraktion einfach einen Kompromiß darstellt. Ich weiß nicht, warum man nicht einsehen will, daß hier nicht
Ministerpräsident Dr. Lemke
in irgendeiner beliebigen Höhe geholfen werden muß, sondern daß die Zahlen 100, 200, 300 Millionen DM aus sich heraus begründet sein müssen. Dazu lassen Sie mich einige wenige Worte sagen.
Es ist nun einmal erforderlich, sich zwei Zahlen des Bundesfinanzministers klarzumachen. Im günstigsten Fall können für ein finanzschwaches Land 94,4 v. H. des Durchschnitts erreicht werden, im ungünstigsten Fall, dem des Landes Schleswig-Holstein, nur 91,4%. Hieraus ergibt sich, daß die finanzschwachen Länder ihre Aufgaben bisher nur erfüllen konnten, indem sie sich hoch verschuldeten. In Schleswig-Holstein haben wir eine Landesschuld von 3 Milliarden DM bei einem Etat von 3,5 Milliarden DM - ich bitte, das einmal mit Ihren Ländern und mit dem Bund zu vergleichen -; nur dadurch war es möglich, der Bevölkerung, dem einzelnen Bürger solche Lebensumstände zu geben, die einigermaßen mit denen in anderen Bundesländern Schritt hielten. Ich darf hier auch einmal feststellen, daß es gelungen ist, die Infrastruktur im gewerblichen Bereich, im landwirtschaftlichen Bereich, im Verkehrsbereich - ich will Sie nicht mit Zahlen belästigen - im wesentlichen verbessert worden ist.
Aber da habe ich nun gehört, daß heute abend ich war leider noch nicht anwesend - der Herr Verkehrsminister über die steigende Straßenbauleistung für Schleswig-Holstein gesprochen hat. Meine Damen und Herren, ich gebe ohne weiteres zu, daß diese Leistungen des Bundes nominal gestiegen sind. Aber sie wirken sich wegen der hohen Kostensteigerung leider nicht mehr in dem gewünschten Maße aus. Das ist eine Tatsache.
({2})
Sie müssen doch auch einmal gerecht gegenüber unserem Land sein. Wir bekommen zum erstenmal endlich eine Autobahn durch unser Land hindurch. Da ist es so ungeheuer wichtig, daß wir mit den Dingen schneller vorankommen; denn die ganze Entwicklung des Landes hängt davon ab, daß dies vorangeht.
Aber lassen Sie mich bitte noch einmal auf die Frage der hohen Verschuldung zurückkommen. Wir haben 3 Milliarden DM Schulden. Bei den anderen finanzschwachen Ländern ist es nicht viel anders. Wir haben jedes Jahr einen Kapitaldienst, der unsere neue Anleihe für jedes Jahr verschlingt. Dabei muß gerade in solchen Ländern, die finanzschwach sind, besonders viel geleistet werden. Das brauche ich Ihnen nicht vorzutragen. Ich will Ihnen nur eine Deduktion vor Augen führen. Ich möchte Ihnen klarmachen, daß gerade in den finanzschwachen Ländern mehr geleistet werden muß, um nachzuholen, um aufzuholen. Wir sitzen mit den Schulden da und haben einen Kapitaldienst, der die neuen Anleihen einfach verschluckt. Das geht nicht.
Das Pro-Kopf-Einkommen der Erwerbstätigen liegt zwar beim Bundesdurchschnitt, aber die Einnahmen des Landes befinden sich weit unter dem Bundesdurchschnitt. Das liegt an der Finanzverfassung, das liegt am Steuerrecht, das liegt nicht etwa an der mangelnden Arbeit und der mangelnden Beteiligung der Erwerbstätigen. Das sind Fehler in der Konstruktion, und ich meine, da muß, solange Sie keine totale Revision des ganzen föderalen Systems herbeigeführt haben, durch Bundesergänzungszuweisungen geholfen werden.
Sie werden, meine Damen und Herren, die gleichlautenden Äußerungen auch aus anderen Ländern gehört haben. Vor kurzem hat der Finanzminister von Niedersachsen erklärt, daß die Finanzlage seines Landes es nicht mehr erlaube, in diesem Jahr mit neuen Schulbauvorhaben zu beginnen.
({3})
Das sind doch Fakten, die man auch zu dieser mitternächtlichen Stunde mit Sorge entgegennehmen muß.
({4})
Nehmen Sie es mir nicht übel. Ich spreche die Regierungskoalition genauso an wie meine politischen Freunde. Ich spreche hier als Vertreter des Landes Schleswig-Holstein. Sie müssen von mir den Eindruck mitnehmen, daß ich mit allem Ernst und mit großer Sorge seit Jahr und Tag hinter dieser Forderung stehe. Ich meine, solange Sie keine totale Neuordnung des föderalen Systems haben, können Sie bei diesen Finanzgesetzen nur durch Bundesergänzungszuweisungen helfen. Um diese bitten wir, um alle diese Auflagen und Wünsche, insbesondere auch im Jahreswirtschaftsbericht 1971, erfüllen zu können.
Es sind nun Vorschläge gemacht worden, um einen Ausgleich herbeizuführen. Ich will darauf nicht im einzelnen zu sprechen kommen; das ist nicht meine Sache. Aber selbst wenn der Bund seine Kreditaufnahme erhöhen müßte, wäre dies in keiner Weise mit der Zwangslage in den finanzschwachen Ländern zu vergleichen.
Zur Unterstreichung darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß wir dieses Jahr tatsächlich wieder diese 330 Millionen DM aufnehmen müssen, im wesentlichen um unsere Verschuldung zu bezahlen.
Ich muß Sie deswegen mit allem Nachdruck bitten, wenigstens dem gestellten Antrag zu entsprechen. Es liegt mir nicht, zu dramatisieren. Wer von Ihnen mich kennt - es ist ja eine ganze Anzahl -, weiß das. Ich dramatisiere nicht. Ich meine dies mit allem Ernst. Ich kann es belegen. Ich halte es aber nicht für meine Aufgabe, um hier mit Zahlen zu kommen. Sie müssen mir glauben, daß diese Fakten, die ich global vorgetragen habe, echt und wirklich sind. Ich bin deswegen der Meinung, Sie sollten diesem Antrag entsprechen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Frau Präsidentin! Meine Mamen und Herren! Der Vertreter der CDU
Hermsdorf ({0})
und der Vertreter des Landes Schleswig-Holstein haben hier Ausführungen über die Lage der finanzschwachen Länder gemacht. Es gibt in diesem Hause niemand, der die Lage der finanzschwachen Länder nicht kennt und der nicht zugeben würde, daß diese Lage besorgniserregend ist.
Ich muß aber hier folgendes feststellen. Bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich, zumindest im Vermittlungsausschuß, haben die Vertreter der Länder der Bundesregierung eindeutig zugesichert, daß der Finanzausgleich jetzt unter den Ländern stattfindet. Ich muß hinzufügen, daß diese Forderung, dieser Appell, der Finanzausgleich habe zwischen den Ländern stattzufinden, vom ganzen Hause hier in früheren Tagen und Wochen wiederholt worden ist. Auch die Vertreter der gegenwärtigen Opposition haben im Ausschuß von jeher diesen Standpunkt bezogen.
Wir haben das Gesetz über die Ergänzungszuweisungen, als wir es im Ausschuß hatten, einstimmig passieren lassen. Ich gebe zu, daß die CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß den Vorbehalt gemacht hat, beim Einzelplan 60 auf diesen Punkt zurückzukommen. Aber die Darstellung, die hier von seiten des Herrn Ministerpräsidenten gegeben wird, daß es sich nämlich bei den Ergänzungszuweisungen nur um diese 100 Millionen DM handeln würde, stimmt doch nicht ganz, Herr Ministerpräsident. Denn gerade die 'Regierung der Großen Koalition hat - wie auch diese Regierung - doch den Versuch gemacht, in Ihre regionalen Strukturprogramme in einer Weise einzugreifen wie keine andere Regierung zuvor. Hier müssen Sie eben auch zugeben, daß seitens dieser Regierung in struktureller Hinsicht mehr Leistungen erbracht worden sind als von jeder anderen. Auch das muß hier einmal anerkannt werden!
({1})
In der Auseinandersetzung über den Haushalt hatte die CDU zunächst den Antrag gestellt, bei den Ergänzungszuweisungen 200 Millionen DM aufzustocken. Sie hat für diese 200 Millionen als Dekkungsvorschlag 100 Millionen aus dem Devisenausgleich und 100 Millionen aus dem Bundesentschädigungsgesetz angeboten. Ich stelle fest, daß die CDU ihren ursprünglichen Vorschlag von der Deckung wie von der Sache her heute auch nicht mehr aufrechterhalten kann und nunmehr auf 100 Millionen zurückgegangen ist. Aber auch dieser Deckungsvorschlag ist nicht seriös, Herr Bremer.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Lassen Sie mich diesen Gedanken noch zu Ende führen. - Sie wissen ganz genau, daß im Haushaltsausschuß bezüglich Ihres Antrags, ausgerechnet aus dem Bundesentschädigungsgesetz 100 Millionen DM zu nehmen, was politisch seine besondere Nuance hat, von. seiten des Finanzministeriums ganz klar dargelegt worden ist, daß es sich dabei um Forderungen, um Renten handelt, auf die die Länder keinesfalls verzichten können. Dieser Deckungsvorschlag ist auf alle Fälle unseriös; das werden Sie nicht bestreiten können.
({0})
Bitte schön, eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Hermsdorf, würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß der Beweggrund dafür, daß wir unseren Antrag im Plenum halbiert haben, auch darin liegen könnte, daß wir immer noch hoffen, breitere Zustimmung dazu zu finden? Und darf ich weiter die Frage stellen, ob Ihnen bei Ihrem letzten Argument klar war, daß die Regierung gegenüber der ursprünglichen Veranschlagung diese Erhöhung um 100 Millionen DM erbeten hatte, daß der Antrag also nicht unseriös ist?
Herr Althammer, ich würde nicht bestreiten wollen, daß wahrscheinlich auch Ihnen selbst hinsichtlich der Höhe Bedenken gekommen sind. Das spricht dafür, daß Sie sich das noch einmal überlegt haben. Was aber nicht stimmt, ist, daß Sie den Einspruch der Regierung hinsichtlich des Bundesentschädigungsgesetzes auch nur mit einer Silbe hätten entkräften können. Denn es war ganz deutlich dargelegt worden, weshalb diese Erhöhung erfolgen muß und welche Rückstände vorhanden sind.
Dies ist die Lage, und dazu möchte ich hier gleich noch einen Satz sagen, der mehr an Herrn Stoltenberg geht. Hier wird uns vorgeworfen, wir würden im Bundeshaushalt zu sehr auf den Kapitalmarkt gehen und würden uns zu stark verschulden. Herr Ministerpräsident Lemke sagt aber hier, wir sollten ruhig noch 100 Millionen DM draufschlagen. Man kann nur das eine oder das andere; beides geht nicht.
({0})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Lemke.
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Meine Damen und Herren, nur eine kurze Bemerkung: Es handelt sich doch einfach darum, daß wir jetzt, 1971/72, nicht in einem Zuge eine grundsätzliche Änderung herbeiführen können. Der vertikale Finanzausgleich ist abgelehnt worden, ist nicht zum Zuge gekommen; wir wissen das. Es wurde gesagt - ich gebe das gern zu -, das sollen die reichen und die armen Länder untereinander abmachen. Sie haben recht, dieses Finanzausgleichsgesetz ist geschaffen. Aber es funktioniert nicht!
Nun wäre es erforderlich, ein neues Gesetz einzubringen oder aber, da wir nicht bis 1972 warten können, in diesem Jahre eine mittlere Lösung zu finden. Die mittlere Lösung ist eben die Bundesergänzungszuweisung. Sie ist ja auch in der Verfassung vorgesehen, und es ist nichts dagegen einzuwenden.
Ich sage nur: Es ist unmöglich, die Länder damit abzuweisen, daß man sie auf gegenseitige Hilfe
Ministerpräsident Dr. Lemke
vertröstet.. Sie wissen, daß das einfach nicht praktikabel ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich ganz kurz fassen. Was sachlich zu sagen war, im wesentlichen vom Kollegen Hermsdorf vorweggenommen worden. Ich möchte noch einmal deutlich unterstreichen, daß wir trotz der sicherlich beschwörenden Worte des Herrn Ministerpräsidenten und gerade in dieser Situation dies als ein Problem der Länder untereinander, als ein Problem des horizontalen Finanzausgleichs ansehen müssen.
Herr Ministerpräsident Lemke hat eben noch einmal auf den vielleicht vorübergehenden Charakter der Regelung bis zu einer Änderung hingewiesen. Gerade die derzeitigen Zahlen, die uns hier vorliegen, können uns in dieser Auffassung bestätigen. Denn nach den amtlichen Zahlen, die uns hier vorgelegt worden sind, ist es doch so, daß die Länder immerhin bei der Steuerentwicklung im Jahre 1970 - die Länders insgesamt; ich sagte ja, es ist ein Problem der Länder untereinander - sowohl im Ist am besten abgeschnitten haben als auch jetzt am besten abschneiden, jedenfalls besser als der Bund bei den Schätzungen für 1971. Die Steuereinnahmen des Bundes sind 1970 um 6,8 % gestiegen, die der Länder um 8,1 %. Das sind ganz erhebliche Unterschiede.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm?
Herr Kirst, darf ich Ihre Äußerung, daß das eigentlich eine Sache der Länder sei, so verstehen, daß Sie vermutlich in Übereinstimmung mit Ihrem Parteikollegen, dem hamburgischen Finanzsenator, davon ausgehen, daß insbesondere die Hansestadt Hamburg die in SchleswigHolstein fehlenden Gelder im Finanzausgleich zahlen soll?
Verehrter Herr Kollege Damm, uns beiden ist aus gemeinsamer Erfahrung bekannt, wie die Situation unseres Heimatlandes, wenn ich es so formulieren darf, im Finanzausgleich ist. Sie können mir glauben, daß ich mir dieser Konsequenz durchaus bewußt bin. Aber ich habe hier die Auffassung meiner Fraktion in diesem Bundestag zu vertreten.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Damm?
Herr Kirst, sind wir nach dem, was Sie soeben gesagt haben, gemeinsam der Meinung, daß die Länder untereinander gar nicht in der Lage sind, für die finanzschwachen Länder noch einen zusätzlichen Finanzausgleich zu leisten, und daß es, wenn überhaupt, der Bund tun muß, wir also heute dieser Forderung zustimmen sollten?
Herr Kollege Damm, die Dinge liegen sicherlich noch viel komplizierter, als es hier überhaupt und zu dieser späten oder frühen Stunde darzulegen ist. Ich habe mir sagen lassen, daß z. B. durchaus Lösungen denkbar sind, die die finanzstarken Länder nicht gerade gleichmäßig belasten, weil da auch in den Berechnungen keine Einigkeit besteht; ich drücke mich da sehr vorsichtig aus. Aber das ist sehr diffizil, Herr Damm. Ich will es nicht vertiefen. Ich glaube, es ist nicht angebracht, meine sachliche Argumentation für die Auffassung der Koalition mit dem Hinweis kontern zu wollen, daß ich wie Sie aus Hamburg komme.
({0})
Im Gegenteil, ich hatte Ihnen eben die Zahlen genannt. Für die Steuerschätzungen sieht es ähnlich aus. Da rechnen wir für den Bund für 1971 mit einem Plus von 9,3 % und für die Länder mit einem Plus von 10,3 %. Aber eines muß man auch noch sehen. Der Tenor der ganzen Haushaltsberatungen, die in der zweiten Lesung nun fast zu Ende gehen, ist doch der gewesen, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Lage grau in grau und schwarz in schwarz gemalt haben. Herr Leicht hat am Ende seiner Rede zu Einzelplan 08 das Menetekel einer Finanzkrise an die Wand gemalt. Und dann wollen Sie uns noch mit solchen zusätzlichen Anträgen kommen! Das ist doch irgendwie inkonsequent.
Ich will gar nicht verhehlen, daß die Ausführungen des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein sehr sachlich und beeindruckend gewesen sind. Aber eines will ich noch sagen. Im Haushaltsausschuß war es ganz anders. Da hat ein Vertreter der Länder, und zwar eines anderen, aber auch eines finanzschwachen Landes, ganz lapidar nur zwei Begründungen gegeben. Die waren gewiß nicht überzeugend, so daß wir dem im Haushaltsausschuß hätten zustimmen können. Er machte nämlich einmal geltend, die Länder hätten ihre Haushaltspläne so aufgestellt, als würden sie diese höheren Zuweisungen bekommen; das ist gewiß keine Begründung. Und die andere Begründung war die, die Personalkosten würden fortlaufen. Meine Damen und Herren, wir haben ja nun gerade erlebt - jedenfalls ein Teil von uns; und Sie alle werden es ja im März sehen, wenn wir das, was die Besoldungsarbeitsgruppe vorlegt, verabschieden -, was es uns jetzt kostet, das Davonlaufen der Länder auszugleichen. So kann man also wirklich nicht argumentieren.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Möller.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller, Bundesminister der Finanzen: Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, sondern auch die Zwischenfragen veranlassen mich, zu diesem Vorgang Stellung zu nehmen.
Es ist durchaus richtig, Herr Ministerpräsident, daß ich am Sonnabend bei einer Veranstaltung in Kiel davon gesprochen habe, daß die Bundesregierung alles tun wird, um dem finanzschwachen Land Schleswig-Holstein zu helfen. Aber ich würde Ihnen
Bundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
empfehlen, nicht auf den Vorgang im einzelnen einzugehen. Es hat sich hierbei nämlich um eine Beantwortung der Anfrage gehandelt, die Herr Kollege Haase hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 5. Februar eingebracht hat und die zu einer sehr interessanten schriftlichen Beantwortung durch den Bundesminister für Wirtschaft führte. Diese Unterlage, die Sie ja einsehen können, gibt ganz klar die Situation des Landes Schleswig-Holstein wieder, und ich verzichte nur wegen der späten Abendstunde darauf,
({0})
diese Fragen und Antworten hier vorzutragen, zumal jeder Kollege in der Lage ist, sich die Unterlagen hierüber zu beschaffen.
Wir haben bei der Gelegenheit festgestellt, daß im Jahre 1970 ganz besonders entscheidende Hilfen für das Land Schleswig-Holstein von der Bundesregierung geleistet worden sind. Wir haben z. B. darauf aufmerksam gemacht, daß wir allein für die regionale Wirtschaftsförderung des Landes Schleswig-Holstein 53,8 Millionen DM zur Verfügung gestellt haben. Und wenn Sie nun einmal eine Größenordnung zu hören wünschen, dann mache ich darauf aufmerksam: Wenn der Bundestag die Ergänzungszuweisung von 100 auf 200 Millionen DM erhöhte, wäre der Mehranteil des Landes Schleswig-Holstein 16 Millionen DM. Wenn wir also die Beträge für die regionale Wirtschaftsförderung und all die anderen Maßnahmen - vom Küstenschutz über Verkehr bis zur Agrarstrukturverbesserung - zusammenziehen, steht das in gar keinem Verhältnis zu dem Anliegen des Landes Schleswig-Holstein, zumal wir nach einem Schriftwechsel mit dem Finanzminister des Landes auch bereit sind, auf anderen Gebieten zu helfen, wobei es sich in einem Fall um einen Betrag handelt, der wiederum beinahe diese 16 Millionen DM erreicht.
Es geht also hier nicht darum, darüber zu streiten, daß das Land Schleswig-Holstein ein finanzschwaches Land ist und der Hilfe des Bundes bedarf. Diese Hilfe des Bundes wird gewährt. Hier handelt es sich um eine prizipielle Entscheidung. Und da hat eigentlich der Kollege Bremer mit zwei Dritteln seiner Ausführungen bewiesen, daß der Bundestag schlecht beraten wäre, wenn er dem Antrag Folge leisten würde.
Da es üblich geworden ist, daß die Opposition den Ausführungen der Minister oder der Koalitionsfraktionen nur sehr wenig Aufmerksamkeit und Glauben schenkt, will ich mich in meiner Argumentation
({1}) : Sie denken, Angriff ist die
beste Verteidigung, was?)
auf den Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses stützen; denn Herr Kollege Porzner hat schon durch eine Zwischenfrage darauf hingewiesen, daß sich der Finanzausschuß mit diesem Anliegen des Landes Schleswig-Holstein in einer Sitzung am 23. September beschäftigt und einmütig einen Standpunkt eingenommen hat, der sich aus dem Bericht des Herrn Kollegen Krammig ergibt. Sehen wir uns doch diesen Bericht des Herrn Kollegen Krammig an, und
wir haben die Argumentation für die Haltung der
Bundesregierung. In diesem Bericht heißt es erstens: Der Finanzausschuß hat zu diesem Änderungsvorschlag des Bundesrates festgestellt, daß schon die für 1970 und 1971 vorgesehenen Ergänzungszuweisungen von 100 Millionen DM ein Entgegenkommen des Bundes darstellen, nachdem man bei den Verhandlungen über das Beteiligungsverhältnis an der Umsatzsteuer davon ausgegangen ist, daß bei einem Länderanteil von 30 v. H. Ergänzungszuweisungen nicht mehr gezahlt werden.
Das ist die erste Feststellung, wobei ich den finanzschwachen Ländern durchaus zugebe, daß sie mit der Art der Verteilung, die die Länder unter sich hinsichtlich des Anteils von 25 v. H. vorgenommen haben, nicht einverstanden sein können. Aber das ist nicht unsere Schuld. Wenn wir den Auftrag der Länder bekämen, ein neues Finanzausgleichsgesetz auszuarbeiten, dürften Sie sicher sein, daß wir auf die berechtigten Wünsche der finanzschwachen Länder bei einer anderen Gestaltung dieser Vorwegzuweisung an die schwachen Länder aus der Mehrwertsteuer eingehen würden.
Der zweite Punkt:
Die Finanzen der Länder
- so steht es in dem Bericht haben sich seit Verabschiedung des Finanzausgleichsgesetzes im Sommer des vergangenen Jahres günstig entwickelt. Angesichts der angespannten Haushaltslage des Bundes besteht daher keine Veranlassung, über den Vorschlag der Bundesregierung hinauszugehen, zumal damit zu rechnen ist, daß die Steuereinnahmen bei den Ländern stärker steigen werden als beim Bund.
Wie Sie aus den Endergebnissen wissen, ist das tatsächlich der Fall.
Nun Punkt 3:
Nach Art. 107 des Grundgesetzes ist es primär die Aufgabe des Finanzausgleichs unter den Ländern, die unterschiedliche Finanzkraft angemessen auszugleichen. Ergänzungszuweisungen des Bundes kommen nur subsidiär in Betracht.
Und der vierte Punkt:
Wenn jetzt der Bundesrat der Ansicht ist, daß die Finanzkraft der empfangenden Länder verstärkt werden muß, wäre es der nach der Verfassung vorgezeichnete Weg, daß der Bundesrat für eine Verbesserung des horizontalen Finanzausgleichs eintritt.
Das sind die vier entscheidenden Gesichtspunkte, die uns zu unserer Haltung veranlassen, abgesehen davon, daß für die zusätzlichen 100 Millionen DM keine Deckung vorhanden wäre; darauf hat Herr Kollege Hermsdorf schon hingewiesen. Ich brauche das nicht zu wiederholen.
Ich darf Sie nur bitten, dem für diese Fragen sachverständigen Finanzausschuß des Bundestages - den der Finanzausschuß hat mit dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages die Finanzreform geBundesminister Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
macht - in seinem Urteil die Bedeutung zuzumessen, die dieser einstimmige Beschluß und diese Berichterstattung dokumentieren.
({2})
Das Wort hat der Herr Ministerpräsident Lemke.
Dr. Lemke, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein: Meine Damen und Herren, ich weiß, daß ich Sie über Gebühr in Anspruch nehme. Aber ich darf dem Herrn Bundesfinanzminister das Feld nicht so überlassen.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, ich will mich nicht mit Ihnen über die Hilfen streiten, die vom Bund durch all die Jahre dem Land Schleswig-Holstein gegeben worden sind. Darum handelt es sich heute nicht in erster Linie, sondern es handelt sich einfach darum, daß die finanzschwachen Länder niemals zugestimmt haben, daß mit dieser 30 : 70-Lösung bei der Mehrwertsteuer die Bundesergänzungszuweisungen wegfallen, niemals und kein einziges Land. Wenn der horizontale Länderfinanzausgleich, wie Sie sagen - und das habe ich vorhin in meinem Vortrag auch gesagt - nicht glücklich ist und nicht ausreicht, dann muß das vielleicht durch eine Initiative von den finanzschwachen Ländern, noch besser vom Herrn Bundesfinanzminister in Ordnung gebracht werden. Da dies nicht schnell möglich ist und da es sich nicht darum handelt, ob ein finanzschwaches Land Zuschüsse und Hilfen vom Bund bekommt, sondern Bundesergänzungszuweisungen, weil es einfach nicht zurechtkommt - ich habe Ihnen die Zahlen der Verschuldung genannt -, muß aus gesamtstaatlicher Verpflichtung des Bundes jetzt in diesem .lahr wenigstens diese Summe geleistet werden.
({1})
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 129 *). Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Einzelplan 60 im ganzen. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr in zweiter Lesung auf: Haushaltsgesetz 1971
- Drucksachen VI/1757, zu VI/1757 - Berichterstatter: Abgeordneter Leicht ({0})
Dazu liegen Änderungsanträge vor. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Herr Abgeordneter Leicht!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über das Haushaltsgesetz wäre
*) Siehe Anlage 20 sehr vieles zu sagen. Im Interesse des gesamten Hauses wäre es wichtig, sich einmal über die Frage der Garantien, der dort ausgewiesenen Summen und der bereits eingegangenen Verpflichtungen klarzuwerden, um daraus auch für die Zukunft gewisse Schlußfolgerungen ziehen zu können. Ich versage es mir, heute abend darüber zu sprechen. Vielleicht ergibt sich in der dritten Lesung des Haushalts Gelegenheit, sich über diese Fragen noch einmal Gedanken zu machen.
Lassen Sie mich den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 121 *) kurz begründen. Unter Ziffer 1 heißt es: „§ 4 wird gestrichen." Für diejenigen Kollegen, die nicht wissen, um was es sich dabei handelt, gebe ich nur das Stichwort „Öffa". Zur Begründung möchte ich - ich gestehe zu: das habe ich mittlerweile gelernt - unseren geschätzten Kollegen Schoettle zitieren. Er hat im Jahre 1966 zur selben Frage ausgeführt:
Aber Ihr Beschluß, zur vollen Erfüllung des Straßenbauplans den Weg über die Finanzierung durch die Öffa zu gehen, ist auch nur ein Umweg zum Kapitalmarkt, in Wahrheit eine Verschleierung der Tatsachen.
({0})
Da mittlerweile zu dieser Finanzierung über die Offa auch die Finanzierung im Krankenhauswesen und auch die Finanzierung durch die Bildungsanleihe außerhalb des Haushalts hinzugekommen sind - ich befürchte, daß demnächst noch mehr solche Töpfchen außerhalb des Haushalts kommen werden -, meine ich, daß sich der Bundestag für klare Verhältnisse in all diesen Fragen einsetzen sollte.
({1})
Nun zur Ziffer 2 des Änderungsantrags. Durch die Ergänzung des § 5 Abs. 2 soll verhindert werden, daß die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Laufe des Jahres dadurch, daß man Deckungsfähigkeit zu anderen Titeln im Verwaltungshaushalt herstellt, erhöht werden können. Ich brauche nur auf die Begründung des vergangenen Jahres zu verweisen.
Ich bitte Sie, diese beiden Anträge anzunehmen.
Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, noch ein Wort diesmal nicht als Berichterstatter und nicht als Sprecher der CDU, sondern in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, weil ich nicht weiß, ob ich noch Gelegenheit haben werde, das zu tun, was ich vorhabe, nämlich ein Wort des Dankes zu sagen, einmal an die Damen und Herren des Sekretariats des Haushaltsausschusses,
({2})
die in monatelanger Arbeit oft bis an die Grenze ihrer physischen Leistungsfähigkeit von uns gefordert worden sind. Ich spreche dasselbe aus, Herr Finanzminister, den Beamten Ihres Hauses,
({3})
auch den Damen und Herren der anderen Ministerien, die bei diesen Beratungen der letzten Monate *) Siehe Anlage 21
sehr oft auch bis an die Grenze des physisch noch Erträglichen bei uns im Haushaltsausschuß mitgewikrt haben.
({4})
Meine Damen und Herren Kollegen, ich spreche auch ein Wort des Dankes meinen Kollegen des Haushaltsausschusses aus, weil sie, ich möchte schon sagen, in einer einmaligen Fleißarbeit - das kehrt jedes Jahr wieder, aber Fleiß sollte manchmal auch anerkannt werden -, aber nicht nur in einer Fleißarbeit, sondern oft auch angestrengt bis tief in die Nacht hinein, von mir gepeitscht - und dafür entschuldige ich mich -, dafür gesorgt haben, daß wir wenigstens noch einigermaßen - trotz früher Vorlage - diesen Haushalt verabschieden können.
({5})
Schönen Dank, Herr Kollege Leicht.
Wünscht noch jemand das Wort zur allgemeinen Aussprache? - Bitte schön, Herr Kollege Hermsdorf!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich trotz der sehr herzlichen Worte des Kollegen Leicht seinen Worten zum Haushaltsgesetz widersprechen muß. Herr Kollege Leicht, es ist durchaus richtig,
({0})
was Sie zitiert haben, daß der Kollege Schoettle als damaliger Vorsitzender des Ausschusses 1960 hier diese Ausführungen gemacht hat. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es der Kollege Conring und, wenn ich mich richtig erinnere, der Kollege Stoltenberg waren,
({1})
die dieser Auffassung widersprochen haben. Sie haben also viele Jahre eine Praxis geübt, die wir absolut für berechtigt halten, und Sie können uns deshalb heute nicht vorwerfen, wenn wir diese Praxis fortsetzen. Wir haben dem bereits im vorigen Jahr widersprochen, und wir müssen auch diesmal bitten, diesen Antrag abzulehnen.
Im übrigen, Herr Leicht, wenn Sie hier schon dem ganzen Hause und den Beamten des Haushaltssekretariats und des Finanzministeriums gedankt haben: ich bedanke mich als ein Mitglied des Haushaltsausschusses für die Neutralität des Vorsitzenden.
({2})
Wird noch das Wort zur Debatte oder zum Danken gewünscht? -Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung der Anträge. Ich rufe Umdruck 139 *) auf. Das ist ein interfraktioneller Antrag. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.
Der Umdruck 115 **) ist vermutlich durch die Abstimmung zu Einzelplan 15 erledigt. Darf ich davon ausgehen? - Das ist der Fall.
Wir kommen zum Antrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Umdruck 121 ***). Herr Kollege Leicht hat den Antrag begründet. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht. der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Können wir gemeinsam abstimmen?
({0})
Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit, der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann in zweiter Lesung über das Haushaltsgesetz 1971 im ganzen ab. Wer den §§ 1 bis 21, Einleitung und Überschrift - § 14 in der durch die Annahme des Antrags auf Umdruck 139 geänderten Fassung - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich danke Ihnen, daß Sie so lange ausgehalten haben. Ich glaube, wir schulden auch den Mitarbeitern dieses Hauses Dank für den Nonstopeinsatz.
({1})
Ich darf hier wohl heute ganz besonders die Herren Stenographen nennen, die ohne Pause und ohne Ablösung seit 9 Uhr im Einsatz sind. Vielen Dank!
({2})
Ich berufe das Haus auf Donnerstag, den 11. Februar 1971, 9 Uhr, ohne Fragestunde.
Die Sitzung ist geschlossen.