Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich folgendes bekannt.
In der 45. Sitzung am 27. Mai 1966 ist der Entschließungsantrag Umdruck 78 dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen - federführend - und dem Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - mitberatend - überwiesen worden. Der Ältestenrat schlägt vor, Buchstaben b) des Umdrucks, der sich mit der Frage der Hochbegabtenförderung befaßt, an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik - federführend - zu überweisen und den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen mitberatend zu beteiligen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat unter dem 10. Oktober 1966 mitgeteilt, daß gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken bestehen:
Verordnung Nr. 82/66/EWG des Rats vom 28. Juni 1966 über die Festsetzung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungsbetrage für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse
Verordnung Nr. 83/66/EWG des Rats vom 28. Juni 1966 über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine, Schweinefleisch und Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse für Einfuhren im dritten Vierteljahr 1966
Verordnung Nr. 84/66/EWG des Rats vom 28. Juni 1966 zur Änderung der Nomenklatur einiger in den Anlagen II A und B der Verordnung Nr. 85/63/EWG des Rats aufgeführten Schweinefleischerzeugnisse
Verordnung Nr. 104/66/EWG des Rats vom 23. 7. 1966 über die zeitlich begrenzte Aussetzung der auf die Einfuhren von unter Zollaufsicht zur Verarbeitung bestimmten gefrorenem Rindfleisch anzuwendenden Abschöpfungen
Verordnung Nr. 110/66/EWG des Rats vom 28. Juli 1966 zur Ermächtigung der Italienischen Republik, ihre Zollsätze und Abschöpfungen auf Einfuhren von Rindern, lebend, Hausrindern, anderen, mit einem Stückgewicht von höchstens 300 kg, der Tarifnummer ex 01 02 A II, auszusetzen
Verordnung Nr. 111/66/EWG des Rats vom 28. Juli 1966 zur Ermächtigung der Französischen Republik, des Königreichs Belgien und der Bundesrepublik Deutschland, besondere Interventionsmaßnahmen bei Rindfleisch zu ergreifen
Verordnung Nr. 112/66/EWG des Rats vom 28. Juli 1966, durch die die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt wird, im Jahre 1966 Interventionsmaßnahmen zu ergreifen, um die Einfuhr von Eindern aus Dänemark zu ermöglichen
Verordnung Nr. 114/66/EWG des Rats vom 23. 7. 1966 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 88/65/EWG betreffend die Erstattungen bei der Ausfuhr von Schweinefleisch, Eiern und Geflügelfleisch in dritte Länder
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
- Drucksachen V/970, V/980 Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Herr Abgeordneter Geiger hat auf Drucksache V/980 unter I/4 bis I/6 folgende Fragen gestellt:
Trifft es zu, daß nach dem Inkrafttreten des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Einheiten im Meßwesen ({0}) bereits ordnungswidrig handelt und deshalb mit Geldbußen belegt werden kann, wer beispielsweise im geschäftlichen Verkehr statt „m" die bisher übliche Bezeichnung „qm" verwendet?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die vom in Frage I/4 erwähnten Gesetzentwurf verlangten Kurzformen für Meßeinheiten auf den genormten Tastenfeldern der Schreibmaschinen fehlen und daß noch größere Probleme hei Schreibautomaten, alpha-numerischen Buchungsautomaten, Fernschreibern, bei Maschinen mit Zeilendrucktasten sowie bei Datenverarbeitungsanlagen bestehen?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Wirtschaft, daß kostspielige Um- und Neukonstruktionen wie die in Frage I/4 erwähnten schon deshalb kaum zu vertreten sind, weil die zwingenden Bestimmungen nach § 1 des Gesetzentwurfs „auf den geschäftlichen und amtlichen Verkehr, der von und nach dem Ausland stattfindet oder mit Einfuhr oder Ausfuhr zusammenhängt", nicht anzuwenden sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung seiner Fragen einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich für heute erledigt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zunächst Frage V/1 . der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Deutschen Juristentages, daß eine gesetzliche Neuregelung der Vorschriften über die Berichtigung und Änderung von Steuerbescheiden dringend erforderlich ist, weil diese systemlos und unübersichtlich sind, und daß sie sich der Systematik des allgemeinen Verwaltungsrechts anpassen und Waffengleichheit zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden mit dem beiderseitigen Recht auf Irrtum sowie der Möglichkeit zum Nachschieben von Tatsachen und veränderten rechtlichen Gesichtspunkten schaffen soll?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Grund, Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen. Während das allgemeine Verwaltungsrecht bis zum heutigen Tag noch keine Kodifizierung der Grundsätze über die Berichtigung von Verwaltungsakten kennt, enthält die Reichsabgabenordnung ins einzelne gehende Vorschriften über die Berichtigung von Steuerbescheiden. Diese Vorschrif3062
ten stehen allerdings seit langem im Mittelpunkt der Kritik, weil sie eine klare Systematik vermissen lassen. Wie die Beratungsergebnisse der Steuerrechtlichen Arbeitsgemeinschaft auf dem Juristentag gezeigt haben, ist es nicht möglich, Berichtigungsvorschriften der Reichsabgabenordnung etwa isoliert zu ändern. Sie stehen in engem Sachzusammenhang mit der vorläufigen Veranlagung und mit der Verjährung. Eine Änderung dieser Rechtsinstitute kann daher nur zusammen mit der Reform der Reichsabgabenordnung durchgeführt werden.
Die Vorarbeiten zur Reform der Reichsabgabenordnung sind, wie dem Hohen Hause bekannt ist, im Gange. Bei den Vorarbeiten wirkt ein Arbeitskreis mit, der aus Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft und der steuerberatenden Berufe sowie der Verwaltung besteht. Dieser Arbeitskreis hat übrigens die gleichen Vorschläge erarbeitet, die jetzt auch von der Steuerrechtlichen Arbeitsgemeinschaft des 46. Deutschen Juristentages empfohlen wurden. Dieses Ergebnis zeigt, daß die Vorarbeiten zur AO- Reform in meinem Hause offenbar auf dem rechten Wege sind. Die Bundesregierung wird bemüht sein, dem Hohen Hause den Entwurf einer neuen Abgabenordnung so bald wie möglich vorzulegen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie, nachdem Sie die sowohl vom Deutschen Juristentag vertretene wie in meiner Frage zum Ausdruck kommende Auffassung teilen, Ihren letzten Satz nicht noch etwas präzisieren und eine Zeitangabe machen? Was Sie sagten, ist für mich etwas zu allgemein.
Frau Abgeordnete, einen genauen Zeitpunkt für die Vorlage kann ich nicht nennen;
({0})
- jedenfalls noch in dieser Legislaturperiode.
Frage V/2 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}) :
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung in der Übersicht über die sichtbaren Finanzhilfen des Bundes, Drucksache V/931, S. 4, die Zuwendungen zur Altershilfe für Landwirte und für die landwirtschaftliche Unfallversicherung - mithin soziale Leistungen - nicht wie die anderen Sozialleistungen im Teil VI. „Nachrichtlich", sondern in den Teil I. c) „Sonstige Förderungsmaßnahmen, insbesondere für Strukturverbesserungen" eingeordnet?
Die Altershilfe für Landwirte verfolgt anders als die gesetzliche Rentenversicherung neben sozialpolitischen vor allem auch agrarpolitische Ziele. Die Zuschüsse für die Altershilfe sollen insbesondere der Verbesserung der Agrarstruktur dienen die von einer frühzeitigen Abgabe der Höfe an die Söhne erwartet wird. Bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung stehen dagegen die sozialpolitischen Motive im Vordergrund. Bei den Zuschüssen zur Altershilfe für Landwirte und zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung handelt es sich außerdem um Finanzhilfen zugunsten eines ganz bestimmten Berufszweiges, während bei der Sozialversicherung keine derart eindeutige Zuordnung hinsichtlich eines bestimmten Berufszweiges möglich ist.
Schließlich ist als dritter Grund anzugeben, daß auch die betroffenen Personenkreise verschieden sind. In dem einen Fall werden Zuwendungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, also an Unternehmer, gewährt, während sich der Personenkreis bei der Sozialversicherung weitgehend aus in abhängiger Stellung Beschäftigten zusammensetzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie bringen Sie Ihre Erklärung damit in Übereinstimmung, daß die gleiche Bundesregierung im Grünen Plan Drucksache V/255 diese Sozialmaßnahmen ganz gesondert für sich ausgewiesen hat, nämlich unter dem Titel „Verbesserung der sozialen Lage"?
Herr Abgeordneter, das scheint mir kein Widerspruch zu sein. Die drei genannten Gründe waren maßgebend für die Aufgliederung im Bericht über die Subventionen. Ich sagte Ihnen ja, daß dabei auch sozialpolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, im Vordergrund aber agrarpolitische Aspekte stehen. Ich sehe also keinen unbedingten Widerspruch.
Zweite Zusatzfrage.
Sollte für die Einordnung dieser Maßnahmen nicht das Gesetz entscheidend sein? In dem Gesetz für die Altershilfe ist von wirtschaftlichen Erwägungen überhaupt nicht die Rede, Herr Staatssekretär.
In der Begründung aber wohl, Herr Abgeordneter!
In der Berichterstattung, aber nicht in der Begründung!
Keine Bemerkungen!
Herr Abgeordneter Börner hat drei Fragen gestellt.
Herr Präsident, darf ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Börner wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten?
Bitte sehr! Ich rufe die Fragen V/3 bis 5 des Abgeordneten Börner auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesverkehrsministers, daß eine Erhöhung der Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer unumgänglich ist?
Hält es die Bundesregierung für vertretbar, daß durch die Kürzung des Straßenbauhaushalts 1967 neue Baumaßnahmen des Bundes im nächsten Jahr nicht begonnen werden können und ein Großteil der begonnenen Maßnahmen zurückgestellt werden muß?
Kann die Kürzung des Straßenbauhaushalts 1967 schwerwiegende konjunkturelle Auswirkungen in der Bauwirtschaft haben?
1. Zu dem bedeutsamsten Finanzierungsproblem, das Sie, Herr Abgeordneter, in Ihrer ersten Frage angeschnitten haben, kann gegenwärtig noch nicht abschließend Stellung genommen werden. Die Lösung wird u. a. von dem Ausgang der Verhandlungen über den künftigen Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mitbestimmt, weiterhin aber auch davon abhängen, ob im Rahmen der beabsichtigten Finanzreform eine geeignete Grundlage für die Finanzierung der sogenannten Gemeinschaftsaufgaben, insbesondere auch der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden, gefunden werden kann. Die Bundesregierung hat aus diesen Gründen bisher noch keine Beschlüsse zu einer etwaigen Erhöhung der Kraftfahrzeug- oder der Mineralölsteuer gefaßt.
2. Die Bundesregierung hält die für das Rechnungsjahr 1967 vorgesehene Freistellung eines Teilbetrags aus dem zweckgebundenen Mineralölsteueraufkommen und die sich hieraus ergebenden Folgerungen im Hinblick auf die Bestrebungen zur Stabilisierung von Wirtschaft und Währung nach sehr sorgfältigen Überlegungen leider für unvermeidbar. Sie ist der Auffassung, daß der Bundesfernstraßenbau trotz dieser Freistellung auch im Rechnungsjahr 1967 mindestens gleich große Leistungen zeigen wird wie im laufenden Rechnungsjahr 1966.
Es wird hiernach also nicht erforderlich sein, einen großen Teil der begonnenen Maßnahmen, wie Sie, Herr Abgeordneter, befürchten, zurückzustellen. Es muß allerdings der Beginn neuer Maßnahmen an die in Höhe von 500 Millionen DM vorgesehene Kürzung des zweckgebundenen Mineralölsteueraufkommens angepaßt werden. Diese Auffassung stützt sich darauf, daß der Straßenbauplan 1967 einen Bedarf von insgesamt 3675 Millionen DM vorsieht und daß im Haushalt 1967 Mittel in Höhe von 3575 Millionen DM eingeplant sind, also nur 100 Millionen weniger als im Straßenbauplan, aber immerhin 175 Millionen DM mehr als im Jahre 1966, in dem der Haushaltsansatz 3400 Millionen DM betragen hat.
Im übrigen hofft die Bundesregierung, daß die vorliegenden Stabilitätsgesetze eine Verbesserung des Kapitalmarktes herbeiführen werden, die auch dem Straßenbau zugute kommen soll. Die Kreditermächtigung in Art. 9 des Haushaltssicherungsgesetzes bleibt weiterhin bestehen, so daß im Rechnungsjahr 1967 für den Bau von Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen bis zu 300 Millionen DM Kredite aufgenommen werden dürfen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit betonen, daß die Bundesregierung ausdrücklich am Prinzip der im Straßenbaufinanzierungsgesetz festgelegten Zweckbindung der Mineralölsteuer festhält. Sie wird deshalb auch versuchen, die dem Bundesfernstraßenbau im Rechnungsjahr 1967 entgehenden Mittel bei entsprechender Konjunktur- und Kapitalmarktlage in späteren Rechnungsjahren wieder auszugleichen.
3. Aus diesen Ausführungen bitte ich zu entnehmen, daß die in 1967 für den Bundesfernstraßenbau zur Verfügung stehenden Mittel so bemessen sind, daß sie nach Ansicht der Bundesregierung keine schwerwiegenden konjunkturellen Auswirkungen in der Bauwirtschaft zur Folge haben werden.
Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich möchte zuerst eine Zusatzfrage zu Frage V/3 stellen.
Ich möchte Sie, Herr Staatssekretär, fragen, ob die Art Ihrer Beantwortung dieser Frage darauf schließen läßt, daß alle Äußerungen auch kompetenter Kabinettsmitglieder in den letzten Wochen so gesehen werden müssen, daß die bisherigen Differenzen zwischen Ihrem Hause und dem Bundesverkehrsministerium bzw. der Bundesregierung in dieser Frage noch andauern.
Herr Abgeordneter, ob Differenzen zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem Bundesfinanzministerium bestehen, möchte ich hier dahingestellt sein lassen. Hinsichtlich der angeblichen Differenz zwischen der Äußerung eines Ministers und der Bundesregierung kann ich nur die Erklärung wiederholen, daß die Bundesregierung sich mit diesem Problem noch nicht befaßt hat. Sie muß dies tun, und zwar im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung; denn dort wird das Problem der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden eine wichtige Rolle spielen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie unter Bezugnahme auf Ihre eben gegebene Antwort fragen, ob unter Umständen der Herr Bundesfinanzminister Dahlgrün bestimmte Äußerungen, die er in den letzten Monaten zu diesem Komplex gemacht hat, revidieren müßte.
Herr Abgeordneter, Sie müßten mir schon konkret sagen, welche Äußerungen meines Ministers Sie meinen.
({0})
- Ich kann Ihnen jetzt nicht konkret sagen, wie die Rede des Bundesfinanzministers gelautet hat und inwiefern da ein Widerspruch zu meiner Antwort besteht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Börner. Herr Kollege Börner, Sie sind dran. Sie sind nämlich im Unterschied zum Kollegen Fellermaier dazu berechtigt. Ich muß Ihnen leider, wenn Sie auf dem Fragenkapitalismus bestehen, sechs Zusatzfragen konzedieren, während der Kollege Fellermaier in einer sehr viel schwierigeren Position ist; dem kann man es nämlich auch ablehnen. Also jetzt machen Sie bitte mal weiter!
Herr Präsident, ich möchte nur noch eine Frage in Anspruch nehmen.
Das ist sehr gut. Nur 50 0/0; ausgezeichnet!
Vielleicht ist das ein Beitrag zur Rationalisierung.
Ich möchte fragen, Herr Staatssekretär, ob sich unter Bezugnahme auf Ihre Antwort zur zweiten Frage, die ich gestellt hatte, die Bundesregierung nicht bewußt ist, daß zwischen der Förderung des Straßenbaus und der allgemeinen Konjunkturpolitik ein Kausalzusammenhang besteht, d. h. daß wirtschaftliches Wachstum in unserem Land in engem Zusammenhang mit dem Ausbau unserer Infrastruktur steht. Würden Sie bitte dazu vielleicht noch Stellung nehmen können?
Herr Abgeordneter, es scheint mir eine Binsenweisheit zu sein, daß zwischen diesen beiden Problemen ein Sachzusammenhang besteht. Die Bundesregierung wird bemüht sein, diese Fragen in Einklang zu bringen.
Herr Kollege Fellermaier!
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob in Ihrem Hause Pläne bearbeitet werden, die eine Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer vorsehen, oder gilt das noch, was der Herr Bundesfinanzminister am 6. Mai in der Fragestunde ausgeführt hat, daß es keinerlei solche Pläne in seinem Hause gebe.
Herr Abgeordneter, Sie spielen offenbar auf eine gestrige Zeitungsmeldung an, wonach ein Entwurf in meinem Hause erarbeitet worden ist. Ich bestreite das nicht etwa. In diesem Zusammenhang sind übrigens von den verschiedensten Gremien, z. B. von den kommunalen Spitzenverbänden, aber auch von Abgeordneten dieses Hauses, Vorschläge gemacht worden. Zum Teil sind sie bis zu Entwürfen von Initiativanträgen gediehen. Ich glaube, es wäre ein schlechtes Ministerium, wenn es sich bei dieser Sachlage nicht in Form von - sozusagen - einer Generalstabsarbeit überlegte und plante, wie man diesem Problem zu Leibe rücken kann.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich die Frage konkretisieren: Der Herr Finanzminister hat in der Fragestunde am 6. Mai in diesem Hohen Hause erklärt, daß im Bereich der Kraftfahrzeugbesteuerung keine derartigen Pläne in Bearbeitung seien. Wie verträgt sich das mit Ihrer Feststellung?
Herr Abgeordneter, am 6. Mai war diese Auskunft sicherlich richtig. In der Zwischenzeit ist mancherlei in der öffentlichen Diskussion gewesen, und in dieser Zeit ist in der Tat an solchen Fragen auf Referentenebene gearbeitet worden.
Herr Abgeordneter Matthöfer.
Herr Staatssekretär, um noch einmal auf die Binsenwahrheit der Zusammenhänge der Finanzierung des Straßenbaus -
Frage!
Matthöfer ({0}); - - und des realen volkswirtschaftlichen Wachstums zurückzukommen, darf ich Sie fragen, ob bei gegebener Finanzierungslage mein Eindruck richtig ist, daß bei den Straßenbaufirmen unausgenutzte Kapazitäten vorhanden sein werden.
Ich glaube, die sind zum Teil schon jetzt vorhanden, Herr Abgeordneter. Aber ich kann den Straßenbauplan nicht etwa nur auf vorhandene Kapazitäten abstellen.
Zweite Frage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, was Sie dann von einer Stabilisierungspolitik halten, die vorwiegend in solchen Bereichen ansetzt, die unausgenutzte Kapazitäten haben und in denen deshalb auch kein Preisauftrieb vorhanden ist.
Ich glaube, das ist kein Widerspruch, Herr Abgeordneter; denn auch der Straßenbauplan muß sich in den Zusammenhang sowie in die Möglichkeiten, aber auch Grenzen, der Gesamtfinanzierung aller großen Aufgaben, die sich die Bundesregierung für die Zukunft gestellt hat, einfügen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Leber.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundesverkehrsminister vor drei Jahren die Straßenbauindustrie im Namen der Bundesregierung ermutigt hat, expansiv zu investieLeber
ren und die Kapazitäten mit hohem Aufwand zu erweitern, und in welche Lage dieser Wirtschaftszweig jetzt kommt, nachdem die Kapazitäten schon in der Vergangenheit nur teilweise ausgelastet waren, wenn jetzt noch eine Senkung von der Auftragsseite her kommt?
Herr Abgeordneter, ich würde doch empfehlen, diese Frage an den anwesenden Herrn Bundesverkehrsminister zu stellen. Ich bin im Augenblick nicht in der Lage zu sagen, ob der Bundesverkehrsminister vor drei Jahren diese Äußerung gemacht hat.
Ich werde die Frage wiederholen.
Meine Herren, was wir hier haben, ist natürlich eine Art Kurzdebatte. Wir haben uns in den letzten Tagen mit dem englischen Speaker den Kopf zerbrochen, ob man die Fragestunde so machen sollte. Ich bin eigentlich dafür, weil es, wie gesagt, eine Kurzdebatte in Frageform ist und wir hier nicht allzu viel debattieren. Aber ich muß mich jedenfalls an die Geschäftsordnung halten, und das, meine verehrten Herren Kollegen, bedeutet, daß die Zusatzfragen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Hauptfrage stehen müssen. Man kann natürlich nicht vorher wissen, was Sie fragen werden. Deshalb bitte ich Sie, sich doch einmal Nr. 16 der Richtlinien für die Fragestunde zu vergegenwärtigen.
Jetzt kommt eine Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die dritte Frage eine Antwort gegeben, die mich zu der Frage veranlaßt, wie weit in Ihrem Hause und im Schoße der Bundesregierung die Vorbereitungen zur Finanzreform gediehen sind.
Herr Abgeordneter, obwohl ich einen unmittelbaren Zusammenhang -
Moment mal! Das erkenne ich sogar, ohne sachverständig zu sein, daß hier ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Hauptfrage nicht gegeben ist. Sie brauchen nicht zu antworten, Herr Staatssekretär.
Weitere Zusatzfragen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage stehen - Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich der in Ihrer Antwort erwähnte Gesetzentwurf aus den Reihen des Parlaments zum Thema des innerstädtischen Verkehrs auch der Unterstützung maßgeblicher sozialdemokratischer Oberbürgermeister erfreut, meist hinter vorgehaltener Hand, aber zum Teil auch in öffentlichen Äußerungen, wie z. B. seitens des Herrn Oberbürgermeisters Vogel in München?
Herr Abgeordneter, das ist mir durchaus bekannt, auch aus 'eigenen Besprechungen mit Spitzenverbänden der Kommunen. Das Problem der Verbesserung des innerstädtischen Verkehrs ist eines der Hauptprobleme der Städte, und ich glaube, die Oberbürgermeister aller Städte sind daran interessiert, aber auch an der Frage, wie die Lösung dieses Problems finanziert werden kann.
Herr Abgeordneter Seifriz zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß verschiedene Stadtoberhäupter hier nach einem letzten Strohhalm gegriffen haben, aber an sich erwarten, daß die Bundesregierung trotz der prekären Haushaltssituation Sofortmaßnahmen zur Sanierung der Gemeinden auf dem Verkehrsgebiet vorlegt, weil die Regierung selber akzeptiert hat, daß in Zeiten der Finanzschwierigkeiten gewisse Prioritäten besondere Bedeutung haben?
Ich glaube nicht, Herr Abgeordneter, daß die Finanzierung in der Art, wie sie vorgesehen ist oder richtiger, wie sie in den Vorstellungen und in den Überlegungen der verschiedensten Stellen hinsichtlich der Verbesserung des Verkehrs in den Kommunen besteht, ein „Strohhalm" ist, nach dem die Stadtoberhäupter greifen.
Frage V/6 des Herrn Abgeordneten Matthöfer:
Ist die Meldung der Frankfurter Rundschau vom 1. Oktober 1966 zutreffend, in der es unter der Überschrift „Kürzung der Km-Pauschale soll Verkehr entlasten" wie folgt heißt:
„Das Bundesfinanzministerium meint in diesem Zusammenhang, die vorgeschlagene Regelung bedeute, daß Steuerermäßigungen auf Grund der Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur dann wirksam werden, wenn die Entfernung mindestens 24 Kilometer beträgt. Dies gilt natürlich nur dann, wenn der Arbeitnehmer keine anderen, erheblichen Werbungskosten hat wie etwa Gewerkschaftsbeiträge."?
Kann die Frage V/7 gleich mit aufgerufen werden?
({0})
Herr Präsident, darf ich auch diese beiden Fragen gemeinsam beantworten?
Bitte sehr; Ich rufe auch Frage V/7 auf:
Falls die in Frage V/6 erwähnte Meldung richtig ist: Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen der Zahlung von Gewerkschaftsbeiträgen und der geplanten Verminderung der Kilometerpauschale?
In der zur Erläuterung der Beschlüsse des Bundeskabinetts vom 29. September 1966 herausgegebenen Pressemitteilung ist zu dem sogenannten „Kilometer-Pauschbetrag" darauf hingewiesen, daß dieser bei Arbeitnehmern wegen des in die Lohnsteuertabellen eingearbeiteten Werbungskosten-Pauschbetrages von 564 DM nur dann zu einer Steuerermäßigung führe, wenn die pauscha3066
lierten Kosten für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zusammen mit anderen Werbungskosten des Arbeitnehmers - z. B. Gewerkschaftsbeiträgen - den Werbungskosten-Pauschbetrag übersteigen. Bei Arbeitnehmern, die außer dem Entfernungs-Pauschbetrag keine anderen Werbungskosten geltend machten, komme eine Steuerermäßigung erst in Betracht, wenn die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mindestens 24 km betrage. Die Meldung der „Frankfurter Rundschau" ist also zutreffend.
Gewerkschaftsbeiträge sind hier nur beispielhaft für andere Werbungskosten als Fahrkosten aufgeführt. Die Wirkung ist dieselbe, wenn andere Werbungskosten wie etwa Aufwendungen für Fachliteratur oder Arbeitsmittel wie Werkzeuge oder Berufskleidung geltend gemacht werden. Der Zusammenhang zwischen dem Entfernungs-Pauschbetrag und der Zahlung anderer Werbungskosten als Fahrkosten besteht ausschließlich darin - ich betone: ausschließlich darin -, daß bei einem Arbeitnehmer, der andere Werbungskosten zu zahlen hat, der Entfernungs-Pauschbetrag schon zu einer Steuerermäßigung führt, wenn die Arbeitsstätte weniger als 24 km von der Wohnung entfernt liegt. Die steuerliche Auswirkung des EntfernungsPauschbetrages ist damit um so höher, je höher die anderen Werbungskosten ({0}) sind. Ein anderer Zusammenhang besteht nicht und war in der Pressemitteilung auch nicht gemeint.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in diesem Zusammenhang sagen, ob Ausgaben für ein Dienstfahrzeug mit Fahrer, die eine Firma dem Eigentümer oder einem ihrer leitenden Herren zur Verfügung stellt, unbegrenzt als Kosten abgesetzt werden können?
Es kommt darauf an, Herr Abgeordneter. Wenn der Dienstwagen mit Fahrer auf Kosten des Betriebes zur Verfügung gestellt und steuerlich nicht als Einnahme dem Arbeitnehmer hinzugerechnet wird, dann kommen insoweit Werbungskosten für den Arbeitnehmer nicht in Betracht. Wenn aber die Zurverfügungstellung eines Wagens mit Fahrer dem Gehalt zugerechnet wird, müßte auch dieser Fall einbezogen werden.
Zweite Zusatzfrage.
Meine Frage ging dahin, Herr Staatssekretär, ob die Firma das als Kosten absetzen kann.
Ja. Das sind Betriebsausgaben; diese Ausgaben sind zweifellos durch den Betrieb veranlaßt.
Weitere Zusatzfrage.
Darf ich fragen, ob die betreffende Firma auch Beiträge für Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsvereinigungen, Kammern usw. unbegrenzt als Kosten absetzen darf?
Ja; auch das sind Betriebsausgaben.
Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Zahlung von Beiträgen für Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsvereinigungen und Kammern und der Stellung von Dienstfahrzeugen. Dienstflugzeugen usw. für ihre leitenden Herren?
Nein, da sehe ich allerdings keinen Zusammenhang.
Warum stellen Sie ihn dann beim Arbeitnehmer her?
Herr Abgeordneter, das war die vierte Zusatzfrage.
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort darzulegen versucht, daß es den von Ihnen unterstellten Zusammenhang nicht gibt. Es ist hier ein Beispiel gewählt worden, das vielleicht - das möchte ich Ihnen einräumen - besser durch eine andere Formulierung, etwa wie „Beiträge zu Berufsständen oder anderen Berufsverbänden" oder Arbeitsmittel, ersetzt worden wäre. Der Gewerkschaftsbeitrag ist aber in der Tat nur als Beispiel genannt und auch nur so gemeint gewesen.
Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Ich rufe die Frage VIII/1 des Abgeordneten Kubitza auf:
In welcher Weise fördert die Bundesregierung die Bildungsbemühungen von Fernschülern, die staatliche Prüfungen im berufsbezogenen Schulwesen anstreben?
Nach den Richtlinien des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung für die Gewährung von Beihilfen zur beruflichen Fortbildung vom 6. September 1965 können für die Teilnahme an Fernlehrgängen im Rahmen der Aufstiegsförderung des Individuellen Förderungsprogramms Beihilfen gewährt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß sowohl der Fernlehrgang als auch der Lehrgangsteilnehmer bestimmte Anforderungen erfüllen. Die Förderung auf diesem Gebiet hat Modellcharakter. Ob und in welchem Umfange sie auf weitere Bereiche der beruflichen
Bildung ausgedehnt werden kann, läßt sich heute noch nicht genau sagen. Nach meiner Auffassung kommt dem Fernunterricht für die Zukunft große Bedeutung zu. Deshalb wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung diese Frage bei der Novelle zum AVAVG besonders eingehend prüfen. Wie Sie, Herr Abgeordneter, als Pädagoge selbst wissen, sind die hiermit zusammenhängenden Probleme äußerst vielschichtig und gewiß nicht immer einfach zu lösen.
Auch der Herr Bundesminister der Verteidigung schenkt, wie er auf meine Anfrage hin bestätigte, dem Fernunterricht besondere Aufmerksamkeit. Längerdienende Soldaten nutzen im Rahmen der Berufsförderung der Bundeswehr zunehmend die Möglichkeit einer beruflichen Weiterbildung im Wege des Fernunterrichts. Die dazu erforderlichen Arbeitsunterlagen werden diesen Soldaten von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kubitza.
Herr Staatssekretär, wie hoch sind die Zuschüsse und die Beihilfen, die von Ihrem Hause an die Fernschulen der Gewerkschaften und an die Fernakademie der Deutschen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft sowie deren Schüler geleistet werden?
Ich weiß nicht, ob an die letzgenannte Institution Zuschüsse geleistet werden. Aber als Prinzip gilt folgendes. Der Lehrgangsteilnehmer kann zu den durch den Bezug von Fernunterrichtsbriefen entstehenden Unkosten einen Zuschuß in Höhe von 50 %, höchstens jedoch 30 DM monatlich, und zu den Fahrkosten zum Lehrgangsort ebenfalls einen Zuschuß in Höhe von 50 % erhalten. Weiter sind für jede Woche des ergänzenden Nahunterrichts Zuschüsse vorgesehen, deren Höhe sich nach Familienstand und Ort der Durchführung des Nahunterrichts richtet. Die hier in Betracht kommenden Beträge schwanken zwischen wöchentlich 50 DM für einen Alleinstehenden und rund 135 DM für einen Verheirateten mit zwei Kindern. Die Beihilfen, die beim Arbeitsamt zu beantragen sind, werden ausgezahlt, wenn der Antragsteller nachweist, daß er die Prüfung bestanden hat. Diese einschränkende Maßnahme war mit Rücksicht auf die verhältnismäßig hohe Ausfallquote bei Fernunterrichtslehrgängen notwendig.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kubitza.
Herr Staatssekretär, wie weit ist die Arbeit der Kommission gediehen, die nach einem Gespräch in Ihrem Hause im März 1964 eingesetzt werden sollte, um über Grundsätze über Inhalt und Aufbau förderungswürdiger Fernkurse zu entscheiden?
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß die Arbeit dieser Kommission beendet ist, weil die letzten Richtlinien das Datum des 6. September 1965 tragen. Für den Fall, daß die Kommission noch weiter tagt und noch weitere Überlegungen entwickelt, werde ich Sie schriftlich unterrichten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Staatssekretär, inwieweit sind die Kosten, die einem Fernschüler entstehen, steuerlich absetzbar?
Das sind Werbungskosten.
Das heißt, sie sind unbeschränkt absetzbar?
Im Rahmen der Grenzen.
Ich rufe die Fragen VIII/2 und VIII/3 des Abgeordneten Weigl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Angestellte einen Befreiungsantrag nach Artikel 2 § 1 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 erst nach Ablauf der Ausschlußfrist gestellt haben?
Erwägt die Bundesregierung eine nochmalige Verlängerung der Antragsfrist auf Befreiung von der Versicherungspflichtgrenze für den in Frage VIII/2 genannten Personenkreis?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Kattenstroth vom 12. Oktober 1966 lautet:
Von den insgesamt 116 642 Anträgen auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes mußten 1 003 abgelehnt werden, weil sie nach dem 31. Dezember 1965, also nach Ablauf der Antragsfrist, eingegangen sind. Bezogen auf die Gesamtzahl der gestellten Befreiungsanträge sind das 0,86 %, also noch nicht einmal 1 % der Anträge.
Die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich und auch nicht für zweckmäßig, für den genannten Personenkreis eine Verlängerung der Antragsfrist vorzuschlagen. Die Antragsfrist war reichlich bemessen. Auf die Möglichkeit der Befreiung
haben nicht nur Presse und Rundfunk, sondern in größerem Umfange auch die privaten Versicherungsgesellschaften aufmerksam gemacht. Daß die Betroffenen auch über diese Möglichkeit informiert waren, geht aus der sehr geringen Zahl der verspätet gestellten Anträge hervor. Eine Verlängerung der Antragsfrist für den genannten Personenkreis würde nicht nur zu neuen Schwierigkeiten verwaltungsmäßiger Art führen, sie würde auch die Gefahr einer ungleichen Behandlung für diejenigen Angestellten bedeuten, die mit Rücksicht auf den Fristablauf keinen Antrag "auf Befreiung mehr gestellt haben.
Ich rufe die Frage VIII/4 des Abgeordneten Prochazka auf:
Wann kann mit der Ratifizierung des Dritten deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens gerechnet werden?
Die Regierungsverhandlungen vom Juli dieses Jahres führten mit einer Ausnahme zur Einigung in den bisher noch offenen Fragen. Sie wurden daher mit der Paraphie3068
rung des Entwurfs eines Abkommens abgeschlossen. Das Vertragswerk konnte bedauerlicherweise noch nicht unterzeichnet werden, weil für das Problem der aushilfsweisen Betreuung deutscher Touristen bei Erkrankung in Österreich bisher keine Lösung gefunden wurde. Nach dem Verlauf der Verhandlungen ist also wohl zu erwarten, daß auch diese Frage demnächst bereinigt wird und daß das Abkommen alsdann unterzeichnet und nach Beschlußfassung durch die gesetzgebenden Körperschaften beider Staaten noch im Laufe des ersten Halbjahrs 1967 in Kraft treten kann. Wir werden jedenfalls auch künftig alles daransetzen, daß das Abkommen möglichst bald wirksam wird. Dies ist nach meiner Überzeugung auch der Wunsch unseres österreichischen Vertragspartners.
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die Frage III/1 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Verhandlungen aufzunehmen, um das Deutsche Kulturinstitut in Kyoto, das von der ehemaligen amerikanischen Besatzungsmacht in Japan der Universität Kyoto übergeben worden ist, wieder in deutschen Besitz zurückzuführen, da in Kyoto das jetzige deutsche Kulturinstitut die große Anforderung deutschen Sprachunterrichts durch japanische Studentengegenwärtig nur in geringem Umfang erfüllen kann?
Zur Beantwortung der Herr Minister!
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Die Deutsch-Japanische Gesellschaft in Kyoto hat aus eigener Initiative und von ihr finanziert ein Institut geschaffen, in dem zwei Dozenten des Goethe-Instituts tätig sind. Kürzlich hat die Gesellschaft das Institut erweitert. Wir haben diese Initiative begrüßt und sind mit den Ergebnissen der dortigen Arbeit zufrieden. Allerdings mögen damit noch nicht alle Möglichkeiten der deutschen Kulturarbeit in Kyoto erschöpft sein. Wir werden daher unter organisatorischen und finanziellen Gesichtspunkten prüfen, ob das von dem Herrn Abgeordneten genannte Gebäude in deutschen Besitz zurückgeführt und in Betrieb genommen werden sollte. Gegebenenfalls werden wir dieserhalb mit der japanischen Regierung in Verbindung treten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage III/2 des Abgeordneten Dr. Jahn ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Bestrebungen der DeutschJapanischen Gesellschaft in Osaka/Kobe zur Errichtung eines deutschen Kulturzentrums zu unterstützen, da rund 3000 Bewerber für den deutschen Sprachunterricht in den jetzigen Einrichtungen nicht untergebracht werden können?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. In Osaka besteht bereits seit August 1963 ein Deutsches Kulturinstitut als Zweigstelle des GoetheInstituts, an dem vier von der Zentralverwaltung des Goethe-Instituts in München entsandte Kräfte tätig sind. Die Unterbringung von weiteren 3000 Bewerbern für den deutschen Sprachunterricht in den jetzigen Einrichtungen, d. h. in den Deutsch-Japanischen Gesellschaften in Osaka und in Kobe sowie im Deutschen Kulturinstitut ({0}) in Osaka, kann nur im Rahmen der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel versucht werden.
Die Bundesregierung strebt eine erhebliche Verstärkung der für die Erteilung des deutschen Sprachunterrichts im Ausland bestimmten Mittel an.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsch-Japanische Gesellschaft sich um die Bereitstellung eines Grundstücks bemühen wird, wenn seitens der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß im Großraum Osaka-Kobe ein deutsches Kulturinstitut geplant wird, das den japanischen Wünschen nach intensiver kultureller Zusammenarbeit entgegenkommen würde?
Mir persönlich, Herr Kollege Jahn, ist es nicht bekannt. Aber ich will mich um das, was Sie gesagt haben, gern noch einmal kümmern.
Ich rufe die Frage III/3 des Abgeordneten Ertl auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach der Bundesregierung seitens der italienischen Regierung Beweismaterial über die angebliche Unterstützung der Anschläge in Südtirol aus der Bundesrepublik zugeleitet worden ist?
Die Antwort lautet wie folgt. Die italienische Regierung hat der Bundesregierung vor einigen Tagen eine Zusammenstellung von Namen deutscher Staatsangehöriger und Organisationen übermittelt, bei denen nach italienischer Ansicht Beweise oder Anhaltspunkte für eine Beteiligung an Terrorakten in Südtirol bestehen. Einige der Genannten waren wegen ihrer Beteiligung an Anschlägen in Strafverfahren verwickelt. Die Zusammenstellung enthält aber auch Hinweise auf Personen und Organisationen, für deren illegale Tätigkeit nach italienischer Auffassung zwar keine eindeutigen Beweise, jedoch schwerwiegende Indizien vorliegen. Die zuständigen deutschen Stellen gehen diesen Hinweisen nach.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, haben die Überprüfungen Ihrerseits und der zuständigen deutschen Stellen bereits ein Ergebnis gezeigt?
Wäre das der Fall, würde ich es mitgeteilt haben, Herr Kollege. Ich habe gesagt: wir gehen diesen Hinweisen nach.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, besteht zwischen der Note der italienischen Regierung und einer eventuellen Vorsprache des italienischen Botschafters bezüglich einer privaten Reise des Herrn Bundesministers Bucher ein Zusammenhang?
Das halte ich für nicht möglich.
Außerdem steht es in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage.
Wir kommen zur Frage III/4 des Herrn Abgeordneten Ertl.
({0})
- Das muß ich vorher sehen. - Nein, jetzt geht es weiter. Ich rufe die Frage III/4 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Hat die Bundesregierung die Möglichkeit gehabt und genutzt, insbesondere die letzte sogenannte Dokumentation der Republikanischen Partei Italiens über die Anschläge in Südtirol auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt.
Das Organ der Republikanischen Partei hat dem Verlangen der deutschen Botschaft nach Einblick in die angeblich vorhandene Dokumentation nicht entsprochen. Die Zeitung hat jedoch ihre ursprüngliche Aussage dahin gehend abgeändert, daß es sich nicht um eine eigentliche Dokumentation, sondern nur um eine Reihe von Aufzeichnungen handle, die ihr aus zuverlässiger nichtkommunistischer Quelle zugekommen seien. In weiteren Artikeln schwächte die Zeitung ihre Angriffe gegen einige der von ihr genannten deutschen Persönlichkeiten weiter ab. Inzwischen sind, wie Sie, Herr Kollege, wissen, von einigen Betroffenen Strafanträge gestellt worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der Sekretär der Republikanischen Partei, der Abgeordnete La Malfa, sich zu den Darstellungen der republikanischen Zeitung bekannt hat?
Das ist mir nicht bekannt, Herr Kollege.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um derartigen falschen Darstellungen, die verleumderischen Charakter haben, mit entsprechender Härte und Strenge entgegenzutreten?
Herr Kollege, ich kann die Antwort darauf am besten mit einer Antwort auf Ihre dritte Frage verbinden.
Dann rufe ich die Frage III/5 des Herrn Abgeordneten Ertl auf:
Welche Schritte wegen der in Frage III/3 erwähnten Unterstützung hat die Bundesregierung bereits unternommen oder gedenkt die Bundesregierung noch zu unternehmen, um schon im Interesse ihres eigenen Ansehens den ständigen beleidigenden Angriffen gegen Personen und demokratische Vereinigungen wirksam entgegenzutreten?
Die Bundesregierung hat der italienischen Regierung gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß unbewiesene Behauptungen über die Tätigkeit deutscher Personen und Organisationen der deutsch-italienischen Freundschaft zum Schaden gereichen. Sie hat die italienische Regierung gebeten, ihren Einfluß geltend zu machen, daß derartige Äußerungen unterbleiben. Darüber hinaus wurden die Behauptungen der „Voce Repubblicana" sowohl gegenüber dem verantwortlichen Direktor der Zeitung als auch gegenüber dem Parteisekretär der Republikanischen Partei zurückgewiesen. Die italienische Regierung hat ihrerseits die Bundesregierung gebeten, alles in ihren Kräften Liegende zu tun, um eine Beteiligung von Deutschen an den Terrorakten in Südtirol oder eine Unterstützung dieser Akte vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus zu verhindern. Sie hat dabei dankbar anerkannt, daß die deutschen Polizeidienststellen mit der italienischen Polizei gut zusammenarbeiten.
Das ist, mindestens zum Teil, auch eine Antwort auf die von Ihnen gerade gestellte Frage.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prochazka.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß deutsche Touristen, darunter auch Abgeordnete, oft schikanösen Autodurchsuchungen ausgesetzt sind? Was will die Bundesregierung tun, damit dieses Verhalten der italienischen Grenzbehörden aufhört?
Ich möchte zunächst sagen, daß das der Bundesregierung nicht bekannt ist. Ich wäre dankbar, wenn Sie diese Angaben konkretisieren könnten. Wir werden dann dieser Sache nachgehen.
Ich bin gern bereit, das zu tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.
Herr Bundesminister, gibt es zwischen den amtlichen Hinweisen, die Sie erhalten haben, und der Dokumentation der Republikanischen Partei in wesentlichen Punkten Übereinstimmung?
Da bin ich überfragt, Herr Kollege. Ich habe beides nicht zur Verfügung gehabt und kann das deshalb nicht beurteilen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind in den amtlichen Hinweisen Namen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages enthalten?
Glücklicherweise, Herr Kollege, habe ich diese Sache vorher nicht gesehen, so daß ich also hier völlig gutgläubig bin und nur folgendes sagen kann: mir ist von Hinweisen auf Mitglieder des Bundestages nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Bundesminister, hat das Auswärtige Amt bereits ein Originalexemplar der „Voce repubblicana"?
Ich höre gerade von meinen Mitarbeitern, daß wir ein solches Exemplar haben.
Frage III/6 des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke:
Auf wessen Versprechen oder Veranlassung hin hat die Bundesregierung einen Betrag von 10 Millionen DM zum Neubau der „Metropolitan Opera" in New York gezahlt?
Ein Beitrag unseres Landes wurde 1960 von befreundeter amerikanischer Seite angeregt. Das damalige Kabinett hat in seiner Sitzung vom 16. Februar 1961 der Vorlage des Auswärtigen Amts vom 25. Januar 1961 zugestimmt. Der Haushaltsausschuß des Hohen Hauses hat sodann die Angelegenheit am 12. April 1961 an Hand der Ausschußdrucksache 1163 behandelt und von der Vorlage des Bundesministers der Finanzen vom 16. März 1961, die eine Spende von 10 Millionen DM vorsah, einstimmig zustimmend Kenntnis genommen.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, es ist also festzustellen, daß diese Zusage, 10 Millionen DM zum Aufbau der „Metropolitan Opera" in New York zu zahlen, bereits im Jahre 1960 gegeben worden ist. Wer ist dafür verantwortlich, daß diese Zusage gegeben wurde? Wurde sie von uns aus angeboten, und wer hat dieses Angebot gemacht?
Ach, Herr Kollege, ich dachte, ich hätte das gerade hundertprozentig exakt vorgetragen. Das damalige Kabinett hat am 16. Februar 1961 - Sie wissen, ich habe ihm angehört, allerdings in anderer Eigenschaft - der Vorlage des Auswärtigen Amts vom 25. Januar 1961 - damals des noch nicht von mir geleiteten Auswärtigen Amts - zugestimmt. Der Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses der vorvergangenen Wahlperiode hat sodann am 12. April 1961 von der Vorlage - Ausschußdrucksache 1163 - des Bundesministers der Finanzen einstimmig Kenntnis genommen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß auch die Republik Österreich eine Spende zum Aufbau der „Metropolitan Opera" gegeben hat, daß man dort aber nicht in einem so großzügigen Rahmen eine Spende gegeben hat, sondern einen Leuchter. Vielleicht wäre der Gedanke ganz gut gewesen, von uns aus ...
Frage, Frage!
... den eisernen Vorhang zu spenden.
Herr Kollege, ich nehme gern zur Kenntnis, was Osterreich gegeben hat, und finde, es ist ein durchaus angemessener Beitrag, den ich sehr begrüße, obwohl es mir eigentlich nicht zusteht, das zu begrüßen. Mit dem eisernen Vorhang sind Sie wohl ein bißchen hintergründig gewesen. Aber es wird Sie interessieren, daß ursprünglich in der Tat daran gedacht war, daß wir einen Teil der technischen Einrichtungen des Hauses beisteuern sollten.
Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Frage IX/1 des Abgeordneten Richter:
Hat die Bundesmarine für nicht einkalkulierte Mängel und Fehler an Schiffen, Booten und sonstigem Marinegerät im Haushaltsjahr 1965 über den Ansatz von 103 Millionen DM hinaus weitere Millionen DM aufwenden müssen?
Über den Ansatz von 103 Millionen DM hinaus mußten überplanmäßig 6 Millionen DM - genau: 5,996 Millionen DM - ausgegeben werden. Es ist bei dieser Art Ausgaben schwierig, den Mittelbedarf vorauszusehen und den Ansatz zu finden, der sich bei der Bewirtschaftung der Mittel weder als zu hoch, noch als zu niedrig erweist. Im Laufe des Jahres kam es infolge Havarien zu höheren Ausgaben von rund 2,3 Millionen DM. Außerdem verursachten Schäden, die bei der Werftinstandsetzung erst festgestellt wurden, Kosten in Höhe von 4,6 Millionen DM, die also nicht vorausberechnet waren. 0,9 Millionen DM konnten durch Ausgabeverlagerung noch aus dem Titelansatz bezahlt werden. Für den Rest waren zusätzliche Mittel erforderlich. Der Bundesfinanzminister hat diese Ausgaben als unvorhergesehen und unabweisbar anerkannt und, da die Voraussetzungen für die BewilliStaatssekretär Gumbel
gung einer überplanmäßigen Ausgabe erfüllt waren,
den Mehrausgaben von 6 Millionen DM zugestimmt.
Keine Zusatzfrage!
Ich rufe die Frage IX/2 des Herrn Abgeordneten Richter auf:
Wurden derartige in Frage IX/1 erwähnte Mehrausgaben aus
dem Kapitel „Betriebsstoff für die Streitkräfte" bestritten?
Auf die Frage 2 antworte ich wie folgt.
Etwaigen Mehrausgaben, .die sich bei irgendeiner Zweckbestimmung des Verteidigungshaushalts unvorhergesehen und unabweisbar ergeben, muß grundsätzlich eine Minderausgabe an anderer Stelle des Haushalts gegenüberstehen. Bei dem Betriebsstofftitel, der bis zum Rechnungsjahr 1966 nur für den Bereich der Streitkräfte eingerichtet war und jetzt auch die Bundeswehrverwaltung umfaßt, ergab sich 1965 eine Minderausgabe, die der Mehrausgabe für Schiffsinstandsetzungen gegenübergestellt werden konnte.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage IX/3 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) auf:
Was tut die Bundeswehr zur Förderung des Leistungssports in der Bundesrepublik?
Der Bundesminister der Verteidigung hat wiederholt mit dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes, Herrn Daume, über die Möglichkeiten einer Förderung des Leistungssports durch die Bundeswehr gesprochen. Es herrscht Übereinstimmung darüber, daß sich die Erziehung und Ausbildung des Soldaten vor allem darauf richten muß, ihn für seine Verteidigungsaufgabe vorzubereiten. Das Hauptanliegen der Bundeswehr muß also der Breitensport sein; d. h. jeder Soldat soll seine körperliche Leistungsfähigkeit verbessern. Das Ziel der Bundeswehr ist es, jedem Soldaten den Erwerb des Deutschen Sportabzeichens und des Freischwimmerzeugnisses zu ermöglichen.
Die Förderung des Leistungssports ist Sache der Sportfachverbände. Deren Bemühungen unterstützt die Bundeswehr durch folgende Maßnahmen: Einberufung der Spitzensportler in Standorte, die Leistungszentren der Sportfachverbände sind, Möglichkeiten der Befreiung der Spitzensportler vom Dienst, etwa ab 15 Uhr, damit sie im Leistungszentrum unter der Anleitung ihrer Trainer planmäßig trainieren können, Dienstbefreiung oder Sonderurlaub für die Teilnahme an Wettkämpfen.
Allerdings sind folgende Zeiten ausgenommen: die allgemeine Grundausbildung, besondere dienstliche Vorhaben, Truppenübungsplatzaufenthalte und Übungen im nationalen und integrierten Bereich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Äußerung des Trainers des Deutschen Ruderverbandes, des Herrn Studienrat Adam, bekannt, daß die Vorbereitungen für die Weltmeisterschaften im Rudern in Bled gefährdet gewesen waren und daß die Siegeschancen für diese Weltmeisterschaften ebenfalls gefährdet waren dadurch, daß aus einer Mannschaft ein Ruderer zur Bundeswehr eingezogen wurde und daß diese Mannschaft dann gar nicht starten konnte?
Diese Äußerung ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß in den Rahmen dieser Förderung auch der Erwerb des Freischwimmerabzeichens gehört. Können Sie mir erläutern, wie dies möglich ist, wenn an einer Heeresoffizierschule während eines ganzen Halbjahres überhaupt keine Möglichkeit zur schwimmsportlichen Betätigung besteht?
Wenn Sie mir das Beispiel nennen, bin ich gerne bereit, dieser Angabe nachzugehen.
Ich werde das tun!
Ich rufe die Frage IX/4 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller ({0}) auf:
Ist in der Bundeswehr beabsichtigt, ähnlich wie in anderen Ländern, ein Leistungszentrum als Zusammenfassung der bei der Bundeswehr dienenden Hochleistungssportler zu schaffen?
Die Bundeswehr hat nicht die Absicht, ein Leistungszentrum als Zusammenfassung der bei der Bundeswehr dienenden Hochleistungssportler zu schaffen. Auch diese Frage wurde zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und. dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes besprochen, die darüber einer Meinung sind. Herr Daume hat dazu bereits 1963 geäußert, daß - so wörtlich - „derartige Wege für uns keine auch nur erwägbaren Lösungen darstellen. Ich weigere mich" - das sind die Worte des Herrn Daume -, „auch zu glauben, daß sie zu sportlich besseren Ergebnissen führen werden als unsere liberalen Auffassungen auch vom Leistungssport."
An dieser Auffassung hat sich bis zum heutigen Tage nichts geändert. Lediglich für den modernen Fünfkampf bestehen in Übereinstimmung mit dem Deutschen Sportbund Ausbildungszentren an den Offizierschulen der Teilstreitkräfte. Diese Form
wurde gewählt, weil es in dieser Sportart keine Vereinigungen im herkömmlichen Sinne gibt und weil sich Institutionen wie die Armeen dieser Sportart von jeher besonders angenommen haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wurden im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit ähnliche Einrichtungen des französischen Heeres von deutscher Seite studiert, und gibt es darüber einen Erfahrungsbericht?
Ich möchte annehmen, daß sie von den zuständigen Instanzen der Bundeswehr studiert worden sind. Ob ein Erfahrungsbericht vorliegt, weiß ich im Moment nicht mit Sicherheit zu sagen. Aber ich darf auf meine Antwort verweisen und noch einmal Bezug nehmen auf die Besprechungen, die in unregelmäßigen Abständen zwischen dem Bundesminister der Verteidigung und dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes stattfinden. Bei dieser Gelegenheit ist, wie ich ausführen konnte, sehr ausführlich über die Einrichtung von Leistungszentren innerhalb der Bundeswehr gesprochen worden.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf.
({0})
- Die Frage auf Drucksache V/980 wird am Donnerstag aufgerufen werden.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr rufe ich die Fragen X/1 und X/2 auf.
Wird die Deutsche Bundesbahn aus dem Triebwagenunglück im September 1966 bei Bensheim an der Bergstraße technische Konsequenzen ziehen?
Besteht die Möglichkeit, durch die Anbringung einfacher Schienenräumer Fremdkörper, wie z. B. Schottersteine, von den Schienen zu entfernen?
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Kollegen Schwabe gemeinsam beantworten zu dürfen, falls Herr Schwabe einverstanden ist.
Bitte sehr!
Herr Kollege Schwabe, alle Fahrzeuge an der Spitze von Zügen, d. h. alle Triebfahrzeuge und Steuerwagen, sind zwecks Beseitigung von Fremdkörpern auf den Geleisen mit sogenannten Bahnräumern ausgerüstet. Die Höhe dieser Bahnräumer über der Schienenoberkante ist in der EisenbahnBau- und Betriebsordnung so festgelegt worden, daß sie in Weichen oder Kreuzungen unter gar keinen Umständen anstreifen oder abreißen können, da sonst die Gefahr der Entgleisung sehr groß ist.
Schienenomnibusse und ihre Anhänger reagieren wegen ihrer geringeren Achslasten auf Hindernisse auf den Schienen ungleich empfindlicher als schwere Triebfahrzeuge mit Achslasten bis zu 21 t. Deshalb hat die Deutsche Bundesbahn bei den ersten Schienenomnibussen Versuche mit tiefer herabreichenden Räumbesen unternommen. Diese Versuche sind leider fehlgeschlagen. Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn hat mir auf Rückfrage mitgeteilt, daß sie um einen wirksameren Entgleisungsschutz bemüht ist und das Bundesbahn-Zentralamt München dazu schon vor längerer Zeit eingeschaltet hat.
Die neu zu entwickelnde Vorrichtung soll nach den Vorstellungen der Deutschen Bundesbahn so beschaffen sein, daß auch kleinste Hindernisse wie z. B. Schottersteine mit Sicherheit zur Seite geschoben werden. Wann sie betriebsbereit sein und eingebaut werden kann, ist noch nicht zu übersehen. Ähnliche Versuche anderer Eisenbahnverwaltungen, so der englischen Eisenbahnen, haben bisher ebenfalls noch keine befriedigenden Ergebnisse erbracht.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Fragen X/3 und X/4 des Herrn Abgeordneten Folger auf:
Hält die Bundesregierung die Einführung von Schaffnerwagen an Stelle der bisher üblichen Bahnsteigsperren im Nahverkehr der Deutschen Bundesbahn für zweckmäßig?
Wie sollen Reisende, die wegen großen Andrangs oder aus Zeitmangel nicht mehr im Schaffnerwagen einsteigen können und denen der Gang durch den fahrenden Zug nicht zugemutet werden kann, ihre gültige Fahrkarte entwerten lassen?
Herr Präsident, ich darf auch hier wegen des Sachzusammenhangs bitten, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege Folger einverstanden ist.
Bitte sehr!
Die Bundesregierung hält nach den vorliegenden Berichten der Deutschen Bundesbahn die Einführung von Schaffnerwagen für zweckmäßig, weil sie auf diese Weise in dem hoch defizitären Personennahverkehr wesentliche Ersparnisse erzielt. Die Zugbegleiter halten sich nicht nur im Schaffner-wagen auf, sondern kontrollieren in gewissen Zeitabständen den gesamten Zug, erreichen daher im allgemeinen auch die an anderer Stelle des Zuges zugestiegenen Reisenden. Etwa noch vorhandene Unvollkommenheiten dieses jetzt angelaufenen Verfahrens wird die Deutsche Bundesbahn sicherlich im Verlauf der weiteren Erfahrungen beheben.
Ich darf ferner auf die ausführliche Antwort verweisen, die Herrn Kollegen Höhmann zu diesem Problem im Zusammenhang mit der Fragestunde vom 9. März 1966 gegeben worden ist. In diesem
Zusammenhang darf auch auf ähnliche Lösungen bei den kommunalen Verkehrsmitteln hingewiesen werden, die sich gut bewährt haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, haben sich diese Unvollkommenheiten nicht voraussehen lassen, und hätten nicht schon vorher Maßnahmen getroffen werden können, die diese Unvollkommenheiten vermieden hätten?
Herr Kollege, die Einführung eines solchen Verfahrens ist ausschließlich Angelegenheit der Deutschen Bundesbahn in eigener Zuständigkeit. Infolgedessen bin ich nicht gefragt worden, ob ich etwa solche Unvollkommenheiten voraussehen könnte.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, was sollen die Reisenden tun, die bei großem Andrang oder im Berufsverkehr oder weil sie körperbehindert sind oder wegen ihres Gepäcks den Schaffnerwagen einfach nicht erreichen können und sich dann der Gefahr aussetzen, daß sie Strafe zahlen müssen?
Sie setzen sich nur der Gefahr aus, daß sie Strafe zahlen müssen, wenn sie sozusagen mit Willen versucht haben, sich der Zahlung des Fahrpreises zu entziehen, aber nicht in anderen Fällen. Ein Körperbehinderter braucht ja nicht in den Schaffnerwagen zu gehen, sondern er kann darauf warten, daß der Schaffner durch den Zug kommt, und sich dann melden.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, was für ein System hat denn die Bundesbahn, um beurteilen zu können, wer seine Fahrkarte mit Willen und wer sie ohne Willen nicht entwerten läßt?
Hier besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage. Diese Frage wird nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage X/5 des Herrn Abgeordneten Schonhofen auf:
Ist mit der Projektbearbeitung für die Autobahnquerverbindung Nordhessen-Bremen ({0}), deren Bau für einen noch nicht näher bezeichneten Termin in öffentlichen Verlautbarungen des Bundesverkehrsministers angekündigt wurde, bereits begonnen worden?
Herr Kollege, für eine Autobahn zwischen dem Bremer Kreuz und der geplanten Autobahn
Kassel-Ruhrgebiet im Raum Paderborn laufen zur Zeit in verkehrlicher und in landesplanerischer Hinsicht Voruntersuchungen, die durch die niedersächsische und westfälische Auftragsverwaltung behandelt werden. Das Einbeziehen einer Trasse von Paderborn bis Gießen ist für Voruntersuchungen erst dann spruchreif, wenn über die Trasse der Autobahn von Siegen bis in den Raum KasselBad Hersfeld entschieden ist. Unabhängig von den Auftragsverwaltungen des Bundes untersucht eine Interessengemeinschaft der Industrie- und Handelskammern zwischen Bremen und Gießen mit dem Vorort Bielefeld die wirtschaftlich zweckmäßigste Linienführung. Sie wird das Ergebnis nach Abschluß ihrer Arbeiten dem Bundesminister für Verkehr und den beteiligten Ländern zuleiten.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage X/6 des Abgeordneten Schonhofen auf:
Ist die Bundesregierung imstande, den Zeitpunkt des Beginns der Bauarbeiten zur Erstellung des Teilstückes Lande-Neesen der B 482 anzugeben?
Herr Kollege, der Neubau der Teilstrecke der neu aufgestuften Bundesstraße 482 zwischen Lande und Neesen auf dem rechten Weserufer bei Minden wird wegen der leider stark verknappten Haushaltsmittel für den Straßenbau voraussichtlich im dritten Vierjahresplan allenfalls begonnen werden, also erst in den siebziger Jahren verwirklicht sein können. Trotz der Schwierigkeiten der Haushaltslage ist Weisung erteilt, die 14 km lange östliche Umgehung Mindens baureif vorzubereiten. Dazu ist von der Auftragsverwaltung noch der endgültige Entwurf zur Genehmigung aufzustellen und vorzulegen und dann das Planfeststellungsverfahren mit Erfolg durchzuführen. Vorher kann auch mit dem Grunderwerb nicht begonnen werden.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage X/7 des Abgeordneten Schonhofen auf:
In welchem Zeitraum ist mit dem Bau einer Brücke über die Weser, die im Zuge der neu zu trassierenden B 65 am südlichen Stadtrand der Stadt Minden vorgesehen ist, zu rechnen?
Herr Kollege, nach unseren Terminvorstellungen sollen die Bauarbeiten für den Weserübergang im Zuge der neuen Bundesstraße 65 südlich Minden möglichst noch im dritten Vierjahresplan anlaufen. Es ist eine Bauzeit von etwa zwei Jahren vorgesehen. Natürlich ist der Beginn davon abhängig, ob das Soll des dritten Vierjahresplanes haushaltsmäßig voll bedient wird. Dies ist für 1967 leider nicht möglich.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage X/8 des Abgeordneten Unertl auf:
Trifft es zu, daß die Trassenführung der Autobahn Regensburg-Passau nicht, wie bisher beabsichtigt, in den Raum Passau -Schalding geführt wird, sondern bereits bei Vilshofen über die Donau nach Österreich geplant ist?
Herr Kollege, ich antworte: Nein, das trifft nicht zu. Der Donauübergang der künftigen Bundesautobahn Regensburg-Passau ist nach wie vor im Raum Schalding geplant. Bei der diesjährigen Reise zur Besichtigung von Bundesfernstraßen habe ich in Obernzell festgelegt, daß gegen den Vorschlag der österreichischen Straßenbauverwaltung, den Grenzübergang dieser Autobahn bei Reichersberg vorzusehen, keine grundsätzlichen Bedenken bestehen. Daher habe ich die oberste Baubehörde in München gebeten, die Weiterführung der Trasse auf deutscher Seite zwischen Reichersberg und Schalding zu untersuchen. Wegen des Anschlusses von Passau darf dabei von dem bisherigen Donauübergang bei Schalding nicht abgewichen werden. Die neue Trasse gibt die Möglichkeit, das Vilstal, das Rottal, das Salzachtal und den Raum des mittleren Inn kürzer und zweckmäßiger über die vorhandenen Bundesstraßen an die Autobahn anzuschließen.
Keine Zusatzfrage.
Dann die Frage IX/9 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler:
Ist das Bundesverkehrsministerium der Auffassung, daß der von der Deutschen Bundesbahn am 15. März 1966 im Stückgutverkehr eingeführte K-Zuschlag eine Maßnahme darstellt, die auch in den Fördergebieten ({0}) sinnvoll ist?
Herr Kollege, über den K-Zuschlag habe ich schon in mehreren Fragestunden berichtet. Ich wiederhole also, daß die Einführung des sogenannten K-Zuschlages im Stückgutverkehr der Deutschen Bundesbahn am 15. März 1966 notwendig war, um die Erträge des insgesamt sehr defizitären Stückgutverkehrs den erheblich gestiegenen Selbstkosten anzupassen oder doch zumindest anzunähern. Das Defizit im Stückgutverkehr beläuft sich auf 420 Millionen DM. Die Deutsche Bundesbahn errechnet sich aus dem K-Zuschlag eine jährliche Mehreinnahme von rund 14 Millionen DM.
Bei dem K-Zuschlag, der bei 73 % aller Güterabfertigungen erhoben wird, handelt es sich um eine Pauschalmaßnahme für den gesamten Bereich der Deutschen Bundesbahn, bei der Einzelbelange bestimmter Bahnhöfe nicht berücksichtigt werden konnten. Als allgemeingültige Tarifmaßnahme trifft sie so leider auch Bahnhöfe der Fördergebiete verschiedener Art. In der Fragestunde vom 17. März 1966 hat Herr Kollege Zerbe bereits die Frage gestellt, was die Bundesregierung wegen der nachteiligen Auswirkungen des K-Zuschlages im Zonenrandgebiet zu tun gedenke. Herr Staatssekretär Dr. Seiermann hat darauf damals wie folgt geantwortet:
Die Einführung des K-Zuschlags trifft als allgemeingültige Tarifmaßnahme auch Teile des Zonenrandgebietes. Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, daß dadurch für die Wirtschaft des Zonenrandgebietes schwerwiegendere Schäden nicht zu befürchten sind. Sollten dennoch wider Erwarten unzumutbare Benachteiligungen
auftreten, so besteht die Möglichkeit zu vielfältigen und differenzierten Hilfen, z. B. im Rahmen des Frachthilfeverfahrens oder des regionalen Förderungsprogramms, durch die besondere Belastungen ausgeglichen werden können.
Daraus folgt, daß jeweils nach der besonderen Lage der einzelnen Fälle zu entscheiden sein wird.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, hat die Bundesregierung in dieser Richtung schon irgendwelche Erfahrungen gesammelt, und sind Maßnahmen zu erwarten?
Herr Kollege, bisher sind keine Einwendungen irgendwelcher Betriebe bis zu uns gedrungen.
Damit ist die Fragestunde für heute zu Ende.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen des Kollegen Ertl zum Südtirol-Problem sind von allgemeinem aktuellem Interesse. Ich beantrage deshalb eine Aussprache über die Antworten der Bundesregierung. Mein Antrag wird ausreichend unterstützt.
Der Antrag muß von 30 Mitgliedern des Hauses unterstützt werden. Wird er von der FDP und sonst unterstützt? - Das ist ausreichend.
Es beginnt jetzt eine
Aktuelle Stunde.
Wer wünscht das Wort? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Borm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion, die Fraktion der Freien Demokraten, begrüßt es, daß jetzt Gelegenheit gegeben ist, einmal über ein Thema zu sprechen, das Thema Südtirol, das in weitesten Kreisen der deutschen Öffentlichkeit sicher vordergründig bekannt ist, dessen Hintergründe und Zusammenhänge jedoch nicht so bekannt sind, wie wir es für erforderlich halten. Bekannt ist, daß in Südtirol Bombenanschläge und persönlicher, individueller Terror bedauerlicherweise nicht ausgeschlossen sind. Unbekannt ist, daß behauptet wird, die Bundesregierung habe mindestens durch Duldung dazu beigetragen. Unbekannt ist weiterhin, daß die Stadt München, daß das Land Bayern, daß das sogenannte Kulturwerk Südtirol, daß einige Vertriebenenverbände, daß Einzelpersonen in hohen Staatsstellungen, daß Parlamentarier auch unseres Hauses und nicht zuletzt Österreicher wie etwa der Herr Bundesminister Kreisky beschuldigt werden, die Verantwortung dafür zu tragen, daß diese bekannten Verbrechen
in Südtirol begangen werden. Wir begrüßen die Möglichkeit, einmal in diesem Hohen Hause über dies Frage zu sprechen, um so mehr, als wir feststellen müssen, daß ihr im italienischen Parlament mindestens drei Tage gewidmet worden sind.
Was steckt nun hinter diesen Beschuldigungen gegen unsere Landsleute?
Mindestens seit 1961, dem Jahre, in dem die Berliner Mauer gebaut worden ist, ist eine gemeinsame Kampagne aus dem kommunistischen Lager festzustellen, gepaart nach bekannten Mustern mit einer Kampagne aus dem rechtsradikalen, dem faschistischen Lager. Das Ziel dieser Kampagne ist, einen Zusammenhang mit den Bestrebungen unserer Regierung herzustellen, die angeblich beabsichtigt, die Probleme um die Oder und Neiße und die Probleme um das Sudetenland und Südtirol im Sinne, wie es heißt, revanchistischer, pangermanistischer Verblendung mit Gewalt zu lösen. Offenbar sollen an diesem Südtiroler Feuer auch die einzelnen Töpfchen der anderen an dieser Behauptung interessierten Länder mit am Brodeln gehalten werden.
Wer steuert nun diese Kampagne? Es handelt sich um ein sehr fein abgestimmtes und - wir müssen es wohl zugeben - durchaus gekonntes Zusammenspiel aller an diesen Fragen interessierten Mächte in Ost und West. Fachlich ist es die kommunistische Presse, es sind die italienischen Faschistenorgane, aber leider sind in Italien auch Organe beteiligt - möglicherweise sind sie aufgesessen -, die der Regierung nahestehen.
Regional kommen diese Anwürfe aus Moskau, aus Ostberlin, aus Prag, aus Warschau, von der österreichischen KP, von der italienischen KP und insonderheit von den Bozener Faschisten.
Es wäre reizvoll, einmal einige Zitate vorzutragen. Aber das würde zu weit führen. Einiges darf ich jedoch wohl anführen:
„Il Tempo" behauptete im Februar 1961, die Bundeswehr bilde Südtiroler Freiwillige zu Partisanen aus. 300 sollen es sein, und diese sollen dazu zum Schein die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben.
In nahezu allen italienischen Zeitungen wurde 1961 nach den massierten Sprengstoffattentaten das Land Bayern beschuldigt, die Südtiroler Terroristen ferngesteuert zu haben.
„La Stampa" spricht von Träumen der Pangermanisten. Sie beschuldigt unseren Kollegen Josef Ertl und verunglimpft ihn auch persönlich.
„Rude Prăo" spricht von Bonner Umtrieben im „Alto Adige".
Professor Albert Norden hielt eine seiner bekannten Reden in Berlin, und einige Tage später wurde das durch die italienische kommunistische Partei im Parlament verteilt.
Die „Volksstimme" in Wien behauptet, die Drahtzieher des Terrorismus in Südtirol würden von den Bonner Regierungsstellen protegiert und von der deutschen Hochfinanz bezahlt. Man beruft sich in schöner Einheit auf „Rude Prăo", auf das „Neue Deutschland" und auf die „Unitá". All diese Dinge sind festzustellen.
Eine Stimme von uns selbst, die Zeitung „Europeo", behauptet, wir hätten in Bayern eine Terroristenschule.
Das Fazit daraus -
Verzeihen Sie!
Darf ich um noch eine Minute bitten?
Nein, das kann ich Ihnen nicht gewähren, weil mir die Geschäftsordnung bindend vorschreibt, daß der einzelne Redner nicht länger als fünf Minuten sprechen darf. Aber Sie dürfen Ihren Satz vollenden.
Wir sind durch das Kulturwerk angegriffen, und wir Freien Demokraten sind durch Angriffe unserer Minister angegriffen. Das Kulturwerk -
Halt, jetzt ist ein Satz vorbei!
Ja, da kann man nichts machen.
Da kann man nichts machen. Aber wissen Sie, Herr Kollege, ich werde jetzt etwas tun, was der Präsident gerade noch darf. Ich werde jetzt dem Herrn Abgeordneten Ertl das Wort geben, und ich nehme an, daß er in Ihrem Sinne fortfährt.
({0})
Bitte sehr, das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
({1})
- Nein, nicht Unertl, sondern erst kommt positiv Herr Ertl, und dann kommt Herr Unertl.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man in den letzten Wochen und Monaten die Zeitungen aufschlug, so konnte man oft den Eindruck bekommen, daß jemand, der sich mit den Menschen in Südtirol verbunden fühlt, gleichzeitig ein Feind Italiens sein müßte. Ich möchte dazu ganz entschieden erklären, daß wir alle die Freundschaft mit Italien wollen und wünschen, wir aber der Meinung sind, daß die Freundschaft von einem demokratischen Geist und einer freiheitlichen Gesinnung getragen sein muß.
Wenn wir uns daher mit den Menschen in Südtirol verbunden fühlen, so deshalb, weil wir mit Recht hoffen, daß diese Menschen als gleichberechtigte Bürger in Freiheit im italienischen Staat leben können.
Damit komme ich gleich auf die Frage, die hiermit in einem engen Zusammenhang steht: Warum Hilfe für Südtirol, und in welcher Form Hilfe für Südtirol? Die Südtiroler Bevölkerung mußte in der Zeit des Faschismus Schweres durchmachen. Alle Kindergärten wurden beschlagnahmt, die Alpenvereinshütten wurden beschlagnahmt, deutsche Schulen geschlossen, die deutsche Sprache verboten! Das ging bis zur letzten Bevormundung in der Verwaltung. Der Gipfelpunkt dieser ganzen Kampagne war das schändliche Hitler-Mussolini-Abkommen, so daß die Südtiroler Volksgruppe mit Recht darauf verweisen kann, daß sie sowohl vom Faschismus wie Nationalsozialismus verfolgt wurde und darunter zu leiden hatte.
Wenn man heute versucht, durch private Hilfen das Unrecht wiedergutzumachen, Kindergärten wieder neu zu schaffen, so ist das eine legitime Angelegenheit und, wie ich glaube, im Zeichen der Freundschaft, der Freiheit und Demokratie absolut möglich. Ich meine daher, daß es unsere Pflicht und auch die Pflicht der Bundesregierung ist, diese freiwillige Hilfe zu unterstützen und zu billigen und sie vor Verleumdungen aus dem kommunistischen Bereich zu schützen.
({0})
Wir lehnen Gewalttaten als Mittel der Politik ab. Wir sind aber der Meinung, daß kulturelle Freiheit und kulturelle Sicherheit ein Element sind, ohne das es sich in Freiheit nicht leben läßt.
({1})
Ich will diese kurzen Ausführungen beenden mit einem Zitat des Außenministers Stresemann aus einer Reichstagsrede im Jahre 1926, weil ich meine, daß diese Rede für Parlament und Regierung heute noch gültig und verpflichtend sein sollte. Stresemann erklärte:
Das ändert aber nichts an der Gemeinschaftlichkeit deutschen kulturellen Empfindens für Staaten deutscher Kultur, für ein Land und ein Volk, das seit Jahrhunderten deutsch gewesen ist und bis zur Stunde der deutschen Kulturgemeinschaft angehört.... Das Recht des deutschen Volkes, mit dem in einem anderen Staate lebenden Menschen gleichen Blutes mit zu empfinden und zu fühlen, ist ein Recht, das wir uns von niemand nehmen und bestreiten lassen. Ein Einschreiten gegen derartige Bewegungen, die aus der Tiefe des deutschen Volkes herauswachsen, lehne ich namens der deutschen Reichsregierung auf das Entschiedenste ab. Gerade, wenn Unterdrückungspolitik gegenüber Minderheiten die Gesamttendenz von Europa bestimmen sollte, dann ist es notwendig, dieser Tendenz entgegenzutreten.
Ich meine, hier ist Europa gerufen. Es ist ein europäisches Problem, es ist ein Problem der Freiheitsrechte in Europa, und hier kann niemand, der an die Rechtsprinzipien glaubt, schweigen. Hier muß man sich in Freundschaft an einen Tisch setzen. Wer glaubt, durch Schweigen Probleme zu lösen, wird sehen, daß er Schwierigkeiten heraufberuft. Daher
muß die Politik Probleme lösen, um den Gewalttätern den Boden für unsinnige Taten zu entziehen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Unertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits in der vorhergehenden Legislaturperiode hatten wir einmal Gelegenheit, in der Fragestunde die Verdächtigungen, die insbesondere in der vielleicht gelenkten italienischen Presse im Zusammenhang mit Südtirol geäußert wurden, zu behandeln. Ich möchte den Herrn Bundesaußenminister heute wieder fragen, was denn daraufhin geschehen ist, als damals die italienische Presse leichtfertig und unwahr behauptete, Ausbildungsstätten für Partisanen bestünden in Niederbayern. Als niederbayerischer Abgeordneter habe ich damals die Behauptung für unmöglich gehalten und die Regierung ersucht, auf jeden Fall darauf einzuwirken, daß solche Lügen und solche gemeinen Behauptungen auch bei unserem EWG-Partner Italien wenigstens von der Presse zurückgenommen werden müßten.
Ich frage nun: Was hat denn die Prüfung ergeben? Gibt es überhaupt irgendwelche Anhaltspunkte für die Behauptung, solche Partisanenausbildungsstätten gebe es in Niederbayern oder an der österreichischen Grenze oder in meinem Wahlkreis? Was hat die Untersuchung ergeben? Ist es nicht an der Zeit, dafür zu sorgen, daß die guten diplomatischen Beziehungen zu unserem EWG-Partner Italien nicht durch solche Lügenmärchen und propagandistische Affären, von denen wir wissen, wo sie ihren Ausgangspunkt haben und welches ihre Zielsetzungen sind, beeinträchtigt werden?
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Das Wort hat der Abgeordnete Prinz von Bayern.
Herr Präsident! Hohes Haus! Das Thema „Südtirol" wird in unserem Volk immer Emotionen wecken. Diese Emotionen sind nicht der Ausdruck revanchistischer, pangermanischer Ressentiments, sondern sie sind der vollkommen natürliche Ausdruck eines Volkes, das eben eine besondere Beziehung zu dem völkerrechtlichen Prinzip der Selbstbestimmung hat. Es ist ebenfalls natürlich, wenn diese Sympathiekundgebungen mit der geographischen Annäherung an den Raum Südtirol zunehmen.
Gerade weil dem so ist, kann man unseren Freunden in Südtirol nur damit dienen, daß man alles vermeidet, vor allem von dieser Stelle aus, was nur den Eindruck erwecken könnte, als ob unsere Sympathien gleichzusetzen seien mit dem Versuch der Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates.
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Weil dem so ist, meine Damen und Herren, deshalb ist die Bundesregierung sicher sehr wohl beraPrinz von Bayern
ten gewesen, die Angelegenheit Südtirol als eine Angelegenheit Österreichs und Italiens zu betrachten,
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eines Staates, mit dem wir verbündet sind, und eines Staates, mit dem wir befreundet sind und der einen bündnisfreien Status hat.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist ebenfalls nur wohl beraten, den Terror als ein irgendwie geeignetes Mittel, um das Prinzip der Selbstbestimmung durchzusetzen, deutlichst abzulehnen.
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Es ist Angelegenheit dieses Hohen Hauses, mit aller Deutlichkeit organisierte Versuche zurückzuweisen, uns in eine Situation hineinzuziehen, in der der Eindruck dieser Einmischung erweckt wird. Ob diese organisierten Versuche von einem Staat östlich unserer Grenzen oder von wo immer ausgehen, diese Unterstellungen können nur auf das schärfste geahndet und abgelehnt und, wenn nötig, auch untersucht werden.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt eine andere Ebene. Es gibt eine europäische Ebene. Es gibt europäische Institutionen, in denen die Bundesrepublik vertreten ist. Wenn es einen politischen Beitrag der Bundesrepublik zu dem Thema „Südtirol" geben kann, dann unser Bemühen, auf europäischer Ebene dahin zu wirken, daß das Thema „Südtirol" auf die europäische Ebene angehoben wird.
Die Versuche - ich sprach von organisierten Versuchen uns zu verdächtigen, haben doch ein ganz deutliches Ziel, nämlich, die laufenden Verhandlungen zwischen Wien und Rom zu stören. Ich sage noch einmal mit aller Deutlichkeit: diese Verhandlungen laufen gut, soweit wir das beurteilen können. Wenn wir hier eine Äußerung tun, die dazu angetan sein könnte, zu unterstellen, daß wir diese Verhandlungen stören wollten, so ist das nicht im Interesse, sondern zum Nachteil der Südtiroler.
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Es sollte uns also zur Beruhigung dienen, daß diese Verhandlungen zwischen Wien und Rom von seiten Wiens in Anlehnung, in ständiger Fühlungnahme und in ständiger Abstimmung mit der Südtiroler Volkspartei, vertreten durch Herr Magnago, geführt werden.
Meine Damen und Herren, wenn man grundsätzlich zu diesem Thema etwas sagen soll, dann kann es nur folgendes sein: Unser politischer Beitrag für Südtirol auf europäischer Ebene. Jeder kulturelle, jeder wirtschaftliche Beitrag, der dazu dient, die Substanz der deutschen Bevölkerung italienischer Nationalität zu erhalten, jeder kulturelle, jeder wirtschaftliche Beitrag, der dazu dient, eine besonders schöne Blüte an diesem europäischen Stamm zu pflegen, verdient unsere volle Unterstützung.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaksch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antworten des Herrn Außenministers entnommen, daß eine Serie von Anwürfen, die von italienischer Seite im Zusammenhang mit der Südtirolfrage erhoben wurde, zusammengebrochen ist und daß eine neue Serie unterwegs ist.
Nun, meine Damen und Herren, würde ich gleich sagen, daß hier in dieser Aussprache nicht das Für und Wider des Südtirol-Problems zur Erörterung steht. Ich leugne zwar nicht, daß ich seit meiner Jugend überall dafür eingetreten bin, daß Recht und Gerechtigkeit zwischen den Völkern und Volksgruppen herrscht. Hier geht es aber doch um Fragen auch der journalistischen Ehrenhaftigkeit in den Beziehungen verbündeter Länder. Unter denen, die der Komplizenschaft mit Südtiroler Terroristen bezichtigt wurden, befand sich auch meine Wenigkeit, in bester Gesellschaft mit aktiven Bundesministern und Kollegen von den anderen Bänken dieses Hauses.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier doch sagen, daß sich das Blatt „La Voce Repubblicana" die Sache etwas zu leicht gemacht hat. Es wurde von Dokumenten gesprochen, die beweisen sollten, daß deutsche Politiker und Organisationen den Terroranschlägen in Südtirol aktive Unterstützung leisten. Als nach dieser Dokumentation gefragt wurde, stellte sich heraus, sie war nicht vorhanden. Man berief sich auf Informationen, die man nicht preisgeben könne.
Nun, was ist der Sachverhalt? Ich lese in einem Bericht über eine Unterredung mit dem Direktor von „La Voce Repubblicana", daß er die ursprünglichen Behauptungen nicht aufrechterhalten konnte, aber sagte, er gebe sich mit Formaldementis nicht zufrieden, sondern nur mit dokumentarischen Widerlegungen. Meine Damen und Herren: das ist zu billig, daß man wilde Beschuldigungen in Umlauf setzt, die durch die ganze Welt gehen, und dann sagt, die Beschuldigten sollen sich dokumentarisch rechtfertigen.
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Das möchte ich hier einmal vom Standpunkt der journalistischen Ehrenhaftigkeit aus anprangern.
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In der Sache möchte ich mich noch aus der Erfahrung einer langen publizistischen Praxis mit einigen Worten äußern.
Meine Sympathien haben seit dem Jahre 1922, seit dem Marsch auf Rom, allen Opfern des Faschismus gehört, den italienischen Opfern des Faschismus genauso wie den Südtiroler Opfern des Faschismus. Ich hatte die Ehre, gemeinsam mit Pietro Nenni vor dem Weltkrieg in der Exekutive der Zweiten Internationale zu sitzen. Dort appellierten wir gemeinsam an die Solidarität der europäischen Demokratien gegen die Solidarität des europäischen Faschismus und Nationalsozialismus. Dieser Ruf nach der Solidarität der Demokratien ist leider nicht durchgedrungen, und so sind unsere Völker und die halbe Welt in das schreckliche Unglück eines neuen Völkermordens hineingestoßen worden. Ströme von Blut und Tränen wurden vergossen, weil die demo3078
kratische Solidarität nicht imstande war, der Solidarität der Diktatoren entgegenzutreten.
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Nun ist es aber so, daß die Diktatoren des Ostblocks ein Interesse haben, uns auseinanderzumanövrieren, daß sie ihre vergiftete Propaganda in die Presse eines befreundeten Landes infiltrieren. Und dazu sage ich hier: ich leugne es nicht, ich bin ein Freund jedes friedlichen Südtirolers, und ich bin zugleich ein Freund des italienischen Volkes. Deswegen beklage ich es, daß mit der ungelösten Südtirolfrage Brunnenvergiftung betrieben wird, daß aus diesem Anlaß versucht wird, uns, die wir der italienischen Freiheit zur Seite gestanden sind, mit Terroristen in Zusammenhang zu bringen.
Lassen Sie mich daher, meine Damen und Herren, mit dem Wunsche schließen, daß aus dem Geist der Freundschaft unserer Länder auch eine gerechte Lösung der Südtirolfrage zwischen Österreich und Italien gefunden werden möge.
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Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und herren! Ich begrüßte es, daß das Hohe Haus in dieser Stunde Gelegenheit hat, sich mit einer Diskussion auseinanderzusetzen, die vor wenigen Tagen im italienischen Parlament in Rom stattgefunden hat. Dort ist vor etwa vierzehn Tagen drei Tage hindurch das Problem Südtirol diskutiert worden, und immer wieder kam in den Beiträgen namhaftester italienischer Parlamentarier zum Ausdruck, daß die Urheber der Gewalttaten in Südtirol in Bayern, in der Bundesrepublik, im Zweifelsfalle auch im Bundestag in Bonn zu suchen seien. Ich glaube, daß in dieser Stunde diese Dinge in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden müssen. Ich darf gleich vorweg sagen, Herr Bundesminister des Auswärtigen: ich glaube, daß die Bundesregierung eine Schutzpflicht gegenüber den Kollegen und Ministern, die in diesem Hause sitzen, hat. Wenn vorhin gesagt worden ist: Ich bin glücklich, daß ich die amtlichen Dokumente der italienischen Regierung noch nicht gelesen habe und daher mit gutem Gewissen sagen kann, ich weiß nicht, ob in diesen amtlichen Dokumenten Abgeordnete genannt sind, dann würde ich jetzt doch die Bitte äußern: lesen Sie sehr schnell diese Dokumente durch, um festzustellen, ob tatsächlich in dem amtlichen italienischen Material die Namen von amtierenden Bundesministern und von Abgeordneten dieses Hauses als Persönlichkeiten genannt werden, die hinter den Attentaten in Südtirol stehen. Sollte das der Fall sein, Herr Bundesminister, so glaube ich, es sollte die Bitte des ganzen Hauses sein, den betroffenen Kollegen die Möglichkeit zu geben, diese Dinge bis zum letzten zu klären und, wenn Klarheit geschaffen ist, mit aller Schärfe der italienischen Regierung darzulegen, daß wir es von uns weisen müssen, in einer solchen Weise diffamiert zu werden, wie es hier unternommen wird.
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Herr Kollege Jaksch hat soeben gesagt, sein Name sei genannt worden. Der meine ist auch genannt worden. Ich war gestern in der Fraktion der Auffassung, man sollte das Ganze karnevalistisch behandeln. Denn was über meine Beteiligung dort gesagt wird, kann man tatsächlich nur in den Bereich des Humors verweisen, nämlich: Der Abgeordnete Zoglmann bildet in seinem Revier in den Hohen Tauern die Terroristen aus und hält dort alle vierzehn Tage eine Terroristenschulung ab.
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Ich kann dazu sagen, ich bin nicht Alleinpächter dieses Reviers, sondern ein Kollege dieses Hauses, der ein hohes Amt in der Bundesregierung einnimmt, ist Mitpächter. Eine Reihe von Kollegen aus diesem Hause sind dort schon Gäste gewesen, und keiner hat feststellen können, daß ich dort so etwas täte.
Darf ich jetzt aber in allem Ernst folgendes aussprechen: Ich unterstelle, daß der Generalsekretär der italienischen Republikanischen Partei, Herr La Malfa, der diese Dinge angeblich geprüft und unserem Botschafter, Herrn von Herwarth, gegenüber vertreten hat, und der Generaldirektor seines Organs „La Voce Repubblicana" diese Beschuldigungen in gutem Glauben erhoben haben. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, sich selbst davon zu überzeugen, daß diese Beschuldigungen zu Unrecht erhoben worden sind. Ich lade Herrn La Malfa und den Herrn Generaldirektor der „Voce Repubblicana" ein, solange sie immer wollen, mit allen Möglichkeiten, deren sie sich in Österreich bedienen können, zu prüfen, was sich dort in dem Revier tut. Ich muß allerdings sagen, wenn sie diese Einladung nicht annehmen, wenn sie keinen Gebrauch von der Möglichkeit machen, sich von dem tatsächlichen Sachverhalt zu überzeugen, müßte ich von dieser Stelle aus den Vorwurf der bewußten Verleumdung und der bewußten Brunnenvergiftung erheben.
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Wie weit diese obskuren Behauptungen gehen, mögen Sie daraus ersehen, daß sich selbst namhafte italienische Zeitungen nicht schämen, Äußerungen der Art von sich zu geben wie etwa der „Messagero", der schreibt:
Minister Kreisky
- also der österreichische Außenminister hat, wenn wir nicht irren, den Rückweg von Mailand nach Wien über München für kürzer gehalten, allein um die deutsche Filiale Innsbruck noch vor der eigenen österreichischen Regierung zu informieren.
Ich meine, solche Darlegungen charakterisieren das, was hier an Angriffen gegen uns erhoben wird.
Ich darf noch einmal sagen, die deutsche Bundesregierung ist gehalten, diese Dinge ernst zu nehmen; denn sie zeigen sich in einem größeren Konzept. Bei Wenzel Jaksch ist es eben angeklungen: Die Quellen dieser Propaganda liegen eindeutig bei den kommunistischen Organen „Volksstimme" in Wien und „Rude Práo" in Prag, bei Herrn Cyrankiewicz in Warschau und bei Herrn Norden in OstZoglmann
berlin. Von daher kommen diese Brunnenvergiftungen, werden in die italienische Presse eingespielt und werden dort wieder rückgespiegelt. Der Hintergrund ist zu klar und zu deutlich, um nicht zu erkennen zu sein. Hier wird nämlich der Versuch unternommen, die Bundesrepublik zu diffamieren. Wenn namhafte Leute genannt werden, wenn Wenzel Jaksch genannt wird, wenn Herr von Guttenberg genannt wird, wenn Herr Strauß genannt wird Strauß natürlich auch, nichts ohne Strauß; er bildet die Gebirgsjäger aus, die dort eingesetzt werden! -, wenn alle diese Leute genannt werden, dann, meine Damen und Herren, ist doch erkennbar, daß hier der große Versuch der Diffamierung der Bundesrepublik insgesamt vom Osten unternommen wird. Diesem Versuch, Herr Bundesaußenminister, müssen wir mit aller Deutlichkeit entgegentreten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Becher.
Herr Präsident! Hohes Haus! Wenn sich der Deutsche Bundestag in dieser Aktuellen Stunde mit Südtirol befaßt, dann ganz bestimmt nicht, um sich zum Erfüllungsgehilfen der hier zitierten Taktik zu machen. Nämlich der Taktik, einen Keil zwischen Deutschland und Italien, einen Keil also auch in das westliche Bündnis zu treiben. Das ist in der Tat der Hintergrund der ganzen Aktion, die in den letzten Wochen aktuell gewesen ist. Es geht hier nicht nur darum, etwa karnevalistische Akzente zu sehen, es geht auch nicht nur darum, etwa zu sehen, daß die hoffentlich glückvoll endenden Verhandlungen zwischen Österreich und Italien gestört werden isollen. Es geht darum, zu sehen, daß hier die Elemente einer Strategie und einer Taktik im Gange sind, die weder gegen Bozen noch gegen Rom, sondern viel mehr gegen München und Bonn, also gegen die Bundesrepublik, zielen. In der Zwischenzeit liegen eine ganze Reihe von Dokumentationen vor, die der Herr Bundesaußenminister besitzt und die beweisen, was soeben von meinen Vorrednern vorgetragen wurde.
Ich möchte zur Ehre der italienischen Presse ein Wort aus dem schon zitierten „Il Tempo" vorlesen, der am Beginn der Kampagne sehr richtig gesagt hat:
Die Kommunisten benützen ein Minderheitenproblem, um die demokratische Republik Italien hinter dien Eisernen Vorhang zu ziehen, d. h. aus der EWG und aus der NATO herauszulösen.
Das ist die ganze Logik, daß man zuerst behauptet, deutsche Revanchisten seien an der Etsch tätig, daß Herr Cyrankiewicz von Warschau aus die Parallele zwischen, wie er sagt, den „westlichen polnischen Gebieten" und, wie er sagt, dem „Aldo Adige", also Südtirol, zieht und dann behauptet, die revanchistische Bundesrepublik wolle sich „über die DDR hinweg und über Österreich hinweg" in ,den Besitz
beider Gebiete bringen. Wir sollten also sehen, meine ich, daß hier eine breit angelegte Diffamierungsaktion im Gange ist, die sich gegen die Bundesrepublik richtet und die einen hochpolitischen Hintergund hat. Es ist bedauerlich, daß gerade die Zeitungen in Prag und auch in Warschau, die sich ansonsten als Vorkämpfer der Entspannung etablieren, zu den Hauptträgern dieser Aktion geworden sind.
Wir appellieren - ich möchte auch das unterstreichen, was Prinz Konstantin gesagt hat - zunächst einmal an die, die da glauben, mit Attentaten dieses Problem lösen zu können. Ihre Kurzsicht und ihre Moral schädigen das Südtirol-Problem mehr als alles andere. Genau diese Aktionen liefern den östlichen Propagandastellen Unterlagen für ihre Thesen.
Wir sollten auch von hier aus nochmals an die zuständigen Regierungen appellieren, möglichst rasch und möglichst gerecht eine Lösung herbeizuführen, die allen dient. Südtirol ist in gewissem Sinne ein Testfall für das neue Europa. Dieses Land, das heute ein Zankapfel zwischen den Völkern ist, könnte sehr wohl zu dem werden, wozu es von Natur aus im Kranze seiner Gärten bestimmt ist: zu einer Völker- und Länderbrücke. Wir glauben nicht, daß aus dem Geist des Risorgimento, aus dem Geist pangermanistischer Ideen oder anderer -ismen heraus dieses Ziel erreicht werden kann. Alle Parteien dieses Hauses sind sich wohl darin einig, daß der Gedanke einer Partnerschaft freier Völker in einem freien Europa allein in der Lage sein wird, auch dieses Problem zu lösen.
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So meine ich, daß wir die Kampagne um Südtirol gegen die Bundesrepublik, gegen Mitglieder dieses Hauses, hoffentlich bald als eine vorübergehende Epoche betrachten können, die uns eine gute Lektion gab. Die Lehre nämlich, daß wir gehalten sind, die Gefährlichkeit gegnerischer Propagandaaktionen zu durchschauen, die nicht immer nur direkt auf uns zukommen, sondern meistens indirekt auf den Fittichen der Finte, und daß wir alle gehalten sind; solchen tief gezielten gemeinsamen Aktionen die gemeinsame Abwehr in der Solidarität der freien Völker entgegenzustellen.
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Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich folgendes erklärend sagen: Ursprünglich war nicht vorgesehen, daß ich selbst diese Fragestunde wahrnehmen sollte. Ich habe mich aber dazu entschlossen, die Fragestunde wahrzunehmen in dem Augenblick, in dem ich hörte, daß eine aktuelle Stunde verlangt werde. Das führte leider dazu, daß ich die Unterlagen erst in die Hand bekam, als ich hierherkam. Inzwischen habe ich aber diesen einen Punkt geprüft, bei dem ich vorhin nicht ganz sicher war.
Der Note der italienischen Regierung waren zwei Anlagen angeheftet. Die eine Anlage lautet: „Verantwortlichkeit von Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland für Terroraktionen in Südtirol", die zweite Anlage: „Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland, deren Tätigkeit mit Südtirol im Zusammenhang steht".
In der ersten Anlage sind eine Reihe von Namen genannt worden, über die ich in meiner Antwort schon pauschal gesprochen habe. Darunter befindet sich kein Mitglied des Hohen Hauses. Meine Vermutung war also richtig.
Aber in der zweiten Anlage - „Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland, deren Tätigkeit mit Südtirol im Zusammenhang steht" - wird u. a. über das Kulturwerk für Südtirol gesprochen, und dabei wird der Hinweis gegeben, daß verschiedene Mitglieder der Bundesregierung und Abgeordnete des Hohen Hauses Mitglieder des Kulturwerks für Südtirol seien. Jedoch besteht - jedenfalls für mich - kein Anlaß, jetzt über das Kulturwerk für Südtirol zu sprechen. Darüber hat Herr Kollege Ertl gesprochen. Ich möchte das nur ganz klargemacht haben, damit nicht falsche Vorwürfe erhoben werden und irgendeine Unklarheit bleibt. So weit Punkt 1.
Punkt 2 ist eine Antwort an den Kollegen Unertl, der danach gefragt hat, was die Nachforschungen seinerzeit ergeben hätten, die Nachforschungen nach angeblichen Ausbildungsstätten für Partisanen in Niederbayern. Ich kann nur sagen, daß das offenbar eine Fehlanzeige gewesen ist; denn sonst würde ich etwas davon gehört haben.
Aber das fällt, glaube ich, in die Innenministerzeit unseres gemeinsamen Freundes, des derzeitigen Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Höcherl, und ich werde ihn noch einmal ausdrücklich fragen, wie damals die Untersuchung geführt worden ist. Jedenfalls ist es offensichtlich eine Fehlanzeige.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Bundesaußenminister? - Bitte!
Herr Bundesminister, sehen Sie eine Möglichkeit, im Rahmen Ihrer Ausführungen eine Bewertung der Arbeit des Kulturwerks für Südtirol durch die Bundesregierung vorzunehmen?
Herr Kollege Genscher, ich tue ungern eine Sache in unvollständiger Weise; aber ich habe keinen Anlaß, die Bewertungen, die Herr Kollege Ertl in der Darlegung der Arbeit des Kulturwerks hier gegeben hat, in Frage zu stellen. Jedenfalls sehe ich dafür keinen Anlaß, ohne nun etwa von mir aus in diesem Augenblick eine selbständige Wertung vornehmen zu können oder zu wollen.
Meine Damen und Herren, ich habe am 15. September eine grundsätzliche Erklärung über die Stellung der Bundesregierung zum Südtirolproblem abgegeben und möchte diese doch gern noch einmal in Erinnerung rufen, nicht nur für dieses Hohe Haus, sondern in einer darüber hinausgehenden Absicht. Die wesentlichen Punkt dieser Erklärung sind folgende gewesen:
Erstens. Die Bundesregierung würde es aus menschlichen und politischen Gründen begrüßen, wenn das Südtirolproblem bald eine Lösung fände, die ein friedliches Zusammenleben aller Beteiligten ermöglichte. Zweitens. Die Bundesregierung glaubt, diesem Ziel am besten dadurch zu dienen, daß sie sich jeder Einmischung in die bestehenden Auseinandersetzungen enthält. Wenn ich die Diskussion vorhin richtig verstanden habe, ist das auch die Auffassung, die von allen Sprechern hier zum Ausdruck gebracht worden ist. Drittens. Die Bundesregierung und das deutsche Volk verurteilen den Terror in Südtirol auf das schärfste. Ich möchte hinzufügen: hier ist kein Sprecher aufgetreten, der das nicht auch seinerseits getan hätte. Viertens. Die Bundesregierung tritt allen Versuchen energisch entgegen, die Vorkommnisse in Südtirol auszunutzen, um den Anspruch des deutschen Volkes auf seine Wiedervereinigung in Zweifel zu ziehen.
Zu den Vorwürfen, die in der Zwischenzeit erneut in der italienischen Öffentlichkeit gegen deutsche Organisationen und politische Persönlichkeiten erhoben worden sind, möchte ich folgendes erklären. Einerseits verurteilt es die Bundesregierung aufs schärfste, wenn in Einzelfällen irregeleitete Deutsche sich an der Vorbereitung oder Durchführung von Attentaten beteiligt haben. Die Bundesregierung wird in solchen Fällen auch weiterhin alles tun, solche Aktionen zu unterbinden und gegen die Schuldigen einzuschreiten.
Andererseits tritt die Bundesregierung ungerechtfertigten Verdächtigungen und Vorwürfen entgegen, weil diese der Lösung des Problems keinen Dienst erweisen, sondern nur dazu dienen, Mißtrauen zu säen und das Verhältnis der befreundeten italienischen und deutschen Völker zu belasten. Ich möchte wiederum feststellen, daß das im Grunde auch die Sprecher vor mir hier gesagt haben.
Meine Damen und Herren, niemand von uns wird bei der Prüfung und bei der öffentlichen Erörterung dieser Fragen vergessen, daß Italien einer unserer wichtigsten europäischen Partner ist, daß es sich bei Italien um einen unserer sehr wichtigen NATO- Partner handelt und daß wir im übrigen zu unserer großen Freude die sehr nachhaltige Unterstützung Italiens in der Verfolgung unserer Deutschlandpolitik haben.
Das sind die Grundsätze, von denen sich die Bundesregierung bei der Betrachtung dieser Frage leiten läßt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht im Rahmen einer Aktuellen Stunde nicht die Möglichkeit, prinzipielle Ausführungen über das Thema
Dr. Schulz ({0})
Südtirol aus der Sicht eines Mitglieds der hier mehrfach angesprochenen Beratenden Versammlung des Europarates zu machen. Ich darf mich daher auf einige mehr aphoristische Randbemerkungen beschränken.
Ich stimme allen Vorrednern ausdrücklich zu, die sich hier im Namen des Deutschen Bundestages und der demokratischen deutschen Öffentlichkeit gegen Diffamierungen, um nicht zu sagen: gegen persönliche Infamien aus brunnenvergifterischen Quellen gewandt haben. Wir sind uns wohl auch einig, daß die kommunistische oder aus anderen totalitären Quellen gespeiste Presse keine Gelegenheit vorübergehen läßt, daß sie auch den Schatten eines Vorwandes ausnutzt, um der Bundesrepublik revanchistische oder rechtsradikale Bestrebungen zu unterstellen.
Ich darf aber meinen Respekt und meine besondere Dankbarkeit für die Tendenz der Ausführungen zum Ausdruck bringen, die Prinz Konstantin von Bayern hier gemacht hat; denn wenn man das Südtirol-Problem wie andere auf unserem Kontinent noch strittigen Probleme aus europäischer Sicht und mit europäischem Verantwortungsgefühl prüft, darf man sich nicht allein von den eigenen Emotionen überrollen lassen, sondern man muß auch in jeder Situation sorgfältig auch die Emotionen anderer abwägen.
Wir verschließen uns der Tatsache nicht, daß in einem wichtigen Nachbarland in einem Grenzbezirk individueller Terror herrscht, daß dieser individuelle Terror junge Menschenleben gefordert hat und daß infolgedessen eine Sphäre der Nervosität aufgekommen ist, die geeignet ist, Vereinfachungen in der öffentlichen Meinungsbildung zu begünstigen.
Wir müssen auf der anderen Seite auch anerkennen, daß in der mehrfach erwähnten Debatte im italienischen Parlament die Regierung selber im Hinblick auf Verunglimpfungen und Verdächtigungen an die deutsche Adresse dieselbe wohltuende Zurückhaltung geübt hat, ,die eben hier vor dem Hohen Hause der Herr Bundesminister des Auswärtigen bekundete. Jede Nation muß sich damit abfinden, daß sie eine Handvoll unbelehrbarer Toren beherbergt, die aus trübem und monomanem Ehrgeiz darauf aus sind, jede zwischenmenschliche Verständigung und auch die Verständigung zwischen den Völkern zu stören. Machen uns andere diesen Vorwurf, dann haben wir das Recht, ihn zurückzugeben. Wir haben aber auch die Verpflichtung, innerhalb unserer eigenen Grenzen auf jene Handvoll unbelehrbarer Toren schärfstens aufzupassen, die leider auch bei uns existieren und die schon einmal zum Anlaß eines großen politischen Unglücks unseres Volkes geworden sind.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich betrachte es als meine Pflicht, dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen für seine Stellungnahme zur Tätigkeit des Kulturwerks für Südtirol zu danken. Als Vorsitzender dieses Kulturwerks fühle ich mich auch verpflichtet, vor dem Hohen Hause folgende Erklärung abzugeben.
Das Kulturwerk für Südtirol ist auf Bitten von Südtirolern zum Zwecke der kulturellen und sozialen Hilfe geschaffen worden. Alles, was wir machen, geschieht auf dem offenen Bankwege; unsere Belege stehen jedermann offen. Das weiß die italienische Regierung, und das wissen alle Behörden. Im übrigen hat das Kulturwerk von sich aus wiederholt einstweilige Verfügungen wegen Verleumdungen erwirkt.
Ich wäre daher der Bundesregierung sehr dankbar, wenn sie der Schutzpflicht genügen und gegen diese verleumderischen Behauptungen in aller Schärfe Stellung nehmen würde, welche einzig und allein dem Zwecke dienen sollen, das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien - wie das in der Debatte wiederholt angesprochen worden ist - zu stören und die Südtirol-Frage nicht zu einer Lösung zu bringen. Diese Lösung aber wünschen wir, weil wir zutiefst das Empfinden haben, daß nur dann eine gesicherte Lösung in Mitteleuropa auf die Dauer gefunden werden kann, wenn dieser Streitpunkt für alle Zeiten aus der Welt geschafft wird.
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Eine Sekunde, meine Herren! Das ist ganz interessant: Ich kann Zwischenfragen an die Redner aus dem Hause nicht zulassen, weil wir sonst mit unserer Fünf-MinutenOrdnung durcheinander kommen. Sie können aber Zwischenfragen an die Mitglieder der Regierung stellen, weil diese das Privileg haben, so lange zu reden, wie sie wollen. Dafür verlängert sich dann die Aktuelle Stunde entsprechend.
Jetzt Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister ist heute nicht im Hause. Ich weiß aber aus Unterhaltungen mit ihm und aus der Vorbereitung meiner Ausschußsitzungen, daß die deutschen Stellen - Verfassungsschutz usw. - allen Hinweisen und Anregungen nachgegangen sind, ohne daß sich konkrete Ergebnisse im Sinne der italienischen Vorwürfe ergeben haben. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß von den bayerischen Behörden und von der Bundesregierung niemandem Asyl gewährt worden ist, der sich eines Terroraktes usw. schuldig gemacht hat.
Etwas sollte man aber bei dieser Gelegenheit sagen, und der Herr Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen: es gibt irregeleitete, vor allem junge Menschen in unserem Lande, die uns sehr großen Schaden zufügen, indem sie in Südtirol und bei verschiedenen anderen Gelegenheiten terroristisch tätig werden. Meine Damen und Herren, das ist ein Appell an uns alle, daß wir die Gelegenheit benutzen, einmal der Jugend zuzurufen, daß uns solche Akte nicht helfen können. Helfen können nur ge3082
meinsame Bemühungen um einen vernünftigen Ausgleich.
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Wir müssen uns mit allem Nachdruck - das sage ich hier aus großer Sorge noch einmal: mit Nachdruck - von solchen Leuten distanzieren, damit die Welt sieht, daß die deutsche Öffentlichkeit mit ihnen nichts zu tun hat. Sabotage und Sprengstoff sind keine Hilfe für die Menschen in Südtirol.
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Dazu ist es gut, daß wir alle nicht nur hier, sondern auch dort einen Beitrag leisten, wo solche oft spontan reagierenden jungen Menschen zusammenkommen und tätig werden. Das ist auch unsere Aufgabe und unser Auftrag.
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Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aktuelle Stunde ist geschlossen.
Punkt 2 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP
betr. Förderung der Forschung zur wirtschaftlichen Nutzung von Kernenergie und der Weltraumforschung
- Drucksache V/788 Ich frage, ob das Wort zur Begründung der Großen Anfrage gewünscht wird. - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Schober!
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es ist mit Recht. gesagt worden, daß die technische Umwelt der Menschen, die in der Goethe-Zeit lebten, sich von der des Römischen Weltreiches weniger unterschieden habe als von der technischen Umwelt, in der die Menschen zu Beginn dieses Jahrhunderts existierten. Ich glaube, man muß hinzufügen, daß seitdem eine dauernde Beschleunigung des technischen und wissenschaftlichen Fortschrittes zu verzeichnen gewesen ist. Sicherlich ist unsere technische Umwelt heute wieder sehr stark verschieden von der, in der die Menschen zu Anfang unseres Jahrhunderts lebten. Ein amerikanischer Forscher, Brian Kerr, stellte die These auf, daß 50 % aller Forschungen, die seit Bestehen der Menschheit auf wissenschaftlichem Gebiete überhaupt betrieben worden sind, in den letzten 20 Jahren erfolgten. Brian Kerr ist außerdem der Auffassung, daß 50 % aller Berufe für Hochschüler, die heute ihr Examen machen, noch nicht bestanden, als diese Hochschulabsolventen geboren wurden. Er stellt ferner fest, daß 90 % aller Naturwissenschaftler und aller Ingenieure, die jemals gelebt haben, heute leben.
Worauf ist die große Umwälzung unseres Weltbildes zurückzuführen? Wir glauben, daß es vor allen Dingen drei große Entdeckungen sind, die dafür gesorgt haben, daß sich unsere Welt so gründlich gewandelt hat. Es ist einmal die Entdeckung, Entfesselung und Nutzung der Kernenergie, es ist zweitens die Entwicklung der Weltraumtechnik, und es ist in engem Zusammenhang mit diesen beiden Gebieten die Entwicklung der Elektronik.
Lassen Sie mich nun zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zunächst etwas zur Kernergie sagen. Uns berührt hier nur der friedliche Aspekt dieses Problems. Die Nutzung der Kernenergie wird unsere zukünftige Welt in entscheidender Weise verändern. Wir denken dabei sehr stark an die Energiepolitik. Aber lassen Sie mich auch daran erinnern, daß es andere Gebiete gibt, auf denen die Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten ihre große Bedeutung erweisen wird. Da ist einmal die Verwendung der radioaktiven Isotope in der Medizin; ich nenne hier nur das Stichwort Kobaltkanone. Wir denken aber auch an die Konservierung von Nahrungsmitteln durch radioaktive Bestrahlung, ferner an die Sterilisierung von Lebensmitteln. Auch das Problem der Meerwasserentsalzung wird sich rationell nur lösen lassen, wenn wir die Mittel der Kernenergie einsetzen.
Aber lassen Sie uns zunächst einmal bei dem sehr wichtigen Aspekt der Energieversorgung der Welt, besonders Europas und unseres Landes, für die kommenden Jahrzehnte bleiben. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß wir mit einer Verdoppelung des Bruttoverbrauchs an elektrischer Energie in den nächsten zehn Jahren in Europa werden rechnen müssen. Es gibt auch Vorausschauen, die davon ausgehen, daß sich der Verbrauch der elektrischen Energie in Europa bis zum Jahre 2000 verachtfachen wird. Meine Damen und Herren, das mögen spekulative Zahlen sein. Sicherlich werden wir aber mit einem sehr starken Anstieg des Verbrauchs an elektrischer Energie rechnen müssen. Dieser Anstieg ist auf die Dauer nur durch die Erschließung neuer Quellen möglich.
Alle Sachverständigen sind der Überzeugung, daß der Kernenergie bei dieser Frage eine entscheidende Bedeutung zukommt. Sicherlich wird es möglich und auch notwendig sein, Kohle, Öl, Erdgas, aber auch die Wasserkraft weiter als wichtige Energieträger zu erhalten. Dieses Hohe Haus hat ja durch das Gesetz zur Sicherung des Steinkohlenabsatzes in der Elektrizitätswirtschaft das Seinige dazu beigetragen, die Situation der Kohle auf dem Gebiet der Elektrizitätsversorgung zu erleichtern. Wir dürfen aber unsere Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß die Kernenergie in der Lage sein wird, uns schon in absehbarer Zeit billigen Strom zur Verfügung zu stellen.
Man hat daraus in anderen Ländern die Konsequenzen gezogen und Kernenergiekraftwerke in erheblichem Umfang errichtet. Ich nenne folgende Zahlen, die mir heute vorliegen. Bis zum Jahre 1971 werden in den USA Kernkraftwerke mit einer Nettoleistung von etwa 12 400 Megawatt errichtet werden. In Großbritannien werden es etwa 5600 Megawatt sein, in Frankreich etwa 2600 Megawatt, in der Sowjetunion 1533 und in der Bundesrepublik Deutschland etwa 1000 Megawatt. Wir haben also in der Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie noch nicht den internationalen Stand erreicht. Aber wir dürfen mit einer gewissen GeDr. Schober
nugtuung darauf hinweisen, daß wir in den letzten zehn Jahren schon beträchtlich Raum gewonnen haben, daß unsere Anstrengungen nicht ohne Erfolg geblieben sind.
Als wir im Jahre 1955 dieses Gebiet ganz neu in Angriff nahmen, mußte Deutschland einen Rückstand aufholen, der dadurch entstanden war, daß uns Kriegs- und Nachkriegszeit unserer besten Forscher beraubten, daß wir keine Forschungsstätten hatten. Erst mit dem Jahre 1955 war es uns möglich, die friedliche Nutzung der Kernenergie voranzutreiben.
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Damals wurde das Atomministerium begründet, und es bestand Einmütigkeit darüber, daß der staatlichen Förderung bei diesen Fragen eine sehr wesentliche Bedeutung zukomme. Von der Atomkommission sind Programme erarbeitet worden, das letzte für die Jahre 1963 bis 1967. Die Ergebnisse waren durchaus beachtlich. Bund und Länder haben zusammen in den letzten zehn Jahren 3,4 Milliarden DM für diesen Zweck ausgegeben. Wir halten das für einen guten Erfolg. Die Bundesmittel waren ursprünglich nur sehr gering. Im Jahre 1959 hat der Bundesetat für die Atomforschung zum erstenmal die Grenze von 100 Millionen DM überschritten. Seitdem haben wir eine jährliche Steigerung in diesem Etat von im Mittel etwa 23 %. Das ist auch im internationalen Maßstab eine beachtliche Leistung. Aber es erhebt sich nun die Frage: wie wird es bei uns in den nächsten Jahren weitergehen? Der Atom-Etat des Bundes ist dauernd gestiegen. Geben wir der Hoffnung Ausdruck, daß das auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird!
Die Entwicklung an den Hochschulen in den Ländern ist so gewesen, daß heute nahezu alle Hochschulen Kernforschungsinstitute haben. Außerdem haben wir vier Max-Planck-Institute für diese Zwecke. Grundlagenforschung wird in erheblichem Umfang betrieben. Für all diese Aufgaben hat der Bund wesentliche Mittel zur Verfügung gestellt, nämlich von 1956 bis 1955 rund 400 Millionen DM für die Erweiterung und Erneuerung wissenschaftlicher Einrichtungen und Institute.
Meine Damen und Herren! Es würde sicherlich zu weit führen, wenn wir hier einen Überblick geben würden über die auch in der Bundesrepublik schon recht mannigfaltige Zahl von Einrichtungen, die der Atomforschung dienen. Aber lassen Sie mich hier doch einmal auf ein Ereignis hinweisen: Die größte Forschungsanlage auf diesem Gebiete in der Bundesrepublik Deutschland, die in Karlsruhe, konnte im Juli dieses Jahres auf ein zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Ich glaube, in dieser Stunde, in der wir eine gewisse Zäsur erleben zwischen dem, was aufgeholt werden mußte, und dem, was nun in internationalem Standard weiterentwickelt werden muß, geziemt es sich, einmal einen Dank zu sagen an alle diejenigen, die dazu beigetragen haben, daß die Bundesrepublik Deutschland den Rückstand, den sie in der Atomforschung hatte, einigermaßen aufholen konnte. Ich schließe in diesen Dank ein alle Gelehrten, die Beamten, die Angestellten und
Arbeiter, die in den Forschungsinstituten und im Ministerium tätig waren. Aber erlauben Sie mir auch, meine Damen und Herren, daß ich die Herren Minister, die mit diesen Fragen beschäftigt waren, in diesen Dank einbeziehe. Ich meine hier die Herren Strauß, Professor Balke, Lenz, und ich darf auch wohl den amtierenden Herrn Bundeswissenschaftsminister Stoltenberg mit der beachtlichen Initiative, die er bisher gezeigt hat, in diesen Dank einschließen.
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Aus der großen Fülle der Institute und Organisationen, die wir auf dem Gebiete der Atomforschung haben, wäre sicherlich manches zu sagen. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier nur auf zwei Fragen, die auch in unserer Anfrage enthalten sind, einen kurzen Blick werfen.
Wir haben in Geesthacht eine Reaktorstation, die sich mit der Frage beschäftigt, wie die Kernenergie für Schiffsantriebe genutzt werden kann. Die „Otto Hahn", das erste deutsche Schiff, das mit Kernenergie betrieben wird, ist im Jahre 1964 vom Stapel gelaufen. Ich habe hier die Frage an den Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, wie weit die Arbeiten an der „Otto Hahn" gediehen sind und wann mit der Beladung dieses Schiffes gerechnet werden kann.
Lassen Sie mich ferner eine Frage stellen, die die im Jahre 1964 gegründete Gesellschaft für Strahlenforschung in München-Neuherberg angeht. Es ist für uns eine sehr wichtige Frage, was mit dem sogenannten Atommüll, was mit den sogenannten radioaktiven Rückständen geschieht, die auch bei uns in Zukunft mehr und mehr anfallen werden. Wir hätten vom Bundesminister für wissenschaftliche Forschung gern eine Antwort auf die Frage, wie man sich dies in der Bundesrepublik in Zukunft vorstellt.
Kommen wir nun von der Forschung zur Nutzung!
Die Atomkernenergie ist in den Vereinigten Staaten jetzt schon seit längerer Zeit in das Stadium der Nutzung getreten. Auch bei uns sind dafür schon beachtliche Ansätze sichtbar. Es war die Politik der Bundesregierung, dabei im Grundsatz davon auszugehen, daß hier der Initiative der Wirtschaft ein weiter Raum gegeben werden solle, ohne der Wirtschaft eine staatliche Atombehörde mit dirigistischen Maßnahmen als Autorität vorzusetzen. In der Industrie hat von Anfang an ein lebhaftes Interesse an allen Fragen bestanden, die sich mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie beschäftigten.
Mehrere Firmen begannen im Jahre 1958 mit der Errichtung des ersten deutschen Atomkraftwerks in Kahl am Main mit einer Leistung von 15 Megawatt. Die Programme, die inzwischen aufgestellt worden sind, vor allen Dingen das Eltville-Programm mit 500 Megawatt, sind immer wieder überprüft und erweitert worden und haben schon zu beachtlichen praktischen Erfolgen geführt.
In diesem Zusammenhang erhebt sich nun in der Gegenwart eine wichtige Diskussion. Es besteht kein
Zweifel darüber, daß die Atomkernenergie nur dann eine große Zukunft haben kann, wenn sie uns mit elektrischer Energie genauso billig wie bisher oder billiger beliefern kann, abgesehen davon, daß gegen Ende dieses Jahrhunderts eine große Lücke in der Energieversorgung erwartet werden muß.
Es ist eine wissenschaftlich begründete Tatsache, daß ,die sogenannten „schnellen Brüter" in der Lage sind, durch das sogenannte Erbrüten von Spaltstoffen aus nichtspaltbarem Material genausoviel oder mehr Brennstoff zu erzeugen, als sie verbrauchen. Diese Tatsache ist für uns deshalb von so ungeheurer Bedeutung, weil damit eine wirtschaftlich rationelle Nutzung des Urans gewährleistet ist. Für die nächsten Jahrhunderte gibt es in der Welt sicherlich genügend Uran. Aber eine rationelle Nutzung dieser Vorkommen scheint uns im Interesse der Industrie, vor allen Dingen einer preiswerten Elektrizitätsversorgung, besonders wichtig zu sein.
Ich habe nun die Frage an den Herrn Bundeswissenschaftsminister, ob er die augenblickliche Förderung von zwei verschiedenen Systemen schneller Brüter für sinnvoll hält. Darüber hat es auch in der öffentlichen Diskussion einen erheblichen Disput gegeben, der Ihnen, meine Damen und Herren, sicherlich bekannt ist. Man streitet sich darüber, ob der schnelle Brüter natrium- oder dampfgekühlt sein sollte. Im Ausland wird nur die Linie der natriumgekühlten Brüter verfolgt. Bei uns ist es so, daß auch die Linie der dampfgekühlten Brüter die Unterstützung der Bundesregierung hat. Es haben sich zwei Industriegruppen gebildet, die einen 300-Megawatt-Reaktor der einen und einen solchen der anderen Linie vorbereiten.
Daher meine Frage an Sie, Herr Bundesminister: Halten Sie es für sinnvoll, beide Linien zu unterstützen? Zeichnen sich nicht vielleicht jetzt schon Ergebnisse ab, die zeigen, ob die eine oder die andere Linie aussichtsreicher ist?
Ich brauche in diesem Zusammenhang sicher nicht darauf zu sprechen zu kommen, wie im Augenblick der Stand der industriellen Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist. Lassen Sie mich nur kurz auf die Tatsache hinweisen, daß gegenwärtig ein Leichtwasser-Demonstrationskraftwerk in Grundremmingen im Bau ist, das eine deutsch-amerikanische Gemeinschaftsleistung darstellt, die von Euratom unterstützt wird. Zwei Kernkraftwerke in Obrigheim und Lingen sind deutsche Neuentwicklungen ohne nennenswerte ausländische Unterstützung.
Eine wichtige Tatsache ist bei alldem, daß die deutsche Industrie bereits heute in der Lage ist, selbständig Reaktoren des erprobten Leichtwassertyps anzubieten. Aber auch hier schließt sich unsere Frage an, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß angesichts dieser Tatsache eine staatliche Förderung auf diesem Gebiete noch weiter erforderlich erscheint. Vor allen Dingen scheint es uns wichtig zu sein, bei der Entwicklung der Kernreaktoren, die für die Wirtschaft nutzbar sind, zu einer guten Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung, Wissenschaft und Wirtschaft zu kommen, sie vielleicht zu verbessern.
Die Reaktortechnik für die friedliche Nutzung der Kernenergie ist ohne Zukunft, wenn es uns nicht gelingt, den Brennstoff, nämlich das Uran, in ausreichendem Maße sicherzustellen. Unsere Frage an den Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung - sie ist in der ersten großen Frage enthalten - ist daher: Wie steht es um die Uranprospektierung in unserem Lande?
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Es ist so, daß in der ganzen Welt die Vorräte sicherlich noch für eine lange Zeit ausreichen. Wir wissen auch, daß es in unserem Lande wesentliche Vorkommen in Ostbayern, im Saar-Nahe-Gebiet und im Schwarzwald gibt; ich darf nur an den Ort Menzenschwand erinnern.
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Wieweit sind nun die Bemühungen der Bundesregierung auf diesem Gebiet gediehen, die es ermöglichen, das Uran in Menzenschwand wirklich abzubauen? Halten Sie es für möglich, Herr Minister, die Schwierigkeiten, die vor allen Dingen durch den Naturschutz gegeben sind, in absehbarer Zeit zu überwinden? Das scheint uns eine sehr wesentliche Frage zu sein.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie setzt eine bedeutende Grundlagenforschung voraus. Die Wissenschaft von heute ist die Technik und die Wirtschaft von morgen. Das ist ein Satz, der allgemein anerkannt werden sollte. Die Länder, meine Damen und Herren, die auf die Dauer in der Wissenschaft, vor allen Dingen in der Naturwissenschaft, zurückbleiben, werden nicht in der Lage sein, den wirtschaftlichen Standard ihres Landes auf die Dauer zu halten. Wir haben auf allen Gebieten, die ich eben genannt habe, beachtenswerte Fortschritte gemacht. Darüber besteht gar kein Zweifel. Alles, was wir tun, wäre aber, glaube ich, illusorisch, wenn es uns nicht gelänge, die Grundlagenforschung noch breiter als bisher zu fundieren.
Die Atomphysik, die Kernphysik, die Physik der Elementarteilchen, die Plasmaphysik, die Festkörperphysik, alle diese Grundlagenwissenschaften erfordern heute, wenn sie seriös betrieben werden sollen, Aufwendungen, die weit über die Möglichkeiten einer Universität hinausgehen. Wir richten daher an den Bundesminister die Frage, wie die Grundlagenforschung auf diesen Gebieten in der Bundesrepublik weiter gefördert werden kann. Es ist sicherlich nicht möglich, alle diese großen, schweren wissenschaftlichen Probleme in unserem verhältnismäßig kleinen Lande in ihrer ganzen Breite zu behandeln. Erhebt sich hier nicht die Frage, ob es notwendig wäre, Schwerpunkte zu bilden? Wäre es nicht zweckmäßig, uns in der Grundlagenforschung auf konkrete, bestimmte Aufgaben zu konzentrieren und mit befreundeten Nationen in wichtigen Fragen zusammenzuarbeiten?
Wir haben in diesem Zusammenhang aber auch die Frage, wie es auf diesem Gebiet mit der ZuDr. Schober
sammenarbeit zwischen der Bundesregierung, den Hochschulen, den Max-Planck-Instituten und der Deutschen Forschungsgemeinschaft steht. Wir halten es für möglich, daß sich die Arbeit auf diesem Gebiet noch stärker koordinieren läßt.
Auch auf dem Gebiet der Grundlagenforschung -meine Damen und Herren, wir wissen es alle - sind bei uns schon beachtliche Ansätze vorhanden. Es ist schon Wesentliches geleistet worden. Ich brauche nur an das Elektronensynchrotron DESY in Hamburg zu erinnern, das zu den bedeutendsten Einrichtungen dieser Art in der ganzen Welt gehört.
Lassen Sie mich zusammenfassend über unsere nationale Lage sagen, daß wir mit dem Erreichten noch nicht zufrieden sein können, aber anerkennen, daß in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der Erforschung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie Beachtliches geleistet worden ist.
Nun ein Wort zur internationalen Zusammenarbeit.
In Europa basiert die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auf den Römischen Verträgen vom 1. Januar 1958. Damals ist die Euratom gegründet worden. Wir müßten uns heute einmal die Frage vorlegen, welche Ergebnisse dieser Zusammenschluß bisher gebracht hat.
Ich glaube, daß man die Euratom-Ergebnisse durchaus als beachtlich bezeichnen kann. Es gibt 3000 Euratom-Bedienstete. Das zweite Euratom-Programm, das von 1963 bis 1967 läuft, umfaßt immerhin einen Betrag von 2 Milliarden DM. Das sind 15 % der insgesamt in den sechs Ländern aufgewendeten Summen.
Die Euratom unterhält auch beachtliche Institute. Ich möchte sie nicht alle nennen. Lassen Sie mich nur eines ansprechen, das uns etwas Gedanken macht. Ich meine Ispra in Italien, wo das Reaktorprojekt ORGEL betrieben wird. Wir haben hier die Frage an den Herrn Minister, wie er die Zukunftsaussichten des Reaktors ORGEL beurteilt. Ist dieser schwerwassermoderierte, organisch gekühlte Brüter für Wirtschaft und Wissenschaft so interessant, daß er weiterentwickelt werden solle?
Meine Damen und Herren, nichts weiter über die Anstrengungen von Euratom im einzelnen. Sicherlich wird in der Debatte noch manches dazu gesagt werden. Aber eine Tatsache lassen Sie mich hier noch ganz klar herausheben, und darüber sollte man ernstlich nachdenken. Trotz beachtlicher Erfolge hat Euratom die Rolle nicht spielen können, die man ihm einmal zugedacht hat. Das ist eine bedauerliche Tatsache. Aber wir dürfen uns, glaube ich, vor dieser Tatsache nicht verschließen. Man ging damals von zwei nicht ganz erfüllten Voraussetzungen aus, einmal von einer sehr bald drohenden Energielücke, die bis heute nicht eingetreten ist, und zum anderen von einer drohenden Uranknappheit. Es ist auch nicht so, daß die Forschungszentren von Euratom eine entscheidende Bedeutung im Vergleich zu den Forschungszentren der Nationen erlangt hätten.
Daher ist die Frage berechtigt: Wie soll es mit Euratom weitergehen? Die Frage scheint uns besonders deswegen dringend zu sein, weil das zweite Fünf-Jahres-Programm Ende 1967 ausläuft. Wer das politische Ringen in den Jahren 1964 und 1965 um die Anpassung des laufenden Programms verfolgt hat, das nur zu einer Mittelerhöhung um 1 % führte, der wird unsere Sorgen verstehen. Es sind auch sicherlich noch Fragen hinsichtlich der Tätigkeit der Euratom-Kommission offen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn nach dem zweiten nun auch ein drittes Euratom-Programm aufgestellt würde.
Wie beurteilt der Herr Minister - das ist unsere Frage - die internationale Zusammenarbeit angesichts dieser Tatsache, die uns in Euratom nun einmal entgegentritt? Wie sind etwa die Äußerungen des Präsidenten M. Chatenet zu beurteilen der offenbar der Auffassung ist, daß Euratom in Zukunft keine Vieljahresprogramme mehr brauche, sondern daß es genüge, sich auf einzelne Projekte zu konzentrieren - man hat es in der Fachpresse ,scherzhaft als ein Menu à la carte bezeichnet, das hier geboten werden soll -, daß aber andererseits die Aufgaben von Euratom erweitert werden sollten, in die Bereiche der Wissenschaft, der Industrie, der Energiepolitik überhaupt, und das vielleicht nicht ganz ohne dirigistische Beimischungen, die mit der Wirtschaftsordnung unseres Staates sicherlich nicht völlig vereinbar sind.
Die entscheidende Frage in der Zusammenarbeit von Euratom scheint uns aber zu sein, daß die fällige Fusion der Kommissionen der europäischen Gemeinschaften, die am 8. April 1965 beschlossen wurde, erneut verschoben worden ist. Verstehen Sie deswegen, Herr Minister, unsere Sorge und unsere Bitte um Auskunft darüber, wie wir uns die Zusammenarbeit von Euratom weiter vorstellen dürfen!
Was die Zusammenarbeit mit den Amerikanern betrifft, verweisen wir auf das Abkommen vom 3. Juli 1957, das zur Zufriedenheit beider Partner, wie wir hoffen, abgewickelt werden konnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit den Komplex der Kernforschung, der Kerntechnik und ihrer Anwendung in der Praxis abschließen. Wir hoffen und wünschen, daß die Fortschritte, die wir auf diesem Gebiete gemacht haben, in den nächsten Jahren fortgesetzt werden können in einem nationalen Rahmen, im internationalen Rahmen, damit unser Land auf die Dauer im wissenschaftlichen Bereich und später auch im wirtschaftlichen Bereich nicht zurückfällt.
Diese Sorge des Zurückfallens in der Wirtschaft betrifft auch das Gebiet, das wir mit unserer weiteren Frage angeschnitten haben, nämlich mit der vierten Frage wegen der Weltraumfahrt. Wir haben sicherlich alle mit Bewunderung den Wettlauf verfolgt, den sich die USA und die Sowjetunion im Weltraum geliefert haben. Wir haben mit Staunen die Leistungen der Weltraumfahrer verfolgen können. Sicherlich ist manchmal die Frage aufgetaucht: Was soll das Ganze? Ist die Weltraumfahrt eine Sache, die vielleicht nur von militärischen Erwägungen abhängig ist? Sind die beiden Großmächte viel3086
leicht nur von Prestigerücksichten getrieben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir glauben das nicht. Wir meinen, daß ein dritter Faktor hier von großer Bedeutung ist, über den wir heute auch sprechen sollten und der besonders wichtig ist für die Frage: Weswegen Weltraumfahrt auch in Deutschland? Ich möchte gleich von vornherein bemerken, daß wir sicherlich alle nicht anstreben, die Fahrt nach dem Mond mitzumachen. Sicherlich haben wir nicht den Ehrgeiz, daß in absehbarer Zeit ein deutscher Weltraumfahrer auf dem Mond landet. Aber die Weltraumfahrt befaßt sich ja nicht nur mit den bemannten Satelliten, sondern es gibt auch noch die ebenso wichtige nichtbemannte Raumfahrt.
Zunächst einmal lassen Sie mich darauf hinweisen, daß es heute schon nicht mehr möglich ist, bestimmte Wissenschaften zu betreiben, ohne daß man Anschluß an die Erkenntnisse auf diesem Gebiete erlangt. Ich denke etwa daran, daß die Astronomie, daß die Astrophysik, daß die Geodäsie ohne Weltraumforschung heute nicht mehr denkbar sind.
Lassen wir aber einmal den rein wissenschaftlichen Aspekt beiseite. Denn es gibt in diesem Zusammenhang auch Fragen, die uns ganz unmittelbar berühren. Das ist die Frage der Zukunft unserer Wirtschaft überhaupt. Die Weltraumfahrt hat einen höchst praktischen Effekt. Er betrifft zunächst einmal die Frage der Technologie. Es ist den Amerikanern und sicherlich auch der Sowjetunion gelungen, Werkstoffe und Treibstoffe zu entwickeln, die in der Lage sind, ganze Wirtschaftszweige zu revolutionieren. Die Metallurgie, die Keramik, die Chemie, die Glasindustrie, die Textilindustrie, die Industrie der Kunststoffe - alle haben in den Vereinigten Staaten von der Weltraumforschung entscheidende neue Impulse bekommen, und ich glaube, daß die Industrienation, die nicht in der Lage ist, diese Erfahrungen zu sammeln, auf die Dauer wirtschaftlich gegenüber fortgeschritteneren Völkern zurückfallen muß.
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Neben der Technologie spielt eine sehr große Rolle die Frage der Nutzsatelliten, die auch für uns von unmittelbarer Bedeutung sind. Hier ist vor allen Dingen das sehr wesentliche Gebiet der Fernmeldesatelliten zu nennen. Es ist heute schon so, daß die Kabelverbindungen über den Ozean für den sehr starken Nachrichtenverkehr zwischen den Kontinenten kaum noch ausreichen. Auf die Dauer wird nur über Fernmeldesatelliten eine befriedigende Nachrichtentechnik aufrechterhalten werden können.
Weiter ist es so, daß auf die Dauer sicherlich Navigationssatelliten dafür sorgen werden, daß die Schiffe nicht mehr mit Sextanten zu arbeiten brauchen und daß eines Tages vielleicht auch für Flugzeuge der Leitstrahl überflüssig werden wird. Navigationssatelliten sind sicherlich eine auch für uns ungewöhnlich wichtige Sache.
Ein drittes Gebiet, das uns alle in der täglichen Praxis sehr stark berührt, ist die Frage, ob nicht eines Tages durch meteorologische Satelliten eine etwas genauere Wettervoraussage möglich sein wird, als sie bis zum heutigen Tage möglich ist. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir treten dem augenblicklichen Stande der meteorologischen Wissenschaft nicht zu nahe, wenn wir uns eine Verbesserung auf diesem Gebiete wünschen. Vor allem braucht sicherlich die langfristige Wetterprognose noch ein etwas solideres Fundament, und das soll mit dem sogenannten Tyros-System, das die ganze Welt beobachtet, möglich sein.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung der Regel-, Meß- und Rechentechnik, die in engem Zusammenhang mit der Weltraumfahrt in den Vereinigten Staaten von Amerika und sicher auch in der Sowjetunion in unerhörtem Maße weiter vervollkommnet worden ist.
Auf die Möglichkeiten für die Biologie, die Physiologie und die Medizin brauche ich hier sicherlich nicht im einzelnen einzugehen.
Lassen Sie mich zum Schluß auf einige Fragen kommen, die uns in bezug auf die Weltraumforschung in Deutschland besonders bewegen. Wir wissen alle, daß früher, in den zwanziger Jahren, einige Namen deutscher Gelehrter auf diesem Gebiet eine ganz besondere Ausstrahlungskraft gehabt haben. Ich brauche Sie nur an Männer zu erinnern wie Max Valier, Professor Oberth oder Wernher von Braun. Wir konnten auf diesem Gebiet bedauerlicherweise erst noch später wieder anfangen als auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Erst zu Beginn der sechziger Jahre war bei uns ein neuer Start möglich. Seit 1962 ist das Ministerium für wissenschaftliche Forschung für diese Gebiete federführend. Ich glaube, man sollte in diesem Hohen Hause einmal dankbar anerkennen, daß der Etat für diesen Titel von 11 Millionen DM auf 228 Millionen DM angehoben werden konnte. In der Bundesrepublik sind zur Zeit schon 3000 Personen in Weltraumforschung und Raumfahrtindustrie beschäftigt. Für einen so jungen Zweig ist das sicherlich eine bedeutsame Zahl.
Die Frage, die wir nun an die Bundesregierung haben, ist die, wie wir uns die weitere Entwicklung auf dem Gebiet der Weltraumforschung, zunächst einmal in der internationalen Zusammenarbeit, vorzustellen haben. Wir haben seit 1962 die ELDO, an der fünf Nationen sowie Australien beteiligt sind. Die Trägerrakete, die die Bundesrepublik Deutschland in der dritten Stufe baut, ist, wie wir hoffen, in einer guten Entwicklung. Wie steht es im übrigen um die Zusammenarbeit in der ELDO?
Wir haben weiterhin die Frage, wie es um die ESRO bestellt ist, die sich in erster Linie der Weltraumforschung mit Hilfe von Höhenraketen und Satelliten widmet. Wir haben im Frühjahr dieses Jahres mit Großbritannien wegen der Finanzierung der Anteile an der ELDO einige Schwierigkeiten gehabt. Diese Schwierigkeiten sind überwunden. Wir würden aber vom Herrn Minister gern hören, wie die Entwicklung dort weitergegangen ist, vor allen Dingen, ob die deutsche Verantwortung in der ELDO und in der ESRO den erhöhten finanziellen Aufwendungen entspricht, die wir für diese beiden Organisationen leisten.
Eine sehr wesentliche Frage betrifft das Internationale Fernmeldesatelliten-Konsortium ({5}) von 1964. In diesem Konsortium werden sicherlich die amerikanischen Erfahrungen eine so große Rolle spielen, daß sich die Frage erhebt, ob es überhaupt sinnvoll ist, daß ein europäischer Beitrag als Konkurrenz dazu auftritt. Wir haben einen sehr großen Rückstand aufzuholen. Wir haben einen engeren Zusammenschluß der in der INTELSAT zusammengefaßten Nationen in der CETS. Wir haben auch hier an den Herrn Minister die Frage, wie er die Möglichkeit eines eigenen europäischen Raumfahrtprogramms beurteilt, ob er es etwa für möglich oder erwünscht hält, daß, wie EUROSPACE es verlangt, ein eigenes, von den Amerikanern möglichst abgesetztes Raumfahrtprogramm in Europa entwickelt werden kann.
Zum Schluß möchte ich die Frage nach der Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit NASA anschneiden. Wir dürfen hier sicher mit Befriedigung auf die Ergebnisse der Reise des Herrn Bundeskanzlers verweisen. Wir dürfen hoffen, daß ein verstärkter Austausch von Wissenschaftlern stattfindet, wobei wir ganz besonders wünschen, daß es sich hier nicht um eine Einbahnstraße handelt, auf der deutsche Gelehrte in die Vereinigten Staaten gehen, ohne daß auch amerikanische Forscher bei uns mit Nutzen lernen können.
Wir haben dann noch die Frage, wie es um das deutsche Programm auf dem Gebiet der Weltraumforschung bestellt ist, welche Möglichkeiten der Herr Minister hier sieht, um zu einer noch besseren Zusammenarbeit, zu einer vielleicht noch größeren Konzentration der Aufgaben in Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft zu kommen. Wir haben ferner die Frage, ob die Organisationen, die wir haben, schon alle optimal arbeiten können.
Ob wir auch ein nationales Weltraumprogramm entwickeln sollten, ist ein Problem, zu dem der Herr Minister sicher gleich Stellung nehmen wird. Wir sind der Auffassung, daß wir, wenn wir diese Frage stellen, solche Aufgaben bei uns durchaus anpacken sollten, daß wir es aber mit der Bildung von Schwerpunkten tun sollten, vor allen Dingen im Hinblick auf eine enge Zusammenarbeit mit den uns befreundeten Nationen.
Meine Damen und Herren, wir haben hier heute ein Gebiet von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes zu behandeln. Darüber sollten wir uns alle klar sein. Es geht nicht nur darum, daß wir Wissenschaft um ihrer selbst willen betreiben. Letztlich geht es bei der Kerntechnik, bei der Weltraumfahrt und bei der Forschung auf beiden Gebieten um unsere Zukunft. Dieses Hohe Haus sollte sich der Verantwortung bewußt sein, die darin liegt, daß wir die Wissenschaft auf allen diesen Gebieten fördern müssen und wollen. Jeder einzelne von uns ist von der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung der Zukunft abhängig. Lassen Sie uns deshalb diese Probleme mit Ernst und auch mit der nötigen Zusammenarbeit behandeln, damit wir eine gute Zukunft erarbeiten - für jeden einzelnen von uns, für unser Land, für Europa, für die Welt.
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Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Glückwunsch für die erste Rede des Kollegen Dr. Schober in diesem Hause beginnen, der die zu dieser wichtigen und schwierigen Materie gestellten Fragen begründet hat.
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Im Februar dieses Jahres hatte das Hohe Haus vor allem die Fragen der allgemeinen Wissenschaftsförderung erörtert. Die Große Anfrage, die ich heute beantworten werde, befaßt sich demgegenüber mit zwei besonderen Bereichen der Wissenschaftspolitik: der Kernenergie und der Weltraumforschung.
Beide sind Ergebnisse wissenschaftlicher Entdekkungen und technischer Entwicklungen aus dem zweiten Drittel dieses Jahrhunderts. Beide beruhen in wichtigen Grundlagen auf der Arbeit deutscher Forscher vor ein bis zwei Generationen und beide verzeichnen heute durch die politischen Hypotheken der Vergangenheit immer noch einen Rückstand der deutschen Entwicklung.
Dieser Rückstand ist eine Tatsache, die wir nicht leicht nehmen sollten. Es handelt sich hier nicht um Gebiete, die nur gleichsam esoterisches Interesse haben, sondern um zentrale Bereiche für Leben und Weltbild von morgen. Kernkraftwerke, Weltraumstationen und Erkundungsflüge zu fernen Planeten gehören nicht mehr in das Gebiet der „science fiction", sondern sind Realitäten unserer Tage. Zusammen mit elektronischen Computern und weltweiten Nachrichtensystemen mit Hilfe künstlicher Erdsatelliten werden sie keine geringere geschichtliche Wirkung haben als die Einführung der Feuerwaffen, die Entdeckung der Seewege nach Amerika und Ostindien und die Entwicklung der Buchdruck-kunst vor fünfhundert Jahren. Anhaltende Rückständigkeit in diesen Bereichen bedeutet daher nicht nur ein wissenschaftliches oder technisches Manko auf Spezialgebieten, sondern eine schwere Hypothek für die politische und wirtschaftliche Zukunft unseres Landes.
Ich brauche auf die Ursachen unseres Defizits in weiten Bereichen von Forschung und Entwicklung hier nicht im einzelnen einzugehen. Sie sind in diesem Hohen Hause schon mehrfach erörtert worden. Die wichtigste von ihnen ist, daß sich im Verlaufe und als Folge des zweiten Weltkrieges nicht nur im politischen und wirtschaftlichen, sondern auch im wissenschaftlichen und technischen Bereich die Schwerpunkte deutlich aus Zentraleuropa heraus auf die großen Siegermächte in West und Ost, auf die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion verlagert haben. Ihnen gegenüber befinden sich heute auch
die übrigen europäischen Länder im Rückstand, einige von ihnen jedoch in einer relativ günstigeren Situation als wir.
Die nüchterne Erkenntnis der Lage ist eine wichtige Voraussetzung für künftige Erfolge. Wir sollten uns daher in diesem Punkt keiner Selbsttäuschung hingeben. Allerdings sollten wir andererseits auch nicht verkennen, daß sich unsere Situation in den vergangenen zehn Jahren entscheidend gebessert hat. In dieser Zeit wurden die Grundlagen eines neuen Anfangs gelegt. Der Weg führt seitdem wieder aufwärts. Die Erfolge, die sich dabei abzeichnen, sind noch begrenzt. Sie geben keinen Anlaß zu Überschwenglichkeit oder gar zu Selbstzufriedenheit. Aber es sind Erfolge. Bund und Länder, Wissenschaft und Wirtschaft haben hieran ihren Anteil. Was wir bisher geleistet haben, war ein Anfang. Große Anstrengungen liegen noch vor uns. Ohne sie hätte nicht nur die deutsche Volkswirtschaft im industriellen Wettbewerb der Zukunft keine Chance mehr, ohne sie wäre auch die deutsche Politik der Zukunft im Innern wie nach außen schließlich zum Mißerfolg verurteilt.
Ich wende mich bei der Beantwortung der ersten beiden Fragen zunächst dem Bereich der Kernenergie zu. Sie kennen die wichtigsten Meilensteine dieser Entwicklung: Um die Jahreswende 1938/39 wurde in Berlin-Dahlem die Kernspaltung entdeckt, Ende 1942 bei Chikago der erste Kernreaktor in Betrieb gesetzt, zweieinhalb Jahre später in der Wüste von Neumexiko die erste atomare Versuchsexplosion ausgelöst. Ende 1952 folgte ihr das erste thermonukleare Waffenexperiment; im Sommer 1954 ging das erste Versuchsatomkraftwerk der Welt in Obninsk, zwei Jahre später das erste größere Kernkraftwerk in Calder Hall in Betrieb; 1963/64 erzielte die Kernkraftnutzung in den Vereinigten Staaten den Durchbruch zur Wirtschaftlichkeit. Inzwischen hat sich dieser Durchbruch beträchtlich erweitert. Allein in den ersten 8 Monaten dieses Jahres wurden von amerikanischen Versorgungsunternehmen unter rein kommerziellen Bedingungen 14 Kernkraftwerksblöcke mit einer elektrischen Gesamtleistung von 12,3 Millionen Kilowatt bestellt und weitere 7 Blöcke mit einer Gesamtleistung von 4,8 Millionen Kilowatt beschlossen; zusammengenommen entspricht die Bilanz von 8 Monaten fast der Zubauleistung in sämtlichen deutschen Kraftwerken während der letzten 8 Jahre.
Die jüngste Entwicklung der Kernkraft ist jedoch nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Die Ausbaupläne für Kernkraftwerke in Großbritannien und Frankreich stehen im Verhältnis den amerikanischen kaum nach. Nachhaltige Bemühungen gibt es in Ländern wie der Schweiz, Spanien, Schweden, Kanada, Japan und Indien.
Die Stromerzeugung der Zukunft wird in steigendem Maße Stromerzeugung aus Kernenergie sein. Mit ihr steht ein neuer Energieträger zur Verfügung, dessen Energiegehalt den aller fossilen Energieträger der Erde um ein Vielfaches übertrifft. Heutige Reaktoren können zwar nur 1 bis 2% dieses Energiegehalts nutzbar machen; mit den Brutreaktoren von morgen wird es jedoch möglich sein, diesen Faktor auf etwa 50 bis 60% zu steigern.
Die Entfesselung der Kernenergie hat, wie wir wissen, die machtpolitischen Verhältnisse im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts radikal verändert. Die Zähmung dieser Energie für friedliche Zwecke erscheint geeignet, die wirtschaftlichen Produktionsverhältnisse im letzten Drittel dieses Jahrhunderts ebenso grundlegend, wenn auch in einem weniger dramatischen Tempo, umzubilden.
Die Energiewirtschaft der Industrieländer beruhte bis zum Vorabend des zweiten Weltkriegs nahezu ausschließlich auf der Kohle. Erdöl und Erdgas wurden in nennenswerten Mengen erst seit den dreißiger Jahren verwendet. Heute decken sie bereits mehr als die Hälfte des westeuropäischen und des nordamerikanischen Energiebedarfs. Künftig wird eine dritte Gruppe von Energieträgern hinzukommen: Die Kernbrenn- und Brutstoffe aus Uran, Thorium und - in einigen Jahren - auch aus Plutonium. Zusammen mit Kohle, Öl, Erdgas und der Wasserkraft werden sie schon im nächsten Jahrzehnt in wachsendem Maße zur Befriedigung des immer noch steigenden Energiebedarfs beitragen.
In der Energiewirtschaft der Zukunft wird der Kernenergie hauptsächlich die Stromerzeugung, daneben aber wohl schon bald auch die Meerwasserentsalzung und der Antrieb großer Schiffe zufallen. Weitere Anwendungsmöglichkeiten, von denen hier schon gesprochen wurde, zeichnen sich in ersten Umrissen ab.
In den Kraftwerken der Bundesrepublik war Ende vergangenen Jahres eine Leistung von insgesamt 40 Millionen Kilowatt installiert. 1970 werden es voraussichtlich 55 Millionen und 1980 zwischen 100 und 110 Millionen Kilowatt sein. Aus heutiger Sicht könnten davon 1975 6 bis 8 Millionen und 1980 25 bis 30 Millionen Kilowatt auf Kernkraftwerke entfallen. Damit würde, wenn diese Erwartung in Erfüllung geht, innerhalb der nächsten 15 Jahre der Beitrag der Kernkraft zur gesamten Energieversorgung der Bundesrepublik auf rund 10% steigen. Bis zum Jahre 2000 könnte sich dieser Anteil auf 35 bis 40 % erhöhen. Trotz dieses steilen Anstiegs verbliebe aber auch im Jahre 2000 der größere Teil des Energiemarktes noch immer den herkömmlichen Energieträgern.
Uran, Thorium und Plutonium werden also Kohle, Öl und Erdgas nicht verdrängen, sondern sie bei der Deckung des rasch wachsenden Energiebedarfs in zunehmendem Umfang ergänzen und die Tendenz zur billigeren Energie bestimmen. Dennoch wird dieser Prozeß nicht ohne Reibungen ablaufen. Sicher wird er gewisse Anpassungsschwierigkeiten mit sich bringen. Aber das ist der Preis jeder wirtschaftlichen Dynamik. Wenn wir die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft in dieser Welt erhalten und steigern wollen, dürfen wir uns dem Wandel nicht entgegenstellen; wir sollten ihn vielmehr fördern und ihm einen Weg bereiten, der zielgerichtet, wenn auch ohne abrupte Zusammenbrüche, zu den Strukturen von morgen führt.
Die Bundesregierung sieht diese Entwicklung. In ihrem Entwurf des Gesetzes zur Sicherung des Steinkohlenabsatzes in der Elekrizitätswirtschaft ist hierauf Rücksicht genommen. In ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats zu diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung ihre Auffassung noch einmal bekräftigt. Das Hohe Haus hat sich mit der Verabschiedung des Gesetzes dem angeschlossen. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag haben aber auch schon vorher den Erfordernissen der Forschung und Technik im Kernenergiebereich in hohem Maße Rechnung getragen.
Innerhalb von zehn Jahren - zwischen 1956 und 1965 - hat der Bund die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der Kernenergie mit 2,3 Milliarden DM gefördert. Mehr als eine Milliarde DM wurde ferner von den Ländern beigetragen. Für das laufende Haushaltsjahr haben der Bund - einschließlich der über Euratom zurückfließenden Mittel - knapp 650 Millionen DM und die Länder 260 Millionen DM für diesen Zweck bereitgestellt. Der Haushaltsentwurf der Regierung für 1967 sieht eine weitere Steigerung der Bundesmittel auf fast 740 Millionen DM vor.
Bis Ende 1966 ergibt sich somit im Kernenergiebereich ein Gesamtbeitrag der öffentlichen Hand in Höhe von 4,3 Milliarden DM. Vier Fünftel dieses Gesamtbetrags wurden für das nationale Programm festgelegt, ein Fünftel für Beiträge zu internationalen Organisationen.
Im nationalen Programm entfallen 2,4 Milliarden DM auf Kernforschungszentren und andere Forschungsinstitute innerhalb und außerhalb der Hochschulen; je eine halbe Milliarde DM waren für die kerntechnische Entwicklung außerhalb der Zentren und wissenschaftlichen Institute und für die Ausbildung, die Weiterbildung, den Strahlenschutz, die Reaktorsicherheit und ähnliche Zwecke bestimmt.
Mit Hilfe dieser Gelder wurden die Forschungseinrichtungen an den Hochschulinstituten und den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft ausgebaut, Kernforschungszentren mit allgemeiner Aufgabenstellung in Karlsruhe und Jülich und mit besonderer Aufgabenstellung in München, Hamburg und Berlin geschaffen, die Entwicklungsarbeiten der Industrie unterstützt und die Einführung der Kernkraft in die Elektrizitätswirtschaft gefördert. Heute stehen im Bundesgebiet 21 Forschungs- und Ausbildungsreaktoren, ein großer sowie mehrere mittlere und kleinere Teilchenbeschleuniger zur Verfügung. Drei Versuchs- und ein Demonstrationskernkraftwerk sind fertiggestellt, drei weitere Versuchs- und zwei weitere Demonstrationskernkraftwerke sind noch in Bau. Die elektrische Gesamtleistung dieser Anlagen, zu deren Verwirklichung die deutsche Industrie und die deutsche Elektrizitätswirtschaft maßgeblich beigetragen haben, erreicht fast eine Million Kilowatt.
Alles dies zusammengenommen bildet die Grundlage unserer weiteren Arbeit. Sie ist breit genug angelegt, um Rückschläge in der einen oder anderen Richtung auffangen zu können. Andererseits wurde sie in den letzten Jahren so weit auf Schwerpunkte konzentriert, daß eine unproduktive Verzettelung unserer Kräfte nicht länger zu befürchten ist.
Es ist wichtig, hierbei im Auge zu halten, daß sämtliche deutschen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Kernenergiebereich ausschließlich auf friedliche Zwecke ausgerichtet sind. Es gibt in Deutschland weder Arbeiten noch Absichten zur Entwicklung oder Herstellung nuklearer Waffen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Lage in Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. Er hat weitreichende Auswirkungen auf die Zielsetzung und die Organisation unserer Arbeiten in der Forschung und ganz besonders auch in der industriellen Entwicklung. Wir haben nicht nur einen politisch bedingten verspäteten, sondern auch einen langsameren Start gehabt. Wir waren aber auch völlig frei in der Wahl der einzuschlagenden Wege. Wir brauchten unsere Arbeiten nicht auf die Entwicklung von Plutoniumfabriken und Urantrennanlagen auszurichten, sondern konnten von vornherein, ohne Überstürzung, aber auch ohne Kompromisse die Ziele verfolgen, die wissenschaftlich, technisch und wirtschaftlich am aussichtsreichsten erschienen. Die Ratschläge und Empfehlungen der Deutschen Atomkommission waren dabei von richtungweisender Bedeutung.
Heute nähert sich die erste Etappe dieses von uns gewählten Weges ihrem Ende. Die deutsche Industrie ist in der Lage, Kernkraftwerke mit bewährten Druck- und Siedewasserreaktoren anzubieten, die auf dem europäischen Markt nicht nur gegenüber herkömmlichen Kohle- und Ölkraftwerken, sondern auch gegenüber den Kernkraftwerken der französischen, britischen und nordamerikanischen Hersteller konkurrenzfähig sind. Erste Aufträge unter rein kommerziellen Bedingungen dürften innerhalb der nächsten zwölf Monate erteilt werden. Die staatliche Förderung dieses Bereichs kann deshalb im wesentlichen auslaufen. Drei Ausnahmen hiervon sind jedoch noch erforderlich: Einmal sollten 'die ersten Exportbemühungen unserer Industrie noch weiter unterstützt werden, um ihr dabei die gleichen Chancen wie ihren staatlich geförderten Konkurrenten aus anderen Ländern zu verschaffen. Zum anderen muß auch die Förderung von Arbeiten und Bemühungen, die sich auf die Beschaffung und den Kreislauf der Kernbrennstoffe beziehen, vorerst noch fortgesetzt werden, wobei vor allem die Suche nach Uran im In- und Ausland - auch nach den bekannten Schwierigkeiten, die dieses Hohe Haus so oft beschäftigt haben - zu verstärken ist. Drittens werden Untersuchungen zur Überwachung und Verbesserung der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes auch künftig bevorzugt zu fördern sein. Darüber hinaus wird schließlich noch eine weitere Frage sorgfältige Beobachtung finden, die Frage nämlich, ob die organisatorische Struktur der deutschen Elektrizitätswirtschaft es erlauben wird, die besonderen technischen und wirtschaftlichen Vorteile großer Kernkraftwerksblöcke voll zu nutzen.
Die weiteren Pläne der Bundesregierung zur Förderung der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie konzentrieren sich auf mittel- und langfristige
Vorhaben. Im mittelfristigen Programm fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Reaktoren, Reaktorkomponenten und Brennstoffelementen für fortschrittliche Anlagen. Sie unterscheiden sich von den bisherigen im wesentlichen durch bessere Brennstoffausnutzung, größere Leistungsdichten, höhere Dampftemperaturen und damit auch - wie wir hoffen - günstigere wirtschaftliche Aussichten.
Vier Entwicklungslinien werden hier zur Zeit verfolgt; zwei davon bilden mit dem Heißdampfreaktor und der kompakten natriumgekühlten Kernreaktoranlage zugleich eine Brücke zu den wichtigsten Projekten des langfristigen Programms. Die beiden anderen - die Schwerwasserlinie und die GasGraphit-Hochtemperaturlinie - eröffnen die Möglichkeit, auch Thorium-Brennstoff zu nutzen, - eine Aussicht, mit der man sich besonders in der Kernforschungsanlage Jülich beschäftigt. Als Sonderentwicklung gehört außerdem der Bau eines Schiffsreaktors für die „Otto Hahn" hierher, die voraussichtlich 1968 in Dienst gestellt werden kann.
Die Kosten des mittelfristigen Programms liegen bei 800 Millionen DM. Der weit überwiegende Teil davon entfällt auf den Bund. Für die Mehrzahl der Vorhaben sind Festpreisverträge abgeschlossen. Die Bauaufsicht und die spätere Betriebsführung der Versuchsanlagen liegt bei erfahrenen Energieversorgungsunternehmungen. Der Übergang vom technischen Versuch zur wirtschaftlichen Nutzung dürfte auf diese Weise wesentlich erleichtert werden.
Die Reaktoren, von denen bisher die Rede war, berechtigen zu großen Hoffnungen, aber sie sind doch nur ein erster Schritt. Sie werden die Kernenergiewirtschaft der nächsten zwei, drei Jahrzehnte bestimmen. Dann wird die Zeit den Brutreaktoren gehören, die heute Gegenstand von Studien und Baubeschlüssen für Prototypen sind. Diese Reaktoren erzeugen mehr spaltbare Stoffe, als sie gleichzeitig verbrauchen, und werden damit das Gespenst einer Verknappung der Energievorräte für sehr lange Zeit vertreiben. Die deutschen Arbeiten konzentrieren sich in diesem langfristigen Programm derzeit auf die Projektierung von zwei Varianten eines Brutreaktors mit schnellen Neutronen, je einer Heißdampf- und Natriumlinie. Die grundlegenden Vorarbeiten dafür wurden im Rahmen eines Assoziationsvertrages mit Euratom im Kernforschungszentrum Karlsruhe geleistet.
Künftig wird sich auch die Industrie an dieser Entwicklung mehr und mehr beteiligen. Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit Holland und Belgien sind im Gange. Eine Entscheidung, meine Damen und Herren, über die Verwirklichung der jetzt zu projektierenden Prototypen wird voraussichtlich 1969 zu fällen sein. Wir müssen das Votum der verantwortlichen Wissenschaftler abwarten und können uns bei der Bedeutung dieses Vorhabens nicht auf Teilergebnisse und vorläufige Annahmen verlassen. Die Kosten, die bis dahin für die Projektierungsarbeiten noch entstehen, liegen bei 100 Millionen DM. Die weiteren Entwicklungs- und Baukosten für Versuchsanlagen und Prototypen bis zur kommerziellen Reife der Brutreaktoren gegen Ende der siebziger Jahre werden für Staat und Wirtschaft gemeinsam etwa das Zehnfache davon betragen. Dennoch werden sie nur einen Bruchteil der Summen ausmachen, die gleichzeitig von der Wirtschaft für den Bau von Kernkraftwerken mit den heute erprobten Reaktoren investiert werden müssen. Im übrigen kann man erwarten daß die volkswirtschaftlichen Einsparungen aus der anschließenden Verwendung von Brutreaktoren ihre Entwicklungskosten schon bis zur Jahrhundertwende bei weitem aufwiegen.
Ich habe Ihnen damit einen Überblick über die Grundzüge unserer Planung zur weiteren Förderung des Reaktorbaues und der übrigen kerntechnischen Entwicklung gegeben. Diese Planung verfolgt ein hochgestecktes Ziel. Gleichwohl überschreitet sie an keiner Stelle die wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten unseres Landes und seiner Partner. Ich bin zuversichtlich, daß die Verwirklichung dieses Planes uns und ihnen zum Vorteil gereichen wird.
Die Förderung der kerntechnischen Entwicklung ist jedoch nur eine der Aufgaben, die wir lösen müssen. Die Förderung der Kernforschung ist eine nicht minder wichtige, auf lange Sicht sogar wichtigere, zweite. Die fundamentale Bedeutung der Forschung für unser gesamtes privates und öffentliches Leben in einer hochindustrialisierten Welt wird in Zukunft mit Sicherheit noch wesentlich deutlicher hervortreten als schon in der Gegenwart. Vor allem seit dem zweiten Weltkrieg hat sich die Zunahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse außerordentlich beschleunigt. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Fortschritte der atomaren und subatomaren Physik. Chemie, Biologie, Astronomie, Geologie und viele andere Wissenschaften haben daraus wichtige Impulse empfangen. Gleichzeitig hat sich die Physik selbst ständig weiter verzweigt. Heute unterscheiden wir neben der klassischen Physik die Atomphysik im engeren Sinne, die Kern-und Niederenergiephysik, die Elementarteilchenoder Hochenergiephysik, die Plasma- und Fusionsphysik und schließlich die Festkörperphysik.
Keines dieser Gebiet darf heute völlig vernachlässigt werden. Andererseits können aber auch nicht alle in all ihren Einzelbereichen auf dem gleichen hohen Stand gehalten werden. Die Bildung von Schwerpunkten der Förderung ist deshalb eine ebenso notwendige wie schwierige Aufgabe. Das Problem, meine Damen und Herren, das uns hier begegnet, hat weniger Gewicht dort, wo die Forschung im wesentlichen aus Nachdenken besteht und als Hilfsmittel höchstens einer guten Bibliothek bedarf. Experimentelle Physik von heute ist nicht von dieser Art. Sie erfordert zunehmend größere und aufwendigere Geräte. Ein anschauliches Beispiel dafür gibt die Hochenergiephysik, für die schon in naher Zukunft Beschleuniger für nötig gehalten werden, deren Investitionskosten die Milliardengrenze überschreiten und für deren Betrieb jährlich mehrere hundert Millionen DM gebraucht würden. Es gibt zahlreiche und gute Gründe für die Annahme, daß dies eine sehr nützliche wissenschaftliche Investition wäre; dennoch 'bleibt die
Frage offen, ob nicht vielleicht andere wissenschaftliche Investitionen derselben Größenordnung einen noch sehr viel höheren Wert für die Menschheit haben. An der Grenze unseres Wissens, an der wirkliche Forschung ihren Platz hat, gibt es nur bedingt guten Rat und höhere Einsicht und damit wirklich sichere Planung.
Ich habe diese kritischen Anmerkungen hier mit Absicht in den Vordergrund gerückt. Es wäre jedoch ein Mißverständnis, darin eine Absage an jegliche Forschungsplanung zu sehen. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, daß ohne wesentliche Verbesserung unserer Forschungsplanung die vor uns liegenden Aufgaben überhaupt nicht bewältigt werden können. Nur ein sehr überlegtes, zielgerichtetes Vorgehen bietet die Gewähr, daß wir unsere knappen materiellen und vor allem auch personellen Ressourcen in der bestmöglichen Weise nutzen. Forschungsplanung kann sich dabei nicht nur auf die Planung der Forschungsfinanzierung beschränken, sondern sie muß auch die zahlreichen übrigen materiellen, organisatorischen und administrativen Voraussetzungen guter wissenschaftlicher Arbeit in ihren Aufgabenkreis einbeziehen.
Überlegungen dieser Art sind besonders wichtig dort, wo die Forschungstätigkeit von sich aus den herkömmlichen Rahmen sprengt und Formen annimmt, die der industriellen Tätigkeit verwandt sind. Ich spreche hier von der sogenannten Großforschung, für die die Hochenergiephysik und Plasmaphysik gute Beispiele bieten, und von der Projektforschung, in der große Arbeitsgruppen mit Forschern verschiedener Fachrichtungen zielorientiert zusammenarbeiten, wie es etwa bei den Schnellbrüteruntersuchungen in Karlsruhe der Fall war. Hier kündigen sich neue Formen an, die neben die klassischen treten, wie wir sie aus den Hochschulen und den Max-Planck-Instituten kennen.
An der Finanzierung der Grundlagenforschung sind heute sowohl Bund wie Länder beteiligt. Ein wesentlicher Teil dieser Mittel wird über die Haushalte der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft geleitet. Im übrigen obliegt es in erster Linie den Ländern, die Grundlagenforschung an den Hochschulen zu finanzieren, während sich der Bund hauptsächlich der Finanzierung der Großforschung widmet. Eine enge Zusammenarbeit mit den Kultusministerien der Länder, dem Wissenschaftsrat und den Selbstverwaltungsorganisationen der deutschen Wissenschaft garantiert ein hohes Maß an Koordinierung. Gleichwohl ist abzusehen, daß hier ein endgültiger Modus noch nicht gefunden wurde. In jüngster Zeit haben besonders die Empfehlungen der Finanzkommission Anlaß zu einer Überprüfung der bisherigen Aufgabenstellung gegeben. Dabei zeichnet sich auch in den Äußerungen der Länder die Tendenz ab, die institutionelle und finanzielle Verantwortung des Bundes in der sogenannten Großforschung weiter zu verstärken. Es läßt sich absehen, daß für den Bund die Schwerpunkte seiner Förderungstätigkeit für die physikalische Grundlagenforschung auch künftig in der Hochenergiephysik, in der Plasmaphysik und in der Festkörperphysik liegen werden. Den größten
Aufwand unter den Schwerpunktprogrammen wird, wie ich schon sagte, die Hochenergiephysik erfordern. Hier gilt es, nicht nur die vorhandenen Anlagen, vor allem das Deutsche Elektronen-Synchrotron in Hamburg und die CERN-Einrichtungen in Genf in der bestmöglichen Weise zu nutzen, sondern es kommt ebenso darauf an, den weiteren Ausbau dieser Einrichtungen und den Bau neuer leistungsfähiger Anlagen rechtzeitig vorzubereiten.
Wir werden, meine Damen und Herren, im Rahmen von CERN, aber auch in zweiseitigen deutschfranzösischen Gesprächen die Möglichkeiten einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit und neuer Projekte in der Hochenergiephysik prüfen. Internationale Institutionen können wir aber nur nutzen, wenn wir zugleich in Deutschland bestimmte Schwerpunkte für Forschung und Lehre ausbauen. In der Plasmaphysik bestehen leistungsfähige Institute in Garching, München und Jülich. Auch sie bedürfen in den kommenden Jahren einer verstärkten Unterstützung. In der Festkörperphysik konzentrieren sich die Unterstützungsmaßnahmen des Bundes auf Untersuchungen mit Hilfe der Neutronenstrahlung. Hierfür ist bekanntlich beabsichtigt, in Grenoble einen deutsch-französischen Höchstflußreaktor zu errichten, dessen Bau in Kürze beginnen dürfte.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle eine allgemeine Bemerkung zur internationalen Zusammenarbeit in der Wissenschaft einflechten und dann im einzelnen auf die Themen der dritten und vierten Frage eingehen.
Wissenschaftlicher Austausch und wissenschaftliche Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinweg wird heute mit Recht begrüßt und gefördert. Zahlreiche Kongresse und viele Organisationen widmen sich ausschließlich dieser Aufgabe.
Die Wissenschaft, zumindest die neuzeitliche Naturwissenschaft, war von ihren Ursprüngen an international, und zwar aus geschichtlichen und sachlichen Gründen: geschichtlich, weil sie in der Tradition der mittelalterlichen, also der vorneuzeitlichen und damit auch der vornationalen Wissenschaft stand; sachlich wegen ihrer auf das wiederholbare Experiment gestützten, auf Allgemeingültigkeit der Erkenntnis zielenden Methode.
Über eines muß man sich jedoch dm klaren sein: Die Tatsache, daß ein wissenschaftliches Vorhaben institutionell internationalen Charakter hat, besagt über seinen sachlichen Wert noch gar nichts. Es wäre also falsch, in der Wissenschaft um jeden Preis oder in jedem Fall eine internationale Zusammenarbeit anzustreben, vielmehr sollten hier die jeweiligen sachlichen Erfordernisse der einzelnen Vorhaben stets den Ausschlag geben. Tatsächlich zeigt sich heute, daß es eine wachsende Anzahl großer wissenschaftlicher Vorhaben gibt, die eine bilaterale oder multilaterale Zusammenarbeit zwingend verlangen, weil sie die Möglichkeiten des einzelnen Landes - und ich denke dabei vor allem an unsere europäischen Länder - überschreiten. Bei vielen anderen Projekten ist eine internationale Zusammenarbeit zwar offensichtlich nicht vonnöten, aber
doch wünschenswert, weil sie jedem Beteiligten einleuchtende Vorteile verspricht. Drittens gibt es manche Projekte, die erst durch ihre Internationalisierung soviel Gewicht erhalten, daß man bereit war, sie zu fördern, obgleich sie sowohl dem wissenschaftlichen Wert wie auch dem Umfang nach ebensogut im nationalen Programm einen Platz hätten finden können. Schließlich aber kennen wir auch heute noch sehr viele wissenschaftliche Projekte - und auch unter ihnen befinden sich sehr bedeutende -, bei denen eine Internationalisierung unnütz, vielleicht sogar schädlich sein würde.
Es wird daher immer von neuem kritisch zu prüfen sein, wo die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit künftig verstärkt, wo sie im bisherigen Ausmaß fortgesetzt und wo sie eingeschränkt werden sollte. Es versteht sich von selbst, daß dabei nicht nur die rein wissenschaftlichen, sondern alle Aspekte des Problems betrachtet werden müssen, - auch die politischen.
Im Bereich der Kernforschung gibt zur Zeit die Entwicklung innerhalb der Europäischen Atomgemeinschaft eine besondere Gelegenheit zu solcher Überprüfung. Bereits vor eineinhalb Jahren, am 8. April 1965, haben die Mitgliedstaaten den Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rats und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften unterzeichnet und damit einen ersten Schritt zu ihrer Verschmelzung getan. Bekanntlich ist das Abkommen bis heute nicht in Kraft getreten. Seit der Formulierung des Gründungsvertrags der Europäischen Atomgemeinschaft im Herbst 1957 haben sich die wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in diesem Bereich wesentlich geändert. Wichtige Ziele der Vereinbarung wurden erreicht oder rückten zumindest in greifbare Nähe.
Die Europäische Atomgemeinschaft hat sich hierbei große Verdienste erworben. Mit ihrer Hilfe wurden viele Hemmnisse für die Einführung der Kernkraft in Europa beseitigt, wichtige Voraussetzungen für einen gemeinsamen europäischen Kernenergiemarkt geschaffen, ein funktionsfähiges System der Sicherheitskontrolle eingeführt, bedeutsame europäische Forschungsvorhaben eingeleitet, die Abstimmung der nationalen Programme verbessert und der Kenntnisaustausch erleichtert. Allerdings haben sich für ihre Wirksamkeit gegenüber den ersten Plänen auch gewisse Grenzen ergeben. Die nationalen Kräfte in den Mitgliedstaaten waren zu stark, und zudem war wohl auch die wissenschaftliche und technische Entwicklung schon zu weit fortgeschritten. Bei ihrer künftigen Arbeit wird die Europäische Atomgemeinschaft diesen Fragen Rechnung tragen müssen. Für die technische Entwicklung und wirtschaftliche Nutzung der Kernkraft sollte sie dabei ebenso wie die nationalen Atombehörden mithelfen, daß die neue Energiequelle möglichst rasch und weitgehend ihren Sonderstatus verliert und zu einem normalen Bestandteil unserer Wirtschaftswirklichkeit in einem weltoffenen europäischen Markt wird. Damit würde sie der Zielsetzung des Euratom-Vertrags gerecht.
Im Bereich der Kernforschung hat sich die Europäische Atomgemeinschaft in der jüngsten Vergangenheit mit Erfolg darum bemüht, ihre Maßnahmen auf einige wichtige Projekte zu konzentrieren. Ich glaube, daß es zum Vorteil der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten wäre, wenn diese Bemühungen von der Euratom-Kommission auch in einem neuen Mehrjahresprogramm, das wir wünschen, zielstrebig fortgesetzt werden. Als Beispiel nenne ich die Euratom-Beteiligung an den Arbeiten zur kontrollierten Kernfusion, an den grundlegenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für schnelle Brutreaktoren und an der Schiffsreaktorentwicklung. Die Europäische Atomgemeinschaft wird ferner dem Forschungszentrum Ispra neue Aufgaben stellen müssen, und zwar unabhängig davon, ob das dort entwickelte Reaktorkonzept ORGEL mit Hilfe der europäischen Industrie und der europäischen Elektrizitätswirtschaft weitergeführt wird oder nicht. Ohne dem Vorschlagsrecht der Kommission vorzugreifen, würden wir es begrüßen, wenn in Ispra künftig die Grundlagenforschung verstärkt wird. Wir halten es ferner für wünschenswert, den organisatorischen Status der Forschungszentren zu überprüfen.
Eine Frage der Zukunft ist es, ob, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung die gemeinsame Kommission der europäischen Gemeinschaften sich über das Gebiet der Kernenergie hinaus auch mit anderen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben befassen sollte. Die Gemeinschaftsverträge enthalten hierfür bisher keine Rechtsgrundlage. Es spricht einiges dafür, daß eine solche Ausweitung der Aufgaben im Zuge der Verschmelzung der Gemeinschaften 'die rasche Weiterentwicklung der europäischen Forschung begünstigen und ihren Wirkungsgrad erhöhen könnte. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß die Erfahrung aus der Euratom-Arbeit dabei genutzt, der Vielfalt der Erscheinungen Raum gelassen und die Freiheit wissenschaftlicher Betätigung gewahrt wird. Voraussetzung ist ferner, daß die Bestrebungen einer solchen europäischen Organisation sorgfältig die Arbeit anderer internationaler Wissenschaftsorganisationen berücksichtigen und Perfektionismus und Doppelarbeit vermieden werden. Andere Organisationen, die z. B. in der Weltraumforschung über den Kreis der Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaften hinausgreifen, dürfen in ihrer Wirksamkeit nicht beeinträchtigt werden.
In der Weltraumforschung, meine Damen und Herren, der ich mich nun zuwenden möchte, befinden wir uns noch in einem verhältnismäßig frühen Stadium der Entwicklung. Gerade weil das Ungleichgewicht zwischen den führenden Weltmächten und den Ländern Europas hier auch heute noch wesentlich ausgeprägter ist, als es in der Kernenergie jemals war, ist internationale Zusammenarbeit hier noch dringlicher als im Bereich der Kernforschung. Das liegt nicht nur an der Begrenztheit der nationalen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten im Verhältnis zur Größe und Aufwendigkeit der Projekte, sondern auch an der Enge der geographischen Verhältnisse jedes einzelnen Landes, gemessen am weltweiten Ausmaß des Forschungsgegenstandes.
Die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit auf dem Weltraumgebiet hat sich zunächst in Europa hauptsächlich in den Organisationen ESRO, ELDO und CETS entwickelt.
Das Anfangsprogramm der ELDO, das die Entwicklung und den Bau einer europäischen Raumfahrzeugträgerrakete zum Ziel hat, verzeichnet technisch eine befriedigende Entwicklung. Unvorhergesehene Kostensteigerungen haben die Organisation Anfang dieses Jahres jedoch einer ernsten politischen Belastungsprobe ausgesetzt, als Großbritannien seine weitere Mitarbeit am ELDO-Programm in Frage stellte. Die dadurch ausgelöste Krise ist inzwischen erfreulicherweise überwunden; ein geplantes Zukunftsprogramm zur Entwicklung hochenergetischer Antriebssysteme konnte jedoch unter diesen Umständen bisher nicht beschlossen und eingeleitet werden. Man hat sich zunächst auf die Vereinbarung eines Anschlußprogramms zur Leistungssteigerung der ersten ELDO-Rakete beschränkt, das durch eine Apogäums- und Perigäumsstufe ermöglichen wird, auch geostationäre Satelliten zu starten.
Die Europäische Weltraumforschungsorganisation ({1}) hat inzwischen in ihrem ersten wissenschaftlichen Achtjahresprogramm für die Zeit von 1964 bis 1971 bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Ein großer Teil ihrer wissenschaftlich-technischen Einrichtungen wird in naher Zukunft in Betrieb genommen sein. Da es eine ausreichende europäische Trägerkapazität bisher nicht gibt, ist die ESRO für den Start ihrer Forschungssatelliten vorerst noch auf die Hilfe der amerikanischen Weltraumbehörde angewiesen. Die Zusammenarbeit zwischen der ESRO und ihr hat sich günstig entwickelt.
Die Europäische Konferenz für Fernmeldeverbindungen durch Satelliten hat eine speziellere Aufgabe. Ihr Zweck ist zunächst, die Interessen der europäischen Partner des Internationalen Fernmeldesatelliten-Konsortiums ({2}) zu koordinieren. Daneben hat CETS ein eigenes Programm für die Entwicklung eines experimentellen Fernmeldesatelliten und für vorbereitende Studien über Fernseh-, Navigations- und Wettersatelliten ausgearbeitet. Die Bundesregierung hofft, daß über die Verwirklichung des Projekts eines europäischen Fernmeldeversuchssatelliten sehr bald entschieden werden kann. Sie erwartet davon eine weitgehende Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und eine wichtige Verstärkung der europäischen Position bei den 1969 beginnenden Verhandlungen über die endgültige Form der Errichtung eines weltweiten kommerziellen Satellitenfernmeldesystems. Die Bundesregierung glaubt ferner, daß künstliche Erdsatelliten in Zukunft für alle Arten der Nachrichtenübermittlung eine so große Bedeutung erlangen werden, daß es nicht zu verantworten wäre, sich an den hierfür erforderlichen Entwicklungsarbeiten nicht zu beteiligen.
Trotz dieser im großen und ganzen recht günstigen Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit in den einzelnen genannten europäischen Organisationen müssen jedoch ihre Programme künftig noch stärker als bisher aufeinander abgestimmt werden. Die in dieser Richtung bestehenden Ansätze sind von der Bundesregierung nachdrücklich unterstützt worden. Die an sich erstrebenswerte Fusion der Organisationen wirft gewisse Probleme auf, weil ihre Mitgliedstaaten nicht völlig identisch sind. Eine wesentliche Initiative in diese Richtung wurde von der ELDO-Ministerkonferenz im Juli dieses Jahres ergriffen. Wir hoffen, daß sie bald zu sichtbaren Ergebnissen führt.
Positiv haben sich auch die bilateralen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik in der Weltraumforschung entwickelt. Einen besonderen Impuls haben sie durch die beiden letzten Begegnungen zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten in Washington erhalten, in denen die Möglichkeiten für eine verstärkte europäisch-amerikanische Kooperation und für eine Verbesserung der deutschamerikanischen Zusammenarbeit in diesem Bereich erörtert wurden. Das Projekt eines deutschen Forschungssatelliten, der 1968 mit Hilfe einer amerikanischen Trägerrakete gestartet werden soll, macht gute Fortschritte; weitere Vorhaben sind begonnen oder in Aussicht genommen. Die Zusammenarbeit mit den USA eröffnet der Bundesrepublik außerdem sehr wertvolle Anregungen in Fragen des Managements und der Anwendung von Erkenntnissen der Weltraumforschung auf andere Bereiche der Wissenschaft und Wirtschaft. Die Bundesregierung hält eine multilaterale Kooperation zwischen den europäischen Organisationen ELDO und ESRO und den Vereinigten Staaten von Amerika bei großen Vorhaben für wünschenswert. Die NASA hat hierzu in jüngster Zeit einige interessante Vorschläge gemacht.
Diese sich abzeichnende weitere Verstärkung der internationalen Beziehungen bringt jedoch nicht nur neue Impulse für die deutsche Weltraumforschung; sie zwingt auch zur verstärkten Ausrichtung der nationalen Bemühungen auf solche Projekte, die in die geplanten internationalen Vorhaben einmünden. Im Hinblick darauf bekommt die in Punkt 5 aufgeworfene Frage nach der Zusammenfassung und organisatorischen Konzentration der vorhandenen nationalen Forschungs- und Entwicklungskapazität besonderes Gewicht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die derzeitigen Organisationsformen in Wissenschaft und Technik den Anforderungen der technisch orientierten Großforschung besonders bei der Weltraumforschung noch nicht voll gerecht werden. Ihren Einwirkungsmöglichkeiten sind jedoch Grenzen gesetzt. Viele der Einrichtungen, vor allem solche der extraterrestrischen Forschung, unterstehen den Ländern. Die Zusammenarbeit mit ihnen verlief bisher im großen und ganzen zufriedenstellend. Eine gewisse Koordination wird nicht selten durch die jeweilige Aufgabenstellung erzwungen, z. B. wenn beim ersten deutschen Forschungssatelliten mehrere Instrumente verschiedener Institute in einem einzigen Satelliten unterzubringen sind. Die Bundesregierung hält in diesem Bereich eine wesentliche Änderung des bisher bestehenden Zustandes zur Zeit nicht für angezeigt.
Die Verhältnisse liegen anders bei den Einrichtungen, die sich hauptsächlich mit Aufgaben der Raumflugforschung befassen. Hier handelt es sich vor allem um die in der Deutschen Gesellschaft für Flugwissenschaften zusammengeschlossenen hochschulfreien Anstalten der Flugforschung, und zwar im einzelnen um die Deutsche Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt und die Aerodynamische Versuchsanstalt Göttingen. Diese Anstalten werden fast ausschließlich aus öffentlichen Mitteln mehrerer Bundesministerien und verschiedener Länder unterhalten. Sie verfügen über große Versuchs- und Forschungsanlagen, die auch für die Entwicklungsarbeiten der Industrie zur Verfügung stehen. Weitere solche Anlagen sollen, wie das bereits für die Erprobung der dritten Stufe der ELDO-Rakete und des ersten Forschungssatelliten geschehen ist, künftig zentral errichtet und voraussichtlich von der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft betrieben werden. Übereinstimmend mit der Auffassung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages strebt die Bundesregierung gemeinsam mit den beteiligten Länderregierungen in der Raumflugforschung eine weitere Vereinheitlichung und organisatorische Konzentration an. Die drei Anstalten arbeiten zur Zeit selbst an Vorschlägen, sich in einer Gesellschaft enger zu verbinden und durch eine einheitlichere wissenschaftliche Leitung ihre Leistungsfähigkeit weiter zu heben.
Eine weitergehende Konzentration ist auch im industriellen Bereich wünschenswert. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten ist die Bundesregierung bemüht, dies zu fördern. Die Kräfte des Wettbewerbs wirken in derselben Richtung, erfreuliche Teilerfolge konnten bereits erzielt werden. Nach Auffassung der Bundesregierung reichen sie allerdings bisher nicht aus, diesen Industriezweig zur optimalen Erfüllung seiner künftigen Aufgaben zu befähigen. Ein Blick über die Grenzen zeigt sehr deutlich, wohin schließlich auch bei uns die Entwicklung gehen muß und - wie ich zuversichtlich hoffe - in naher Zukunft auch gehen wird.
Ich komme damit zur letzten Frage, die sich mit den Absichten der Bundesregierung zur künftigen Förderung der nationalen Weltraumforschung befaßt. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Weltraumforschung in Deutschland noch am Anfang steht und daß die bisherigen Förderungsprogramme hauptsächlich darauf abzielten, die Voraussetzungen künftiger Arbeit zu schaffen. In dieser Periode konnten ausgesprochene Schwerpunktprogramme im allgemeinen noch nicht in Angriff genommen werden. Die Förderung beschränkte sich vielmehr auf Studien für künftige Schwerpunkte bei gleichzeitiger Orientierung auf die sich kräftig anbahnende internationale Zusammenarbeit. Es galt dabei, die verfügbaren Kräfte zu mobilisieren und diejenigen Bereiche der deutschen Wissenschaft und Technik für eine Mitarbeit zu interessieren, die möglichst bald sinnvolle deutsche Beiträge zur Erforschung des Weltraums und den internationalen Vorhaben liefern konnten. Mit der Konkretisierung der internationalen Programme stellte sich auch eine weitgehende Schwerpunktorientierung der Förderung im nationalen Bereich zunehmend ein. Gegenwärtig werden mittelfristige Pläne zur Förderung der Weltraumforschung in den Jahren 1967 bis 1971 ausgearbeitet. Sie stützen sich in wichtigen Punkten auf das im Mai 1965 veröffentlichte „Memorandum Weltraumforschung" der Deutschen Kommission für Weltraumforschung. Diese Arbeiten werden voraussichtlich gegen Ende dieses Jahres zu einem Ergebnis führen. Ihr Ziel ist es, die Prioritäten der künftigen Förderung festzulegen, die Schwerpunkte der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu bestimmen, ihre voraussichtlichen Kosten, ihre Zeit und ihren Personalbedarf abzuschätzen und so die Grundlage für eine künftige zielgerichtete Arbeit zu schaffen. Die beratende Tätigkeit ,der Deutschen Kommission für Weltraumforschung ist auch in diesem Zusammenhang von besonders großem Wert.
Die genannten Bedingungen in der Weltraumforschung machen es erforderlich, das mittelfristige nationale Programm in besonders hohem Maße auf die internationalen Vorhaben abzustimmen. Große und sehr aufwendige Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden grundsätzlich in bilateraler oder multilateraler internationaler Zusammenarbeit geplant und durchgeführt. Studien, Vorentwicklungsarbeiten und auch die Vorbereitung wissenschaftlicher Experimente müssen so ausgewählt werden, daß sie die deutsche Position in der internationalen Zusammenarbeit festigen. Die Erfahrung hat im Kernenergiebereich jedoch gezeigt - und Erfahrungen aus anderen Forschungsgebieten bestätigen es -, daß der größtmögliche Ertrag weder aus einseitig internationaler noch aus ausschließlich nationaler Orientierung der eigenen Anstrengungen zu erwarten ist. Zwischen beiden muß vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis bestehen, das noch Raum läßt für jene fruchtbare Spannung des Widerstreits, die die Voraussetzung des Erfolgs ist. Die Anfangsjahre brachten überdurchschnittliche Verpflichtungen für die internationalen Programme. Mit dem Ansteigen der Mittel für die Weltraumforschung insgesamt ergibt sich 1966 und voraussichtlich auch 1967 eine prozentuale Steigerung des Anteils für das nationale Programm in Forschung und Entwicklung.
Ich fasse zusammen. Wir leben in einer Zeit, in der der Fortschritt der Wissenschaften ein revolutionäres Tempo angenommen hat. Darauf gestützt bahnt sich eine neue Etappe der industriellen Revolution an. In dieser Entwicklung zeichnen sich drei deutliche Schwerpunkte ab: die Erforschung und Nutzung der Kernenergie, die Erkundung und Erschließung des Weltraums und die Verarbeitung und Übertragung von Informationen. In allen drei Bereichen haben in den letzten zwanzig Jahren nachhaltige Eingriffe der Staaten den Gang der Ereignisse wesentlich beeinflußt. Auf sie geht die ungeheure, vielfach besorgniserregende wissenschaftliche und technische Überlegenheit der Weltmächte in hohem Maße zurück, die sich heute bereits auf wichtigen Märkten in kommerzielle Dominanz umgesetzt hat. Da die Großmächte gleichzeitig in ihrer Förderung der Grundlagenforschung nicht nachlassen, sondern sie im Gegenteil sogar ständig weiter verstärken, zeichnet sich ein grundlegender Umschlag dieser
Entwicklung zunächst nicht ab. Die europäischen Länder, die Träger der ersten industriellen Revolution waren, sind in der zweiten in manchen Bereichen in eine periphere Rolle gedrängt worden. Immerhin haben diese Länder inzwischen ebenfalls begonnen, ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen außerordentlich zu verstärken und die Zusammenarbeit untereinander, aber auch mit den USA zu verbessern. Die Zeit ist zu kurz, um über diese Bemühungen bereits abschließend urteilen zu können. Als sicher kann jedoch schon heute gelten, daß das bisher Geleistete in Zukunft noch vielfach übertroffen werden muß, wenn die europäischen Länder den Anschluß an die Entwicklung in den Vereinigten Staaten und auch der Sowjetunion gewinnen und aufrechterhalten wollen.
Die Bundesrepublik ist aus den bekannten politischen Gründen in diesen Wettlauf besonders spät eingetreten. Dennoch ist es ihr im Zusammenwirken von Wissenschaft, Wirtschaft und Staat gelungen, einen großen Teil des Rückstands gegenüber ihren europäischen Partnern aufzuholen. Es ist im einzelnen deutlich geworden, wie sehr ein gutes Verhältnis zu diesen Ländern und den Vereinigten Staaten hierzu beigetragen hat. Neben den Fragen der Finanzierung und der richtigen Organisation der Forschung gewinnt das Problem der Menschen, der Gewinnung qualifizierter Kräfte wachsende Bedeutung. Die Bundesregierung wird hierüber und über die Fragen der Besoldung gesondert berichten.
Die Lage der Kernforschung und der Kerntechnik in der Bundesrepublik berechtigt zu einem gewissen Optimismus. Die Situation der Weltraumforschung, bei der wir später begannen, ist relativ schwieriger. Dies gilt in noch stärkerem Maß für den Stand von Wissenschaft und Technik der Informationsverarbeitung. Die Bundesregierung bemüht sich, auch hier die Forschung und Entwicklung zu fördern, Schwerpunkte zu bilden und zumindest mittelfristig klare Zielvorstellungen zu entwickeln. Sie ist dabei bestrebt, ein gesundes Verhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation im nationalen wie im internationalen Bereich zu erlangen und zu erhalten. Ich weiß, daß dies von uns allen in Zukunft noch viel nüchterne Analysen, harte Entscheidungen, große Anstrengungen und auch Opfer erfordern wird. Sachliche und finanzpolitische Prioritätsentscheidungen sind nicht ohne die Zurückstellung vieler Wünsche möglich. Mit Lippenbekenntnissen für den Vorrang von Wissenschaft und Forschung ist es nicht getan. Es ist meine Hoffnung, daß diese Anstrengungen und diese Opfer schließlich unserem Lande und der Menschheit zum Nutzen gereichen werden.
({3})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lohmar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Vorlesung des Herrn Ministers kam mir ein vergleichendes Bild in den Sinn. Diese „Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft und Forschung" des Bundestages - wenn ich so sagen darf - könnte einen an eine Versammlung von Kathedersozialisten um die Jahrhundertwende erinnern. Sie hatten jedenfalls mit der heutigen Versammlung im Bundestag zwei Dinge gemeinsam: Sie waren ihrer Zeit voraus, und es waren nur wenige.
({0})
Das waren immerhin zwei Gemeinsamkeiten. Herr Kollege Schober wiegt trotzdem zweifelnd den Kopf. Herr Schober, ich wollte der CDU kein übertriebenes Kompliment machen, denn man sieht hier ja nur die Spitze des Eisberges Ihrer Partei, während der größere Teil sich sozusagen unter Wasser befindet.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn es jetzt schon sein soll, bitte.
Herr Kollege Lohmar, ist Ihnen nicht geläufig, daß das, was die Kathedersozialisten vor 60 Jahren wollten, eigentlich längst Allgemeingut der CDU geworden ist, aber erst vor ganz kurzer Zeit Allgemeingut der SPD wurde?
Herr Kollege Schober, Sie machen es mir schwer, Sie jetzt als einen Außenseiter oder progressiven Vorreiter Ihrer Partei zu qualifizieren.
Nun, meine Damen und Herren, das, was wir in der Rede von Bundesminister Stoltenberg gehört haben, war eine Darstellung dessen, was in diesen beiden wichtigen Bereichen der Wissenschaftspolitik getan worden ist und was zu tun notwendig ist. Was wir nicht gehört haben, war eine Darstellung, wie die Bundesregierung die von ihr gesteckten Ziele zu erreichen gedenkt. Es fehlten Fakten und Zeitpläne, es fehlten Entscheidungen in den meisten von Minister Stoltenberg angesprochenen Fragen.
Er hat gegen Ende seiner Rede die Bemerkung gemacht - ich meine, mit Recht -, daß es nicht genüge, Lippenbekenntnisse zugunsten der Wissenschaft abzulegen. Da ich nicht annehme, daß er das als eine selbstkritische Bemerkung gemeint hat, liegt die Frage nahe, was er damit gemeint haben könnte. Es wäre denkbar, daß er damit das letzte Donnerstagabendgespräch beim Bundeskanzler gemeint hat das einen dazu provozieren könnte, solche Bemerkungen zu machen.
Der Gesamteindruck, den ein kritischer Zuhörer von der Analyse, die Herr Minister Stoltenberg uns gegeben hat, gewinnen muß, ist der, daß es sich um eine sorgfältige und ausgewogene Zusammenstellung von ministeriellen Materialien - wenn ich es einmal so sagen darf - handelt, aber nicht um ein wissenschaftspolitisches Konzept. Die Rede trägt mir, Herr Stoltenberg, zu wenig Ihre persönliche, originäre, originelle, sichtbare politische Handschrift, die es erlauben würde, ein wirkliches politisches Ge3096
spräch über ein solches Konzept zu führen. Ich weiß die Mitarbeit und Zuarbeit in solchen Dingen zu schätzen, aber ich finde, die politische Einordnung und Zuordnung von Fakten, Meinungen und Möglichkeiten sollte in besser erkennbarem Maße von dem politisch verantwortlichen Minister geleistet werden.
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß wir an den Grenzen unseres Wissens nur bedingt zu einer Forschungsplanung in der Lage sind. weil man nicht weiß, was aus der Forschung irgendwann herauskommen kann. Aber das ist nicht unser Problem, Herr Minister. Das Problem ist: Wie kann man wissenschaftliche, staatliche und wirtschaftliche Organisationsformen entwickeln, die es weitgehend möglich machen, die Grenzen rechtzeitig und richtig einzuschätzen und abzuschätzen?
Die Sozialdemokraten haben vor genau 10 Jahren in München auf ihrem Parteitag zwei der Kerngebiete der Entwicklung, über die wir uns heute unterhalten, nämlich das der Atomenergie und das der Automation, zur Diskussion gestellt - von 10 Jahren, als die CDU noch die einklassige Volksschule für das Symbol unseres Jahrhunderts hielt.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Bitte!
Herr Kollege Lohmar, ist es sinnvoll, in einer Debatte über Atomfragen jetzt die landespolitische Frage der Gestaltung der Volksschulen zu diskutieren?
Herr Vogel, das ist einer der Punkte, in denen wir uns unterscheiden. Ich beklage es z. B., daß sich unsere Atomforscher in Jülich - um einen konkreten Fall zu nennen - seit Jahr und Tag mit den Hinterwäldlern Ihrer Partei in dieser Gegend um die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule streiten müssen. Glauben Sie denn, daß es zwischen diesen beiden Dingen keinen Zusammenhang, keine Interdependenz gibt? Hier geht es um den geistigen Horizont Ihrer Partei in der Schul-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik; das kann man doch nicht voneinander trennen.
({0})
Herr Abgeordneter, Sie werden noch einmal gefragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen.
Bitte!
Ich glaube schon, Herr Kollege Lohmar, daß es in diesen Fragen einen Zusammenhang gibt. Ich frage nur: Halten Sie es für sinnvoll, daß wir hier über die
Gestaltung der Volksschulen in Nordrhein-Westfalen diskutieren, wenn es um Atomfragen geht?
({0})
Herr Vogel, wenn ich nicht gelegentlich diese Interpedenz in einer nicht einmal bissigen, sondern launigen Weise deutlich machte, dann hätten Sie gar keine Gelegenheit, Zwischenfragen zu stellen. Wollen wir nicht dabei bleiben?
In zwei Bemerkungen möchte ich mich dem Herrn Bundesminister anschließen, aber ich muß daran eine Frage knüpfen. Er hat gesagt, seinem Eindruck nach fehlten uns für die Forschungsplanung hier und da noch administrative, finanzielle und organisatorische Voraussetzungen. Offenbar die andere Ebene ins Auge fassend, hat er hinzugefügt, daß auch die organisatorischen Formen in Wissenschaft und Technik den Anforderungen nicht durchweg genügten.
Meine Frage, Herr Minister: Welche organisatorischen, administrativen und finanziellen Voraussetzungen auf der staatlichen, auf der wirtschaftlichen, auf der wissenschaftlichen Seite entsprechen nicht den sachlichen Anforderungen? Es nützt uns nichts, hier im Bundestag allgemeine Andeutungen von Ihnen zu hören. Wir möchten wissen, was Sie mit Ihrer Kritik konkret meinen.
Eine erste Folgerung, die sich nach meinem Eindruck aus der Tatbestandsaufnahme des Herrn Bundesministers für die Forschungsplanung ergibt, wäre - in einem allgemeinen Grundsatz gesagt - diese: Wir müssen uns dazu entschließen, in der Forschungsplanung das Gießkannenprinzip durch das Schwerpunktprinzip zu ersetzen. Das ist nicht nur auf Grund der Haushaltslage notwendig.
Das zweite, was mir wichtig erscheint, ist die Diskussion eines Vorschlags, den der ehemalige Bundesminister Balke nach den Bundestagswahlen des letzten Jahres in die Debatte geworfen hat. Er hat damals dem Sinne nach angeregt, das Wissenschaftsministerium in ein Ministerium für die Förderung der technologischen Entwicklung umzugliedern. Ich würde nicht so weit gehen wie Herr Balke, weil ich meine, daß die deutsche Industrie bei allem, was für eine bessere Kooperation spricht, nicht erwarten kann, daß der Staat ihr den Großteil der Kosten für ihre eigene Forschung abnimmt.
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Richtig scheint mir an dem Vorschlag unseres Kollegen Balke jedoch zu sein, daß das Wissenschaftsministerium eine Abteilung für Technologie und eine Abteilung für Forschungsplanung braucht. Das Ministerium 'in seiner jetzigen Form ist ein Torso und kann die Koordinations- und Kooperationsaufgaben, die es erfüllen muß, ohne eine solche Forschungsplanung und ohne eine solche Verbindung zur technologischen Entwicklung nicht erfüllen. Ich erlaube mir, daran die Bemerkung zu knüpfen, daß es einigermaßen verwunderlich ist,
wenn der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, der diesen Mangel genauso empfinden müßte wie ich, bisher daraus keine Folgerung in Form eines Vorschlages an den Bundestag gezogen hat.
Ich glaube nicht, daß das vor einigen Monaten eingerichtete Wissenschaftskabinett in der Lage ist, eine vernünftige Organisationsform des Wissenschaftsministeriums zu ersetzen; es kann sie allenfalls ergänzen, nicht ersetzen. Was dieses Wissenschaftskabinett bedeutet, sieht man ja heute an der Besetzung der Regierungsbank. Der Wissenschaftsminister ist das einzige Regierungsmitglied, das an dieser Debatte teilnimmt. Kein anderes Mitglied des Wissenschaftskabinetts hält es für notwendig, hier dabei zu sein, obwohl die Verzahnung mit anderen Bereichen so eng ist, daß dies ein Anlaß für die Bundesregierung ein sollte, hier zu erscheinen und nicht nur den Bundesminister für wissenschaftliche Forschung als Fachminister eine Sache vertreten zu lassen, die das ganze Kabinett in seiner Gesamtverantwortung betrifft.
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Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Herr Kollege Lohmar, würden Sie diese Kritik auch auf die Besetzung dieses Hohen Hauses ausdehnen?
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Habe ich das vorhin in meinen einleitenden Bemerkungen nicht schon angedeutet?
Mir scheint, daß der Bundesminister hinsichtlich der Möglichkeiten, die die Bundesrepublik in dem Bereich der Atomkernenergieforschung und -technik und der Weltraumforschung hat, drei Fragen klären und entscheiden sollte. Wir müssen erstens Klarheit darüber haben, welcher Aufwand in den nächsten Jahren in beiden Bereichen für die Bundesrepublik notwendig und tragbar ist. Wir müssen zweitens Klarheit darüber haben, welche Aufgaben mit diesen finanziellen Aufwendungen sachlich zu bewältigen sind. Wir brauchen drittens Klarheit über unsere personelle Situation auf dem wissenschaftlichen Markt.
So wichtig Organisationsfragen und Geld für die Wissenschaft sind, so unzureichend wäre es, zu meinen, daß der Erfolg unserer Wissenschaftspolitik ausschließlich eine Sache der Organisation oder des Geldes sei. Ich hätte es begrüßt, wenn nicht nur in der Begründung, die der Kollege Schober für die Anfrage der Koalitionsfraktionen gegeben hat, sondern auch in der Rede des Herrn Ministers ein deutliches Wort des Dankes an unsere Wissenschaftler zum Ausdruck gekommen wäre, die ja doch, wie er mit Recht festgestellt hat, in den letzten zehn Jahren einiges getan haben, um den Vorsprung, den andere Linder uns gegenüber haben, zu verringern.
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- Ich habe eben honoriert, daß Sie das gesagt haben, Herr Schober. Ich meine nur, es wäre angemessen gewesen, wenn sich der Minister in gleicher Weise seiner Dankespflicht gegenüber den Wissenschaftlern entledigt hätte. Die Regierung täte gut daran, den Wissenschaftlern einmal ein Wort der Anerkennung in diesem Parlament zu sagen.
Ich meine auch, Herr Minister, Sie sollten sich über ein sehr beiläufiges und sehr allgemein gehaltenes Vorwort hinaus für eine Sache interessieren, die Ihr ehemaliger Fraktionskollege Dr. Bucerius mit seiner Illustrierten gestartet hat, den Wettbewerb „Jugend forscht". Ich finde, es ist eine großartige Sache, daß hier von einem Mann, der sich für die öffentlichen Dinge mit verantwortlich weiß und fühlt, der Versuch gemacht wird, in der jungen Generation unseres Landes mehr Sinn für die Probleme der Naturwissenschaft und der Technik zu wecken. Ich meine, man sollte diesen Mann durch eine deutliche Geste des Bundestags und der Bundesregierung in seinem Bestreben ermutigen. Es ist entmutigend, Herr Minister, wenn zunächst Sie ein Vorwort dazu schreiben, dann aber, wenn die Opposition auf dieses Thema zu sprechen kommt, der Bundesminister für Familie und Jugend sich dieses Thema in seine Zuständigkeit „geholt" hat, wie es ja überhaupt eine Quizaufgabe geworden ist, welcher Bundesminister für welche Frage im Bereiche von Wissenschaft und Bildung sich jeweils für zuständig hält.
Herr Wehner, unser amtierender Fraktionsvorsitzender, hat in .der vergangenen Woche einen Vorschlag gemacht, der, so meine ich, auch die Aufmerksamkeit des Wissenschaftsministers verdiente. Er hat gefragt, ob es nicht möglich sei, etwas Ähnliches wie mit Frankreich 'auch mit den Amerikanern zu machen, nämlich einen Jugendaustausch, konzentriert auf junge Wissenschaftler - mit der Folge, daß man zu einer systematischeren Kooperation insbesondere mit den Vereinigten Staaten in diesem Bereiche käme.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wort der Sorge zu den Arbeitsbedingungen unserer jungen Wissenschaftler aussprechen. Die Bundesregierung hat wiederholt ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, die arbeitsmäßig und finanziell unbefriedigende Situation vor allem der jüngeren Wissenschaftler an Forschungsinstituten durch eine angemessene Neuregelung des Tarifs für Wissenschaftler zu verbessern. Mein Eindruck, Herr Minister Stoltenberg, ist der, daß sich die Verhandlungen über diese Frage auf der Ebene der Bürokratie der Bundesregierung festzufahren beginnen, und meine Bitte geht dahin, dafür zu sorgen, daß die Resignation bei vielen unserer jungen Wissenschaftler nicht so weit 'getrieben wird, daß sie aus unseren Forschungsinstituten abwandern und in andere Länder oder in ,die Industrie gehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Aber ja!
Herr Kollege, darf ich Sie vielleicht darauf aufmerksam machen, daß wir bei unserer Anfrage bewußt nur einen Sektor des ganzen Komplexes herausgegriffen haben, und zwar 'die wirtschaftliche Nutzung. Das bedeutet nicht, daß wir andere Gesichtspunkte nicht sehen.
Gnädige Frau, es würde mir nie in den Sinn kommen - nicht allein aus Gründen der Courtoisie, sondern auch aus Gründen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in diesem Hause -, den Sinn oder Unsinn einer Großen Anfrage einer anderen Fraktion zu untersuchen. Meine Bemerkung richtete sich an die Bundesregierung. Ich möchte gern wissen, ob der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung die Interdependenz zwischen den wirtschaftlichen Möglichkeiten und der personellen Situation so einschätzt wie wir. Nach meinem Eindruck ist es so, daß die Arbeitsfähigkeit und damit auch die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten auf beiden Sektoren, über die wir heute reden, entscheidend abhängen von einer Ermutigung der jungen Forscher an unseren Instituten.
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Geschieht das nicht, können wir uns noch so viel ausdenken; ohne qualifizierte jüngere Wissenschaftler ist das, was der Herr Minister in seiner Rede heute angedeutet hat, nicht zu schaffen, weder mit Organisation noch mit Geld. Ohne die Menschen und ihren Sachverstand kommen wir nicht weiter.
Lassen Sie mich zu dem letzten Bereich kommen, nämlich zur internationalen Zusammenarbeit. Hier kann man mit dem Minister über die allgemeinen Grundsätze schlecht streiten. Natürlich kann man nicht prinzipiell sagen: entweder nationale oder internationale Art der Arbeit. Aber umgekehrt, Herr Minister: was besagt die Formel des Sowohl-Alsauch, die Sie uns hier angeboten haben? Muß man nicht vielmehr untersuchen, in welchen konkreten Vorhaben der Bundesregierung sich eine mehr nationale oder mehr internationale Form der Arbeit als zweckmäßig erweist?
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Meinen Sie nicht, daß Ihre Ausführungen in dieser Frage doch zu sehr im Prinzipiellen und Allgemeinen steckengeblieben sind?
Ich finde Ihren Hinweis gut, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sich auch mit anderen Fragen als denen der Atomkernenergie und der Weltraumforschung beschäftigen sollte. Aber ich finde es wiederum unzulänglich, daß Sie sich hier im Bundestag auf diese allgemeine Bemerkung beschränken, während Sie vor einigen Tagen in einem Zeitungsinterview immerhin weiter gegangen sind als in Ihrer Rede vor dem Parlament. In diesem Interview in der „Stuttgarter Zeitung" kann man lesen, Sie seien der Meinung, daß die europäische Zusammenarbeit sich auch auf die Datenverarbeitung, auf die Städteplanung, auf die Regionalplanung, auf das Problem der Verschmutzung von Luft und Wasser erstrecken könnte. Das sind Themen, die uns sehr an lange zurückliegende und oft wiederholte Vorschläge der gegenwärtigen Opposition in diesem Hause erinnern.
Ich finde es auch bemerkenswert, was Sie in dem gleichen Interview in der „Stuttgarter Zeitung" gesagt haben - wenn der Präsident so liebenswürdig ist, mir ein kurzes Zitat zu erlauben, möchte ich einen Satz daraus vorlesen -: „Der Wettbewerbsvorteil der amerikanischen forschungsintensiven Industriezweige beruht vor allem auf ihrer Fähigkeit" - sagt der Minister -, „neue Forschungserkenntnisse in rationalisierterer und organisierterer Weise - mit Verfahren der Systemanalyse - und dadurch rascher in Produkte des Marktes umzusetzen. Der Zwang zur rationelleren Organisation von Entwicklung, Innovation und Management wird durch größere ökonomische Einheiten verstärkt." Ich finde diese Bemerkung wesentlich und möchte sie nachhaltig unterstreichen. Nur, Herr Minister, was folgt daraus? Wer beschäftigt sich in Deutschland mit der methodischen Voraussetzung, die Sie hier mit Recht ansprechen, nämlich einer Entwicklung der Systemanalyse? Es gibt ein Institut in Heidelberg, das von Ihrem Hause mehr oder minder gefördert wird. Es gibt sonst kaum eine systematische Bemühung an den deutschen Hochschulen oder Instituten, diese Entwicklung in den Griff zu bekommen.
Sie haben am Schluß Ihres Vortrags darauf hingewiesen, daß neben der Atomkernenergie und der Weltraumforschung die Technik der Informationsverarbeitung ein entscheidendes Gebiet für unsere weitere gesellschaftliche Entwicklung sein werde. Ich teile diese Meinung. Nur frage ich Sie: Was folgt daraus für die Politik der Bundesregierung? Welche konkreten Entschlüsse leiten Sie aus dieser Berner-kung ab? Welche Pläne ergeben sich daraus in finanzieller, sachlicher, personeller und organisatorischer Hinsicht?
Ich meine, wir sollten die Formen der internationalen Zusammenarbeit nicht nur prüfen in dem bisherigen Rahmen der allgemeinen europäischen Zusammenarbeit und nicht ausschließlich in der bilateralen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Unser französisches Nachbarland zeigt uns, daß bilaterale Arbeitsteilungen mit verschiedenen Ländern auf verschiedenen Gebieten sehr gute Resultate jeweils für beide Beteiligte haben können. Warum prüft die Bundesregierung nicht, ob solche Abkommen über Ausbildung, Forschung und Entwicklung - alle drei Bereiche muß man immer zusammen sehen - nicht mit anderen Ländern abgeschlossen werden können? Ich meine, es wäre eine gute Sache, sich darüber Gedanken zu machen. Auf diese Weise käme man allmählich, Herr Bundesminister, zu einem wissenschaftspolitischen Konzept, zu einer Strategie, in der nationale und internationale Anstrengungen in der Forschungsplanung auf den beiden uns heute interessierenden Bereichen und darüber hinaus zusammengefaßt werden könnten. Eine
solche wissenschaftspolitische und die Forschung umgreifende Strategie brauchen wir. Sie war bisher nicht zu erkennen und ist auch in Ihrer Rede nicht zu erkennen gewesen.
Lassen Sie mich, meine Damen Herren, die Gelegenheit benutzen - nicht zum Thema der Großen Anfrage der CDU/CSU und der FDP gehörend -, dem ausscheidenden Staatssekretär des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung, Cartellieri im Namen meiner politischen Freunde für die Sorgfalt, die Mühe und die Umsicht, die er in den Aufbaujahren des Wissenschaftsministeriums aufgebracht hat, herzlich zu danken.
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Ich wünsche seinem Nachfolger, Herrn Staatssekretär von H e p p e , der wohl bald sein Aufgabengebiet übernehmen wird, allen Erfolg für seine Arbeit. Der neue Staatssekretär des Wissenschaftsministeriums sollte von vornherein der Unterstützung, der Mitarbeit, aber auch der kritischen Aufmerksamkeit des gesamten Bundestages für seine Arbeit sicher sein können. Wenn er sich mit uns gemeinsam darum bemüht, dieses Spähtruppunternehmen Wissenschaft, als das man es heute noch qualifizieren muß, in eine wirkliche politische Offensive auszuweiten, wird er die gegenwärtige Opposition dieses Hauses immer auf seiner Seite finden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Worte des Herrn Kollegen Dr. Lohmar erwecken natürlich den Anschein, daß er sich zur Zeit als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses in diesem Hause noch als Spähtruppführer fühlt. Ich nehme diese Tatsache zur Kenntnis. Nur darf ich feststellen, Herr Dr. Lohmar, daß Sie - gestatten Sie mir diese Anmerkung - in diesem Fall in Ihrem Debattenbeitrag ein wenig in die falsche Richtung gespäht haben. Die Frau Kollegin Geisendörfer hat meiner Ansicht nach zutreffend darauf hingewiesen, daß es sich bei dieser Anfrage und ihrer Beantwortung - wenn es in der Antwort auch sehr vorsichtig anklang - in erster Linie um die Frage der jetzigen wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Zusammenhang handelte. Ich bedaure, daß das offensichtlich im Hause nicht so ganz erkannt worden ist. Sonst hätten wir sicher die Freude, mehr Kollegen, die unmittelbar an wirtschaftlichen Fragen interessiert sind, hier zu sehen. Ich muß allerdings entschuldigend bemerken, daß sich diese Kollegen zur Zeit wahrscheinlich im Wirtschaftsausschuß mit der Stabilitätsvorlage beschäftigen. Ich bedauere das ein wenig; denn ich möchte hier doch einige Bemerkungen machen, die vielleicht Anlaß zu Kontroversen in allen Gruppen dieses Hohen Hauses sein könnten und, wie ich glaube, sein müßten.
Herr Bundesminister, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie in Ihrer Beantwortung diese sehr schwierigen Fragen der künftigen Energiepolitik - und sie ist die Kernfrage der Kernenergiepolitik, wenn ich das einmal so sagen darf - mit großer Eleganz behandelt haben, aber, wie ich meine, vielleicht doch nicht deutlich genug im Sinne der Fragesteller auf diese Fragen eingegangen sind. Es sollte heute in diesem Hohen Hause eigentlich einmal möglich sein, ein Gesamtkonzept der Energievorausschau auch im Zusammenhang mit der Kernenergie zu entwickeln. Ich bedauere, daß es zu dieser Debatte nicht schon im Zusammenhang mit der Behandlung der Fragen der Kohleförderung und der künftigen Stellung der Kohle im Energiemarkt gekommen ist. Es hat sich leider oder Gott sei Dank - das hängt davon ab, von welcher Seite aus man das betrachtet - herausgestellt, daß die Erwartungen in bezug auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit der Kernenergie im Grunde weit übertroffen worden sind. Ich brauche nur einmal die Debatten, die in diesem Hause vor etwa zehn Jahren stattgefunden haben, und die Ankündigungen, die damals von amtlicher Seite bezüglich der Zukunftsmöglichkeiten der Kernenergienutzung gemacht worden sind, mit dem heutigen Zustand zu vergleichen.
Tatsächlich - und man sollte das wirklich als ein Faktum sehen, und das sollte auch zur Beleuchtung unserer künftigen Beschlüsse und vielleicht auch unserer früheren Beschlüsse beitragen - ist heute ein Zustand erreicht, von dem die Kundigen nicht so gern reden, der aber, wie ich meine, höchst bemerkenswert auch für unseren Haushalt sein wird. Es ist dies der Zustand, daß man heute große Kernenergieanlagen zur Erzeugung elektrischen Stromes mit einer Wirtschaftlichkeit errichten kann, die besser ist als beim Bau von Wärmeenergieanlagen alter Art. Wenn ich recht -informiert bin, hat sogar ein Land wie die Schweiz, das vor allem Wasserkraft nutzt, mehrere Wasserkraftnutzungsprojekte, deren Durchführung schon begonnen war und bereits Mittel in Millionenhöhe verschlungen hatte, zurückgestellt zugunsten des Baues von Atomkraftanlagen, die in einem Falle mit einem großen deutschen Energieversorgungsunternehmen gemeinsam erstellt werden sollen. Wenn das aber so ist, dann dürfen wir die Augen vor dieser Entwicklung nicht verschließen, sondern müssen ihr in vollem Umfang Rechnung tragen.
Man kann sagen, daß die Debatte über das Verstromungsgesetz in diesem Hohen Hause die zukünftige Entwicklung im Grunde ja nicht negativ beeinflußt habe. Tatsache ist aber leider, daß diejenigen, die sich mit dem Bau von Atomkraftwerken zu beschäftigen haben, heute schon - und, wie ich glaube, mit Recht - behaupten; daß allein jene Debatte und die seinerzeitige Verabschiedung jenes Gesetzes durch den Bundestag einen Rückschlag für die weitere Entwicklung und Nutzung der Kernenergie zur Folge gehabt hätten. Das ist eine Behauptung, die wir nicht leicht nehmen sollten.
Es fehlen, wenn ich das recht sehe, heute zum Teil die Anschlußaufträge, die man nach dem Bau der Demonstrationskraftwerke, von denen heute hier die Rede gewesen ist, erwartet hat. Meine Damen und Herren, wir begehen einen sehr schweren Fehler, wenn wir diesen Fehlentwicklungen heute nicht wehren, denn wir schädigen damit natür3100
lik nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft die Exportmöglichkeiten der gesamten deutschen Industrie. Wenn es uns nämlich nicht gelingt, heute im Inland möglichst moderne Anlagen zu bauen, sind wir auch nicht in der Lage, solche Anlagen künftig zu exportieren. Und welche Zulieferindustrien allein an einem solch großen Atomkraftwerk hängen, weiß jeder, der sich ein wenig mit der Sache befaßt hat.
Ich glaube, das ist ein Gesichtspunkt, der auch zum Überdenken von Beschlüssen Anlaß gibt, die unter dem Eindruck der augenblicklichen Situation in Nordrhein-Westfalen in diesem Hohen Hause erst jüngst gefaßt worden sind. Ich möchte das mit aller Deutlichkeit sagen. Es wäre fatal, wenn wir hier zweigleisig fahren wollten, wenn wir uns auf der einen Seite ein wenig berauschten an den Fortschritten, die wir dank staatlicher Hilfe auf dem Gebiete der Kernenergienutzung erzielt haben, und auf der anderen Seite einiges täten, um sogar vom Gesetzgeber her den technischen Fortschritt zu behindern. Das wäre eine sehr schlechte Politik, die in sich nicht konsequent wäre.
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Diese Mahnung geht an die Adresse aller Beteiligten in diesem Hohen Hause.
Wenn man aus Süddeutschland kommt, hat man es wohl etwas leichter, das auszusprechen. Dennoch, meine ich, ist dies der Platz, deutlich zu reden. Es wäre gerade für die Länder Baden-Württemberg oder Bayern, die sehr große Anstrengungen auf dem Gebiete der Kernenergienutzung gemacht haben - und zwar, wie ich meine, mit gutem Erfolg -, wirklich sehr deprimierend, wenn sie sehen müßten, daß diese Anstrengungen, die in der Mitte der 50iger Jahre nicht so selbstverständlich gewesen sind, nachher konterkariert werden durch andere Interesseneinflüsse in diesem Hohen Hause und vielleicht auch im Schoße gewisser Organisationen.
Wir haben in Wahrheit gar keine Wahl: Wenn wir die Marktwirtschaft bejahen, müssen wir auch alle Konsequenzen aus dem technischen Fortschritt bejahen und müssen uns klarmachen, daß es eben nur zweierlei Staatshilfen geben kann, einmal die Übergangshilfe für Entwicklungen, die abgeschlossen und überholt sind um ihnen eine Anpassungsmöglichkeit zu verschaffen - und zum zweiten die Starthilfe für Neuentwicklungen, die dazu beitragen sollen, daß sie möglichst bald in einem wirtschaftlichen Sinne wirksam werden können. Das ist unsere Aufgabe, und die muß man auch zeitlich jeweils begrenzen. Sowohl die Anpassungshilfe als auch die Starthilfe müssen jeweils zeitlich begrenzt sein, wenn sie sich am Ende sinnvoll in die Marktwirtschaft einordnen sollen. Das ist ein Gesichtspunkt, der in diesem Hohen Hause nach meiner Meinung nicht genügend zum Ausdruck gekommen ist.
Wenn, wie wir gehört haben, allein der Bund bis 1965 mehrere Milliarden DM in die Kernenergienutzung und die Forschung in diesem Bereich gesteckt hat, dann kann man jetzt nicht auf der Stelle treten wollen, dann muß man schließlich konsequent auch das Allermodernste und Allerneueste weiter unterstützen.
Damit sind wir an dem Punkt, der die Frage der Sicherheit in der Energieversorgung berührt. Es ist sicher ein gutes Argument, daß man mit heimischen Energiequellen im Grunde genommen am sichersten fährt. Die Frage ist, glaube ich, noch nicht endgültig entschieden, ob die Uran- oder Thoriumspaltung heute diese Sicherheit für uns bieten kann. Es ist gesagt worden, daß wir auf diesem Gebiet vielleicht zu wenig prospektieren. Aber diese Frage wird nur gelöst werden können, wenn wir beispielsweise die Brutreaktoren so entwickeln, daß wir eben mehr spaltbares Material gewinnen, als wir ursprünglich eingesetzt haben. Dann ist dieses Problem auch ohne größere Uranvorkommen in unserem Land meiner Meinung nach zu lösen.
Die nächste Frage ist eine politische Frage: wie wir jetzt ständig zu angereichertem Uran kommen können, ohne eine eigene Anlage dieser Art in der Bundesrepublik oder Westeuropa zu haben.
Zunächst - auch das muß hier mit aller Entschiedenheit gesagt werden - ist Euratom für uns nach wie vor eine außerordentlich wichtige Hilfe; denn das ist eine Organisation, die auch für die anderen die Sicherheit bietet, daß mit dem angereicherten Uran bei uns wirklich die wirtschaftlichen und keine anderen Projekte gefördert werden. Das muß man wohl hinzufügen. Auf diese Weise haben wir bisher das angereicherte Uran bekommen, das wir für moderne Anlagen gebraucht haben. Aber wenn wir selber die Entwicklung fördern können, um auch hier die Sicherheit der künftigen Energiequelle im eigenen Lande zu haben, dann müssen wir das tun. Man sollte in diesem Punkt niemals eingleisig fahren.
Der Nutzen von Euratom ist hier in der Vergangenheit ganz klar erwiesen. Ich hätte nur den Wunsch an die Bundesregierung, daß sie sich vielleicht mehr als in den vergangenen Jahren - das war politisch, zum Teil außenpolitisch bedingt - bemüht, die Richtung, in der in Euratom gearbeitet und geforscht wird, im deutschen Sinne mitzubestimmen. Denn wir sind natürlich - da dürfen wir uns nichts vormachen - insofern in eine andere Lage gekommen, als beim Abschluß des Vertrages vorgesehen war. Durch die Änderung der französischen Politik hat sich das französische Interesse an Euratom auch in militärischer und nicht in wirtschaftlicher Richtung entwickelt. Es ist nicht unsere Aufgabe, das einfach als gegeben hinzunehmen, sondern es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Euratom gemäß seinem Gründungsvertrag für uns und für alle zur wirtschaftlichen, d. h. zur friedlichen Nutzung der Kernenergie ausgebaut wird und in diesem Sinne arbeitet. Es wäre kein Fehler, wenn von unserer Seite her mehr Nachdruck auf die deutschen Interessen, die gemeinsame Interessen sind, gelegt und weniger den Bemühungen nachgegeben würde, die von anderer Seite aus militärischen und zum Teil machtpolitischen Gründen ausgehen. Auch das ist eine Frage, die hier eine große Rolle spielt.
Ich fasse zusammen. Der Nutzen der Gemeinschaft ist für uns eine gewisse Sicherheit in der Brennstoffversorgung, in der Frage der Kernenergienutzung. Zum zweiten ist die Organisation eine Sicherheit auch für unsere Partner, daß es sich wirklich um eine friedliche und wirtschaftliche Nutzung handelt. Zum dritten sollten wir die Basis, ,die wir uns hier geschaffen haben, nutzen, um zu einer weiteren internationalen Verflechtung und Zusammenarbeit zu kommen. Ich glaube, was in der Bundesrepublik Deutschland seit den 50er Jahren von unseren vor allem jungen Forschern, da und dort auch gegen den Widerstand mancher älteren Gelehrten - das muß man hinzufügen -, geleistet worden ist, ist außerordentlich beachtlich und gibt uns die Möglichkeit, weiterhin eine Industrienation ersten Ranges zu bleiben, und das müssen wir bei unserer Bevölkerungsdichte anstreben. Aber wir sollten dann auch in allen Bereichen dieser Politik konsequent sein und sehen, daß heute die Frage der Kernenergie eine Frage der künftigen Wirtschaftlichkeit ist, daß es eine Frage der Energiepolitik, der Primärenergie geworden ist und daß wir in diesem Hohen Hause, wenn wir schon den wirtschaftlich-technischen Fortschritt als angesichts einer weltweiten Konkurrenz notwendig ansehen, nicht durch unbedachte Gesetzgebung dazu beitragen dürfen, unsere eigenen Ziele in Frage zu stellen.
Das wäre unsere Bitte, die Bitte der Freien Demokratischen Partei, an dieses Hohe Haus.
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Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Balke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in diesem Hohen Hause seit längerem nicht mehr zu diesem Thema gesprochen. Ich darf feststellen: das äußere Bild hat sich nicht gewandelt. Herr Kollege Lohmar war so freundlich, eine liebenswürdige Erklärung für dieses Phänomen zu geben. Man könnte auch eine andere Erklärung finden: Die nicht Anwesenden beherrschen dieses Gebiet alle, und die hier Anwesenden haben noch einen Bildungsurlaub nötig.
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Wenn eine solche Frage wie diese zur Debatte steht, so besteht die Gefahr, daß die Experten zu Dialogen miteinander kommen. Ich möchte das möglichst vermeiden; ich habe deshalb auch kein Manuskript vorbereitet. Ich möchte aber - und hier bin ich mit meinem verehrten Kollegen Lohmar nicht ganz einig - mit einem Dank an den Herrn Bundeswissenschaftsminister beginnen. Er hatte nämlich eine Große Anfrage zu beantworten, und er hat sich an dieses Thema gehalten.
Wissenschaftspolitik ist heute abend nicht gefragt, obwohl sie natürlich über diesem Thema steht, wie wir alle wissen. Allein das von Herrn Minister Stoltenberg Gesagte zeigt, wie groß und kompliziert nur das Gebiet der wirtschaftlichen Nutzung dieser neuen Technik ist, so daß wir in einer solchen Debatte bei dieser Besetzung des Hohen Hauses wohl kaum mit Aussicht auf Erfolg auch die wissenschaftspolitische Komponente behandeln können. Ich darf ausdrücklich sagen, daß ich das bedauere. Aber wir müssen uns nun einmal mit diesem Tatbestand abfinden.
Ich möchte nur an einigen Beispielen versuchen, den politischen Gehalt dieser Frage nach der wirtschaftlichen Nutzung herauszustellen, und zwar wird es sich hier im wesentlichen zunächst um energiepolitische Fragen handeln. Wir können davon ausgehen, daß die Nutzung der Kernenergie heute im wesentlichen eine energiewirtschaftliche, eine energiepolitische Frage geworden ist. Mit anderen Worten: Die Atomkerntechnik ist eine konventionelle Technik. Sie ist heute schon in den Bereich der Industrie übergegangen. Diese konventionelle Entwicklung ist verständlich wegen des großen Forschungsaufwandes, der in die Nutzung der Spaltenergie gesteckt worden ist, vor allen Dingen wegen ihrer militärischen Möglichkeiten. Das hat natürlich auch politische Konsequenzen gehabt. Die derzeitigen Versuche, die Ausbreitung der Nutzung von Kernwaffen zu verhindern, die Verhinderung der „proliferation", sind natürlich durch die Tatsache bedingt, daß die Wissenschaft und Technik, die hierzu notwendig sind, ubiquitär geworden sind. Anders ausgedrückt: Für ein halbwegs industrialisiertes Land ist es nur eine Frage der Zeit und des Investitionskapitals, ob es Atomwaffen herstellen kann.
Wir haben uns hier nun mit der wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeit zu beschäftigen. Dazu ist von Herrn Kollegen Moersch schon einiges Wichtige gesagt worden, und zwar als Ergänzung zu dem, was der Herr Minister gesagt hat. Abgesehen davon, daß die Nutzung für energiewirtschaftliche Zwecke eine industrielle Frage geworden ist, bleibt natürlich eine ganze Fülle von Spezialfragen für die wissenschaftliche Forschung und die technische Entwicklung. Es ist ein Charakteristikum jeder technischen Entwicklung, daß auch der konventionell gewordene Teil noch erhebliche Rationalisierungsmomente, Forschungs- und Entwicklungsprobleme enthält.
Die Bundesregierung muß die politische, die wissenschaftspolitische Entscheidung treffen, ob sie sich an solchen Spezialgebieten der einschlägigen Forschung, der Kernphysik zum Beispiel, beteiligen will. Hierher gehören die Großforschungsinstrumente, z. B. Beschleuniger, Zyklotrone und Synchrotrone. Es wäre sehr gut, wenn auch die 'Bundesregierung dazu beitrüge, daß in der Öffentlichkeit nicht immer der Eindruck entsteht, der Bau eines Beschleunigers bedeute den Bau eines Kernkraftwerks. Es sind physikalische Forschungsinstrumente. Sie sind heute so groß und so aufwendig geworden, daß sie praktisch nur noch im internationalen Maßstab gebaut und betrieben werden können, entweder bilateral, wie es z. B. Frankreich mit Rußland bei dem Bau des 70-GeV-Protonenbeschleunigers macht, oder multilateral, wie es im CERN mit dem Protonensynchrotron geschieht. Es ist bedauerlich, daß das große Projekt des 300-GeV-Protonenbeschleunigers, für den Deutschland als Standort vorgesehen war -- ein bekannter Ort in Süddeutschland in der
Nähe meiner Wahlheimat -, einfach zerredet worden ist. Die Beteiligung an solchen internationalen Projekten wäre für uns auch ein außenpolitischer Erfolg gewesen, und das hätte ich nicht für ein besonderes Unglück gehalten.
Natürlich gibt es noch eine ganze Reihe einschlägiger wissenschaftspolitischer Probleme, die wir hier nicht zu erörtern brauchen. Wir wollen aber festhalten, daß die konventionelle Richtung in der modernen Technik ohne weitere wissenschaftliche Forschung und Entwicklung nicht weitergetrieben werden kann, auch nicht ihre wirtschaftliche Nutzung.
Ich möchte das an einem Beispiel klarmachen, nämlich an den „schnellen Brütern". Dieses Kapitel gehört nicht, wie man manchmal hören kann, in das Gebiet der Agrarpolitik, sondern zur Kerntechnik. Ich darf das vielleicht mit wenigen Worten erläutern, weil es hier sehr viel Mißverständnisse gibt.
Wir nutzen in der Atomkerntechnik die Spaltenergie der Atome des Urans. Im natürlichen Uran kommt nur ein ganz kleiner Anteil des spaltbaren Urans 235 vor, das man technisch mühsam und teuer anreichern muß. Die Kernphysik hat uns einen anderen Weg gezeigt, wie man ebenfalls zu spaltbarem Material kommen kann, nämlich durch einen Aufbauprozeß, indem man das Uran 238, das nicht gespalten werden kann und das in der Natur in großen Mengen vorkommt, zum Plutonium 239 aufbaut. Dieses Plutonium 239 ist ein sehr leicht spaltbares Material, so leicht spaltbar, daß es als Atomwaffe dient.
Nun ist es erfreulicherweise so, daß bei diesem Aufbauprozeß nicht nur das Plutonium 239 entsteht - dieses Element ist der Stein des Anstoßes, den man bei den „schnellen Brütern" und ihrer Technik fürchtet -, sondern auch Plutonium 240, 241 usw., Isotope des Plutoniums. Wenn dieses Gemisch 3,8 % Isotope enthält, ist es militärisch völlig uninteressant, es ist kein Bombenmaterial mehr. Mit anderen Worten, auf diese Art und Weise entsteht ein Plutonium als Primärenergieträger, der heute in den Energiemarkt eindringt. Hier ist eine neue Autarkie-Alternative gegenüber Kohle oder Öl gegeben.
Plutonium ist also ein Primärenergieträger, der zur Energieerzeugung benutzt werden kann. Ähnliches gilt für das Thorium 232, das in der Natur ebenfalls in großen Mengen vorkommt.
Zu seiner wirtschaftlichen Nutzung ist eine erhebliche wissenschaftliche Vorarbeit nötig. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich auf dem Gebiet der „schnellen Brüter" besonders durch unsere Physiker eine sehr beachtete Stelle, eine Spitzenstellung erobert, die auch international nicht bestritten wird. Es ergibt sich aber jetzt wieder eine wissenschaftspolitische Frage: Sollen wir nun in Deutschland eine Plutonium-Technologie aufbauen, die sehr aufwendig, aber notwendig ist, um auf dem Plutoniummarkt mithalten zu können? Ich persönlich bin der Meinung, es ist dringend notwendig. Hier ist ein neues Teilgebiet der Forschung und technischen Entwicklung entstanden, das gepflegt werden muß, und hier bietet sich uns eine Möglichkeit, in der künftigen energiepolitischen Entwicklung nicht nur in Europa, sondern in der Welt mitzureden.
Ein gewisses Hindernis - wieder eine politische Frage; das ist schon ein paarmal angedeutet worden - ist die Tendenz der konventionellen Energieträger, ihren Besitzstand zu wahren. Das ist eine politisch verständliche Haltung. Wir brauchen nur an das Schicksal der Steinkohle zu denken. Aber es ist eben unmöglich, hier einen Besitzstand über die Jahrzehnte und Jahrhunderte zu erhalten, weil der technische Fortschritt, die technische Entwicklung das nicht gestattet. Das ist immer wieder passiert und das wird in der Geschichte der Technik und Wirtschaft immer wieder geschehen.
Nun sind diese „schnellen Brüter" - und das muß gesagt werden, weil die Wissenschaftspolitik mit hineinspielt - in die öffentliche Diskussion geraten. Leider ist es dabei nicht immer ganz objektiv zugegangen. Die Kritik an diesem Programm hat natürlich auch eine psychologische Reaktion zur Folge gerade bei den jungen Forschern, von denen wir annehmen, daß sie jetzt auf einem neuen Gebiet in Deutschland, bei uns, ein dankbares Arbeitsgebiet gefunden haben. Wenn ihnen in angesehenen Zeitungen ziemlich deutlich erklärt wird: Was ihr macht, ist ein ausgesprochener Blödsinn, und Milliarden werden verschwendet, dann kann man sich vorstellen, daß die Begeisterung dieser jungen Forscher für dieses Gebiet nicht gerade gestärkt wird.
Was ist denn nun hierbei das eigentliche Problem? Es gibt zwei technische Entwicklungslinien für diese Art von Reaktoren. Deren Zweckmäßigkeit kann man natürlich nicht politisch, nicht in diesem Parlament entscheiden, das müssen Physiker und Ingenieure tun. Es handelt sich im Grunde um ein verfahrenstechnisches Problem. Beide Richtungen kosten Geld, beide haben technische und wirtschaftliche Aussichten. Die Bundesregierung tut meiner Ansicht nach gut daran, auch bei unserem Programm der „schnellen Brüter" diese beiden Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wir haben des öfteren, auch in der Atomtechnik, die Erfahrung gemacht, daß eine Mehrzahl - nicht eine Vielzahl - von konkurrierenden Baulinien durchaus förderlich ist in bezug auf die Wirtschaftlichkeit solcher Entwicklungen. Man sollte also davon ausgehen, daß es sich bei unserem Programm der „schnellen Brüter", so wie es die Bundesregierung erfreulicherweise vertritt, nicht um einen Unsinn, sondern um eine zwingende Notwendigkeit der künftigen Entwicklung handelt.
Herr Dr. Lohmar möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege Balke, darf ich auf eine Frage zurückkommen, die Ihr Fraktionskollege Schober bei der Begründung der Großen Anfrage gestellt hat, die dahin ging, ob es notwendig sei, die Entscheidung zwischen der Natriumlinie und der Dampflinie bis 1969 hinauszuschieben, oder ob es möglich sei, diese Entscheidung mit den entsprechenden wirtschaftlichen Konsequenzen frühzeitiger
zu treffen? Würden Sie dazu bitte noch Ihre Meinung sagen?
Ich bin der Meinung, man sollte hier der Arbeit der einschlägigen Fachleute eine Chance geben. Denn die Frage, wann eine Entscheidung zwischen den beiden Linien gefällt werden kann, hängt u. a. von der Intensität der Forschung ab. Allerdings ist sie zum Teil aus physikalischen Gründen zeitgebunden. Es gibt gewisse Zeitspannen, die aus Versuchsgründen eingehalten werden müssen.
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Ich bin der Meinung, man sollte alles tun, damit die Zeitspanne, die aus experimentellen Gründen notwendig ist, nicht aus anderen Gründen verlängert wird, z. B. nicht aus finanziellen, organisatorischen oder personellen Gründen. Das ist meine eindeutige Meinung.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich auf etwas zu sprechen kommen, was in diesem Zusammenhang nicht erörtert worden ist. Es fällt in das Gebiet der Wissenschaftspolitik. Herr Kollege Lohmar, ich glaube, Sie haben erwähnt: Ohne die Menschen, die man dazu braucht, läßt sich mit der besten Finanzierung und Organisation kein Fortschritt erzielen. Hier gibt es eine Sorge, die uns alle betrifft. Wir werden in der nächsten Zeit wenn ich das einmal so ausdrücken darf -, in den nächsten fünf bis zehn Jahren, eine Substitutionskonkurrenz der Fachleute bekommen. Mit anderen Worten: Die neue Technik - die Kerntechnik is't schon konventionell -, die Weltraumtechnik und ihre Grenzgebiete, werden immer mehr Nachwuchskräfte absorbieren. Die schon klassisch gewordenen technischen Gebiete - auch die Raumfahrttechnik ist schon auf dem Wege zur konventionellen Technik - werden durch andere Wissenschaftsgebiete wie die Biologie, die Molekularbiologie, die Genetik, die moderne Pharmakologie ergänzt oder abgelöst; denken Sie nur an die Möglichkeit, Lebensprozesse oder Teillebensprozesse synthetisch darzustellen oder an die Folgerungen für die Genetik aus der Entdeckung des genetischen Code. Diese Forschungsgebiete absorbieren immer mehr fähige junge Leute. Hier entsteht eine Substitutionskonkurrenz für dein jungen wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie werden nicht mehr alle Kernpysiker oder gar Astronauten werden wollen. Es gibt auch schon andere aussichtsreiche Gebiete.
Ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, der noch für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre aus bevölkerungspolitischen Gründen - denken Sie an die zwei Weltkriege - mit einer sinkenden Zahl von erwerbsfähigen - nicht erwerbstätigen - Menschen auch in der Wissenschaft rechnen muß, muß alles tun, um die fehlende Quantität durch Qualität auszugleichen. Dazu gehört - ich bitte für diese etwas kommerzielle Terminologie urn Entschuldigung -, daß wir die „Abschreibungsdauer" für unsere Bildungsinvestitionen verlängern. Heute ist es doch so, daß teuer abgebildete Fachkräfte, wissenschaftliche und auch nichtakademische Kräfte, mit dem Bildungskapital, das sie erworben haben, vielleicht noch fünf Jahre, in manchen Fällen zehn Jahre auskommen. Als unsere Generation in die Praxis eintrat, reichte unser Bildungskapital etwa für 25 Jahre. Diese Verkürzung der Abschreibungsdauer zwingt uns zu Maßnahmen, für die wir bis heute noch keine überzeugende Lösung gefunden haben.
Das Problem ist nicht auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt. Die OECD z. B. - beschäftigt sich mit dieser Frage. Vor kurzem hat eine Regierungskonferenz in Paris stattgefunden. Die Bundesregierung ist hieran über das Wirtschaftsministerium beteiligt, und ich habe selbst an der Konferenz teilgenommen. Sie befaßte sich mit der Frage der zweckmäßigen Beschäftigung, der Ausbildung und der Fortbildung von hochqualifiziertem naturwissenschaftlichem und technischem Personal in den Mitgliedstaaten. Es waren neunzehn Staaten vertreten. Es hat sich ergeben, daß noch kein Staat eine befriedigende Lösung für dieses schwierige Problem gefunden hat, das unter den Fachbezeichnungen ,,recyclage", „education permanente" oder „incareer-training" bekannt ist. Es handelt sich um die Frage: wie kann man die hockqualifizierten Kräfte, die man in Wissenschaft und Produktion dringend braucht, während ihres Berufslebens so weiterbilden, daß sie mit ihren Kenntnissen den jeweiligen Erfordernissen entsprechen? Dieses Problem haben auch die Vereinigten Staaten von Amerika noch nicht befriedigend gelöst. Für ein Land wie das unsere, das hier mit einem zahlenmäßig sehr geringen Potential auskommen muß, liegt hier eine sehr bedeutende wissenschaftspolitische Aufgabe vor, die auch bei uns angegangen werden muß. Es gibt hierfür auch schon wissenschaftliche Methoden.
Hierzu gehört auch die Ausdehnung der neuen Technik in die soziologischen Forschungsrichtungen bis hin zu den Geisteswissenschaften. Die wirtschaftliche Nutzung dieser neuen naturwissenschaftlichen Möglichkeiten ist charakterisiert durch eine Beschleunigungstendenz. Diese Entwicklung geht nicht mehr gradlinig aufwärts, sondern in einer Exponentialkurve, und die merkwürdige Tatsache, daß die Menschen bei einem zunehmenden technischen Potential, das die Befriedigung früher ungeahnter Wünsche ermöglicht, in einer gesteigerten Angst vor der Zukunft leben, liegt eben darin begründet, daß die Beschleunigung des menschlichen Bewußtseins dieser technischen Entwicklung nicht nachkommt. Das ist eine Frage, die die Verhaltensforscher und die Soziologen zunehmend beschäftigt, in unserem Lande leider noch nicht intensiv genug. Hier liegt eine wissenschaftspolitische Aufgabe, die auch im Zusammenhang mit der Frage, die wir heute erörtern, gelöst werden muß.
Und zu dem heutigen Thema vielleicht noch eine mehr politische Überlegung: Die Bundesregierung wird gut daran tun, sich zu entscheiden, ob sie das Prinzip der Arbeitsteilung für dieses unübersehbar gewordene Gebiet der neuen Technik und ihrer Anwendungen nicht mit etwas größerer Systematik handhabt. Man kann in einem Staat, insbesondere in
dem unseren, nicht mehr alles machen, und man kann nicht alles nacherfinden und nicht alles miter-finden. Es wäre also zu entscheiden: Ist die Arbeitsteilung im nationalen und im internationalen Bereich so zu lenken, daß man sich beteiligt an der Forschung und Entwicklung für einzelne Entwicklungen, - Raumsatelliten, Nachrichtensatelliten, Flugkörper oder Reaktoren , oder für zusammenhängende Systeme, wie sie die ELDO und die ESRO in der Raumfahrttechnik versuchen, oder für ganze Programme, also durch Zuschüsse an die Programme der NASA und ähnlicher internationaler Organisationen? Hier wird meiner Ansicht nach eine Arbeitsteilung schon aus finanziellen und organisatorischen Gründen notwendig werden.
Ähnliches, wie ich es eben für die Kerntechnik gesagt habe, gilt für ein Spezialgebiet der Weltraumtechnik. Ich kann hier nur einzelne Beispiele anführen, nämlich: Die Weltraumtechnik braucht Flugkörper, die mit großem Energieaufwand in den Raum gebracht werden müssen. Die Leistung dieser Antriebe beträgt mehrere tausend Megawatt, die Betriesdauer einige Minuten. Die zweite Aufgabe ist die Energieversorgung der Raumflugkörper. Sie erfordern geringere Leistungen, aber eine Betriebsdauer von mehreren Jahren. Diese Aufgaben der Weltraumtechnik bedeuten ihrerseits einen großen Aufwand an Forschung und technischer Entwicklung, deren Lösung wiederum nur mit der zuständigen Industrie möglich ist.
Dazu gehören auch Geräte wie die immer wieder zitierten Computer und verwandte Hilfsmittel, sowie eine Weiterentwicklung der konventionellen technischen Werkstoffgebiete, z. B. hochtemperaturbeständige Werkstoffe usw. Im Fachjargon gesagt: Der technische fall-out aus der Kerntechnik und aus der Weltraumtechnik, also die Möglichkeit der kommerziellen Nutzung dieser technischen Gebiete, wiegt per saldo auf längere Zeit den gesamten Aufwand, den wir jetzt investieren - für Forschung und Entwicklung -, sachlich, materiell und personell wieder auf, weil das Bruttosozialprodukt der daran beteiligten Volkswirtschaften entsprechend wachsen wird.
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Es ist heute nur die Frage, ob in so kurzen Zeiträumen - das ist also ein Nachteil von Fünf- und Zehnjahresplänen -, das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag schon positiv sein kann. Hier muß man unter Umständen mehr Geduld haben. Das gilt auch für die mehr weltanschauliche Seite dieser ganzen Entwicklung.
Deswegen, glaube ich, könnte man im Sinne dessen, was ich im Zusammenhang mit der Anfrage und den Anträgen, die hier gestellt werden, zu skizzieren versucht habe, folgendes sagen: Ohne internationale Zusammenarbeit auf diesen neuen Gebieten geht es nicht, aber die internationale Zusammenarbeit ist nur dann für ein Industrieland wie das unsere möglich, wenn wir mit einer entsprechenden nationalen Mitgift in die internationale Zusammenarbeit hineingehen. Das gilt für bilaterale und multilaterale Verhältnisse. Das Verschieben eigener Anstrengungen auf internationale Einrichtungen ist schädlich. Die Mitgift muß man heute mitbringen, und der Eintritt in neue Gebiete der Technik ist dann besonders teuer, wenn es sich um Premieren handelt.
Es folgen daraus einige Aufgaben für die Bundesregierung, vielleicht auch für dieses Parlament. Es ergeben sich aus den Erfahrungen - Herr Kollege Lohmar ist so freundlich gewesen, auf einen Vorschlag von mir hinzuweisen, der für mich heute noch stärkere Bedeutung gewonnen hat als er damals hatte, als ich ihn gemacht habe - einige Konsequenzen. Zunächst müssen in der Bundesregierung alle Kompetenzen für Forschung und Entwicklung in einem Ministerium zusammengefaßt sein. Ich gehe hier sogar so weit, zu sagen, daß die konventionelle Seite der Verteidigungstechnik auch dorthin gehört. Wenn man das so machte, würden manche Enttäuschungen auf diesem Gebiet unterbleiben.
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Das mag ein wenig die Ansicht eines Technokraten sein, aber ich bin, wie Sie, meine Damen und Herren, wahrscheinlich wissen, gar kein hundertfünfzigprozentiger Technokrat.
Das nächste ist die politische Entscheidung über das Prinzip der Arbeitsteilung: Was wollen wir wo machen? Es ist eine Aufgabe für die Bundesregierung, und sie sollte sich zur Lösung dieses Problems der modernen Methoden der Systemforschung, der operation-research, und alles dessen, was verfügbar ist, bedienen. In Deutschland wird etwas mehr daran gearbeitet, als es nach außen hin, auch in Veröffentlichungen, erscheint; diese Arbeiten haben nun einmal nicht den publizistischen Glanz anderer Dinge. Deshalb sind sie weniger bekannt.
Die nächste Forderung ist: Herstellung der Einheit aller Förderungsmaßnahmen für Forschung und Entwicklung. Meine Damen und Herren, ich wehre mich ganz entschieden gegen die nach Plusquamperfekt riechende traditionelle Auffassung, es gäbe einen Unterschied zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und technischer Entwicklung. Damit können wir heute keine moderne Technik und Wissenschaft mehr betreiben. Es gibt eigentlich nur eine Forschung, keine Trennung von Grundlagen- und angewandter Forschung. Forschung und technische Entwicklung sind ebenfalls eine methodische Einheit geworden, und bei der Förderung der technischen Entwicklung, also der Vorstufe der Güterproduktion auf diesen neuen Gebieten, handelt es sich nicht um Subventionen für die Industrie, die damit ihre roten Zahlen decken will, sondern um Investitionen für die Volkswirtschaft in der Zukunft. Es gibt eben gewisse Gebiete, bei denen die öffentliche Hand einspringen muß, weil der wirtschaftliche Anreiz noch nicht gegeben ist. Aus diesem Grunde muß ich sagen: ich bedaure, daß das Wissenschaftsministerium in dieser Hinsicht noch eine organisatorische Lücke aufweist. Wir sollten den Herrn Wissenschaftsminister auf allen Seiten dieses Hauses in jeder
Weise unterstützen, damit er diese Lücke möglichst bald ausfüllen kann.
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- „Wollen das Gute hat er schon, aber vollbringen das Gute mangelt ihm", sagte der Apostel Paulus.
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Aber ich nehme an, er ward das schon noch fertigbringen.
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- Das ist allerdings ein Vorteil, der mit jedem Tag geringer wird.
Ferner gehört dazu die frühzeitige Heranziehung der Industrie bei der Ausarbeitung von Programmen für die Kerntechnik und die Raumfahrttechnik. Bei der Kerntechnik ist dies durch die Einrichtung der Deutschen Atomkommission weitgehend gelungen, und ich bin gern bereit, Herr Kollege Lohmar, den beteiligten Wissenschaftlern und Technikern in diesen ehrenamtlich tätigen Institutionen, die dem deutschen Steuerzahler Millionen erspart haben, an dieser Stelle, wenn auch etwas posthum, einen herzlichen Dank auszusprechen;
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früher habe ich das auch getan. Diese Heranziehung der einschlägigen Industrie spart Zeit und Geld, nicht nur bei der Ausführung der Programme, sondern auch bei ihrer Aufstellung. Man soll sich des Sachverstandes anderer ruhig bedienen.
Hinzu kommt die Anpassung unseres Ausbildungs- und Bildungswesens an die Erfordernisse der zukünftigen Entwicklung, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt: Was brauchen wir heute?, sondern unter dem Gesichtspunkt: Was brauchen wir in 15 Jahren - wenn nämlich diese junge Generation, die jetzt in das Schulleben eintritt, die Ausbildung hinter sich hat -?
Auch dafür fehlen uns noch wissenschaftliche Methoden. In der Wirtschaftswissenschaft haben wir die Methode der langfristigen Projektionen entwikkelt. Für die Wissenschaftspolitik fehlen uns noch ähnliche Möglichkeiten der langfristigen Vorausschau, weil hier sehr viel mehr Parameter eingehen als in der Wirtschaft. Auch das ist eine wissenschaftspolitische Aufgabe, die nur mit der Wissenschaft gelöst werden kann. Dienen soll diese Möglichkeit der Anpassung des Bildungswesens. Dazu gehört auch das Problem der Fortbildung im Beruf. Das Ziel ist die Werterhaltung der individuellen Bildungsinvestitionen, die nun einmal im Berufsleben notwendig ist und die in ihrer Summe die Leistungshöhe einer Nation bestimmen.
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Das Wort hat der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen der Sprecher der drei Fraktionen möchte ich in diesem Stand der Debatte gern einige kurze Zwischenbemerkungen machen.
Herr Kollege Lohmar hat vor allem kritisiert, daß bestimmte Fragen nicht behandelt worden seien. Diese Fragen sind allerdings nach meiner Überzeugung nicht Gegenstand der Anfrage. Ein großer Teil dieses Hauses hätte es wohl mit mir begrüßt, wenn wir neben seinen kritischen Bemerkungen auch noch etwas deutlichere eigene Vorstellungen zur Sache gehört hätten.
Herr Dr. Lohmar möchte gern eine Zwischenfrage stellen. - Bitte!
Herr Minister, darf ich Sie bitten, zu der zweiten Feststellung, die Sie getroffen haben, mein Manuskript nachzulesen und zur ersten eine Richtigstellung zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe nicht kritisiert, daß Sie bestimmte Fragen, die in der Großen Anfrage nicht gestellt worden sind, auch nicht beantwortet haben, sondern ich habe kritisiert, daß Ihre Antworten sich in zu allgemeinen Formulierungen bewegten.
Ich will gern präzisieren, was ich meine. Sie haben z. B. beanstandet, Herr Kollege Lohmar, daß ich das, was ich vor kurzem in einem Interview zu Problemen der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verschmutzung von Luft und Wasser, also zu Problemen der modernen Zivilisation, gesagt habe, hier nicht vorgetragen habe. Aber genau dieses Beispiel zeigt, was ich meine. Gegenstand der Großen Anfrage ist nicht die Wissenschaftspolitik in ihrer ganzen Breite oder mit all den möglichen Formen der europäischen Zusammenarbeit, sondern das Thema lautet: „Atom- und Weltraumforschung". Das möchte ich nur zur Rechtfertigung und Klarstellung meines Verfahrens sagen. Ich glaube, daß eine große Fülle anderer brennender und bedeutender Probleme in Spezialdebatten behandelt werden müssen.
Dazu gehört auch die Frage der jungen Wissenschaftler, die Sie angesprochen haben. Ich habe, wie Ihnen nicht entgangen sein wird, in meiner abschließenden Zusammenfassung darauf hingewiesen, daß neben den großen Themen der Finanzierung und der Organisation, die wir hier sehr eingehend behandelt haben, die Frage der Menschen ein Kardinalpunkt unserer allgemeinen Wissenschaftspolitik und -planung sein müsse. Ich habe weiter darauf hingewiesen, daß wir im November eine Debatte auf der Grundlage eines Berichtes der Bundesregierung haben werden, den sie auf Wunsch dieses Hohen Hauses vorlegen wird. Dann wird auch für die Bundesregierung Gelegenheit sein, zu diesen Dingen ausführlich Stellung zu nehmen. Aus der Ausklammerung dieses Themas und dem Verweis auf die bevorstehende Debatte im November irgendwelche negativen Folgerungen auf mangelnde Dankbarkeit oder Anerkennung zu ziehen, ist meines Erachtens unangebracht.
Nun haben Sie einige Themen berührt, die doch große Bedeutung haben und auch unsere Diskussion hier beeinflussen können. Es waren vor allem Fragen der Organisation des Ministeriums. Sie haben sich für die Errichtung von Abteilungen für Technologie und Forschungsplanung ausgesprochen und beanstandet, ,daß solche Entscheidungen bisher nicht getroffen wurden. Ich möchte Ihnen sehr deutlich und offen meine Meinung sagen, daß ich nach den Erfahrungen, die ich in einem Jahr gesammelt habe, die Errichtung einer besonderen Abteilung für Technologie in diesem Ministerium nicht für wünschenswert halte. Grundlagenforschung, angewandte Forschung und technische Entwicklung sind, wie mein verehrter Amtsvorgänger Professor Balke mit Recht soeben gesagt hat, eine untrennbare Einheit. Deshalb ist das Gliederungsprinzip richtig, nach dem wir in den großen Fachabteilungen für Weltraumforschung und -technik und Atomforschung und -technik diese Aufgaben in einer Organisation vollziehen. Wir wollen an diesem bewährten Gliederungsmoment auch festhalten. Wenn wir Aufgaben in anderen Wissenschaftsbereichen übernehmen sollten und sich daraus organisatorische Konsequenzen ergäben, würden wir ebenfalls bestrebt sein, Forschung und technische Entwicklung in der Organisation so eng wie möglich zusammenzuhalten. Ich glaube, die Einheit von research und development - um die englischen Begriffe zu gebrauchen - ist eine internationale Erkenntnis.
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Die Fragen der Forschungsplanung haben eine große Bedeutung. Wir haben für diese Aufgaben ein Zentralreferat, das weiter verstärkt wird und das den Forschungsbericht erstellt. Wir haben korrespondierende Fachreferate. Ich halte eine weitere organisatorische Veränderung in dieser Hinsicht für möglich. Nach dem heutigen Stand meiner Erkenntnis glaube ich allerdings nicht, daß diese Aufgaben so groß werden, daß sie eine allgemeine Ministerialabteilung tragen. Aber über dieses Thema können wir uns sehr gern noch einmal im einzelnen im zuständigen Ausschuß des Bundestages unterhalten.
Es ist hier - ich will nur diese beiden Punkte noch streifen - von den Großbeschleunigern - den Planungen von CERN - die Rede gewesen. Dieses Thema ist auch in einer noch nicht gehaltenen Rede des Herrn Kollegen Flämig, die mit der Sperrfrist von 5 Uhr seit 5 Uhr über die Agenturen läuft, behandelt worden. Ich will mich zu diesem Verfahren nicht weiter äußern. Aber ich nehme doch in Anspruch, meine Damen und Herren, daß ich dann zu diesem Thema - in Kenntnis der Agenturfassung - vielleicht schon etwas sagen kann.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie darauf verweisen, daß wir vor vier Wochen von CERN ,die Studien und Unterlagen erhalten haben, die überhaupt die Voraussetzung für eine wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Meinungsbildung im deutschen Bereich sind. Ich sage noch einmal, wir haben diese Unterlagen vor vier Wochen bekommen. Deshalb ist es meines Erachtens abwegig, davon zu sprechen, daß wir irgend etwas versäumt oder irgendwelche Fehler begangen hätten.
Zur Frage des Standortes haben wir ein besonderes Fachgremium der Deutschen Atomkommission mit Untersuchungen beauftragt. Das Ergebnis dieser Untersuchungen wird in einigen Wochen vorliegen. Dann werden wir, glaube ich, diese Frage der verschiedenen Standorte deutlicher behandeln können.
Ich habe mit großem Interesse die verschiedenen Ausführungen zur Energiepolitik - gerade die Ausführungen des Kollegen Moersch - gehört. Man kann nicht verkennen, daß in diesen Darlegungen, den Erwartungen, die vorgebracht wurden, die Bundesregierung möge ihre - meines Erachtens schon deutlich dargestellte - Auffassung noch weiter präzisieren, ein wesentlicher Wandel gegenüber manchen Debatten in diesem Hohen Hause in den letzten Monaten zu verzeichnen war.
Meine Damen und Herren, wir haben in der deutschen Öffentlichkeit, gestützt durch ein fast einstimmiges Votum des Bundesrats, nicht etwa nur der Bergbauländer, die ganz entschiedene Auffassung gehört, daß die von der Bundesregierung vorgesehenen und dann vom Bundestag beschlossenen Maßnahmen auf diesem Gebiete noch absolut unzulänglich seien. Ich habe nicht ohne Grund in der Regierungserklärung auf die Stellungnahme der Bundesregierung auch zu diesen Voten hingewiesen. Ich glaube allerdings, daß wir in der Entscheidung der Bundesregierung und dann schließlich auch des Bundestages einen Weg gewählt haben, der uns die Möglichkeit einer dynamischen Entwicklung in der Kernenergie offenhält.
Herr Abgeordneter Moersch möchte eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß gerade durch die allerjüngsten Begebenheiten nach diesen Debatten, etwa den Darlegungen des baden-württembergischen Wirtschaftsministers Dr. Leuze im Zusammenhang mit den Projekten am Oberrhein, eine neue Entwicklung gegeben ist, die, wenn sie bekannt gewesen wäre, zwangsläufig die Stellungnahme dieses Hohen Hauses und auch des Bundesrates zu diesem Thema hätte verändern müssen?
Daß eine neue Entwicklung eintritt, würde ich bejahen. Ob diese Tatbestände die Haltung des Hohen Hauses in der Vergangenheit beeinflußt hätten, wage ich nicht zu beurteilen. Daß ich persönlich gerade in den Gesprächen mit dem von Ihnen genannten baden-württembergischen Wirtschaftsminister diese Meinungsbildung in einem gewissen Umfange mit beeinflußt habe, kann ich Ihnen bestätigen.
Meine Damen und Herren, wir müssen - ich sage das noch einmal mit Nachdruck gegenüber den doch sehr wechselnden Äußerungen und Erwartungen,
denen wir uns gegenübersehen - eine Politik geradlinig verfolgen, die den Gesichtspunkten einer geordneten Umstrukturierung im Bereiche der Energiewirtschaft Rechnung trägt, eines geordneten Verfahrens ohne Zusammenbrüche, die uns aber auf der anderen Seite den Zugang zu den modernen und billigen Energieformen voll erschließt und sichert.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Flämig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Ich weiß nicht, wieviel Sie wissen, aber ich glaube, - ({1})
- Zuviel, meinen Sie? ({2})
- Zwei volle Seiten? Na, dann passen Sie mal auf, was ich noch alles zu sagen habe!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn eine Regierungskoalition die eigene Regierung befragt,
({3})
dann sollte man meinen, daß man der Regierung eine Darstellung aller Probleme ermöglichen will. Ich hatte, ehrlich gesagt, so etwas wie eine Stoltenberg-Schau erwartet - ({4})
- Ach, Herr Martin, Sie machen es so sehr lustig! Aber es muß letztlich doch gesagt werden, sonst stimmen die Agenturmeldungen nachher nicht.
({5})
Kurzum, meine Damen und Herren: Man konnte etwas enttäuscht sein; denn Herr Minister Stoltenberg hat, wie es wahrscheinlich in der Regierung Erhard jetzt üblich ist, eine zusammenfassende Gesamtschau gegeben. Er ist aber mit einer ihm eigenen und anerkennenswerten Eleganz um die Hürden, die doch vorhanden sind, herumgeritten. Er ist nicht auf Schwierigkeiten eingegangen, auf Probleme und Sorgen in bezug auf die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie.
Lassen Sie mich bitte einige Beispiele geben!
({6})
- Einige Essentials, meinen Sie? Ach nein, bleiben wir mal lieber beim Deutschen, Herr Kollege!
({7})
- Das sind wir Schiller schuldig, ja!
({8})
Herr Minister Stoltenberg hat gesagt, die Stromerzeugung der Zukunft werde in steigendem Maße eine Stromerzeugung aus Kernenergie sein. Das stimmt. Aber, es wäre - so meinen wir - notwendig, zu sagen, welche energiepolitischen Konsequenzen die Regierung, die ja hier gefragt ist, daraus zu ziehen gedenkt. Sowohl der Herr Kollege Dr. Schober - ({9})
- Nein, das steht eben nicht drin, Herr Dr. Martin! Ich habe die Rede des Herrn Ministers sorgfältig durchgelesen. Sowohl Herr Dr. Schober als auch der Kollege Moersch haben darauf hingewiesen, daß die Rentabilitätsschwelle in bezug auf Kernenergie und Kohle bereits überschritten ist. Es läßt sich schon jetzt absehen, daß die Rentabilitätsschwelle auch in bezug auf das Öl in absehbarer Zeit unterschritten wird. Die Frage ist bestimmt berechtigt: soll es noch einmal auf dem Energiemarkt ein solches Desaster geben, wie wir es zur Zeit zum Schaden der beschäftigten Menschen beim Überrunden des Energieträgers Kohle durch das Öl erleben? Sollte man nicht daraus lernen, um einen reibungslosen Übergang von einer Energieart zur anderen zu gewährleisten?
Ein anderes Beispiel: Die öffentliche Hand hat mit erheblichen Mitteln die Reaktorbauindustrie gefördert. Herr Dr. Schober, Sie haben auch darauf hingewiesen. Es sind Demonstrationskraftwerke gebaut worden, wie wir vorhin hörten, in Gundremmingen, Lingen, Obrigheim, ich möchte hinzufügen: Kahl - in gewissem Zusammenhang -, aber, Herr Moersch, da gebe ich Ihnen recht: es ist noch kein Auftrag für ein kommerzielles Kraftwerk in der Bundesrepublik eingegangen.
({10})
- Großkraftwerk. Warum? Diese Frage muß man doch hier stellen. Ich meine: weil eine gewisse Verwirrung, eine gewisse Unsicherheit, eine gewisse Zurückhaltung bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen da ist, weil es einfach an einer weitschauenden Energiepolitik der Regierung fehlt.
({11})
- Herr Kollege Moersch, wir haben hier über die bundespolitischen Richtlinien zu sprechen.
({12})
- Natürlich gehört Nordrhein-Westfalen zum Bund. Aber schließlich sind wir hier nicht der Landtag in Düsseldorf, sondern wir sind hier der Bundestag in Bonn.
({13})
- Danke für den Hinweis.
Aber diese Versäumnisse können schwerwiegende Folgen für die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Reaktorbauindustrie auf dem Exportmarkt haben. Die USA, England, Frankreich exportieren Reaktoren, sie sammeln ständig neue Erkenntnisse. Dabei
wäre unsere Industrie technisch auch in der Lage, im Wettbewerb mit diesen Ländern solche Anlagen zu bauen. Warum fehlen denn die Aufträge? Weil wir noch eine mangelnde Übereinstimmung unserer Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik feststellen müssen. Herr Minister Stoltenberg hat nur mit einem Halbsatz darauf hingewiesen, daß die Zukunft der Kernenergie in der Stromerzeugung und der Meerwasserentsalzung liege. Das war alles, was er zu diesem Thema gesagt hat. Ich glaube, das Thema Meerwasserentsalzung verdient etwas mehr Beachtung. Schon heute haben wir in Norddeutschland Wasserprobleme. Das wird mit zunehmender Industrialisierung schlimmer werden. Die Meerwasserentsalzung bzw. die Frischwasseraufbereitung auf der Grundlage der Kernenergie sollte, so meine ich, zu den vorrangigen Aufgaben im Rahmen der kerntechnischen Entwicklung gehören. Deutschland hat bisher noch keine größere Anlage gebaut und ist aus diesem Grunde zur Zeit nicht in der Lage, auf dem Weltmarkt Angebote abzugeben. Die Amerikaner und die Sowjetrussen haben zunächst zur Behebung ihrer eigenen Wassersorgen solche Anlagen entwickelt. Jetzt exportieren sie diese Anlagen in die Entwicklungsländer. Es ist mir bekannt, daß aus Entwicklungsländern auch bei uns Anfragen vorliegen. Aber unsere Industrie kann so etwas noch nicht anbieten, weil man diese Dinge natürlich entwickeln muß, und zwar, wie ich meine, mit der Hilfe der öffentlichen Hand, mit der Hilfe zur Selbsthilfe.
Ein Kollege - ich weiß nicht, ob das da auch in Ihrer Fassung steht -, ein Kollege von der Landwirtschaft hat nach der Fraktionssitzung gestern zu mir gesagt: „Wollt ihr die reiche Industrie immer noch weiter subventionieren?"
Das klärende Wort muß einmal hier gesagt werden: Es dreht sich ja nicht darum, unrentable Betriebszweige mit mehr oder minder nützlichen Finanzspritzen noch eine Weile am Leben zu erhalten. Hier geht es darum, einen wichtigen, zukunftsträchtigen Zweig der deutschen Wirtschaft im Ringen mit der Auslandskonkurrenz wettbewerbsfähig zu machen. In ein Geschäft - nebenbei gesagt aus dem etwas herausspringen soll, muß man, das weiß jeder Kaufmann, auch etwas hineinstecken.
Herr Minister Stoltenberg hat eindrucksvolle Zahlen über die wissenschaftlichen Probleme genannt. Die Zahlen sind unbestritten. Um was es uns hier geht, ist eine klare Konzeption. Das Verstromungsgesetz war kein Musterbeispiel, sondern, so meine ich, eine Notoperation, als der Patient beinahe schon im Sterben lag.
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- Scheintot? Na, ja, darüber müssen wir uns noch einmal unterhalten, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist.
Herr Minister Stoltenberg sagte in seinen Ausführungen, die weitere Arbeit sei breit genug angelegt, um Rückschläge auffangen zu können, aber auch auf Schwerpunkte konzentriert, so daß eine unproduktive Verzettelung nicht länger zu befürchten sei. Herr Minister, das ist eine bemerkenswerte
Formulierung. Gestatten Sie, daß ich das sage. In der Tat war so etwas zu befürchten.
Beachtlich, meine ich, ist auch Ihr Hinweis, man müsse die Frage sorgfältig beobachten - ich habe mir eine Weile überlegt, wie das wohl vor sich geht, wenn man eine Frage sorgfältig beobachtet -, ob die organisatorische Struktur der deutschen Elektrizitätswirtschaft es erlauben werde, die besonderen technischen und wirtschaftlichen Vorteile großer Kernkraftwerksblöcke voll zu nutzen. - Natürlich, Herr Minister - ,sprechen wir es hier einmal offen aus -, ist das nicht der Fall. Ein Blick auf die USA genügt, um das festzustellen. Es ist aber doch die Aufgabe einer Regierung, hier mehr zu tun, als nur „Fragen zu beobachten". Man sollte die Länder, man sollte die kommunalen Träger der Elektrizitätsversorgungsunternehmen und den Bund an einen Tisch setzen und eine Konzeption entwickeln oder koordinieren.
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Herr Minister Stoltenberg, Sie nannten uns drei Punkte: erstens Exportbemühungen fördern, um konkurrenzfähig zu werden; zweitens Beschaffung und Kreislauf der Kernbrennstoffe - Sie wollen da Ihre Bemühungen fortsetzen - und drittens Verbesserung der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes. Bravo! In Ordnung! Nur, etwas konkreter wären uns natürlich die Angaben lieber gewesen.
Lassen Sie mich etwas zur Uranversorgung sagen. In ,der Uranversorgung - das ist heute abend schon zweimal angesprochen worden - ist noch nicht so sehr viel von einer Konzeption zu verspüren. Von den 479 Millionen DM, die wir zur Förderung der Kernenergie ausgeben, sind in diesem Jahre ganze 1,7 Millionen DM für die Uranversorgung bereitgestellt. Die Bundesrepublik hat bisher insgesamt 20 Millionen DM für die Uranprospektierung aufgewandt. Diesen 20 Millionen DM, meine Damen und Herren, stehen in Frankreich 350 Millionen DM gegenüber.
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- Ja, ich spreche jetzt von der Prospektierung, gnädige Frau.
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- Habe ich Versorgung gesagt? Entschuldigen Sie!
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- So? Dann bitte ich um Entschuldigung, gnädige Frau, wenn ich mich versprochen halbe. Ich werde es dann im Protokoll berichtigen. Wahrscheinlich ist das in der Agenturfassung richtig wiedergegeben.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren ist es den ausländischen Unternehmen gelungen, größere Vorkommen zu erschließen, so daß wir - und das ist jetzt ganz ernst gemeint, das ist nicht zum Lachen - ähnlich wie beim Öl über kurz oder lang einigen wenigen internationalen MonoFlämig
polen gegenüberstehen werden, die den Uranmarkt unter Umständen beherrschen und uns praktisch ihre Bedingungen diktieren können. Die Uranversorgung ist natürlich erst dann ,gesichert, wenn wir über ausreichendes und billiges Unran verfügen. Aber zumindest müssen die eigenen Reserven voll genutzt werden.
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- Ja, ach das habe ich natürlich erwartet, liebe verehrte Kollegin Geisendörfer, daß der Geigerzähler und die Abiturientenklassen hier irgendwie auftauchen würden.
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- Ja, damit haben Sie mir eine Freude bereitet. Aber, meine Damen und Herren, wir sind uns darüber im klaren, wir, dieses kleine Häuflein von den Abgeordneten, die sich mit den Dingen beschäftigen, - ({21})
- Die anderen haben es wahrscheinlich alle schon gelesen.
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Aber zu Ihren Abiturienten, gnädige Frau, ein Wort. Man muß sich doch wahrscheinlich noch etwas anderes einfallen lassen, als Abiturientenklassen mit Geigerzählern durch die Wälder zu schicken.
Es ist der Hinweis auf die schnellen Brüter gekommen. In Fachkreisen werden Zweifel geäußert, ob es mit den ersten für 1980 geplanten schnellen Brütern möglich ist, das Versorgungsproblem zu lösen. Bis 1980 werden zahlreiche Reaktoren der ersten Generation gebaut und in Betrieb sein. Sie alle werden auf Jahre hinaus Uran 'brauchen.
Hier war die Rede davon, daß es noch nicht einmal gelungen sei, heimische Uranvorkommen bei Menzenschwand zu erschließen. Der Stollen - das ist ein Faktum - der mit Bundesmitteln errichteten Anlage verrottet mehr und mehr, ohne daß Abhilfe oder eine Einigung mit der Gemeinde zur Zeit in Sicht ist. Mittlerweile ist aber die Bundesrepublik gezwungen, teure Uranerze aus Frankreich zu importieren. Die Aufbereitungsanlagen in Elfweiler müssen ja schließlich in Gang gehalten werden. Es wäre interessant gewesen, Herr Minister, zu hören, wie die Bundesrepublik mit dem Land Baden-Württemberg eine Einigung erreichen will.
Wie sieht es mit der Versorgung von angereichertem Uran aus? Hier sind wir zur Zeit allein auf die Amerikaner angewiesen. Die Schweiz - so habe ich gelesen - hat kürzlich einen 30-Jahresvertrag über die Lieferung von angereichertem Uran für fünf Leistungsreaktoren abgeschlossen. Wir sollten doch, so meine ich, fordern, daß die Bundesregierung eine klare Konzeption entwickelt, wie sie die Anlieferung von angereichertem Uran in ausreichendem Umfang und zu angemessenen Bedingungen sicherstellen will. Die Lösung dieses Problems kann man nicht allein der privaten Wirtschaft und den Elektrizitätsversorgungsunternehmen überlassen.
Auch auf dem Gebiete der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente ist es der Bundesregierung noch nicht gelungen, weiterzukommen, ja, es ist noch nicht einmal gelungen - das ist heute abend nicht angesprochen worden, das muß aber einmal gesagt werden -, die Genehmigung für diese Anlage im Raum Karlsruhe zu erwirken. In den Haushalt 1966 hatten wir, glaube ich, 11 Millionen DM für den ersten Bauabschnitt dieser Anlage eingesetzt. Niemand aber vermag zu sagen, wann dort der erste Spatenstich sein wird, es sei denn, Herr Minister, Sie können uns das heute abend noch sagen. Es ist einfach nicht zu verantworten, daß auf dem wichtigen Gebiet der Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente so lange Verzögerungen entstehen, die zu einem beträchtlichen Rückstand in der gesamten Wiederaufarbeitungstechnik führen müssen.
Herr Dr. Schober hat von einer Zäsur gesprochen. Ein wichtiges, wenn nicht vielleicht das wichtigste Entwicklungsproblem, das wir in der Bundesrepublik auf dem Gebiete der Kernenergie haben, ist das der Entwicklung der sogenannten Brüter, und zwar - wie wir vorhin von sachkundiger Seite, nämlich von Herrn Professor Balke, gehört haben - sowohl der schnellen Brüter als auch der thermischen Brüter, wobei die Entwicklungsarbeiten für den schnellen Brüter im Kernforschungszentrum Karlsruhe und die Entwicklungsarbeiten für den thermischen Brüter in der Anlage Jülich geleistet werden. Es handelt sich, wie man so schön sagt, um die Reaktoren der sogenannten dritten Generation, auf denen einmal die Hauptlast der Energieversorgung liegen wird. Außer der Bundesrepublik unternehmen auch andere Industrienationen erhebliche Anstrengungen auf diesem Gebiet. Frankreich und England verfolgen nur eine Variante dieses Typs. Aber wir in der Bundesrepublik leisten uns deren drei, die beiden schnellen Brüter mit Dampf- und Natriumkühlung und den Thoriumbrüter.
Ich möchte hier nicht auf den müßigen Streit eingehen, der kürzlich durch eine führende Zeitung entfacht worden ist, ob bei den schnellen Brütern der Natrium- oder der Dampfkühlung der Vorzug gegeben werden kann. Dies, meine Damen und Herren, ist eine Entscheidung - da muß ich Ihnen, Herr Kollege, recht geben -, die den Wissenschaftlern und den Wirtschaftlern vorbehalten bleiben muß. Diese Frage wird wahrscheinlich nicht vor 1969 entschieden werden. Wir müssen aber die beiden genannten Kühlmittelvarianten zunächst einmal weiterverfolgen - wir haben die Erklärung vorhin gehört -, zumindest so lange, bis die Technik geklärt ist. Darüber sind wir uns im klaren. Diese bedeutungsvolle Aufgabe ist aber nur im Rahmen umfassender Förderungsmaßnahmen des Bundes zu lösen. Schließlich erfreut sich diese Aufgabe auch der Unterstützung der Euratom im Rahmen eines Assoziationsvertrages.
Die Entwicklung der Brutreaktoren stellt die Ergänzung und Fortsetzung der jetzt bereits erfolg3110
reichen Generation von Kernkraftwerken dar. Wir hätten, Herr Minister, gern etwas mehr gehört über die Finanzierung des sogenannten mittelfristigen Programms der Reaktoren für die zweite Generation, insbesondere darüber, ob das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung eine solche zweite Generation zwischen den heute bereits wettbewerbsfähigen Leichtwasserreaktoren und den künftigen Brütern für notwendig erachtet. Der Bund hat sich leider etwas zögernd zur Förderung der sogenannten Zwischengeneration bereit gefunden. Das kompakte natriumgekühlte Kernkraftwerk sowie die Heißdampfreaktoren werden heute - wie man von Fachleuten hört - eindeutig als Vorstufe für die Brüterentwicklung angesehen. Sie sind also keine Reaktoren der Zwischengeneration. Der Bund finanziert allerdings maßgeblich den elektrischen 100-Megawatt-Schwerwasser-Druckröhrenreaktor bei Niederaichbach. Ich entnehme daraus, daß der Bund die Notwendigkeit einer Zwischengeneration fortgeschrittener Reaktoren sieht.
Wir haben heute nichts darüber gehört, ob sich das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung bereits die guten Ergebnisse nutzbar machen will, die die OECD mit dem Dragon-Reaktor gesammelt hat und für die auch die Bundesrepublik über Euratom Mittel beisteuerte. Wir haben den Eindruck, daß die Bundesrepublik den Vorteilen des Hochtemperaturreaktors noch nicht genügend Aufmerksamkeit widmet.
Wir Parlamentarier können uns, wie gesagt, nicht in den Streit der Experten einmischen. Aber eines dürfen wir: Wir dürfen von der Regierung verlangen, daß sie im richtigen Augenblick die Weichen stellt und alles tut, um Fehlentwicklungen möglichst zu vermeiden, damit nicht das geschieht, was uns oder der Euratom unter Umständen mit dem ORGEL-Reaktor passiert.
Herr Minister, Sie haben auf die Schwerpunkte bei der künftigen Förderung der Grundlagenforschung in der Atomphysik hingewiesen. Die großen Summen, die für Großprojekte der modernen Forschung aufgewendet werden müssen, gehen mehr und mehr auch über die Kräfte der großen Industrienationen. Zu diesen Großprojekten gehören nicht nur die Raumfahrt, sondern vor allem auch die moderne Hochenergiephysik mit ihren kostspieligen Teilchenbeschleunigern. Die Entwicklung dieser Beschleuniger hat sich in Sprüngen vollzogen, d. h. wenn wir heute über ein 28-GeV-Protonen-Synchroton - damit sind 28 Milliarden Elektronenvolt gemeint - bei der Europäischen Atomgemeinschaft - ({23})
- Sind Sie dessen so gewiß, Herr Kollege?
({24})
Ja, ich pflege seit einiger Zeit Fachliteratur zu lesen; das macht sich manchmal doch ganz gut.
({25})
Wohin sollen wir denn kommen, wenn wir in einer solchen Debatte nicht wissenschaftliche Fragen ansprechen!
({26})
- Ach, Herr Kollege Haase, ich freue mich, Sie zu sehen. Immer wenn ich hier oben stehe, versuchen Sie, mich durch Zwischenrufe aus dem Konzept zu bringen. Hoffentlich gelingt Ihnen das niemals.
Ich habe von dem Protonen-Synchroton bei der Europäischen Organisation für Kernforschung gesprochen. In Brookhaven verfügt man über ein etwa gleich großes Gerät, und größere Geräte sind bei CERN im Gespräch. Dabei denken die Physiker, wie wir hören, bereits an Synchrotons in der Größenordnung von 600 bis 1000 GeV.
Daraus ergibt sich, wie wir meinen, für die Bundesrepublik die Notwendigkeit, sich zu entscheiden, inwieweit sie sich im Rahmen dieses internationalen Forschungsbeitrags beteiligen soll oder ob sie in der Lage ist, die Forschung bis zu einem gewissen Grade allein durchzuführen. Sicherlich werden wir auf die nationalen Arbeiten nicht verzichten können. Wir haben es deshalb auch begrüßt, daß bei Hamburg das Deutsche Elektronen-Synchroton - DESY - mit einem erheblichen Aufwand an öffentlichen Mitteln gebaut worden ist. Die hohen Anlagekosten erfordern aber, daß diese moderne Anlage voll genutzt wird, bevor sie veraltet ist. Das bedeutet jedoch Betriebsmittel von rund 40 Millionen DM im Jahr.
Dieses Projekt wie auch der im Gespräch befindliche Protonenbeschleuniger, der Kosten in Höhe von 150 Millionen DM verursachen würde - wobei sich hier die Betriebskosten in der gleichen Größenordnung wie bei DESY bewegen dürften -, stellen die Regierung vor die Notwendigkeit, zu entscheiden, inwieweit wir dieses Projekt allein im nationalen Bereich oder gemeinsam mit anderen Staaten durchführen sollen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es gut gewesen wäre, wenn die Bundesrepublik mehr Initiative in der Frage des Standorts für das geplante 300-GeV-Synchroton gezeigt hätte. Neun europäische Länder haben Standorte angeboten, wobei allein die Bundesrepublik drei Standorte in ihrem Bereich genannt hatte. Wir haben den Eindruck, daß der an sich außerordentlich günstige Standort Ebersberger Forst allein durch das ungeschickte Verhalten einiger zuständiger öffentlicher Stellen kaum noch für eine Auswahl des Synchrotons in Betracht kommt. Für die deutsche Wissenschaft wäre jedoch der Bau dieses Synchrotons in der Bundesrepublik von außerordentlicher Bedeutung gewesen. Das ging gar nicht so sehr an Ihre Adresse, Herr Minister Stoltenberg. Ich habe mit diesen „öffentlichen Stellen" auch unter Umständen jemand anders meinen können.
({27})
Ich weiß nicht, wie die Agenturfassung aussieht.
({28})
- Ich weiß es nicht, ich habe sie noch nicht gesehen. Ich mußte ja hier sitzen, um die Debatte zu verfolgen.
Meine Damen und Herren, ein solcher Beitrag wäre doch besonders geeignet, den deutschen Wissenschaftlern ein attraktives Arbeitsfeld zu bieten und damit der Abwanderung entgegenzuwirken. Wenn es uns schon nicht gelingt, ein großes internationales oder bilaterales Projekt in die Bundesrepublik zu bekommen, dann sollte man doch, so meine ich, wenigstens versuchen, der Kernforschung im nationalen Bereich die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
Erlauben Sie mir hier ein paar Bemerkungen zur Fusionsforschung bzw. zur Plasmaphysik in der Bundesrepublik. Auf diesem Gebiet wird sowohl im Institut für Plasmaphysik in München als auch in Jülich jeweils unter verschiedenen Aspekten gearbeitet. Die bereits in diesen Instituten geleisteten Arbeiten können als recht erfolgreich angesehen werden, und sie haben auch bereits internationale Anerkennung gefunden. Aber es muß nun bald entschieden werden, ob angesichts der Mittel, die in den USA, in Frankreich und Großbritannien für dieses Gebiet ausgeworfen werden, wir auch in der Bundesrepublik diesem interessanten wissenschaftlichen Feld noch größere Aufmerksamkeit schenken sollen. In Amerika werden in diesem Haushaltsjahr immerhin 22,9 Millionen Dollar - das sind also rund 100 Millionen DM - und in Großbritannien etwa 44 Millionen DM ausgegeben. Hinter diesen Beträgen liegen wir doch erheblich zurück. Ich möchte hier die Frage anschneiden, ob die gesamten Arbeiten nicht besser einheitlich beim Bund koordiniert werden sollten, anstatt wie bisher teils beim Bund, nämlich in Garching, teils beim Lande Nordrhein-Westfalen, nämlich in Jülich. Ich möchte anregen, darüber nachzudenken, ob nicht dieses sehr in die Zukunft weisende Gebiet eine Schwerpunktaufgabe für die Euratom-Gemeinschaft sein könnte.
({29})
Es ist hier vom Sorgenkind „internationale Zusammenarbeit in der Atomforschung" geredet worden. Wir hatten große Hoffnungen an die Euratom geknüpft. Sie sind nur zum Teil erfüllt worden. Offenkundige Meinungsverschiedenheiten sind erstmals zutage getreten, als über die Anpassung des zweiten Euratom-Fünfjahresplanes an die gestiegenen Löhne und Preise verhandelt wurde. Die Kommission schlug damals 10 % Anhebung des Etats vor, aber es blieb bei einem Prozent. Diesem Kompromiß folgten bald neue Schwierigkeiten bei der Aufstellung des Haushalts 1966.
Meine Damen und Herren, darin stecken - auch für die Bundesrepublik - erhebliche Steuermittel. Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie sich die Euratom-Kommission das dritte Fünfjahresprogramm denkt; das zweite endet schließlich im Jahre 1967. Am 10. Oktober, vor zwei Tagen, las ich im „Handelsblatt" - das pflege ich in diesem Zusammenhang auch zu lesen, Herr Kollege Dr. Hellige -: „Neue Konzeption für Euratom". Man will neue Formen der Forschungszusammenarbeit entwickeln. Man redet von „gemeinsamen Unternehmen", „selektiver Finanzierung"; Herr Chatenet hat - wie vorhin zitiert wurde - ein „Menü à la carte" vorgeschlagen, und Herr Margulies, unser früherer Kollege, spricht da von einer „heilsamen Krise". Wir hatten gehofft, darüber heute, Herr Minister, etwas mehr zu hören. Das ist ja hochaktuell. Wir bedauern, daß sich durch die wachsende Enttäuschung verschiedene Teilnehmerländer veranlaßt sahen, ihre Anstrengungen mehr und mehr auf die nationalen Bereiche zu verlagern. Wir bedauern das, weil wir in der Euratom eine Basis für eine umfassende europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernforschung gesehen haben.
Man hört in Fachkreisen bisweilen den Verdacht, auch die Bundesrepublik habe ihre Chance in dieser Beziehung nicht voll genutzt. Eine Unsicherheit ist unzumutbar für Parlamentarier, die Jahr für Jahr Millionenbeträge bewilligen sollen, aber auch für die 2500 Bediensteten in den Forschungszentren. Es ist wenig Trost, Herr Minister, wenn wir lesen, die Euratom-Kommission scheine entschlossen zu sein, kein drittes Fünf-Jahres-Programm mehr aufzustellen.
Wir wollen es wissen, und diese Leute wollen es wissen: Wie steht die Bundesregierung zu ORGEL? Ist die Bemerkung von Ihnen, Herr Minister, daß die Europäische Atomgemeinschaft Ispra neue Aufgaben stellen müsse und daß die Grundlagenforschung verstärkt werden sollte, nun eine endgültige Abkehr von der bisherigen Konzeption, die doch wohl darin bestand, rund 80 % aller Forschungsmittel in Ispra in das Projekt des vorhin zitierten schwerwassermoderierten, organisch gekühlten Reaktors zu stecken, den man so schön ORGEL nennt? Bisher scheint keiner auf dieser „Orgel" spielen zu wollen. Man darf in .der Tat gespannt sein, was geschehen wird, wenn die Europäische Atomgemeinschaft diesen ORGEL-Reaktor demnächst ausschreibt. Unsere Freunde von der Euratom haben bisher 480 Millionen DM in dieses Projekt gesteckt. Ein Prototyp würde noch einmal etwa so viel kosten. Auch hier, Herr Minister, scheint doch eine klare Konzeption unter den Mitgliedern der Euratom zu fehlen. Die Euratom-Politik ist nun einmal in eine Sackgasse geraten. - Das finde ich gar nicht scherzhaft, sondern das ist vom europäischen Standpunkt aus traurig. Eine Fachzeitschrift hat kürzlich sogar geschrieben, es gebe keine offizielle Euratom-Politik mehr.
Ich habe bewußt auf die Wissenschaftler hingewiesen, die Betroffenen. Das ist nach wie vor ein gesamteuropäisches Problem. Vorgestern stand in einer Zeitung, die hier in Bonn vertrieben wird: „Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland hält an." Es fällt auf, daß speziell deutsche Wissenschaftler abwandern. Hier gilt es, die Ursachen zu beseitigen. Herr Dr. Lohmar hat darauf hingewiesen, daß ein Wissenschaftler-Tarif erforderlich ist. Aber das ist natürlich nicht allein eine Frage der Bezahlung; die ist zum Teil sogar zufriedenstellend. Es ist eine Frage des Geschmacks und der Zweckmäßigkeit, ob man Wissenschaftler wie öffentliche Ange3112
stellte einstuft. Es ist auch einer Frage der Organisation der deutschen Forschungsstätten. Der Mangel an jungen Wissenschaftlern und ihr Abwandern sind auch die Folge anderer Ursachen. Vielleicht ist das patriarchalische System - in der Wissenschaftsdebatte in diesem Frühjahr ist darauf hingewiesen worden - mit daran schuld, das Handikap für junge, vorwärtsdrängende Kräfte. Da bieten die Amerika-, ner einfach mehr Anreize, mehr Teamwork.
Abgesehen davon ist es auch eine Unmöglichkeit, daß zwei Wissenschaftler nebeneinander arbeiten; der eine- wird von einem deutschen Institut bezahlt, der andere von der Euratom, und der bekommt fast das Doppelte, obwohl sie beide das gleiche leisten.
Ich habe das Problem nur anreißen wollen. Es muß gelöst werden. Meine Fraktion hat dazu einen Antrag eingebracht.
Schließlich noch ein anderer wunder Punkt, der nicht angeschnitten worden ist: die vorzeitige und überraschende Abberufung des deutschen Generaldirektors in Ispra. - Herr Minister, ich sehe Sie lächeln. Ich glaube, Sie hätten sich fast gewundert, wenn dieses Bonbon heute nicht gekommen wäre. - Es wäre natürlich interessant, zu erfahren, ob das, was in Ispra geschehen ist, in Fühlungnahme oder in Abstimmung mit Ihrem Hause, Herr Minister, erfolgt ist. Nun ist die Stelle sei drei Monaten vakant. Nichts ist über die Neubesetzung zu erfahren. Es wäre an der Zeit, Herr Minister, die Öffentlichkeit zu informieren, ob die Bundesrepublik diese Stelle wieder mit einem deutschen Wissenschaftler besetzt haben will. Gegebenenfalls wäre es interessant, auch zu wissen, mit wem.
Da wurde heute abend die Frage nach der Stellung Ispras im Rahmen der künftigen Euratom-Arbeit gestellt. Es wäre ein Gewinn für die Euratom-Arbeit gewesen, wenn ein so bedeutendes Forschungsinstrument wie der Höchstfluß-Reaktor nach Ispra gekommen wäre. Dieser Reaktor, der der Grundlagenforschung dient, wurde zum Gegenstand - Sie haben es vorhin selbst gesagt, Herr Minister - bilateraler Zusammenarbeit gemacht, obwohl sich hier die Euratom-Basis, so meine ich, geradezu angeboten hätte. Umgekehrt wäre das ORGEL-Projekt für eine bilaterale Zusammenarbeit prädestiniert gewesen. Vielleicht wäre manches besser gelaufen, wenn man das Forschungszentrum Ispra bei der Planung der wissenschaftlichen Arbeiten stärker herangezogen hätte. Wir hatten zweimal Gelegenheit, mit dem Ausschuß hinunterzufahren. Uns haben die Wissenschaftler da einiges recht Ernstes gesagt, meine Damen und Herren. Das Verhältnis der Zentrale in Brüssel zum Kernforschungszentrum muß unbedingt neugestaltet werden. Niemand will eine internationale Zusammenarbeit um jeden Preis oder auf jeden Fall, Herr Minister; Sie haben es vorhin gesagt. Natürlich müssen die jeweiligen Erfordernisse den Ausschlag geben. Hier ist auch eine klare Konzeption nötig.
Der Herr Minister sprach davon, daß es zum Vorteil der Gemeinschaft und der Mitgliedsländer wäre, wenn die Konzentrationsbemühungen von der Euratom-Kommission in einem neuen Mehrjahresprogramm zielstrebig fortgesetzt würden. Bravo, Herr
Minister! Aber was liest man in der Zeitung? Ich habe vorhin das „Handelsblatt" zitiert. Das sind Dinge, die eine Zielstrebigkeit vermissen lassen.
Der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses hat hier schon den Dank ausgesprochen. Ich brauche es nicht noch einmal zu tun.
Zum Abschluß möchte ich sagen: der bisherige Verlauf der Debatte hat gezeigt, daß unsere Regierung nach langem, vielleicht zu langem Zögern endlich zu erkennen gibt, daß sie auf lebenswichtigem Gebiet, der Förderung der Kernforschung, die Zeichen der Zeit erkannt hat.
({30})
- Das steht nicht darin, Herr Minister? Das finde ich aber nun auf der anderen Seite nicht sehr schön von der Agentur. Herr Minister, ich gestehe Ihnen sogar zu, daß sich seit zwei Jahren ein gewisser Wandel abzeichnet.
({31})
Vieles ist noch unklar, vieles ist noch in der Konzeption. Daher bitte ich Sie, zu entschuldigen, Herr Minister, daß ich das eine oder andere Wort der Kritik gesagt habe. Das ist ja nun einmal die Aufgabe der Opposition.
({32})
- Jawohl, gnädige Frau, Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen.
Die SPD freut sich - und das sage ich in aller Offenheit, meine Damen und Herren -, daß sie auch durch ihr Drängen, durch ihr Fordern und Mahnen, durch das Aufzeigen der Probleme und die Unterbreitung von Lösungsvorschlägen einen wesentlichen Beitrag leisten konnte. Sie werden uns auch in Zukunft an Ihrer Seite finden - ich erinnere an das, was Herr Dr. Lohmar gesagt hat -, wenn es gilt, auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie in europäischer Zusammenarbeit das Beste für die Menschen in den europäischen Ländern und die Menschheit überhaupt zu erreichen. Was wir heute versäumen, rächt sich in der Zukunft. Was wir heute für die Zukunft tun, werden unsere Kinder und Enkel uns einst danken.
({33})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir etwa vor acht Jahren in diesem Hause das Atomgesetz verabschiedeten, bekamen alle Abgeordneten, die dem Atom- und Wasserausschuß angehörten, viele Zuschriften von allen möglichen Stellen, die der Meinung waren, daß die Entwicklung der Atomenergie wirtschaftliche Schäden mit sich bringen werde. Insbesondere entsinne ich mich, daß damals aus dem Ruhrgebiet Befürchtungen kamen - Herr Kollege Balke, Sie nicken zustimmend -, wenn die Atomenergie zu schnell entwickelt werde, würden die Ruhrkohlen nicht mehr für Heizzwecke in den Dampfkraftwerken benötigt.
Dem wurde damals von den Wissenschaftlern entgegengehalten, man könne nicht daran denken, vor 20 Jahren Strom aus Atomanlagen herzustellen, der wirtschaftlich sei, d. h. der mit so geringen Kosten produziert werden könne, daß er eine Konkurrenz für die herkömmliche Stromerzeugung sei. Meine Damen und Herren, heute, nach acht Jahren, stellen wir fest - ich beziehe mich auf das, was einer meiner Herren Vorredner, Herr Kollege Moersch, gesagt hat -, daß in der Schweiz die Wasserkraft, die ja an sich noch billiger ist, nicht mehr in der Form ausgebaut wird, obwohl man bereits entsprechend projektiert hat, weil der Strom, der durch Atomkraft hergestellt werden kann, billiger ist.
So schnell geht heute die Entwicklung, und so schwierig ist es, Prognosen für die Zukunft zu stellen. Ich weiß nicht, Herr Kollege Flämig, ob hier die technische Entwicklung, die nun einmal rasant vorwärtsgeht, so zu überblicken ist, daß auch - wie Sie vorhin meinten - eine Projektierung des Energiebedarfs in der Form hätte erfolgen können, - ({0})
- Gut, aber eine gute Energiepolitik können Sie nur dann treiben, wenn Sie zuverlässige Unterlagen haben, und hier sind doch Schwierigkeiten vorhanden. Ich glaube, das an einem Beispiel dargelegt zu haben. Genauso war es bei uns in Karlsruhe. Wir haben vor einigen Jahren mit einem Aufwand von Millionen von Mark ein großes Gaswerk gebaut und haben es vor anderthalb Jahren abgerissen, weil inzwischen - ({1})
- Ich möchte die SPD nicht dafür verantwortlich machen. Sie konnte einfach nicht übersehen, daß inzwischen das Raffineriegas und das Naturgas das aus der Verkokung kommende Gas unrentabel machen würden.
Sie sehen, welche Probleme hier liegen, und ich glaube, man sollte da auch mit der Planung sehr vorsichtig sein und sollte sich gut überlegen, in welche Richtung auch diese Entwicklung gehen könnte. Denn es sind so viele Imponderabilien darin, daß man nicht schon vorher Entscheidungen, die absolut richtig sind, fällen kann.
Lassen Sie mich aber noch über eins sprechen. Es ist vielleicht ein Randgebiet; aber da ich aus dem Gebiet Karlsruhe komme, habe ich gewisse Erfahrungen, und auf Grund meiner Erfahrungen glaube ich, daß auch die Aufklärung der Bevölkerung mit ein wirtschaftlicher Faktor ist. Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht, als in Karlsruhe der Reaktor gebaut wurde. Es sind Widerstände gewesen - durchaus berechtigt, denn die dortige Bevölkerung war plötzlich in die Situation gedrängt, daß sie einen Atomreaktor vor die Nase gesetzt bekam, von dem sie nicht wußte, ob er nicht eines Tages explodiert. Die Gefahr des Atoms schwirrte durch den Raum, und da man vorsichtig war, hat man sich dagegen gewehrt. Ich glaube, daß das auch auf die Wirtschaftlichkeit der Anlage - wenn man lange Genehmigungsverfahren braucht - einen gewissen Einfluß hat. Deshalb ist es ein Wunsch, den ich Herrn
Minister Stoltenberg ans Herz legen möchte, die Aufklärungsarbeit in dieser Hinsicht nicht zu vernachlässigen, sondern alles zu tun, um auch die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß hier ein wirtschaftlicher Forschritt, der nicht mit Gefahren für die Bevölkerung verbunden ist, weitergeführt werden muß.
Wir haben z. B. wegen der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe große Schwierigkeiten. Die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente ist ein wichtiger Bestandteil des Brennstoffkreislaufs und dient vor allem der Rückgewinnung des „nicht verbrauchten" Urans und der Gewinnung des bei den Spaltungsvorgängen erzeugten Plutoniums. In allen Industrienationen werden deshalb Wiederaufarbeitungsanlagen gebaut und in Betrieb genommen. Die größte in Europa befindet sich in Windscale in England. Frankreich verfügt über zwei Wiederaufarbeitungsanlagen. In Belgien steht die Anlage der Eurochemic - ein OECD-Projekt - bei Mol betriebsbereit.
Trotz jahrelanger Vorbereitungen ist es in der Bundesrepublik immer noch nicht gelungen, die Genehmigung für eine kleine Prototypanlage im Raume Karlsruhe zu erwirken. Ein Betrag in Höhe von 11 Millionen DM für den ersten Bauabschnitt ist im Bundesetat 1966 bereitgestellt. Die Mittel könnten jederzeit abgerufen werden, wenn es gelänge, die Genehmigung für diese Anlage vom Lande BadenWürttemberg zu bekommen.
Und nun hört man Kritik von der anderen Seite, von der wirtschaftlichen Seite, die sagt: Durch eine weitere Verzögerung des Baues dieser Anlage laufen wir Gefahr, daß wir auf dem Gebiet der technischen Entwicklung keine oder nur sehr verspätet Erfahrungen sammeln können und damit bei der weiteren Fortentwicklung dieser Technik den Anschluß verlieren. Die ursprünglich bestehenden Schwierigkeiten mit den Bürgermeistern in diesem Raum dort dürften als beigelegt gelten, nachdem sich fast alle Bürgermeister bei einer Besichtigung der Eurochemic von der Sicherheit einer solchen Anlage überzeugen konnten. Die bisher noch nicht erteilte Genehmigung beruht auf den Bedenken der Landesstelle für Gewässerkunde, obwohl hier bereits Gutachten vorliegen, die aussagen sollen, daß eine Gefahr nicht besteht. Ich glaube, meine Damen und Herren, hier bestätigt sich das, was ich forderte: Wir sollten die Bevölkerung über die Situation offen aufklären, damit sie sich nicht aus Unkenntnis oder aus Furcht - eventuell berechtigter Furcht - gegen Sachen wehrt, gegen die sich zu wehren an sich nicht notwendig ist.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkt eingehen. Im Kreis Karlsruhe haben wir das Kernforschungszentrum. Es hat sich zweifellos bewährt und hat einen hohen Ruf. Die dort arbeitenden Wissenschaftler genießen hohes Ansehen und vollbringen anerkannte Leistungen. Hierbei möchte ich auf etwas eingehen, was die Kollegen Flämig und Lohmar auch angeschnitten hatten, nämlich das Problem, daß wir diese Wissenschaftler - nicht nur in Karlsruhe - weiter halten können. Es ist sicherlich eine Frage der Besoldung dieser Kräfte; aber ich glaube, es ist gleichfalls eine Frage der Ausstattung
unserer Institute. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß ein interessierter Wissenschaftler lieber in einem Institut arbeitet, in dem ihm alle Möglichkeiten technischer Art zur Verfügung stehen, wo er für seinen berechtigten wissenschaftlichen Ehrgeiz bessere Chancen sieht, als in einem nicht gut entwickelten Betrieb. Wir sollten uns bemühen, in dieser Richtung alles zu tun, um diese qualifizierten Kräfte bei uns zu halten.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dort beginnen, wo der Kollege Flämig geendet hat, nämlich bei der Kritik am Herrn Minister. Der Herr Kollege Flämig hat in dem ersten Teil seiner Ausführungen eine zum Teil recht deutliche Kritik am Minister geübt, und wir waren sehr überrascht, daß er dann am Schluß doch-ich darf wohl so sagen-eine gewisse Eloge auf diesen Mann ausgebracht hat.
Auch der Herr Kollege Lohmar hat Kritik am Minister geübt. Herr Kollege Lohmar, ich glaube, die Art, wie Sie diese Kritik geübt haben, war doch wohl etwas sehr professoral. In der Sache selber wird man sagen müssen: Man kann dem Minister bei der Beantwortung einer Großen Anfrage nicht vorwerfen, daß er sich nicht mit allen möglichen, nicht zu dieser Anfrage gehörenden Dingen befaßt hat. Das war ein wesentlicher Inhalt Ihrer Kritik. Im übrigen muß man sagen, daß es wohl im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit - wir sind leider in der Zeit jetzt schon sehr fortgeschritten - nicht gut möglich ist, daß man alle Äußerungen und Erklärungen wiederholt, die draußen in irgendwelchen Interviews oder sonstigen Verlautbarungen wiedergegeben werden.
Konkret ist zu sagen: wenn hier von der SPD behauptet worden ist, man verfahre gegenwärtig noch nach dem sogenannten Gießkannenprinzip, dann ist das einfach und schlicht unrichtig; denn dann, wenn es gilt, an einem konkreten Programm Kritik zu üben, zeigt die Opposition sehr wohl, daß ihr bekannt ist, daß solche Programme vorhanden sind. Man sollte deshalb - das ist meine Meinung um der Ehrlichkeit willen auch davon ausgehen, ,daß sowohl im Bereich der Atomforschung wie auch jetzt beginnend im Bereich der Weltraumforschung solche Programme entweder schon vorhanden sind, d. h. durchgeführt werden, oder jedenfalls in die Wege geleitet werden.
Nun ist in dieser Debatte hauptsächlich das Problem der Atomenergie und auch das Verhältnis zu den anderen Energiequellen behandelt worden. Von der Weltraumforschung haben wir leider bisher kaum etwas gehört.
({0})
Ich darf aber zunächst einmal etwas zu diesem sehr gravierenden Problem sagen. Natürlich haben wir überall die Sorge gehört, daß in bezug auf unsere künftige Energiebasis eventuell Strukturschäden durch das Verstromungsgesetz verursacht werden können. Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, dann sollten wir in der Sache auch ehrlich sein. Auf Grund der Äußerungen zum Verstromungsgesetz habe ich mir einmal das Protokoll über die damaligen Debatten kommen lassen. Aus diesem Protokoll geht klar und eindeutig hervor, daß sämtliche Fraktionen mit Ausnahme eines einzigen Abgeordneten dem Verstromungsgesetz damals zugestimmt haben.
({1})
- Ich habe hier noch mehr. Vielleicht darf ich mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren, was der maßgebliche Sprecher der SPD, Herr Kollege Arendt, dazu ausgeführt hat. Er hat erklärt:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen Springorum dankbar, daß er in seinem Schlußsatz auf das Wichtigste der Position der SPD-Fraktion zu diesem Verstromungsgesetz aufmerksam gemacht hat,
- auf das Wichtigste auf etwas, was im Laufe dieser Debatte drohte verlorenzugehen, nämlich darauf, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesem Gesetz zustimmt. Meine Damen und Herren, die SPD stimmt dem Gesetz zu, also ist das Gesetz ein Fortschritt.
So steht es hier wörtlich.
({2})
Sie können das nachlesen. Ich will damit nur sagen, daß es notwendig sein kann, sich hier eines Besseren zu besinnen. Das ist durchaus möglich. Aber dann sollten wir auch von den wahrhaftigen Grundlagen ausgehen.
Der Sinn der heutigen Debatte sollte auch darin bestehen, daß wir von diesem Parlament aus noch einmal bekräftigen, daß wir jedenfalls gewillt sind, alles zu vermeiden, was etwa einem zukunftsträchtigen Energieträger durch solche gesetzlichen Maßnahmen den Weg versperren könnte. Unser Bundeswirtschaftsminister hat nachdrücklich erklärt, daß an eine Verlängerung dieses Gesetzes nicht gedacht ist. Es wird maßgeblich von diesem Haus abhängen. ob wir dann, wenn es hart auf hart geht, die Stärke und die Einsicht unter Beweis stellen, damit eine solche Verlängerung eben auch nicht durchgeführt wird.
Wenn nun draußen als Ergebnis dieser Debatte mitgenommen werden kann, daß dieses Problem jetzt im Parlament durchaus in aller Klarheit und Deutlichkeit gesehen wird, dann wird das auch diejenigen Kreise beruhigen, die hinsichtlich der industriellen Verwertbarkeit des Atomstroms gewisse Befürchtungen hegen.
Gestatten Sie mir noch ein paar Bemerkungen zur Weltraumforschung. Dieses Gebiet war am AnDr. Althammer
fang sehr umstritten. Vielleicht ist es bisher von der SPD auch deshalb so kurz behandelt worden, weil es früher einmal grundsätzlich ablehnende Meinungen dazu gegeben hat. Heute kann aber wohl kaum noch bestritten werden, daß die Bundesrepublik sich auf diesem Gebiet wird betätigen müssen. Die Frage ist nur, wie das geschehen soll.
In der Theorie gibt es meines Erachtens einen ganz klaren Aufbau, der davon ausgeht, daß zuerst einmal ausreichende nationale Kapazitäten geschaffen werden müssen. Dann können wir bereit sein, in internationalen Programmen mitzuwirken.
Ein zweites Problem. Wie werden wir als die Spätkommenden auf diesem Gebiet neben den beiden Giganten USA und Sowjetunion bestehen können? Meine persönliche Meinung: wir können nur dann ein ernst zu nehmender Partner gegenüber diesen beiden anderen sein, wenn es gelingen sollte, die Kräfte Gesamteuropas außerhalb der Sowjetunion und ihres Machtbereichs zusammenzufassen. Hier beginnen aber nun schon die Probleme, nämlich die der bilateralen Zusammenarbeit. Wir wissen, daß die Bundesrepublik eine bilaterale Zusammenarbeit mit den USA projektiert hat und daß diese Zusammenarbeit ausgebaut werden soll. Heute konnten wir in den Zeitungen lesen, daß Frankreich ein Programm mit der Sowjetunion vereinbart hat. Der Kollege Lohmar hat darauf schon angespielt. Nach diesem Programm soll einmal - in ganz ähnlicher Weise wie bei der Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit den USA - auf einem sowjetischen Träger eine Sonde französischer Bauart getragen werden. Auf atomarem Gebiet und auf dem Fernsehgebiet ist eine ähnliche Zusammenarbeit vorgesehen.
Man wird sagen: diese bilaterale Zusammenarbeit soll ja unsere nationalen Kapazitäten ausweiten und uns wissenschaftlichen Gewinn bringen. Es wird sich aber die Frage stellen, wo dann die Grenzen der Leistungsfähigkeiten für uns sind. Wenn wir uns bilateral zu weitgehend engagieren und binden, kann ich mir nicht vorstellen, daß wir dann noch die finanziellen Mittel und sonstigen Möglichkeiten haben, um auf dem gesamteuropäischen Gebiet hier Entscheidendes zu leisten.
Selbstverständlich liegt es nicht in erster Linie an uns, daß diese Schwierigkeiten auf dem europäischen Sektor eingetreten sind. Ich möchte unserem Minister hier ausdrücklich dafür danken, daß er sich in so nachdrücklicher Weise für eine Rettung der bisherigen Projekte im europäischen Rahmen eingesetzt hat.
({3})
Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß diese Notwendigkeit gesehen wird, daß die Franzosen genauso wie wir von der klaren Erkenntnis ausgehen, daß sie bei einer bilateralen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion - genauso wie wenn wir mit den USA zusammenarbeiten - ganz einfach der winzige Partner neben einem Riesen sind. Das sind die faktischen Verhältnisse. Ich meine, wir sollten daraus unsere Konsequenzen ziehen und nach wie
vor daran festhalten, daß wir auf dem europäischen Sektor vorankommen müssen.
Ich darf mich auf diese kurzen Bemerkungen beschränken und damit schließen, daß ich noch einmal die Kritik, die an dem Minister in dieser Debatte von der Opposition geübt worden ist, zurückweise. Dieser Minister hat es - das ist auch schon gesagt worden - in der kurzen Zeit, in der er im Amt ist, immerhin verstanden, nachdrücklich die Priorität und den Schwerpunkt der Wissenschaft und Forschung herauszustellen. Es ist keine kleine Sache, angesichts der von Jahr zu Jahr beengter werdenden Haushaltssituation diesen Schwerpunkt mit diesen jährlichen Zuwachsraten durchzuhalten. Wer die Dinge intern kennt, der weiß, wie ungeheuer schwer das ist.
({4})
- Herr Kollege Lohmar, auch wenn Willy Brandt Kanzler wäre, könnte er nicht Geld herzaubern. Das ist eine Zwangslage, in der wir stehen. Wir haben uns über das Problem, woher das kommt - durch unsere gesetzlichen Festlegungen -, schon in anderem Zusammenhang ausgiebig unterhalten.
Das eine muß man sagen: Alle die schönen Einzelprojekte wie Austausch mit den USA, wie Preisausschreiben für unsere jungen Menschen sind gut und schön. Aber die Basis einer wirklich erfolgreichen Arbeit ist eben auch auf diesem Gebiet die Bereitstellung der notwendigen Mittel. Hier ist wirklich Anlaß gegeben, unserem Minister Dank und Anerkennung auszusprechen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden nicht erwarten, daß ich die Elogen auf den Minister, die Herr Althammer angefangen hat, fortsetze. Das können Sie bei allem Respekt nicht von mir verlangen.
({0})
Ich habe auch nicht den Eindruck, daß sich diese Elogen aus dem Verlauf der Debatte rechtfertigen. Wenn ich einiges von dem nehme, was Herr Professor Balke gesagt hat und mit dem vergleiche, was in dem Vortrag von Herrn Stoltenberg gefehlt hat, sehe ich gar keinen Anlaß dazu, in eine Lobrede auszubrechen. Es gibt mir eher Anlaß für eine Reihe neuer Kritikpunkte, die ich gern am Ende der Diskussion vortragen würde. Ich denke aber nicht daran, das alles noch einmal aufzugreifen. Dazu ist es viel zu spät. Es ist auch viel zu spät für Grundsatzerklärungen. Aber es ist notwendig, daß ich auf eine Reihe von Fragen, bei denen Sie, Herr Althammer, bisher von uns mit Recht Stellungnehmen vermißt haben, eingehe. Das war auch vorgesehen. Diese Aufgabe wird am Schluß der Diskussion von uns noch erledigt, so reizvoll es wäre, noch einige Dinge aufzugreifen. Schade, daß es so spät geworden ist.
Ich werde mich also ganz konkret den Fragen der Weltraumforschung zuwenden. Das ist der Bereich - darüber gibt es keinen Streit - in der Wissenschaftsförderung, in dem wir in den letzten Jahren am stärksten von allen, die wir mitfinanziert oder subventioniert oder in die wir investiert haben, die Zuwendungen gesteigert haben, nämlich in fünf Jahren von 11 auf rund 240 Millionen DM. Das ist ein ganz schöner Sprung. Auch im letzten Jahr haben wir diesen Etat noch einmal um über 60 % in die Höhe getrieben. Ich gehöre zu denen, die das für richtig halten. Ich halte das für eine notwendige Investition in die Zukunft hinein. Ich brauche das nicht mehr zu begründen; Herr Schober hat das zum großen Teil getan. Ich stimme nicht in allen Punkten mit ihm überein. Aber ich muß es mir ersparen, das jetzt im einzelnen auszuführen.
Um so interessanter ist natürlich die Frage, ob das viele Geld, das wir dort investieren, auf die rechte Weise ausgegeben und angewendet wird. Ist es bei der augenblicklichen Organisaion, in der sich die Weltraumforschung bei uns befindet - auf der Ebene des Ministeriums, in den Universitäten und Hochschulen und in der Industrie - möglich, diese Gelder sinnvoll anzuwenden, und werden sie sinnvoll angewendet? Das ist wirklich eine Frage, die man mit Recht stellen muß, wenn man so hoch in ein solches Geschäft einsteigt.
Ich habe mir das Vergnüngen gemacht, mir ein Organo- oder Organigramm - ich weiß nicht ganz genau, wie der exakte Fachausdruck heißt - der Weltraumforschung in der Bundesrepublik Deutschland geben zu lassen, den organisatorischen Rahmen. Ich will ihn Ihnen nur einmal von weitem zeigen. Man kann nicht genau erkennen, was alles daraufsteht. Vor allem kann man nicht genau erkennen, wie die einzelnen Bezüge von der einen Abteilung, dem einen Institut, der einen Gesellschaft, dem einen Ministerium in das andere laufen. Man zählt allein neun Bundesministerien, die damit beschäftigt sind, bis hinauf oder bis hinab zum Bundeskanzleramt. Man kann es sich nach der augenblicklichen Situation aussuchen, ob es hier hinauf oder hinab heißen muß.
({1})
Jedenfals ist klar, meine Damen und Herren, daß man sich bei einer derartigen Fülle von Dingen, die Sie hier sehen, wirklich fragen muß, ob das ein funktionabler, ein integrierter Schaltkreis ist, von dem wir wohl in unserem Fachjargon in diesem Zusammenhang sprechen. Er sieht aus wie die Vergrößerung einer modernen gedruckten Transistorenschaltung. Die Frage ist nur, ob aus diesem Transistor, der mit einer solchen gedruckten Schaltung betrieben wird, die richtige Musik herauskommt. Das ist wirklich die Frage.
({2})
- Das würde heute nacht in der Bundesdruckerei, die sowieso schon Überstunden machen muß, Schwierigkeiten bereiten, Herr Kollege Wehner. Aber ich bin bereit, der Anregung zu folgen; ich habe noch ein Exemplar.
Frau Geisendörfer möchte eine Frage stellen.
({0})
Herr Kollege, haben Sie nicht bemerkt, ,daß der Herr Minister in seiner Rede bereits die Antwort auf Ihre berechtigten Fragen vorausgenommen hat, wenn er einer Vereinheitlichung und einer organisatorischen Änderung das Wort geredet hat?
Er hat organisatorische Änderungen für notwendig gehalten. Nur wie er die vollziehen wird, hat er nicht gesagt. Wie das aussehen soll, hat er nicht gesagt. Er hat z. B. nicht gesagt, wie es besser gemacht werden soll. Die Weltraumkommission hat bei uns hundert Mitglieder oder fast so viel. Wie soll man das richtig konsolidieren, und wo ist da das Gremium, das in der Regierung die Entscheidungen herbeiführt, wer hat sie herbeigeführt in der letzten Zeit?
Ich habe nicht das Gefühl, daß der Herr Minister Ihre Anfrage befriedigend beantwortet hat. Hätte ich auf Ihren Plätzen gesessen und Ihre Anfrage gestellt, dann wäre mir dazu eine Menge eingefallen.
({0})
- Sie freuen sich darüber, daß ich das nicht tue? Eben!
({1})
- Sie waren zufrieden? Da sind Sie sehr bescheiden, Herr Dr. Schober! Nach Ihrer guten Rede heute mittag könnten Sie eigentlich höhere Ansprüche stellen.
({2})
Ich sagte, die Antwort des Bundeswissenschaftsministers hat in dieser Richtung, was die Organisation angeht, nicht befriedigt. Mich hat sie auch nicht befriedigt in bezug auf die Rolle, die die Bundesrepublik und die Weltraumforschung sowie die Raumfahrtindustrie der Bundesrepublik im Rahmen der internationalen Organisationen ESRO, ELDO, CETS usw. spielen. Da ist nicht klargeworden, ob sich das, was wir dort investieren an Geld, an gutem Willen, an Fachwissen, an Unternehmungslust - alles das investieren wir in diesen Organisationen , für uns wirklich in der Weise auszahlt, die notwendig wäre. Wir wissen, daß aus der ELDO für uns auch an Rückflüssen, an Aufträgen, eine ganze Menge kommt. Wir wissen aber z. B., daß das bei der ESRO keineswegs der Fall ist, obwohl wir den Heos-Satelliten bauen, wobei wir so viele Unteraufträge wieder an andere Länder geben müssen, daß das nur ein optischer, aber kein praktischer Erfolg ist.
Dazu hat der Herr Minister gar nichts gesagt. Dem ist er, ich will nicht sagen, bewußt ausgewichen, aber ich verstehe, daß es ihm nicht eingefallen ist, darauf einzugehen, ob unser Einfluß und ob unser Effekt, den wir bei diesen Organisationen erzielen, wirklich der Mühe entspricht, die wir da einsetzen. Es ist eine ganze Reihe von OrganisatioRaffert
nen, und die Frage taucht immer wieder auf, ob man sie nicht zu einer zusammenschließen sollte. Da bin ich mit dem Minister einer Meinung: das ist schwer, das ist nicht einfach. Aber die Frage ist, ob wir da wirklich schon genug getan haben, ob z. B. die Bundesregierung von sich aus schon genügend und klare Vorschläge gemacht hat, wie man diese drei Organisationen, von denen wir jetzt sprechen, zusammenfassen kann.
Nun noch Leinmal von Europa weg nach Hause in die Bundesrepublik! Wir wissen, daß unsere Raumfahrtindustrie und daß unsere Wissenschaftler auf diesem Gebiet uns Programme anbieten können, Programme, die wissenschaftlich und wirtschaftlich sinnvolle Forschungsergebnisse zur Folge haben würden, die weit über den Bereich der finanziellen Möglichkeiten hinausgehen, die wir haben. Das wissen wir.
Die Frage ist: was wollen wir aber eigentlich mit den geringen Mitteln machen? Hier müssen wir uns entscheiden. Was wollen wir tun? Wir können nicht die riesigen Möglichkeiten ausschöpfen, die uns angeboten werden. Wir haben vermißt, daß sich der Wissenschaftsminister über die Größenordnungen geäußert hat, die in den nächsten Jahren nach Meinung der Regierung finanziell in diesem Bereich vorhanden sein werden. Weder die Wissenschaftler noch die Industrie werden nach dieser Debatte wissen, was sie von dieser Regierung finanziell zu erwarten haben. Er hat auch nicht gesagt, wie und auf welchen Bereich man sich mit den möglichen Mitteln - über .deren Höhe per auch nichts gesagt hat - beschränken kann.
Es spukt in vielen Köpfen ich will offen sagen:
auch bei einer Reihe unserer Raumfahrtwissenschaftler, besonders den älteren - noch die Vorstellung, wir könnten ein allumfassendes deutsches Weltraumprogramm machen. - Eine Randbemerkung: der Herr Minister hat in einem Lapsus linguae von der Erforschung des deutschen Weltraumes gesprochen. Das habe ich mir extra gemerkt, weil es nicht in dem gedruckten Manuskript steht, das wir ja auch vorher hatten.
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Es mag vielleicht mit daher kommen, daß er gelegentlich mit solchen Herren sprechen muß, die glauben, wir könnten auf diesem Gebiet noch alles machen.
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Das können wir tatsächlich nicht. Wir müssen uns überlegen, was wir machen. Wir müssen uns auf bestimmte Dinge beschränken.
Ich bin Politiker, kein Wissenschaftler. Ich werde nicht sagen, auf welche Dinge man sich beschränken muß. Als Mitglied des Haushaltsausschusses würde ich vielleicht sagen: wir sollten mit aller Gewalt die Entwicklung rückführbarer Höhenraketen fördern, die kommen nämlich wieder zurück, dann kann man sie wieder benutzen,
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und vom Haushaltsausschuß aus besteht, Herr Präsident und Vorsitzender Schoettle, keine Notwendigkeit, wieder so viel zu investieren. Das ist nicht nur ein Scherz, ich glaube, das ist eine wichtige Sache. Denn die Höhenraketen sind ein Gebiet, auf dem wir viel geleistet haben, ein Gebiet, auf dem wir schon etwas aufzuweisen haben. In diesem Bereich ist wissenschaftlich wie wirtschaftlich für uns etwas drin. Aber ich kann nicht endgültig entscheiden, ob das das Richtige ist. Ich will nur Hinweise geben.
Ich will sagen - und damit knüpfe ich an das an, was auch der Kollege Althammer mit Recht gesagt hat -: wir können mit der Sowjetunion und mit den USA nicht konkurrieren. Aber wir müssen in der internationalen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet ein wichtiges Glied darstellen in dieser Kette, an der die Sowjetunion auch hängt. Der Ansatz mit den Franzosen ist da nur ein Anfang. Das ist doch eine Entwicklung, die hochinteressant wird. In dieser Kette müssen wir unersetzbare Glieder bilden. Das hat vor kurzem Professor Koelle gesagt, der das Institut für Raketentechnik an der Technischen Hochschule in Berlin hat, wenn ich mich recht erinnere; ich finde durch die vielen Institute gar nicht mehr durch, die es da gibt.
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Herr Kollege Althammer, muß das sein? Der Herr Kollege Rollmann möchte noch gern sein Tierschutzgesetz begründen.
Herr Präsident, ich werde es ganz kurz machen. - Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dieses Glied eben Europa sein müßte und nicht ein Land?
Das würde ich nicht einfach bejahen. Denn wir wissen, daß wir, wenn wir in den europäischen Gemeinschaften auf diesem Gebiet mitarbeiten, von uns aus etwas beisteuern müssen, auch etwas, was wir hier selber in unseren Instituten machen. Da wird es immer Zusammenarbeit mit Instituten in anderen Ländern geben. Aber eine gewisse nationale Grundlage muß in der Forschung da sein.
Ich will mich nicht auf Zahlenspiele einlassen, ob das Verhältnis 3 zu 1 sein muß, wie früher einmal die Regierung oder die Weltraumkommission gesagt hat, oder 1,5 zu 1 in den Aufwendungen im nationalen und internationalen Bereich. Das muß man genauer untersuchen. Ich habe auch gedacht, die Regierung würde etwas dazu sagen. Die Aufgabe will ich ihr nicht abnehmen. Aber wir brauchen das, so glaube ich, auch, um den Wissenschaftlern, die hier arbeiten, erst einmal die Möglichkeit zu geben, ausgebildet zu werden, was wir natürlich auch im Austauschwege mit anderen Ländern machen können, und ihnen auch Arbeitsmöglichkeiten in unserer Industrie zu geben. Das kann man nicht einfach mit Europa gleichsetzen. Man kann hier das eine tun und muß das andere nicht lassen.
Ein Letztes! Zu den bilateralen Bemühungen, besonders im Zusammenhang mit den USA, hat sich der Wissenschaftsminister überraschend nur mit All3118
gemeinplätzen geäußert. Ich hätte gedacht, er könnte etwas deutlicher werden. Mister Webb, der Leiter der NASA, ist hier gewesen. Ich habe in einer Zeitungsmeldung gelesen, es sollten über das Ergebnis dieses Besuchs keine Mitteilungen in die Zeitung kommen, damit das Parlament in den Genuß der Erstinformation gelangen könnte. In diesen Genuß der Information sind wir nicht gelangt. Es ist nicht gesagt worden: Was wird nun mit den Amerikanern gemacht? Was kostet das? Wieviel kostet unser Anteil an dem bilateralen Programm mit ihnen? Wieviel wird unser Anteil an dem multilateralen Programm, etwa der Jupiter-Sonde, kosten? Dabei wird ja auch einiges auf uns zukommen. Das läßt sich nicht übersehen. Das ist interessant. Der nächste Haushalt wird im November eingebracht, und wir werden - Herr Althammer, das ist für Sie wichtig - das wissen müssen, wenn wir dann über die Höhe dieser Mittel im Einzelplan 31 zu entscheiden haben. Wir können nur hoffen, daß der Wissenschaftsminister seine Zurückhaltung in diesem Bereich ein bißchen aufgibt. Ich kann verstehen, daß er Herrn Webb beneidet. Der steht an der Spitze einer schlagkräftigen Organisation, der NASA. So etwas haben wir hier nicht. Das kann auch der tüchtige Ministerialdirigent im Wissenschaftsministerium, der ja schon den Ehrennamen „Raketen-Mayer" trägt, bei allem Einfallsreichtum und allem Witz nicht ersetzen, was ein solcher Mann einbringen kann und was er hinter sich hat. Deswegen kann ich verstehen, daß man ein bißchen zurückhaltend ist, wenn man mit dem gesprochen hat und dann die eigenen Möglichkeiten betrachtet. Aber sagen sollte man etwas dazu.
Ich hatte mir vorgenommen, noch einen letzten kleinen Exkurs über Fragen des Weltraumrechts zu machen. Ganz interessante Geschichte! Geht im wesentlichen nicht Sie, sondern wahrscheinlich Ihren Kollegen, den Bundesaußenminister, an. Wir können nur hoffen, daß wir in diesem Bereich aufmerksam bleiben werden. Es vollziehen sich in der Weltraumrechtskommission der UNO und an einer ganzen Reihe von Plätzen hochinterssante Entwicklungen, die sehr stark auch in den politischen Bereich hineingehen, nicht nur in den juristischen. Als es darum ging, diese Fragen im Völkerrecht zu regeln, als die Flugzeuge aufkamen, waren die Juristen ein bißchen schneller; da haben die Politiker nicht so schnell aufgepaßt, da ging das einfach. Das ist damals in Den Haag oder in Genf verhältnismäßig zügig abgewickelt worden. Jetzt sind das politische Fragen, an denen auch wir beteiligt sein müssen und auf die auch wir zu achten haben werden.
Hier zeigt sich, daß es gut wäre, wenn wir eine Stelle hätten, an der diese Dinge zusammenlaufen, nicht diese vielen Ministerien, sondern das, was wir immer gefordert haben und was der frühere Inhaber des Amtes, das jetzt Herr Stoltenberg hat, hier zu meiner Freunde wieder gefordert hat: e i n Ministerium, in dem alle diese Dinge zusammen liegen, nicht nur diejenigen, die die Weltraumforschung betreffen, sondern alles, was die Wissenschaftsförderung, die Forschung, die Unterstützung und auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft auf diesem Gebiet betrifft. Das gehört zusammen. Herr Balke hat das noch einmal unterstrichen. Ich danke ihm dafür. Er ist der Minister, dem ich heute für seine Rede danke, nicht der augenblickliche Stelleninhaber. - Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit.
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Zum guten Schluß Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Kollege Raffert hat eigentlich einen neuen Durchgang in der Diskussion eröffnet, und wir müßten uns noch einmal über Weltraumfragen unterhalten. Wir sind aber zur Kürze ermahnt worden mit dem Hinweis, daß auch die Tierschützer noch zu Wort kommen wollen. Deshalb will ich nur eine ganz allgemeine Bemerkung machen.
Herr Kollege Raffert, Sie haben gesagt, wir könnten uns hier heute abend nicht einigen, und wir als Parlamentarier könnten wahrscheinlich auch nicht sagen, auf welche Art und Weise wir alle Forderungen erfüllen könnten. Sicher können wir hier nicht durch parlamentarische Mehrheits-Abstimmungen wissenschaftliche Entscheidungen fällen. Unsere Aufgabe ist es, immer wieder zu prüfen, hineinzuhören in die Überlegungen der Fachleute: Wohin geht die Entwicklung? An welchem Punkt steht sie im Augenblick? Was wollen wir erreichen? Welche Mittel müssen wir dann zur Verfügung stellen, und wie können wir das im Rahmen des Gesamthaushalts verantworten? Dabei geht es jetzt nicht um die Wissenschaft der Kernenergie oder der Weltraumforschung an sich. Es ist sehr deutlich geworden, daß wir heute den Akzent auf die Erörterung der wirtschaftlichen Nutzung legen, die der Gesamtheit unserer Bevölkerung zugute kommen soll.
Wir müssen uns aber darüber klar werden, daß wir uns bei all diesen Fragen bis zu einem gewissen Grade noch in einem Neuland bewegen. Wir bemühen uns, Wege, gangbare Wege zu finden, die in ein neues, unbekanntes Land führen, für das es noch keine Wanderkarten gibt. Unser Antrag ist der Ausdruck dafür, daß wir uns gemeinsam bemühen wollen, diesen Weg zu finden. Herr Kollege Raffert, wenn Sie einmal unseren Antrag lesen, werden Sie feststellen: dahinter stehen ähnliche Überlegungen wie die, die auch Sie hier angestellt haben.
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- Die Begründung betraf unsere Große Anfrage. Jetzt rede ich aber von unserem Entschließungsantrag. Sie sehen, daß wir mit der heutigen Debatte einen neuen Anfang machen wollen, nachdem eine gewisse Phase der Entwicklung abgeschlossen ist und wir über eigene Erfahrungen verfügen.
Ich darf hier gleich beantragen, unseren Entschließungsantrag als Grundlage unserer weiteren gemeinsamen Arbeit an den Ausschuß zu überweisen. - Herr Lohmar macht mir soeben ein Zeichen; ich darf dann auch gleich beantragen, daß der Entschließungsantrag der SPD ebenfalls- an den Ausschuß überwiesen wird.
Vielleicht darf ich aber noch eine kurze Bemerkung machen. Ich habe vorhin durch eine Zwischenfrage an Herrn Lohmar vielleicht ein Mißverständnis verursacht. Selbstverständlich ist mir klar, daß wir immer auch an die Mitarbeit der Wissenschaftler und Techniker denken, wenn wir von wirtschaftlichem Nutzen sprechen. Aber heute haben wir den Akzent unserer Aussprache auf die wirtschaftliche Nutzung legen wollen.
Es ist heute auch von der Notwendigkeit der Koordinierung im nationalen und im internationalen Bereich und von der engen Berührung zwischen Wissenschaft und Technik gesprochen worden. Wir sollten dann aber auch alle Möglichkeiten ausnutzen, die uns helfen, auf diesem Weg weiterzukommen. Zu diesen Möglichkeiten gehört etwas, was ich in diesem Hohen Hause immer wieder gewünscht und gefordert habe, nämlich die Berufung von Wissenschaftsattachés bei unseren wichtigsten Vertretungen im Ausland. Ich freue mich, daß jetzt einige Anzeichen zur Hoffnung Anlaß geben, daß diese Notwendigkeit eingesehen wird. Es ist die Einrichtung von Planstellen für Wissenschaftsattachés als „unabweisbar" bezeichnet worden. Herr Kollege Althammer, ich hoffe, daß auch der Haushaltsausschuß die Unabweisbarkeit der Einrichtung dieser Planstellen für Wissenschaftsattachés erkennt und diese Forderung endlich erfüllt.
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Das Schlußwort hat der Herr Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Sie werden auch im Hinblick auf die Bemerkungen des Herrn Präsidenten zur Geschäftsordnung mit mir einig sein, daß es nicht richtig wäre, zu dieser späten Stunde noch auf alle Diskussionsbeiträge ausführlich einzugehen. Wenn ich also wichtige Äußerungen der Opposition nicht behandle, so ist das keine Mißachtung, sondern die Berücksichtigung des allgemeinen Wunsches, zu einem Abschluß zu kommen. Ich möchte auch ohne jeden Vorbehalt für die Bundesregierung und für mich persönlich allen, die an dieser Diskussion teilgenommen haben, ein Wort des Dankes sagen, ein Wort des Dankes für eine trotz mancher unvermeidlichen polemischen Nebentöne insgesamt sachbezogene und konstruktive Debatte. Ich glaube auch nicht, daß die Bundesregierung unbedingt erwarten sollte, daß ihr hier ein ausdrücklicher Dank ausgesprochen wird. Soweit dies der Kollege Flämig in Ergänzung seiner vorher verteilten kritischen Agenturfassung doch getan hat, bin ich ihm dafür besonders verbunden.
Meine Damen und Herren, es ist eine schwierige Frage, wie ein solches Thema im Parlament behandelt werden kann. Es sind viele Wünsche und Forderungen nach zusätzlicher Information vorgetragen und viele Punkte genannt worden, die nicht behandelt wurden. Sie werden mir aber, glaube ich, zubilligen, daß die Behandlung so diffiziler und spröder
Fragen, wie es die Einzelfragen der Atomtechnik und Weltraumforschung sind, eben doch nur in einer gewissen Gesamtschau, in der Einordnung in die Gesamtprobleme der Volkswirtschaft und Politik möglich ist. Wenn wir alle Einzelfragen, deren Erörterung gewünscht wurde, behandelt hätten, hätten wir nicht eine Regierungserklärung von 50 Minuten, sondern eine solche von zwei Stunden abgeben müssen.
Was hier hinsichtlich der Schwierigkeiten bei einigen Projekten der Uranversorgung, des Brennstoffkreislaufs und, so würde ich hinzufügen, der Beseitigung radioaktiver Stoffe im einzelnen kritisch gesagt wurde, ist allerdings sehr bezeichnend für unsere Situation. Meine Damen und Herren, es ist völlig richtig, daß uns die in der Fragestunde schon oft behandelte Situation bei der Uranerschließung in Menzenschwand Unbehagen und Sorge bereitet. Es trifft zu, daß wir es sehr bedauern, wenn örtliche Einsprüche dazu führen, daß wir mit der geplanten Wiederaufbereitungsanlage nicht so schnell in Gang kommen, wie wir es möchten. Und es ist beklagenswert - um ein drittes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit hinzuzufügen -, wenn wir bei einem wissenschaftlich wohlbegründeten Projekt der Beseitigung radioaktiver Stoffe den Aufruhr oder die Unruhe fast einer ganzen Region, in diesem Fall der Landschaft Ostfriesland - ich muß allerdings hinzufügen: unter Anführung eines Bundestagsabgeordneten der Opposition -, erleben, wo zu einem bestimmten Zeitpunkt, um dieses Projekt zu verhindern, gar nicht mehr gesagt wird, daß die Sache schädlich sei, sondern als Grund für die Ablehnung lediglich gesagt wird, die Leute könnten annehmen, die Sache sei schädlich, und allein diese irrige Annahme sei bereits so schlecht, daß man dieses Projekt nicht durchführen könne.
Wir sind bei der föderalistischen Verfassungsstruktur der Bundesrepublik und den außerordentlich weitgehenden Möglichkeiten, die Sie alle und wir kennen, gegen - auch wohlbegründete - Absichten des Staates auf diesem Gebiet durch Einsprüche, Verwaltungsklagen und andere Interventionen Entscheidungen zu verhindern, in der Tat in der Lage, daß einige wichtige Entscheidungen, die wir brauchen, nicht so schnell gefallen sind oder fallen konnten, wie wir es alle wünschten. Aber wir müssen hier sehr klar die objektiven Ursachen erkennen. Ich glaube nicht, daß wir hier von gegenseitigen Versäumnissen in diesem Rahmen im Hohen Hause sprechen können.
Nun ist die Frage der Uranversorgung auch unter einem anderen Gesichtspunkt behandelt worden. Herr Kollege Flämig, das Bild ist etwas besser. Wir haben in den Vereinbarungen von Euratom und der amerikanischen Atombehörde langfristige Lieferverträge und grundsätzliche Lieferbereitschaftserklärungen über die Lieferung von angereichertem Uran bis 1985. Wir werden weiterhin bemüht sein, im In- und Ausland zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten zu schaffen. Auch die Frage der Prospektierung im Ausland mit ausländischen Gruppen beschäftigt uns aktiv, und wir hoffen, daß auch die deutsche Wirtschaft selber hier eine unternehme3120
rische Initiative mit der ergänzenden Hilfe des Staates entfaltet.
Frankreich ist nicht vergleichbar. Hier gilt das, was ich grundsätzlich zu den verschiedenen Programmen von Ländern sagte, die nur im zivilen Bereich arbeiten, und zwar im Verhältnis zu denen, die auch militärische Ziele verfolgen.
Sie haben sehr ausführlich über die Probleme von Ispra gesprochen. Manches findet sich allerdings sehr kurz auch in der Regierungserklärung; es liegt in der Richtung Ihrer Ausführungen.
Ich darf zu der Frage der Leitung dieses Forschungszentrums feststellen, daß die Beauftragung des bisherigen Leiters Dr. Ritter mit einer neuen Aufgabe nach seinem Brief, den er mir selbst geschrieben hat, seine Zustimmung gefunden hat. Wir waren in den letzten Monaten bemüht, mehrere namhafte Persönlichkeiten für diese Aufgabe zu gewinnen oder vorzuschlagen. Es ist bei dem relativ kleinen Personenkreis, der für solche Aufgaben in Frage kommt, schwierig, einen wirklich erstklassigen Mann aus einer verantwortlichen Stellung heraus zu gewinnen. Das wird Ihnen genauso einleuchtend sein wie uns. Wir haben uns bemüht und werden uns weiter bemühen.
Das Projekt ORGEL - ich habe es in einem Satz behandelt - wird in seiner Realisierung nach unserer Überzeugung und nach unserer grundsätzlichen Philosophie in dieser Sache letzten Endes nicht durch Regierungsentscheidungen, sondern durch die Frage bestimmt, ob die europäischen Energieversorgungsunternehmungen - sei es staatlicher, sei es privater Art - bereit sind, ein solches Projekt aufzunehmen und es mit einem System der Mischfinanzierung für den Prototyp in ihre Verantwortung zu übernehmen. In jedem Fall brauchen wir aber eine Verstärkung der Grundlagenforschung.
Nun darf ich noch einige Sätze zu den Ausführungen des Kollegen Raffert sagen, der hier einige kritische Anmerkungen gemacht hat. Herr Kollege Raffert, was Sie gesagt haben, ist zum Teil sehr interessant und bemerkenswert gewesen. Was mich aber, offen gesagt - ich wiederhole insoweit auch meine Kritik an den Ausführungen von Herrn Lohmar -, nicht befriedigt, ist, daß Sie sich auf Bemerkungen kritischer Art beschränkten, ohne auch nur in Andeutungen wirklich zu erkennen zu geben, wo denn Ihre Alternativen und Vorstellungen in der Sache liegen.
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Ich will Ihnen das an dem Beispiel der „neun Bundesministerien" sagen. Es sind übrigens nicht neun, sondern zehn. Das muß ich gleich klarstellen. Sie haben eines auf der Liste vergessen, die auch wir haben. Es sind zehn. Wenn Sie diese Aufstellung gesehen haben und den zunächst für die Öffentlichkeit und auch die anwesenden Kollegen erstaunlichen oder beunruhigenden Tatbestand schildern, daß sich zehn Ministerien damit beschäftigen, dann wäre es hilfreich gewesen, einmal darzustellen, welche Ministerien nach Auffassung der Opposition aus dieser Mitarbeit ausgeschaltet werden sollten.
Jetzt will .ich Ihnen gern einmal diese zehn Ministerien vorlesen. Dann kommen Sie nämlich zu dem Ergebnis, daß dieses System etwas besser begründet ist, als in Ihren Ausführungen dargelegt wurde. Es handelt sich um folgende zehn Ministerien. Das Bundeskanzleramt - ich lasse einmal Ihre polemischen Randbemerkungen beiseite; die tun hier nichts zur Sache; sie tragen auch nichts zur Sache bei - ist natürlich mit einer solchen Frage grundsätzlich befaßt. Das Auswärtige Amt ist mit einer Frage dieser Art, die ein so entscheidendes Element der Außenpolitik ist, natürlich befaßt. Dann folgt das Bundesministerium der Finanzen; das bedarf keiner Begründung. Das Bundesministerium für Wirtschaft; es bedarf bei den großen wirtschaftlichen und industriepolitischen Gesichtspunkten keiner Begründung. Das Bundesministerium der Verteidigung ist auf dem Gebiet der Nachrichtensatelliten und der Fernmeldesatelliten - diese Aspekte spielen für uns am Rande eine Rolle - auch beteiligt; das ist im Grunde nicht unbekannt. Das Bundesministerium für Verkehr hat z. B. die Verantwortung für die Meteorologie, den Deutschen Wetterdienst; das ist eine entscheidende Anwendungsmöglichkeit. Es folgt das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen neben dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung.
Dann bleiben nur noch zwei. Es bleiben nur noch zwei, bei denen man auf den ersten Blick eine fachliche Zuständigkeit in Frage stellen könnte: das Bundesministerium des Innern, das ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstellung der deutschen Beamten und Bediensteten in internationalen Organisationen als Beamtenministerium hier an ganz begrenzten Fragen mitwirkt, und das Bundesministerium der Justiz; Sie haben ja zum Schluß auf Ihrer verteilten Agenturfassung ein lebhaftes Plädoyer für die Beteiligung der Bundesregierung an der Entwicklung des Weltraumrechtes gehalten.
Meine Damen und Herren, so nehmen sich die Dinge aus, wenn man einmal aus den pauschalen Schlagworten der Kompetenzzersplitterung und der Desorganisation zur Sache vorgeht. Ich vermisse nicht von ungefähr eine konkrete Äußerung, wer an jeder Mitarbeit hier ausgeschlossen werden soll.
Herr Dr. Lohmar möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte!
Herr Minister, wieso ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion vor langer Zeit und heute vorgeschlagen hat, die Aufgaben der Bundesregierung auf den Gebieten der Wissenschaftsförderung, der Bildung- und Forschungsplanung, der Ausbildungsförderung, und, wie ich heute hinzugefügt habe, der Technologie eindeutig, verantwortlich, federführend in Ihrem Ministerium zu konzentrieren? Wieso ist Ihnen entgangen, daß es sich bei unserer Kritik darum handelt, daß wir
diese Federführung bisher nicht haben zustande kommen sehen? Es ging uns nicht um Kritik an einer selbstverständlich notwendigen Zusammenarbeit mehrerer Bundesressorts.
Herr Kollege Lohmar, Sie stellen eine wichtige Frage. Nur betrifft diese Frage ein zwar nicht völlig anderes, aber doch weitgehend anderes Thema als das, was Herr Raffert zur Frage der Mitwirkung von zehn Ministerien an der Weltraumforschung gesagt hat. Kompetenzfragen und Organisationsfragen sind in jeder Regierung ein schwieriges Problem. Man kann der Auffassung sein, daß die jetzige Zuständigkeit oder Organisation überprüft werden sollte oder verbesserungsfähig ist. Dazu wird sich hier die Bundesregierung nur als Ganzes äußern, nach den klaren Gesetzen, die gelten. Ich kann nur sagen, daß ich diese Anregung oder diesen Gedanken mit Interesse entgegennehme. Aber das hat mit der Frage oder der Kritik, die hier vom Herrn Kollegen Raffert an einer ganz bestimmten Form der Zusammenarbeit der Ministerien in der Weltraumforschung geübt wurde, nichts zu tun; denn die Federführung in der Weltraumforschung besitzen wir, und wir werden sie auch im Rahmen dieser Organisation tatkräftig ausüben.
Es trifft auch nicht zu, Herr Kollege Raffert, daß 100 Mitglieder in der Kommission für Weltraumforschung arbeiten. Die Kommission für Weltraumforschung zählt 25 Mitglieder. Sie hat aber als besondere Fachgremien 4 Fachgruppen und 15 Arbeitskreise zu Einzelfragen. Wenn Sie deren Mitglieder addieren - das sind aber jeweils Gremien von 15 sachkundigen Herren -, kommen Sie auf eine Gesamtzahl von 100. Das Bild einer großen Versammlung von 100 Gelehrten oder Wirtschaftlern entspricht also nicht der Wirklichkeit.
Meine Damen und Herren, ich habe hier klargestellt, daß wir uns mit den Problemen einer mittelfristigen Vorausschau und Planung im nationalen Bereich nachdrücklich beschäftigen und die Ergebnisse im Winter auch dem Ausschuß gerne vortragen wollen. Wir haben eine solche mittelfristige Planung in wesentlichen Bereichen, in der ELDO, in der ESRO. Ich habe Ihnen detailliert über unsere Überlegungen auf dem Gebiet der CETS vorgetragen und berichtet. Wir haben sie auch - in Konturen, würde ich sagen - in gewissen Punkten mit den USA angestellt. Über das Ergebnis der deutschamerikanischen Gespräche, auch der Verhandlungen, die ich vorbereitend mit Mr. Webb geführt habe, können Sie aus dem Kommuniqué über die Reise des Bundeskanzlers und die Besprechungen mit Präsident Johnson eine ganze Menge auch detaillierter Äußerungen entnehmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß sagen, daß wir uns, wenn auch nicht gerade aus ¡der täglichen Auseinandersetzung mit diesen Fragen, der großen Schwierigkeiten, auch der Spannungen und der Probleme in diesem Bereich wohl bewußt sind. Ich begrüße es noch einmal dankbar, daß das ganze 'Haus oder jedenfalls die hier anwesenden Mitglieder des Hohen Hauses sich in dieser grundsätzlichen Einstellung einig wissen. Wir werden jeden kritischen Beitrag dankbar begrüßen, noch dankbarer allerdings, wenn er mit konstruktiven Vorschlägen verbunden ist.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Es liegen zwei Anträge vor, der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 101 *) und der Antrag der Koalitionsfraktionen auf Umdruck 102 **). Beide Anträge sollen dem Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik überwiesen werden. - Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt ({0}), Bading, Mertes, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Tierschutzgesetzes
- Drucksache V/934 Zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Rollmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bemühungen in diesem Hause um ein neues deutsches Tierschutzgesetz währen bereits einige Jahre. Vor fünf Jahren haben Abgeordnete aller Fraktionen, die sich in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, den Entwurf eines Tierschutzgesetzes eingebracht. Dieser Entwurf ist in der letzten Legislaturperiode vor allen Dingen daran gescheitert, daß die Länder verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht haben, die der Rechtsausschuß des Bundestages nicht mehr rechtzeitig ausräumen konnte. Die Länder nahmen damals die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Schlachtens von Tieren und der Versuche an lebenden Tieren für sich in Anspruch.
Der hier heute zur Beratung anstehende Entwurf eines neuen deutschen Tierschutzgesetzes kommt den verfassungsrechtlichen Bedenken der Länder in der Mitte entgegen. Er überläßt die Regelung des Schlachtrechts und damit auch des Schächtens den Ländern, sieht aber eine Regelung des Rechts der Tierversuche vor. So zweifelhaft vielleicht auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich des Schlachtrechts sein mag, für das Recht der Tierversuche ist nach sorgfältiger Prüfung erneut die Gesetzgebungskompetenz des Bundes angenommen worden. Soweit das Tierschutzrecht in den Bereich des Strafrechts hineingehört, war und ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes unbestritten.
Der jetzt eingebrachte Entwurf eines Tierschutzgesetzes ist wiederum in der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erstellt worden. Wir haben uns
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
dabei von Sachverständigen des Tierschutzes beraten lassen und Formulierungshilfe von seiten ,der Bundesregierung in Anspruch genommen. Von den zahlreichen Verbänden und Freunden des Tierschutzes lagen uns aus alter und neuer Zeit zahlreiche Stellungnahmen zu einem neuen Tierschutzgesetz vor, die uns für unsere Beratungen außerordentlich hilfreich waren.
Um die Verabschiedung eines neuen Tierschutzgesetzes auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode sicherstellen zu können, haben wir unsere Beratungen zügig durchgeführt und den Gesetzentwurf in wenigen Monaten erstellt. So stehen nunmehr dem Bundestag und seinen Ausschüssen noch fast drei Jahre zur Verfügung, um den Gesetzentwurf sorgfältig zu beraten, die Tierschutzverbände und andere interessierte Organisationen zu hören und dann das neue Gesetz zu beschließen.
Dieser Gesetzentwurf soll das Tierschutzgesetz von 1933 ablösen und das Tierschutzrecht in Deutschland auf den neuesten Stand der Erkenntnisse und Erfahrungen bringen. Die Tierquälerei ist in Deutschland bereits seit dem vorigen Jahrhundert durch das Strafgesetzbuch verboten. Darüber hinaus aber haben schon sehr frühzeitig einzelne deutsche Länder Tierschutzbestimmungen erlassen. Das Tierschutzgesetz von 1933 brachte erstmalig ein modernes und einheitliches Tierschutzrecht für das gesamte damalige Reich.
Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes sind nun mehr als 30 Jahre vergangen. Wir haben das Gesetz in der Praxis erproben können und Erfahrungen gesammelt. Lücken und Unzulänglichkeiten des Gesetzestextes haben sich herausgestellt. Die deutsche Öffentlichkeit ist heute stärker an den Fragen des Tierschutzes interessiert, als es noch vor 30 Jahren der Fall war, und reagiert empfindlicher auf Verletzungen des Tierschutzes als damals. In der Kälber-, in der Schweine- und in der Hähnchenmast sowie in der Eiererzeugung sind neue Formen der Tierhaltung entwickelt worden, an die der Gesetzgeber damals noch nicht denken konnte. Wissenschaft und Forschung haben unsere Kenntnisse vom Tier wesentlich erweitert, ja, zum Teil revolutioniert: Wollen wir in Deutschland unseren führenden Rang im Tierschutz behaupten, ist es notwendig, in einem neuen Gesetz alle diese Erkenntnisse und Erfahrungen zu berücksichtigen.
Den Grundsatz, der den ganzen Entwurf durchzieht, haben wir als § 1 an die Spitze gestellt:
Niemand soll ein Tier ohne vernünftigen Grund töten oder ihm Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
In der Generalklausel des Tierschutzgesetzes von 1933 heißt es nur:
Verboten ist, ein Tier unnötig zu quälen oder roh zu mißhandeln.
Erstmalig soll also ein deutsches Tierschutzgesetz das Tier nicht nur vor Tierquälerei bewahren, sein Recht auf Leben soll geschützt werden. Wir glauben, daß das ein großer Fortschritt ist, der das sinnlose
Töten von Tieren wohl leider nicht ganz beseitigen, aber hoffentlich eindämmen wird.
Damit es aber nicht beim bloßen Gebot bleibt, schlagen wir im § 8 unseres Entwurfs vor, daß das ohne vernünftigen Grund erfolgte Töten von Wirbeltieren - die dem Menschen näherstehen als andere Tiere - bestraft werden soll. Der Strafrahmen für die strafbare Tötung eines Wirbeltieres und die Tierquälerei soll nach unserer Auffassung der gleiche sein wie im Tierschutzgesetz von 1933.
Nach § 2 unseres Entwurfes soll verboten werden, ein Haustier oder ein anderes Tier anders als unter Betäubung oder sonst unter Vermeidung von Schmerzen zu töten. Auch dieser Vorschlag ist eine durchgreifende Erweiterung gegenüber dem geltenden Recht, wonach nur ein in einer Farm gehaltenes Pelztier unter Betäubung zu töten ist. Wir wollen damit insbesondere jenen immer wieder auftretenden Vorfällen entgegentreten, in denen Tierhalter sich ihrer Hunde oder Katzen entledigen wollen, aber bei der beabsichtigten Tötung so unsachverständig verfahren, daß das Tier nur gräßliche Verletzungen davonträgt, in halbtotem Zustand entweicht und schließlich irgendwo qualvoll verendet. Für dieses und andere Delikte bei der Haltung, Pflege, Unterbringung oder Beförderung von Tieren wollen wir den Strafrahmen des geltenden Tierschutzgesetzes in einem neuen Gesetz angehoben wissen.
Im Gegensatz zum geltenden Recht, das nur die Mißhandlung und Vernachlässigung von Tieren verbietet, enthält der Entwurf in seinem § 2 ein Gebot positiver Fürsorge, und zwar mit dem Ziel, dem Tier nicht nur, wie jetzt, Schmerzen oder Schäden zu ersparen, sondern auch Leiden. Gerade weil die Frage der Schmerzempfindung des Tieres in der Wissenschaft und in der Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte beträchtliche Schwierigkeiten bereitet hat, wird ein auch auf Leiden ausgedehnter Schutz des Tieres von großer praktischer Bedeutung sein. Wer ein Tier hungern oder dürsten läßt, der fügt ihm vielleicht keine Schmerzen zu, bereitet ihm aber sicherlich Leiden. Auch bei der Regelung des Rechtes der Tierversuche soll der Tierschutz über das geltende Recht hinaus auf Leiden ausgedehnt werden.
Die Antragsteller sind schließlich der Auffassung, daß auch das Tier ein Recht auf körperliche Unversehrtheit hat. Darum heißt es im § 3 unseres Entwurfs:
Es ist verboten, ein Tier zu verstümmeln.
So schlagen wir vor, außer bei Krankheiten das Kürzen der Ohren und des Schwanzes ganz zu verbieten. Das nur aus Schönheitsgründen erfolgende Kürzen von Ohren und Schwänzen, das oft genug mit gesundheitlichen Nachteilen für das Tier verbunden ist, ist unserer Auffassung nach mit dem Gedanken des Tierschutzes und dem Recht des Tieres auf seine körperliche Unversehrtheit nicht mehr länger vereinbar. In einigen anderen westlichen Ländern gibt es diese Verbote schon länger.
Die in der Öffentlichkeit so heiß umstrittenen Formen der Intensivhaltung von Kälbern, Schweinen und Geflügel haben die Antragsteller ausführlich beschäftigt und auch veranlaßt, diese modernen Formen der Tierhaltung persönlich in Augenschein zu nehmen. Im Einklang mit dem Brambell-Report der britischen Royal Commission zum Studium der Intensivhaltung und mit dem Gutachten des Veterinärmedizinischen Fakultätentages zur Kälbermast in Boxen haben wir uns nicht auf den Standpunkt stellen können, daß die Intensivtierhaltung gegen den Tierschutz verstößt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Da der Bundestag damit überfordert wäre, diese sehr ins einzelne gehenden Bedingungen aufzustellen, schlagen wir in dem § 7 unseres Entwurfs vor, daß die Bundesregierung „zum Schutze der Tiere bei der Haltung, namentlich bei der Aufzucht und Mast", mit Zustimmung des Bundesrates eine Rechtsverordnung innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des neuen Tierschutzgesetzes erlassen soll. Ziel der Rechtsverordnung soll es selbstverständlich sein, den bestmöglichen Schutz der Tiere zu gewährleisten. Ebensosehr soll sie aber auch den Tierhaltern Sicherheit für ihre wirtschaftlichen Planungen verschaffen. Durch die konkrete Festlegung des Inhalts der Sorgepflicht wird eine solche Rechtsverordnung den Tierhaltern helfen, sich moderner Produktionsmethoden auch in der Tierhaltung zu bedienen, ohne Gefahr zu laufen, die durch den Tierschutz nun einmal gesetzten Grenzen ihrer Handlungsfreiheit irrtümlich zu verkennen.
Ich hoffe, daß ich damit die wichtigsten Neuerungen aufzeigen und begründen konnte, die der Entwurf zu einem neuen Tierschutzgesetz gegenüber dem geltenden Recht enthält. In den zahlreichen Fällen, in denen wir inhaltlich das geltende Tierschutzrecht in unseren Entwurf übernommen haben, haben wir uns darum bemüht, Rechtslücken zu beseitigen und die Gesetzesformulierungen zu straffen.
Der Entwurf wird sicherlich nicht den Idealvorstellungen der Verbände und der Freunde des Tierschutzes in unserem Lande entsprechen, und sicherlich sind manche Wünsche aus dieser Richtung unerfüllt geblieben; aber dieser Entwurf bringt im wesentlichen doch wohl das, was zur Verbesserung des Tierschutzes in rechtlicher Beziehung gegenwärtig in unserem Lande getan werden kann. Die Ehrfurcht vor dem Leben des Tieres, sein Schutz vor Schmerzen, Leiden oder Schäden kann nicht durch das Gesetz allein dekretiert werden, dessen sind wir uns sehr wohl bewußt. Tierschutz ist vor allen Dingen eine Frage der Gesinnung, der Einstellung zum Tier als einem Mitgeschöpf Gottes, der Erziehung unseres Volkes und seiner jungen Generation und der Praxis, die draußen im Lande geübt wird. Wenn wir hier in diesem Hause das, was wir rechtlich für die Verbesserung des Tierschutzes in unserem Lande tun können, getan haben, dann müssen wir auf diese praktische Beachtung des Tierschutzes draußen im Lande wieder unsere ganze Aufmerksamkeit richten.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Büttner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meinen kurzen Ausführungen zu dem vorliegenden Entwurf eines Tierschutzgesetzes möchte ich eine noch kürzere Vorbemerkung vorausschicken, die die unterschiedliche Darstellung des Werdegangs des Entwurfs klären soll. Ich habe für die SPD-Bundestagsfraktion den Initiativantrag begründet, wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, bis zum 1. Januar 1967 ein neues Tierschutzgesetz vorzulegen. Dieser Antrag wurde von den Regierungsparteien begrüßt, und danach wurde auch ein einstimmiger, positiver Beschluß gefaßt. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat vorher schon an einem Gesetzentwurf gearbeitet. Dieser liegt uns jetzt vor.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen sowie den Damen und Herren außerhalb dieses Hauses, die sich dieser Arbeit unterzogen haben.
Im übrigen kommt es in diesem konkreten Fall nicht so sehr darauf an, festzustellen, daß die Parlamentarier schneller als die Bundesregierung waren und wer sich dabei die meisten Verdienste erworben hat, sondern es kommt darauf an, daß wir so schnell wie möglich zu einem guten Gesetz kommen und daß wir nicht die drei Jahre, die Sie, Herr Kollege Rollmann, in Aussicht gestellt haben, auszunutzen brauchen. Es kann auch nicht Aufgabe der ersten Lesung sein, grundsätzliche, langatmige Erörterungen anzustellen und die einzelnen Paragraphen zu besprechen. Es werden sicherlich nach einer fachlichen Beratung sinnvolle Änderungsvorschläge Aufnahme in das Gesetz finden.
Die Bezeichnung „Tierquälerei" - so hat es Kollegen Rollmann auch schon richtig herausgestellt - muß klargestellt und vor allem auch klar umrissen werden. So müßte es in § 1 nicht im Plural heißen „Schmerzen, Leiden oder Schäden", sondern im Singular „Schmerz, Leid, Schaden". Nicht erst die Summe von unerfreulichen Tatbeständen darf als Tierquälerei bezeichnet werden, e i n Tatbestand allein muß genügen, um den Begriff der Tierquälerei nachzuweisen, um entsprechende gesetzliche Maßnahmen anwenden zu können.
Sicherlich ist es auch nicht angebracht, in dem einen oder anderen Fall das Wort „soll" stehenzulassen, sondern es sollte durch „darf" ersetzt werden, um unser Wollen, unsere Tiere zu schützen, noch deutlicher zu dokumentieren.
Es wird sicherlich auch eine Menge von gut begründeten Anregungen bei der Beratung des Gesetzes geben. Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatender Ausschuß gehört werden. Diesem Ausschuß wird die Beratung sicher nicht leicht fallen, weil doch aus wirtschaftlichen Gründen allzu leicht eine Interessenkollision eintreten kann. Damit will ich nicht etwa dem Ausschuß unterstellen, daß er nicht objektiv handeln und urteilen würde. Wenn ich aber an die Intensivhaltung denke,
dann erscheint es mir möglich, daß die eine oder andere Gewissenskollision eintritt.
In diesem Zusammenhang möchte ich - leider ist ein Regierungsvertreter nicht mehr anwesend, aber vielleicht wird es aus dem Protokoll dieser Sitzung entnommen - die Bundesregierung, im besonderen Herrn Minister Höcherl, bitten, den Abgeordneten, die sich intensiv mit dem Tierschutz beschäftigen, das Gutachten des Deutschen Veterinärmedizinischen Fakultätentages zu übermitteln, das auf seine Veranlassung mit unserer Unterstützung erstellt worden ist, damit diejenigen, die es angeht, nicht auf auszugsweise Informationen durch die Fachpresse angewiesen sind.
Zusammenfassend und abschließend darf ich sagen und dankbar begrüßen, daß eine Fülle von Problemen erfaßt ist, aber noch nicht alle, die einer Lösung harren. Es geht und sollte uns allen darum gehen, durch ein gutes Gesetz tierquälerische Methoden, die jetzt schon praktiziert werden, zu beseitigen. Ich halte es aber für besser, wenn diese Methoden durch entsprechende Maßnahmen gar nicht erst zum Zuge kommen können, d. h. vermieden werden.
Über Tierversuche, die auf ein wirklich notwendiges Maß unter strenger Kontrolle beschränkt werden müssen, über deren Umfang ja auch eine Umfrage in den Ländern läuft - auf meine Frage in der Fragestunde -, über Vivisektion, über das Töten von Tieren, über Unterbringungsmethoden, über die Möglichkeit der Überprüfung aller tierschützerischen Maßnahmen und über viele andere Dinge müssen wir uns eben noch hier in diesem Hause, vor allem im Innenausschuß, in dem diese Fragen federführend beraten werden, und in den dazu benannten Fachausschüssen, unterhalten.
Wir vergeben uns nichts, wenn wir uns bei der Formulierung auch der Texte bedienen, wie sie z. B. - ohne jetzt etwas präjudizieren zu wollen - die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tierschutzverbände erarbeitet hat. Sicherlich werden wir in den Fachberatungen einige Formulierungen sehr gern aufnehmen.
An die Kolleginnen und Kollegen vom Rechtsausschuß, die ebenfalls als mitberatender Ausschuß angesprochen sind, habe ich die dringende Bitte, der Beratung dieses Gesetzes die ihm zukommende Bedeutung beizumessen, auch hinsichtlich des Aufsetzens auf die Tagesordnung.
Ich hoffe und wünsche, daß die Beratungen des Gesetzes getragen werden von der Überzeugung und der Verantwortung, die unser Fraktionsvorsitzender Fritz Erler als Grußwort zum Welttierschutztag in die Worte gekleidet hat - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
Wie in einem Volke die Menschen miteinander und wie sie mit den Tieren umgehen, ob sie bereit sind, Menschen und Tiere, unsere Mitgeschöpfe, vor Grausamkeiten und Leiden zu bewahren, das ist Ausdruck der Humanität und der Kulturstufe eines Volkes. Tierschutz und Verachtung von Menschen anderen Glaubens, anderer Überzeugung oder aus anderen Völkern sollten genauso unvereinbar miteinander sein wie Hilfe für notleidende Menschen und Gedankenlosigkeit oder gar Grausamkeit gegenüber den Tieren. Darum kann der Schutz der Tiere nicht nur Aufgabe einzelner sein. Parteien und Parlamentarier haben die Pflicht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um an der Aufklärung der Bevölkerung und an der Schaffung geeigneter Gesetze mitzuwirken.
So weit das Zitat meines Freundes Fritz Erler. Denken wir daran: wir haben ein Tierschutzgesetz, das reformbedürftig ist. Denken wir daran, daß wir ein Pferdeausfuhrverbot haben, für das sich unser früherer und von uns allen sicherlich geschätzter Kollege Heinrich Ritzel mit ganzem Herzen eingesetzt hat, und das heute umgangen wird. Wir haben eine schöne Aufgabe vor uns. Sie schnell zu lösen, sollte unsere gemeinsame Verpflichtung sein.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon in trefflicher Weise den Inhalt dieses Gesetzes dargelegt. Gestatten Sie mir noch einige kurze Bemerkungen zum Thema „Tier und Mensch in ihrem Verhältnis zueinander".
Tierschutz ist sowohl ein Gebot der Sittlichkeit wie - es liegt mir hauptsächlich daran, dies zu zeigen - ein Gebot der Gerechtigkeit, zu dessen Erfüllung der vorliegende Gesetzentwurf dienen soll.
Das Tier ist in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung als Sache betrachtet und behandelt worden. Selbst diese Stellung macht die Forderung einer sittlich einwandfreien Einstellung zu ihm nicht gegenstandslos. Es gab Zeiten, in denen nicht nur das Tier, sondern auch ein großer Teil der Mitmenschen als rechtlose Sache betrachtet wurden, Zeiten, die im übrigen als Blütezeiten der Kultur und Zivilisation gelten, die griechisch-römische Antike.
Jacob Burckhardt weist in seiner „Griechischen Kulturgeschichte" mit Recht darauf hin, ,daß das Verhältnis des Herrn zum Sklaven zwar das des unbeschränkten Eigentümers war, daß aber z. B. Tötung von Sklaven, Vergewaltigung und dergleichen unter den Freien verpönt waren. Dieses sittliche Gebot habe in erster Linie deshalb gegolten, weil der freie Grieche in Exzessen seine Würde als Mensch verletzt hätte. Die anständige Behandlung des Sklaven war zwar kein rechtliches, aber ein allgemein verbindliches moralisches Gesetz. Man sieht also, daß Grausamkeiten gegenüber der Kreatur, selbst wenn man sie als solche betrachtet, verächtlich wären.
Ich kann jedoch kein Hehl daraus machen, daß ein moralisches Gebot meiner Meinung nach nicht ausreicht. Vieles, was in der heutigen Welt auf dem Gebiet des Tierschutzes im argen liegt, beruht
auf dem Irrtum, daß das Tier ein bloße Sache sei, eine res non animata, und damit etwas vom Menschen wesentlich Verschiedenes.
Daß man darüber ganz anders denken kann, ja daß gerade die Weisesten in anderen Kulturkreisen den Unterschied zwischen Tier und Mensch für keineswegs entscheidend hielten, dafür war mir immer ein schöner Beleg der Bericht Schopenhauers über gewisse Einführungszeremonien im Brahmanismus, der uralten indischen Lehre. Dort wurde der Schüler in einen verdunkelten Raum geführt, auf dessen erhellter Bühne nacheinander die verschiedensten Tiere vorübergeführt wurden. Bei jedem Tier wurde als Formel das sogenannte „Große Wort" wiederholt: „Tat twam asi", das heißt: „Dies bist du". Ich glaube, es gibt keine schönere und eindringlichere Art, dem Menschen, der sich um Weisheit bemüht, seine Stellung in dieser Welt klarzumachen. Ich wünschte, dieser Gedanke würde auch bei uns verstanden.
Tatsächlich deutet ja auch das Wort von den „unvernünftigen Geschöpfen", das in bezug auf die Tiere manchmal gebraucht wird, darauf hin, daß man den Unterschied in der Begabung des Menschen mit der Vernunft, d. h. der Fähigkeit, Begriffe zu bilden und Schlüsse zu ziehen, erblickt. Aber wie weit ist es eigentlich mit dieser so gerühmten Begabung her? Recht boshaft hat das Goethe ausgedrückt: „Er nennt's Vernunft und braucht's allein, um tierischer als jedes Tier zu sein."
Aber selbst wenn man nicht so weit gehen will, so ist doch zu konstatieren, daß auch die wissenschaftliche Forschung, insbesondere die sogenannte Verhaltenslehre, zu Ergebnissen kommt, die dem menschlichen Hochmut einen gewaltigen Dämpfer aufsetzt. Wer z. B. die Bücher von Lorenz kennt, insbesondere das mit dem Titel „Das sogenannte Böse" und dem Untertitel „Zur Geschichte des Aggressionstriebes", der wird feststellen, daß sich beim Tier wie beim Menschen im wesentlichen dieselben psychologischen Voraussetzungen und Reaktionen finden und in der Menschenwelt vielfach nicht mehr Ordnung herrscht als im Reich der „unvernünftigen" Tiere.
Wenn aber, wie ich im Rahmen dieser Ausführungen hier natürlich nur andeuten konnte, der Unterschied zwischen Menschen und Tieren nicht so groß ist, wie wir vielfach glauben oder wenigstens geglaubt haben, so ergibt sich daraus geradezu logisch auch eine Verminderung des Unterschiedes in der Rechtsstellung. In dem Maße, wie man den Begriff des Tieres als bloße Sache aufgeben muß, ihm also eine gewisse Persönlichkeit zuzusprechen genötigt ist, hat diese auch Anspruch auf Rechte, die einem beliebigen Schalten wie mit einem leblosen Eigentum entgegenstehen. Dazu soll nun der vorliegende Gesetzentwurf die Voraussetzungen schaffen.
Wenn wir den Tieren Rechte geben, sie strafrechtlich schützen, so ist dies kein Almosen, was wir ihnen geben, sondern, wie gesagt, die Erfüllung einer Forderung der Gerechtigkeit. Wir wollen uns dann aber nicht dabei beruhigen, daß nun die Gerechtigkeit erfüllt sei, denn wie in allen großen Fragen - und ich habe mich bemüht zu zeigen, daß es sich hier um eine wichtige, große Frage handelt - müssen zu den Bemühungen des Verstandes die des Herzens kommen. Liebe und Begeisterung sind hier ebenso notwendig wie sachliche Arbeit.
Darüber hinaus wird sich hoffentlich der Gedanke immer mehr durchsetzen, daß die Einstellung zum Tier und im besonderen zum Tierschutz geradezu ein Probierstein für die Echtheit und Wahrhaftigkeit menschlichen Gefühls und inneren menschlichen Wertes ist.
Ich habe vom Unterschied zwischen Tier und Mensch gesprochen, und so will ich zu diesem Punkte noch einmal Goethe, diesmal nicht sarkastisch, zitieren, der auf die Frage, was den Menschen von allen anderen Wesen, die wir kennen, unterscheidet, die Antwort gibt, die er allerdings wohlweislich nicht als Feststellung, sondern als sittliche Forderung formuliert: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!"
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin nicht der Meinung des Herrn Kollegen Büttner, daß die erste Lesung eines Gesetzentwurfs nicht dazu da sei, ein paar grundsätzliche Dinge zu sagen, und ich freue mich, daß Herr Dr. Rutschke das schon in sehr gründlicher Form getan hat. Daher kann ich mich bei den grundsätzlichen Dingen sehr kurz fassen.
Trotzdem ein paar ganz kurze Gedanken zum Verhältnis Mensch und Tier! Schon in der Genesis hat Adam dadurch, daß er die Tiere mit Namen nannte, Macht über sie bekommen, und auch in unserer Märchenwelt gibt es, wenn Sie so wollen, Beispiele dafür. Sie kennen das Märchen vom Rumpelstilzchen: Nur so lange, wie sein Name nicht bekannt war, hatte es die Macht, Dinge zu tun, die ungewöhnlich waren.
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Beim Propheten Daniel ist die Rede davon, wie am Ende aller Tage Mensch und Tier in friedlicher Eintracht leben.. Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang noch Franz von Assissi nennen und das Verhältnis, das er zu den Tieren hatte.
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Aus christlicher Sicht haben wir eine bindende Aufgabe dem Tier gegenüber, und zwar müssen wir das Tier schützen; aber es hat uns zu dienen.
Von daher gesehen, müssen wir den Entwurf dieses Tierschutzgesetzes begrüßen, weil er eine weitere Humanisierung auf rechtlicher Basis im Verhältnis dem Tier gegenüber darstellt. Grundtendenz bei der Beratung muß sein, in Ehrfurcht vor dem Lebendigen die Tiere richtig in die Hierarchie der Werte einzuordnen.
Ein Biologe wird, wie viele, viele andere Mitbürger auch, sicher geboren mit einer großen Liebe im Herzen zum Lebendigen und besonders zu den Tieren. Aber so sehr er auch Freude an Freundschaften mit Tieren hat, die er beobachtet - in der Familie oder draußen -: Hier, bei der Beratung des Tierschutzgesetzes muß das Emotionale, das Gefühlsmäßige, zurücktreten gegenüber einer klaren wissenschaftlichen Grundlage, die wir in der Verhaltensforschung und in der Tierpsychologie finden können, damit ein Gesetz entsteht, das von Menschen gemacht, aber auf den Schutz des Tieres vor den Unarten des Menschen ausgerichtet ist. Es muß tiergemäß sein, wie es dem Verhalten und dem Instinkt des Tieres und nicht, wie es dem Denken der Menschen entspricht. Die moderne Zoologie zeigt uns Möglichkeiten, dem Tier gerecht zu werden.
Zu einer Grundbetrachtung gehört auch die Feststellung, daß Gebiß und Verdauungstrakt des Menschen für eine gemischte Nahrung eingerichtet sind. Gemischte Nahrung ist zum Teil fleischlich, zum Teil pflanzlich.
({2})
Wir können aber kein Fleisch eines Tieres essen, ohne es vorher getötet zu haben. Herr Kollege Rollmann hat schon ausgeführt, daß die Schlachtordnung als Länderangelegenheit behandelt werden soll. Trotzdem möchte ich, da er das Wort Schächten genannt hat, nicht den Anschein erwecken, als wollten wir diesen Schwarzen Peter, der gar keiner ist, den Ländern zuschieben. Ich glaube, es ist gut, wenn auch von dieser Stelle dazu einmal ein klares Wort gesagt wird.
Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Sie können mir glauben, daß dieses Wort ein schreckliches ist, aber ich kenne keines, das besser den Zustand ausdrücken könnte, in dem wir uns in diesem freiheitlichen Rechtsstaat befinden und in dem jeder nach seiner Fasson selig werden kann. Dazu gehört eben auch, daß Teile unserer Bevölkerung aus rituellen Gründen Tiere schächten. Darunter versteht man die religiös vorschriftsmäßige Tötung eines Tieres. Dazu werden größere Tiere niedergelegt, und die Tötung erfolgt durch einen einzigen klaren Schnitt, bei dem sämtliche Weichteile bis zur Wirbelsäule durchgetrennt werden. Infolge des Nervenschocks sowie der plötzlichen Stockung der Blutzufuhr zum Gehirn tritt augenblicklich Bewußtlosigkeit ein. Gutachten der Veterinärsachverständigen besagen, daß es sich beim Schächten nicht um Quälerei handele - das muß eindeutig festgestellt werden -, sondern daß der Vollzug des Schächtens selbst ein Betäubungsverfahren des Tieres beinhalte. Nach amerikanischen Untersuchungen sollte man lediglich einen Weg finden, das Tier beim Umlegen so zu behandeln, daß es nicht verängstigt wird.
Doch gestatten Sie mir, auch in der ersten Lesung ein paar Bemerkungen zu einigen Teilen des Entwurfs zu machen, die sicher in den Beratungen der Ausschüsse eine große Rolle spielen werden. Dazu wird sicher gehören, daß man sich über die Mastmethoden unterhalten muß, bei denen die Tiere durch die Haltungsart oder durch die Methode der
Fütterung gequält oder in ihrer Gesundheit geschwächt werden. Vermißt habe ich ferner, daß es nicht erlaubt ist, Haustiere oder in Gefangenschaft befindliche Wildtiere hungern zu lassen. Ich erinnere an das Beispiel, das in den letzten Tagen in der Presse zu lesen war, wo ein deutscher Bauer seine Tiere verhungern ließ. Es ist zu begrüßen, daß es in Zukunft nach dem Gesetzentwurf verboten sein wird, ein Tier zu verstümmeln. Hiervon sollte man das Schnabelstutzen beim Geflügel ausschließen, wenn das Geflügel in großer Menge im Stall gehalten wird. Denn wenn man diesen Tieren nicht den Schnabel stutzt, werden sie sich gegenseitig verletzen, sie werden nämlich anfangen, andere zu picken, sie bluten, und schließlich endet das noch in „Kanibalismus".
Herr Kollege Büttner will eine Frage stellen.
Herr Kollege Dr. Hammans, wenn ich annehmen darf, daß Sie sich den Gesetzentwurf durchgelesen haben, Dr. Hammans ({0}) : Mehrmals!
- sind Sie dann mit mir einig, daß das alles schon im Gesetz steht und daß es nicht Aufgabe dieser Beratung - im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit - sein kann, daß wir das hier im einzelnen noch einmal erörtern? Und sind Sie mit mir der Meinung, daß ich auf vieles, was Sie gesagt haben, jetzt antworten müßte, daß es aber mit Rücksicht auf die Zeit nicht geht und daß das den Fachausschüssen überlassen bleiben sollte?
Herr Büttner, ich bin gleich fertig mit meinen Ausführungen. Ich bin aber der Meinung, daß ich das auch sagen sollte, da es sich um eine abweichende Einstellung gegenüber dem Entwurf handelt. Im Entwurf steht nämlich, daß das Stutzen des Schnabels verboten sein sollte, und ich bin der Meinung, daß es im Interesse des Geflügels, nämlich wegen der Quälerei, erlaubt sein sollte. Denn das Stutzen der Schnäbel ist ebensowenig schmerzhaft wie das Stutzen Ihrer Fingernägel. Lediglich sollte man darauf achten, daß die Tiere mit gestutzten Schnäbeln im Stall gehalten werden, damit sie nicht in Freiheit kommen und sich selbst ihr Futter suchen müssen; dann sind sie im Nachteil. Im andern Fall ist es so besser.
Ich darf aber auch noch sagen - auch abweichend vom Gesetzentwurf daß man bei dem vorgesehenen Verbot, bei Pferden den Schwanz zu kürzen, keine Ausnahme zulassen sollte.
Aber lassen Sie mich auf ein anderes Problem hinweisen. Laut Jagdgesetz ist es zwar verboten, Schlingen und andere besondere Arten von Fallen zu stellen. Geahndet wird diese entsetzliche Tierqälerei aber nur als Jagdvergehen, als Wildern. Menschen, die sich so unmenschlich verhalten, sollten aber auch wegen Tierquälerei belangt werden.
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Im Zusammenhang mit dem Tierschutzgesetzentwurf, meine Damen und Herren, sollte man mit großer Dankbarkeit an die Arbeit der Tierschutzvereine denken. Es ist z. B. unmöglich, zusammenfassend zu sagen, wie sehr sie die Exekutive in den Gemeinden im Tierschutz maßgeblich unterstützen. Ich bin sicher, daß wir bei den Tierschutzverbänden nicht auf taube Ohren treffen, wenn wir sie darum bitten, uns zu helfen, in der Bevölkerung die sachlich notwendige und unbedingt zu fordernde Objektivität bei der Beobachtung der Beratung des Tierschutzgesetzes zu erhalten.
Die moderne Tierpsychologie und die Verhaltensforschung zeigen uns an vielen Beispielen, wie oft dem Tier durch Unwissenheit Unrecht geschieht und Leid angetan wird. Lassen Sie mich ganz kurz ein paar Beispiele anführen, die dies deutlich machen. Der Hund ist z. B. ein sogenanntes Nasentier. Das bedeutet, seine Nase ist ganz besonders intensiv ausgebildet, und wir bewundern seine Leistung in dieser Richtung ja bei den Spürhunden, die oft nach einem Tag noch in der Lage sind, eine Fährte zu finden. Wenn man dies weiß, fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, welche Instinktabläufe im Innern eines Hundes vor sich gehen, der in einer engen Wohnung stundenlang den Bratenduft aus der Küche um sich hat.
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Wie störend mag er ein besonders scharfes Parfüm empfinden? Was mutet man dem Hund in dieser Beziehung zu, der im Zwinger eingesperrt tagelang mit seinem eigenen Kot zusammen ist!
Das nur als einige Beispiele, um aufzuzeigen, daß wir hier zu einer anderen Auffassung kommen müssen.
Wenn wir die beiden Entwürfe von 1961 und 1966 vergleichen, stellen wir fest, daß bei diesem letzten Entwurf die Landwirtschaft wesentlich mehr tangiert wird. Deshalb ist es sicher gerechtfertigt, daß die Beratung im Agrarausschuß einen großen Raum einnehmen wird. Es muß die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß die deutsche Landwirtschaft durch ein Tierschutzgesetz im Wettbewerb beeinträchtigt wird.
({2})
Sonst müßte man zugleich beschließen, daß kein Tier zum Verzehr lebend oder geschlachtet eingeführt werden darf, das nicht nach den gleichen, nach unserem Tierschutzgesetz erlaubten Methoden gezüchtet und gemästet worden ist. Aber wer wollte dies garantieren?
Lassen Sie mich zusammenfassen! Vor uns liegt in der Tat ein guter Entwurf eines Tierschutzgesetzes. Möge ein Gesetz daraus werden, das dem Tier bei uns den Schutz verleiht, der ihm gebührt. Unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen. - Ich danke Ihnen, daß Sie mir so lange zugehört haben.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Vorgesehen ist die Überweisung an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Rechtsausschuß zur Mitberatung. - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen, Donnerstag, den 13. Oktober 1966, 14.30 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.