Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die 59. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich gebe zunächst einige amtliche Mitteilungen bekannt. Für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Morgenstern ist der Abgeordnete Roß am 21. September 1966 in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn in unserer Mitte und wünsche ihm mit uns allen eine gute Zusammenarbeit.
Die heutige Tagesordnung soll ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. - Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.
Zu den für heute vorliegenden Mündlichen Anfragen auf Drucksache V/920 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - hat sich der Fragesteller mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Fragen des Herrn Abgeordneten Faller lauten:
Trifft es zu, daß die volle Fernsehversorgung des Hohrheingebietes mit dem 2. Programm durch den neuen Sender Berge-lingen nur gesichert weiden kann, wenn 13 weitere Füllsender gebaut werden?
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost z. Z. nicht aus eigenen Mitteln die voraussichtlichen Kosten für die in Frage 1 erwähnte Fernsehversorgung von etwa 1 Million DM aufzubringen vermag?
Zu welchen Bedingungen würde die Deutsche Bundespost ein entsprechendes Darlehen der drei oberbadischen Landkreise Waldshut, Säckingen und Lörrach für die in Frage 1 erwähnte Fernsehversorgung annehmen?
Die Antwort 'des Bundesministers Stücklen vom 22. September 1966 lautet wie folgt:
Für die volle Fernsehversorgung des Hochrheingebietes mit dem zweiten Programm durch den Sender Bergalingen werden voraussichtlich 13 weitere Füllsender benötigt. Davon befindet sich der Füllsender Lörrach im Bau und wird voraussichtlich 1966 noch fertiggestellt.
Die Kosten für die Gesamtanlage sind mit 5,7 Millionen DM veranschlagt Weder 1m laufenden Rechnungsjahr noch im Rechnungsjahr 1967 wird die Deutsche Bundespost den für die restlichen Füllsender erforderlichen Betrag aus eigenen Mitteln aufbringen können. Ob und in welchem Umfang dies in den 'darauffolgenden Rechnungsjahren möglich sein wird, kann ich wegen der angespannten Finanzlage der Deutschen Bundespost jetzt noch nicht sagen.
Ich bin gerne bereit, ein zweckgebundenes Darlehen zur Schaffung der technischen Einrichtungen für die Versorgung des Hochrheingebietes von den drei oberbadischen Landkreisen Waldshut, Säckingen und Lörrach anzunehmen. Dabei wäre mir ein Schuldscheindarlehen mit einer Laufzeit von 10 Jahren bei einem Zinssatz von 7 % erwünscht, wobei die Tilgung nach fünf Freijahren in fünf gleichen Jahresraten erfolgen konnte.
Wenn der Deutschen Bundespost ein Darlehen in Höhe von 1 Million DM gewährt würde, könnte die Sendeanlage Hochrhein zu einem früheren Zeitpunkt, als das sonst der Fall wäre, ferliggestellt und die Versorgung mit dem zweiten Programm in diesem Gebiet verbessert werden.
Die folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Die für die Zeit vom 1. August bis 31. August 1966 eingereichten Mündlichen Anfragen sowie die dazu erleilten schriftlichen Antworten sind als Drucksache V,907 verteilt worden.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir vor der Beratung der Großen Anfrage unter Punkt 4 der Tagesordnung zunächst die Zusatzpunkte erledigen. Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe die Zusatzpunkte 1 bis 4 auf - es handelt sich um Berichte des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen über Zollprobleme -:
1. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({0}) über die von der Bundesregierung beschlossene Einundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({1})
- Drucksachen V/901, V/935 -Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber
2. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({2}) über die von der Bundesregierung beschlossene Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({3})
- Drucksachen V/902, V/936 - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres
3. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({4}) über die von der Bundesregierung beschlossene Siebenundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({5})
- Drucksachen V/903, V/937 -Berichterstatter: Abgeordneter Junker
Vizepräsident Frau Dr. Probst
4. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen ({6}) über die von der Bundesregierung beschlossene Einundsechzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 ({7})
- Drucksachen V/904, V/938 -Berichterstatter: Abgeordneter Bading
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort dazu? - Das ist nicht der Fall. Das Hohe Haus ist mit dem Verzicht auf Berichterstattung einverstanden.
Ist das Haus einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen?
({8})
Ich höre keinen Widerspruch. Ich komme zur Abstimmung über die Vorlagen Drucksachen V/935, V/936, V/937, V/938. Wer zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD
betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens
- Drucksache V/775 Zur Begründung hat sich Herr Abgeordneter Schmidt ({9}) gemeldet. Ich gebe ihm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Sommerpause dieses Jahres hat sich unser Haus bisher mit zwei großen innenpolitischen Problemen befaßt, die die deutsche Öffentlichkeit beunruhigen: mit der Wirtschaftslage und vorgestern mit der Krise im Bundesministerium der Verteidigung. Im ersten Fall hat die Koalition die Debatte gewollt. Sie wollte gern über die Krise unserer Konjunktur sprechen, - wahrscheinlich weil gerade dieses Gebiet die wenigen Aspekte des Bundeskanzlers zur Geltung bringt, die ihn als sachkundig ausweisen. Die zweite Debatte hat die Koalition nicht gewollt, und auch der Kanzler hat ja vorgestern - und nicht nur vorgestern, sondern in den ganzen vier Wochen der Entwicklung seit dem Rücktritt der Generale - nicht gerade eine sehr überzeugende Rolle gespielt. Ich glaube auch - ich sehe Herrn Dr. Barzel noch nicht hier -, daß das etwas wehleidige Argument des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU am Schluß vorgestern abend, daß jene Debatte die bevorstehende lebenswichtige Reise - so waren seine Worte - des Kanzlers nach Washington gefährde, wohl niemanden überzeugt hat. Im Gegenteil, ich glaube, daß die Geschlossenheit dieses Hauses, was das Verhältnis von Staat und Armee angeht, gewiß überall im Ausland die Sorgen gemildert hat, wenn nicht gar vollends beseitigt hat, denen des Kanzlers eigene Osloer Bemerkung zunächst Nahrung gegeben hat. Ich glaube, daß die vorgestrige Debatte im Effekt eine Stärkung der deutschen Position nach außen bewirkt hat und somit auch eine Stärkung der
Position des Kanzlers bei seinen bevorstehenden Gesprächen mit dem Präsidenten Johnson. Natürlich ist es die eigene Sache des Kanzlers, zu diesen Gesprächen einen unverteidigten Verteidigungsminister und einen schon zurückgetretenen weiteren Minister mitzunehmen.
Auch die heutige Debatte hat die Koalition nicht gewollt. Sie haben sich große Mühe gegeben, die heutige Debatte zu verschieben, obwohl unsere Große Anfrage schon seit einem Vierteljahr auf dem Tisch liegt. Ich höre schon jetzt, Herr Rasner, die eindrucksvollen staatsmännischen Argumente, mit denen entweder Sie oder Herr Barzel im Laufe des Tages vortragen möchten, daß es am Vorabend einer für unser Volk lebenswichtigen Begegnung darauf ankäme, nichts zu zerreden, sondern größte Entschlossenheit zu demonstrieren. Das wird sicherlich bis heute mittag noch gesagt werden. Deshalb will ich die Antwort gleich vorwegnehmen: Wenn überhaupt jemand aus diesem Hause dazu beigetragen hat, daß die gemeinsame deutsche Position nach außen unklar wurde, dann waren das die Reden der Abgeordneten Barzel, Gerstenmaier und Strauß über die Deutschlandpolitik.
({0})
Diese drei Reden hatten allerdings zwei Dinge miteinander gemeinsam. Erstens wurden sie alle in ausländischen Hauptstädten gehalten, und zweitens waren sie alle gleich weit, nämlich meilenweit, von Professor Erhards Regierungserklärung entfernt.
({1})
Ich muß danach wohl nicht noch ausdrücklich auf den großen Aufsatz abheben, den der Bundesminister des Auswärtigen Krone
({2})
vor fünf Tagen in der „Welt", ausschließlich den bevorstehenden Washingtoner Gesprächsthemen gewidmet, veröffentlicht hat. Wenn es möglich ist, daß der Bundesminister des Auswärtigen Krone in der „Welt" sich drei Spalten lang ausdrücklich mit den Themen, die in Washington zu behandeln sind, auseinandersetzt, dann können wir wohl verlangen, daß sich der Bundesaußenminister Schröder hier vor diesem Hause mit diesen Themen beschäftigt.
({3})
Wir werden heute mit unseren Meinungen gewiß nicht hinter dem Berg halten; aber was die bevorstehenden Gespräche in Washington angeht, so wird der sozialdemokratische Vortrag heute morgen unserer Regierung in zwei Punkten den Rücken stärken.
Die Behandlung der Großen, Anfrage vom 29. Juni zur Rüstungsbegrenzung und zur Sicherung des Friedens weist nach den beiden vorgestern und vorige Woche behandelten innenpolitischen Themen auf ein drittes Thema hin, das die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Monaten immer stärker bewegt, nämlich auf die Stagnation unserer Außenpolitik und auf die Ungewißheit über die Zukunft unserer Sicherheitspolitik. Bundesaußenminister Schröder hat am 20. Mai 1966 vor dem evangelischen
Schmidt ({4})
Arbeitskreis seiner Partei gesagt, die Lage in der Welt sei dabei, sich zu verändern; gewandelt habe sich bei einigen Nationen vor allem die Einschätzung der Lage, die Einschätzung ihrer eigenen Kräfte, ihrer politischen Möglichkeiten, und geändert hätten sich dementsprechend ihre Ziele. Und Herr Schröder fügte hinzu: „Damit haben diese Länder neue Fakten geschaffen." Schon ein Jahr vorher hat derselbe Sprecher gesagt - ich glaube, vor demselben Arbeitskreis -, daß sich heute in der Welt das beherrschende und allgemeine Interesse der Friedenssicherung, der Friedenserhaltung vor das Teilinteresse der Wiedervereinigung Deutschlands geschoben habe; es bestehe zwar noch Übereinstimmung im Ziel, aber für die deutsche Außenpolitik sei es schwieriger geworden.
Ich stimme zunächst einmal beiden dieser Äußerungen zu, sowohl derjenigen aus diesem Frühjahr als auch derjenigen aus dem vorigen Jahr. Das ist alles richtig, was der Außenminister dort gesagt hat. Es ist schon seit einer Reihe von Jahren erkennbar; es war nicht zum erstenmal im vorigen Frühjahr erkennbar. Seit einer Reihe von Jahren haben wir deshalb - ich erinnere Sie an die Rede von Herbert Wehner im Juni 1960 - immer wieder verlangt: Laßt uns doch diese neu entstehende Lage prüfen, laßt uns doch eine Inventur machen, laßt uns den Bestand aufnehmen, was eigentlich von den alten Ideen noch möglich ist und welche Möglichkeiten sich für neue anbieten. Wir haben in diesem Jahr -- fünf oder sechs Jahre später - den ersten, ziemlich schüchternen Ansatz in Form der sogenannten
I) Deutschlandgespräche beim Bundeskanzler erlebt. Sie haben sich leider bisher mehr mit Tagesfragen als mit langfristigen Analysen beschäftigt.
Nun sind im Regierungslager offenbar die Meinungen über den künftigen Weg Deutschlands ziemlich geteilt. Wir haben in der jüngsten Zeit z. B. die Äußerung des Altbundeskanzlers, daß die Sowjetunion eine friedliche Nation sei, wir haben die Äußerung des Abgeordneten Gerstenmaier, wir haben die Äußerung des Verteidigungsministers von Hassel, der in einer Beantwortung einer sozialdemokratischen Kleinen Anfrage vom 11. Juli 1966 u. a. über den - in seinen Worten - „eindeutig offensiven Charakter der Gruppe der sowjetischen Truppen in Deutschland" spricht. Das steht in ziemlichem Widerspruch zu dem, was Dr. Adenauer gesagt hat.
Wir haben uns vorgenommen, heute und in den Debatten in den nächsten Monaten in diesem Hause eine Gesamtdiskussion über die deutsche Außen-, Sicherheits- und Wiedervereinigungspolitik zu führen. Wir wollen dazu helfen, daß aus den bisherigen einzelnen Schritten der Bundesregierung eine Gesamtvorstellung für die neue Lage wird, welche die deutsche Politik der in Bewegung geratenen Weltpolitik anpaßt und aus dieser Bewegung Nutzen zieht. Bisher ist allerdings eine dynamische Konzeption kaum zu erkennen. Die Aufrechterhaltung unserer Rechtsstandpunkte bleibt sicher notwendig und wichtig; aber das allein ist noch keine Politik, die aus der gegenwärtigen weltpolitischen Situation das Beste herausholen und aus der Bewegung für uns etwas gewinnen könnte.
Lassen Sie mich die Frage aufwerfen, was eigentlich die Kennzeichen dieser neuen Situation sind. Man kann sie, wie ich meine, in groben Zügen für den ganzen weiteren Rest dieses Jahrzehnts skizzieren. Zunächst einmal hat das wechselseitige Patt der beiden in Europa wirkenden, auf Europa einwirkenden Weltmächte die Aktionsfähigkeit dieser beiden Weltmächte im Verhältnis zueinander auf diesem europäischen Schauplatz ganz wesentlich eingeschränkt. Beide Weltmächte sind sich der Einschränkung ihrer Aktionsfähigkeit gegeneinander hier in Europa sehr bewußt. Infolgedessen ist beider Strategie auf Bewahrung und auf Konsolidierung der von ihnen erreichten Einflußsphären gerichtet. Beide schauen sie mit großer Besorgnis auf die sich entwickelnde, unvermeidlich emporsteigende dritte Weltmacht China, und beide schauen sie mit größerem Interesse und mit größerer Besorgnis dort hin als etwa auf Europa oder auf Deutschland.
Es mag sein, daß sich die sowjetische Führung über die vietnamesische Streitfrage mit Amerika einigen würde, wenn es eben China nicht gäbe. Die Existenz der aufsteigenden Weltmacht China unmittelbar an diesem südostasiatischen Spannungsherd macht das für die Sowjetunion unmöglich, solange sie gegenüber dem ganzen Kommunismus in der Welt ihr Gesicht wahren muß. Moskau wird nur im Notfall an mehr als einem Punkt zugleich riskante Spannungen auf sich nehmen. Da die Spannung gegenüber China wachsen wird, bleibt es für die Sowjetunion in Europa zunächst bei der konservativen Strategie, die sie heute verfolgt. Der Erfolg dieser konservativen sowjetischen Strategie in Europa wird allerdings dadurch beeinträchtigt, daß die ehemaligen Satellitenstaaten - man kann sie wohl heute nicht mehr so nennen, jedenfalls keineswegs alle - an Handlungsspielraum gegenüber der Sowjetunion gewinnen. Selbst die Isolierungstaktik der Sowjetunion uns, der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber wird gegenwärtig nicht mehr gleichmäßig von allen Partnern des Warschauer Paktes befolgt. Man kann, wenn man die Bukarester Erklärung der Warschauer Paktstaaten analysiert, deutlich sehen, daß es sich hier nur noch um einen mühsam erreichten Kompromiß handelt, der in sich nicht durchgehend konsistent ist.
Die sowjetische Führung weiß, daß die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ihres eigenen Landes vieler, vieler Jahre friedlicher Entwicklung bedarf. Wenn einer hier der sowjetischen Führung die geheime Absicht zum. Angriff auf Westeuropa unterstellt, dann schätzt er sicherlich die Situation sehr falsch ein und führt sich selbst in die Irre. Sogar im Punkte Berlin - so scheint es mir - hat die sowjetische Führung die Absicht, vorsichtig zu bleiben. Die Erfahrung mit der Berlinkrise von November 1958 bis Oktober 1961 sind dieser Führung sehr bewußt. Ich glaube, Moskau wäre wohl froh, wenn der Zustand Europas möglichst unverändert gehalten werden könnte. Aber man weiß drüben, daß auch die kleineren und die mittleren Staaten dieses Kontinents an Selbständigkeit gewinnen. Deshalb wird die Sowjetunion zunächst wohl auch ganz gern ihre Truppen überall hier stehen2884
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lassen, in der sogenannten DDR, in Polen, in Ungarn, wenn auch z. B. die Ungarn diese Truppen sehr gern abziehen sähen; ich meine damit auch die ungarische Regierung.
Ich glaube nicht, daß die sowjetischen Truppen hier aus Angst vor der Bundeswehr als einem möglichen Gegner stehen; aber ich will auch hinzufügen, daß es in Moskau Sorge gibt vor einer möglichen Krisen- und Kriegsauslösung durch die deutsche Politik. Das ist sicherlich - von uns aus gesehen -eine völlig irreale Sorge. Aber ich referiere einmal die Lage, wie sie sich in deren Köpfen darstellt. Diese Sorge ist - von der Sowjetunion aus gesehen - der eine Grund dafür, der Bundesrepublik den Zugang zu nuklearen Waffen zu verweigern. Der andere Grund liegt in der Voraussicht, daß die sowjetischen Bündnispartner dem Bonner Beispiel würden folgen wollen. Insgesamt ist also der Wunsch Moskaus, die Ausbreitung nuklearer Waffen zu verhindern, genauso originär und ursprünglich wie der Wunsch Washingtons und entspringt letztlich Motiven, die in die gleichen Kategorien gehören. In Moskau denkt man nicht an die Wiedervereinigung Deutschlands. Man sieht sich schon mit dem kommunistisch beherrschten kleineren Teil Deutschlands ausreichenden Komplikationen ausgesetzt. Da sind die Schwierigkeiten schon groß genug.
Lassen Sie mich das zusammenfassen, indem ich sage: Die Sowjetunion ist heute und auf absehbare Zeit - was Europa angeht - eine Macht, die den Status quo erhalten möchte, eine Macht, die weiß, daß sie den Frieden braucht, und die weiß, daß das Risiko eines Krieges mit den Vereinigtne Staaten für sie ein Existenzwagnis wäre. Trotz alledem geht von der Sowjetunion eine Gefahr aus. Moskau hat es beispielsweise einstweilen keineswegs nötig, sich mit dem Westen oder mit Teilen des Westens gegen die erst aufsteigende Weltmacht China zu verbünden. Daran ändern auch westliche Wunschträume à la Starlinger oder à la Fucks überhaupt nichts. Die Konkurrenz mit China um den Einfluß in Vietnam und damit in Südostasien kann - entgegen Moskaus eigenen Wünschen - Moskau zu einem stärkeren Engagement in Vietnam zwingen. Dieses stärkere Engagement in Vietnam, das schon aus geographischen Gründen für die Sowjets nicht an Ort und Stelle vollzogen werden kann, kann dann sogar die Moskauer Führung zu dem Ausweg führen, an anderer Stelle eine neue Spannungsfront zur Entlastung zu errichten. Deswegen sage ich: auch kurzfristig gehen von der Sowjetunion Gefahren aus. Berlin könnte sich der sowjetischen Führung z. B. dafür anbieten, auch wenn man das im Grunde nicht möchte.
Wenn Rumänien und die CSSR mit ihrem Streben nach größerer Autonomie Erfolg haben, so kann man sich vorstellen, daß Ungarn und Bulgarien dem Beispiel folgen. In all diesen Fällen - was die osteuropäischen und südosteuropäischen Staaten angeht - mischen sich nationale Prestigemotive mit solchen der Außenwirtschaftspolitik. Der Gegensatz zwischen diesen Staaten Südosteuropas und der sogenannten DDR wird wahrscheinlich zunächst wachsen, und die Entwicklung kann dabei etwa der
CSSR eine Schlüsselrolle zuspielen, Wenn es der tschechischen kommunistischen Partei gelänge, sich in ähnlicher Weise - sicherlich in engen Grenzen, aber doch in ähnlicher Weise - freizuschwimmen, wie das der rumänischen KP gelungen ist, dann ist Herr Ulbricht in Pankow darauf angewiesen, auf jeden Fall eng mit Moskau und Warschau in Übereinstimmung zu bleiben. Falls aber die CSSR durch die Entwicklung in diesem - sagen wir - „harten Kern" des Warschauer Pakts verbleibt, so nehme ich an, daß, vornehmlich aus Gründen der überlegenen ökonomischen Leistungs- und Lieferfähigkeit, das Gewicht Pankows im Osten zunimmt.
Was Polen angeht: Polen ist ein Staat, der östlich wie westlich von sowjetischen Armeen umklammert ist. Die früheren Initiativen Polens zur regionalen Rüstungskontrolle, zu denen sich die gegenwärtige Regierung auch heute immer noch bekennt, sind von diesem Faktum her zu begreifen. Niemand in Polen liebt die Sowjetunion; allerdings liebt auch niemand in Polen Deutschland, weder das kommunistische Deutschland noch das demokratische Deutschland. Die Zustimmung Pankows zu der sogenannten Friedensgrenze von Potsdam ist ja den Pankower Machthabern oktroyiert worden; die haben das nicht von sich aus gewollt; sie ist ihnen aufgezwungen worden. Die Wegnahme Stettins beispielsweise ging über Potsdam noch hinaus. Das ist den Kommunisten in der SBZ auch aufgezwungen worden.
Viele Polen haben wirkliche Angst vor Deutschland, ich nehme an, auch der etwas sture Ideologe Gomulka, den man sich wohl anders vorstellen muß, als man sich vor 10 Jahren, 1956, von ihm ein Bild gemacht hat. Auch 'er hat wirklich Angst vor Deutschland. Auf der anderen Seite behindert der Zweikampf, den er in der polnischen Innenpolitik mit dem Kardinal Wyszynski, mit der ganzen katholischen Kirche ausfechten muß - Polen ist ja das einzige Ostblockland, in dem die Religiosität und die katholische Kirche eine wirklich große innere Rolle spielen -, die außenpolitische Manövrierfähigkeit des Regimes und der Partei. Die Vorstellung, die die Kommunisten in Polen haben und die die Führungsschicht in Polen hat, daß sie die nach 1945 wiedergewonnenen - wie sie es nennen - Westgebiete - wie sie es nennen - verteidigen müßten gegen unseren Angriff - so denken sie sich das -, zwingt allerdings die Warschauer Kommunisten an die Seite Moskaus, und zwar ob mit oder ohne deutsche Anerkennung der Oder-Neiße-Linie. Deswegen glaube ich, daß, was Polen angeht, trotz des deutlichen Nationalstolzes auch 'gegenüber der Sowjetunion, einstweilen eine Aufrechterhaltung dieser politischen Achse, die von Moskau über Warschau nach Pankow geht, wahrscheinlich ist.
Ich sagte vorhin, daß die Bukarester Erklärung ein Schlaglicht auf die zunehmende Differenzierung innerhalb des Ostblocks wirft. Ein besonderes Schlaglicht war übrigens darin gelegen, daß es zunächst in Moskau, später in Bukarestselber, 10, 14 Tage an Konferenzen bedurft hat, ehe man sich auf diese gemeinsame Erklärung einigen konnte. Zunächst hat man geglaubt, mit wenigen Tagen auskommen zu
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können. Es spricht nichts dafür, daß dieser Differenzierungsprozeß im Osten aus inneren Gründen gestoppt werden wird. Allerdings 'könnte er dann zum Ende kommen, wenn die beteiligten Staaten außenpolitisch - und das heißt insbesondere: außenwirtschaftlich - sähen, daß sie nichts davon haben, 'daß sie 'damit nichts erreichen. Oder anders ausgedrückt: wenn dieser Prozeß vom Westen her nicht honoriert würde, dann müßte man wohl damit rechnen, daß er zum Stillstand gebracht wird.
Meine Damen und Herren, wir wissen - und wir sind davon 'bedrückt -, daß innerhalb des westlichen Lagers ein noch weitergehender Differenzierungsprozeß im Gange ist. Wir wissen, daß der Aktionsspielraum der mittleren und kleineren Staaten 'im Westen von Anfang ,an immer viel größer als derjenige der östlichen Bündnispartner Moskaus war. Wir wissen, daß z. B. Frankreich sehr viel weiter innerhalb des Westens gegangen ist als Rumänien innerhalb des Ostens, und wir wissen, daß in unserem Bündnissystem die Krise der Strategie nicht nur eine psychologische ist, nicht nur die Außenpolitik erfaßt hat, sondern auch - und das im Gegensatz zum Ostblock - voll den militärischen Bereich der Strategie erfaßt hat.
Das große Konzept von John Kennedy von der atlantischen Gemeinschaft, die auf zwei großen Tragpfeilern ruhen sollte, ist ein Papier geblieben; die zweite Säule ist nicht zustande gekommen. Kennedys Nachfolger hat bisher keine amerikanische Europakonzeption entwickelt.
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Er hat auch keine Vorstellungen von einer eigenen amerikanischen Europa-Politik. Der Präsident beschränkt sich darauf, soweit wie möglich dem entgegenzutreten, was er als französische Destruktionspolitik ansieht, und bemüht sich, soweit wie möglich die Substanz der Organisation des Westens zu bewahren. Wenn Europa nicht von neuen Ost-West- Spannungen ergriffen wird - und es sieht im Augenblick ja 'wirklich nicht danach aus -, dann bleibt Paris gegenüber Washington bei diesem Konzept taktisch und psychologisch in der Vorhand, und das kann sogar auch dann der Fall sein, wenn es doch zu neuen zusätzlichen Ost-West-Spannungen käme, die etwa aus der Vietnam-Krise erwachsen könnten. Was Vietnam angeht, so ist in den Ländern Europas gegenüber dem vietnamesischen Konflikt eine natürliche Tendenz zum Neutralismus zu erwarten, die der Politik der Franzosen in die Hände spielen kann.
Die strategischen Sorgen der USA müssen sich in zunehmendem Maße Asien zuwenden, und der Vietnam-Krieg erzeugt in den Vereinigten Staaten innenpolitisch psychologische Zwangsläufigkeiten, die das Interesse des amerikanischen Senats und der öffentlichen 'Meinung 'auf Asien konzentrieren. Der relativ friedfertige Eindruck, 'den der europäische Schauplatz auf die amerikanische Öffentlichkeit macht, muß dann zusätzlich noch 'die Tendenzen zum Abbau der militärischen Präsenz der Amerikaner in Europa verstärken, dies um so 'mehr, als der gegenwärtige Präsident in Amerika sich sehr stark von den Schwankungen der öffentlichen Meinung abhängig gemacht hat.
Ich meine, Washington muß gegenüber den Staaten Europas den Übergang vom Patronat zur wirklichen partnerschaftlichen Kooperation finden. Das hat Kennedy schon gewollt und gesagt; aber wenn man die Reden liest, wie sie etwa der amerikanische Verteidigungsminister hält, hat man nicht das Gefühl, daß dieser Übergang gegenwärtig schon vollzogen sei. Natürlich ist man sich in Washington der zunehmenden Handlungsfähigkeit all seiner europäischen Partner durchaus 'bewußt, und der Versuch, diese europäischen Partner 'mit Hilfe des MLF-Projektes gemeinsam anzubinden und zusammenzubinden, hat leider den gegenteiligen Effekt herbeigeführt. Er wurde halben Herzens 'begonnen und halben Herzens wieder aufgegeben.
Ich möchte noch einmal auf den Minister für Verteidigung in den Vereinigten Staaten zurückkommen und sagen: Seine strategischen Vorstellungen für Europa scheinen mir nicht immer konsequent zu sein. Zwar wird er - und sicherlich auch die ganze Regierung in Amerika mit ihm - seine militärstrategische Vorstellung von der Notwendigkeit des flexible response nicht aufgeben; sie werden sich nie wieder ein für allemal auf eine ganz bestimmte, unausweichlich fixierte Strategie festlegen, sondern sie werden die bewegliche Erwiderung, die Vielfalt der Möglichkeiten der Erwiderung als ihre eigentliche Grundkonzeption behalten. Aber gleichzeitig muß man sehen, daß MacNamara z. B. den deutschen Luftwaffengeschwadern ihre nukleare Hilfsrolle nehmen will, daß er auf der anderen Seite gleichzeitig öffentlich immer wieder erklärt, wieviele zusätzliche nukleare Sprengköpfe er in Europa im Laufe der letzten Zeit zur Verfügung gestellt hat; allein im letzten Jahr soll eine Vermehrung um 20 % stattgefunden haben. Wie das zusammenpaßt, ist mir persönlich unklar. Ich weiß auch nicht, ob man wirklich annehmen kann, daß die Vermehrung amerikanischer nuklearer Sprengköpfe in Europa den wachsenden Vertrauensschwund bei jenen Europäern ausgleichen kann, die nicht mehr an eine automatische Verwirklichung der amerikanischen Nuklear-Garantie glauben. Die amerikanische Führung weiß ganz genau, daß eine nukleare Automatik gegenüber der Sowjetunion nicht mehr in Betracht kommen kann. Es gibt in Europa manche, die das noch nicht wissen und nicht glauben wollen; die werden das auch noch merken.
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Denn auch Washington und nicht nur Moskau hat die Lektion aus der Kuba-Krise gelernt.
Eine der Lektionen der Kuba-Krise war, daß keiner von beiden sich einer nuklearen Automatik anheimfallen lassen darf. Washington wird deshalb, je mehr die Zeit fortschreitet, um so weniger - und keineswegs nach 1969 - irgendeiner verbündeten Regierung die Möglichkeit bieten, gegen den Willen Washingtons die USA in einem atomaren Konflikt zu engagieren. Im Gegenteil! Mit dem sehr richtigen Argument, daß ohne Aussöhnung und ohne Einvernehmen mit unseren östlichen Nach2886
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barn eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich sein wird, mit diesem Argument, das sicherlich richtig ist, wird Washington einen zunehmenden Druck und eine zunehmende Ermunterung auf uns ausüben, die innereuropäische Entspannung für eine Normalisierung der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas zu nutzen. Und wenn wir hier in Bonn aus unserer eigenen Beurteilung der Lage diesen Weg gehen sollten, so wird auf lange Sicht das Einvernehmen zwischen den Vereinigten Staaten und uns nicht ernstlich gestört werden können. Es beruht auf zwei fundamentalen gemeinsamen Interessen. Das eine ist das Sicherheitsinteresse, und von dem anderen sprach ich gerade eben. Ein kritischer Punkt wird erst dann erreicht werden, wenn einmal die Oder-Neiße-Frage ins Spiel kommt. Denn die amerikanische Führungselite glaubt nicht an eine Reversibilität dieser Linie, und die bisherigen Lippenbekenntnisse werden in Amerika seltener werden. Aber das ist jetzt schon ein sehr langfristiger Aspekt.
Ich will hier einen Exkurs einschieben zu den kurzfristigen Aspekten deutsch-amerikanischer Beziehungen. In Amerika bereitet man sich darauf vor, von der Klausel abzurücken, die bisher eines der Haupthindernisse für eine Einigung über den Nonproliferationsvertrag war. Die Amerikaner sind dabei, die Klausel, die auf eine Gemeinschaftslösung in der Allianz hinauslaufen sollte, auf eine reine Konsultativklausel einzuschränken. Sie sind dabei, ihren alten Standpunkt in dieser Sache zu desavourieren. Und wenn wir noch lange warten, dann bekommen wir für einen deutschen Verzicht auf eine solche Klausel auch von den Amerikanern überhaupt nichts mehr. Weil das so ist, kriegen wir von Sowjets ohnehin nichts dafür, und auch Paris ist nicht bereit, für den Verzicht auf diese Klausel auch nur einen Sou zu geben. Es ist deshalb nicht klug, wenn unsere Regierung diese Frage noch weiterhin auf Eis legt. Wenn sie noch lange auf Eis gelegt wird, werden wir nicht einmal eine Institutionalisierung der sogenannten McNamara-Lösung bekommen; denn es gibt auf diesem Felde keine Trümpfe, die uns durch Ablauf der Zeit zuwüchsen. Ganz im Gegenteil! Trümpfe könnten wir uns dann beschaffen, wenn wir zum Beispiel durch eigene Initiativen auf anderen Feldern unsere Position verbreiterten. Das bloße Beharren auf alten Positionen führt dazu, daß wir letzten Endes ohne Karten in der Hand am Tisch sitzen werden.
Einer der „Türöffner" für eine Institutionalisierung gemeinsamer strategischer Planung im Westen ist die Forderung nach einem deutschen Veto-Recht, das mit dem Existenzinteresse des deutschen Volkes begründet ist. Ich brauche die Forderung in den Einzelheiten nicht noch einmal näher zu definieren; das Haus ist damit vertraut. Die Forderung auf ein deutsches Veto-Recht ist auch moralisch überhaupt nicht anzugreifen. Es kann kein amerikanischer Senator mit moralischen Gründen dagegen auftreten. Niemand kann mit Grund behaupten, daß ein deutsches Veto-Recht oder, anders ausgedrückt, ein negatives deutsches Mitbestimmungsrecht die Gefahr nuklearer Auslösung vergrößern würde. Im Gegenteil, jeder muß wissen: je mehr Finger es am
Sicherungshebel gibt, je mehr Finger weggenommen werden müssen, um ihn freizugeben - wenn also auch ein deutscher Finger daran ist -, desto geringer wird die Möglichkeit, daß einer den Abzug betätigt. Noch anders ausgedrückt: ein deutsches VetoRecht kann nur gesehen werden als eine zusätzliche Sicherung gegen vorzeitige nukleare Auslösung.
Nun besteht sicherlich die Gefahr, daß, ich will nicht sagen: durch stillschweigende Verständigung, wohl aber durch konkludentes Nichthandeln zwischen den beiden quasi-europäischen Großmächten Sowjetunion und Amerika eine Art von Verständigung über den gegenwärtigen Status Zentraleuropas zustande kommt. Das liegt in der Interessensituation dieser beiden Weltmächte. Ich sagte schon: es liegt auch im gegenseitigen Patt der beiden Weltmächte. Für uns Deutsche kommt es also darauf an, unsere eigene Einwirkungsmöglichkeit, soweit es irgend geht, zu vergrößern, zu verbreitern, wenn sich überhaupt etwas in Europa bewegen soll. Dadurch, daß wir diese Möglichkeiten nur fordern, werden wir sie nicht bekommen. Man muß sie aushandeln. Man muß etwas zu geben bereit sein, damit man etwas bekommt; und zwar etwas, was wir aufgeben können, weil wir es sowieso vielleicht nur noch ein paar Monate in der Hand haben - der Bundeskanzler wird es merken, wenn er mit Johnson spricht -, um etwas dafür zu fordern. Das ist eben diese sogenannte hardware-Lösung. Diese Forderung auf Mitbesitz oder auch auf Mitbestimmung, wie sie von Herrn von Hassel und auch von Herrn Dr. Schröder immer wieder aufgestellt worden ist, können wir aufgeben. Niemand wird sie akzeptieren. Es ist eine Spielerei von einem Teil des State Departments in Washington, uns zu Gefallen so zu tun, als ob das wirklich noch eine Möglichkeit wäre. In Wirklichkeit ist es völlig ausgeschlossen, daß der amerikanische Senat jemals einer solchen Lösung mit Mehrheit zustimmt. Amerika ist nämlich auch eine Demokratie. Auch dort wird zu solchen Verträgen das Parlament gebraucht.
Mit einem solchen Tauschangebot würde sich aber Ihre morgige Reise nach Washington wesentlich leichter gestalten lassen, Herr Bundeskanzler.
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Die wären nämlich froh, wenn Sie mit diesem Tauschangebot kämen; die überlegen sich seit Monaten, ob sie das von Ihnen nicht erzwingen sollen. Und dann nehmen sie wieder Rücksicht auf Ihre Position hier in Bonn - die ist ja auch wirklich angeschlagen - und sagen: Na, wir wollen ihn noch einmal davonkommen lassen. In Wirklichkeit kommt das auf Sie zu, und wenn Sie es von sich aus anbieten und sagen: Ich gebe es nicht for nothing, sondern ich möchte dafür die Institutionalisierung deutscher Mitwirkung in der Planung im Bündnis und das deutsche Vetorecht haben, dann können Sie einen Erfolg erzielen.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen in Washington ganz sicherlich von dem Standpunkt ausgehen muß: Das, was vereinbart ist, muß auch eingehalten werden. Das gilt für beide Seiten, also auch für die
Schmidt ({11})
Bundesrepublik Deutschland. Wenn die Bundesregierung sich durch Herrn von Hassel - der damals die Konsequenzen nicht richtig hat übersehen können - verpflichtet hat, innerhalb von zwei Jahren einen Devisenausgleich von 5,4 Milliarden zu leisten, so müssen wir diesen Devisenausgleich auch wirklich aufbringen. Ich sage nicht: obwohl der Bundestag an dieser Verpflichtung keinen Anteil hatte - der ist da ja nicht gefragt worden -; aber es ist zweifellos so, daß unser Land sich verpflichtet hat. Wir müssen das leisten, auch wenn wir es nur mit Verspätung und mit Modifikationen tun können.
Allerdings ist ebenso klar, Herr Bundeskanzler, daß Sie für die Zeit nach diesem Zeitraum von zwei Jahren - er läuft ja am 30. Juni nächsten Jahres ab - keineswegs dieses Land auf gleich hohe Forderungen oder Verpflichtungen festlegen können, einfach deshalb nicht, weil Sie wissen - und jeder in diesem Hause weiß das -, daß wir sie nicht leisten können.
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Sie dürfen sich auch nicht wieder auf die Abnahme von so großen Quantitäten militärischen Geräts und militärischer Waffen festlegen lassen - wie das damals dem Herrn von Hassel unterlaufen ist -, die wir der Anzahl nach nicht benötigen und die unsere Bundeswehr nicht verdauen kann.
Jeder von uns weiß, daß dieses Problem mindestens dem Anschein nach - wenn man die amerikanische Presse liest - von Amerika aus verknüpft zu sein scheint mit dem eventuellen Abzug amerikanischer Truppen aus Europa. Für die sozialdemokratische Fraktion möchte ich hier den Punkt unterstreichen, von dem ich aus der Presse sehe, daß es wohl auch Ihr Punkt ist, Herr Bundeskanzler: die Frage der Verminderung amerikanischer Truppen in Europa kann nur eine Folge der politischen Bewertung der strategischen Situation in Asien und in Europa sein. Truppenverminderungen, die ohne Rücksicht auf die politische Bewertung der strategischen Situation erfolgen und die damit eine Kettenreaktion auslösen, verändern durch sich selbst, eo ipso, diese strategische Situation und würden durch diese Veränderung der strategischen Situation dazu zwingen, die politische Bewertung der Situation neu vorzunehmen, und zwar nicht nur jenseits, sondern auch diesseits des Atlantik. Ich meine, das sollten Sie in aller Freundschaft, aber auch in aller Klarheit und mit allem Ernst unseren amerikanischen Freunden sagen. Daran darf Sie auch das Verkaufstalent des amerikanischen Verteidigungsministers nicht hindern.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Majonica? Majonica ({0}) : Herr Kollege Schmidt, Sie werden mit Recht sogleich eine detaillierte Antwort auf Ihre sehr diffizilen Fragen in der Großen Anfrage, die Sie eingebracht haben, von der Bundesregierung erwarten können. Bisher haben Sie nicht einen einzigen Ton zur Begründung dieser Großen Anfrage gesagt. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie das täten. Und wenn Sie das nicht tun: halten Sie das für einen guten parlamentarischen Stil?
Verzeihung, Herr Abgeordneter Majonica, das war keine Zwischenfrage, das war eine Zwischenbemerkung.
({0})
Herr Majonica, ich halte erstens das, was ich hier mache, für einen guten Stil, und zweitens halte ich es allerdings für notwendig, dieses wichtige Rüstungskontrollthema in den Gesamtzusammenhang der außenpolitischen Strategie zu stellen.
({0})
Es ist doch kein Sonderthema, auf dem man sonntagnachmittags spielt, wenn man über Rüstungskontrollpolitik spricht.
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Man muß doch begreifen, daß Rüstungskontrollpolitik kein Instrument - ({2})
- Ich weiß nicht, ob es Sinn hat, sich über Herrn Majonica so zu erregen.
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- Sie müssen nur begreifen, Herr Majonica, daß Rüstungskontrollpolitik nicht eine Sache auf dem Balkon der deutschen Außenpolitik ist, nicht eine Sache, die man nebenher auch mitbehandelt, sondern daß sie eine Sache ist, die in das Gesamtkonzept gehört und aus dem Gesamtkonzept heraus entwickelt werden muß, und das versuche ich im Augenblick zu tun.
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Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um die Begründung eines Antrages. Ich bitte, den Redner ungestört sprechen zu lassen. Das entspricht der Übung dieses Hauses.
Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen, was den kurzfristigen Aspekt
2888 Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode - '
Schmidt ({0})
unserer deutsch-amerikanischen Probleme angeht. Natürlich müssen auch wir dort Lösungen für das Devisenproblem anbieten. Es wäre gut, wenn dies, wie schon immer London gegenüber, in Zukunft nicht durch das deutsche Verteidigungsressort geschähe. Und mir scheint es notwendig zu sein, daß Lösungen von uns aus nicht nur 'auf militärischem Felde angeboten werden. Soweit aber in Zukunft auch das militärische Feld zum Devisenausgleich gebraucht wird, scheinen mir zwei deutsche Vorschläge denkbar zu sein, die auch unseren eigenen Sicherheitsinteressen nützen. Zum einen ist denkbar, daß die Bundesrepublik anbietet, amerikanische Airlift-Kapazität zu kaufen und sie dann den Vereinigten Staaten zur Verfügung zu stellen, 'damit jederzeit eine schnelle Rückverlegung amerikanischer Truppen nach Europa gewährleistet ist. Zum anderen ist es denkbar, daß wir amerikanische Waffen und Geräte kaufen und sie in Europa lagern, damit, wenn amerikanische Truppen schnell nach Europa zurücktransportiert werden müssen, sie ihre Waffen und Geräte hier vorfinden. Natürlich sind auch Kombinationen davon denkbar.
Um von diesem Exkurs zurückzukommen: Ich glaube nicht, daß wir bei den 'kurzfristigen .Problemen auf sehr viel Hilfe durch Großbritannien rechnen können. England ist auf absehbare Zeit mit sehr schweren eigenen Problemen okkupiert, die englische Tendenz zum Truppenabzug aus Europa ist noch stärker als die amerikanische. Im übrigen wird in England die Entspanntheit der europäischen Situation voraussichtlich immer stärker betont werden als in Washington. Meine tiefe persönliche Überzeugung ist, daß man sich im Falle der akuten Gefahr auf England immer ganz verlassen 'kann, daß aber in Perioden äußerlich friedlicher Entwicklung in England stets eine Tendenz da sein wird, die latenten Gefahren unterzubewerten.
Was Frankreich angeht: Frankreich 'hat unter de Gaulle durch seine außenpolitische Strategie nicht viel gewonnen, aber sehr viel Prestige gewonnen. Gleichzeitig hat dieser Mann Europa in den letzten drei Jahren stärker beeinflußt als irgendein anderer Mann. Die Auflockerungsstrategie de Gaulles gegenüber Osteuropa hat niemandem geschadet. Im Gegenteil. Seine militärische Doktrin .der nuklearen Vergeltung vis-à-vis Moskau hat auch nicht geschadet. Sie hat 'zwar kein Gewicht, aber sie hat auch nicht geschadet. Aber im Verhältnis zur NATO hat seine Strategie eine tiefgreifende Lähmung bewirkt. Da diese Lähmung, wenn wir eine friedliche Entwicklung voraussetzen - und das können wir -, Frankreich nicht zu gefährden 'scheint und da niemand Sanktionen gegenüber Frankreich in Betracht ziehen kann, so wird Frankreich seine auf 'wachsende Unabhängigkeit gerichtete Strategie fortsetzen. Der Gaullismus hat ähnliche Eigenschaften wie eine Epidemie, die an den Grenzen nicht haltmacht, über die Grenzen herüberschwappt, und ihre Einflüsse werden sich weit über die deutsche Regierungspartei hinaus auch in übrigen Teilen Europas geltend machen.
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Herr Abgeordneter von Guttenberg, bei Begründungen sind Zwischenfragen nicht üblich. Ich bitte, darauf zu verzichten.
Auch nach de Gaulle wird sich die geographische Lage Frankreichs nicht ändern. Die force de frappe wird fortexistieren. Für uns ist wichtig, daß wir auch nach de Gaulle genau wie jetzt einige Übereinstimmungen zwischen Paris und Moskau nicht übersehen. Diese Übereinstimmungen beziehen sich auf die Oder-Neiße-Linie, auf die Ablehnung jeglichen deutschen nuklearen Mitbestimmungsrechts und auf einen latenten Wunsch nach der Kontrolle Deutschlands. Die französischen Divisionen in Süddeutschland sollen der gemeinsamen Verteidigung dienen. Wenn ihre Aufgabe nicht irgendwie vertraglich definiert wird, so können sie ebensosehr zu Instrumenten französischer Deutschlandpolitik werden. Die Bundesregierung hat in der Frage des französischen Truppenabzugs zwar äußerlich zeitweise spektakulär, im inneren Ergebnis jedoch ohne Erfolg operiert. Unsere ständigen sozialdemokratischen Mahnungen auf gegenseitige Verzahnung mit Frankreich durch wirtschaftliche, technische, militärische, militärisch-technologische, rüstungsindustrielle Kooperation sind bisher leider nicht gehört worden.
In dieser Lage, wie ich sie versucht habe zu skizzieren, kann sich Deutschland zusätzlich zu der sowjetischen Isolierungstaktik uns gegenüber durch eigene Starrheit gegenüber allen diesen Tendenzen in den Völkern, in den Ländern, in den Staaten und in den Regierungen, von denen ich sprach, zusätzlich isolieren. Ich meine, wir dürfen nicht warten, bis die Tendenzen zu weiterem Truppenabzug und zu weiterer Auflockerung unserer Allianz zu vollzogenen Tatsachen führen. Wenn irgendwann ein letzter Augenblick gegeben war für gleichgewichtige, auf beiden Seiten stattfindende Rüstungsverminderung und Truppenverminderung, dann könnte er in der gegenwärtigen Situation erreicht sein.
Wir erkennen an, daß die Friedensnote der Bundesregierung vom März einige gedankliche Ansätze in dieser Richtung gemacht hat. Unsere Große Anfrage bezieht sich weitgehend auf den Stoff, der in der Friedensnote ausgebreitet worden ist. Wir haben damals die Note der Regierung begrüßt, obwohl wir sie in einigen Punkten schon damals für ergänzungsbedürftig hielten und ich sie in einem Punkt auch für unglücklich halte. Die Bundesregierung hat im August erklärt, ihre Vorschläge in der Note richteten sich vornehmlich an die osteuropäischen Staaten. Wir haben das schon im März an dem Tage, an dem die Note überreicht wurde, öffentlich anerkannt und für richtig gehalten. Uns scheint, es kommt jetzt darauf an, den begonnenen Weg fortzusetzen. Dabei muß man sich immer darüber klar sein: solange es die Bundesrepublik gab und solange es sie geben wird, für die Zeit unserer ganzen Existenz, ist das Maß an Sicherheitschancen für die Bundesrepublik immer im Wechselverhältnis zum Maß an Wiedervereinigungschancen gestanden und wird dazu stehen. Ich nehme an, es wird immer so
Schmidt ({0})
bleiben, solange es bei der Bundesrepublik bleibt. Das Verlangen, die Sicherheitschancen der Bundesrepublik auf 100 % zu steigern, muß die Wiedervereinigungschancen auf null Prozent sinken lassen. Es ist eben ein schwieriges Balancekunststück, das vollbracht werden muß, die Sicherheitschancen nicht allzusehr einzuschränken - aber vielleicht muß man auch ein Risiko eingehen - und die Wiedervereinigungschancen auf der anderen Seite doch nicht unten bei Null zu halten, sondern zu heben.
Die Welt ist in den letzten zehn Jahren von der antagonistischen Bipolarität dieser beiden Weltmächte beherrscht gewesen, und in diesen letzten zehn Jahren hat man dem Ziel der Wiedervereinigung nur wenig gedient und vielleicht nur wenig dienen können. Jetzt, wo sowohl im Osten als auch im Westen mindestens teilweise etwas Platz greift, was Multipolarität oder Polyzentrismus oder wie immer genannt wird, wo also die Völker ein bißchen Bewegungsfreiheit gewinnen, in diesem Zeitraum wird es wenigstens theoretisch wieder denkbar, daß wir uns diesem Wiedervereinigungsziel annähern. Natürlich ist das nur am Ende eines langen, komplizierten Prozesses denkbar, des Prozesses der Entspannung und der Versöhnung. Wenn allerdings auf dem Weg dorthin das Gleichgewicht der militärischen und politischen Kräfte auf beiden Seiten verlorenginge, dann würde sich der Weg im Ungewissen verlieren, und eines Tages würden wir möglicherweise fremdem Willen unterworfen sein. Das Entscheidende ist, sich nicht einzubilden, man müsse hundertprozentige Sicherheit haben. Die gibt es auf dieser Erde nicht. Die gibt es auch nicht für Amerika. Das Entscheidende ist, daß wir immer das Gleichgewicht der militärischen und der sonstigen Machtkräfte aufrechterhalten müssen, das uns das menschenmögliche Maß an Sicherheit gewährt.
Mit anderen Worten, wenn wir aus Sicherheitsgründen das Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhalten müssen, aber aus Gründen der Deutschlandpolitik versuchen müssen, die Spannung herunterzubringen und die Entspannung zu fördern, dann ist das eigentliche strategische Problem in der gegenwärtigen Epoche, das strategische Problem der deutschen Außenpolitik das Heruntertransponieren des Gleichgewichts von der Ebene hoher Rüstung auf die Ebene verminderter Rüstung, das Heruntertransponieren des Gleichgewichts der Kräfte von der Ebene starker Truppenkonzentration auf die Ebene schwächerer Truppenkonzentration auf beiden Seiten.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß weltweile Abrüstung so bald nicht zustande kommt. Vielleicht wird es „fast-weltweite" Abkommen für einzelne Waffenkategorien geben. Der Atomteststoppvertrag war ein Modellfall dafür. Der Nonproliferationsvertrag ist ein zweites Stück der gleichen Kategorie. Es ist sehr fraglich, ob er zustande kommt. Wir werden demnächst bei der UNO eine Vollversammlungsdebatte darüber hören.
Wir werden hören, wie Deutschland dabei für das bisherige Scheitern der Verhandlungen angeklagt wird, übrigens nicht nur von Kommunisten und kommunistischen Ländern; wir werden hoffentlich von unseren Freunden auch verteidigt werden. Aber wir werden sehen, daß wir auch als Sündenbock für das Scheitern der Verhandlungen von solchen Staaten benutzt werden, die ihrerseits ebenfalls zum Nichtzustandekommen beigetragen haben. Was diesen Nonproliferationsvertrag angeht, haben wir uns in eine nicht sehr glückliche Position manövriert. Schon deshalb ist eine Klarstellung in der nuklearen Frage notwendig, die übermorgen auch in Washington behandelt werden wird.
Die Bundesrepublik kann ganz gewiß nicht Abrüstungs- oder Rüstungskontrollvereinbarungen zustimmen, die unser Land diskriminieren; das können wir ganz gewiß nicht. Aber ebensowenig, Herr Majonica, können wir etwa von dem alten Standpunkt, den wir in diesem Hause und den Ihre, unsere Regierung gemeinsam gefaßt und vertreten haben, abgehen, die Bundesrepublik sei bereit, jedem allgemeinen Abrüstungs- oder Kontrollabkommen beizutreten, das weltweit ausgehandelt wird. Wenn ich die Entschließung Ihres Arbeitskreises lese, die gestern veröffentlicht worden ist, sehe ich eine wesentliche Einschränkung dieses alten Standpunktes.
Herr Abgeordneter Schmidt, ich mache darauf aufmerksam, daß Sie zur Begründung das Wort haben. Ich bitte, die Diskussion nicht vorwegzunehmen.
Gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, zu sagen, daß ich die Entschließung des Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion als eine Gefährdung der Absichten ansehe, die die Bundesregierung mit ihrer Friedensnote vom 25. März verfolgt hat, und als im Widerspruch stehend zu den Antworten ansehe, die wir auf unsere Große Anfrage eigentlich erwarteten.
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Es ist wahrscheinlich, daß wegen des Nichtzustandekommens weltweiter Abkommen zunächst das Interesse der Staaten in Osteuropa und auch in Westeuropa sich wieder auf regional beschränkte Schemata und Planungen konzentrieren wird. Es ist ein Zeichen für die Dispositionsfreiheit, die den einzelnen Staaten Europas zugewachsen ist, wenn z. B. Dänemark den Vorschlag, der ja eigentlich aus dem Osten kam, für eine europäische Sicherheitskonferenz öffentlich wieder aufgegriffen hat. Ich will dazu nicht weiter Stellung nehmen. Ich nehme es nur als ein Symptom für den wachsenden Handlungsspielraum selbst der kleineren Staaten Europas. Wir müssen daher, glaube ich, die Vorschläge der Friedensnote in dem Sinne fortsetzen, daß wir gerade gegenüber den mittleren und kleineren Staaten Europas in dieses Gespräch hineinkommen. Wir selber gehören ja auch zu den mittleren und kleineren Staaten Europas.
Die Bundesregierung hat sich im Laufe der letzten Jahre in Richtung Osteuropa viel Mühe gegeben. Sie hat sich in Verfolgung des Jaksch-Berichts bemüht, wirtschaftliche und kulturelle Kontakte aufzunehmen, und hat Handelsmissionen ausgetauscht. Aus der Entwicklung in diesem Sommer konnten
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Schmidt ({1})
wir entnehmen, daß die Bundesregierung bereit schien, volle diplomatische Beziehungen mit Rumänien aufzunehmen. Herr Schmücker hat sich ja auch mit seiner Reise sehr geschmückt, die er nach Bukarest gemacht hat.
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Wir freuen uns, daß offenbar inzwischen eine differenzierende Beurteilung der Lage in den verschiedenen osteuropäischen Staaten eingetreten ist. Wir haben das lange versucht. Wahrscheinlich wäre die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit einigen osteuropäischen Staaten vor einigen Jahren etwas einfacher gewesen und vielleicht eher frei von unzumutbaren politischen Forderungen. Aber man sollte über vergossene Milch nicht nachträglich weinen. Jetzt jedenfalls müssen den Worten .Schmückers in Bukarest auch Handlungen folgen. Das ist um so notwendiger als die Gefahr besteht, das beide Regierungen - die hier in Bonn und die in Bukarest - durch den Schwebezustand, je länger er dauert, um so mehr unter Druck gesetzt werden, die einen unter Druck aus einer Richtung und die anderen unter Druck aus mehr südlicher Richtung auf diesem Globus.
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- Ich behaupte, daß der Deutsche Bundestag der Ort ist, an dem ausgesprochen werden muß, was man denkt.
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Ich möchte Ihnen zusammenfassend und zum Schluß kommend sagen - - ({5})
- Es ist mir leider durch die Frau Präsidentin verwehrt, Herr Haase, auf Ihren Zwischenruf einzugehen.
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Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß die deutsche außenpolitische und wiedervereinigungspolitische Strategie auf drei verschiedenen Feldern betrieben werden muß, auf drei verschiedenen Hauptaktionsfeldern. Das erste Feld ist und bleibt unsere Sicherheit, und die hat behalten und wird behalten zwei verschiedene Seiten, nämlich einmal die tatsächliche Verteidigungsfähigkeit des Westens insgesamt und unseres Landes oder, was für mich immer dasselbe ist, die tatsächliche Abschreckungsfähigkeit, und die andere Seite ist die der Rüstungsbegrenzung und der Rüstungskontrolle. Dem habe ich materiell im Augenblick nichts hinzuzufügen. Wir wollen ja hören, was die Bundesregierung sagt. Unsere zwölf Fragen liegen seit einem Vierteljahr auf ihrem Tisch.
Aber einen psychologischen Punkt möchte ich hinzufügen. Man hat geltend gemacht, was immer auch wir Deutschen auf dem Feld der Rüstungsbegrenzung oder auf dem Feld der Osteuropapolitik täten, man werde trotzdem immer die Deutschen als revanchistische Teufel abbilden. Diese Erwartung ist auch zunächst richtig. Aber die Tiefe der psychologischen Wirkung, die Moskau und Pankow mit dieser Verteufelung erreichen, wird je nach unserem eigenen Verhalten sehr verschieden sein, und sie wird sehr ausflachen, wenn wir uns entsprechend verhalten. In Rumänien beispielsweise machen die Sowjets keinen Eindruck mehr damit, daß sie den Rumänen vor uns Angst machen. Das hat vielerlei Gründe, darunter auch, wie ich einräume, geographische Gründe. Aber das jedenfalls steht fest: wir haben viele Möglichkeiten, auch anderen Leuten die Sorge vor uns zu nehmen, den Tschechen, den Slowaken und anderen. - Auch im Westen gibt es ja immer noch oder wieder aufkeimende Sorge vor uns. - So ist also das zweite Feld dieser Strategie das Feld unserer Osteuropapolitik. Und wenn nichts anderes uns dazu zwänge - und etwa nicht die Gründe, von denen ich gesprochen habe -, so zwingt uns jedenfalls de Gaulles Osteuropapolitik, auch unsererseits dieses Feld zu beackern.
Das dritte Feld betrifft die weitere Entwicklung der innerdeutschen Verhältnisse und Beziehungen. Psychologisch ist dies das schwierigste Feld. Auf dieses Spiel sind wir am allerwenigsten vorbereitet. Im Rahmen der heutigen Debatte kann ich dazu nichts sagen wollen. Aber es muß behandelt werden. Wir glauben, daß unser Staat und daß unsere Gesellschaft stark und fest genug sind, auch dies in öffentlicher Debatte zu tun.
Es zeichnen sich also für die strategische Diskussion dieses Hauses im Herbst, Winter und Frühjahr die folgenden großen Themen ab: ad 1 Osteuropapolitik, ad 2 Rüstungskontrollpolitik - beide unter dem Aspekt deutscher entspannender Initiative -, ad 3 Allianzpolitik und Verteidigungsfähigkeit in der neuen Lage unter dem Aspekt unserer Sicherheit, die das unabdingbare Rückgrat ist und bleibt für die ad 1 und ad 2 genannten Themen, ad 4 europäische Einigung, die, soweit Westeuropa gemeint ist, unverzichtbar bleibt als Operationsbasis für 1, 2 und 3 und, soweit sie sich auf ganz Europa bezieht, eines Tages den Boden und das Dach abgeben muß für unser Ziel, unser Volk wieder zusammenzuführen. Damit aber dieses Ziel, unser Volk zusammenzuführen, auch erreichbar bleibt, muß ebenso - ad 5 - das Thema der innerdeutschen Dinge stetig und beharrlich vorangetrieben werden.
Alles dies zusammen erst macht eine außenpolitische Strategie aus.
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Rüstungskontrollpolitik ist ein Teil, Sicherheitspolitik ist ein Teil, Osteuropapolitik ist ein anderer Teil, Europapolitik in Westeuropa ist ein vierter Teil, innerdeutsche Politik ist ein fünfter Teil. All dies zusammen muß aus einem gemeinsamen Konzept heraus entwickelt werden.
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Schmidt ({9})
Wenn wir in der Lage sind, wenn dieser Bundestag in seiner Gänze und wenn unsere Regierung in der Lage sind, von Situation zu Situation - und die wandelt sich ja, die Lage bleibt nicht stehen - sowohl unseren Freunden im Westen als auch unseren Nachbarn im Osten gleicherweise und unabhängig von der Lage kontinuierlich und ohne Bruch immer zwei Seiten unseres Wesens erkennbar zu machen, nämlich einerseits eine unbeirrte Festigkeit bei der Verfolgung unserer Interessen, die sich nicht auf Formel-Aufsagen beschränkt, sondern je nach Lage im tatsächlichen Handeln zum Ausdruck kommt, und andererseits einen unbeirrbaren Willen zur Verständigung mit denen da drüben und zur Versöhnung, dann ist für diese beiden Dinge deutsche Rüstungskontrollpolitik ein hervorragendes Vehikel. Auf den Feldern der Rüstungskontrollpolitik und der Osteuropapolitik liegen vielleicht die Chancen für den Rest dieses Jahrzehnts der 60er Jahre, möglicherweise auch noch für das nächste Jahrzehnt.
Man weiß nicht, wie lange diese Epoche andauert. Wer die Chancen, die in dieser Epoche liegen, ausloten will, der muß die zunehmende Differenzierung der Situation sehen - in Osteuropa wie in Westeuropa -, und er darf nicht länger mit der groben Elle jener Vergeltungsstrategie aus den Zeiten von John Foster Dulles messen, und er darf nicht Warschau und Prag und Bukarest und alles über den gleichen Kamm scheren. Wir müssen nachdenken, die Situation analysieren und gemeinsam mit den Amerikanern und den anderen, soweit es um unsere Sicherheit geht, aber auch gemeinsam mit Frankreich und den anderen, soweit Ps um Osteuropa geht, handeln.
Schließlich, meine Damen und Herren: unsere Entscheidung müssen wir selber treffen. Die pluralistische Gesellschaft - wenn ich so sagen darf - der europäischen Staaten, der europäischen Völker ist in 'dieser Phase zunehmender Autonomie der einzelnen Staaten schon so weit gediehen, daß selbst das an der empfindlichsten Stelle gelagerte Deutschland eigenen Handlungsspielraum gewonnen hat - das ist noch nicht allen so ganz deutlich, daß wir eigenen Handlungsspielraum gewonnen haben -, nicht so sehr durch eigene Anstrengungen, und es ist auch nicht sicher, ob das ein Glücksgeschenk des Himmels ist. Aber die Lage hat sich so entwickelt, und wenn wir von diesem Handlungsspielraum keinen Gebrauch machen, werden andere von ihm Gebrauch machen.
Wenn nicht der vietnamesische Krieg und die Krise in Südostasien dazu führen, daß sich die Weltlage vom Grunde her wandelt, dann dürfen wir annehmen, daß die gegenwärtige Situation Europas einige Zeit andauern wird. Wir empfehlen Ihnen, diese Epoche zu nutzen, ehe sie verrinnt. Wir empfehlen Ihnen, auf dem Felde der Rüstungskontrollpolitik den Weg der mit der Note damals 'begonnen worden ist, entschlossen fortzusetzen, und wir würden uns freuen, wenn die Antworten auf unsere zwölf Fragen heute morgen eine entschlossene Fortführung dieses Weges anzeigen würden.
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Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort dem Herrn Bundesaußenminister gebe, darf ich dem Hohen Hause eine erfreuliche Mitteilung machen. Der Fünfmillionste der Staatsbürger, 'die den Deutschen Bundestag seit seiner Konstituierung am 7. September 1949 besucht haben, ist soeben eingetroffen und hat auf der Tribüne des Hauses Platzgenommen.
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Herr Heinz Neuhöffer aus Köln, Angehöriger des Bundesgrenzschutzes, 20 Jahre alt, ist am Eingang unseres Hauses von Herrn Vizepräsidenten Dr. Schmid begrüßt und durch die Überreichung des Grundgesetzes geehrt worden.
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Für ihn gilt symbolhaft für alle, die wahrhaft an dem öffentlichen Leben unseres Volkes teilhaben, das Wort unseres verstorbenen 'Bundespräsidenten Theodor Heuß: Der demokratische Staat lebt von der Mitwirkung seiner Bürger. Daß diese 5 Millionen 'Staatsbürger, die 'in den vergangenen 17 Jahren ihr Interesse an der Arbeit der deutschen Volksvertretung bekundet haben, zu 80'0/o Jugendliche bis zu 25 Jahren gewesen sind, stärkt die Zuversicht, daß die kommende Generation 'ihre Verantwortung für diesen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu übernehmen bereit ist.
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In diesem Sinne begrüßen wir Herrn Neuhöffer auf das herzlichste 'in 'unserer Mitte.
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Das Wort hat nunmehr der Herr Außenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der heutigen Tagesordnung steht, wenn mich meine Drucksache nicht trügt: Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens. Die Bundesregierung ist bereit, wie sie das erklärt hat, diese Große Anfrage zu beantworten. Es entspricht der Übung, daß die antragstellende Fraktion die Anfrage begründet. Wir haben die Begründung gehört, und ich möchte dazu nur folgendes sagen.
Sicherlich ist jeder in diesem Hause völlig frei in den Gedankengängen, die er vorträgt, und auch mehr oder weniger frei in der Wahl des Anlasses. Die Bundesregierung hat aber nicht die Absicht, heute in eine umfassende außenpolitische Debatte einzutreten, falls sich das nicht aus ganz anderen Umständen heraus doch noch ergeben sollte, sondern sie möchte sich auf die Beantwortung dieser zwölf Fragen beschränken. Ihr Motiv dafür, das heute zu tun, ist, daß sie es für ganz nützlich hält, auch vor der Amerikareise des Herrn Bundeskanzlers gerade dieses spezielle Thema ein bißchen stärker in das Bewußtsein der deutschen und internationalen Öffentlichkeit zu heben. In einem ausführlicheren Sinne wird über auswärtige Politik - jedenfalls nach unserer Vorstellung - erst nach dieser Reise in Verbindung mit anderen Themen
gesprochen werden. Ich muß also das Hohe Haus bitten, sich nun ein bißchen auf diese Fragen einzustellen, die sehr intensiv, sehr bohrend und für manche vielleicht ein bißchen technisch sind. Ich werde sie jetzt in der Reihenfolge, in der sie gestellt sind, beantworten. Ich darf dabei jeweils die Frage vorlesen, damit die Antwort verständlich wird.
Die erste Frage lautet:
Welche Erläuterungen kann die Bundesregierung in Weiterführung ihrer Note vom 25. März 1966 zu ihrem Vorschlag geben, die Verhinderung der Weiterverbreitung von Nuklearwaffen schrittweise herbeizuführen?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Schon oft hat sich eine Diplomatie des schrittweisen Vorgehens bewährt, wenn umfassende und vollkommene Lösungen eines politischen Problems in einem Akt nicht erreichbar waren. Dann einen „ersten Schritt" zu tun, einen Schritt in die richtige Richtung freilich, wird mit Recht als Kunst des Möglichen gerühmt. Ein schrittweises Vorgehen hat sich z. B. im Jahre 1963 bewährt, als ein umfassendes Verbot von Atomwaffenversuchen nicht zu erreichen war. Damals wurde als erster wichtiger Schritt die Einstellung der Versuche auf dem Lande, zu Wasser und in der Atmosphäre vereinbart. Das Verbot unterirdischer Versuche, dessen Regelung besondere Schwierigkeiten bereitete, wurde späterer Vereinbarung vorbehalten. Angewendet auf den Fall der Nichtverbreitung von Atomwaffen würde schrittweises Vorgehen bedeuten, daß man sich, wie wir es in unserer Friedensnote vorgeschlagen haben, zunächst darauf konzentriert, die Herstellung von Atomwaffen in nationaler Kontrolle auszuschließen. Hierbei berücksichtigen wir den Grad der bereits bestehenden Übereinstimmung zwischen den Vertragsentwürfen, die der Genfer Abrüstungskonferenz vorgelegt worden sind. Auch ist es politisch durchaus sinnvoll, die Bemühungen um eine Nichtverbreitungsregelung darauf zu konzentrieren, wie die Herstellung atomarer Waffen durch weitere Mächte unterbunden werden kann; denn eine Gefahr der weiteren Verbreitung von Atomwaffen droht tatsächlich nur auf diesem Wege.
Nun ist es außerordentlich schwer, alle nichtnuklearen Staaten, die die Wahl haben oder in Zukunft haben werden, Atomwaffen zu produzieren, einheitlich zu einem Verzicht auf diese „Option" zu bewegen. Ob die Entscheidung zugunsten einer eigenen Nuklearrüstung, wie sie England, Frankreich und China getroffen haben, für die Sicherheit eines Landes von überragendem Wert ist oder nicht, wird von den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich beurteilt. Jedenfalls lassen sich für die Sicherheitsprobleme, die mit dem Versuch einer internationalen Nichtverbreitungsregelung aufgeworfen werden, bei der gegenwärtigen Verfassung der Welt keine globalen Lösungen finden. Dazu sind die Sicherheitsbedürfnisse und Sicherheitsvorstellungen der einzelnen Länder, auf die es ankommt, zu verschieden. Aber es gibt Gruppen von Ländern, deren sicherheitspolitische Situation weit genug übereinstimmt, um ein gruppenweises Vorgehen möglich zu machen und zu rechtfertigen.
Das Prinzip gruppenweisen Vorgehens, das ebenfalls unserem Vorschlag in der Friedensnote zugrundeliegt, würde es erlauben, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen nicht nuklear gerüsteten Staaten in stärkerem Maße zu berücksichtigen, als es in einem undifferenzierten, universellen Vertrag möglich wäre. Dabei könnte den Interessen der nichtnuklearen Mächte vor allem auch insoweit Rechnung getragen werden, als sie ihre Sicherheit je nach ihren politischen Vorstellungen in oder außerhalb von Allianzen suchen.
Ein für die Nichtverbreitung entscheidender erster Schritt, von einer oder mehreren Gruppen von Staaten mit ähnlichen sicherheitspolitischen Vorstellungen unternommen, würde einen wesentlichen Fortschritt darstellen und auf andere Länder beispielhaft wirken.
Die Bundesregierung würde einen solchen ersten Schritt und weitere Fortschritte lebhaft begrüßen. Denn niemand in Deutschland hat ein Interesse daran, daß um uns herum, in Europa oder sonstwo in der Welt, weitere Atomwaffenmächte entstehen.
Wie die überwiegende Zahl der Regierungen der Welt sieht auch die Bundesregierung ein erstrebenswertes politisches Ziel darin, dies durch internationale Regelungen zu verhindern. Um eine bestimmte Art der Regelung bemüht sich die Genfer Abrüstungskonferenz seit über vier Jahren. Die Bundesregierung bedauert, daß es der Konferenz trotz vieler wertvoller Beiträge einzelner Teilnehmer bisher nicht möglich gewesen ist, ein Übereinkommen zu erzielen, das den Wünschen der Regierungen entspräche. Die Aussichten für eine Regelung, die allgemeine internationale Zustimmung fände, können gegenwärtig kaum günstig beurteilt werden.
Die Bundesregierung ist nicht bereit, einer auch ihr unerwünschten weiteren Entwicklung untätig zuzusehen. Es widerstrebt ihr, daß die Probleme der Nichtverbreitung, d. h. der Nichtverbreitung von Atomwaffen in die nationale Kontrolle weiterer Staaten innerhalb oder außerhalb von Bündnissen, dadurch verdunkelt werden, daß die Sowjetunion damit die eine spezifisch sowjetische Forderung künstlich zu verbinden trachtet, nämlich das Recht auf kollektive Selbstverteidigung im nuklearen Bereich einzuschränken. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dies kein Gegenstand der Nichtverbreitungspolitik ist. Im Gegenteil, es ist geradezu Voraussetzung für die Verzichtswilligkeit allianzbedürftiger Staaten, daß sie in optimaler Weise an der kollektiven Abschreckung des Bündnisses teilhaben, wenn in ihrem eigenen Sicherheitsbereich nukleare Mächte eine wesentliche Position innehaben.
Um daran mitzuwirken, das eigentliche Nichtverbreitungsproblem zu lösen, versuchen wir, den Verzicht auf Herstellung von Kernwaffen, auf den es in erster Linie ankommt und den wir selbst bereits 1954 ausgesprochen haben, in den Mittelpunkt zu
rücken. Wir haben demgemäß vorgeschlagen, daß der erste Schritt in einem Herstellungsverzicht innerhalb der NATO und innerhalb des Warschauer Paktes bestehen soll. Ein solcher Schritt würde nicht nur zur Rüstungsbegrenzung, sondern auch zur Entspannung in dem empfindlichen Konfrontationsgebiet Europa beitragen.
Das war die Antwort auf die erste Frage. Und nun die zweite Frage. Sie lautet:
Unter welchen Voraussetzungen ist die Bundesregierung bereit, über den Produktionsverzicht der Bundesrepublik Deutschland hinaus, wie er in den Zusatzprotokollen anläßlich des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur Westeuropäischen Union vertraglich festgelegt worden ist, in Zusammenhang mit umfassenden Abkommen über die Verhinderung der Weitergabe von Nuklearwaffen auch einen Erwerbsverzicht für nukleare Waffen zu vereinbaren?
Die Antwort lautet: Es ist gegenwärtig aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht damit zu rechnen, daß alsbald eine Einigung über ein universell angelegtes, umfassendes Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen erzielt werden kann. Auch kann zur Zeit niemand voraussehen, welchen Inhalt ein solches Abkommen haben würde. Es ist doch nicht nur umstritten, ob sich die Regelung darauf beschränken soll, die Entstehung weiterer Atomwaffenmächte zu unterbinden, oder ob sie auch in die innere Organisationsfreiheit der Bündnisse eingreifen soll, die auf dem Recht kollektiver Selbstverteidigung beruhen. Umstritten ist auch, ob und welche Vorsorge dabei für die nukleare Sicherheit derjenigen nichtnuklearen Staaten getroffen werden soll, die ihre Sicherheit in Bündnislosigkeit suchen. Ebenso umstritten ist, ob die Nichtverbreitungsregelung einen Schritt auf dem Wege zur nuklearen Abrüstung, zur Rüstungsbegrenzung für schon bestehende und entstehende Nuklearwaffenstaaten, enthalten soll.
Das Hohe Haus wird daher Verständnis dafür haben, daß sich die Bundesregierung gegenwärtig nicht ins einzelne gehend dazu äußert, wie sie sich in einer hypothetischen Situation verhalten würde.
Andererseits ist die internationale Diskussion der Nichtverbreitungsprobleme so weit fortgeschritten und in einem gewissen Umfange - wie wir mit Befriedigung feststellen - auch versachlicht, daß die Bundesregierung folgendes zu erklären vermag:
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, sich an einer Regelung zu beteiligen, die darauf abgestellt wäre, das in der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich verbürgte Recht auf kollektive Selbstverteidigung im nuklearen Bereich zu beeinträchtigen. Sie wünscht nicht, daß die rechtmäßig gegebenen Möglichkeiten, die kollektive Sicherheit des westlichen Bündnisses befriedigend zu organisieren, um eines Kompromisses willen eingeschränkt werden, der zur Lösung des eigentlichen Problems der Nichtverbreitung in der übrigen Welt deswegen nicht einmal beitragen würde, weil damit die Sicherheitsbedingungen bündnisfreier Staaten keineswegs verbessert werden.
Dagegen ist die Bundesregierung bereit, die Beteiligung an einer Regelung zu erwägen, die dem eigentlichen Ziele der Nichtverbreitungspolitik dient, nämlich das Entstehen weiterer Atommächte zu verhindern, wenn die Probleme der nuklearen Sicherheit im westlichen Bündnis befriedigend gelöst sind.
Im übrigen gibt es für einen Staat nur zwei Möglichkeiten, Atomwaffen zu erlangen, durch eigene Produktion oder durch den Erwerb von einer Atomwaffenmacht. Beide Wege wollen wir ausgeschlossen sehen. Einen dritten Weg der Verbreitung von Atomwaffen - etwa, wie oft fälschlich behauptet wird, durch Beteiligung an der kollektiven Abschreckung innerhalb einer Allianz - gibt es nicht. Auf die Herstellung von atomaren Waffen haben wir unseren Verbündeten gegenüber bereits im Jahre 1954 verzichtet, und wir haben uns - das muß man nachdrücklich unterstreichen - als bisher leider einziges Land der Welt einer entsprechenden Kontrolle unterworfen. Wir haben vorgeschlagen, daß andere nichtnuklear gerüstete Staaten das gleiche tun. Um auch den zweiten Weg zu sperren, auf dem ein Staat Atomwaffen erlangen könnte, nämlich den des Erwerbs von Atomwaffenmächten, haben wir vorgeschlagen, daß sich diese Mächte verpflichten, keine Atomwaffen in die nationale Kontrolle anderer Länder zu geben, wie es ohnehin ihrer Politik entspricht.
Die deutsche Regierung hat im übrigen wiederholt erklärt, daß Deutschland nicht nach nationaler Verfügungsgewalt über Atomwaffen strebt. Wir würden es begrüßen, wenn sich möglichst viele Länder zur gleichen Politik bekennen und sich zu den gleichen Verzichten entschließen würden, die wir bereits geleistet haben
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und an denen wir unbeirrt festhalten.
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Die dritte Frage lautet:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über das von ihr vorgeschlagene Abkommen der Nuklearmächte, wonach keine Kernwaffen in die nationale Kontrolle anderer Länder gegeben werden dürfen?
Die Antwort lautet wie folgt: Es ist sicher nicht eine Aufgabe, die der deutschen Regierung vorrangig gestellt ist, den Atomwaffenmächten Vorschläge darüber zu machen, welche Beiträge sie zu erbringen hätte, damit eine Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindert wird. Die Atomwaffennächte verfolgen ohnehin nicht die Politik, Kernwaffen weiterzugeben oder anderen Staaten die Kontrolle über Kernwaffen zu übertragen. Um die Weiterverbreitung von Kernwaffen zu verhindern, ist es daher in erster Lnie erforderlich, einen Produktionsverzicht zu vereinbaren, wie wir ihn vorgeschlagen haben.
Um jedoch jede Möglichkeit der Weitergabe von Kernwaffen in nationale Kontrolle anderer Staaten auszuschließen, könnten die Kernwaffenmächte un2894
ter sich entsprechende Vereinbarungen treffen. Auch dies wäre ein Schritt zur internationalen Regelung des Nichtverbreitungsproblems. Dieser Schritt ist um so eher möglich, als die Politik der Kernwaffenmächte in diesem Punkte konform ist und es, um diesen Schritt zu tun, keiner Kompromisse im Wege des Gebens und Nehmens bedarf.
Wenn wir angeregt haben, die Atomwaffenmächte sollten übereinkommen, keine Atomwaffen in die nationale Kontrolle anderer Länder zu geben, so haben wir uns dabei auch von der Erwägung leiten lassen, daß mit einem solchen Übereinkommen ein Verhalten der Atomwaffenmächte sichtbar würde, das im weiteren Verlauf von großer Bedeutung sein könnte. Dadurch könnte nämlich ein erster Schritt auf 'dem Wege zur nuklearen Abrüstung der Staaten vorbereitet werden, die allein über Atomwaffen verfügen und damit eine besondere Verantwortung tragen. So könnte eine Entwicklung eingeleitet werden, die auf die Begrenzung und Verminderung der vorhandenen Massenvernichtungswaffen abzielt und damit nicht nur der Nichtverbreitung, sondern zugleich der Abrüstung dient.
Einflußreiche Nichtnuklear-Länder, insbesondere zivile Atommächte, erheben immer eindringlicher die Forderung, die Atomwaffenmächte sollten auch ihrerseits der Vermehrung der Atomwaffen auf der Welt entgegenwirken. Niemand, meine Damen und Herren, hat hieran größeres Interesse als Deutschland, das der atomaren Bedrohung aus dem Osten im besonderen Maße ausgesetzt ist.
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Eine Übereinkunft der Atomwaffenmächte auf einem Gebiet, wo die Übereinstimmung in der nationalen Politik auch ein entsprechendes internationales Übereinkommen ermöglicht, würde zugleich als ein erster Schritt auf dem Wege zur Erfüllung dieser Forderungen angesehen werden können.
Die Frage 4 lautet:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über das von ihr vorgeschlagene Abkommen, das das Ziel hat, die Zahl der Atomwaffen in Europa 'schrittweise zu verringern?
Die Antwort lautet: Die Stationierung atomarer Waffen im freien Teil Europas ist kein Selbstzweck, sondern nach Art und Dichte erforderlich, um angesichts der politischen Zielsetzung der Sowjetunion und ihres militärischen Potentials im Warschauer Pakt den Frieden zu sichern und notfalls die Freiheit zu verteidigen. Die atomaren Waffen im Bereich des atlantischen Oberbefehlshabers für Europa sind seinerseits integrales Mittel der Politik der Abschreckung, andererseits dienen sie dazu, für den Konfliktsfall ein Kräfteverhältnis sicherzustellen, das trotz des östlichen Übergewichts an konventioneller Bewaffnung die Verteidigung des freien Europa ermöglicht. Die in sich selbst wünschenswerte Verminderung der atomaren Waffen könnte in dem Maße erfolgen, wie die Bedrohung von Frieden und Freiheit in Europa nachläßt.
Die Bundesregierung hat sich deshalb bereit erklärt, einem Abkommen zur Begrenzung und stufenweisen Verringerung der atomaren Waffen in ganz Europa beizutreten. Sie ist dabei von dem Wunsch geleitet, daß sich die Spannung in Europa verringert. In einem solchen Abkommen müßte unter anderem sichergestellt sein, daß das Kräfteverhältnis insgesamt gewahrt wird und daß die militärischen Maßnahmen mit entscheidenden Fortschritten bei der Lösung der politischen Probleme verbunden werden.
Die Wahrung des Kräfteverhältnisses wird es erforderlich machen, sowjetische Atomwaffen, die nach ihrer Art und Bestimmung in ein europäisches Kriegsgeschehen eingreifen könnten, in die stufenweise und kontrollierte Verringerung der atomaren Waffen in Europa einzubeziehen.
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Weiterhin wird es notwendig sein, die Stärke der sowjetischen konventionellen Streitkräfte in Deutschland einem verminderten Potential der Nuklearstreitkräfte in Europa anzupassen, und das heißt, sie zu verringern.
Ohne Überwindung der Spaltung Deutschlands kann es - wie wir alle wissen - keine dauerhafte Friedensregelung für Europa geben.
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Die Bundesregierung schlägt daher den in Frage kommenden Regierungen vor, die unwiderrufliche stufenweise Verminderung der in Europa stationierten atomaren Waffen mit unwiderruflichen Fortschritten bei der Beseitigung dieser hauptsächlichen Spannungsquelle zu verbinden.
Die fünfte Frage lautet wie folgt:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zu den Botschaften des Präsidenten Johnson vom 27. Januar 1966 und des Ministerpräsidenten Kossygin vom 1. Februar 1966 an die Genfer Abrüstungskonferenz ein, soweit sie nukleare Garantien für solche Länder betreffen, die sich zu einem nichtnuklearen Status verpflichten?
Die Antwort lautet wie folgt: Die Genfer Verhandlungen der vergangenen 4 1/2 Jahre über ein Abkommen zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen blieben bisher aus einer ganzen Reihe von schwerwiegenden Gründen erfolglos. Einer von ihnen ist das Sicherheitsbedürfnis der nichtnuklearen Staaten gegenüber nuklearer Drohung oder Erpressung. Bisher wurde kein Weg gefunden, auf dem dieses Problem für alle nichtnuklearen Staaten in befriedigender Weise geregelt werden kann. Während die allianzgebundenen Staaten ihre Sicherheit im Rahmen ihrer Allianzen suchen, sehen die blockfreien Staaten keine Möglichkeit, Sicherheit in ihrer Bündnisfreiheit und zugleich unter dem nuklearen Schirm einer Atommacht zu finden, da sie dadurch ihre Ungebundenheit in Frage stellen würden.
Die Botschaften des amerikanischen Präsidenten Johnson vom 27. Januar dieses Jahres und des sowjetischen Vorsitzenden des Ministerrats Kossygin
vom 2. Februar dieses Jahres an die Genfer Abrüstungskonferenz wollen nun das Problem auf verschiedene Weise lösen. Während die Amerikaner den Staaten, die auf nationale Atomwaffen verzichten, amerikanische Unterstützung gegen atomare Bedrohung versprechen, sind die Sowjets bereit, in ihren Vertragsentwurf eine Klausel einzufügen, die den Einsatz von Atomwaffen gegen nichtnukleare Teilnehmerstaaten des Vertrages, deren Gebiet atomwaffenfrei ist, verbietet.
Die Botschaft Präsident Johnsons wendet sich in erster Linie an die blockfreien Staaten, der Kossygin-Vorschlag an alle nichtnuklearen Staaten, obwohl er vornehmlich für die Blockfreien unter ihnen interessant ist. Diese haben bisher aber nicht zu erkennen gegeben, daß sie die in Fragestehenden, rein verbalen Maßnahmen als ausreichende Sicherheitsgarantie ansehen. Der Verzicht auf atomare Drohung, den der Kossygin-Vorschlag anbietet, kommt nur nuklearfreien Gebieten zugute, nuklear verteidigten Gebieten also nur, wenn sie denuklearisiert, d. h. von Kernwaffen entblößt werden. Die nichtnuklearen Staaten des nordatlantischen Bündnisses zeigen keine Neigung, die festen Grundlagen ihrer 'derzeitigen Sicherheit aufzugeben und sich statt dessen mit einer nuklearen Nichtangriffszusage zu begnügen, deren Wert im Konfliktsfall in Zweifel gezogen werden darf. Hier geht es ja für jedes Land im Krisenfall um Leben und Tod, physisch wie politisch. Der Vorschlag zielt, soweit er auch an allianzangehörige Staaten gerichtet ist, offensichtlich auf eine Schwächung der Allianz. Unsere Verbündeten haben sich demgemäß dem Vorschlag gegenüber weitgehend ablehnend verhalten.
Wenn der sowjetische Vorschlag auch die Sicherheitsbedürfnisse der meisten Nichtnuklearen nicht befriedigen kann, so ist er doch insofern zu begrüßen, als die Sowjets mit 'ihm zum ersten Mal öffentlich anerkannt haben, daß ein vertraglicher Nuklearverzicht mit einer Regelung der Sicherheitsinteressen der Nichtnuklearen verbunden sein muß.
Für Deutschland, dessen Sicherheit auf seiner Zugehörigkeit zur Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft beruht, bieten die beiden Vorschläge keine zusätzlichen Garantien.
Die sechste Frage lautet:
Wie bewertet die Bundesregierung den im italienischen Entwurf einer einseitigen Erklärung über den Nichterwerb von Kernwaffen vom 14. September 1965 enthaltenen Vorschlag eines Moratoriums?
Die Antwort lautet: Der als „Fanfani-Plan" bekannt gewordene italienische Vorschlag sieht vor, daß die Nichtnuklearstaaten durch einseitige Erklärungen - zunächst für die Dauer von einigen Jahren - darauf verzichten, nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen zu erwerben.
Die Bundesregierung hält diesen Plan für einen interessanten und wertvollen Beitrag zu den Bestrebungen, die Ausbreitung der Kernwaffen zu verhindern.
Wie unsere Vorschläge zur Regelung des Nichtverbreitungsproblems in unserer Friedensnote hat der Fanfani-Plan subsidiären Charakter, d. h. er will die Bemühungen um einen umfassenden Nichtverbreitungsvertrag nicht durchkreuzen, sondern erleichtern. Die zeitliche Befristung des von Italien vorgeschlagenen Moratoriums verfolgt die Absicht, die Nuklearmächte zu einer Einigung über eine Begrenzung ihrer nuklearen Rüstungen zu drängen und Zeit für die Lösung der Sicherheitsprobleme der nichtnuklearen Staaten zu gewinnen. Es ist offensichtlich, daß sich diese Sicherheitsprobleme innerhalb von Allianzen anders stellen und dort anders gelöst werden als bei bündnisfreien Staaten. Während die Bundesregierung der Auffassung ist, daß Allianzen den natürlichen Rahmen für einen Verzicht auf nationale Atomwaffen abgeben können, ist das Moratorium nach unserer Auffassung das für die Gruppe der allianzfreien Staaten geeignete Instrument einer schrittweisen Nichtverbreitungspolitik.
Frage 7:
In welcher Form wird die Bundesregierung ihr Angebot an die Regierungen Osteuropas, förmliche Erklärungen über einen Gewaltverzicht auszutauschen, weiterverfolgen?
Die Antwort darauf lautet wie folgt: Bei der Weiterverfolgung des Angebots an die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten, bilateral Gewaltverzichtserklärungen auszutauschen, berücksichtigt die Bundesregierung das Echo der kommunistischen Regierungen. Dieser mit der Friedensnote übermittelte Vorschlag konnte offenbar von ihnen nicht ignoriert werden. Sie wollten sich wahrscheinlich nicht durch krasse Ablehnung mit ihren eigenen Vorschlägen, also z. B. dem Vorschlag eines Nichtangriffsvertrags, in Widerspruch setzen, wollten aber auch nicht durch Zustimmung ein konstruktives Element in unserer Friedensnote zugeben. Soweit sie formell geantwortet haben, schieben sie deshalb unter Vermeidung einer direkten Antwort den Akzent in unterschiedlicher Weise auf das SBZ-Problem.
Die Bundesregierung beabsichtigt, auf die individuelle, wenngleich mindestens teilweise abgestimmte Reaktion ihrerseits individuell einzugehen. Das gilt sowohl für die Art und Weise wie für den sachlichen Gehalt unserer weiteren Schritte. Die kommunistischen Regierungen selbst bestehen nicht mehr auf multilateralem Vorgehen bei der Entschärfung der Ost-West-Beziehungen. In ihrer Bukarester Deklaration bekunden sie, daß auch bilateral Fortschritte erzielt werden könnten.
Allerdings muß die Bundesregierung zunächst mit aller Entschiedenheit die Unterstellungen zurückweisen, die an die Tatsache geknüpft werden, daß wir unseren Gewaltverzichtsvorschlag nicht auch an die SBZ gerichtet haben. Die Bundesregierung benötigt keinen Deckmantel für aggressive Politik, da sie eine solche Politik nie betrieben hat und nie betreiben wird.
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Es gehört ebensowenig zu ihren Zielen, die SBZ zu annektieren. Was sie will, ist das Selbstbestimmungsrecht für das ganze deutsche Volk.
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Die Bundesregierung kann bei ihren Überlegungen selbstverständlich auch nicht außer acht lassen, daß das SBZ-Regime tagtäglich und offiziell Gewalt an und hinter der Zonengrenze gewollt anwendet. Wir haben uns nicht nur generell gemäß der Charta der Vereinten Nationen zum Verzicht auf jegliche Gewaltanwendung oder Drohung mit Gewalt bei der Lösung von Streitfragen verpflichtet, sondern darüber hinaus speziell gegenüber unseren Verbündeten im Hinblick auf das Ziel der Wiedervereinigung des deutschen Volkes. Auch die Regierungen Osteuropas würden dies nicht ignorieren, wenn sie von Vorurteilen frei sein könnten.
Die Bundesregierung verkennt andererseits nicht, daß trotz eines nicht unerheblichen Kontaktes zwischen den einzelnen Staaten des Nordatlantikpaktes und des Warschauer Paktes die Vorstellung möglicher Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt immer noch eine beträchtliche Rolle spielt. Wir möchten dazu beitragen, daß diese psychologische Situation gemildert wird. Die Bundesregierung weiß, daß die für uns selbstverständliche Tatsache, daß wir unser Gewaltverzichtsangebot nicht auch an die SBZ adressiert haben, den kommunistischen Regierungen gewisse Schwierigkeiten bereiten mußte. Sie hat dies frühzeitig bedacht und ist bereit, dem Rechnung zu tragen.
Das Hohe Haus wird verstehen, daß in einer Sache, deren diplomatische Behandlung im Fluß ist, noch keine ins einzelne gehenden Darlegungen vor diesem Forum angebracht sind.
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Ich kann jedoch versichern, daß die weiteren Schritte, die wir zunächst gegenüber einigen der osteuropäischen Regierungen unternehmen, zwar die Erstreckung des Gewaltverzichts auch auf die beiderseitige Deutschlandpolitik bezwecken, keinesfalls aber ein Element der Aufwertung des Zonenregimes enthalten.
Zur achten Frage:
Auf welche Weise will die Bundesregierung ihren Vorschlag, bilaterale Vereinbarungen mit den osteuropäischen Staaten über den Austausch militärischer Beobachter bei Manövern der Streitkräfte zu treffen, weiterverfolgen oder erweitern?
Der Vorschlag an die osteuropäischen Staaten, mit der Bundesrepublik Deutschland militärische Beobachter für Manöver der Streitkräfte auszutauschen, gehört in den Rahmen der auf Sicherung des Friedens gerichteten Politik der Bundesregierung. Diese Maßnahme wäre nämlich geeignet, das im Osten bestehende und propagandistisch wachgehaltene Mißtrauen gegenüber den deutschen Streitkräften abzubauen, einem unbegründeten Gefühl der Bedrohung entgegenzuwirken, der Entspannung zu dienen und damit den Boden für die Lösung der Deutschlandfrage zu verbessern.
Das mit unserer Friedensnote übermittelte Angebot, die Manöver der Streitkräfte auf Gegenseitigkeit beobachten zu lassen, ist ebenso wie der Vorschlag, Gewaltverzichtserklärungen auszutauschen, mit keiner Bedingung verknüpft. Das Angebot beweist, daß die Bundesregierung auch im militärischen Bereich zu einem gewissen Maß an Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Regierungen bereit und daran interessiert ist, militärischen Fachleuten der Staaten des Warschauer Pakts Gelegenheit zu bieten, sich durch eigene Anschauung von den ausschließlich auf Verteidigung abgestellten Aufgaben der Bundeswehr zu überzeugen.
Mit diesem Angebot knüpft die Bundesregierung an einen Gedanken des Oberbefehlshabers der Organisation des Warschauer Pakts an. Wir stellen mit Bedauern fest, daß dennoch keine der osteuropäischen Regierungen bisher auf das Angebot eingegangen ist. Welches auch immer die jeweiligen Gründe sein mögen, die Mißachtung des gewichtigen Angebots der Bundesregierung macht noch deutlicher als bisher, was die ständig wiederholte verleumderische Behauptung, die Bundeswehr rüste sich in der Tradition der Hitlerschen Wehrmacht zu einem Eroberungskrieg, in Wahrheit bezweckt: sie soll die osteuropäischen Völker künstlich in Angst und Schrecken halten und von den Wirklichkeiten des neuen Deutschlands ablenken.
Trotzdem wird die Bundesregierung für sich allein und gemeinsam mit den verbündeten Regierungen jede Gelegenheit ergreifen, um ein Gespräch mit der einen oder anderen osteuropäischen Regierung über die der Entspannung dienende Maßnahme einer gegenseitigen Manöverbeobachtung herbeizuführen.
Zur neunten Frage:
Wie bewertet die Bundesregierung die ihr auf die Friedensnote vom 25. März 1966 übermittelten Antworten; erkennt sie darin Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung ihrer eigenen Vorstellungen?
Die Bundesregierung hatte nur die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten ausdrücklich um eine Antwort auf ihre Note gebeten; denn an diese Staaten richteten sich einige unserer Vorschläge ausschließlich. Es hat nicht überrascht, daß die Antworten, soweit wir sie von dort bekommen haben, zunächst recht negativ klingen. Angesichts der im Osten gegen uns geführten Kampagne wäre es erstaunlich gewesen, wenn die kommunistischen Regierungen ohne weiteres zugegeben hätten, daß unsere Note einen konstruktiven Inhalt hat und daß wir für die osteuropäischen Länder materiell interessante Vorschläge machen. Immerhin waren die Antworten recht differenziert; man hätte sich auch einen gleichförmigen Inhalt vorstellen können. Darin sehen wir ein positives Element. Das andere ist, daß einige Staaten es vorziehen, einer formellen Antwort aus dem Wege zu gehen, was wir im einzelnen Falle positiv werten, zumal wenn andere Formen der Reaktion auf unsere Vorschläge zu verzeichnen sind.
Einige unserer Vorschläge sind offenbar auf Interesse gestoßen, so daß sich eine Vertiefung lohnt. Das gilt besonders für den vorgeschlagenen Austausch von Gewaltverzichtserklärungen, der sich sogar in den formellen Antworten einer differenzierten Aufnahme erfreut.
Es gibt in unserer Note auch Vorschläge, auf die die osteuropäischen Länder nicht oder noch nicht einzugehen wünschen. Unsere Note war ja keine isolierte Aktion, sondern ein Beitrag zu der langfristigen und weitgespannten Diskussion über Entspannung, Rüstungskontrolle und Verbesserung der Ost-West-Beziehungen. Es gibt zu den von uns behandelten Themen viele Vorschläge von vielen Seiten, aber in kaum einem Fall ist bisher eine Einigung zwischen Ost und West erzielt worden. Nun, man kann nicht erwarten, daß es unseren Vorschlägen in dieser Hinsicht besser geht als anderen. Auch soll man Vorschläge, die vernünftig sind und praktikabel wären, nicht deswegen unterlassen, weil die andere Seite zur Zeit nicht auf sie eingehen würde. Es kommt vielmehr darauf an, daß sie in der Diskussion weiterwirken, daß in dem Wechselspiel der Meinungen und praktischer Politik unser Standpunkt mit dem ihm gebührenden Gewicht zur Geltung kommt.
Diesem Ziel glaubt die Bundesregierung mit ihrer Note vom 25. März 1966 gedient zu haben. Das Echo, das unsere Note in der nichtkommunistischen Weltöffentlichkeit fand, war ungewöhnlich zustimmend. Dafür zeugen die Antwortnoten, die wir aus der nichtkommunistischen Welt erhalten haben. Aber wir hatten - ich sage das noch einmal -, abgesehen von den osteuropäischen Ländern, formelle Antworten nicht erbeten. Die Übereinstimmung, die uns in vielen Fällen mündlich ausgedrückt wurde, war für unser Urteil ebenso wertvoll wie die Würdigung der Note in Genf oder in New York. Wir fühlen uns durch die ganz überwiegend zustimmenden Antworten und sonstigen Reaktionen in der Richtigkeit unseres Weges bestärkt und sind unseren Freunden für ihre Unterstützung unserer Politik, in welcher Form sie auch erfolgte, dankbar.
Die Bundesregierung wird es gewiß nicht bei diesem Stand der Dinge bewenden lassen. Sie weiß wie das Hohe Haus, daß es mit einer Note nicht getan ist. Dem Wesen politischer Vorgänge entsprechend müssen unsere Vorschläge und Gedanken verfolgt, wo nötig, weiterentwickelt werden. Dafür hat die Bundesregierung, so meinen wir jedenfalls, mit ihrer Note vom 25. März eine gute Grundlage.
Die Frage 10 lautet:
Hat die Bundesregierung über ihre in der Friedensnote vom 25. März 1966 ausgedrückte Bereitschaft zur Teilnahme an einer Weltabrüstungskonferenz hinaus Schritte unternommen, um auf die Einberufung einer solchen Konferenz hinzuwirken, und ist sie bereit, für eine solche Konferenz umfassende Pläne auszuarbeiten?
Die Initiative zur Einberufung einer Weltabrüstungskonferenz außerhalb der Vereinten Nationen wurde durch die erste chinesische Atombombenexplosion im Oktober 1964 ausgelöst. Sie ging, wie erinnerlich, von einer Reihe von blockfreien Staaten aus und verfolgte vornehmlich den Zweck, Rotchina für Abrüstungsverhandlungen zu gewinnen.
Die Regierung in Peking hat in letzter Zeit wiederholt zu verstehen gegeben, daß sie nicht bereit ist, an einer solchen Konferenz teilzunehmen. Damit haben sich die Aussichten verringert, daß die Konferenz stattfindet, die - einem Beschluß der UN- Vollversammlung vom 29. November vergangenen Jahres folgend - im nächsten Jahr einberufen werden sollte. Die Bemühungen der Initiatoren um das Zustandekommen der Konferenz haben daher in letzter Zeit nachgelassen.
Obwohl uns die Einberufung einer Konferenz, an der alle Länder der Welt teilnehmen, vor eine Reihe von politischen und rechtlichen Problemen stellen würde und obwohl von einem solchen weltumspannenden Mammutgremium kaum konkrete Verhandlungen, sondern eher eine Kette von grundsätzlichen Erklärungen der Delegierten zu erwarten sind, hat sich die Bundesregirung bereit erklärt, an einem vorbereitenden Ausschuß teilzunehmen, falls dies unter Bedingungen möglich wird, die eine sachliche und erfolgversprechende Arbeit gewährleisten. Die Bundesregierung will hierdurch nicht nur die deutschen Interessen wahren und ihre Anteilnahme an der Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle beweisen, sondern durch ihre Beteiligung und durch eigene Initiativen auch die Lösung von Abrüstungsproblemen aktiv fördern.
Die 11. Frage:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge aus Ost und West für eine europäische Sicherheitskonferenz?
Die Antwort auf diese Frage lautet: Der dauerhafte Erfolg von Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle hängt davon ab, ob es gelingt, die Ursachen von Unsicherheit und Spannung zu beseitigen und damit die Sicherheit selbst zu verbessern. Die Hauptursache der Spannung in Europa ist die Teilung Deutschlands. Solange der Wille zur Lösung der offenen politischen Fragen nicht bei allen voraussichtlichen Teilnehmern an einer europäischen Sicherheitskonferenz vorhanden ist, wird sie zum Scheitern verurteilt sein.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß vor Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz folgende Voraussetzungen gegeben sein sollten:
1. Die Konferenz müßte mit dem erklärten Ziel einberufen werden, die Teilung Europas durch eine gerechte Friedensordnung zu überwinden oder unwiderrufliche Schritte auf 'dem Wege dahin zu tun. Dies bedeutet vor allem, an der Aufhebung der gewaltsamen Spaltung des deutschen Volkes durch Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts zu arbeiten und dabei Erfolge zu erzielen.
2. Die sowjetische Besatzungszone wird von der weit überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten nicht als Staat anerkannt. Sie kann deshalb
grundsätzlich nicht Teilnehmer einer solchen europäischen Staatenkonferenz sein.
3. Für die Sicherheit Europas ist die Rolle der Vereinigten Staaten von entscheidender Bedeutung. Sie müßten daher schon aus diesem Grunde von vornherein in eine Konferenz zur Regelung der europäischen Probleme einbezogen werden.
Meine Damen und Herren, angesichts der erklärten Ziele der sowjetischen Deutschlandpolitik ist allerdings auch nach Meinung unserer NATO-Verbündeten eine erfolgreiche Konferenz gegenwärtig nicht denkbar. Die Bundesregierung setzt daher ihre Bemühungen fort, mit einzelnen Entspannungsmaßnahmen das Klima 'der Ost-West-Beziehungen zu verbessern und das gegenseitige Mißtrauen abzubauen. Dies ist politisch durch 'Fortsetzung deis mit der deutschen Friedensnote angebahnten Weges, im übrigen durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten auf kulturellem, wissenschaftlichem, technischem und wirtschaftlichem Gebiet möglich. Als Ergebnis einer fortschreitenden Verbesserung .der Beziehungen könnte sich in Zukunft auch eine europäische Sicherheitskonferenz als nützliches Mittel auf dem Wege zu einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in Europa erweisen.
Schließlich zur 12. unid letzten Frage:
Welche Möglichkeiten erkennt die Bundesregierung, erfolgversprechende Initiativen zur Rüstungsbegrenzung und zur Friedenssicherung mit erfolgversprechenden Initiativen zur schrittweisen Lösung des Deutschlandproblems zu verbinden?
Die Bundesregierung gibt darauf folgende Antwort: Dem Hohen Hause ist bekannt, daß sich die Bundesregierung zusammen mit ihren Verbündeten von der Einsicht leiten läßt, ,daß die 'in Europa bestehenden politischen und sicherheitspolitischen Probleme nur schrittweise und in wechselseitigem Zusammenhang gelöst werden können. Die politischen Lösungen müssen von dem Grundsatz ides Selbstbestimmungsrechts für das ganze deutsche Volk ausgehen.
Demgegenüber hat, wie wir leider haben feststellen müssen, das sowjetische Interesse an Maßnahmen zur Rüstungsbegrenzung und zur Friedenssicherung in Europa bisher nur unter dem Vorzeichen gestanden, auf diesem Wege die Legalisierung der Teilung Deutschlands zu erschleichen. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion und der osteuropäischen Länder genauso wie die der interessierten und beteiligten westlichen Länder und auch des deutschen Volkes mit einer gerechten Friedensordnung in Europa befriedigt werden können. Wesentlicher Bestandteil einer solchen gerechten Friedensordnung ist die Wiedervereinigung des deutschen Volkes in einem freiheitlich-demokratischen Staat.
Von dieser Überzeugung getragen hat die Bundesregierung das bereits erläuterte Abkommen vorgeschlagen, das eine stufenweise Verringerung der Atomwaffen bei gleichzeitigen Fortschritten in der
Deutschlandfrage zum Ziel hat. Auch mit weiteren Initiativen zur Rüstungsbegrenzung wird die Bundesregierung eine dauerhafte Sicherung des Friedens verbinden und ihre wohlbegründete Deutschlandpolitik beharrlich fortführen. Sie ist davon überzeugt, daß der Erfolg letzten Endes nicht ausbleiben wird.
Meine Damen und Herren, das ist. die vielleicht ein bißchen mühselige Beantwortung von sehr ein- gehenden Fragen. Aber ich glaube, daß die Beantwortung als solche und die in diesen Antworten eingenommene Position für die Verdeutlichung der deutschen Politik drinnen und draußen nützlich sein wird. Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Birrenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einführung, die der Kollege Schmidt der außerordentlich umfangreichen und komplexen Anfrage der SPD gegeben hat, ist erstaunlich. Denn wenn dem Haupthema 10 % und der Ouvertüre 90 % gewidmet sind, so ist dies, höflich gesprochen, ungewöhnlich.
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Unser Respekt vor der Opposition in diesem Hause veranlaßt mich daher, das Hauptgewicht der Antwort, die ich die Ehre habe, im Namen der CDU/CSU-Fraktion zu geben, der Anfrage der SPD zu widmen und nicht den Ausführungen des Kollegen Schmidt. Soweit aber die Erklärungen des Kollegen Schmidt als Einleitung zu dem eigentlichen Thema des heutigen Tages von Wichtigkeit sind, gestatten Sie mir einige Bemerkungen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß das atomare Patt, das entstanden ist, das entscheidende Merkmal der heutigen Weltkonstellation ist. Aus ihm haben sich fundamentale Änderungen der Strategie und damit auch für das Problem der Sicherheit der Bundesrepublik und Europas ergeben. Dieses Patt hat auch Konsequenzen in der politischen Gestaltung Europas gehabt. Wenn eine polyzentrische Entwicklung im Osten eingetreten ist, so stimme ich mit dem Kollegen Schmidt überein, daß diese Entwicklung Chancen bietet, aber auch deutlich erkennbare Grenzen hat. Wenn die Antwort des Westens darauf die einer Differenzierung ist, so muß ich sagen, daß diese angesichts der noch bestehenden Gefahr im Osten eher eine Risiko bedeutet als eine Chance. Der Kollege Schmidt selbst weist darauf hin, daß die Berliner Position nach wie vor gefährdet ist und daß niemand weiß, was in Berlin morgen geschieht. Die Berichte aus Moskau in den letzten Tagen lassen aufmerken.
Richtig ist es, wenn Herr Kollege Schmidt sagt, daß die Politik von heute nicht nur auf das Problem der Sicherheit konzentriert werden kann. Aber die Sicherheit ist der Ausgangspunkt jeder Entspannungspoliik. Wenn das übersehen wird, könnten
wir uns morgen in eine Lage versetzt fühlen, die keiner in diesem Hause wünschen möchte.
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Damit komme ich schon zu jenen Maßnahmen, die im Mittelpunkt der Anfrage der SPD stehen, den Maßnahmen auf den Gebieten der Abrüstung und der Rüstungskontrolle. Ich stimme mit dem Herrn Kollegen Schmidt darin überein, daß für eine Abrüstung in größerem Stil, die wir alle wünschen, die Chancen heute noch nicht groß sind. Auf der anderen Seite besteht bei den Rüstungskontrollmaßnahmen die Gefahr, daß die deutsche Frage dabei unterlaufen wird. Darum sind gerade diese Probleme unserer besonderen Aufmerksamkeit wert. Sie sind im wesentlichen Gegenstand der Großen Anfrage, zu der ich jetzt Stellung nehmen werde. - Zur Frage der Ostpolitik, soweit hierzu Fragen aufgeworfen sind; wird sich mein Kollege Baron von Guttenberg äußern.
Die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens umfaßt mehrere Komplexe. Der bedeutendste von ihnen ist die Frage der Nichtverbreitung atomarer Waffen. In aller Kürze beginnt die Herbsttagung der Vereinten Nationen, auf der es zu einer Diskussion über die bisherigen Ergebnisse des 18er-Komitees in Genf kommen wird. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen das 18er-Komitee, insbesondere aber die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, drängen wird, so schnell wie möglich zu einem Abschluß zu kommen, der alle Lücken im Vertrage für die Nonproliferation atomarer Waffen schließt. Nach der Rede des amerikanischen Präsidenten in Idaho vom 26. August ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß dieses Thema auch auf dem Hintergrund der Verhandlungen stehen wird, die der Herr Bundeskanzler in -diesen Tagen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten führen wird. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es daher, daß das Parlament Gelegenheit hat, zu dieser kardinalen Frage Stellung zu nehmen, welche die Sicherheit der Bundesrepublik Und Europas vital berührt.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß sich die Bundesregierung in der Erklärung, die der Herr Bundesaußenminister heute abgegeben hat, erneut zu der Anerkennung des Prinzips der Nichtverbreitung atomarer Waffen in nationale Kontrolle bekannt hat, wie sie dies auch in der Friedensnote vom 25. März in, überzeugender Form getan hat. Auch die Bundesrepublik sieht in einer unkontrollierten Verbreitung nuklearer Waffen in nationale Kontrolle eine ernste Gefahr für den Weltfrieden; dessen Erhaltung unser zentrales Anliegen ist.
Die Bundesregierung hat aber mit Recht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß, was die Dringlichkeit anlangt, zwischen Produktion und Erwerb nuklearer Waffen unterschieden werden muß. .Die größte Gefahr für die Weiterverbreitung atomarer Waffen in nationale Kontrolle liegt in der Produktion und weniger im Erwerb dieser Waffen. Wir alle. wissen, daß es nicht zu erwarten ist, daß auch nur eine einzige. der großen Atommächte die
Absicht hat, nukleare Waffen an andere, nichtnukleare Staaten in nationale Kontrolle zu übertragen. Ein Blick auf die Struktur des Warschauer Paktes macht diese Feststellung ebenso evident wie die ständig wiederholten und eindeutigen Erklärungen der amerikanischen, britischen und französischen Regierung. Daß für Rotchina das gleiche gilt, ergibt. sich. aus der Natur dieser Waffen und dem Charakter des Mao-Regimes.
Wenn also die Hauptgefahr für eine Verbreitung der nuklearen Waffen in nationale Kontrolle in der Produktion liegt, dann gibt es nur ganz wenige Mächte, bei denen die Gefahr bestehen könnte, daß sie sich zur Produktion solcher Waffen entschließen. Das wären jene Mächte, die heute ais zivile nukleare Mächte angesprochen werden können, da sie Atomreaktoren und ähnliche atomare Einrichtungen für friedliche Zwecke besitzen, gleichzeitig aber unter der Bedrohung durch eine nukleare Macht, stehen, die die außerordentlichen Aufwendungen und Opfer für die Entwicklung nuklearer Waffen rechtfertigt; sie müssen auch über ein indu strielles Potential verfügen, welches die Entwicklung solcher Waffen überhaupt möglich macht. Darüber hinaus müssen sie über den Raum verfügen, um diese Waffen zu testen. Unter dieser Perspektive gesehen, sind es nur einige wenige, sicherlich weniger als zehn Mächte, bei denen von der realen Möglichkeit gesprochen werden kann, daß sie eines Tages militärische Nuklearmächte werden könnten. Diese Möglichkeit bestünde in vereinzelten Fällen in Europa, in Ostasien, insbesondere im Falle Indiens und Japans im Hinblick auf China, und im mittelöstlichen Spannungszentrum. Selbst wenn es dem einen oder anderen zivilen Nuklearstaat möglich wäre, nukleare Gefechtsköpfe oder Bomben in geringem Umfang zu produzieren, so würde ihm die Entwicklung eines wahrhaft relevanten nuklearen Trägersystems kaum möglich sein. Die Kosten seiner Entwicklung sind außerordentlich groß, die technischen Voraussetzungen heute vielleicht noch schwieriger als für die Entwicklung atomarer Waffenkörper. Das. hat der amerikanische Verteidigungsminister McNamara am 7. März dieses Jahres in dem Senats-Hearing über die Resolution 179 sehr klar zum Ausdruck gebracht.
Wenn die konkrete Gefahr einer Proliferation heute im wesentlichen die Proportionen hat, die ich gekennzeichnet habe, dann müssen wir uns fragen, ob die Lösung dieses Problems- im Wege eines universalen Vertrages, wie er den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion vorschwebt, der zweckmäßigste Weg zur Erreichung dieses Ziels ist. Gleichzeitig ergibt sich aber aus dem vorher Gesagten, worauf die Bundesregierung schon in ihrer Friedensnote vom 25. März hingewiesen :hat,. daß die Bundesrepublik durch ihren Verzicht auf die Produktion atomarer Waffen, den sie in den Pariser Verträgen ausgesprochen hat - und zwar ein, Verzicht unter internationaler Kontrolle --, einen ganz entscheidenden Beitrag zur 'Durchführung des Prinzips der Nichtweiterverbreitung atomarer Waffen bereits geleistet hat. Diesem Schritt ist bedauerlicherweise bisher kein einziger Staat gefolgt. Daher
ist es nur konsequent, wenn die Bundesregierung die nichtnuklearen Mächte, insbesondere die in den beiden Bündnissystemen, auffordert, diesen entscheidenden Schritt zunächst einmal nachzuvollziehen und ihrerseits die Verpflichtung auf sich zu nehmen, keine eigenen nuklearen Waffen herzustellen. Damit könnte, verbunden mit einem Teststopp auch für Versuche in der unterirdischen Dimension, die Lücke geschlossen werden, die heute in der Welt im Sinne einer Verbreitung nuklearer Waffen in nationale Kontrolle besteht. Wenn sich die Bundesrepublik aber darüber hinaus damit einverstanden erklärt, daß die nuklearen Mächte unter sich übereinkommen, keine Kernwaffen in nationale Kontrolle anderer Staaten zu geben, so ist unsererseits alles geschehen, was die Welt füglich von uns erwarten kann.
Man sollte doch nicht übersehen, daß ein reines Verbreitungsverbot für die nichtnuklearen Staaten ohne Gegenleistung der atomaren Mächte eine völkerrechtlich verbriefte Teilung der Welt in nukleare Waffen besitzende und nichtbesitzende Staaten darstellt, die deren politische Zukunft und militärische Sicherheit präjudiziert. In den 18-Mächte-Verhandlungen ist klar zum Ausdruck gekommen, daß die „Have-nots" von den Nuklearmächten als Gegenleistung für ihren Verzicht entweder eine Garantie für ihre gefährdete Sicherheit verlangen, falls sie von einer nuklearen Macht angegriffen werden, oder auf einer Verpflichtungserklärung der Nuklearmächte bestehen, ihre nuklearen Waffen und Träger abzubauen, so daß in der Zukunft die Teilung der Welt in Nationen erster und zweiter Klasse überwunden wird.
Der Vorschlag des sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin, sich dieser Verpflichtung durch einen verbalen Verzicht zu entledigen, löst das Problem der Sicherheit in keiner Weise. Einseitige nukleare Garantien - und das ist der Vorschlag des amerikanischen Präsidenten - lösen die komplexen Sicherheitsprobleme in allen Regionen der Welt jedenfalls nicht ausreichend, da eine nukleare Bedrohung immer nur ein Teil einer gesamtmilitärischen Drohung ist. Gemeinsame Garantien beider Seiten, d. h. der USA und der Sowjetunion, für nichtallianzgebundene Staaten werfen außerordentliche Probleme auf, wie die Stellungnahme Indiens beweist.
Die Erfahrungen mit der Abrüstung in den letzten Jahrzehnten, insbesondere auch in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, sind nicht vielversprechend. Die Bundesrepublik ist in der gefährdeten Lage, in der sie sich im Rahmen des West-Ost-Konfliktes befindet, daran interessiert und hat mit Fug und Recht darauf hingewiesen, daß das Recht der kollektiven Selbstverteidigung gegen nukleare Drohungen ein vitales Recht ist, auf das sie nicht verzichten kann und das als selbstverständliches Recht auch in der Charta der Vereinten Nationen seine Verankerung gefunden hat. Gegen dieses Recht der kollektiven Selbstverteidigung, ausgeübt im Rahmen einer regionalen Allianz, d. h. hier der NATO, richten sich die Erklärungen der sowjetischen Regierung zur Frage des Nonproliferationsvertrages und insbesondere der sowjetische Vertragsentwurf zum gleichen Problem. In den Verhandlungen in Genf ist offenbar geworden, daß das entscheidende Interesse der Sowjetunion, einen Nonproliferationsvertrag zum Abschluß zu bringen, darin liegt, der Bundesrepublik dieses Recht der kollektiven Selbstverteidigung zu nehmen, sie zu isolieren, den militärischen und politischen Zusammenhang der NATO zu sprengen und damit die militärische und politische Konsolidierung Europas zunichte zu machen.
Das hat der amerikanische Außenminister in seiner Erklärung im Senat vom 23. Februar dieses Jahres deutlich gemacht, wobei er gleichzeitig die Bundesrepublik gegen den sowjetischen Vorwurf in Schutz nahm, die Bundesrepublik habe nukleare Ambitionen.
Der sowjetische Vertragsentwurf schließt alle nur denkbaren nuklearen Gemeinschaftsformen aus. Das gilt für alle nuklearen Gemeinschaftsformen, sei es in Gestalt von Mitbesitz oder auch Mitbestimmung, wie sie in den Verhandlungen im McNamara-Komitee angestrebt werden.
In seiner Rede vom 8. Dezember 1965 scheint der sowjetische Außenminister sogar so weit zu gehen, die Konsultation über die Aufstellung nuklearer Waffen auf dem Boden alliierter Länder einer Weiterverbreitung nuklearer Waffen gleichzustellen. Meine Damen und Herren, daß diese Einstellung der Sowjetunion, wie vorhin Herr Schmidt behauptet hat, nicht mit der Einstellung der Vereinigten Staaten verglichen werden kann, ergibt sich damit von selbst.
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Der amerikanische Außenminister Rusk hat mehrfach, insbesondere in seiner schon zitierten Rede vom 23. Februar dieses Jahres, erklärt, daß keiner der Vorschläge über nukleare Mitverantwortung die Zahl der unabhängigen nuklearen Waffeneinheiten vermehren oder nukleare Waffen in die Hände zusätzlicher Regierungen oder zusätzlicher Streitkräfte legen würde. Ihm ist der amerikanische Verteidigungsminister mit seiner Erklärung vom 22. Juni zur Seite getreten. In dem Kommuniqué über den Besuch des Bundeskanzlers Erhard bei dem amerikanischen Präsidenten vom 20. Dezember 1965 heißt es:
„Regelungen könnten ausgearbeitet werden, welche den nichtnuklearen Mitgliedern der NATO-Allianz einen angemessenen Anteil an der nuklearen Verteidigung gäben."
Das Kommuniqué fährt dann fort, daß beide, d. h. der amerikanische Präsident sowie der Bundeskanzler, der Meinung seien, daß derartige nukleare Regelungen im Rahmen der Allianz keine Proliferation nuklearer Waffen darstellen und in Wahrheit geeignet seien, zu dem Ziel der Verhinderung der Ausbreitung nuklearer Waffen beizutragen.
Die sowjetische Version widerspricht auch der irischen Resolution in der UNO-Vollversammlung des Jahres 1961, die ausdrücklich die Entstehung neuer Atommächte im Sinne der Entwicklung neuer nuklearer Entscheidungszentren im Auge hatte. Der
Gedanke des „access", des Zutritts, den die Sowjetunion immer wieder in ihren Diskussionen in den Vordergrund zu schieben versucht, ist einfach inakzeptabel.
Wenn der sowjetische Entwurf durchkäme, wäre nicht nur eine nukleare atlantische und europäische Organisation mit gemeinsamem Waffenbesitz, wie immer sie auch konstruiert sein mag, dann wäre auch die Beteiligung europäischer Mächte an einem nuklearen Konsultationsmechanismus unmöglich gemacht. Selbstverständlich wäre dann die Entstehung eines künftigen vereinigten Europas, selbst wenn eine oder beide der heutigen europäischen Nuklearmächte in ihm als eine Einheit aufgingen, d. h. ein neues nukleares Entscheidungszentrum gar nicht geschaffen würde, ein für allemal unmöglich gemacht.
Daß dies Forderungen sind, die völlig inakzeptabel sind und kategorisch von uns abgelehnt werden müssen, brauche ich nicht besonders zu betonen. Warum sollten wir der Sowjetunion Konzessionen dieses Umfanges machen, zu denen wir, wie z. B. im Falle Europas, nicht einmal befugt sind, da diese Legitimation nur ein Europa als Ganzes hat! Das Bedenkliche an einem universalen Vertrag liegt gerade darin, daß die Sowjetunion ohne Gegenleistung zum Schiedsrichter über die Struktur des atlantischen Bündnisses oder einer künftigen europäischen Einheit würde. Aus all diesen Gründen wird klar, daß die Zweifel der Bundesregierung an der Zweckmäßigkeit eines universalen Nonproliferationsvertrages schon ihre Bedeutung und Berechtigung haben.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik würde es vorziehen, entweder den von ihr in der Friedensnote bereits zum Ausdruck gebrachten Verzicht auf den Erwerb nuklearer Waffen in nationale Kontrolle in einem allianzinternen Vertrag auszusprechen, wie 'dies im WEU-Vertrag für die Produktion atomarer Waffen unsererseits bereits geschehen ist, oder es den atomaren Mächten selbst zu überlassen, unter sich zu vereinbaren, keine nuklearen Waffen in nationale Kontrolle zu geben.
Die CDU/CSU-Fraktion ist daher der Meinung, daß die Teilnahme 'der Bundesrepublik an einer internationalen Nichtverbreitungsregelung nur dann in Frage kommt, wenn geeignete Gemeinschaftsregelungen für die Kontrolle atomarer Waffen im atlantischen und europäischen Bereich weder ausgeschlossen noch beeinträchtigt werden und wenn eine den Interessen der Bundesrepublik und des freien Europa entsprechende nukleare Gemeinschaftsregelung sichergestellt ist. Sollte 'dennoch ein universales Abkommen in der bisher geplanten Form zum Abschluß kommen - das ist eine hypothetische Annahme -, so müßte die Bundesrepublik darauf bestehen, daß die im jetzigen Vertragsentwurf der Vereinigten Staaten enthaltene Option für nukleare Gemeinschaftslösungen, insbesondere aber die für ein geeintes Europa von morgen, unberührt bleibt. Sie 'muß ferner darauf bestehen, daß bei der Teilnahme 'der Bundesrepublik an einer die Sowjetunioneinschließenden Regelung die internationale Situation der Bundesrepublik und ihre Zielsetzung in der
Deutschlandpolitik weder formell noch materiell beeinträchtigt werden.
Nun zu der Frage in Ziffer 5 der Großen Anfrage der SPD - meine bisherigen Ausführungen bezogen sich auf die Ziffern 1 bis 4 -, welches unsere Haltung zu den Botschaften des Präsidenten Johnson vom 27. Januar und des Ministerpräsidenten Kossygin vom 1. Februar dieses Jahres sei.
Soweit diese nukleare Garantien betreffen, so lassen Sie mich 'dazu über meine bisherigen Ausführungen hinaus folgendes sagen: Was die Bundesrepublik anbelangt, so sieht sie im NATO-Vertrag, d. h. in der Verwirklichung ihres Rechts auf kollektive Selbstverteidigung, die ihr zugeordnete Sicherheitsgarantie gegen nukleare Drohungen.
Wir sind uns aber darüber klar, daß gerade im nuklearen Bereich Garantie und Sicherheit noch nicht identisch sind. Die Differenzen in der nuklearen Strategie, auf die auch der Kollege Schmidt hingewiesen hat, bestehen fort, selbst wenn sie zugegebenerweise nicht unüberbrückbar sind. Darum hat die Bundesrepublik ein vitales Interesse daran, an jeder Phase ides nuklearen Entscheidungsprozesses innerhalb der NATO beteiligt zu sein, wobei sie selbstverständlich anerkennt, daß die letzte Entscheidung über die Auslösung dieser Waffen im Rahmen des Bündnisses in der Hand des amerikanischen Präsidenten liegt.
Das hat nichts mit der Unterstellung zu tun, die Bundesrepublik erstrebe im Rahmen der diskutierten Gemeinschaftsformen, die Hand an den Abzug der Kernwaffen zu legen. Dies ist eine Behauptung, 'die sowohl seitens der Sowjetunion, aber auch seitens anderer Länder immer wieder aufgestellt wird. Dieser ständig wiederholten Behauptung sollte auch an dieser Stelle mit eindeutiger Klarheit widersprochen werden.
({3})
Was für andere vergleichbare Staaten als kollektive Beteiligung an der Abschreckung gilt, wird der Bundesrepublik als Bestreben ausgelegt, die Auslösung atomarer Waffen zu betreiben. Wenn ein Staat das Opfer einer atomaren Auseinandersetzung werden würde, so ist es doch gewiß die Bundesrepublik.
Darf ich einige Bemerkungen zu der Äußerung des Kollegen Schmidt machen, welche die sogenannten kollektiven Gemeinschaftsformen berühren. Herr Kollege Schmidt, es ist Ihnen bekannt, daß drei amerikanische Präsidenten hintereinander kollektive Gemeinschaftsformen für die NATO-Allianz vorgeschlagen haben. Sie wissen, daß es uns im wesentlichen darum geht, diese Optionen offenzuhalten. Noch liegt das Ergebnis der Verhandlungen im McNamara-Komitee über die Frage des Planungs- und Konsultationsinstruments nicht vor; wenn diese Ergebnisse vorliegen, werden wir weitersehen. Ein reines Konsultationsverhältnis, Herr Kollege Schmidt, ist ein jedenfalls ungleich weniger stabiles und dauerhaftes Gebilde als eine kollektive nukleare Organisation. Sie übersehen bei Ihrer Erklärung auch, daß wir es uns heute nicht
leisten können und dürfen, eine spätere europäische kollektive Lösung zu präjudizieren.
Ich frage mich im übrigen, welches nun die Stimme der SPD ist, Ihre Stimme, Herr Kollege Schmidt, oder Äußerungen, die Herr Wehner und Herr Erler bei früheren Gelegenheiten getan haben. Schließlich hat auch der Karlsruher Parteitag in einer Form zu dieser Frage Stellung genommen, die der Ihren nicht entspricht. Ich muß es Ihnen überlassen, dieses Problem aufzuklären.
In unserer Sicherheitslage stellt der Vorschlag auf Aufnahme einer verbalen Erklärung in einen Non-Proliferationsvertrag, den der sowjetische Regierungschef in seiner Erklärung vom 3. Februar 1966 angeboten hat, keine ausreichende Sicherheit dar. Wenn eine volle Garantie im Rahmen einer Allianz nicht einmal einen absolut ausreichenden Schutz darstellt, wieviel weniger eine verbale Verzichtserklärung!
Das schließt nicht aus, daß wir die Bereitschaft der Sowjetunion, auf die Verwendung nuklearer Waffen gegen nichtnukleare Mächte zu verzichten, als einen wichtigen Schritt in die rechte Richtung ansehen. Nur reicht dieser Vorschlag nicht aus, um dem Sicherheitsbedürfnis der nichtnuklearen europäischen Mächte gerecht zu werden.
Ich glaube, aber, man darf die Erklärung des amerikanischen Präsidenten über die Unterstützung nichtnuklearer Mächte gegen nukleare Bedrohung und die Äußerungen des sowjetischen Ministerpräsidenten zur gleichen Frage nicht nur unter der
I) Perspektive sehen, die in der Großen Anfrage der SPD angesprochen ist. Der amerikanische Präsident hat in seiner Botschaft vom 27. Januar 1966 darüber hinaus vorgeschlagen, daß alle Übertragungen spaltbaren Materials oder nuklearer Einrichtungen für zivile Zwecke an nicht nukleare Staaten nur unter entsprechenden internationalen Schutzmaßnahmen, die durch die IAEA in Wien garantiert werden sollen, möglich sind. Die Bundesrepublik hat sich im EURATOM-Vertrag allen Kontrollen unterworfen und gehört auch der IAEA in Wien an. Sie ist bereit, alle äquivalenten Kontrollen bei der Übertragung spaltbaren Materials für friedliche Zwecke zu akzeptieren, welche erforderlich sind, um die Verwendung solchen Materials für militärische Zwecke unmöglich zu machen.
Wir würden es begrüßen - wie bereits betont wenn das bisherige Teststoppabkommen auf unterirdische Tests ausgedehnt werden könnte, natürlich unter der Voraussetzung entsprechender internationaler Kontrollen und Inspektionen.
Wir begrüßen ein Abkommen, wie es in Ziffer 5 der Botschaft des amerikanischen Präsidenten enthalten ist, offensive und' defensive strategische Bomber und Raketen, die als Kernwaffenträger vorgesehen sind, einzufrieren oder sogar ihre Zahl zú reduzieren. Dieser Vorschlag findet unsere einschränkungslose Zustimmung.
Die Bundesregierung ist in ihrer Friedensnote vom 25. März über diesen Vorschlag noch hinausgegangen, indem sie vorschlug, die Zahl der in
Europa stationierten Atomwaffen nicht- zu erhöhen und sogar stufenweise zu verringern. Bei . diesem Vorschlag, der also über den weltweiten amerikanischen hinausgeht und ein regionales Problem anspricht, mußte die Bundesregierung die Bedingung stellen, daß sich ein solches Abkommen auf ganz Europa einschließlich der Sowjetunion erstrecken müßte, daß es das Kräfteverhältnis in Europa wahren, eine wirkliche- Kontrolle vorsehen und mit entscheidenden Fortschritten bei der Lösung des politischen Problems in Mitteleuropa verbunden .sein müßte.
Bei einem regionalen Abkommen dieser Art, das auf Europa beschränkt ist und das den Rüstungsstand auf dem europäischen Kontinent selbst unmittelbar zum Gegenstand hat, müssen wir auch die deutsche Frage ins Spiel bringen. Unter welchen Umständen sollte das sonst geschehen? Die Sicherheit in Europa und die Lösung der wahren Ursachen der Spannung sind eben nicht voneinander zu trennen.
Der Vorschlag des amerikanischen Präsidenten zeigt, daß erst die Einbeziehung weiterer politischer Maßnahmen und Abrüstungsbestimmungen in den Rahmen der Nichtverbreitungspolitik diese zu einem organischen Ganzen macht.
Wenn der sowjetische Ministerpräsident auf einige Maßnahmen der Rüstungskontrolle hingewiesen hat, so lassen Sie mich zu diesen kurz Stellung nehmen. Eine Denuklearisierung in Europa müssen wir ablehnen; wir müssen ebenso das volle Verbot aller nuklearen Waffen ablehnen. Diese Forderung ist einfach unrealistisch. Wir müssen die Auflösung aller ausländischen Basen 'hi der Welt ablehnen; denn auf der Präsenz der amerikanischen Truppen auf dem europäischen Kontinent beruht im wesentlichen unsere Sicherheit: Wenn der sowjetische Ministerpräsident aber seine Bereitschaft erklärt, die Sowjetunion würde niemals als erste nukleare Waffen gebrauchen, so ist das immerhin ein interessanter Hinweis, der uns zeigt, daß der Zusammenhang von Non-Proliferations-Vertrag und Sicherheit gesehen wird. Wenn der sowjetische Ministerpräsident von atomwaffenfreien Zonen spricht, so könnten diese außerhalb Europas, etwa im Mittleren Osten, in Südamerika oder in Afrika, schon von Interesse sein. Es liegt hier eine Reihe von Vorschlägen des amerikanischen Präsidenten einerseits und des sowjetischen Ministerpräsidenten andererseits vor, die Gegenstand von Bemühungen um die Abrüstung der Großmächte sein können.
Ob eine Weltabrüstungskonferenz für die Fassung konkreter Beschlüsse der rechte Rahmen ist, meine Damen und Herren, lassen wir in Übereinstimmung mit der Bundesregierung dahingestellt sein. Jedenfalls hat sich auch insoweit die Bundesregierung bereit erklärt, an den Arbeiten eines vorbereitenden Ausschusses teilzunehmen, wenn' die Bedingungen akzeptabel sind.
Der italienische Moratoriumsentwurf auf .den sich Ziff. 6 der Großen Anfrage der SPD' bezieht, scheint uns für den Fall konstruktiv zu sein daß es in Genf nicht zu einer. Einigung kommt.
Zusammenfassend wäre also zu sagen, daß die CDU/CSU-Fraktion mit der Bundesregierung das Prinzip der Nichtverbreitung atomarer Waffen in nationale . Kontrolle anerkennt, daß sie sich aber gegen die Beeinträchtigung ihres Rechts der kollektiven Selbstverteidigung wehrt und eine Präjudizierung eines künftigen militärischen Status, insbesondere eines vereinigten Europas von morgen, als unannehmbar ansieht.' Darüber hinaus- sind wir der Meinung, daß die Position der Bundesrepublik in der Deutschlandfrage weder mittelbar noch unmittelbar beeinträchtigt werden darf.
In der Ziffer 7 der Großen Anfrage der SPD. wird ein höchst .wichtiges Problem aufgeworfen. Die CDU/CSU-Fraktion., hat mit Genugtuung festgestellt, daß der Vorschlag der Bundesregierung in ihrer Friedensnote vom 25. März 1966, bilaterale Verzichtserklärungen auch mit einzelnen Staaten des Ostblocks auszutauschen,' auf Interesse gestoßen ist und daß sogar die Sowjetunion in ihrer Antwortnote zum Ausdruck gebracht hat, daß sie diesen Vorschlag als ein wichtiges Element zur Erhöhung der europäischen Sicherheit ansieht. Dieser Weg sollte weiter verfolgt werden; die Erklärung, die der Bundesaußenminister eben zu dieser Frage abgegeben hat, können wir seitens der CDU/CSU-Fraktion nur unterstreichen.
Was nun die Einbeziehung der SBZ in einen solchen Gewaltverzicht anbelangt, so steht die CDU/CSU-Fraktion selbtsverständlich hinter den Gewaltverzichtserklärungen früherer Bundesregierungen, auf die der Außenminister schon verwiesen hat.
Wir sind uns darüber klar, daß die Bedrohung der Sicherheit an der Zonengrenze nicht von uns, sondern von der SBZ ausgeht, daß also logischerweise der Gewaltverzicht von der Sowjetunion für die SBZ ausgesprochen werden müßte, die sich in ihrem Herrschaftsbereich befindet.
Wir haben Verständnis dafür, daß sich die Bundesregierung in ihrer heutigen Antwort zurückhält. Klar ist jedenfalls - und darin befindet sich die CDU/CSU-Fraktion in völliger Übereinstimmung mit der Bundesregierung -, daß die SBZ als solche als Adressat für eine solche Gewaltverzichtserklärung nicht in Frage kommt.
Der Vorschlag in V Ziffer 5 der Friedensnote der Bundesregierung, zu der die SPD in ihrer Großen Anfrage unter Punkt 8 Stellung nimmt, erscheint der CDU/CSU-Fraktion, wie sie anläßlich der Debatte über die Friedensnote im März auch erklärt hat, als konstruktiver Beitrag zur Befriedung, des europäischen Kontinents. Der Vorschlag zeigt, daß die Bundesrepublik bereit ist, ihre Grenzen fremden Beobachtern zu öffnen, falls das Erfordernis der Gegenseitigkeit gewahrt ist; wir haben nichts zu verbergen.
Ziffer 9 der Großen Anfrage richtet sich an die Bundesregierung und nicht an den Bundestag.
Ziffer 10 ist bereits in anderem Zusammenhang erledigt worden.
Was die Ziffer 11 der Anfrage der SPD anbelangt, so hat die CDU/CSU-Fraktion dazu folgendes zu sagen. Es ist zutreffend, daß die Sowjetunion, aber auch hier und da einzelne westliche Staaten wie Dänemark und Belgien, die Abhaltung einer europäischen Sicherheitskonferenz vorgeschlagen haben. Die Idee der Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems ist besonders von dem uns befreundeten Frankreich vorgeschlagen worden.
Daß die Bundesregierung an einer künftigen Friedensordnung in Europa interessiert ist und interessiert. sein muß, ergibt sich aus ihrer Lage. Dennoch sollten wir nicht übersehen, daß eine solche Konferenz einer sehr sorgfältigen Vorbereitung bedarf und substantielle Fortschritte in der wirklichen Entspannung voraussetzt, da anderenfalls ein Scheitern dieser Konferenz unvermeidlich ist. Kein Land hat dankswerterweise dies eindeutiger zum Ausdruck gebracht als Frankreich. In der heutigen Lage würde angesichts der kategorischen Weigerung der Sowjetunion, die eigentliche Ursache der Spannung in Europa, nämlich die Lösung der deutschen Frage, in einem konstruktiven Sinne zu behandeln, ein europäisches Sicherheitssystem nur zur Versteinerung des Status quo führen, wenn dies das Ergebnis der Konferenz wäre. Die Bundesrepublik ist vital an einem europäischen Sicherheitssystem interessiert, wenn es die Lösung der die Sicherheit bedrohenden Spannung in sich schließt, d. h. wenn es den Weg zur Selbstbestimmung aller Deutschen offen läßt.
Die Bundesregierung hat für eine solche Konferenz drei Bedingungen gestellt, die wir einschränkungslos unterschreiben.
Was die dritte Bedingung, nämlich die Einbeziehung der SBZ in diesen Austausch, anbelangt, so möchte ich folgendes erklären: Die Erfahrungen der Genfer Konferenz des Jahres 1959 zeigen, wie absurd die Teilnahme der SBZ an einer solchen Konferenz wäre.
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie alle ihre Bemühungen auf eine Verbesserung des Klimas in ihren Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion einsetzt und eine intensive Zusammenarbeit mit Allen diesen Staaten auf allen Gebieten anstrebt. Wenn wir diese Bemühungen geduldig fortsetzen, wird eines Tages die Zeit reif sein, um dem Vorschlag einer europäischen Sicherheitskonferenz näherzutreten. Dafür ist die Überwindung der. jetzigen Übergangssituation in der Nato sicherlich auch eine wichtige Vorbedingung.
Was nun die letzte Frage nach der Verbindung erfolgversprechender Initiativen zur Rüstungsbegrenzung mit Initiativen ' zur schrittweisen Lösung des deutschen Problems anbelangt, so brauche ich nicht zu sagen, wie schwierig das hier angeschnittene Problem ist. Das Interesse aller Nationen, insbesondere in Europa, an der Stabilisierung der europäischen Sicherheit und an der Reduzierung der militärischen Spannungen hat immer wieder den Gedanken der Koppelung derartiger Maßnahmen mit der Frage der Wiedervereinigung
I belastet. Im atomaren Zeitalter ist die Lösung eines Problems von der Größenordnung des Problems der deutschen Frage ungewöhnlich schwierig. Diese Schwierigkeit müssen wir sehen.
Es ist daher besonders verdienstvoll, wenn die amerikanische, französische und englische Regierung immer wieder darauf hingewiesen haben, daß jedenfalls im Rahmen regionaler Regelungen in Europa das Problem der Wiedervereinigung berücksichtigt werden muß. Daß die Sowjetunion und ihre östlichen Verbündeten diesen Zusammenhang leugnen und vorgeben, daß gerade die Bemühungen der Bundesregierung um die Lösung der deutschen Frage die einzige Ursache der Spannungen in Europa sind, ist bekannt. Wir müssen sogar mit Besorgnis feststellen, daß hier und da auch in anderen Ländern ähnliche Äußerungen fallen. Dieser Entwicklung muß die Bundesregierung mit aller Energie entgegenwirken.
Sie hat in ihrer Friedensnote Maßnahmen zur Sicherung des Friedens in Europa vorgeschlagen, die eine Verbindung mit der deutschen Frage angezeigt erscheinen lassen. Da eine solche Entwicklung nur schrittweise möglich ist, können diesem ersten Schritt andere folgen. Wir fordern daher als CDU/ CSU-Fraktion die Bundesregierung auf, auf diesem Gebiet konsequent weiterzugehen und mit den westlichen Verbündeten nach Wegen zu suchen, die deutsche Frage erneut ins Gespräch zu bringen. Wir sind uns alle darüber klar, daß die Lösung dieses Problems eine Veränderung der jetzigen ) Weltkonstellation voraussetzt, auf die hinzuarbeiten eine der schwierigsten und vielleicht die wichtigste Aufgabe der Bundesrepublik überhaupt ist.
Damit haben wir zu den in der Großen Anfrage der SPD gestellten Fragen Stellung genommen. Wir haben uns bemüht, uns jeder deklamatorischen Behandlung dieses Problems zu enthalten. Der Ernst der in der Anfrage angeschnittenen Probleme macht eine nüchterne und reale, den Tatsachen Rechnung tragende Stellungnahme notwendig. Das ist in unserer Antwort geschehen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Beantwortung unserer Großen Anfrage. Allerdings muß ich sagen, daß ich ein halbes Jahr nach der Note, die unserer Anfrage, jedenfalls in ihrer Substanz, zugrunde liegt, nicht so optimistisch sein kann wie der Bundesminister des Auswärtigen, der hier für sich gesagt hat, daß die Antworten auf unsere Fragen zur Verdeutlichung der deutschen Position beigetragen hätten und wohl nützlich gewesen seien.
Ich weiß wohl, daß Sie, die Sie vor einer wichtigen Reise stehen, Ihre Überlegungen haben hinsichtlich dessen, was nützlicherweise gesagt oder nicht gesagt werden soll. Wir respektieren das. Sie haben zu respektieren, daß wir, die wir keinen Anteil an Ihren Vorbereitungen haben, die Gelegenheit wahrnehmen, Ihnen das mit auf den Weg zu geben, was wir meinen und denken. Leider ist die Antwort, die uns hier vorgetragen worden ist, nicht dem gerecht geworden, was, wenn ich mich nicht irre, ziemlich am Anfang gesagt worden ist, nämlich die Kunst bestehe darin, einen Schritt in der richtigen Richtung zu tun.
Mit Interesse habe ich gehört, wie die Bundesregierung durch den Herrn Bundesminister des Auswärtigen das Vorgehen bei dem Atomversuchsstoppabkommen als Exempel genommen hat, sicher auch deswegen, weil sie da im eigenen Lager noch einiges aufzuräumen hat. Denn damals gab es ja bei Ihnen darüber nicht nur Unstimmigkeiten. Vielmehr wäre es ohne die sozialdemokratische Fraktion zur Ratifikation jenes Abkommens in diesem Hause nicht gekommen.
({0})
Insofern verstehe ich gut, daß Sie wenigstens diese Position, die Ihre Koalition jetzt einnimmt, hier zu klären versucht haben.
Aber sonst muß ich sagen - ohne generalisieren zu wollen -: eigentlich war es doch etwas mager und zu belehrend, als daß es erklärend sein könnte für die deutsche Position und für die Entwicklungsfähigkeit der deutschen Position. Herr Minister, Sie haben in Ihren Antworten deutlich wiederholt, was die Bundesrepublik im Gegensatz zu den Verleumdungen, mit denen sie eingekreist werden soll, an vertraglichen Verpflichtungen auf sich genommen hat, nämlich weder nukleare Waffen herzustellen noch - woran sie sich ja auch wohl hält - ihre nationale Verfügungsgewalt anzustreben, obwohl es manchmal so aussieht, als gäbe es auch da ziemliche Unstimmigkeiten. Es wäre besser, das einmal wirklich zu klären. Manches von dem, was Sie gesagt haben - auch mit Feststellungen in Richtung auf die Sowjetunion -, ist sachlich nicht bestreitbar. Aber hier käme es auf die wirksame Art an. Manches von dem, was gesagt worden ist und was jetzt noch einmal ziemlich forsch, manchmal etwas zackig - mich wundert das - von meinem verehrten Vorredner unterstrichen worden ist, kann man nur in der Bundesrepublik Deutschland mit Aussicht auf Wirkung sagen. Anderswo wirkt das nicht. Das werden auch Sie, die Sie nicht völlig vom Ausland abgeschlossen sind, wissen oder erfahren. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen jedenfalls müßte es von Amts wegen wissen.
Was für Aussichten haben wir denn, daß wir mit der Wiederholung, ohne die Überwindung der Spaltung Deutschlands könne es keine dauerhafte Friedensregelung geben, nicht allmählich sozusagen als das trotzige Kind dastehen? Wir haben dann, finde ich, anderen zuzureden, von denen wir Grund haben zu befürchten, daß sie vielleicht Wege gehen oder Überlegungen nachhängen, die das außer 'acht lassen. Da haben wir in Aussicht zu stellen, 'wie gut eine Friedensordnung und -regelung sein könnte, wenn sie nicht auf der irrtümlichen Vorstellung aufgebaut wird, man könne sie um das gespalten bleibende Deutschland herum machen.
Wir 'haben 'also zuzureden, in Aussicht zu stellen, Bereitschaften erkennen zu lassen. Die Antwort hat aber darauf, muß ich sagen, leider weitgehend verzichtet. Sie ist von einem Ton durchzogen, der nicht wirbt und nicht anregt. Einmal - habe ich gehört und mir notiert - begrüßte sie etwas. Das war im Zusammenhang mit dem Genfer Vorschlag von Kossygin, der ja von Ihnen hier richtig dargelegt worden ist. Wir haben dagegen nichts einzuwenden, das ist sachlich durchaus in Ordnung. Nehmen Sie aber eine solche Sache wie das, was Sie auf unsere Frage, was denn 'die Antworten auf die Note erkennen ließen und was man wohl damit machen könnte, geantwortet haben. Sie geben wieder, wie Sie es sehen, und dann haken Sie sich an der Sache mit 'dem Gewaltverzicht fest. In diesem Zusammenhang möchte ich auch gleich meinem verehrten Vorredner sagen: die rhetorischen Erklärungen zum innerdeutschen Gewaltverzicht helfen nicht nur nicht, sondern reizen die 'Gegenseite, wenn sie in einer Form gemacht werden, wie wir sie leider noch nicht überwunden haben. Da frage ich ganz ruhig: Was haben Sie denn in der Hand, 'das Sie darin bestärken könnte, so zackig in 'dieser Frage aufzutreten? Aber die andere Seite hat ein Viertel unseres Volkes 'in der Hand. Das ist schmerzlich, und hier würde ich, ganz anders als Sie und Ihre 'Regierung es machen, 'damit wuchern, daß sich die Bundesrepublik 'Deutschland aus freien Stücken vertraglich dazu verpflichtet hat, das nationale Ziel - das ja auch ein europäisches Ziel ist - der Vereinigung der Deutschen in gesicherter 'Freiheit nicht mit Gewalt, ja unter Verzicht auf Gewalt anzustreben und zu erwirken. Damit muß 'man wuchern, statt daß man sich hinstellt - ({1})
- Ja, wir wissen ja, daß Sie 'immer 'alles gesagt haben. Aber hier kommt es 'darauf 'an, wie Sie es tun. Es war schon schlimm, 'daß es Ida eine Kluft gab: die kommunistisch regierten Staaten des Ostens können, wenn sie wollen, Gewaltverzichtserklärungen mit uns austauschen und jener von uns losgelöste Teil Deutschlands nicht. Wir definieren, was das ist, das ist in Ordnung. Aber besser als mit dieser polemischen Art, mit der Sie es versuchen, stehen wir hier da, wenn wir sagen: Dazu haben wir uns immer verpflichtet und daran halten wir uns auch, 'daß es keine 'Gewaltanwendung bei der Verfolgung unserer Ziele der Wiedervereinigung gibt.
In der 'Sache gibt es Ida ja gar keine Differenz. Ich wende mich nur dagegen, 'daß Sie glauben, das könne mit rhetorischen Erklärungen gemacht werden, und dann auch noch an die Adresse bestimmter osteuropäischer Staaten - dann fließt es allmählich in die sogenannte Ostpolitik ein -, daß Sie dort zu erkennen geben wollen: Mit euch wohl, aber nicht mit denen in Ostberlin. Ich sage Ihnen nur - mehr sage ich dazu heute nicht -, das alles ist verfehlt,
({2})
das alles ist wirkungslos, das alles wirkt nur stimulierend auf das, was jene Regierungen in dem anderen Teil des geteilten Europas bei allen ihren nationalen Bestrebungen auf einen gewissen Raum
von Selbständigkeit kommunistisch verbindet. Wenn Sie etwas erreichen wollen, machen Sie etwas weniger Reklame mit dem, was Sie vorhaben, und lassen Sie es dann nicht kalt und sauer werden, wie es jetzt im Falle Bukarest zu werden droht und wie es ähnlich schon in anderen Fällen gewesen ist.
({3})
Das ist Grund, zu sagen - wir sind nicht die Regierung, die Regierung muß sich das sagen lassen -: wir sehen, daß auf diesem Gebiet zwar Vorsätze vorhanden sind; aber die Kunst des schrittweisen Vorgehens, auf die Sie sich selbst in Ihrer Antwort auf unsere Fragen berufen, beherrschen Sie leider noch lange nicht.
({4})
Was würden Sie denn von einem Wettläufer sagen - gleichviel, auf welche Strecke er geschickt wird -, wenn er vorher am Start schon die ganze Geschichte erzählt, wie er durchs Ziel läuft? Er muß erst mal laufen; das wissen Sie ganz genau.
({5})
- Weil wir der Regierung helfen wollen und weil wir ein Parlament haben und nicht einen Arbeitskreis, wo man Parolen ausgibt.
({6})
Sie werden dieses Land noch unglücklich machen mit diesem Bild, das Sie von diesem Land draußen bieten.
({7})
-- Leider haben wir keine bekommen.
({8})
- Machen Sie das hinterher in Ihrem Arbeitskreis ab! Das haben wir leider nicht bekommen, und das monieren wir hier.
({9})
Und eine mögliche Enttäuschung über das, was wir vor einem halben Jahr an dieser Note positiv fanden. Es ist jetzt ein halbes Jahr her, daß wir hier offen und freimütig ohne Vorbehalte ja dazu gesagt haben, daß Sie sich dazu durchgerungen haben, nicht nur wieder einmal an einer allgemeinen Weltabrüstungskonferenz teilzunehmen, sondern sich um deren Zustandekommen zu bemühen. Den Eindruck haben wir gehabt, und so sahen wir es auch bei der schmalen Marge von Konsultation, die wir in außenpolitischen Fragen noch haben. Das tröpfelt nur noch ab und zu, und man muß schon sehr aufdrehen, daß es tröpfelt. Damals haben wir den Eindruck gehabt, man bemühe sich um das Zustandekommen. Jetzt wird es so dargestellt - und in der Resonanz von der CDU/CSU wird es dann noch etwas krasser dargestellt -: Nein, nein! Sicher, wir haben uns ja einmal dafür erklärt, und wir würden uns, wenn sie kommt, auch daran beteiligen. Aber daß Sie etwas Besonderes tun wollen angesichts der zugegebenermaßen schwierigen Situation, in der sich unser Land befindet, das haben
wir aus Ihren Ausführungen nicht heraushören
können. Im Gegenteil, eher treten Sie in der Beziehung etwas mehr noch als damals auf der Stelle.
Aber die Friedensnote ist doch nur interessant, wenn man sie in der Substanz weiterentwickelt, fortschreibt und sich in dieser Richtung weiterbewegt. Sie selbst haben ja gesagt, mit einer Note könne es nicht getan sein. Ich weiß nicht, was da betont war, ob es eine Note war oder ob es eine Note war. Aber beides wäre richtig. Wir sind uns sicher einig, daß es da eines komplizierten Wirkens und Zusammenwirkens von politischen, diplomatischen und anderen Bemühungen bedarf.
Gestatten Sie eine Frage?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter Birrenbach!
Herr Kollege Wehner, die Friedensnote der Bundesregierung ist etwas wie eine Art Verhandlungsofferte. Würden Sie der Meinung sein, daß in den Verhandlungen mit dem Osten in der ersten Runde bereits alle Karten auf den Tisch gelegt werden sollen?
Das höre ich manchmal, damit man, wenn man außerhalb steht - während Sie ja innerhalb des Grals stehen -, glauben soll, da geschehe wirklich etwas. Es geschieht aber nichts. Das ist so wie im Märchen von des Kanzlers neuen Kleidern, bis mal jemand sagt: Der hat ja gar keine an. Das haben wir im Fall Bukarest leider gesehen.
({0})
Das genügt uns jetzt nicht. Wir nähern uns jetzt der kälteren Jahreszeit, und da möchten wir sogar, daß unsere Könige etwas anhaben. Schleppenträger haben sie genug, aber in dem Märchen gab es die ja auch.
Nun steht die Regierung, mindestens ihr Chef und einige amtierende Minister, vor der Washington-Reise. Ich nehme an, Sie werden es dort damit zu tun haben und werden davon ausgehen müssen, daß der amerikanische Präsident Johnson in einer Rede, die von meinem Vorredner in einem anderen Zusammenhang apostrophiert worden ist, erklärt hat, er wolle nach jedem nur möglichen Gebiet der Übereinkunft suchen, das - gleichgültig, wie geringfügig oder wie langsam - die Aussicht auf Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion vergrößern könnte. Am Nutzen einer solchen Zusammenarbeit würde die ganze Welt teilhaben, meint der Präsident. Davon müssen Sie ausgehen. Das ist die Ansicht Ihres Gesprächspartners, mit ihr haben wir zu rechnen. Wir müssen versuchen, dabei unsere Interessen zu wahren.
Zum anderen hat der Präsident gesagt: Es gibt Grund zu der Hoffnung, daß die Sowjets den
Wunsch teilen, das Gebiet der Übereinkunft zu vergrößern. Ich kann nicht kontrollieren, ob es so ist. Sie aber haben es mit einem Gesprächspartner zu tun, der für unsere Lage, für unsere Entwicklung von erstrangiger und einmaliger Bedeutung ist und der das als seine Auffassung hat. Also werden wir uns wohl darauf einrichten müssen. Unser Interesse wird sein, an dem Gebiet der Übereinkunft, wie es der Präsident genannt hat, teilzuhaben rund keinesfalls außerhalb dieser Sphäre gelassen zu werden oder stehenzubleiben.
Der amerikanische Präsident hat in der Rede einige Schritte in Erinnerung gebracht. Einen habe ich hier in einem anderen Zusammenhang deshalb erwähnt, weil ich es gut fand, daß die Regierung in ihrer Antwort gerade das Zustandekommen der Ratifikation dieses Abkommens hier als positives Beispiel genommen hat, sicher weil inzwischen ein Klärungsprozeß in den Koalitionsfraktionen in dieser Beziehung vielleicht seinen Abschluß gefunden hat oder ihm näher gekommen ist.
Der Präsident hat noch einige andere Beispiele genannt. Ich will Sie damit jetzt nicht belasten; Sie kennen das ja alles selbst. Er hat wörtlich gemeint: „Wir bemühen uns um einen Vertrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen." Dazu ist hier ja manches gesagt worden. Dazu haben auch die Regierung in ihrer Note und heute der Bundesminister des Auswärtigen einiges gesagt.
Ich fand es damals gut, daß Sie in der Note den Versuch machten, sich nicht auf ein Ja und sich nicht auf ein Nein festzulegen, ehe alles geklärt ist. Das kann ich von einer Regierung im Amt verstehen. Allerdings finde ich, daß es mit der Zeit und mit den Zeitläuften zu wenig sein wird, diese Position festzuhalten. Das werden Sie erleben, wenn wir nach Washington mehr wissen - genauso wie Sie -, als es jetzt der Fall sein kann.
Der amerikanische Präsident, der ja von der Kettenreaktion gesprochen hat, die verhindert werden müsse und auf die hier heute mein Freund Helmut Schmidt in seiner Begründung hingewiesen hat, hat erklärt, er betrachte es als seine Pflicht und die Pflicht seines Landes, zu verhindern, daß sich bestimmte Schwierigkeiten, Krisen usw. im Verkehr zwischen den Völkern zu größeren Gefahren auswachsen; denn der Friede komme nicht plötzlich oder schnell. Das sei nur im Kriege so, sagt er.
Aus einem einzelnen Abkommen oder aus einer einzelnen Konferenz wird sich nicht in dramatischer Weise der Friede ergeben. Er wird durch einen kleinen, vielleicht unmerklichen Fortschritt nach dem anderen gefördert werden, bei dem weder der Stolz noch das Prestige einer Großmacht für wichtiger gehalten wird als das Schicksal der Welt. Er wird durch das allmähliche Wachsen gemeinsamer Interessen, durch das. vermehrte Bewußtwerden sich verlagernder Gefahren und Richtungen und durch die Entwicklung von Vertrauen erreicht.
Das sind sehr wohlüberlegte Worte, sogar ausgefeilte Worte. Ich würde sie auf dem Flug dorthin
auch noch ein paarmal lesen, wenn ich an Ihrer
Stelle wäre; denn das ist das, womit wir es zu tun haben, womit auch wir klarkommen müssen.
Der amerikanische Präsident hat gesagt, das Ziel seiner Bemühungen, die in dieser Rede umschrieben worden sind, sei, den Frieden auszubauen. Das ist ein interessanter Begriff: den Frieden ausbauen. Er sagt vieles über das aus, was heute Frieden ist, und er sagt auch vieles über die Methode im Lichte dessen aus, was eben zitiert worden ist. Er sagt, daß das nicht dramatisch von einem Tag auf den anderen kommt. Das alles heißt, daß wir jetzt nicht so unbeschwert sagen könnten: die Nachkriegszeit ist zu Ende, wie wir es hier einmal gehört haben; denn wir sehen es anders und müssen es alle etwas anders sehen als manche anderen draußen. Wir müssen uns auf diese Einstellung unseres Gesprächspartners selbst einstellen.
Meine Damen und Herren, hier ist gesagt worden - und in diesem Punkt gibt es in der Sache keine Differenz - ,wie wichtig es ist, daß Schritte in Richtung auf die Überwindung einer der wesentlichen Ursachen der Spannungen in der Welt - Ursachen, die diese Spannungen immer wieder neu beleben -, nämlich der Überwindung der Spaltung Deutschlands, mit anderen Bemühungen verbunden werden. Machen Sie es aber nicht in dem Paket-Stil, der uns dann draußen stehen läßt, weil wir niemanden finden, der dieses Paket, wie es eben bei uns verpackt ist, als Ganzes nimmt. Dann geht es wieder an den Absender zurück.
Hier ist gesagt worden, die Voraussetzung für das und das sei eine Veränderung der Weltkonstellation. Aber genau darüber habe ich geredet. Man kann auf sie nicht warten; man muß dazu beitragen, daß sie so allmählich, wie es der Präsident hier im Hinblick auf den Frieden gesagt hat, veränderbar wird und verändert wird.
Ich wollte noch auf eine direkte Frage antworten, die hier der Herr Kollege Birrenbach gestellt hat; zwar ein bißchen antiquiert, aber das ist manchmal so, wenn man in den Arbeiten hier nicht so auf dem laufenden ist. Er hat gefragt, was denn die Stimme der SPD in dieser Sache sei. Das will ich Ihnen gleich erklären.
In unserer Entschließung auf dem Dortmunder Parteitag finden Sie in dem Kapitel „Sicherheit und Abrüstung":
Auch wenn es ermöglicht werden kann, durch Rüstungsbegrenzung und gegenseitige Rüstungskontrolle ein Gleichgewicht der militärischen Kräfte auf einer Ebene wesentlich herabgesetzter Rüstung zu stabilisieren, bleibt die Sicherheit und die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland von der gemeinsamen Fähigkeit der atlantischen Allianz abhängig, andere von einem Angriff auf Mitgliedstaaten der Allianz abzuschrecken und notfalls die Territorien der Allianzpartner zu verteidigen. Wir wiederholen unsere Feststellung, daß dazu eine Aufgabenteilung unter den Partnern der Allianz zweckmäßig und für die Allianz als Ganzes ein ausgewogenes Verhältnis zwischen konventionellen und atomaren Waffen notwendig ist. Die
Sicherheit der Allianzpartner kann nur in enger militärischer Verflechtung untereinander und insbesondere in Verbindung mit dem Verteidigungspotential der USA gewährleistet werden.
Und unter Punkt 10 wird gesagt:
Die nukleare Frage innerhalb des westlichen Bündnisses muß unter dem Gesichtspunkt unserer sicherheitspolitischen Notwendigkeiten gesehen werden. Sie darf nicht unter Prestigegesichtspunkten gewertet und beurteilt werden. Für die Bundesrepublik Deutschland ist eine Beteiligung an der gesamtstrategischen Planung der Allianz aus folgenden Gründen notwendig:
--- die zählen wir dann auf -
a) Die Strategie des Bündnisses ist für uns unter allen Umständen von lebenswichtiger Bedeutung. Daraus ergibt sich die Forderung auf volle Beteiligung an der Planung.
b) Die deutsche Beteiligung kann sich auf eine wirksame gemeinsame Planung beschränken. Die Gemeinschaftslösung des nuklearen Problems muß auf die abrüstungspolitischen Notwendigkeiten Rücksicht nehmen. Deutscher Mitbesitz an nuklearen Waffen ist nicht erforderlich und wird auch von uns nicht gewollt.
c) Die Bundesrepublik Deutschland trägt besondere Verantwortung für das Überleben des ganzen deutschen Volkes. Ihre Regierung muß daher ein Vetorecht ausüben können, wenn die Auslösung solcher nuklearer Waffen verfügt werden soll, die auf deutschem Boden stehen oder gegen Ziele auf deutschem Boden gerichtet sind.
Und dann gibt es noch einiges, was zur Verzahnung von Führungsstäben und ähnlichem in der Allianz gesagt worden ist. - Dies habe ich ausgeführt, weil Sie so direkt gefragt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben heute eine Debatte geführt, die sich auf Fragen und die Antworten der Regierung stützen konnte. Wir haben uns selbst, die wir die Einbringer und die Begründer gewesen sind, hier im Zaum gehalten, weil uns daran lag, einiges vor Ihrer Reise zu sagen. Das ist gar nicht boshaft. Wir haben in diesem Jahr - obwohl da, unterschiedlich, zunächst Zögern und Zweifel war --- einige Debatten, auch vor kritischen Verhandlungen, die diese Regierung zu bestehen hatte, geführt. Ich glaube nicht, daß eine einzige dieser Debatten die Regierung bei den Verhandlungen gehindert hat. Im Gegenteil, es gibt manches Zeichen dafür, daß sie ganz nützlich für diese Verhandlungen selber gewesen sind. Wenn Sie nun, meine Herren von der Regierung, die Sie nach Washington fahren, von Washington zurückkommen, dann werden Sie nicht mehr die Rücksicht in Anspruch nehmen können, auf die Sie vor der Reise Anspruch hatten, den wir respektieren.
({1})
Sicherlich, nein. Da nenne ich nun einmal Ortsnamen - denn wir haben ja auch eine Pflicht als Opposition -, ich nenne nur auf dem sportlichen
Gebiet im Ausland: Oslo, Utrecht, Budapest. Was ist da alles passiert? Glauben Sie denn, das könnte man einfach mit einem Waschmittel wegkriegen? Da muß doch geredet werden, in welchem desolaten Zustand unsere Politik sich befindet. Oder nehmen Sie das Handelsgebiet, Messen: Brünn, Wien, Algier. Ich bin ganz rot geworden über das, was da geschehen konnte. Es ist ja nicht einfach das, was andere uns dort zumuten, sondern die Feststellung, wie wir uns dann in einer solchen Situation nicht bewähren. Das ist es doch.
({2})
Manchmal sagt man, wenn man charakterisieren will, daß jemand, an dem man kritisch etwas auszusetzen hat, nicht weiterkommt, er gehe zwei Schritte vor und einen Schritt zurück. Manchmal wird auch über ihn gesagt, er gehe einen Schritt vor und zwei zurück. Nein, was wir hier sehen, ist noch ganz anders. Das ist „Einmal hin, einmal her", - und Sie wissen, wie das in dem Kindervers weiter heißt: „rundherum, das ist nicht schwer". Aber vom Fleck kommen Sie doch damit nicht und bringen Sie unsere Politik damit nicht. Das ist ganz gut - rundherum -, solange man noch unterhalb eines bestimmten Alters steht und sich das nicht im Kopf bemerkbar macht. Aber wir müssen vom Fleck kommen, und über dieses Vom-Fleck-Kommen werden wir noch zu reden haben, wenn Sie zurück sein werden.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte diejenigen Kollegen, die in diesem Augenblick gern sprechen möchten, um Nachsicht, daß ich von dem Recht der Regierung Gebrauch mache, in jedem Augenblick der Debatte das Wort zu ergreifen. Denn ich möchte mir die Gelegenheit zu diesem Zwiegespräch mit dem Kollegen Wehner doch ungern entgehen lassen.
Der Kollege Wehner hat einige Zensuren verteilt, das sei etwas mager gewesen, mehr Belehrung als Erklärung. Ich 'bin gegenüber Zensuren relativ unempfindlich. Ich bin aber ,dabei, mich mit ihnen ein bißchen zu beschäftigen. Etwas hat er weggelassen. Er hat - das muß ich anerkennen - das Forsche und Zackige nicht für mich reserviert, sondern mein armer Kollege Birrenbach ist das Opfer dieser Beschreibung geworden.
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- Ja, er hat es gut überstanden. - Das ist aber nicht das Wesentliche.
Ich möchte Ihnen ganz offen sagen: ich weiß den Geist und 'die Gesinnung zu schätzen, aus denen Herr Kollege Wehner hier auch manchmal etwas bittere - oder auch nicht ganz so bitter gemeinte - Anmerkungen macht. Das ist halt eine gemeinsame Sorge von uns. Dieses Thema ist ja nicht nur ein Gegenstand intellektueller Freude oder dialektischer
Bemühungen, sondern hier geht es um das, was unserem Volke in den nächsten Jahren einerseits bevorsteht, andererseits vielleicht möglich ist.
Ich unterstreiche positiv, was er darüber gesagt hat: daß man sich sehr hüten muß - ich drücke das jetzt etwas anders aus -, hier etwa die Freude an möglichst großen Deklamationen aufkommen zu lassen, die man hier vielleicht mit Vorteil und Zustimmung anbringen kann, die aber draußen nicht wirksam sein würden. Das ist sicherlich richtig, und wir müssen uns, wenn wir über auswärtige Politik sprechen, davor hüten, betriebsblind zu sein oder zu werden. Wenn wir über auswärtige Politik sprechen, spielt sich der Betrieb nicht hier im Lande ab, sondern in der ganzen Welt. Das sollte niemand einen Augenblick lang vergessen.
Wenn aber der Kollege Wehner meint, man müsse im Grunde so ein bißchen über unsere Friedensnote hinaus weitere Bereitschaften erkennen lassen, dann sind wir natürlich schon - das hat Herr Kollege Birrenbach sehr richtig angemerkt - in einem sehr gefährlichen Gebiet. Das ist etwas, was wir der sozialdemokratischen Opposition schon häufiger gesagt haben und vielleicht noch öfter sagen müssen: daß sie sich mit uns der Gefahr bewußt sein muß, die entsteht, wenn man sich, weil eine bestimmte Aussage, ein 'bestimmtes Angebot, eine bestimmte Offerte nicht ganz so eingeschlagen hat, wie man es vielleicht wollte, nun zur Steigerung des Angebots entschließt, bis die Steigerung das Ganze enthält,
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womit man dann das Ganze offeriert hat, bevor man in 'irgendeiner Art von sich anbahnender Verhandlung Kenntnis von den möglichen Bereitschaften der anderen hat.
Herr Kollege Wehner hat von dem Gewaltverzicht gesprochen und damit, soweit es sich hier um Gewaltverzicht im Blick auf das SBZ-Problem handelt, etwas gesagt, was keine Deckung in den Tatsachen hat. Ich bitte doch, sehr ernst zu nehmen, was in unserer Antwort zu Ziffer 7 gerade hierüber gesagt worden ist. Ich will das noch einmal vorlesen; es könnte sonst vielleicht doch ein falscher Eindruck aufkommen. Es heißt:
Wir haben uns nicht nur generell gemäß der Charta der Vereinten Nationen zum Verzicht auf jegliche Gewaltanwendung oder Drohung mit Gewalt bei der Lösung von Streitfragen verpflichtet,
-- jetzt kommt es sondern darüber hinaus speziell gegenüber unseren Verbündeten im Hinblick auf das Ziel der Wiedervereinigung des deutschen Volkes.
Das ist eine sehr klare und sogar noch an unsere Verbündeten geheftete Aussage, die man nicht unterbewerten sollte. Ich hatte den Eindruck, daß das vielleicht etwas der Fall ist.
Soweit es sich um weitere Schritte und lnitiativen handelt, möchte ich das, was Herr Kollege Wehner gesagt hat, an einer Stelle eher positiv aufnehmen. Er hat uns gewarnt, gewisse Dinge nicht sauer werBundesminister Dr. Schröder
den zu lassen, und er hat dabei das Stichwort Bukarest genannt. Ich darf Ihnen versichern, daß wir nicht die Absicht haben, irgend etwas sauer werden zu lassen. Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit dem Hohen Hause sagen, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, dieses ganze Thema und das Thema möglicher weiterer Entwicklungen öffentlich zerreden zu lassen, indem sie sich vielleicht selbst an einer öffentlichen Diskussion darüber beteiligt.
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Wir haben in den vergangenen Jahren gewisse Erfahrungen gesammelt, als es um die Frage der Anknüpfung von stärkeren handelsvertraglichen Beziehungen, Einrichtung von Handelsmissionen und dergl. ging, und ich habe in jener Zeit eigentlich täglich die ganz große Sorge gehabt, daß uns diese sehr schwierigen diplomatischen Unternehmungen an irgendeiner Stelle danebengelingen könnten, weil sie viel zu stark öffentlich beredet worden sind, in sehr guter Absicht, wie ich anerkenne; aber sie sind ohne Zweifel sehr stark zerredet und dadurch gefährdet worden. Es ist eigentlich ganz sicher, daß wir die Lücke, die wir in dieser Beziehung in jenem Raum derzeit noch zu beklagen haben - um mich nicht deutlicher auszudrücken -, darauf zurückzuführen ist, daß wir bestimmte Aspekte dieses Themas so stark öffentlich akzentuiert haben bzw. auch immer wieder genötigt worden sind, sie öffentlich so stark zu akzentuieren, daß wir schließlich an jener Stelle nicht mehr den optimalen Augenblick erreichen konnten, sondern danach mit großen Schwierigkeiten zu tun hatten. Aber ich akzeptiere sehr gern jede Hilfe, die uns hier zuteil werden kann.
Aber der Herr Kollege Wehner überschätzt ein bißchen, wie stark die Hilfe der Opposition damals anläßlich des Atomteststoppabkommens gewesen ist.
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Sie erinnern sich daran, daß dieses in der Tat vorher etwas umkämpfte Abkommen nachher zu einer einstimmigen Entscheidung hier im Bundestag geführt hat. Das ist sicherlich nicht im wesentlichen auf die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion zurückzuführen, sosehr ich die Haltung, die sie damals eingenommen hat, begrüße.
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- Nein, nein, da täuschen Sie sich sehr, Herr Kollege Wehner, da täuschen Sie sich.
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- Da wir hier ganz offen sprechen, kann das ja ruhig geschehen.
Die Opposition hat in der Tat eine ganz hervorragende Aufgabe auch gegenüber einer Koalition. Die Opposition ist eines der weitaus besten Mittel, die man haben kann, auch die Koalition auf der Linie jener Notwendigkeiten zu halten, die sich für die deutsche Politik ergeben.
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Diesen Erfahrungsbereich habe ich lange genug, um ihn in dieser abgeklärten Form beschreiben zu können.
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Sie würden sich aber täuschen - und das sage ich mit allem Ernst, und wir sprechen hier über ziemlich wichtige Dinge -, wenn Sie annähmen, daß ich inzwischen in all diesen bekannten Fragen eine andere Position einnehme, als sie öffentlich und nichtöffentlich definiert worden ist. Wir befinden uns durchaus auf demselben Wege, und ich glaube, daß der Entwicklungsprozeß natürlich auch an uns allen arbeitet. Das gilt für die Regierungsparteien, das gilt für die Opposition. Aber es besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß ich aus irgendwelchen sozusagen enger motivierten Gründen irgendeine Grundposition aufgegeben hätte.
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- Ich spreche hier für die Regierung, und ich tue das in voller Unbefangenheit, nämlich in dem festen Vertrauen darauf, daß das, was ich hier sage, die Regierungslinie ist. Das ist das Vertrauen, auf dessen Basis ich arbeiten kann.
Unsere Friedensnote ist ein halbes Jahr alt. Herr Kollege Wehner, es wäre sicherlich nicht gerechtfertigt - Sie haben das hervorgehoben, ich hätte das sonst gar nicht getan -, wollte man nun von dem inzwischen vergangenen halben Jahr so viel mehr Wunder erwarten als von langen, langen Bemühungen in voraufgegangener Zeit. Sie selbst werden nicht aus irgendwelchen polemischen Gesichtspunkten das Problem vereinfachen wollen. Die Haltung, die ich bei der Beantwortung Ihrer Fragen eingenommen habe, ist die, daß wir den dort öffentlich dargelegten Kurs mit Festigkeit weiterverfolgen wollen, ohne irgendwelche Zackigkeit, ohne irgendwelche Forschheit, aber auch ohne Glauben an das Wunder von morgen, so gern wir es morgen sehen würden.
Mit Rücksicht auf die Reise in die Vereinigten Staaten haben wir uns hier - und im Grunde erkennen Sie das ja auch an - in einigen Fragen etwas bedeckter verhalten, als die Opposition es vielleicht gewünscht hätte. Sie brauchen uns die Ausführungen des Präsidenten nicht zur nochmaligen sorgfältigen Lektüre zu empfehlen. Wir haben das getan, und unser Reisepensum, wenn Sie so wollen, haben wir gelernt. Das, wovon dort gesprochen wurde, das Suchen nach Gebieten weiterer Übereinkunft, ist in der Tat das, was sich sowohl in unserer Note als auch in den heutigen Antworten widerspiegelt.
Aber es wird Ihnen ja nicht entgangen sein, daß Sie und Ihre Freunde auf einem sehr wichtigen Gebiet, nämlich dem Gebiet der nuklearen Fragen, Ihre Position in der Tat verändert und ein gutes Stück eingeschränkt haben. Ich habe diese Entwicklung gesehen. Ich habe das immer sehr bedauert; denn für uns wäre es sehr hilfreich und würde es sehr
hilfreich gewesen sein, wenn die Opposition diese Linie in den nuklearen Fragen eingehalten hätte.
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Sie sind ein gutes Stück von den konkreteren Gemeinschaftslösungen abgegangen. Nun, Sie werden sagen, daß Sie dafür gute Gründe haben. Aber ich kann nur sagen: ich bedaure es. Es wäre für uns hilfreicher, wenn Sie uns in diesem Punkt weiter wie früher unterstützen würden.
Zu dem, was in diesem Bereich Planung und Konsultation angeht, haben Sie - ich glaube, es ist Herr Kollege Schmidt gewesen - die Sache etwa in dem Sinne akzentuiert: Ach, aus diesen Dingen könnte dann mehr werden, wenn ihr auf eine konkretere Gemeinschaftslösung verzichtet oder solche Verzichte andeutet. Das ist etwa so gesagt worden. Nun, während wir hier miteinander sprechen, tagt der Mc Namara-Ausschuß in Rom, und den Stand dieser Diskussion kennen Sie sicherlich einigermaßen. Es bestehen keine Bedenken dagegen, Sie darüber genauer ins Bild zu setzen. Wir sehen das als eine durchaus hoffnungsvolle Entwicklung an. Hier gibt es einen beträchtlichen Nachholbedarf der nichtnuklearen Partner gegenüber den nuklearen, und diese Erkenntnis hat sich verbreitert. Deswegen halten wir es für durchaus möglich, daß in diesem Bereich Lösungen gefunden werden, die für das gesamte Bündnis von Wichtigkeit sind. Aber solange dies noch nicht so weit ist und solange wir nicht absehen können, welche Lösungen sich hier wirklich effektuieren werden, wäre es doch sicherlich ganz falsch, irgendeine Art von Veränderung seiner Grundposition vorzunehmen. Unsere Grundposition ist eben die, daß in einem integrierten, einem konventionellen integrierten Bündnis ein hohes Maß auch an nuklearer - ich sage das jetzt einmal in Anführungszeichen - Integration gegeben sein sollte, ohne Rücksicht darauf, welche Formen sie im einzelnen annehmen könnte, und ganz sicherlich im Blick auf künftige Entwicklungsmöglichkeiten, die für uns genauso Entwicklungsmöglichkeiten sein und bleiben müssen wie für andere auch.
Sie haben gesagt, daß wir vor der Reise Schonung genießen und nach der Reise offenbar weniger schonungsvoll oder gar schonungslos behandelt werden sollen. Sie haben dafür als vorläufige Kostproben Beispiele aus dem Gebiet internationaler sportlicher Ereignisse und Messen angeführt. Ich möchte Ihnen sagen: in diesem Bereich brauchen wir keine Schonung, da können wir durchaus offen und, wie Sie meinen würden, schonungslos angesprochen werden. Daß dies ein Feld ist, in dem es außerordentlich schwierig ist, eine Gesamtlinie sich nicht nur auszudenken, sondern sie überall in Wirksamkeit treten zu lassen, das brauche ich nicht erst näher zu begründen.
Aber, meine Damen und Herren, es wäre nun in der Tat nichts falscher, als wenn man diese Reise in die Vereinigten Staaten als ein historisches Ereignis und eine Wende oder was immer ansehen wollte. So sieht es weder in der Welt noch in der deutschen Politik aus. Dies ist natürlich eine sehr wichtige Reise -- sicherlich mit der Aussprache über sehr wichtige Themen -, aber sie ist die Fortsetzung einer langen freundschaftlichen Zusammenarbeit, für die es auch einen gewissen Rhythmus der Bewegungen gibt, ebenso wie es einen solchen Rhythmus der Bewegungen z. B. zwischen Frankreich und uns gibt. Jeder übertriebene Akzent auf einer solchen Reise wäre also für die deutschen Interessen schädlich. Das wollte ich doch gern gesagt haben, bevor wir diese Reise antreten. lm übrigen, Herr Kollege Wehner, werden wir uns nach dieser Reise mit Vergnügen hier im Hause wiedersehen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die heutige Debatte über die Fragen der europäischen Sicherheit hat ihr besonderes Gewicht durch die Friedensnote der Bundesregierung und die internationale Reaktion auf diese Note erhalten. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Kunst des Möglichen sehr oft in der Bereitschaft zu einem schrittweisen Vorgehen besteht. Niemand konnte erwarten, daß die Friedensnote der Bundesregierung zu einer Veränderung unseres Verhältnisses zu Osteuropa führen würde. Mit Recht können wir aber feststellen, daß sie Ansatzpunkte für eine solche Veränderung geschaffen hat. Wir begrüßen es, daß sich die Bundesregierung auch durch negative Antworten aus Osteuropa oder durch das Ausbleiben einer Antwort nicht entmutigen läßt, den mit der Friedensnote begonnenen Weg fortzusetzen. zen. Wir stimmen ihr voll zu, wenn sie die differenzierte Beantwortung als ein positives Element bewertet. Wir unterstreichen mit Nachdruck die Feststellung, daß auch das Ausbleiben einer formellen Antwort durchaus nicht negativ zu veranschlagen ist, besonders dann, wenn andere Formen der Reaktion zu verzeichnen sind.
In dieser Haltung der Bundesregierung liegt eine doppelte Erkenntnis. Erstens: Ein fruchtbares Gespräch mit den Ländern Osteuropas will behutsam vorbereitet und eingeleitet sein. Es muß mit großer Geduld und Zähigkeit geführt werden. Zweitens: Die differenzierte Beantwortung unterstreicht die Tatsache, daß wir es in Osteuropa nicht mehr mit einem Block kommunistischer Staaten zu tun haben, die, von Moskau gelenkt, nur einer gleichlautenden Antwort auf westliche Initiativen zugänglich sind.
Diese doppelte Erkenntnis bestätigt die von meiner Fraktion seit langem vertretene Auffassung, daß die Möglichkeiten deutscher Ostpolitik nicht so minimal, nicht so begrenzt sind, wie es manchmal bei sehr vordergründiger Betrachtung zu sein scheint. Der Prozeß, der in Osteuropa im Gange ist, verpflichtet uns geradezu, jede Möglichkeit des Kontaktes, des Gesprächs und der Beziehung wahrFreiherr von Kühlmann-Stumm
zunehmen, weil seine Förderung sowohl den Interessen der nach größerer Selbständigkeit strebenden Länder Osteuropas wie den Interessen der deutschen Politik entspricht.
Die Bundesregierung war gut beraten, als sie ihre Bereitschaft zum Verzicht auf Gewalt bei der Lösung europäischer Probleme, die für uns eine Selbstverständlichkeit, für die Länder Osteuropas eine bewegende Frage ist, so deutlich zum Ausdruck brachte. Niemand sollte die psychologische Wirkung unterschätzen, die eine solche überzeugende Erklärung der Bundesregierung in Osteuropa hat und ohne Zweifel noch weiter haben wird. Sie entkräftet das Hauptargument der Ulbrichtschen Selbstrechtfertigung; denn der Machthaber der SBZ versucht, jeden nur denkbaren Nutzen für sich aus dem künstlich genährten Schreckgespenst einer kriegs-
und revanchelüsternen Bundesrepublik zu ziehen.
In der gegenwärtigen Phase der sowjetischen Europapolitik darf Pankow dabei der Unterstützung der sowjetischen Regierung sicher sein. Für sie muß der Hinweis auf den angeblichen Gefahrenherd Bundesrepublik als Rechtfertigung der Anwesenheit ihrer Truppen in Mitteleuropa herhalten. Es besteht kein Zweifel, daß die sehr behutsamen Schritte der osteuropäischen Länder zur Stärkung ihrer Selbständigkeit von einem sorgenvollen Blick auf die sowjetischen Divisionen in Mitteldeutschland begleitet sind. Unübersehbar ist dabei, daß sich hier Interessenparallelitäten der Bundesrepublik und der Länder Osteuropas ergeben.
Die von der Bundesrepublik eingeleitete neue Phase der deutschen Europapolitik und der deutschen Osteuropapolitik muß mit Geduld und Zähigkeit fortgesetzt werden. Sie wird um so erfolgreicher sein, je mehr es gelingt, die Besorgnisse der osteuropäischen Staaten vor der Bundesrepublik abzubauen. Das erfordert ein Höchstmaß an Kommunikation mit diesen Ländern. Je enger unsere wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Verbindungen sein werden, um so eher wird es uns möglich sein, auch die Kommunisten in diesen Ländern von unseren friedlichen Absichten zu überzeugen.
Eine aufmerksame Beobachtung der Äußerungen aus den osteuropäischen Staaten ergibt, daß, ungeachtet propagandistischer Ausfälle, dort längst die Legitimität der deutschen Verteidigungsanstrengungen in dem bis jetzt vorhandenen Rahmen anerkannt wird. Nicht weniger deutlich allerdings ist die sicher nicht nur aus propagandistischen Gründen deutlich werdende Sorge einer deutschen Beteiligung an atomaren Gemeinschaftslösungen, eine Sorge, die es nicht nur in Osteuropa gibt. Die Bundesregierung wird deshalb sehr sorgfältig bedenken müssen, ob eine atomare Gemeinschaftslösung, sollte sie je möglich sein - was ich bezweifle -, nicht erhebliche Nachteile für die Bewegungsfreiheit im politischen Bereich bringen würde.
Bringt eine solche Gemeinschaftslösung wirklich eine Verstärkung der Sicherheit für die Bundesrepublik? Uns scheint, daß alles darauf abgehoben werden sollte, in der Strategie des Bündnisses mehr als bisher deutsche Vorstellungen zum Tragen zu bringen und insbesondere den Einfluß der Bundesrepublik auf die Bewältigung möglicher Krisen zu verstärken.
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Mitwirkung bei der Krisenbewältigung und Vetorecht für den Einsatz atomarer Waffen von deutschem Boden und nach deutschem Boden sind für uns legitime Forderungen, die sich sowohl aus unserem Beitrag im Rahmen des Bündnisses als auch aus unserer geographischen Lage ergeben.
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Wir sprechen die Hoffnung aus, daß die Gespräche der Mitglieder der Bundesregierung in den Vereinigten Staaten Fortschritte in diesem Bereich möglich machen werden.
Der Herr Bundesaußenminister hat den McNamara-Ausschuß erwähnt. Ich habe schon mehrfach von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß die Fraktion der Freien Demokraten diesem Ausschuß eine besondere Bedeutung zumißt und der Hoffnung Ausdruck gibt, daß es in diesem Ausschuß gelingen wird, unsere Vorstellungen zum Tragen zu bringen. Wir hoffen, daß es auf dieser Basis möglich sein wird, zu den Zielen zu gelangen, die ich eben angeschnitten habe.
Die Bundesregierung hat mit der Herausstellung der Sicherheitsfragen in der Friedensnote zu erkennen gegeben, welche Bedeutung sie diesen Problemen für die Politik der vor uns liegenden Schritte einräumt. Es wird darauf ankommen, das Gespräch über die Fragen der europäischen Sicherheit durch eine Verdichtung unserer Beziehungen zu den Ländern Osteuropas zu erleichtern. Diplomatische Beziehungen sind für uns nach wie vor vorrangiges Ziel unserer Politik gegenüber Osteuropa. Die Probleme, die mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ländern Osteuropas verbunden sind, sind nicht unüberwindlich. Ihre Lösung erfordert auch nicht die Aufgabe der Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik Deutschland. Niemand in der Welt wird ernsthaft erwarten können, daß die Bundesrepublik in dieser Frage bereit ist, ihre Position zu verändern. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft sind, die von uns in bezug auf West-Berlin vertretene Position politisch wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Das gleiche gilt von dem politischen Anspruch der Bundesrepublik, für die Deutschen in Mitteldeutschland zu sprechen und zu handeln.
Es erscheint uns an der Zeit, durch eine generelle, allen Staaten dieser Erde zu übermittelnde Erklärung zu diesen Fragen unseren Standpunkt erneut zu unterstreichen und zugleich auf der Grundlage dieses Generalvorbehalts unseren außenpolitischen Spielraum zu erweitern.
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Der Besuch des Bundeswirtschaftsministers in Bukarest ist ein politisches Ereignis von weittragender Bedeutung. Es würde in seiner Bedeutung gemindert werden, wenn das damit möglich Gewordene zu lange hinausgeschoben wird. Ein Blick zu2912
rück zeigt, daß der Zeitablauf die Probleme in unserem Verhältnis zu Osteuropa nicht verringert hat.
Bei den Beratungen und Verhandlungen über die Verhinderung der Weiterverbreitung nuklearer Waffen kann die Bundesrepublik auf der moralisch und politisch festen Plattform ihres Verzichts auf die Herstellung derartiger Waffen handeln. Sie kann schließlich auf ihren Beitrag zur schrittweisen Lösung des atomaren Problems verweisen, der in der Unterzeichnung des Verbots von Atomversuchen auf dem Lande, zu Wasser und in der Atmosphäre besteht. Die Bundesrepublik hat darüber hinaus nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie alles tun wird, um daran mitzuwirken, daß sich die Zahl der Atomwaffenmächte nicht ausdehnt. Wir können deshalb die Genfer Verhandlungen im Grundsatz positiv beurteilen. Die Genfer Verhandlungspartner werden allerdings beachten müssen, daß sich diese Beratungen nicht zu einer Konferenz über den Status der Bundesrepublik im NATO-Bündnis verengen. Unser Wille zu jedem vertretbaren Beitrag zur europäischen Sicherheit berechtigt uns, die Frage nach den Beiträgen anderer Länder zu stellen. Darüber hinaus haben wir ein vitales Interesse an der Verknüpfung von Fortschritten im Bereich der europäischen Sicherheit mit Fortschritten in der deutschen Frage. Diese Forderungen erheben wir nicht als Ausdruck eines nationalen Egoismus, sondern wir erheben sie als einen Beitrag zur europäischen Sicherheit. Unverkennbar ist der untrennbare Zusammenhang zwischen Abrüstung, europäischer Sicherheit und deutscher Frage. Es wird ohne die Lösung der deutschen Frage in Europa eine dauerhafte Friedensregelung nicht geben.
Es entspricht unserem Bemühen um ein schrittweises Vorgehen, wenn wir in der Wahrung des Zusammenhangs zwischen europäischer Sicherheit und Fortschritten in der deutschen Frage die Elastizität zeigen, die es ermöglicht, jeweils dort Fortschritte zu machen, wo die Voraussetzungen am günstigsten sind.
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Die Verbündeten der Bundesrepublik werden allerdings sichtbarer als bisher erkennen lassen müssen, .daß die 'Genfer Verhandlungen, an denen wir nicht beteiligt sind, nur 'im engsten Einvernehmen mit der Bundesrepublik geführt werden.
Die von uns gewünschten deutschen Initiativen nach Osteuropa haben durch die Brüsseler NATO- Konferenz eine starke Unterstützung erfahren. Wir stimmen voll mit der Bundesregierung überein, wenn sie an Stelle der Verhandlungen von Paktsystem zu Paktsystem zweiseitige Verhandlungen wünscht. Wir können kein Interesse daran haben, die Verhandlungen von der sehr unibeweglichen Plattform 'der Paktsysteme aus zu 'führen. Im übrigen würden wir dabei die Erfahrung machen, daß in einem solchen Fall das langsamste Schiff im Geleitzug das Tempe bestimmt, d. h. nur das Maß an Fortschritten möglich ist, das von den zurückhaltendsten Partnern in beiden Bereichen gewünscht wird. Wir sehen aber die Möglichkeiten deutscher Ostpolitik gerade darin, mit denjenigen Ländern in Osteuropa zu beginnen, die sich den neuen Entwicklungen gegenüber am aufgeschlossensten verhalten. Wir sind überzeugt, daß die beginnende Entwicklung, deren zeitlicher Ablauf heute noch nicht übersehen werden kann, eines Tages in eine europäische Sicherheitskonferenz einmünden wird. Es muß also unser Bestreben sein, bis zu diesem Tage eine möglichst breite politische Plattform für unsere Mitwirkung an dieser Konferenz zu schaffen.
Der Begriff „europäische Sicherheitskonferenz" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sicherheit für Europa nur möglich ist unter Beteiligung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Manche Stimme aus Osteuropa bestätigt uns in der Auffassung, daß dort eine realistischere Einschätzung dieser Frage an Boden gewinnt. Unter den gegebenen Umständen ist ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem ohne die Vereinigten Staaten nicht denkbar. Weil in 'der deutschen Frage angesichts der nationalen Selbständigkeitsbestrebungen in Osteuropa das Gewicht der sicherheitspolitischen Interessen neben den ideologischen Fragen zunimmt, kann ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem heute wie in der Vergangenheit den Weg zur Lösung der deutschen Frage eröffnen und ebnen.
Es wäre aus diesem Grunde wenig ratsam, würde die Bundesrepublik als Gegner einer solchen Sicherheitskonferenz erscheinen. Unsere Initiative muß vielmehr darauf gerichtet sein, die Vorbereitung einer solchen Konferenz mit solchem Nachdruck und mit solcher Gründlichkeit zu betreiben, daß eine Verknüpfung mit der deutschen Frage möglich wird.
Die Politik der Bundesregierung ist unverändert dem Hauptziel der deutschen Politik, nämlich der Wiederherstellung der deutschen 'Einheit in Frieden und Freiheit, verpflichtet. Jede Veränderung in der europäischen Politik, jede Veränderung in dem Gefüge der Paktsysteme muß von uns 'auf Möglichkeiten und Ansatzpunkte für die deutsche Frage untersucht werden.
Zweifellos dient jede Entwicklung der Annäherung an Europa auch der Annäherung an Deutschland. Eine Veränderung ides europäischen Klimas kann auf die Dauer nicht haltmachen vor den Toren Mitteldeutschlands.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein verläßlicher Partner im Rahmen 'der NATO. Sie ist bereit, ihren Anteil im Rahmen des Bündnisses zu tragen und auf der Grundlage dieses Bündnisses zu höheren, weitreichenderen Regelungen im Rahmen der europäischen Sicherheit hinzuwirken. Wir erwarten aber von unseren Partnern, daß sie die Grenzen erkennen, die uns durch die Spaltung unseres Vaterlandes und durch unseren Willen, unverrückbar auf die 'deutsche Einheit hinzuarbeiten, gesetzt sind.
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Die Politik des Friedens, die wir alle wollen, die die Bundesregierung vertritt, die sie in vorbildlicher Weise .in ihrer Friedensnote verdeutlicht hat, muß durch eine Fortsetzung dieser Friedensinitiative für alle Länder Europas, auch im Warschauer Pakt, deutlich machen, daß die Lösung der 'deutschen Frage der
wichtigste Beitrag für eine dauerhafte Sicherheitsordnung in Europa ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete von Guttenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für bedauerlich, daß diese Debatte vor einem derart leeren Hause stattfindet, - dies nicht deshalb, weil der Redner, der hier steht, sich damit abzufinden hal, sondern einfach deshalb, weil die Öffentlichkeit eine solche Debatte mithört und weil hier der Eindruck aufkommen könnte, als ob die Schicksalsfragen, um die es in einer solchen Debatte geht, in unserem Hause nicht die Beachtung fänden, die sie verdienen.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht vor, Ihnen eine lange Rede zu halten. Ich möchte aber doch zu einigen Punkten Stellung nehmen, die in den Reden der Sprecher der Fraktionen berührt wurden.
Ich darf einen Satz zu dem sagen, was soeben der Herr Vorsitzende der Koalitionsfraktion der FDP gesagt hat. Er hat den Gedanken aufgebracht; eine allgemeine Erklärung der Bundesregierung zur Frage des Alleinvertretungsrechts an eine große Zahl von Staaten zu schicken, um auf diese Weise - so drückte er sich aus - die Handlungsfreiheit der Bundesregierung zu erweitern. Gewiß, man sollte über diesen Vorschlag nachdenken. Das Nachdenken, das ich bis zu diesem Zeitpunkt hier vollzogen habe, führt mich zu folgendem Ergebnis: Ich glaube, wenn man tatsächlich der Ansicht wäre, durch eine solche generelle Erklärung Handlungsfreiheit auf diesem Felde schaffen oder erweitern zu können, dann nähme man damit an, daß eine völkerrechtliche Erklärung mehr Gewicht besitze als tatsächliche, konkrete Handlungen. Ich fürchte daher, daß eine solche Erklärung, die man nach dem römischen Recht dann vielleicht eine protestatio facto contraria" nennen müßte, sogar dazu führen könnte, daß die Glaubwürdigkeit des Alleinvertretungsrechts eingeschränkt wird.
Ich möchte auch noch einen Satz zu dem sagen, was Herr Kollege Wehner im Zusammenhang mit dem Vorschlag eines Austausches von Gewaltverzichtserklärungen gesagt hat. Herr Kollege Wehner, es ist doch nicht zu bestreiten, daß es bei dem Gedanken eines derartigen Austausches von Gewaltverzichtserklärungen mit osteuropäischen Regierungen das Problem der Zone gibt. Es ist doch auch nicht zu bestreiten, daß es von drüben den konkreten und täglich vorgetragenen Willen gibt, uns zu einer Aufwertung und Anerkennung der SBZ zu zwingen, so daß wir uns hier also in dem Dilemma befinden, einerseits zum x-ten Male deutlich zu machen, daß wir selbstverständlich keine Absichten der Gewaltanwendung der Zone gegenüber haben, andererseits aber eine Form zu finden, die nirgends in der Welt als ein Element der Stabilisierung dieser Zone verstanden werden kann.
Erlauben Sie mir, auf das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern zurückzukommen, das Sie, Herr Kollege Wehner, hier zitiert haben. Sie sagten, es könnte sich eines Tages herausstellen, daß die deutsche Politik, die Bundesregierung nichts mehr vorzuzeigen habe, daß sie also nackt dastehe. Ich bin hier anderer Meinung, Herr Kollege Wehner, ich glaube, daß die Freiheitsforderung der deutschen Politik das Gewand all unserer politischen Schritte ist, und ich behaupte, daß diese Freiheitsforderung eine starke Karte unserer Politik ist. Wäre sie das nicht, würde die Sowjetunion nicht alles daransetzen, uns dieser Karte und dieses Kleides zu berauben.
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Daher glaube ich, daß wir uns auch in einem solchen Falle wie dem des Austausches von Gewaltverzichtserklärungen sehr wohl ernsthaft Gedanken darüber machen müssen, wie man dieses Problem einer Vermeidung der Auswertung oder Hinnahme der Zone in unschädlicher Weise lösen kann.
Ganz gewiß müßte es die Möglichkeit geben, hier einen Kompromiß zu finden. Nach meiner Meinung könnte diese Möglichkeit vielleicht dadurch gefunden werden, daß wir uns überlegen, der Sowjetunion - aber nur der Sowjetunion - einen solchen Austausch von Gewaltverzichtserklärungen hinsichtlich auch des Territoriums der Zone vorzuschlagen. Denn die Sowjetunion ist für die Zone zuständig. Wer wollte uns, wenn wir einen solchen Vorschlag machen, ob er dann durchgeführt wird oder nicht, noch verdächtigen?
Meine Damen und Herren, mir scheint, daß diese Debatte heute eine große Aktualität besitzt. Der Herr Minister sagte - und damit hat er sicher recht -, daß es sich bei den Gesprächen, die die Bundesregierung dieser Tage in Washington zu führen hat, um die turnusmäßige Abwicklung solcher Besuche handelt. Ich glaube jedoch, daß von der Bundesregierung in Washington Stellungnahmen erwartet werden, die den Rahmen der Tagespolitik sprengen. Daher halte ich es für gut und nützlich, daß diese Debatte heute die Möglichkeit gibt, uns mit Freimut und mit Ernst zu diesem Thema zu äußern, weil unsere Regierung wissen muß, was das Parlament von ihr erwartet, aber auch nicht minder deshalb, weil ja das Wort der Sprecher dieses Hauses auch nach draußen wirksam ist.
Ich fürchte, daß der Bundeskanzler keinen leichten Gang nach Washington zu gehen hat. Er wird dort zäh um deutsche Interessen ringen müssen. Daran, meine ich, kann niemand zweifeln, der die Entwicklungen der letzten Monate mit offenen Augen verfolgt hat.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich anschließen: Die Ehrlichkeit gebietet die Feststellung, daß es nicht die Willkür eines Partners, sondern vor allem anderen die objektive Veränderung der Lage ist, die die Behauptung der deutschen Interessen schwieriger und schwieriger macht.
Was ist nun diese Lage? Wenn Sie diese Frage heute der deutschen Öffentlichkeit stellen, dann
werden die meisten Befragten damit antworten, daß sie befriedigt auf eine gewisse Entspannung hinweisen, die seit Kuba und seit Berlin in Europa eingetreten ist; und sie werden gleichzeitig konstatieren, daß es manche hoffnungsvolle Entwicklung im östlichen Europa gibt. Ich wäre der letzte, der diese Fakten nicht bestätigte oder gar, wie so manche unfreundliche Zeitgenossen dies einem manchmal unterstellen, den heimlichen Wunsch hätte, zum kalten Krieg zurückkehren zu wollen.
Nur, so begrüßenswert es ist, daß uns gegenwärtig in Europa keine akute Krise mehr in Atem hält, so falsch wäre es meines Erachtens andererseits, zu glauben, daß die eingetretene Beruhigung etwa unsere Probleme erleichtern oder gar bereits einen Weg zu ihrer Lösung eröffnen könne; und dies aus zwei auf der Hand liegenden Gründen: einmal deshalb, weil die Windstille in Europa die Kehrseite des Sturmes ist, der derzeit in Asien weht, und zum anderen, weil der eigentliche Quell unserer Sorge, nämlich die Macht und die politische Zielsetzung der Sowjetunion uns gegenüber, unverändert fortbesteht.
Man soll daher zwei Dinge nicht verwechseln, nämlich einmal die gegenwärtig herrschende, von niemand bestrittene tatsächliche Entspannung und zum anderen das, was unter der Devise sogenannter Entspannungspolitik aktiv von da und dort betrieben wird. Das erste ist ein erfreulicher Sachverhalt. Das zweite erfordert jedoch die kritische Prüfung des jeweils realen Inhalts eines Schrittes oder Vorschlages, von dem der jeweilige Urheber sagt, daß er der Entspannung diene.
Ich bestreite nicht, daß es Bereiche gibt, in denen östliches und westliches Interesse zusammenfallen. Das gilt vor allem dort, wo beide Giganten Vorsorge treffen wollen gegen einen nuklearen Krieg. Aber ich behaupte, daß der Kern aller sowjetischen Entspannungsvorschläge letztlich etwas anderes ist als wirkliche, reale und dauerhafte Entspannung. Es ist die Konsolidierung, die Fixierung und Legitimierung des sowjetischen Besitzstandes in Europa.
Daher ist dies die Gretchenfrage an die deutsche Politik: Können wir, die Deutschen, einer sogenannten Entspannung zustimmen, die um den Preis der Hinnahme des Status quo gewonnen werden soll? Es gibt solche, die dies sagen, auch hier bei uns in Deutschland. Und es gibt viele, die so denken. Meine Meinung ist anders. Ein Deutschland, ja ein Europa, das sich mit dem Status quo der Teilung abfinden wollte, hätte sich selbst preisgegeben. Das ist nicht Theorie, das ist auch nicht blutleere theoretische Moral, das ist Wirklichkeit. Die Folge solcher Politik wäre nicht Entspannung und wäre nicht, wie viele hoffen, eine automatische Liberalisierung im kommunistischen Bereich, sondern sie wäre die sich langsam vollziehende weltgeschichtliche Niederlage des freien Westens in Europa.
Denn, meine Damen und Herren, die sowjetische Politik ist doch nur scheinbar defensiv, nur scheinbar mit dem Status quo zufrieden. Ich sage das an die Adresse des Kollegen Helmut Schmidt, der heute früh gesagt hat, daß die sowjetische Politik am Status quo interessiert sei. Die Sowjetunion ist doch nur scheinbar lediglich um Stabilität bemüht. Nicht daß Moskau etwa geradewegs ein kommunistisches Gesamtdeutschland ansteuerte - das ist eine Primitivvorstellung -, sondern das sowjetische Ziel ist offensiv in einem anderen, in einem viel realistischeren Sinn. Es ist die Sanktionierung und Verankerung eines Unrechtstatbestandes durch die freie Welt,
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und das heißt in der Logik der Geschichte und der Geographie der Teilung Deutschlands.
In der Tat, meine Damen und Herren, wäre es doch eine entscheidende Veränderung des Status quo zugunsten Moskaus, wäre es doch eine Niederlage des Westens, wenn es der Sowjetunion gelänge, uns Deutsche davon abzubringen, diesen Status quo weiterhin konkret und aktiv in Frage zu stellen.
Mit anderen Worten: Das offensive Ziel der sowjetischen Europapolitik ist die Entaktualisierung des deutschen Wiedervereinigungsverlangens. Es ist die praktische Anerkennung - die praktische, sage ich, nicht die rechtliche - des zweiten und dritten deutschen Staates, wie sie drüben sagen. Dieses Ziel ist offensiv, weil es erstens die Sowjetunion selbst vom Druck der deutschen Freiheitsforderung befreien und weil es zweitens dazu dienen soll, die Bundesrepublik und ihre Partner zu entzweien. Das ist der harte Kern aller sowjetischen Entspannungs- und Koexistenzpolitik. Die SBZ, das SBZ-Regime soll eine „res extra commercium", eine undiskutable Sache werden.
Meine Damen und Herren, in dieses Bild einer geschickten und erfolgreich verschleierten politischen Offensive fügt sich nahtlos ein, daß hinter der äußeren Kulisse der eingetretenen Entspannung die sowjetische Militärmacht zügig und kräftig verstärkt und gesteigert wurde. Ich brauche Ihnen die diesbezüglichen Zahlen und Fakten nicht zu wiederholen; sie sind bekannt, und sie sind leider nur allzu eindrucksvoll.
Das alles bedeutet natürlich nicht, daß die deutsche Ostpolitik etwa zum Nichtstun, zum „Schotten dicht" verurteilt sei und daß sie keine Chance zum Handeln habe. Im Gegenteil! Nur dies: Man sollte endlich aufhören, den deutschen „Immobilismus" zu beklagen. Sehr wahr, es gibt eine, eine einzige und leider überaus mächtige Quelle des Immobilismus in Europa, nämlich das absolute, das uneingeschränkte, das harte, verbissene Nein der Sowjetunion, über Veränderungen, die wir von ihr wünschen, auch nur zu reden.
Ich weiß, daß es nicht populär ist und daß es nicht dem sogenannten Trend - wie dieses schöne neue deutsche Wort heißt - der öffentlichen Meinung bei uns entspricht, all dies hier ungeschminkt zu sagen. Aber, meine Damen und Herren, was um Himmels willen ist die Pflicht des Parlaments? Sich einem solchen Trend zu beugen, von dem man weiß, daß er bedrohlich ist, nur deshalb, weil er Mode ist, weil er dem Wunsch entspricht, den andere uns gegenüber aussprechen?
Unsere Partner müssen wissen, daß die Stabilität des freien Deutschland nicht ungemessener Belastung auszusetzen ist. Wenn wir das sagen - das möchte ich mit allem Nachdruck unterstreichen -, dann tun wir dies aus einem Grunde, nämlich um zu warnen. Wir erwarten, daß man unter Alliierten zu unterscheiden weiß zwischen der Sorge derer, die da warnen, und den Wahnideen derer, die da glauben, drohen oder gar erpressen zu können. Man kann, ja, man muß von den Deutschen Geduld erwarten. Dagegen stemmt sich niemand, und davon ist auch nicht die Rede.
Was man hingegen von den Deutschen nicht erwarten kann, wäre ein stilles und ein sozusagen gottergeben frommes Sichschicken in eine Situation, deren wesentliche Elemente die folgenden wären: der praktische Verzicht auf die deutsche Wiedervereinigung, die Stagnation des hoffnungsvollsten Beginnens unserer Politik: der Einigung Europas, die schleichende Korrosion des atlantischen Bündnisses und ein beginnendes militärisches Desengagement der Vereinigten Staaten von Europa.
Ich behaupte nicht, daß all dies schon auf dem Wege sei. Ja, ich sage im Gegenteil, daß sich derart bedrohliche potentielle Entwicklungen zwar fraglos heute vor unseren Augen abzeichnen, daß sie jedoch durch eine kluge und tatkräftige deutsche Politik weitgehend aufgehalten, geändert und auf andere Wege geleitet werden können. Ich habe die Zuversicht - und ich glaube, wir alle sollten sie teilen -, daß sich ein Alliierter, wie immer er heißt, von uns vor die konkrete Frage gestellt, zwischen Lebensrechten des Freundes und den Interessen des Gegners zu wählen, im Zweifel für seinen Alliierten entscheiden wird.
Die gegenwärtige Situation, das unbestreitbar eingetretene Dilemma der deutschen Politik ist ja nicht von ungefähr entstanden. Es ist vor unseren Augen herangereift. Heute besteht es nach meiner Meinung erstens darin, daß die Vereinigten Staaten nicht mehr zur Verfügung stehen und - ich erkläre das mit Nachdruck - derzeit nicht zur Verfügung stehen können für eine konkrete, aktive und kontinuierliche Politik der Infragestellung des Status quo, der Konfrontation der Sowjetunion mit der deutschen Frage. Und dieses Dilemma besteht zweitens darin, daß das Interesse der Vereinigten Staaten ständig gewachsen ist, gewisse Brücken zum sowjetischen Gegner zu bauen, Brücken, deren Fundament die Maxime des „quieta non movere" und deren Bausteine amerikanisch-sowjetische Gemeinsamkeiten sind, die zwar dem amerikanischen, nicht aber in jedem Falle dem deutschen und dem europäischen Interesse entsprechen. Drittens, meine Damen und Herren, besteht dieses Dilemma in der Tatsache, daß es bisher nicht gelungen ist, aus der offenen Krise der NATO und aus der schleichenden Krise der europäischen Einigungspolitik den Weg nach vorn zu finden.
Meine Damen und Herren, zu diesem dritten Punkt ein - aus Zeitgründen kurzes - Wort. Herr Kissinger, ein angesehener amerikanischer Denker, ein guter Freund der NATO und der deutsch-amerikanischen Allianz, hat letzthin den beherzigenswerten Satz geschrieben:
Was in der Außenpolitik nicht als neuer Anfang genützt wird, das erweist sich schnell als der Beginn des Niedergangs.
Mir scheint, daß dieser Satz uneingeschränkt und mit geradezu gebieterischer Eindringlichkeit für unsere Stellungnahme zur NATO und zur politischen Einigung Europas gilt. Es wäre ungenügend, ja, meine Damen und Herren, es wäre - um mit Kissinger zu sprechen - der Beginn wirklichen Niedergangs, wollten wir uns damit begnügen, starr und immobil an den alten Maximen und Dogmen festzuhalen, die Eigenmächtigkeit der Franzosen zu beklagen, wollten wir uns damit begnügen, den Stuhl für die Franzosen freizuhalten, den sie jeweils - zu unserem Bedauern! - verlassen haben, und im übrigen vielleicht Einflüsterungen unterliegen, die uns nichts anderes zu raten wissen, als sich eben bedauernd von einem französischen Partner abzuwenden, mit dem nichts, aber auch gar nichts zu machen sei.
Nach meiner Meinung ist es anders. Ich glaube, daß wir erkennen und daß wir die Erkenntnis praktizieren sollten, daß jeder unserer Partner im Bündnis seinen eigenen, seinen spezifischen und seinen ihm gemäßen Wert für die deutsche Politik besitzt. Der Wert Amerikas ist jedem in diesem Hause bewußt: es ist der Wert einer unersetzlichen, unverzichtbaren Garantiemacht für die deutsche Sicherheit. Also ist der Wert der Vereinigten Staaten in diesem Bündnissystem für uns militärischer und politischer Natur, mit dem Akzent allerdings auf dem Thema Sicherheit, auf dem Thema Bündnis. Der spezifische Wert des französischen Nachbarn ist erst in zweiter Linie militärisch. Vor allem besteht er in der Rolle unseres politischen Partners auf der europäischen Bühne; in der Rolle des -- erlauben Sie mir das Wort - Bürgen für das neue Deutschland, dessen also, der ja doch - nicht anders als die Sowjetunion, nicht anders als Polen, als die Tschechoslowakei, als Ungarn - unter der Vergewaltigung durch ein vergangenes Deutschland gelitten und dennoch und ostentativ die Versöhnung vollzogen hat. Der Wert dieses französischen Partners besteht weiterhin darin, daß es eine weitgehende, objektive Identität der Interessen zwischen Frankreich und Deutschland gibt, die genützt werden kann; trotz oder wegen de Gaulle, wie immer der einzelne dies beurteilen mag.
Der Weg nach vorn, der neue Anfang, von dem Kissinger gesprochen hat, er ist nach meiner Meinung - ich sage das rundheraus - nicht anders zu gehen als in wachsender Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und Frankreich. Ich bin dankbar, auch aus den Reihen der Sozialdemokratie die Aufforderung zu hören, sich um Verzahnung mit Frankreich und um die Realisierung solchen Weges zu bemühen. Dabei wissen wir alle, daß solche Gemeinsamkeit nicht leicht und nicht um die nächste Ecke herum zu verwirklichen ist, daß man sie nicht sozusagen nur durch einen Entschluß bereits herbeiführen kann. Das gewiß nicht. Aber wer wollte denn bestreiten, daß angesichts der weltpolitischen Ver2916
änderungen das Gewicht und der Wert der deutschfranzösischen Solidarität in wachsendem Maße offenkundig, deutlich und unbestreitbar geworden ist?
Herr Kissinger hat in dem gleichen Zusammenhang noch einen anderen Satz geschrieben; er lautet wörtlich:
Ein größeres Maß an politischer und militärischer Selbständigkeit Europas ist essentiell für den Zusammenhalt des Westens und ist daher im Interesse Amerikas.
Der Satz trifft den Kern der Dinge. Europa muß zusammenwachsen, nicht, weil es sich von Amerika zu trennen, sondern, weil es das Bündnis mit Amerika zu festigen gilt.
Ich nehme auf, was Herr Helmut Schmidt heute vormittag gesagt hat, als er davon sprach, daß die Struktur der amerikanischen Allianz sich ändern müsse, daß aus dem Patronat Amerikas über Europa eine Partnerschaft zwischen Amerika und Europa entstehen solle. Früher haben das andere gesagt; die hat man dann als antiamerikanisch verschrien, nicht wahr, Herr Kollege Schmidt!? Ich bin dankbar, daß es heute anders tönt. Wir haben, meine ich, eigentlich nur die Frage - was heißt „nur"? -, die große Frage zu beantworten: Wie soll Europa zusammenfinden? Diese Frage zu beantworten, heißt doch: es wird nur dann ein gemeinsames Europa geben, wenn es Frankreich und Deutschland gelingt, geeinte Wege zu gehen.
({2})
Wer denn in aller Welt, im Osten oder im Westen, würde es uns Deutschen honorieren, wenn wir es unterlassen wollten, jeden, aber auch jeden Versuch zu unternehmen, konkret, aktiv und hartnäckig die Zusammenarbeit mit Frankreich zu verwirklichen? Niemand - wohlgemerkt niemand! - plädiert hier in diesem Hause dafür, sich an die Rockschöße des französischen Generals zu hängen. Erlauben Sie mir aber hinzuzusetzen, daß dies in gleichem Maße falsch wäre, wie man es andererseits paradox nennen müßte, wollten wir etwa, an den Rockschößen des amerikanischen Präsidenten hängend, aus Gründen unserer Sicherheit Plänen zustimmen, die unserer Sicherheit zuwiderlaufen. Worauf es ankommt, ist eine stetige deutsche Politik, die es versteht, in der Interessenlage der anderen die eigene Chance jeweils zu erkennen und zu nützen.
Ich habe gesagt, daß von den Vereinigten Staaten gegenwärtig nicht erwartet werden könne, die Sowjetunion mit deutschen Fragen zu bedrängen. Deshalb, vor allem deshalb, aber auch aus einer Reihe von anderen Gründen, sollten wir ein Wort begrüßen, das vor geraumer Zeit einmal das Hohe Haus beschäftigt und zu kontroverser Diskussion geführt hat. Ich rede von dem Wort de Gaulles von der „Europäisierung der Deutschland-Frage". Sie, meine Damen und Herren von der Linken haben seinerzeit durch Ihren Sprecher erklärt, mit dieser Formel strebe Frankreich möglicherweise an, die Vereinigten Staaten von der Mitwirkung an der
Lösung der deutschen Frage auszuschließen. Ich habe den Eindruck - vielleicht irre ich mich -, daß diese Interpretation heute auch bei Ihnen einer neuen Sicht zu weichen beginnt. In der Tat, gibt es nicht heute allen Anlaß, die deutsche Frage als eine Sache zu begreifen, die in erster Linie in der Hand der Europäer liegen muß? Sollte man nicht auch auf diesem Felde endlich lernen, statt in künstlichen Alternativen in jenen natürlichen Prioritäten zu denken, die Geographie und Geschichte den Handelnden jeweils setzen?
Europäisierung der Deutschland-Frage! Haben wir nicht bereits damals mit dieser Sache begonnen, als wir die ersten Schritte zur Einigung Europas taten? Ist es nicht heute eine sozusagen unbestrittene Maxime, oder mindestens eine beinahe unbestrittene Maxime, daß Gemeinsamer Markt und Politische Union Europas als Stationen zur Wiedervereinigung Europas und damit zur Wiedervereinigung Deutschlands begriffen werden müssen?
Lassen Sie mich ein paar Sätze auch zur Frage Osteuropa sagen. Ich bin der Meinung, daß die Europäisierung der Deutschland-Frage selbstverständlich so, wie sie diesen westlichen Aspekt besitzt, den ich eben geschildert habe, auch einen östlichen Aspekt besitzt. Hierbei geht es darum, zu begreifen, daß die Wiedervereinigung eines freien Deutschlands nicht ohne eine Änderung auch der osteuropäischen Landschaft vorzustellen ist. Deshalb muß eine solche Europäisierung der DeutschlandFrage von uns auch ostpolitische Aktion verlangen. Aber wer könnte denn übersehen, daß die Teilung unseres Landes ein effektiv bestehendes Handikap für unsere Handlungsfreiheit gegenüber Osteuropa ist? Vielleicht könnte man sich vorstellen - wenn Sie mir gestatten, sozusagen laut zu denken -, daß solche Handlungsfreiheit sich erweitern ließe, wenn man ein gemeinsames französisch-deutsches Aktionsprogramm auf dem Hintergrunde einer gleichfalls mit Frankreich gemeinsam erarbeiteten und erklärten Deutschlandpolitik vereinbaren könnte? So etwas besteht noch nicht, und so haben wir die Chancen und Risiken unserer Europapolitik heute allein zu bedenken, allein zu nutzen und allein zu tragen.
Meine Damen und Herren, was heißt aktive Osteuropapolitik? Das heißt doch vor allem und in erster Linie, die Polen, die Tschechen, die Ungarn, die Rumänen, die Jugoslawen und die Bulgaren langsam und Schritt für Schritt für unsere Sache zu gewinnen. Nicht, daß diese Völker etwa noch nicht wüßten, daß das neue Deutschland nichts mehr mit dem Zerrbild Deutschlands unter Hitler zu tun hat. Es gibt ja kaum einen Reisenden, der aus dieser Region nicht die Erkenntnis zurückbringt, daß die Bundesrepublik dort generell und in der Regel einen guten Namen hat. Dennoch sollten wir nach Kräften menschliche Kontakte, kulturellen Austausch und touristisches Kennenlernen fördern, und wir sollten politisch klugen Gebrauch - Gebrauch sage ich - von den stetig wachsenden Handelsbeziehungen zwischen uns und diesen Ländern machen. Auf diese Weise können wir hoffen, ein Kapital des „Goodwill" einzusammeln, das eines Tages zu Buche schlagen wird.
Herr Kollege Helmut Schmidt, Sie haben heute morgng nicht gerade dazen mit Blick auf Polen etwas gesagt, was nach meiner Meinuu dienlich war, einen solchen Good will in Polen zu erwecken. Sie sagten den Satz: In Polen liebt keiner die Deutschen.
Nun, ich möchte in diesem Zusammenhang nicht die Frage untersuchen, wer heute allzu „zackig" hier gesprochen hat. Ich will Ihnen, Herr Kollege Helmut Schmidt, nur dies antworten: Ist dieses Wort, das Sie hier so in die Welt gesetzt haben, die rechte Antwort auf die Tatsache, daß sich die Bischöfe Polens ,durch eine öffentliche Erklärung, daß sie die Versöhnung mit den Deutschen wünschen, schwere Sorgen aufgeladen haben?
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr von Guttenberg, sind Sie bereit, sich daran zu erinnern, daß ich erstens die Rolle Wyszinskis und der katholischen Kirche gegenwärtig sehr wohl, wenn auch kurz, gewürdigt habe und daß ich zweitens nicht gesagt habe: „In Polen liebt keiner die Deutschen", sondern ich habe gesagt: „In Polen liebt keiner die Russen und es liebt keiner die Deutschen"?
Ich habe mich hier mit dem deutsch-polnischen Verhältnis befaßt, und ich halte es nicht für einen guten Beitrag zur Versöhnung zwischen diesen beiden Staaten und Völkern, wenn hier ein Mitglied des Hauses sagt: Da idriiben liebt uns keiner, ({0})
und dies angesichts der Tatsache, daß offenbar auch
das polnische Volk zur Versöhnung bereit ist; sonst
hätten die polnischen Bischöfe nicht so gesprochen,
({1})
während die polnische Regierung offenbar leider den Haß vermehren will, soweit es diesen noch gibt. - Wir sollten also nicht sagen, daß dort drüben sozusagen alles versperrt sei.
Zum zweiten, Herr Kollege Schmidt! Wer hier redet, muß wissen, daß er als Parlamentarier auch draußen gehört wird, und er sollte daher, meine ich, ein wenig auf die Formulierung achten. Wenn hier Kollege Helmut Schmidt zum Thema Handlungsfreiheit der polnischen Regierung einerseits und Streit zwischen Staat und Kirche in Polen andererseits gesprochen hat und wenn er sagte, daß es in diesem Zusammenhang eine Einschränkung der Handlungsfreiheit der polnischen Regierung gebe, dann antworte ich darauf, daß auch hier etwas mehr Zurückhaltung unserer Redner notwendig ist
({2}) und daß man in dieser Sache leiser und etwas weniger spektakulär reden sollte.
Nun, meine Damen und Herren, bei aller gebotenen Differenzierung dessen, was wir heute in Osteuropa sehen, ist doch eine Feststellung leider noch immer korrekt: keine der dortigen kommunistischen Regierungen hat sich bisher substantiell von der sowjetischen Teilungspolitik gegenüber Deutschland gelöst oder, genauer gesagt, zu lösen vermocht. Dies und nichts anderes ist der Grund für das Nichtvorhandensein diplomatischer Beziehungen etwa zwischen Rumänien und uns.
({3})
Meine Damen und Herren, es geht hier in erster Linie um Deutschlandpolitik. Ich warne davor, zu glauben, daß es hier nur um Rumänienpolitik ginge. Es wäre falsch und kurzsichtig, wollte man diese Frage nur mit dem Blick auf Rumänien sehen, statt vorrangig - ich sage „vorrangig" - möglicherweise nicht absehbare deutschlandpolitische Konsequenzen zu bedenken.
Zudem: wird nicht nachgerade dem Instrument diplomatischer Beziehungen eine Bedeutung zugemessen, die ihm gerade in kommunistisch beherrschten Ländern - leider, muß man sagen - nicht zukommt?
({4})
Ist es uns nicht, wenn auch in unterschiedlichem Maße, auch ohne diplomatische Beziehungen in den osteuropäischen Ländern gelungen, unseren Handel stetig auf ein beträchtliches Maß auszuweiten, auf andere und vielleicht wirksamere Weise kulturell und menschlich als Volk präsent zu werden? Und vor allem: Welcher Vorteil entspricht denn dem Risiko, das eingegangen werden müßte? Als der Kanzler Adenauer den diplomatischen Kontakt mit Moskau herstellte, war damit die Rückkehr vieler tausend deutscher Gefangener verbunden. In Rumänien warten heute seit langen Jahren noch immer Tausende von Deutschen auf die Ausreisegenehmigung zu ihren Familien nach Deutschland.
({5})
Die Zahl derer, die eine solche Ausreisebewilligung erhalten haben, um mit ihren Familienangehörigen zusammenzukommen, ist leider in den letzten Monaten auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Es wäre pflichtvergessen, wollten wir über diese Dinge in diesem Zusammenhang einfach hinweggehen.
Niemand leugnet, daß es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen der Anerkennung der sogenannten DDR durch einen neutralen Staat und dem Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen diesem Pseudostaat und einem im Herrschaftsbereich Moskaus gelegenen alten europäischen Staat. Der anzulegende Maßstab ist gewiß ein anderer. Dennoch handelt es sich auch hinsichtlich Osteuropas um einen deutschlandpolitischen Maßstab.
Es wäre aber selbstverständlich verfehlt, wenn wir diese Sache nur statisch betrachten wollten. Der Spielraum des Möglichen kann sich - ich sage „kann sich" - durchaus erweitern; entweder dadurch, daß der betreffende Staat die Freiheit ge2918
winnt, sich sichtbar von der sowjetischen Teilungspolitik zu entfernen, oder aber dann, wenn es gelten sollte, eine Chance zu ergreifen, um solches Abrücken aktiv zu fördern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ende kommen und an diese Betrachtung ein kurzes generelles Wort anschließen. Es sieht gegenwärtig, fürchte ich, danach aus, daß wir aller Kraft und aller Energie bedürfen, um uns und unsere Sache in der Welt zu behaupten. Unser Land ist seit über 20 Jahren geteilt, und - wie könnte es auch anders sein - der Chor der Stimmen wächst, die den Störenfried nicht in dem 'erblicken, der das Unrecht schuf, sondern in dem, der es ändern will. Unser Gegner ist unerbittlich. Er bleibt bis auf diesen Tag unzugänglich für jeden Vorschlag, sich auf ein Geben und Nehmen einzulassen. Unter unseren Freunden wächst 'die Zahl derer, die von uns, den Deutschen, erwarten, daß wir geben, ohne zu nehmen. Dennoch wage ich zu sagen, 'daß die deutsche Sache nur von den Deutschen selbst gewonnen oder verlorengegeben werden kann. Denn mit uns ist die letzte und die entscheidende Realität der Geschichte, der Wille der Völker.
Hier in unserem Lande 'ist eine Generation herangewachsen, deren sittliche Kraft nicht mehr von den Schuldkomplexen beladen est, die die vorherige Generation noch mit sich schleppt. Drüben, jenseits von Stacheldraht und Mauer, da lebt doch jene Kraft - oder ist einer da, der 'dies bezweifelt? -, die seit alter Zeit den Tyrannen das Fürchten lehrt: die Sehnsucht der Menschen, frei zu sein.
Ich wollte dies am Ende sagen, um eine Rede damit zu beschließen, die der undankbaren Aufgabe gewidmet war, ein unbequemer Mahner sein zu müssen. Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Genscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der Freien Demokraten hier noch einmal ausdrücklich begrüßen, daß wir diese Möglichkeit zu einer Aussprache über die Fragen der europäischen Sicherheit heute durch die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion erhalten haben. Wir fühlen uns in dieser Auffassung gerade durch das bestätigt, was der Herr Kollege 'Guttenberg hier in seinen Ausführungen vorgetragen hat, durch die Tatsache nämlich, daß ,er auf 'den Vorschlag des Vorsitzenden meiner Fraktion einging, eine generelle Erklärung abzugeben, in der wir unsere Vorbehalte sowohl in bezug auf den Status von West-Berlin wie auf unseren politischen Anspruch, für alle Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze zu sprechen, deutlich machen können. Der Herr Kollege von Guttenberg hat gesagt, in der kurzen Zeit, die ihm hier zur Überlegung zur Verfügung gestanden habe, könne er sich eigentlich nur einen Kompromiß in dieser Frage vorstellen, nämlich den, daß eine solche Erklärung gegenüber der Sowjetunion abgegeben werde. Ganz sicher, Herr Kollege, - auch gegenüber der Sowjetunion! Aber es wäre falsch, wenn wir in diesem Zeitpunkt der Desintegration wenigstens im politischen Bereich Osteuropas darauf verzichten würden, diese Entwicklung durch ein Ansprechen auch der osteuropäischen Länder in der deutschen Frage zu unterstützen. Wir müssen sie fördern.
({0})
Ich glaube, es war der Herr Kollege Schmidt, der hier sagte, daß wir die Weiterentwicklung des in Osteuropa in Gang gekommenen Prozesses nur dann langfristig erhoffen können, wenn wir durch Reaktionen aus dem freien Teil Europas ermutigen und in den früheren Block Osteuropa hineinwirken. Niemand kann bestreiten, daß schon heute der Begriff „Block Osteuropa" nicht mehr gerechtfertigt ist. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß gerade die Bukarester Erklärung - die Umstände ihres Zustandekommens, aber auch ihre Formulierung - deutlich machte, welche Schwierigkeiten die Länder Osteuropas heute schon haben, wenn sie in bezug auf die Probleme europäischer Sicherheit, aber auch in bezug auf die deutsche Frage eine gemeinsame Sprache finden wollen. Das ist ein politisches Faktum, an das anzuknüpfen Aufgabe deutscher Politik ist. Wenn wir diesen Tatbestand berücksichtigen, dann wären wir falsch beraten, wenn wir die Sowjetunion als alleinigen Partner zur Lösung der deutschen Frage in Osteuropa ansähen.
Ich stimme dem Herrn Kollegen Guttenberg durchaus zu, wenn er sagt, daß die Europäisierung der deutschen Frage, d. h. die Einbeziehung des deutschen Problems in eine neue europäische Entwicklung, und der Nutzen, der sich daraus für die Lösung der deutschen Frage ergeben kann, ein positives Faktum ist. Aber diese Europäisierung der deutschen Frage darf eben nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben, sondern wir müssen den gleichen Begriff auch beim Hineinwirken nach Osteuropa verwenden. Die Bundesrepublik wird gerade in den nächsten Monaten in ihrem Bemühen, die deutsche Frage immer wieder in den Mittelpunkt nicht nur der deutschen Politik, sondern auch der europäischen Politik zu stellen, daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, den Zusammenhang zwischen europäischer Sicherheit einerseits und deutscher Frage andererseits zu verdeutlichen. Es wäre ganz falsch, wenn wir hier allein durch den Hinweis auf diesen Zusammenhang sozusagen glaubten, uns damit begnügen zu können, zu warten, bis andere Länder diesen Zusammenhang so erkennen wie wir. Unsere Aufgabe muß es sein, durch sehr konstruktive Vorschläge für die europäische Sicherheit auf diese Entwicklung, auf die Sicherheitsdiskussion in Osteuropa Einfluß zu gewinnen.
Wir meinen - ich kann nur noch einmal das unterstreichen, was der Vorsitzende meiner Fraktion gesagt hat -, daß die Bundesregierung gut beraten war, als sie in Brüssel darauf bestand, daß eben nicht Paktsystem mit Paktsystem verhandelt, sondern daß wir die Möglichkeiten der zweiseitigen Verhandlungen und vielleicht auch der zweiseitigen Vereinbarungen mit den osteuropäischen Staaten sehen und nützen.
Das Angebot des Austauschs etwa von Beobachtern für Manöver zeigt neben dem Angebot des Austauschs von Gewaltverzichtserklärungen, daß die Bundesregierung den Sicherheitsfragen in diesem Zeitpunkt mit guten Gründen einen besonderen Vorrang einräumt. Wenn wir davon ausgehen, daß zu einem Zeitpunkt, der heute noch nicht feststeht, als Tatsache aber gewiß ist, alle Staaten dieses Kontinents zu einer europäischen Sicherheitskonferenz aufgerufen werden, dann muß es Aufgabe unserer Politik sein, unsere Ausgangsposition für diese europäische Sicherheitskonferenz so günstig wie möglich zu gestalten.
({1})
Wären wir diejenigen, die bis zuletzt nein sagen, die bis zuletzt mit Vorbedingungen nein sagen, so würden wir als der schlechteste und schwächste Partner am Tisch sitzen. Wenn wir dagegen durch ein Geflecht möglichst vieler zweiseitiger Vereinbarungen auch mit den Ländern Osteuropas bestimmte Probleme vorlösen könnten, wenn es uns gelänge, gerade etwa durch den Austausch dieser Inspekteure auch ein Verhältnis des Vertrauens mindestens zu einigen osteuropäischen Ländern zu schaffen, dann würde am Ende auch unsere Position bei einer solchen Konferenz besser sein, als sie es wäre, wenn wir eine solche Konferenz heute hätten.
Die Anregung, durch eine generelle Erklärung über unsere Auffassung vom Status Westberlins und über unseren politischen Anspruch, für das ganze deutsche Volk zu sprechen, unseren außenpolitischen Spielraum zu erweitern, ist Bestandteil einer Politik, die wir brauchen, um gerade dieser Entwicklung gerecht werden zu können. Ich kann hier nicht der Auffassung zustimmen, daß wir mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch sehr lange zurückhalten sollten. Es ist nicht anzunehmen, daß die Länder Osteuropas am Beginn eines Prozesses der Auflockerung ihren Standpunkt zur deutschen Frage verändern. Das muß das Ergebnis eines Auflockerungsprozesses sein.
({2})
- Ich würde bei der Entwicklung, die wir jetzt schon haben, Herr Kollege von Guttenberg, diese Chance nicht ausschließen. Wir sollten sie in jedem Fall nützen. Wenn wir sie in keinem Fall ausnützen, wird diese Chance überhaupt nicht real werden.
({3})
- Herr Kollege Jahn, nun warten Sie doch erst einmal, ob diese 20 Staaten die Sowjetzone anerkennen. Ich bin überzeugt, sie werden es nicht tun.
({4})
Herr Kollege von Guttenberg hat selbst zum Ausdruck gebracht, daß es - auch in der Beurteilung der Dritten Welt - durchaus ein Unterschied ist, ob ein Land unter den Voraussetzungen des Stalinismus diplomatische Beziehungen zur Zone aufgenommen hat oder ob es das aus freien Stücken tut.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Genscher, ich möchte Sie gern fragen, ob Sie meiner Auffassung zustimmen, daß z. B. die Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien oder einem anderen osteuropäischen Staat vorrangig eine Sache unserer Deutschlandpolitik und erst nachrangig eine Sache der jeweiligen Politik zum jeweiligen Staat ist.
Ich stimme dieser Auffassung völlig zu. Ich habe mich gefreut, daß auch Sie in Ihren Ausführungen die Frage, was für unsere Deutschlandpolitik nützlich ist, allein als Maßstab für jede Politik, gleichviel gegenüber welchem Land, anerkannt haben.
({0})
Wir meinen, daß die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Ländern Osteuropas nach einer solchen Klarstellung unserer Position durch eine überzeugende politische Erklärung gegenüber allen Staaten dieser Erde uns erst das Instrument schaffen wird, mit dem wir auch deutsche Politik in Osteuropa machen können.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn ich von der Erweiterung des außenpolitischen Spielraums spreche, so muß ich auch auf die Frage des Austauschs von Gewaltverzichtserklärungen eingehen. Die Bundesregierung hat mit Recht ein solches Angebot gemacht. Es wäre richtig, wenn wir in den Austausch dieser Erklärungen - nicht nur mit der Sowjetunion, sondern auch hier wiederum mit allen Staaten Osteuropas - auch die innerdeutschen Demarkationslinien einbezögen. Das wertet in keiner Weise den Status Mitteldeutschlands auf. Aber die Anerkennung auch der kommunistischen Staaten Osteuropas in einem Austausch von Erklärungen mit der Bundesrepublik, daß die innerdeutschen Demarkationslinien durch Gewalt nicht verändert werden sollen, bedeutet zugleich auch ein Mehr an Sicherheit für West-Berlin; das sollten wir nicht übersehen.
({2})
Wer die letzte Erklärung des SED-Chefs Ulbricht aufmerksam gelesen hat, der wird spüren, welche Sorge über den Erfolg einer deutschen Ostpolitik aus ihr spricht. Seine Erklärung, von einem ganzen Deutschland habe Europa immer wieder Gefahr gedroht, die deutsche Teilung sei sozusagen ein Garant der Sicherheit für Europa, ist doch in Wahrheit die Sorge, es könnte unserer Politik, der mit der Friedensnote eingeleiteten Politik der Bundesregierung, gelingen, Vorbehalte abzubauen, die heute noch in Osteuropa gegen die Bundesrepublik vorhanden sind. Diese künstlich genährten Vorbehalte
als Bestandteil der Propaganda Pankows sind doch in Wahrheit das Hauptargument für die Existenzberechtigung Ulbrichts und seiner Machthaber im osteuropäischen Bereich, und diese Vorbehalte sollten wir da abbauen, wo wir es nur können.
({3})
Das ist auch der Grund, warum wir hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß wir es nicht für nützlich halten, daß die Bundesrepublik auf eine Beteiligung an einer atomaren Gemeinschaftslösung hinwirkt.
Wir sind der Auffassung, daß die Anerkennung des Vetorechts und eine viel stärkere Mitwirkung in der Strategie des Bündnisses, eine Mitwirkung in der Krisenbewältigung, genau die Punkte sind, die auch in Washington auf dem Verhandlungskalender stehen sollten und die wir brauchen, um das Maß an Sicherheit und das Maß an Einführung deutscher Interessen in die Vorstellungen des Bündnisses zu garantieren, das wir brauchen, um die Sicherheit dieses Landes zu garantieren.
Meine Damen und Herren, ich muß hier noch ein Wort zu einer Frage sagen, die in Washington im Vordergrund stehen wird und die leider in der öffentlichen Diskussion wie auch in den Erklärungen verbündeter Politiker zu Unrecht mit einer anderen Frage in Zusammenhang gebracht worden ist. Es ist das Problem des Devisenausgleichs. Wir sind der Meinung - und hier wird eine Aufgabe der in Washington verhandelnden Regierungsdelegation liegen -, daß es eine Frage ist, ob die Bundeswehr Bedarf an Waffen hat, und daß es eine andere Frage ist, wieviele amerikanische Truppen in Europa stehen müssen.
({4})
Es wäre eine sehr theoretische und gekünstelte Betrachtungsweise, wenn man meinte, daß der Bedarf der Bundeswehr an Waffen einerseits immer parallel mit den Aufwendungen für Devisen der Amerikaner in Europa gehen müsse. Diesen Zusammenhang müssen wir aufreißen, wenn sich daraus nicht eine Belastung im Bündnis ergeben soll.
({5})
Es wäre aber ebenso falsch, wenn wir bei einer Herabsetzung der amerikanischen konventionellen Truppen in Europa - für den Fall, daß das in den Vorstellungen der Amerikaner liegen sollte - etwa glaubten, wir müßten nun durch eine Verstärkung unserer konventionellen Truppen hier eine Art Ausfallbürgschaft übernehmen. Wir würden damit genau eine Einengung unseres außenpolitischen Spielraums erreichen; denn heute schon sind unsere konventionellen Streitkräfte die stärksten in Europa. Hier ist einer der Gründe dafür, warum wir auch versuchen müssen, durch bilaterale Sicherheitsvereinbarungen mit den Ländern Osteuropas dort Übereinstimmung zu erzielen, wo ihre Interessen mit denen der Bundesrepublik übereinstimmen. Und das ist das Ziel, weniger sowjetische Truppen in Mitteldeutschland zu haben, als das heute der Fall ist. Das, was uns durch ihre Anwesenheit in Mitteldeutschland bedroht, was auch eine potentielle Gefahr für die Sicherheit West-Berlins sein kann, ist zugleich eine Einengung des nationalen Spielraums der osteuropäischen Länder. Diese Interessenparallelität zwischen der Bundesrepublik einerseits und den osteuropäischen Ländern andererseits gilt es zu wahren und auszunützen.
Meine Damen und Herren, wenn wir heute hier in dem Gespräch über Fragen der europäischen Sicherheit Vorschläge entwickeln und Meinungen austauschen, so wissen wir alle, daß in allen außenpolitischen Fragen niemand sagen kann, ob sein Konzept am Ende zum Erfolg führen wird. Aber wir sollten bereit sein zum Gespräch über jedes Konzept. Und wir sollten zu einem Zweiten bereit sein. Wir sollten bereit sein auch zum Risiko in der Deutschlandpolitik; denn unbestritten ist das größte Risiko für unsere Sicherheit überhaupt die deutsche Teilung. Sie müssen wir überwinden.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Bemerkungen am Schluß dieser Debatte.
Herr von Guttenberg, Sie haben gesagt, die sowjetische Außenpolitik sei uns gegenüber eben doch insofern offensiv, als sie eine Entaktualisierung des Deutschlandproblems erstrebe, als sie zum Ziele habe, die Deutschlandfrage zu einer res extra commercium zu machen, und das sei offensiv. Das kann man gewiß so sagen. Mann kann auch sagen, das sei eben der Ausdruck einer Strategie, die versucht, alles so zu lassen, wie es ist. „Extra commercium" heißt doch: aus dem Handel herausnehmen, so lassen, wie es ist. Es ist dies also ein Streit um Worte. In der Sache scheinen wir uns nicht sehr unterschieden zu haben. Nur, was nützt die beredte Klage über all das, wenn Sie gleichzeitig vom Handeln gegenüber den osteuropäischen Staaten und Nachbarn abraten?
Ich habe das, was Sie über die Rolle Frankreichs gesagt haben, mit großer Aufmerksamkeit gehört, und ich gestehe Ihnen gern, 'daß es mich auch beeindruckt hat. Darüber müßten wir bei anderer Gelegenheit noch lange miteinander reden. Wir können manches von den Themata, die Sie heute hier ausgebreitet haben, sowieso nicht in dieser Mittagsstunde miteinander klären. Aber die Warnung vor dem Handeln in Osteuropa, die ja nicht an uns gerichtet war, sondern an Herrn Schröder, habe ich nicht ganz verstanden, Herr von Guttenberg. Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, mich immer wieder anzugucken und mich auch ein paarmal zu nennen, aber in Wirklichkeit haben Sie ja mit dem Außenminister Ihrer eigenen Partei Zwiesprache gehalten.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr!
Herr Kollege Schmidt, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich hier nicht mit jemandem Zwiesprache halten, sondern das sagen wollte, was ich für richtig hielt?
Ich habe überhaupt nicht unterstellt, daß sie etwa nicht nur das gesagt hätten, was Sie für richtig halten. Im Gegenteil! Ich weiß, daß das - wir unterhalten uns ja auch privat - Ihre Meinung ist. Nur, Sie haben sich mit dieser Ihrer Meinung nicht an uns gerichtet, Sie haben sich mit dieser Ihrer Meinung an Herrn Erhard und an Herrn Schrader gerichtet. Aber Sie brauchen das hier nicht zuzugeben, Herr Kollege.
({0})
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Herr Kollege, Sie haben gesagt, ich hätte vom Handeln gegenüber Osteuropa abgeraten. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich nicht allgemein vom Handeln abgeraten, sondern im Gegenteil gesagt habe, daß es bestimmte Gebiete gibt, auf denen sogar mehr gehandelt werden sollte, dagegen andere, auf denen es Risiken gibt, die man beachten sollte?
Ja, ich habe Sie so verstanden.
({0})
Ich will Sie ja nicht fehlinterpretieren, im Gegenteil. Aber Sie haben der Regierung gegenüber von dem Handeln abgeraten, das sie sich vornimmt und wo .sie gerade dabei ist, wo Herr Schröder gesagt hat, darüber möchte er sich im Augenblick nicht sehr verbreiten. Davon haben Sie abgeraten; das war für jedermann, glaube ich, deutlich.
Wissen Sie, ich werfe Ihnen das ja nicht vor. Ich sage ja, darüber müßte man vielleicht reden, vielleicht auch im Auswärtigen Ausschuß. Ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie anderer Meinung sind als die Regierung. Wir haben viele Punkte, wo wir anderer Meinung sind als die Regierung. Das kann man Ihnen nicht vorwerfen.
({1})
Sie haben über die Europäisierung 'der 'deutschen Frage gesprochen, die doch wohl mehr durch die Hand der Europäer zu lösen sei. Ja und nein, Herr von Guttenberg. Ja insofern, als das Wiederzusammenbringen der beiden Teile unseres Volkes sicherlich nur möglich sein wird in dem Zusammenhang der Wiederherstellung Europas 'als eines Ganzen. Das ist sicherlich richtig, da kann es keinen Zweifel geben. Aber nein insofern, als es so klingen könnte ich rede im Konjunktiv, im Conditionalis, Herr Moersch; ich sehe Sie da sitzen - ({2})
- Ich lasse Ihnen in Zukunft immer frei, das zu entscheiden; das ist dann Ihr Beitrag. - Nein insofern, als es so klingen könnte, als ob man bei der Deutschlandpolitik nicht die sicherlich außerhalb Europas plazierten Vereinigten Staaten von Amerika mit allergrößtem Gewicht dabei auch 'brauche. Ich meine, so wie die Sowjetunion keine bloß europäische Macht ist, so sind die Vereinigten Staaten von Amerika keine bloß außereuropäische Macht.
({3})
- Gut, sehr gut. Aber da Sie gerade in diesem Zusammenhang auf jene Pressekonferenz des französischen Staatschefs abgehoben haben, muß ich sagen: es wäre gut gewesen, wenn Sie das, was Sie jetzt „selbstverständlich" nennen - was hiermit für mich akzeptiert und erledigt ist -, auch so selbstverständlich wenigstens mit angedeutet hätten.
Die Lösung der deutschen Frage, wann immer sie stufenweise erreicht wird, setzt nicht nur die berühmten vier Mächte voraus, sondern insbesondere unter diesen vier Mächten auf der einen Seite die Vereinigten Staaten von Amerika und auf der anderen Seite die Sowjetunion - beide als quasi-europäische Mächte, wenn Sie so wollen - und alle übrigen deutschen Nachbarn im Westen und im Osten, übrigens auch die Zustimmung beider deutscher Teile; das ist das dritte Feld.
({4})
- Die Zustimmung aller Teile des deutschen Volkes.
({5})
- Bitte sehr, ich rede hier ohne Konzept, und ich möchte darum bitten, daß man nicht jedes Wort auf die Waagschale legt. Ich meine es so, wie auch Sie es meinen, lieber Herr von Guttenberg, und Sie wissen ja, wie ich es meine. Wir brauchen uns hier nicht gegenseitig über Haarspaltereien aufzuregen. Alle Teile des deutschen Volkes müssen dieser Sache zustimmen, wenn sie zustande kommen soll.
Nun haben Sie mir Vorwürfe gemacht, ich hätte die polnische Position allzu offen behandelt. Über solche Vorwürfe ist zu sprechen. Nur haben Sie anschließend die deutsche Position - allerdings nicht gegenüber Polen, sondern gegenüber Rumänien - in einer noch viel schonungsloseren Weise nicht nur offen behandelt, sondern auch angegriffen.
({6})
- Bitte sehr, das nehme ich Ihnen nicht übel. Sie haben aber auch die rumänische Position mit involviert, lieber Herr von Guttenberg. Auch das nehme ich Ihnen nicht übel, aber ich bin der Meinung: wenn wir dem Deutschen Bundestag das Gewicht geben wollen, das er in der öffentlichen Meinung Deutschlands braucht, dann muß man hier aussprechen kön2922
Schmidt ({7})
nen, wie man über die Dinge denkt, dann darf man, als Abgeordneter jedenfalls, nicht allzuviel hinter dem Berg halten. Das in bestimmten Situationen der Bundesaußenminister einmal hinter dem Berg halten muß, ist dabei selbstverständlich und wird völlig anerkannt.
({8})
Lassen Sie mich als meine persönliche Meinung zur Frage Polens noch etwas sagen, und zwar nur deshalb, weil Ihre Worte, Herr von Guttenberg, mich hier ins Zwielicht bringen könnten. Polen ist das einzige Land innerhalb des Ostblocks - das sagte ich schon heute morgen -, wo Religion in den breitesten Massen des Volkes noch eigenständig, urständig da ist, wo die Kirche eine große Rolle spielt. Polen ist ein Land, das man mit einer Ellipse vergleichen kann: in dem einen Brennpunkt steht der Kardinal, in dem anderen Brennpunkt steht der Parteichef. Der Kardinal hat das polnische Volk aufgerufen, um Versöhnung zu beten. Damit sind auch durchaus wir Deutschen gemeint. Der Parteichef hat fast gleichzeitig das Gegenteil gemacht. Sicherlich ist Polen, was die kulturellen und künstlerischen Fragen angeht, eines der liberalsten - wenn man in diesem Zusammenhang das Wort „liberal" gebrauchen darf - Länder im Osten. Aber ebenso sicher, Baron Guttenberg, ist die Tatsache, daß weder der Kardinal noch der Parteichef in bezug auf die Oder-Neiße-Linie irgendwo mit Ihnen übereinstimmt,
({9})
- lassen Sie mal das polemisieren! ({10})
und ganz sicher ist, daß diejenigen, die in Polen regieren und die die polnische Außenpolitik bestimmen, sich ihre außenpolitische Vorstellung von Europa so zurechtmachen, daß sie meinen - ob nun die in Warschau den Herrn Ulbricht und die in Ostberlin lieben oder nicht, will ich einmal offenlassen --, die in Ostberlin zu brauchen. Es hat keinen Zweck, daß wir daran vorbeigucken. Ich will auch nicht versuchen, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern Osteuropas allzu scharf zu zeichnen. Das würde nicht gut sein. Wir dürfen auch weiß Gott nicht den Eindruck aufkommen lassen, als ob wir hier den Versuch machten, einen gegen den anderen auszuspielen. So groß ist im übrigen auch der Handlungsspielraum der da drüben keineswegs. Diesen Eindruck möchten wir nicht gern machen. Aber wir möchten ganz gern - und insofern glaube ich, daß die Bundesregierung in diesem Frühjahr eigentlich auf einem richtigen Wege war -, daß das, was an Differenzierungen vorhanden ist, auch wirklich gesehen und benutzt wird.
In diesem Zusammenhang hat auch eine Diskussion über das Thema: Austausch von Gewaltverzichtserklärungen stattgefunden. Mehrere Redner haben davon gesprochen. Herr von Guttenberg hat eine mögliche Lösung hier dargetan. Er hat sogar gesagt, es müßte die Möglichkeit geben, einen Kompromiß zu finden. Aus Ihrem Munde, Herr
Kollege, ist das schon ein erstaunliches Wort. Nämlich gegenüber der Sowjetunion, haben Sie gesagt. Dann hat ein anderer - ich glaube, es war soeben der letzte Redner - eine andere denkbare Form zur Erwägung gestellt. Ich meine, wir sind uns alle darüber einig, daß die Regierung in Pankow nicht als Adressat in Frage kommt, wie es auch der Herr Außenminister gesagt hat. Aber wir sind uns auch alle inzwischen darüber einig - und ich glaube, das schließt seit der März-Note auch die Bundesregierung ein -, daß in diesem Punkte jedenfalls etwas weiter gedacht werden muß als damals, wo man das Territorium der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands ausgelassen hatte und damit indirekt der kommunistischen Propaganda Munition zur Verfügung stellte, was man eigentlich doch nicht gewollt hatte.
Wir glauben, daß die heutige Debatte über die Rüstungskontrollfragen und über die Sicherung des Friedens eine nützliche Debatte war, und glauben auch, daß die Antworten der Bundesregierung zu diesen zwölf sehr konkreten und, wie Herr Schröder gemeint hat, bohrenden Fragen im Laufe der nächsten Monate noch eine Rolle spielen werden. Er hat sie ja auch nicht nur für den innerdeutschen Konsum hier gegeben, sondern ich nehme an, daß er diese Antworten auch noch für andere Zwecke hier so ausführlich gegeben hat. Diese Debatte wird sich also sicherlich fortsetzen.
Vielleicht erlauben Sie mir, Herr Kollege Birrenbach, zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich habe von Ihnen harte Worte dafür einstecken müssen, daß sich meine Begründung nicht punktuell auf die zwölf Fragen bezogen habe. Wenn Sie inzwischen die anderen Redner gehört haben, ob es Herr von Kühlmann-Stumm oder der Herr Außenminister oder Herr von Guttenberg war: alle haben natürlich zwangsläufig dieses Rüstungskontrollthema in den Gesamtzusammenhang unserer Außenpolitik einbetten müssen. Da gehört es nämlich hin, und ich meine, es war auch angemessen, daß sie es getan haben.
Zum Schluß: Es tut mir leid, meine Herren von der CDU, der CSU und der FDP, Ihre Entschließung zum Abschluß dieser Debatte ist nicht ganz angemessen. Wir können die Entschließung nicht ablehnen. Was darinsteht, ist alles in Ordnung. Aber Sie können nicht verlangen, daß wir einer solchen Sammlung von Selbstverständlichkeiten auch noch ausdrücklich zustimmen. Daß der Bundesregierung für die Friedensnote vom März gedankt werden soll: das haben wir schon einmal getan; warum zum zweiten und dritten Male? Und daß Sie aufgefordert werden soll, in diesem Sinne unbeirrt weiterzuarbeiten: das haben wir auch schon getan. So meine ich, daß Sie nicht im Ernst verlangen können, daß wir einer solchen Selbstverständlichkeit, die nichts Neues bringt, in keine neue Richtung weist und nur eine Selbstbeweihräucherung darstellt, unsere Stimme geben. Dafür bitten wir um Verständnis. Das soll aber nicht besonders böse klingen; das können Sie einfach nicht verlangen.
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Wir sind am Ende der Rednerliste angekommen.
Dem Hohen Hause liegt auf Umdruck 99 *) ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD Drucksache V/775 vor. Der Antrag ist von 60 anwesenden Abgeordneten gemäß § 107 der Geschäftsordnung unterstützt; er ist also zulässig.
Das Wort zur Begründung dieses Antrages hat Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich nicht meine Absicht, etwas Polemisches zu sagen, wenn ich nicht die Zurufe aus der sozialdemokratischen Fraktion bekomme, - von der wir mehr und mehr den Eindruck haben, daß sie nur noch aus zwei Mann besteht, aus Wehner und Schmidt. Vielleicht wundert es Sie, daß von uns der eine oder andere auf die Tribüne geht.
({0})
- Absolut nicht!
({1})
Herr Dr. Schulze-Vorberg, Sie sind hier zur Begründung des Antrages Umdruck 99. Ich bitte Sie, sich auf die Begründung zu beschränken.
Wir haben heute über Abrüstung gesprochen. Gerade wenn Sie den Namen Fritz Erler hineinbringen, Herr Wehner, darf ich sagen, daß ich mich mit Dankbarkeit an die Reden von ihm zur Abrüstung erinnere, die Reden in denen er auch vor einseitiger Abrüstung gewarnt hat, einer Abrüstung, die womöglich eine Kriegsgefahr darstellt.
Die heutige Debatte - da stimmen wir mit der SPD überein - hat ihren Sinn gehabt, sie hat gerade vor der Reise des Bundeskanzlers nach Amerika ihren Sinn gehabt. Sie hat bewiesen, daß das ganze Haus in seinem Wunsch nach Rüstungskontrolle, nach Abrüstung übereinstimmt, sich der Problematik bewußt ist. Das ist in jedem einzelnen Beitrag zum Ausdruck gekommen.
Wir wissen, daß Abrüstung, daß Rüstungskontrolle immer nur ein Mittel zum Zweck sein kann, ein Mittel zu dem Zweck, dem Frieden und der Sicherheit in der Welt zu dienen.
Wir wissen, daß es in dieser Welt Spannung und Entspannung zugleich, Aufrüstung und Abrüstung 1 Siehe Anlage 2 zugleich immer wieder geben wird. Wir wissen - das ist auch in dieser Debatte zum Ausdruck gekommen -, daß friedliche Absichten, vorgegebene oder tatsächliche, mit mörderischen Fähigkeiten gerade im Atomzeitalter immer wieder gekoppelt sind.
In dieser Debatte ging es darum - das hoffe ich jedenfalls, und so habe ich sie verstanden -, Mißtrauen abzubauen, und zwar nicht allein durch Reden und durch Feststellungen, nicht nur durch Atmosphäre, so wichtig das alles ist. Atmosphäre ist wichtig zwischen den Parteien, zwischen den Völkern, zwischen den Staaten. Atmosphäre ist wichtig unter Freunden. Mit den Amerikanern, mit den Engländern, mit den Franzosen brauchen wir das gute Klima, aber auch mit den Gegnern ein Gespräch.
Das alles wollten wir in unserer Entschließung sagen. Sie mögen behaupten, hier seien Selbstverständlichkeiten aneinandergereiht. Ich wünschte, Sie hätten recht, daß das alles selbstverständlich ist, daß sich andere Völker genauso wie wir der Abrüstung verpflichtet fühlen, daß andere Völker zu genau solchen Leistungen bereit sind, daß sie sich wie wir der Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen enthalten und außerdem der Kontrolle unterwerfen. Solche Dinge vor der Weltöffentlichkeit auszusprechen ist nicht unnütz, das ist immer wieder notwendig.
Ich stelle hier fest, daß zwischen den beiden einzigen Rednern der SPD, nämlich zwischen Herrn Schmidt und Herrn Wehner, heute wiederum einmal ein Dissens besteht, wenn ich das richtig verstanden habe. Herr Wehner hat uns geradezu ermuntert, solche Dinge immer wieder zu sagen.
({0}) -- Genauso war es.
Ich glaube, das, was in der Friedensnote stand, muß immer wieder gesagt werden. Darum bringen die Fraktionen der Regierungskoalition diesen Antrag ein, den ich die Ehre habe kurz vorzulesen.
({1})
- Verzeihen Sie vielmals! Ich sehe, daß Sie ihn inzwischen haben.
({2})
-- Nein, ich kann gerne darauf verzichten.
Ich weiß, daß das für Sie Selbstverständlichkeiten sind. Ich wünschte, es wären wirklich Selbstverständlichkeiten für die ganze Welt. Dann könnten wir heute mit ruhigem Gewissen aus diesem Hause gehen. Wir haben gestern im Verteidigungsausschuß einen Unterausschuß für Fragen der Abrüstung gebildet. Sie können sagen: Auch da werden Selbstverständlichkeiten behandelt werden, die Selbstverständlichkeit, daß die Welt den Frieden will. Darum haben Sie heute diese Debatte gewollt, und darum wünschen wir jetzt eine Abstimmung über diesen Antrag.
Der Antrag Umdruck 99 steht zur Abstimmung. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist angenommen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Mittwoch, den 5. Oktober, 14.30 Uhr.
Ich schließe die Sitzung und danke allen Beteiligten.