Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/15/1966

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich den Abgeordneten Weiland zu begrüßen, der mit Wirkung vom 14. Dezember 1966 als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Verbeek die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit. ({0}) Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger Punkt der Tagesordnung: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Mischnick.

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen, Herr Präsident, daß Sie der Opposition Gelegenheit geben, zuerst zu sprechen. ({0})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Herr Abgeordneter, ich bitte, die Entscheidungen des Präsidenten weder im positiven noch im negativen Sinne zu kommentieren. ({0})

Wolfgang Mischnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001512, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine neue Regierung mit einer neuen Politik - das war die Forderung der Öffentlichkeit, seitdem in den vergangenen Monaten die Parteikrise der CDU/CSU augenfällig geworden ist. Niemand wird bestreiten können, daß die Forderung der Öffentlichkeit berechtigt war. Die offenen Gegensätze in der Partei des alten und des neuen Bundeskanzlers haben die Regierung Erhards dazu geführt, daß sie gelähmt wurde. Sie haben am Ende zu der Krise geführt, die zu einer Neubildung der Bundesregierung zwang. Der Bundeskanzler hat mit Recht in seiner Regierungserklärung auf die Ursachenkette hingewiesen, daß nämlich neben den innen- und außenpolitischen Problemen nicht zuletzt die innerparteilichen Auseinandersetzungen. ({0}) eine schwere Last für die Arbeit der Regierung Erhard gewesen sind. Wenn Sie schon alles vergessen haben -, ich habe es nicht vergessen und viele draußen im Lande auch nicht. ({1}) Und wer hätte auch schon vergessen, wie viele versteckte und offene Angriffe auf den damaligen Bundeskanzler und auf einzelne seiner Minister aus den Reihen Ihrer Partei, aus den Reihen der Unionsparteien registriert werden mußten. ({2}) Wer hätte vergessen, daß die Bündnispolitik des damaligen Außenministers und des heutigen Verteidigungsministers Zielscheibe unablässiger Angriffe aus den Reihen der eigenen Fraktion und aus den Reihen der eigenen Partei gewesen ist. ({3}) Wer wollte vergessen, daß Politiker der Unionsparteien immer wieder die Politik attackiert haben, die den Haushaltsausgleich durch grundlegende wirksame Maßnahmen erreichen wollte, damit auf die gefährlichen und untauglichen Mittel ({4}) der zeitweisen Defizitüberbrückung durch Steuererhöhungen verzichtet werden konnte. Sie haben doch die Steuererhöhung erzwungen, nicht wir! ({5}) Die Exponenten mächtiger Interessengruppen in der CDU/CSU haben den Bundeskanzler immer wieder zu innerparteilicher Rücksichtnahme veranlaßt. Sie haben damit eine Aufweichung der Richtlinienkompetenz erzwungen und so am Ende die dringend notwendigen politischen Entscheidungen für den Haushalt nicht mehr möglich gemacht. ({6}) Der Versuch gar, eine realistische Außen- und Verteidigungspolitik durchzusetzen, wurde immer wieder aus Ihren Reihen diffamiert und verketzert. Auch auf der neuen Regierung liegen diese Schatten, wenn der Streit im Koalitionslager um die Frage geht, ob diese Regierung eine neue Politik will oder ob sie das fortsetzen soll, was Sprecher der CDU/CSU rasch und oft gedankenlos als bewährte Politik der Vergangenheit bezeichnen. ({7}) Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern harte Worte über die Politik der Vergangenheit gefunden, für eine Politik also, die der Vorsitzende seiner Partei als Bundeskanzler ({8}) und die der Vorgänger dieses Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers in eben diesen beiden Ämtern zu verantworten hatten. Wer bestimmte denn die Richtlinien der Politik? Sie legten doch Wert darauf, daß Ihr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmte. Wir haben sie doch nicht bestimmt! Das wissen Sie doch ganz genau. ({9}) Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung mit tadelnden Worten vom Ressortegoismus gesprochen, und er hat auf die notwendige Zusammenarbeit von Regierungstätigkeit und parlamentarischer Arbeit verwiesen. Es wird sich nun zeigen müssen, ob diese Hinweise nützen, ob sie geeignet sind, die Geschäftigkeit und Aktivität derjenigen in die rechten Bahnen zu lenken, deren Tatendrang - oder muß ich sagen: „Untatendrang"? - der vergangenen Regierung die Arbeit erschwert, ja sogar in manchen Bereichen unmöglich gemacht hat. ({10}) Die Angriffe aus den eigenen Reihen, die der Bundeskanzler und Parteivorsitzende der CDU auszuhalten hatte, hatten ihren ersten entscheidenden Höhepunkt, als der engste Mitarbeiter Bundeskanzler Erhards, Bundesminister Westrick, um seine Entlassung bat. Das geschah zu einem besonders kritischen Zeitpunkt, während hier eine schwere Debatte und eine schwierige Stunde für die damalige Regierung war. Damit war ein Zeichen für die Entwicklung gesetzt, die mindestens ein halbes Dutzend einflußreicher Politiker in der CDU/CSU schon lange herbeigesehnt hatten. Die verschiedenen Gruppierungen in der CDU/CSU formierten sich von diesem Zeitpunkt an für den Kampf um die Nachfolge im Palais Schaumburg und für den Kampf um den passenden Zeitpunkt für die für sie richtige Koalition. Das Ergebnis dieser Koalitionsverhandlungen stand von Anbeginn an fest. Der Herr Bundeskanzler selbst hat erklärt, daß er von der Übernahme seines Auftrags an nur diese Koalition und keine andere wollte. Er hat sie nahezu als eine geschichtliche Notwendigkeit hingestellt. In verschiedenen Interviews ist wörtlich zitiert worden - ({11}) - Dann lesen Sie nach, was Herr Kempski über ein persönliches Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler bei der Fahrt hier in Bonn, wenn ich mich recht erinnere, schreibt! ({12}) - Er hat es selbst geschrieben. Lesen Sie es doch nach! Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Herbert Wehner hat erklärt, in dieser Zeit brauche unser Volk diese Koalition. Das ist Ihre Überzeugung, meine Damen und Herren. ({13}) Wir Freien Demokraten wollen sie gar nicht bestreiten. ({14}) Sie allein haben sie natürlich auch zu verantworten. Diese Klarstellung ist gerade an dieser Stelle dringend notwendig, um jene Nebelwand von Legenden aufzureißen, mit der die Entscheidung für die neue Koalition verbrämt wurde. ({15}) Die Urheber dieser Koalition haben nämlich immer wieder versucht und versuchen es auch heute noch, in der eigenen Partei und vor der Öffentlichkeit die schwarz-rote Koalition als etwas Zwangsläufiges, am Ende sogar von der FDP Verursachtes, keinesfalls aber um Gottes willen selbst Gewolltes erscheinen zu lassen. Wer eine Koalition eingeht, muß auch bereit sein, sie voll zu verantworten. Er soll die Verantwortung nicht auf andere übertragen wollen, noch soll er seine Verantwortung dadurch vermindern wollen, daß er beständig den Eindruck erweckt, als sei hier eine Schar von Heiligen zur Sünde auf Zeit gezwungen worden. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Regierungserklärung ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswertes Dokument. Sie mischt Argumente, Scheinargumente in bunter Folge. Ein Argument ist staatspolitisch nach unserer Auffassung besonders gefährlich und muß von jedem Freund der parlamentarischen Demokratie entschieden zurückgewiesen werden. Ich meine die Stelle in der Regierungserklärung, wo es heißt, man wolle aus Angst vor sich selbst, oder wie Sie es formuliert haben, Herr Bundeskanzler: als stärkste Absicherung gegenüber einem möglichen Mißbrauch der Macht ein neues Wahlrecht gesetzlich verankern. ({17}) - Keine Sorge, es kommt noch mehr dazu. Das bestehende Wahlrecht wird seit knapp 17 Jahren bei uns praktiziert. Es hat in der Bundesrepublik zu einer festen und stabilen Parteienstruktur geführt. Dennoch oder gerade deswegen sollen offensichtlich im Kartelldenken der Macht die Mitbewerber der gegenwärtigen Regierungskoalition ausgeschaltet werden. ({18}) Es ist notwendig, in dieser Stunde daran zu erinnern, daß die Freien Demokraten in der Vergangenheit entscheidenden Anteil an der Gestaltung unseres Staates hatten. ({19}) Ich denke nur an den Beschluß - den haben Sie wahrscheinlich nicht mitgemacht; ich weiß es nicht mehr so genau - des Frankfurter Wirtschaftsrates. Wir waren es, die damals die notwendige parlamentarische Unterstützung für den Wirtschaftsdirektor Erhard erbracht haben, weil viele Kollegen aus Ihren Reihen, aus den Reihen der CDU/CSU, gegen ,die Marktwirtschaft Bedenken hatten. ({20}) - „Mit Recht", sagen Sie heute. Sind Sie immer noch vor 20 Jahren stehengeblieben? Das tut mir leid. Im Parlamentarischen Rat sorgten Theodor Heuss, Thomas Dehler, Max Becker und andere liberale Politiker dafür, daß die Grundrechte - ({21}) - Ja, Sie haben leider zu schnell vergessen, wie das Ringen um die Grundrechte damals war. Deshalb sind Sie offensichtlich bereit, heute leichtfertiger damit umzugehen. ({22}) Wir haben damals mit dafür gesorgt, daß die Grundrechte unseres Grundgesetzes ihr freiheitliches Gepräge bekamen. Die erste Regierung Adenauer hat unter entscheidender Mitwirkung der Freien Demokraten von 1949 bis 1953 die Grundlagen für die Bundesrepublik Deutschland in einer Weise geschaffen, daß wir heute trotz punktueller Schwierigkeiten nach wie vor die zweitstärkste Industrienation der westlichen Welt sind. ({23}) - Dank der Mitwirkung der Freien Demokraten. Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht, all das wäre nicht erreicht worden, wenn nicht liberale Politiker, Freie Demokraten, in entscheidenden Funktionen mitgewirkt hätten. Wollen Sie, meine Damen und Herren, den liberalen Kräften in unserem Volk durch eine Wahlrechtsänderung für die Zukunft die unmittelbare Mitwirkung nehmen? ({24}) - Sie sagen „ja". Sie bestätigen damit, welche Furcht Sie nach diesem schwarz-roten Kartell vor einer Wahl haben. ({25}) Wollen Sie die mehr als 3 Millionen Wähler der Freien Demokraten zwingen, sich der Stimme zu enthalten, sie politisch entrechten? Wer noch einen Funken freiheitliches Gefühl hat, muß sich dieser Art der Machtkonsolidierung der jetzigen Regierung mit allen Mitteln erwehren. ({26}) Das ist nicht nur für uns Freie Demokraten eine entscheidende Frage, das geht das ganze deutsche Volk an. Wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, diese Pläne eigentlich rechtfertigen? Wie wollen Sie politisch und rechtlich die Manipulation mit einem Übergangswahlrecht begründen? Wie wollen Sie all dies mit der Feststellung in Ihrer Regierungserklärung vereinbaren, in der Sie mit Blick auf das Ausland unterstreichen, daß auch bei den letzten Landtagswahlen die überwiegende Mehrheit der Wähler in Bayern und Hessen für die demokratischen Parteien votiert hat, für Parteien also, die während der letzten beiden Jahrzehnte den Aufbau eines demokratischen Staates und die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die europäische, die westliche Völkerfamilie vollzogen haben, deren Inhalt und deren politisches Ethos wir teilen? ({27}) - Wenn Sie, Herr Kollege Dittrich, rufen: „Nicht die FDP!", dann lesen Sie die Prozentsätze nach, die Ihr Bundeskanzler angegeben hat. Sie sind mit der FDP und nicht ohne FDP. Herr Bundeskanzler, Ihre Regierungserklärung zeigt deutlicher, als Ihnen vielleicht angenehm sein kann: der staatspolitische Leitsatz dieser Koalition scheint offensichtlich die Forderung nach einer Änderung des Wahlrechts zu sein. Sie steht an der Spitze. Ihr wird alles unterstellt. Damit wollen Sie die gewachsene Parteienstruktur unter Mißachtung des Grundrechts der Chancengleichheit in das Ebenbild dieser, Ihrer Koalition umpressen. Wundern Sie sich eigentlich darüber, Herr Bundeskanzler, daß in der Öffentlichkeit die Befürchtung laut geworden ist, diese Koalition könnte am Ende auch zu einer Gefahr für die innere Freiheit unserer Demokratie werden? ({28}) Sie dürfen sich nicht darüber wundern; denn mit Ihrer Regierungserklärung haben Sie diesen Befürchtungen Nahrung gegeben. Sie sprachen von der Respektierung der Rechte der oppositionellen Minderheit im Parlament, und gleichzeitig verkünden Sie als Programm Ihrer Regierung die Forderung, dem Volk die liberale Alternative durch eine Wahlrechtsmanipulierung nehmen zu wollen. Das ist doch ein Widerspruch in sich. ({29}) Sie sprechen davon, daß die Einführung dieses neuen Wahlrechts so besonders nützlich sei, weil damit künftig keine Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen bestehe. Sie wollen also dieses Wahlrecht als institutionelle Abwehr von Koalitionsbildungen verstehen, so als ob Koalitionen in der parlamentarischen Demokratie án sich etwas Böses wären. Sie vergessen dabei ganz und gar, daß auf dem europäischen Kontinent die Koalitionsbildung fruchtbar praktiziert wird, wo die Völker das Glück einer freiheitlichen Demokratie haben. ({30}) Wo nehmen Sie eigentlich die Garantie her, daß bei einem sogenannten Mehrheitswahlrecht, das in Wahrheit ein Minderheitenwahlrecht ist, tatsächlich die gewünschten Mehrheiten herkommen? Die Beispiele in Kanada und England beweisen doch, daß es auch anders sein kann. Muß ich Sie, Herr Bundeskanzler, daran erinnern, daß die parlamentarische Demokratie von der parlamentarischen Auseinandersetzung lebt? Muß ich Sie daran erinnern, daß sich die politischen Kräfte in dieser Auseinandersetzung vor der Geschichte und vor dem Urteil der Wähler zu bewähren haben? Warum will man dann eine Gruppe unbedingt mit dem Wahlrecht ausschalten? Die Wahlrechtsänderung soll offensichtlich genau das schaffen, was die Wähler 1961 und 1965 Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, aus gutem Grund verweigert haben, nämlich die absolute Mehrheit. ({31}) Wenn jetzt die Vorteile klarer Mehrheiten, wie es so schön heißt, angepriesen werden, dann sollte man sich daran erinnern, daß die dritte Legislaturperiode von 1957 bis 1961 mit der absoluten Mehrheit der CDU/CSU die politisch sterilste Zeit nach 1949 in diesem Bundestag überhaupt war. ({32}) Die sozialdemokratische Opposition war damals in der Beurteilung mit den Freien Demokraten völlig einig. Heute geistert dieses Modewort von den „klaren Mehrheiten" durch die Lande. Wo sind denn diese klaren Mehrheiten bisher bei Ihnen in -der CDU/ CSU gewesen? Wo wollen Sie denn diese Mehrheit in der CDU/CSU herbekommen? Haben Sie vergessen, daß von 1957 bis 1961, um nur ein Beispiel zu nennen, die Unfallversicherungsreform nicht verabschiedet werden konnte, weil sich die CDU/CSU mit oder vielleicht wegen der absoluten Mehrheit nicht einig werden konnte? Das Märchen von der entscheidungsfreudigen, auf die klare Mehrheit 'gestützten Regierung glaubt doch nur der, der die damaligen vier Jahre in diesem Bundestag nicht mitgemacht hat. ({33}) Die neue Regierung wurde mit viel Vorschußlorbeeren bedacht. Man erwartete von ihr in jeder Beziehung ein neues Beginnen. Der gute Vorsatz, die Zahl der Minister einzuschränken, blieb praktisch schon vor der Tür des Bundeskanzleramtes auf der Strecke. ({34}) Es sind sogar zusätzlich parlamentarische Staatssekretäre oder Staatsminister - keiner weiß im Augenblick, was es geben wird - zu erwarten. Wir Freien Demokraten halten die Einrichtung von parlamentarischen Staatssekretären oder Staatsministern für eine durchaus gute Sache; allerdings sind wir davon ausgegangen, daß gleichzeitig die Zahl der Bundesminister erheblich herabgesetzt werden kann. ({35}) Offensichtlich hat jedoch bei Ihnen der bei vielen geheiligte Proporz wieder einmal mitgewirkt, nunmehr allerdings im Quadrat. Es ging nicht nur um die Balance innerhalb der CDU/CSU nach Konfessionen und Regionen, sondern nunmehr auch um die Balance mit der SPD. Es ist eben nicht der große Wurf gelungen, der laut Schlagzeilen erfolgen sollte. Dabei will ich jetzt völlig unerörtert lassen, inwieweit der Gedanke einer wirklich neuen Politik mit so vielen bekannten alten Gesichtern und deren Auffassungen tatsächlich betrieben werden kann. ({36}) Wir Freien Demokraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden in der Opposition konstruktiv mitarbeiten. Uns geht es nicht um Verneinung um jeden Preis. ({37}) Wir werden aber sorgfältig darüber wachen, ob Notwendiges offensichtlich nur deshalb nicht geschieht, weil sich die neue Koalition wegen ihrer inneren Gegensätze zu keiner Handlung aufraffen kann. Qualität konnte noch nie durch Quantität ersetzt werden. ({38}) Sie haben, Herr Bundeskanzler, mit Recht darauf verwiesen, daß die Regierungserklärung keine automatische Zusammenstellung der Ressorts sein soll, daß sie nicht degradiert werden soll zu einem Wunschkatalog der Ressorts. Das entbindet Sie freilich nicht von der Pflicht, ergänzende Ausführungen zu wichtigen Bereichen zu machen, die Sie - aus welchen Gründen auch immer - ausgespart haben. Angesichts eines Innenministers z. B., der den Erfolg einer Regierung neuerdings offensichtlich nach der Zahl der erreichten Verfassungsänderungen zu messen scheint, stellt sich die Frage: Wie will Ihre Regierung das Verhältnis Bund-Länder gestalten? Was gehört nach Ihrer Auffassung zum Bund, was zu den Ländern? Ist Ihre Regierung bereit, dort zu handeln, wo sich das Signum des Mißtrauens der Siegermächte in der Gliederung unseres Staates zeigt, dort also, wo fremde Handschrift unsachgemäße Korrekturen an dem angeMischnick bracht hat, was unsere Freunde aus allen Fraktionen im Parlamentarischen Rat wollten? Werden Sie die Kraft haben, für eine Modernisierung und Stärkung unseres Staates innerhalb Ihrer Koalition auch die Teile der Unionsfraktion zu gewinnen, denen Sie in Ihrem Amt besonders verbunden sein müssen? Eben diese Kräfte waren es, die vor 17 Jahren den Weg zum wirklichen Bundestag nicht gehen wollten, sondern den Staatenbund als ein Modell der deutschen Möglichkeiten anpriesen. Der eigentliche Sinn des Föderalismus liegt in der zusätzlichen Kontrolle der Macht, in der Ausgewogenheit der Machtverhältnisse, was im übrigen auch eine Absage an alle Gleichschaltungsbestrebungen in den Ländern ist. Die falschen Interpreten des Föderalismus verstehen ihn als ein Mittel zur Schwächung des Bundes und damit zur Schwächung der Handlungsfähigkeit des Ganzen; allerdings nur, solange sie im Bund nicht an der Macht sind, wie sich jetzt manchmal schon zeigt. In unserer Zeit ist nach meiner Überzeugung kein Platz für Rheinbund-Vorstellungen napoleonischer Zeit. ({39}) - Alle diejenigen, die glauben, dem Bund das verwehren zu müssen, was der Bund heute braucht. Sie, Herr Bundeskanzler, haben es sich mit der Frage des Föderalismus in Ihrer Regierungserklärung sehr leicht gemacht. Sie sind darüber hinweggehuscht ({40}) mit dem Begriff des kooperativen Föderalismus. Gleichzeitig verweisen Sie aber auf die Regierungsmehrheit, die eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit bei weitem übersteigt. Dabei sollte freilich nicht unerwähnt bleiben, daß die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit bei Ihrer Wahl zum Bundeskanzler knapp erreicht wurde. Entscheidend ist, ob Sie, Herr Bundeskanzler, die Kraft haben, die erforderlichen Mehrheiten für die Lösungen in der Aufgabenverteilung von Bund und Ländern im Bund und in den Ländern wirklich zu schaffen. Bei den Hinweisen auf die Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern über den Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer wird davon gesprochen, daß eine vertikale Rangliste der Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet werden muß. Da von der formierten Gesellschaft in dieser Regierungserklärung nicht mehr die Rede ist, muß man annehmen, daß an ihre Stelle jetzt die vertikale Rangordnung treten soll. ({41}) Das in der Bundestagswahl 1965 mit viel Aufwand gepriesene Deutsche Gemeinschaftswerk ist ebenfalls fallengelassen worden. Wir haben es damals schon bekämpft ({42}) und haben uns deswegen manchen Arger in der Koalition eingehandelt. ({43}) Ist die formierte Gesellschaft nun in der neuen Zusammensetzung der Regierungsbank zu sehen, oder welchen Platz nimmt dieser Begriff in der zukünftigen Politik der Regierung ein? ({44}) Hoffentlich tritt an die Stelle - und das ist mir sehr, sehr ernst - der formierten Gesellschaft nicht die wahlrechtsmanipulierte Gesellschaft. ({45}) In der Regierungserklärung wird dargelegt, daß der finanzielle Handlungsspielraum wiedergewonnen werden müsse, wie es wörtlich heißt, denn sonst wären die zukünftigen Haushalte nur noch Zwangsvollstreckungen früherer Regierungsvorlagen und früherer Parlamentsbeschlüsse. Offensichtlich haben Sie, Herr Bundeskanzler, dabei an die Arbeit des ,,Kuchenausschusses" Ihrer Partei vor der Bundestagswahl 1957 gedacht, als der Julius-Turm großzügig verteilt wurde, allerdings nicht in Form von einmaligen Ausgaben, sondern von steigend wiederkehrenden Ausgaben, die mit zu dem schweren Erbe der letzten Regierungen gehörten. ({46}) Gerade die absolute Mehrheit Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, hat uns durch Ihre Beschlüsse dazu gebracht, daß wir heute aus der Zwangsvollstrekkung früherer Regierungsvorlagen und Parlamentsbeschlüsse herausfinden müssen. Sie bestätigen mit dieser Auffassung unsere Meinung, daß für die Zukunft ein erfolgversprechender Weg nur dann beschritten werden kann, wenn wir die Ausgaben kürzen, statt durch Einnahmesteigerungen zu mehr Ausgaben anreizen. ({47}) Jetzt wird sich vor allen Dingen zeigen, ob die durch die damalige Koalition auch in den kritischen Tagen des Jahres 1950 zäh verteidigte soziale Marktwirtschaft erhalten bleiben wird. Manche Passagen der Regierungserklärung lassen hier Besorgnis aufkommen. Schon hört man in den Gängen dieses Hauses flüstern, eine einkalkulierte Inflationsrate sei das bequemste Mittel, um aus der schwierigen Haushaltssituation herauszukommen. ({48}) - Wenn Sie es noch nicht gehört haben, dann sind Ihre Informationen schlechter als unsere, was mich überrascht. ({49}) Wir Freien Demokraten bekennen uns demgegenüber nach wie vor zu dem Grundsatz, daß die Zuwachsrate der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden mit der Zuwachsrate des Sozialprodukts in Einklang gebracht werden muß. ({50}) Ihr Amtsvorgänger, Herr Bundeskanzler, Professor Ludwig Erhard, hat diesen Grundsatz über Jahre gemeinsam mit den Freien Demokraten vertreten. Als er selbst von diesem Grundsatz abwich - offensichtlich auf Druck falscher Ratgeber aus den eigenen Reihen -, war der entscheidende Schritt zum Ende seiner Regierungszeit getan. Wir bekennen uns nach wie vor zu dem Gesetz zur Förderung der Stabilität, um eine konjunkturgerechte Haushaltsgesetzgebung von Bund, Ländern und Gemeinden zu erreichen und um damit für eine langfristige Stabilitätspolitik zu sorgen. ({51}) Wir vermissen in der Regierungserklärung die notwendige klare Rangordnung für die öffentlichen Ausgaben, ({52}) die bei allen haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen beachtet werden muß. Wir begrüßen den Hinweis, daß die Sozialinvestitionen, die der Zukunftssicherung dienen, Vorrang haben sollen. Es muß aber deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden, was dann nachrangig sein soll. In dem Aufstellen von Vorrangigkeiten sind wir uns immer sehr schnell einig gewesen; wenn es um die Nachrangigkeit geht, geht ja meistens der Streit erst los. Die Passagen der Regierungserklärung, die sich mit der Gesellschaftspolitik im allgemeinen und der Sozialpolitik im besonderen befaßten, sind sehr global und haben zum großen Teil nur einen geringen Aussagewert. Mit besonderem Interesse haben wir allerdings den Hinweis vermerkt, daß, wie es wörtlich heißt, „am Prinzip der dynamischen Rente" festgehalten werden soll und daß dazu festgestellt wird - ich zitiere wieder wörtlich -: „Wir müssen aber sehr ernsthaft die Bemessung der jährlichen Zuwachsraten der Sozialleistungen und der Bundeszuschüsse prüfen und sie mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer guten Finanzpolitik in Einklang bringen". Wir werden die Bundesregierung bei diesem Bemühen kräftig unterstützen. Wer keine soziale Demontage will, und wir Freien Demokraten wollen keine soziale Demontage, muß den Mut haben, die sozialen Leistungen nicht nur unter den heutigen Möglichkeiten, sondern auch unter den künftigen Entwicklungen zu sehen. ({53}) Wir verstehen die Regierungserklärung dahin gehend, daß die neue Bundesregierung offensichtlich die Automatik überprüfen will, die in. der Rentengesetzgebung enthalten ist. Uns Freien Demokraten geht es darum, nicht nur dem Rentner von heute, sondern auch dem Beitragszahler von heute die soziale Sicherung zu geben, die' wirtschaftlich möglich ist. ({54}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Befremden mußten wir allerdings feststellen, daß für den ganzen Bereich der Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen eine pauschale Feststellung getroffen wird, die zu mancherlei Befürchtung Anlaß gibt. Will die neue Bundesregierung hier einen Schlußstrich ziehen nach dem Motto, wer bis jetzt auf der Strecke geblieben ist, der soll auch in Zukunft auf der Strecke bleiben? Ist es mit der Verwirklichung des sozialen Rechtsstaats in Einklang zu bringen, daß wir weiterhin bei der Gewährung sozialer Leistungen mit zweierlei Maßstab messen? Der Zwang, sparsam zu wirtschaften, darf doch nicht bedeuten, daß die durch den Krieg und die Nachkriegszeit Betroffenen die Hauptleidtragenden, ja zum Teil die allein Leidtragenden bleiben sollen. Ist die gestrige kurze Debatte um die Kriegsopferversorgung schon ein Vorbote dieser neuen Einstellung gewesen? ({55}) - Ich habe nicht von dem Volumen, sondern von der Debatte gesprochen, Herr Kollege Schellenberg, und das scheint mir doch ein großer Unterschied zu sein. Richtig wird in der Regierungserklärung davon gesprochen, daß wir uns nicht mehr leisten können, öffentliche Mittel unterschiedslos nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Warum hat dann eigentlich die neue Koalition ihre eigene Regierung bei der Entscheidung über das sogenannte Pennälergehalt in der vorigen Woche bereits im Stich gelassen und das noch immer vorhandene Gießkannenprinzip in diesem speziellen Bereich nicht völlig beseitigt, ({56}) um damit den Weg für gezielte Maßnahmen der Ausbildungsförderung frei zu machen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun ein paar kurze grundsätzliche Bemerkungen zur Deutschland- und zur Außenpolitik machen. Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß der Weg der Friedensnote der Bundesregierung vom März dieses Jahres mit dem Angebot der Gewaltverzichtserklärungen fortgesetzt werden soll. Wir halten es für richtig, daß die Bundesregierung betont, sie sei bereit, das ungelöste Problem der deutschen Teilung in dieses Angebot einzubeziehen. Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß wir uns nicht eine falsche und gefährliche Alternative der Wahl zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten aufreden lassen sollen. Wir hätten es allerdings für besser gehalten, Herr Bundeskanzler, wenn die historischen Reminiszenzen unterblieben wären. Es ist nicht unsere Sache, die Partnerschaft anderer Staaten untereinander zu werten. Wir hoffen, daß die neue Bundesregierung alle Möglichkeiten nutzt, um die Teilnahme Großbritanniens und anderer EFTA-Länder an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verwirklichen. Die Deutschlandpolitik der neuen Bundesregierung wird ein entscheidender Prüfstein dafür sein, ob sich angeblich Bewährtes oder ob sich Neues durchgesetzt hat. Niemand bestreitet, daß es richtig ist, bewährte politische Grundsätze der Vergangenheit auch für die Zukunft anzuwenden. Nur scheint die Meinung darüber, was sich bewährt und was sich nicht bewährt hat, unter den neuen Koalitionspartnern sehr unterschiedlich zu sein. ({57}) Wir sind gespannt darauf, ob die Gedanken des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, die er in seinem Interview mit Günter Gaus dargelegt hat, nunmehr in die Politik der neuen Bundesregierung Eingang finden. Sind die Überlegungen, die in seinem neuesten Interview im „Vorwärts" erschienen sind, Grundlagen seiner Politik und entsprechen sie den Richtlinien der Politik, die Sie, Herr Bundeskanzler, ausgeben? Wir finden darin vieles, was wir Freien Demokraten immer vertreten haben und wofür wir immer von unserem damaligen Koalitionspartner beschimpft worden sind. Meine Freunde und ich, Herr Bundeskanzler, hoffen auf einen neuen, besseren Weg. Ich erwarte nicht, daß die Möglichkeiten der künftigen Deutschlandpolitik hier und heute bis ins einzelne dargelegt werden. Manches, dessen sind wir uns bewußt, wird man im vertraulichen Gespräch - wie wir hoffen, nicht nur innerhalb der Regierung, sondern auch mit der Opposition - behandeln müssen. Wichtig ist für uns, zu wissen, ob neue Wege nur proklamiert werden oder ob der Wille und die Mehrheit dahinter stehen, diese neuen Wege auch gehen zu wollen. Wir können mit dafür sorgen, wenn es not tut, wenn Sie uns brauchen, Herr Bundesminister Wehner, die Mehrheiten dafür zu finden. ({58}) Herr Bundeskanzler, wir Freien Demokraten vermissen in der Regierungserklärung ein Wort zur Bundeswehr und ihrem Auftrag. Es ist ja noch nicht vergessen, daß im September die damalige Opposition mit einem Mißtrauensantrag gegen den damaligen Verteidigungsminister von Hassel mehr wollte als nur die Auswechselung eines Ministers. Es wäre wichtig, heute von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu hören, wie Sie den Auftrag der Bundeswehr für die Zukunft sehen. Wir hätten es begrüßt, wenn in der Frage der atomaren Bewaffnung klarere Aussagen erfolgt wären. Daß wir „keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen anstreben", ist nichts Neues. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die Bundesrepublik keinerlei Mitbesitz an Atomwaffen anstreben sollte. Nur durch eine solche klare Aussage gewinnen wir den außenpolitischen Spielraum, den wir brauchen. ({59}) Damit wir unserer Verantwortung für die Erhaltung der Substanz des ganzen deutschen Volkes gerecht werden können, braucht die Bundesrepublik Deutschland ein Vetorecht gegen den Einsatz atomarer Waffen auf deutschem Boden und gegen deutschen Boden. Als gleichberechtigtes Mitglied im NATO-Bündnis hat die Bundesrepublik nach unserer Auffassung auch Anspruch auf Mitwirkung bei der Krisenbewältigung. Es soll hier auf Einzelheiten nicht näher eingegangen werden; das wird eine Reihe meiner Kollegen in weiteren Beiträgen tun. Über eines sollte sich aber jeder in diesem Hause im klaren sein: der Weg der atomaren Illusion führt geradewegs in die politische Isolation. ({60}) Zu unserem Bedauern ist in der Regierungserklärung auch kein Wort zum künftigen Notstandsrecht enthalten. Wir haben volles Verständnis dafür, daß nicht alle Ressortfragen dargelegt worden sind. Die Gestaltung des Notstandsrechts gehört aber zu den Grundproblemen, die in dieser Legislaturperiode gelöst werden müssen. Oft genug ist ja die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit dafür betont worden und zum Teil wurde gerade die Notstandsgesetzgebung als Begründung angeführt, weshalb man eine Koalition mit so breiter Mehrheit brauche. Es läßt mißtrauisch werden, daß gerade über diese, die Öffentlichkeit stark bewegende Frage nichts gesagt wird. Bedeutet das, daß die Notstandsgesetzgebung für den einen Teil der neuen Regierung weniger dringlich geworden ist? Soll sie damit vertagt werden? Oder bedeutet es für den anderen Teil der Regierung, daß man öffentlich besser nicht darüber spricht, weil man nicht- weiß, wie man es seinen eigenen Freunden sagen soll, wie man es ihnen begreiflich machen soll? Wir hoffen, daß unsere Befürchtungen unbegründet sind. Ein klärendes Wort hierzu durch Sie, Herr Bundeskanzler, ist vonnöten. Was vor Jahren und erst wieder im Januar 1966 als Lieblingskind des früheren Bundeskanzlers Dr. Adenauer erschien, ist nunmehr Wirklichkeit geworden. Es gab schon immer Stimmen in der CDU/ CSU, die nach der schwarz-roten Koalition riefen, um entweder den Freien Demokraten zu drohen oder weil sie aus innerster Überzeugung diese bequemste Regierungsmöglichkeit als der Weisheit letzten Schluß ansahen. ({61}) - Na, wenn es für Sie unbequem wird; das werden wir ja erleben. Manche meinen sogar, daß CDU/CSU und SPD bei einer gemeinsamen Regierung gezwungen seien, sich in allen Lebensfragen des deutschen Volkes zu verständigen, womit unnötiger Leerlauf und unnützes Gezänk vermieden würden. ({62}) Das ist eine Verkennung der Aufgaben in der parlamentarischen Demokratie. Worin liegen die größten Gefahren dieser breiten Mehrheit? Bei den notwendigen Grundgesetzänderungen für die Notstandsgesetzgebung sowie für die Finanzreform sollten jeweils die sinnvollsten und . für die gesamte Bevölkerung besten Lösungen erarbeitet werden, nicht aber etwa unter Abtausch von Zugeständnissen die am besten bei der eigenen Anhängerschaft verkaufbaren Kompromisse gefunden werden. Es sei daran erinnert, daß anläßlich der Verabschiedung einiger Landesverfassungen 1946 und 1947 Konfessionsschulen auf der einen und Sozialisierungsartikel auf der anderen Seite beliebte Tauschobjekte gewesen sind. ({63}) Eine weitere Gefahr sehen wir in dem Bestreben, den Bundesrat über die Umbildung der Länderkoalitionen gleichschalten zu wollen. Hier scheint der Widerstand in der SPD mancherorts auszureichen, um diese generelle Gleichschaltung zu verhindern. An uns Freien Demokraten soll es nicht liegen. ({64}) Hinzu kommt die Verlockung, die heute schon in zahlreichen Organen der öffentlichen Meinung vorhandene Proporzaufteilung zu benutzen, um den unbequemen Mahner Freie Demokraten aus dem öffentlichen Meinungsbild verschwinden zu lassen. ({65}) Wir sind allerdings überzeugt, daß die Verantwortlichen bei Fernsehen, Rundfunk und Presse nicht der Versuchung erliegen werden, nur die Regierungsmeinung zu vertreten. Geschähe das, wären die innerpolitischen Folgen innerhalb kürzester Frist verheerend, die außenpolitischen ließen nicht lange auf sich warten. Jetzt ist die Stunde der Bewährung für alle die gekommen, die von sich behaupten, sie seien liberal, und die in anderen Parteien wirken. Auf sie wird es entscheidend mit ankommen, ob in Zukunft eine Abstimmungswalze alles platt drückt, oder ob das Parlament in seiner Funktion gegenüber der Regierung nicht nur in der Regierungserklärung angesprochen wird, sondern in der täglichen Arbeit auch wirksam werden kann. ({66}) Im Laufe der Debatte werden meine Fraktionskollegen für die verschiedenen Sachgebiete die Auffassung der Freien Demokraten ausführlicher darlegen und da, wo wir es für notwendig halten, Alternativen zu der Regierungserklärung verdeutlichen. Wir werden die Politik Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, kritisch verfolgen und ihr immer dann entgegentreten, wenn wir es aus unserer grundsätzlichen freiheitlichen Auffassung für notwendig halten. ({67}) Sie können und werden keine Vertrauenserklärung von uns für Ihre Regierung erwarten. Ich wünsche Ihnen trotz aller Meinungsverschiedenheiten und grundsätzlicher Bedenken im Interesse unseres Volkes eine glückliche Hand; Sie werden sie notwendig brauchen. ({68})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000102, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf große, im Volk lebendige Fragen hat die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, der wir zustimmen, aufgeworfen sowie zu deren Lösung den Weg und das Ziel gezeigt: Die Frage der Stärkung unserer Wirtschaftskraft, die Frage der großen Reformen, die Frage der Selbstbesinnung und der Selbstbestimmung der Deutschen, die Frage nach Europa und die Frage nach Bündnis und Frieden. Wir sind dankbar, daß - und auch wie -, Herr Bundsekanzler, es gelang, zur Zusammenschau der Dinge und der Probleme vorzustoßen. Durch Verzicht auf vieles wurde die Erklärung selbst viel. Bevor ich mich diesen fünf großen Fragen zuwende, möchte ich die Vorfrage beantworten: Warum und wozu wurde jetzt diese große Koalition gebildet? Der Herr Bundeskanzler selbst hat zutreffend dazu gesprochen. Wir als CDU/CSU halten dies aber für so wichtig, daß wir hier, und damit vor dem deutschen Volk, einiges festhalten wollen, an das uns jedermann soll jederzeit erinnern können. Erstens. Mit Respekt und Dank sprechen wir heute und weiterhin von Ihnen, Herr Bundeskanzler Professor Erhard, und von den Mitgliedern Ihrer beiden Regierungen. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich komme zu Ihnen noch ausreichend genug. ({1}) Zweitens. Die frühere Koalition CDU/CSU und FDP ist beendet worden, indem die FDP ihre Minister zurückzog. ({2}) Es war unmöglich, diese Koalition zu erneuern. Es schien nicht nur so, sondern es war so, daß die FDP einen anderen Partner suchte. Drittens - und wir legen Wert darauf, auch dies festzuhalten -: Die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU hätte sich nicht gescheut, die Rolle der Opposition zu übernehmen, falls es zur Koalition SPD/ FDP gekommen wäre. Es ist keineswegs so, wie vielfach behauptet, unterstellt und mißdeutet wird, als bräuchten wir für unser Selbstverständnis und Selbstbewußtsein immer die Rolle der Regierungspartei. ({3}) Viertens. Auch wir haben weder leichten Herzens noch leichtfertig den Entschluß zur großen Koalition gefaßt. Auch wir begreifen das Außerordentliche dieses Vorgangs, die Tiefe des Einschnitts in unsere historische, politische, parteipolitische und parlamentarische Entwicklung. Wir haben besorgte Stimmen aufmerksam beachtet, welche von Gefahren sprechen, von Gefahren des Proporzes aus Bequemlichkeit, der Erlahmung des Parlaments, des Auftriebs für Radikale und der Langeweile für die besonders Interessierten. Wir halten solche Gefahren weder für unausweichlich noch für zwingend. Wir halten sie für vermeidbar oder überwindbar. Indem wir aber selber, und an dieser Stelle, von solchen möglichen Fehlentwicklungen offen sprechen, bekunden wir den Vorsatz - und dies tun wir bewußt öffentlich -, diesen Dingen nicht zu erliegen. Diese große Koalition soll und wird zuDr. Barzel gleich Bewährtes bewahren, Erfolgreiches fortsetzen, Neues beginnen. ({4}) - Sie werden davon hören. Keiner der Partner geht durch ein kaudinisches Joch. Wir wollen diese Koalition auf Zeit. Der Zwang zum Ende muß auch durch ein Übergangswahlrecht für 1969 verstärkt werden. ({5}) Wir wollen diese Koalition nicht so sehr wegen der Lage, sondern wegen der Ziele. Unser Land braucht Reformen. Diese Reformen brauchen besondere Mehrheiten. Sie sind unmöglich ohne Änderungen des Grundgesetzes. Aber, meine Damen und Herren, Zusammenarbeit hier heißt nicht Eintopf. ({6}) Es ist etwas anderes als eine langweilige Uniformität, - und Opposition ist etwas anderes als Lautstärke, meine Damen und Herren von der FDP! ({7}) Diese Zusammenarbeit läßt jedem seinen eigenen Handlungsspielraum, - natürlich, hier im Hause, innerhalb des gemeinsam abgesteckten Rahmens, wie ihn die Regierungserklärung festgelegt hat. Ich glaube, schon die Schwierigkeit der Probleme, die vor uns stehen, und unser Vorsatz, den wir eben verkündeten, werden dafür sorgen, daß es hier im Hause lebendig bleibt. Wir begreifen diese Große Koalition als Notwendigkeit von heute, um die Probleme von heute zügig zu lösen und den künftigen Erfordernissen unseres Landes durch gemeinsame Arbeit zu entsprechen. Unser Interesse an dieser Zusammenarbeit ist überwiegend durch die großen Reformwerke begründet. Wir wollen jetzt zusammenarbeiten, um eine für die Zukunft erneuerte Basis miteinander zu finden und dann auf diesem Fundament, schon wegen des Wahlrechts, im offenen Wettstreit wieder miteinander und gegeneinander um den besten Weg zu ringen. Freilich: Nach dieser Großen Koalition werden wir alle nicht mehr sein wie vorher. Wir werden einander besser kennen. ({8}) Und es wird sich vielleicht - wir sagen: hoffentlich! - eine neue Art der demokratischen Auseinandersetzung entwickeln wie auch der Zwang zu Koalitionen überhaupt entfallen, meine Damen und Herren. Auch das ist ein Argument für die Koalition jetzt; denn es ist besser, Herr Kollege Mischnick, und für den Staatsbürger durchsichtiger, wenn sich keiner hinter Koalitionskompromissen verstecken kann, ({9}) wenn einer die Mehrheit hat, so wirklich regieren kann und schließlich die Wähler einen vermehrten Freiheits- und Einwirkungsraum haben, weil sie selbst und korrekt sagen können: „Die sollen weiterregieren!" oder: „Die sollen in die Opposition gehen!". ({10}) Eines ist ganz klar: daß ein Zusammenhang zwischen einem Wahlrecht, wie es die Regierung als Absicht verkündet hat, und den Bestimmungen des Parteiengesetzes besteht, das natürlich Luft, Mitwirkungsmöglichkeiten für alle Bürger geben muß, die sich an den Entscheidungen in den Parteien beteiligen wollen. ({11}) Meine Damen und Herren, CDU und CSU haben schon im Parlamentarischen Rat solche Vorstellungen vertreten. Damals schien es, wie jeder weiß, völlig ungewiß, wie die ersten Bundestagswahlen ausgehen könnten und würden. Es war und ist allein eine staatspolitische Erwägung, die uns seit damals leitet. So kann niemand unserer Fraktion vorwerfen, sie lasse sich in dieser Frage von irgendwelchen Ressentiments oder Aversionen leiten. ({12}) Es geht auch nicht darum, die Parteien, wie sie sind, zu zementieren. Das geht nämlich gar nicht, auch nicht durch das Wahlrecht. Denn, meine Damen und Herren, sehen Sie z. B. in die Parteiengeschichte Großbritanniens! Sie würden sehen, daß selbst das dortige klassische relative Mehrheitswahlrecht große Umstrukturierungen im parteipolitischen Leben zuläßt. Eben dies wird auch in unserem Lande der Fall sein. Weil wir eine Koalition auf Zeit gegründet haben, wird kein Partner dem anderen zumuten, daß er davon absieht, sein eigenes politisches Gesicht zu zeigen. Es ist ja nicht so, als wären unsere Leitbilder plötzlich kongruent geworden; ({13}) Sie bleiben Sozialisten, wir Christliche Demokraten. Es gibt grundsätzliche, grundlegende Verschiedenheiten, über die wir, und zwar wir selbst uns und auch andere, schon deshalb nicht hinwegtäuschen dürfen, weil sonst dem politischen Opportunismus Tür und Tor geöffnet wäre. Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union geben ihre Grundsätze nicht preis; durch sie werden die Grenzen unserer Kompromißbereitschaft bestimmt; und wir respektieren es selbstverständlich, daß auch die Kompromißbereitschaft unseres Partners eben solche Grenzen kennt. Wenn wir an die Verhältnisse zurückdenken, unter denen 1949 das Grundgesetz geschaffen wurde, so kann es keinen Zweifel geben, daß wir insgesamt Bilanz zu machen haben und aus den Veränderungen, die eingetreten sind, Konsequenzen ziehen müssen. Die Fairneß gebietet es, festzuhalten, daß die früheren Bundesregierungen, und auch die letzte, unter Bedingungen tätig waren, deren Revisionsbedürftigkeit jetzt auch für die Bildung dieser Koalition mit entscheidend war. Zum Fünften. Meine Damen und Herren, wir wiederholen erneut, auch nach veränderter Koali3708 tion, was uns hier immer geleitet hat: Die Verantwortung eines jeden in diesem Hause ist unabhängig vom Grad seines Beteiligtseins an der Bundesregierung. Wir alle zusammen vertreten das Volk, das ganze deutsche Volk. Mit unseren sozialdemokratischen Kollegen tragen wir nun zum erstenmal gemeinsam eine Regierung. Das wird dazu führen, daß wir uns in einer anderen Weise als bisher aneinander zu gewöhnen haben. Ich bin ziemlich sicher - nicht weil wir dies so wollen, sondern weil dies die Erfahrung lehrt --, daß es auch in der neuen Koalition Mißverständnisse und Reibungen geben wird. Dies wird von uns nicht so gewollt sein; und wenn es sie gibt, dann wollen wir darüber miteinander sprechen, aber weniger übereinander reden. Wir wollen sichtbar miteinander Erfolg und Zusammenarbeit, und es gibt keinen Anlaß zu irgendeiner Heimlichkeit oder irgendeinem Versteckspiel. Unsere. Kollegen von der FDP sind nun in der Opposition. Auch dies verlangt wechselseitig ein neues Gewöhnen aneinander. ({14}) - Wir haben - trotz Ihrer Rede, Herr Kollege Mischnick, hören Sie wohl zu - nicht die Absicht, den auf lange Strecken mit Ihnen gemeinsam gegangenen Weg zu vergessen oder gemeinsame Werke heute zu mißachten. Da wir einander gut kennen, werden wir besonders sorgsam zuhören, was Sie sachlich zu sagen haben. Allerdings war ich heute morgen ein bißchen enttäuscht. Dies war mehr eine polemische Einübung als Opposition. ({15}) Ich will nur zwei Dinge zu dem, was Sie sagten, anfügen. Herr Kollege Mischnick, das, was Sie über Haushaltsausgleich sagten, wäre glaubhafter, wenn Sie dem Finanzplanungsgesetz zugestimmt hätten. ({16}) Das, was Sie zur Koalitionsfrage in der Vergangenheit gesagt haben, wäre redlicher gewesen, wenn Sie mitgeteilt hätten, daß Sie der SPD ein Angebot gemacht hatten, bevor wir uns endgültig entschieden haben. ({17}) Ich komme nun zu den fünf großen Fragen oder besser: zu den fünf großen gemeinsam erreichbaren Zielen. Zunächst: Stärkung unserer Wirtschaftskraft. Dies ist wohl, wenn wir es recht verstehen, Herr Bundeskanzler, der leitende Gedanke aller Aussagen und Absichten zur Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. Wir begrüßen dankbar diesen uns wohlvertrauten Gedanken, diesen Leitgedanken, von dem aus die Einzelheiten zu sehen und von dem her sie zu ordnen sind. Meine Damen und Herren, es ist ja - und dies ist seit langem bekannt - nicht mehr möglich, etwa mit fröhlichem Feldgeschrei „hie Soziales" und „dort Ökonomisches", gegeneinander ins Feld zu ziehen oder Ressortstellungskrieg zwischen Haushalts- und Gesellschaftspolitik zu führen. Die Ordnung nach einem Leitgedanken, auch nach einem Gesamtprogramm ist nicht nur zwingend, um Übersichtlichkeit der Probleme und Durchsichtigkeit für den Staatsbürger zu bewirken, nicht nur, um Widersprüchliches, Einseitigkeit, Enge und Interessenten zu vermeiden, sondern vor allem auch deshalb: Einmal, weil allein die produktive Leistung des Ganzen ausschlaggebend für Fortschritt und politische Möglichkeiten ist und bleibt; und zum andern, weil dies wahr bleibt - wir legen Wert darauf, dies hier eingangs zu diesem Kapital zu sagen -: bei aller Differenzierung - und darin sind wir hier alle Meister - in den Steuerzahler, den Beitragszahler, den Verbraucher, den Sparer, den Sozialversicherten und so fort bleibt doch festzuhalten, daß am Schluß immer derselbe Mensch, immer derselbe Staatsbürger und dasselbe Volk steht wie auch die Notwendigkeit, eben doch irgendwann und irgendwie den Kosten entsprechend zu zahlen. ({18}) Dies nimmt uns niemand ab, und dies tut kein anderer für uns. Dies müssen wir am Schluß eben selber tun. Und so begrüßen wir die Abrede der Koalition, nun nicht etwa munter drauf los umzuverteilen, sondern die Grenzen hierfür ebenso zu sehen wie für das finanziell Mögliche, das sozial Vernünftige wie für die Vermeidung eines etwaigen weiteren Kostendrucks auf unsere Volkswirtschaft. Und im übrigen halten wir, eben weil sich dies bewährt und uns zum Erfolg geführt hat, an Sozialer Marktwirtschaft und an Sozialer Partnerschaft fest. ({19}) Dies hat unserem Volk wohlgetan. Ich sagte eben, Stärkung der Wirtschaftskraft sei ein uns seit langem vertrauter Leitgedanke. Dies stimmt, denn, meine Damen und Herren- und das ist wichtig für diese Debatte -, wir gaben ja nicht aus Lust oder Laune der Stabilität den Vorrang, sondern aus politischer Notwendigkeit, aus ökonomischer und sozialer Einsicht und aus Sorge um unser gutes deutsches Geld und aus Verantwortung für eine gute Zukunft, ({20}) für eine Zukunft mit Wachstum, mit Vollbeschäftigung, mit Geldwertstabilität und mit außenwirtschaftlichem Gleichgewicht. Uns war klar, daß dies nicht einfach war, daß dieser Prozeß, der notwendige Prozeß der Rationalisierung, der Stabilisierung, der Konsolidierung seinen Preis hatte und hat. ({21}) Meine Damen und Herren, wenn wir nun heute einen Schritt zurücktreten und hier ohne die Details, die meine Kollegen ausbreiten werden, feststellen, daß bei den Preisen ebenso wie bei den außenwirtschaftlichen Ergebnissen und auf dem Arbeitsmarkt andere und bessere Situationen und Daten zu verzeichnen sind, so ist dies die Folge einer gewollten Politik. ({22}) Wenn wir heute mit der Bundesbank über Normalisierung und behutsame Kursänderung sprechen, wenn wir darüber sprechen können, ja darüber sprechen müssen, so ist auch dies eine bewußt herbeigeführte, seit einiger Zeit vorgesehene Situation. Wir wissen, daß der Zeitpunkt zur Normalisierung und rechtzeitigen Umschaltung der Konjunkturpolitik bevorsteht. Wir können nun den Beginn eines soliden Aufschwungs im nächsten Jahr erwarten, und dies fiel nicht vom Himmel. Aber einiges muß dafür noch getan werden, vor allem die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes ({23}) - wir sind schließlich deswegen früher aus der Sommerpause gekommen - und eine Haushaltspolitik, die alles dies doch erst ermöglicht. Auch wir unterstützen - und dies tun wir lebhaft - die erneuerte Absicht der Bundesregierung, mit den Tarifpartnern in ein stetiges Gespräch zu kommen und ein Verhalten dieser gesamtwirtschaftlich so entscheidenden Mitgestalter unserer Entwicklung zu erwirken, das mithilft, die genannten Ziele zu erreichen, denn ohne konstruktive Mitarbeit der Tarifpartner wie auch ohne adäquates Handeln von Bund, Ländern und Gemeinden werden wir unsere Ziele, auch mit großer Mehrheit, nicht erreichen. Was hier zur Verbesserung des Kapitalmarkts gesagt ist, ist auch unsere Absicht. Wir fragen uns aber, ob eine etwa nicht mit der EWG harmonisierte Abschaffung der Kuponsteuer sinnvoll ist. Dies bleibt zu prüfen. Wir meinen auch, daß für geraume Zeit noch alle öffentlichen Hände sich auf dem Kapitalmarkt zurückhalten sollten. Natürlich bleiben wir gesprächsbereit für andere Auffassungen. Aber da muß man schon mit sehr guten Argumenten kommen. Meine Damen und Herren, auch wir wollen das Wachstum. Die Lage jetzt legt nahe, hierauf und auf den sicheren Arbeitsplatz besonders zu achten. Aber vernünftig und sozialgerecht werden Wachstum und Vollbeschäftigung am besten bei Stabilität und bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht sein. Wir wollen ein modernes Land bleiben, und das setzt Leistung, harte Arbeit und gute Politik voraus. Wir wollen die Augen nicht davor verschließen, daß wir auch wirtschaftliche Strukturprobleme haben, die wir lösen müssen, wenn es gut weitergehen soll. Das Handwerk hat nun eine gesündere Struktur. Die Landwirtschaft steigert ihre Produktivität und kommt zu neuen Strukturen. Im Handel sind Umstellungen jedermann sichtbar. Die Kohle ist gerade jetzt in einem auch schmerzhaften Prozeß der Rationalisierung. Die Stahlindustrie ist mitten in einer Veränderung. Gleiches gilt für die Bundesbahn.. Auch das Anwachsen der Dienstleistungen und ihr, auch für den öffentlichen Dienst, notwendig schritthaltender Preis gehören hierzu wie der hohe Rang unserer Bildungspolitik. Meine Damen und Herren, das alles vor uns, wird man sagen müssen: Leichte, scheinbar populäre Arbeit ist in der verantwortlichen Politik auf Jahre nicht zu finden. ({24}) Wir legen auch Wert auf diese Feststellung: Unser gesellschaftspolitisches Leitbild ist bekannt. Wir halten daran fest. Familie und Eigentum, bäuerlicher Familienbetrieb, Handwerk, Mittelstand, Gesundheit, soziale Sicherheit mit unserer Rentenreform, menschlichere Umwelt auch in der industriellen Arbeitswelt, - dies bleiben für uns nicht nur Stichworte, sondern Programmpunkte. ({25}) Und nun, Herr Bundeskanzler: Wir erwarten - und sind gern bereit, uns auch rechtzeitig an den Gesprächen zu beteiligen - die Vorschläge zum Haushaltsausgleich. Wir werden uns, so meinen wir, miteinander an und mit dem Rotstift in der Hand zu bewähren haben; denn nur ein ausgeglichener Haushalt ermöglicht Stabilität und ein sinnvolles Wachstum. Darum noch einmal - und dies auch an Ihre Adresse, Herr Mischnick -: Zuerst Einsparungen, dann Abbau von Steuervorteilen und Vergünstigungen, und erst notfalls Erhöhung von Verbrauchsteuern. Dies bleibt unsere Reihenfolge. Wenn unser Volk ein Gesamtprogramm erkennt, wenn es einsieht und weiß, wozu Einschränkungen und Zurückstellen von Wünschen gefordert werden, wenn es spürt, hier wird vernünftig, sozialgerecht zu klaren Zielen geführt, dann wird unser Volk auch bereitwillig mithelfen. Hier bleibt noch anzumerken: Wenn unsere finanzpolitischen Probleme jetzt, neben der Wirtschaftslage und neben den auswärtigen Verpflichtungen, ihre Ursache in Entscheidungen der Vergangenheit haben, dann kann sich von eben dieser Vergangenheit keiner hier ausnehmen, keiner im Bund, keiner im Land und kein Tarifpartner. Aber dieser Hinweis auf andere, etwa auch auf vergleichbare Länder außerhalb unserer Grenzen, könnte uns zwar ein Trost sein, darf uns aber nicht in unserer Pflicht schmälern, jetzt das Unsere zu tun: die Stärkung unserer Wirtschaft. Zum zweiten: die großen Reformen. Hierzu gehören nicht nur die Änderungen des Grundgesetzes. Hierzu gehören auch die Reform der Haushaltspolitik einschließlich der mittelfristigen Planung; die Neufestsetzung der Prioritäten für die Zukunft und als deren Mitvoraussetzung der Abbau von Vorteilen, die mit Prioritäten der Wiederaufbauphase früher einmal wohl begründet waren, sowie die stärkere Betonung der Investitionen, wie sie von der Regierung gefordert wird, im Rahmen aller öffentlichen Ausgaben. Wir wollen ein modernes Land bleiben und deshalb dafür sorgen, daß wir auch insoweit umschalten und jetzt für kommende Generationen Starthilfen sichern. Meine Damen und Herren, die Reform des Grundgesetzes ist unerläßlich. Es hat sich bewährt, aber schon die jüngere Vergangenheit zeigt, daß es an einigen Stellen zu eng ist und daß es für die Zukunft ergänzungsbedürftig ist. Wir brauchen: das verbesserte wirtschaftspolitische Instrumentarium nach dem Stabilitätsgesetz, einschließlich der einschneidenden Verfassungsergänzung; die unerläßliche Reform der Finanzverfassung; die Neuordnung der Gemeindefinanzen; die Reform des Haushaltsrechts; die Wiederherstellung der Besoldungseinheit in Bund 3710 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. Dezember 1966 und Ländern; eine Wahlrechtsreform; das Parteiengesetz und schließlich die Notstandsverfassung. Es wäre gut und von uns dringend erwünscht, an dieser alle Deutschen fundamental angehenden Reformgesetzgebung in geeigneter Weise alle interessierten Staatsbürger zu beteiligen, die breite öffentliche Diskussion bewußt zu suchen und sorgsam um die innere, dem Geist des Grundgesetzes gerechte Ausgewogenheit und Entsprechung aller Einzelnormen zum Ganzen besonders bemüht zu sein. Darum wird es, nicht nur technisch, erforderlich sein, daß alle diese Vorlagen miteinander sichtbar gemacht und möglichst als Ganzes vorgelegt werden:, Zum dritten, meine Damen und Herren, die Selbstbesinnung und die Selbstbestimmung der Deutschen. Die Phase des Wiederaufbaus ist zu Ende. An diesem Ende sind wir - ein schöner Erfolg - in der Produktion der dritte, im Handel der zweite und in den Sozialleistungen der erste Staat der Welt. Wir brauchen also unseren Erfolg ebensowenig zu verstecken wie unsere Verpflichtung. Zugleich geht - und davon wollen wir jetzt handeln - eine nationale Besinnung durch unser Land. Wer, wo immer in der Welt, glaubt, sich Sorgen machen zu müssen um das erneuerte Deutschland, kann dem am besten abhelfen, indem er gebührend würdigt, was ist. Wir wissen, daß Hitler war, und wir haben nicht vergessen, was war. Wir wissen aber auch, was Deutschland heute ist: ein um Redlichkeit und Humanität bemühter freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat. Dies anzuerkennen und, vor allem unsere Jugend, nicht heimlich mit neuen Stempeln wegen einer endgültig gewesenen Vergangenheit zu belasten, dies ist unsere Bitte an die Welt. ({26}) Wer dem entspricht, leistet einen wirksamen Dienst gegen die wenigen auch bei uns, welche aus Motiven wie immer den Weg in die nationalistische Übertreibung suchen, also den Weg rückwärts. Wir alle hier wollen unbeirrt vorwärts. Wir lieben unser Land, aber wir wollen unseren Patriotismus und unsere Kraft wie bisher zuwenden unserem großen Ziel, einem vereinten Europa, in dem wir als Deutsche Heimat haben. Allein dies ist modern, allein dies ist zukunftwirkend. Meine Damen und Herren, so geartete Selbstbesinnung bleibt - und dies ist ersatzlos - die Voraussetzung für die Chance auf Selbstbestimmung aller Deutschen. Wer diese Wechselbezogenheit zwischen der Wirklichkeit unserer Demokratie und unserer außenpolitischen Glaubhaftigkeit, ja, der Chance für die Wiedervereinigung nicht sieht und ihr nicht entspricht, der nützt nicht, sondern der schadet, allem voran dem ganzen Deutschland. Meine Damen und Herren, die Regierungserklärung war besonders nüchtern in der Frage der Einheit der Deutschen. Der reale Weg zur Selbstbestimmung aller Deutschen ist wohl zur Zeit niemandem sichtbar. Aber das Ziel bleibt, und wir müssen den Weg dazu freischaufeln. Hierzu gehört erstens, daß wir unser Haus in Ordnung halten. Unsere demokratische Wirklichkeit ist und bleibt die beste Werbung für unseren Anspruch auf Einheit unseres Volkes. Hierzu gehört zweitens, daß wir militärische Fragen allein als solche der Sicherheit begreifen und unseren nationalen Ehrgeiz darin sehen, für die Menschheit bedeutsam zu werden durch Werke des Friedens. Hierzu gehört drittens, daß wir dazu beitragen, die Risse im Westen zu überwinden; viertens, daß wir der Sowjetunion stetig und unbeirrt und, ich meine, auch in Würde immer wieder klarmachen, daß wir gesprächsbereit sind und daß die Spaltung Deutschlands auch nicht in ihrem Interesse liegt. Ich nehme ein Wort des Bundeskanzlers Erhard auf, der früher hier sagte: „Die sowjetische Deutschlandpolitik beruht auf einem Irrtum." ({27}) Hierzu gehört fünftens, daß wir aktiv in Mittel- und Osteuropa tätig sind; sechstens, daß wir im menschlichen Bereich Erleichterungen in ganz Deutschland erwirken; siebentes, daß wir nichts von unseren moralischen, rechtlichen und politischen Positionen und Prinzipien verschenken. Ich möchte mich im Hinblick auf die Zeit hier nur zu einem der Punkte äußern, zu dem sechsten, zu den menschlichen Erleichterungen. Ich möchte aus gutem Grund die Themen nennen, die hier zur Debatte stehen: Aufhebung des Schießbefehls; Erleichterung bzw. Ermöglichung der Familienzusammenführung, der Kinderrückführung und der Besuchsreisen aus der SBZ; Aufhebung der Medikamentenverordnung und der Geschenkpaketverordnung; Nachbarschaftsverkehr entlang der Demarkationslinie; Öffnung weiterer Übergänge; Wiederherstellung des Telefonverkehrs in Berlin, besserer Telefonverkehr zwischen beiden Teilen Deutschlands; Einbeziehung Westberlins in den gesamtdeutschen Sportverkehr; Reisemöglichkeiten für alle Westberliner nach Ostberlin und in die SBZ; Wiederherstellung gesamtdeutscher Gesellschaften auf dem kulturellen Gebiet; Zeitungs- und Redneraustausch. Wir halten es für nötig, diese Themen hier festzuhalten. Auch wenn sich die Machthaber in der SBZ zur Zeit in all diesen Fragen hinter Verleumdungen verstecken, sich in Angriffen auf diese neue Koalition überbieten und Unmögliches von uns fordern, so bleiben doch alle diese Dinge auf der Tagesordnung. ({28}) Meine Damen und Herren, den Status quo in diesen Fragen zu ändern, wäre ein Gewinn, menschlich wie politisch. Jede menschliche Erleichterung hat einen Wert in sich. Jeder Fortschritt insoweit ist aber zugleich ein politischer Fortschritt und ein Schritt zum Frieden. Jede im kommunistischen Herrschaftsbereich zugunsten der Humanität veränderte Alltagswirklichkeit ist auch politisch ein Status quo plus. Alles dies bewirkt nicht direkt die Einheit Deutschlands, erleichtert aber doch nicht nur die Gegenwart für die Menschen, sondern fördert auch die politische Entwicklung. Wir begrüßen und unterstreichen besonders die Feststellung in der Regierungserklärung, es dürfe und es werde nichts geschehen, was völkerrechtlich oder faktisch in der Weltmeinung als ein Abrücken von unseren Grundsätzen der Nichtanerkennung der SBZ als eines zweiten deutschen Staates gedeutet werden müßte. Meine Damen und Herren, es liegt die Nachricht vor, daß am 13., also vorgestern, in der UNO eine wichtige Entscheidung zu unseren Gunsten gefallen ist. Unsere Freunde dort haben erneut gesagt: die SBZ ist kein Staat. - Wir sollten unseren Freunden - sie haben sich durchgesetzt - diese Haltung auch durch die eigene Sprache erleichtern. ({29}) Das, was drüben ist, ist nach dem Willen der Bevölkerung kein Staat, sondern SBZ. Sowjetisch besetzte Zone Deutschlands sagt aus, was wirklich ist. Dies ist kein Formalismus, sondern das Wort sagt, was wirklich ist, meine Damen und Herren. ({30}) Man braucht dies nicht jeden Tag zu betonen, aber es muß doch gelegentlich klargestellt werden. ({31}) Wir begrüßen, daß die Bundesregierung es vermieden hat, von „Ebenen der Begegnung" und ähnlichem zu sprechen, denn wir denken - und ich glaube, dies wird Herrn Mischnick beruhigen -, daß man alle diese Fragen in vertraulichen Gesprächen, also auch in neuen Deutschland-Gesprächen aller Verantwortlichen einschließlich der Opposition erörtern sollte. Wir dürfen einander nicht etwa - erlauben Sie mir den Ausdruck - einfach hochschaukeln, so daß Herr Ulbricht zum lachenden Dritten wird. ({32}) Hierzu gehört noch ein Hinweis, der Hinweis nämlich, daß es nicht unser Interesse sein kann und darf, etwa unsere westlichen Freunde vom Mitengagement in den Fragen der Humanität im ganzen Deutschland zu entbinden. Sicher, wir können einiges allein. Aber es ist besser, auch in diesem Bereich der menschlichen Erleichterungen miteinander zu arbeiten. Es wäre auch ein Vorteil, wenn wir über diese praktischen humanitären Fragen unsere westlichen Freunde in der deutschen Sache wieder an einen Tisch brächten. Meine Damen und Herren, wir alle wissen - und ich bin sicher, der neue Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen weiß dies besonders -, was alles unserem Wunsch nach Selbstbestimmung entgegensteht. Aber die Welt soll wissen, daß wir zäh und geduldig und notfalls auch unbequem an diesem Ziel festhalten, ja festhalten müssen, denn es geht um die Wiederherstellung des Rechts in ganz Deutschland, und, meine Damen und Herren, wer in der Welt Frieden will, muß Menschenrechte wollen. ({33}) Zum vierten: Europa. Wir stellen, Herr Bundeskanzler, erfreut fest: Der europäische Elan der Deutschen ist durch die Regierungserklärung gekräftigt. Hier in Europa liegt unsere Zukunft! Von einem festen Kern aus wollen und müssen wir die europäische Politik vorantreiben. Die EWG war und ist ein Erfolg. Sie muß sich kraftvoll entwickeln. Wir begrüßen den Brückenschlag zu den anderen freien Nationen Europas. Meine Damen und Herren, der Hinweis der Regierungserklärung, daß dieses Zusammenwachsen des freien Europas sich wohltuend auf das ganze Europa auswirken wird, ist unsere Meinung seit geraumer Zeit. Ich möchte hier aus dem letzten Kommuniqué über die Gespräche zwischen Präsident Johnson und Bundeskanzler Erhard zitieren. Es heißt dort, „daß die Einheit des Westens zum Verständnis zwischen Ost und West beitragen wird und daß die Integration Westeuropas und die atlantische Solidarität den Weg zu einer umfassenderen Zusammenarbeit bei der Förderung der Sicherheit und des Wohlergehens Gesamteuropas eröffnen kann". Dies bleibt festzuhalten: Die politische - auch die politische - Einigung der Staaten des Gemeinsamen Marktes mit offener Tür für den Beitritt anderer Staaten zu gleichen Bedingungen ist - und wir wiederholen dies, weil es wichtig ist - die Voraussetzung für die Lösung der großen Lebensfragen des europäischen Kontinents und eine Vorbedingung für seine politische, wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Stellung in der Zukunft. Es gibt - dies fügen wir an - keine bessere europäische Sicherheitspolitik als die konsequente Arbeit für die Einheit Europas. Wir müssen die Kraft des freien Europa entwikkeln. Dies geht nur mit Frankreich. Wir begrüßen, was die Erklärung der Bundesregierung hierzu sagt. Wir begrüßen Ihre Absicht, Herr Bundeskanzler, erneut zwischen Paris und Bonn aufeinander zuzugehen, und wir werden das Unsere dazu tun. Weder die Frage der Einigung Europas noch die der Sicherheit auf Dauer noch die der europäischen Friedenspolitik, auch nicht die der deutschen Einheit, wird sich ohne oder gegen Frankreich lösen lassen, übrigens - und dies muß man auch einmal sagen - wird alles dies sich auch nicht ohne oder gegen uns lösen lassen. ({34}) Wir unterstreichen: Großbritannien gehört zu Europa. Dort wächst der Wille, sich in Brüssel zu engagieren. Wir wollen dies nach Kräften fördern. Meine Damen und Herren, immer mehr richten wir unseren Blick auf das ganze Europa. Wir begrüßen besonders, daß auch die Bundesregierung dies tut, wie es in der Regierungserklärung erfreulich zum Ausdruck kommt. Wir unterstützen die Absicht, in den Ländern Ost- und Mitteleuropas noch besser präsent zu sein. Auch dort ist von Land zu Land vieles zu unterscheiden und vieles zu verschiedenen Zeitpunkten in anderer Weise zu erreichen. ({35}) Auch dazu nicht allzuviel laut, meine Damen und _ Herren, aber laut dieses: Die Menschen, vor allem die jungen Menschen, in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Bulgarien, in Rumänien wie auch die in der Sowjetunion, sie sollen wissen: an uns liegt es nicht, wenn kein Friede ist in Europa. Wir sind zur Aussöhnung bereit. Unsere Hand ist ausgestreckt. An uns liegt es nicht. Wir sind bereit zu einem Frieden des Rechtes und der Dauer in ganz Europa. ({36}) Meine Damen und Herren, damit komme ich zum fünften Punkt: Bündnis und Frieden. Die deutsche Politik stand und steht unter dem zentralen Gesichtspunkt des Friedens. Wir bemühen uns, dem Vernünftigen zugleich von Sicherheit durch Abschreckung und Entspannung zu entsprechen. Die Friedensnote machte dies weltweit sichtbar. Da für uns, meine Damen und Herren - und wir legen Wert darauf, dies zu betonen -, Frieden und Menschenrechte zwei Seiten derselben Medaille sind, meinen wir immer zugleich Freiheit, wenn wir Frieden sagen. ({37}) Die Voraussetzung unserer Entspannungspolitik bleibt unsere Sicherheit. So bleiben wir vital interessiert am Bündnis, und so sind wir unserer Bundeswehr dankbar, der wir vertrauen, deren Auftrag bleibt: im Bündnis Frieden sichern. Sie braucht sich und darf sich in keiner Weise in Frage gestellt sehen, und wo sie Fragen hat, sind wir bereit, zu hören und zu antworten. Ohne die USA gibt es für uns keine Sicherheit. Unsere Freundschaft zu den USA ist ungebrochen. Aber Freundschaft heißt: einander verstehen, Rücksich aufeinander nehmen, heißt Geben und Nehmen. Die USA stehen hier für uns, zugleich stehen auch wir hier für sie. Wir waren und bleiben dankbar für den Schutz durch die USA, für die Anwesenheit ihrer Truppen, und wir würden gern dem Präsidenten der USA bei einem Deutschlandbesuch im nächsten Jahr ebendies unvergeßlich zeigen. ({38}) Meine Damen und Herren, das Bündnis kann also weiter auf uns zählen. Unser Platz in der Freien Welt ist endgültig gewählt. Wir stimmen - und dies sagen wir allen unseren Freunden in Europa und in der Welt, weil es dies vereinfacht - erneut der Gemeinsamen Erklärung des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa, des sogenannten Monnet-Komitees, vom 9. Mai 1965 zu, auch und ausdrücklich dem, was dort über atlantische Partnerschaft, über atomare Lösungen und über Entspannung gesagt ist. Meine Damen und Herren, ich möchte auf weitere Ausführungen verzichten und noch einmal auf das Bezug nehmen, was wir früher zur inneren Ausgestaltung des Bündnisses, zu den Möglichkeiten auch der zivilen Zusammenarbeit gesagt haben. Dies bleibt, und wir haben es oft genug ausgeführt; aber an dieser Stelle wollen wir eines anfügen. Wenn, wie die Bundesregierung es wünscht und wir alle es wünschen, Entspannung um sich greifen soll, muß auch Moskau aufhören, in der Sprache des „Kalten Krieges" zu reden und statt Verständigung den Haß zu predigen. ({39}) Die Bundesrepublik Deutschland führt nichts Böses im Schilde. Wir haben uns mit unseren westlichen Nachbarn ausgesöhnt. Nicht weniger liegt uns daran, uns auch mit unseren östlichen Nachbarn auszusöhnen. Auch wir sprechen mit großer Hochachtung von den enormen wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Fortschritten der Sowjetunion. Wie viel könnte, nicht nur für die europäische Völkerfamilie, sondern für die ganze Menschheitsfamilie, diese Sowjetunion leisten, wenn auch sie sich verantwortlich fühlte, durch Werke der Gerechtigkeit einen Friedenszustand herzustellen, dem die Welt vertrauen kann! Im Augenblick scheint es, als sei die Sowjetunion nicht interessiert, mit uns politische Gespräche zu führen. Sie sollte, so meinen wir, nun ihre Haltung überprüfen. Sie muß wissen: wir bleiben bereit zu einer dauerhaften und friedlichen Ordnung in Mitteleuropa, zu einem Frieden der gegenseitigen Achtung, im wechselseitigen Interesse und zu einem Frieden des Rechts. Um hier Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich noch zwei Dinge an dieser Stelle anfügen. Einmal dies: Wir nehmen Bezug und erneuern unsere Zustimmung zu einer Erklärung, welche der unvergessene Heinrich von Brentano am 28. Juni 1956 hier von dieser Stelle in aller Form abgegeben hat. Er sagte für die Regierung: Das Recht auf Heimat und das Selbstbestimmungsrecht sind unabdingbare Voraussetzungen des Schicksals der in der Vertreibung oder in der Unfreiheit lebenden Menschen und Völker. Wer vom ganzen Europa spricht und das friedlich meint, der muß ein gesichertes und wirksames Volksgruppenrecht herbeiführen. Am 28. August hat der Kollege Wehner dazu gesprochen. Ich bin sicher, daß der Minister Wehner eben dies im Auge behält. Das 4. Protokoll zur Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbietet, irgend jemandem den berechtigt innegehabten Wohnsitz zu entziehen oder kollektive Ausweisungen und Bevölkerungsverschiebungen zu vollziehen, und es bezeichnet dieses Verbot als bereits lange bestehenden Inhalt des Völkerrechts. Wir werden, wie wir hören, bald Gelegenheit haben, eben dies hier zur Ratifikation vorzubereiten. Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht, um Politik als „l'art pour l'art" zu betreiben, sondern um sachgerecht die Probleme für unser Volk zu lösen und das Beste zu bewirken. Wenn wir von Deutschland sprechen - dies muß am Schluß noch einmal betont werden - oder wenn wir vom deutschen Volk sprechen, so meinen wir das ganze, meinen wir auch die Deutschen jenseits der Mauer und des Stacheldrahtes. ({40}) Alles, was wir hier tun oder unterlassen, muß bestehen vor der vorrangigen Pflicht des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Wir danken für ein paar Worte in der Regierungserklärung gerade hierzu, und wir unterstreichen sie. Denn wir sind nicht die Gouvernanten der Menschen in der Zone. Uns ziemt eher mehr Verständnis und Mitsorge, als etwa erhobener Zeigefinger oder die Haltung des „reichen Onkels". ({41}) Wir wissen, was die Deutschen drüben leisten und leiden, und wir wissen, daß dort ein besonderes Gefühl der Verbundenheit durch gemeinsames Schicksal und harte Arbeit entstanden ist. Um so mehr ist es unsere Pflicht, nicht nur politisch für die Einheit zu arbeiten, sondern im menschlichen Bereich Erleichterungen zu erwirken und auch so die Verbundenheit des Ganzen zu stärken. Zum Schluß: Ihnen, Herr Bundeskanzler, und allen Mitgliedern Ihrer Regierung wünschen wir Segen, Glück und Erfolg für Ihren Dienst an unserem Land und für unser gemeinsames Werk. Wir wollen in gemeinsamer Arbeit und in stetigem Gespräch miteinander helfen und nach Kräften dazu beitragen, daß die Ziele, die Sie nannten, denen wir zustimmen, erreicht werden. Wir wollen nach Kräften dafür sorgen, daß die Menschen in unserem Lande spüren und sehen: Die in Bonn wissen, was sie wollen, und was sie wollen, ist vernünftig und ist gerecht, und auch wie sie miteinander umgehen, auch das kann man gelten lassen. Unser Volk weiß - wir sagen dies bewußt noch einmal am Schluß, Herr Bundeskanzler -, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Seine Opferbereitschaft und sein Gemeinsinn sind ungebrochen. Es weiß, daß allein Arbeit die Quelle unseres Wohlstandes wie der sozialen Sicherheit ist und bleibt. Dieses Volk wird dem danken, der ihm klar und wahrhaft sagt, was ist, und daraus ebenso zügig und entschieden die entsprechenden Konsequenzen zieht. Wir sagen dies nicht nur, Herr Bundeskanzler, um Ihre Zuversicht und Ihre Absicht insoweit zu stärken, sondern auch, um uns erneut hier vor dem Hause auf die Bereitschaft festzulegen, auch „Durststrecken" des scheinbar Unpopulären mit Ihnen zu durchwandern. ({42}) Meine Damen und Herren, wir haben, ähnlich wie der Herr Bundeskanzler, hier nichts zu versprechen als dies: redlich unsere Pflicht zu tun - jedermannes Recht, niemandes Interesse, allein dem Gemeinwohl verpflichtet. ({43})

Erwin Schoettle (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002061

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrer Erklärung einen neuen Anfang gesetzt. Dies zeigt sich besonders auch darin, daß diese Regierungserklärung im Gegensatz zu früheren offen die Wahrheit über die Sünden der Vergangenheit bekannt hat. ({0}) Sie hat konkrete Vorstellungen über die künftigen Aufgaben der deutschen Politik aufgezeigt, die ich unter der Überschrift zusammenfasse: Stabilität und Wachstum nach innen, Handlungsfähigkeit nach außen. Für die sozialdemokratische Fraktion erkläre ich: Wir begrüßen und billigen die programmatische Regierungserklärung der neuen Bundesregierung Kiesinger-Brandt. Ehe ich im einzelnen auf die wichtigsten Teilstücke dieser Erklärung zu sprechen komme, ist es notwendig, vor diesem Hause und vor der Öffentlichkeit die Gründe und die Ziele zu nennen, von denen meine Fraktion bei der Bildung dieser Regierung ausgegangen ist. Bundeskanzler Kiesinger hat gesagt, die gegenwärtige Regierung sei nicht aus einem glänzenden Wahlsieg hervorgegangen, sondern aus einer von unserem Volk mit tiefer Sorge verfolgten Krise. Das ist richtig. Wir fügen hinzu: Die Bildung dieser neuen Regierung konnte erst erfolgen, nachdem sich die Fraktionen des Deutschen Bundestages endlich zu der von uns seit Jahren geforderten Bestandsaufnahme durchgerungen hatten. Der Bundeskanzler hat dazu gesagt, sie sei die bisher gründlichste Bestandsaufnahme der Möglichkeiten und der Notwendigkeiten deutscher Politik vor einer Regierungsumbildung gewesen. Wir stimmen dieser Feststellung zu. Der Bundeskanzler hat ferner darauf hingewiesen, daß jene Erwartungen und Gewöhnungen, die heute enttäuscht werden müssen, nicht entstanden wären, wenn man von vornherein das getan hätte, was wir heute tun müssen. So waren seine Worte. Wir erneuern dazu unsere Forderung, Herr Bundeskanzler: Die Bundesregierung muß alljährlich einen Bericht über die Lage der Nation geben. Und ich füge hinzu: Das Ergebnis der heutigen Bestandsaufnahme wäre weniger enttäuschend, als es ist, wenn sie eher, wenn sie rechtzeitig, wenn sie regelmäßig vorgenommen worden wäre. Die Haushaltszahlen aus dieser Bestandsaufnahme sind uns allen geläufig. Der Bundestag hat - was in der Öffentlichkeit nicht recht gewürdigt worden ist - in der vorigen Woche eine Deckungslücke von beinahe 3 Milliarden DM bereits eliminiert. Trotzdem bleibt immer noch für den Haushalt 1967 eine weitere Deckungslücke in etwa der gleichen Größenordnung zu bewältigen. Wenn behauptet wird, das Ausmaß der finanziellen Misere hätte schon im Februar dieses Jahres dem Finanzbericht entnommen werden können, dann muß ich dem widersprechen. Erst die Bestandsaufnahme hat - auf unser unnachgiebiges Drängen hin - dazu geführt, daß ein zwischenzeitlich amtierender Finanzminister endlich die wirklichen Zahlen für die nächsten Jahre auf den Tisch legte. Und als er sie auf den Tisch legte, da trugen sie zu dem Zeitpunkt immer noch den Stempel „Streng geheim", den er dann allerdings gelöscht hat. Diese Schmidt ({1}) Zahlen haben auf beiden Seiten des Verhandlungstisches blankes Entsetzen ausgelöst. Denn der Finanzbericht 1966 vom Februar hatte die tatsächliche Lage verschleiert und beschönigt. ({2}) Demgegenüber ist es mein Freund Alex Möller gewesen, der seit Jahr und Tag vor dem Weg in die finanzielle Anarchie gewarnt hat. Ich muß wohl nicht die Frage aufwerfen, wer damals in diesem Hause über Möller gespottet und gelacht hat. ({3}) Vom Tage der finanziellen Bestandsaufnahme an mußte die Lage von allen Beteiligten unter wesentlich anderen Vorzeichen bewertet werden. In diesem Hause ist bei mancher Gelegenheit so getan worden, als seien die Gemeinden an allem schuld. Heute stehen wir vor dem allseits anerkannten Tatbestand, daß die Finanznot der Gemeinden nicht anders bewertet werden muß als diejenige des Bundes. In dieser Lage befinden wir uns inzwischen. Die von uns und von anderen seit Jahren zur Neuordnung der finanziellen Verhältnisse von Bund, Ländern und Gemeinden verlangte Finanzreform ist bisher zu sehr mit der linken Hand behandelt worden. Zur Bestandsaufnahme gehören auch die Alarmzeichen in der Wirtschaft. Seit 1958 haben wir eine Bergbaukrise, die bis heute nicht bewältigt ist. Ihre Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und auf die innenpolitische Lage in bestimmten Teilen unseres Landes werden von Monat zu Monat bedenklicher. Sie haben inzwischen nicht nur ganze Wirtschaftsregionen, sondern auch den gesamten Stahlbereich der Bundesrepublik in Mitleidenschaft gezogen. Inzwischen sind weitere Wirtschaftsbereiche auf dem Wege teilweise in die Stagnation, teilweise in die Schrumpfung. In der Automobilindustrie sind allenthalben Produktionseinschränkunngen angekündigt worden. Die exotischen Zinssätze haben fast alle Investitionsgüterindustrien schwer beeinträchtigt. Das Baugewerbe - Hochbau wie Tiefbau - steht im kommenden Jahr vor einer bedenklichen Auftragsschrumpfung. Die Zuwachsraten der Gesamtindustrieproduktion sind im letzten Vierteljahr der Regierung Erhard erstmals negativ, das heißt: die Produktion der deutschen Industrie schrumpft gegenwärtig. Für das kommende Frühjahr werden von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten in München und in Berlin 600 000 oder 700 000 Arbeitslose vorhergesagt. Die Sorge um den Arbeitsplatz breitet sich aus. Das alles beleuchtet, wie sehr wir bereits durch die von Bundeskanzler Kiesinger mit Recht gekennzeichneten Versäumnisse auf eine schiefe Ebene geraten sind. Zur Bestandsaufnahme gehört auch die Feststellung, daß in der bisherigen Verteidigungspolitik nach innen wie nach außen manches fragwürdig geworden ist. Innerhalb des Bündnisses sind wir in der strategischen Debatte in die Gefahr der Isolierung geraten. Chancen zu einer gleichwertigen und gleichartigen Reduzierung der Streitkräfte in Ost und West sind weder gesucht noch genutzt worden. Statt dessen mußte die Bundesrepublik all ihren politischen Einfluß aufbieten, um der Gefahr einer einseitigen Truppenreduzierung zu begegnen. Die Großmächte haben sich in zunehmendem Maße am Abschluß eines Atomwaffen-Sperrvertrages interessiert gezeigt; aber die Bundesrepublik geriet immer mehr in die Gefahr, als Störenfried angesehen zu werden. Sie hat allzu lange den Anschein erweckt, als erstrebe sie eine nationale Verfügungsgewalt oder doch zumindest einen Mitbesitz an Atomwaffen. Unser Verhältnis zu den Vereinigten. Staaten wurde durch unhaltbare Versprechungen zum Devisenproblem auf eine schwere Probe gestellt. Das Verhältnis zu Frankreich war verkümmert - nicht nur durch deutsche Schuld, aber auch durch deutsches Mitverschulden. In den Beziehungen zu den Nachbarn im Osten hatte es einige gute Ansätze gegeben, insbesondere die Friedensnote vom März dieses Jahres. Sie ist hier mit Recht schon zitiert worden. Aber es ist bei diesen Anfängen geblieben. Sie sind nicht weiter verfolgt worden. In der Deutschlandpolitik sind seit dem Beginn der 50er Jahre Hoffnungen geweckt worden, von denen wir heute nach dieser Bestandsaufnahme leider sagen müssen, daß sie einstweilen nicht zu verwirklichen sind. Es ist nicht Schuld der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bundesregierungen, wenn menschliche Erleichterungen wieder abgebaut worden sind, die in der Vergangenheit zu gewissen Zeiten den Menschen im geteilten Land das Leben erleichtert haben. Gleichwohl bleibt aber doch die Frage offen, ob in der Vergangenheit wirklich alles getan wurde, was möglich und vertretbar war. Wir Sozialdemokraten sind durch diese Ergebnisse der Bestandsaufnahme nicht überrascht. Wir haben sie seit langem befürchtet und kommen sehen. Ich darf an dieser Stelle ein sozialdemokratisches Dokument zitieren. Es lautet: Die deutschen Lebensinteressen müssen in realistischer Einsicht in die Notwendigkeiten und Möglichkeiten konsequent und kraftvoll vertreten werden. In den Fragen der nationalen Existenz müssen die verantwortlichen politischen Kräfte . . . zusammenstehen. Dank der Mitarbeit aller steht das staatliche Gefüge der Bundesrepublik Deutschland fest ... Doch drohen Selbstzufriedenheit, Selbstsucht, Mangel an Vorausschau und Führungslosigkeit das Erreichte zu gefährden und weitere Fortschritte zu hemmen. Wenn sich unser Land in einer Welt entscheidender Wandlungen behaupten soll, müssen alle Energien und Fähigkeiten, die unser Volk birgt, mobilisiert, auf neue Ziele gerichtet und unverbrauchte politische Kräfte in die Staatsführung eingebracht werden. Das deutsche Volk muß die Möglichkeit haben, sein Vertrauen in die Regierungsautorität und in die Beständigkeit der Regierungspolitik zurückzugewinnen. Schmidt ({4}) Wagemut, Tatkraft, Opfersinn, Verantwortungsbewußtsein sind dafür notwendig. Diese Tugenden sind in unserem Volk lebendig. Es gilt, die rechten Wege zu den vordringlichen Aufgaben zu weisen. Dieses Zitat stammt nicht aus den letzten Wochen, sondern aus der Erklärung der Regierungsmannschaft der Sozialdemokratischen Partei vom 8. Januar 1965. Sie werden mir zugeben, daß diese Worte auch heute noch genau so gelten wie damals vor zwei Jahren. Sie zeigen, daß die Sozialdemokratische Partei ihre Politik in ungebrochener Kontinuität verficht und auch heute dem Gebot folgt, das sie damals schon erkannt und ausgesprochen hat. ({5}) Ich verzichte darauf, die Entwicklung des letzten Jahres noch einmal in Einzelheiten nachzuzeichnen. Aber man muß doch aussprechen, daß der Schlußstrich unter die Führungslosigkeit der letzten 18 Monate schließlich von denen gezogen worden ist, die noch vor einem Jahr die alte Regierung gebildet hatten und die am 27. Oktober dieses Jahres durch ihren Austritt aus der Bundesregierung und am 10. November dieses Jahres durch Nominierung eines Kanzlerkandidaten an Stelle des damals noch amtierenden alten Bundeskanzlers schließlich den Zusammenbruch der alten Regierung herbeigeführt haben. Wir haben am 8. November dieses Jahres in diesem Hause erlebt, daß eine Mehrheit, zu der auch eine der bisherigen Regierungsparteien gehörte - wenn man Sie so gehört hat heute morgen, Herr Mischnick, hatte man allerdings das Gefühl, Sie seien für nichts verantwortlich, was hier in Deutschland besteht -, ({6}) eine der Parteien gehörte, die Verantwortung für das trägt, was heute in Deutschland ist, bei der Aufforderung an den Bundeskanzler mitwirkte, die Vertrauensfrage zu stellen. Wir Sozialdemokraten haben diesen Prozeß der letzten Zeit ohne Schadenfreude, sondern vielmehr mit ernster Sorge registriert. Wie berechtigt diese Sorgen sind - die ja nicht nur wir haben, das weiß ich wohl -, die auch Sie teilen, ({7}) das zeigte sich z. B. in den Wahlen in Hessen und in Bayern. Dort hat sich erwiesen, daß die permanente Krise letztlich keine der Parteien des Deutschen Bundestages begünstigt hat, sondern daß diese permanente Krise ein Schaden für die innere Stabilität der Gesellschaft und des Staates werden könnte. Lassen Sie mich zu den Erscheinungen, die da eine Rolle spielen, ein Wort sagen. In der Geschichte unserer Nation hat der Nationalismus keine einheitsbildende Kraft bewiesen. Für den Nationalisten war meist nur derjenige national gesinnt, der möglichst viele eigene Landsleute für Reichsfeinde hielt und sie verfolgte. ({8}) Nationalismus war immer begleitet von dem latenten Versuch einer inneren Spaltung der Nation und immer begleitet von dem Risiko der Isolierung nach außen. Nationalismus zerstört die Nation. Dieses Hohe Haus bekennt sich in allen seinen Gliedern zur Nation, aber es will keinen Nationalismus. ({9}) Weil wir ihn alle nicht wollen, war es für das Schicksal unseres Volkes von entscheidender Bedeutung, daß die Krise so schnell wie möglich beendet wurde, daß Aktionswille und Autorität der Bundesregierung wieder sichtbar wurden, um den hier und da aufkeimenden extremen Tendenzen einen wesentlichen Nährboden zu entziehen. Wie schon am 8. Januar 1965 in dem zuvor zitierten Dokument gesagt: Dem deutschen Volk mußte die Möglichkeit gegeben werden, sein Vertrauen in die Autorität der Regierung und in die Beständigkeit der Regierungspolitik wiederzugewinnen. Nachdem eine gegen die Sozialdemokratie gebildete Regierung schließlich zur permanenten Krise geführt hatte, war es klar, daß die Wiederherstellung der inneren Stabilität jedenfalls nicht ohne die Beteiligung der Sozialdemokraten möglich war. Die Sozialdemokratie besaß damit in diesem Herbst den Schlüssel zu jenem neuen Anfang, der inzwischen mit der Bildung der neuen Regierung und mit ihrer Regierungserklärung gemacht worden ist. Neue Regierung - das konnte nicht bloß personelle Auffrischung, nicht bloß Fortschleppen liebgewordener Gewohnheiten mit vertauschten Rollen bedeuten, sondern das mußte bedeuten: Generalüberprüfung der Politik und Entwicklung einer Gesamtkonzeption, die der gegenwärtigen Lage angemessen ist. Die politisch vernünftigste und die demokratisch angemessene Konsequenz aus einer so grundlegenden Neuorientierung wäre nach unserer Überzeugung Neuwahl zum Deutschen Bundestag gewesen. Hierzu haben sich die beiden anderen Fraktionen nicht durchringen wollen. So blieb also unter den nun einmal bestehendeen relativen Mehrheitsund Minderheitsverhältnissen in diesem Hause, die keiner der drei Fraktionen die Möglichkeit zu einer Alleinregierung bieten, nur der Weg, eine Lösung der gestellten Aufgaben auf der Basis einer Koalition zu suchen. Es war klar, daß nur eine neue Koalition mit neuen Führungspersonen in Betracht kam. Wir Sozialdemokraten haben nicht gezögert, den in unserer Hand liegenden Schlüssel zu benutzen. Bereits am 2. November hat meine Fraktion durch Herbert Wehner von dieser Stelle aus ein AchtPunkte-Programm zur politischen Neuorientierung vorgelegt, das wir dann ausführlich erläutert haben und das später die Verhandlungsgrundlage in all den nachfolgenden sogenannten Sachgesprächen gewesen ist, die wir mit Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, und mit Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, geführt haben. Wir haben mit diesem Acht-Punkte-Papier den Anstoß zu jener klärenden Bestandsaufnahme der deutschen Politik gegeben, die wir lange Jahre vorher vergeblich gefordert hatten. Schmidt ({10}) Unser Vorschlag, daß sich alle drei Fraktionen gemeinsam zu dieser Bestandsaufnahme zusammenfinden sollten, ist von Ihnen ({11}) akzeptiert worden, von Ihnen ({12}) aber nicht. Wir haben deshalb in zweiseitigen Gesprächen versuchen müssen, zu einer Klärung zu kommen. Wir haben diesen Weg offen und unvoreingenommen beschritten. Am Ende der Sachgespräche ergaben sich weitgehende Übereinstimmungen mit den beiden anderen Fraktionen über die tatsächliche Lage, dagegen weniger weitgehende Übereinstimmungen über die Wege der nunmehr zu verfolgenden neuen Politik. Bei diesem Ergebnis war es nötig, von den Sachgesprächen zu eigentlichen Koalitionsverhandlungen überzugehen. Da der Gedanke einer Allparteienregierung, der einmal im Spiel war, keinerlei Resonanz fand, waren für uns Sozialdemokraten zwei Lösungen denkbar, entweder die kleinste Koalition mit den Freien Demokraten oder die Große Koalition mit der CDU/CSU. Es ist unwahr, was jemand von der Seite der FDP gesagt hat: wir Sozialdemokraten hätten eine Koalition mit den Freien Demokraten von vornherein nicht gewollt. ({13}) - Ich weiß, daß Herr Mischnik es heute morgen nicht gesagt hat; aber andere haben es draußen im Lande gesagt. Lassen Sie mich das klarstellen; ich will Ihnen nichts unterstellen. Ein solch negativer Vorsatz auf unserer Seite wäre abwegig gewesen; denn für eine solche Koalition sprachen doch verlockende Aspekte. Wir hätten z. B. den Bundeskanzler gestellt; Herr Kiesinger säße nicht auf seinem Stuhl; ({14}) es säße an der Stelle ein Sozialdemokrat. ({15}) - Darauf komme ich. Wir hätten in dieser Regierung eine sehr viel stärkere Position gehabt, als wir sie gegenwärtig haben. Wir hätten auch den Vorsatz zum Wandel und den Vorsatz zu einem Neubeginn in der deutschen Politik nach außen hin vielleicht noch augenfälliger in Erscheinung treten lassen können, als es jetzt geschehen konnte. Es hat sich jedoch gezeigt, daß eine Koalition mit den Freien Demokraten nicht realisierbar war. Dies ergab sich keineswegs etwa allein aus der hauchdünnen Mehrheit von nur zwei Mandaten bei der Kanzlerwahl und nur sechs Mandaten bei Gesetzesabstimmungen. Vielmehr war - ich sage das in aller Kollegialität; ich will Ihnen wirklich dabei nicht zu nahe treten - die Stabilität einer solchen Koalition vor allem wegen der vielfältigen politischen und 'taktischen Meinungsunterschiede fragwürdig geworden, die wir innerhalb der FDP erkannt haben und die uns im Laufe der Verhandlungen ziemlich deutlich demonstriert worden sind. ({16}) Darüber hinaus mußten wir allerdings feststellen, daß in wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik, aber auch der Finanzpolitik kein zulängliches, ich will besser sagen: kein verläßliches Übereinkommen mit der FDP zu erreichen war. Auch der ganz zweifellos vorhandene beste Wille der Fraktionsführung der Freien Demokratischen Partei hätte in kritischen Situationen die Gefahr eines Auseinanderfallens dieser Koalition oder abweichende Entscheidungen einzelner Mitglieder dieser Koalition nicht auszuschließen vermocht. Allerdings hätte nun das Scheitern des riskanten Experiments einer Koalition der Sozialdemokratie mit den Freien Demokraten nicht nur uns, sondern dann dem ganzen Volk geschadet; ({17}) denn es hätte all die negativen Folgen der Regierungskrise vom Herbst 1966 wiederholt, verlängert und potenziert. ({18}) Es ist Ihnen, verehrte Kollegen von der FDP, schon gesagt worden - und ich darf es hier von dieser Stelle aus wiederholen -: Meine Fraktion hat sich diese Erkenntnis und diese Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht. Wir haben ungezählte Stunden mit der Analyse der Situation und mit der Diskussion dieser Analyse zugebracht. Im Ergebnis jedoch sind wir zu einer klaren Meinungsbildung gekommen. Ich darf an dieser Stelle den Vorsitzenden meiner Fraktion, Fritz Erler, zitieren, der in einem Brief an Willy Brandt noch vor der endgültigen Entscheidung unserer Gremien dazu folgendes geschrieben hat: Ich weiß, daß unsere Unterhändler sich redlich bemüht haben, ein Zusammengehen mit den Freien Demokraten zustande zu bringen. Das hat sich leider nicht als realisierbar erwiesen. Erler zitiert dann eine Kölner Zeitung, die sich in einem langen Aufsatz zugunsten einer solchen Koalition eingesetzt hatte, und verweist auf den dort leicht zu übersehenden Kernsatz: Würde sie jedesmal - eben eine solche Koalition vor wichtigen Debatten und Beschlüssen am Rande einer Abstimmungsniederlage lavieren, so sollte sie lieber gar nicht erst anfangen. Weitgehende Übereinstimmung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ist die Voraussetzung für eine funktionierende Regierung aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten. Fritz Erler schreibt, diese Voraussetzung sei leider nicht erfüllt, und er fährt dann fort: Wir haben jetzt die Chance der Änderung. Sie wäre bei einem Zusammengehen mit der FDP größer gewesen, wenn sich dies hätte verwirkSchmidt ({19}) lichen lassen. Da das nicht der Fall ist, dürfen wir die andere Chance nicht ausschlagen. Ich gebe gern zu, daß das keine Liebeserklärung an die Adresse der CDU/CSU ist, aber das soll es auch nicht sein, meine Damen und Herren! ({20}) Wir haben dann in der Tat diese andere Chance, von der Fritz Erler spricht, ergriffen. Diese Koalition, diese andere Chance, auf die wir dann bewußt, energisch und entschlossen zugegangen sind, nachdem wir lange genug beraten hatten, sie stellt für die Bundesrepublik Deutschland etwas völlig Neuartiges dar. Wir sind uns dessen sehr bewußt. Die Sozialdemokratie hat nach 36 Jahren erstmals wieder Regierungsverantwortung für das ganze deutsche Volk übernommen. Wir haben seit der Gründung der Bundesrepublik darum gerungen, nicht nur in der Rolle der kontrollierenden Opposition, sondern in der Rolle der handelnden Bundesregierung das Schicksal der Nation formen zu helfen. Wir haben darum gerungen, aber bis zur vorletzten Woche war meine Partei auf die Regierung in Ländern und Gemeinden beschränkt. Wir haben dort gezeigt, was wir können. Wir haben dabei reiche Erfahrungen gesammelt. ({21}) Wir haben 17 Jahre lang vergeblich die Festung der Bundesregierung belagert. Jetzt hat man uns die Tore öffnen müssen. ({22}) - Ich höre da eben den Zwischenruf „Kapitulation". Wenn einer etwa von einer Kapitulation der SPD spräche, so verkennt er gewiß, Herr Moersch, den wahren Hergang. Tatsächlich hat hier keiner von beiden kapituliert. Das ist ein ganz falsches Wort. ({23}) - Einen Satz noch, Herr Mende! - Es handelt sich in Wahrheit um einen von beiden großen Fraktionen dieses Hauses gewollten Brückenschlag über einen inzwischen gefährlich tief gewordenen Graben. ({24}) Herr Mende, wer es mit der inneren Aussöhnung unseres Volkes ernst meint, muß eigentlich diesen Brückenschlag begrüßen.

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

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Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schmidt, wir waren lange gemeinsam im Verteidigungsausschuß. Nur zu dem Wortspiel: Wenn man eine Festung 17 Jahre lang berennt - so formulierten Sie ({0}) und der, der in der Festung sitzt, nach 17 Jahren gezwungen ist, die Tore zu öffnen: wie würden Sie das als Verteidigungsexperte nennnen? ({1})

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde jedenfalls sagen, daß das Ergebnis, das Sie schildern, nicht gegen denjenigen spricht, der 17 Jahre belagert hat, Herr Mende. ({0}) Aber um das Bild vollständig zu machen: Sie waren während dieser 17 Jahre teilweise draußen, teilweise drin, dann wieder draußen, dann wieder drin, und jetzt sind Sie gerade mal wieder draußen. ({1}) - Ja, es war nie so ganz klar, Herr Mischnick, auf welcher Seite Sie wirklich standen. ({2}) Ihre Kollegen waren einesteils bei der Besatzung und anderenteils bei der Belagerung. ({3}) Aber ich will das nicht fortsetzen. Herr Mende hat mich nur provoziert. ({4}) Ich möchte an den Gedanken, den ich eben vortrug, anknüpfen. Der Händedruck zwischen dem-Bundeskanzler Kiesinger und dem Vizekanzler Brandt leitete ein neues Kapitel der politischen Geschichte der Bundesrepublik ein. Dieser Händedruck bezeichnete eine von uns gewollte Veränderung der politischen Struktur in unserem Lande, in unserer Gesellschaft. ({5}) Auch hier dürfen wir mit einem gewissen Stolz auf ein sozialdemokratisches Dokument hinweisen, das schon sechs Jahre in der Welt ist. Willy Brandt hat 1960 in einer Rede auf dem Parteitag in Hannover gesagt: „Unser Volk muß sich mit sich selbst aussöhnen." Ich füge hinzu: Die so oft beschworene „Bewältigung der Vergangenheit" darf nicht bloß darin bestehen, daß wir unsere Jugend über den Zusammenbruch der ersten Demokratie in Deutschland, über den Krieg und über die Greuel der Konzentrationslager unterrichten. Auch dies ist wahrlich nötig zu tun. Aber die Bewältigung der Vergangenheit muß auch darin gesucht werden, daß wir heute miteinander zu leben und für morgen miteinander zu arbeiten lernen, ganz gleich, welchen der sehr vielfältigen politischen Lebens- und Erfahrungswege der einzelne Deutsche gegangen ist. ({6}) 3718 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. Dezember 1966 Schmidt ({7}) Dann gibt es den zweiten Einwand von der FDP, die große Koalition verletze angeblich demokratische Grundsätze. ({8}) - Gut, ich nehme den Zuruf auf und setze statt „FDP" „Frankfurter Rundschau". ({9}) Der Einwand sagt, es würden angeblich demokratische Grundsätze verletzt bei einer so großen Regierungsmehrheit und einer so kleinen Opposition. Wir sagen dazu: Ein demokratisches Wahlrecht und der politische Wille eines Wählervolkes, das von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat, haben uns nun einmal lange Jahre hindurch eine prinzipiell gleichartige Dreieckssituation in diesem Hause beschert, bei der über weiteste Strecken an allen drei Ecken je eine zur Alleinregierung unfähige Fraktion stand, an jeder Ecke eine Minderheitsfraktion, abgesehen von den zeitlichen Ausnahmen, die Sie kennen. Tatsächlich, Herr Kollege Mende, haben sich bisher zur Koalition immer nur die gleichen beiden Fraktionen zusammengefunden. Sie waren sich häufig nur darin wirklich einig, daß sie die sozialdemokratische Fraktion von der Regierungsverantwortung ausschließen wollten. ({10}) Es gab niemals einen demokratischen Grundsatz, der dies geboten hätte. Alle diejenigen von Ihnen, die heute die große Koalition beklagen, hätten damals 17 Jahre lang Zeit und Gelegenheit genug gehabt, ihre Tränen zu vergießen. ({11}) Es ist nicht die Aufgabe der Sozialdemokratie, in diesem Hause für eine starke Opposition zu sorgen - das sage ich jetzt an die Adresse mancher Kritiker draußen -, sondern die Aufgabe dieser Partei wie aller Parteien in diesem Hause ist, die politischen Ziele der Partei und ihrer Wähler so weit wie möglich zu verwirklichen. ({12}) Es gibt keinen demokratischen Grundsatz, der einer der Parteien in diesem Hause eine Regierungsbildung verwehrt, die sie für richtig hält, um ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Aber wir begrüßen, daß aus unserem angeblich noch so obrigkeitsfrommen Volk in Wirklichkeit doch so viele Stimmen laut geworden sind, die heute nach der Kraft und nach der Chance der Opposition in diesem Parlament fragen, nachdem sich eine so breite Regierungsmehrheit gebildet hat. Ich begrüße das. Nur kann jemand, der eine Regierung, bauen will, sie allerdings nicht nach Oppositionsbedürfnissen bauen, sondern Regierung muß nach den Möglichkeiten einer arbeitsfähigen Mehrheit gebildet werden. Auch wir bedauern, daß in diesem durch die Bundestagswahl 1965 auf vier Jahre so in diesen Mehrheitsverhältnissen fixierten Parlament jetzt nur 50 Abgeordnete für die Funktion der Opposition verbleiben. Wir bedauern das. Aber, meine Herren von der FDP, Sie, die 50 Abgeordneten der FDP, sind vor einem Jahr mit dem ausdrücklichen und immer wieder öffentlich erklärten Willen in den Bundestagswahlkampf gezogen, daß Sie den anderen Parteien ausreichende Mehrheiten für eine Regierung, entweder durch die Union allein oder durch uns allein, verweigern wollten. Das wir Ihr Zweck. ({13}) Wir sind gezwungen, diesem negativen taktischen Ziel der FDP, nämlich der Verhütung eindeutiger Mehrheitsverhältnisse, nun notgedrungen eine eindeutige Regierungsmehrheit gegenüberzustellen, damit die Aufgaben wirklich erfüllt werden können, die hier von uns gelöst werden müssen. ({14})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

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Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr!

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schmidt, verstehen Sie unter „eindeutiger Mehrheit" die Wiederholung des Wahlergebnisses von 1957 und damit die Funktionsunfähigkeit in weiten Bereichen der deutschen Politik? ({0})

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will Ihnen eine Antwort geben, die ich nur selbst verantworte, an die ich meine Fraktion nicht binden möchte, die ich nur für mich abgebe. Ich verstehe unter einer eindeutigen Mehrheit - das ist mein Ideal einer parlamentarischen Demokratie -, daß eine Partei ausreicht, um ungebrochen in der Regierung ihre Vorstellung zu verwirklichen ({0}) - das steht in diametralem Gegensatz zu Ihrer jahrzehntelangen Propaganda gegen die „Einparteienherrschaft" -, und daß eine andere Partei ungebrochen in der Opposition ihre Auffassung alternativ dagegensetzen kann, auf daß der Wähler nach vier Jahren die Chance hat, die beiden gegeneinander auszuwechseln. ({1}) Aber ich sage noch einmal: diese Antwort habe ich für meine Person gegeben. Ich weiß, daß dahinter das große Problem des Wahlrechts steht; auf das komme ich nachher noch sorgfältig zu sprechen.

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

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Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin, ich möchte gern ein wenig fortfahren dürfen. Es wird drittens von dem angeblichen schwarzroten Proporz nach österreichischem Vorbild geredet. Bei aller Kritik, die möglicherweise in der Endphase der östereichischen Koalition vielleicht angebracht Schmidt ({0}) gewesen sein mag - uns geht das ja eigentlich nichts an, das ist ein anderes Land; wir lassen das offen -, bleibt doch eines festzuhalten: Osterreich hätte nach diesem Kriege seine staatliche Einheit in Freiheit und seine Fortschritte in der inneren Entwicklung des Landes nicht erreichen können, den Staatsvertrag nicht erreichen können, wenn es nicht zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der beiden großen Parteien jenes Landes gekommen wäre. ({1}) Wir Deutschen haben bisher weder einen Friedensvertrag noch die staatliche Einheit erreicht. Die Bestandsaufnahme hat statt dessen gezeigt, wie weit wir davon immer noch entfernt sind. Viele gewaltige Hindernisse sind noch zu überbrücken und abzubauen. Wer ernsthaft darangeht, auch nur einige von diesen Hindernissen abzubauen, soweit wir Deutschen das können, der braucht dazu eine breite Basis des Vertrauens in diesem Haus und im deutschen Volk. Wir sind uns, genau wie Herr Barzel es für seine Fraktion ausgeführt hat, völlig darüber klar, daß die neue Regierungskonstellation ein Umdenken der Mitglieder und der Anhänger beider Koalitionspartner verlangt, und zwar sowohl hinsichtlich der Gleichwertigkeit der Partner als auch hinsichtlich der neuen Ausgangspositionen in den politischen Sachverhalten. Es ist für beide von uns neu, und wir beide werden Kinderkrankheiten des Angewöhnens zu überwinden haben. Die Menschen in beiden Teilen unseres Landes - dessen sind wir uns bewußt - werden diese veränderten Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik auf ihre Wirksamkeit, auf ihre Effizienz hin prüfen. Wir haben keinen geheimen Koalitionsvertrag miteinander geschlossen, sondern wir erklären, daß diese Regierungserklärung den Rahmen unserer gemeinsamen Politik abgesteckt hat. ({2}) Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen über die Rolle des Parlaments in dieser neuartigen Situation machen. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung die Krisensituation beschrieben, aus der die neue Regierung zustande kam. Wir sollten dazu bemerken und festhalten: Es war das Parlament, das sich gegen die alte, krisenbehaftete Regierung aufgelehnt hat. Es war das Parlament, das aus sich heraus die neue Regierung geschaffen hat. Ein Beweis für die Funktionstüchtigkeit des Deutschen Bundestages! Dieser Deutsche Bundestag hat mit der Wahl des neuen Bundeskanzlers und mit der Vereidigung der neuen Bundesminister seine Rechte aber keineswegs in andere Hände gelegt. Er wird auch in Zukunft nicht etwa nur ein Forum für Regierungsproklamationen und für eigene Akklamationen darstellen, sondern er wird vielmehr auch in Zukunft seine Aufgaben erfüllen, nämlich erstens politische Ziele zu setzen, zweitens Initiativen zu ergreifen und vor allem drittens Kontrolle über die Bundesregierung auszuüben. ({3}) Die Abgeordneten der Opposition genauso wie die der Regierungsparteien haben die gemeinsame Verpflichtung, diese Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages stets und ständig zu wahren. Die FDP als Opposition gehört genauso als integrierter Teil zur politischen Führung unseres Staates, wie dies bisher für die sozialdemokratische Opposition gegolten hat. ({4}) Im Gegensatz allerdings zu uns in unserer früheren Oppositionsrolle, Herr Mende, genießen Sie heute erstmalig den großen Vorteil, daß an der Regierung Politiker beteiligt sind, welche die staatstragende Aufgabe der Opposition voll und ganz und 17 Jahre lang begriffen haben. ({5}) Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, im Namen unserer Fraktion sagen: Alles, was wir über die Rolle der Opposition und über deren Rechte gesagt haben, als wir selbst noch Oppositionspartei waren, bleibt weiterhin gültig, und dafür setzen wir uns ein. ({6}) Wir wollen, daß auch die Führung der Opposition über Daten und Entscheidungsgründe zu den wichtigen Fragen unserer Politik durch die Bundesregierung informiert wird. Auch dafür werden wir uns einsetzen. Uns scheint, daß dem Parlamentarismus in der veränderten politischen Landschaft eine neuartige Chance gegeben wird. Es entsteht ein stärkeres Spannungsverhältnis zwischen dem Parlament als ganzem einerseits und der gesamten Regierung andererseits. Hier wäre ein bißchen die Rückkehr zu Montesquieu denkbar. Als Bindeglied zwischen beiden begrüßen wir die beabsichtigte Ernennung parlamentarischer Staatssekretäre. Damit wird eine alte Forderung aus den Reihen des Parlaments, nicht nur aus unseren Reihen, endlich befriedigt. Auch zukünftig, nehme ich an, vertreten die Fraktionen, auch bei diesem Spannungsverhältnis zwischen Gesamtparlament und Gesamtregierung, in diesem Hause in reiner Form die Ziele ihrer jeweiligen Partei und stehen dadurch auch in einem gesunden Spannungsverhältnis untereinander. Das wird sich auch in Zukunft zwischen der CDU/CSU einerseits und der Sozialdemokratie andererseits nicht ändern können. Wir wollen es im Grunde auch nicht ändern. Die breite Regierungsmehrheit im Hause wird den einzelnen Fraktionen und einzelnen Abgeordneten mehr Raum als bisher für eigene Initiativen geben. Vielleicht werden sich auch wechselnde Mehrheiten ergeben, wie letzten Donnerstag schon einmal geschehen, ohne daß dies nun, wie früher häufiger geschehen, zur Erschütterung der Regierung und zur Erschütterung deren politischer Stabilität führen kann und muß. Das ist eine große Änderung. Dieser Raum für mehr Initiative ist aber kein Freibrief für Interessenpolitik, ganz gleich, aus welcher Fraktion, von welcher Gruppe sie vorgetragen werden könnte. ({7}) 3720 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, ,den 15. Dezember 1966 Schmidt ({8}) Bundeskanzler Kiesinger hat sich an die führenden Kräfte dieses Parlaments gewandt, besonders an die Fraktionsvorstände, aber darüber hinaus an jeden, und hat gebeten, dafür zu sorgen, daß das Gemeinwohl über Gruppeninteressen gestellt werde. Der Bundeskanzler war zu solcher Bitte legitimiert, wie ich meine, nachdem er vorher sich selbst und seiner Regierung die gleiche Aufgabe gestellt hatte. Meine Damen und Herren, jedermann in diesem Hause einschließlich Regierung und einschließlich des - schwach besetzten - Bundesrates, jedermann in diesem Hause möge sich diesen Schuh anziehen. Er paßt uns allen miteinander. Haushaltskrise und wirtschaftliche Rezession verlangen Staatsraison von den Vertretern des Volkes. Die Bundesregierung wird bei dieser Lage die Ausschüsse und das Plenum von der Notwendigkeit ihrer Gesetzentwürfe und von der Effizienz ihrer Verwaltung überzeugen müssen. Die politischen Argumente der Regierung würden einer breiten Öffentlichkeit verdeutlicht, wenn die dankenswerte Praxis 'fortgeführt werden würde, bedeutende Debatten direkt und in ausführlichen Zusammenfassungen durch Hörfunk und Fernsehen zu übertragen. Ich glaube, dies hat - nach Abwägung alles dessen, was dafür und dagegen spricht - im Grunde doch sehr zur Politisierung unseres Volkes beigetragen. Wir werden darauf dringen, daß alle wichtigen Entscheidungen der Regierung öffentlich hier im Parlament vertreten werden, und wir erwarten, Herr Bundeskanzler, daß die Minister auf Sonntagsreden verzichten, die im Gegensatz zum Regierungsalltag stehen. ({9}) Wir werden die Regierung in Verantwortung nehmen, nicht nur in die politische Richtungsverantwortlichkeit der Regierung als Ganzes, als Einheit, sondern wir meinen speziell auch die Leistungsverantwortung der einzelnen Ressortminister. Wir erwarten hier Leistung auch und gerade von unseren eigenen Ministern. Wenn es Zweifler gibt, die eine Vorstellung nähren von einer schweigsamen Regierungskoalition, die ausschließlich Entscheidungen der Regierung entgegennimmt, so sei denen gesagt: Die Große Koalition bedeutet nicht eine Identifizierung des einen Partners mit dem anderen. Die Große Koalition bedeutet zeitlich begrenzte Einigung erstens über die Aufgaben der Regierung, zweitens über die Person des Kanzlers aus den Reihen der stärksten Gruppierung der Koalition und drittens die Verteilung der Ressortaufgaben auf die beiden Partner. Die Große Koalition bedeutet nicht den Versuch, Einfluß zu nehmen auf die Besetzung der Ressorts der anderen Fraktionen durch deren einen oder anderen Kandidaten. Jeder Partner muß selbst wissen, welche Politiker er für seine besten Vertreter hält, in welcher Weise sie ihre Fraktion in der Regierungsverantwortung repräsentieren und deren Bild in der Öffentlichkeit bestimmen. ({10}) Es wird, Herr Moersch, keine falsche Kameraderie der Koalitionspartner geben, und ich sage es ganz frei und offen, wir werden auch keine „Leichen im Keller" dulden. Es wird keine Vertuschung und keine Verschleierung von Tatbeständen aus der parlamentarischen oder der Regierungspraxis geben. ({11}) Herr Bundeskanzler, das fängt an bei den Geheimfonds im Bundeskanzleramt und hört vielleicht bei der Beschaffung des Schützenpanzers Hispano Suiza noch nicht einmal auf. ({12}) Wir fordern die Bundesregierung auf, in angemessener Frist Vorschläge über die Form der parlamentarischen Kontrolle über den Reptilienfonds zu machen. ({13}) Wir erklären, daß wir indirekte Propagandafinanzierung zugunsten einzelner Parteien oder Politiker nicht dulden wollen. ({14}) Nicht nur der FDP, der Opposition, sondern allen Fraktionen dieses Hauses ist der Auftrag der ständigen Reform von Arbeitsweise, Stil und Organisation des Deutschen Bundestages gestellt. Seit Jahren liegt z. B. hier der Vorschlag der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft auf dem Tisch, eine Registrierungspflicht für alle Interessenvertreter einzuführen. Das notwendige Wirken der Interessenvertreter muß, wie ich meine, auch auf andere Weise öffentlich durchsichtig gemacht werden. Deshalb sollten Interessenvertreter, deren Auffassungen für politische Entscheidungen wichtig sind, in den Fachausschüssen des Deutschen Bundestages in aller Regel in öffentlicher Sitzung gehört werden, viel häufiger, als es bisher geschehen ist. ({15}) Durch solche Verdeutlichung der Argumente und Interessen würde einerseits das Gewicht und das Ansehen der Arbeit der Experten verstärkt, aber andererseits könnten auch die Begehrlichkeit von Interessenten und Leistungsmängel der Verwaltung auf diese Weise für jedermann offengelegt werden. Das Parlament würde sich damit Verdienste erwerben. ({16}) In dem Zusammenhang eine Anregung an die Bundesregierung: vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn die Regierung die Wünsche der Interessenverbände gelegentlich durch direkte Meinungsumfragen bei den Betroffenen an der Quelle überprüfen würde. ({17}) Zur wirksamen Kontrolle der Regierung - das sage ich eigentlich zum Vorstand unseres eigenen Hauses und nicht an die Adresse einer bestimmten Schmidt ({18}) Fraktion oder der Regierung - und für Gesetzesinitiativen aus dem Parlament muß auch die Verbesserung des wissenschaftlichen Hilfsdienstes des Deutschen Bundestags, der im bescheidenen Rahmen sein Bestes gibt, endlich verwirklicht werden. ({19}) Ich wiederhole an die Adresse unserer Kollegen aus allen drei Fraktionen im Vorstand des Bundestages: es genügt nicht, die Rolle des Parlaments zu postulieren; notwendig sind neben der politischen Qualität dieser 500 Abgeordneten eben auch tatsächlich ausreichende Arbeitsmöglichkeiten und -hilfen für die Abgeordneten. ({20}) Ich sage das mit einer gewissen persönlichen Enttäuschung. Ich habe es hier vor 12 Monaten schon einmal gesagt, aber diese unsere Kollegen, die in unserem Vorstand auf diesem Gebiet tätig sind, haben sich vielleicht zu sehr von Bedenken außerhalb des Hauses beeindrucken lassen. ({21}) Nun zur Beurteilung der Regierungserklärung selbst, meine Damen und Herren. Es fällt die tiefgreifende Analyse der wirtschafts- und finanzpolitischen Situation auf. Auf diesem Felde muß zunächst der Schwerpunkt der Regierungsarbeit liegen. Die beste Außenpolitik kann nicht viel nützen, wenn das Land innen nicht gesund ist. Mein Freund Alex Möller wird zu diesem Hauptthema im Laufe des heutigen Tages noch ausführlich für unsere Fraktion Stellung nehmen. Ich will mich zu diesem Thema auf wenige Bemerkungen beschränken. Die Bundesregierung sagt, gegenwärtig seien optimales Wirtschaftswachstum und Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes die ersten Ziele. Wir stimmen dem zu. Wir fügen hinzu: wir halten die Überwindung der konjunkturellen Rezession und der Strukturkrisen in einzelnen Bereichen, besonders bei Kohle, Energie und Stahl, für den entscheidenden Maßstab, an dem diese neue Bundesregierung gemessen werden wird. Wir wollen, daß das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Kontinuität der Vollbeschäftigung wiederhergestellt wird; die Sorge um den Arbeitsplatz darf in Deutschland nicht um sich greifen. Die Sicherung der Arbeitsplätze hat für uns den Vorrang vor dem weiteren Ausbau von Sozialleistungen. Wir wollen das Vertrauen der Unternehmer in die Kontinuität der Wirtschafts- und Kreditpolitik in unserem Lande wiederhergestellt sehen; die Investitionen müssen wieder in Gang gebracht werden. Wir vertrauen darauf, daß die Sozialpartner sich an Hand der von der Regierung angekündigten Orientierungsdaten nach den Notwendigkeiten von Stabilität und Wachstum unserer Wirtschaft richten. Wir vertrauen ebenso darauf, daß die Bundesbank, die schon allzu lange die einzig tätige Instanz der Wirtschaftspolitik hat sein müssen, ihre Kreditpolitik jetzt wieder an der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung orientiert. ({22}) Für uns Sozialdemokraten ist die Wiederherstellung von Stabilität und kontinuierlichem Wachstum der Volkswirtschaft kein Selbstzweck, sondern die Erreichung dieser Ziele soll uns ermöglichen, auf Bildungsinvestitionen und Wissenschaft, auf Berufsausbildung, auf zukunftsorientierte Umschulung und Fortbildung, auf Gesundheitspolitik, auf soziale Infrastruktur insgesamt jenes Gewicht zu legen, das ihnen nach sozialdemokratischer Überzeugung zukommen muß. Fritz Erler hat von diesem Pult aus vor einem Jahr in einer anderen Debatte über eine Regierungserklärung gesagt: Die Leistung unserer Wirtschaft hängt in Zukunft ab von der Ausschöpfung unserer Begabungsreserven. - Das bleibt nach wie vor unsere sozialdemokratische Meinung. ({23}) Einige innenpolitische Bemerkungen! Wir hoffen, daß die Reform des Strafrechts bei aller gebotenen Sorgfalt mit Energie vorangebracht wird. Wir wollen endlich eine gesetzliche Grundlage haben für eine freiheitlich gesonnene, wirklichkeitsnahe Rechtspflege, und wir drücken unseren Willen aus, daß dies besonders für das politische Strafrecht gelten möge, das nach unserem Willen noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden muß. ({24}) Herr Mischnick hat vom Notstandsproblem gesprochen. Kollege Mischnick, durch die Große Koalition ist das Notstandsproblem weder erleichtert noch erschwert worden; es ist absolut dasselbe geblieben. Es ist ein Problem von sehr schwierigen Zusammenhängen und sehr wichtigen Erwägungen, die angestellt werden müssen. Unsere sozialdemokratischen Auffassungen - auf drei Bundesparteitagen unserer Partei geformt und erhärtet - sind diesem Hause bekannt; sie gelten unverändert. Wir wiederholen, daß es der Klärung noch vieler Einzelfragen bedarf, und wir wiederholen - auch Herr Kollege Barzel hat das ausgeführt, ich unterstreiche es -, daß es einer gründlichen öffentlichen Diskussion bedarf. Ich füge hinzu, daß die bisher bekanntgewordenen, ja noch nicht regierungsoffiziellen Entwürfe der Straffung bedürfen. Wir wollen hier keine Überperfektion. Ich wiederhole auch, daß im gleichen Zuge die schon verabschiedeten Sicherstellungsgesetze verfassungspolitisch durch das Parlament überprüft werden müssen und daß die Materien der sogenannten Schubladengesetze nach unserer gewonnenen und sachlich fundierten Überzeugung in die Prozedur der ordentlichen öffentlichen Gesetzgebung gehören. ({25}) In aller Freundschaft möchten wir die Regierung davor warnen, die Notstandsregelung, die dem ganzen Hause ein besonderes Maß an Besonnenheit und auch an schöpferischer Muße abverlangt, so lange hinauszuschieben, bis sie etwa wiederum in dem leicht angeheizten Klima einer Vorwahlzeit dann hier zur Entscheidung stünde. Schmidt ({26}) Wir erwarten im übrigen von der Regierung ein Gesamtkonzept der von ihr für notwendig gehaltenen Grundgesetzänderungen und Grundgesetzverbesserungen. ({27}) Wir möchten keine Änderungen von Fall zu Fall haben. Um auszuschließen, daß unser Grundgesetz mit einer Fülle von Zusätzen belastet würde, die im einzelnen sinnvoll sein, in ihrer Gesamtheit aber ein störendes und gefährliches Konglomerat bilden könnten - gerade deswegen möchten wir ein Gesamtkonzept dessen, was Sie für notwendig halten. Das Grundgesetz ist kein Objekt für Tagesopportunitäten. ({28}) Soweit wir sehen, geht es beim Grundgesetz neben dem Problem der Notstandsgesetzgebung - über das schon geredet ist - um drei große Aufgabenkomplexe: 1. die Finanzreform, eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung unserer innerstaatlichen Gesamtstruktur und eine unerläßliche Voraussetzung für kooperativen Föderalismus. Die Regierung wird daran gemessen werden, ob und wie es ihr gelingt, dem Parlament ihren Entwurf dafür so rechtzeitig zuzuleiten, daß eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode wirklich möglich wird. Die Regierung wird daran gemessen werden. 2. Wir sind bereit, im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des wirtschaftlichen Wachstums den Art. 109 zu ändern, wenn in der weiteren - wie ich hoffe, zügigen -Ausschußberatung unsere Vorschläge zur Vervollkommnung dieses Gesetzes akzeptiert werden. Ebenso erklären wir unsere Bereitschaft, im Grundgesetz die Voraussetzungen für die von uns geforderte und von der Regierung jetzt angekündigte mittelfristige Finanzplanung zu schaffen. Das gleiche gilt von dem Art. 113, der zu einem noch besseren Instrument der Verhinderung von solchen Ausgaben gemacht werden kann, die die Regierung nicht verantworten will. 3. Wir sind einverstanden, wenn die Grundsätze des Wahlrechts der - alle vier Jahre auftretenden - Versuchung zur Manipulation entzogen und in das Grundgesetz hineingenommen werden sollen. Über den Inhalt dieser letzten Verfassungsänderung gibt es jedoch einstweilen sehr verschiedene Meinungen in diesem Hause und in jener der beiden Regierungsfraktionen. ({29}) Die Regierung hat ihre Absicht erklärt, ein Wahlrecht zu schaffen, das klare Mehrheiten im Bundestag ermöglicht. Diese Absichtserklärung findet in beiden regierungstragenden Fraktionen sehr unterschiedliche Beurteilung. Meine Fraktion - das habe ich hier zu erklären - wird auf einer sehr gründlichen Prüfung dieser schwierigen Materie bestehen, ehe sie überhaupt zu einer Entscheidung bereit ist. Meine Partei wird diese Frage auch auf einem Bundesparteitag behandeln. Wir erkennen im Augenblick sowohl Vorteile als auch Nachteile. Jedenfalls würde ein relatives Mehrheitswahlrecht - d. h. ein Abgeordneter je Wahlkreis und keinerlei Listenmandate - die Struktur der deutschen Innenpolitik insgesamt, aber auch die Struktur aller beteiligten Parteien, auch ihre geistige Struktur, ganz wesentlich ändern. Die politische Landschaft in Deutschland ist ohnehin dem Wandel unterworfen. Stärker als je zuvor hat sich in unserem Volk die Erkenntnis durchgesetzt, daß frühere starre Frontstellungen der heutigen politischen Wirklichkeit nicht mehr entsprechen. Das gilt insbesondere für die konfessionell gebundene Wählerschaft. Sie erkennt heute - und hierzu haben die beiden großen Kirchen von sich aus vieles beigetragen -, daß das Evangelium keinen Wähler seiner eigenen politischen Entscheidung entheben kann. Neben dieser Entwicklung ist andererseits auf die Dauer das Entstehen extremer Flügelparteien links und rechts des bisherigen Spektrums des Deutschen Bundestages nicht unwahrscheinlich. Dies ist wie ich meine, keinerlei Anlaß zu hysterischer Aufregung. Wie ich meine, handelt es sich vielmehr um eine normale Erscheinung des kontinental-europäischen Parlamentarismus. ({30}) Diese Erscheinung allein jedenfalls wäre kein Grund zur Änderung des Wahlrechts - so meinen wir jedenfalls. ({31}) Schließlich muß jede Demokratie in Europa mit diesen Erscheinungen jeweils auf ihre Art fertig werden. Ich wiederhole also für meine Fraktion: Wir werden die Wahlrechtsvorschläge, die die Regierung angekündigt hat, prüfen; aber wir sind darauf nicht festgelegt. Für meinen Freund Fritz Erler und mich persönlich will ich an dieser Stelle allerdings bekennen, daß wir für ein relatives Mehrheitswahlrecht eintreten, weil es ein Verantwortung erzwingendes Wahlrecht ist und weil es den Zwang zu Koalitionen aufhebt. Was die Regierung zur Außen- und Deutschlandpolitik gesagt hat, war klar und sachlich, wenn auch verständlicherweise gegenüber dem innenpolitischen Teil relativ zurückhaltend. Manchem Bürger ist die tatsächliche Stellung Deutschlands in der Welt noch nicht ausreichend bewußt geworden. Gewiß sind z. B. auf Parteitagen offene Worte gesprochen worden. Aber hier im Parlament und in einer breiten Öffentlichkeit haben immer noch viele versucht, ihr Wunschdenken als reale Wirklichkeit auszugeben. Wir alle müssen seit längerer Zeit erkennen, daß in der Weltpolitik das allgemeine Interesse der Friedenserhaltung und der Rüstungsbegrenzung vor das Teilinteresse der Wiedervereinigung unseres Landes gestellt wird. Wir werden deshalb alle miteinander das Ziel der Vereinigung unseres Volkes nicht aufgeben. Wir werden auch das Unrecht der Vertreibung nicht als Recht anerkennen. Aber wir stimmen dieser Regierung ohne Schmidt ({32}) Einschränkung zu, wenn sie gesagt hat: ihr erstes Wort zur Außenpolitik ist der Wille zum Frieden und zur Verständigung. ({33}) Dem stimmen wir ohne jede Einschränkung zu. Verständigung bedeutet zuallererst, daß man aufeinander hört, daß man hört, was der andere sagt, und daß man erwartet, daß er zuhört, wenn man selber spricht. Wir müssen wahrheitsgemäß feststellen, daß wir von keiner anderen europäischen Regierung hören, daß sie in ihrer innersten Überzeugung davon ausgehe, beim Abschluß eines Friedensvertrages deutsche Hoffnungen auf eine Veränderung der Oder-Neiße-Linie unterstützen zu wollen. Das müssen wir feststellen als das, was wir gehört oder nicht gehört haben; das ist die gegenwärtige Lage. Es tut uns und unserem Volk gut, das auszusprechen und nicht darum herumzureden. ({34}) Es wäre verfehlt, deshalb die deutschen Rechtsansprüche einfach über Bord zu werfen. Aber ebenso verfehlt wäre es, die bloße Verfechtung von Rechtsansprüchen allein schon für Außenpolitik zu halten. ({35}) Wir unterstützen deshalb aus voller Überzeugung die Absicht der Regierung zur Verständigung und zur Versöhnung mit unseren östlichen Nachbarn. Wir sind sicher, daß auch unsere vertriebenen I Landsleute, die der Deutsche Bundestag durch eine gemeinsame Erklärung aller 1950 in Obhut genommen hat und deren Interessen wir gemeinsam vertreten, besonders an einem vertrauensvollen Verhältnis zu den Nachbarvölkern im Osten interessiert sind. In dieser Gewißheit begrüßen wir die Ausführungen des Bundeskanzlers gegenüber Polen und gegenüber der CSSR und stimmen ihnen zu. Für das Klima der Verständigung hoffen wir auch weiterhin auf die Kirchen und auf die Wissenschaft in unserem Lande. Die Bundesregierung will auch im Verhältnis zur Sowjetunion einen neuen Ansatz suchen. Das wird gewiß nicht leicht sein. Zwischen der Sowjetunion und uns liegt ein Krieg, der von einer deutschen Regierung vom Zaun gebrochen worden ist und von beiden Völkern mehr Opfer gefordert hat als jemals ein Krieg zuvor. Zwischen beiden Völkern liegt auch die sowjetische Politik der Spaltung, deren Ziele wir nicht billigen werden. Zwischen beiden Völkern liegt schließlich manches ungute Wort, das in den letzten zwei Jahrzehnten hinüber und herüber gegangen ist. Wir werden nach einer Sprache suchen müssen, die beiden verständlich ist und keinen verletzt. Diese Sprache wird auf unserer Seite frei sein müssen von Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit, aber sie kann und wird nicht frei sein von Festigkeit und Würde. ({36}) Unsere Sprache wird den Selbsterhaltungswillen eines Volkes widerspiegeln, das zwar durch die Taten der damaligen nationalsozialistischen Führung manches verspielt, aber eines sicherlich nicht verspielt hat: sein Recht, sich seine innere Ordnung selbst zu geben und seinen Willen frei zu bilden. Gegen den Willen einer der vier Großmächte gibt es keine Wiedervereinigung. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Großmächte auch die Interessen der Nachbarnationen Deutschlands berücksichtigen müssen und wollen. Auch das gehört zur Bestandsaufnahme. Die deutsche Frage wird nur lösbar in gesamteuropäischen und weltpolitischen Zusammenhängen. Wir können sie nicht in nationalistischer Verengung betrachten. Vielleicht - da uns eine solche nationalistische Betrachtungsweise manchmal vorgeworfen wird - darf ich in diesem Zusammenhang mit Dankbarkeit die Unterstützung erwähnen, die die Bundesrepublik Deutschland durch befreundete Regierungen bei der Abwehr solcher Vorwürfe erfahren hat. Ich nenne die Beispiele des italienischen Staatspräsidenten und der Außenminister Großbritanniens und Dänemarks. ({37}) Gewiß, welt- und machtpolitische Gegebenheiten haben entscheidend dazu beigetragen, daß wir die Spaltung unseres Landes bisher nicht haben überwinden können. Doch haben auch unsere eigenen Regierungen in zurückliegenden Jahren nicht genug Initiative ergriffen und nicht genug Phantasie gezeigt. Im Verhältnis beider Teile unseres Landes zueinander wollen wir uns davon leiten lassen, den Menschen im geteilten Land das Leben zu erleichtern, die nationale Substanz zu erhalten und jeden nur möglichen Ansatz zur Überwindung der Teilung zu schaffen. Die Bundesregierung muß sich erfindungsreich und hartnäckig, gleichwohl aber sorgsam darum bemühen, daß die innerdeutsche Situation verändert, d. h. daß unser Handlungsspielraum gegenüber dem SED-Regime in Ostberlin voll ausgenutzt wird. Von besonderer Bedeutung erscheint uns dabei der Hinweis der Regierung auf eine Ausweitung des innerdeutschen Handels. Wir erlebten, daß in den letzten Jahren die Unternehmungen der uns verbündeteten und befreundeten Länder durch die Möglichkeiten von Krediten und Garantien ihrer Länder im Handel mit der Zone einen Wettbewerbsvorsprung erhalten haben, den die Unternehmungen der Bundesrepublik und die Unternehmungen Westberlins ohne entsprechende Maßnahmen unsererseits nicht einholen können. Deshalb sollte die Regierung bald darangehen, für den innerdeutschen Handel einen revolvierenden Kreditoder Garantiefonds zu schaffen. Seine Aufgabe wäre es, den Unternehmen in der Bundesrepublik und in Westberlin vergleichbare Wettbewerbspositionen im langfristigen Geschäft, besonders für Produktions- und Investitionsgüter zu verschaffen, wie ausländische Unternehmen sie haben. Das läge übrigens wirklich auch im gesamtdeutschen Interesse; es würde nämlich den anderen Teil Deutschlands in den Stand versetzen, seine eigenen Lieferfähigkeiten uns gegenüber zu erhöhen. Über dies hinaus hoffen wir, Herr Bundeskanzler, daß die angekündigten organisatorischen Maßnah3724 Schmidt ({38}) men zur Verstärkung innerdeutscher Kontaktflächen demnächst konkrete Gestalt annehmen können. Wir verfolgen selbstverständlich mit Interesse die Reaktionen der Kommunisten in Ostberlin auf diese Regierungsbildung hier in Bonn. Wir bemerken, daß die Polemik der SED gegenüber der Großen Koalition von der Beurteilung in anderen kommunistischen Ländern und in anderen kommunistischen Parteien sehr weitgehend abweicht. ({39}) Wir bemerken mit Interesse, daß die Kommunisten in Ostberlin den Bürgern in der sogenannten DDR vieles von dem, was wir hier sagen und ankündigen, verschweigen, weil sie einstweilen noch nicht wissen, wie sie dazu Stellung nehmen sollen, während man in anderen kommunistischen Ländern und Parteien sehr viel offener und zutreffender über das berichtet, was hier in Bonn vor sich geht. Ulbricht und seine Leute behaupten, die Regierungsbildung würde eine Verstärkung des - wie sie es nennen - aggressiven und revanchistischen Kurses bedeuten. Wir sollten uns von solchen Stimmen nicht irre machen lassen, meine Damen und Herren, wir sollten auch nicht zurückpolemisieren, wir sollten in unserem Bestreben fortfahren, für Entspannung auch innerhalb unseres eigenen Landes zu sorgen. Nicht zuletzt deshalb haben wir Sozialdemokraten die Große Koalition auch gewollt. ({40}) Die Ausführungen der Bundesregierung zur Entspannungspolitik finden unsere Zustimmung, obwohl wir meinen, Herr Bundeskanzler, daß hier einige Akzente doch etwas klarer gesetzt werden sollten. Die Ausführungen zur Rüstungskontrolle, zur Rüstungsminderung, zur Abrüstung erschienen uns nicht weitgehend genug. Wir nehmen an, daß Sie unter dem Ausdruck „Mitarbeit" an diesen Problemen auch eigene Initiativen und Vorschläge verstehen. Wir Sozialdemokraten vertreten in der Frage der Atomwaffen unverändert den Standpunkt, daß weder nationaler Besitz noch deutscher Mitbesitz an nuklearen Waffen erforderlich sei, daß er auch nicht gewollt werden soll. Wir erwarten daher, daß die Bundesregierung einem Atomwaffensperrvertrag, der die Bundesrepublik nicht diskriminiert, dann beitritt, wenn sich auch die anderen interessierten nichtnuklearen Mächte zu einem solchen Beitritt bereit erklären sollten. Wir vermissen in der Regierungserklärung Gedanken über die Gestaltung unseres Bündnisses, über die künftige Verteidigungsstrategie. Hier ist ein Gegensatz zwischen Herrn Barzel und mir: Wir vermissen auch Gedanken über den Auftrag der Bundeswehr. Wir geben zu, daß die Zeit für solch grundlegende Überlegungen und für die dazu notwendigen Fühlungnahmen mit anderen Regierungen vielleicht noch zu kurz war; wir wissen auch, daß in diesen Tagen in Paris entscheidende Verhandlungen solcherart stattfinden. Immerhin erwarten wir, daß die neue Bundesregierung im Laufe des nächsten Jahres dem Deutschen Bundestag ihre Analysen und ihre Vorstellungen zu dieser wirklich bedrängenden Problematik vorlegt. Die Regierung hat unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten ausreichend gewürdigt. Wir alle streben eine Zusammenarbeit mit den USA im Geist der gleichberechtigten Partnerschaft an. Ich will nun zwar die im Gang befindlichen Verhandlungen nicht stören, aber wir müssen doch darauf hinweisen, daß sowohl aus finanziellen wie aber auch aus militärischen Gründen eine Abgeltung für die Stationierungskosten amerikanischer Truppen durch Devisenleistungen der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft äußerstenfalls in Höhe der Hälfte der bisherigen Größenordnung geleistet werden kann. ({41}) Sie darf andererseits nicht auf den Bezug militärischer Güter und Dienstleistungen aus den Vereinigten Staaten beschränkt bleiben, aus finanziellen Gründen nicht, aber auch aus Gründen der Notwendigkeiten unserer eigenen Bundeswehr nicht. Im übrigen gehen wir vertrauensvoll davon aus, daß auch und gerade unser wichtigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Bedeutung der strategischen Positionen in Europa nicht mit der Elle im Grund zweitrangiger Devisenprobleme wird messen können und wollen. Darauf möchten wir im Grunde vertrauen. ({42}) Im Verhältnis zu den westlichen Nachbarnationen hat die Regierung den Grundsatz ausgesprochen, es komme darauf an, praktische Schritte auf dem Wege zur Einigung anzustreben und nicht unnachgiebig idealen Vorstellungen nachzulaufen. Wir halten das für richtig; das Wünschenswerte darf nicht das Mögliche verhindern. Die Bundesregierung wird die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion haben, wenn sie darangeht, das deutsch-französische Verhältnis im freundschaftlichen Geist der Zusammenarbeit zum Wohle beider Länder und zum Wohle Europas zu beleben. Das muß und darf auch nicht das gute freundschaftliche Verhältnis zu den anderen europäischen Staaten beeinflussen oder gar beeinträchtigen. Wir denken hier besonders auch an die skandinavischen Staaten, die in der Vergangenheit für unsere deutschen Interessen so viel Verständnis aufbrachten und für deren Sorgen wir das gleiche Verständnis aufbringen müssen. Unser Verhältnis zu Großbritannien ist klar. Es besteht in einer guten und freundschaftlichen Partnerschaft in allen Angelegenheiten, die beide Länder gemeinsam betreffen. England mit seinem weltweiten Einfluß, mit seiner gelebten Demokratie, mit seiner nüchternen, aber aus reicher Erfahrung schöpfenden Urteilskraft ist ein Teil Europas und für uns Deutsche zugleich ein wertvolles und wichtiges Bindeglied zur ganzen Welt. Wir brauchen England in der Wirklichkeit unseres Kontinents für die Kräftigung der europäischen Wirtschaft, für die Sicherung unseres eigenen Landes und für den Aufbau eines Systems einer gefestigten Gemeinschaft Europas. Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode. Schmidt ({43}) Meine Damen und Herren, ich darf eine Schlußbemerkung machen. Wir glauben, daß die Demokratie heute im Bewußtsein unseres Volkes stärker als jemals in früheren Generationen verankert ist. Diese Verankerung der Demokratie im Bewußtsein der heute lebenden Deutschen steht und fällt ganz gewiß nicht mit einer zeitbedingten Koalition in diesem Hause; ganz gewiß nicht! Auch einige bisweilen nicht gerade schmeichelhafte Äußerungen über diese neue Regierung und die neue Koalition aus den Reihen der Jüngeren in Wissenschaft und Literatur sind überwiegend doch Ausdruck des leidenschaftlichen Engagements dieser Menschen für die Demokratie! ({44}) Dies ist im Grunde doch etwas Positives. Wir wissen, daß unser Volk in beiden Teilen des Landes große Erwartungen hegt, die von einer breiten Mehrheit getragene neue Regierung werde die schweren Probleme bewältigen, vor denen unsere Nation steht. Die Zweifler durch Leistung zu überzeugen und die Erwartenden nicht zu enttäuschen, ist die gemeinsame Aufgabe, vor der die Regierung und die beiden Fraktionen stehen, die diese Regierung gebildet haben. Unser Volk muß wieder Vertrauen in seine Regierung gewinnen. Das gilt nicht nur für die Wähler der CDU und CSU und für die Wähler der SPD, sondern das gilt für die Wähler aller Parteien; das gilt für jeden einzelnen Staatsbürger. Jedermann in Deutschland hat Anspruch darauf, seiner Regierung vertrauen zu können. ({45}) Gerade weil das so ist, wird meine Fraktion an die künftige Arbeit dieser Regierung scharfe Maßstäbe und scharfe Kontrolle anlegen. Wir Sozialdemokraten stehen dabei in der geistigen und politischen Tradition einer Partei, die vor über hundert Jahren mit dem Willen angetreten ist, den Frieden zu sichern und Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu verwirklichen. Wir stehen fest auf dem geistigen Boden unseres Godesberger Programms, und wir setzen die politische Arbeit kontinuierlich fort, die wir vor 17 Jahren in diesem Hohen Hause begonnen haben, nämlich: Bemühung um den Frieden, um den Ausbau des freiheitlichen, des sozialen und des demokratischen Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland und Bemühung um die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts für alle Deutschen. Wir erklären: Die Regierungserklärung bietet uns eine gute Grundlage für die Fortsetzung dieser 17jährigen Arbeit. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich deshalb mit ihrem ganzen menschlichen und politischen Gewicht dafür einsetzen, daß auf der neugewonnenen gemeinsamen Basis die Politik gemacht werde, die zum Wohl unseres Volkes notwendig ist. ({46})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Das Wort hat der Abgeordnete Bauer ({0}).

Josef Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesgruppe der Christlich-Sozialen Union in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU begrüßt ebenso wie die Gesamtfraktion die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers. Sie ist dem Herrn Bundeskanzler dankbar dafür, daß er diese Regierungserklärung nicht im bisher üblichen Stil abgegeben, sondern den augenblicklichen Erfordernissen angepaßt hat. Die Vorlage eines genauen, in die Einzelheiten gehenden Programms ist sicherlich erst dann möglich, wenn die Voraussetzungen geschaffen sind. Diese Voraussetzungen hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung dargestellt. Wir wollen mit der Regierung und dem Koalitionspartner zusammenarbeiten, damit dieses Vorprogramm durchgeführt und dann die die weiteren Einzelfragen geklärt werden können. Ich glaube, die vorige Woche hat uns eine deutliches Stück in dieser Richtung vorangebracht. Ich glaube auch, daß der Stil, den das Parlament in den neu verteilten Rollen dabei in der vorigen Woche entwickelt hat, befriedigend ist. Wenn das auch in der Zukunft so sein wird, können wir hoffen, daß wir eine gute parlamentarische Arbeit bekommen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geziemt sich aber wohl, hier auch der bisherigen Regierung und dem bisherigen Bundeskanzler Professor Erhard ein aufrichtiges Wort des Dankes zu sagen. Das gilt ihm persönlich, es gilt der bisherigen Regierung, und es gilt vor allem auch den ausgeschiedenen Ministern. ({0}) Wir wissen, was sie in ihrer Amtszeit geleistet haben. Wir sind überzeugt, daß das deutsche Volk bereit ist, diese Leistungen zur gegebenen Zeit anzuerkennen. Gerade im jetzigen Zeitpunkt dürfte sich der Wert der sozialen Marktwirtschaft ganz besonders deutlich herausstellen. Sie war und ist und bleibt das Werk Ludwig Erhards. Sie hat uns nicht nur sichere Existenz, sondern Wohlstand für alle gleichzeitig gebracht. Meine Damen und Herren, rächt es sich nicht bitter, daß wir die Aufforderungen dieses Mannes, Maß zu halten, nicht ernst genug genommen haben, ja, daß es weite Teile in unserem Volk - Gott sei es geklagt - gegeben hat, die diesen so berechtigten Mahnungen oft nichts als Hohn und Spott entgegenzusetzen wußten? ({1}) Und trotzdem, so will es mir scheinen, würden die jetzt erforderlichen harten Entschlüsse auf viel mehr Widerstand stoßen, wenn es nicht diese Zeit der Appelle und der Mahnungen gegeben hätte. Meine Damen und Herren! Eine aufgeregte Publizistik, so sagte kürzlich ein bedeutender Journalist, hat im deutschen Volk eine Krisenstimmung euzeugt. Ich bin einer anderen Auffassung. Ich bin der Meinung, daß es in Wahrheit und in erster Linie eine politische Minderheit war, die diese Krise ausgelöst hat. ({2}) Bauer ({3}) Wir sind froh, Herr Bundeskanzler, daß die Regierung dieser Frage auch in der Regierungserklärung ein ganz besonderes Augenmerk zugewendet hat. Wenn ,die Glaubwürdigkeit in diesen Staat und in diese staatliche Ordnung wiederhergestellt werden soll, muß es in Zukunft unter allen Umständen verhindert werden, daß eine Minderheit politische Krisen dieses Ausmaßes in dieser Häufigkeit und in diesem Stil immer wieder hervorrufen kann. ({4}) Darum sind wir für eine Wahlrechtsreform, die in Zukunft klare Mehrheiten im Deutschen Bundestag schafft. Es muß uns daran liegen, dieses Wahlrecht rasch zu verwirklichen, und wir möchten die Regierung ermutigen, Herr Bundeskanzler, in einem stufenweisen Vorgehen schon für die Wahl 1969 entsprechende Vorschläge zu erarbeiten und auch zu realisieren.

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Josef Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Fritz Rudolf Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002103, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bauer, wären Sie so liebenswürdig zu präzisieren, wo diese Minderheit, von der Sie eben gesprochen haben, zu finden ist - ob hier im Hause oder außerhalb des Hauses - und wer diese Minderheit gewesen ist. Wir würden gern deutlich wissen, wen Sie meinen.

Josef Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Schultz, es ist gar kein Zweifel, mit dieser Minderheit meine ich Ihre Fraktion. ({0}) Die nächste Sorge, die in der Regierungserklärung vom Herrn Bundeskanzler angesprochen worden ist, ist die Haushaltssanierung. Sie muß nicht nur rasch, sondern auch wirksam und nicht nur für den Augenblick, sondern schon für die kommenden Jahre erfolgen. Das ist zweifellos eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe, meine Damen und Herren, sicher eine der schwierigsten, der sich eine Regierung und der zuständige Minister jemals gegenübergestellt sahen. Sie erfordert einen Mann mit ungewöhnlicher Tatkraft und klarem Blick in die finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenhänge. Wir begrüßen deshalb ganz besonders, daß diese Regierung den Vorsitzenden der CSU, unseren Freund Franz Josef Strauß, mit dieser schwierigen Aufgabe betraut hat. ({1}) Wir lassen es nicht dabei bewenden, ihm dafür - und das sollte das ganze Haus tun - alles Gute zu wünschen, wir versprechen ihm auch unsere stete Mithilfe und Mitwirkung. Wir werden uns dabei nicht davon abbringen lassen, auch mit ihm den einen oder anderen Strauß auszufechten, aber stets in Freundschaft und in der gemeinsamen Sorge und in der Verantwortung für das Ganze. ({2}) Wir möchten ihn ermuntern und ihm sagen, er solle nicht nur hart bleiben, sondern auch ein ganzes Werk tun. Nicht halbe Maßnahmen, nicht Rücksicht auf dieses oder jenes können jetzt helfen. Wir können uns nicht jedes Jahr und nach jedem Haushalt neue Sanierungsversuche leisten. Jetzt, und zwar rasch, muß das Schwerste getan werden; denn dann ist das Folgende leichter. Wir wünschen, daß der Bundesfinanzminister auch mit der Modernisierung des Haushaltsrechts und mit der mittelfristigen Planung Erfolg hat und daß es ihm gelingt, die stets ausgezeichnete Mannschaft des Finanzministeriums zu derartigen Leistungen anzuspornen. Wenn er sich den ersten Finanzminister, Fritz Schäffer, der auch aus der CSU-Landesgruppe gekommen ist und der heute wohl von allen Seiten als einer der ausgezeichnetsten Finanzminister anerkannt wird, ({3}) zum Vorbild nimmt, dann wird er sich seiner Aufgabe nach unserer Auffassung in großartiger Weise entledigen. ({4}) Meine Damen und Herren, viel ist in jüngster Zeit von Voraussicht und Vorausschau die Rede. Auch der Herr Bundeskanzler hat das mehrmals angesprochen. Wir möchten klarstellen, daß Voraussicht und Vorausschau nicht etwa Dirigismus, geschweige denn Planwirtschaft oder gar Steuerung in diesem Sinne bedeuten. Auch weiterhin sollen für uns die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft die Grundlage bilden, angepaßt allerdings jeweils den augenblicklichen Notwendigkeiten. Wir sind uns bewußt, daß die Regierung dieses schwierige Werk nicht allein vollbringen kann. Sie braucht dazu die Unterstützung dieses Hohen Hauses. Sie bedarf insbesondere der Unterstützung der ganzen deutschen Öffentlichkeit. Eine ganz besondere Aufgabe kommt dabei, so scheint es mir, der deutschen Publizistik in all ihren Bereichen, in Presse, Rundfunk und Fernsehen, zu. ({5}) Nur mit ihrer Hilfe wird es gelingen, unser Volk stets rechtzeitig und vollständig zu unterrichten, ihm die meist komplizierten Zusammenhänge klarzumachen und übertriebene Sorge oder gar Panik in einer solchen Zeit von ihm fernzuhalten. ({6}) Natürlich, meine Damen und Herren, muß das in voller Meinungsfreiheit vor sich gehen. Selbstverständlich bedarf auch diese Regierung und diese Große Koalition der Kritik, der harten Kritik, wenn Sie wollen, durch die Massenmedien. Aber eines sollte uns doch gemeinsam sein: die Zielsetzung, uns gegenseitig zu helfen. Darum sollte diese Kritik stets wohl fundiert sein, nicht zersetzend, sondern anregen, von hoher Ethik getragen, auf gültigen Wertmaßstäben aufbauend. Nur so läßt sich auch Stabilität im öffentlichen Leben wiederherstellen. Ich bin überzeugt, daß die gute deutsche Publizistik ihre Ehre darein setzen wird, mit ihren gewaltigen MögBauer ({7}) lichkeiten zu dieser Art der Stabilisierung ihren Beitrag zu leisten. ({8}) Mit Recht hat der Bundeskanzler davon gesprochen, daß ein kooperativer Föderalismus eine gerechte und fruchtbare Ordnung in den Bereichen des Bundes, der Länder und der Gemeinden herbeiführen soll. Daß wir von der Christlich-Sozialen Union diese Aussage ganz besonders begrüßen, ist selbstverständlich. Die CSU hält den Förderalismus für ein gesundes Gestaltungsprinzip im öffentlichen Leben. Wir meinen damit nicht etwa den Föderalismus aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, sondern einen Föderalismus, der den heutigen Verhältnissen angepaßt ist, der die gesunden Kräfte überall dort, wo sie bereit sind, mitwirken läßt und ihnen die Möglichkeit zur Mitgestaltung gibt, also einen kooperativen Föderalismus, der nicht nur das Verhältnis Bund-Länder regeln soll, sondern auch das Verhältnis der Länder zueinander ebenso wie das Verhältnis der Gemeinden zum Land und der verschiedenen Selbstverwaltungseinrichtungen untereinander. Die modernen wirtschaftlichen Verhältnisse bringen es mit sich, daß die Entwicklung nicht überall gleichmäßig verläuft. Es gibt immer wieder Umstellungen, Verzögerungen, ein Vorauseilen und unterschiedliche Hemmnisse. Einmal wird dieser und einmal wird jener der Hilfe bedürfen, und in vielen, vielen Fragen bedarf es wohl des Zusammenstehens aller, die hier angesprochen sind. Den Willen, meine Damen und Herren, das zu berücksichtigen, den Willen, auf allen Ebenen zusammenzuwirken und zusammenzuarbeiten, um gemeinsam die besten Lösungen zu finden, diesen Willen bezeichnen wir als den modernen kooperativen Föderalismus. Er ist nicht etwa nur ein Prinzip des Forderns oder des Abwehrens, er ist ein Prinzip des Zusammenbauens und des Ausgleichens. Ausgleich ist aber nicht nur für den Bundeshaushalt, sonder für alle Haushalte erforderlich. Er ist darüber hinaus erforderlich, um unser Wirtschaftsgefüge in Gang zu setzen. Dieser kooperative Föderalismus ist auch ein Gestaltungsprinzip für die Verwirklichung des angestrebten vereinigten Europas. Vor der Integration muß die Kooperation und die Föderation stehen. Mit solchen Zielsetzungen können wir auch unsere junge Generation für das konkrete Gestalten eines solchen gemeinsamen Europas begeistern. Mit diesem Prinzip können wir mancher Streitfrage aus dem Wege gehen, die sich bei der unmittelbaren Forderung nach Integration ergeben könnte. Wie wären wir aber imstande, durch kooperativen Föderalismus Europa zu schaffen und zu bauen, wenn wir diesen nicht im eigenen Lande erfolgreich zu verwirklichen trachteten? ({9}) Meine Damen und Herren, wenn ich schon dabei bin, von einem Ausgleich der Lasten zu sprechen, so möchte ich das Wort der Regierungserklärung aufnehmen, daß die notwendigen Belastungen möglichst gleichmäßig auf die Gruppen und Schichten des Volkes verteilt werden sollen. Wir stimmen dieser Aussage vorbehaltlos zu. Wir möchten sie weiterführen und ergänzen. Es gibt nichts Schrecklicheres als die Gleichmacherei, nichts Ungerechteres als eine scheinbare bis ins letzte regulierende sogenannte Gerechtigkeit. Diese fälschliche so genannte Gerechtigkeit ist nichts anderes als eine geisttötende Prinzipienreiterei und eine Beckmesserei. Daher ist es erforderlich, daß die Lastenverteilung den einzelnen Bedürfnissen angepaßt wird, soweit das möglich ist. Der Schwache, der Kranke, der Arme muß geschont, der Starke und Vermögende mehr herangezogen werden. Manchmal allerdings hat man bei uns den Eindruck, als hätten weite Kreise unseres Volkes das gesunde Prinzip der Selbsthilfe völlig vergessen. Man will alles und jedes, das geringste Risiko und das kleinste Mißgeschick auf den abstrakten Staat abwälzen. Wir sind sehr gern bereit, zuzugestehen, daß der Staat selbstverständlich die Aufgabe hat, den Menschen zu helfen, aber den Menschen in ihrer Gesamtheit, dem gesamten Volke. Er hat für das allgemeine Wohl zu sorgen. Darum gilt es, meine Damen und Herren, dieses Prinzip der Selbsthilfe wieder da zum .Tragen kommen zu lassen, wo die Kräfte dafür vorhanden sind. Aus Bequemlichkeit oder falscher Gleichmacherei zu schematisieren heißt nur, unnötig Steuergelder auszugeben. Vielleicht haben wir bei der stürmischen Entwicklung der beiden letzten Jahrzehnte manchmal zu sehr in die natürlichen und gewachsenen Gegebenheiten eingegriffen. Hier Korrekturen anzusetzen, meine Damen und Herren, ist nicht sozialer Abbau, sondern, wie ich meine, die Wiederherstellung einer natürlichen und gesunden Ordnung. ({10}) Das in Gang befindliche Anpassungsverfahren gilt für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik nach innen ebenso wie für die Wirtschafts- und Finanzpolitik nach außen. Wir sind aus einem verständlichen Optimismus heraus Verpflichtungen eingegangen, die uns jetzt schwer drücken. Der Grundsatz, daß Verträge erfüllt und gehalten werden müssen, wird auch von uns anerkannt. Wir hoffen aber auch, Verständnis zu finden, wenn wir mit unseren Partnern darüber verhandeln wollen, was wir bei zeitlicher Begrenzung in Zukunft noch zu leisten vermögen. Stationierungskosten in der bisherigen Höhe und im bisherigen Verhältnis gehen über die Kräfte der kommenden Jahre ganz sicherlich hinaus. Die Regierung wird Mittel und Wege ersinnen müssen, wie sie mit geringeren Mitteln gleiche Wirkungen erzielen kann. Meine Damen und Herren, um hier Mißverständnissen vorzubeugen: Ich rede nicht etwa einer einseitigen militärischen Verdünnung oder einer Demontage der Verteidigung das Wort. Schwächungen zur Unzeit auf diesem Gebiet wären alles andere als eine konsequente und wirksame Friedenspolitik, von der der Herr Bundeskanzler so leidenschaftlich gesprochen hat. Aber wir müssen mit unseren Bundesgenossen überlegen, wie wir die gemeinsam gestelllten Verteidigungsaufgaben bewältigen können, ohne die Stabilität nach innen zu gefährden. Ebenso müssen wir um Verständnis bitten, wenn wir uns Gedanken über die Entwicklungshilfe, die Bauer ({11}) wir bisher geleistet haben, machen. Selbstverständlich erachten wir es auch in der Zukunft als eine Pflicht und als einen Beitrag des deutschen Volkes, weiterhin Entwicklungshilfe zu leisten. Aber sie muß unserer Haushaltslage angepaßt werden. Ich meine auch, daß weder Qualität noch Quantität unserer Entwicklungshilfe Not zu leiden brauchen, wenn dem Ausbau der menschlichen und technischen Hilfe mehr Gewicht zugemessen wird als in der Vergangenheit. ({12}) Ich denke voller Respekt an die erfreuliche Tätigkeit der Entwicklungshelfer, die im Verhältnis zu ihrer Wirksamkeit viel weniger kosten, die sich aber in manchen Ländern, insbesondere auf lange Frist gesehen, bereits als eine gewaltige Hilfe erwiesen haben. Dabei dürfen freilich die deutsche Wirtschaft und der deutsche Export nicht leiden. Besonders möchte ich durch diesen Hinweis, wenn ich von Export und Wirtschaft spreche, mithelfen, etwas die Sorgen in der deutschen Arbeitnehmerschaft um den Arbeitsplatz zu vermindern. Es ist selbstverständlich für uns, daß wir bei den auftretenden Restriktionen in erster Linie an die Sicherung des Arbeitsplatzes unserer deutschen Arbeiter denken müssen. Wir sind den Gastarbeitern zu großem Dank verpflichtet. Sie haben uns wacker geholfen, unsere Wirtschaft aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Mit allen Wirtschaftssachverständigen bin ich darüber einig, daß wir ihrer Hilfe auch in der Zukunft noch bedürfen werden. Aber Zahl und Einsatz der Gastarbeiter müssen der jeweiligen Wirtschaftslage angepaßt werden. Unter keinen Umständen darf gerade jetzt etwa der Eindruck entstehen, daß der Gastarbeiter besser gestellt ist, sowohl was die Sicherung des Arbeitsplatzes wie auch die soziale Sicherheit anlangt. Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen, daß der schwierige Anpassungsprozeß, der sich in den Steinkohlengebieten vollzieht, wohlgezielte Maßnahmen verlangt, um eine dauernde Heilung zu erreichen. Wir stimmen Ihnen zu. Kohle und Stahl werden die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung erfordern. Es gibt aber auch noch andere Strukturprobleme - ich bin sicher, es wird noch von weiteren gesprochen werden -, die für unser Volk von entscheidender Bedeutung sind. Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang darauf hinweise, daß die Bewahrung einer gesunden und leistungsfähigen Landwirtschaft auch ein solches Strukturproblem ist, das uns und dieser Regierung und dieser Koalition ein ernstes Anliegen sein muß. ({13}) In diesem Bemühen ist in der Vergangenheit bereits Vieles und Gutes geschehen. Ich möchte gerade an die jüngste Zeit erinnern, an die erfolgreiche Tätigkeit des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Er war nicht nur bemüht, nachteilige Wirkungen der EWG zu vermeiden, sondern er hat gleichermaßen mutig auch auf die Chancen des Gemeinsamen Marktes für unsere Landwirtschaft aufmerksam gemacht und sich bemüht, diese uns nutzbar zu machen. ({14}) Wir sind ihm dafür ganz besonders dankbar. Wir haben, was unsere eigenen Hilfsmöglichkeiten anbelangt, Herr Bundesminister, nur den einen Wunsch, daß Sie Sich bei knappen Haushaltsmitteln in Zukunft noch mehr als bisher darum bemühen, diese Mittel noch stärker gezielt im Sinne der Aussagen des Grünen Berichts einzusetzen. Meine Damen und Herren, wenn wir den Herrn Bundeskanzler recht verstehen, ist auch er der Auffassung, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft immer mehr und stärker zusammenwachsen muß, daß die dafür aufzubringenden Mittel und ihr methodischer Einsatz wohldurchdacht und laufend überprüft werden müssen. Die neue Regierung wird in der Wirtschaftsgemeinschaft bald wichtige Entscheidungen für das Verhandlungsmandat in der Kennedy-Runde zu treffen haben. Herr Bundeskanzler, hier gibt es Sorgen besonders auch im Bereich der Landwirtschaft. Wir hoffen, daß durch diese Entscheidungen, die wohl im Januar fällig werden, nicht neue strukturelle Fehlentwicklungen eingeleitet werden, die dann wieder für den eigenen Haushalt bitter und hart wären und die wir wohl in einer sehr schwierigen Zeit kaum auszugleichen vermögen. Ihre Regierungserklärung, Herr Bundeskanzler, enthält eine Vielzahl von Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung. Es wird Aufgabe der Fachleute sein, sich dazu im einzelnen zu äußern. Ich möchte zu einer Klarstellung beitragen. Oberstes Gebot all unserer Überlegungen muß die Erhaltung der Stabilität unseres guten Geldes, der D-Mark sein. ({15}) Die Grenzen der sicherlich ebenso erwünschten wie notwendigen Expansion liegen für uns dort, wo dieses Prizip gefährdet wird. ({16}) Das Gleichgewicht in den optimalen Zielen jeder Wirtschaftspolitik ist der sicherste Schutz für den sozial und wirtschaftlich schwächeren Teil unseres Volkes. In seinem Interesse liegt es daher, extreme Entwicklungen jeder Art, die harte Eingriffe in den Wirtschaftsablauf erforderlich machen, zu vermeiden. Damit ist ein Teil jener Vorstellungen angesprochen, die der jetzige Wirtschaftsminister Professor Schiller - ich sehe ihn hier leider nicht - in seiner Sprache als „konzertierte Aktion" bezeichnet hat. Es wird sicherlich viel davon abhängen, ob es dem Herrn Minister Schiller gelingt, die „Orchestergemeinschaft der deutschen Wirtschaft" zu einer einheitlichen Melodie zusammenzubringen. ({17}) Das gilt insbesondere auch für die außerhalb dieses Hauses mitwirkenden und mitgestaltenden Kräfte, ich sage es ganz deutlich, für die Sozialpartner, deren Mitverantwortung für die Weiterentwicklung Bauer ({18}) unserer Wirtschaft nicht genug unterstrichen werden kann. ({19}) Wir wünschen dem Minister, der für diesen Bereich die Verantwortung trägt, viel Erfolg bei diesem Versuch, den er angekündigt hat. Alle Maßnahmen und Aktionen sollten uns aber nicht vergessen lassen, daß die Freiheit des Unternehmers, die gestaltende Kraft des unangetasteten Eigentums und eine gesunde Entwicklung breiter Mittelschichten in unserem Volk in der Vergangenheit die erfolgreichsten Antriebskräfte für unsere Wirtschaftsentwicklung waren und es auch in Zukunft bleiben müssen. Werden diese Grundsätze beachtet und steht, wie es unsere Auffassung ist, der Mensch auch künftig im Mittelpunkt allen politischen und wirtschaftlichen Überlegens, so ist es verhältnismäßig einfach - ich sage verhältnismäßig einfach -, auch unsere Familien heil zu erhalten. Wer mit uns der Auffassung ist, daß der Staat und jede menschliche Gemeinschaft so fest, so stark und so gesund ist wie ihre Familien, der wird uns zustimmen, wenn wir fordern, daß bei allen noch so notwendigen finanzund wirtschaftspolitischen Maßnahmen immer auch die Auswirkung auf die Familie mitbedacht werden muß. ({20}) Meine Damen und Herren, bei den außenpolitischen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers haben wir mit besonderer Freude zur Kenntnis genommen, daß er der Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses die entscheidende Rolle für die Zukunft Europas zugesprochen hat. Auch wir sind der Überzeugung, daß ohne ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich die erhoffte europäische Friedensordnung nicht denkbar ist. Der deutsch-französische Vertrag ist dafür nach wie vor zweifellos die geeignete Grundlage und ein guter Anfang. Wir freuen uns, daß die Regierung diesen Vertrag mit konkreten Maßnahmen fortführen will. Wir sind der Auffassung, Herr Bundeskanzler, daß eine gewisse Staatsverdrossenheit, die sich in der Vergangenheit in manche Schichten unseres Volkes eingeschlichen hat, besonders in die junge Generation, beseitigt werden kann, wenn unser Bemühen um die Zusammenarbeit sichtbarer wird und aus ihr schließlich eine politische Ordnung in Europa entsteht. ({21}) Wir bitten deshalb die Bundesregierung, mit aller Kraft dafür zu sorgen, daß dies ermöglicht wird und gleichzeitig darauf zu achten, daß nicht auf Nebengleisen und durch Hintertüren das Erreichte und Angestrebte wieder vereitelt wird. Wir sind sicher, daß das französische Volk es begrüßen wird, wenn seine Staatsführung den guten Willen der neuen Bundesregierung anerkennt und davon Kenntnis nimmt, welch breite Mehrheit unseres Volkes hinter diesem guten Willen und hinter den Absichten dieser Regierung steht. Nicht nur Frankreich, sondern unsere Verbündeten insgesamt und das Ausland überhaupt werden erkennen müssen, daß diese Koalition aus den beiden großen Parteien einen neuen Anlauf in unserer Außenpolitik bedeutet, dessen Erfolg oder Mißerfolg nicht ohne Rückwirkung auf die innenpolitische Entwicklung und Stabilität in diesem unserem Lande sein wird. Meine Damen und Herren, für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Bundesrepublik die legitime Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches ist. Wir haben alle Verpflichtungen aus dieser Tatsache übernommen, darum müssen wir uns auch alle Rechte daraus vorbehalten. Daher ergibt sich auch unsere Einstellung zum Münchner Abkommen. Wir stimmen mit der Bundesregierung darin überein, daß man aus ihm keine territorialen Forderungen ableitet. Wir sind aber der Meinung, daß man staats- und völkerrechtliche Fakten, die seinerzeit in einem von allen Beteiligten anerkannten Verfahren geschaffen wurden, nicht nachträglich annullieren kann. ({22}) Man kann Millionen von Menschen, die unter dem Zwang dieser Fakten - ohne selbst gefragt zu sein - Rechte und Pflichten übernahmen, nicht nachträglich ihrer Staatsbürgerschaft und anderer Ansprüche berauben, die sich daraus ergeben. Das verbieten -- so meinen wir - schon die Prinzipien der allgemeinen Menschenrechte, die für alle Völker gelten sollen. Diese Feststellung ist nicht aggressiv gedacht; sie basiert auf dem Gedanken der Freiheit aller Menschen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und auf der geschichtlichen Entwicklung des deutschen Volkes. Selbstverständlich werden wir versuchen, alles zu tun, um unseren Landsleuten, die in der Unfreiheit leben, das Leben zu erleichtern. Aber es wäre ebenso ihr wie unser Untergang - lassen Sie mich auch das sagen, damit die Rangordnung wiederhergestellt und das klargestellt wird -, würden wir dabei den Vorrang der Freiheit preisgeben oder um irgendeines augenblicklichen Vorteils willen auch nur gefährden oder einschränken lassen. Meine Damen und Herren, es ist unser Ziel, unser Land und mit ihm ganz Europa stets so attraktiv zu gestalten, daß es ständig ein Vorbild der Freiheit, ein Hort der Kultur und ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit ist. Deswegen bitten wir Sie, Herr Bundeskanzler, weiterhin auch Ihr Augenmerk auf jene Gebiete zu lenken, die immer und auch angesichts und trotz des Eisernen Vorhangs das Schaufenster dieser Bundesrepublik sind, die Zonenrand- und die Grenzgebiete. ({23}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Diese Regierung, diese Große Koalition ist aus politischer Notwendigkeit geboren. Die Wiederherstellung stabiler politischer Verhältnisse, die Anpassung des Grundgesetzes an die Erfordernisse einer zwanzigjährigen Entwicklung, die Verhinderung jedweder Unstabilität durch politische Minderheiten und schließlich die akute Bereinigung der Schwierigkeiten der jetzigen Übergangsphase von einem stür3730 Bauer ({24}) mischen politischen und wirtschaftlichen Aufbau zu einer konsequenten und normalen Entwicklung muß Sinn und Zweck einer solchen Koalition sein. Es ist nicht eine neue Politik, die wir betreiben wollen, es ist die Forderung nach der Fortsetzung der bisherigen Politik, aber neu ausgedrückt durch den Willen dieser beiden Partner, die neun Zehntel der deutschen Wählerschaft repräsentieren. Gelingt es den Bemühungen der Bundesregierung und dieses Hohen Hauses, diese erwähnten Ziele zu erreichen, so hat diese Koalition einmal ihren geschichtlichen Sinn erfüllt. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, und Ihrer Regierung Glück und Erfolg. ({25})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Geschichte ist nichts zufällig. Sie ist im Guten und sie ist im Bösen vom Geiste her bestimmt. Wir wissen das aus den bitteren Erfahrungen unseres Volkes. Das gilt auch für die Bildung dieser Koalition zwischen der CDU/CSU und der SPD. Sie ist ein Teil einer Entwicklung - man kann vielleicht sagen: Krisis - der Liberalität, ich meine des Kampfes gegen die Liberalität und gegen eine Partei, die sie trägt. Das ist bedeutsam. Ich habe das alles schon einmal erlebt, und manchmal erscheint es einem gespenstisch. Immerhin habe ich fast fünfzig Jahre politische Erfahrung, und ich weiß, woran die Weimarer Demokratie zugrunde gegangen, ist. Herr Kollege Barzel hat gesagt, wir wissen, was Hitler war. Viel wichtiger ist es, zu fragen, wie es zu Hitler kam. Ein ganz kurzer Rückblick: Die Weimarer Zeit begann mit starken liberalen Impulsen. Die Weimarer Verfassung war erfüllt von dem Geiste ausgezeichneter liberaler Männer und Frauen. Und die Entwicklung war dann ein Rückgang dieser liberalen Haltung, des liberalen Bewußtseins, der liberalen Partei, auch als Folge eines bitterbösen Kampfes gegen die Liberalität von kirchlicher Seite, nicht zuletzt von katholischer Seite, die im Liberalen etwas Liberalistisch-Atheistisches sah, und von sozialistischer Seite, die im Liberalen das Liberalistisch-Manchesterliche sah. So ist die politische Substanz unseres Volkes am Ende verkümmert, so wurde der Weg zum schauerlichen Abenteuer gebahnt, mit schlimmen Folgen für unser Volk und für die Welt. Darum ist die augenblickliche Situation nach meiner Meinung so sehr charakterisiert durch die Erklärung der Regierung zum Wahlrecht. Es ist für mich besonders beklemmend, daß eine Regierungserklärung die Frage des Wahlrechts an die Spitze ihres Programms stellt. Wie sonderbar! Man will mit einem manipulierten Wahlrecht die Partei, die sich der Liberalität, der geistigen, politischen, wirtschaftlichen und nationalen Freiheit verpflichtet hat, erledigen. Noch einmal: Wir haben das stolze Gefühl, daß wir die unverlierbaren geistigen und seelischen Kräfte hüten, denen Europa als Vollendung von dreitausend Jahren Geschichte seine kulturelle, seine politische, seine wirtschaftliche Entwicklung verdankt. Es ist unsere Überzeugung, daß das, was wir vertreten, nach wie vor die bestimmende, fruchtbare Leitvorstellung unserer Zeit ist ({0}) und daß das, was die beiden Parteien vertreten, die sich hier jetzt zusammengefunden haben, der Versuch der christlichen Demokratie, der Versuch der sozialistischen Demokratie - wenn ich es ein klein wenig leitbildmäßig ausdrücke -, zwar in Deutschland entstanden ist, aber, wie ich meine, eine Fehlentwicklung war und ist. Und durch die Kumulation von Leitbildern, die - so sagte es ja Herr Kollege Barzel - nicht kongruent sind, entsteht nichts Positives; im Gegenteil, damit wird die Fehlentwicklung, das Fehlerhafte kumuliert. ({1}) - Ach nein, meinen Segen hat sie nicht gehabt. Ganz im Gegenteil! Auch wenn ich mir überlege, was heute gesagt worden ist, muß ich feststellen: Die Lösung, die ich angestrebt habe als bittere Konsequenz dessen, was geschehen war, die Koalition mit der SPD, wäre als Alternative, als Weg zum Lebendigmachen unserer Demokratie die bessere gewesen. Denn hier wird nichts Neues geboten, das ist kein neuer Anfang, sondern das ist fast im Gegenteil eine Steigerung passiver Ergebnisse der Entwicklung. Das ist meine Sorge. Noch ein Wort zum Wahlrecht! Herr Kollege Schmidt, Sie meinen, wir, die FDP, hätten bisher gewissermaßen unsere Aufgabe darin gesehen, zu verhindern, daß Sie, die SPD, zum Zuge gehommen seien. Nein, so einfach ist das wirklich nicht. 1949 waren Sie nicht koalitionswürdig. Verzeihen Sie! Das gilt nicht für die gesamte politische Haltung. Das, was Kurt Schumacher damals hier vertreten hat - Erich Ollenhauer hat ,es, das ist meine Überzeugung, vorzüglich fortgesetzt -, war die richtige Außenpolitik; von mir etwas später erst erkannt. Das war das Außenpolitische. Ich sage vielleicht richtiger: vielleicht hätte es bestimmend sein sollen. Was Sie staatspolitisch wollen, stimmt doch weitgehend mit dem überein, was wir wollen. Aber Kurt Schumacher hat damals, gerade in jener Zeit, auch erklärt: „Die deutsche Demokratie wird entweder sozialistisch sein, oder sie wird nicht sein." Und sie durfte nicht sozialistisch sein. Denn dann wäre in dem Raum, in dem politisches Handeln möglich war, in der Bundesrepublik, eben der wirtschaftliche Aufstieg nicht möglich gewesen. Darf ich daran erinnern, wie das, was wir zusammen mit Ludwig Erhard - -({2}) - Nun, das dürfen Sie nicht sagen, daß das albern sei. Das ist keine faire Kritik. Ich glaube, es ist richtig, was ich sage. ({3}) - Ich glaube auch, was ich sage; selbstverständlich! Sonst wäre ich nicht da. - Das, was wir in Frankfurt mit Ludwig Erhard geschaffen haben, die Marktwirtschaft, die liberale Marktwirtschaft - ({4}) - Die liberale! Es gibt ja doch nur eine. ({5}) Die soziale Marktwirtschaft ist ja doch leider - aus den Ausführungen des Kollegen Bauer klang das wieder hervor - von vornherein der Versuch einer Exkulpation, der Versuch, sich von den ehernen Gesetzen des Marktes zu lösen. Wie hat Herr Kollege Bauer gesagt - sehr interessant! - „Soziale" Marktwirtschaft, mit den notwendigen Angleichungen an die Forderungen des Tages. Nein! Die Marktwirtschaft ist eben immer das Richtige. Aber ich komme noch darauf zurück. - Nein, damals waren Sie nicht koalitionswürdig, Herr Kollege Schmidt, weil Sie wirtschaftspolitische Auffassungen vertreten haben, die zum Unheil für das deutsche Volk, auch für die deutschen Arbeiter, geworden wären. ({6}) - Herr Kollege Dr. Schäfer, lesen Sie doch einmal nach, was im Wirtschaftsrat mein verehrter Kollege Schoettle oder Kollege Dr. Kreyssig aus München in ihren Angriffen gegen Ludwig Erhard damals erklärt haben! Die haben nämlich den Antrag gestellt, daß er von seinem Amt als Leiter des Wirtschaftsamtes im Wirtschaftsrat abberufen werde; sie stellten in Aussicht Chaos, Hunger von Millionen von Menschen. Das waren ihre Auffassungen. Ich will ja doch nur motivieren, warum wir 1949 glaubten, mit der CDU/CSU, die sich damals halt doch von ihrem Ahlener Programm, von den Irrtümern ihrer Düsseldorfer Leitsätze mindestens zum Teil - Herr Katzer bis heute noch nicht - abzusetzen versucht hatte, wirtschaftspolitisch Gutes erreichen zu können. Wir haben es auf Kosten der Außenpolitik, und ich meine, auch ein bißchen der Staatspolitik tun müssen. 1953, Herr Kollege Schmidt, war die CDU/CSU die stärkste Partei. Daß sie die Koalitionsbildung in die Hand nahm, war doch zwingend. 1957 hatte sie die absolute Mehrheit. 1961 fehlten ihr zur absoluten Mehrheit drei Stimmen. 1965 fehlten ihr acht Stimmen. Immer war sie die stärkste Partei. Ich will Ihnen nur einmal das Trauma nehmen, daß wir unsere Funktion nur in der Aufgabe gesehen hätten, zu verhindern, daß Sie zum Zuge kamen. Das ist sachlich und funktionell falsch. - Ich bin in Zeitnot, Herr Kollege Schmidt; lassen Sie mich diese zwanzig Minuten bis 1 Uhr dazu benutzen, das zu sagen, was mir am Herzen liegt. Diese Wahlrechtsmanipulation ist eine schlechte Sache, eine schlimme Sache, Ausdruck einer Gesinnung, die ich von dem so ehrenhaften, von mir geschätzten Herrn Dr. Kiesinger nicht erwartet hätte. Das ist ein böser Geist, der wieder hochkommt. Es ist ja nicht das erste Mal, daß man diesen Versuch macht. 1955/1956 - ich komme auf das zurück, was ich soeben gesagt habe - geriet die Koalition in ernsten Konflikt wegen der Außenpolitik. Natürlich, es wurde mir bewußt, daß das, was Herr Dr. Adenauer erstrebte, nicht den Erklärungen entsprach, auch keinesfalls das Ziel der deutschen Einheit ins Auge faßte, sondern daß alle Dinge in eine ganz andere Richtung gingen: Bindung dieser Bundesrepublik an westliche Organisationen und damit zwangsläufig Verzicht auf die deutsche Einheit. Es gab dramatische Verhandlungen. Sie wurden drüben im Palais Schaumburg auf Tonbändern aufgenommen. Weil ich damals widerspenstig war, schwang man die Waffe des Wahlrechts: Grabensystem! Wie aktuell die Dinge wieder sind! Damals bestand so wie heute in Düsseldorf die Koalition von SPD und FDP aus Abwehr dieses bösen und, wie ich meine, tückischen Versuchs, die liberale Partei, weil sie nicht parierte, weil ihr die nationale Forderung heilig war, mit der Tücke des Wahlrechts auf die Knie zu zwingen. Und wie war es denn 1962? War es um ein Haar anders, als wir meinten, ein Minister sei nicht tragbar, und wir unsere fünf Minister zurückzogen? Was war die Antwort? Nun, die Verhandlungen mit Ihnen über die Änderung des Wahlrechts. Nun möchte ich das ein bißchen korrigieren, was Sie, Herr Helmut Schmidt, über die Ansicht des von uns so vermißten Herrn Kollegen Fritz Erler gesagt haben. Ich möchte wiedergeben - ich nehme an, die Frau Präsidentin ist einverstanden -, was er damals trefflich gesagt hat: Nach Aussagen sehr prominenter FDP-Abgeordneter hat es 1958 eine Absprache gegeben, die der damalige FDP-Vorsitzende - -O nein, ich habe die falsche Seite; das stammt von Herrn Wehner. ({7}) - Ich komme auf Sie, Herr Wehner, gern in einem anderen Zusammenhang zurück. ({8}) Fritz Erler hat damals erklärt: Ich habe schon klargemacht, daß wir Sozialdemokraten nicht bereit sind, im Zuge von Verhandlungen über eine Regierungsbildung Wahlrechtsabsprachen mit dem Ziel zu treffen, den früheren Koalitionspartner einer Partei damit von der politischen Bildfläche verschwinden zu lassen. ({9}) - Ich will das einmal vorlesen, damit Sie das ganz begreifen. Ein solcher Trick ist mit Fairness im politischen Ringen nicht zu vereinbaren. ({10}) Ich bin weiter der Meinung, daß ohnehin Wahlrechtsänderungen nur von einem Bundestag verabschiedet werden sollten, wenn sie nicht für die nächste, sondern nur für die übernächste Bundestagswahl gelten, - also kein Übergangswahlrecht; kein Übergangswahlrecht, Herr Bundeskanzler, es ist keine gute Sache! weil nur dann Diskussionen über das Wahlrecht im Parlament, rein unter den Gesichtspunkten der Gerechtigkeit und der Zweckmäßigkeit und der politischen Wirkung eines Wahlrechts geführt werden, für die Weiterentwicklung der Demokratie und nicht im Blick auf den Schlitz der Wahlurnen schon für die nächste Bundestagswahl. Wahlrechtsdiskussionen muß man aus diesen rein parteitaktischen Erwägungen herausholen. ({11}) Ich bin im Zweifel, ob wir für die Sicherung einer stabilen Entwicklung in unserem Lande in der Weise, wie es manchen Christlichen Demokraten vorschwebt, das Mehrheitswahlrecht tatsächlich brauchen. - „Ich bin im Zweifel", sagt Herr Erler. Die Frage ist ja sogar in der CDU keineswegs unumstritten. Große Teile der CDU halten das Mehrheitswohlrecht nicht für das geeigneteste Mittel für diesen Zweck und fürchten sogar für den Bestand ihrer Partei in einigen Gebieten der Bundesrepublik. ... Es gibt Länder, die trotz des Mehrheitswahlrechtes in politische Krisen hineingekommen sind, und es gibt andere Länder, wie die skandinavischen, die mit einem Verhältniswahlrecht zu einem außerordentlichen Maß an politischer Stabilität ... gekommen sind. Ich glaube, daß es eine falsche Vorstellung ist, allein mit dem Wahlrecht einen Gesellschaftskörper, der krank wäre, heilen oder einen gesunden Gesellschaftskörper vor Krankheiten schützen zu können. Das Wahlrecht ist dabei immer nur ein Faktor neben vielen anderen.

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Schmidt!

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Thomas Dehler, zugleich mit dem Ausdruck des Dankes dafür, daß Sie ein in allen seinen Einzelheiten interessantes Dokument und Zitat aus früheren Bundestagsdebatten hier in Erinnerung gerufen haben, möchte ich Sie fragen: würden Sie mir darin zustimmen, daß jeder Satz und jeder Gedanke in dem Zitat Fritz Erlers, das Sie soeben vorgelesen haben, übereinstimmt mit dem, was ich für meine Fraktion heute hier erklärt habe? Wenn Sie meinen, es gebe dort Widersprüche, dann legen Sie sie doch ein bißchen auseinander!

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ach Gott, das wollen wir doch nicht auf diese Weise - Schmidt ({0}) ({1}) : Sind Sie bereit, zuzustimmen, daß es auch diesmal weder Tricks noch Absprachen hinter der Bühne oder unter einem verdeckten Hut gibt, sondern daß wir hier erklärt haben, wir seien in dieser Frage völlig ungebunden?

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann desavouieren Sie Ihren Bundeskanzler, der vom ersten Tage der Verhandlungen an der Öffentlichkeit gegenüber und in seiner Regierungserklärung das Gegenteil erklärt hat. Sie desavouieren ihn damit. ({0}) - Ich freue mich darüber; denn Sie gestehen ein, daß er unrecht hat. Wir werden trotz dieser Koalition viel öfter Verbündete sein, als es scheint, und das ist eine gute Aussicht, Herr Schmidt. ({1})

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist immer gut, Verbündete zu gewinnen, von denen man nichts geahnt hat, Herr Dehler. Aber würden Sie bitte noch einmal auf die Frage eingehen: Sind Sie wirklich der Meinung, daß wir heute für diese Fraktion etwas anderes erklärt haben, als was Sie von Fritz Erler eben zitiert haben, und sind Sie wirklich der Meinung, daß es ein Trick ist, wenn diese Fraktion, wenn ihr Sprecher hier erklärt, daß sie die Absichten der Bundesregierung prüfen werde, daß sie sich aber nicht gebunden fühle?

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe gesagt: Das hat die Regierung verlangt. Was die Regierung verlangt, ausdrücklich, expressis verbis, ist ein unwürdiger Trick. ({0}) - Ein unwürdiger Trick! - Wer etwas von der Geschichte weiß, der hat auch ein Bewußtsein für die bildenden geschichtlichen Kräfte. Das sind nun einmal - das reicht tief in das vorige Jahrhundert zurück - die katholisch bestimmten politischen Kräfte, auch 1848 entstanden: erster Katholikentag in Mainz, Bildung der Pius-Vereine, daraus ist das Zentrum entstanden mit vielen Abwandlungen. Das ist eine politische Kraft. Sie haben in der Union versucht, eine neue Formung dafür zu finden. Da gibt es auch seit 1848 die Anfänge der Sozialdemokratischen Partei. - Die Sozialdemokratische Partei - das fällt mir gerade ein, Herr Schmidt, wenn Sie noch einen Augenblick zuhören: wenn Sie verstehen wollen, daß wir 1949 nicht der Meinung waren, daß Sie koalitionsfähig waren, - die SPD hat 1948 noch Plakate angeschlagen mit dem Faksimiledruck des Kommunistischen Manifests aus dem Jahre 1848 mit der Forderung: 1948 muß es Wirklichkeit werden! Durchaus hervorragend, was Sie inzwischen geleistet haben! Der Prozeß der Entideologisierung: eine treffliche Sache! Und ich glaube, das Godesberger Programm ist noch kein Schlußpunkt, sondern wird noch weiter führen. Die dritte geistige Kraft ist die Liberalität. Auf dem Kontinent gibt es nicht das Mehrheitswahlrecht als funktionsfähiges Wahlrecht. Das Mehrheitswahlrecht ist unter ganz anderen Voraussetzungen in England entstanden. ({1}) Als es den Einfall des Sozialismus in Gestalt der Labour Party noch nicht gab, da hat es funktioniert. Jetzt, mit dem Hochkommen der Labour Party - ({2}) - Denken Sie einmal zurück an das, was bei der ersten Nachkriegswahl 1945 geschehen ist, als ein Winston Churchill in die Wüste geschickt wurde, und nicht nur das: eine Labour-Regierung ans Ruder kam und die Wirtschafts und Gesellschaftsordnung umstülpte, die Grundstoffe, die Banken, den Verkehr, bis zur Chemie sozialisierte. Das Mehrheitswahlrecht in England funktioniert nicht mehr. Wo funktioniert es denn? Doch nur in den Vereinigten Staaten, und zwar deswegen, weil es dort die beiden Parteien, die sich hier in dieser Koalition zusammengefunden haben, nicht gibt. Kein Gedanke daran, sich mit dem Namen des Erlösers politisch organisieren zu wollen, keine Vorstellung von Sozialismus, sondern zwei zwar sehr mannigfaltige, aber im Grunde doch liberale Parteien. Dort funktioniert das Mehrheitswahlrecht. ({3}) - Neben der Präsidialdemokratie, die ich ja vergeblich erstrebt habe. Carlo Schmidt wird sich an meinen Antrag im Parlamentarischen Rat erinnern. - So sind doch die Dinge. Diese Erklärung der Regierung zum Wahlrecht verrät einen Mangel an geschichtlichem und politischem Sinn, der mich tief betrübt. Nun noch ein Wort zum Übergangswahlrecht, das man angekündigt hat. Auch da hat ein hervorragender Mann - es ist erstaunlich, wieviel gute Leute die Sozialdemokratie hervorgebracht hat -, ({4}) mein Kollege vom Parlamentarischen Rat und der spätere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Rudolf Katz, in einem Beitrag zur Festgabe für Carlo Schmid, also mit gesteigerter Bedeutung und Wirkung, ausgeführt, was er von einer Änderung des Wahlrechtes hält. Es handelt sich um einen Beitrag „Zur Änderung des Wahlgesetzes, eine Anregung zu einer verfassungsrechtlichen Erschwerung". Er folgert, daß Änderungen von Wahlgesetzen frühestens bei der übernächsten Wahl 'in Kraft treten sollen, weil die Beständigkeit des Wahlrechts für die Konsolidierung der Demokratie weit wichtiger ist als seine Perfektionierung. Soviel gegen den Versuch, für die Wahl von 1969 ein manipuliertes Übergangswahlrecht schaffen zu wollen. Lassen Sie die Hände von diesen Versuchen! Lesen Sie doch nach, was der Bericht der vom Bundesminister des Innern - ich glaube, es war damals der Kollege Heinemann - eingesetzten Wahlrechtskommission 1955 sagt: Wahlgesetze sollten von opportunistischen Berechnungen der jeweiligen Mehrheit bestimmten Abänderungen entzogen sein. ({5}) Es ist also ein trüber Versuch, aber charakteristisch und für mich bedenklich, weil ich das Gefühl habe: Hier wird weit über die Wahltechnik hinaus versucht, eine geistige Haltung zu ersticken, die für unser Volk von größter Bedeutung ist. Was war denn bisher wirksam? Wem verdanken wir das, meine Damen und Herren, was an Wertvollem in der Bundesrepublik entstanden ist? ({6}) - Nein, ich spreche einmal von geistigen Vorstellungen. Ich weiß, daß es Gott sei Dank auch verirrte, versprengte Liberale bei der SPD und selbst bei der CDU/CSU gibt. ({7}) Noch einmal: Ausschließlich unsere marktwirtschaftlichen Vorstellungen haben sich durchgesetzt. ({8}) Jetzt ein Wort an die Bayern, die eben „Ei!" geschrieen haben. Vor wenigen Tagen - ich glaube, es war der 1. Dezember - ist die 20. Wiederkehr des Tages der Annahme der Bayerischen Verfassung gefeiert worden. Mich hat man schon nicht mehr eingeladen; ich war ja auch ein leidenschaftlicher Gegner. Ich möchte Ihnen einmal raten, hier und da diese Verfassung herzunehmen, um zu erkennen, von welchen geistigen Vorstellungen die CSU ausgegangen ist. Diese Bayerische Verfassung ist - ich will es nicht hart sagen - eine Vereinbarung zwischen CSU, dargestellt von Dr. Hundhammer, und SPD, dargestellt von Dr. Hoegner. Dr. Hoegner bekam die Sozialisierung, die Sozialisierung der Grundstoffe, die Bedarfsdeckungswirtschaft - der Staat leitet die Wirtschaft und deckt den Bedarf -, natürlich auch das Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen usw. Und umgekehrt hat der Herr Hundhammer die weit über das Konkordat und über die Kirchenverträge hinausreichende, so gut wie ausschließliche Konfessionsschule erhalten. Das waren die geistigen Grundlagen der CSU. ({9}) - Das weiß ich, Herr Dittrich. Ich weiß es viel besser als Sie. Ich war dabei. Ich war Mitglied des Verfassungsausschusses und habe es mir wahrlich nicht leicht gemacht. Es ist weggeschwemmt. Natürlich, Ludwig Erhard und die Freien Demokraten haben die wirtschaftlichen Irrtümer der bayerischen Verfassung beiseite geschoben, und der andere Irrtum wird hoffentlich - wenn Gott will, muß ich schon sagen - durch die Annahme unseres Volksbegehrens zur christlichen Gemeinschaftsschule als weiterer Regelschule neben der Konfessionsschule ebenfalls überwunden werden. ({10}) - Ich werde Ihnen ein Wort dazu sagen, Herr Dittrich: Das verführte, verdummte, von Ihnen - ({11}) Was wir in diesem Wahlkampf erlebt haben - ({12}) - Sie haben nur gegen uns gekämpft. ({13}) - Nur gegen uns! Sie haben nicht gegen die illiberalen und antidemokratischen Kräfte gekämpft, die ihr Haupt zu erheben wagen. Das haben Sie nicht getan. Ein politisierender Prälat in Würzburg hat es fertiggebracht, der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß es der NPD gelingen möge, uns so zu dezimieren, daß wir nicht mehr in den Landtag kämen. Halten Sie das für einen guten Wahlkampf? ({14}) - Durch Sie weitgehend, ja! ({15})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?

Dr. Friedrich Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001930, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Dehler, darf ich Ihre Ausführungen so auffassen, daß Sie mit mir der Meinung sind, daß das liberale Gedankengut heute in allen Parteien vertreten wird? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es am stärksten und wirkungsvollsten heute eher bei der SPD als in Ihrer Partei vertreten wird? ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann jetzt keine Konfession ablegen. Auf jeden Fall sucht man die richtige Idee und die Wahrheit der Überzeugung bei dem, der sie von eh und je vertreten hat. Wenn ein Arzt lange Zeit hindurch immer falsche Diagnosen stellt und immer falsche Therapien empfiehlt, dann traut man ihm doch nicht mehr; dann geht man zu dem Arzt, der immer richtig geurteilt hat. ({0}) - Der Kollege Helmut Schmidt hat sich auf hundert und soundso viel Jahre sozialdemokratischer Geschichte berufen. Aber, Herr Kollege Schmidt, das war eine Zeit zumindest der wirtschafts- und sozialpolitischen Irrtümer des Marxismus. ({1}) - Der Liberalismus hat es immer schwer gehabt, natürlich! Ich sage es Ihnen noch einmal, damit Sie es verstehen: Der große Durchbruch in der europäischen Geschichte - beginnend sagen wir Ende des 18. Jahrhunderts - war nicht der Durchbruch des Sozialismus, sondern war der Durchbruch der Kräfte der Aufklärung, ({2}) der Durchbruch der Vorstellungen von der Gewerbefreiheit mit dem Aufblühen der Wissenschaften und Technik auf allen Gebieten, selbstverständlich! Es war der Erfolg des Geistes, den wir vertreten. ({3})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Herr Dr. Dehler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Besold?

Dr. Anton Besold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000166, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dehler, ist es wirklich Ausdruck und Kennzeichen Ihrer Liberalität, wenn Sie das Wahlergebnis in Bayern dadurch quittieren, daß Sie vom „dummen bayerischen Volk" sprechen?

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das habe ich nicht gesagt, Herr Kollege Besold! Ich sage: Die CSU hat durch die Art ihres Wahlkampfes den bayerischen Wähler systematisch verdummt, nämlich von den richtigen Erkenntnissen abgelenkt, statt ihre Pflicht zu tun. ({0})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer?

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will Sie nicht über Gebühr aufhalten. ({0}) Vielleicht darf ich aber in Kürze noch sagen, was mir am Herzen liegt. Ich fragte nach dem Geist dieser Koalition. Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese hier vertretenen Anschauungen zusammenklingen können. Man darf ja nicht nur, Herr Schmidt, von der Regierung Kiesinger-Brandt sprechen; man muß Kiesinger-Brandt-Katzer-Wehner sagen. ({1}) Vielleicht gewöhnen wir uns daran: KiesingerBrandt-Katzer-Wehner. ({2}) Ich frage mich, wie man diese Meinungen und Richtungen unter eine Decke bringt. Ich habe mir überlegt, welche Patrone, welche Schutzheiligen - ich bin ein guter Katholik; Sie wissen das ({3}) hat wohl dieses Kabinett. ({4}) - Das wäre ja meine! Ich bin doch ein alter Artillerist. Vielleicht ist es Alexis de Tocqueville oder Karl Schmitt? Ich weiß es nicht. ({5}) - Nein, nicht unser Carlo, sondern ein ganz anderer Professor. Sie werden wissen, was er bedeutet. Ist es Thomas von Aquin - ({6}) - Das ist nicht böse; das ist sehr bewußt gesagt! Wir können einmal darüber sprechen, lieber Herr Kollege Schmidt. Das ist sehr bewußt gesagt. ({7}) - Es ist nicht gesagt, daß das gegen Sie gerichtet ist. Ich hoffe, Sie haben mich richtig verstanden, Herr Schmidt, und wissen, was ich damit sagen wollte. Ist es Marx? Ist es Engels? Ist es Lassalle? Ich weiß es nicht. ({8}) - Natürlich, langsam werde ich in den Rang des Säulenheiligen erhoben. Das ist das Schicksal des alternden Politikers. ({9}) Ist die Bestandsaufnahme, die uns die Regierung gegeben hat, wirklich erschöpfend? Geht sie wirklich auf den Grund? Ich will einmal ganz elementar nur einige Fragen anrühren: deutsche Einheit - das große Ziel, das uns gestellt ist. Führt das, was die Regierung uns hier gesagt hat, irgendwie weiter gegenüber dem, was in der Vergangenheit erklärt worden ist? Immer noch stehen die Reden des jetzigen Justizministers - ich sehe ihn gern in meinem Sessel auf der Rosenburg - ohne Entgegnung. ({10}) Nun ja, ich habe diesen Sessel gekauft, nicht aus meinen Mitteln, ({11}) aber nach meinem Geschmack. Auf die Rede vom Januar 1958 und auf meine Rede mit bittersten Anklagen ist niemals erwidert worden, mit keinem Satz. Der Herr Bundeskanzler war damals außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU. Niemals ist erwidert worden auf das, was wir damals an Vorwürfen bis zur Anklage hin erhoben haben: Aus vielen Fakten ergibt sich, man will die Wiedervereinigung nicht, man geht ihr aus dem Wege, man hat Möglichkeiten nicht geprüft, man hat Möglichkeiten nicht getestet. ({12}) Wie kann man glauben, es komme zur deutschen Wiedervereinigung, wenn man die jetzige Verteidigungskonzeption fortsetzt? Wie kann man glauben, daß durch die Bindung des einen Teils Deutschlands, der Bundesrepublik, in der NATO, durch die Bindung des anderen Teils im Warschauer Pakt der Weg zur Wiedervereinigung geöffnet und nicht in Wirklichkeit verbaut wird? ({13}) - Was sonst? Eine andere Regelung über unsere Sicherheit. Wir haben sehr konkrete Vorstellungen. Sicher ist Ihnen zugänglich, was die Koalition zwischen CDU/CSU und FDP 1961 in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt hat. Lesen Sie es nach! Das war nicht nur - ich war damals sehr mitbestimmend dabei, weil es mir ein Herzensanliegen ist - aus meinem Willen entstanden, sondern gab wieder, was der Präsident dieses Hauses in einer geschichtlichen Rede am 30. Juni 1961 am Schluß der 3. Legislaturperiode im Auftrag und mit Zustimmung des ganzen Hauses erklärt hatte: Anstreben eines Friedensvertrages mit dem Ziele einer anderen militärischen Organisation und Sicherheit für uns. Selbstverständlich! Das ist doch der einzige Weg. - Wann ist darüber jemals mit denen, auf die es ankommt, gesprochen worden? Ich will nicht auf die Verhandlungen, die im Oktober 1955 in Moskau stattgefunden haben, eingehen. Auf jeden Fall sind die damals geschaffenen diplomatischen Beziehungen noch niemals genützt worden! ({14}) - Ist es meine Schuld? Das ist ja hochinteressant, daß die eine Seite uns vorwirft, wir seien unzuverlässig und brächen dauernd aus der Regierung aus, und Sie meinen, wir hätten noch viel öfter ausbrechen müssen. ({15}) Natürlich, das hätten wir 1961 schon einige Tage - verehrter Herr Schmidt, hören Sie zu, wenn ich Ihnen antworte - nach dem Beginn der Koalition tun müssen, denn damals ist von gewissen Damen und Herren der CDU/CSU der damalige Bundeskanzler Adenauer bedrängt worden wegen der Vereinbarungen, unter die er zusammen mit den Herren Strauß und Mende seine Unterschrift gesetzt hatte; er hat es dann abgewertet: „Dat FDP-Papier!" Ich glaube, Herr Ludwig Erhard, Sie haben sich einmal gerühmt, diesen Koalitionsvertrag niemals gelesen zu haben. Sie hatten es schwer! Ich warne Sie, Herr Helmut Schmidt; an Ihrer Stelle hätte ich es mir schwarz auf weiß geben lassen. Nein, nein, ich halte nichts von der Gemeinschaft der - ({16}) Bestandsaufnahme! Gehört zur Bestandsaufnahme nicht eine Überprüfung des Sicherheitssystems? Die NATO ist sehr fragwürdig geworden. Frankreich ist aus der Militärorganisation ausgeschieden, die Beteiligung der anderen ist immerhin zurückhaltend. Keiner weiß es besser als der Bundeskanzler, auf welche Vorstellungen dieses ganze System zurückgeht. Es ist interessanterweise in dem Kopf eines Leiters des State Department in Washington erfunden worden: Man müsse die Politik des containment, die Politik des roll-back machen, man müsse den kommunistischen Block auf allen Seiten einkreisen; dann werde der Kommunismus gehindert werden, sich nach außen auszuweiten, und die Diversion, die Zersetzung werde sich nach innen richten. Das war die Spekulation. ({17}) In Vietnam müssen es jeden Tag arme amerikanische Soldaten büßen. Man hat geglaubt, man brauchte dort 1956 den Gürtel nur zu schließen und könne dann den Zersetzungsprozeß abwarten. Ist nicht die Frage aufzuwerfen, ob dieses Verteidigungssystem heute noch sinnvoll ist, ob unser Beitrag in der NATO in dieser Form fortzuführen ist? Muß man nicht Phantasie haben, um die Dinge im Interesse des Friedens und im Interesse des deutschen Volkes anders zu ordnen? Europa! Können wir mit derselben Nomenklatur immer noch von Europa sprechen? Die Politik in Europa hat dazu geführt, daß Europa gespalten ist, unheilvoll gespalten ist. Ich glaube nicht, daß jemals die Brücke zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der EFTA und den anderen, die noch draußen stehen, geschlagen werden kann. Die Dinge sind viel zu sehr fixiert. Das Ziel der politischen Integration Europas, an das die deutsche Jugend geglaubt hat, ist gescheitert; es ist nichts herausgekommen. Auch der letzte Versuch, wenigstens die Bindung zwischen Frankreich und uns zu verstärken, ist gefährdet. Wir haben ein völliges Versagen der Europa-Politik. Es wird nichts darüber gesagt, wie die Dinge weitergeführt werden sollen, abgesehen von allgemeinen Worten. Sollen die gewaltigen finanziellen Opfer, die wir bringen, ohne europäisches Ziel weiterhin gebracht werden? Sie wissen, keine Partei war so wie die Freie Demokratische Partei skeptisch gegenüber den Römischen Verträgen. Die CDU/CSU glaubte damals, sie könne ein katholisches Europa schaffen. ({18}) - Natürlich, das hören Sie nicht gern; ich weiß das genau. Denken Sie doch an die handelnden Staatsmänner! ({19}) Das war Alcide de Gasperi, der Vorsitzende der Democrazia Cristiana, das war Robert Schuman, der Vorsitzende der katholischen Partei, des MRP in Frankreich, das war Konrad Adenauer, das waren die katholischen Ministerpräsidenten der Beneluxstaaten. - Selbstverständlich! ({20}) Ich will Ihnen die Tatsache auch gern - ({21}) - Ich weiß, das hören Sie nicht gern. Wir haben die Verträge abgelehnt, weil wir wußten, daß die Römischen Verträge gerade zur Spaltung Europas und zu großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen würden. Ludwig Erhard hat damals ein großes Wort gesagt: wirtschaftlicher Unsinn, aber politisch notwendig. Was er jetzt in Skandinavien in Erinnerung an seine damalige Haltung gesagt hat, das bestätigt durchaus unseren Standpunkt. Ich denke an eine Szene, die ich mit dem Herrn Bundeskanzler 1954 in einer Besprechung im State Department in Washington hatte. Die Saar-Frage war damals aktuell. - Wir wollen doch ein bißchen Bestandsaufnahme machen. - Ich blieb allein Jaeger war noch dabei - mit meiner Erklärung: Die Saar ist ein deutsches Land und darf niemals, auch nicht unter der Etikette der Europäisierung, unter den Einfluß Frankreichs kommen. Ohne uns gäbe es keine deutsche Saar. Leugnen Sie auch das, unseren Einsatz mit Leidenschaft, von Max Becker, Heinrich Schneider und vielen anderen? Zu den wirtschaftlichen Dingen habe ich schon eine Reihe von Tatsachen gesagt. Vielleicht noch ein Wort über die staatspolitischen Fragen, die besonders auch Helmut Schmidt angeschnitten hat und die ich durchaus unterstütze. Ich bin nur skeptisch, Herr Schmidt, daß die Demokratie in unserem Volke, ich glaube, Sie sagten: verankert oder tief verwurzelt sei. Ich glaube es nicht. ({22}) In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu den Wahlen. Wenn die Menschen am Ende über die Gewerkschaft sozialdemokratisch wählen, wenn die Berufsverbände für den Menschen auch bei seiner politischen Bildung im Vordergrund stehen und wenn ein anderer Teil unseres Volkes, und kein unbeträchtlicher, für seine politische Entscheidung über das Bekenntnis zur Kirche und seiner Konfession stimmt, wächst kein Staatsgefühl. Noch einmal: Wenn es keine Liberalität gibt, wenn es keine wirksame liberale Kraft gibt, wird dieser Staat Schaden nehmen. ({23}) Wir werden selbstverständlich eine klare, ich hoffe auch arbeitsame Opposition zu führen versuchen. Am Ende - das gibt uns das Recht zur Opposition, dann zur harten Opposition - werden wir das Maß setzen. Auf das, was wir wollen - nationalpolitisch, staatspolitisch, wirtschaftspolitisch - kommt es an. Noch einmal: wir sind die Hüter der richtigen Gedanken. ({24}) Es gibt für das politische Leben unseres Volkes kein höheres Gesetz als das, was in den Grundsätzen der Liberalen niedergelegt ist: die geistige, die politische und die nationale Freiheit. Ob Sie ihnen entsprechen, Herr Bundeskanzler, danach werden wir Sie und die Bundesregierung messen. ({25})

Dr. Maria Probst (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001753

Wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Sie dauert bis 15 Uhr. Ich unterbreche so lange die Sitzung. Um 15 Uhr wird sie wiederaufgenommen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. h. c. Dr. - Ing. e. h. Alex Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den Herrn Bundeskanzler bitten, mir zu Beginn meiner Ausführungen ein Wort der persönlichen Erinnerung zu gestatten. Als ich am 17. Dezember 1958 Herrn Kurt Georg Kiesinger zum Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg gewählt hatte und später als Sprecher der sozialdemokratischen Landtagsfraktion zu seiner Regierungserklärung Stellung nehmen mußte, ist von mir bemerkt worden, Herr Kiesinger habe sich aus der erschlaffenden Föhnluft der Bonner Koalition zurückgezogen, um die frische Brise der Stuttgarter Allparteienverbindung näher kennenzulernen. ({0}) Nun findet der neue Bundeskanzler nicht nur eine andere, bedrohlichere Wetterlage vor, sondern er wird auch noch wissen, daß damals der politische Redakteur einer angesehenen Zeitung in einem Leitartikel über die Regierungserklärung folgendes geschrieben hat: Wenn Goethe von Hamlet sagte, daß dieser sich wie eine Eiche fühlte, die in einen Blumentopf verpflanzt wurde, so werden wir damit ungefähr die Situation begreifen, in der sich Kiesinger befindet, nachdem er die Bundesebene verlassen hat. Das Zitat, von dem dieser Redakteur ausging, lautet: „Die Zeit ist aus dem Gelenke; wehe mir, daß ich geboren ward, sie wieder einzurichten". Nun, ganz so schlimm, Herr Bundeskanzler, ist es auch derzeit in Bonn nicht. Ich möchte mich zu Beginn meiner Ausführungen auch auf den Bundeskanzler beziehen und erklären: Er hatte mit den Hinweisen in seiner Regierungserklärung recht, die Verhandlungen der Parteien hätten zu der wohl bisher gründlichsten Bestandsaufnahme der Möglichkeiten und Notwendigkeiten deutscher Politik vor einer Regierungsbildung geführt, und die Bildung einer gemeinsamen Koalition von CDU/CSU und SPD auf der Ebene des Bundes sei ohne Zweifel als ein Markstein in der Geschichte der Bundesrepublik zu betrachten. Ich möchte die FDP insoweit beruhigen, als ich persönlich meine, daß sich der Herr Bundeskanzler erst nach Zögern bereit erklärt hat, diesen Markstein in der Geschichte der Bundesrepublik mit herbeizuschaffen. Nur außergewöhnliche Tatbestände können die Bildung dieser Koalition in Bonn rechtfertigen. Ob und inwieweit die wirtschafts- und finanzpolitische Situation in der Bundesrepublik Deutschland dieses Zweckbündnis auf Zeit notwendig macht und welche Aufgaben bzw. Erwartungen damit verbunden werden müssen, darf ich im Auftrag .der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion untersuchen und darstellen. Vorausgeschickt seien einige Feststellungen, die der Herr Bundeskanzler hinsichtlich der bedrohlichen Entwicklung der Finanzlage des Bundes getroffen hat. Seine Antwort auf die Frage, wie es hierzu gekommen ist, lautet in Kurzfassung: Erstens: Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden. Zweitens: Noch 1965 wurden die Bundeshaushalte durch Einnahmeverzichte und Ausgabeerhöhungen zusätzlich mit insgesamt 7,2 Milliarden DM belastet ... Die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes und auch die unbegründete Furcht vor der Ungunst der Wähler haben eine Korrektur dieser Entscheidungen vor den Bundestagswahlen verhindert. Auch nach den Wahlen gelang es nicht. Drittens:. Das Haushaltssicherungsgesetz 1966 - immer nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers war eine Krücke, die nur über die Schwierigkeiten eines einzigen Jahres hinweghalf. Viertens: Die Gesundung .der Bundesfinanzen ist weniger eine Frage des Sachverstandes als des politischen Mutes und der Einsicht aller Mitverantwortlichen. Fünftens: Wir müssen 1967 noch mit einer Deckungslücke von rund 3,3 Milliarden DM rechnen. Die Regierung wird alsbald neue Ausgleichsvorschläge in dieser Höhe vorlegen. Sechstens: Die Regierung ... wird die Entscheidungen vorbereiten, die nötig sind, um die ab 1968 drohenden Deckungslücken auszugleichen, und dafür sorgen, daß vorrangige Aufgaben besser erfüllt werden können. Es wird gut sein, meine Damen und Herren, wenn wir uns an diese Fakten jetzt und in der nächsten Zeit halten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht zunächst den neuen Ausgleichsvorschlägen der Bundesregierung zur Beseitigung der für den Bundeshaushalt 1967 noch vorhandenen Deckungslücke von rund 3,3 Milliarden DM entgegen. An der Bereitschaft meiner Fraktion, dazu beizutragen, die Finanzordnung baldmöglichst wiederherzustellen, kann nicht gezweifelt werden. Der Ausgangspunkt solcher Bemühungen muß aber der Wille sein, dabei eine gerechte Verteilung der Lasten zu erreichen. Das heißt insbesondere, daß in einer solchen Situation der Schutz der Schwachen und Hilfsbedürftigen nicht vernachlässigt werden darf. ({1}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal an die Beschlüsse dieses Hohen Hauses vom 8. Dezember 1966 erinnern. Die Tatsache, daß es nicht in allen Fällen zu einer den Ausschußvorlagen entsprechenden Mehrheitsbildung gekommen ist, hatte unfreundliche Kommentare zur Folge. Wer aber den 8. Dezember so kommentiert, wird den Entscheidungen des Deutschen Bundestages nicht gerecht, denn sie haben eine Deckungslücke von rund 2,8 Milliarden DM beseitigt. Diese vorläufige Entlastung wird sich noch um die bisher nicht beschlossene Heraufsetzung der Tabaksteuer erhöhen, für das Jahr 1967 nach den mir zuteil gewordenen Informationen um etwa 500 Millionen DM. Diese im Zeichen der neuen Regierung getroffenen Entscheidungen beweisen den Mut zur Verantwortung, der auch deswegen nicht kleiner wird, weil in den beiden großen Fraktionen Kollegen den einen oder anderen Vorgang nicht so bewertet haben, wie es die Regierung oder die Fraktionsvorstände gewünscht hätten. Meine Damen und Herren, nur eine nüchterne, realistische Betrachtung der wirtschafts- und finanzpolitischen Situation, in der wir uns befinden, schafft die Ausgangsbasis für weitere Entscheidungen und für die Politik, die wir in nächster Zeit zu gestalten und zu vertreten haben. Deshalb zunächst einige Ausführungen zur Datenlage, ein Röntgenbild, so wie wir es sehen. Seit Mitte des Jahres befindet sich die Wirtschaft der Bundesrepublik in einem Prozeß der sich selbst beschleunigenden Kontraktion. Der Index der Bauproduktion liegt seit dem Juni, der Index der Industrieproduktion seit dem August unter dem Niveau des Jahres 1965. Die Einzelhandelsumsätze überschreiten seit Juli real noch knapp den Vorjahresstand; die Großhandelsumsätze liegen seit dem gleichen Monat unter diesem Stand. Daß das reale Bruttosozialprodukt, also die Gesamtleistung der Volkswirtschaft an Gütern und Diensten, überhaupt noch eine positive Zuwachsrate von 2 v. H. erreicht, ist - bei einer relativ guten Ernte - der Produktionssteigerung in der Landwirtschaft und einer weiteren, wenn auch im Tempo ebenfalls verminderten Zunahme in der Inanspruchnahme von Dienstleistungen zu verdanken. Die Auswirkungen dieses Konjunktureinbruchs zeigen sich besonders kraß in der Beschäftigung, in den privaten Einkommen und in den Staatseinnahmen. Die Zahl der Erwerbstätigen wird 1966 auch im Jahresdurchschnitt die des Jahres 1965 nicht erreichen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im November auf rund 216 000 und damit auf eine Arbeitslosenquote von 1 v. H. Das Stellenangebot war im gleichen Monat auf rund 319 000 gesunken. Die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer und Rentenbezieher hatten im ersten Halbjahr 1966 noch ein Wachstumstempo von 8 v. H.; in der zweiten Jahreshälfte wird nur noch eine Zuwachsrate von 5 v. H. erreicht werden können. Gleichermaßen hat sich das Wachstum der Steuereingänge vermindert; noch im zweiten Quartal lag die Zuwachsrate des Steueraufkommens von Bund und Ländern bei 10 v. H., im dritten Vierteljahr betrug sie 5 v. H. und ist inzwischen auf 3 v. H. im November gesunken. Den Bundeshaushalt trifft diese Verlangsamung am stärksten, da der einzige noch expansive Teil der Volkswirtschaft - Exporthandel und Exportindustrie - keine Umsatzsteuern erbringt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig in der durch Umsatzausgleichsteuern und Zölle für den Bund fiskalisch besonders ergiebigen Einfuhrwirtschaft Stagnation herrscht. Was, meine Damen und Herren, ist an dieser Konjunkturlage für die Bundesrepublik neu? Einen Rückgang der industriellen Investitionen hat es auch 1963 gegeben. Ebenfalls sind Schwankungen in der Ausfuhrentwicklung, zum Beispiel ihre starke Verlangsamung nach der Aufwertung vom Frühjahr 1961, nicht ungewohnt. Beide Störungsfaktoren blieben auch damals nicht ohne Auswirkung, auf das gesamtwirtschaftliche Expansionstempo, gingen aber über eine bloße Verlangsamung nicht hinaus. Tatsächlich liegt nach unserer Meinung das Neue in der gegenwärtigen Lage im Zusammentreffen von Investitionsrückgängen im privaten und im öffentlichen Sektor der Volkswirtschaft.. Daß gleichzeitig das Investitionsniveau in der Industrie, in den großen öffentlichen Unternehmen, bei den Gebietskörperschaften sowie in der Bauwirtschaft den realen Vorjahresstand nicht mehr erreicht, ist die Besonderheit dieses zweiten Halbjahres 1966. Der Produktions- und Einkommensausfall für Unternehmen. wie Arbeitnehmer konnte auch durch die überaus günstige Ausfuhrentwicklung nicht wettgemacht werden. In den nächsten Monaten kann sich die Krisensituation leider noch verschärfen. Im Auslandsabsatz können die Wachstumsraten kaum noch gesteigert werden. Seit der Mitte des Jahres 1966 expandiert die Warenausfuhr mit einer Jahresrate von 15 v. H.; mit mehr kann man auch für die Zukunft vernünftigerweise nicht rechnen. Sollte der Konjunkturaufschwung in den USA sowie in Frankreich und Italien, sollte also die Hauptquelle der deutschen Exportsteigerung gegen Ende des nächsten Jahres erlahmen, so würde diese Stütze der Stabilität einen bedauerlichen Bruch erhalten. Trotz einer nach wie vor günstigen Ausfuhrentwicklung gehen die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik in einen schweren Winter. Der Rückgang in der Investitionstätigkeit wird anhalten. Die neuesten Befragungen des Ifo-Instituts vom November 1966 lassen für die Industrie eine Verminderung der Investitionsausgaben 1967 um 12 v. H. erwarten. Das Baugewerbe sieht sich sogar zu einer Investitionskürzung um nicht weniger als 25 v. H. gezwungen. Bei den Gebietskörperschaften und bei den großen öffentlichen Unternehmen ist ebenfalls ein negatives Wachstum der Investitionen zu erwarten: die stagnierenden, ja möglicherweise bald negativen Zuwachsraten in den Steuereingängen werden ohne andere Finanzierungsmöglichkeiten die Situation weiter verschlechtern. Wir stehen in der Bedrohung eines Konjunkturrückschlags, der sich zudem mit einer Verschärfung der Strukturkrise an Ruhr und Saar und mit dem winterlichen Saisoneinbruch addieren würde. Das erste Mal seit zehn Jahren spricht man wieder von Arbeitslosigkeit und gibt damit den politischen Phantasten eine ökonomische Basis, die breiter ist als zuvor. Mit jedem Monat weiterer wirtschaftlicher Unsicherheit wächst ihre Möglichkeit, politisch unkritische oder unerfahrene Menschen auf ihre Seite zu zieDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller hen. Diese Tatsache muß man ebenso sehen und bewerten wie die gleichzeitige Einbuße an Wirtschafts- und Finanzkraft. Die wirtschaftlichen und fiskalischen Verluste sind beträchtlich. Bei einem Bruttosozialprodukt von knapp 500 Milliarden DM bedeutet eine Differenz in der realen Wachstumsrate von 4 v. H. zu 2 v. H. einen Unterschied von 10 Milliarden DM an verlorengegangener Konsum- und Investitionsgüterproduktion, mit deutlicher Betonung auf der zuletztgenannten. In der Abschwächung sinkt die Investitionsquote des Bruttosozialprodukts; die Struktur der gesamten Produktion wird weniger zukunftsorientiert. Bei einem Steueraufkommen für alle Gebietskörperschaften und für den Lastenausgleichsfonds von zur Zeit rund 120 Milliarden DM jährlich beläuft sich die Auswirkung der gleichen Differenz auf einen Betrag von 2,5 Milliarden DM im ersten Jahr des gesamtwirtschaftlichen Produktionsausfalls und einer sich laufend erhöhenden Summe für jedes weitere Jahr der Stagnation. Die Steuereinnahmen des Bundes allein werden, wie ich bereits erwähnt habe, noch zusätzlich von der Änderung in der Verwendungsstruktur des Sozialprodukts - von starker Einfuhr zu starker Ausfuhr - betroffen. So rechnet der Bundesminister der Finanzen für 1967 bereits mit einem Ausfall an Steuern in Höhe von 1,9 Milliarden DM. Diese Zahl reflektiert jedoch den Stand der Schätzung der wirtschaftswissenschaftlichen Institute im amtlichen Arbeitskreis „Steuerschätzungen" vom 12. Oktober 1966. Sie enthält noch nicht die Auswirkungen der akuten Verschlechterung der Bundeseinnahmen im vierten Quartal 1966 und beinhaltet vor allem nicht die steuerpolitischen Folgen eines weiteren Treibenlassens der wirtschaftlichen Entwicklung. Würde man die entsprechenden Korrekturen auch noch einbeziehen, so käme man derzeit auf Steuermindereinnahmen von 2,5 Milliarden DM und bei jedem späteren Monat der Steuerschätzung zu einer weiteren Erhöhung des Einnahmeausfalls. Ein großer Teil der jetzt noch vorhandenen Dekkungslücke - in der Regierungserklärung wurde sie mit 3,3 Milliarden DM beziffert - beruht auf diesem konjunkturverursachten Steuerausfall. Wer diesen Teil der Deckungslücke durch Ausgabenkürzungen oder Erhöhungen von Steuertarifen schließen will, muß wissen, daß ein solcher Haushaltsausgleich nur formal stimmen kann; denn solange die Produktionskraft in der Bundesrepublik nicht wieder gestärkt wird, kann sich auch ihre Steuerkraft nicht verbessern. An diese Binsenwahrheit muß erinnert werden. Auf der Grundlage solcher Daten will die Bundesregierung eine kontrollierte Expansion herbeiführen. Dies ist nur möglich, wenn sich das jetzt auf Pessimismus und kontraktive Defizitdeckung gestimmte Verhalten der wirtschaftlich Handelnden im privaten wie im öffentlichen Bereich der Volkswirtschaft ändert. Dabei muß der Staat vorangehen. Er ist der einzige, der entsprechend disponieren könnte, ohne seine finanzielle Substanz zu gefährden. Dabei fällt dem Bund selbstverständlich die Führungsrolle zu. Aber auch er muß seine Ausgaben finanzieren können. Der Bund wird sogar wahrscheinlich, wie in der Regierungserklärung angekündigt, über den Rahmen des jetzt zur Diskussion stehenden Haushalts mit einer Deckungslücke von zur Zeit 3,3 Milliarden DM noch ein Investitionsprogramm einzuleiten haben. In der gegebenen Konjunktursituation läßt sich ein solches Programm durch Selbstfinanzierung des Staates, also aus Steuermitteln, nicht realisieren. Der Bund braucht Kredite, und dazu bedarf es der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes; sie kann herbeigeführt werden durch eine entscheidende Lockerung der Kreditrestriktionen, sie kann aber auch durch die Aufhebung der Kuponsteuer oder durch eine vernünftige Kombination beider Maßnahmen erfolgen. Die Bundesregierung hofft in ihrer Erklärung auf eine Unterstützung durch die Notenbank. Die Bundesbank ist autonom ; sie erwartet vom gleichfalls autonomen Bundestag entsprechende Entscheidungen. Allerdings - und das sei ausdrücklich festgestellt - wird die öffentliche Hand den wieder zu belebenden Kapitalmarkt nicht sofort in Anspruch nehmen dürfen, da ein solches Verhalten einer notwendigen Zinssenkung entgegenwirken würde. Für die Bundesregierung kommt es darauf an, nach einem Verfahren zu suchen, das unter voller Ausdehnung des Kreditplafonds des Bundes bei der Deutschen Bundesbank die Konsolidierung durch Anleihen im zweiten Halbjahr 1967 ermöglicht. Die Bundesregierung hat sich ein Wachstumsziel von 4 v. H. gesetzt. Sie will diese Zuwachsrate im Laufe des kommenden Jahres erreichen. Bis dahin müssen nach unserer Meinung alle Voraussetzungen geschaffen sein, daß die jetzt durch die Konjunkturlage bewirkte. Eindämmung des Preisauftriebs nicht wieder gefährdet wird. Dieses Ziel möchte ich ganz besonders hervorheben, auch im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Mischnick, der heute vormittag gesagt hat, die FDP habe Gerüchte gehört, daß bei unseren Überlegungen eine Inflationsrate einkalkuliert sei. Eine solche Unterstellung ist unsachlich und ebenso gefährlich wie die Behauptung eines Politikers, daß die Gefahr einer dritten Währungsreform gegeben sei. ({2}) Wir sollten auf solche Unterstellungen verzichten und davon ausgehen, daß alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses bemüht sind, die Wirtschaft aus der Stagnation herauszuführen, und daß sie die Stabilität, d. h. ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, anstreben unter Beachtung der vier Säulen, die bei den Beratungen des Stabilisierungsgesetzes eine besondere Rolle gespielt haben. Die Voraussetzungen dafür sind erstens die im Stabilitätsgesetz vorgesehenen Investitionen für eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der Bundesbahn, der Bundespost und anderer wichtiger Unternehmen der öffentlichen Hand, zweitens die konzertierte Aktion, in der die Mittel der finanzwirtschaftlichen und einer etwaigen außenwirtschaftlichen Globalsteuerung durch die Erörte3740 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, .den 15. Dezember 1966 rung und Erarbeitung von Orientierungsdaten der Tarifvertragsparteien ergänzt werden, drittens die Absicherung der inneren Stabilität gegenüber außenwirtschaftlichen Störungen durch internationale Koordination der Konjunkturpolitik, durch ein Zusammengehen einer Gruppe von stabilitätsbewußten Ländern oder, falls sich dieses Ziel nicht verwirklichen lassen sollte, durch ein eigenes überzeugendes nationales Beispiel. Diese Voraussetzungen können also nach unserer Meinung geschaffen werden. Das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" ist dank der sorgfältigen parlamentarischen Beratungen und Ergänzungen nahezu beschlußreif. In dieses Gesetz sind die außenwirtschaftliche Absicherung und die konzertierte Aktion einzubeziehen. Allerdings hat sich das Klima für eine konzertierte Aktion im letzten Jahr verschlechtert. Die Bereitschaft der Gewerkschaften, obwohl immer noch vorhanden, ist durch die Zurückweisung der im zweiten Jahresgutachten des Sachverständigenrates skizzierten konzertierten Aktion zwangsläufig gedämpft worden. Dennoch sind die Vorteile einer konzertierten Aktion am Runden Tisch mit einer echten Mitwirkung aller Beteiligten um ein optimales Wachstum der Realeinkommen, die inflatorisch aufgeblähte Nominalverheißungen ablösen würden, zu eklatant und stehen zu sehr in Übereinstimmung mit gewerkschaftlicher Grundsatzprogrammatik, als daß ein solcher Versuch nicht gerade jetzt mit Aussicht auf Erfolg gewagt werden könnte. Die Tarifautonomie, das heißt die Möglichkeit zu abweichender Entscheidung oder die Ablehnung jeder Weisung eines anderen, auch des Staates, bleibt davon unberührt. Ich darf auf einen in diesem Zusammenhang beachtlichen Vorgang verweisen. Am 14. Dezember 1966 hat der neue Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bau - Steine - Erden, Sperner, unter anderem in einer Presseerklärung betont, daß in der gegenwärtigen Konjunktursituation bei der Einkommenspolitik der Gewerkschaft die Sicherheit der Arbeitsplätze im Vordergrund stehen müsse. So wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik habe sich auch die Einkommenspolitik an den Erfordernissen eines stabilen Wirtschaftswachstums zu orientieren. Die Empfehlungen des Sachverständigenrates für eine „kontrollierte Expansion" böten für diese Überlegungen eine gute Grundlage. Unter Berücksichtigung der von der neuen Bundesregierung zu erwartenden aktiven Wachstumspolitik und der speziellen Konjunktursituation des Baugewerbes erwarte die IG Bau - Steine - Erden für 1967 eine Lohnerhöhung von 4,3 0/o. Diese Erhöhung sei unter Berücksichtigung der Bedingungen der Bauwirtschaft stabilisierungs- und wachstumsgerecht. Die Gewerkschaft müsse dann aber auch erwarten können, daß die Bundesbank sich ebenfalls das wachstumspolitische Konzept des Sachverständigenrates zu eigen mache und mit einer Senkung des Diskontsatzes das Signal zu einer Wende in der Kreditpolitik gebe. ({3}) Nur ein voll funktionsfähiger Kapitalmarkt - das wird übrigens in dem neuen Sachverständigengutachten auch nachgewiesen - könne 1967 eine Fortsetzung der Baukonjunktur gewährleisten. Bei der konjunkturellen Schlüsselposition der Bauwirtschaft aber seien die Auswirkungen einer nachlassenden Baukonjunktur nicht nur auf dieses Gewerbe beschränkt, sondern würden die Gesamtwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Ich meine, wir sollten diese beachtliche Erklärung der Gewerkschaft ebenso zur Kenntnis nehmen wie die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Regierungserklärung, die gerade diese eben behandelten Teile der Regierungserklärung durchaus positiv beurteilt. Hieraus ergibt sich also, daß die Gewerkschaften bereit sind, sich für eine solche konzertierte Aktion zur Verfügung zu stellen. Nun sollten alle Verantwortung tragenden Mitbeteiligten auf diese Bereitschaft eingehen und damit den Weg beschreiten, den - nach unserer Meinung mit Recht - die Regierungserklärung aufweist. ({4}) Ich darf vielleicht bei dieser Gelegenheit noch festhalten, daß man in dem Rückblick auf die Leistungen der letzten 20 Jahre nicht übersehen darf, daß in allen kritischen Situationen, in denen sich unser Volk in diesen zwei Jahrzehnten befunden hat, die Gewerkschaften immer vorn waren, wenn es darauf ankam, auch durch Vorleistungen dazu beizutragen, eine ernst und kritisch gewordene Situation zu meistern. Ich sage das im Hinblick auf eine andere Passage der Regierungserklärung. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Ankündigung der Bundesregierung begrüßen, eine Kommission unabhängiger Sachverständiger zu berufen und sie mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung als Grundlage weiterer Überlegungen zu beauftragen. Die Berufung dieser Expertenkommission sollte unverzüglich erfolgen. Wenn die Bundesregierung erklärt, sie lehne Bestrebungen ab, die den bewußten und erkennbaren Zweck einer Aushöhlung der Mitbestimmung verfolgen, so müßte nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion überlegt werden, ob nicht ein Gesetzentwurf vorzulegen ist, der gewährleistet, daß gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, insbesondere Fusionen, nicht zum Abbau der Mitbestimmung führen können. ({5}) Haben wir Wachstum in Stabilität wieder erreicht, so sind auch die Grundlagen für andere wichtige Entscheidungen der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik geschaffen. Eine mittelfristige Wirtschaftspolitik und Finanzplanung in einer Schrumpfungswirtschaft wären bloße Zahlenspielerei. Eine Konsolidierung in den Krisenherden an Ruhr und Saar ist nicht möglich, wenn nicht die zusätzliche und gravierende konjunkturpolitische Komponente der Krise in diesen Regionen zuvor oder gleichzeitig beseitigt wird. Eine Ordnung der Sozialpolitik verlangt - so ist in der Sozialenquete zu lesen - eine Zuwachsrate des realen Sozialprodukts im längerfristigen Durchschnitt von mehr als 4 v. H., andernfalls würde das ganze System der Sozialordnung gefährdet sein. Auch aus dieser Sicht ist daher unsere Aufgabenstellung klar. Nur bei wirtschaftlichem Wachstum und finanzieller Ordnung ist die soziale Stabilität zu sichern. Gerade die schlimmen Erfahrungen der letzten Zeit haben gelehrt, daß Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik langfristig angelegt und aufeinander abgestimmt werden müssen. Wahlgeschenke und systemwidrige finanzpolitische Manipulationen darf es auch für den sozialen Bereich in Zukunft nicht mehr geben. ({6}) Meine Damen und Herren, die wachsende Zahl älterer Menschen bedeutet für unser ganzes Volk eine große Verpflichtung. Mit Befriedigung haben wir davon Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung an dem Prinzip der dynamischen Rente festhalten wird. Das Vertrauen der Bürger in die Stabilität der sozialen Sicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Vertrauens zur Demokratie überhaupt. ({7}) Nach Auffassung meiner Fraktion kann und muß die Sozialpolitik ihren Teil zum wirtschaftlichen Wachstum beisteuern. So bildet z. B. eine moderne Arbeitsmarktpolitik die elementare Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft und der amtlichen Wirtschaftspolitik. Zu ihr gehören zeitgerechte Berufsausbildung für junge Menschen, berufliche Umschulung und Fortbildung. Es ist auch eine derzeit wieder bestätigte Erfahrung, daß von Arbeitslosigkeit vor allem ungelernte Arbeiter betroffen werden, während noch partiell ein Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften besteht. Das macht die strukturellen Schwächen der bisherigen Berufsausbildung deutlich. Meine Fraktion hat durch die Einbringung des Entwurfs für ein Arbeitsmarkt-Anpassungsgesetz einen wichtigen Beitrag für eine zeitgerechte Arbeitsmarktpolitik geleistet. Die längerfristige Abstimmung der Wirtschafts- und Finanzpolitik mit den Zielsetzungen der übrigen innenpolitischen Bereiche, wie sie die Bundesregierung ankündigt, in einem Gesamtprogramm mit umfassender Bestandsaufnahme kann eine neue Ara in der politischen Willensbildung einleiten. Auch hier würde keine „Autonomie" aufgehoben, sondern sollen die Orientierung der Einzelnotwendigkeiten auf das Ganze und die Verpflichtung des Ganzen auf das Einzelne ermöglicht werden. Die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen einer die Produktivität fördernden Ausgabenstruktur, dem notwendigen Maß an sozialer Sicherung sowie der gesamtwirtschaftlichen Aufgabe der Stabilität und des Wachstums können nur in einer quantitativen Form durchschaubar gemacht werden. Erst dann sind eigentlich Entscheidungen aus dem Wissen um Tatbestände und nicht nur aus der bloßen Hoffnung heraus möglich. Selbstverständlich wird ein solches Zahlenwerk keinen Ewigkeitswert besitzen, sondern der laufenden Prüfung und Anpassung an die sich wandelnde Welt unterliegen müssen. Meine Damen und Herren, die lange schwelende Sonderkrise der deutschen Montanwirtschaft an Ruhr und Saar muß durch diese Bundesregierung beendet werden. Die Halden sind Anklage und Mahnung. Krise ist im Steinkohlenbergbau nicht allein die Anpassung an eine veränderte Nachfrage nach den einzelnen Energieträgern, sondern Krise heißt in diesem Fall, daß statt eines geordneten Rückzuges auf dauerhafte Positionen eine heillose Flucht ins Ungewisse Platz gegriffen hat. Um hier die notwendige Ordnung wiederherzustellen, die ungenügenden Wachstumsraten zu beseitigen und Wanderungsverluste aufzuheben, müssen schnellstens die beschlossenen oder vorbereiteten Maßnahmen der Absatzsicherung der Kohle in der Elektrizitätswirtschaft und in der Stahlindustrie wirksam werden. Das gleiche gilt für die Ansiedlung von Ersatzindustrien bei unvermeidbaren Zechenstillegungen;. z. B. müssen die Richtlinien zu den Verstromungsgesetzen nun herausgegeben werden. Es ist erfreulich, daß sich die neue Landesregierung von Nordrhein-Westfalen trotz ihrer schwierigen Finanzlage entschließen wird, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Es sei noch hinzugefügt, daß eine derartige Politik der vorsichtigen Anpassung nicht zu einer Steigerung der deutschen Energiepreise zu führen braucht. In Regionalplänen sind die engen Wechselbeziehungen zwischen einer wettbewerbsfähigen und leistungsstarken Gesamtwirtschaft und den berechtigten Interessen der im Steinkohlenbergbau sowie in der Stahlindustrie hart arbeitenden Menschen klarzumachen. ({8}) Bevor ich zum Schluß noch ein Wort zur Reform unserer Finanzverfassung sage, lassen Sie mich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklären, daß wir mit Dankbarkeit die Zusage der Bundesregierung zur Kenntnis genommen haben, die Stellung des Landes Berlin innerhalb der Bundesrepublik zu stärken. ({9}) Die Zielsetzung, die Wirtschaftskraft dieser Stadt weiter zu festigen, wird notwendige Impulse für das Wachstum der Berliner Wirtschaft geben, wobei es für uns selbstverständlich ist, daß bisher bewährte Maßnahmen in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Senat fortgeführt werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun auch von meiner Seite noch einige wenige Bemerkungen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers machen, daß diese Regierung die Reform der Finanzverfassung als eine der großen innenpolitischen Aufgaben betrachtet und verwirklichen will. Gerade in diesem Punkt haben Regierung und Koalition eine Bewährungsprobe abzulegen. ({10}) Seit bald einem Jahr liegt das Sachverständigengutachten zur Finanzreform vor. Man hat den Eindruck - ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken -, daß noch nicht viel geschehen ist. ({11}) Wir müssen umgehend - und damit wäre anzufangen - das Beteiligungsverhältnis zwischen Bund und Ländern nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Gemeindefinanzen in Ordnung bringen, und das hoffentlich diesmal ohne Vermittlungsausschuß. ({12}) Ich freue mich, daß ich durch die Zeitung erfahren konnte, daß der Herr Bundeskanzler beabsichtige, in den nächsten Tagen mit den Ministerpräsidenten der Länder und Stadtstaaten zusammenzukommen. Sicher wird in dieser Besprechung die Regelung des Beteiligungsverhältnisses eine entscheidende Rolle spielen. Ich meine, in den Koalitionsgesprächen ist eine Verständigungsbasis gefunden worden. Ich möchte, um Mißverständnisse zu vermeiden, noch einmal die Zahlen anführen, um die es sich bei dieser Differenz von 35 : 39 % handelt. Bei dieser Differenz um 2 Milliarden DM zugunsten der Länder sind wir davon ausgegangen, daß eine sogenannte Entflechtung erfolgen müsse, d. h. daß Länderaufgaben, die im Bundeshaushalt etatisiert werden, wenigstens zum Teil auf die Länderhaushalte übertragen werden, und zwar ohne daß dabei der Vorgang der Regelung der Gemeinschaftsaufgaben im Sinne des Gutachtens zur Finanzreform berührt wird. Dabei hat es sich um einen Betrag von 700 Millionen DM gehandelt oder anders ausgedrückt, das Beteiligungsverhältnis des Bundes würde dann, wenn man diese 700 Millionen DM berücksichtigt, nicht auf 35 % zurückgehen, sondern etwa bei 36,6 % liegen. Wenn es jetzt infolge der Zeitnot nicht zu einer Entflechtung kommt, muß man also diesen Ausgangspunkt berücksichtigen, und deswegen schien uns eine Verständigung auf der Linie eines Anteils von 37 % durchaus vertretbar. Meine Damen und Herren! Hinsichtlich der Finanzreform sollte der Bundestag recht bald in einem Zwischenbericht Kenntnis nehmen vom Stand der gesetzgeberischen Arbeiten, die sich aus dem Gutachten der Finanzreformer ergeben. Dieser Überblick ist für den Bundestag unerläßlich, damit er die Spannweite dieser Aufgabenstellung erkennt und sich frühzeitig auf eine Lösung der gesetzgeberischen Aufgaben einstellt. Ich sage Ihnen: Wenn es gelingt, die vordringliche Aufgabe der Reformbemühungen befriedigend zu lösen, nämlich die Finanzausstattung der Gemeinden ausreichend zu verbessern, dann kann es nicht mehr schwer sein, in allen anderen wichtigen Punkten zu einer Verständigung zwischen Bund und Ländern zu kommen. Am 28. Januar 1959 habe ich dem Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger, in meiner Stellungnahme zu seiner Regierungserklärung aufgefordert, die Vermittlerrolle im Streit um die Finanzmasse und um die Finanzreform zu übernehmen. Ich wiederhole heute - nach beinahe acht Jahren - diese Aufforderung an den Bundeskanzler Kiesinger. Nur wenn bald und konstruktiv gehandelt wird, kommen wir zu dem gewünschten Ziel. Die Gelegenheit ist nach unserer Meinung günstig. Meine Damen und Herren! Bevor ich eine Schlußbemerkung mache, sei es mir gestattet, noch auf einige Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Dehler einzugehen. Herr Dr. Dehler hat sich zunächst mit dem Wahlrecht, wie es in der Erklärung der Bundesregierung angekündigt war, auseinandergesetzt, ist aber dabei der Stellungnahme der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht gerecht geworden. Ich darf noch einmal wiederholen, was mein Kollege und Freund Helmut Schmidt hierzu gesagt hat: Zu dem Inhalt dieser letzten Verfassungsänderung gibt es jedoch einstweilen sehr verschiedene Meinungen ... Die Regierung hat ihre Absicht erklärt, ein Wahlrecht zu schaffen, das klare Mehrheiten im Bundestag ermöglicht. Auch diese Absichtserklärung findet in beiden regierungstragenden Fraktionen sehr unterschiedliche Beurteilung. Meine Fraktion ... wird auf einer sehr gründlichen Prüfung dieser schwierigen Materie bestehen, ehe sie zu einer Entscheidung bereit ist. Meine Partei wird diese Frage auch auf einem Bundesparteitag behandeln. Wir erkennen im Augenblick sowohl Vorteile als auch Nachteile. Ich finde, daß Herr Kollege Dehler diesen entscheidenden Passus aus der Rede meines Fraktionsfreundes Helmut Schmidt einfach nicht zur Kenntnis genommen hat. ({13}) Die Bundesregierung hat sich in ihrer Erklärung dann auch zu folgendem Punkt geäußert: „Die Möglichkeit für ein Übergangswahlrecht für die Bundestagswahl 1969 wird von der Regierung geprüft." Gegen diese Prüfung durch die Regierung haben wir keine Einwendungen, und wenn das Prüfungsergebnis vorliegt, werden sich alle drei Fraktionen dieses Hohen Hauses mit dem Prüfungsergebnis auseinanderzusetzen haben. ({14}) Ich sagte, daß wir beispielsweise die Frage des Wahlrechts vor unseren Parteitag bringen. Seien Sie, meine Damen und Herren von der FDP, davon überzeugt, daß es in unseren Reihen ebenso eigenwillige Persönlichkeiten gibt wie trotzige Liberale bei Ihnen. ({15}) Warten Sie erst einmal ab, was unsere Parteiinstanzen zu diesem Wahlrecht sagen, von dem Sie allerdings, wenn Sie es jetzt einmal ganz unabhängig von der Interessenlage beurteilen, auch nicht gerade beglückt sein sollten. Wir haben beispielsweise in Baden-Württemberg schon vor vielen Jahren den „Sanitätswagen" abgeschafft, die Landesliste; das müßten Sie als BadenWürttemberger wissen. Wir haben bei uns die Zweitausteilung, durch die jeder einem Wahlkreis verpflichtet bleibt; er muß sich anstrengen, wenigDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller stens über die Zweitausteilung zum Zuge zu kommen. ({16}) - Ja, Herr Dr. Starke, Ihnen imponiert das nicht. Aber uns in Baden-Württemberg hat das ganz gut gefallen. Es hat einen Kontakt zwischen dem Abgeordneten und dem Wähler hergestellt, weil es notwendig ist, daß sich die Abgeordneten dauernd um den Wahlkreis kümmern, ganz gleich, ob sie in der Erst- oder in der Zweitausteilung zum Zuge gekommen sind. ({17}) - Sofort. - Es kann doch niemand behaupten - auch ich bin über die Landesliste in diesen Bundestag hineingekommen -, daß das ein beglückender Zustand sei. ({18}) Ich jedenfalls empfinde das nicht als einen beglükkenden Zustand. Es gibt sehr viele Wählerinnen und. Wähler in meinem Wahlkreis, die sagen: Na, der ist schon über die Landesliste gewählt, da werden wir mal dafür sorgen, daß auch die andere große Partei zum Zuge kommt. Das ist der Tatbestand, das ist die Realität.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?

Dr. h. c. Dr. - Ing. e. h. Alex Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte, Herr Kollege!

Karl Moersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001526, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Dr. Möller, ist Ihnen bekannt, daß erstens Baden-Württemberg ein reines Verhältniswahlrecht nach der Verfassung hat und daß es zweitens dank dem Wahlrecht, das Ihr Freund Ulrich damals als Innenminister vorgelegt hat, ganze Gebiete in Baden-Württemberg gibt, die weder durch einen Abgeordneten der SPD noch durch einen Abgeordneten der FDP vertreten sind, weil sie dank diesem Wahlrecht reinrassige CDU-Gebiete geworden sind?

Dr. h. c. Dr. - Ing. e. h. Alex Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mir selbstverständlich bekannt, da ich damals an der Schaffung des neuen Wahlrechts beteiligt war und es mir sehr darauf ankam - und etwas anderes war wegen der Festlegung in der Verfassung gar nicht möglich zu tun -, die Landesliste abzuschaffen und mit diesem anderen System eine bessere Verbindung, einen besseren Kontakt zwischen Abgeordnetem und Wahlkreis herbeizuführen. Ich sage das auch nur als Beispiel, um zu zeigen, daß man andere Überlegungen nicht einfach aus der Interessenlage heraus vom Tisch wischen kann. Aus der Interessenlage heraus, meine Damen und Herren, darf man eine solche Vorlage weder negativ noch positiv beurteilen. Man muß sie unter dem Gesichtspunkt beurteilen: kann sie zur Festigung und Stärkung der parlamentarischen Demokratie beitragen oder nicht? ({0}) Meine Damen und Herren, Herr Dehler hat einige sehr harte Worte gefunden. Ich habe, als er heute sprach, wieder an Max Weber gedacht und an ,die drei Qualitäten, die Max Weber als für den Politiker entscheidend ansieht: Leidenschaft im Sinne der Sachlichkeit, Verantwortungsgefühl - selbstverständlich beides bei Herrn Dehler vorhanden - und Augenmaß. ({1}) Hier gestatten Sie mir ganz leise, vorsichtige Zweifel. Herr Dehler hat gesagt, die SPD war 1949 nicht koalitionswürdig. ({2}) - Das halten Sie für freundlich, Herr Starke? ({3}) - Daß Sie das mit solchen Zwischenbemerkungen hier bekunden, beruhigt mich bei dem Entschluß, daß sich die SPD doch zur Herbeiführung einer großen Koalition in dieser Situation zusammengefunden hat. ({4}) Nicht koalitionswürdig! Vielleicht waren Sie damals noch nicht dabei, Herr Starke. Aber als am 5. März 1933 am Ende der Weimarer Republik zum letztenmal gewählt wurde, da waren die Rudimente der liberalen Partei auf der Reichsliste der SPD zu finden, an der Spitze Herr Reinhold Maier und Herr Lemmer. Auf der Reichsliste der SPD sind Liberale am 5. März 1933 in den Reichstag gerückt. Was dann kam, wissen Sie. Und Sie wissen auch, daß die, die als Sozialdemokraten in diesen letzten Deutschen Reichstag einrückten, ihr Nein zum Ermächtigungsgesetz gesprochen haben, aber nicht die fünf, die über die Reichsliste der SPD als Liberale in den Deutschen Reichstag hineingekommen sind. ({5}) Meine Damen und Herren, dann gab es zwölf bittere Jahre. Das muß man einmal sagen, damit die Dinge hier beim richtigen Namen genannt werden. ({6}) Als dann der Zusammenbruch 1945/46 kam, wo waren da die Sozialdemokraten? Wo waren die Gewerkschaften? Sie waren in hervorragendem Maße berufen, mit den Besatzungsmächten zu sprechen und zu verhandeln und, das Recht des geplagten und geschlagenen deutschen Volkes wahren zu helfen. ({7}) Da konnte mancher von Ihnen, meine Damen und Herren, noch nicht mitsprechen. Das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Ich mache Ihnen zum Vorwurf, daß Sie davon sprechen, wir seien 1949 nicht koalitionswürdig gewesen, ({8}) nur, meine Damen und Herren, weil Sie sich einen Popanz zurechtmachen über die geistige und politische Verfassung dieser Sozialdemokratischen Partei nach dem „Dritten Reich" und nach dem Zusammenbruch am Ende ,des zweiten Weltkriegs. ({9}) Meine Damen und Herren, das ist kein Trauma, wie Herr Dehler meinte, aus dem er uns befreien müßte, sondern das ist eine Entwicklung, die anzeigt: In unserer über hundertjährigen Geschichte haben wir uns nie in einer ernsten und wichtigen Situation den Forderungen unseres Volkes verschlossen. ({10}) Ich wünschte, das könnte jeder von sich und seiner politischen Arbeit sagen. ({11}) Meine Damen und Herren, Herr Dehler hat erklärt, diese Regierung sei die Steigerung passiver Ergebnisse der bisherigen Entwicklung. Ein mutiges Wort! Ich glaube aber nicht, daß jemand, der in den letzten 17 Jahren viele Jahre hindurch die Mitverantwortung in der Bundesregierung getragen hat, uns gegenüber ein solches Wort schon jetzt aussprechen darf; denn wir stehen am Anfang einer neuen Arbeit in einer neuen Koalition. Billigen Sie uns bitte den guten Willen zu, daß wir das Beste aus dieser Koalition und mit dieser Regierung für unser Volk machen möchten! ({12}) Herr Dehler hat dann gesagt: Wir werden das Maß setzen. Das beruhigt mich hinsichtlich der Befürchtungen über die Wirkungsfähigkeit der Opposition. Denn nach einem solch stolzen Wort können wir ja wohl beruhigt sein über die Qualität und über die Einwirkungsmöglichkeit der Opposition in diesem Bundestag und bei dieser koalitionspolitischen Situation. Meine Damen und Herren, selten entsteht Gutes, wenn man zur politischen Wirklichkeit, ihren Realitäten und den Konsequenzen, nur mit schlechtem Gewissen ein halbes Ja sagt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sagt zu dieser Regierung und zu der in der Regierungserklärung aufgezeigten politischen Konzeption mit einem sich aus der Verantwortung ergebenden guten Gewissen ein klares und ganzes Ja. ({13}) Wir wollen unser Teil dazu beitragen, die Unterbilanz in der Aufgabenerfüllung überwinden zu helfen. Herr Dehler begann mit der Bemerkung: „In der Geschichte ist nichts zufällig." Meine Damen und Herren, die Geschichte faßt uns doppelt. Es ist die Geschichte, die hinter uns liegt, die zur Vergangenheit gehört, aus der wir aber Lehren zu übernehmen haben; und es ist die Geschichte, mit der wir fertig werden müssen, die wir mitgestalten. Da meine ich, auf die Vergangenheit bezogen: die Geschichte der Weimarer Republik lehrt, daß man nicht früh genug mit dem notwendig Gewordenen beginnen kann. Notwendig aber ist heute und morgen, die innere Stabilität und Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland wiederherzustellen. Dann können die demokratischen Parteien später erneut miteinander um die Entscheidung ringen, durch die unsere Zukunft gestaltet wird: im Geistigen, im Leistungsstand von Wissenschaft und Forschung, mit dem erarbeiteten Sozialprodukt, mit dem, was der moderne Staat seinen umweltbezogenen Menschen gibt, das so anders gewordene Leben wirklich im höheren Sinne lebenswert zu machen. ({14})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pohle.

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem großen Echo der Öffentlichkeit auf die Regierungserklärung dieser Koalition gibt es neben vielen treffenden Überlegungen auch manchen falschen Zungenschlag. Besonders befremdlich sind Spekulationen, nun sei es ja wohl mit der Marktwirtschaft vorbei. Deshalb will ich gleich am Anfang einen Irrtum ausräumen, bevor er sich richtig festsetzen kann. Das Konzept der von den Fraktionen CDU/CSU und SPD getragenen neuen Regierung ist ein marktwirtschaftliches Konzept. Wer Marktwirtschaft, wer soziale Marktwirtschaft, die wir trotz der Ausführungen des verehrten Kollegen Dr. Thomas Dehler als soziale Marktwirtschaft und nicht als liberale Marktwirtschaft bezeichnen, ({0}) mit Planlosigkeit gleichsetzt, wird freilich nicht auf seine Rechnung kommen. Die künftige Wirtschaftspolitik wird in hohem Maße die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft berücksichtigen, und zwar sowohl in der Vorausschau als auch im Instrumentarium. Aber es gibt keinen Zweifel daran, daß die Marktwirtschaft, die alle Deutschen binnen weniger Jahre vom Chaos zum Wohlstand geführt hat, auch in Zukunft -die Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland bestimmen wird. Meine Freunde von der CDU/CSU-Fraktion und ich wissen, daß kein anderes Wirtschaftssystem jemals irgendwo auch nur einen annähernd ähnlichen Erfolg zu verzeichnen hatte. Auch unsere Kollegen in der neuen Koalition haben dies ja offenbar, wie ihr Programm und ihr Verhalten zeigt, seit einigen Jahren voll erkannt. Diese neue Koalition, der zur Zeit noch manche skeptisch gegenüberstehen mögen, hat aus modernem marktwirtschaftlichem Denken heraus bereits innerhalb weniger Tage ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Sie hat nämlich das Finanzplanungsgesetz, das Steueränderungsgesetz und die Ergänzung zum Steueränderungsgesetz verabschiedet. Meine Damen und Herren, der politische Erfolg wiegt schwer; denn hier ging es nicht um Bagatellen, sondern hier ging es um tiefgreifende Eingriffe auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite. Harte, aber erfreulich klare und sachliche Gespräche beider Fraktionen gingen dem voraus. Es erwies sich dabei als nützlich, daß beide Partner diese Koalition aus sachlichen Überlegungen heraus begründet haben. So konnte überall, selbst bei der Änderung der Regierungsvorlage, eine einheitliche Auffassung erarbeitet werden. Die Entscheidungen fielen im übergeordneten Interesse der Stabilität von Staat und Wirtschaft. Erfreuliche Übereinstimmung besteht über die Notwendigkeit, Entscheidungen von Dauer zu fällen und sich nicht nur auf Augenblickslösungen zu beschränken. Was nottut, ist eine Lösung der Spannungsursachen und nicht der Symptome. Wir stehen deshalb hinter der Regierungserklärung, die wir billigen. Die Regierung hat deutlich gemacht, was sie will. Sie beschönigt die Fehler der Vergangenheit nicht, und sie gibt konkrete Richtlinien für die Zukunft. Gemeinsam mit der auf breiter Front gebildeten Regierung werden wir der gegenwärtigen Schwierigkeiten Herr zu werden versuchen. Meine Damen und Herren, das bedeutet keineswegs, daß wir oder jeder von uns mit allen Einzelheiten der im Gesamtkonzept richtigen Regierungserklärung übereinstimmen. Ich möchte einige Akzente heute etwas anders setzen, als die Regierungserklärung sie vorsieht, und ich möchte mich bei diesen Akzenten auch nicht der pessimistischen Auffassung anschließen, die mein verehrter Kollege und Freund Möller soeben hat anklingen lassen. Die Lösung der gegenwärtigen konjunktur- und finanzwirtschaftlichen Fragen ist natürlich nicht in einem Anlauf zu schaffen. Ungeduld wäre daher ein schlechter Berater. Wir sind uns auch angesichts der gegenwärtigen Schwierigkeiten der Tatsache bewußt, daß wir an zahlreiche Vorarbeiten der vorherigen Bundesregierungen anknüpfen können. Wir sind uns weiter voll der Tatsache bewußt, daß wir auf einem soliden Fundament einer erfolgreichen Politik der letzten 18 Jahre weiterarbeiten können. ({1}) Die Regierungserklärung bezeichnet an verschiedenen Stellen die Sicherung der Stabilität der Währung neben dem Wachstum der Wirtschaft als eine ihrer Hauptaufgaben. Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt, daß unsere Politik den Boden unter den Füßen verlieren würde, wenn das Wachstum der Wirtschaft die Stabilität der Währung gefährdete. Dem stimmen wir voll zu. Folgt doch daraus, daß auch nach Ansicht der Bundesregierung zwischen Stabilität und Wachstum ein logischer, ein innerer Zusammenhang besteht und daß beide Begriffe sich durchaus nicht auszuschließen brauchen. Bei einer Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts von 4 % kann dem Gesichtspunkt der Stabilität voll Rechnung getragen werden. Indes, meine Damen und Herren, es fällt auf, daß die Regierungserklärung offensichtlich stärkere Akzente auf Expansion setzt. ({2}) - Ja, mir fällt das ebenso auf wie Ihnen, Herr Starke. Ich kann es ja auch sagen. Glauben Sie, daß Sie der einzige sind, der die Regierungserklärung hört und liest? ({3}) Oder ist es ein Zufall, daß die Regierungserklärung das sogenannte Stabilitätsgesetz jetzt „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" nennt, während es dem Parlament seinerzeit unter der alleinigen Firma „Gesetz zur Förderung der Stabilität" vorgelegt wurde? Natürlich, meine Damen und Herren, das ist eine Binsenwahrheit: Wenn das wirtschaftliche Wachstum stockt, können sich Rückwirkungen ergeben. Einige Branchen - den in einer Strukturkrise befindlichen Steinkohlenbergbau und die ganzen Strukturfragen der Landwirtschaft nicht mitgerechnet - befinden sich in einer schwierigen Lage oder in einer Stagnation. Um nur einige Biespiele zu nennen - Herr Möller hat es im einzelnen ausgeführt -: Verlangsamung oder gar Stillstand der Zuwachsraten, Stahl, Fahrzeugbau und Bauwirtschaft zeigen rückläufige oder stagnierende Ziffern. Die Erträge sind, wie auch die rückläufigen Steuer- oder Steuerzuwachszahlen ausweisen, abgebröckelt. Dennoch, so meine ich, sollte uns, meine Damen und Herren, die Sorge um die Stabilität unserer Währung vordringlich sein. ({4}) Sie gehört nun einmal zu den ökonomischen Grundlagen unserer Existenz. Darauf sollten wir uns stets besinnen. Es kommt jetzt in der Tagespraxis darauf an, in der Balance zwischen Wachstum und Stabilität Einseitigkeiten zu vermeiden. Das wird in unmittelbarer Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben der Fraktionen im Deutschen Bundestag sein. Gewiß, die gleiche Notwendigkeit stellt sich heute jedem, der in Bund, Ländern und Gemeinden, in der Wirtschaft und in den Verbänden an verantwortlicher Stelle wirkt. Aber uns, meine Damen und Herren, den Vertretern des Volkes in diesem unserem Staat, der Bundesrepublik Deutschland, wird hier für unsere Beratungs- und Gesetzgebungsarbeit eine besondere und sicherlich oft schwierige Verantwortung zuteil. Wir sollten uns, meine ich, für unsere wirtschaftspolitischen Entscheidungen zur Richtschnur dienen lassen: Stabilitätspolitik allein bringt die Gefahren der Stagnation und Rezession, aber Wachstumspolitik allein verführt nun einmal zu leichtem Gelde und zu inflatorischem Aufwind. Dieser Zustand - darüber seien wir uns klar - hat unsere gegenwärtige Misere herbeigeführt, und er darf sich nicht wiederholen. ({5}) 3746 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode Nicht Wachstum oder Stabilität, sondern Stabilität ohne Stagnation muß nach wie vor unsere Losung sein. ({6}) Natürlich, meine Damen und Herren, ist das leichter gesagt als getan. Aber das Ziel und die Lösung dieses vorhandenen oder vermeintlichen Zielkonflikts müssen wir uns bei allen Detailüberlegungen stets vor Augen halten. Sie werden uns zweifellos auch untereinander in verschiedenen Punkten in dieser oder jener Beziehung Meinungsverschiedenheiten bringen, nicht nur zwischen uns - vielleicht stimmen wir auch überein -, Herr Starke. Für dieses Ziel, das man auch als Wachstum auf stabiler Basis definieren kann, dürfen wir uns von Anfang an nicht auf Überbrückungen oder Augenblickslösungen beschränken. Was nottut, ist nicht ein Herumkurieren an Symptomen, sondern die Behebung der Spannungsursachen. Ich komme darauf zurück. Meine Damen und Herren, was ist zu tun? Vor uns steht in erster Linie der Ausgleich des Bundeshaushalts, dem sowohl die erste gesetzgeberische Maßnahme als auch ein wesentlicher Teil der Regierungserklärung galt. Mit großer Klarheit hat der Bundeskanzler Fehler aufgezeigt, die wir alle miteinander mit zu verantworten haben. Ich will mich bemühen, auch an dieser Stelle nicht in Einseitigkeit zu verfallen. Wir sollten uns durchaus der Tatsache bewußt bleiben, daß wir auf vielen Gebieten auf dem soliden Fundament einer erfolgreichen Politik der letzten 18 Jahre weiterbauen können. Aber es gilt ebenso, jetzt ohne Verzug Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Dazu müssen wir zunächst die Aufgaben sehen, die wir sofort und auf längere Sicht lösen müssen. Es sind dies die Ordnung der öffentlichen Finanzen und damit des Kapitalmarktes, die Sicherung des Geldwertes und dadurch die Ermöglichung eines weiteren und echten Wirtschaftswachstums. Sind diese Aufgaben erkannt, ist die Vorfrage zu klären, wo wir heute stehen. Da jeder gut daran tut, wenn er zunächst einmal vor seiner eigenen Tür kehrt, muß sich dieses Parlament vordringlich mit der Ordnung und Beschränkung der öffentlichen Ausgaben befassen. Die Erfordernisse reichen vom Ausgleich des Etats 1967 über die Maßnahmen für den Ausgleich der künftigen Bundesetats bis zur Finanz- und Haushaltsreform. In dieser Hinsicht stimmen wir voll überein. Der gegenwärtige Etat enthält - wir haben es schon wiederholt gehört - immer noch und wieder enorme Deckungslücken. Die Regierungserklärung .hat bestätigt, daß Verbrauchsteuererhöhungen zum Haushaltsausgleich als ultima ratio nicht ausgeschlossen werden können. Sie hat solchen Steuererhöhungen aber - das möchte ich mit aller Klarheit auch hier betonen - keineswegs jenen Vorrang eingeräumt und zugeteilt, den man aus der vorangegangenen Diskussion in der (Öffentlichkeit hätte herauslesen können. Wir werden uns bemühen müssen, durch weitere Streichungen einen guten Teil der Deckungslücke zu schließen. Hier tut sich, wollen wir eine vernünftige Zukunft erreichen, ein weites Feld auch für eine sinnvolle Planung auf. Unmittelbar in der Nachbarschaft zeigen sich freilich auch die Grenzen einer solchen Planung. Wir haben es in diesen Tagen erlebt, daß Prognosen zur Steuerentwicklung von denselben - nicht von anderen, von denselben! - Fachleuten korrigiert werden mußten, die sie noch vor kurzem abgaben. Fehleinschätzungen aber wären, wollte man sie zur Basis für ein Modell von der Wirtschaftsentwicklung machen, ganz besonders gefährlich. Für Prognosen gilt das gleiche wie für wissenschaftliche Beratungsgremien. Sie können der Politik wertvolle Helfer sein, sie können aber niemals die politische Entscheidung ersetzen. Diese Entscheidung, meine Damen und Herren, wird auch in Zukunft allein bei diesem Parlament liegen, dessen Mitglieder durch die freie Wahl dazu legitimiert sind. Es erscheint mir notwendig, dies in einem Augenblick zu betonen, in dem auf Grund von nicht zu Ende gedachten Überlegungen so etwas wie ein Mythos der Planung entsteht. Ist man sich dieses Rahmens bewußt, so kann die mittelfristige Vorausschau natürlich sehr nützlich sein. Sie kann rechtzeitig die Gefahr kommender Finanzierungslücken aufdecken, und sie kann brauchbare Arbeitshypothesen abgeben. Vor allem aber ist sie geeignet, dem Parlament wie dem Wähler und Staatsbürger die Augen darüber zu öffnen, wo sich die Wünsche hart an den finanziellen Möglichkeiten stoßen und welcher Preis für die Erfüllung dieses oder jenes Wunsches gezahlt werden müßte. Die politischen Entscheidungen liegen dann bei uns. In solider und zäher Kleinarbeit müssen wir den Haushalt bereinigen. Dabei gibt es keine Tabus. Wir müssen uns in allen Bereichen darüber klar werden, daß wir an die Leistungsmöglichkeit der Wirtschaft gebunden sind und daß es auch auf diesem Gebiet kein Gesetz gibt, das Jahr für Jahr gewaltige Zuwachsraten garantieren kann. Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren parallel zu der sprunghaften Wohlstandssteigerung auch die Sozialausgaben des Staates vervielfacht. Die Bundesrepublik Deutschland ist damit, wie es Herr Kollege Blank einmal kräftig formulierte, zu einem sozialen Giganten geworden. Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß dieser Gigant nicht auf tönernen Füßen steht. Es nützt aber gar nichts, wenn man in der Öffentlichkeit tiefe Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringt, daß in der Regierungserklärung angeblich keine konkreten Vorschläge über die Ordnung der Staatsfinanzen und keine präzisen Formulierungen darüber vorhanden seien. Meine Damen und Herren, die Regierung bringt einen ganzen Katalog von Anregungen und Programmierungen. Man kann aber von dieser Regierung, die vor knapp zwei Wochen konstituiert worden ist, man kann auch vom neuen Bundesfinanzminister - der zwar diese Ausführungen gerade nicht hört - unmöglich verlangen - ({7}) - man kann von dieser Regierung, auch vom neuen Finanzminister, nicht verlangen, daß sie bereits jetzt im Regierungsprogramm Vorschläge für die Deckung der aufgetretenen Finanzlücken macht. Denn schließlich ist weder die Regierung noch der neue Bundesfinanzminister ein Zauberkünstler. Freilich erwarten wir baldmöglichst die Deckungsvorschläge der Regierung. Wir erwarten auch Überlegungen über die Sanierung von Bundespost und Bundesbahn. Besonders das letztgenannte Institut kostet den Bund bekanntlich mehrere Milliarden. Der Schwerpunkt dieser Bemühungen wird auf dem Gebiet der Tarife und der Organisation liegen müssen. Zur Beratung steht unsere Fraktion und zweifellos auch die des Koalitionspartners, vermutlich aber auch die der Opposition zur Verfügung. Während der Beratungen des Haushalts 1967 im Haushaltsausschuß kann dann dazu Stellung genommen werden, können die entsprechenden Ergänzungsgesetze verabschiedet werden. Jedenfalls - das kann ich an die Adresse der Regierung sagen - haben die zuständigen Ausschüsse des Parlaments in dieser und der vorigen Woche unter Beweis gestellt, daß sie zu schnellem Handeln entschlossen sind. Auch jener Teil des Steueränderungsgesetzes, der sich mit der Tabaksteuer befaßt, wird heute oder morgen noch verabschiedet werden. Das bringt mich auf das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament auf dem finanziellen Sektor. Meine Damen und Herren, das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament kristallisiert sich gerade auf dem Felde der Ausgabenpolitik an einem Artikel des Grundgesetzes. Davon, wie dieser Art. 113 in Zukunft aussehen und angewandt werden soll, hängt sehr viel ab. Wir alle leiden heute noch darunter, daß sich dieser Art. 113 beim Endspurt des letzten Deutschen Bundestages in seiner jetzigen Form ganz offenkundig als untaugliche Notbremse erwiesen hat. Wenn wir in naher Zukunft mit einem neuen Art. 113 an die Öffentlichkeit treten, müssen wir sicher sein, daß die neue Bremse funktioniert. ({8}) - Eben! Aber Sie kennen auch die Gründe, aus denen sie damals nicht gezogen werden konnte. ({9}) - Sie waren damals doch in der Regierung, Sie stellten ja damals den Finanzminister. ({10}) - Aber Sie haben doch seit Jahr und Tag den Finanzminister gestellt. ({11}) - Ich kann aber so argumentieren, daß Sie sich jetzt nicht plötzlich um die damalige Regierungsverantwortung drücken können. Die Regierungserklärung ist nicht so weit gegangen wie das geltende Recht in England und Frankreich. Das hat gute Gründe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Mende.

Dr. Erich Mende (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001467, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Pohle, ist Ihnen bekannt, daß der damalige Finanzminister Dahlgrün dem damaligen Bundeskanzler Professor Erhard die Anwendung des Art. 113 vorgeschlagen hat, der Kanzler aber, dem Chef des Kanzleramtes Westrick folgend, diesen Rat Dahlgrüns zurückgewiesen hat? ({0})

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mag so gewesen sein. Ich kenne die Geheimnisse des Kabinetts nicht. Jedenfalls hat das Kabinett, das aus Vertretern der beiden damaligen Koalitionspartner bestand, nicht von dem Art. 113 Gebrauch gemacht. - Kein Abgeordneter, meine Damen und Herren, wird über eine Bestimmung besonders beglückt sein, die etwa so lautet wie der Art. 40 der französischen Verfassung von 1958. Ich will ihn kurz zur Kenntnis bringen: Gesetzesanträge und Änderungsvorschläge, die durch das Parlament vorgebracht werden, sind unzulässig, wenn ihre Verabschiedung eine Minderung der Einnahmen oder eine Erhöhung der Ausgaben bzw. eine Schaffung neuer Ausgabelasten zur Folge hätte. Eine solche Selbstbeschränkung des Parlaments kann auf der anderen Seite bis zur Lähmung führen. Aber wir dürfen auch nicht verkennen, daß damit in Frankreich zum erstenmal seit langen Jahren die Stabilisierung des Etats gelang, während bei uns der als Wunderwaffe gepriesene Art. 113 wegen seines nachträglichen Vetorechts völlig versagte. Um so mehr begrüßen wir, daß die Bundesregierung die Initiative einiger unserer Kollegen gebilligt hat, in diesem Punkte die Geschäftsordnung des Bundestages praktikabler und wirksamer zu gestalten. Seit Jahresfrist schlummern diese wohlüberlegten Anträge in diesem Hause - ich hoffe, nicht einem ewigen Schlaf entgegen. Sie schlummern aber sicherlich weiter, wenn wir sie nicht brüsk wieder zum Leben erwecken. ({0}) Wir werden sorgfältig überlegen müssen, wo wir eine vernünftige und praktikable Mitte zwischen einer wirkungslosen Verfasungsvorschrift und einem rigorosen Stop finden. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist durch viele Erfahrungen wohl begründet. Das Beste wäre jedenfalls, das Parlament würde zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurückkehren und seinerseits die Ausgabenfreudigkeit der Regierung beschneiden. Dann wären wir der unangenehmen Pflicht enthoben, der Regierung ein Mittel gegen die Ausgabenfreudigkeit des Parlaments in die Hand geben zu müssen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir an einer Stelle, wo sich der Kreis zwischen öffentlichen Ausgaben, Bundesbankpolitik und Wirtschaft schließt. Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland treffen in der Wirtschaft strukturelle und konjunkturelle Schwierigkeiten zusammen. In diesem Zusamenhang wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Restriktionspolitik der Bundesbank notwendig war oder nicht. Ich sage - und ich sage es auch als jemand, der der Wirtschaft nicht ganz fremd ist -: Die Restriktionspolitik der Bundesbank war notwendig, ({1}) weil das Überborden der öffentlichen Ausgaben und das chronische Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt gefährliche inflationäre Tendenzen brachten. Erfolge der Restriktionspolitik sind deutlich sichtbar in der Beruhigung des Preisauftriebs, im Vermeiden überzogener Expansionsimpulse der öffentlichen Hand 1966, in einer besseren Koordinierung der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes seitens der öffentlichen Haushalte 1966, in der Vermeidung eines Überschlagens der Konjunktur, last not least im Ausgleich der Zahlungsbilanz. ({2}) Auf anderen und besonders wichtigen Gebieten konnte die Bundesbank, weil ihre Möglichkeiten institutionell begrenzt sind, Fehlentwicklungen nicht verhindern. Als Fehlentwicklung bezeichne ich erstens das bereits behandelte Entstehen von Deckungslücken in den Bundeshaushalten ab 1966, die 1966 bekanntlich nur durch das Haushaltssicherungsgesetz und den Nachtragshaushalt 1966 ausgeglichen werden konnten oder sollen, zweitens das Ansteigen von Einkommensübertragungen und Personalausgaben, vor allem bei Ländern und Gemeinden, um 12,2 % im Jahre 1966 gegenüber einer Zunahme der Direktinvestitionen von nur 5 %, drittens das Ausmaß der Lohnerhöhungen, das 1965 mit 10,4 %, 1966 mit 8 % jeweils doppelt so hoch war wie die gleichzeitige Zuwachsrate der Produktivität mit nur 5 % und 4 %, viertens die weiterhin unzureichende und in jüngster Zeit zusätzlich bedrohte Eigenkapitalbasis der deutschen Wirtschaft. Sie steht den Kapitalgesellschaften der führenden westlichen Industrieländer, die mit 2/3 Eigenkapital und 1/3 Fremdkapital arbeiten können, mit einer genau umgekehrten Kapitalausstattung gegenüber. Gerade in der gegenwärtigen Wirtschaftslage werden die Gefahren aus diesen vier Punkten deutlich. Die deutsche Wirtschaft muß in die Lage versetzt werden, konjunkturelle Schlechtwetterperioden aus eigener Kraft zu bestehen. Wir wissen auch sehr genau, wie wir dieses Ziel erreichen werden. Wir werden es nicht erreichen mit einer Wirtschaftspolitik, die sich nur an Einzelfragen orientiert, und wir werden es nicht erreichen mit einer Konjunkturpolitik, die nur darauf zielt, das Kind aus dem Brunnen zu holen, nachdem es erst einmal hineingefallen ist. Das Ergebnis solcher Handlungen wäre eine Schaukelpolitik, die uns viel mehr in die Gefahr des Dirigismus brächte als eine vorausschauende Wirtschaftspolitik. Wir müssen uns bemühen, auf gesetzgeberischem Wege Instrumente zur Lösung möglicher Konfliktsituationen vorsorgend bereitzustellen. Deshalb begrüßen wir nach wie vor das Stabilitätsgesetz, das wir schnellstens verabschieden müssen. ({3}) Das kann aber nach Lage der Dinge nur ein Anfang sein. Es ist aber auch nicht richtig, daß die Notenbank alle Schwierigkeiten beseitigen kann, wenn sie nur den Kredithahn öffnet, und nicht zu Unrecht weist der Bundesbankpräsident darauf hin, man könne von der Bundesbank nicht erwarten, daß sie die Erfolge ihrer Maßnahmen in Frage stelle. Sie ist deshalb nicht bereit, von heute auf morgen Haushaltsdefizite zu finanzieren oder den Lohn- und Preisauftrieb zu fördern. Zwei Faktoren verhindern nämlich in der modernen Wirtschaft, daß eine noch so gut gemeinte Restriktionspolitik der Notenbank richtig wirkt: die Ausgaben des Staates und die Vereinbarungen der Sozialpartner. An diesen beiden Stellen muß die Kritik einhaken; an diesen beiden Stellen müssen Konsequenzen gezogen werden. Über die Haushaltspolitik und das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung habe ich mich schon geäußert. Ich will auch den zweiten neuralgischen Punkt, dem der Einordnung der Tarifautonomie, nicht ausweichen. Er ist bereits angesprochen worden. Wir sind uns zweifellos alle darüber einig, daß jede Stabilitätspolitik zum Scheitern verurteilt ist, wenn sie den entscheidend wichtigen Bereich der Löhne und damit der Masseneinkommen und der Preise außer acht läßt. Ich begrüße es daher, daß die Regierungserklärung dringlicher und deutlicher als jedes frühere entsprechende Dokument auch zu dieser Frage Stellung genommen hat. Ich meine, wir alle sollten die Regierung bei ihrem Vorhaben unterstützen, sofort den autonomen Tarifpartnern Orientierungsdaten zur Verfügung zu stellen und sie mit ihnen mit dem Ziel einer „konzertierten Aktion" zu erörtern. An dieser Stelle wird maßgeblich über den Erfolg oder Mißerfolg der anzustrebenden Wachstumspolitik auf gesunder Grundlage entschieden. Niemand will die Tarifautonomie abschaffen. Aber nur Böswillige können die Zusammenhänge zwischen Masseneinkommen und Wirtschaftspolitik leugnen, und nur Böswillige können die Augen davor schließen, daß inzwischen kein anderer Staat von wirtschaftlicher Bedeutung heute noch eine völlig schrankenlose Tarifautonomie zuläßt. Gerade wenn wir die harten bis zum Lohnstop reichenden Maßnahmen, wie sie etwa das zur Zeit von der Labour Party allein regierte England heute praktizieren muß, vermeiden wollen, müssen wir uns rechtzeitig darüber klar werden, daß nur eine freiwillige Einordnung der Tarifpartner eine ähnliche Entwicklung abwenden kann. ({4})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Pohle?

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Pohle, muß ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß Sie eine solche „schrankenlose Tarifautonomie in der Bundesrepublik als gegeben ansehen?

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben in der Bundesrepublik eine schrankenlose Tarifautonomie. ({0})

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Sie dann weiter fragen, ob Sie die Ausführungen des Sachverständigenrates über die verantwortungsbewußte Tarifpolitik der Gewerkschaften nicht kennen. ({0})

Dr. Wolfgang Pohle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich auf die verantwortungsbewußte Politik der Gewerkschaften an Hand des Beispiels der Industriegewerkschaft Bau zurück. Meine Ausführungen werden darin enden, daß ich genau das unterstütze, was die Regierung gesagt hat: schafft Orientierungshilfen. Das ist das, was ich meine, nichts weiter. Meine Damen und Herren, entsprechende Appelle und Beschwörungen haben bisher nichts gefruchtet. Wir dürfen der Aufgabe des Staates, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, jetzt nicht ausweichen, und deshalb - und das ist mein Punkt - müssen wir den Tarifpartnern Orientierungshilfen mit entsprechendem Nachdruck an die Hand geben. Ich wiederhole, was ich eben auf die Frage des Herrn Kollegen Matthöfer bereits gesagt habe. Ein lobenswertes Beispiel bildet gerade die sehr verantwortungsbewußte Führung der Industriegewerkschaft Bau, die soeben auf der Basis 4,3 % abgeschlossen hat. Das entspricht ungefähr dem realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts, und das ist ein richtiger Maßstab. Wir müssen also den Tarifpartnern Orientierungshilfen an die Hand geben. Die Erfahrung zeigt übrigens, daß der deutschen Bevölkerung die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze wichtiger ist als die Ausstellung gefährlicher Wechsel auf eine ungewisse Zukunft. Erreichen wir die Einordnung sowohl der Staatsausgaben als auch der Masseneinkommen in den Rahmen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dann, meine Damen und Herren, sind die schwierigen Probleme der Zukunft gelöst. Wir werden damit sowohl inflationäre als auch deflationäre Entwicklungen vermeiden und die Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards kontinuierlich und ohne unerwünschte Begleiterscheinungen sicherstellen können. ({0}) Für diese großen Ziele müssen wir klare Entscheidungen treffen. Wollen wir Stabilität unserer Währung unter möglichster, gleichzeitiger Förderung des Wirtschaftswachstums, dabei aber jede neue Überhitzung und hastige Reaktionen vermeiden, müssen wir in den künftigen Haushalten des Bundes, der Länder und Gemeinden den Gemeinschaftsinvestitionen klaren Vorrang vor Konsum- und Subventionsausgaben geben. In der Theorie sind sich alle in diesem Punkte einig. Die harte Praxis sieht bekanntlich - und jede Fraktion weiß ein Lied davon zu singen - meist etwas anders aus. Ohne den Ausbau dessen, was man Infrastruktur nennt, wird das notwendige wirtschaftliche Wachstum gehemmt werden. Schulen, Krankenhäuser, Straßen, vieles andere dient dem einzelnen Bürger, dient aber auch dem Wohlergehen der Gesellschaft von morgen. Nun haben wir davon Kenntnis genommen, daß der Herr Bundeskanzler über ein Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden DM Überlegungen über einen Eventualhaushalt - das bedeutet: Kapitalmarkt - oder eine entsprechende Anwendung des Stabilitätsgesetzes - das bedeutet Konjunkturausgleichsrücklage - angestellt hat. Der Herr Kollege Möller hat soeben auch davon gesprochen. In beiden Fällen soll eine strenge Zweckbindung der Mittel sichergestellt sein. Ich will mich zur zweiten Möglichkeit - Konjunkturausgleichsrücklage - nicht äußern. Was aber die erste anlangt, so ist es mir höchst zweifelhaft, ob der Kreditmarkt bereits kurze Zeit nach Aufhebung von Restriktionen in der Lage sein wird, derartige Anforderungen zu erfüllen, auch im Hinblick auf die Kreditaufnahme in Höhe von 1,5 Milliarden DM für das Offset-Abkommen. ({1}) Die Bundesregierung drückt sich über den Zeitpunkt denn auch vorsichtiger aus, wenn sie sagt: Das machen wir, „wenn es erforderlich ist". Das Stabilitätsgesetz wurde zur Bekämpfung der Überhitzung und Geldwertverschlechterung sowie zur Koordinierung der Ansprüche der öffentlichen Hände an den Kapitalmarkt eingebracht. Die Regierungserklärung erweckt den Anschein, als solle es jetzt als Instrument zusätzlicher Expansion benutzt werden. Damit steht, meine Damen und Herren, die alte Streitfrage zur Diskussion, ob bereits jetzt und heute der Zeitpunkt für die Einleitung einer neuen Expansion gekommen ist, eine Frage, die mein verehrter Kollege Möller bejaht, die ich für meine Person aber verneine. ({2}) Die Wirkung einer zusätzlichen Verschuldung des Bundes auf den Geldwert hängt davon ab, wie die Mittel aufgebracht werden, mit anderen Worten: davon, ob eine neue Geldschöpfung erfolgt oder erfolgen soll oder nicht. Natürlich erkennen wir an, daß Gemeinschaftsinvestitionen eine doppelte Aufgabe erfüllen. Die Bauwirtschaft kann z. B. zum Unterschied von anderen Branchen nicht auf Vorrat arbeiten. Sie ist von der öffentlichen Hand, die über die Hälfte aller Aufträge erteilt, abhängig. Ihr Schicksal entscheidet nicht nur über die 1,3 Millionen Beschäftigten in der Bauwirtschaft, sondern auch über zahlreiche Zulieferer in anderen Branchen. Würde der Markt für die Zukunft weniger Bauleistungen verlangen, müßte man sich damit eben abfinden. Davon aber kann keine Rede sein; denn die Bauerfordernisse der Zukunft sind ungeheuer groß, von der Forschung bis zur Städtesanierung und Raumordnung. Wir müßten, wenn wir heute Kapazitätsvernichtungen größeren Ausmaßes zuließen, diese Kapazitäten in relativ kurzer Zeit wiederbeschaffen, dann aber bekanntlich erheblich teurer. Der Widersinn einer solchen Entwicklung liegt auf der Hand. Aber für den Fall, daß die Belebung entscheidend über den Kapitalmarkt finanziert werden soll, stehen wir sofort wieder vor dem Problem, nachteilige Auswirkungen auf die Stabilität wie auf den Kapitalmarkt selbst zu vermeiden, den Kapitalmarkt, den wir gerade schonen wollen, um ihn nach Inkrafttreten des Stabilitätsgesetzes in geordneten Prioritäten in Anspruch zu nehmen. Wir können meines Erachtens nur Schritt für Schritt vorgehen und müssen zunächst einmal die Gesundung des Kapitalmarkts durch Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes, Schaffung von Prioritäten und Setzung von Akzenten herbeiführen, um uns dann vorsichtig und dosiert wieder dem Kapitalmarkt zuzuwenden. Meine Damen und Herren, die Sorge um das Wachstum beruht entscheidend mit auf der Tatsache, daß wir nach der augenblicklichen Konstellation im Jahre 1967 das .Jahr des geringsten Wachstums seit Bestehen der Bundesrepublik haben, ja, daß in vielen Branchen eine gewisse Tendenz zum allgemeinen Abschwung vorhanden ist. Es ist deshalb auch meine feste Überzeugung, daß der Herr Bundeskanzler recht hat, wenn er von einer Gratwanderung sprach. Jeder Grat ist schmal, meine Damen und Herren, und jeder Grat hat bekanntlich zwei Seiten. Man kann auf der Seite der Überhitzung dorthin hinunterfallen, woher man gekommen ist. Man kann aber auch auf die Seite der Stagnation absinken. Sorgen wir zunächst, daß wir auf dem Grat weitergehen! Ich will gleich noch einige Bemerkungen darüber machen, warum ich die Nichtbeachtung der Stabilität und eine gewisse Akzentverschiebung in Richtung auf Wachstum für verhängnisvoll halten würde. Man muß beachten, daß die mangelnde Investitionsneigung heute nicht mehr so sehr auf die noch bestehenden Kreditrestriktionen zurückzuführen ist, sondern auf zwei weitere Momente, die ich bereits genannt habe, nämlich erstens auf den Rückgang der Aufträge der öffentlichen Hand für produktive Zwecke auf Grund der Kapitalmarkt- und Haushaltslage, zweitens auf die Furcht der Unternehmer vor weiteren übertriebenen Lohnforderungen, sei es von gewerkschaftlicher, sei es von nichtgewerkschaftlicher Seite - in Zeiten der Voll- und Überbeschäftigung ist das so -, in Verbindung mit einer etwaigen Ausuferung der Ideen über die Wachstumspolitik in der Richtung des leichten Geldes. Hier müßte der Hebel angesetzt werden. Denn andererseits hat die Notenbank schon heute einiges zur Verflüssigung der Geldmittel für Investitionen getan. Sie hat keine Gegenmaßnahmen gegen die wachsende Liquidität betrieben, die sich aus der sich dem Ausgleich annähernden Zahlungsbilanz ergibt. Mit einem Exportüberschuß in der Handelsbilanz von 7 bis 8 Milliarden DM kann gerechnet werden. Auf Grund des letzten Zentralbankratsbeschlusses wird Auslandsgeld hereingenommen ohne Erhöhung der Mindestreserve. Die Notenbank hat außerdem die Lockerung der Mindestreserve um 10 % nicht nur für Ultimo angesetzt, sondern auf den Monat Januar ausgedehnt. Meine Damen und Herren, wir erkennen durchaus an, daß die deutschen Betriebe vor schwierigen Aufgaben stehen, die seither der inflationistische Trend und das relative Abgekapseltsein des deutschen Marktes mehr oder weniger verdeckt haben. Wir befinden uns in einer Zeit stärkster technischer Revolutionen und struktureller Umschichtungen, deren Tempo durch die Weltkonkurrenz diktiert ist. Deshalb kann sich die Bundesrepublik Deutschland auch keine wettbewerbsgefährdenden Steuererhöhungen auf der Ertragsteuerseite leisten. Wenn der Staat durch überhöhte Ansprüche gezwungen wird, die Ausgaben zu Lasten der investiven Vorhaben und durch die die Wirtschaftstätigkeit drosselnden Steuererhöhungen zu decken, so besteht die Gefahr einer zusätzlichen Gefährdung der Arbeitsplätze. Der Verlust des Arbeitsplatzes ist jedoch Verlust der sozialen Sicherheit. Dagegen ist ein Abbau überhöhter konsumtiver Leistungen im Interesse eines stetigen Wachstums kein Verlust der sozialen Sicherheit. Nach alledem kann eine ausgewogene Verstärkung der expansiven Kräfte durchaus erforderlich werden. Es kommt dabei auf den richtigen Zeitpunkt an. Aber, meine Damen und Herren, alles in allem stellen wir den Ruf nach der Stabilität der Währung in den Vordergrund. Fragen wir nach den Folgen der Instabilität, so wird es uns deutlich: Schäden einer solchen Politik des Geldwertschwundes würden eintreten, und zwar beim Sparer und Bezieher fester, nicht dynamisierter Einkommen, verbunden mit einem ungeheuren Vertrauensschwund, und ohne die Wiederaufrichtung des Vertrauens des Sparers ist der Kapitalmarkt nicht wieder zu sanieren; er hängt ausschließlich vom Willen und Vertrauen des deutschen Sparers ab. Bei Instabilität entsteht die Gefahr von Fehlinvestitionen wegen Orientierung an nominellen und damit an Scheinzuwachsraten für die Unternehmen wie auch für die öffentlichen Haushalte. Es entsteht die Gefahr der Orientierung der Einkommensübertragungen und der sozialen Leistungen am nominellen Wachstum, das nennen wir Gefälligkeitspolitik. Bei Instabilität ergäbe sich die Lohnpreisspirale mit der Folge der Erhöhung des Kostenniveaus und damit erst recht eine Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Und, meine Damen und Herren, Hand aufs Herz: Es gibt immer noch expansive Kräfte genug, die von selber wirken. Auf Grund der nun einmal gegebenen Rechtslage - ich denke an die Erhöhung der Renten und an die Kriegsopferversorgung -, auf Grund der außenwirtschaftlichen Situation mit einer Exportsteigerung um 10 %, auf Grund des Wachstums des Bundeshaushalts eben wegen dieser Erhöhung der sozialen Leistungen um voraussichtlich 10 %, sind doch bereits starke Expansionskräfte vorhanden. Die Kaufkraft auf dem Konsumgütersektor wird sich ab 1. Januar 1967 wegen dieser Daten, die ich eben genannt habe, um 3 Milliarden DM erhöhen. Dies ist mit von entscheidender Bedeutung bei der Beurteilung der Frage, ob durch zusätzliche Maßnahmen, z. B. durch den sogenannten Eventualhaushalt, noch weitere Wachstumsanstöße wirklich erforderlich sind, oder ob nicht dadurch eine Gefährdung der gerade im Augenblick mühsam erreichten Stabilität ausgelöst wird. Bei Einbringung des Eventualhaushalts würde nämlich ein weiterer Nachfragestoß - allerdings, ich gebe zu, in Richtung der Investitionsgüter - in Höhe von 1,45 bis 2,5 Milliarden DM erfolgen, je nachdem ob Verlagerungen aus dem Bundeshaushalt in den Eventualhaushalt stattfinden oder nicht. Eine Gesamtbetrachtung aller Kräfte, die auf eine Vergrößerung der Nachfrage einwirken, ist daher auch heute noch bei allen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen erforderlich und den Kräften der Angebotserweiterung gegenüberzustellen. Eine Begrenzung der Betrachtung allein auf haushaltsmäßige Auswirkungen genügt dabei nicht. Auch nach der Seite der Beschäftigung ist trotz struktureller Schwierigkeiten, streckenweiser Kurzarbeit und dem Damoklesschwert von Entlassungen in diesen und jenen Branchen noch keine völlige Entspannung eingetreten, wenngleich sich die Verhältnisse gebessert haben. Hatten wir Ende September 1966 rund 113 000 Arbeitslose und 536 000 offene Stellen, so betrugen die Zahlen Ende November 1966 216 000 Arbeitslose und die der offenen Stellen 319 000. Beide Ziffern haben sich also einander angenähert. Aus ihnen folgt aber dreierlei, nämlich erstens, daß wir von einer Massenarbeitslosigkeit, d. h. von einer Krise im Sinne dieses Wortes, weit entfernt sind und daß diese Zahlen durchaus alles andere als alarmierend sind, zweitens, daß der Rückgang der Überbeschäftigung eine nützliche und gewollte Folge der betriebenen Restriktionspolitik war, ({3}) und drittens, daß bei noch immer 1,3 Millionen Gastarbeitern und bei immer noch unausgeglichenem Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und offenen Stellen kein Grund zum überstürzten und abrupten Herumwerfen des wirtschaftspolitischen Ruders besteht. ({4}) Wir sind uns mit der Regierung völlig darüber einig, daß dieser Zeitpunkt irgendwannn einmal gekommen sein kann und wird und daß das Timing eine ganz entscheidende Frage ist. Nach den aufgezeigten Ziffern ist nach meiner Überzeugung der Zeitpunkt heute und hier jedoch noch nicht gekommen. Ich komme damit zum Schluß. Ich möchte auf die außenwirtschaftlichen Fragen nicht eingehen und auch nicht auf die Fragen der EWG. Es ist kein Widerspruch, meine Damen und Herren, zu unserem internationalen Engagement, wenn die Regierungserklärung darauf hinweist, daß wir bei künftigen Verpflichtungen Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit nehmen müssen. Selbstverständlich werden wir übernommene Verpflichtungen erfüllen. Sorgsames Rechnen in der Zukunft entspricht lediglich dem notwendigen verantwortungsvollen Verhalten. Ich glaube, das wird dem Ansehen Deutschlands mehr nützen als schaden. Auch im privaten Leben erfreut sich der größter Wertschätzung, der nicht zu großzügig Versprechungen abgibt, der aber sein einmal gegebenes Wort dann auch halten kann. Meine Damen und Herren, einen Punkt habe ich mir für den Schluß aufgehoben. Ich teile voll und ganz die Aussage des Bundeskanzlers, daß Wissenschaft und Forschung fundamentaler Beachtung wert sind. Wer dies in einer Zeit des Geldmangels für paradox hält, möge sich im Ausland umsehen. Nur die Forschung und Entwicklung schaffen das Brot von morgen. Wir haben noch keinen .Anlaß zu fürchten, wir müßten auf diesem für die Zukunft entscheidenden Gebiet ohnhin ins Hintertreffen geraten. Einen Vorsprung, der nicht aufzuholen wäre, gibt es nahezu auf keinem Gebiet. Voraussetzung dafür ist freilich, daß wir jetzt entschlossen die erforderlichen Maßnahmen treffen. Das wird freilich nur dann möglich sein, wenn wir die lange geforderte Rangordnung endlich verwirklichen und die notwendigen Prioritäten schaffen. Allen, die heute nach dem Kurs der neuen Koalition fragen, möchte ich als Quintessenz dieser Ausführungen zurufen: Die Wirtschaftspolitik wird weiterhin marktwirtschaftlich sein, und das gemeinsame Ziel heißt: Stabilität und Wachstum auf gesunder Grundlage. Die CDU/CSU-Fraktion wird diese beiden Grundpfeiler einer guten Zukunft mit aller Kraft bauen und stützen. Ich möchte aber nicht schließen, ohne mich dem anzuschließen, was Herr Möller vorhin ausgeführt hat. An gutem Willen zu gemeinsamer Zusammenarbeit, zur Stützung der Regierung und zur Erreichung dieser Ziele fehlt es auch nicht bei der CDU/CSU-Fraktion. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Starke.

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe zunächst vor mir selber die Pflicht, ein Wort zu den Schlußworten des Herrn Kollegen Möller, der leider nicht da ist, zu sagen. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir waren etwas bestürzt über die Ausführungen des Kollegen Möller, aus denen wir ersehen haben, daß er sowohl das, was Dr. Dehler gesagt hat, wie auch meinen Zwischenruf bedauerlicherweise falsch aufgefaßt hat, anders, als wir ihn aufgefaßt wissen wollten. ({1}) - Nein, das betrifft ja auch nicht den Kollegen Möller. Ich nahm natürlich an, daß es bei der SPD so aufgefaßt worden ist. Ich habe nur den Kollegen Möller erwähnt, weil er gesprochen hat. ({2}) Das Wort „koalitionswürdig" ist sicherlich ein Wort, das an dieser Stelle nicht paßt. Ich habe mir aber bis jetzt und auch noch einmal zusammen mit Dr. Dehler überlegt, daß es in der Tat kein anderes Eigenschaftswort gibt, das ausgedrückt hätte, was Dr. Dehler ausdrücken wollte. Er wollte nicht verletzen. Was Dr. Dehler gesagt hat, war doch eine ganz sachliche Feststellung. ({3}) Er hat gesagt: Damals, 1949, bestanden Gemeinsamkeiten staatspolitischer Art; aber es bestanden sachliche Gegensätze, insbesondere hat er gesagt - auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Das hat er dann in dem Wort „nicht koalitionswürdig" zusammengefaßt, ohne das in dem Sinne zu meinen, wie es hier aufgefaßt worden ist. Als ich meinen Zwischenruf machte, es sei vornehm gemeint gewesen, hat auch das leider eine falsche Wirkung gehabt, die wir nicht beabsichtigt haben. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, daß Dr. Dehler das in einem vornehmen Sinne gemeint hatte und nicht in einem abwertenden Sinne. Deshalb tut es uns leid, daß das so aufgefaßt worden ist. Ich kann nur die Erklärung abgeben: Das war nicht beabsichtigt, und das ist, von uns aus gesehen, ein Mißverständnis gewesen, das wir bedauern. - Es tut mir leid, daß der Kollege Möller nicht da ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es ihm übermittelten. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir haben bedauerlicherweise denjenigen, dessen Auffassung heute ganz besonders zur Debatte stehen muß, den Herrn Bundeswirtschaftsminister, nicht unter uns. Das ist natürlich bei einer so wichtigen Debatte, in der gerade der Teil erörtert werden muß und schon von zwei Rednern erörtert worden ist, der von ihm stammt, sehr zu bedauern. Für uns stellt sich die Frage, ob, wie es Kollege Schmidt gesagt hat, als er von dem neuen Anfang sprach, auch in der Wirtschaftspolitik ein neuer Anfang sein soll.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Herr Abgeordneter Schmidt!

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Starke, würden Sie bitte so liebenswürdig sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich, jedenfalls nach meinen Informationen, der Wirtschaftsminister zu Verhandlungen im Zentralbankrat in Frankfurt befindet?

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, Herr Kollege Schmidt, in der Zeitung hatte ich zwar gelesen, er fahre nicht. Aber ich nehme jetzt auch an, daß er dort ist. Trotzdem müssen Sie doch zugeben, daß das rein sachlich schlecht ist. Man hätte doch dann die Debatte verlegen können oder irgend so etwas.

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Voller Verständnis für Ihre Bemerkung, Herr Starke, die Frage: Würden Sie zugeben, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt des gegenwärtigen Prozesses der deutschen Volkswirtschaft eine Sitzung des Zentralbankrates von außerordentlicher Bedeutung ist? ({0})

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Kollege Schmidt, ich möchte Ihnen etwas ganz ernst sagen. Selbstverständlich ist das richtig, was Sie sagen. Aber Sie wissen auch, daß es etwas im Widerspruch zu dem steht, was Sie heute morgen über die Bedeutung dieses Parlaments gesagt haben, die auch in der großen Koalition, solange sie amtet, erhalten werden soll. ({0}) Es ist natürlich ein Zusammentreffen. Ich habe mich auch, glaube ich, ganz ruhig und nüchtern ausgedrückt. Ich hätte es begrüßt, wenn man zu Beginn der wirtschaftspolitischen Debatte gesagt hätte: Leider kann der Bundeswirtschaftsminister nicht hier sein. Das wäre auch eine Geste gewesen. Ich meine das gar nicht böse. Aber das gehört zum Stil. Nun zu den Fragen der Wirtschaftspolitik. Wir fragen uns, nachdem wir die Regierungserklärung gehört haben: Liegt hier auch ein neuer Anfang in der Wirtschaftspolitik vor? Dann stellt sich die Frage: Was war denn bisher? Wenn man die Regierungserklärung liest, Herr Bundeskanzler, kommt man schlichtweg zu dem Satz: Bisher war gar nichts in der Wirtschaftspolitik, es sei denn, daß man daraus sogar lesen kann: Es war etwas sehr Schlechtes. Daß irgend etwas Gutes gewesen sei, davon kann man in dieser Ihrer Regierungserklärung aber auch nichts finden. Ich habe unterdessen, da wir wenigstens zwei Tage Zeit gehabt haben, eine Reihe von Persönlichkeiten gehört, die nicht politisch verbildet, sondern draußen im Land sind. Ich habe sie ihnen gegeben, und sie haben mir bestätigt, daß auch sie überhaupt nichts über das finden, was bisher 20 Jahre an Wirtschaftspolitik hier getrieben worden ist. Ist also diese Regierungserklärung, so müssen wir fragen, ein Abgehen von einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik? Von einer Wirtschaftspolitik, die uns nach Auffassung der Freien Demokraten zu den höchsten Leistungen befähigt hat, von einer Wirtschaftspolitik, die bewirkt hat, daß die Arbeit aller in Deutschland zur höchsten Effizienz gekommen ist - weshalb wir diese großen Aufbauleistungen hatten -, von einer Wirtschaftspolitik, durch die wir uns Achtung in der ganzen Welt verschafft haben und die uns besondere Kraft und Rückhalt gegeben hat für unsere Außenpolitik, die wir zu treiben hatten? Dr. Dehler hat heute morgen schon darauf hingewiesen, daß wir Freien Demokraten diese Wirtschaftspolitik besonders mit dem früheren Bundeswirtschaftsminister getragen haben, natürlich auch mindestens mit Teilen der CDU/CSU. ({1}) - Ja, gewiß! Nicht mit allen! Ich möchte sogar weitergehen, wenn ich an die Jahre denke, in denen es darauf ankam. Sie ist gemeinsam von uns erkämpft worden. So ist es denn ein wenig betrüblich, daß wir eine Regierungserklärung haben, die von einem Bundeskanzler, der der CDU angehört, abgegeben wird und in der das alles sozusagen nicht mehr vorhanden ist. ({2}) Ich glaube, man sollte an dieser Stelle ruhig darauf hinweisen, daß einer der beiden Koalitionspartner, wie es Dr. Dehler heute morgen gesagt hat, einen gewaltigen Wandel in seinen Auffassungen durchgemacht hat. Das war ein Wandel hin zu der Wirtschaftspolitik, die 20 Jahre betrieben worden ist. Das kann man doch in einer Regierungserklärung nicht weglassen. Ich glaube, wir können sagen: Die Wirtschaftspolitik der Vergangenheit ist in der Regierungserklärung dieses neuen Bundeskanzlers nicht erwähnt worden. Sie werden mir gestatten, Herr Präsident, daß ich hier aus einer anderen ersten Rede, nicht der Regierungserklärung, aber meiner ersten Haushaltsrede, ganz kurz zitiere, was ich in einer solchen gleichen Lage gesagt habe, als wir, aus der Opposition kommend, in die Regierung 1961 eintraten. Es war dann im März 1962, als ich diese Haushaltsrede hielt. Ich habe den Eindruck gehabt, daß wir in all dem, was wir waren, auf dieser Wirtschaftspolitik basierten. Ich bedaure, daß das in der jetzigen Regierungserklärung so ganz und gar nicht zum Ausdruck kommt. Ich habe damals gesagt: Wir haben in den 14 Jahren seit der Währungsreform in der Bundesrepublik große Erfolge auf vielen Gebieten aufzuweisen. Sie beruhen auf der richtigen Weichenstellung für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie für eine gesunde Währungs- und Finanzordnung, die die gleiche Regierungskoalition wie heute voll Zuversicht und Mut vor allem in den Jahren 1947 bis 1953 durchgesetzt hat.... Diese Erfolge beruhen aber nicht weniger auf der harten Arbeit aller Bevölkerungsschichten, in Haus und Familie, in Betrieb und Büro, in Stadt und Land. Die Welt sah und sieht auf diese Erfolge, auf die mutigen Entscheidungen in Regierung und Parlament ebenso wie auf die Tüchtigkeit, das Geschick und den Arbeitswillen unseres Volkes. Ich glaube, es ist gut, wenn man wenigstens von der Opposition aus das, was uns bis dorthin gebracht hat, wo wir heute sind, einmal erwähnt, wenn es schon in der Regierungserklärung nicht getan wird. ({3}) Der Herr Kollege Barzel hat dann davon gesprochen, weitergehend als die Regierungserklärung, daß Bewährtes bewahrt werden soll, Erfolgreiches fortgeführt und Neues begonnen werden soll. Damit ist natürlich nicht die Frage beantwortet, ob nun hier eine neue Wirtschaftspolitik beginnt oder nicht. Unser Eindruck ist, daß hier versucht wird, 20 Jahre Wirtschaftspolitik sozusagen auszulöschen, so daß über sie nicht mehr gesprochen werden soll. ({4}) - Es wird nicht erwähnt; das nennt man auslöschen. ({5}) Dabei haben diese Wirtschaftspolitik und die von der Bundesbank in Übereinstimmung mit der Bundesregierung betriebene Politik, auch die Kreditpolitik, zu den Erfolgen geführt, die jetzt zur Zeit vorliegen und die Herr Kollege Barzel zu Recht als eine gewollte Politik bezeichnet hat. Ich sage Ihnen, ich schließe mich dem voll und ganz an. Das war gewollt, was auf der anderen Seite von der SPD hier als schwere, tiefgreifende, kaum wiedergutzumachende Krise dargestellt wird. Wem es in diesem Hohen Hause entgangen ist, welch absolut unterschiedliche Darstellung von den beiden Koalitionspartnern über die derzeitige Wirtschaftslage gegeben wird, dem kann ich nur noch einmal ins Gedächtnis rufen: Was auf der einen Seite eine Krise ist, was in der Regierungserklärung die Folge einer schlechten Politik ist, das ist nach Herrn Barzel eine gewollte Politik dank der guten bisherigen politischen und vor allem wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Das ist die Situation, von der Sie abgewandelt heute immer wieder hören konnten. Ich frage mich natürlich nur, wie nach einer solchen Darstellung der Kollege Barzel von dem Spielraum spricht, den wir jetzt haben und ausnutzen. Hier liegt ein wenig eine Flucht vor der Realität vor. Ich möchte angesichts der Meinungsverschiedenheiten, die hier aufgetreten sind, für die Freien Demokraten ganz eindeutig feststellen: Auch die Freien Demokraten wollen eine Belebung der Investitionstätigkeit zur Belebung der Wirtschaft, aber ohne Gefährdung der Stabilität von Währung und Wirtschaft, ({6}) das heißt, auf der Basis geordneter Staatsfinanzen, ({7}) die von der Ausgabenseite her saniert sein müssen, ({8}) auf der Basis erträglicher Kostenentwicklungen in der Wirtschaft und auf der Basis langfristig gesicherter Arbeitsplätze. ({9}) Ich möchte jetzt anfügen: Auch eine breite parlamentarische Basis der Bundesregierung, von der in der Regierungserklärung gesprochen wird, vergrößert nämlich den auch nach der Regierungserklärung eingestandenermaßen verringerten Wachstumsspielraum in unserer Wirtschaft in gar keiner Weise. Übersteigerte Wachstumspolitik insbeson3754 dere zur Deckung von Milliarden-Haushaltsdefiziten der kommenden Jahre würde lediglich die Preis-Kosten-Spirale verstärkt in Bewegung setzen, die Defizite aber nicht decken, wohl aber die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unterminieren und letzten Endes die Arbeitsplätze gefährden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen an dieser Stelle sagen, daß auch aus den Leitlinien des Herrn Bundeskanzlers zur. Haushaltspolitik in der Regierungserklärung deutlich zu ersehen ist, daß Stabilität und Geldwert in Zukunft ganz klein, Wachstum aber ganz groß geschrieben werden soll. ({10}) Es heißt in dem einen Passus wörtlich: Nur eine . . . wachsende Wirtschaft kann uns jene Staatseinnahmen erbringen, die . . . gebraucht werden. Das ist der gefährlichste Satz der Regierungserklärung, meine Damen und Herren. ({11}) Die Frage des möglichen Wachstums ist eine Frage für sich, und die Frage der Haushaltsdefizite und der notwendigen Staatseinnahmen ist eine zweite Frage. Wer das Wachstum aus Gründen mangelnder Staatseinnahmen betreibt, so wie es hier angedeutet wird, ist auf einem gefährlichen Weg, vor dem wir warnen müssen. ({12}) In der Regierungserklärung wird auch übersehen, die Stabilität als Maßstab für die Finanzierung von Investitionen durch Kredite zu erwähnen. Das ist einer der wichtigsten Maßstäbe, die man dafür aufstellen kann. In diesem Teil der Regierungserklärung waltet offensichtlich ein mehr theoretisches Denken. Das Dilemma liegt doch für uns, so möchte ich es zusammenfassen, nicht im Wachstum allein. Es liegt doch in den öffentlichen Finanzen und in der Kostenentwicklung in der Wirtschaft, wie es gerade auch der Kollege Pohle zum Ausdruck gebracht hat. ({13}) Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß ich ein wenig gerecht verteilen. Ich habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß es in der neuen Koalition auch Stimmen gibt - in der CSU Herr Pohle, Herr Bauer ({14}) und auch Bundesminister Schmücker -, die sich für diese Stabilität einsetzen. ({15}) - Nun, sie haben es hier gesagt; deshalb erwähne ich sie. Insbesondere Herr Schmücker hat nach einer UPI-Meldung gesagt, er halte die Restriktionspolitik der Bundesbank für erfolgreich; diese in enger Zusammenarbeit mit der Bundesregierung geführte Politik habe im letzten halben Jahr zu einer erheblichen Stabilisierung des Preisniveaus geführt. Er hoffe, daß auch die neue Regierung diesen Kurs beibehalte. - Ich bitte Sie darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß in der Regierungserklärung das genaue Gegenteil steht. ({16}) Ich habe noch eine zweite Meldung hier, die den Herrn Bundesfinanzminister betrifft. Ich möchte den Herrn Bundesfinanzminister, weil es mir wirklich sehr am Herzen liegt, direkt fragen. In dieser UPI-Meldung, die vom 11. 12. 1966 datiert ist, heißt es: In einem Zeitungsinterview mit dem IndustrieKurier erklärte Strauß, die Steuerpolitik müsse das stetige Wachstum der Wirtschaft fördern. - Sicherlich! Und dann geht es weiter: Ohne ein gesichertes wirtschaftliches Wachstum werde es auf die Dauer keine Stabilität der Währung geben. Eine Finanzpolitik, die der Stabilität der Währung einseitig Vorrang einräume, selbst um den Preis einer wirtschaftlichen Stagnation und einer Rezession, wäre zum Scheitern verurteilt. Ich hätte gern gewußt, Herr Bundesfinanzminister, ob Sie der Meinung sind, daß wir bisher eine solche zur Stagnation führende Finanzpolitik geführt haben, oder weshalb Sie das jetzt in dieser Situation sagen. ({17}) Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zusammenfassend zu diesen Grundsätzen wirtschaftspolitischer Art folgendes sagen. Ich bin seit 1953 in diesem Hohen Hause, und ich habe in diesen 13 Jahren auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet einiges miterlebt, ganz abgesehen davon, daß ich auch einmal die Ehre hatte, in der Bundesregierung auf dem Gebiet der Finanzpolitik mitzuwirken. Aber ich habe es in diesen 13 Jahren noch nicht erlebt, daß in einer Regierungserklärung, die von einem Bundeskanzler abgegeben wird, der der CDU angehört, die eigene Partei einen so schlechten Ausweis erhält, wie es hier geschieht. Das ist sicherlich in der Absicht geschehen, um die Freien Demokraten, die mit in der Regierungskoalition waren, zu treffen. Dann ist aber den Verfassern oder dem Verfasser der Regierungserklärung ganz entgangen, daß dabei auch das eigene Nest der CDU/CSU ganz erheblich mit getroffen wird. ({18}) - Nein, ich stelle es aber fest. Denn Sie wissen, daß wir eine ganze Reihe von Punkten gemeinsam vertreten haben. Es ist gut und notwendig, daß man das zum Ausdruck bringt. Ich möchte jetzt noch etwas berühren, was der Herr Kollege Schmidt erwähnt hat, nämlich die Frage der Bestandsaufnahme, die hier zum erstenmal - wie er sagt - gemacht worden ist. Ich stelle fest, daß diese Bestandsaufnahme eine Bestandsaufnahme der alten Regierung war, die dann durch die Regierungskrise in dieser Form an die sozialdemokratische Fraktion gekommen ist. Ich möchte aber angesichts der Worte von der Verschleierung - gemeint ist Bundesfinanzminister Dahlgrün -, die heute wieder gefallen sind, Ihnen noch einmal ausdrücklich folgendes sagen - und ich wäre dankbar, wenn Sie, Herr Kollege Schmidt, jetzt einmal zuhören könnten -: Ich habe hier eine Liste, die sich mit dem Unterschied der Finanzvorschau im Finanzbericht vom Februar 1966 und der Vorausschau vom November 1966 befaßt. In dieser Liste ist festgehalten, woraus sich die Unterschiede ergeben. Ich habe am Rande nur einige Positionen zusammengezählt. Dort ergibt sich für 1970 - das ist nämlich das Jahr, über das wir am meisten erstaunt waren - im Defizit ein Unterschied von 6 Milliarden DM. Das heißt also, diese nur wenigen Positionen machen ein höheres Defizit von 6 Milliarden DM aus. Bei beinahe 5 Milliarden DM handelt es sich um Veränderungen, die vorgenommen worden sind, ohne daß eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Es wird angenommen, daß man hier mehr ausgeben müsse und daß deshalb das Defizit größer sein werde. Ich möchte Sie noch einmal dazu auffordern, sich mit uns in einer meinetwegen von Ihnen zu bestimmenden Form zusammenzusetzen, damit wir - ich denke, das kann in etwa einer halben Stunde erledigt sein - diese Zahlen vergleichen. Ein zweites richtet sich an die CDU/CSU, und zwar an den im Augenblick nicht anwesenden früheren Bundeskanzler Professor Erhard. Ich habe das neulich hier schon angekündigt. Wir fordern ihn nunmehr auf, sich öffentlich dazu zu äußern, ob der frühere Bundesfinanzminister Dahlgrün, der mit ihm drei Jahre zusammengearbeitet hat, hier Dinge verschleiert hat. Denn nur durch den Zahlenvergleich und durch diese öffentliche Äußerung des früheren Bundeskanzlers wird es möglich sein, endlich einmal diesen Äußerungen, die doch mehr oder weniger Behauptungen sind, den Boden zu entziehen. Weiter möchte ich Ihnen, Herr Kollege Schmidt, zu dem, was Sie heute vormittag zur Wirtschaftslage dargestellt haben - das bezieht sich auch auf das, was Herr Kollege Möller am Nachmittag erklärt hat -, sagen, daß wir dieser Darstellung nicht zustimmen. Wir sind der Meinung, daß diese Darstellung einseitig ist und daß sie auch in gewisser Weise eine Zweckdarstellung ist. Sie ist nämlich die Begründung für das, was in der Regierungserklärung über die expansive Wachstumspolitik gesagt wird. Wir sind der Auffassung, daß hier - ich komme dann noch einmal darauf zurück - die Akzente in der Regierungserklärung viel zu stark in die Richtung der Expansion gesetzt sind, wenn man berücksichtigt, welche realen Möglichkeiten für ein Wachstum im Jahre 1967 vorliegen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir uns fragen, wenn die Regierungserklärung nach einem so erfolgreichen Aufstieg, an dem die Partei des jetzigen Bundeskanzlers in der Regierung mitbeteiligt war, sich mit dieser Wirtschaftspolitik, die diesen Aufstieg trug, gar nicht mehr befaßt, so muß sie wohl versagt haben. Da auch wir Freien Demokraten ein optimales, d. h. den realen Gegebenheiten entsprechendes Wirtschaftswachstum wollen, müssen wir das prüfen. Dann stellt sich heraus, daß es nicht stimmt. In Wirklichkeit sind die Wachstumsraten, getragen von der Wirtschaftspolitik der Marktwirtschaft, mit die höchsten gewesen, die es in diesem Zeitraum gegeben hat; vor allen Dingen sind sie wohl am längsten hintereinander aufgetreten. Demgegenüber stellen wir jetzt von uns aus fest, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß diese Wirtschaftspolitik nicht versagt hat. Deshalb ist es staunenswert, daß sie in der Regierungserklärung nicht erwähnt wird. Geschehen ist aber dies: wir haben diese Wirtschaftspolitik überfordert. ({19}) Selbst sie in ihrer hohen Leistungskraft ist von dem überfordert worden, was sich abgespielt hat. Ich möchte mir erlauben - der Herr Präsident wird nichts dagegen haben -, noch einmal kurz auf meine Rede zum Haushalt des Jahres 1962 zurückzugreifen und Ihnen zu sagen, daß ich schon damals darauf hingewiesen habe, indem ich nämlich gesagt habe: Wenn wir diesen Weg unseres Volkes in dem letzten Jahrzehnt betrachten, dann dürfen wir neben den Erfolgen, von denen ich sprach, aber auch nicht übersehen, daß wir mindestens in den letzten Jahren versucht haben, ... mehr zu vollbringen, als unsere Kräfte zuließen. Ich habe dann mit der Bemerkung abgeschlossen: Wenn wir uns heute in der Bundesrepublik fragen: Geben wir nicht auch mehr Geld aus als angebracht ist?, dann antworte ich aus tiefster Einsicht und Überzeugung: Ja, auch wir! Sehen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, da haben Sie das, worauf es ankommt. Es ist eine Überforderung gewesen. Nun ist in der Regierungserklärung ein Blick zurück geworfen worden, und zwar ein Blick zurück in etwa bis zum Jahre 1965, bei dem dann in einer wiederum höchst einseitigen Weise bestimmte Tatbestände herausgesucht worden sind, um eine gewisse Grundlage für diese neue Koalition aufzubauen, die eben wahrscheinlich in einer scharfen Gegnerschaft gegen die Freien Demokraten bestehen soll. Anders ist es nicht zu verstehen. Ich muß Ihnen deshalb hier noch einmal um der Gerechtigkeit willen sagen, daß schon im Jahre 1961/62 die Freien Demokraten die Gefahren, die ich Ihnen soeben schon nannte, erkannt haben und daß sie damals schon vor diesen Gefahren, die heute riesengroß vor uns stehen - die damals noch kleiner waren - gewarnt haben, insbesondere vor der Überforderung unserer volkswirtschaftlichen Kräfte. Ich habe mit großer Genugtuung durchgelesen, Herr Bundeskanzler, was in Ihren Leitsätzen zur Haushaltspolitik steht, und ich kann Ihnen versichern - ich werde mir erlauben, Ihnen ein Exemplar zuzuschicken, auch wenn Sie jetzt keine Zeit haben; ich tue es, damit Sie es in der Hand haben -: fast alles, was in Ihren Leitsätzen zur Haushaltspolitik gesagt wird, habe ich in meinen Haushaltsreden von 1962 für die Haushalte 1962 und 1963 gefunden. Genau dort ist auf alles das abgehoben, was jetzt als das Neueste auf diesem Gebiet dargestellt wird. Warum sage ich das? Ich sage das deshalb, um Ihnen vor Augen zu führen, daß diese Leitsätze durchaus keine neuen Erkenntnisse sind, sondern Erkenntnisse, die wir bereits gehabt haben, die aber insbesondere wir Freien Demokraten durch meinen Mund hier 1962 vorgetragen haben. Ich sage es aber zweitens auch deshalb, weil es eben gar nicht darauf ankommt und weil es gar nicht neu ist, solche Leitsätze vorzutragen, sondern einzig und allein darauf, diese Sätze in der Praxis zu verwirklichen, in die Tat umzusetzen. ({20}) Das ist es, worauf es ankommen wird. Ich möchte - so reizvoll es wäre - hier nicht auf diese Fragen eingehen; aber ich habe mir wenigstens eines notiert, und das wollte ich Ihnen doch vorlesen, weil es von einer so ungeheuren Aktualität ist, daß ich - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - auch diesen Passus noch vorlese. Sie werden, wenn Sie mit mir einmal darüber nachdenken, daß wir in einer abgeschwächten Wirtschaftssituation sind - genau so wie damals -, verstehen, was ich mit Aktualität meine. Ich habe damals, im November 1962, gesagt: Glauben wir nicht, daß wir dem Zwang zur Sparsamkeit und zur Besonnenheit durch Steuererhöhungen entgehen können. Wir haben nicht zu wenig Einnahmen - das gilt insgesamt für die öffentliche Hand -, wir haben zu viel Ausgaben. Ich habe über das langsamere Wirtschaftswachstum gesprochen. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zunehmend in Gefahr gerät. Die Wirtschaft steht unter einer Kostenbelastung, die von den Löhnen, von den sozialen Abgaben und von den Steuern her beeinflußt wird. Es heißt alles gefährden, was wir gemeinsam aufgebaut haben, wenn wir der Wirtschaft, deren Produktivität aus vielen Gründen langsamer wächst, neben den Lohnerhöhungen und neben den steigenden sozialen Lasten auch noch Steuererhöhungen auferlegten. Wir sind auf Vollbeschäftigung angewiesen, schon weil sonst das großzügige System unserer sozialen Leistungen nicht bezahlt werden kann. Wir sind aber auch auf hohe Deviseneingänge angewiesen; denn wir alle wissen, welche großen außerkommerziellen Devisenverpflichtungen für unseren Staat auf den verschiedensten Gebieten entstehen. Kommen wir aus Wettbewerbsgründen erst einmal in stagnierende Ausfuhren und weiter steigende Einfuhren, dann schmelzen Devisenvorräte bekanntlich schnell dahin. Sie werden mir recht geben, wenn ich Ihnen sage, daß das genau auf unsere Situation paßt. Es war damals vorausgesehen, wie unsere weitere Entwicklung sein würde. Zu den Kollegen von der Sozialdemokratie gewendet, möchte ich noch sagen: Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ganz so ist es nicht, daß Sie nie und zu keiner Zeit irgendetwas gewußt haben. Sie sehen, daß der Trend, in dem wir standen, von mir schon damals dargestellt worden ist. Wie ging es nun weiter? - Es kam das berühmte Jahr 1965, das Jahr, in dem, wie die Regierungserklärung sagt, Gesetze mit über 6 Milliarden DM Mehrausgaben beschlossen wurden. Das wird in eine besondere Verbindung mit dem damaligen Bundesfinanzminister und seinen sonstigen Maßnahmen gebracht, so daß damit eben deutlich gesagt sein soll: das ist die falsche Politik der Freien Demokraten. Ich stelle hier noch einmal vor aller Welt fest, daß die 6 Milliarden DM Mehrausgaben, die wir 1965 beschlossen haben, entgegen meinen Warnungen in den Jahren zuvor von allen drei Parteien dieses Hohen Hauses beschlossen worden sind. Wenn Sie keine andere Gemeinsamkeit in Ihrer neuen Koalition hätten - diese jedenfalls hätten Sie in der Vergangenheit gehabt. ({21}) - Ich sage ja nur: Sie haben auch! ({22}) Dann möchte ich noch ein Wort zu der Bemerkung sagen, daß die damalige Steuersenkung etwas höchst Verderbliches gewesen sei. Wir haben auch damals gewußt, daß ein Teil sowohl in der SPD wie bei Ihnen in der CDU gegen diese Steuersenkung war. Das enthebt mich nicht der Mühe, Ihnen aus meiner Kenntnis der Dinge, einfach aus der Realität heraus zu sagen: Ohne die Steuersenkung wäre dieses Geld auch noch durch Ausgabenbeschlüsse verbraucht worden. ({23}) Ich sage das, damit wir einmal ganz klar wissen, worum es ging. Wenn ich nämlich damals von der SPD, von der CDU etwas über diese Steuersenkung gehört habe, dann war es immer nur der Satz: wir brauchen doch das Geld, weil noch andere Gesetze beschlossen werden müssen. Deshalb hat Herr Dahlgrün damals - und mit Recht - gesagt: das Geld ist in der Tasche des Staatsbürgers besser aufgehoben. Und es gibt noch ein zweites: Das Jahr 1965 endete nicht mit der Bundestagswahl, sondern erst nach der Bundestagswahl, und in diesem letzten Teil des Jahres 1965 hat sich etwas sehr Wichtiges abgespielt, das ich heute noch einmal hervorheben möchte. In der Regierungserklärung ist nämlich das Haushaltssicherungsgesetz - sicherlich ein schrecklicher Name - sehr stiefmütterlich behandelt. Das ist auch wieder eine Sache, die man eigentlich nicht versteht, wenn man sich überlegt, daß die CDU/CSU - auch wir natürlich, aber auch die CDU/CSU Dr. Starke das Gesetz mit verabschiedet hat. Trotzdem wird es in der Regierungserklärung ganz schlecht behandelt. Nun ja, die SPD hat es nicht mitgemacht. Aber ich frage mich, warum die Regierungserklärung so sein muß. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß - im Gegensatz zur Regierungserklärung - die Freien Demokraten im Haushaltssicherungsgesetz 1965 sowie in dem Finanzplanungsgesetz und dem Steueränderungsgesetz dieses Jahres den richtigen Weg sehen, um die sprunghaft steigenden Ausgaben des Bundeshaushalts einzudämmen. ({24}) - Sie wissen genau, daß ich das berichtigt habe, - oder vielleicht waren Sie nicht mehr da. Wir haben dein Gesetz bei der Einzelabstimmung zugestimmt, bis auf zwei Positionen - glaube ich -, für die wir andere Deckungsvorschläge gemacht hatten. Aber wir haben bei der Schlußabstimmung, weil andere Bestimmungen, die wir nicht billigten, darin waren, vom Recht der Opposition Gebrauch gemacht, ihm nicht zuzustimmen. Das haben wir neulich schon gesagt. Ich darf noch einmal sagen: Diese sprunghaft steigenden Ausgaben des Bundeshaushalts stammen doch gerade aus den von allen drei Parteien beschlossenen Gesetzen des Jahres 1965. Die Sozialdemokratische Partei hat sich schon im Jahre 1965 diesem richtigen Weg ohne Alternative verschlossen; sie hat dem Gesetz nicht zugestimmt. Die CDU/ CSU dagegen hat mit uns dieses Stabilisierungsgesetz verabschiedet. Aber sie hat dann im Herbst 1966, also dieses Jahres, diesen unpopulären Weg, der ein richtiger Weg war, verlassen: Sie hat es damals mit einer Erklärung getan - es ist eine dpa-Meldung, die ich unten auf meinem Platz gelassen habe -, in der sie sagt: Wir müssen jetzt endlich aufhören, jedes Jahr solche Gesetze zu machen, die frühere Gesetze aufheben. Meine sehr geehrten Kollegen von der CDU/CSU, das ist eben nicht möglich. Seit diesem Zeitpunkt haben Sie zwar zeitweilig daran geglaubt, daß Sie sich diesem beschwerlichen Weg durch Steuererhöhungen entziehen könnten. Sie werden aber unterdessen schon gemerkt haben, daß Sie trotzdem wieder zu den Maßnahmen, wie sie in diesem Gesetz standen und die wir noch ausdehnen wollten, werden zurückkehren müssen. Wir stehen vor der Frage, was jetzt notwendig und möglich ist. Ich möchte meine Ausführungen zu diesem sehr wichtigen Teil dahin zusammenfassen, daß ich sage: wir haben unstreitig zu verzeichnen eine zunehmende Geldentwertung, einen fast völlig unergiebigen Kapitalmarkt, eine steigende Kostenbelastung in der Wirtschaft und eine große Sorge vor mangelnder Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland. Diese Probleme haben sich in einer zunehmenden Beunruhigung der Bevölkerung und in einer Vertrauenskrise niedergeschlagen, und sie haben insgesamt zu mangelnden Investitionsmöglichkeiten und geringerer Investitionsbereitschaft der privaten Wirtschaft und damit auch zur Gefährdung von Arbeitsplätzen geführt. Entscheidend sind die Ursachen ,dieser Situation. Sie sind zu sehen erstens in übermäßig aufgeblähten Staatsausgaben, zweitens in sprunghaft wachsenden Haushaltsdefiziten, drittens in überproportionalen Einkommensentwicklungen und viertens in jährlich ansteigenden Soziallasten, kurz zusammengefaßt: in einer ständigen Überbeanspruchung unserer volkswirtschaftlichen Kräfte, wie ich das schon 1961/62 ankündigte. Diese Probleme müssen, wie ,das schon von der letzten Regierung in Aussicht genommen war, in einem einheitlichen Vorgehen von Staat, Wirtschaft und Sozialpartnern angepackt werden. Die Erhaltung des Geldwerts und die dauernde Sicherung der Arbeitsplätze sowie der geringe Spielraum auf dem Arbeitsmarkt und die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbieten dabei jeden auch nur zeitweiligen Vorrang einer Wachstumspolitik ohne Rücksicht auf die Stabilität. ({25}) Hier unterscheiden wir uns in der Akzentsetzung von der Regierungserklärung; das möchte ich ausdrücklich festhalten. Wer diese Probleme allein durch Steuererhöhungen auf der einen Seite und durch Kreditausweitung auf der anderen Seite lösen wollte, kurierte nur an Symptomen und packte das Übel nicht .an der Wurzel an. ({26}) - Ich spreche hier von der Regierungserklärung. Jede Lockerung der Kreditpolitik ,der Bundesbank - einer solchen Lockerung werden sich auch die Freien Demokraten nicht widersetzen; in einem gewissen Umfang ist sie schon erfolgt - muß deshalb begleitet sein erstens von einem Ausgleich des Bundeshaushalts 1967 möglichst ohne Steuererhöhungen, die konjunkturpolitisch fehl am Platze sind, zweitens von einer Stabilisierung der öffentlichen Finanzen im Sinne einer Sanierung der Haushalte von der Ausgabenseite her; dabei müssen die jetzt besonders dringlichen wachstumsfördernden Investitionsausgaben der öffentlichen Hand Vorrang genießen vor Konsumausgaben, Subventionen und Umverteilung. - Wir müssen bedenken, daß nach der letzten Zahl, die mir zur Verfügung steht, der Bundeshaushalt 1967 gegenüber dem Haushalt 1966 auf dem Gebiet ,der Konsumausgaben um 8 % steigt, auf dem Gebiet der Investitionsausgaben aber nur um 1 %. Hier liegen die Ursachen für die fehlenden Investitionsaufträge, deren jetzt die Wirtschaft in vielen Bereichen bedürfte. Es ist ganz ausgeschlossen, daß man die Konsumausgaben erhält und aufrechterhält und etwa nun durch Manipulationen versucht, noch die Mittel für Investitionsausgaben aufzustocken. ({27}) Drittens muß jede Lockerung der Kreditrestriktion begleitet sein von einer Verabschiedung des Stabi3758 litätsgesetzes und von einer Koordinierung der Kapitalmarktansprüche der öffentlichen Hand einschließlich der des Bundes. Wenn man so vorgeht, und nur, wenn man so vorgeht, kann insgesamt ein finanzpolitischer Rahmen gezogen werden, der zu einer stabilitätskonformen Politik der Sozialpartner führt. Jede freiwillige Vereinbarung, die die Entwicklung der Produktivität berücksichtigt und die nicht durch zusätzliche Steuerbelastung erschwert werden sollte, ist dabei zu begrüßen und wird von uns begrüßt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen auf dem Standpunkt, daß wir die Lohnleitlinien oder die Orientierungsdaten nicht so gern vom Staat aus bekanntgegeben sehen. Wir sind der Meinung, daß es zweckmäßiger ist, wenn etwa der Sachverständigenrat oder die Institute diese Zahlen nennen und dann in den Gesprächen, die zwischen Regierung und Arbeitgebern und Arbeitnehmern, den Sozialpartnern, geführt werden, diese Daten erörtert werden. Vor allem aber müssen wir auch an dieser Stelle noch einmal vor einem leichtfertigen Antasten der Tarifautonomie der Sozialpartner warnen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil jedes Antasten zugleich der erste Schritt in eine andere Entwicklung als unsere bisherige freiheitliche Entwicklung ist. ({28}) Nur auf diesem Wege, wie ich ihn schilderte, lassen sich auch die Kosten der Wirtschaft derartig gestalten, daß sie wettbewerbsfähig bleibt, daß sie wieder Vertrauen in die Zukunft gewinnt und größere Investitionsbereitschaft zeigt. Neue Belastungen aus Sozial- und Steuergesetzen müssen dabei jetzt unbedingt vermieden werden. Nur so kann auch der Kapitalmarkt für die Wirtschaft und ihre Investitionen nutzbar gemacht werden, ohne daß er etwa vorab ohne Koordinierung auf dem Wege über das Stabilitätsgesetz sofort wieder von den Ansprüchen der öffentlichen Hand deroutiert wird. Nur auf diesem Wege, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann in der Zukunft auch eine einseitige Stabilitätspolitik vermieden werden, wie wir sie in den letzten zwei Jahren geführt haben, die dann allein zu Lasten der Wirtschaft und damit letztlich der Arbeitsplätze geht, während die öffentliche Hand fortlaufend Instabilität erzeugt. Ich fasse das alles noch einmal zusammen und sage: Nur eine solche allseitige Stabilität kann also die Grundlage für das sein, worauf es jetzt ankommt: für mehr Vertrauen in Bevölkerung und Wirtschaft, für eine nachhaltige Belebung der Wirtschaft, für ein gesundes und reales - nicht nur ein nominelles - Wachstum, für die Sicherung, und zwar die dauernde Sicherung der Arbeitsplätze, für die Aufrechterhaltung der sozialen Leistungen und für die Erhaltung des Geldwertes und für dauernden Wohlstand. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind nicht der Meinung, daß diese Forderungen, wie wir sie hier stellen, um zu den gesunden Lösungen zu kommen, in der Regierungserklärung auf diesem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik enthalten sind. Lassen Sie mich damit schließen, daß ich sage: Nur eine solche Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie ich sie hier in knappster Form umrissen habe, erhält uns - und das ist das Wichtigste für uns heute - die freiheitliche Ordnung in Wirtschaft und Gesellschaft, die in den letzten 20 Jahren so außerordentlich erfolgreich war. Eine solche Wirtschafts- und Finanzpolitik erspart uns zunehmende staatliche Eingriffe, und vor allem erhält sie uns die Antriebskräfte der Freiheit, die uns zu so großen Leistungen befähigt haben. An dieser freiheitlichen Ordnung hat unser ganzes Volk, jeder an seiner Stelle, mitgearbeitet. Alles, was wir sind, beruht auf ihr. Hüten wir uns, diese freiheitliche Ordnung zu verlieren! ({29})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Bundesschatzminister. Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz zu dem ersten Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Starke Stellung nehmen. Ich will versuchen, es zu tun, ohne an Leid und Leidenschaften der letzten Wochen zu rühren. Aber, Herr Kollege Starke, Ihre Rede erfordert nach meiner Meinung eine Klarstellung oder - ich darf es etwas bescheidener sagen - eine Gegenrede. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß sich die beiden Fraktionen CDU/CSU und SPD zu einer Koalition auf Zeit zusammengefunden haben. Sie beabsichtigen sogar, durch einen institutionellen Zwang dafür zu sorgen, daß nach Beendigung dieser gemeinsamen Arbeit zwischen den Parteien der heutigen Regierungskoalition wieder das Alternativverhältnis von Regierung und Opposition eintreten kann. Aber diese Ankündigung war doch keine bloße Floskel, um gegen das Zweckgerede von Proporzdemokratie oder ähnliches anzugehen, sondern sie bestätigt ausdrücklich, daß beide Parteien - auch mehrere Redner der SPD und der CDU/CSU haben das gesagt - sehr wohl ihre politische Eigenständigkeit sehen und bewahren werden. Politische Eigenständigkeit ist aber nur bei unterschiedlichen Auffassungen gerechtfertigt. Ebensowenig wie wir versuchen werden, die Sozialdemokraten von ihren Grundsätzen abzubringen, brauchen Sie Sorge zu haben, daß wir unsere Grundsätze aufgeben. Zu diesen Grundsätzen gehört die soziale Marktwirtschaft als fester Bestandteil. ({0}) Die marktwirtschaftliche Konzeption ist Bestandteil der Regierungsarbeit. Über eines, Herr Kollege Starke, freue ich mich: daß Sie ein anerkennendes Wort über Ludwig Erhard gefunden haben. Aber auch diesen Ludwig ErBundesminister Schmücker hard lassen wir von der CDU/CSU uns nicht stehlen! ({1}) Natürlich - ich sagte es - bleiben unterschiedliche Auffassungen auch weiterhin bestehen. Das aber ist gerade die große Leistung der CDU/CSU und der SPD: daß sie in einem kritischen Zeitpunkt diese Unterschiede beiseite schieben konnten, um unserem Land in kürzester Frist eine handlungsfähige Regierung zurückzugeben. ({2}) Es ist heute nicht sehr viel, aber doch genug von der Vergangenheit geredet worden. Wo etwas gesagt wurde, konnte nicht die Befangenheit überhört werden, mit der sich jeder noch herumschlagen muß. Ich bilde mir auch keineswegs ein, daß meine folgenden Ausführungen bereits völlig frei wären von den Diskussionen der letzten Jahre. Aber mir liegt doch daran, gerade in dieser Debatte in Erwiderung zu Ihren Ausführungen, Herr Starke, zu sagen, daß diese letzte Regierungskrise in einem Augenblick ausgelöst worden ist, als es der Anstrengung aller Kräfte bedurft hätte, um die wirtschaftliche Normalisierung durchzusetzen. ({3}) Die bereits im Sommer dieses Jahres vorgesehene Umschaltung von der Bekämpfung des Booms auf eine Normalisierung der Wirtschaftspolitik hat durch die Regierungskrise eine Verzögerung erfahren, die, wenn jetzt nicht entschieden und schnell gehandelt wird, böse Folgen haben kann. Ich selber habe mich im Kabinett nachdrücklich dafür eingesetzt, daß Herr Schiller unbedingt nach Frankfurt fährt und dort den Standpunkt der Regierung vertritt. Meine Damen und Herren, alle Mitglieder dieses Hohen Hauses wissen, daß der Deutsche Bundestag vorzeitig aus den Ferien zurückgeholt worden ist, um das Stabilitätsgesetz zu verabschieden. Alle wissen, daß mit dieser Verabschiedung eine Ordnung der öffentlichen Haushalte und eine gemeinsame Aktion mit der Wirtschaft gekoppelt werden sollten, um die Normalisierung einzuleiten. Diese Termine sind nun um einen Monat überzogen. Ohne Neubildung einer Regierung wären wir in einen weiteren Verzug geraten, der katastrophale Folgen ausgelöst hätte. ({4}) Ich selber habe - wohl wissend, daß eine Große Koalition mich selber bei der ganz natürlicherweise gleichgewichtigen Aufgabenverteilung zur Aufgabe meines alten Ressorts zwingen würde - die Große Koalition dann mit Nachdruck unterstützt, als die Fortsetzung der alten Gemeinschaft aussichtslos und nutzlos erschien. ({5})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Moersch? Schmücker, Bundesschatzminister: Ja, gern!

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Bitte sehr!

Karl Moersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001526, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß ausgerechnet bei der Beratung des Stabilisierungsgesetzes Bundesminister Westrick seinen Rücktritt eingereicht hat also ein Minister, der nicht der FDP angehörte -, weil er damals aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion Schwierigkeiten über Schwierigkeiten bekommen hatte? Schmücker, Bundesschatzminister: Ach, Herr Kollege, ich glaube nicht, daß der Rücktritt eines Ministers zu einer Regierungskrise führen muß. ({0}) Das ist eine erhebliche Überbewertung dieses Vorgangs. Ich muß leider feststellen, daß die Regierung auseinandergebrochen ist, nachdem der einmütige Beschluß der Regierung von der FDP-Fraktion nicht honoriert worden war. ({1}) Meine Damen und Herren, ich sah und sehe die heutigen Schwierigkeiten durchaus; aber ich freue mich, erneut feststellen zu können, daß es auch im wirtschaftspolitischen Bereich bei allen sonstigen Unterschieden eine weite Strecke Weges gibt, die CDU/CSU und SPD gemeinsam gehen können und wahrscheinlich sogar besser gemeinsam gehen können. ({2}) Natürlich wird sich jeder schon aus Gewohnheit mindestens im Ton von dem anderen unterscheiden. Wir alle wissen aber genau, daß der wirtschaftliche Erfolg davon abhängt, ob es gelingt, das Gleichgewicht von Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Stabilität innen- und außenwirtschaftlich langfristig zu sichern.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Dorn möchte eine Zwischenfrage stellen.

Wolfram Dorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000409, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, darf ich aus Ihren Worten von vorhin, als Sie die Gefahr andeuteten, die dadurch entstanden sei, daß viel Zeit nutzlos vertan worden sei, schließen, daß das MinderheitenKabinett nach dem Ausscheiden der FDP-Minister in diesen Fragen nicht mehr regiert hat oder aktiv gewesen ist? ({0}) Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege Dorn, ich habe im Minderheitenkabinett die Aufgabe des Finanzministers übernommen und habe hier im Hause dargelegt, daß ich die Vorlagen nur machen würde, um das Haus in die Lage zu versetzen, die Beratungen aufzunehmen. Ich habe aber ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Beschlußfassung erst wieder möglich sein würde, wenn eine von der Mehrheit getragene Regierung handlungsfähig in Erscheinung trete. Das ist doch selbstverständlich. ({1}) Bundesminister Schmücker Glauben Sie denn allen Ernstes, daß es möglich ist, über eine längere Zeit mit einer Minderheitenregierung oder mit einer Mini-Koalition, wie es von Ihnen erhofft worden ist, hier in Deutschland zu arbeiten? Nein, meine Damen und Herren -

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Busse möchte eine Frage stellen.

Hermann Busse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000316, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ist die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes an der FDP oder an der Regierungskrise gescheitert, oder hätte es nicht längst verabschiedet werden können, wenn die Verabschiedung nicht von Ihrem jetzigen Koalitionspartner laufend verzögert worden wäre? ({0}) Schmücker, Bundesschatzminister: Herr Kollege, ich habe mich - um höflich zu sein - offenbar nicht klar ausgedrückt. Ich habe darauf hingewiesen, daß nach der Zeitplanung die Umschaltung etwa Mitte November erfolgen sollte und daß wir durch die Regierungskrise, die von Ihnen ausgelöst worden ist, in einen Zeitverzug geraten sind. Ich glaube, das ist die Wahrheit, und dies muß im Interesse der Wahrhaftigkeit hier einmal gesagt werden. ({1}) Ich sprach von dem Gleichgewicht zwischen Vollbeschäftigung - ({2}) - Nein, ich möchte jetzt gern zu Ende kommen. ({3}) - Herr Kollege Mertes, wenn Sie so freundlich sind, sich einmal die Geschäftsordnung anzusehen, werden Sie feststellen, daß Sie, wenn Ihnen keine Antwort gegeben wird, das zur Kenntnis nehmen müssen und das nicht etwa kritisieren dürfen; sonst kann das Institut der Zwischenfragen nicht funktionieren. ({4}) Dieses Gleichgewicht, meine Damen und Herren, wird niemals starr sein; darum ist es ganz natürlich - ({5}) - Herr Mertes, Sie können doch gleich zum Pult gehen. Danach komme ich gern zurück, wenn Sie eine Auffassung vertreten, von der ich glaube, daß sie nicht richtig ist. Es besteht doch gar kein Grund zur Aufregung. ({6}) Ich stelle die Dinge so dar, wie ich sie gesehen habe. Vielleicht irre ich mich in dem einen oder anderen, aber so, wie Herr Starke es dargestellt hat, kann es nicht unwidersprochen bleiben. ({7}) Das Gleichgewicht wird niemals starr sein. Darum ist es ganz natürlich, daß temporär mal der einen, mal der anderen Forderung der Vorrang gegeben werden muß. Als das Wachstum übertrieben wurde, mußten wir im Interesse der Stabilität bremsen. Heute müssen wir uns im Sinne der Normalisierung und des Bemühens um das Gleichgewicht um die Belebung des Wachstums kümmern. Das inflationsfreie Wachstum, das wir wollen, kann aber nur gesichert werden, wenn die verhältnismäßig leicht auszulösende Belebung von einem entschiedenen Kampf gegen Kostenerhöhungen begleitet wird. Mit Recht hat darum der Herr Bundeskanzler die Erklärung der Baugewerkschaft begrüßt. Mit Recht bemüht sich aber auch die Bundesregierung um die Senkung der Zinskosten. Auch wenn die Zinskosten weniger als 10 % der Lohnkosten betragen, sind sie doch von ausschlaggebender Wichtigkeit. Ich hoffe nicht, daß wir zu einer Expansion kommen müssen, ohne daß die Kostendämpfung gelungen ist. Alle an der Wirtschaft Beteiligten sind angesprochen, und niemand darf beiseite stehen. Es ist auch weiterhin nicht erlaubt, der Aufforderung zum Mittun mit dem dummen Satz zu entgegnen: Hannemann, geh du voran! Die Gleichzeitigkeit ist nach unserer gemeinsamen Auffassung, so hoffe ich doch, ein wesentlicher Bestandteil für das Gelingen der Aktion. Es soll auch von vornherein Klarheit darüber herrschen, daß, so mißlich die Haushaltslage des Bundes auch sein mag, unsolide Operationen nicht in Frage kommen. Die Kraft dazu wird diese Regierung - und ich bin sicher, auch der Deutsche Bundestag über die Reihen der Koalitionsfraktionen hinaus - aufbringen. Allerdings bedarf es der größten wirtschaftspolitischen Kraftanstrengung, die seit der Währungsreform je gemacht worden ist - eine Anstrengung, die im ersten Anlauf nicht funktioniert hat und in einer Regierungskrise endete. Meine Bitte ist, sich heute nicht in grundsätzlichen Erörterungen auseinanderzureden. Programmatische Unterschiede sind selbstverständlich vorhanden. Die Unterschiede sind noch zahlreicher als die Zahl der Parteien im Hause. Aber in der tatsächlichen Aufgabe, die vor uns steht, in der Art ihrer Bewältigung gibt es einen Weg, den wir gemeinsam gehen können. Danach wird gefragt, und darauf müssen wir antworten - weniger global, viel mehr im Einzelfall. In diesem Augenblick kommt es darauf an, das Gleichgewicht von Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und Stabilität dadurch wiederherzustellen, daß wir dem Wachstum neue Impulse geben, gleichzeitig aber die Kosten senken, damit die Stabilität erhalten bleibt. Wenn das geschieht, werden wir die Vollbeschäftigung sichern können und unseren hohen außenwirtschaftlichen Rang weiterhin wie in den Schwierigkeiten der letzten Jahre bewahren und noch steigern können. Wir sind uns klar darüber, daß die Solidität unserer Wirtschaft die Voraussetzung für jedwede andere Politik ist. Aber sie wird uns nicht umsonst gegeben. Sie erfordert viel Aufmerksamkeit und sehr viel Sorge. Sorgenfrei werden wir nie sein - weder um Vollbeschäftigung, noch um Wachstum, Bundesminister Schmücker noch um Stabilität. Nur wer sich sorgt, wer sich Mühe gibt, kann Erfolg haben. Die Aufgaben sind klar vorgezeichnet. Der Zeitplan aber, meine Herren, ist nicht beliebig dehnbar. Der nach dem Boom wiedergewonnene Blick für das rechte Maß sollte uns nicht wieder verlorengehen, denn nur dann werden wir erreichen, was wir uns alle wünschen: Stabilität in einer vollbeschäftigten wachsenden Wirtschaft. ({8})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Stein.

Gustav Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, daß ich die Reihe der Kurzredner beginne. In diesem Hause, in dem die parlamentarische Opposition klein geworden ist, besteht für uns die Gefahr, daß man die Zustimmung zur Regierungspolitik vielleicht etwas kleiner und etwaige kleine Bedenken etwas größer macht, damit das Ganze nach außen hin als ein normales Funktionieren unserer Spielregeln erscheint. Ich bin in der Tat schon diesmal in dieser Schwierigkeit. Da ist nämlich viel lebhafte Zustimmung und ein wenig an starken Bedenken zu dem zu sagen, was der Herr Bundeskanzler vorgestern hier an wirtschaftspolitischer Konzeption vorgetragen hat. Natürlich wird zwischen Konzeption und Ausführung später ein Unterschied sein; man möchte scherzhaft sagen: schon deshalb, weil wir in: die Durchführung, soweit sie legislative Maßnahmen erfordert, eingeschaltet sind. Aber die Konzeption der Regierung ist gut. Sie ist in der Tat gut, sie hört sich nicht nur gut an. Wir von der Wirtschaft vernehmen daraus mit Freude, daß Zusammenhänge wieder erkannt und festgestellt werden, die in Gefahr waren, nicht mehr gesehen zu werden. Zunächst ein Wort zum Ernst der Lage. Die Bilanz, die die Regierungserklärung zieht, ist bitter. Für mich ist sie zu bitter, weil etwas, was wir in diesem Hause vor der Regierungsumbildung noch erlebt haben, nicht so ganz zum Ausdruck kommt, nämlich daß die Stabilitätspolitik der früheren Regierung und der übrigen Beteiligten schon wirksam geworden war und daß uns dieses Wirksamwerden bei unseren jetzigen Bemühungen schon zugute kommt. ({0}) Ein zweiter Vorteil ist, daß die Diskussion um die Stabilität schon viele Teilnehmer am Wirtschaftsprozeß wachsamer gemacht hat und daß wir zugleich mit dem Stabilitätsgesetz diesen Vorteil einheimsen werden. Dem Stabilitätsgesetz möchte ich überhaupt eine noch größere Priorität zubilligen, als es die Regierungserklärung tut. Dabei schätze ich die Tatsache, daß wir dieses Gesetz haben werden und anwenden können, im Augenblick sogar höher ein als die sofortige Anwendung, die bekanntlich eine gewisse Problematik enthält. Inzwischen haben wir erneut gelernt, daß Stabilität nur durch täglichen Kampf zu erobern ist. ({1}) So sehe ich die Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung mehr in einem harten täglichen Ringen als in einem formulierten Programm. ({2}) Ohne daß ich hier beanspruche, für die Wirtschaft zu sprechen, glaube ich, daß die Gesamtheit dessen, was der Herr Bundeskanzler für die neue Regierung vorgetragen hat, nicht nur in der großen Öffentlichkeit, sondern auch in den Entscheidungsräumen aller Wirtschaftsbeteiligten volle Zustimmung gefunden hat und eine Hoffnung darstellt. Wir werden ohne Vorbehalte und mit aller Kraft dabei sein, den neuen Kurs zu unterstützen. Ein solches Wort vom neuen Kurs geht nicht leicht vom Mund. Wir haben inzwischen auch außerhalb der Regierungserklärung schon einiges zu dieser Marktwirtschaft mit Globalsteuerung gehört. Ich Labe diese Globalsteuerung, um deren Intensität und Instrumentarium es in der nächsten Zeit im wesentlichen gehen wird, für mich persönlich ganz leise, aber koalitionsgemäß eine intime und therapeutische „planification" genannt, intime deshalb, weil diese Orientierungshilfe vermutlich nicht des Holzhammers oder gar der Zwangsinstrumente bedarf, sondern sich mehr im Bereich der sanften Überzeugungskünste bewegen wird, und therapeutische, weil die Beeinflussung der Wirtschaft wohl ausschließlich prophylaktischen Charakters sein wird, nämlich so, daß die Triebkräfte der Wirtschaft und ihre Richtung nicht angegriffen und die Wachsamkeit der Unternehmer mit allgemeinen Hinweisen gesteigert werden. In der Abgrenzung zwischen unserer bewährten sozialen Marktwirtschaft - die in der Regierungserklärung leider nicht so erwähnt worden ist -, die eine freiheitlich geordnete Marktwirtschaft ist, und der nicht bloß orientierenden, sondern bereits intervenierenden Wirtschaftspolitik liegt die Problematik der täglich neuen Regierungsarbeit. Ich kündige ausdrücklich für uns an, daß wir nicht milde werden, die Regierung bei Überschreitungen dieser Grenze mit allem Nachdruck an unsere bewährten Grundsätze, die ja auch Verfassungscharakter haben, zu erinnern. Aber es scheint, daß wir hierüber einig sind. Die alte Wirtschaftspolitik, mit aktuellen Gedanken ausgestattet, wird das Verhältnis von wünschenswerter Stabilität zu notwendiger Expansion mit pragmatischer Beweglichkeit zu gestalten haben. Die Regierungserklärung stellt zu diesem Thema, über das nach meiner Ansicht nur Theoretiker sich allzu lang ereifern können, mit erfreulicher Klarheit fest, daß beides nötig ist: Festigkeit in den Grundlagen und Ausdehnung in den beweglichen Teilen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Beweglichkeit darf nirgendwo galoppierend werden. Wir sind jetzt, glaube ich, mit einschlägigen Erfahrungen gesättigt und sollten die erhoffte Lockerung in den wirtschaftlichen Scharnieren ohne historische Angst und zum richtigen Zeitpunkt vollziehen können. Gegen eine tüchtige Portion Vorsicht bei diesem Vorgang wird die Wirtschaft nichts einzuwenden haben; denn was der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklä3762 Stein ({3}) rung an flottmachender Expansion angekündigt hat, ist so viel, daß diese Dosis Vorsicht, die die Stabilität garantieren soll, niemals das Ziel gefährden kann. Ich vergesse dabei durchaus nicht, daß uns beide Dinge, mangelnde Stabilität und fehlende Expansion, in den Grundlagen unseres Wirtschaftsgefüges erschüttert haben. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang gerade auch an die Kreditfinanzierung der Investitionsausgaben denken. Sosehr ich die Aussichten begrüße, die die Regierungserklärung uns in der künftigen Leistung des Kapitalmarkts eröffnet, möchte ich die durch Konsumverzicht finanzierten Investitionen doch immer noch ein Stück höherstellen als die mit Kapitalmarktmitteln vorfinanzierten Investitionen. ({4}) Zur Notwendigkeit der Investitionen brauche ich keinen weiteren Beitrag zu leisten. Die Regierungserklärung gibt uns hier volle Genugtuung. Ohne öffentliche und private Investitionen sind wir sehr schnell in der Abstellkammer der Weltwirtschaft. Unsere Wirtschaft ist nämlich ohnehin durch ein Übergewicht der Konsumgüterproduktion in der Gesamtproduktion gekennzeichnet. Es liegt bei fast 50 %. In Frankreich hat de Gaulle diesen Anteil von 45 auf 39 % heruntergedrückt; in Amerika liegt er bei 35 %. Das bedeutet klar, daß diese Länder der Zukunft mehr Bedeutung beimessen als der Gegenwart. ({5}) Im öffentlichen Bereich sind die Investitionen zugleich unser regulierender und stabilisierender Faktor. Für die private Wirtschaft können wir sie je nach Lage dämpfen und besonders attraktiv machen. Aber befehlen können wir sie nicht. Deshalb möchte ich in noch schärferer Herausarbeitung des "Grundsatzes, der in der Regierungserklärung vertreten ist, sagen, daß alles darauf ankommt, die Voraussetzung für eine größere Investitionsneigung zu schaffen. Der Bremsweg der bekannten Restriktionen, der sich in den Investitionen, und zwar in den volkswirtschaftlich wertvollsten, am stärksten auswirkt, ist zu lang gewesen. Die Zahlen im Gutachten des Sachverständigenrates sind alarmierend. Hier muß mit harter Hand und - wenn ich das ohne Ironie sagen darf - global gesteuert werden, um zu verhindern, daß der erhoffte baldige Galopp nicht in die falsche Richtung geht. Den Herrn Bundeswirtschaftsminister wird es nicht wundern, daß wir auf die Formulierung der Regierungserklärung zum erhofften Verhalten der Tarifpartner besonders gespannt waren. Es ist darin von einer engen freiwilligen Zusammenarbeit die Rede, und die Autonomie der Tarifpartner wird darin unterstrichen. Alles in Ordnung! In diesem Zusammenhang erscheinen dann die Orientierungsdaten, die die Bundesregierung den Tarifpartnern geben will. Wir erschrecken nicht mehr hiervor und handeln nach dem Satz, daß derjenige, dem ein guter Rat gegeben wird, ihn auch annehmen sollte. Nur möchte ich meinen - und ich sage das nicht ohne einen leichten Nachdruck -, daß es mit dem Überreichen von orientierenden Hinweisen auf gut gedrucktem Papier nicht sein Bewenden haben kann. Hier muß mehr getan werden, Herr Bundeskanzler und Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte sagen, viel mehr, damit sich der Segen der Orientierung auch mit Sicherheit einstellt. Inzwischen haben sich, wie man das im Verlauf der Kohlenkrise wieder gemerkt hat, auch andere Beteiligte in das Tarif-Geschehen eingeschaltet, so daß auch mit ihnen in der Klarheit, mit der eine so zusammengesetzte Regierung wie die Ihrige sprechen kann, geredet werden muß. Vor den Vorgängen, die nur die weniger Braven eine Krise nennen dürfen, hätte niemand geglaubt, daß trotz der stärkeren Wachstumsdämpfung, die wir doch erlebt haben, der Preisauftrieb, der etwas matter geworden ist, aber keineswegs ganz nachgelassen hat, so verlaufen würde. Die Bundesregierung hat unseren vollen Beifall, wenn sie im Rahmen ihrer Stabilisierungsbemühungen diesem Faktor, der unseren ganzen Wettbewerb und damit unsere Wettbewerbsgrundlage gefährdet, nachgehen will. Unsereiner braucht nicht lange zu suchen, wenn es nicht gelingt, diesen Kostenfaktor einzuschränken, wird keine Stetigkeit im Auftragseingang und keine Stabilität in der Beschäftigung zu erreichen sein. Das ist auch letzten Endes der Grund, weshalb wir trotz aller fiskalischen Bedrängnisse an sich jede Steuererhöhung für ein Risiko und fast für einen Widerspruch halten und entschieden auf die letzte Stufe der Ausgleichsmöglichkeiten verweisen. Wenn jemand diese Ansicht nicht in dieser Schärfe teilen sollte, werden wir uns aber schnell darauf einigen, daß die Beseitigung des wachsenden Kostendrucks allem anderen vorangehen muß. Mit der Subventionspolitik, wie in der Regierungserklärung angekündigt, werden Sie, Herr Bundeskanzler, bei der gewerblichen Wirtschaft keine Schwierigkeiten haben. Wer so entschlossen wie Sie den Wiederaufschwung der Wirtschaft, eine vernünftige Kreditrestriktionspolitik und in diesem Zusammenhang auch die Diskussionen über die Abschaffung der Kuponsteuer und die Koordinierung der nationalen und internationalen Politik zur Sicherung des Beschäftigungsstandes, eines angemessenen Wachstums und stabile Preise anstrebt, darf unserer vollen Unterstützung trotz dieser oder jener gegenteiligen Auffassung in einzelnen Fragen gewiß sein. Ich hätte gern gesehen, daß Sie auch die Strukturpolitik und die Gesellschaftspolitik mit erwähnt hätten. Meine Kollegen Müller-Hermann und Orgaß werden hierzu noch im einzelnen Stellung nehmen. Lassen Sie mich, bevor ich zu meinem wichtigen Schlußpunkt komme, nochmals zu der Feststellung zurückkehren: das Erfreulichste an der Regierungserklärung für die deutsche Wirtschaft war die terminologisch sichere und geistig sehr klare Bewertung der vielerlei Zusammenhänge des wirtschaftlichen Geschehens. Damit verbinde ich - viele werden es mit mir tun -, die Hoffnung, daß es unter dieser Regierung keine Einseitigkeit in der Betrachtung geben wird und daß unsere bewährte soziale Marktwirtschaft weder durch eine Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode. Stein ({6}) allzu harte monetäre Betrachtung noch durch außenwirtschaftliche Rücksichten noch durch das Überwuchern sozialer Gesichtspunkte von ihrem Kurs abkommt. Genau genommen ist unsere Erkrankung jetzt 11/2 Jahre alt. Sie begann nicht bei der Wirtschaft, die nach wie vor ihr Bestes gegeben hat und insbesondere auch zum Zahlungsbilanzausgleich im letzten Jahr beigetragen hat. Deshalb, meine ich, sollte sie auch Anspruch auf eine gute Behandlung haben. Mit Recht stellt deshalb die Regierungserklärung fest, daß nur eine gut funktionierende Wirtschaft die Mittel aufbringen kann, deren der Staat für seine vielfältigen Aufgaben bedarf. Wir haben von dieser Regierungserklärung keine Wunder erwartet. Manches allzu abgerundete Wort wird noch seine Bewährung erbringen müssen. Vielleicht hilft uns auch der Schock der wirtschaftlichen Erschütterung, in der wir stehen, zu einem näheren Zusammenrücken. Ich hoffe es. Was ich in dieser Hinsicht zum. Schluß sagen will, ist folgendes: Für diese Regierung wird die Beeinflussung der psychologischen Momente von entscheidender Bedeutung sein. Für die Wirtschaft gilt das ganz besonders. Ich glaube beispielsweise, ohne damit eine Bilanz ziehen zu wollen, daß wir die psychologischen Voraussetzungen für ein Gleichgewicht zwischen Expansion und Stabilität in der hinter uns liegenden Zeit unterschätzt haben. ({7}) Die Wirtschaft beansprucht mehr Psychologie, als sich aus Konjunkturausweisen, Börsenzetteln und Regierungsbekanntmachungen erkennen läßt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen bereit sein, die sichtbaren Fakten auch im Bereich ihrer eigenen Entschlüsse wirksam werden zu lassen. Wie nachdrücklich haben wir in der vergangenen Zeit wieder einmal lernen müssen, daß beispielsweise die Entlassung oder Kurzarbeit von 600 Menschen an einer psychologischen Schlüsselstelle schockierender wirkte und eine stärkere Erkrankung auslöste als der stille Wegfall des Zehnfachen an Arbeitsplätzen in einem anderen Bereich. Bei dem sogenannten Krisengerede haben wir ebenso wie bei dem Antikrisengerede keine psychologischen Meisterleistungen vollbracht. ({8}) Was hier nötig ist, ist keine sogenannte Öffentlichkeitsarbeit wie die Herausgabe noch so eindrucksvoller Hinweise auf nüchterne Zahlen und tiefere Zusammenhänge; sie kann und sollte natürlich nicht unterbleiben. Das Fehlende ist die geeignete Ansprache an die Beteiligten, die Schaffung der Bereitschaft zum Anhören und zum Vertrauen. Hier muß sich die neue Regierung mit anderen Methoden und Formen als bisher einschalten. Sie muß ihre persönliche Ausstrahlungsfähigkeit und damit ihren eigensten Kredit einsetzen. Das Ganze muß mit etwas mehr Phantasie einhergehen, als das bisher hierzulande üblich war. Ich möchte natürlich richtig verstanden werden. Was ich meine, ist nicht bloß eine andere Art von Appellen, sondern ein viel tieferes Engagement der neuen Regierung in ihren Haupteinflußbereichen mit komplementärer Autorität. Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen. Man muß spüren und wissen, daß dieser und jener Minister sein Geld auch nicht auf kurz, sondern auf lang bei der Bank hat, daß dieser Bundeskanzler nicht nur den Schneid hat, von notwendigen Opfern zu sprechen, sondern sie auch allen Interessenten abzutrotzen bereit ist, daß der Sparer ebenso wie der Unternehmer, der Kraftfahrer, der Steuerzahler, der Beamte und der öffentliche Angestellte unmittelbar angesprochen werden, zur Überwindung unserer gemeinsamen Schwierigkeiten gemeinsam beizutragen. Die psychologische Bereitschaft aller nach einer Zeit, die uns den Zusammenbruch vieler bisher integrierender Kräfte unseres Staatswesens bewußt werden ließ, zu wecken, ist eine der Hauptaufgaben der neuen Regierung. Gerade wir sind daran interessiert, daß ihre Lösung gelingt. Und der Sinn meiner Bemerkungen ist, auf die Wichtigkeit dieser psychologischen Faktoren nochmals hinzuweisen. Der Vertrauensschwund, dem wir unterlegen sind, ist der gefährlichste Punkt in der Erfahrungsbilanz des letzten Jahres. Alle Kabinettsleistungen, die wir jetzt zu erwarten haben, nützen nichts, wenn nicht eine neue Verbindung zwischen Regierung und Regierten entsteht. ({9})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister!

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte in diese Debatte, jedenfalls bei dieser Station, nicht eingegriffen, wenn nicht Kollege Starke eine Frage gestellt hätte, auf die ich mit einigen Worten eingehen will. Er hat sich auf eine Äußerung im „Industrie-Kurier" vom Samstag, dem 10. Dezember 1966, berufen und hat diese Äußerung korrekt zitiert. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß Interviews oder Zeitungsartikel das Hauptausdrucksinstrument einer Bundesregierung sind. Ich weiß aber auch genau wie Sie, Herr Kollege Starke, aus eigener Amtserfahrung, daß man Äußerungen auf diesem Wege nicht einfach ausschließen kann. Ich bin hier bei Übernahme des Amtes um ein Wort an die Wirtschaft gebeten worden. Die wesentlichen Sätze daraus sind - und ich bitte Sie, mir zu erlauben, hier auch den Zusammenhang darstellen zu dürfen -: Stabilität und Wachstum sind die wichtigsten Richtpunkte der Finanzpolitik. Ich habe mit der Wahl dieser Reihenfolge Stabilität und Wachstum die Leitsterne ausdrücken wollen, die die Finanzpolitik auch der Zukunft bewegen müssen. Es heißt dort weiter: Die Haushaltspolitik muß so gestaltet werden, daß sie wirtschaftliche Schwankungen ausgleicht, d.h. antizyklisch wirkt. Ich bekenne mich damit zur Auffassung, daß es eine völlig neutrale Finanzpolitik, die das Wirtschaftsgeschehen in keiner Weise beeinflußt, sondern sich selbst überläßt, heute nicht mehr gibt. ({0}) Ich bin ein überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft, und zwar durch die Einwirkung des damaligen Direktors der Verwaltung für Wirtschaft, Professor Ludwig Erhard. Ich unterstelle hier niemandem, daß er ein Anhänger einer - lassen Sie mich sagen - Manchester-kapitalistischen Marktwirtschaft ist. Wir haben dieses Konzept - das darf ich gerade an die Adresse der Freien Demokraten sagen - im Jahre 1948 gemeinsam durchgesetzt und über viele Jahre gemeinsam getragen. ({1}) Ich bin auch der Meinung, daß es absolut richtig war - wenn ich mich damit an Bundeskanzler Professor Erhard wenden darf -, in den ersten Jahren, in der ersten Phase der deutschen Nachkriegspolitik das deutsche Wirtschaftsgeschehen weder durch Einzeldirigismus noch durch Globalsteuerung allzusehr zu beeinflussen. In der ersten Phase war eine weitgehende Laissez-faire-laissez-aller-Politik durchaus richtig. Aber zum Begriff und zur Praxis der sozialen Marktwirtschaft gehört für mich auch eine gewisse Steuerung, wenn die Umstände und die Wandlungen der Zeit es erfordern, nicht auf dem Wege der Plan- oder Verwaltungswirtschaft, sondern auf dem Wege der Einsetzung eines gewissen Instrumentariums, wie bereits von Ihnen, Herr Professor Erhard, geschehen. ({2}) Heute ist in diesem Hause ein parteipolitischer Streit mit zum Teil bösen Akzenten ausgebrochen, als das Wort von der „Koalitionswürdigkeit" der Sozialdemokratischen Partei vom Kollegen Dr. Dehler ausgesprochen wurde. Das Wort „würdig" enthält immer so eine moralische oder moralinhafte Wertung, die in dem Zusammenhang keinen Sinn hat. ({3}) Ich darf ganz offen meine Position von 1949 zu diesem Thema darstellen. Ich war im Jahre 1948 - und bin es bis heute geblieben, wie bereits erwähnt - ein überzeugter Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. Der Kampf für oder gegen das Erhardsche Wirtschaftskonzept stand im Mittelpunkt der Bundestagswahlen von 1949. ({4}) Das Wahlergebnis von 1949 ist bekannt. Ich war damals gegen die Große Koalition, nicht weil ich die Sozialdemokratie nicht für grundsätzlich koalitionswürdig gehalten hätte, sondern deshalb, weil ich der Meinung war, daß die Anhänger der sozialen Marktwirtschaft beweisen mußten, ob sie mit ihren Vorstellungen zum Erfolg kommen können oder nicht. Denn Teilerfolge werden dann von beiden Koalitionspartnern in Anspruch genommen; der Mißerfolg wird jeweils von einem dem anderen zugeschoben. Ich war damals der Meinung, daß man dem Bundeswirtschaftsminister und seinem Kanzler - wenn ich mich so ausdrücken darf - angesichts der damaligen wirtschaftspolitischen Konfrontierung der beiden großen Parteien die Chance geben mußte, zu beweisen, daß es damit besser geht, schneller geht und leichter geht als auf dem damals von ,der SPD vertretenen Wege. Das enthält keine moralische oder charakterliche Wertung oder eine solche Wertung, die irgendwie falsche Maßstäbe setzen soll, sondern die Grundvorstellung, daß man dann, wenn sich die zwei großen Parteien in einer wesentlichen Frage - und damals sagten wir: die Wirtschaft ist unser Schicksal - so diametral gegenüberstehen, zunächst dem Volk die Entscheidung überlassen muß, welcher der beiden Richtungen es die Mehrheit gibt, und daß 'die, die dann die Mehrheit bekommen, auch den Mut und die Chance haben müssen, zu zeigen, ob sie durchkommen und das Risiko auf sich nehmen, zu-scheitern. ({5}) Ich habe, Herr Kollege Starke, in dem gleichen Zusammenhang gesagt: Die Steuerpolitik hat in der gleichen Zielsetzung das stetige Wachstum der Wirtschaft zu fördern. Ohne ein gesichertes wirtschaftliches Wachstum würde es auf die Dauer keine Stabilität unserer Währung geben können. Eine Finanzpolitik, die der Stabilität einseitigen Vorrang einräumen würde, die also auch Stagnation Rezession in Kauf nehmen würde, - hier heißt es: auch um den Preis einer wirtschaftlichen Stagnation oder gar Rezession wäre zum Scheitern verurteilt. Denn nur wenn es uns gelingt, unsere Leistungsfähigkeit immer weiter zu steigern, können wir auf den künftigen Märkten der Welt wettbewerbsfähig bleiben. Es heißt weiter: Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist durch eine starke Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit gekennzeichnet. Zugleich haben wir in den letzten Monaten das Ziel der Preisstabilität fast vollständig erreicht. Es ist an der Zeit, jetzt wieder ein schnelleres wirtschaftliches Wachstum anzulegen. Selbstverständlich bedarf es dazu eines engen Zusammenwirkens aller, die auf das wirtschaftliche Geschehen Einfluß haben. Für die Bundesregierung bedeutet das besonders eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister. Selbstverständlich - heißt es weiter muß die Bundesregierung ihrerseits mit der Bundesbank sich abstimmen. Aber auch die Tarifpartner haben in der Lohnpolitik auf die gesamtwirtschaftliche Lage Rücksicht zu nehmen. Ich will damit die Zitierung beenden und nur wenige Sätze zur Begründung sagen. Ich erhebe damit nicht den Vorwurf, Herr Kollege Starke, daß die bisherige Finanzpolitik das Ziel der Stagnation verfolgt hat. Aber ohne Zweifel haben die kontraktiven Entwicklungen der Wirtschaftspolitik der letzten Zeit, wie sie nicht so sehr von der Finanzpolitik verursacht worden sind als von der Bundesbank unter ganz gewissem Zwang, unter dem sie stand, eingeleitet worden sind, eine starke Verlangsamung des Wachstums mit sich gebracht und damit die Gefahr heraufbeschworen, daß wir Stabilität wollen und Stagnation erreichen, ohne das Ziel der Stabilität wirklich zu bewältigen. ({6}) Ich habe mich zu diesen Bemerkungen auch deshalb veranlaßt gesehen, weil nach meiner Erinnerung - ich konnte es jetzt im Augenblick nicht mehr nachprüfen - in der Sozialenquete steht, daß das gegenwärtige Sozialsystem der Bundesrepublik nur mit einer permanenten Wachstumsrate der Wirtschaft von 4,5 % jährlich aufrechterhalten werden kann, bei Unterschreitung dieser Wachstumsrate also zusammenbricht. Ich bin nicht der Meinung, daß man alles so lassen kann, wie es ist. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung ganz bestimmte Richtlinien erteilt, er hat ganz bestimmte Ziele genannt, er hat ganz bestimmte Methoden damit angekündigt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Gestatten Sie, Herr Minister, eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Starke? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Starke.

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Strauß, es ging mir ja nur um zwei Dinge. Wir verbrauchen hier vielleicht zu viel Zeit. Erstens einmal habe ich vorhin schon in meinen Ausführungen gesagt, daß man das Wachstum ({0}) - ja, es ist eine Frage! - nicht bemessen kann nach den Staatseinnahmen, die man braucht, und so natürlich auch nicht nach den sozialen Leistungen. Stimmen wir da überein? Zweitens ging es mir nur um den ersten Teil des zweiten Satzes, wo Sie sagen: ohne wirtschaftliches Wachstum gibt es keine Währungsstabilität. Den Satz halte ich einfach für falsch.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich sehe mich leider nicht in der Lage, diesen Satz für falsch zu halten, weil es Ausgabeverpflichtungen des Staates gibt, die bei Erhaltung unserer gesellschaftlichen und sozialen und wirtschaftlichen Struktur notwendig sind, die deshalb finanziert werden müssen und nur mit einer bestimmten Wachstumsrate finanziert werden können. ({0}) Ich werde ohnehin Gelegenheit haben, so ziemlich mit allen Sektoren der Ausgabemöglichkeiten des Staates und ihren Vertretern in engsten Kontakt oder in engsten Clinch zu kommen. Aber ich weiß auch, daß man nicht den Rotstift einfach nach idealistischen Maßstäben ansetzen kann und über alles hinweggehen kann, was bisher aufgebaut worden ist, daß man nicht eine reine Politik der finanzpolitischen Ratio befolgen kann, weil das einfach den politischen Möglichkeiten, den psychologischen Notwendigkeiten und auch einem Teil unserer gesellschaftspolitischen Zielsetzungen widersprechen würde. ({1})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage? - Bitte, Herr Dr. Starke.

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Strauß, können wir uns nicht darauf einigen, daß das reale Wachstum der Wirtschaft von den real gegebenen Möglichkeiten abhängt und nicht davon, was Sie für den Staat an Geld brauchen? Wenn Sie das Wachstum danach ausrichten, was der Staat braucht, und nicht nach den realen Gegebenheiten, ist es kein reales Wachstum, sondern ein nominelles, und das nennt man eben Geldentwertung. Dr. h. c. Strauß, Bundesminster der Finanzen: Herr Kollege Starke, wir sind uns beide darin einig, daß wir die Spanne zwischen Zuwachs des nominalen Wachstums und Zuwachs des realen Wachstums optimal klein halten müssen. Aber ich käme mir sehr überheblich oder beinahe hochstaplerisch vor, wenn ich behaupten würde, daß in Zukunft die Spanne zwischen Zuwachs des nominalen und Zuwachs des realen Wachstums arithmetisch null sein könnte, aus Gründen, die Sie mindestens genausogut kennen wie ich, wenn nicht besser. ({0}) - Herr Kollege Starke, wenn Sie eine zweite Rede halten wollen - ich betrachte Ihre bisherigen Fragen als Ergänzungen zu Ihrer vorigen Rede -, stehe ich Ihnen nicht im Wege.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Starke?

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sind Sie nicht auch der Meinung, Herr Kollege Strauß, daß das optimale Niedrighalten des Unterschieds zwischen dem realen und dem nominellen Wachstum sehr, sehr schwierig wird, wenn man aus anderen als den real gegebenen Möglichkeiten heraus das Wachstum zu fördern versucht?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Es ist alles schwierig, Herr Kollege Starke; es gibt heute überhaupt nichts mehr, was nicht schwierig wäre. ({0}) Ich stimme ja vollkommen der Äußerung des Kollegen Stein zu, daß man sich hüten soll, dieses Krisen- und Katastrophengerede fortzusetzen, weil man damit nur negative psychologische Wirkungen erzeugt ({1}) und den Mut zu einem normalen rationalen Disponieren bremst. Man kann natürlich die Frage stellen: wie geht es unserer Wirtschaft? Ich spreche hier sozusagen nur stellvertretend, ohne bisher in der Geschäftsordnung des Bundeskabinetts damit beauftragt zu sein; aber Kollege Schiller fehlt heute, muß heute fehlen, weil er im Zentralbankrat in Frankfurt trotz allem noch dringender benötigt wurde als hier. Ich weigere mich aber, die Frage: geht es unserer Wirtschaft gut oder schlecht, zu beantworten. Es gibt eben Fragen, die man nicht einfach so oder so beantworten kann. Die moderne wissenschaftlich-technische Entwicklung hat in ihren industriellen Auswirkungen so verschiedenartige Konsequenzen, Wachstumsmöglichkeiten und Bewegungsmöglichkeiten geschaffen, daß es in gewissen Branchen unserer Wirtschaft heute noch ohne Zweifel gut steht, daß aber in anderen Branchen unserer Wirtschaft die Verhältnisse ganz anders liegen. Ich brauche nur Kohle, Stahl, stahlverarbeitende Industrie, andere metallverarbeitende Industrien, Werftindustrie, Textilindustrie, Steine- und ErdenIndustrie zu nennen, um anzudeuten, daß hier der finanzielle Bewegungsspielraum unserer Wirtschaft, ihre Fähigkeit, zu investieren, heute nicht mehr einfach mit gut oder schlecht oder mittelschlecht bezeichnet werden kann. Die Dinge sind sehr differenziert. Darum kommt ja heute den Tarifpartnern eine noch höhere Verantwortung zu, als ihnen bisher schon zugekommen ist. Ich kann aber auch nicht einfach einer Finanzpolitik das Wort reden, die auf eine völlige Restriktion schaltet, wenn die Folgen der Restriktion dann einen verhängnisvollen automatischen Kausaleffekt heraufbeschwören, nämlich zu einer weiteren Verknappung der finanziellen Mittel des Staates führen würden. ({2}) Ich darf Ihnen sagen, Herr Kollege Starke, es zeichnet sich heute bereits ab, daß ich die neulich genannten Zahlen für die Bundeseinnahmen nicht mehr aufrechterhalten kann. Wir hatten ursprünglich für 1966 im Haushalt eine bestimmte Summe für die Bundeseinnahmen festgesetzt. Ich habe neulich schon bekanntgegeben, daß diese Summe um 700 Millionen DM gesenkt werden mußte, und ich habe hinzugefügt, daß sie voraussichtlich um weitere 300 Millionen DM gesenkt werden muß, daß also das Defizit 1966 durch Mindereinnahmen, ohne daß das in einem Nachtrags- oder Ergänzungshaushalt bisher berücksichtigt werden konnte, 1 Milliarde DM beträgt. Mir ist gestern ein letzter Bericht auf den Tisch gelegt worden, daß sich infolge der stark rückläufigen Entwicklung des Ertrags der Umsatzsteuer das Defizit für 1966 durch Mindereinnahmen voraussichtlich nicht auf 1 Milliarde DM, sondern auf 1,25 Milliarden DM belaufen werde. All dem muß heute doch die Finanzpolitik Rechnung tragen, deren wahrlich nicht genialer Vertreter ich bin; aber ich bemühe mich, redlich und ehrlich mein Amt zu erfüllen und noch einiges hinzuzulernen, ohne behaupten zu wollen, daß ich dabei immer recht gehabt hätte. Die Finanzpolitik muß sich aber heute auf das sorgfältigste mit der Wirtschaftspolitik abstimmen, ({3}) damit in einer Aufgabe, die beinahe der Stabilisierung des Flugzeugs in der Luft gleichkommt - Antriebskräfte, bremsende Kräfte, trimmende Kräfte, Seitenruder, Höhenruder, Querruder, was immer man braucht -, beide zusammen zu einer Stabilität mit Vorwärtsentwicklung führen können. Aus dem Grunde bemühe ich mich - nicht nur aus Gründen der Koalitionstreue, sondern auch aus innerer Überzeugung -, mit dein Kollegen Schiller so zusammenzuarbeiten, daß eine wieder expansive Wirtschaft der Finanzpolitik die Möglichkeit bietet, die dringenden, nach vernünftigen Prioritäten geordneten Staatsaufgaben zu erfüllen. ({4}) Wegen der Steuererhöhungen möchte ich nicht rechten, Herr Kollege Starke. Hinsichtlich des Steueränderungsgesetzes 1964 - Senkung der Einkommensteuer - teile ich mit Ihnen die Auffassung: wenn der Staat diese Mittel behalten hätte, wären sie bestimmt nicht als Konjunkturrücklage in den großen Topf gegangen, sondern selbstverständlich einem der großen Anliegen zum Opfer gefallen. ({5}) Da gebe ich Ihnen völlig recht. Wenn aber heute immer wieder die Frage der Steuererhöhung gestellt wird, kann ich nur sagen, daß es für die nächsten Wochen und Monate in erster Linie darum gehen wird, die Ausgaben und ihre automatischen Zuwachsraten zu beschneiden. ({6}) Das ist eine schwere politische Aufgabe. Zweitens geht es darum, die Einnahmeseite zu verbessern, und zwar in erster Linie durch Beseitigung von Steuerprivilegien und Steuervorteilen, die entweder nicht mehr gerechtfertigt sind oder der Natur der Sache nach heute gar nicht mehr notwendig sind. Daß die Betroffenen sich darüber beklagen werden, darüber besteht gar kein Zweifel. Erst in dritter Linie kommen dann Steuererhöhungen. Kollege Schiller und ich vertreten gemeinsam die Auffassung, daß heute eine Erhöhung der Ertragsteuer überhaupt nicht in Betracht kommt, weil eine Ertragsteuererhöhung den negativen prozyklischen Effekt verstärken würde. Ich muß sagen, daß unsere Kollegen von der Sozialdemokratie, wenn ich an ihre früheren Vorstellungen vom Steuerplafond denke, einen weiten Weg zurückgelegt haben bis zu einem marktwirtschaftkonformen Denken, wenn sie heute auch gegenüber ihren Wählern und Anhängern sagen: Wir können die Ertragsteuer nicht erhöhen, wir können auch die Reichen nicht höher besteuern, und zwar deshalb nicht, weil eine solche Besteuerung wirtschaftspolitische Effekte auslösen würde, die zum Schluß den Arbeitsplatz gefährden würden. ({7}) Das ist meine Deutung Ihrer Haltung. Sie mögen mich ruhig korrigieren, aber so habe ich Professor Schiller verstanden. Es gab ja auf Ihrer und auch auf unserer Seite einmal andere Vorstellungen. Herr Kollege Dr. Starke, Sie wissen doch genauso wie ich, was die eigentliche Problematik ist. In den 50er Jahren, Anfang der 60er Jahre waren wir an große Wachstumsraten gewöhnt. Wir können sogar - und das gibt ja Ihnen wie mir doch hoffentlich zu denken - feststellen, daß damals trotz großer Wachstumsraten der Unterschied zwischen dem Zuwachs des realen und nominalen Bruttosozialprodukts kleiner war als die Differenz bei wesentlich geringeren Wachstumsraten. Warum? In den 50er Jahren, Anfang der 60er Jahre hatten wir noch beträchtliche Reserven. Wir hatten Reserven an Arbeitskräften - Heimatvertriebene, Flüchtlinge, Zuzug aus der Zone -, wir hatten noch die Möglichkeit, im Rahmen des vorhandenen Kapitals einen großen technischen Rückstand aufzuholen und damit die Produktivität zu verbessern. Wir haben das Mögliche erreicht und können nunmehr langsam weitere Fortschritte erzielen. Wir hatten auch noch die Reserve des ständigen Zuzugs von Arbeitskräften aus der Zone. Diese Arbeitskräfte sind bis zum letzten Mann in Arbeit und Brot gebracht worden. Heute haben wir keine Reserven mehr. Zur gleichen Zeit haben wir eine Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 42, zum Teil auf 40 Stunden gehabt. Das ist menschlich verständlich und entspricht einem großen sozialpolitischen Anliegen unserer Zeit. Ich bin nicht der Meinung, daß der Mensch nur lebt, um zu arbeiten, sondern ich meine, daß er manchmal auch arbeiten will, um besser leben zu können. Wir sollten hier also gar keine moralische Betrachtungsweise anwenden. Aber wenn alle Reserven ausgeschöpft sind, wenn die Arbeitszeit verkürzt worden ist und wenn die Kostenbelastung der Wirtschaft erheblich über das normale Maß hinaus gestiegen ist, dann müssen wir uns eben daran gewöhnen, daß wir uns von den Möglichkeiten eines schnelleren Wirtschaftswachstums auf die unvermeidbaren Konsequenzen eines langsameren Wirtschaftswachstums umzustellen haben, sowohl was den Anstieg der individuellen Einkommen als auch was das Ansteigen der finanzpolitischen Möglichkeiten, der Ausgabemöglichkeiten des Staates anlangt. Da befinden wir uns zur Zeit mitten in der Umschaltung, und diese Umschaltung erfordert Abstriche, die uns allen nicht sehr leicht fallen werden. Eines habe ich nicht verstanden, Herr Kollege Starke. - Ich will gern eine Frage beantworten. - In dem Pressedienst Ihrer Partei, „fdk - tagesdienst", steht folgendes: Im Gegensatz zur Regierungserklärung sehen die Freien Demokraten im Haushaltssicherungsgesetz 1965 sowie im Finanzplanungs- und Steueränderungsgesetz 1966 den richtigen Weg, um die sprunghaft steigenden Ausgaben des Bundeshaushalts einzudämmen; ... Da darf ich nur fragen: Warum haben Sie dann gegen diese Gesetze gestimmt, wenn Sie in ihnen den richtigen Weg sehen, um die Ausgabenflut einzudämmen? ({8})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Kollege Dr. Starke will anscheinend Ihre Frage mit einer Frage beantworten.

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich habe ja schon von vornherein meine Bereitschaft dazu erklärt.

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich nur die Frage stellen, Herr Kollege Strauß: Haben Sie nicht vorhin gehört, daß ich das gerade richtiggestellt habe, daß wir nämlich diesen Gesetzen bei der Einzelabstimmung zugestimmt haben bis auf zwei oder drei Punkte, zu denen wir Deckungsvorschläge bei der Lesung des Haushalts gemacht haben, und daß wir dann von dem Recht der Opposition Gebrauch gemacht haben, bei der dritten Lesung, der Schlußabstimmung, die gesamten Gesetze abzulehnen, weil darin die Punkte enthalten waren, bezüglich deren wir uns nicht durchgesetzt haben?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Kollege Starke, es ist Ihr gutes Recht zu entscheiden, wie Sie abstimmen wollen. Wenn man aber einen Weg grundsätzlich für richtig hält, dann kann man nicht wegen der Bedenken gegen Details durch ein Nein den Weg insgesamt ablehnen und ihn trotzdem als richtig bezeichnen. ({0}) Im „fdk-tagesdienst" - ich weiß nicht, ob diese Rede schon gehalten worden ist - lese ich heute den Beitrag eines Redners der FDP, in dem es heißt: „In den letzten Jahren haben wir von dieser Stelle aus" - das muß der Bundestag sein - „immer wieder auf die Gefahren einer verfehlten Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik für die mittelständische Wirtschaft hingewiesen." Auch diese Äußerung enthält noch eine Pauschalwertung und damit eine Pauschalabwertung der Regierungstätigkeit und der Koalition, der Sie angehört haben, der Tätigkeit des Bundeskanzlers dieser Koalition und ihres Wirtschafts- und Finanzministers. Ich glaube, daß wir hier die Auseinandersetzung über das Bestmögliche sehr wohl in offener Form im Zeichen der Loyalität und Toleranz führen können. Ich habe mich bemüht, hier die Dinge ganz offen zu sagen, meinen Standpunkt zu vertreten und die Fragen, die sich ergeben, zu beantworten, so gut ich kann. In den letzten Worten sprach Herr Kollege Starke - wenn ich es recht in Erinnerung habe - davon, daß die Bundesausgaben in der mittelfristigen Vorausschau ohne Änderung der gesetzlichen Verpflichtungen um 5 Milliarden DM erhöht worden seien. Ich füge ausdrücklich die Einschränkung hinzu: wenn ich es richtig verstanden habe. ({1}) - Ja. - Herr Kollege Starke, ich habe schon mehrmals, auch als parlamentarischer Sprecher, auch in Übereinstimmung mit dem Kollegen Schoettle, vor einer Entwicklung gewarnt, daß durch gesetzliche Verpflichtungen oder andere rechtliche Zwangsläufigkeiten ein immer größerer Prozentsatz des Bundeshaushalts festgelegt wird. Ich erinnere mich der Zeit, wo 75 % festgelegt waren und für 25 % noch eine Dispositionsfreiheit im Sinne einer gestaltenden Politik bestand; wir sind heute soweit, daß durch gesetzliche und rechtliche Verpflichtungen anderer Art etwa 92 % des Bundeshaushalts festgelegt sind und daß die durch politische Gewohnheiten gewissermaßen auch zu einer Art Verpflichtung gewordenen weiteren Ausgaben zusammen mit den rechtlich zwingenden Ausgaben die Hundertprozentgrenze für die nächsten Jahre bereits überschritten haben. Ich vertrete die Auffassung - ob es der Bundesregierung gelingt, das kann man heute noch nicht sagen; wir streben das Ziel an und werden es mit größter Konzentration und Energie verfolgen -, daß der finanzielle Bewegungsspielraum des Bundeshaushalts wieder so zu verbessern ist, daß für Aufgaben der gestaltenden Politik ein größerer Spielraum übrigbleibt. Unter den Mehrausgaben, Herr Kollege Starke, die Sie für die Zukunft nennen, steht ganz groß und auch unter meinem Einfluß der Titel „Wissenschaft und Forschung". ({2}) Bis jetzt sind die Mittel dafür noch nicht gesetzlich gebunden, aber daß wir für Wissenschaft und Forschung, angefangen vom Hochschulbau bis zur Großtechnologie in Zukunft noch mehr werden tun müssen, als wir in der Vergangenheit tun konnten, steht doch außer jedem Zweifel. Wenn das in eine mittelfristige Finanzvorausschau, wie sie Kollege Schmükker damals verwendet hat, eingeplant wird, dann entspricht das doch auch der von allen Seiten geforderten Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen, die nicht nur dem Gegenwartskonsum, sondern die den Sozialinvestitionen und der Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft dienen sollen. ({3})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Es werden eine Fülle von Zwischenfragen gewünscht. Zunächst Herr Abgeordneter Ertl!

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Strauß, darf ich Ihre letzten Ausführungen so verstehen, daß Sie in Kürze dem Parlament Vorschläge unterbreiten wollen, in welcher Form Sie gesetzliche Verpflichtungen weitgehend einschränken können?

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Ich verstehe Ihre Frage nicht. Ich habe lediglich davon gesprochen und darf es wiederholen, daß durch gesetzliche Verpflichtungen und andere rechtliche Festlegungen über 90 % des Bundeshaushalts heute festgelegt sind und daß durch weitere politische Verpflichtungen, die auch zu einer Art von Gewohnheitsrechten geworden sind, zusätzlich mehr als 8 % festgelegt sind, so daß die Gesamtheit dessen unter Berücksichtigung des zu schätzenden Ausgabenzuwachses der nächsten Jahre über 100 % der nach der heutigen Rechtslage sich ergebenden Einnahmen ausmachen würde. Ich habe ferner den Grundsatz vertreten, daß sich eine gestaltende, moderne, in die Zukunft weisende Bundespolitik durch gewisse Änderungen wieder einen größeren finanziellen Bewegungsspielraum verschaffen muß. Das ist eine Notwendigkeit, die ich jedenfalls vertrete und für die vielleicht auch noch andere politische Kräfte eintreten werden. Ich glaube, daß unter diesem Gesichtspunkt z. B. die in der Schmückerschen Vorausschau aufgeführten Mehrbeträge für das Wissenschaftsministerium zu erwähnen sind. Sie unterliegen bis jetzt nicht gesetzlicher Verpflichtung, ihre Steigerung ist auch nicht durch eine gesetzliche Dynamisierung herbeigeführt, sondern einfach durch die Notwendigkeit, hier Prioritäten zu setzen. Eine der Prioritäten für die Zukunft muß sein, nicht nur Gegenwartskonsum durch Vermögensübertragungen zu steigern, sondern vor allen Dingen Sozial- und Bildungsinvestitionen - einschließlich Wissenschafts- und Forschungsinvestitionen - in einem größeren Umfang zu finanzieren, als es bisher möglich war. Das ist kein Vorwurf gegen jemand, der bisher daran gearbeitet hat. Aber das erfordert einen Prozeß des Umdenkens und der eigenen geistigen Umstellung, der ohne Verzicht und Opfer leider nicht erbracht werden kann. ({0})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Ertl zu einer Zwischenfrage.

Josef Ertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000493, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Strauß, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie auch deshalb für Steuererhöhungen sind, weil Sie mehr politischen Spielraum für neue Maßnahmen haben wollen, und daß sie deshalb nicht so sehr die Ausgaben - ({0})

Dr. h. c. Franz Josef Strauß (Minister:in)

Politiker ID: 11002270

Herr Kollege Ertl, wenn ich parlamentarischer Sprecher wäre, würde ich sagen: „Si tacuisses, philosophus mansisses!" und würde es begründen. Sie wissen doch ganz genau, daß allein die Abdeckung des Haushalts 1967 mit einer den Kapitalmarkt nicht unvertretbar belastenden Erfüllung des Offset-Abkommens die Wahl aller drei Mittel: Ausgabenverminderung, Einnahmenverbesserung durch Beseitigung von Steuervorteilen und eine maßvolle Anhebung von Verbrauchsteuern, leider erforderlich gemacht hat. Ich habe dem Kollegen Starke schon das letztemal bei der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes die Frage gestellt: Glauben Sie denn wirklich noch, daß es angesichts der nunmehr auf dem Tisch liegenden Finanzlage ohne Steuererhöhungen möglich gewesen wäre, den Haushalt 1967 abzugleichen? Ich darf noch weiter gehen: Selbst wenn das möglich gewesen wäre, würde man ja eine Flut von Ausgaben mit stärkster Belastung des Geld- und Kapitalmarkts vor sich herschieben, so daß die Verhältnisse 1968/69 für jede Regierung unerträglich würden. ({0}) Darum sollten wir uns alle, ob Regierung oder Opposition, gemeinsam zum Ziel setzen, im Jahre 1967 die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen, damit wir in den Jahren 1968/69 mit Wettbewerbsgleichheit und mit einer klaren, sauberen Bilanz vor die Öffentlichkeit treten können. ({1})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt ({0}).

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute früh konnten wir den Zeitungen den neuesten Lebenshaltungskostenindex - für November - entnehmen: Die Zahl 2,9 % ist an sich schon interessant. Besonders interessant ist, daß diese Zuwachsrate höher liegt als die vom Oktober, wenn auch nur unwesentlich höher. Ich meine daher, daß wir von einer falschen Voraussetzung ausgehen würden, wenn wir die wirtschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Monate unter der Devise angingen: Stabilität haben wir schon; jetzt fehlt etwas anderes. Einige Kollegen haben sogar bestritten, daß Wachstum und Beschäftigung überhaupt gefährdet seien. Tatsächlich zeigt doch die Preisentwicklung unter Berücksichtigung des Bildes, das vorhin der Kollege Dr. Alex Möller von der Wirtschaftsentwicklung, den Produktionsrückgängen in der Industrie und in der Bauwirtschaft, von der schlechten Lage im Einzelhandel und im Großhandel sowie von den Zukunftsaussichten gezeichnet hat, daß beide Ziele anzupacken sind, nämlich sowohl die Stabilität als auch das Wachstum. Die aktuelle Preisentwicklung zeigt uns aber noch etwas zweites. Sie zeigt, daß die bisherige Politik der Nachfragedämpfung, daß also der Versuch, Stabilität durch langanhaltende Kreditrestriktionen und Nachfragedämpfung zu erreichen, zwar zu einer schweren Beeinträchtigung der Güterproduktion geführt, unsere Steuereinnahmen ruiniert hat und die Arbeitslosigkeit im kommenden Winter vergrößern wird, aber dennoch keine Preisstabilität gebracht hat. Das ist das Faktum, von dem wir ausgehen müssen. ({0}) Die Welt von heute ist kompliziert. Es ist möglich - entgegen dem, was wir früher einmal gelernt haben -, daß gleichzeitig die Produktion nach unten und die Preisentwicklung nach oben geht. Davon muß die Regierung ausgehen. Ich finde es gut, daß die Regierung sich nicht lange mit der Vergangenheit aufgehalten hat, daß sie nicht, was einige Kollegen hier gewünscht haben, die „bewährten 18 Jahre" vorgeführt hat; denn über die Bewährung in diesen 18 Jahren hätte es in diesem Hause eine Diskussion gegeben. Die sozialdemokratische Fraktion hätte nämlich unterscheiden müssen, und zwar nach den ersten zwölf und nach den zweiten sechs Jahren. In der ersten Periode konnten Wachstum und Stabilität zusammen tatsächlich gesichert werden. In den sechs Jahren der zweiten Periode - und diese sechs Jahre decken auch die Amtszeit des Herrn Bundesfinanzministers Dr. Starke - mußten bei geringerem Wachstum als zuvor erhebliche Preissteigerungen in Kauf genommen werden. Zu der zweiten Periode hätte die sozialdemokratische Fraktion in einer Debatte über eine entsprechende Regierungserklärung feststellen können, daß sie und nicht andere Fraktionen auf dem laufenden gewesen ist. Schon Herr Dr. Deist hat in diesem Hause eine „Wirtschaftspolitik aus einem Guß" gefordert. Das ist in der Regierungserklärung mit „Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik" und mit „langfristiger Abstimmung in einer mittelfristigen Finanzplanung" umschrieben worden. Bei den konjunkturpolitischen Auseinandersetzungen im Jahre 1964 mußten meine Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion des 4. Bundestages darauf hinweisen, daß am Anfang eines Aufschwungs mit Erfolg gebremst werden könne, daß dies aber, je länger man damit warte, immer schwieriger sein würde. Wir haben dann in diesem 5. Bundestag selbst miterlebt die unterschiedlichen Auffassungen dieses Hauses und der Regierung über eine Stabilitätsaktion ohne die Gefahren einer Stagnation. Das alles hätte in einer entsprechenden Regierungserklärung stehen müssen, wenn die letzten 18 Jahre behandelt worden wären. Sie hätte ja nicht einfach aussagen können: 1948 ging es uns allen sehr schlecht, und jetzt geht es uns allen viel besser; man hätte den Zeitverlauf zwischendurch behandeln müssen. Ich finde es sehr weise, daß die Erklärung der Regierung Kiesinger dies vermieden hat, daß sie unmittelbar von der Lage ausgeht, die die neue Regierung heute vorfindet. Einer Lage, die im kommenden Winter wirtschaftlich außerordentlich schwierig sein wird. Die Regierung hat sich vorgenommen - und muß es nach dem Willen dieses Hauses auch schaffen -, beide Aufgaben zu lösen: die Beschäftigung zu stabilisieren und die Preisentwicklung nicht erneut ausarten zu lassen. Dazu muß die Regierung zunächst einmal - und das leuchtet mir ein - mit einem expansiven Programm starten. Es ist jetzt aber notwendig, die Produktivitätsentwicklung in der Industrie und in der gesamten verarbeitenden Wirtschaft durch Nachfragestützung zu steigern, damit die uriselige Spanne zwischen Produktivität und Löhnen auch von der Produktivitäts-Seite, wenn auch nicht nur von dieser Seite, verkleinert werden kann. ({1}) Ich fürchte, wir werden dieses expansive Programm bald brauchen, auch wenn die Regierung an3770 Dr. Arndt ({2}) kündigt: Falls erforderlich, wird ein öffentliches Investitionsprogramm nötig sein. - Ich schätze, wir werden es bald brauchen. Erinnern Sie sich bitte an die Debatte, die wir im September über das Stabilitätsgesetz hatten. Schon damals durfte ich als Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion darauf hinweisen, daß wir an sich schon damals eine Investitionsanregung im Tiefbau und in gewissen Bereichen der elektrotechnischen Industrie - allerdings ein Programm in viel kleinerem Umfang - gebrauchen würden. Wenn wir mit den Anregungen, die wir für das Frühjahr brauchen - ich habe aber keinen Zweifel, daß etwas geschehen wird -, noch länger warten, werden die öffentlichen Ausgaben, die zur Konjunkturstützung benötigt werden, nur noch größer und größer werden, weil die Wirtschaftstätigkeit in der nächsten Zukunft ohne öffentliche Initiativen einfach nicht besser werden kann. Man muß sich einfach vor Augen führen, daß dies die Ausgangslage der Regierung ist, daß diese Regierung also jetzt keinen Leistungsbeweis zur Bekämpfung einer Konjunkturüberhitzung anzutreten hat, sondern einen Leistungsbeweis zur Bekämpfung einer möglichen Rezession bei weiteren Preissteigerungsgefahren. Die Ausgangslage kann sich die Regierung ja nicht aussuchen. Die Öffentlichkeit und das Hohe Haus sind gezwungen, der Regierung abzunehmen, daß sie entschlossen ist, wenn die Wirtschaft erst wieder in Gang gekommen ist und die Stabilität der Beschäftigung gesichert ist, auch einem Ausufern der Nachfrage- und Preisentwicklung entgegenzutreten. Aber im Augenblick kann sie nur für die Situation handeln, die von ihr zur Zeit angetroffen wird, und diese Situation verlangt Nachfragestabilisierung. ({3}) - Ja, darauf werde ich gleich kommen. ({4}) Diese Frage wird sich Herr Dr. Brüning vielleicht im Jahre 1930 auch gestellt haben: Wo nehme ich das Geld her? Es wäre wünschenswert gewesen, er hätte über diese Frage nicht allzu lange nachgedacht ({5}) und sich in klarer Sprache an die Leute gewendet, die für die Geldversorgung der Wirtschaft nun einmal zuständig sind. Ich möchte nicht, daß wir den Bundeskanzler und den Bundesfinanzminister in eine Situation bringen, die der von damals auch nur irgendwie ähneln könnte. ({6}) Meine Damen und Herren, hier ist vorhin vom Kollegen Pohle gesagt worden, man könne doch nicht einfach den Geldhahn aufdrehen. Ich weiß nicht, was diese Polemik bedeuten soll. Eine antizyklische Politik der Notenbank heißt, daß sie 1964 den „Geldhahn" entschiedener hätte abdrehen sollen und daß sie ihn jetzt aufdrehen sollte. Wir müssen von der Notenbank doch die gleiche Rücksicht auf die Gesamtwirtschaft verlangen wie von der Regierung. ({7})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Abgeordneter Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Starke?

Dr. Heinz Starke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002218, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie die wirtschaftliche Situation Anfang der dreißiger Jahre mit der heutigen vergleichen wollen und damit behaupten wollen, die Notenbank oder der Zentralbankrat müßten daraus Schlüsse für ihr Verhalten heute ziehen?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will die Frage in zwei Teilen beantworten: Erstens haben wir heute noch nicht die Situation des Jahres 1930, ganz ohne Zweifel. Zweitens wäre damals die deutsche Reichsbank gut beraten gewesen, wenn sie schon 1928 die Kreditbremsen gelockert hätte. - Das sind die beiden Antworten darauf. Meine Damen und Herren, wir werden - der Bundesfinanzminister ist um diese Aufgabe nicht zu beneiden - bei einer Finanzpolitik, die versucht, die Deckungslücken des Tages auf kontraktivem Wege zu schließen durch Ausgabenkürzung und durch Steuererhöhungen -, möglicherweise erleben, daß das gar nicht geht, daß sich die Schätzungen für unsere Basiseinnahmen an Steuern bei einem derartigen Manöver von Monat zu Monat verschlechtern werden. Herr Dr. Möller hat darauf hingewiesen, daß die Institute bereits im Oktober eine pessimistischere Schätzung hatten als die damalige Bundesregierung. Dem Bundestag ist allerdings nur von der Schätzung der damaligen Regierung berichtet worden, die auf minus 1,1 Milliarden DM hinauslief und nicht auf minus 1,9 Milliarden DM. Aber die Institute würden wahrscheinlich bei der Schätzung, die sie das nächste Mal machen werden, für das Bundesfinanzministerium noch zu weit pessimistischeren Annahmen kommen müssen. ({0}) Wenn wir versuchten - das muß leider erörtert werden -, das Defizit, dieses Riesenloch im Bundeshaushalt, durch Steuererhöhungen und Ausgabekürzungen zu bekämpfen, würden wir nur erleben, daß nachher in den effektiven Zahlen das Defizit wiederkommt, und dann, Herr Dr. Schmidt, muß es ja auch finanziert werden. Darüber ist sich, glaube ich, sogar die Bundesbank klar, daß sie die Fehler der damaligen Reichsbank, eine Deflationspolitik sogar noch in einem sehr fortgeschrittenen Stadium zu betreiben, nicht machen wird. ({1}) - Ja, doch, wir machen eine. Denn antizyklische Politik, Herr Dr. Schmidt, hätte geheißen, daß im Dr. Arndt ({2}) Jahre 1965 in Zeiten der Hochkonjunktur der Ausgabenstoß bei den Staatsausgaben hätte unterbleiben müssen und die Steuersenkung ebenfalls, und antizyklische Politik am Ende des Jahres 1966 - ich würde meinen, schon zur Jahresmitte 1966 - muß heißen, die Staatsausgaben nicht weiter zu drosseln und die Nachfrageentwicklung - man kann von einem regelrechten Zusammenbruch der Entwicklung der Binnennachfrage reden; bei den Exporten ist es anders - rechtzeitig zu stützen. Mit jedem Monat, für den das unterbleibt, wird die Situation für uns und für die Menschen draußen immer schwieriger werden. Jeder in diesem Hause wird - davon bin ich überzeugt - die Situation im Frühjahr auch mit diesen Mitteln bekämpfen wollen. Da wird es aber viel schwieriger sein. Im Grunde genommen ist das, was von der Bundesbank erwartet wird, etwas ganz Selbstverständliches: Die Bundesbank soll situationsbezogen reagieren. Das heißt im Augenblick, sie soll die Liquidität der Banken so weit stärken, wie notwendig, damit die Banken z. B. Wertpapiere kaufen können, der Kapitalmarkt sich belebt und auch die öffentliche Hand nach einer gewissen Schonfrist an den Kapitalmarkt herantreten und die zusätzlichen Investitionen finanzieren kann, die halt notwendig sind, um die Wirtschaftsentwicklung zu stabilisieren. Denn es geht ja nicht nur darum, ob wir einen Monat mehr oder weniger Wachstumsverluste haben. Das könnte verschmerzt werden. Aber während dieses einen Monats überschreiten wiederum Menschen die politische Grenzlinie zum Radikalismus, und dieser Prozeß ist nicht so leicht reversibel wie der andere. ({3}) Antizyklische Politik heißt, ein halbes Jahr oder vielleicht noch länger vorher den Kurs zu ändern, also den Kurs zu einer Zeit zu ändern, wo das öffentliche Bewußtsein noch auf einer ganz anderen Situation ruht, auf dem der Überhitzung oder im anderen Fall auf der der Flaute. Das ist die schwierige Führungsaufgabe, die auch von dieser Regierung erwartet wird, die einer jeden bisher schon gestellt war: Bescheid zu wissen über die nächste Zukunft, um die Öffentlichkeit informieren zu können und um Verständnis zu wecken für die Maßnahmen der nächsten Zukunft. Das scheint mir im wirtschaftspolitischen Programm der Regierung hinreichend geschehen zu sein. Es schadet nichts, wenn man genau weiß, daß wir durch ein Tal hindurch müssen, daß aber die Tiefe des Tals und seine Breite davon abhängen werden, wie schnell sich dieses Haus und wie schnell sich auch die bewußte Institution in Frankfurt am Main zu einer antizyklischen Politik - und das ist im Moment expansive Politik, das kann im nächsten Winter wiederum eine kontraktive sein - durchringen. Dafür wollte ich mit meinen Worten nur um Verständnis werben und die Regierungserklärung in diesem Punkte begrüßen. Es geht hier nicht um Prioritäten zwischen Stabilität und Wachstum. Das sind gleichrangige Ziele. Aber wir haben gesehen, man kann Wachstum verlieren, ohne Stabilität zu gewinnen. Wenn aber mit dem Stabilitätsprogramm, das in der Regierungserklärung niedergelegt ist, ernst gemacht wird - was allerdings heißt, daß man die Gruppen in voller Information und in ihrem Interesse zu gleichgerichteten Aktionen zu gewinnen sucht -, kann man mit diesem Programm Wachstum und Stabilität haben. Zwar wird dies keine Preisindexsteigerung von Null sein, aber doch eine Preisstabilität, die weit besser ist als die, die in den letzten fünf Jahren durch Treibenlassen und prozyklisches Handeln - und wahrscheinlich beides nur aus einem Mangel an Bescheidwissen - entstanden ist. ({4})

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menne.

W. Alexander Menne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001471, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatten verfolgt, kann man ganz klar feststellen, daß sich die Partner der heutigen Regierungskoalition bis vor ganz kurzer Zeit scharf bekämpft haben. Die Regierungserklärung enthält deshalb auch sehr viele Kompromisse, besonders auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Wir von der FDP haben nicht den Eindruck, daß es sich um eine geschlossene Konzeption handelt. Wir befürchten, daß bei dieser - wie soll ich sagen - unklaren Ausrichtung der Regierungskoalition von der neuen Koalition kaum die richtigen Maßnahmen zu erwarten sind. Man konnte drei divergierende Strömungen feststellen, nämlich die Außenpolitik der CSU, die Finanzpolitik der CDU und die Wirtschaftspolitik der SPD. Sie entstehen nämlich aus drei ganz verschiedenen Grundauffassungen zur Politik und auch zur Wirtschaft. Die seit fast 20 Jahren bewährte soziale Marktwirtschaft, die seinerzeit von der FDP mit Herrn Erhard durchgesetzt worden ist - womit ich aber der CDU nicht den Herrn Erhard stehlen will, wie vorhin jemand meinte -, ({0}) wird leider den planwirtschaftlichen Vorstellungen, die unsere Freunde von der SPD naturgemäß haben, bis zu einem gewissen Grade preisgegeben. Ich hoffe aber, daß die neuen Freunde Strauß und Schiller unsere Befürchtungen durch ihre Taten zerstreuen werden. ({1}) Wir werden jedenfalls sehr darauf achten, wie das Resultat dieser Arbeit aussehen wird. Unsere Wirtschaft braucht eine klare Wirtschaftspolitik. Das hat der Herr Bundeskanzler gesagt. Wir vermissen aber, wie ich gesagt habe, die Konzeption, denn die neue Koalitionsregierung will das alte Rezept durchführen: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und forciertes Wachstum; und das, meine Damen und Herren, zur gleichen Zeit! Man spricht hier von einem magischen Viereck. Ich glaube, es ist auch ein magisches Vier3772 Dr. h. c. Menne ({2}) eck; denn es bedarf magischer Einflüsse - ich hoffe, daß die Kollegen Strauß und Schiller darüber verfügen -, um diese vier zum Teil sehr konträren Ziele ausrichten zu können. ({3}) Ich fürchte nämlich, daß das eine Ziel das andere stören könnte. Wenn die Regierung zwei Zielvorstellungen hat - forciertes Wachstum und Stabilität der Preise -, dann sind sie nicht zu gleicher Zeit zu verwirklichen. Man muß sich für ein Ziel entscheiden. Anscheinend will man das Wachstum vorrangig fördern. Wir von der FDP sind für ein Wachstum, das sich aus der Stabilität entwickelt, ({4}) während die Koalitionsregierung durch die Forcierung des Wachstums, ohne vorher den Bundeshaushalt in Ordnung gebracht zu haben, die bisherigen guten Ansätze für die Stabilität nach meiner Meinung aufs Spiel setzt. ({5}) - Die Hälfte ist auch ausreichend, Herr Kollege. Obwohl die neuen Regierungsparteien vor der Koalitionsbildung versprachen, die Währung zu stabilisieren, sieht der Haushaltsvoranschlag für 1967 eine Erhöhung der Konsumausgaben um 8 % vor. Das ist kein Beitrag zur Stabilität! Statt die Ausgaben zu senken und den defizitären Haushalt auszugleichen, will die Koalitionsregierung gewissermaßen den angenehmen breiten Weg gehen, der nach der Bibel in die Hölle führt, ({6}) indem sie nämlich die Steuern erhöht und kräftig Schulden machen will. Unser Kollege Möller hat allerdings ausgeführt, daß er das Defizit - er hat dafür scheinbar ein Geheimrezept - weder durch Erhöhung der Steuertarife noch durch Ausgabenkürzungen beseitigen will; sondern er meint, daß durch die Ankurbelung der Wirtschaft ein erhöhtes Steueraufkommen erzielt werden wird. Ich möchte ihm Recht geben. Wenn mehr Umsätze sind, gibt es mehr Steuern. Aber die Ankurbelung braucht erfahrungsgemäß ein halbes Jahr, bevor sie merkliche Auswirkungen hat. Eine weitere zwangsläufige Verzögerung tritt durch unser Steuererhebungsverfahren ein, so daß frühestens - wenn überhaupt - im Haushalt 1968 das Möllersche Ziel erreicht werden kann. Ich sehe in dem forcierten Wachstum eine Umkehrung der bisherigen Politik der Stabilität. Während es die bisherige Bundesregierung aus gutem Grunde ängstlich vermieden hat, neue Anleihen zu placieren oder Kredite aufzunehmen, schlägt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor, 2,5 Milliarden DM - ich gebe zu, für an sich sehr wünschenswerte Investitionen - auf dem Kreditwege zu finanzieren. Wenn die neue Bundesregierung mit derart massiven Forderungen an den Kapitalmarkt herantritt, so kann die Wirtschaft nicht mehr die nötigen Mittel für die erforderlichen Investitionen der Produktionen bekommen. Der Appell der neuen Koalition an die Bundesbank - und ich höre, daß Herr Schiller sich zur Zeit in Frankfurt befindet -, die Kreditrestriktionen zu lockern, wird eine sofortige Besserung des Kapitalmarktes nicht in dem Umfang herbeiführen, daß der Staat Milliardenkredite aufnehmen. kann. Die Krise am Kapitalmarkt ist doch nicht allein durch die Bundesbank entstanden. Sie ist daher auch nicht allein durch die Aufhebung der Restriktionen zu beheben. Es kommt auf die Reduzierung der Ausgaben der öffentlichen Hand und nicht auf deren Erhöhung an. ({7}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir auch die Bemerkung erlauben: Die Bundesbank muß auch von der neuen Bundesregierung als Hüterin der Währung respektiert werden. Das Bundesbankgesetz schreibt das ausdrücklich vor. Ich halte es daher nicht für richtig, daß die Regierungserklärung von der Bundesbank eine Änderung der bisherigen Restriktionspolitik verlangt. Das müßte verhandelt werden. Insofern begrüße ich es, daß Herr Schiller in Frankfurt ist. ({8}) - Herr Kollege, wenn Sie einen Einwurf machen wollen - ich kann Sie hier leider nicht hören -, dann lade ich Sie gerne dazu ein. - Eine solche Forderung sollte nicht in einer Regierungserklärung erhoben werden. Hier sehe ich einen Druck auf die Bundesbank. Das möchte ich im Interesse der Bundesbank hier gesagt haben. ({9}) Sie hat es bisher verstanden, zusammen mit der Wirtschaft unsere Währung in Ordnung zu halten. Meine Fraktion hat im Rahmen der vorigen Bundesregierung die rasche Verabschiedung des Stabilisierungsgesetzes gefordert, und zwar, um die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand zu beschränken und um unsere D-Mark und die Wirtschaft in Ordnung zu halten. Die neue Bundesregierung hat den Gesetzentwurf in die Regierungserklärung übernommen, aber entscheidende Änderungen - im Gegensatz zur bisherigen Haltung unseres alten Koalitionspartners - angekündigt. Wie aus der Umbenennung des Gesetzestitels von „Stabilität" auf „Stabilität und Wachstum" zu erkennen ist und wie ich vorhin schon ausgeführt habe, hat sie das Wachstum in den Vordergrund gestellt. Ich glaube, daß unsere alten Kollegen ihre Grundsätze dabei aufgegeben und den Vorstellungen der SPD nachgegeben haben, die sie uns schon vor einigen Wochen vorgetragen hat. So sehr wir das Wachstum der Wirtschaft wünschen, so sehr fürchten wir ein Abgleiten in die Instabilität. Da hat es mich besonders gefreut, daß einige meiner Vorredner aus der jetzigen Regierungskoalition derselben Ansicht sind wie ich und daß sie es hier freimütig gesagt haben. Dr. h. c. Menne ({10}) Ich halte die Meinung des Kollegen Arndt, daß die Bundesbank eine Deflationspolitik betrieben hat, nicht für ganz richtig. Der Kapitalmarkt war sicher ausgetrocknet. Aber durch wen? Durch die Anleihen der öffentlichen Hand, insbesondere der Gemeinden. Die Ansprüche an den Kapitalmarkt - das möchte ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen - waren völlig übertrieben. Ich bin der Meinung - ich bin nicht der Vertreter der Bundesbank, damit kein Irrtum entsteht; wir von der FDP haben sie auch nicht übernommen -, daß sich die Bundesbank sehr große Verdienste erworben hat, indem sie die Augen der Öffentlichkeit darauf gerichtet hat, daß wir nicht einfach leben können - wie man früher so schön sagte - wie Gott in Frankreich. ({11}) - Genau, Sie meinen die Untergrundbahnen? ({12}) - Ich wohne nicht mehr in Düsseldorf. Das ist eine sehr schöne Stadt, Herr Mende. Ich muß wieder einmal hingehen. ({13}) Wie die Bundesbank mehrfach erklärt hat, sind neben der Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand ohne Zweifel die ständig über den Produktivitätsfortschritt hinausgehenden Lohnkostensteigerungen eine Hauptursache für die inflationären Preistendenzen. Von 1960 bis 1966 stiegen die Lohnkosten pro Produktionseinheit real um fast ein Drittel. Dazu meinen die Sachverständigen in ihrem neuen Gutachten, daß es nicht mehr zu ertragen ist. Ich begrüße daher grundsätzlich den Vorschlag der Bundesregierung, den Tarifpartnern künftig Orientierungshilfen zu geben. Ich hoffe, daß die Daten für tragbare Lohnerhöhungen an dem realen Produktivitätszuwachs ausgerichtet werden. Wird dies aber der neuen Bundesregierung gelingen, wenn sie zugleich eine expansive Wirtschaftspolitik einleiten will? Das scheint mir fraglich. Ich fürchte, daß dann wieder übertriebene Lohnforderungen gestellt werden. Wir von der FDP werden als Opposition sehr sorgfältig beobachten, wie die neue Bundesregierung die Orientierungshilfen geben wird, ohne die Tarifhoheit anzutasten, und inwieweit es ihr gelingt, die Tarifpartner zu überzeugen. Diese Lohnleitlinien müssen so ausgerichtet sein, daß auch die mittelständischen Betriebe, die schwächeren Branchen und die lohnintensiven Dienstleistungsbetriebe sie ertragen können. Nun möchte ich noch zu einem anderen Punkt kommen: Die Bundesregierung hat sich auch für die außenwirtschatfliche Absicherung unserer Währung ausgesprochen. Falls die Regierung beabsichtigt, die bisher bekannten Vorstellungen ihres neuen Koalitionspartners zu übernehmen, so möchte ich sie darauf aufmerksam machen, daß sie sich dann in einen Gegensatz zu den Äußerungen der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung zum Stabilitätsgesetz im Wirtschaftsausschuß setzt. Die Sachverständigen haben damals übereinstimmend festgestellt, daß es zur Zeit keine sinnvollen Möglichkeiten für eine außenwirtschaftliche Absicherung gibt.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Herr Matthöfer möchte eine Frage an Sie stellen.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Menne, würden Sie diese Gelegenheit benutzen, aus Ihrer besseren Kenntnis der Sachlage eine Behauptung richtigzustellen, die Ihr Kollege Herr Busse in einer Zwischenfrage aufgestellt hat, nämlich die, die sozialdemokratische Fraktion habe durch ihr Verhalten die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes planmäßig und bewußt hinausgezögert?

W. Alexander Menne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001471, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich war nicht in diesem Saal, als Kollege Busse darüber gesprochen hat. Wir sollen zwar immer im Plenum sein, aber man verlangt ja gleichzeitig noch eine ganze Menge anderer Dinge von uns. Ich habe also die Frage nicht gehört. Ich möchte aber sagen, daß die SPD beim Stabilitätsgesetz insofern eine Verzögerung - in der ich aber keinen bösen Willen sehe - herbeigeführt hat, als sie 17 Änderungsanträge stellte - oder vielleicht auch nur 11 -, deren Behandlung einige Sitzungstage erfordert hat. Ich nehme an, daß Herr Kollege Busse das gemeint hat.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000364

Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Warum haben Sie denn, Herr Dr. Menne, damals gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner der Einsetzung des von uns geforderten Sonderausschusses für dieses Gesetz nicht zugestimmt? Das hätte doch der Beschleunigung gedient.

W. Alexander Menne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001471, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir fürchteten damals zusammen mit unseren Koalitionspartnern - heute können Sie es anders entscheiden, wir sind ja jetzt Opposition -, daß Sonderausschüsse die Tendenz haben, die Dinge zu verzögern. Ich glaube, die Entscheidung, allein den Wirtschaftsausschuß - federführend - zu beauftragen, war richtig. Die Ursachen der Verzögerung, Herr Matthöfer, kennen Sie ja genauso gut wie ich. Wir hatten natürlich keine Regierungskrise und derartiges eingeplant. Ich hoffe aber, daß es uns gelingt - und zwar uns dreien: der SPD, der CDU und uns dieses Stabilisierungsgesetz jetzt möglichst rasch über die Bühne zu bringen. An mir soll es nicht fehlen. ({0}) Ich möchte aber darauf zurückkommen, daß die. Sachverständigen - die doch zu einem sehr großen Teil die Meinungen dieses Hohen Hauses beeinflussen, zum mindesten gewisse Richtungen - damals gesagt haben: Es gibt keine sinnvollen Möglichkeiten für eine außenwirtschaftliche Absicherung. Ein Sprecher der Bundesbank hat dazu gesagt, daß angesichts der gegenwärtigen konjukturellen Lage Dr. h. c. Menne ({1}) eine außenwirtschaftliche Absicherung durch Variation der Wechselkurse unzweckmäßig sei, denn sie würde bei der Exportintensität unserer Industrie gefährlich sein. - Ich habe lediglich zitiert, was die Bundesbank und die Sachverständigen gesagt haben; nicht ich. Genauso irreal ist aber der neue Vorschlag des Sachverständigenrates, durch eine automatische und garantierte Aufwertung der D-Mark eine Absicherung unserer Währung herbeizuführen; denn diese Maßnahme würde zu einer schweren Belastung auf den Exportmärkten führen. Eine Erhöhung der Kaufkraft der D-Mark bedeutet eine Erhöhung der Exportpreise; und wir haben in der Wirtschaft genug zu kämpfen. Der Außenhandel ist für die Bundesrepublik als zweitgrößte Welthandelsnation lebensnotwendig. Ich bin deswegen der Meinung - ich gehe jetzt zwar von der Regierungserklärung ab -, daß die von den Sachverständigen angeregte Verknüpfung von D-Mark-Aufwertung und Lohn-Leitlinien nicht zweckmäßig ist. Hier ist so viel darüber geredet worden, daß wir Wachstum haben müssen, um die Wirtschaft wieder in Ordnung zu bringen. Meine Damen und Herren, ich bin der letzte, der die Schwierigkeiten in der Wirtschaft verkennt. Aber glauben Sie doch nicht, daß es jemals auf der Welt eine Wirtschaft gegeben hat, wo immer alles nach oben geht. Die jetzigen Schwierigkeiten sind noch keine Krise! Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die Regierungserklärung in wirtschaftspolitischer Hinsicht Vorstellungen entwickelt hat, die Zielkonflikte in sich bergen. Das Vorhaben der neuen Regierung, der Wirtschaft für ihre Dispositionen einen festen Rahmen zu geben, auf den sie sich verlassen kann, muß deshalb fehlschlagen. Während die neue Regierung einerseits marktwirtschaftliche Elemente der alten Regierung übernommen hat, spricht sie nunmehr von Globalsteuerung. Und wenn im jetzigen Zeitpunkt die Globalsteuerung empfohlen wird, so muß man annehmen, .daß ihre Instrumente über die bestehenden fiskalischen und monetären Maßnahmen hinausgehen sollen. Ich wollte deshalb den Herrn Bundeskanzler - der aber schon lange nicht mehr hier ist - fragen, was er eigentlich unter der Globalsteuerung konkret versteht. Handelt es sich dabei um planwirtschaftliche Vorstellungen? Ist das die „neue Politik" ? Dann können wir nur davor warnen. Denn in allen Ländern der Welt, ob im Westen oder im Osten, hat sich die Wirtschaftsplanung nicht bewährt. Ich spreche hier nicht etwa gegen die Finanzplanung im Bundeshaushalt; ich meine die Planwirtschaft. Wir sind der Meinung, daß gerade die Freiheit der Wirtschaft von solchen Planungen unsere großen Erfolge in der Bundesrepublik möglich gemacht hat. Ich möchte schließen, indem ich dem Herrn Bundeskanzler sehr viel Erfolg in seinen Bemühungen wünsche, - trotz aller Vorbehalte. Er hat die Opposition der FDP als eine kleine Opposition apostrophiert, wobei er wahrscheinlich die Zahl meint. Wir sind nur fünfzig. Wir werden trotzdem versuchen, die Aufgaben einer parlamentarischen Opposition sachlich wahrzunehmen. Wir werden aber dem Bundeskanzler dort folgen, wo wir von der Richtigkeit seiner Politik überzeugt sind, und zwar im Interesse unseres Volkes. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal insofern eine erfreuliche Mitteilung zur Rednerliste machen: Ich habe hier noch 21 Redner auf der Liste. Einige davon haben nur fünf Minuten Redezeit gewünscht; es gibt aber auch andere, die wesentlich länger zu sprechen wünschen. Wir hatten im Ältestenrat vorgesehen, daß morgen vormittag mit der Aussprache über den außenpolitischen und sicherheitspolitischen Teil der Regierungserklärung und mit der Diskussion zur Deutschlandpolitik begonnen werden sollte. Meine Damen und Herren, wenn die Redefreudigkeit so groß bleibt - was begrüßenswert ist -, dann schätze ich, daß Sie und wir alle uns hier auf Sonnabendabend einrichten können. ({0}) Ich bitte, das freundlich zu bedenken und den Bundestagspräsidenten dann nicht dafür haftbar zu machen, daß Sie erst am Sonntag die traute Familie adventlich wiedersehen. Jetzt hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Luda.

Dr. Manfred Luda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung ist, was den wirtschaftlichen Teil betrifft, zu interpretieren nach Maßgabe des § 2 des Gutachtergesetzes, in dem bekanntlich die Ziele der deutschen Wirtschaftspolitik gesetzlich fixiert worden sind, also im Sinne des sogenannten magischen Vierecks. Die größere Aufmerksamkeit müssen wir ja immer denjenigen Zielen widmen, die zur Zeit am wenigsten verwirklicht sind. Das ist heute Stabilität und ist neuerdings auch das Wachstum. Noch vor einigen Monaten war es anders; da waren die am wenigsten verwirklichten Ziele Stabilität auf der einen Seite und Ausgleich der Zahlungsbilanz auf der anderen Seite. Wir ersehen aus diesem zeitlich sehr schnellen Wandel, daß, wie der Herr Bundeskanzler richtig festgestellt hat, jede Konjunkturpolitik eine Gratwanderung ist. Das Ziel ist, die Gipfel einer guten Hochkonjunktur zu erreichen. Der Weg dorthin geht auf und ab, man ist stets in der Gefahr, nach links oder nach rechts ins Rutschen zu geraten oder gar abzustürzen, und der Führer auf diesem Wege ist in erster Linie der jeweilige Bundeswirtschaftsminister. Unsere Erfahrung der letzten 18 Jahre, in denen wir die Wirtschaftspolitik in diesem Sinne geführt haben, geht dahin, daß die Wirtschaftspolitik ein Gebiet ist, das mit den großen Lebensfragen der Nation ebenso verbunden ist wie mit den kleinen des bürgerlichen Alltags, und deshalb ein Gebiet von größer Wichtigkeit, aber auch von größter Schwierigkeit. Der Herr Bundeskanzler hat mit diesem wichtigen Amte Herrn Minister Schiller betraut. Herr Minister Schiller mag versichert sein, daß die CDU/ Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - 82. Sitzung. Bonn, Donnerstag, .den 15. Dezember 1966 3775 CSU-Bundestagsfraktion ihn bei dieser schweren Aufgabe nach Kräften unterstützen wird. Diese Zusage, meine Damen und Herren, gilt auch für mich persönlich, das ist selbstverständlich. Aber wenn ich das hier sage, dann durchzieht mich ein Gefühl der wehmütigen Erinnerung; denn ich habe in diesem Hohen Hause mit Herrn Kollegen Schiller bekanntlich manchen schönen, harten Strauß in der Vergangenheit ausgefochten. Wenn ich das getan habe, so habe ich es auschließlich getan, um einer Maxime zu genügen, die Herr Kollege Professor Carlo Schmid oftmals im Ältestenrat des Deutschen Bundestages ausgesprochen hat, wenn er sagte, daß Bundestagssitzungen, daß Parlamentsdebatten überhaupt dramatisch verlaufen müßten. Nun möchte ich aber an Herrn Minister Schmid die Frage richten: Wer in aller Welt soll sich dann in diesem Bundestag in Zukunft noch mit wem herumstreiten? Das ist eine ernste Frage, die sich uns hier stellt. Ich persönlich muß allerdings mit Don Carlos sagen: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende." Ich bin in diesem Sinn ein Koalitionsgeschädigter. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich bin Schulmeister aus Neigung, deshalb möchte ich sagen, daß das zwar im „Don Carlos" steht und das Drama so beginnt, daß es aber der Dominikaner war, der den Prinzen mit den Worten anredet: „Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende." ({0})

Dr. Manfred Luda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001382, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe nicht den Vorzug, Philologe zu sein, ich bin nur ein Jurist und bitte vielmals, dies zu entschuldigen. Man kann aber die Dinge auch anders betrachten. Wenn man sieht, wie jetzt die Ströme von Wohlwollen hinüber- und herüber- und herüber- und hinübergehen, wenn man sieht, wie sich die Frontstellungen in Wohlgefallen auflösen, wird man unwillkürlich an Dostojewskij erinnert, der in einem seiner Bücher einen der Beteiligten nach einer Beerdigung sagen läßt: „Erst solches Leid, und dann auf einmal Pfannkuchen!" So ähnlich ist es auch hier zur Zeit bei uns. Nun, das Wirtschaftsressort hat seit 18 Jahren erstmals wieder einen der Sozialdemokratischen Partei angehörenden Ressortchef. Das ist, glaube ich, ein Anlaß, an den Vorgänger, Herrn Minister Schmücker, zu erinnern, der drei Jahre lang kraftvoll und erfolgreich dieses Amt geführt hat. Er verdient unser aller herzlichen Dank. ({0}) Zum Schluß war er auch noch kurz Finanzminister, und das in einer Situation, in der ein Finanzminister von der öffentlichen Meinung wohl nur Prügel erwarten mußte. In dieser Situation hat er Beifall auf der ganzen Linie geerntet. Ich glaube, das ist ein Kabinettsstuck im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben jetzt aber andere Probleme als bisher. Bisher waren es die Preise und die Zahlungsbilanz, typische Probleme eines auslaufenden Wachstumszyklus. Die Stabilitätspolitik entsprang nicht einsamen Beschlüssen, sondern einem gesellschaftlichen Konsens. Das ergibt sich aus einem Kommuniqué, das nach einer Sitzung bei Bundeswirtschaftsminister Schmücker am 21. Januar 1966 veröffentlicht worden ist. In der Sitzung des Bundeswirtschaftsministers mit den Sozialpartnern waren auf der einen Seite die Gewerkschaftsführer Rosenberg, Leber und Brenner, auf der anderen Seite Herr Professor Balke und andere Arbeitgebervertreter anwesend. In dem Kommuniqué heißt ausdrücklich: Alle Teilnehmer waren sich darin einig, daß in der gegenwärtigen Situation der Sicherung des Geldwertes Vorrang zukomme, auch wenn dafür eine Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums in Kauf genommen werden müßte. Das möchte ich als eine erste Antwort an Herrn Kollegen Dr. Arndt hier ausdrücklich noch einmal vermerkt haben. Das entspricht auch der Erkenntnis, daß Wachstumsverluste die logische Folge einer energischen Stabilitätspolitik sind. Das entspricht ferner dem zweiten Jahresgutachten und allen Empfehlungen, die wir von seiten der EWG in dieser Sache bekommen haben. Daß die Stabilitätspolitik auf der einen Seite Erfolge gezeitigt hat, das hat Herr Kollege Dr. Pohle vorhin schon vorgetragen. Ich möchte seine Ausführungen nicht wiederholen. Das bezieht sich einmal auf die Preissituation, wenngleich wir da heute noch nicht vollständig befriedigt sind. Insofern hat Herr Dr. Arndt völlig recht. Auf der anderen Seite aber bezieht sich das auf die Zahlungsbilanzsituation, die heute tatsächlich weitestgehend bereinigt ist. Auch die Sparneigung hat wieder zugenommen. Es ist aber nicht zu bestreiten, daß jede Stabilitätspolitik zwangsläufig auch ihre Schattenseiten hat. Im zweiten Jahresgutachten war schon zu lesen: Wenn Geldwertstabilität keinen Preis hätte, wäre sie sicher längst verwirklicht. Daran, meine Damen und Herren, kommen wir nicht vorbei, wenn wir uns an allzu großen Preissteigerungen stoßen, wie das in der Vergangenheit ja der Fall gewesen ist. Nachteile sind durch die Stabilitätspolitik vor allem in bezug auf die Wachstumsraten und in bezug auf den Kapitalmarkt eingetreten, aber beides ist von Anfang an vorhergesehen und in Kauf genommen worden. Das müssen wir hier nochmals ausdrücklich feststellen. Herr Präsident Schneider vom Deutschen Industrie- und Handelstag hat schon vor Monaten gesagt, daß wir nicht mehr um eine möglichst moderierte Rezession herumkommen, wenn wir wieder zu einer Stabilisierung kommen wollen, und Herr Benning hat noch am 4. November erklärt, daß die Kapitalmarktmisere eine durchaus kalkulierte Maßnahme war, um die Währung zu schützen. Das ist ein dankenswert offenes Wort von einem kompetenten Vertreter der Bundesbank gewesen. Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Rolle der Bundesbank. Für die künftige Arbeit dieser Bundesregierung ist, wie ich glaube, von entscheidender Bedeutung, daß die Stabilisierungserfolge maßgeblich auch Erfolge der Deutschen Bundesbank sind. Das muß hier eingeräumt werden. Weil aber die Deutsche Bundesbank nach dem Motto gehandelt hat: Harte Währung erfordert harte Entscheidungen, steht sie heute im Kreuzfeuer der Kritik, und einiges davon ist ja auch hier in dieser Debatte deutlich geworden. Meine Damen und Herren, ich persönlich bin der Meinung: Wir schulden den Mitgliedern des Zentralbankrates Dank dafür, daß sie den Mut und die Nervenkraft aufgebracht haben, die ihr hohes und schwieriges Amt in einer solchen Situation erfordern. Daß die Situation begonnen hat, sich zu wandeln, daß es jetzt statt um Stabilität und Zahlungsbilanz um Stabilität und Wachstum geht, das hat die Bundesbank und die Bundesregierung schon seit Monaten berücksichtigt. Darauf muß ich hinweisen. Schon im Juli hat die Bundesbank die Exportfinanzierung erleichtert. Schon seit Monaten hat sie die erheblichen Liquiditätszuflüsse, die durch unseren Außenhandel hereingekommen sind, in ihrer Geldpolitik toleriert. Auf diese Weise sind vom Juli bis November dieses Jahres beim deutschen Bankensystem Liquiditätszuflüsse in Höhe von 3,3 Milliarden DM festzustellen gewesen. Schließlich haben wir die Mindestreservensenkung, die erst für den Monat Dezember - und lediglich für diesen Monat geplant war - inzwischen nun auf unbefristete Zeit verlängert. Das alles hat den Geld- und Kapitalmarkt ganz entschieden aufgelockert. Die Banken sind - insofern muß ich Herrn Kollegen Dr. Arndt widersprechen - schon seit geraumer Zeit wieder an der Börse, an den Wertpapiermärkten als Käufer von Wertpapieren aufgetreten. Schon im dritten Quartal dieses Jahres haben die Banken wegen dieser gezielten Lockerungen in der Restriktionspolitik der Deutschen Bundesbank Wertpapiere im Wert von über 400 Millionen DM übernommen; im Oktober haben sie weitere Wertpapiere im Werte von 260 Millionen DM übernommen. Dabei ist auch Herr Minister Schmücker beteiligt gewesen. Ich verweise auf das Kommuniqué, das nach einer Zentralbankratsitzung am 23. November veröffentlicht worden ist, in dem es ausdrücklich heißt, daß Staatssekretär Langer als Vertreter von Minister Schmücker dabei auf eine Reihe von Gefahrenmomenten verwiesen hat, die sich aus einer fortgesetzten Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität ergeben könnten. Diese Lockerungspolitik ist also ganz bewußt schon seit vier, fünf oder sechs Monaten sowohl von ,der Bundesbank wie auch von der Bundesergierung betrieben worden. Die Bundesbank verfolgt seit Monaten ein Konzept differenzierter Maßnahmen und gewährt gezielte Lockerungen. Die von vielen erhoffte demonstrative Kehrtwendung ist bisher allerdings ausgeblieben. Ich möchte Ihnen hier als meine persönliche Meinung sagen: Wir müssen akzeptieren, daß die Entscheidung darüber ganz allein bei der Deutschen Bundesbank liegt. ({1}) Wir haben eines der besten Notenbankgesetze der Welt. Dieses Gesetz gewährt also der Zentralbank, also der Bundesbank, völlige Unabhängigkeit von jeglichen politischen Einflüssen. Auf dieses Gesetz sind wir stolz gewesen, und dessen sollten wir uns heute in dieser Situation erinnern. Die Direktoriumsmitglieder .der Deutschen Bundesbank haben in der Welt und in den entsprechenden Fachgremien auch des Internationalen Währungsfonds ,das höchste Ansehen. Sie gelten als Garanten für eine harte D-Mark. Der bloße Anschein, meine Damen und Herren, der vielleicht im Ausland auftauchen könnte, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank gefährdet sei, könnte die Gefahr eines erheblichen Vertrauensverlustes mit nachteiligen Konsequenzen und Kettenreaktionen auf den Geld- und Kapitalmärkten zur Folge haben. ({2}) Wenn solche Vertrauenskrisen einträten, eventuell sogar mit solchen gefährlichen Kettenreaktionen, dann wäre jeglicher Traum von einer expansiven Wirtschaftspolitik in Deutschland endgültig ausgeträumt. Deshalb muß diese Gefahr ganz klar vermieden werden. Die Position der Bundesbank ist also außerordentlich stark. Sie setzt den Möglichkeiten der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung gewisse Grenzen im Interesse der Währung. Das ist gut so. Denn, meine Damen und Herren, was ist soziale Marktwirtschaft? Soziale Marktwirtschaft ist Marktwirtschaft verbunden mit monetärer Disziplin. Daran müssen wir uns erinnern. Stabilität ist aber nicht alles. Es gibt keine Stabilität ohne Wachstum. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Ich möchte an dieser Stelle daher hier eine Lanze für das Wachstum unserer Volkswirtschaft brechen. Aber was sage ich? Eine Lanze? Ich möchte viele Lanzen brechen. Ich möchte am liebsten von früh bis spät nichts anderes tun, als Lanzen für das Wachstum unserer Volkswirtschaft zu brechen. Aber nicht jede numerische Wachstumsrate ist von der gleichen Qualität. Das müssen wir bei jeder Wachstumspolitik erkennen. Mit Zuviel Schulden finanziertes Wachstum bringt nur zu hohe Kosten, zu hohe Preise und gefährdet schließlich die Vollbeschäftigung, eines unserer höchsten Ziele. Meine Damen und Herren, wir brauchen deshalb eine solide Finanzierung des Wachstums. Wer ein Eigenheim bauen will, kann sich natürlich mit Hypotheken helfen. Das kann er aber nur dann tun, wenn er hinreichendes Eigenkapital zur Verfügung hat. Wer nicht genug Eigenkapital hat, dem sollte man kein Fremdkapital anvertrauen. Schon Adam Smith hat gesagt: Was im Haushalt einer einzelnen Familie töricht wäre, kann in einer Volkswirtschaft nicht sinnvoll sein. Die deutsche Volkswirtschaft -das ist der Tatbestand, den wir heute klar erkennen müssen - hat zuviel Hypotheken und zuwenig Eigenkapital. Das ist der Hauptgrund unserer Wachstumsverluste und nicht etwa die restriktive Kreditpolitik der Deutschen Bundesbank in der Vergangenheit. Fragen Sie die Banken, meine Damen und Herren! Bei den Banken geht es im täglichen Geschäft nicht um Liquidität, sondern um Bonität, um das Problem der Sicherheiten. Trotz der Restriktionspolitik ist die Kreditschöpfung in den letzten Monaten schneller gewachsen als die langfristige Ersparnis in unserer Volkswirtschaft. Der Rückgang der Investitionen ist also nicht die Folge der Restriktionen, sondern zu hoher Kostenbelastung in unserer Wirtschaft. Ich bin wegen des Rückgangs der Investitionen dankbar, daß die Regierungserklärung der Stabilitätspolitik dem Konjunkturzyklus gemäß einen stärkeren Wachstumsakzent gibt, aber nicht im Sinne ungehemmter Liquidisierung des Bankenapparates und nicht durch zügellose Geldvermehrung. Die Betonung liegt auf „kontrollierte Expansion". Ich bin besonders dankbar, daß jede Expansionspolitik in dieser Regierungserklärung ausdrücklich an zwei Voraussetzungen geknüpft worden ist. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren: Die Bundesregierung sieht in der Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung für diese Politik. Also: wollen wir expandieren durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik, dann ist die erste Voraussetzung die Verabschiedung eines tauglichen Stabilitätsgesetzes. Ohne das geht es nicht. Zweitens steht in der Regierungserklärung, daß der Spielraum der Expansionspolitik entscheidend von dem Erfolg einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion der Gewerkschaften und der Unternehmensverbände zu einem stabilitätsgerechten Verhalten im Aufschwung abhängt. Was heißt das? Das heißt, meine Damen und Herren, daß Wachstum nur aus einer Phase der Stabilität, aus einer Phase des allseitigen Wohlverhaltens heraus und nicht auf der Basis wesentlicher Ungleichgewichte angekurbelt werden kann. Das war der Sinn der Stabilitätspolitik der Vergangenheit. Die Regierungerklärung hebt sich also - das ist meine Auffassung - sehr erfreulich von ähnlichen Verlautbarungen ab, die wir in der letzten Zeit von anderer Seite gehört haben, z. B. von einer Verlautbarung des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, das in seinem. Wochenbericht vom 10. November dieses Jahres vorgeschlagen hat, daß durch Maßnahmen der staatlichen Wirtschaftspolitik der Volkswirtschaft sofort ein inflatorischer Stoß von 5 Milliarden DM gegeben werden möge, und zwar bei der Bundesbahn durch zusätzliche Investitionen in Höhe von ,1 Milliarde DM, bei Infrastrukturinvestitionen von seiten des Bundes in Höhe von zusätzlichen 2 Milliarden DM sowie durch eine sofortige Senkung der Mindestreserve - noch vor Weihnachten - durch die Deutsche Bundesbank, die auch eine weitere Liquidisierung von 2 Milliarden DM für die Volkswirtschaft erbringen sollte. Das, meine Damen und Herren, wäre eine typische Politik des „deficit-spending". Keynes, auf den das ja zurückgeht, schlägt aber eine solche Politik bei Rezessionen vor, die durch Nachfragemangel und durch Geldverknappung entstanden sind. Die Ursachen unserer Gleichgewichtsstörungen waren aber doch ganz im Gegenteil Übernachfrage und Geldvermehrung, und die Geldvermehrung dauert bis zum heutigen Tage an. Die Nachfrageseite - das ist völlig klar - ist heute anders zu beurteilen. Das ist der Unterschied. Daher müssen wir solche Vorschläge des „deficit-spending" ganz energisch zurückweisen. Warum sage ich das? Ich sage das, weil in der Presse in den letzten Tagen vielfach behauptet worden ist, diese Große Koalition sei eine Koalition des leichten Geldes. Diese Behauptung wird nicht im Sinne einer situationsgerechten Liquidisierung des Bankenapparates, sondern im Sinne einer ausgesprochenen Konzeption der Geldschwemme, der Kreditspritze, also des monetären Leichtsinns, aufgestellt. Weil das nicht stimmt, weil niemand hier in diesem Hohen Hause dieser Auffassung sein wird, deshalb ist es unser aller Aufgabe, diesen Eindruck nachhaltig zu zerstören. Wir alle wollen Wachstum, das ist völlig klar; aber ein Wachstum durch Leistung und nicht ein Wachstum durch Manipulation mit dem Gelde. ({3}) Meine Damen und Herren, ein Volk, das zweimal sein Geld verloren hat, weiß ganz genau: mit dem Gelde spielt man nicht. Wirtschaften heißt: mit dem Vorhandenen auskommen. Man kann nicht ein nichterarbeitetes Wachstum hervorzaubern wie ein Zirkuskünstler Kaninchen aus dem Zylinder; das geht einfach nicht. Eine Politik der Geldschwemme würde zwar die Umsätze steigern, würde zwar Steuermehreinnahmen und auch den Haushaltsausgleich erzielen; ich müßte aber, obwohl das faszinierende Aspekte sind, doch sagen: Man würde dann zu spät erkennen, daß man - statt dem dringendsten Gebot zu folgen, nämlich die reale Leistung der Volkswirtschaft und damit das Sozialprodukt und die langfristigen Ersparnisse zu steigern, statt die Kostenbelastung der Volkswirtschaft zu mindern - einen Götzen angebetet hat, und zwar den Götzen Umsatz, und man würde zu spät merken, daß solche Gebete nicht erhört werden. Daher würde eine solche Politik, eine Politik der Scheinblüte, auf kurz oder lang eines unrühmlichen Todes sterben, und auf ihrem Grabstein würden die Worte geschrieben sein „Lord Keynes war ihr Schicksal". Meine Damen und Herren, dazu darf es nicht kommen. Niemand hier in diesem Hohen Hause wünscht eine solche Politik; dessen bin ich sicher. Daher mußte ich das Gerücht von einer derartigen Koalition des leichten Geldes nachhaltig zurückweisen. Um die Schwierigkeiten, die wir haben, mit primitiven Tricks, mit einer Politik der Geldvermehrung zu überdecken, wäre keine große Koalition nötig gewesen. Meine Damen und Herren, das kann jede Koalition machen, gleichgültig, wie sie aussieht. Wenn das bald schon zu oft zitierte Wort von den notwendigen unpopulären Maßnahmen einen Sinn hat, dann gilt es ganz besonders im Falle einer Großen Koalition und ganz besonders für das Gebiet der Währungspolitik. Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Sinne an die Bundesregierung appellieren: Wollen Sie, wie wir alle, mehr Wachstum, so stärken Sie die Wettbewerbskraft der Wirtschaft nach außen, einmal durch Ablehnung jeder Aufwertung und jedes Aufwertungsersatzes. Wir haben keine importierte Inflation. Wir haben vielmehr Exportleistungen, die vielfach mit viel zu niedrigen Preisen erkämpft und erkauft werden müssen. Daß wir in den Jahren 1963/34 nicht dem Vorschlag gefolgt sind, die damalige importierte Inflation durch Variierung des umsatzsteuerlichen Grenzausgleichs zu bekämpfen, hat sich inzwischen als richtig erwiesen. Denn hätten wir so operiert, dann wären wir inzwischen aus etlichen Auslandsmärkten verdrängt. Man muß wissen, man kann beim Export nicht ein- oder aussteigen, wie es einem innenpolitisch gerade paßt. Ein weiteres, meine Damen und Herren. Wenn die Bundesregierung die Kraft unserer Volkswirtschaft vor allem auf den Weltmärkten steigern will, so möge sie doch bitte alle Voraussetzungen - und es geht jetzt vor allen Dingen um die technischen Voraussetzungen - dafür schaffen, daß die Mehrwertsteuer fristgerecht in Kraft treten kann. Gerade die heute notleidenden Branchen in unserer Volkswirtschaft hätten, wenn die Mehrwertsteuer jetzt schon in Kraft wäre, entscheidende Hilfen für die augenblickliche Situation. Das wären Hilfen, die die Staatskasse keinen Pfennig an Subventionen kosten würden. Das gilt für die Stahlseite, das gilt für Textil, das gilt für Leder, das gilt neuerdings auch für die Automobilindustrie. Ich möchte darauf doch extra noch hingewiesen haben. 1962 haben 66 Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen von mir eingebrachten Mehrwertsteuergesetzentwurf unterstützt. Hätte der Entwurf von Anfang an eine breitere Unterstützung im 4. Deutschen Bundestag gehabt, dann hätten wir die Möglichkeit besessen, dieses wichtige Gesetzesvorhaben, das in erster Lesung im Finanzausschuß damals schon beraten worden war, noch im 4. Deutschen Bundestage zu verabschieden, und wären heute auch außenwirtschaftlich in einer viel besseren Situation. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wenn Sie, wie wir alle, mehr Wachstum wollen, so benutzen Sie doch bitte den sozialen Dialog, den Sie ja führen wollen, vor allem um zu verhindern, daß das physische Leistungspotential unserer Volkswirtschaft noch mehr künstlich beschnitten wird. Wir haben 1956 durchschnittlich 48 Wochenstunden an Arbeitszeit in der Volkswirtschaft gehabt. Jetzt sind es durchschnittlich 42 Wochenstunden, und außerdem haben wir verlängerte Urlaubszeiten. Obwohl von 1955 bis 1965 die Zahl der Industriearbeiter um 20 % angestiegen ist, ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in der Industrie in diesen zehn Jahren nur um 1,4 % angestiegen. Ich glaube, diese Relation sollte uns auch zu denken geben. Im Lande der Kapitalknappheit, in der Bundesrepublik Deutschland, sind die Maschinenruhezeiten die längsten in der ganzen Welt. Wenn wir mehr Wachstum wollen, dann müssen wir uns in erster Linie mit diesem Problem befassen. Nun, meine Damen und Herren, ich hoffe, daß durch meine Ausführungen das eine deutlich geworden ist: daß alle Probleme, mit denen wir heute zu tun haben, Wohlstandsprobleme und keine Notstandsprobleme sind. Minister Schmücker hat kürzlich einmal gesagt: Unsere Not von heute ist, mit dem Überschuß fertigzuwerden. Das erinnert mich an ein Wort Solons von Athen aus dem 6. Jahrhundert vor Christus, der gesagt hat: Für den Reichtum ist den Menschen kein Ziel gesetzt; wer könnte wohl alle sättigen? In der Vergangenheit haben sich Maßstäbe bei uns herausgebildet, die den Realitäten nicht entsprechen. Gelingt es der Regierung, das der Bevölkerung klarzumachen, dann sind alle Probleme in absehbarer Frist lösbar. Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind gern bereit, allen Mitgliedern der Bundesregierung dabei zu helfen. ({4})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gscheidle.

Kurt Gscheidle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung hat deutlich gemacht, mit welchen Maßnahmen die beiden großen Parteien dieses Landes den zunehmenden Sorgen der Bürger begegnen wollen. Einige in der Erklärung der Bundesregierung gebrachten Leitlinien veranlassen mich, den Versuch zu unternehmen, zur Lohn- und Gehaltspolitik etwas zu sagen. Jeder verantwortliche Bürger in diesem Staat wird bereit sein, das Seine ' dazu beizutragen, um unser Gemeinwesen vor Schaden zu bewahren. Das Opfer des einzelnen wird aber seine Rechtfertigung nur in dem Opfer aller für ein gemeinsames Ziel finden und das Maß der Belastung seine Berechtigung in der gerechten Belastung aller Bürger. Die Arbeitnehmer sorgen sich um die Sicherung des Arbeitsplatzes, um die Währungsstabilität und um ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen. Es ist selbstverständlich, daß sie die öffentliche Diskussion einschließlich der heutigen Debatte über die auf sie zukommenden Belastungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Die von vielen öffentlich erklärte Bereitschaft zum Opfer ist ein ermutigender Anfang, ein erster Schritt, möchte ich sagen. Unsere Lebenserfahrung sagt uns aber, daß von den allgemein gehaltenen Bereitschaftserklärungen bis zum persönlichen Opfer der zweite und, wie ich mich ausdrücken möchte, der größere Schritt liegt. Es spricht sich eben über nichts leichter als über die Opfer, die andere erbringen sollen. ({0}) Von den Gewerkschaften erwartet man im Rahmen einer sogenannten konzertierten Aktion eine Lohn- und Gehaltspolitik, die sich an der Arbeitsproduktivität orientiert. Das neue SachverständiGscheidle gengutachten nennnt für 1967 Lohnleitlinien von 4 %. Die Bundesregierung will in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat den Tarifpartnern Orientierungsdaten für deren eigene Entscheidung zur Verfügung stellen und diese mit allen Beteiligten erörtern. Ich hoffe, daß man sich hier nicht der Illusion hingibt, als ob dabei ein oder zwei Gespräche am runden Tisch ausreichen könnten, einen tragbaren Kompromiß für die weiteren Maßnahmen zu finden. Unter der Voraussetzung einer kontrollierten Expansion strebt die Bundesregierung eine Wachstumsrate des realen Bruttosozialprodukts in der Größenordnung von ebenfalls 4 % an. Der Unterschied zwischen den Lohnleitlinien des Sachverständigenrates und den Orientierungsdaten der Bundesregierung erscheint mir sehr beachtlich. Diese Anregungen müssen jedoch im Zusammenhang mit den wirksamen Anstrengungen zur Überwindung der bisherigen Fehlentwicklung gesehen werden. Es lohnt sich, dabei auf die drei wesentlichen Punkte in den Vorschlägen des dritten Jahresgutachtens einzugehen. Ich bediene mich dabei der Zusammenfassung, die Rudolf Henschel in einer Darstellung in der „Welt der Arbeit" -gegeben hat. 1. Eine mehrjährige Orientierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik an konkreten Entwicklungsvorstellungen ist die erste Voraussetzung, um ein planmäßiges Reagieren der Wirtschaftspolitik überhaupt möglich zu machen. - Keine Differenz zu den Erklärungen der Bundesregierung! 2. Schutzmaßnahmen gegen Preissteigerungen, die bei festen Wechselkursen und freiem Geldmarkt vom Ausland übertragen werden, sind die zweite Voraussetzung. Die Schutzmaßnahmen sehen die Sachverständigen in der Beseitigung des starren Wechselkurses und einer kontinuierlichen Aufwertung der D-Mark um 2,5 v. H. je Jahr oder einer entsprechenden Ausdehnung der Bandbreite, innerhalb deren der Wechselkurs verändert werden kann. Unter diesen Voraussetzungen wird erwartet, daß lohnkostenabhängige Preissteigerungen auf längere Sicht vermieden werden können. In diesem Fall wäre es nicht mehr notwendig, daß von vornherein ein Ausgleich für erwartete Preissteigerungen in die Lohnforderungen einkalkuliert wird. 3. Die Lohnsteigerungen sollten deshalb, wenn die ersten beiden Voraussetzungen erfüllt sind, nicht stärker sein als die Steigerung der Arbeitsproduktivität, wenn die Einkommensstruktur unverändert bleiben soll. Da die Sachverständigen annehmen, daß die Arbeitsproduktivität im Durchschnitt des Jahres 1967 um 4 v. H. ansteigt, sollten auch die Tariferhöhungen in diesem Jahr im Durchschnitt nicht über 4 v. H. hinausgehen. Nach Aussagen der Sachverständigen bedeutet dies nicht, daß alle Tariferhöhungen genau 4 v. H. betragen sollen. Bleiben Lohnsteigerungen in konjunkturell benachteiligten Branchen aus oder bleiben sie unter 4 v. H., so können in anderen Bereichen der Wirtschaft größere Lohnsteigerungen durchgesetzt werden. Selbst Lohnerhöhungen von 6 bis 8 v. H. können im Einzelfall angemessen sein und widersprechen nicht dieser Leitlinie, sofern alle Lohnerhöhungen zusammen nicht über 4 v. H. hinausgehen. Unter diesen Voraussetzungen erwarten die Sachverständigen - ich habe bislang nur zitiert -, daß sich die Lohnkosten im Durchschnitt unserer Volkswirtschaft 1967 nicht weiter erhöhen. Gerade das letzte erscheint mir von außerordentlicher Bedeutung, da in der vergangenen Zeit immer wieder Abweichungen in einzelnen Tarifbereichen von einer empfohlenen Globalzahl zum Anlaß einer generellen Kritik für gewerkschaftliche Lohnpolitik genommen wurden. Es handelt sich also bei den von den Sachverständigen vorgeschlagenen Lohnleitlinien nicht - das möchte ich unterstreichen - um eine selbständige Forderung. Eine Akzeptierung solcher Lohnleitlinien ist daher nur möglich, wenn gleichzeitig die Durchsetzung der übrigen Punkte gesichert erscheint. Ohne Wechselkursänderungen würden die beachteten Lohnleitlinien der Sachverständigen den Anteil der Arbeitnehmer am Sozialprodukt senken. Nach den mir bekannt gewordenen bisherigen Äußerungen der Bundesbank lehnt diese eine Änderung der Wechselkurspolitik strikt ab. Inwieweit die deutsche Industrie eine Politik unterstützt, die eine mögliche Reduzierung ihrer Gewinnmargen zur Folge haben könnte, erscheint mir bislang zweifelhaft. ({1}) Gut, gut, ich will nicht in Frage stellen, daß in einzelnen Bereichen vielleicht keine Gewinne mehr da sind. Sonst hätten wir keine Konkursverfahren. Aber daß sie in anderen Bereichen noch da sind, zeigen doch die Kurszettel und einige Dividendenanzeigen und dergleichen mehr. Das werden Sie nicht bestreiten. Übrig bleibt die Frage, ob die neue Bundesregierung gegen den Willen der Bundesbank und der Industrie in der derzeitigen Expansionsphase ein solches Währungsexperiment wagen würde. Würden aber bei den vorgeschlagenen gemeinsam aufeinander abgestimmten Aktionen aller an der Wirtschaft Beteiligten trotzdem Preissteigerungen eintreten, müßten bei einer Erhöhung des Sozialprodukts pro Beschäftigtem um 4 v. H. und durchschnittlichen Preiserhöhungen - ich unterstelle einmal die Zahl - von 3 % die Lohnerhöhungen eben 7 % ausmachen, wenn der Anteil der Arbeitnehmer am Sozialprodukt gleichbleiben soll. An diese Überlegung knüpft sich eine ganze Reihe weiterer Fragen: Stehen die gegenwärtigen Löhne in einem direkten Verhältnis zueinander, ist also die gleiche Ausgangslage bei allen Löhnen in allen Branchen gegeben? Wie ist es bei unterschiedlichen Produktivitätszuwachsraten in den einzelnen Branchen? Und damit sofort im Zusammenhang: Kann man davon ausgehen, daß im Rahmen einer so geforderten konzertierten Aktion bei überdurchschnittlichen Produktivitätszuwachsraten Preissenkungen vorgenommen werden? Inwieweit werden bei unterschiedlichen konjunkturellen Entwicklungen nicht doch wegen der gegenseitigen Abhängig3780 keit der Löhne bei einem funktionierenden Arbeitsmarkt gleiche Lohnerhöhungen bedingt? Sind die Arbeitgeber bereit, in dieser Situation die Effektivlöhne als Tariflöhne zu erklären, um einmal den sozialen Besitzstand der Arbeitnehmer zu sichern, zum anderen aber auch den Gewerkschaften, die man hier anruft und in die Pflicht nehmen will, ihre Funktionsfähigkeit in diesen Bereichen zu erhalten? Welche Sicherheit besteht denn für die Gewerkschaften, wenn sie sich auf einen Prozentsatz festlegen, daß auch die übrigen die Preisbildung beeinflussenden Faktoren nach gesamtwirtschaftlichen Überlegungen festgelegt werden? Wo ist eigentlich für die Gewerkschaften der geeignete Gesprächspartner für die Preisfestlegung? Fragen über Fragen! Selbst bei befriedigender Beantwortung dieser nur beispielhaft aufgezählten Fragen bleibt, daß in einer Übergangszeit die unterschiedlichen Laufzeiten der Tarifverträge einen sich von der konjunkturellen Entwicklung abhebenden Rhythmus ergeben. Mir erscheint bei diesen mehr wirtschaftstheoretischen Überlegungen dies wichtig: Wer über Einkommenspolitik spricht, darf nicht nur Lohnpolitik meinen. ({2}) Einkommenspolitik setzt mehr voraus als nur die Festlegung von Lohnleitlinien oder Orientierungsdaten für die Lohnpolitik. In diesem Zusammenhang erscheinen mir einige Erfahrungen wichtig, die man in Amerika in den Jahren von 1960 bis 1966 gemacht hat, wo eine Verschiebung in der Einkommensverteilung zugunsten der Vermögenseinkommen eingetreten ist. Bei der einseitigen Akkumulation der Investitionsvermögen wird gerade seitens der Gewerkschaften beim Appell an ihre Verantwortung aus ihrer geschichtlichen Erfahrung die Gegenfrage kommen: Wie ist es mit den Absichten der Regierung und wie steht es damit, einer weiteren einseitigen Vermögensbildung bei den Investitionsvermögen entgegenzuwirken? Die Gewerkschaften, deren Bedeutung bei der angestrebten gemeinsamen Aktion offenkundig wird, werden mit Recht darauf drängen, daß sich die von ihnen geforderte und bereits mehrfach in der zurückliegenden Zeit erklärte Bereitschaft zur staatspolitischen Verantwortung auch dort niederschlägt, wo der Gesetzgeber und die Regierung über ihre verfassungsrechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Stellung zu befinden haben. Die Anerkennung, meine Damen und Herren, wird sich hier nicht darauf beschränken können, zum 60. oder 65. Geburtstag einzelner Gewerkschaftsvorsitzender Bundesverdienstkreuze zu verleihen. ({3}) Hier stehen ihre Forderungen nach mehr Mitbestimmung, weiterer sozialer Sicherung, Bildungsurlaub, entscheidender Mitwirkung bei der Berufsausbildung und stärkerer Beteiligung bei der Vorbereitung der die Arbeitnehmerschaft berührenden Gesetzgebung mit zur Diskussion. Aus dem gewerkschaftlichen Engagement nach dem zweiten Weltkrieg blieb die bittere Erfahrung, daß, wenn ein Karren erst einmal gemeinsam aus dem Dreck gezogen ist, mancher Kutscher sich nur ungern an frühere Zusagen erinnert. Das Problem der Mitbestimmung kann meines Erachtens in Ausschüssen zwar weiter geklärt, aber nicht entschieden werden. Die Frage, wie wir unsere Gesellschaft in allen ihren Bereichen demokratisch gestalten wollen, ist uns aufgegeben und nicht den Sachverständigen. Ich halte es für selbstverständlich, daß, wenn die Bundesregierung, entsprechend ihrer Erklärung, in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat den Tarifpartnern Orientierungsdaten zur Verfügung stellt, für eine Einkommenspolitik mehr notwendig ist als das, was bislang an volkswirtschaftlichen Daten zur Verfügung steht. Die für eine Einkommenspolitik notwendigen statistischen Voraussetzungen müßten deshalb sofort geschaffen werden. Neben diesen Betrachtungen habe ich Anlaß, aus einer ganz anderen Sicht einige Ausführungen zu machen. Im Zusammenhang mit den von einer Regierung für die Einkommenspolitik zu gebenden Orientierungsdaten und Erklärung ihrer wirtschaftlichen und finanzpolitischen Absichten wird bei Berücksichtigung aller von mir dargestellten Schwierigkeiten oft die Meinung vertreten, daß mit der Nennung von Zahlen bereits ein psychologischer Druck auf die Lohnpolitik ausgeübt würde. Dem will ich nicht widersprechen. Aber gerade deshalb erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß entgegen einer weit verbreiteten Meinung die lohnpolitischen Entscheidungen in den Gewerkschaften nicht von den viel zitierten Funktionären, sondern von Männern und Frauen aus dem Betrieb getroffen werden. Der auf ihnen lastende psychologische Druck aus der Begegnung mit der täglichen Not und den Eindrücken aus ihrem Gesamtlebensbereich darf nicht gering geachtet werden. Natürlich ist das kein wirtschaftliches Argument, wenn ich auf die sicherlich in diesem Hause allseitig beklagten Exzesse hinweise. Jeder Arbeitnehmer wird Verständnis dafür aufbringen, wenn Männer, die in diesem Lande an verantwortlicher Stelle stehen, ein Mehrfaches von dem erhalten, was er selbst verdient. Aber niemand wird ihm erklären können, daß es einem Menschen möglich sein soll, so viel durch eigene Leistung zu verdienen, daß er an einem Tag oder in einer Nacht mehr ausgeben kann, als der Jahresverdienst eines Facharbeiters ausmacht. ({4}) Es sind hier die schlechten Beispiele, die die guten Sitten verderben. - Ich habe Sie nicht verstanden, Herr Starke. Ich habe nicht behauptet, daß das eine generelle Feststellung sein soll. Ich habe das in der Aussage sehr eingeschränkt. Dies ist kein wirtschaftliches Argument, das darf ich noch einmal sagen, aber jedem Einsichtigen wird die Bedeutung gerade dieser Situation deutlich werden. Die Arbeitnehmer haben oft Anlaß, sich über die Kommentierung ihrer Lohnwünsche durch Leute zu wundern, deren eigene Honorar- und Gehaltswünsche sie selbst erröten lassen würden. ({5}) Weitere Bemerkungen gelten einem Punkt, der ebenfalls im Zusammenhang zum bisher Erörterten steht, und zwar Punkt 7 der Leitlinien, in dem die Regierungserklärung sagt, daß auch die Personalausgaben der Finanzlage angepaßt werden müßten. Hier spricht die Bundesregierung ja nicht nur als Regierung, sondern auch als Arbeitgeber für ihre Beamten, Angestellten und Arbeiter. Um die Bedeutung hier zu unterstreichen, darf ich mir gestatten, darauf hinzuweisen, daß 1965 13,3 % aller unselbständig Tätigen Angehörige des öffentlichen Dienstes waren. Um das einprägsamer zu übersetzen, kann man auch sagen, daß fast jeder siebte Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Personalausgaben sind keine Sachausgaben. Ich will hier nicht wiederholen, was ich oder andere Kollegen dieses Hauses aus allen Parteien bislang zu dieser Frage erklärt haben. Nur eines scheint mir hier notwendig, nämlich deutlich zu machen, daß die Möglichkeiten, Personalausgaben zu reduzieren, nicht im Versagen notwendiger Gehalts- und Lohnerhöhungen liegen, sondern in der Einschränkung öffentlicher Aufgaben und in möglichen Rationalisierungen in der Organisation und im Aufgabenvollzug innerhalb des öffentlichen Dienstes. Es wäre meines Erachtens ein Verdienst der neuen Bundesregierung, hier die Institution des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung neu zu beleben, sich alter Anregungen zu erinnern und alte Vorschläge aus der Aktenablage zu holen und durchzusetzen. Im übrigen kann ich mir hierbei die Bemerkung gar nicht versagen, daß gerade der öffentliche Dienst ein gutes Anschauungsmaterial dafür liefert, wie schwierig es sein wird, Orientierungsdaten für die Lohn- und Gehaltspolitik zu liefern. Abschließend möchte ich zu meinen Ausführungen klarstellen, daß es mir nicht darum ging, Hintertüren für die Gewerkschaften aufzumachen, durch die sie sich davonmachen und ihrer staatspolitischen Verantwortung in der Lohn- und Gehaltspolitik in den nächsten Jahren entziehen könnten. Im Gegenteil, dies sollte ein konstruktiver Diskussionsbeitrag zur Bewältigung der uns allen übertragenen Verantwortung sein; denn ich bin fest davon überzeugt, daß es nur bei Beachtung dieser kritischen Anmerkungen zu der geforderten konzertierten Aktion kommen wird. Es ist bekannt, daß es nicht Schuld der tarifvertraglichen Parteien war, wenn ein schon länger vorliegendes Kooperationsangebot nicht angenommen wurde. Ich erinnere daran, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund trotz der Entscheidungen in der Vergangenheit auch für die Zukunft seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, gemeinsame Stabilisierungsbemühungen im Interesse unserer Volkswirtschaft mitzutragen und mitzugestalten. Diese Erkenntnis ist allseitig, daß es nunmehr gilt, das Ganze im Auge zu behalten und gemeinsam die Grundlage für einen weiteren konstruktiven gesellschaftlichen Aufbau zu schaffen. Auch die Verwirklichung gewerkschaftlicher Vorstellungen zum weiteren Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates setzt ja zwingend Wachstum und Stabilität voraus. Dieses Ziel muß Vorrang vor allem übrigen haben. Das gemeinsame Handeln, meine Damen und Herren, setzt aber auch das Vertrauen aller voraus, daß nicht nur die Lasten, sondern auch die angestrebten zukünftigen Erfolge sozial gerecht verteilt werden. Vertrauen kann man nicht fordern, Vertrauen kann man nur erwerben. ({6}) - Natürlich! Wir beide kennen uns schon so lange, daß die Frage schon überflüssig war, denn ich habe nie einseitig zu diesem Thema gesprochen. Ich bedaure für diese neue Bundesregierung, der wir alle im Interesse unseres Volkes nicht nur Glück wünschen, sondern unsere Bereitschaft zur Mitarbeit erklären, daß sie nicht mit einem Vertrauenskredit für diese Frage ausgestattet, sondern mit einer Vertrauenshypothek belastet ist. Daß dies geändert wird, meine Damen und Herren, ist eine der Hoffnungen, die ich auf die Große Koalition setze. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gewandt.

Heinrich Gewandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000675, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Erklärung der Bundesregierung ist heute zum Teil sehr ausführlich gewürdigt worden. Ich möchte mir deshalb erlauben, nur einige Bemerkungen zu machen. Es ist, wie bereits wiederholt festgestellt wurde, eine neue Situation, an die wir uns gewöhnen müssen. Wir haben eine Regierung, die zu fünfzig Prozent aus Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei besteht, und es ist deshalb nicht verwunderlich, es ist natürlich, daß beispielsweise in dem Teil der Regierungserklärung über die Wirtschaftspolitik sehr viele Begriffe aus dem Vokabular des Kollegen Schiller auftauchen. Ich halte das in keiner Weise für bedenklich, weil wir wissen, daß Professor Schiller ein Anhänger der Marktwirtschaft ist. Ich glaube aber, es gibt in der Regierungserklärung eine Reihe von Begriffen, die von der Regierung näher interpretiert werden sollten. Es wird in der Regierungserklärung von globaler Steuerung gesprochen. Es ist möglich, in diesen Begriff sehr vieles hineinzuinterpretieren. Globale Steuerung könnte - könnte! - auch zu einem unerwünschten Dirigismus führen. Es ist von der Regierungsbank aus von einem Eventualhaushalt gesprochen worden; auch eine sehr gefährliche Vokabel, wenn nicht eine zufriedenstellende Interpretation erfolgt. Daß eine gewisse Verwirrung eingetreten ist, mag vielleicht die Tatsache unterstreichen, daß ein Vorstoß des Herrn Wirtschaftsministers bei der Bundesbank in Frankfurt nach Meldungen, die durch die Nachrichtenagenturen gegangen sind, zunächst noch nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben. Ich glaube, das Primäre ist, daß die von der vorigen Regierung eingeleiteten Stabilisierungsmaßnahmen konsequent durchgeführt werden. Ich halte nichts von den Hiobsbotschaften, die hier ausgesprochen werden. ({0}) Wir haben uns immer nach einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, nach mehr Mobilität gesehnt und sie erstrebt. Wir haben festgestellt, daß die Stabilisierungsmaßnahmen auch ihre Früchte zeitigen, nämlich eine bessere Entwicklung der Preise. Sie haben auch Voraussetzungen für eine Verminderung des Kostendrucks geschaffen. Ich glaube also, hier gilt es fortzusetzen und nicht zur Unzeit anzukurbeln, weil man falsche Voraussetzungen konstruiert. Die Bundesregierung und der Bundestag haben im Rahmen der Haushaltspolitik ihren Beitrag zu leisten. Aber damit darf es nicht sein Bewenden haben. Die Bundesregierung sollte ihr Augenmerk auch auf das Verhalten der Tarifpartner richten. Eines aber muß man unter allen Umständen verhindern: daß wir wegen partieller Schwierigkeiten zu einer Politik des „go and stop" kommen, wie es in England der Fall war. Wir alle sind für Wachstum. Aber das Entscheiende ist doch inflationsfreies Wachstum. Natürlich sind die Versuchungen sehr groß, Wachstum anzukurbeln, insbesondere dann, wenn die Staatskasse nicht mehr so gefüllt ist wie in der Vergangenheit. Ich bin sicher, der Herr Bundesfinanzminister wird dieser Versuchung widerstehen. Aber wir müssen dies klarmachen, damit falsche Interpretationen nicht möglich sind. Ich glaube, die Bundesregierung muß auch noch zu einigen anderen Fragen Stellung nehmen. Sie hat in ihrer Regierungserklärung hervorgehoben, daß sie alles tun werde, um den Kapitalmarkt zu normalisieren. Sehr richtig! Aber sie muß gleichzeitig erklären, daß sie nicht daran denkt, an diesen Kapitalmarkt in ungebührlicher Weise heranzutreten, und daß sie alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten ausschöpfen wird, um auch andere Gebietskörperschaften davon abzuhalten, an diesen noch nicht wiederhergestellten Kapitalmarkt heranzutreten. Im übrigen habe ich den Eindruck, daß Wachstum mit der Aufbringung der nötigen Staatsausgaben in eine etwas zu nahe Verbindung gebracht worden ist. ({1}) Da kein Zweifel darüber bestehen kann, daß die wesentlichsten wirtschaftlichen Probleme, denen wir uns gegenübersehen, struktureller Art sind, meine ich, daß man auch zur Strukturpolitik der Regierung etwas mehr hören muß. Wir wissen, daß im Schoße der vergangenen Regierung ein Programm der regionalen und sektoralen Strukturpolitik entwickelt worden ist. Dieses Programm sollte weiterdiskutiert werden. Ich glaube, die Bewältigung des Strukturwandels ist eine der wesentlichsten Aufgaben, vor denen wir in der Wirtschaftspolitik der nächsten Zeit stehen werden. Ich bin der Meinung, wir müssen sehr viele rechtliche Bestimmungen und traditionelle Gepflogenheiten überprüfen, um eine wirtschaftlich sinnvolle Anpassung zu ermöglichen; aber wir müssen alle finanziellen Hilfen dort abbauen, wo sie im Widerspruch zu den Grundsätzen einer sinnvollen Strukturpolitik stehen. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich durch eine gute Strukturpolitik bieten, sind im allgemeinen mehr vorbeugender Art. Ich glaube, hier sollten wir das von der vergangenen Regierung konzipierte Programm fortsetzen. Ich meine, alle Maßnahmen der strukturellen Anpassung müssen verhindern, daß überholte Strukturen künstlich erhalten werden. Ich möchte aber - es ist vereinbart worden, daß jetzt nur noch fünf Minuten lang gesprochen werden soll - auch noch eine Bemerkung zu der Ankündigung der Bundesregierung in bezug ,auf die Kuponsteuer machen. Ich möchte davor warnen, die Bedeutung der Aufhebung der Kuponsteuer für den Kapitalmarkt zu überschätzen. Im übrigen ist es so, daß in allen vergleichbaren Industrienationen die Quellensteuer für Wertpapiere existiert, und wenn wir die europäische Harmonisierung in Betracht ziehen, dann würden wir im Falle der Abschaffung vor der Aufgabe stehen, nötigenfalls im Zusammenhang mit der Harmonisierung wieder eine Änderung vorzunehmen. Es muß aber mit aller Deutlichkeit klargestellt werden, daß nicht darin gedacht ist, bestimmte Finanzprobleme durch die Hereinnahme von Geldern aus dem Ausland lösen zu wollen. Ich meine, daß im augenblicklichen Zeitpunkt die Beseitigung der Kuponsteuer ein Fehler wäre. Ich möchte abschließend nur eins sagen: Wir sollten uns davor hüten, daß der Eindruck entstehen kann, wir wollten die Staatsfinanzen durch eine Politik des leichten Geldes wieder flottmachen. Das will niemand. Aber das muß hier auch klar erklärt werden, damit keine falschen Eindrücke entstehen können; denn das wäre verhängnisvoll für die psychologische Situation in der Wirtschaft. Ich glaube, man sollte auch dieses Bremsen und dann Wiederankurbeln verhindern. Wir brauchen eine kontinuierliche Entwicklung eines inflationsfreien Wachstums. Hier ist die Regierungserklärung etwas zurückhaltender gewesen, als mir lieb ist. Wir sollten erkennen, daß alle wirtschaftspolitischen Probleme nach den bewährten Grundsätzen ,der sozialen Marktwirtschaft gelöst werden müssen. ({2}) Ein Wort zum Kollegen Arndt. Er hat mit Recht darauf hingewiesen, welche politischen Gefahren beispielsweise in einer Zeit der Deflation eintreten könnten. Unterschätzen Sie aber nicht die politischen Gefahren, die erwachsen, wenn die monetäre Stabilität nicht mehr gewährleistet ist! Ich glaube also, daß Wachstum nicht an erster Stelle steht. An erster Stelle steht die Stabilität. Das Wachstum kommt erst an zweiter Stelle. ({3}) Wir sollten uns um die Früchte der Stabilisierungspolitik nicht durch vorschnelles und übereiltes Ankurbeln betrügen lassen. Auch für diese Regierung muß Stabilität an erster Stelle stehen; auch für diese Regierung muß es ein Gebot sein, die Probleme nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zu lösen und keinerlei andersgeartete Experimente zuzulassen. ({4})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000586, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Vor Beginn meiner Sachausführungen darf ich mit Bedauern feststellen, daß der neugewählte Herr Bundeskanzler entgegen der Gepflogenheit seiner beiden Herren Amtsvorgänger bei der Debatte über die Regierungserklärung nicht durchgehend anwesend ist. Ich .bedaure das; denn ich glaube, auch das gehört zu einem guten parlamentarischen Stil. ({0}) Ich möchte mich zunächst den Ausführungen zuwenden, die Herr Bundesschatzminister Schmücker von dieser Stelle aus gemacht hat, als er glaubte, die sogenannte Regierungskrise, das heißt das Auseinanderbrechen der Koalition, für die Verzögerung der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes verantwortlich machen zu sollen. Er hat gesagt, die Verabschiedung sei dadurch um etwa einen Monat verzögert worden. Wenn wir bei der Wahrheit bleiben - und das sollten wir tun -, müssen wir feststellen, daß die Beratungen im Wirtschaftsausschuß sogar beschleunigt worden sind, weil nämlich Plenarsitzungen ausgefallen sind, was dazu geführt hat, daß der Wirtschaftsausschuß häufiger tagen und das Stabilitätsgesetz weiter beraten konnte. Wir sollten uns an das erinnern, was Herr Kollege Arndt am 14. September an dieser Stelle zum Stabilitätsgesetz gesagt hat. Ich zitiere wörtlich: Dieses Gesetz ist ein Torso, ohne Kopf und ohne Arme, oder ein Tisch auf zwei Beinen. Vielleicht, Herr Kollege Arndt, hat es deswegen länger gedauert, weil Sie noch dabei sind, die zwei Beine zu bauen, oder weil sie versuchen, den Torso mit Kopf und Armen zu versehen. Ich weiß also nicht, ob es an der Regierungskrise lag. ({1}) Herr Kollege Arndt, Sie haben gesagt, die Notenbankpolitik habe nicht zu einer Preisstabilität, aber zu einer Stagnation oder gar mehr, zu einer quasi oder sogar echten Arbeitslosigkeit geführt. Ich glaube, wenn man diese Behauptung aufstellt, darf man das Verhalten der öffentlichen Hände, das Verhalten des Bundes, der Länder - die ich besonders erwähne - und der Gemeinden, nicht unberücksichtig lassen; denn es hat sich eben nicht um eine „konzertierte Aktion" gehandelt. Ich behaupte, daß das Verhalten der Bundesbank sehr wohl richtig war und daß sich die öffentlichen Hände dem Vorgehen der Bundesbank hätten anschließen sollen. Man darf also hier nicht mit Teilbereichen arbeiten, sondern sollte das Ganze sehen. Ich begrüße die dpa-Meldung von heute nachmittag - ich nehme an, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nachher dazu noch einiges sagen wird -, wonach die Bundesbank keine kreditpolitischen Beschlüsse gefaßt hat, wonach sie also der Aufforderung in der Regierungserklärung nicht nachgekommen ist, jetzt die Kreditrestriktionen zu Lokkern. Ich werte dieses Verhalten der Bundesbank als eine Aufforderung an die Bundesregierung, zuerst die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen, um dann ihre Bereitschaft nicht nur zu bekunden, sondern auch zu realisieren, nämlich ihre Maßnahmen entsprechend auszurichten. ({2}) Die Ausführungen des Herrn Kollegen Arndt, aber auch des Herrn Professor Stein, ja auch die der beiden letzten Redner haben mich manchmal fragen lassen, wo hier eigentlich die Opposition und wo die Regierungsfraktionen sitzen; aber ich nehme an, das wird sich im Laufe der Zeit noch etwas einspielen. ({3}) Herr Kollege Gscheidle, zu Ihren Ausführungen zur Einkommenspolitik und zur Mitbestimmung möchte ich wie folgt Stellung nehmen. Sie sind Koalitionspartner der Herren Pohle und Stein. Eine Klausurtagung scheint mir erforderlich zu sein, ({4}) ich meine eine gemeinsame. Ein weiterer Punkt. Der Herr Bundesfinanzminister hat - und ich finde, wir sollten ihm dafür dankbar sein - einen sehr klaren und wie ich finde sehr wahren Satz ausgesprochen. Herr Bundesfinanzminister Strauß hat gesagt - und ich zitiere ihn, soweit ich das mitschreiben konnte -: Bei weniger als 4,5 0/o Wachstum bricht unser Sozialsystem zusammen. Dies ist ein Satz, der es verdient, festgehalten zu werden und über den man vielleicht noch ein wenig nachdenken sollte. ({5}) - Herr Kollege Barzel, ich übe keine Kritik daran, ich greife diesen Satz dankbar auf, weil ich ihn für goldrichtig halte. ({6}) - Ich hatte den Eindruck, daß er sich mit diesem Zitat sogar identifizierte, wofür ich volles Verständnis hatte. Sollte er es nicht getan haben, dann greife ich den Satz eben als Zitat auf. Das heißt doch nichts anderes, als daß für den Fall, daß ein reales Wachstum von 4,5 % aus einer gegebenen wirtschaftspolitischen Situation nun einmal nicht erreichbar ist - und diese Situation, Herr Kollege Barzel, ist sehr wohl denkbar, ohne daß man deswegen der Regierung Verschulden vorwerfen muß -, als letzte Alternative der Zusammenburch des Sozialsystems oder Geldwertschwund steht. Darüber müssen wir uns klar sein: ob eine Sozialpolitik, ein Sozialsystem, das zu dieser Konsequenz führt, nicht letzten Endes ein falsches soziales Bild ist, ob also, um es klar zu sagen, die Beschlüsse des Jahres 1957, die hier maßgeblich sind, nicht zu der Politik führen mußten, die wir permanent beklagt haben, daß man nämlich ein nominelles Wachstum von 4,5 % anstreben muß, um den Zusammenbruch des Systems zu verhindern. Meine Damen und Herren, wir sollten den Mut haben, in dieser Legislaturperiode, und zwar sofort über diese Frage offen zu diskutieren. Die Regierung sollte nicht nur den Mut haben zu sagen, sie habe den Mut, Unpopuläres zu sagen; denn das zu sagen ist populär, wie wir alle wissen, sondern sie muß den Mut haben, Unpopuläres zu tun. Ich glaube, das sollte hier heute mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden. ({7}) Lassen Sie mich einen letzten Punkt anschneiden. Es ist von mehreren Kollegen, von fast allen Rednern, die Frage des magischen Vierecks - wir haben es etwas erweitert, damit es noch ein bißchen komplizierter wird - angeschnitten worden. Ich habe mir das so vorgestellt, wenn ich es einmal bildlich darstelle, daß die Regierung sich in der Mitte des Vierecks befindet und den Versuch unternimmt, alle vier Ecken etwa gleichzeitig im Griff zu haben. Aber was ich in der Regierungserklärung so gelesen habe, an verschiedenen Stellen, wohl verteilt und zum Teil wohl formuliert und wohl dosiert, gibt mir eher ein anderes Bild auf, daß nämlich in der Mitte jemand steht, der den Namen vom Viereck hat, der wie ein Magier dort zu stehen hat - vielleicht der Herr Bundesfinanzminister -, und daß ein anderer da ist, der von einer Ecke in die andere saust und permanent eine Ecke verwirklichen will. Dabei kommt eine Drehbewegung zustande, die, auf den Geldwert übertragen, das beinhaltet, was ich an Hand der Regierungserklärung glaube befürchten zu müssen. Meine Damen und Herren, ich würde mich sehr freuen, und meine Fraktion wäre den Koalitionsfraktionen unterschiedlichster Prägung in ihren Einzelteilen dankbar, wenn diese Befürchtung von Ihnen heute, von Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, nachhaltig zerstreut werden könnte. ({8})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

Dr. Karl Schiller (Minister:in)

Politiker ID: 11001968

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Wie Sie wissen und wie inzwischen wohl auch dem Kollegen Starke mitgeteilt wurde, bin ich heute auf Grund des gestrigen Kabinettsbeschlusses - ({0}) - Doch, Herr von Hase hat es urbi et orbi gestern verkündet. ({1}) - Herr Starke, es ist Ihnen aber doch sowohl aus den Reihen der Abgeordneten wie von der Regierungsbank gesagt worden, daß ich nicht unentschuldigt von der „Schule gefehlt" habe, sondern versucht habe, in sieben Stunden auf meine Art und Weise in Zusammenarbeit mit zwei Staatssekretären des Wirtschafts- und des Finanzministeriums und noch zwei weiteren Mitarbeitern „unser Brot zu verdienen". Meine Damen und Herren, ich darf wiederholen, was der eine oder andere Kollege hier schon auf Grund der dpa-Meldung gesagt hat. Das Kommuniqué, das in dem Augenblick verfaßt wurde, als ich mich wieder zur Rückkehr von Frankfurt nach Bonn aufmachte, lautet folgendermaßen: Der Zentralbankrat hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember in Anwesenheit des Bundeswirtschaftsministers und der beiden Herren Staatssekretäre im Finanzministerium und im Wirtschaftsministerium in offener und eingehender Aussprache die konjunkturelle und finanzpolitische Lage und die sich daraus für die Kreditpolitik ergebenden Konsequenzen erörtert. Der Zentralbankrat wird seine Beratungen über die Folgen, die sich aus der gegenwärtigen Konjunkturlage für die Kreditpolitik ergeben, fortsetzen. Es hat eine sehr intensive Analyse der Situation stattgefunden. Ich kann wohl so viel sagen, daß vom Vormittag bis zum Nachmittag die Standpunkte in bezug auf die Beurteilung der Lage einander sehr nahegekommen sind. Die Bundesbank ist ein autonomes Gremium. Wann und wie sie entscheidet, liegt bei ihr. Es war übrigens in der Regierungserklärung, meine Damen und Herren, kein Zeitpunkt, kein Datum angegeben. ({2}) Es hieß nicht: sofort. Es kann gar keine Rede davon sein. Vielmehr ist gesagt worden, daß die Bundesregierung eine fühlbare Senkung des Diskontsatzes und entsprechende Maßnahmen der Geld- und Kreditpolitik begrüßen würde. Und einmal wurde gesagt: nunmehr. Es wurde aber kein Datum genannt. „Nunmehr" ist kein Datum. Es wurde gesagt: Man hält es nunmehr für sachlich geboten. Es ist dem autonomen Gremium völlig überlassen, wann es seine eigenen Schlüsse zieht. Es hat heute, solange ich da war, keine Lockerung der Kreditrestriktionen gegeben, wohl aber - das kann ich hier sagen - eine sehr weitreichende Auflockerung der Meinungen dort. Ich darf ein zweites hinzufügen. Der Kollege Gewandt sagte hier, das sein ein Bruch in der Entwicklung oder so irgend etwas, und es sollte die erfolgreiche Stabilisierungspolitik der bisherigen Bundesregierung fortgesetzt werden. Ich muß ihn darüber aufklären, daß ich in dem Bemühen, die Bundesbank von einer bestimmten wirtschaftspolitischen Linie zu überzeugen, die Anstrengungen meines Amtsvorgängers Schmücker fortsetze, die schon seit längerem laufen. ({3}) Da sind Sie völlig im Irrtum; es ist aktenkundig und durch ihn selber sicherlich auch ohne weiteres festzustellen, daß er von sich aus in den vergangenen Wochen und Monaten, also seit geraumer Zeit, auch diesen Kurs versucht hat. ({4}) - Dann bin ich um so dankbarer dafür; das konnte ich natürlich nicht wissen. Ich darf hinzufügen: Dieser Besuch heute, der erste Besuch eines Vertreters der neuen Bundesregierung beim Zentralbankrat, sollte zugleich allen draußen klarmachen - und er sollte auch allen in diesem Hause klarmachen -, daß die neue Bundesregierung nicht auf Kollisionskurs mit der Bundesbank segelt. ({5}) Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß wir einen Konflikt wollen oder haben. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Wir stehen seit der ersten Woche nach der Ernennung durch den Herrn Bundespräsidenten in Fühlungnahme mit Herrn Blessing, dem Vizepräsidenten Troeger und Herrn Irmler, dem Mitglied des Direktoriums. Bei der Abfassung der Regierungserklärung habe ich mehrere Male mit Hilfe der Mittel der modernen Technik auch noch mit dem Herrn Präsidenten Blessing Fühlung gehabt. Soweit es heute nicht schon gesagt worden ist, möchte ich noch einmal betonen - der Herr Bundeskanzler hat mir in der letzten Sitzung gestattet, dies zu sagen -: Der Text beginnt mit „erstens" und mit dem Satz: „Die Bundesbank hat . . ." Dann geht es los mit „ . . . sachlich geboten" und „ . . . würde begrüßen". Dieser Text ist Wort für Wort zwischen dem Herrn Bundesbankpräsidenten Blessing und dem Bundeswirtschaftsminister abgestimmt worden, ({6}) und zwar vor Abgabe der Regierungserklärung, weil ich dem Bundeskanzler zu diesem heiklen Punkt keine Erklärung als Vorschlag in die Hand reichen wollte, die gar zu einem Dissens mit der Bundesbank hätte führen können. So ist es gewesen, das sage ich, damit Sie auch über diesen Punkt ganz im Bilde sind. Als nächstes darf ich sagen: Wir haben nicht nur vor, keinen Konflikt zu beginnen, wir sind nicht auf Kollisionskurs; im Gegenteil! Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, daß von den vorherigen Regierungen - ich meine die Minderheitsregierung und die ihr vorausgegangene Regierung - Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik und Geldpolitik nicht immer - ich will mich einmal so ausdrücken - völlig aufeinander abgestimmt waren. Auf jeden Fall waren Fiskalpolitik und Geldpolitik der Jahre 1965 und 1966 sicherlich anders orientiert. Ich habe einmal gesagt: „Die Bundesbank hat allein die Bürde zwei Jahre zu tragen gehabt, und die Fiskalpolitik war konträr gerichtet." Hier geht es nicht mehr um Schuld und Sühne, sondern es geht darum, zu erklären, weshalb wir jetzt und wie wir jetzt die Sache anpacken. Wir haben erst einmal versucht, im Kabinett eine fugenlose Zusammenarbeit innerhalb des Kabinetts zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik herbeizuführen. Die heutige Aktion war ein weiterer Schritt in der Richtung, nun als Dritten im Bunde die monetäre Politik in diese fugenlose Zusammenarbeit einzuführen. So sind auch dieser Besuch und die Verhandlung von der Bundesbank aufgefaßt worden, nachdem in der Verhandlung von mir ausdrücklich festgestellt worden war, daß die Bundesbank selber in den letzten Jahren den größten Teil der Bürde alleine habe tragen müssen und ihre Politik nicht im Zusammenklang mit dem gestanden habe, was von seiten der öffentlichen Hand auf allen Ebenen geschehen ist. Meine Damen und Herren, ich darf, damit Sie Absicht, Sinn und Atmosphäre dieser sehr eingehenden Verhandlungen erkennen, hinzufügen: Es ist sehr deutlich dargelegt worden - und das ist sicherlich in diesem Hohen Hause heute auch geschehen-, daß wir uns konjunkturell und strukturell jetzt und in den kommenden Monaten in einer Situation befinden, die wir seit dem Jahre 1949 noch nicht gehabt haben. Es gab bisher die Situation nicht, daß die Investitionsplanungen der industriellen Unternehmen etwa für das kommende Jahr einen Rückgang der Investitionstätigkeit unter den bestehenden Voraussetzungen von 12 % anzeigen. Es gab die Situation nicht, daß der Produktionsindex, der seit September negative Zuwachsraten aufweist, sich wahrscheinlich, wenn nichts geschieht, in dieser Weise fortsetzt. Es gab vor allen Dingen nicht die Situation, daß die Unternehmererwartungen nach wie vor so negativ gestimmt sind, wie heute, wie jetzt zu diesem Zeitpunkt. Wenn Sie die Statistik nehmen, die die Unternehmererwartung am besten widerspiegelt, nämlich den Konjunkturtest des Ifo-Instituts, dann werden Sie für dieses Jahresende 1966 Einschätzungen von 5000 Unternehmern, die ständig befragt werden, vorfinden: Geschäftslage minus 23, Auftragseingang minus 38. Das sind jeweils die Prozentzahlen der negativen Einschätzungen. Wenn Sie diese Zahlen mit den Zahlen des letzten schlechten Jahres der Konjunktur, nämlich 1962 vergleichen, dann finden Sie plus 18, minus 9, jetzt minus 38. Auftragsbestandsentwicklung damals minus 16, heute minus 41. Auftragsbestandsbeurteilung damals minus 9, heute minus 46. Und so geht es herunter. Diese extraordinäre Situation hat in der Erklärung der Bundesregierung dazu geführt, daß wir gesagt haben: Es kann durchaus sein, daß die Talsohle der Konjunkturentwicklung, zumal wenn aus winterlichen Gründen ein harter Saisoneinbruch kommt, noch vor uns liegt. Wenn diese Kombination eintritt, werden wir sicherlich mit Maßnahmen, die heute und morgen oder in absehbarer Zeit von der monetären Seite getroffen werden, diese Talsohle nicht vermeiden. Das ist auch der Bundesbank gesagt worden, und ich glaube auch, dem wird jeder zustimmen. Was entscheidend ist, ist, daß bald und deutlich ein paar wichtige Zeichen gesetzt werden und Maßnahmen eingeleitet werden, die den Unternehmern, den Arbeitnehmern und der gesamten Bevöl3786 kerung deutlich machen, daß es mit Sicherheit im Februar oder März einen Weg aus der Talsohle heraus gibt. Das ist das Wesentliche, und nur darum handelt es sich. Meine Damen und Herren, zu diesem Punkte möchte ich noch hinzufügen: Es kann dabei passieren - ich sage das ganz deutlich; das ist heute alles sehr freundschaftlich und sehr frei ausgesprochen worden -, wenn mit monetären Maßnahmen sehr lange gewartet würde, daß eine solche Politik dann zwar bei den Unternehmern zu eine Konsolidierung ihrer Bilanz führt, d. h. daß sie ihre Schuldensituation in Ordnung bringen, aber daß sie nicht investieren. Das ist der berühmte Fall, der eintreten kann, daß nämlich reine monetäre Erleichterungen in einer bestimmten Situation nicht zu einer Zunahme der realen Investitionen führen oder, wie Keynes/Beveridge einmal gesagt haben, es kann die Situation eintreten: wenn monetäre Maßnahmen nicht im richtigen Zeitpunkt, sondern zu spät getroffen sind, dann sind die Pferde zwar ins Wasser gegangen, aber sie saufen nicht. Ich bitte um Entschuldigung wegen des Vergleichs; mit den Pferden sind die Unternehmer gemeint, die das dann nicht aufnehmen und nicht in eine Mehrinvestition hineingehen. Wir haben von der Bundesregierung - das ist auch erklärt worden, und ich habe das Gefühl gehabt, wir haben sehr viel Verständnis dafür gefunden - deswegen für jenen schwierigsten Fall den Eventual-haushalt mit zusätzlichen Investitionsausgaben vorgesehen, der dann einspringen würde, um die Unternehmungen durch Mehraufträge für Investitionen der öffentlichen Hand in weitestem Sinne auch ihrerseits zu Mehrinvestitionen zu veranlassen. Meine Damen und Herren, das ist alles gar kein Pessimismus, sondern es soll darlegen, daß wir uns über die Talsohle Gedanken gemacht haben, daß wir für das Durchschreiten der Talsohle Instrumente zurechtgelegt haben bzw. uns in diesem Fall um die Kooperation mit der autonomen Bundesbank bemühen, damit wir alle gemeinsam aus dieser Talsohle wieder herauskommen. Sie wissen, daß diese Talsohle - das ist auch von unserer Seite gesagt worden, es ist ganz unbestritten, und es ist sicherlich in diesen Tagen auch in diesem Hohen Hause gesagt worden - deswegen von uns allen einfach einkalkuliert werden muß weil mehrerlei zusammenkommt, und zwar zum erstenmal zusammenkommt: das Minus in den Unternehmererwartungen, d. h., wenn Sie so wollen, das Auslaufen einer zweijährigen Politik der monetären Restriktion, zweitens schwere Strukturwandlungen im Ruhrgebiet, im Kohlenbergbau, und einige Schwierigkeiten im Stahlsektor, die noch nicht behoben sind, und auch Erscheinungen des strukturellen Wandels bei langlebigen Konsumgütern. Hier sind gewisse Dinge eingetreten, die in diesen Tagen von einem Werk verkündet wurden, das schließlich auch ein Symbol ist für das, was in den letzten 18 Jahren hier geleistet worden ist. Es ist keine einfache Sache, wenn dieses berühmte Werk, eben das Volkswagenwerk, die Kurzarbeit einführt. So etwas alles kann also zusammenkommen. Es ist die Pflicht einer Bundesregierung, in diesem Falle alle Maßnahmen rechtzeitig vorzubereiten, um diesen Gefahren entgegenzutreten, Maßnahmen der Investitionsbelebung, und auch Maßnahmen zur monetären Erleichterung zu erbitten, damit Wirtschaftswachstum und Stabilität in gleicher Weise wieder erreicht werden. Ich komme darauf noch. In diesem Zusammenhang - ich habe das Vergnügen gehabt, Herrn Kollegen Gewandt noch zu hören - ist das Wort „Globalsteuerung" aus der Regierungserklärung moniert worden. Ich kann nur daran erinnern, Herr Kollege Gewandt, daß der ursprüngliche Entwurf des Stabilitätsgesetzes von der alten Bundesregierung kam, und in diesem Gesetzentwurf war schon ein großer Haufen von Maßnahmen der Globalsteuerung enthalten. ({7}) Darüber besteht doch gar kein Zweifel, daß etwa die Instrumente der Plafondierung der Kredite und der Begrenzung der Kredite für die öffentliche Hand, wie immer man sie jetzt beurteilen mag, sehr harte Instrumente der globalen Steuerung sind. Wenn das in der Regierungserklärung erwähnt wird, heißt das keineswegs, daß wir damit der Marktwirtschaft zu Leibe rücken wollen, im Gegenteil. Richtige und wohldosierte und rechtzeitige Maßnahmen der Globalsteuerung verhüten es, daß wir in einen Einzeldirigismus, in eine Politik der sektoralen Regulierung abrutschen. Wenn die Weichen nicht rechtzeitig gestellt werden - wir versuchen das -, dann werden wir im Frühjahr. sehr viel Druck auf Einzelmaßnahmen bekommen, auch Maßnahmen, die nicht in jedem Fall mit dem marktwirtschaftlichen Konzept vereinbar sind. Wir kennen das Verstromungsgesetz; das ist auch so eine Sache gewesen. ({8}) - Sie wissen selber, Herr Blumenfeld, was für Kummer uns das macht, eine solche Sache in Gang zu setzen. ({9}) - Natürlich! Denn ich habe festgestellt - um das auch einmal klar zu sagen -: Das haben wir im Sommer zähneknirschend beschlossen, wir allesamt, fast einstimmig ({10}) - „fast", sage ich -, und die Ausführungsbestimmungen konnten bisher immer noch nicht herausgebracht werden, weil die monetäre Seite dieser komplizierten Maßnahme bis dato nicht geklärt werden konnte, übrigens nicht nur weil es beim Bunde lag, sondern weil ein Drittel von einem anderen Land noch offen war. Aber es waren noch andere Schwierigkeiten da. Das ist die Situation, das habe ich vorgefunden. Ohne Arg sage ich das hier, ohne daß hier über Schuld und Sühne gesprochen wird. Das sind die Dinge, die wir alle noch in Ordnung bringen müssen. Nun gibt es drei große Komplexe, die alle hier angesprochen sind und die auch heute eine große Rolle gespielt haben in der Frage, um die es eigentlich heute mittag ging - das will ich ganz offen sagen -: des Timing, wie man sich im Areopag der Geldpolitiker ausdrückt. Es gibt drei Komplexe, einmal die konzertierte Aktion, zweitens das neu in Erscheinung getretene Defizit für 1967 von 3,3 Milliarden DM und drittens das Stabilisierungsgesetz. ({11}) Zu allen dreien kann gesagt werden - ich glaube, Herr Moersch, das dürfte einfach zur Kenntnis genommen werden -: Alle drei Maßnahmen brauchen ihre Zeit. Die konzertierte Aktion - das ist hier dargelegt worden - ist keine Sache eines einmaligen Entscheides, sondern eine Angelegenheit langer und systematischer Bemühungen der Regierung mit den freiwillig zusammengetretenen Tarifvertragsparteien und mit dem Sachverständigenrat. Das Zweite ist der Ausgleich des neu in Erscheinung tretenden Defizits. Da muß ich für den Kollegen von den Finanzen reden. In diesen Tagen von einer Regierung, die bei Abgabe der Regierungserklärung, glaube ich, 15 Tage im Amt war, zu verlangen, das über den Tisch weg zu machen, ist einfach eine Unmöglichkeit. Das wird auch seine Zeit brauchen. Das wird parlamentarisch in den Februar hineingehen oder sich vielleicht noch anders hinstrecken, wie eben der Ablauf der Dinge ist, wenn es darum geht, bei einer so schmerzhaften und schwierigen Operation auf beiden Seiten, auf der Ausgabenseite und auf der Einnahmenseite, konjunkturgerecht zu handeln. Das Dritte ist - das ist auch gesagt worden - das Stabilisierungsgesetz. Da muß ich nun sagen, meine Herren von der FDP, es tut mir in der Seele leid, daß Sie dazu erklären, das müsse fertig sein, und Ähnliches. Ich darf Sie daran erinnern - Herr Kollege Arndt, der vorhin zitiert wurde, hatte völlig recht -, daß der Gesetzentwurf nach unserer Meinung nicht vollkommen ist. Wir haben an diesem Entwurf sehr lange intensiv gearbeitet, mit Hearings, aber sehr intensiv. Wir waren bis zum 26. Oktober mit Herrn Dr. Menne zusammen der Meinung - ich habe einmal mit ihm darüber gesprochen -, wir seien in jenen Wochen der fleißigste Ausschuß gewesen. Dann ist zweierlei passiert. An beidem ist doch schließlich die FDP nicht ganz unbeteiligt gewesen. Einmal ist die Regierung auseinandergefallen, und zum zweiten stellte sich heraus, daß wir in der größten Haushaltsklemme sind, die wir in den letzten Jahren gehabt haben. Beides kam auf uns zu, auf uns alle in diesem Hause. Das Problem des Haushalts 1966 und 1967 kam auf uns alle ganz plötzlich in dieser Dimension zu, ebenso die Regierungskrise. Dann haben noch einige weiter an dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft gearbeitet; aber es war ganz unmöglich, in jener Zeit etwa das Gesetz fertig zu machen. Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich auch heute nachmittag gesagt habe, daß das dafür zuständige Wirtschaftsministerium im Januar von sich aus die parlamentarische Bearbeitung dieses Gesetzentwurfes so weit fördern kann, wie das überhaupt ein Ministerium fördern kann. Das wird also auch geschehen. ({12}) Aber bei allen drei Maßnahmen, deren Verwirklichung sich noch über Wochen und Monate hinziehen wird, darf ich gar keinen Zweifel lassen, daß ein Abwarten mit den monetären Maßnahmen allerdings für die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft gefährlich wäre. ({13}) Wenn wir alle drei Dinge erst als Vorleistung erbringen müßten, damit also erst Ende Februar zu einer Änderung der Geldpolitik kämen, dann, meine Damen und Herren, könnte etwas eintreten, was wir alle in diesem Hause, als Abgeordnete oder als Mitglieder der Exekutive, auszuhalten hätten, mehr auszuhalten als andere Herren. Ich sage das mit aller Ruhe und aller Deutlichkeit, weil es heute nachmittag auch so ausgesprochen worden ist. Wenn man so lange warten würde, käme man zu etwas, was etwa so formuliert werden kann: wir werden auf jeden Fall eine weitere Liquidisierung der Wirtschaft bekommen - das ist ganz selbstverständlich und gar kein Wunder - und eine weitere Liquidisierung des Bankensystems. Warum? - Weil in einem Prozeß der Schrumpfung, der Minderinvestition selbstverständlich laufend die Liquidisierung im Bankensystem zunimmt. Dann ergibt sich irgendwann von dieser Liquidisierungswelle als Begleiterscheinung einer Rezession ein Druck auf die Zinsfüße. Das ist ganz modellgerecht. Bloß dann wäre die Bundesbank - das darf ich wohl mit allem Verlaub sagen, weil ich es auch heute nachmittag gesagt habe, ganz sachlich - in eine ganz neue Lage gekommen. Sie betriebe dann nicht mehr eine führende Geldpolitik, sondern nur noch eine konstatierende Geldpolitik; und in diese Lage sollte sie eigentlich nicht gebracht werden. Darum geht es bei dem Timing. ({14}) Meine Damen und Herren, hier sind ein paar Worte gefallen, die, soweit ich das schon mithören konnte, etwa dahin liefen: Kredithahn aufdrehen oder Ankurbelung oder so. Aber, meine Damen und Herren, das ist doch eine völlig falsche Ansicht von der ganzen Angelegenheit. Es gehört zu den normalen Mitteln der modernen Notenbankpolitik, daß sie, wenn es notwendig ist, restriktiv arbeitet und daß sie wiederum, wenn es notwendig ist, diese Restriktionspolitik beendet und in eine andere Politik übergeht. Nur darum geht es. Ich halte es für völlig falsch, wenn man das auf den so einfachen und gefährlichen Nenner .bringt, daß die Auflockerung der Restriktion, die Senkung des Diskontsatzes - damit meine ich natürlich nicht die Notenbank, die genau weiß, daß das zu ihrem Geschäft gehört, sondern die Auffassungen in der Öffentlichkeit - etwas zu tun hätte mit Kreditschöpfung, Geldentwertung, Unstabilität oder Ähnlichem. Nein, es gehört zum modernen Instrumentarium, auch die Restriktionen, wenn man die Talsohle sieht, rechtzeitig abzubauen. Darum geht es heute, und um nichts anderes. Ich möchte deswegen davor warnen, daß von außenstehender Seite oder von politischer Seite dieser Vorgang des Kurswechsels in der monetären Politik in ungebührlicher Weise dra3788 matisiert wird, als wenn diese ganze Regierung, die neue Regierung, nun nichts anderes im Sinne hätte, als den Geldwert zu beeinträchtigen. Davon kann gar keine Rede sein, im Gegenteil. Es ist heute über die Preise gesprochen worden, und Sie haben durch den neuesten Lebenshaltungskostenindex vernommen, daß da wieder ein Sprung nach oben erfolgt ist. Auch das ist ganz klar. Wir haben natürlich, als die Restriktionen fühlbarer wurden, einen negativen Effekt auf die Produktivität der Unternehmungen gehabt - das war die erste Phase -, weil die Unternehmungen - wie man so häßlich sagt - Arbeitskräfte horteten. Das bedeutete, daß bei schärferer Restriktion das Produktionsquantum je geleistete Arbeitsstunde statistisch zurückging. Dann kam die zweite Phase - diese Phase ist jetzt da -, daß Arbeitskräfte freigesetzt werden. Das ist - wie wir alle wissen - nicht ganz ungefährlich, wenn auch bis zu einem gewissen Grade natürlich, weil dadurch die Mobilität der Arbeitskräfte von stagnierenden zu strukturell aussichtsreichen Wirtschaftszweigen gefördert wird. Aber es kann auch zu weit gehen. Aber wir sind nun dabei, gleichzeitig in eine dritte Phase hineinzugehen, nämlich durch die Fortsetzung eines schärferen Restriktionskurses eine so große Minderauslastung der Kapazitäten und der Produktionsaggregate zu erhalten, daß damit die Produktivität absinkt. Und das ist die Phase, die uns jetzt droht. Das ist eine Phase, die bedeutet, daß bei sehr scharfer Restriktionspolitik der Kosteneffekt nicht eintritt, nicht etwa, weil zu viele Arbeitskräfte in den Betrieben da sind oder weil etwa gar zu hohe Löhne gezahlt werden, sondern weil das vorhandene Sachkapital zu gering ausgenutzt wird. Das ist genau die gefährliche Geschichte, daß wir das Schlechteste von beiden Welten haben, nämlich steigende Minderauslastung der Kapazitäten, sinkende Produktivität und damit steigende Preise. Meine Damen und Herren, ich erwähne das alles nur, um Ihnen zu sagen, wie sachlich und freimütig heute argumentiert worden ist, und daß es letztlich um die Frage des Zeitpunktes ging. Ich darf vielleicht hinzufügen, daß es mir darauf ankam, diesem Hohen Hause nach meiner Rückkehr von den erfreulichen und freundschaftlichen Diskussionen mit den Herren vom Areopag der Geldpolitik hier einen Bericht vorzulegen. Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß der Konjunkturablauf in den kommenden Monaten nicht nur eine Sache der Mechanik ist, der Veränderung dieser oder jener Sätze, sondern auch eine Sache des Vertrauens und der Psychologie. Wir wollen das Vertrauen der deutschen Unternehmer und der deutschen Arbeitnehmer wiederherstellen. Es ist erschütternd zu sehen, daß in einer Situation, bei der die Arbeitslosigkeit ansteigt und bei der wir vielleicht im Jahre 1967 irgendwann 2 bis 3 O/o erreichen werden, heute schon allenthalben in der Wirtschaft und bei den Arbeitnehmern Unsicherheit über den Arbeitsplatz eingetreten ist. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß diese westdeutsche Volkswirtschaft, die sich seit zehn Jahren in der Vollbeschäftigung befindet, daran nicht gewöhnt ist, ({15}) daß ein Einbruch entstehen kann, der bis zu 3 % gehen mag. Herr Blumenfeld, das ist auch heute gesagt worden. Wir alle haben eine schärfere Rezession bisher nicht durchgemacht und in diesen zehn Jahren noch nicht versucht, sie mit monetären und fiskalischen Mitteln schnell wieder zu beseitigen. Das wäre das erste Mal. Deswegen müssen wir rechtzeitig Vorsorge treffen. Das haben auch die Herren zugegeben. ({16}) - Die Psychologie braucht in erster Linie Stabilität der Regierung, Stabilität im Sinne des Kurses der Regierung und der Regierungspolitik und - wie ich sage - Signale, die deutlich angeben: Wir sehen die Talsohle, aber wir sehen auch die Wege, die Möglichkeiten und und die Sicherheiten, soweit sie abschätzbar sind, für den Wiederaufstieg. Ich glaube, daß heute in den Beratungen in der Bundesbank sehr deutlich wurde, daß solche Signale in Bälde vor der Talsohle gesetzt werden müssen. Das ist das eine. Das andere, das ich hinzufügen darf, meine Damen und Herren, ohne irgendwie die Vertraulichkeit zu brechen, sondern im Gegenteil, um es abzuschließen und zu summieren: heute ist in den sieben Stunden meiner Anwesenheit im Zentralbankrat in der Analyse eine weitgehende Verständigung erreicht worden. Bundesbank und Bundesregierung selbst sind jetzt in der Lage, die gegenseitigen Signale zu erkennen. Ich möchte es so sagen. Die Schiffe, die also eine zeitlang sehr weit voneinander entfernt waren, die sich zwei Jahre lang eigentlich nicht mehr verständigen konnten, diese Schiffe, um es noch einmal so zu sagen, haben jetzt durch diese vielen Besprechungen Flaggen gesetzt und Signale verabredet. Sie können sich wieder über die Lage der deutschen Wirtschaft und über den möglichen weiteren Kurs verständigen. So möchte ich bei allem, was in jenem Gremium noch offen ist, sagen, daß diese Verständigung über das gegenseitige Flaggensetzen, über das Hand-in-Hand-Arbeiten uns hoffen läßt. Aber ich füge hinzu, nachdem ich aus dieser Versammlung herausgegangen bin, habe ich nicht nur das Gefühl gehabt, daß uns das hoffen lassen kann, sondern auch deutlich zum Ausdruck gebracht, daß wir nicht mehr viel Zeit haben. ({17})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, ein Wort zur Geschäftslage. Das ist weniger interessant als das, was der Herr Bundeswirtschaftsminister uns soeben gesagt hat. Ich habe jetzt noch 16 Wortmeldungen vorliegen, davon vier zur Sozialpolitik, zwei zum Wahlrechtsproblem. Eine ganze Reihe von Wortmeldungen habe ich hier ohne Themenangabe vorliegen, aber Präsident D. Dr. Gerstenmaier mit der Mitteilung, daß sehr kurz gesprochen werden soll. ({0}) - Möchten Sie das Wort zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Rasner? - Bitte sehr.

Will Rasner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001777, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Haus hat heute zehn Stunden lang anstrengende und schwere Themen debattiert. Ich schlage vor, daß wir die Debatte jetzt abbrechen und sie morgen dort wieder aufnehmen, wo wir heute stehengeblieben sind. Das scheint mir nach der Geschäftslage das Klügste zu sein, Herr Präsident. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Rasner, so leid es mir tut, ich bin gehalten, dafür zu sorgen, daß dieses Haus in angemessener Weise die Debatte führt und ohne, daß der einzelne Redner, der das Wort wünscht, manipuliert wird. ({0}) Deshalb kann ich mich auch nicht auf die feierlichen Ankündigungen von fünf Minuten einlassen. Das ist für Sie ein ganz gutes und probates Verständigungsmittel, für den Präsidenten des Hauses nicht. Dieser kann nicht nach fünf Minuten sagen: Jetzt ist Feierabend. Das kann man nur in der Aktuellen Stunde. ({1}) Aber Sie sagen: morgen früh. Für morgen früh ist vorgesehen - und ich muß im Blick auf die Inanspruchnahme der Bundesregierung darauf achten -, daß noch folgende Themen verhandelt werden: Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Deutschlandpolitik. Wir müssen also dann unter Umständen morgen, nachdem erst einmal die Tabaksteuer erledigt worden ist, diese wirtschafts- und finanzpolitische Debatte unterbrechen. Ich würde es viel lieber sehen - ganz offen gesagt -, wenn diese Sache heute abend zu Ende gebracht werden könnte. ({2}) Hier ist man am Thema. Das ist eine außerordentliche Situation. Ich bin der Meinung, daß das dem Hause zugemutet werden könnte. Wir sollten dieses Thema heute erledigen. Deshalb wollte ich eigentlich, damit wir überhaupt ein Urteil haben, die Kollegen, die sich jetzt hier gemeldet und noch nicht angegeben haben, zu welchem Thema sie zu sprechen wünschen, fragen, ob sie zur Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sprechen wünschen, und für sie möchte ich plädieren, daß sie heute abend noch zu Wort kommen. Da ist z. B. der Herr Kollege Dichgans. Herr Kollege Dichgans, Wirtschafts- und Finanzpolitik? ({3}) - Dann würde ich bitten, für heute abend zu verzichten. Frau Dr. Diemer-Nicolaus? ({4}) - Dann bitte ich, darauf heute abend auf jeden Fall zu verzichten. Herr Dr. Geißler? ({5}) - Wissenschaft. Fällt aus heute abend! ({6}) Herr Dr. Müller-Hermann? ({7}) - Wirtschaft und Finanz. Herr Dr. Mühlhan? ({8}) - Wissenschaft. Heute nicht. Herr Kollege Orgaß? ({9}) Herr Kollege Opitz? ({10}) - Wirtschaft. Herr Kollege Schulhoff? ({11}) - Wirtschaft. Herr Kollege Dr. Schwörer? ({12}) - Wirtschaft. Herr Kollege Moersch? ({13}) Meine Damen und Herren, es sind noch vier Redner, die zu Wirtschaft und Finanz sprechen wollen. Sie haben zum großen Teil um fünf Minuten gebeten. Ich empfehle, daß wir das heute abend fertigmachen. - Gut! Dann hat als erster der Herr Kollege Dr. Müller-Hermann das Wort. ({14}) - Sie verzichten. Danke vielmals. Herr Kollege Opitz!

Rudolf Opitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001653, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Regierungserklärung heißt es, daß sie darauf verzichtet, in der bisher üblichen Weise die ganze Breite der politischen Aufgaben aufzufächern. Sie wollte Neues sagen, wo jetzt Neues zu sagen und zu wagen ist. Ich frage: soll das heißen, daß im Bereich der mittelständischen Industrie, der mittelständischen Wirtschaft, daß im Bereich von Handwerk und Handel alles beim alten bleibt, daß also hier nichts Neues zu sagen und zu wagen ist? Soll das heißen, daß die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit auch diesmal nicht korrigiert werden? Gerade diese Kreise, denen durch Entwertung der Lebensversicherungen, zum Teil durch das Lastenausgleichsgesetz die Altersversorgung zerstört wurde, die aber trotzdem einen gewaltigen Anteil am Wiederaufbau der Bundesrepublik haben, die aus Dankbarkeit dafür dann Investitionshilfe für die Großindustrie zahlen durften - gerade diese Kreise sind in eine wirtschaftlich sehr bedenkliche Situation geraten. Zum Teil bestimmt Mutlosigkeit und Verzweiflung das Denken und das Handeln gerade dieser Kreise unseres Mittelstandes. Sie sollten sich einmal in Ruhe die Analysen der letzten Wahlergebnisse anschauen und verfolgen, in welche politische Richtung gerade diese Stimmen zum Teil abgewandert sind. Und nun zu dem, was Herr Finanzminister Strauß heute angesprochen hat. Sie sollten und Sie können uns nicht den Vorwurf machen, daß wir nun in der Opposition anders redeten als in der Regierungsverantwortung. In den letzten Jahren haben wir von dieser Stelle aus immer wieder auf die Gefahren einer verfehlten Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik für die mittelständischen Wirtschaftskreise hingewiesen. Noch am 14. Juni dieses Jahres, bei der Diskussion zum 2. Jahresgutachten des Sachverständigenrates, habe ich davor gewarnt, alle Probleme nur gesamtwirtschaftlich zu sehen, und habe die Frage gestellt, ob es nicht unsere Aufgabe ist, festzustellen, wo und wodurch ganze Wirtschaftszweige nachteilige Entwicklungen hinzunehmen haben. Ich habe versucht, Ihnen darzustellen, wie unterschiedlich sich die Lohnkosten und die damit verbundenen Sozialleistungen auf die verschiedenen Wirtschaftszweige auswirken müssen, und ich habe Ihnen an Hand von Zahlen aus der Konzentrationsenquete den immer bedenklicher werdenden Trend zur Konzentration aufgezeigt. Wenn Sie nun eine Entlastung des Mittelstandes, nämlich die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Staatshaushalt, offensichtlich wieder rückgängig machen wollen, dann ist das für mich unverantwortlich. In der Regierungserklärung heißt es dazu, daß sich 1965 die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt erstmals voll auswirkte und daß die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes und auch die unbegründete Furcht vor dem Unmut der Wähler eine Korrektur dieser Entscheidung vor den Bundestagswahlen verhindert habe. Meine Damen und Herren, Sie werden sich bei dieser Frage in der Zukunft klar entscheiden müssen, ebenso bei der Krankenkassenreform, bei der Lohnfortzahlung, bei der Mehrwertsteuer und bei vielen politischen Tagesfragen. Sie werden beweisen müssen, ob die Entscheidungen und Veröffentlichungen Ihrer Mittelstandskreise und Mittelstandsausschüsse nur deklamatorischer Stimmenfang sind, oder ob Sie bereit sind, den Weg der Vernunft und der Gerechtigkeit in der Mittelstandspolitik wieder einzuschlagen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.

Dr. Ernst Müller-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister danken für die beruhigende Interpretierung, die er zu gewissen Teilen der Regierungserklärung beim Thema Wirtschaftspolitik abgegeben hat, und auch für seinen sehr präzisen Bericht über die heutigen Gespräche in Frankfurt. Wir sind uns sicherlich in diesem Hohen Hause darin einig, daß der Weg der neuen Bundesregierung zwischen den beiden Polen Stabilität und Wachstum noch eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten in der Regierung und auch in diesem Hohen Hause auslösen wird. Wir haben davon - ich glaube, das darf man mit allem Freimut sagen - auch heute während dieser Debatte einige Kostproben bekommen. Als ich hörte, was Herr Kollege Arndt heute in der apodiktischen Form ausführte: wir müßten praktisch sehr schnell entscheidende Konjunkturspritzen geben, da lag mir der Ausruf auf der Zunge: „God bless Blessing!" Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es bei der neuen Phase des Wachstums entscheidend auf das richtige Timing, auf die Auswahl des richtigen Zeitpunkts und auf das gegebene Maß ankommt. Es war für mich erfreulich, zu hören, daß - offensichtlich in Übereinstimmung mit der Bundesbank - dieser Eintritt in eine neue Wachstumsphase die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes und möglichst auch die Verabschiedung eines ausgeglichenen Bundeshaushalts 1967 zur Voraussetzung haben müsse. In der Regierungserklärung wird ein besonderes Programm angekündigt, nämlich Sozialinvestitionen in einer Größenordnung bis zu 2,5 Milliarden DM vorzunehmen. Wir freuen uns darüber, daß die Bedeutung der Sozialinvestitionen für ein langfristiges Wachstum von der Bundesregierung in der richtigen Weise eingeschätzt wird; ich ganz besonders, der ich mich wohl als einer der entschiedensten Vorkämpfer für die volkswirtschaftliche Bedeutung einer modernen Infrastruktur im umfassendsten Sinne des Begriffs - bezeichnen darf. Trotzdem besteht auch in diesem Punkt die offene Frage, wie sich die Bundesregierung die Finanzierung dieses Investitionsprogramms denkt. Der erste Eindruck könnte der sein, daß die Bundesregierung daran denkt, dieses Programm praktisch auf dem Wege der Kreditschöpfung zu finanzieren. Es ist auch möglich, daß sie an die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes, d. h. an eine vorausgegangene Ersparnisbildung gedacht hat. Aber der Kapitalmarkt soll doch wohl, wenn er wieder gesund ist, vornehmlich für die Investitionen der privaten Wirtschaft zur Verfügung stehen. Unsere Vorstellungen haben sich daher bisher in der Richtung bewegt, daß dieses sicherlich notwendige Investitionsprogramm durch entsprechende Einsparungen beim Sozialkonsum finanziert werden soll. Diese Frage wird uns sicherlich noch in Zukunft beschäftigen. Wir stimmen wohl darin überein, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß der Eintritt in die neue Wachstumsphase auf jeden Fall nicht den notwendigen Konsolidierungsprozeß in unserer Wirtschaft behindern und auch nicht dazu beitragen soll, etwa falsche Strukturen zu konservieren. Ich habe den Eindruck - er ist allerdings durch die letzten Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers etwas korrigiert worden -, daß in der Regierungserklärung die Fragen der Strukturpolitik und der Strukturverbesserung zu kurz gekommen sind. Wir sind uns sicherlich darin einig, daß die Strukturpolitik eine Komponente zur Konjunkturpolitik darstellt. Während die Konjunkturpolitik praktisch auf die Quantität des Wirtschaftsprozesses Einfluß zu nehmen versucht, muß sich die Strukturpolitik auf die Qualität des Wirtschaftsprozesses konzentrieren. Wenn wir ein gesamtwirtschaftliches Optimum eireichen wollen, bedingt das den sinnvollen Einsatz von Kapital und Arbeit. Dafür ist Voraussetzung eine sehr gezielte und ausgewogene sektorale und regionale Strukturverbesserung, im Zusammenhang damit auch der Ausbau der Infrastruktur. In der Regierungserklärung wird zum Thema Strukturpolitik eigentlich nur auf den Anpassungsprozeß im Steinkohlenrevier hingewiesen. Ich halte es aber für nötig, daß wir schon heute betonen, wie wichtig Strukturverbesserungsprogramme für verschiedene Bereiche der Wirtschaft und auch für verschiedene Regionen der Bundesrepublik sind. Wir im norddeutschen Raum z. B. beobachten mit einer gewissen Bewunderung die klugen Strukturverbesserungsprogramme, die im bayerischen Raum und auch in Baden-Württemberg auf die Beine gestellt worden sind, während andere Regionen der Bundesrepublik in ihrer wirtschaftlichen Struktur zweifellos noch vor vielen ungelösten Problemen stehen. Ich denke dabei an den norddeutschen Raum, ich denke an den Raum Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, ich denke speziell auch an die Zonenrandgebiete. Jedenfalls müssen wir uns, wenn wir ein langfristiges Wachstum vor Augen haben, darüber klar sein, daß wir eine ständige Anpassung der Wirtschaftsstruktur an die veränderten Daten, an die veränderte technische Entwicklung, aber ebenso eine rechtzeitige, systematische Ausschöpfung der vorhandenen regionalen Reserven betreiben müssen; denn nur auf diese Weise werden wir eine Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und ein gesamtwirtschaftliches Optimum sicherstellen können. Diesen Problemen ihr besonderes Augenmerk zuzuwenden, ist meine Bitte an diese Bundesregierung. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulhoff.

Georg Schulhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002097, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifellos spricht aus der übersichtlichen und gestrafften Konzeption der Regierungserklärung der Wille, das Steuer fest in die Hand zu nehmen, um die Stabilität der Wirtschaft und ihr Wachstum zu sichern. Das ist Wohlklang in den Ohren des Mittelstandes, aus dessen Blickwinkel ich hier die Dinge sehe und behandle, des Mittelstandes, der in wachsendem Maße befürchtet, durch schleichende Geldentwertung und Preissteigerungen mehr oder weniger um die Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden. Nun, die Bundesregierung erklärte als ihr oberstes Ziel die Beseitigung der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit und hat hierzu sehr konkrete Maßnahmen angekündigt. Aber wir sind in bezug auf Erklärungen gebrannte Kinder, und man kann es uns nicht verargen, wenn wir erst dann die Erklärungen honorieren, wenn ihnen die entsprechenden Taten gefolgt sind. Ich muß mit Bedauern feststellen, daß bereits der erste Wermutstropfen in den reinen Wein des zweifellos guten Willens der Bundesregierung gefallen ist. Ich spreche von dem am Mittwoch dieser verabschiedeten Dritten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts, das wir alle einstimmig angenommen haben, einem Gesetz, das den Haushalt mit 880 Millionen DM belastet, die zum großen Teil nach genau dem Prinzip verteilt werden sollen, das der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung aufs schärfste abgelehnt hat, nämlich nach dem Gießkannenprinzip. Hinzu kommt, daß es sich hier nicht um eine einmalige, sondern um eine sich jährlich wiederholende Aufwendung handelt, die den in der Regierungserklärung angesprochenen finanziellen Spielraum weiter einengt und zudem durch eine Dynamisierung noch ausgeweitet werden kann. Zwar haben wir uns, meine Kollegen, gegenseitig damit beruhigt, daß dies vorläufig das letztemal sei, daß ein derartig ausgabenwirksames Gesetz zur Beschlußfassung vorliege und daß es sich in diesem Falle um Menschen mit einem beklagenswerten Schicksal handele. Das ist durchaus richtig; ich muß aber mit Verlaub bei dieser Gelegenheit an den Raucher denken, der immer wieder die angeblich letzte Zigarette raucht, um dann schließlich eines Tages dem Lungenkrebs zum Opfer zu fallen. Dieser Vergleich mag etwas makaber sein, aber unsere gesamte finanzielle Lage ist, meine ich, makaber, und sie kann nicht mit höflichen Redewendungen wegdiskutiert werden. Ich hoffe zu Gott Sie sehen, ich bin noch wundergläubig -, daß in diesem Falle wirklich nur einer Ausnahmesituation Rechnung getragen wurde. Mein Vorschlag wäre, meine Herren, auch meine neuen Freunde von der SPD, ({0}) - na ja gut: alten und neuen Freunde, einen heiligen Eid zu schwören, daß kein einziges ausgabenwirksames Gesetz verabschiedet werden soll, bis das große Loch im Haushalt in finanzpolitisch vernünftiger Weise gedeckt ist. In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Erstarken der NPD, die nachweisbar gerade aus Kreisen des gewerblichen Mittelstandes erheblichen Zulauf hat. Mein Freund Opitz hat schon einige Bemerkungen in dieser Richtung gemacht. Der Grund dafür - ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, denn es ist ein sehr ernstes Problem - liegt sicherlich nur zu einem Teil in einem zunehmenden Nationalismus bzw. in einem wiederkehrenden Nationalsozialismus. Mir scheint vielmehr, daß diese Kreise aus Existenzsorge die NPD wählen in der allerdings trügerischen Hoffnung, daß diese Partei ihre Interessen in einem höheren Maß politisch schützen werde, als es die Parteien tun, die die heutige Bundesregierung tragen. Immerhin müssen im Durchschnitt jährlich 38 000 Handwerksbetriebe ihre Betriebe aufgeben; die Zahlen des Einzelhandels und des übrigen gewerblichen Mittelstandes sind mir nicht bekannt. Das kommt hinzu. Auf diesem Hintergrund geht - so glaube ich - die Saat der NPD auf. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung diese Tatsache nicht aus den Augen verliert. Insbesondere wäre beispielsweise bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Nettoumsatzsteuer zu beachten, daß eine differenziertere Behandlung der kleinen und mittleren Betriebe vorgenommen werden muß, als es bisher vorgesehen ist. Allein die buchhalterischen Umstellungsschwierigkeiten werden viele Betriebsinhaber zur Aufgabe ihrer selbständigen Existenz veranlassen. Die Ankündigung der Regierung, bei der Überprüfung der Subventionen keine Tabus mehr gelten zu lassen, wurde in den mir nahestehenden Mittelstandskreisen ebenso begrüßt wie die Zusicherung, mit Hilfe einer mittelfristigen Finanzplanung den Bundeshaushalt in Ordnung zu bringen. Hoffentlich wird man nicht gerade damit beginnen, die armseligen 12,5 Millionen DM Gewerbeförderungsmittel für das Handwerk zu kürzen oder sogar in Wegfall zu bringen. Ich habe etwas läuten hören. Der frühere Bundeswirtschafts- und jetzige Bundesschatzminister Schmücker, der allerdings nicht mehr hier im Raum ist, wird mir gern bestätigen, daß sich selten eine Unterstützung des Bundes volkswirtschaftlich und staatspolitisch so vorteilhaft ausgewirkt hat wie diese 12,5 Millionen DM. Zu den angekündigten Steuererhöhungen ist zu bemerken, daß sie angesichts der schwierigen Haushaltslage nicht ganz zu umgehen sind. Wir wissen das, und wir rechnen auch damit. Nur machen wir darauf aufmerksam, Herr Wirtschaftsminister, daß jede derartige steuerliche Maßnahme auf ihre Auswirkungen auf alle Kreise der Wirtschaft genau durchdacht werden muß. Es ist bereits darüber gesprochen worden - und die Zeitungen, die manchmal leider besser orientiert sind als die Abgeordneten, schreiben es schon -, daß die Absicht besteht, den allgemeinen Umsatzsteuersatz um 0,5 auf 4,5 % zu erhöhen. Das wäre natürlich eine billige Lösung und würde die Regierung von allen Kopfschmerzen befreien. Damit hätte sie theoretisch eine Mehreinnahme von wenigstens 2,5 Milliarden DM. Gleichzeitig allerdings würden die Preise davonlaufen, und von Stabilität könnte dann wirklich nicht mehr die Rede sein. Eine Regierung, so meine ich, die ihr Geschäft mit einer solchen Maßnahme beginnen würde, hätte bereits ihr Gesicht verloren. Zudem kann diese Maßnahme auch wieder leicht zum Übermut der vollen Kassen führen, dem wir in der Vergangenheit alle leicht zum Opfer gefallen sind. ({1}) - Meine lieben Kollegen, ich habe allen, die vor mir gesprochen haben, aufmerksam zugehört. Der kollegiale Anstand gebietet es, das auch bei mir zu tun. Außerdem bin ich gleich fertig. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Regierungserklärung ein hoffnungsvoller Anfang ist, wenngleich nicht übersehen werden sollte, daß aus einigen angekündigten Maßnahmen, u. a. bei der Ankündigung, den Kreditmarkt stärker als bisher in Anspruch zu nehmen, ein bißchen eine mögliche Geldwertaufweichung durchschillert. Aber ich hoffe, meine lieben Kollegen, daß unser Strauß hier nicht den Kopf in den Sand steckt. Der Dichter sagt: Nehmt alles nur in allem! Letztlich ist neben dem guten Willen die unbegrenzte Entschlossenheit, zu seinem Wort zu stehen, entscheidend. Wenn der Herr Bundeskanzler, der leider auch nicht mehr hier ist - er hat sicher noch wichtigere Verpflichtungen -, noch hier wäre, würde ich ihm ein Wort von Wilhelm Gerhard zurufen, das heißt: Landgraf, werde hart! ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige Kollegen der Opposition, Herr Kollege Mischnick und Herr Kollege Dr. Menne, haben in ihren Äußerungen behauptet, sie hätten von der neuen Koalition gehört, diese wolle mit einer Inflation die öffentlichen Ausgaben finanzieren. ({0}) - Herr Kollege Mertes, bitte!

Dr. h. c. Werner Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001483, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schwörer, wären Sie, bevor Sie hier lange Ausführungen machen, nicht bereit, sich einmal das Protokoll anzusehen und den Wortlaut genau zu studieren, um dann dazu Stellung zu nehmen? Sie würden es mir dadurch ersparen, nach Ihnen noch einmal sprechen zu müssen.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sinngemäß haben Sie es auf jeden Fall gesagt; vielleicht nicht wörtlich, aber dem Sinne nach. Herr Kollege Mischnick hat gleich zu Anfang gesagt, das sei im Hause geredet worden. Meine Damen und Herren, ich erkläre Ihnen, das ist entweder eine gröbliche Verkennung oder eine böswillige Verleumdung der Absichten der Koalition. ({0}) Die FDP setzt hier anscheinend Wachstum gleich Inflation. Dabei sagt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung wörtlich: Ein stärkeres Wachstum der Realeinkommen darf nicht in eine neue Preissteigerung ausarten. Deshalb also: Stabilität u n d Wachstum - oder Stabilität i m Wachstum! Die Bundesregierung hat ein Ziel angegeben: 4 % realer Zuwachs, und sie sagt damit, daß die Verdoppelung des gegenwärtigen Wachstums ohne Inflationsrate möglich sein müßte. Damit strebt sie die Erweiterung der Möglichkeiten für die öffentliche Hand und die Wirtschaft an, um die Zukunftsausgaben, vor allen Dingen die notwendigen Investitionen, vornehmen zu können. 2 % zusätzliches Wachstum sind etwa 10 Milliarden DM mehr an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung; das sind zugleich mehr Steuern ohne Steuererhöhung, mehr Investitionsmittel für die Wirtschaft und mehr Sparmöglichkeit und persönliche Eigentumsbildung für den einzelnen Bürger. Ich halte das für eine gute Sache. Die Bundesregierung gibt damit allen Gruppen unseres Volkes ein Ziel, das ich für höchst erstrebenswert halte. Ich hoffe, daß auch die FDP-Fraktion mit dieser Zielsetzung noch einiggehen wird. Sie sagen nun - -({1}) - Herr Kollege Moersch, wir wollten heute abend nicht mehr lange weitermachen. Aber bitte, ich bin gern bereit.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Moersch, die Zwischenfrage ist erlaubt.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr!

Karl Moersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001526, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Dr. Schwörer, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir angesichts der Vielgestaltigkeit der Zielsetzung eben nicht so stark im Glauben sind wie Sie.

Dr. Hermann Schwörer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002136, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Moersch, Sie werden es ja erleben; wir werden es Ihnen beweisen. ({0}) Die FDP sagt, noch hätten wir einen Geldwertschwund; trotzdem wollten wir das Wachstum ankurbeln. - Meine Herren, das, was Sie hier äußern, ist keine echte Sorge. Das dient nur dazu, diese Regierung von Anfang an zu behindern, eine Wirtschaftspolitik, wie sie die gegenwärtige Situation erfordert, zu machen. Wir wollen alle miteinander einen möglichst geringen Geldwertschwund; doch weiß jeder, daß es einen Geldwertschwund zu allen Zeiten, auch in der guten alten Zeit gegeben hat. Ich möchte noch ein Zweites sagen, ohne es im einzelnen auszuführen. Der Lebenshaltungskostenindex, wie wir ihn heute haben, ist keine ideale Aussagegröße für die Stabilität des Geldwertes. Darüber sollte man sich zu einem späteren Zeitpunkt einmal unterhalten. Jedenfalls wissen wir, daß die Kaufkraft in den letzten Jahren nicht gesunken, sondern kräftig gestiegen ist. Und sie wird auch weiter steigen. Es ist deshalb meiner Ansicht nach unverantwortlich von Ihnen, wenn Sie im Zusammenhang mit der Bildung der neuen Bundesregierung von einer „geplanten Inflation" reden und damit unserem Volk, das zwei echte Inflationen erlebt hat, unbegründet Sorgen machen ({1}) mit der Absicht, die neue Regierung von vornherein abzuwerten. Ich bin im Gegenteil erfreut darüber, daß die Regierung erkannt hat, daß jetzt die Hauptsorge dem Wachstum zu gelten hat. Der größte Teil unseres Volkes atmet auf, weil die Sicherung der Arbeitsplätze von diesem Wachstum entscheidend abhängt. ({2}) Das Funktionieren eines modernen Staates im dritten Drittel des 20. Jahrhunderts ist ohne ein kräftiges Wachstum nicht zu denken; das hat der Herr Bundesfinanzminister heute auch schon ausgesprochen. Es ist deshalb nicht denkbar, weil die Aufgaben des Staates wachsen. Er braucht ständig mehr Mittel, um den großen Komplex der Gemeinschaftsaufgaben und der Sicherung der Zukunft in jeder Form zu bedienen. ({3}) Die Wirtschaft braucht weiterhin laufend zusätzliche Investitionsmittel, um mit dem technischen Fortschritt Schritt zu halten, und auch der einzelne kann bei stagnierenden Einkommen vieles Notwendige in seiner Familie und in seinem eigenen Leben nicht tun. Sie werden mir sicherlich insoweit zustimmen, meine Kollegen von der FDP. Doch vielleicht fragen Sie, wo die Grenze zwischen einem erwünschten und einem übertriebenen Wachstum liegt. Ich glaube, daß das Ziel der Bundesregierung, 4 %, gut liegt. Wir werden es ohne inflationäre Entwicklungen erreichen können, wenn wir die in der Regierungserklärung aufgezeigten Bedingungen beachten: Das Zusammenwirken aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten in einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion. Die Haushaltsdinge haben wir selbst in der Hand. Bezüglich der Abschlüsse der Tarifpartner gibt es hoffnungsvolle Ansätze, daß wir hier zu der konzertierten Aktion kommen. Ich bin der Meinung, daß auch die Unternehmer in ihrer Preispolitik sich ebenso stabilitätsgerecht verhalten ({4}) und eventuell vorhandene Luft in den Preisen lieber zu Preissenkungen als zu partiell überhöhten Lohnzugeständnissen verwenden sollten. ({5}) Damit kommen sie dem Arbeitnehmer eher zugute, als wenn durch hohe Lohnkostenabschlüsse in kapitalintensiven Bereichen das allgemeine Lohnniveau durch gleiche Lohnerhöhungen in den lohnintensiven Bereichen nach oben gedrückt wird. Das ist bei dem heutigen Umfang der Dienstleistungen im Sozialprodukt von besonderer Bedeutung. Ich bin sicher, daß die Unterstützung der Bundesregierung für die konzertierte Aktion, wenn sie durch das persönliche Engagement des Bundeskanzlers, des Wirtschaftsministers und des Finanzministers getragen wird, ihren Erfolg haben wird. Die öffentliche Meinung wird das ihrige dazu tun, daß die Vernunft bei allen Abschlüssen sich durchsetzen wird. Damit entfällt für uns die Sorge, daß aus dem neuen Aufschwung ein neuer Preisauftrieb entstehen könnte. Nun gibt es zwei Probleme, die Kollegen meiner Fraktion angesprochen haben und die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind. Ich möchte dazu noch einige Sätze sagen, weil ich mit ihnen nicht konform gehe. Der Zeitpunkt der Maßnahmen zur Wachstumsförderung: Kollege Pohle hat davon gesprochen, daß er noch nicht gekommen sei. Ich bin der Meinung, daß wir jetzt die Aufhebung der Restriktionen und die Einleitung der Wachstumsanreize zu betreiben haben. Damit stehen wir mit den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, mit den Verbänden der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften und auch mit den allermeisten Unternehmern im Einklang. ({6}) Die Wiederankurbelung der Wirtschaft wird eine gewisse Anlaufzeit brauchen, ebenso wie die Dämpfung eine Zeitlang gedauert hat. Man kann die Wirtschaft nicht wie einen Radioapparat abdrehen und wieder schnell auf volle Lautstärke drehen. Der eingeleitete Aufschwung wird mindestens ein halbes Jahr brauchen, bis er sich auswirkt. Ich bin also der Meinung, es ist berechtigt, wenn die Regierungserklärung eine sofortige Aktion fordert. Ich kann nicht glauben, daß es einen Sinn haben soll, Kapazitäten der Wirtschaft ein halbes Jahr ungenützt oder halb ausgenützt zu lassen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß das eine Senkung der Kosten bringen soll. Das gleiche gilt für die Arbeitslosenzahl. Ich glaube, daß man mit den ausländischen Arbeitskräften, mit denen heute operiert wurde, in dieser Zahl im nächsten Jahr nicht rechnen kann. So mancher ausländische Arbeitnehmer wird am Anfang des nächsten Jahres nicht wieder neu nach Deutschland gerufen werden. Nun das zweite Problem: W a s ist zu tun? Auch auf diese Frage möchte ich antworten, daß die Regierungserklärung richtig liegt, wenn sie fordert, daß zusätzliche Investitionen bei Bahn und Post und auch beim Straßenbau und Wohnungsbau vorgenommen werden sollten. Darüber hinaus aber sollten meiner Ansicht nach durch eine verstärkte Förderung der Investitionen für Rationalisierung in den Bereichen der Wirtschaft neue Impulse gegeben werden, bei denen zur Zeit der stärkste Rückgang zu verzeichnen ist. Ich glaube, mit diesen Investitionen dienen wir der Stabilität deshalb auch am besten, weil wir damit auf dem Lohnsektor die Entspannung erreichen, die allein zur Kosteneinsparung führen kann, eine Entspannung also, die durch Einsatz von zusätzlichen maschinellen Anlagen erreicht wird. Dies ist auch eine Möglichkeit, die Selbstfinanzierung der Unternehmen wieder zu verbessern. Als Nebenprodukte würden dabei abfallen: erstens Verbesserung der Lage der Investitionsgüterindustrie, vor allem auch der Stahlindustrie, zweitens Einsparung ausländischer Arbeitskräfte und damit dauerhafte Verbesserung der Devisenbilanz, drittens Rückgang der aus dem Export drohenden Gefahren für die Währungsstabilität - durch Anreicherung des inländischen Angebots -, viertens höhere Produktivität für die Gesamtwirtschaft , und damit verbesserte Möglichkeiten auf allen Gebieten und schließlich fünftens höhere Steuereingänge auf Grund dieser Maßnahmen. Ich glaube, daß die USA mit diesen gezielten Maßnahmen ausgezeichnete Erfahrungen gemacht haben. Daß durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten gewisse Steuerausfälle entstehen, ist möglich. Doch ich bin der Meinung, daß, bis diese sich auswirken, die Umsatzsteuer bereits vorher wesentlich mehr an Aufkommen erbracht haben wird. Es gehört Mut dazu und eine gewisse Phantasie auf dem wirtschaftspolitischen Gebiet. Aber ich bin überzeugt, daß diese Bundesregierung diesen Mut und diese Phantasie aufbringen wird. Wir werden die Einzelheiten in den Ausschüssen, vor allem im Zuge der Beratung des Stabilitätsgesetzes, noch zu besprechen haben. Ich möchte für heute zum Schluß nur noch sagen: Diese Regierung hat in der Bevölkerung ein großes Kapital an Vertrauen. Ich bin sicher, daß sie dieses Kapital zum Wohl des ganzen Volkes nützen wird, und ich glaube, daß wir alle miteinander das Bestreben haben, daran nach Kräften mitzuwirken. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes.

Dr. h. c. Werner Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001483, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Schwörer, wenn ich Sie heute abend hier so reden höre, dann könnte ich den Eindruck bekommen, daß verschiedene Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in der neuen Koalition Fleißarbeiten zu leisten haben; denn sie reden anders, als sie früher geredet haben. ({0}) Sie bauen sich ein Gedankenmodell auf mit Begriffen wie „unverantwortlich" und dergleichen, um dann Ungereimtheiten zusammenreimen zu können. Wenn Sie sich nämlich die Mühe gemacht hätten, einmal mit Aufmerksamkeit das anzuhören, was verschiedene Kollegen meiner Fraktion heute im Laufe des Tages zur Wirtschafts-, Steuer- und Haushaltspolitik gesagt haben, hätten Sie sich Ihre Ausführungen sparen können. Aber anscheinend haben Sie das nicht verstanden, oder Sie wollen die Sprache der FDP nicht mehr verstehen, aus welchen Gründen auch immer. Deswegen, um es kurz zu machen, will ich nur einen kurzen Passus aus der „Stuttgarter Zeitung" von heute zitieren, Herr Kollege Schwörer, nämlich einen kurzen Bericht über das, was der Herr Präsident Schneider, Ihnen sicher wohlbekannt, vom Deutschen Industrie- und Handelstag gesagt hat. Ich darf also mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vortragen: Die Feststellung der Bundesregierung, das von ihr angestrebte Wirtschaftswachstum müsse jene Staatseinnahmen bringen, die für öffentliche Ausgaben gebraucht werden, könne in gefährlicher Weise mißverstanden werden. Wir haben um Aufklärung gebeten, Herr Kollege Schwörer. - Herr Schneider bemerkt weiter: Die Bundesregierung müsse beweisen, daß Wachstumspolitik nicht zur Flucht aus der Haushaltsmisere werden dürfe. Dem neuen Kabinett sei es trotz großer parlamentarischer Mehrheit nicht einmal gelungen, die Einsparungsabsichten seines Vorgängers in vollem Umfang durchzusetzen. Der Versuch, die Etatschwierigkeiten durch Wachstumspolitik zu umgehen oder zu kompensieren, könne keinen Erfolg haben und sei zum Scheitern verurteilt. Ich könnte noch weiter zitieren, Herr Kollege Schwörer. Aber lesen Sie selbst nach. Sie haben ja nachher noch Zeit. Vielleicht verstehen Sie dann die Sprache von Herrn Schneider, und vielleicht verstehen Sie nun auch die Sorgen, die die Fraktion der Freien Demokratischen Partei nach dieser Regierungserklärung erfüllt. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, keine Wortmeldungen mehr für heute abend. Wir fangen morgen vormittag um 9 Uhr an, nicht mit der Fragestunde, sondern mit der Beratung des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes. Dann geht die Diskussion weiter, zunächst mit den Wortmeldungen zu allgemeinen wissenschaftlichen Themen und zur Problematik der Strukturpolitik. Dann kommt das Kapitel „Wahlrecht". Dazu liegen zwei Wortmeldungen vor, zur Sozialpolitik einstweilen vier. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag vormittag, den 16. Dezember, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.